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German Pages 133 [136] Year 1928
SCHRIFTENREIHE DES
STUDENTENWERK ZEITSCHRIFT DER STUDENTISCHEN SELBSTHILFEARBEIT HERAUSGEGEBEN VON DER
WIRTSCHAFTSHILFE DER DEUTSCHEN STUDENTENSCHAFT HEFT i
DEUTSCHE
WERKSTUDENTEN
IN A M E R I K A
DEUTSCHE WERKSTUDENTEN IN A M E R I K A BERICHT Ü B E R DIE L E V E R K U S E N E R T A G U N G DER AUS A M E R I K A
ZURÜCKGEKEHRTEN
WE RKSTUD E NTE N 7.I8. J U N I 19128
HERAUSGEGEBEN
VON
DER
W I R T S C H A F T S H I L F E DER DEUTSCHEN STUDENTENSCHAFT
B E R L I N
UND
L E I P Z I G
W A L T E R D E G R U Y T E R & CO. V O R M A L S G.J. GÖSCHEN'SCHE V E R L A G S H A N D L U N G • J. G U T T E N T A G V E R L A G S B U C H H A N D L U N G • G E O R G R E I M E R • K A R L J. T R Ü B N E R . V E I T & COMP.
1928
Geleitwort Die Wirtschaftshilfe der Deutschen Studentenschaft hat es immer abgelehnt, als eine aus Mitleid geborene charitative Einrichtung zur Fürsorge für arme Studenten zu gelten. Sie sah ihre besondere Aufgabe in der Förderung eines begabten und tüchtigen, an selbständige Lebensgestaltung und entschlossenen Wagemut gewöhnten geistigen Nachwuchses. Sie h a t der durch die Nachkriegsnot vergrößerten Gefahr der Plutokratisierung der höheren Bildung den Grundsatz des Aufstieges der Besten aus allen Schichten entgegengestellt. Sie kämpft für die möglichste Steigerung des Volksvermögens an jungen, schöpferischen, geistigen Kräften. Wenn sie zu diesem Kampfe nicht nur aufrief, sondern sich vor allem auch vom Staate und von der Wirtschaft ideelle und geldliche Förderung erbat, so t a t sie dies in der Überzeugung, daß jedes hierfür gebrachte Opfer eine gute und produktive Kapitalanlage sei, die für die Gesamtheit des Volkes wertvolle Ergebnisse zeitigen werde. Von dieser Überzeugung erfüllt, trat die Wirtschaftshilfe der Deutschen Studentenschaft im Jahre 1921 zum erstenmal mit den Führern der deutschen Wirtschaft in Verbindung. I n dem gleichen Hause, dem Verwaltungsgebäude der Farbenfabriken Leverkusen, in dem damals die erste entscheidende Besprechung mit Geheimrat Dulsberg stattfand, tagte genau sieben Jahre später eine einzigartige und merkwürdige Versammlung. Geheimrat Duisberg, der seit jener ersten Unterredung der „Vater der Studentenschaft" geworden war, hatte es sich nicht nehmen lassen, die 35 ersten nach zweijähriger Arbeit aus den Vereinigten Staaten von Nordamerika zurückgekehrten Amerikawerkstudenten, ferner eine Reihe von Austauschstudenten des Akademischen Austauschdienstes zusammen mit etwa 60 Vertretern der Regierung, der Wirtschaft und der Hochschulen und anderen Freunden der Arbeit für 2 Tage nach V
Leverkusen einzuladen, damit in Berichten und gegenseitiger Aussprache die Erlebnisse und Erfahrungen dieser Werkarbeit in Amerika deutlich und anschaulich würden. Die Aussprache war so eindrucksvoll, daß der Wunsch laut wurde, ihre Hauptpunkte einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Der vorliegende Bericht will diesen Wunsch erfüllen. Dieser Amerika-Werkstudenten-Dienst ist ein echtes, unverfälschtes Beispiel dessen, was die Wirtschaftshilfe der Deutschen Studentenschaft von den ersten Plänen an als das Ideal der studentischen Wirtschaftsarbeit ansah: der Selbsthilfe des einzelnen soll der Weg so weit und so wirksam wie möglich geöffnet werden, so daß aus dem gemeinsamen Zusammenwirken von studentischer Selbsthilfe mit der Förderung durch Freunde der Studentenschaft das Endergebnis einer möglichst vielseitigen und tiefgehenden Bildung erreicht werden könne. Die Amerikawerkstudenten haben das meiste, was zur Erreichung dieses Zieles nötig war, durch eigene harte, alle Schwierigkeiten überwindende Arbeit selbst geleistet. Aber es wäre undankbar, wenn man dabei vergessen würde die außerordentlich starke und wirksame Hilfe und Förderung, die im Vorbereitungsstadium und bei der Durchführung diesem Plane von weiten nichtstudentischen Kreisen zuteil geworden ist. I n erster Reihe waren es deutsche Freunde der studentischen Wirtschaftsarbeit aus der Wirtschaft, von den Hochschulen und von der Regierung, die in langwieriger, mühevoller Kleinarbeit den Boden zur Erreichung des Zieles vorbereitet haben. Als dann aber die ersten Verhandlungen in den Vereinigten Staaten begannen, fand die Idee des Amerika-Werkstudenten-Dienstes dort eine ebenso warme und freundliche Aufnahme. Männer, wie Unterstaatssekretär H u s b a n d vom amerikanischen Arbeitsministerium, A l e x a n d e r vom amerikanischen Industriellen verband, R i c e vom amerikanischen Ingenieurverband, G r e e n und S p e n c e r - M i l l e r vom Verband der amerikanischen Gewerkschaften, D u g g a n vom Institut für internationale Erziehung in New York und P o r t e r vom Christlichen Studentenverband haben sich alle auf das nachdrücklichste für die Verwirklichung des Planes eingesetzt. Diesen Freunden des Werkes diesseits und jenseits des Ozeans ist es zu danken, daß die Wirtschaftshilfe der Deutschen Studentenschaft auf Grund eines eigenen Abkommens mit dem amerikanischen Arbeitsministerium das Recht hat, außerhalb der Einwanderungsquote jährlich bis zu 100 Ingenieure, Volks- und
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Landwirte nach den Vereinigten Staaten zu senden, wo sie als Arbeiter in einer großen Zahl führender Betriebe Arbeit finden. Die ersten 15 Amerikaner, die in gleicher Weise in deutschen Betrieben arbeiten, sind im Laufe des Sommers 1928 in Deutschland eingetroffen. So ist in dem Amerika-Werkstudenten-Dienst zugleich auch ein verheißungsvolles Stück der Zusammenarbeit zwischen Amerika und Deutschland verwirklicht. Er stellt eine wertvolle Ergänzung dar zu den Arbeiten des Akademischen Austauschdienstes, der jährlich je 40—50 sorgfältig ausgewählte junge Akademiker und Studenten zwischen amerikanischen und deutschen Hochschulen austauscht. Die außerordentliche Bereicherung der Leverkusener Aussprache durch die Austauschstudenten zeigt, wie glücklich beide Unternehmungen sich ergänzen. Die Leverkusener Tagung hat ferner gezeigt, daß die Opfer, die weitblickende Führer beider Länder für dieses Werk gebracht haben, nicht vergebens waren. Die Wirtschaftshilfe der Deutschen Studentenschaft wird auch in den kommenden Jahren ihren Kampf um den Aufstieg der Besten und Tüchtigsten aus allen Schichten fortsetzen. Sie ist der festen Zuversicht, daß auch die deutsche Wirtschaft in wachsendem Maße nicht nur auf dem Gebiete der Technik und Landwirtschaft, sondern auf allen Gebieten, auf denen jungakademischer Nachwuchs vonnöten ist, erkennen wird, daß jede Förderung dieses studentischen Selbsthilfeplanes zugleich ein Stück neuer Sicherung der Zukunft der deutschen Wirtschaft und des deutschen Volkes ist. Reinhold
Schairer.
VII
Inhaltsübersicht G e l e i t w o r t (Dr. Schairer) Teilnehmerliste A n s p r a c h e n b e i m B e g r ü ß u n g s a b e n d , 7. J u n i : Geheimrat Duisberg Diplomingenieur Becker Exzellenz v. Miller Geheimrat Wieland Dr. H o f f m a n n Diplomingenieur Funke Prälat Dr. Schreiber T a g u n g a m 8. J u n i : Begrüßung Geheimrat Duisberg
Seite
V
XI 3 4 5 6 7 7 S 13
S o z i a l e P r o b l e m e i n U. S.A., unter besonderer Berücksichtigung der Frage, ob m a n von einer Wirtschaftsfriedlichkeit des amerikanischen Arbeiters im Gegensatz zur Einstellung des deutschen Arbeiters sprechen kann. Das Verhältnis des amerikanischen Arbeiters zu seiner Arbeit (Diplomingenieur Wiebel) Wirtschaftsfriede in der amerikanischen Industrie ? (Diplomingenieur Dr. Hemscheidt) Aus der Dankrede des Vorsitzenden zu den Ausführungen Wiebel u n d Hemscheidt (Geheimrat Duisberg) Pioniergeist in Amerika! Rentnergeist in Deutschland ? (Diplomingenieur Sommer) Prosperität u n d die soziale Frage (Dr. Bartusch)
17 18 23 23 24
Von Dingen, die wir übernehmen sollten (Diplomingenieur Schwabach)
27
Die sozialen Verhältnisse in der amerikanischen Landwirtschaft (Dr. Bredemann)
27
Von der Psyche des Arbeiters (A. Knoll) Der Vorsitzende zu den Ausführungen des H e r r n Knoll (Geheimr a t Duisberg)
30
Vom historischen Werden soziologischer Strukturen (A. Frowein)
34
33
IX
Seite
Arbeitsethos (Dr. Büscher)
37
Ist die wirtschaftsfriedliche Einstellung des amerikanischen Arbeiters etwas charaktermäßig Bedingtes? (Geheimrat Brecht) Wirtschaftsfriedlichkeit, eine Funktion der Prosperität (Diplomingenieur Kissel)
39
Von soziologischen Beziehungen (Referendar Mestern)
42
Arbeitspsyche und Erziehung (Diplomingenieur Pauly) Arbeiter und Kapitalbildung (Diplomingenieur
. . . .
Schwabach) . .
38
45 46
Zur Klassenschichtung in Deutschland (Dr. Bloch)
46
Streiflichter (Dr. von Brauchitsch)
47
Erlebnisskizzen (Dr. Seidel)
52
E r z i e h u n g s p r o b l e m e in d e n U. S.A. Vergleichende Betrachtungen mit Bezug auf Deutschland unter besonderer Berücksichtigung des zu erstrebenden Gleichgewichts zwischen charaktermäßiger und wissenschaftlicher Bildung. Charakterbildung und staatsbürgerliche Erziehung amerikanische Schule (Dr. Geisler)
durch
die 57
Charakterschulung und Leistungssteigerung (Diplomingenieur Schwabach)
65
Aus der Dankrede des Vorsitzenden zu den Ausführungen Geisler und Schwabach (Geheimrat Duisberg)
71
Uber die Berufsausbildung des Akademikers
(Diplomingenieur
Massute)
72
Freie B a h n
dem Tüchtigen
Give him a chance!
(A. Knoll)
74
(Dr. Kayser)
75
American spirit (Diplomingenieur Funke)
78
Die nationale Erziehung in Amerika
79
(Dr. Seidel)
Das geistige Amerika (Dr. Selig)
80
Verlebendigung der Beziehungen zur Umwelt (Referendar Mestern)
84
Ausbildungsförderung
durch
Auslandsaufenthalt
(Geheimrat
Thiess) Vom
87
Erleben Deutschlands im Ausland (Dr. Bergsträsser)
. .
90
Amerikanische und deutsche Kulturbilanz (Prälat Schreiber) .
93
Synthese
96
(Dr. Schairer)
Schlußreden: Professor Heidebrock Legationsrat Kraske Oberregierungsrat Niessen Oberregierungsrat Morsbach Dr. Hoffmann Geheimrat Duisberg
105 106 107 108 108 109
A u s k l a n g (Prälat Schreiber)
113
X
Teilnehmerliste Andre van Aubel
Oberingenieur, I. G. F a r b e n i n d u s t r i e A. - G., L e v e r k u s e n . Dr., Vereinigte S t a h l w e r k e , Düsseldorf, 1920/21 Vorsitzer der D e u t s e h e n S t u d e n t e n s e h a f t . Bar tusch D r . , A m e r i k a w e r k s t u d e n t , z u r Zeit Leiter der N e w Y o r k e r Geschäftsstelle des A m e r i k a - W e r k s t u d e n t e n Dienstes. Bauer D r . , I . G . F a r b e n i n d u s t r i e A.-G., L e v e r k u s e n . Beck D i r e k t o r , Leiter des Vereins S t u d e n t e n h a u s M ü n c h e n , V o r s t a n d s m i t g l i e d d e r W i r t s c h a f t s h i l f e der D e u t s c h e n Studentenschaft. Beeker D i p l o m i n g e n i e u r , A m e r i k a w e r k s t u d e n t , Kassel. Becker Exzellenz, Reichsminister a. D., M. d. R., D a r m s t a d t . V o r s t a n d s m i t g l i e d d e r W i r t s c h a f t s h i l f e der D e u t s c h e n Studentenschaft. Bergsträsser Dr., P r i v a t d o z e n t , Heidelberg. Bertrams Dr., D i p l o m k a u f m a n n , D i r e k t o r , I . G . F a r b e n i n d u s t r i e A.-G., Leverkusen. Blank Direktor, Demag, Duisburg. Bloch Dr., A u s t a u s c h s t u d e n t , Berlin. Bonhoeffer Dr., D i r e k t o r , I . G . F a r b e n i n d u s t r i e A.-G., E l b e r f e l d . v o n B r a u c h i t s c h Dr., A m e r i k a w e r k s t u d e n t , H e n s c h e l & Sohn, Kassel. Brecht G e h e i m r a t , Generaldirektor, R h e i n i s c h e Aktiengesellschaft für Braunkohlenbergbau und Brikettfabrikation, Köln. Bredemann Dr., D i p l o m l a n d w i r t , A m e r i k a w e r k s t u d e n t , zur Zeit G e s c h ä f t s f ü h r e r des A m e r i k a - W e r k s t u d e n t e n - D i e n s t e s bei der W i r t s c h a f t s h i l f e der D e u t s c h e n S t u d e n t e n s c h a f t , Dresden. Brüggemann Dr., D i r e k t o r , I . G . F a r b e n i n d u s t r i e A.-G., L e v e r k u s e n . Bücher D r . , Geheimrat, G e n e r a l d i r e k t o r i u m der A . E . G . , Berlin. Büscher Dr., D i r e k t o r , J u n k e r s w e r k e , Dessau. Crane P . W i l l a r d , U n i v e r s i t ä t Cincinnati, Ohio, U . S . A . Demuth Dr., D i r e k t o r , I . G . F a r b e n i n d u s t r i e A.-G., Elberfeld. Diehl Diplomingenieur, A m e r i k a w e r k s t u d e n t , Berlin.
XI
Dion Doermer Dreyer Duden Duisberg
Duisberg Ebel Ewers von Finckh Frowein Fudickar Funke Gattineau Geisler Gerlach Graven Güldner Gütermann von Halle Harten Heermann Heidebrock Hemscheidt Hencky Herrfarth Herrmann Heymann Hilpert Hinselmann Hoffmann Hoffmann Hollederer Huxdorff Jahne Jaffe
XII
Dr., Direktor, I.G.Farbenindustrie A.-G., Bitterfeld. Justizrat, Direktor, I.G.Farbenindustrie A.-G., Leverkusen. Diplomingenieur, Amerikawerkstudent, Leipzig. Dr., Professor, Direktor, I.G.Farbenindustrie A.-G., Höchst. Dr., Geheimrat, Professor, Leverkusen, Vorsitzender des Verwaltungsrats u n d Aufsichtsrats der I . G . Farbenindustrie A.-G., Vorsitzender des Reichsverbandes der Deutschen Industrie, Vorstandsmitglied der Wirtschaftshilfe der Deutschen Studentenschaft. Dr., I.G.Farbenindustrie A.-G., Ludwigshafen. Oberingenieur, I.G.Farbenindustrie A.-G., Elberfeld. Dr., Austauschstudentin, Berlin. Diplomingenieur, Amerikawerkstudent, Berlin. Zweiter Vorsitzender des Reichsverbandes der Deutschen Industrie, Elberfeld. Dr., Düsseldorf. Diplomingenieur, Amerikawerkstudent, Dresden. Dr., I.G. Farbenindustrie A.-G., Leverkusen. Dr., Studienassessor, Austauschstudent, Berlin. Diplomingenieur, Amerikawerkstudent, Chemnitz. Dr., Professor, Senatspräsident, Köln. Diplomingenieur, Amerikawerkstudent, Landsberg a. d . W . F a b r i k a n t , Gutach (Schwarzwald). Austauschstudentin, Berlin. Diplomingenieur, Amerikawerkstudent, Glücksburg. Studienrat, I . G . F a r b e n i n d u s t r i e A.-G., Leverkusen. Dr., Professor, D a r m s t a d t . Dr., Diplomingenieur, Amerikawerkstudent, Aachen. Dr., Oberingenieur, I.G.Farbenindustrie A.-G., Leverkusen. Diplomingenieur, Amerikawerkstudent, Dresden. Oberingenieur, I.G. Farbenindustrie A.-G., Elberfeld. Dr., Direktor, I.G.Farbenindustrie A.-G., Leverkusen. Regierungsbaurat, Direktor, I.G. Farbenindustrie A.-G., Leverkusen. Diplomingenieur, Amerikawerkstudent, Essen. Dr., Sekretär f ü r den ausländischen Studentendienst beim Christlichen Studenten-Weltbund, Genf. Diplomingenieur, I.G. Farbenindustrie A.-G., Elberfeld. Oberingenieur, Fried. K r u p p A.-G., Essen. Diplomingenieur, Amerikawerkstudent, Uelzen (Hannover). Direktor, I.G.Farbenindustrie A.-G., Leverkusen. Dr., Austauschstudent, Heidelberg.
Jenner Jossmann Jungclaus Kaise.r Kamp Kayser Khern Kingdon Kissel Klein Knoll König Kraske Krauss Krekeler Kretzschmar Kühne Kuhlmann Laras s Loening Massute Megeler Mestern von Miller Moegenburg Morsbach Neef Nestel Ni essen Nobbe Ott Pauly Petersen Pfeiffer Pielmann
Wirtschaftshilfe der Deutschen Studentenschaft, Dresden. Diplomingenieur, Amerikawerkstudent, Berlin. Diplomingenieur, Amerikawerkstudent, Leverkusen. Diplomingenieur, Amerikawerkstudent, Kassel. Direktor, Demag, Duisburg. Dr., Austauschstudent, zur Zeit Akademischer Austauschdienst, Berlin. Direktor, I.G.Farbenindustrie A.-G., Leverkusen. Andrey, Arizona, U. S. A . Diplomingenieur, Amerikawerkstudent, I.G.Farbenindustrie A.-G., Leverkusen. Dr., I.G.Farbenindustrie A.-G., Dormagen. Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund, Berlin. Diplomingenieur, AmerikaWerkstudent, Kassel. Dr., Legationsrat, Auswärtiges A m t , Berlin. Dr., Direktor, I.G.Farbenindustrie A.-G., Ludwigshafen. Dr., Direktor, Leiter der Betriebsgemeinschaft Niederrhein der I. G. Farbenindustrie A . G., Leverkusen. Diplomingenieur, Amerikawerkstudent, Borna bei Leipzig. Dr., Direktor, I.G.Farbenindustrie A.-G., Leverkusen. Dr., Regierungsrat, Direktor, I.G. Farbenindustrie A.-G., Leverkusen. Oberingenieur, I. G. Farbenindustrie A.-G., Uerdingen. Dr., Reichsverband der Deutschen Industrie, Berlin. Diplomingenieur, Amerikawerkstudent, B a d Lausick. Diplomingenieur, Amerikawerkstudent, Leipzig. Referendar, Austauschstudent, Hamburg. Exzellenz, Dr., Geheimrat, Deutsches Museum, München. Dr., I.G.Farbenindustrie A.-G., Leverkusen. Dr., Oberregierungsrat, Leiter des Akademischen Austauschdienstes, Berlin. Dr., Diplomkaufmann, Leiter der Studentenburse, Köln. Diplomingenieur, Amerikawerkstudent, KirchheimTeck. Dr., Oberregierungsrat, Reichsministerium des Innern, Berlin. Direktor, I.G.Farbenindustrie A.-G., Leverkusen. Dr., Direktor, I.G.Farbenindustrie A.-G., Leverkusen. Diplomingenieur, Amerikawerkstudent, Wiesbaden. Dr., Geschäftsführer des Vereins deutscher Eisenhüttenleute, Düsseldorf. Diplomingenieur, AmerikaWerkstudent, Stuttgart. Dr., Oberingenieur, I.G.Farbenindustrie A.-G., Leverkusen.
XIII
Popp Proebst Raemisch Ribbeck Rittershausen Rüdiger Rüsch Rys Schaedle Schaeffler Schaeven Schairer Scharf Schmidt Schreiber Schroeder Schuh Schwabach Seidel Seiter Selig Setzermann Sikorski Sommer Stange Stauch Stockhausen Stockmeyer van Thiel Thiess Tiedtke Tigler Tillmanns Voigt Vollmacher von Wächter Waggershauser
XIV
Dr., I.G. Farbenindustrie A.-G., Leverkusen. Leiter des Auslandsamtes der Deutschen Studentenschaft, Charlottenburg. Dr., Geschäftsführer des Vereins Deutscher Seidenwebereien, Krefeld. Diplomingenieur, Amerikawerkstudent, Essen. Dr., Direktor, Fried. Krupp A.-G., Essen, cand. phil., Austauschstudent, Heidelberg. Dr., Oberingenieur, I.G.Farbenindustrie A.-G., Leverkusen. Direktor, Fried. Krupp A.-G., Essen. Dr., Diplomingenieur, Verein Deutscher Ingenieure, Berlin. Diplomingenieur, Amerikawerkstudent, München. I.G. Farbenindustrie A.-G., Leverkusen. Dr., Assessor, Hauptgeschäftsführer der Wirtschaftshilfe der Deutschen Studentenschaft, Dresden. Dr., Direktor, I.G. Farbenindustrie A.-G., Halle a. d. S. Dr., I.G.Farbenindustrie A.-G., Leverkusen. Dr., Professor, Prälat, M. d. R., Münster i . W . Dr., Austauschstudent, Berlin. Diplomingenieur, Amerikawerkstudent, Nürnberg. Diplomingenieur, Amerikawerkstudent, Leipzig. Dr., Austauschstudent, Berlin. Dr., Diplomingenieur, Amerikawerkstudent, Stuttgart. Dr., Austauschstudentin, zur Zeit Leiterin der Akademischen Auslandsstelle des Verbandes der Deutschen Hochschulen, Dresden. Diplomingenieur, Verein Deutscher Ingenieure, Berlin. Dr., Geschäftsführer der Wirtschaftshilfe der Deutschen Studentenschaft, Dresden. Diplomingenieur, Amerikawerkstudent, Köln. Dr., Direktor, I.G.Farbenindustrie A.-G., Leverkusen. Dr., Direktor, Siemens-Schuckert-Werke, Berlin. Dr., Geschäftsführer des Vereins Studentenhaus, Bonn. Diplomingenieur, Amerikawerkstudent, Stuttgart. Direktor, I.G.Farbenindustrie A.-G., Uerdingen. Dr., Geheimrat, Professor, Köln. Dr., Direktor, I.G.Farbenindustrie A.-G., Höchst. Direktor, Demag, Duisburg. Dr., Geschäftsführer der Wirtschaftshilfe der Deutschen Studentenschaft, Dresden. Oberingenieur, I.G.Farbenindustrie A.-G., Uerdingen. Dr., Diplomingenieur, Amerikawerkstudent, Schlebusch-Manfort. Diplomingenieur, Amerikawerkstudent, München. Diplomlandwirt., Amerika werkstudent, Filseck bei Göppingen (Württemberg).
Wallichs Walther Warburg Weinschenk Wie bei Wieland Wie land Wilkening Wintermeyer Wittstock
Dr., Professor, Aachen. Dr., Direktor, I.G.Farbenindustrie A.-G., Leverkusen. M. M. Warburg & Co., H a m b u r g . Oberingenieur, I.G.Farbenindustrie A.-G., Leverkusen. Diplomingenieur, Amerikawerkstudent, Barmen. Geheimrat, M. d. R., Ulm. Diplomingenieur, Amerikawerkstudent, Ulm. Austauschstudent, Einbeckhausen. Oberingenieur, I.G. Farbenindustrie A.-G., Leverkusen. Oberingenieur, I.G.Farbenindustrie A.-G., Leverkusen.
XV
Am 7. J u n i besichtigten die Teilnehmer das Werk Leverkusen der I. G. Farbenindustrie Aktiengesellschaft. Anschließend f a n d ein Begrüßungsabend in den R ä u m e n des Kasinos der I . G . Farbenindustrie s t a t t . Wir bringen zunächst einige Auszüge aus den Ansprachen a m Begrüßungsabend, die uns für das Verständnis der Ausführungen auf der Tagung selbst wesentlich erscheinen.
]
Werkstudenten in Amerika.
Begrüßungsansprache Geheimrat Duisberg: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Willkommen am Rhein! Willkommen in Leverkusen! rufe ich Ihnen allen zu. Ich freue mich über das große Interesse, das die Vertreter der Behörden, der Dozentenschaft und der Wirtschaft durch ihre Anwesenheit unserer Tagung bekunden. Einen ganz besonders herzlichen Willkommengruß möchte ich aber den aus Amerika zurückgekehrten Werkstudenten und den in Amerika gewesenen Austauschstudenten und -Studentinnen widmen. Vor zwei Jahren ist die Ausreise der ersten Amerikawerkstudenten in Dresden und Berlin gefeiert worden. Damals haben die Herren Reichsaußenminister Dr. Stresemann und mein lieber Freund Geheimrat Hilger sowie viele andere Freunde und Förderer zu Ihnen gesprochen. Man wollte Ihnen den Abschied leicht machen und hatte infolgedessen für die erste größere Gruppe, die hinausging, eine schöne und wohlgelungene Abschiedsfeier veranstaltet. Nun sind Sie wieder zurückgekehrt zu den heimatlichen Gestaden, und es erschien uns daher richtig und wichtig, Sie in der Heimat zu begrüßen, um von Ihnen zu hören, welche Eindrücke Sie in der sogenannten neuen Welt empfangen, was Sie an Ihren verschiedenen Arbeitsstätten gesehen und erlebt haben, und ob die Art und Weise, wie der Amerika-WerkstudentenDienst aufgezogen wurde, richtig ist oder ob eventuelle Abänderungen wünschenswert sind. Deshalb haben wir Sie zu uns nach Leverkusen gebeten. Der erste Tag, der Tag des Auftaktes, war dazu bestimmt, Ihnen, nachdem Sie zwei Jahre lang unter amerikanischen Eindrücken gestanden haben, auch einmal wieder eine moderne deutsche Fabrik zu zeigen. Sie wurden deshalb am Vormittag durch die Leverkusener Arbeitsstätten geführt und sahen am Nachmittag die Werkssiedlungen und die sozialen Einrichtungen aller Art. Ich hoffe, Sie haben einen guten Eindruck von dem, was hier getan und gemacht wurde, erhalten, der geeignet ist, die großen Eindrücke, die Sie aus Amerika mitgebracht haben ein klein wenig auszugleichen. 1*
3
Wir werden morgen Gelegenheit nehmen, den ganzen Tag in Frage und Antwort uns ernstlich mit dem zu beschäftigen, was Sie in Amerika erlebt, gesehen und gehört haben. Deshalb wollen wir heute am ersten Abend über diese Dinge nicht sprechen. Der heutige Abend soll der Fröhlichkeit und der Geselligkeit und der Freude des Wiedersehens gewidmet sein. Und wenn es Ihnen, den Amerikawerkstudenten, so geht wie mir und den Meinen, als wir vor zwei Jahren von unserer Weltreise heimkehrten, daß nämlich nach allem, was wir Schönes und Neues draußen gesehen hatten, doch das Gefühl in uns vorherrschend war, daß es nichts Schöneres gibt als die Heimat, werden Sie wie wir das Wort empfinden: „Ich kenne nur ein Vaterland, und das heißt Deutschland!" Diplomingenieur Becker, Amerikawerkstudent: Meine Damen und Herren! Wir Amerikawerkstudenten möchten Herrn Geheimrat Dulsberg recht herzlich danken für die Einladung zu der heutigen Tagung. Für uns ist die heutige Veranstaltung gleichsam eine Brücke von Amerika und unserem Leben in Amerika zurück zu heimischer Arbeit. Wir haben heute das Werk Leverkusen der I.G. Farbenindustrie Aktiengesellschaft besichtigt. Schon allein in dieser Besichtigung lag ein starkes Band der Wiederanknüpfung an deutsche Schaffenskraft. Wir haben fast alle in Amerika die großen Fordwerke gesehen und viele andere große Fabriken. Wir haben sie bewundert und standen stark unter ihrem Einfluß. Wir haben sogar gedacht, daß es einige Zeit brauchen würde, bis wir in Deutschland einmal etwas Ähnliches erbauen können. Nun haben wir heute feststellen müssen, daß in Leverkusen ein Werk erstanden ist, das an Großzügigkeit und Systematik in der Anlage sowie in vielen anderen Dingen alles übertrifft, was wir bis jetzt gesehen haben. Die Besichtigimg war für uns ein Erlebnis. Im Gegensatz zu amerikanischen Großwerken haben wir empfunden, daß dieses Werk nicht nur ein industrielles Unternehmen ist im allgemeinen Sinne, sondern daß es beseelt ist von einer großartigen menschlichen Idee, der Idee des Willens zum sozialen Ausgleich. Noch etwas anderes ist uns besonders aufgefallen: Wir alle haben uns während unserer Studienzeit mit Fragen der Fabrikorganisation beschäftigt und haben auch in dieser Hinsicht Beobachtungen in Amerika gemacht. Bei der heutigen Besichtigung 4
haben wohl viele an die Vorlesungen gedacht, die auf unseren Hochschulen über die beste organisatorische Anlage eines Werkes gehalten werden. Wir alle stehen noch unter dem Eindruck, daß hier schon vor 40 Jahren von Herrn Geheimrat Duisberg ein Anlageplan ausgearbeitet wurde, der heute noch den modernsten Anforderungen der Fabrikorganisation genügt. So hat uns die heutige Besichtigung noch stärker mit dem Manne verbunden, dem wir die Veranstaltung der heutigen Tagung verdanken, und ihm sei nochmals herzlichst für alles gedankt, was er neben all den vielen anderen Dingen besonders für uns Amerikawerkstudenten getan hat und noch tut.
Exzellenz von Miller: Mein Freund und Gönner Duisberg hat mir eine ganz besonders große Freude gemacht mit seiner Aufforderung, an der Tagung der zurückgekehrten Werkstudenten teilzunehmen. Ich kann so richtig die Freude der jungen Menschen über ihre Wanderjähre mitfühlen. War doch auch ich als ganz junger Frischling von 26 Jahren seinerzeit in Paris und London und wurde von einem Konsortium als junger Mensch hinübergesandt nach Amerika. Damals sah ich in New York in der Bureau Street in dem damals noch kleinen Werk Edisons die erste 100-PS „Riesenmaschine". Ich kam begeistert zurück von Amerika. Sie haben nun auch all die großen Werke drüben gesehen, alle jenen großen Schöpfungen von Menschenhand, die natürlich geeignet sind, junge Menschen zur Bewunderung anzuregen. Aber das Bedeutendste, was man erleben kann, sind doch die Menschen, die solche Werke aufbauen. Viel bedeutender als die großen Edisonwerke ist doch der Mann, der sie geschaffen h a t : Edison mit seinen Plänen, seiner lebhaften Begeisterungsfähigkeit, viel größer als die Siemenswerke der Werner Siemens, Menschen, die uns begeistern und zum Fleiß und zum Fortschritt anfeuern. Auch in Leverkusen steht uns höher als dieses Werk des Mannes Duisberg der Mensch selbst, der mehr ist als ein Gelehrter, ein Industrieller, Organisator für sich und sein Werk. Er ist ein Vorbild geworden für die Menschen, die sich für die Allgemeinheit einsetzen. Die größten Verdienste h a t er sich aber um die studentische Jugend erworben. An vielen Universitäten hat er an der Schaffung von Studentenhäusern und sozialen Einrichtungen für die Studenten aktiv mitgewirkt. Es sind Organisationen ent5
standen, die sich alle die anschauen sollten, die auf sozialem Gebiet Großes sehen und starke Eindrücke erleben wollen. Die deutsche Studentenschaft hätte keine schönere äußere Anerkennung seiner Arbeit finden können, als die Verleihung des Ehrentitels „Vater der deutschen Studentenschaft".
Geheimrat Wieland: Meine Damen und Herren! Ich kann mich Ihnen als wohl den ältesten Werkstudenten in diesem Kreise vorstellen. Ich war letztes Jahr auf ein Vierteljahr in den Vereinigten Staaten, und zwar ging ich hinaus, um das amerikanische Budgetverfahren eingehend zu studieren, weil man drüben nach dem Kriege angefangen hatte, das Verfahren zu ändern. Aber das ist eine Sache, die uns hier weniger interessiert, sie liegt auf politischem Gebiet. Der zweite Hauptgrund, warum ich nach den Vereinigten Staaten ging, war der, daß ich mir die Fortschritte der amerikanischen Wirtschaft ansehen wollte, die gemacht wurden, solange unsere deutsche Wirtschaft durch den Krieg und die Nöte der Nachkriegszeit darniederlag. Ich habe drüben sehr bald erkannt, daß wir außerordentlich viel lernen können, aber auch, daß das, was man drüben sieht, auf die deutschen Verhältnisse nur cum grano salis anzuwenden ist. Sie haben in Ihrer zweijährigen Tätigkeit natürlich noch viel tiefere Einblicke in viele Dinge bekommen, als es mir in Anbetracht der Kürze meines Aufenthaltes möglich war. Sie sind nun wieder zurückgekehrt, um unserer immer noch hart kämpfenden Wirtschaft Ihre Arbeitskraft wieder zur Verfügung zu stellen und Sie wissen ja, wie unglaublich viel noch zu tun ist, wenn wir auch in den letzten Jahren schon etwas weiter gekommen sind. Ein amerikanischer Großindustrieller, den ich wenige Tage, ehe ich Amerika verließ, sprach, und der eben aus Europa zurückgekehrt war, sagte damals zu mir, daß er ganz erstaunt gewesen sei über das, was er in Deutschland gesehen hat. Er war zwei Jahre nicht mehr in Deutschland gewesen und hatte von Deutschland den Eindruck mitgenommen, daß die deutsche Wirtschaft in diesem Zeitraum einen erstaunlichen Aufschwung genommen hat. Meine lieben jungen Freunde, auch Sie werden feststellen können, daß wir in Deutschland fest daran gearbeitet haben, wieder hochzukommen, solange Sie drüben waren, und nun wird es auch Ihre 6
Aufgabe wieder sein, an unserem Wiederaufbau aktiv mitzuarbeiten. Dazu rufe ich Ihnen ein herzliches Glückauf entgegen. Dr. H o f f m a n n : Ich möchte Sie heute nicht nur als Freunde, sondern auch bis zu einem gewissen Grade als Landsleute begrüßen, denn obwohl ich ein geborener Amerikaner bin, so stammen meine Eltern doch aus Deutschland. Ich bin zuerst 1909 als amerikanischer Student nach Deutschland gekommen. Ich glaube, ich war schon damals ein Werkstudent, denn durch englischen Unterricht habe ich mir Geld für mein Studium verdient. Deutschland hat mir sehr viel gegeben, und als ich damals nach Amerika zurückkehrte nach einem Semester in Halle und zwei Semestern in Göttingen, da stieg in mir der Wunsch auf, einmal Gelegenheit zu haben, auch etwas für Deutschland tun zu können aus Dankbarkeit für das, was Deutschland mir damals gegeben hat. Und ich glaube, es war mir später vergönnt, etwas für Deutschland zu tun. Und Sie, deutsche Werkstudenten, sind nach Amerika hinübergegangen, um Neties zu lernen und Gutes zu gewinnen. Ich hoffe, daß dieses große Land auch Ihnen viel gegeben hat, wie mir Deutschland, so daß auch in Ihnen der Wunsch erweckt worden ist, etwas für Amerika zu tun. So glaube ich, daß wir aus diesem gegenseitigen Austausch voneinander Gutes lernen können und daß die Zukunft unsere zwei Völker näher zueinander bringen wird, damit wir uns besser verstehen und in unseren Handelsbeziehungen und vor allem unseren persönlichen Beziehungen Freunde bleiben werden und als Freunde zusammen arbeiten nicht nur für Deutschland, nicht nur für Amerika, sondern für das Gute in der Welt! Diplomingenieur Funke, Amerikawerkstudent: Wir Werkstudenten haben es dankbar empfunden, daß Herr Geheimrat Duisberg den Abend einleitete mit einem Hoch auf unser deutsches Vaterland, das Land, in dem wir groß geworden sind, bis wir als Werkstudenten in die Welt hinausgegangen sind in ein anderes Land — Amerika! Es ist wohl jedem von uns so gegangen, daß wir am Anfang gestaunt haben über das, was wir drüben sahen. Allmählich lernten wir das Land kennen, und als wir es tiefer verstehen lernten, be7
gannen wir es zu schätzen, und so kam es, daß wir neben der Liebe zu unserem deutschen Vaterland dankbar sind dem Lande gegenüber, das uns mit solcher Gastfreundschaft aufgenommen hat. Wenn die Gastfreundschaft des amerikanischen Volkes nicht gewesen wäre, wären wir heute nicht die Amerikawerkstudenten. Jeder von uns Werkstudenten wird mit großer Dankbarkeit daran denken, wie ihm alles offen stand, was er sehen wollte, wie Unternehmer, Arbeiter und Freunde versucht haben, uns den Geist und die Seele dieses Landes näherzubringen. Es ist uns eine große Freude, heute zwei Amerikaner unter uns zu haben: Mr. Crane, der zwei J a h r e in Deutschland studieren will, und Dr. Conrad Hoffmann, der als Leiter des Weltstudentenwerkes kurz nach dem Kriege die lebendigen Kräfte in der Jugend der ganzen Welt zusammengerufen hat, um das Hilfswerk für die deutsche Jugend aufzubauen. Ich bitte Sie, der Gastfreundschaft dieses Landes Amerika, das uns Werkstudenten so freundschaftlich aufgenommen hat, dadurch dankbar zu gedenken, daß Sie mit mir unsere amerikanischen Gäste durch ein Hoch ehren.
P r ä l a t Dr. S c h r e i b e r : Meine Damen und Herren! Wir zollen Herrn Geheimrat Duisberg außerordentlichen Dank, weil er uns zum Auftakt unserer Tagung einen echt deutschen Abend bereitet hat. Das eigentliche Problem der Tagung soll zwar erst morgen besprochen werden, aber es ist deutsche Art, daß wir schon heute abend mitten hineingegangen sind in die Probleme des morgigen Tages. Das ist ein Beweis deutscher Gründlichkeit. Herr Geheimrat Duisberg! Ich habe seit Jahren beobachtet, wie Sie als erster Bahnbrecher und Pionier die große Union zwischen Wissenschaft und Wirtschaft erstrebt haben. Wenn einmal deutsche Biographien aufgerissen werden aus unseren Tagen, wird man bei dem Namen Duisberg als wegweisendes großes Leitmotiv herausarbeiten, daß Sie den Mut gehabt haben, diese Allianz zwischen Wissenschaft und Wirtschaft zu vollziehen. Ich möchte Ihnen nicht allein als Politiker und Pädagoge, sondern allgemein als deutscher Mensch tiefbewegt für diese Columbustat danken. 8
Sie alle wissen, wie die Schicksalswende über unser deutsches Volk gekommen ist nach einer Zeit des Aufstiegs und der äußeren Machtentfaltung. Neue Motive bestimmen heute unser Leben, unsere Arbeit, unsere Politik. Auf dem Gebiete der Auslandskulturpolitik entstanden Einrichtungen wie der Amerika-Werkstudenten-Dienst, an dessen Begründung und Arbeit auch unser lieber Gastgeber so wesentlichen Anteil hat. Das Ziel, das uns allen dabei vorschwebt, ist wiederum die Union zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, die, aufgebaut auf dem Prinzip der kraftvollen Persönlichkeit, für die Gesamtheit von Segen sein wird. Die Zeit des großen Massenrhythmus, in der wir stehen, verlangt starke Persönlichkeiten, die den Bau der inneren Geschlossenheit vollziehen. Die aus den Vereinigten Staaten zurückgekehrten Werkstudenten sind neue Aristokraten in dem Sinne, daß sie den Mut gehabt haben, über die Handarbeit den Adel zu bringen und eine neue ethische Aristokratie der Arbeit in Deutschland aufzurichten. Ich sehe darin einen gewaltigen Fortschritt des deutschen Denkens. Wenn wir die große geistige Auseinandersetzung im deutschen Akademikertum auf uns wirken lassen, so sehen wir eine neue schöpferische K r a f t sich bilden, die auf Grund der Methodik deutschen Wissens die Hochschule mit der Fabrik zu einer neuen Synthese zu verknüpfen sich bestrebt. Werkstudenten in Fabriken und Bergwerken sind lebendiger Ausdruck davon. Es ist eine Art geistiger Liberalismus, der sie diesen Weg geführt hat, der sie ins Ausland hat gehen heißen. Ich beglückwünsche sie dazu, daß sie so unerschrocken vorangegangen sind. Ihr Lohn ist, Bahnbrecher und Mehrer deutschen Wesens geworden zu sein.
Auszüge aus den Referaten und Aussprachen während der Tagung am 8. Juni
Geheimrat Duisberg: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem ich bereits gestern abend Gelegenheit genommen habe, Sie zu begrüßen, ist es mir eine angenehme Aufgabe, noch alle diejenigen willkommen zu heißen, die gestern nicht da waren und die, wie ich wohl sagen darf, viel, recht viel versäumt haben. Über dem gestrigen Abend lag ein starkes: Vorwärts! Das soll unser Leitmotiv sein im Sinne eines gemeinsamen Dienstes am deutschen Volke. Bevor wir in die Tagung eintreten, muß ich zuerst einer traurigen Pflicht genügen. Einer unserer Amerikawerkstudenten, Herr Diplomingenieur Fetzer, ist vor einem J a h r infolge eines Unfalls ertrunken. Außerdem ist Herr Diplomingenieur Lübelsmeyer, der das ganze vorige J a h r die Geschäfte des Amerika-WerkstudentenDienstes in Dresden in hervorragender Weise geführt hat und dann im Januar nach Bethlehem, Pennsylvanien, U. S. A., ging, um dort in einer Gießerei tätig zu sein, an Lungenentzündung gestorben. Außerdem ist der Austauschstudent Kundt, der in Boston studierte und, um sich Geld zu verdienen, während der Ferien Skiunterricht gab, in der Ausübung dieser Tätigkeit an Lungenentzündung erkrankt und vor einigen Wochen von uns geschieden. Wir werden den Verstorbenen ein treues Andenken bewahren. Ich bitte Sie, sich zu Ehren der Verstorbenen von Ihren Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Ich danke Ihnen.
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Soziale Probleme in den Vereinigten Staaten von Amerika Unter besonderer Berücksichtigung der Frage, ob man von einer Wirtschaftsfriedlichkeit des amerikanischen Arbeiters im
Gegensatz
zur Einstellung
des
sprechen kann.
deutschen
Arbeiters
Das Verhältnis des amerikanischen Arbeiters zu seiner Arbeit. Diplomingenieur Wiebel: Deutschland ist ein relativ armes Land. Wir alle kennen zur Genüge die wirtschaftlichen Nöte. I n diesem Land lebt der deutsche Arbeiter. I m Gegensatz hierzu sehen wir in Amerika ein gänzlich anderes Bild. Die Faktoren sind verschieden und damit auch das P r o d u k t : die Einstellung des amerikanischen Arbeiters zur Wirtschaft. Sie alle kennen den natürlichen Reichtum des Landes, die Bedeutung, die derartige Naturschätze auf die Entwicklung ausüben können, und den Einfluß auf die Lebensbedingungen. Das Streben nach dem Automobil wie nach dem eigenen Haus ist fast eine Selbstverständlichkeit in den amerikanischen Arbeiterkreisen. Der Arbeitnehmer ist in d e n U . S . A . in den Kreis der Besitzenden aufgerückt. Die zersetzende Wirkung einer Klassenpolitik kennt man in diesem glücklichen Lande noch nicht. Nehmen Sie dazu den anderen Faktor, der bisher keine eigentliche Arbeiterklasse entstehen ließ: die Schwarzen. Von ihnen spricht man nie. Aber sie sind es, die die schweren und unangenehmen Arbeiten verrichten. Das ist sehr wesentlich für die wirtschaftsfriedliche Einstellung. Damit komme ich zu dem Kernpunkt der Frage: der Stellungnahme zur Arbeit. Die meisten Arbeiter oder doch ihre Eltern sind Einwanderer. Sie waren seinerzeit auf gegenseitige Hilfe angewiesen, sie haben sich schwer durcharbeiten müssen, um zu einem gewissen Erfolg zu kommen. Sie hatten aber psychologisch das Plus, immer noch jemanden tiefer stehen zu sehen als sich selbst: die Schwarzen. Dazu sahen sie, daß es andere mit gleichem Start schon zu etwas gebracht hatten. Drüben hieß es und heißt es heute noch immer: entweder untergehen oder hochkommen. Viele der heutigen Großunternehmer 2
Werkstudenten in Amerika.
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haben aus dem Nichts aufgebaut. Sie haben dadurch das größte Verständnis für die Fragen, die den Arbeiter bewegen. Ein Beispiel: Überstunden werden gefordert, werden gearbeitet, werden aber auch entsprechend bezahlt. Leistung und Gegenleistung! Es ist damit eine Atmosphäre der Ruhe geschaffen. Man nimmt sich gegenseitig ernst. Das sind die Hauptpunkte, die für die Beurteilung der Einstellung in Betracht kommen. Das gegenseitige Verständnis, die gegenseitige Fühlungnahme schaffen dieses Verhältnis des Vertrauens, das der Amerikaner mit dem Wort „Cooperation", d. h. Zusammenarbeit, ,,an einem Strange ziehen", bezeichnet. Aus dieser Einstellung heraus läßt es sich auch verstehen, warum der Amerikaner den Rentengedanken nicht kennt. Es gibt Versicherungen aller Art. Aber das Wesentliche ist, daß der Arbeiter nur aus eigener Initiative beitritt und zahlt und keine Unterstützungen oder Zuschüsse von Unternehmerseite empfängt. Es herrscht das gesunde Prinzip, daß der Mensch für sich selbst sorgt. Die daraus entstehenden Härten gehören zu Amerika, machen die Menschen aber auch selbständig und „frei", frei verstanden im Sinne von ungebunden durch unpersönliche, einengende Verhältnisse. Die Energien, die der Deutsche in einem aufreibenden Kampf um wirtschaftliche Existenz verbraucht, kann der Amerikaner für ein sichtbar wachsendes Vorwärtskommen einsetzen. Dieses persönliche Moment ist sehr wesentlich. Es gibt ihm innere Befriedigung und macht ihn „wirtschaftsfriedlich".
Wirtschaftsfriede in der amerikanischen Industrie 1 Dr. H e m s c h e i d t : Ich persönlich glaube nicht an die wirtschaftsfriedliche Gesinnung des amerikanischen Arbeiters insofern, als der Begriff Gesinnung eine prinzipielle Einstellung in dieser Richtung voraussetzen würde. Ich sehe wohl ein wirtschaftsfriedliches Verhalten der großen Mehrheit der nordamerikanischen Arbeiterschaft in der Gegenwart. Warum herrscht nun noch in den Vereinigten Staaten in der Mehrzahl der Industrien Wirtschaftsfriede ? 18
Der Gegensatz zu Wirtschaftsfriede ist der Wirtschaftskampf, der Kampf um den Lohn zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Wie liegen nun in ihrem Verhältnis zu diesem Problem die wirtschaftlichen, sozialen, politischen, psychologischen Verhältnisse in den Vereinigten Staaten? Ich darf mit den wirtschaftlichen Verhältnissen beginnen. Amerika ist reich in jeder Beziehung. Ich meine nicht nur den Umstand, daß es der Weltbankier ist. Betrachten Sie seine Bodenschätze an Kohlen, Ölen, Naturgas, Erzen und Wasserkraft. Außerdem ist es reich an Grund und Boden. Während Deutschland 324 Menschen auf die Quadratmeile hat, rechnet Amerika nur mit 35, das bedeutet also ein Neuntel der Bevölkerungsdichte von Deutschland. Während in Europa der Boden mehr als 1000 Jahre kultiviert ist, ist er in Amerika noch jung und bedarf nicht der sorgfältigen wirtschaftlich-wissenschaftlich erprobten Düngung, die wir in Deutschland nötig haben. Amerika erzeugt fast alle lebenswichtigen Rohmaterialien im eigenen Lande, ausgenommen Gummi und einige weniger wichtige Materialien. Der Reichtum des Landes und ein verbrauchsfreudiger, kaufkräftiger Innenmarkt, erkannt und ausgenutzt von amerikanischem Ingenieur- und Kaufmannsgeist, haben dort eine Industrie erstehen lassen, die zu einem Minimum an Preis Güter, die für uns Europäer noch Luxusgüter sind, dem einfachen Arbeiter zugänglich machen. Bedenken Sie bitte, was der amerikanische Arbeiter sich leisten kann, wenn wir seinen Wochenlohn einmal mit 30 Dollar ansetzen. Für 10 Wochenlöhne kann er sich ein sehr leistungsfähiges Familienautomobil anschaffen, das vielleicht schon ein Jahr gefahren ist und gern bei einiger Pflege noch 3—4 Jahre läuft. Für sieben Wochenlöhne kann er drüben in einigen Städten schon die erste Teilzahlung auf ein eigenes Heim mit fünf Räumen und Baderaum leisten, und die folgenden Teilzahlungen leistet er als monatliche Mietzahlung. Auf der anderen Seite fehlen drüben jegliche Schutzmaßnahmen für den Arbeiter, wie Arbeitslosenunterstützung, Alters- und Krankenversicherung usw. In Zeiten der „Prosperity" fühlt er diesen Mangel nicht, vielmehr wird er froh sein, nicht auf jeder Lohntüte den gehaßten Abzug zu sehen. Aber zu Zeiten schlechter Konjunktur ändert sich seine Einstellung bestimmt. Auch der amerikanische Arbeiter arbeitet für sein Geld, nicht für sein Unternehmen. Ich glaube nicht zu viel zu sagen, wenn ich behaupte, daß verantwort2*
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liehe Kreise in Amerika mit Schrecken die Radikalisierung der unteren Schichten beobachten, die sich als Folge der Arbeitslosigkeit im letzten Winter eingestellt hat. Die Einwendung, daß der amerikanische Arbeiter genug verdiene, um einen Notgroschen zurückzulegen, ist theoretisch, denn der Durchschnittsamerikaner ist nicht sparsam. Wenn wir Europäer von der amerikanischen Demokratie sprechen, so beliebt mancher von uns spöttisch zu lächeln. Zugegeben, daß der amerikanische Begriff von politischer Demokratie verschieden ist von unserer vielleicht mehr prinzipiellen Einstellung, so kann man doch nicht leugnen, daß in sozialer Beziehung, der Beziehung von Mensch zu Mensch, wahre Demokratie herrscht. Der wohlhabende Amerikaner ist nicht nur leutselig zu dem Mann der arbeitenden Klasse, sondern behandelt ihn mit einer herzlichen Selbstverständlichkeit als seinesgleichen. E r erachtet den Beruf des anderen nicht als minderwertig. Auch der ärmste amerikanische Arbeiter kann mit dem Gefühl leben, daß der Spruch „Freie Bahn dem Tüchtigen" auch für ihn und seine Kinder gilt. E r sieht eine Aufstiegmöglichkeit für seine Kinder durch den kostenlosen Besuch der höheren Schulen und die großzügig arbeitende Arbeits- und Stipendienfürsorge, die es notleidenden Studierenden möglich macht, sich durch die College-Jahre hindurchzuarbeiten. Der von einem Unternehmer abhängige Arbeiter und Angestellte findet drüben in seinem Vorgesetzten, der ihm doch schließlich nur als Stellvertreter des Unternehmers Anordnungen und Befehle, Tadel und Lob ausstellt, einen Mann, der in freundlicher, kameradschaftlicher Form mit ihm verkehrt. Wie Sie wissen, redet man sich sogar weitgehend mit dem Vornamen an. Seine Mitmenschen und sich durch Zanken und Schelten aufzuregen, ist durchaus ungebräuchlich. „Keep smiling—sei stets freundlich." Fehler macht jeder, und mit einer vernünftigen Ermahnung „sei das nächstemal vorsichtig" erreicht man drüben bei seltener und weiser Verwendung dieser Ermahnung genau soviel, sogar mehr, als wenn man mit puterrotem Kopf sich herumzankt und sich und den anderen die Arbeit für einen ganzen Tag verleidet. Diese vermeidbaren Unannehmlichkeiten verbittern dem Untergebenen nur das Leben und beeinflussen seine Einstellung zur Arbeit, sie füllen ihn mit Groll gegen das Unternehmen und seinen Besitzer. Man könnte einwenden, dieser Verkehrston drüben komme, weil der Vorgesetzte sich selbst emporgearbeitet habe und also später mit seinen früheren 20
Arbeitskollegen arbeite. Wie kommt es dann aber, daß bei uns in Deutschland die Arbeiter sich viel mehr über die Vorgesetzten beschweren, die sich emporgearbeitet haben? Der Grund ist unsere allgemeine Einstellung von dem „etwas Besseres sein", wenn man einen Stehkragen trägt. Während in Deutschland die Schicht der leitenden Vorgesetzten und Unternehmer meist schon aus den wohlhabenden oder gebildeten Ständen stammt, hat die jetzige Generation der amerikanischen Industrieführer sich selbst emporgearbeitet. Mancher ihrer Arbeiter h a t noch mit diesen Industriekapitänen zusammengearbeitet. Die Arbeiter kennen den Aufstieg und schätzen die Arbeit, die sie geleistet haben, sie betrachten ihre Stellung als verdient, während bei uns diese Bindimg fehlt. Der Arbeiter hat keine Ahnung, was der Unternehmer t u t ; es fehlt ihm jeder Maßstab für dessen Leistung. Um Amerika und seine Arbeitsverhältnisse ganz zu verstehen, kann man nicht an folgenden Erscheinungen vorbeigehen: Ein eigenartiges Netz von Wechselbeziehungen der Suggestion und Autosuggestion beherrscht das amerikanische Leben und Geschäft, Politik und soziale Verhältnisse. Wir Deutschen haben ja während des Krieges beobachten können, wie die englisch-französische Propaganda geschickt den Amerikanern Kriegsgründe und moralischen Rückhalt suggeriert hat. I n der Reklame und in der Politik erlebt man es täglich. Denken Sie an die Schlagworte ,,Keep smiling — service with a smile". Denken Sie an die krampfhafte Autosuggestion von liberty und democracy. Psychologisch klug ist auch die Beeinflussung der Arbeiter durch die Presse. Man hat jedem das Gefühl der eigenen Bedeutung gegeben. Man hat ihm einen Abscheu gegen alle Bewegungen suggeriert, die eine wirtschaftsfriedliche Entwicklung der Industrie beeinträchtigen könnten. Wie sich hieraus ergibt, ist der amerikanische Arbeiter als Mensch von dem deutschen verschieden. Kritiklos wie die Mehrzahl der Amerikaner, in wirtschaftlichen Verhältnissen lebend, wie wir sie in Deutschland nicht einmal für die gehobenen Angestellten kennen, ist der amerikanische Arbeiter wirtschaftsfriedlich, solange es ihm gut geht. Wie entwickelt er sich, wenn es ihm schlecht geht, wenn er zugänglich wird für die Suggestion der wirtschaftskämpferischen Seiten ? Industrien, die gute Löhne zahlen können, sollten das gerne tun, denn mit zufriedenen Leuten ist gut schaffen. Industrien, die Über21
Produktionen haben, die schwere Konkurrenzkämpfe um den Weltmarkt führen müssen, können nicht mit. Es kommen Absatzkrisen und Flauten. In solchen Zeiten kämpft man auch in Amerika scharf. Daß die Labor Union nicht wirtschaftsfriedlich ist, ergibt sich wohl schon aus der Tatsache, daß in Städten der ,,open shop-Politik" mit aller Macht von Unternehmerseite gegen sie gearbeitet wird. Wenn die Union sich durchsetzen will, greift auch sie zum Streik. Ich darf da Ihre Aufmerksamkeit auf die großen Streiks in der New Yorker Bekleidungsindustrie und auf die immer wieder ausbrechenden Schwierigkeiten in der Soft Coal-Industrie Virginias und den Kohlenbergwerken Pennsylvanias, sowie auf den großen Eisenbahnerstreik 1922 richten. Sie werden es verstehen, daß ich bei dieser Lage der Dinge nicht an eine prinzipielle wirtschaftsfriedliche Einstellung des amerikanischen Arbeiters glauben kann. Mit meiner Aufzählung der amerikanischen Verhältnisse habe ich vielleicht den meisten von Ihnen nichts Neues gesagt. Wie im Gegensatz dazu die deutschen Verhältnisse liegen, weiß auch jeder zur Genüge. Wirtschaftlich werden wir auf lange Zeit nicht in der Lage sein, unserem Arbeiter zu bieten, was der Arbeiter in Amerika genießt. Wir haben einen Krieg verloren, wir haben Reparationen zu bezahlen, wir haben Geld von Amerika geliehen, das Zinsen und Rückzahlung erfordert. Wir müssen die notwendigsten Rohstoffe für unsere Industrie einführen und Lebensmittel für die Ernährung, und schließlich müssen wir konkurrieren auf dem Weltmarkt, um durch verstärkten Export gesunden zu können. Wirtschaftlich sind uns wiederum die Hände gebunden, wenigstens was Lohnerhöhungen betrifft. Ob es uns gelingt, durch Massenproduktion, durch Erhöhung des Reallohnes das Niveau zu heben, ist eine sehr große Frage. Wir sind eben ein armes Land. Aber in psychologischer Beziehung ist sicherlich noch vieles zu verbessern, in den Beziehungen von Mensch zu Mensch, in der Beziehung des Arbeiters zum Arbeiter, in der Beziehung des Angestellten zum Angestellten, in der Beziehung beider zueinander, in der Beziehung zum Staat, in der Beziehung von einem Rangstüfchen zum anderen. Der deutsche Arbeiter hat kolossalen Respekt vor der wissenschaftlichen Bildung und verehrt die Wissenschaft fast mit religiöser Verehrung. Wenn wir in Deutschland noch so weit kommen in unseren Industrien, daß der Vorgesetzte in dem anderen den anständigen Menschen, den deutschen Menschen mit deutschem Blut 22
in den Adern sieht, wenn jeder von uns in dem anderen den Volksgenossen sieht, dann werden wir ein ganzes Stück weiterkommen.
Aus der Dankrede des Vorsitzenden zu den Ausführungen Wiebel und Hemscheidt. Geheimrat
Duisberg:
Das Wichtigste und Bedeutendste am Arbeitsverhältnis in den Vereinigten Staaten ist nach meiner Kenntnis der Dinge die Beziehung des Menschen zum Menschen. E s fällt jedem von uns, der hinüberkommt und durch eine Fabrik geht, sofort das bessere Verhältnis des Vorgesetzten zum Untergebenen auf. Man merkt drüben kaum, daß es überhaupt Vorgesetzte gibt. Das kommt daher, weil der Amerikaner die Klassenschichtung, die sich bei uns historisch entwickelt hat, nicht kennt. Wir sollten auch bei uns in Deutschland das rein Menschliche mehr in den Vordergrund stellen. Ich halte das für das Wichtigste. Ich habe daher auch hier immer wieder und wieder unseren Chemikern und Akademikern gesagt, daß sie alles versuchen müssen, um mit ihren Arbeitern in ein gutes Verhältnis zu kommen. Sie müssen in jedem Arbeiter zuerst den Menschen sehen.
Pioniergeist in Amerika! Rentnergeist in Deutschland? Diplomingenieur Sommer,
Amerikawerkstudent:
Aus der geschichtlichen Entwicklung ist eine Verschiedenheit der amerikanischen und der deutschen Volkspsyche erwachsen, die drüben den Pioniergeist, bei uns dagegen den Rentnergeist zur Vorherrschaft gebracht hat. Dabei verstehe ich unter Pioniergeist (pioneer-spirit) jenen Geist, der über ein erreichtes Ziel hinaus dauernd nach Taten drängt, unter Rentnergeist jenen Geist, der nach Sicherstellung strebt, um dann in Ruhe zu genießen. 23
Als zur Zeit der Völkerwanderung die Germanen nach Westen und Süden vorrückten, waren sie erfüllt von Pioniergeist. Führer war jeweils der Tüchtigste und Tatkräftigste. Erziehung und Vererbung trieben den Pioniergeist zur vollen Blüte. Auf ihrem Vormarsch aber kamen diese Menschen in Berührung mit der Kultur Roms und ihrem Rentnergeist. Als sie ihren erkämpften Besitz gesichert hatten, kam auch über sie der Rentnergeist, und die Besitzenden übernahmen von Rom das Abhängigkeitsverhältnis des Hörigen zum Freien. Eine Schichtung des Volkes trat ein von oben nach unten. Die entstehenden Klassen schlössen sich streng gegeneinander ab, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch sozial. Trotz Vordringens des Rentnergeistes starb aber der Pioniergeist nie ganz aus. Nach dem satten Europa ward ihm in Amerika eine neue Domäne. Schaffen, Handeln und Wagen kennzeichnen die Geschichte jenes neuen Landes und nicht banges Streben nach sicherer Lebensstellung. Aber der Rentnergeist schleicht dem Pioniergeist nach, und heute kann man schon feststellen, daß auch dort schon der Pioniergeist stark zurückgedrängt wird. E s ist sogar anzunehmen, daß sich in der nahen Zukunft die amerikanischen Verhältnisse den unseren noch stärker anpassen werden. Wenn der Rentnergeist drüben die Vormachtstellung gewinnen sollte, dann wird auch dort der klassenbeengte „pioneer" in der Masse aufgehen, weil er sich nicht mehr durch freies Schaffen ungehindert auswirken kann. Oder er wird versuchen, sich in neuen Gefilden durchzusetzen.
Prosperität und die soziale Frage.
Dr. B a r t u s c h ,
Amerikawerkstudent:
E s wurde gesagt, wir Europäer seien alt, Amerika sei jung, Amerika habe den Pioniergeist, wir hätten den Rentnergeist. Ich las in den Vereinigten Staaten ein äußerst interessantes Buch: „Amerikas Prosperität". Der Verfasser sagt, daß der Amerikaner von heute, der amerikanische Wirtschaftsmensch, ein Spieler sei, kein profitgieriger Unternehmer. E r vergleicht die Industrie 24
mit einem Roulettetisch, an dem der Amerikaner spielt und der ihn in Begeisterung hält, der sein ganzes Leben mit Aufregung und Stolz über das Erreichte erfüllt. Ein kleines Beispiel hierzu: Die Firma Chevrolet ist dabei, den Automarkt für das billige Auto, der bisher Ford überlassen war, für sich zu erobern. In einem Teil werk in Tarrytown sollen künftig 500 Wagen am Tage herausgehen. 500 Wagen müssen heraus, und das ganze Werk ist wie in einem einzigen Fieberrausch begriffen. Das ist ein Teil Pioniergeist, der Amerika so groß gemacht hat. Ich habe mich oft gefragt: Wird dieses fieberhafte Schaffen, wird das Wirtschaftssystem so weiter wachsen wie bisher und verhindern können, daß eine soziale Frage wie in Europa auftritt ? Es wird gesagt, daß Amerika eines Tages einer sozialen Frage gegenüberstehen wird. Ich bin auch davon überzeugt. Die Verhältnisse liegen doch wohl so, daß man heute noch etwas zum Ausfüllen vor sich hat. Solange kann sich auch der Schaffensdrang auswirken. I m Amerika von heute stehen wir aber bereits vor der Tatsache, daß der Inlandsmarkt eine weitere Produktionssteigerung nicht mehr so leicht aufnehmen kann. Es sind heute 4 Millionen Arbeitslose in den Staaten vorhanden. Zum Verständnis der ganzen Situation erscheint es mir angebracht, etwas Grundsätzliches zum Wesen der Prosperität zu sagen. Der Begriff der Prosperität ist ein relativer Begriff. Wenn wir die heutige Lage Europas mit der Lage vor 100 Jahren vergleichen, dann müssen wir sagen, daß Europa sich in einem Stadium der Prosperität gegenüber dem vor 100 Jahren befindet. So ist auch heute der Begriff der Prosperität Amerikas ein relativer Begriff gegenüber der Prosperität von Europa. Es ist eine Tatsache, daß eine Prosperität sich immer nur als etwas Markantes hervorhebt, solange sie im Aufbau selber begriffen ist, solange sie etwas Dynamisches hat, etwas, das wächst. I n dem Augenblick, wo die Prosperität ins Statische übergeht, wird sie nicht mehr als solche empfunden werden. Amerika war bis heute noch stark im Aufbau, und deshalb konnte seine Prosperität so markant hervortreten, eben weil es diesen großen Inlandsmarkt noch vor sich hatte. Man macht sich heute in Amerika allerdings schon Gedanken darüber, was man tun könne, um die Prosperität zum mindesten auf dem augenblicklichen Stand zu erhalten, auf alle Fälle aber zu verhindern, daß es zu einer Senkung kommt. Eines der inter25
essantesten Probleme ist dabei natürlich einmal die Beschränkung der Arbeiterzahl in den Vereinigten Staaten als das einzige Mittel, das man von der Seite der Arbeiter aus in den Kampf werfen kann, also das Problem, die Ware „Arbeitskraft" auf einer bestimmt begrenzten Größe zu halten, damit sie nicht über die Nachfrage allzusehr hinauswächst und dadurch die Löhne senkt. Dazu ist vor allem die Kontrolle und Beschränkung der Einwanderung herangezogen worden, um zu verhindern, daß Amerika einmal genau so übersiedelt wird wie Europa. Eine weitere Bestrebung zur Hochhaltung des Arbeitsmarktes zeigt sich in der stark wachsenden Tendenz zur Kartellierung: also Ablösung der unbegrenzten Konkurrenz durch ein System einer bewußten Wirtschaftsführung, damit die Produktionskapazität der Industrie angepaßt wird an die Aufnahmefähigkeit des Marktes. Man sagt sich, daß man eine Überproduktion auf den Exportmarkt werfen könnte. Es ist sehr die Präge, ob Amerika beispielsweise in China und Japan seinen Exportmarkt so auszubauen vermag, daß es wettbewerbsfähig bleibt bei einem in jenen Ländern im Aufbau befindlichen Inlandsmarkt. Interessant ist, inwieweit die amerikanischen Wirtschaftsmenschen sich heute mit dem Gedanken vertraut machen, daß Amerika irgendwie kartellieren muß, wenn die Prosperität Amerikas nicht vielleicht in einer Umschlagskrise enden soll. Die amerikanischen Arbeiter sind durch ihren Lebensstandard sehr verwöhnt. Wenn in Amerika, bei dem durch die Vermischung mit so viel südlich-leichterem Blut ein besonderes Gefahrenmoment besteht, ein Umschwung eintritt, dann könnte die amerikanische soziale Frage Formen annehmen, von denen wir uns heute noch nichts träumen lassen. Rußland hat versucht, die soziale Frage zu lösen durch Revolution. Amerika als anderes Extrem versucht, sie durch Evolution zu verhindern. Dazwischen stehen wir. Vielleicht beruhte die große Aufgabe, die Amerika in der Entwicklung des 20. Jahrhunderts gehabt hat, darin, daß es jene Dinge entwickelt hat in der Industrie, durch die man Sphären des Vertrauens schaffen kann, durch keep smiling, Cooperation u. a. Aber das genügt genau so wenig, wie man in Rußland eine restlose Eliminierung des Problems durch Gewalt zustande gebracht hat. Die große Aufgabe Europas liegt vielleicht darin, diese beiden Pole: die Evolution des äußersten Westens und die Revolution des asiatischen Ostens auszubalancieren. 26
Von Dingen, die wir übernehmen sollten.
Diplomingenieur Schwabach,
Amerikawerkstudent:
Ich stelle fest, daß auch diejenigen, die längere Zeit in Amerika waren, das Theoretisieren nicht verlernt haben. — Ich möchte etwas mehr auf konkrete P u n k t e kommen, die ich drüben als vorbildlich empfunden habe u n d aus denen wir lernen sollten. Da war besonders u. a. eines, was auf mich einen starken Eindruck gemacht h a t , u n d das ist die freundschaftliche Zusammenarbeit, die zwischen Vorgesetzten u n d Untergebenen herrscht. Nach Deutschland zurückgekehrt, empfand ich es bei der Leitung verschiedener Unternehmen geradezu als Herabminderung unserer selbst, als ich wieder anfangen mußte, jedermann mit einfachen oder längeren Titeln anzureden. Schlimm, wenn ein Chef nicht so viel persönliche Autorität hat, daß er auf jeden Titel verzichten kann. I n meinem eigenen Betriebe gibt es niemanden, der einen Titel h a t , jeder wird mit Namen angeredet, zur Not einmal „ H e r r " . Ich könnte mir denken, daß gerade die großindustriellen Unternehmen auf diesem Gebiete vorangehen u n d bei sich anfangen m ü ß t e n , die Titel abzuschaffen. Denken Sie an eins: wir kämpfen gegen die Klassenkampfidee. Die Klassenkampfidee ist die Antwort auf den Standesdünkel. Es gibt so viele wirksame Mittel der Milderung von Schärfen u n d zur Herstellung eines persönlichen Verhältnisses zwischen Unternehmer u n d Arbeiter. Wir müssen versuchen, jetzt derartige praktische Dinge durchzudenken u n d herauszuarbeiten, dann erreichen wir den Zweck der heutigen Tagung besser als durch Theoretisieren!
Die sozialen Verhältnisse in der amerikanischen Landwirtschaft.
Dr. B r e d e m a n n ,
Amerikawerkstudent:
Mich haben die sozialen Verhältnisse in der Landwirtschaft besonders interessiert, weil ich Landwirt bin u n d auf amerikanischen Farmen gearbeitet habe. Ich will zunächst über das Verhältnis 27
zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der Landwirtschaft sprechen und hier an Worte anknüpfen, die von anderer Seite gemacht wurden. Die Auswirkung der Titelsucht ist auch in der deutschen Landwirtschaft stark vorhanden und gibt dem Verhältnis zwischen landwirtschaftlichem Arbeitgeber und Arbeitnehmer sehr starkes Gepräge. Wir haben in Deutschland die verschiedensten Klassifizierungen und Bezeichnungen: Bauern, Gutsbesitzer, Rittergutsbesitzer, und die verschiedensten Titel, wie: Amtmann, Oberamtmann oder sogar Königlicher Oberamtmann, oder noch sehr stark erhalten die Rangabstufungen des alten Heeres. Diesen Bezeichnungen des Arbeitgebers steht in Deutschland die Masse der Landarbeiter gegenüber, und zwar in den meisten Fällen ausgesprochen wie der „Knecht" zum „Herrn", d. h. in einem Abhängigkeitsverhältnis des Untergebenen zum Vorgesetzten. I n Amerika gibt es nur das Wort Farmer, und der amerikanische Landarbeiter nennt sich ebensogut Farmer wie der Besitzer. Dazu kommt aber etwas anderes: Auf all den verschiedenen Farmen, die ich in den Vereinigten Staaten gesehen habe, arbeitet der Besitzer der F a r m genau so in dem Betrieb wie der einzelne Farmarbeiter, und ich glaube, daß dieses ein wesentlicher Grund ist, daß das Verhältnis mehr auf Kameradschaft und der Erkenntnis der Notwendigkeit der Zusammenarbeit aufgebaut ist und nicht die Beziehung vom „Herrn" zum „Knecht" entstehen läßt. So heißt der Farmer, dem die größte Weizenfarm in den Vereinigten Staaten gehört, für seine Mitarbeiter „Tom", und jeder Arbeiter spricht ihn mit seinem Vornamen „Tom" an, genau so wie er jeden seiner Mitarbeiter mit Vornamen nennt. Dieses enge, persönliche Verhältnis, das durch viele kleine Erlebnisse täglich zum Ausdruck kommt und einem Deutschen besonders auffällt, trägt in Amerika durch Überbrückung der Gegensätze zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer die allerbesten Früchte. Dies wirkt sich aus in erhöhter Arbeitsfreudigkeit, die — unterstützt durch weitgehende Ausnutzung der Landwirtschaftstechnik — eine Arbeitsleistung des einzelnen mit sich bringt, die 2,4 mal so hoch ist wie in der deutschen Landwirtschaft. Ich denke bei dieser Gelegenheit an den Vertrag, der auf der soeben angeführten Farm zu Beginn der Arbeitssaison zwischen dem Farmer und seinen Mitarbeitern abgeschlossen wird, in dem es heißt: „Wir zahlen die höchsten Löhne in dieser Gegend. Wir 28
zahlen sie, um hochwertige, ehrenhafte Arbeitskräfte zu erhalten, die sich mit ganzem Interesse für unseren Betrieb einsetzen." I n der Zeit, während der ich dann selbst auf dieser Farm arbeitete, konnte ich mich in der Tat davon überzeugen, mit welcher Hingabe sich jeder unter solchen Bedingungen einsetzte und durch unermüdlichen Fleiß gewaltige Leistungen erzielte, die sich wiederum dahin auswirkten, daß höhere Leistungsprämien gezahlt werden konnten. Diese hohen Verdienstmöglichkeiten des amerikanischen Landarbeiters wirken sich in anders gearteten Lebensverhältnissen aus. Wir haben in Deutschland auf dem Lande in vielen Gegenden noch soziale Verhältnisse, die aller Beschreibung spotten. Wir finden in Deutschland heute noch, daß Frauen, deren Männer vom frühen Morgen bis zum späten Abend auf einem Gutsbetrieb arbeiten, selbst von früh 6 Uhr bis abends 7 Uhr mitarbeiten und die schwersten Arbeiten ausführen müssen, so daß sie keine Zeit für den Haushalt und die Erziehung der Kinder haben. In Amerika gibt es Frauenarbeit auf dem Lande nur ganz ausnahmsweise und in seltenen Fällen. Man stellt den Mann finanziell so, daß er für seine Frau und Kinder verdienen und sorgen kann. Wenn ich an dieser Stelle gefragt werden würde, ob es mir möglich erscheint, in der deutschen Landwirtschaft die soziale Lage der Arbeiter zu verbessern, so würde ich diese Frage dahin beantworten, daß es durch Steigerung der Arbeitsleistungen des einzelnen denkbar ist. Ich glaube, daß man in der deutschen Landwirtschaft dieses eine Moment der Steigerung der Leistung pro Mann nicht genügend beachtet und betont, und daß diese Tatsache, die die amerikanische Industrie vorbildlich gemacht hat, und die auch die amerikanische Landwirtschaft erfolgreich durch schwierige Lagen hindurchgeführt hat, in Zukunft stärkerer Beachtung bedarf. Ich will damit nicht sagen, daß man in der deutschen Landwirtschaft die Muskelkraft des einzelnen Landarbeiters in der Zukunft noch härter anspannen müßte, sondern sehe die Möglichkeit der Leistungssteigerung pro Mann in der erhöhten Anwendung der Technik in der Landwirtschaft. Die Schwierigkeit liegt bei uns in diesem P u n k t jedoch besonders an der konservativen Einstellung sowohl des deutschen Landbesitzers als auch des deutschen Landarbeiters. Ich habe während meines Aufenthaltes in den Vereinigten Staaten die Uberzeugung gewonnen, daß wir in Deutschland, wenn wir eine Leistungssteigerung pro Mann auf dem Wege über erhöhte An29
wendung der Technik erhalten wollen, zunächst das technische Verständnis des Landbesitzers als auch des Landarbeiters vervollkommnen und modernisieren müssen. Hierfür geben die Vereinigten Staaten das beste Vorbild, das zu erreichen wir uns in Deutschland bestreben müssen.
Von der Psyche des Arbeiters.
A. K n o l l : Als ein Mann, dessen berufliche Tätigkeit ganz der Förderung des deutschen Arbeiters gewidmet ist, habe ich es besonders begrüßt, daß sich die Amerikawerkstudenten so eingehend mit der Psyche des amerikanischen Arbeiters beschäftigt haben und gerade auf jenem Gebiet so reiche Erfahrungen sammeln konnten. Dieser Umstand kann für die künftige soziale und gesellschaftliche Entwicklung von außerordentlich großer Bedeutung werden. Ich möchte nun die Herren Amerikawerkstudenten bitten, sich auf Grund ihrer Erfahrungen in Amerika vergleichend mit der Psyche des deutschen Arbeiters zu beschäftigen. Obwohl ich noch nicht selbst in Amerika war, habe ich doch nach allem, was ich bisher gehört habe, das Empfinden, daß in der Psyche der amerikanischen und der deutschen Arbeiterschaft ungeheuer große Unterschiede bestehen. Die Amerikawerkstudenten, die Gelegenheit hatten, die Psyche des amerikanischen Arbeiters zu studieren und die durch ihre berufliche Tätigkeit nun auch wieder die beste Gelegenheit haben werden, sich mit der Psyche des deutschen Arbeiters praktisch zu beschäftigen, haben die verantwortungsschwere, aber dankbare Aufgabe vor sich, die Gründe zu ermitteln, die diese verschiedenartige Psyche hervorgebracht haben und noch hervorbringen. Ich selbst möchte auf das Thema nicht tiefer eingehen, da ich aus eigener Erfahrung eben nur eine Seite kenne. Aber wenn Sie diesen meinen Wunsch erfüllen, werden Sie zweifellos auch der deutschen Wirtschaft einen großen Wunsch erfüllen. Ich möchte gleich noch einen Blick in die Zukunft werfen. Man hat mir gesagt, daß jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, zu dem in größerem Ausmaße amerikanische Werkstudenten nach Deutsch30
land kommen wollen. Es ist die Befürchtung laut geworden, daß vielleicht die deutschen Arbeiter nicht gewillt sein würden, die amerikanischen Werkstudenten so aufzunehmen, wie unsere deutschen Werkstudenten in Amerika aufgenommen wurden. Soweit die Angehörigen der deutschen Gewerkschaften in Frage kommen, glaube ich, daß die amerikanischen Werkstudenten keinerlei Schwierigkeiten begegnen werden. Um nun aber wieder zu den Fragen zurückzukommen, die uns heute ganz besonders beschäftigen, insbesondere der Frage der „wirtschaftsfriedlichen" Einstellung des nordamerikanischen Arbeiters, frage ich mich, ob man tatsächlich von einer Wirtschaftsfriedlichkeit des nordamerikanischen Arbeiters sprechen kann. Ich glaube, alles, was wir bisher über diesen Punkt gehört haben, hat uns gezeigt, daß der amerikanische Arbeiter nicht wirtschafte friedlicher ist als der deutsche Arbeiter. Er strebt ebenso nach befriedigenden Lohn- und Arbeitsbedingungen wie der deutsche Arbeiter. Nur die Methoden, die Mittel sind andere. Ein Amerikawerkstudent sagte mir im persönlichen Gespräch, daß die Psyche des amerikanischen Arbeiters gar nicht anders sei als die des deutschen Arbeiters. Vielleicht beantwortet sich die Frage so, daß die Psyche des deutschen Unternehmers anders ist als die seines amerikanischen Kollegen, so daß darauf manche Erscheinungen zurückzuführen sind, die in Amerika unbekannt sind. Wir schleppen noch immer an den Eierschalen unserer politischen Vergangenheit. Sie wissen, daß Deutschland bis vor 100 Jahren ein Obrigkeitsstaat war, in dem es als Hochverrat galt, wenn der freie Bürgergeist sich durchsetzen wollte. Man kümmerte sich am besten um nichts und pries das, was von Seiten der Obrigkeit für gut gehalten wurde. Denn diese Obrigkeit kümmerte sich um alles, was im Staatsleben vor sich ging. An dieser Vergangenheit tragen wir. Es ist ungeheuer schwer, davon loszukommen. Das gilt allerdings für die Arbeiter ebensogut wie für die Unternehmer. Sie sehen in der deutschen Industrie Wohlfahrtseinrichtungen manchmal ganz hervorragender Art. Aber wenn Sie fragen, inwieweit sich die Arbeiter verantwortlich an dem Aufbau und der Verwaltung dieser Einrichtungen beteiligen, so werden Sie immer sehen, daß der Arbeiter immer nur als Objekt dieser sozialen Wohlfahrtspflege und nicht als Subjekt in Frage kommt, und das verletzt das innerste Empfinden des Arbeiters. Das hat sich gerade während der Revolutionszeit am stärksten fühlbar gemacht. Gerade die Arbeiter in großen 31
Betrieben, die bis dahin ohne Widerspruch die patriarchalischen Maßnahmen über sich ergehen ließen, zeichneten sich in der Revolution durch die radikalste Einstellung aus. Nun noch einiges über den Pioniergeist. Ich behaupte, daß in unserer deutschen Arbeiterschaft gleichfalls ein starker Pioniergeist lebendig ist, und besonders diejenigen aus der Arbeiterschaft haben Pionierarbeit geleistet, die die Arbeiterschaft zu eigner Verantwortung, zu politischer und sozialer Selbständigkeit erzogen haben. Der Pioniergeist im Arbeiter ist von schöpferischer Gewalt und aufbauender Tendenz. Ihm hat Deutschland gerade in der schwersten Zeit ungeheuer viel zu verdanken. Der Pioniergeist in der Arbeiterschaft hat die Arbeiterbewegung zu einer Kulturbewegung gemacht. Und nun noch ein anderes Problem, das mir zum Verständnis der Arbeiterpsyche wesentlich erscheint: Ein Politiker hat einmal gesagt: „Demokratie ist Friede." Vielleicht ist es das starke Überwiegen des demokratischen Gedankens in Amerika, das manche der von Ihnen auch für Deutschland gewünschten Erscheinungen gezeitigt hat. Vielleicht kann man sagen, daß an dem Tage, an dem die Führer der deutschen Industrie sich zu der Auffassung durchgerungen haben werden, daß die Arbeiterschaft nicht nur ein Objekt der Wirtschaftsführung ist, sondern auch verantwortlich an der Führung der deutschen Wirtschaft mitbeteiligt sein sollte, manche Erscheinung, die Sie heute beklagen, nicht mehr zu verzeichnen sein wird. Die deutsche Arbeiterschaft drängt nach verantwortlicher Mitarbeit. Sie weiß, daß auf Deutschland ein schweres Schicksal lastet. Aber sie will die Mitverantwortung auf sich nehmen. Es wurde in diesem Kreise vom „Rentnergeist" gesprochen. Wenn Sie, meine Herren Amerikawerkstudenten, sich jenen Gedankengang zu eigen machen würden und versuchen wollten, mit diesen Gedanken an den Arbeiter heranzutreten, würden Sie sicher ein Fiasko erleben. Damit gewinnen Sie nicht die Seele des deutschen Arbeiters. Das, was hier als Rentnergeist bezeichnet wird, ist etwas historisch Gewordenes. Der deutsche Arbeiter sieht in den sozialen Einrichtungen unserer heutigen Zeit kein Produkt des Rentnergeistes, sondern eine Errungenschaft sozialen Pioniergeistes. Es handelt sich um Errungenschaften, die in schwerem Kampfe erworben worden sind. Etwas Derartiges läßt sich die Arbeiterschaft nicht wieder nehmen, nicht nehmen ohne Kampf. Ich möchte Sie bitten, das Wort vom Rentnergeist nicht zu den 32
Arbeitern, nicht in die Betriebe hineinzutragen. Überlegen Sie sich, was aus dem Kampf gegen dasjenige entstehen würde, was mit Rentnergeist bezeichnet wurde. Denken Sie an die vielen Millionen Arbeitslosen. Es mögen manche darunter sein, die sich als Rentner fühlen, aber die große Masse besteht aus arbeitswilligen und arbeitsfreudigen Menschen, denen aber wieder eine Möglichkeit fehlt, ihre Arbeitsfreudigkeit zu verwenden. Ich frage Sie, besteht f ü r unsere Arbeitslosen, die heute zwangsweise aus der Wirtschaft ausgeschieden sind, eine Möglichkeit, sich durch Pioniergeist in die Höhe zu arbeiten, ja sogar nur Arbeit zu erhalten? Können Sie eine neue Völkerwanderung organisieren? Ich sehe keine Möglichkeit, augenblicklich die soziale Gewissenfrage zu beantworten: Was soll aus den Millionen Arbeitslosen werden ? Gibt es einen Weg, uns über unsere augenblicklichen wirtschaftlichen Verhältnisse hinwegzuhelfen, ohne jene Einrichtungen, die Sie als Einrichtungen des Rentnergeistes bezeichnet haben ? Ich sehe zunächst keinen Weg. Aber wir wollen hoffen, daß sich in den nächsten 4—5 Jahren das ganze Problem schon dadurch ganz von selbst löst, daß wir wieder mehr Arbeitsgelegenheit haben werden. Vorderhand kommen wir ohne die sozialen Fürsorgeeinrichtungen nicht aus, wenn Sie nicht unabsehbare politische Gefahren heraufbeschwören wollen.
Der Vorsitzende zu den Ausführungen des Herrn Iinoll. Geheimrat Duisberg: Ich freue mich, daß Herr Knoll das Problem, das uns heute bei unserer Tagung beschäftigt, auch einmal von einer anderen Seite aus beleuchtet hat und dabei auf die Psyche des deutschen Arbeiters zu sprechen kam. Er hat dabei die Frage gestellt, ob nicht vielleicht die Psyche des amerikanischen Arbeiters gar nicht so verschieden sei von der Psyche des deutschen Arbeiters und ob nicht vielleicht vielmehr ein viel größerer Unterschied in der Psyche des amerikanischen Unternehmers im Verhältnis zu seinem deutschen Kollegen bestehe, so daß darauf manche Erscheinungen zurückzuführen seien, die in Deutschland einer starken Kritik unterliegen. Ich Ü
Werkstudenten in Amerika.
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glaube, die Dinge liegen aber doch anders, u n d ich möchte Herrn Knoll raten, doch auch einmal nach Amerika zu gehen. Ich glaube, er dürfte dann doch zu einer etwas anderen Auffassung kommen. Ich bin tatsächlich der Meinung, daß der amerikanische Arbeiter anders eingestellt ist als der deutsche Arbeiter. Ich gebe aber auch zu, daß das Verhältnis des deutschen Arbeitgebers zum deutschen Arbeitnehmer in vieler Hinsicht noch gebessert werden sollte. In beiden Fällen bin ich aber der Auffassung, daß die augenblicklichen Verhältnisse nicht in dem Unterschied in der Psyche des einzelnen Individuums begründet liegen, sondern in einer Verschiedenartigkeit der beiden Volkspsychen, die aus den andersgearteten Verhältnissen erwachsen sind.
Vom historischen Werden soziologischer Strukturen.
A. F r o w e i n : Ich möchte allen denjenigen ganz uneingeschränkt zustimmen, die in erster Linie psychologische Gründe f ü r die andersartige Einstellung des amerikanischen Arbeiters im Verhältnis zum deutschen Arbeiter geltend gemacht haben. Wir denken in Deutschland vielleicht gerade in den letzten J a h r e n in zu kurzen Zeiträumen. Wir vergessen, daß es nicht länger als 100 J a h r e her ist, daß in gewissen Teilen Deutschlands wirkliche Leibeigenschaft bestand u n d daß auch, nachdem diese Leibeigenschaft abgeschafft war, noch jähre-, ja noch jahrzehntelang Zustände herrschten, die von dieser formalen, gesetzlich festgelegten Leibeigenschaft nicht sehr weit entfernt waren. E s ist ganz selbstverständlich, daß das in den Gefühlen einer Bevölkerung denjenigen gegenüber, die sie als ihre Herren angesehen haben, eine ganz außerordentliche Rolle spielt u n d daß das auch nicht so schnell im Untergrund des Bewußtseins verschwinden kann. Alles das h a t es in Amerika, wenigstens im heutigen Amerika, unter den Weißen überhaupt nicht gegeben. Viele Menschen, die in den letzten Jahrzehnten seit der Mitte des vorigen J a h r h u n d e r t s in steigendem Maße nach Amerika gekommen sind, die Väter der 34
heutigen Amerikaner, sind aus innerem Trieb ausgewandert, weil sie in ein Land ziehen wollten, in dem die Menschen vollständig gleich gewertet werden. Sie waren aus den vielen Völkern in gewisser Beziehung eine Auslese. Es ist doch nicht ganz leicht für einen Mann, auch wenn er nichts besitzt an irdischen Reichtümern, seine Heimat zu verlassen, sich von allem loszulösen und in eine doch für ihn mehr oder weniger ungewisse Zukunft zu gehen. Jene Menschen waren wirklich Pioniere. In diesem Sinne, aber auch nur in diesem Sinne, erkenne ich das Wort von dem Pioniergeist an. Das Land hat sich dann ganz außerordentlich stark entwickelt. Alle haben an dieser Entwicklung teilgenommen. Sie haben niemals daran gedacht, daß die übrigen Bewohner, auch wenn es ihre Vorgesetzten waren und wenn sie reicher waren als sie, als Menschen irgend etwas anderes wären als sie. Ich glaube, diese psychologischen Gründe sind wirklich die wichtigsten und wesentlichsten. Nun kommt aber noch etwas anderes hinzu. Es gibt in den Vereinigten Staaten eine Klasse, die Neger, die unter diesen Leuten stehen, die auch heute noch von den meisten Bewohnern der Vereinigten Staaten als Parias angesehen werden. Es ist natürlich kein sehr schöner menschlicher Zug, daß man sich dann höher gestellt fühlt, wenn man andere unter sich sieht. Aber dieselben Leute, die in Europa geglaubt haben, eine Klasse Leute über sich zu sehen, die sehen in Amerika diese Klasse, die unter ihnen ist. Und das war selbstverständlich auch geeignet, ihr Selbstgefühl zu heben. Um nun auf Deutschland zu kommen: Hier sind nicht überall die Verhältnisse so gewesen, wie sie in bestimmten Teilen Deutschlands bestanden. Es gibt Teile des Deutschen Reiches, dazu gehört das Bergische Land, die niemals Unfreie gekannt haben. Es gibt auch eine ganze Menge deutscher Gebildeter, die keinen anderen Menschen anders ansehen als sich selbst. Nun noch einiges zur Frage der wirtschaftlichen Prosperität. Beruht diese Prosperität einzig und allein darauf, daß nun in Amerika die Arbeit besser organisiert ist, daß der amerikanische Arbeiter tatsächlich mehr arbeitet als der deutsche und daß er deshalb auch mehr verdienen kann, oder ist etwas anderes dafür bestimmend? Ich bin der Meinung, daß man so die Dinge nicht ganz richtig sieht. Letzten Endes ist der Lohn, den der einzelne erhält, doch nur der Anteil an der Gesamtproduktion, der auf ihn entfällt nach allen möglichen Abzügen. Und da liegen die Dinge so, daß die Vereinigten Staaten von Amerika von der Natur so viel begünstigter sind, als 3*
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weite Teile Europas, jedenfalls Deutschlands: daß es möglich ist, mit einem viel geringeren Aufwand von Arbeitskraft große Mengen zu erzeugen, sowohl in der Landwirtschaft wie auch auf allen möglichen Gebieten der Bodenerzeugung. Es kommt hinzu, daß in Amerika alles wächst, was der Mensch zur Befriedigung seiner Bedürfnisse nötig hat. Ich glaube, daß es einem fleißigen Volke in den Gebieten der Vereinigten Staaten von Amerika heute eher möglich ist, eine große Gesamtproduktion zu erzeugen und umzusetzen, als in Deutschland. Diese größere Gesamtproduktion bzw. der größere Umsatz bedingt für den einzelnen einen größeren Anteil. Ob wir in Deutschland nicht von der Gesamtproduktion des deutschen Volkes durch unzweckmäßige Steuern und anderes mehr wegnehmen als notwendig, ob nicht auch auf den einzelnen mehr entfallen könnte, das ist eine Sache für sich. So sehe ich im wesentlichen den Unterschied und bin im übrigen auch der Ansicht, daß bei diesen Dingen die außerordentlich eigenartige psychologische Einstellung der Suggestion und der Autosuggestion eine große Rolle spielt. Es ist bekannt, daß den Amerikanern nun seit beinahe 100 Jahren gepredigt worden ist, daß sie in „God's own country" wohnen. Ein derartiger Glaube versetzt Berge und ist geeignet, dem amerikanischen Arbeiter eine andere Einstellung zu geben, als sie der deutsche Arbeiter hat. Zu der Frage „pioneer spirit und Rentnergeist" habe ich schon vorhin gesagt, daß diese Leute gewiß Pioniere gewesen sind, die in den Vereinigten Staaten in den letzten 50 Jahren einwanderten. Aber diese Art Pioniere dem deutschen Rentnergeist gegenüberzustellen, halte ich nicht für ganz richtig, und ich stimme dabei im wesentlichen denAusführungenzu, die Herr Knoll über den Rentnergeist gemacht hat. Auch was hier in den letzten Jahrzehnten geschaffen worden ist, hat eine außerordentlich große Bedeutung, h a t auch heute schon eine historische Bedeutung. Nichts würde verfehlter sein, als nun alles wieder abzuschaffen, was auf diesem Gebiete in den letzten Jahrzehnten geleistet worden ist. Und nun noch etwas zu einigen Sonderfragen, die schon angeschnitten wurden, zur Titelfrage, zur Frage des Feierns von Jubiläen usw. Alle diese Fragen spielen für die rein menschliche Seite des Arbeitsverhältnisses natürlich eine große Rolle. Aber auch diese Dinge haben wir in Deutschland nicht übersehen. Es ist ein Irrtum, anzunehmen, daß es in Deutschland nicht auch Betriebe gegeben habe, in denen man versucht hätte, diese mensch36
liehe Seite zu pflegen. Doch das ist eine überaus schwierige Arbeit, was uns aber nicht abhalten darf, sie trotzdem fortzusetzen und weiter auszubauen. Dabei darf uns aber nicht der Gedanke leiten, dadurch bestimmte Unternehmerinteressen fördern zu wollen, sondern richtunggebend muß allein der Gedanke bleiben, daß Arbeitgeber und Arbeitnehmer Volksgenossen sind, alle Menschen, wie wir selbst.
Arbeitsethos. Dr. B ü s c h e r : Es ist über die Titelfrage, über das äußere Verhältnis von Vorgesetzten und Untergebenen gesprochen worden. Ich sehe alle diese Dinge unter dem Gesichtspunkt politischer Mittel. Mit politischen und mit rein äußerlich psychologischen Mitteln können wir aber das Verhältnis von Mensch zu Mensch nicht irgendeiner günstigen Lösung entgegenführen. Es handelt sich dabei vielmehr um ethische Fragen, und das Ethos eines Volkes steht notwendig in engem Zusammenhang mit seinen Lebensbedingungen. Das Ethos des Amerikaners muß anders sein als das des deutschen Arbeiters und Unternehmers. Wir haben in der Zeit nach dem Kriege rationalisiert, haben versucht, amerikanische Wirtschaftsmethoden einzuführen und haben die Rationalisierung zum Teil dahin getrieben, daß der Begriff der „ratio" zu kurz gekommen ist. Um das Verhältnis von Unternehmer zu Arbeiter vernünftig zu gestalten, ist es notwendig, daß beide die richtige Einstellung zur gemeinsamen Arbeit finden. Diese gemeinsame Arbeit wird häufig durch die Methoden, die eingeführt sind, nicht gefördert. Ich habe in den Betrieben, denen ich angehöre, die Erfahrung gewonnen, daß es sehr wohl möglich ist, Arbeitsmethoden zu finden, die dem Arbeiter das geben, was heute immer wieder verlangt wird und was auch von uns dringend verlangt worden ist, nämlich das Bewußtsein der Verantwortlichkeit für seine Arbeit. Bandarbeit, entseelte Arbeit, kann niemals zur Verantwortlichkeit, zu einer ethischen Verbundenheit mit der Arbeit führen. Ich würde es sehr begrüßen, wenn auch von Seiten der Amerikawerkstudenten einmal über die interessante Frage gesprochen 37
werden würde: Wie kann man diese Arbeitsmethoden so gestalten, daß sie dem gewünschten Ziel näherkommen ? Wir sind in unseren Werken von der eigentlichen Bandarbeit zurückgegangen auf Arbeitsmethoden, die dem Arbeiter das persönliche Gefühl geben, etwas Ganzes zu t u n , so daß er das Empfinden hat, diese Maschine, dieses Flugzeug ist unser Flugzeug. Ich habe nicht nur irgendeinen K n o t e n p u n k t gelötet oder geschweißt, sondern ein Großteil meiner eigenen Arbeitskraft ist darin enthalten. Sobald dieses Gefühl einmal wächst, so wächst auch die Verbundenheit mit den Leuten, die die Maschine konstruiert u n d den Entwurf hergestellt haben. Dann wird die Arbeit sinnvoll f ü r den Arbeiter. Demgegenüber erscheint es mir ein primitives Mittel, auf Titel zu verzichten. I n diesem Zusammenhang m u ß ich an den Ausspruch eines Betriebsratsvorsitzenden denken, den ich nie vergessen werde: ,,Wir haben es noch nie einem Menschen übelgenommen, daß er einen höheren Kragen trägt als wir. Wir wollen n u r wissen, daß er ein Recht dazu h a t . " Es ist nicht damit getan, politische Mittel oder psychologische Mittelchen anzuwenden, sondern es kommt darauf an, daß wir ein neues Arbeitsethos entwickeln.
Ist die wirtschaftsfriedlichc Einstellung des amerikanischen Arbeiters etwas charaktermäßig Bedingtes ?
Geheimrat
Brecht:
Es ist ja wohl allgemein zugestanden, daß das tatsächliche Verhältnis zwischen Arbeitgebern u n d Arbeitnehmern, zwischen Kapital und Arbeit in Amerika grundsätzlich anders ist als in Deutschland. Ich frage n u n : Inwieweit liegt es an den Menschen oder inwieweit liegt es an den Dingen u n d den wirtschaftlichen Verhältnissen? Zur ersten Frage ist schon vieles gesagt, zur zweiten einiges. Es wird behauptet, die Aufwärtsbewegung der Prosperität gehe H a n d in H a n d mit dem Ausbau des Inlandmarktes, dieser werde gefördert durch hohe Löhne, die die K a u f k r a f t erhöhen. Aus der erhöhten K a u f k r a f t resultiere die Steigerung des Inlandmarktes was Prosperität bedeute. 38
Wenn dies nun drüben auch heute beinahe stimmt, die Frage ist allerdings, wie lange noch, so ist doch eines sicher, nämlich, daß es bei uns nicht stimmt. Jene Gedankenreihe, höhere Löhne, höhere Kaufkraft usw., hat bei uns schon manches Unheil angerichtet. Man vergißt immer wieder, daß wir kein autarkes Land sind, daß wir ausländische Rohstoffe einführen und Reparationen zahlen müssen. Die Tatsache, daß wir nun in Amerika bzw. in Deutschland einen Unterschied sowohl in der Prosperität als auch in der Frage der Wirtschaftsfriedlichkeit der Arbeiter haben, führt mich zu der weiteren Frage: Was ist Ursache und was ist Wirkung bei dem Problem der Wirtschaftsfriedlichkeit? Ist die wirtschaftsfriedliche Einstellung des amerikanischen Menschen etwas charaktermäßig Gegebenes, das bestehen bleibt, auch wenn sich die wirtschaftlichen Verhältnisse ändern ? Welches wird wohl die voraussichtliche Entwicklung der Verhältnisse drüben sein, wenn die Prosperität in den Vereinigten Staaten einmal nachläßt ? Was bleibt von den heutigen guten menschlichen Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern dauernd bestehen ? Man hat mir z . B . gesagt, die Lage im Kohlenbergbau sei drüben eine außerordentlich schwierige, weil die Fördertätigkeit der Absatzfähigkeit vorausgeeilt sei. Man hat weiter gesagt, daß die Lohnkämpfe in jener Industrie mit einer Grausamkeit, einer Erbitterung und Rücksichtslosigkeit geführt werden, wie es hier kaum bekannt ist.
Wirtschaftsfriedlichkeit, eine Funktion der Prosperität. Diplomingenieur Kissel, Amerikawerkstudent: Der wertvollste Erfolg unseres Amerikaaufenthalts liegt meines Erachtens in unseren Beobachtungen über das Verhältnis von Arbeitgeber zu Arbeitnehmer, vom Vorgesetzten zum Untergebenen. Ich bin der Auffassung, daß jenes beglückende Arbeitsverhältnis, das wir alle drüben selbst empfunden haben, eine Folgeerscheinung des allgemeinen wirtschaftlichen Wohlstandes und eines daraus entspringenden suggestiven Optimismus ist. Ich bestreite aber, daß diesem gegenseitigen Verhältnis irgendwelche ethischen Mo39
mente zugrunde liegen. Ich glaube deshalb auch nicht an die Wirtschaftsfriedlichkeit oder gar an die Werkverbundenheit des amerikanischen Arbeiters als besonderes Charaktermerkmal. Ich möchte mich voll und ganz der bereits von anderer Seite vertretenen Auffassung anschließen, daß tatsächlich in weitaus dem größten Teil der Industrien der U. S. A. etwas vorhanden ist, was man mit „Wirtschaftsfrieden" bezeichnen kann, weil der amerikanische Arbeiter den Klassenkampf im europäischen Sinne nicht kennt, da es keine Klassenschichtung in unserem Ausmaße gibt. Dieser Tatbestand ist aus der geschichtlichen Entwicklung in den Vereinigten Staaten bzw. in Europa heraus ohne weiteres erklärbar. Die klassenkämpferische Einstellung des europäischen Arbeiters ist genau so wie die wirtschaftsfriedliche Einstellung des amerikanischen Arbeiters ein Produkt der geschichtlichen Entwicklung. Die Hauptfaktoren für die klassenkämpferische Einstellung des europäischen Arbeiters sind die Verwurzelung der europäischen Gesellschaftsordnung im Ständestaat und die Hemmungen der wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten des einzelnen infolge der Bevölkerungsdichte sowie die häufigen politischen Störungen des wirtschaftlichen europäischen Gleichgewichts. Die heutige Generation in den Vereinigten Staaten kennt in ihrer Geschichte keinen Ständestaat. Sie hat noch immer etwas in sich von dem Pioniergeist der ersten Siedler des Landes. Aus dem ungeheuren natürlichen Reichtum des Landes hat dieser Pioniergeist eine große politische Einheit geschaffen, in der der wirtschaftliche Wohlstand des einzelnen ein Ausmaß annehmen konnte, das, verallgemeinert betrachtet und an europäischen Verhältnissen gemessen, gewaltig ist. Wenn nun auch die Möglichkeiten des wirtschaftlichen Erfolges in den U. S. A. heute nicht mehr die sind, die sie noch vor nicht allzu langer Zeit waren, so sind sie doch noch um ein Vielfaches größer als in Europa. Die Löhne beispielsweise sind nicht nur hinsichtlich ihres Nominalwertes, sondern auch in bezug auf die Kaufkraft im Durchschnitt ganz wesentlich höher als in Europa. Auch heute noch ist jedem einzelnen bei der ungeheuren Besiedlungsweite und den gewaltigen noch ungehobenen Naturschätzen des Landes eine Möglichkeit zur Kapitalbildung gegeben, und die Kapitalbildung wurde nicht gestört durch Kriege und Kriegslasten, war bis jetzt nicht abhängig von Auslandsmärkten. Dem anlagesuchenden Kapital steht noch ein sehr entwicklungsfähiger Binnenmarkt zur Verfügung. Ein natürlich reiches und in seiner Produk40
tivität hochentwickeltes Land, das, wie schon gesagt wurde, siebzehn mal so groß ist wie das Deutsche Reich, hat eben nur eine Bevölkerung zu ernähren, die nicht ganz doppelt so groß ist wie die Deutschlands. Warum sollte da nicht Wirtschaftsfriede sein % Wenn man nun aber schon von der Wirtschaftsfriedlichkeit des amerikanischen Arbeiters sprechen will, so muß man sich darüber klar sein, daß man damit nur einen augenblicklichen Zustand bezeichnen kann. Man muß sich darüber klar sein, daß der amerikanische Arbeiter nur so lange wirtschaftsfriedlich sein wird, als der Standard of living nicht sinken wird. Man findet oft die Ansicht vertreten, die wirtschaftsfriedliche Einstellung des amerikanischen Arbeiters habe ihre Ursache in einer besonders glücklichen, charaktermäßig bedingten Auffassung des Arbeitsverhältnisses. Dies ist unbedingt abwegig, wenn damit gesagt sein soll, daß seine Haltung einer wirtschaftsfriedlich gerichteten ethischen Grundeinstellung entspringt. Die Wirtschaftsfriedlichkeit ist lediglich die zwangläufige Entwicklung der entscheidenden Ursache, nämlich des wirtschaftlichen Wohlstandes. Mit dieser Feststellung verliert der Nimbus der Wirtschaftsfriedlichkeit um das H a u p t des amerikanischen Arbeiters ganz wesentlich von seiner Bedeutung. Es ergibt sich nämlich daraus, daß in dem Moment, in dem der wirtschaftliche Wohlstand nachläßt, auch die Wirtschaftsfriedlichkeit zerfällt. Es gibt genügend Beispiele aus einzelnen Industrien des amerikanischen Wirtschaftslebens, an denen sich die Richtigkeit der Behauptung von der nur scheinbaren Wirtschaftsfriedlichkeit des amerikanischen Arbeiters nachweisen läßt. Man ist bei uns zu leicht geneigt, die Wohlstandsverhältnisse des amerikanischen Arbeiters nach dem Spitzeneinkommen in der Automobilindustrie und einigen Spezialindustrien zu beurteilen. Amerika ist aber in jeder Beziehung das Land der Extreme, und so finden wir auch überaus niedrige Löhne, wie beispielsweise in der Montanindustrie. Es wurde heute schon an anderer Stelle auf die Arbeitskämpfe und Streiks gerade in jenem Industriezweig und bei der Textilindustrie und bei den Eisenbahnen hingewiesen. Jene Kämpfe stehen den europäischen in keiner Weise an Härte nach. Von Wirtschaftsfriedlichkeit ist da nichts mehr zu spüren. Man unterschätzt auch bei uns allgemein den Einfluß der amerikanischen Gewerkschaften. In einigen Fachverbänden, wie bei den 41
Bauarbeitern, beherrscht die Gewerkschaft beispielsweise den gesamten Arbeitsmarkt. Ich bin der Auffassung, daß man in dem Moment, wo die Hochkonjunktur im Baugewerbe einmal ernstlich nachlassen wird, auch dort mit ernsten Arbeitskämpfen zu rechnen haben wird. Die Durchsetzung der unteren Schichten der amerikanischen Arbeiterschaft mit sozialistischen und kommunistischen Gedankengängen wurde durch die große Arbeitslosigkeit des letzten Jahres wesentlich gefördert, und ich habe selbst während zweier Wanderjahre als Arbeiter in den Vereinigten Staaten festgestellt, daß der Einfluß jener Ideenwelt größer ist, als man bei uns in Europa im allgemeinen annimmt, wenn auch der Einfluß dieser Arbeiterkreise natürlich immer noch minimal ist, gemessen an unseren Verhältnissen. Ich bin auf Grund meiner eigenen Beobachtungen und Erfahrungen zu der Auffassung gekommen, daß Amerika in dem Moment, in dem die durchschnittliche Wohlstandskurve des amerikanischen Arbeiters sich abwärts bewegt, zu genau denselben sozialen Kämpfen kommen wird, wie wir in Europa. Ich glaube sogar, daß diese Kämpfe sehr schwer sein werden, weil es, psychologisch gesehen, sehr hart ist, einen einmal vorhanden gewesenen Wohlstand schwinden zu sehen. Anderseits darf man nicht übersehen, daß es heute noch gar nicht abzuschätzen ist, wann tatsächlich das amerikanische Wirtschaftsleben zu einer derartig starken inneren Sättigung kommt, daß die Wirtschaftskurve abwärts zeigt. Dazu kommt, daß Amerika bei einer Stagnation auf dem inneren Markt immer noch große Ausgleichsmöglichkeiten durch erhöhte Betätigung auf dem Weltmarkt hat. Vorerst kann man immer nur von kleinen vorübergehenden Teilkrisen in einzelnen Industrien sprechen. Die Lohnkämpfe, die sich dabei abspielen, genügen aber schon, um symptomatische Schlüsse daraus zu ziehen. Sie reichen auf alle Fälle aus, um den Glauben an die Wirtschaftsfriedlichkeit als ein charaktermäßiges Plus des amerikanischen Arbeiters zu zerstören. Seine Wirtschaftsfriedlichkeit ist eine Konj unkturfrage.
Von soziologischen Beziehungen.
Referendar Mestern, Austauschstudent: Mir scheint wesentlich, daß wir es in Amerika mit einer besonders gearteten soziologischen Struktur des Volkes zu tun haben 42
und daß diese bei der Analysierung des sog. amerikanischen Wirtschaftsfriedens nicht außer acht gelassen werden darf. Wir kennen in den Vereinigten Staaten, wie schon gesagt, nicht den Klassen staat, sondern haben dort eine soziale Organisation, die neben der politischen Demokratie auch eine kulturelle Demokratie in einem uns ganz unbekannten Ausmaße kennt. So ergibt sich denn, daß für den heutigen wirtschaftsfriedlichen Zustand in den Vereinigten Staaten zweierlei bedingend ist: es fehlen nämlich die dabei uns historisch erwachsenen traditionellen Schranken zwischen den einzelnen Berufsschichten. Weiterhin sind gegenwärtig im Zusammenhang mit der relativen Prosperität des Landes die Interessengegensätze nicht so stark. Wenn nun auch die Interessengegensätze einmal schärfer werden sollten, so würde doch die an der Stelle der Klassenkampfidee stehende kulturell-demokratische Ideologie dem Wirtschaftskampf eine andere Färbung geben als bei uns. Demgegenüber scheint es zunächst ein Widerspruch, daß einzelne der letzthin durchgeführten amerikanischen Arbeitskämpfe eine außerordentliche Schärfe gezeigt haben. Dafür wird jedoch ein anderer Faktor verantwortlich zu machen sein. Es ist das der amerikanische Arbeitgeber. Auf den Unterschied zwischen dem amerikanischen und dem deutschen Arbeitgeber ist heute bereits hingewiesen worden. Der amerikanische Arbeitgeber der Gegenwart stammt noch vielfach aus Arbeitnehmerkreisen; er ist seiner ganzen wirtschafts- und arbeitspolitischen Einstellung nach nicht allzusehr von dem Arbeitnehmer differenziert. Er ist der Kollege des Arbeiters nicht nur in friedlichen Zeiten, sondern auch, wenn sie einander im Kampf gegenüberstehen. Dann kämpft er mit den gleichen primitiven Instinkten und brutalen Mitteln wie seine Arbeiter, unbehindert von den humanen Erwägungen, die aus einer Erziehung in einer differenzierten, mehr geistigen Umgebung herauszuwachsen pflegen. Eine andere Frage, die ich hier anregen möchte, betrifft den Zusammenhang zwischen dem wirtschaftsfriedlichen Zustand in der amerikanischen Industrie und der Regelung der Arbeitszeit. Die Frage, ob Amerika uns in dieser Hinsicht etwas zu lehren hat, muß meiner Meinung nach verneint werden. Die Herabdrückung der Arbeitszeit in den amerikanischen Betrieben ist meistens erkauft worden mit einer so erhöhten Arbeitsleistung oder geistigen Abstumpfung durch Mechanisierung, daß dadurch vielfach eine von kulturellen Gesichtspunkten aus fruchtbare Ausnutzung der 43
Freizeit verhindert wird. Eine derartige Erschöpfung durch die Erwerbsarbeit ist vom gesamtkulturellen Gesichtspunkt aus nicht tragbar. Man sollte wieder zu einer neuen Beseelung der Arbeit kommen, zu einem Wirtschaftssystem, das die Arbeit wieder zum bejahten Mittelpunkt des einzelnen Lebens erhebt. Von der Jugendbewegung und von Gandhi sind Forderungen in dieser Richtung erhoben und auch zum Teil verwirklicht worden. Im Rahmen der Industriewirtschaft sehe ich die Lösung jedoch noch nicht. Es ist aber immerhin schon erfreulich, daß man schon anfängt, sich sehr intensiv mit diesen Fragen zu beschäftigen, selbst in Amerika. Ford, der sich in seinen Schriften für eine restlose Mechanisierung der Arbeit im Interesse ihrer schnelleren Erledigung eingesetzt hat, sagte im J a h r e 1926 anläßlich der Einführung der Fünftagewoche in seinen Betrieben, daß dies nicht aus humanitären Gründen geschehe, sondern weil die Freizeit dem Arbeiter erlaube, einen höheren Lebensstandard zu kultivieren und dadurch seine Kaufkraft zu erhöhen. An dieser Stelle setzt dann die großzügige amerikanische Propaganda für die Schaffung neuer Bedürfnisse ein, wie jüngst die Suggestion von der Notwendigkeit eines zweiten Automobils für jede Familie. Mit den Bedürfnissen kommt der Wunsch, diese zu befriedigen, was letzten Endes auf dem Wege der Kaufkraftstärkung als Gegenleistung für erhöhte Arbeitsleistung möglich ist. Dieses Spiel des indirekten Zwanges zur Mehrarbeit macht denn auch Ford geruhig mit. Er unterscheidet sich nur oberflächlich von anderen amerikanischen Industrien dadurch, daß er als Erster ein Mittel fand, seinen Arbeitern die erhöhte Arbeitsleistung nicht in längeren Arbeitsstunden, sondern durch die Intensivierung der Arbeit am Fließband abzuzapfen. Ich vermag dieser Lösung der Frage der Arbeitsintensität und Arbeitszeit nicht beizustimmen. Ich habe kein Verständnis f ü r diese Art der Mittelbeschaffung zu einer sinnvollen Ausnutzung einer allerdings dadurch ermöglichten verlängerten Freizeit. Die Fordsche Arbeitsphilosophie läßt jede Rücksicht auf eine andere als die rein regenerative und passive Ausnutzung der Freizeit vermissen. Es gibt eben noch andere Werte und Inhalte der Arbeit, als daß die bis zum äußersten getriebene Entseelung der Arbeit befriedigen könnte, selbst wenn sie auch erhöhte Mittel zur Ausnutzung der Freizeit mit sich bringt. Dem amerikanischen System liegt unbewußt der Gedanke zugrunde, dem Arbeiter eine andere, nicht mit der Industrie verknüpfte Beschäftigung in seinen Freistunden zu 44
entziehen, um nicht durch die Beschäftigung mit Dingen, die echte Muße und schöpferische Kraft verlangen, dem Wirtschaftsprozeß Energien zu entziehen. Ein derartiges System muß aber unbedingt zur kulturellen Verarmung führen, denn wenn dem Arbeiter es ermöglicht sein soll, an dem Kulturleben seiner Nation teilzunehmen, um diesem durch seine Teilnahme erst die notwendige Tiefe und Unterlage zu geben, so muß ihm die Erwerbsarbeit noch einen Kraftüberschuß belassen.
Arbeitspsyche und Erziehung.
Diplomingenieur Pauly, Amerikawerkstudent: Zum Verständnis der Psyche des amerikanischen Unternehmers und Arbeiters erscheint es mir wesentlich, nicht zu übersehen, daß die Erziehung des Gemütes oder sonstiger rein menschlicher Werte sehr stark im Hintergrund steht. Man sieht das am besten an den amerikanischen Kindern, die, allgemein betrachtet und mit unseren Kindern in Deutschland verglichen, ziemliche „Rauhbeine" sind. Aus der amerikanischen Kindererziehung "heraus muß man es auch verstehen, wenn z . B . bei den Arbeitskämpfen während des Kohlenstreiks mit einer so unmenschlichen Schärfe vorgegangen wird. Alle menschlichen Erwägungen fallen vollkommen weg. Es gilt nur der Kampf um die Macht, um den Besitz. Zur Erreichung des Besitzes durch Leistung werden die jungen amerikanischen Menschen hauptsächlich erzogen. Dazu wird dem kleinen Kinde vor allen Dingen Selbstvertrauen anerzogen. Man überläßt die Kinder drüben viel stärker sich selbst, während man bei uns zu leicht dazu neigt, sie im Rahmen einer ganz bestimmten Meinung zu erziehen. Dies führt dazu, daß bei uns die Kinder das Denken über sich selbst und ihre Handlungen vernachlässigen, weil dies immer die Erzieher für sie tun. Ich will damit aber keineswegs sagen, daß ich den amerikanischen Standpunkt in dieser Erziehungsfrage für richtig halte. Ich habe die Gegensätze nur zum Verständnis verschiedener Erscheinungen im amerikanischen Wirtschaftsleben angezogen. 45
Arbeiter und Kapitalbildung. Diplomingenieur Schwabach,
Amerikawerkstudent:
I n Amerika besteht nicht die straffe Trennung zwischen Kapital u n d Arbeit wie hier bei uns in Deutschland. Der Arbeiter ist auch Kapitalist. Die Zahl der Arbeiter, die nichts besitzen, ist verhältnismäßig gering. Als ich seinerzeit am Bau einer großen K r a f t anlage in St. Louis mitarbeitete u n d die erste Sektion zu Ende gebaut war, gab die Gesellschaft eine Anleihe von 10 Millionen heraus. Ein großer Teil der Arbeiter, die an diesem Kraftwerk mitbauten, hatten so viel verdient, daß sie sich einen Teil dieser Anleihe kauften. Aus diesen Früchten ihrer Arbeit hatten sie einen Kapitalnutzen u n d einen Zinsertrag von 8 %. Ich halte es f ü r falsch, daß man in Deutschland die kleinen Aktien abgeschafft h a t . Es ist manche Schärfe abzumildern, wenn die Arbeiter selbst Kapitalisten sind.
Zur Klassenschichtung in Deutschland. Dr. B l o c h ,
Austauschstudent:
Es ist schon mit Recht auf einen sehr wichtigen P u n k t hingewiesen worden, nämlich auf die Tatsache, daß die deutschen Arbeiter zu einem großen Teil von Unfreien abstammen. Sicher liegt in der Unterschätzung dieses Momentes f ü r die ganze Behandlung der Arbeiterfrage von der Unternehmerseite her ein sehr wichtiger Faktor. Wenn Sie einmal sehen, wie Arbeiter reagieren auf das Wort „Agrarier", so merken Sie, daß dahinter etwas anderes steckt, als die wirtschaftlichen Gegensätze. Dahinter steht die Kampfstellung- gegen die Leute mit dem „Herrendünkel". U n d das deutsche industrielle Unternehmertum h a t im Unterschied zu manchen anderen Ländern in der Behandlung von Arbeiterfragen seine Solidarität mit der Landwirtschaft außerordentlich stark betont. Wegen dieser Parallele h a t sich die Einstellung gegen den Agrarier in einem Maße auf den Unternehmer übertragen, wie das in k a u m einem anderen Lande der Fall ist. Ich glaube, daß hier eine sehr wichtige Ursache f ü r die andersartige Psyche des Arbeiters u n d des Unternehmers in Deutschland und in Amerika liegt. 46
Bezüglich der Einstellung des deutschen Unternehmertums ist natürlich auch zu berücksichtigen, daß bis vor nicht allzu langer Zeit in Amerika auf dem Arbeitsmarkt die Nachfrage nach Arbeitskräften bedeutend größer war als das Angebot, während bei uns in Deutschland das Umgekehrte der Fall ist. Aus diesem letzteren Umstand heraus ist es auch zu erklären, daß bei uns der Arbeiterstand sich viel früher interessenmäßig in den einzelnen Berufen organisiert hat, während wir drüben eine Klassifizierung in unserem Ausmaße noch nicht kennen und daher auch keinen Klassenkampf. Das Fehlen einer Klassenschichtung in Amerika hat auch noch eine andere gute Seite. Dadurch, daß Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen fehlen bzw. sich nicht als Kampf Organisationen gegenüberstehen, ist es für die Einzelindividuen beider Kategorien leichter, sich in persönlicher Aussprache zusammenzufinden und Fragen zu besprechen und zu erledigen, in denen eine gegensätzliche Auffassung besteht.
Streiflichter. D r . v. B r a u c h i t s c h , A m e r i k a w e r k s t u d e n t : Die bisherigen Ausführungen waren außerordentlich interessant. Was daran auffällt, ist aber, daß es meistens Ausführungen und Gedanken über Amerika und nicht Erlebnisse in Amerika waren. Das selbsterlebte Amerika, die amerikanische Atmosphäre, kommt in ihnen nicht zum Ausdruck. Mir scheint aber, daß dies das Wichtigste ist: daß ein jeder von uns, der in Amerika war, von seinen eigenen persönlichen Erlebnissen erzählt, daß er auf diese Weise Amerika selbst, so wie es von uns Deutschen gesehen wurde, in diesen Raum hier hineinträgt. Ich möchte das selbst hier versuchen, ganz ohne meine Erzählung in große Zusammenhänge hineinzubringen, aus dem Gefühl heraus, auf diese Weise konkretes Material für eine fruchtbare Aussprache mit herbeizuschaffen. Die Diskussion wird dann ganz automatisch aus diesen vereinzelten persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen das herausschälen und herauskristallisieren, was für die Allgemeinheit von Nutzen sein kann. 47
Money — Geld, ist für den Amerikaner mehr, als ein Entgelt für Leistung. Es ist Wertmesser für Menschen, für Qualität und Quantität: „Wer ist jener Herr d o r t ? " frage ich einen amerikanischen Bekannten. ,,Oh, he is a $ 5000 man." Sein Charakteristikum, Vornamen, Charakter und Beschäftigung, ist also, daß er 5000$ im J a h r verdient. Und so bezeichnet der Amerikaner eine Firma als eine „Million dollar plant", ehe er auf Näheres eingeht, eine gute Straße als einen „one hundred thousand dollar road". ,,What do you seil?", was verkaufen Sie, fragte der Amerikaner, der mich neu kennenlernte und wissen wollte, was mein Beruf wäre. Denn an jeder Beschäftigung des Menschen ist das Wichtigste, daß sie etwas einbringt. I n Cincinnati arbeitete ich in einer ausgezeichneten Maschinenfabrik als Arbeiter. Über der Eingangstür zum Betrieb hing ein Schild, auf dem die jeweiligen Geburtstagskinder und die Zahl ihrer Arbeitsjahre bei der Firma vermerkt waren, „you should feel at home here", sagte der Betriebsleiter, „Sie sollen sich hier zu Hause fühlen" und ging allsonntäglich mit uns durch den Betrieb, alle Fragen beantwortend und vieles erklärend, was wir in der Woche nie zu sehen bekamen. Der Fabrikarzt, der ständig anwesend war, half nicht nur, Krankheit zu heilen, sondern veranlaßte uns auch, von unseren persönlichen Verhältnissen zu erzählen. Persönliches Interesse umgab einen jeden Einzelnen. „ I t Pays", sagte der Leiter der Personalabteilung, der für diese Atmosphäre im Werk verantwortlich zu sorgen hatte, „es macht sich bezahlt, die Leute arbeiten besser und williger, wenn sie sich wohlfühlen." In jener Fabrik, von der ich spreche, war es bestimmt ein innerer Trieb, es war soziales und persönliches Interesse, das die Fabrikleitung bestimmte, ihre Leute persönlich besonders gut und liebenswürdig zu behandeln. Aber nach außen hin rechtfertigen sie ihr Verhalten doch damit, daß es auch etwas finanziell von Vorteil war. Geld war hier nicht so sehr das Motiv, aber es ist der Wertmaßstab. Zur Frage der wirtschaftsfriedlichen Einstellung des amerikanischen Arbeiters möchte ich auch ein kleines Erlebnis beisteuern: Ich glaube, daß ein jeder von uns auf diesem Gebiete sehr verschiedene Erfahrungen gemacht hat. I n der gleichen Fabrik in Cincinnati sagte mir der Betriebsleiter, als er mir Verantwortung für Menschen und Material gab: „Wenn es Ihnen nicht gelingt, sich die Arbeiter, und gerade die unter ihnen, die Sie hassen, durch Ihre Leistung, Ihre Gerechtigkeit und Freundlichkeit zu 48
Freunden zu machen, so sind Sie, für unseren Betrieb wenigstens, unbrauchbar als Vorgesetzter". Unter solcher Einwirkung muß Arbeitsfriede entstehen, der sich auch auf die Wirtschaftsfriedlichkeit des Arbeiters auswirkt. In Chicago erzählte mir der Leiter einer Fabrik für elektrische Apparate, die an ihre Arbeiter Aktien der Firma in kleinem Ausmaße verkaufte, ein solcher Kleinaktionär habe ihn einmal abends antelephoniert und ihm mitgeteilt, daß im Fabrikhof, frisch abgeladen, wertvolles Material im Regen liege. Er möge doch veranlassen, daß das Material in Sicherheit gebracht würde. Ein schönes Beispiel für das Werksinteresse des Arbeiters, denn mir scheint, die Kleinaktie war nicht so sehr das Motiv für den Telephonanruf, als das Verantwortungsgefühl für die Arbeit und das Material. Der amerikanische Arbeiter schont, wie ich es auffallend oft gesehen habe, Material und Werkzeuge aus dem Achtungsgefühl für das Geld, das in diesen Sachen steckt. Die Achtung vor dem Geld und Geldeswert, auch dem fremden, nicht die ethische Idee des Arbeitsfriedens ist es, die ihn beseelt. Die Höhe des Einkommens, das die Firma ihm zukommen läßt, ist für ihn der Maßstab, nach dem er durch Fleiß und Achtsamkeit den Gewinn der Firma vermehren hilft. Der gelernte Arbeiter in Amerika muß seine eigenen Werkzeuge haben. Wenn ein Arbeiter sich um Arbeit bewirbt, so läßt man sich sein Werkzeug vorzeigen und nicht seine Papiere, die es drüben nicht gibt. Dadurch erhält man schon einen kleinen Maßstab für die Qualität des Mannes. Mich fragte mein erster Meister nach etwa 14 Tagen, wie ich denn hieße. Bisher wußte er nur meine Fabriknummer und meinen Vornamen. Und als ich gar Prüfungsdiplome vorzeigen wollte, wurde ich mildlächelnd abgewiesen. Wenn man es zu etwas bringen will, darf man keine Arbeit zurückweisen. Ich habe zu Beginn meiner Tätigkeit in U.S.A. meinen Dr.-Ing. zu Hause gelassen, die Werkstatt gefegt, Maschinen gereinigt und im Lager die aus der Werkstatt zusammengefegten Schrauben auseinander sortiert und von Fett, Schmutz und Kaut a b a k gereinigt. Dafür habe ich aber auch in einem Jahre vier erfreuliche Gehaltserhöhungen bekommen, jedesmal nämlich, wenn mir eine bessere Stellung anderswo angeboten wurde und ich daraufhin kündigte. Man versteht das Streben nach dem Gelde und nimmt das nicht übel. 4
Werkstudenten in Amerika.
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Es berührt uns Deutsche sehr angenehm, daß man drüben in amerikanischen Fabriken kein Schimpfen hört. Der Vorgesetzte versteht es drüben glänzend, Dinge in einer Art und Weise bestimmt und klar zu sagen, die nicht den in solchen Fällen bei uns üblichen Unteroffizierston hat. Es ist auch nicht „gentlemanlike", daß Arbeiter sich gegenseitig beschimpfen, und in dieser Beziehung erziehen sich die Arbeiter gegenseitig. Ein schimpfender Arbeiter -wird von seinen Kollegen entsprechend behandelt. Dies trägt auch sehr viel zum Arbeitsfrieden und zu einer gewissen Arbeitsbefriedigung bei. Es wurde heute schon viel über das gute Verhältnis von Vorgesetzten zu Untergebenen in den Vereinigten Staaten gesprochen. Es wurde auch gesagt, daß man drüben als Besucher bei einem Gang durch eine Fabrik überhaupt nicht fühlt, daß Vorgesetzte vorhanden sind. Es dürfte vielleicht für Sie interessant sein zu hören, daß auch Amerikaner, die deutsche Fabriken besuchsweise gesehen haben, von Deutschland behauptet haben, daß dort zwischen Untergebenen und Vorgesetzten so ein harmonisches Verhältnis bestehe. Ich denke dabei besonders an Ausführungen, die mir der Direktor des großen modernen Werkes von A. 0 . Smith in Milwaukee gemacht hat. Er kam gerade von einer Studienreise durch das rheinische Industriegebiet zurück und war voll des Lobes über die ausgezeichnete Harmonie zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die er dort gesehen habe. In ähnlicher Weise berichtete mir der deutsche Leiter einer Dieselabteilung in einer Firma in St. Louis, der behauptete, er habe in den 12 Jahren seines Amerikaaufenthaltes noch nirgends ein so schönes Zusammenarbeiten aller Werksangehörigen gesehen, wie er es von Deutschland her gekannt habe. Ich führe diese Ausführungen hauptsächlich deshalb an, um darauf hinzuweisen, wie all die widersprechenden Urteile zustande kommen, die wir selbst auf dieser Tagung von den Leuten gehört haben, die zwei Jahre drüben als Arbeiter gearbeitet haben. Es ist ungeheuer schwer, ein absolut richtiges Bild von den tatsächlichen Verhältnissen in einem fremden Land zu zeichnen. Vor allen Dingen, wenn es sich um ein Land handelt, das schon die These vom „Satz und Gegensatz" als Hauptvolkstumsmerkmal verlebendigt. Die Ausbildung des amerikanischen Akademikers zur praktischen Berufsarbeit erfährt man am eigenen Leibe, wenn man als 60
junger Einwanderer von den Amerikanern zum Nutzen der Firma abgerichtet wird. Ich arbeitete zu Beginn als Arbeiter an mir ganz fremden Maschinen. Die Vorrichtungen und die Anleitungen durch den Meister, der sich aller Neulinge, und zu ihnen rechnen auch die Werkstudenten, sehr eingehend annimmt, waren so wirkungsvoll, daß ich nach einer Woche bereits begann, mit meiner Arbeit Bonus und Praemium zu erreichen. Der Werkstudent soll arbeiten lernen. Er wird, was Ausbildung und Bezahlung betrifft, grundsätzlich als Arbeiter behandelt. Man erwartet von ihm Leistung, und man hilft ihm durch Anleitung und durch Vertrauen, daß er imstande ist, durch seine Arbeit etwas zu produzieren, das für die Firma Wert hat. Ich halte diese Ausbildung zur Produktion von etwas, das sich, kraß gesprochen, verkaufen läßt, für eines der typischen Merkmale amerikanischer Schulung. Sie hat den Effekt, daß es dem jungen Ingenieur, der nach seinem Studium in die Praxis tritt, bereits in Fleisch und Blut übergegangen ist, sich nicht in weitschweifige Pläne zu verlieren, für die er gar nicht die Kraft hat, sondern zunächst einmal die nächstliegenden Aufgaben im kleinsten Rahmen ohne viel Zeitverlust durch Einarbeiten so zu lösen, wie es im Interesse der Firma liegt. Der junge amerikanische Ingenieur, der in die Praxis tritt, kann etwas. Er kann der Firma Geld verdienen. Und wenn er auch vielleicht nicht das theoretische Wissen hat, das sich ein guter deutscher Student an der Hochschule aneignen kann, so ist er ihm zunächst als Praktiker überlegen. Mit dieser Fähigkeit und diesem Drang zum Geldverdienen ist es aber wohl auch erklärlich, daß sich der Amerikaner in den produzierenden Abteilungen, also in der Werkstatt, durchaus zu Hause fühlt, während in den Versuchsabteilungen, in denen das Geldmachen erst an zweiter Stelle steht, gern deutsche Kräfte eingestellt werden. Aber diese Dinge führen bereits von der Schilderung persönlicher Eindrücke fort zur Kritik, zu Vergleichen mit deutschen Verhältnissen. Ich neige vielleicht schon zu sehr dazu, da ich nach vierjährigem Aufenthalt in Amerika bereits wieder ein volles Jahr in Deutschland bin. Ich muß es denen, die gerade von drüben kommen, überlassen, noch frischere und neuere Erlebnisse zu erzählen.
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Erlebnisskizzen.
Dr. S e i d e l , A u s t a u s c h s t u d e n t : Verschiedene Ausführungen erinnern mich an eine Anekdote, die mir einmal in Amerika erzählt wurde und die mir nicht ganz ohne Zusammenhang mit unserer heutigen Tagung zu sein scheint. Sie scheint mir charakteristisch zu sein für die Art und Weise, in der man sich hier in Deutschland über irgendwelche Probleme unterhält. Sie gibt nach meinem Empfinden einen tatsächlich vorhandenen Unterschied zwischen der amerikanischen und der deutschen Wesensart wieder. In der Anekdote heißt es nämlich, daß der Deutsche, wenn er an einer Wegkreuzung zwei Wegweiser findet, den einen mit der Aufschrift: „Zum Paradies" und den anderen mit der Aufschrift: „Vorlesungen über Sinn und Wert des Paradieses", bestimmt den zweiten Weg wählen werde. Ich persönlich ziehe den direkten Weg zum Paradiese vor und möchte deshalb keine gelehrte Vorlesung halten, sondern lediglich aus persönlichen Erlebnissen erzählen. E s wurde von einem der Herren Vorredner gesagt, daß man in Amerika keine Klassen kennt. Dem möchte ich widersprechen. Auch in Amerika klassifizieren sich bereits die einzelnen Schichten und sind nach außen erkennbar an der Automarke, die sie fahren, an der Zugehörigkeit zu gewissen Klubs und schließlich an den großen Stiftungen, die sie machen. Hat jemand einen Packard oder Cadillac, so ist er soviel tausend Dollar wert, hat er nur einen Ford ohne Boden für 25 Dollar, wie ich, so ist er dementsprechend weniger wert. Auch der Arbeiter, vor allem in den östlichen Staaten, den Kohlenbergwerken in Pennsylvanien, wo ich als Bergarbeiter arbeitete, wird in zunehmendem Maße klassenbewußt, und es gibt wohl nur noch sehr wenige, die an den kleinen Rockefeller im Tornister glauben. Dann möchte ich noch auf einen besonders typischen Zug im Wesen des amerikanischen Arbeiters zu sprechen kommen, nämlich den Sportsgeist. E r dominiert vor allem in der Arbeit, er kennzeichnet das Verhältnis in dem Betriebe. Diese sportliche Note wird auch bewußt vom Arbeitgeber gefördert, und den immer kameradschaftlich gehaltenen Anweisungen des Vorgesetzten gehorcht man genau so willig wie seinem Trainer. Kommt der Vor52
mann in der Fordfabrik zu einem Arbeiter und sagt: Du hast soundsoviel Stück in der und der Zeit hergestellt, Deine Kollegen stellen soundsoviel mehr her, hurry up, oder Du mußt raus! — dann regt sich der Sportsgeist beim Amerikaner, er strengt sich an. Schafft er es dann nicht, so verläßt er seine Stellung, er sieht in dieser Tatsache etwas Selbstverständliches und bewirbt sich eben um eine neue Stelle. Zeugnisse und Empfehlungen kennt man drüben nicht und legt auch keinen Wert darauf. Man bewirbt sich, fängt an zu arbeiten, kann man was und leistet das, was von einem erwartet wird, so bleibt man, kann man nichts, so ist man am nächsten Tage wieder draußen. Kündigungsfristen sind unbekannt. Diese Tatsache macht man sich aber oft zunutze. So hatte ich folgendes Erlebnis: Ich fuhr mit einem amerikanischen Studenten zur Farmarbeit. Der Farmer fragte uns, ob wir Traktoren fahren könnten. Ich antwortete: J a , da ich Traktoren schon oft gefahren habe, und mein Freund sagte frei weg, obgleich er keinen Schimmer hatte, ebenfalls ja. Als wir wieder draußen waren, fragte ich ihn, wie er behaupten könne, er könnte Traktoren fahren, er habe doch keine Ahnung! J a , paß mal auf, sagte er, ehe der merkt, daß ich nichts kann, vergehen drei Tage; drei Tage dauert es, bis er mich herausschmeißt, beim nächsten dauert es vielleicht 14 Tage, und so — habe ich meinen Kursus umsonst. Nun noch etwas zur Bandarbeit. Man täuscht sich, wenn man behauptet, daß bei dieser Arbeit das Produkt weniger gut sei. Dies beweist vor allen Dingen der Fordwagen, der ein ganz ausgezeichneter Wagen ist. Aber die Bandarbeit hat auf den Arbeiter einen sehr schlechten psychologischen Einfluß. Wenn z. B. ein Mann in einem Schlachthof Schweine mit einem großen Beil durch einen Schlag in zwei Teile teilt, so daß die eine Hälfte links und die andere rechts herunterfällt, und er immer diese Bewegung macht, so bekommt er nicht nur eine überentwickelte Oberarmmuskulatur, er bekommt auch ein ganz einseitiges Gehirn, er wird vollkommen stumpfsinnig. Ich habe das Gefühl, diese Leute veröden geistig. Wenn sich die Bandarbeit im großen Maße durchsetzt, so sehe ich darin die Gefahr, daß man ein kritikloses, niedriges Niveau der Arbeiterschaft erzieht. Es ist schon viel von der Prosperität in Amerika gesprochen worden. Ein Professor sagte einmal zu mir: „Unser Höhepunkt auf dem Inlandsmarkt ist bald erreicht, die Kaufkraft der Land53
Wirtschaft ist sehr stark geschwunden, der Landwirtschaft geht es schlecht. Wir müssen uns mehr auf den Auslandsmärkten betätigen. Wenn erst alle die vielen Millionen Chinesen einmal eine amerikanische Hose anziehen, so ist uns geholfen." Mit dieser kleinen Anekdote erhalten Sie gleichzeitig ein Bild, wie man in Amerika Probleme behandelt. Aber die drastische Art der Darstellung hat doch einen sehr ernsten Hintergrund: Der Kampf um den Osten ist das Entscheidende.
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Erziehungsprobleme in den Vereinigten Staaten von Amerika Vergleichende Betrachtungen mit Bezug auf Deutschland unter besonderer Berücksichtigung des zu erstrebenden Gleichgewichts zwischen charaktermäßiger und wissenschaftlicher Bildung.
Charakterbildung und staatsbürgerliche Erziehung durch die amerikanische Schule. Dr. G e i s l e r ,
Austauschstudent:
Ich fühle mich eigentlich in diesem so wirtschaftlich und technisch „geladenen" Kreise als Outsider — es kann aber und sollte auch niemand seinen Beruf verleugnen, und so lassen Sie mich denn zu dem uns hier gemeinsam interessierenden Problem vom Standpunkt des Pädagogen aus Stellung nehmen. Denn wenn immer wieder das andersartige Verhältnis von Mensch zu Mensch als E r gebnis unserer amerikanischen Erfahrungen in die Diskussion geworfen wurde und bei einem Vergleich unsere eigenen deutschen Verhältnisse nicht immer günstig abschnitten, so scheint mir der einzige sichere Weg, der Wandel und Besserung schaffen kann, in einer entsprechenden Erziehung zu liegen, die den deutschen Menschen in seinen Tiefen erfaßt, von Grund auf ändert und eine Persönlichkeitskultur resultieren läßt, wie sie die reibungslose Abwicklung aller Beziehungen innerhalb einer großen Lebensgemeinschaft — Volk und Staat — erfordert. Dabei möchte ich sogar in Überschreitung des programmmäßig gestellten Themas die Funktion und Rolle der Schule besonders betonen, weil es unmöglich erscheinen muß, Charaktererziehung auf der Universität fördern zu wollen, solange die Schule sie vorher versäumte. Denn wenn Charakterbildung überhaupt als Zielsetzung der Erziehung anerkannt wird, muß dazu auch die bildungsfähigste Periode genutzt werden, das heißt doch also die Zeit bis zum 20. Lebensjahr. Von dem jungen Menschen, der danach die Universität betritt, erwarten wir mit Recht bereits ein gewisses Gewordensein, eine charaktermäßige Abgeschlossenheit. Erziehung zur Persönlichkeit ist auch bei uns seit langem ein theoretisches Ideal. Das Schlagwort von der Harmonie aller seelischen, geistigen und körperlichen Kräfte und darum von der Notwendigkeit ihrer gleichmäßigen Weckung und Entwicklung durch Bildungseinflüsse ist oft genug gebraucht worden. Realisiert ist 57
dieses Ideal nicht. Wir kommen nicht von einer Tradition los, die einseitig das Intellektuelle wertet, so daß bis heute die Bildungsarbeit der höheren Schule noch immer ausgesprochen in der theoretisch-wissenschaftlichen Sphäre liegt. Da jedenfalls, in der Höhe der Geistigkeit, sind die Erfolge unbestreitbar und, soweit ich sehen kann, allen anderen Nationen und Schulsystemen überlegen. Und doch verzichtet man jenseits unserer Grenzen ziemlich bewußt auf Spitzenleistungen dieser Art. In der angelsächsischen Karikatur erscheint der deutsche Schüler und Student gern als ein unglückliches Wesen mit einem ungeheuren bebrillten Wasserkopf, an dem ein unscheinbares, hilfloses Körperchen baumelt. Das Bild ist häßlich, aber es liegt ihm doch die Erkenntnis zugrunde, daß wir die Akzente auf Kosten jenes gesunden Einklangs menschlicher Wesenheiten verschoben haben. Lassen Sie mich den Unterschied vielleicht so formulieren: das Produkt der deutschen Schule ist noch immer ziemlich ausgeprägt der Gelehrte, der aber nur in der Welt der Intellektualität frei ist, nicht in der des Handelns, überdies doch nur einen Typ, einen kleinen Ausschnitt innerhalb der Gesamtheit der Volksgemeinschaft darstellt ; — das Produkt der amerikanischen Schule dagegen ist der Staatsbürger und Gentleman, der den nationalen und humanen Voraussetzungen genügt, die an alle Berufe, einschließlich den des Gelehrten, gestellt werden, — ein Ziel, wie mir scheint, aufs innigste zu wünschen. Durch eine solche Zielsetzung wird nun wirklich der Rahmen geschaffen, in dem sich die Persönlichkeit auswirken kann. Wenn die Demokratie ihren tiefsten Sinn erfüllen soll, muß sie von der Wertung des Menschen als förderndes und doch zugleich dienendes Glied der Gemeinschaft ausgehen. Auch die höhere Schule und Bildung überhaupt darf dann nicht länger eine geistige Aristokratie hervorbringen wollen, die in bewußter Isolierung sich aus dem übrigen Volkskörper abhebt. Auch der Gelehrte muß seine höchste Aufgabe in dem Dienst an der Allgemeinheit erkennen, und Führerqualität darf nur soweit in Erscheinung treten, als sie die gegebenen Grenzen des Gemeinschaftswohles und -Interesses nicht überschreitet. Dazu aber bedarf es des persönliches Kontaktes mit allen sozialen Schichten und vor allem eines Vertrautseins mit der Wertsphäre und dem Rüstzeug auch der handwerksmäßigen Berufe. Arbeit 58
adelt: das ist das Motto, das die ganze amerikanische Lebensauffassung trägt, und zwar erscheint dabei die Arbeit jeglicher Art, da die Kompliziertheit unseres öffentlichen Lebens sowieso eine Arbeitsteilung nötig macht, in ihren verschiedenen Zweigen gleichgewertet, neben- und nicht untergeordnet. Um zu dieser inneren Haltung zu kommen, bedarf es einfach eines besonderen und neuen Arbeitserlebnisses, das von den amerikanischen höheren Schulen dadurch geschaffen wird, daß manuelle, gemütliche und körperliche Ausbildung ebenbürtig neben den akademischen Fächern im Lehrplan bedacht werden, weil Kopf, Hand, Herz und Körper zusammenwirken müssen, um dem einzelnen die soziale Zusammenschau zu vermitteln, die Leistungen, wo immer sie auftreten, wertet und in dem Mitbürger jeden Standes und Berufes nun auch den Mitarbeiter sieht, der mit uns selbst zum gleichen Ziele strebt: der Erhaltung und Steigerung der nationalen Kultur. Das ist im besten Sinne Erziehung zur Toleranz, das schafft jenes neue Verhältnis von Mensch zu Mensch, das ist Persönlichkeitskultur, die die Beziehungen des einzelnen zur Gesamtheit innerhalb der Demokratie befruchtend regelt. Diese Lösung auch für Deutschland herbeizuführen, trifft zunächst auf allergrößte Schwierigkeiten, weil sie einen entscheidenden Bruch mit unserem gesamten System bedeuten würde. Denn auch jene charaktermäßige und staatsbürgerliche Erziehung erfordert Zeit! Wir haben in unserer Schule aber noch immer keine im Lehrplan begründete Zeit zu erziehen. Die deutsche Schule ist ihrer ganzen Struktur nach in erster Linie eine Unterrichtsanstalt, in der wir ein wissenschaftliches „Pensum" zu vermitteln haben, ja das bloße Wort „Erziehungsanstalt" hat bei uns einen peinlichen Nebensinn, statt doch der höchste Titel zu sein, den eine Schule zu tragen bemüht sein müßte. Während der sechs Stunden, die der deutsche Schüler täglich in der Klasse ist, hat er Unterricht. Durch Unterricht aber wird der Intellekt gefördert. Durch Unterricht können Sie nicht erziehen, nicht Willen und Charakter bilden. Es wird das Gegenteil erreicht: um der Sache und des stofflichen Inhalts willen muß jeder Versuch eines spontanen Handelns des einzelnen ausgeschaltet, also doch der sich im freien Willen äußernde Charakter unterdrückt werden. Selbst wenn man ein besonderes Unterrichtsfach „Charakterkunde" einführen würde, müßte der Erfolg ausbleiben, weil die Belehrung über den Charakter, die theoretische Auseinandersetzung 59
mit seinen Problemen, wiederum nur dem Intellekt, nicht dem Willen zugute kommt: das Wissen um Gut und Böse schafft noch nicht das gute Handeln, — eine psychologische Grundeinsicht, aus der wir vielleicht nur noch nicht den Mut gehabt haben, die rechten Folgerungen zu ziehen. Wie begegnet die amerikanische Schule diesem fundamentalen Punkt ? — Auch „drüben" verbringen die Kinder sechs bis sieben Stunden täglich im Schulgebäude, aber nur etwa die Hälfte der Zeit ist regelrechtem Unterricht gewidmet. Es ist natürlich klar, daß dabei wissenschaftlich nicht dasselbe erreicht werden kann wie bei uns, und die geringe „Allgemeinbildung" des amerikanischen Abiturienten hat uns immer wieder Anlaß zu oft überheblicher Kritik an der Leistungsfähigkeit der amerikanischen Schule gegeben. Und doch handelt der Amerikaner hier nur aus Prinzip: denn es muß einsichtig erscheinen, daß es bei der Differenziertheit unserer geistigen Kultur nicht mehr möglich ist, in einem Bewußtsein die Gesamtheit unseres Bildungsgutes zu überschauen, aufzunehmen und zu verarbeiten. Hier muß auf Kosten der bei uns noch immer so hoch im Ansehen stehenden Allgemeinbildung, d.h.eines sachlichen Beschlagenseins auf den heterogensten Wissensgebieten, eine Arbeitsteilung und weise Beschränkung der Disziplinen eintreten, in denen der einzelne wirklich Tüchtiges zu leisten befähigt werden soll. Die amerikanische Schule trägt dem, zumal auf der Oberstufe, durch eine bereits weitgehende Spezialisierung Rechnung. Aus den deutschen Pflichtfächern werden Wahlfächer. Gleichwohl wird durch die intensive Beschäftigung mit nur einer Fachgruppe soviel intellektuelle, logische und methodische Schulung vermittelt, daß es jederzeit ohne Schwierigkeit möglich ist, sich später auch in eine neue Materie einzuarbeiten, wenn Beruf und Leben es erfordern. Darauf aber kommt es doch an! — Das amerikanische System erzieht darum keineswegs zur „Fachidiotie", ja, ich habe in den Staaten unbedingt weniger Freude und Bereitwilligkeit zur „Fachsimpelei" gefunden, als bei uns, weil doch schließlich selbst der Spezialist zugleich Philosoph sein, d. h. Stellung zu dem Problem des Ganzen nehmen kann, zu dem er den Zugang stets auch von seinem Sondergebiet her findet. Denn die organische Einheit der Bildung wird letzten Endes nicht durch die Fülle und Verschiedenartigkeit des Einzelwissens, sondern durch Temperament und Willen des Individuums, also wiederum durch die Persönlich60
keit, bedingt. — So wird auch von dieser Seite her die Notwendigkeit einer Erziehung zur Persönlichkeit begründet. Ich übersehe keineswegs, daß unsere neue Schulreform einen entschiedenen Schritt in dieser Richtung gegangen ist, ja selbst den Grundsatz der allgemeinen Bildung bereits durchbrochen hat. Wenn wir uns daraufhin aber die Lehrpläne im einzelnen ansehen, so müssen wir doch wieder feststellen, daß sie die ersehnte stoffliche Entlastung für die Oberstufe nicht gebracht haben, da schnell wieder an vertikaler Vertiefung hinzugesetzt wurde, was an horizontaler Ausdehnung abgestrichen worden war. Zeit für Gefühlsund Willensbildung ist abermals nicht gewonnen, obwohl die löbliche Absicht vorgelegen hatte. Ein geradezu groteskes Beispiel zur Illustration, das gar nicht kennzeichnend genug für die deutsche Mentalität sein kann: um die künstlerische Erziehung, die doch schöpferische seelische Kräfte freimachen soll, mehr als bisher zu betonen, wollte man den Fächern Musik und Zeichnen eine stundenmäßige Verstärkung im Lehrplan anerkennen: Wie aber sucht man das Ziel zu erreichen? Indem man neben der schon immer bestehenden Chorstunde — Musiktheorie neben dem Zeichnen — Kunstgeschichte einführt, — also doch wieder eine Wissenschaft mit Abstraktionen, Klassifikationen, Analysen bietet, die den Verstand entwickeln, statt die Klasse wirklich zu einem gemeinsamen Kunsterlebnis zu bringen. Wir wissen doch aber seit Kant, daß man eine tiefgründige Ästethik schreiben kann, ohne ein von der Kunst innerlich berührter Mensch zu sein! Um Gefühl und Geschmack zu bilden, muß man die jungen Menschen sich an Tönen und Farben sattrinken lassen! Beides t u t der Amerikaner in seinen sogenannten „appreciation lessons", wo ganz schlicht durch künstlerische Darbietungen, etwa das Vorlesen (nicht analytische Besprechen) einer Novelle oder durch einen Museumsbesuch jenes persönliche (nicht theoretische) Verhältnis zur Kunst geschaffen wird. Der bewußte Verzicht auf alle Stoffüberladenheit geht sogar so weit, daß der amerikanische Schüler lehrplanmäßig seine „leisure period", seine Mußestunde, hat, durch die er zum würdigen Gebrauch seiner Freiheit erzogen wird. Das mag vielen deutschen Lehrern ein Unerhörtes sein, die wir im Unterricht oft mit jeder Minute geizen und sie für verloren halten, solange die Klasse nicht ein Stück Pensum darin abgetragen hat. Und doch müssen wir zugeben, daß die Mußezeit in unserem Leben eine ganz fundamen61
tale Rolle spielt und ihre Verwertung ein wichtiges Kriterium für die Bildungshöhe des einzelnen wie der Nation darstellt — darum auch Objekt der Schule sein muß, wenn es uns wirklich auf eine die Gesamtpersönlichkeit erfassende Förderung ankommt. Die eigentliche Willens- und Charakterschulung vollzieht sich nun im Rahmen der ,,extra-curricular-activities", der außerlehrplanmäßigen Betätigungen, wobei der Akzent auf „activities", den Betätigungen, ruht. Hier werden wirkliche Lebenssituationen geschaffen, die eine volle Entfaltung der Persönlichkeit ermöglichen und vor allem dem Willen Gelegenheit geben, Entscheidungen zu treffen, um damit dem Charakter einen „Test" zu setzen. „Learning by doing" ist das Motto der amerikanischen Schule, und so hat sie einfach Einrichtungen getroffen, in denen solche Handlungen, die den Willen bilden, geübt werden. Denn „learning b y doing" heißt doch eben, Handlungen durch Übung zur Gewohnheit werden lassen, bis man unbewußt, also gerade unter Ausschaltung des Intellekts, bei gleichem, gegebenem Motiv die gleiche Wirkung und Leistung erzielt. Hier herrschen nur dieselben psychologischen Gesetze, wie für alles körperliche und geistige Training. Das heißt, wenn Sie höfliche, ehrliche, hilfsbereite Menschen haben wollen, müssen Sie ihnen Gelegenheit geben, höflich, ehrlich, hilfsbereit zu sein, und zwar so oft Handlungen der Höflichkeit, Ehrlichkeit und Hilfsbereitschaft vollführen lassen, daß sie die Gewohnheit solchen Handelns für alle Zeit auch in ihr späteres Leben mit hinüberretten. Lassen Sie mich Ihnen ein ganz kleines Beispiel geben: Wenn bei uns eine Klassenarbeit geschrieben wird, hat der Lehrer, die bitteren Folgen etwaiger Täuschungen einschärfend, die Bankreihen fest im Auge. Unter diesen Umständen ist das Ehrlichsein überhaupt keine freiwillige Leistung mehr. Die guten Kräfte der Klasse können sich gar nicht regen! Der eigene Wille zur Ehrlichkeit wird nicht entfacht, sondern erstickt. Unter der Aufsicht des Lehrers kann auch der Willensschwache und Charakterlose den Anforderungen der Schulsittlichkeit genügen. Die einzige Leistung würde tatsächlich darin liegen, unehrlich zu sein, und das mag erklären, daß der Vorwurf der Unehrlichkeit für den deutschen Schüler auch im allgemeinen nicht ehrenrührig ist, und daß wir uns selbst bis ins Alter hinein eigener Schulsünden dieser Art mit einem gewissen Schmunzeln der Genugtuung entsinnen. I n Amerika verläßt der Lehrer, nachdem er die Aufgabe gestellt hat, die Klasse. Damit ist mit einem Schlage die psychologische 62
Situation vollkommen verändert. Denn jetzt liegt die Leistung, die zu vollbringen ist, im Ehrlichsein. Jetzt treten die Willensäußerungen in freien Wettbewerb, und da lassen es sich die guten Elemente der Klasse von sich aus nicht mehr gefallen, daß sich „Kameraden", die daneben den Namen nicht länger verdienen, auf betrügerische Weise günstige Resultate verschaffen. Mir ist als unvergeßliches Erlebnis, obwohl es mich eigentlich tief beschämen müßte, im Gedächtnis, wie ich selbst einmal in einer New Yorker Schule, in der ich eine Oberstufenklasse führte, die Macht dieses „Honour System" zu spüren bekommen habe: Noch zu sehr an deutsche Verhältnisse gewöhnt, konnte ich mich bei der Rückgabe eines Aufsatzes nicht enthalten, auf gewisse Analogien zweier Hefte anzuspielen: Ich habe noch nie eine so ehrliche Empörung mir entgegenklingen hören, wie bei dieser Gelegenheit! Von dem Augenblick an ist mir einfach die Fühlung und Führung der Klasse entglitten, und ich habe Wochen gebraucht, bis ich einigermaßen meinen Schritt gutgemacht und das frühere Vertrauensverhältnis wiederhergestellt hatte! Das ist aber doch positive Erziehung zum Charakter wie sie durch das ganze amerikanische System hindurchgeht, statt einer negativen Verbotstafelmethode! Denn es liegt ein Unterschied darin, ob man das Böse verbietet oder Anreize stellt, das Gute zu wollen! Erst im letzteren Falle wird dem Willen ein würdiges Ziel gesetzt. Ich müßte Ihnen weiterhin all die Einrichtungen vorführen, die die amerikanische Schule besitzt, um die übrigen gesellschaftlichen und staatsbürgerlichen Fähigkeiten zu entwickeln. Ich nenne nur den Sport, die Klubs, das Shop-System, den Lunchroom, die Schulbälle und vor allem das ganze Gebiet der Schülerselbstverwaltung mit ihren mannigfachen organisatorischen Funktionen, die wirklich ein Spiegelbild des großen öffentlichen Lebens darstellen. Hier zeigt sich, wie das Ideal der Demokratie auch der Schule ihre Bildungsarbeit zuweist, so daß nun auch der Unterricht selbst wieder seinen Inhalt und sein Arbeitsgebiet von dieser zentralen Idee her empfängt. Der kleine Schulstaat läßt die jungen Menschen an einem praktischen Beispiel an ihrer eigenen Person erleben, wie gegenseitige Hilfe und gemeinsame Arbeit wundervollen Fortschritt des Einzelnen wie des Ganzen verbürgt. Der Erfolg solcher Erziehung liegt vor allem darin, daß die Verantwortung, oder doch das Gefühl, sie zu tragen, den Schülern selbst in die Hände gespielt wird. Das aber hebt ihre Freude am 63
Gelingen, ihre Sicherheit und ihre Initiative. Das Bewußtsein, eine Rolle zu spielen und sich nützlich zu machen, ist eine ungeheure Anfeuerung und führt zu dem frischen, arbeitswilligen Geist, der drüben so wohltuend berührt. Der amerikanische Schüler ist an dem Gedeihen seiner Schule als seines Werkes tatsächlich innerlichst interessiert, weil er weiß, daß es auf ihn selber dabei ankommt, daß sein Verhalten und seine Mitarbeit ganz wesentlich den Ruf der Anstalt bestimmt. Jeder Junge und jedes Mädel kann sich zu höchster Persönlichkeitsentfaltung bringen, um dann allerdings alle Kraft und alles Können wieder dem Dienste der Gemeinschaft zu opfern. Dadurch wird der einzelne auch wieder zum Träger des Gemeinschaftsgeistes, und gegenseitige Beeinflussung hebt durch das erzieherische Beispiel diese Gemeinschaft auf ein hohes sittliches Niveau. Von Seiten der Schule finden all die sich auf diese Weise offenbarenden Charakter- und Staatsbürgertugenden des Schülers ihren Niederschlag in der gesonderten Anerkennung und Bewertung auf dem Zeugnis, das eine ausführliche Liste ethischer und sozialer Eigenschaften enthält. So werden Fairness, Takt, Mitgefühl, Gerechtigkeitssinn, Wahrheitsliebe, Einordnung, Selbstvertrauen, Führertalent usw. aus der Haltung und Mitwirkung des einzelnen im Rahmen der Schulgemeinde beurteilt und bieten schon dadurch einen Anreiz zu ihrer gewissenhaften Erfüllung. Wir haben für alle diese verschiedenartigen Auswirkungen des Charakters und der Persönlichkeit nur das eine allgemeine Sammelbecken „Betragen", das darum auch blaß und bedeutungslos bleibt, ja nicht einmal einen Einfluß auf das Vorwärtskommen des Schülers auszuüben vermag. Es kann keinen schlagenderen Beweis für meine anfangs vertretene Auffassung geben als die Tatsache, die fast etwas Erschütterndes an sich hat, daß selbst ein notorischer Taugenichts in seinem Aufstieg durch die Klassen nicht gehindert werden kann, solange seine wissenschaftlichen Leistungen genügen, also wieder sein Intellekt ausreicht, den Lehrplan zu bewältigen. Hier scheint eine Revision notwendig. Zweifellos hat Amerika mit seiner Schule eine ganz gewaltige Leistung vollbracht. Es ließen sich noch viele Einzelheiten erwähnen, die zu der Persönlichkeitskultur, um die es uns hier im besonderen zu tun war, beigetragen haben. Da ist vor allem noch das fast einheitlich durchgeführte Prinzip der „Coeducation", der gemeinsamen Erziehung der Geschlechter, jenen humanen Zug in 64
die Erziehung tragend, der wiederum auf das Verhältnis von Mensch zu Mensch günstig zurückwirkt. Es konnte mir nur darauf ankommen, das Positive herauszustellen, das auch für unsere Entwicklung wegweisend sein kann. Seitdem wir wieder intensiv um die Neugestaltung unserer eigenen Erziehung ringen, um modernen Bedürfnissen zu genügen, müssen wir uns auch hellhörig für das Gute und Wertvolle zeigen, das jenseits unserer Grenzen sich Bahn bricht, und in der Assimilation dieses Neuen unter Wahrung der nationalen Struktur wird sich die Leistungsfähigkeit der deutschen Schule erweisen.
Charakterschulung und Leistungssteigerung. Diplomingenieur Schwabach, Amerikawerkstudent: Meine erste Arbeit in Amerika war eine Tätigkeit als Erdarbeiter, als sogenanntes sand-hog, Sandschwein, beim Bau des Hudsontunnels in New York, einem Bau von 4 km Länge unter Wasser im Werte von 40 Millionen Dollars, der in der Geschichte der Ingenieurwissenschaften immer ein rühmliches Blatt sein wird. Der Chefingenieur des Hudsontunnels, Clifford Holland, der am Tage des Durchschlags verstorben ist, war 36 Jahre alt, als ihm diese Aufgabe übertragen wurde. Er hatte seit seinem 20. Jahre, also seit 16 Jahren, in New York und in ganz Amerika Tunnel unter Wasser gebaut und war der beste Mann, den man für diese Aufgabe finden konnte. Clifford Holland kam zu uns jede Nacht in den Tunnel hinein, und die sand-hog, darunter viele bis 2 m große Neger, die bei 2*/2 Atmosphären Luftdruck diesen Tunnel vortrieben, waren voller Begeisterung für diesen Mann. Meine zweite Stellung war im Konstruktionsbüro der amerikanischen Firma McClellan and Junkersfeld. Wir bauten dort im wesentlichen die Cahokia-Station, ein Kraftwerk vom Ausmaße des Rummelsburger Werkes. Mein Chef, Ralph Atwater, war damals 32 Jahre alt. Ralph Atwater war mit 18 Jahren als Zimmermannsgehilfe auf den Bau gekommen. Er hatte seine Hochschulstudien in üblicher Weise absolviert und hatte versucht, während der Ferienzeit sich eine entsprechende Praxis zu erwerben. Mit 24 Jahren 5
Werkstudenten in Amerika.
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war er „Assistant-Ingenieur" beim Edison-Kraftwerk in New York. Mit 32 Jahren war er fähig, einen Bau von 300000 Kilowatt zu leiten. Ich habe unter ihm ein halbes J a h r gearbeitet und meine Tätigkeit damit begonnen, in dem Büro Blaupausen zusammenzuheften, eine sehr zweckmäßige Tätigkeit für einen jungen Diplomingenieur. Ich habe mich eingehend mit diesem Problem beschäftigt und ein neues System gefunden, wie man zweckmäßig diese Blaupausen so zusammenheftet, daß die Arbeit der Konstrukteure möglichst erleichtert wird. Das und andere Arbeiten haben der Firma genützt, und mein Gehalt wurde von 30 auf 35 Dollars die Woche gesteigert. Wenn ich Ihnen eine derartige Einzelarbeit hier mitteile, so geschieht das, weil ich sie für uns in Deutschland für ungemein beachtlich halte. Ich bin der Ansicht, daß ein erheblicher Teil unserer schwülstigen, unübersichtlichen und kostspieligen Verwaltung darauf zurückzuführen ist, daß diese an sich untergeordneten Arbeiten immer von derselben Gruppe von Menschen ausgeführt werden, die nichts anderes gelernt haben und die auch ihr ganzes Leben lang nichts anderes tun. Wir haben eine übergroße Zahl von unteren und mittleren Beamten, die ihr ganzes Leben mit nichts anderem als dem Ausfüllen völlig überflüssiger Formblätter beschäftigt werden. Wenn alle unsere jungen Akademiker sich mit solchen Arbeiten beschäftigen müßten, so würde mancher Verbesserungsvorschlag und manche Vereinfachung sich daraus ergeben, andererseits würden sie für ihr ganzes Leben gelernt haben, sich bei Erlaß einer Verfügung genau zu überlegen, welche Unsumme von rein mechanischer Arbeit dadurch verursacht wird und ob diese im rechten Verhältnis zu der erzielten Wirkung steht. Nach einem halben Jahre wurde ich nach St. Louis geschickt, wo das in unserem New Yorker Büro entworfene Kraftwerk gebaut wurde. Hier war John Turner mein Chef. Er war Konstruktionsingenieur und 26 Jahre alt. Ihm unterstanden 800 Leute, und eines Tages fragte ich ihn, wie es käme, daß er mit 26 Jahren eine so beachtliche Stellung einnehme. Die Antwort lautete: ,,Ich bin im Staate Montana aufgewachsen. Mit 16 Jahren ging ich nach Texas zum Bau eines großen Tunnels. Ich habe dort als waterboy gearbeitet, der das Trinkwasser besorgt, denn es wird auf den Bauten kein Bier getrunken, sondern Jungens laufen herum mit Trinkwasser für die Arbeiter. Ich habe dort 4 Monate gearbeitet während meiner Mittelschulferien. Mit 17 Jahren bin ich nach Mexico gegangen, etwa die gleiche Entfernung wie von Köln nach 66
Konstantinopel. Dort war ich rod-man, d. h. der Mann, der beim Nivellieren die Latte hält. Beim Vermessen eines Flusses ist der Führer der Vermessungsgruppe ertrunken, und da habe ich das Nivellement selbst zu Ende gebracht. Mit 18 Jahren bin ich als Trimmer nach England gefahren, und dann habe ich mein Hochschulstudium durchgemacht." Was ist das Ergebnis einer derartigen Erziehung ? Der Amerikaner bringt es fertig, Ingenieure mit 22—24 Jahren auf die Baustellen oder ins Büro zu stellen, die etwas können. Sie sind erstens körperlich durchgebildet. Es ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung, wenn der Ingenieur auf Hochbaustellen 50—100 Meter hoch auf den Eisenträgern in der Luft schwebt, wie er es von seinen Arbeitern verlangt, es bedeutet etwas, wenn er genau die Strapazen durchhält, die er von seinen Leuten verlangt. Dazu kommt ein theoretisches Wissen, das sich meist vor dem unsrigen durchaus nicht zu verstecken braucht, und ein praktisches Können, das dem unseren weit überlegen ist. So ausgebildete Ingenieure werden bereits in einem Alter mit verantwortlichen Aufgaben betraut, in dem wir gar nicht daran denken können. Ich habe den Eindruck, ohne hier ein Werturteil abgeben zu wollen über die amerikanische oder deutsche Erziehung, daß die Amerikaner ihre jungen Leute 10 Jahre früher in leitende Stellungen bringen, als das bei uns möglich ist. Daraus entstehen Folgerungen mannigfaltiger Art. Eine Folgerung ist die, daß in der ganzen amerikanischen Industrie die eigentlichen Leiter der Unternehmungen und die Führer vor allem der älteren Generation sich stärker im Hintergrund halten, mehr in beratender Stellung bleiben und immer wieder ihre jüngeren Leute in die eigentliche Arbeit vorschieben. Ich glaube, daß wir diesem Vorbilde nacheifern können. Seit einigen Jahren arbeite ich wieder in Deutschland und habe während meiner Tätigkeit im Bauwesen in Mitteldeutschland oft Gelegenheit, junge Ingenieure, die mit mir studiert haben, zu beobachten. Immer wieder mache ich die Feststellung, daß diese jungen Kollegen nicht die notwendige Personalautorität für ihre Stellung mitbringen, sondern sich stützen müssen auf die Autorität, die in ihrer Stellung begründet ist. Das ist ein ungesunder Zustand. Es dauert nicht lange, daß die Mitarbeiter wissen, wie dünn es um das Können ihres Vorgesetzten bestellt ist, und bald wissen auch die Arbeiter, daß es mit den praktischen Erfahrungen des Chefs nicht weit her ist. Welche unliebsamen Dinge daraus entstehen, darüber 5*
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haben wir uns heute morgen unterhalten. Wenn man die politische Entwicklung Deutschlands in den letzten 50 Jahren betrachtet, so scheint aus der Menge der Entwicklungslinien doch ein Merkmal besonders hervorzutreten: Die Flucht der Masse vor der Führung durch den Akademiker. H a t sich der erste Abschnitt dieser Bewegung mit der Bildung der großen Arbeiterparteien vollzogen, so stehen wir jetzt mit dem Wachsen der ausgesprochenen Mittelstandsparteien mitten in der zweiten großen Welle der Enttäuschung am Akademiker, der auch die alten Parteien durch die Aufstellung ihrer Kandidaten nach Berufsständen Rechnung tragen müssen. Welche Folgerungen ergeben sich aus den angeführten Tatsachen für unser akademisches Studium ? Es liegt mir fern, irgendwie das Riesenproblem der Studienreform auch nur streifen zu wollen. Es handelt sich bei der ganzen Frage auch in erster Linie gar nicht um Studienreform, sondern Erziehungsreform. Wir sind deshalb in der glücklichen Lage, Aufbau, Lehrstoff und Lehrsystem unserer Mittel- und Hochschulen unverändert lassen zu können oder wenigstens abwarten zu können, welche Abänderungen die weitere organische Entwicklung mit sich bringen wird. Die Frage ist vielmehr diese: Glaubt man im Ernst, in der heutigen Zeit mit ihrer Unmenge von Problemen rein sozialer Natur einen jungen Menschen von 26 Jahren in eine irgendwie leitende Stellung bringen zu können, wenn er nichts weiter mitbringt als 13 Jahre Volksschule und Gymnasium, 9—10 Semester Hochschule und ein gut bestandenes Examen? Es gehört schon ein erheblicher Mangel an Tatsachensinn dazu, diese Frage jetzt noch bejahen zu wollen. Aus ihrer Verneinung jedoch sind alle Schulund Studiumsreformbestrebungen hervorgegangen. Wenn man das Ringen und Streben nach der Werkschule, nach größerem Anteil der Anschauung am Unterricht, nach besserer praktischer Ausbildung betrachtet, so liegt doch überall die Erkenntnis zugrunde, daß es nicht genügt, Talente zu bilden, soweit überhaupt Anlagen vorhanden sind, sondern daß es von unendlich viel größerer Bedeutung ist, Charaktere zu entwickeln. Nun kann ich mich des Eindruckes nicht erwehren, daß man damit der Schule eine Aufgabe stellt, die ihr nicht zukommt und die sie nicht erfüllen kann. Zweifellos kann von ihr ein gut Teil Erziehungsarbeit geleistet werden, und ich denke daran, ein wie starker Zusammenhalt oft an der amerikanischen Schule und Hochschule gegen die Mogelei herrscht, die bei uns leider nur zu oft noch 68
zum guten Ton der Schule gehört. Weiter ist bemerkenswert das Streben nach Fairness, der starke Gerechtigkeits- und Wahrheitssinn, der stets, auch in den kleinsten Dingen, jedem Verdienst reine Anerkennung läßt. Soweit kann Schule und Hochschule an der Charakterbildung mitarbeiten. Wenn ich allen Bestrebungen folgen kann, die das Kind durch Spiel zur Arbeit bringen wollen, so habe ich doch die schwersten Bedenken dort, wo man die Arbeit zum Spiele machen will, wie es vielfach geschieht. Man trage den Sportsgeist, den Sinn für und das Streben nach der Leistung in die Arbeit hinein, aber man hüte sich, den Hang zum Tändeln und Spielen in der Arbeit zu unterstützen und die bei uns durch die systematische Arbeit großer Parteien und gewerkschaftlicher Organisationen geschaffene Einstellung zu stärken, daß das behördlich angeordnete Arbeitsmaß zum Aufstieg aus einer untergeordneten in eine gehobene Tätigkeit genüge. Den stärksten Eindruck hat auf mich in den Vereinigten Staaten immer wieder die große Zahl der jungen Menschen aller Berufe und Stellungen gemacht, die nach Erledigung ihrer Tagesarbeit in Abendschulen aller Art sich auf irgendeine gehobenere und besser bezahlte Tätigkeit vorbereiteten. Ich habe bei uns die Erfahrung machen müssen, daß besonders in unserer Arbeiterschaft diese Einstellung fehlt. Es ist bezeichnend, daß wir mit der Überschätzung der Bildungsmöglichkeit durch Schule und Hochschule so weit gehen, daß wir selbst nach dem Erkennen ihrer Grenzen und Mängel wiederum die Schule und Hochschule mit Aufgaben belasten wollen, die sie ihrer Natur nach nicht leisten kann. Wenn wir schon zu der Erkenntnis gelangen, daß unsere intellektuelle und wissenschaftliche Ausbildung ergänzt werden muß durch ein Erfassen und Begreifen der großen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Probleme unserer Zeit, mit anderen Worten durch Dinge, die sich nicht aus Büchern lernen und durch Spekulation ergründen lassen, sondern die erlebt und gefühlt werden müssen, so ziehe man auch die Folgerung, daß die Schule zur Vermittlung dieser Erfahrung überhaupt ungeeignet ist. Erst dann ist die Lösung des Problems praktisch in Angriff zu nehmen, und die Frage lautet jetzt einfach: „Wo ist die Zeit in einem an sich überlasteten Studium freizumachen, die für die praktische Ergänzung des theoretischen Studiums erforderlich i s t ? " Ich bin der Ansicht, daß wir den Begriff der Rationalisierung, der notwendig der immer wachsenden Vielgestaltigkeit der E n t 69
wicklung folgen mußte, endlich auch auf die Erziehungsarbeit anwenden müssen. Es ist unzweckmäßig und unrationell, daß die Schul- und Universitätszeit durch 4—5 verschiedene Ferien in einzelne Zeitabschnitte zerlegt wird. Die Ferien sind so zusammenzulegen, daß die beiden Schulsemester in die Zeit von Oktober bis Mai fallen, so daß 4 Monate im Sommer vom J u n i bis zum September frei werden während der Mittel- und Hochschulzeit, also etwa vom 16.—26. Jahre. I n diese Zeit hinein ist alles das zu legen, was zur Ergänzung des eigentlichen Studiums notwendig ist. Sei das in den ersten Jahren die Erlernung eines Handwerkes als Holz-, Eisen- oder Steinarbeiter, sei es Arbeit, um Geld zu verdienen zum eigenen Unterhalt und zum weiteren Studium, seien es Arbeitsund Studienreisen ins Ausland. Man bedenke, daß es der Wirtschaft fast unmöglich ist, für 6—8 Wochen derartige Kräfte einzustellen, während es für 4 Monate sehr gut möglich ist. Landwirtschaft., Baugewerbe und damit viele andere Industrien haben in dieser Zeit Hochkonjunktur, die Urlaubszeit erfordert Aushilfskräfte, also ein organisches Einfügen der heranwachsenden Generation in den Wirtschaftsprozeß ist gegeben. Es ist hier nicht der Ort, Einzelheiten auszuführen. Ich weiß, daß nach jedem derartigen Vorschlage die aufstehen, die aus heißem Herzen heraus heiligste Kulturgüter zu verteidigen zu müssen glauben. Ihnen sei nochmals wiederholt, es soll nichts geändert und abgestrichen, sondern es soll ergänzt werden. Als in der Studentenschaft seinerzeit die Vorschläge nach Schaffung einer „humanistischen F a k u l t ä t " erhoben wurden, hat man einmal die Menschen in humanistische und technische Menschen geschieden und dabei als humanistisch die bezeichnet, denen mehr am Suchen neuer Erkenntnis liegt, als technische Menschen aber im weitesten Sinne die aufgefaßt, denen es besonders an der Auswertung dieser Erkenntnisse zum Wohle der Menschheit gelegen ist. Jedes Volk braucht beide, aber jede Zeit hat auch ihre besonderen Aufgaben. Während es heute vielleicht für Amerika die vornehmste Aufgabe ist, seinen humanistischen Menschen überhaupt erst zu bilden, ist es für uns eine Notwendigkeit, in den nächsten Jahrzehnten den technischen Menschen stärker zu entwickeln. Wir haben ungeheure Kriegsverluste zu ersetzen, und wir haben eine Arbeiterschaft zu ernähren von 40 Millionen Menschen, deren Ansprüche an gesteigerte Lebenshaltung, so wünschenswert diese an sich ist, doch dem vorauseilen, was unsere geknebelte Wirtschaft leisten kann. 70
Und noch eines zum Schluß. E s geht auch hier um den Werkstudenten. Als auf dem Studententag in Erlangen 1921 dieses Wort geprägt wurde, das inzwischen als Fremdwort in viele Kultursprachen aufgenommen worden ist, da sagte einer unserer besten jungen Freunde dem Sinne n a c h : „Mit dem ,Werkstudenten' ist uns heute ein neuer Begriff geschenkt worden, der in der Entwicklung unseres Volkes von entscheidender Bedeutung sein kann. So groß auch die Bedenken nach mancher Richtung sein mögen, so bitte ich Sie doch um eines: Zerreden wir ihn n i c h t ! " Soviel man bisher über die Werkstudenten geredet hat, so hat man doch versäumt, ihm das einzige zu geben, was er zur Erfüllung seiner Aufgaben braucht: die Zeit. Geben Sie ihm die Zeit, diese 4 Monate im J a h r e zwischen den Semestern, u n d Sie werden ganze Menschen von den Hochschulen an die Arbeit schicken f ü r die großen Aufgaben, die unserem Volke in den nächsten Jahrzehnten gestellt sind.
Aus der Dankrede des Vorsitzenden zu den Ausführungen Geisler und Schwabach.
Geheimrat
Duisberg:
Wir sehen und hören mit Freude u n d Genugtuung, daß die Amerikawerkstudenten eine Reihe von starken Erlebnissen in Amerika empfangen haben. Wir können diesen Herren, die nach vollendetem Diplomingenieurexamen sich entschlossen haben, mit ihrer Hände Arbeit sich zwei J a h r e lang ihr Brot zu verdienen, obgleich manche von ihnen schon in Deutschland eine ansehnliche Stellung hatten, nicht genug danken, sie haben damit eine T a t vollbracht, die außerordentlich bedeutungsvoll ist. Sie haben sich dadurch ein moralisches Recht erworben, daß die deutschen Arbeitgeber alles, was in ihren K r ä f t e n steht, t u n , um jenen Werkstudenten in Deutschland zu Stellungen zu verhelfen, in denen sie ihre Erfahrungen befruchtend verwerten können. Das ist natürlich leichter gesagt als getan. Aber wir müssen uns die größte Mühe geben. Der Reichsverband der Deutschen Industrie h a t auf meine Veranlassung hin seit einiger Zeit eine besondere Stelle eingerichtet, 71
die diesen Vermittlungsdienst übernehmen soll. Wir wollen auch nicht vergessen, daß Auslandsjahre eine besonders harte Zeit bedeuten und wollen uns daran erinnern, daß wir früher in unserem Heere den Offizieren im harten Kolonialdienst ihre Dienstzeit bevorzugt in Rechnung gesetzt haben. So müssen wir auch die im Auslande als Werkstudent verbrachten Jahre doppelt zählen und dies bei der Anstellung zum Ausdruck bringen. Diese Gelegenheit möchte ich nicht vorübergehen lassen, ohne auch denjenigen unter den anwesenden Herren herzlichst zu danken, die sich im Reichstag für die Bewilligung von Mitteln für die Wirtschaftshilfe aus dem Reichsetat eingesetzt haben. Es sind dies die Herren Exzellenz Becker, Prälat Dr. Schreiber und Geheimrat Wieland.
Über die Berufsausbildung des Akademikers.
Diplomingenieur Massute,
Amerikawerkstudent:
Ein Rückblick auf meine eigene Entwicklung läßt mich die Mängel unseres Erziehungssystems folgendermaßen zusammenfassen : Erstens ist unsere Ausbildung weitgehend eine Funktion von Zeit und Geld geworden, und zum anderen fehlt eine genügende Betonung des Verantwortungsgefühls und der Persönlichkeit. Auf vier Jahre Volksschule folgen neun Jahre höhere Schule, die bereits bedeutende finanzielle Aufwendungen bedingen, weiter fünf Jahre teures Hochschulstudium und dann dank des Mangels an Erziehung zur selbständigen Persönlichkeit noch einige Jahre sogenannte Ausbildung, in den Staatslaufbahnen durch den Vorbereitungsdienst, im Wirtschaftsleben durch die in der Regel kärgliche Anfangsbezahlung gekennzeichnet. Mittelschule und Hochschule bieten zwar die Möglichkeit, sich hervorragend in die dargebotenen Stoffe einzuarbeiten, aber leider verlangen die Schlußprüfungen an den Hochschulen heute oft nicht viel mehr, als den Nachweis über die vollständige Lieferung der geforderten Belege. Bedauerlicherweise sind daher diejenigen, die ihr Studium so rasch wie möglich und mehr formal erledigen, allen denen gegen72
über zunächst weit im Vorteil, die vom kürzesten Wege abweichen, um ihr Wissen oder ihre Persönlichkeit über die Mindestforderungen hinaus zu vertiefen. Wenn man auf Grund der Versuchsergebnisse der Psychotechnik weiß, daß die höchste Leistungsfähigkeit des Menschen etwa im 28. Lebensjahr einsetzt, so sieht man, daß gerade diese Menschen unter dem bestehenden System erst dann in entsprechenden Stellungen ihre Schaffenskraft voll entfalten können, wenn schon einige ihrer besten Jahre hinter ihnen liegen. Das ist auf alle Fälle durchaus unwirtschaftlich. Weiterhin führen die mit der Ausbildung verbundenen hohen geldlichen Opfer im Zusammenwirken mit der scharfen gegenseitigen Abgrenzung der einzelnen Schichten jedes Berufes dazu, daß weiten Kreisen die Stellen überhaupt verschlossen sind, in denen wir auf Grund des abgeschlossenen Studiums unsere Laufbahn beginnen. Dazu kommt der große Mangel, daß uns Verantwortungsgefühl und Selbständigkeit nicht früh genug anerzogen werden. Auf mich hat es in Amerika einen tiefen Eindruck gemacht, daß man vierzehnjährige Pfadfinder zur Verkehrsregelung heranzog, wenn die Polizei nicht reichte. I n dieser Beziehung wäre es sehr zu begrüßen, wenn wir schon in frühen Jahren einmal auf uns selbst gestellt würden. Warum soll nicht ein Junge von 14, 15 Jahren, wo ihm ein starker Drang zu körperlicher Ausarbeitung innewohnt, einmal als Handarbeiter schaffend tätig sein, anstatt seine Ferienzeit mehr oder weniger zu vergeuden oder bestenfalls die überschäumende K r a f t durch sportliche Betätigung zu binden ? Damit wäre außerdem der mir sehr wesentlich erscheinende Vorteil verbunden, daß der junge Mensch bereits zu einer Zeit mit den Kreisen der Arbeiter in Berührung kommt, wo er allen Dingen noch unvoreingenommen gegenübersteht, während der junge Akademiker heute häufig nach beendetem Studium mit allerhand Vorurteilen belastet ins Leben tritt, ohne Gelegenheit genommen zu haben, die Psyche derer kennenzulernen, denen er nun Führer sein soll. Die praktische Arbeit wäre dann in geeigneter Weise bis zum Abschluß der Ausbildung fortzusetzen, so daß wirklich Menschen die Hochschule verlassen, die nicht nur einseitig verstandesmäßig vorgebildet sind, sondern auch menschlich von vornherein den Aufgaben gewachsen sind, die sie bei der heutigen Lage der Dinge erst nach einigen weiteren Jahren erfüllen können. 73
Die Notwendigkeit solcher Neuerungen wird vielleicht bestritten werden unter dem Hinweis, daß die Führer unseres Volkes ja alle ihre Vorbildung in der bestehenden Schule erhalten haben. Demgegenüber scheint doch die Tatsache, daß eine große Anzahl dieser Männer keine Musterschüler waren, darauf hinzudeuten, daß unsere Bildungsstätten in ihrem jetzigen Aufbau der Entfaltung der Persönlichkeit nicht genügend Raum bieten und eine Ergänzung unseres Bildungsideals in diesem Sinne ernstlich zu fordern ist.
Freie Bahn dem Tüchtigen.
A. K n o l l : Wir haben heute den Erziehungsfragen einen breiten Raum gewidmet, und wir haben uns besonders viel mit den Erziehungsfragen an unseren deutschen Hochschulen beschäftigt. Die Hochschule ist nun ohne Frage eine unserer wichtigsten Unterrichtsanstalten, aber sie ist immer nur ein Teil unseres gesamten Unterrichtswesens. Wenn man nun davon ausgeht, daß wir heute ganz allgemein nach Wegen suchen wollten, wie wir in unserem Volksleben die stärksten Köpfe an führende Stellen bringen können, darf man die Grundlage unseres gesamten Unterrichtswesens, unsere Volksschule, nicht außer acht lassen. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einmal auf den Pioniergeist zu sprechen kommen, mit dem wir uns an anderer Stelle beschäftigt haben. Wenn man diesem Pioniergeist neue Kräfte zuführen will, muß man z. B. noch viel mehr Aufstiegmöglichkeiten aus der Volksschule heraus schaffen. Wir können zwar hier nicht die deutsche Schulfrage lösen, aber ich möchte nicht daran vorbeigehen, diese Frage in den Kreis der Erwägungen zu ziehen. Denn wenn Sie einmal Gelegenheit haben werden, Stellung zu nehmen zum allgemeinen deutschen Schulwesen, könnten Sie ein großes Werk tun, gerade diese Frage von Grund auf anzupacken. Es müssen Einrichtungen geschaffen werden, deren Besuch nicht mehr von der mehr oder minder großen Wohlhabenheit der Eltern abhängig ist, die aber trotzdem den Weg zu den tieferen Quellen des Wissens erschließen, so daß alle wirklich Begabten die Möglichkeit zur Weiterbildung haben. Damit würde man dem 74
deutschen Kulturleben und der deutschen Wirtschaft einen außerordentlich großen Dienst erweisen. Die deutschen Gewerkschaften stehen auf dem Standpunkt, daß das Wort, das seinerzeit Herr von Bethmann-Hollweg sprach: „Freie Bahn dem Tüchtigen", heute noch nicht verwirklicht ist, daß aber unser aller Interesse eine Verwirklichung fordert. Ich möchte bitten, meine wenigen Ausführungen als eine Ergänzung, aber wie mir scheint als eine sehr notwendige Ergänzung der Aufgaben zu betrachten, die Sie sich für Ihre weitere Arbeit im Rahmen unseres Volkes stellen wollen. Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch eine ganz allgemeine Bemerkung machen. Die Arbeit der Wirtschaftshilfe der Deutschen Studentenschaft hat eine überaus erfreuliche Entwicklung genommen, und die interessanten Berichte der zurückgekehrten deutschen Werkstudenten werfen das beste Licht auf die erfolgreiche Arbeit in diesem jüngsten Zweig der studentischen Förderungsarbeit der Wirtschaftshilfe.
Give him a chancc! Dr. K a y s e r , A u s t a u s c h s t u d e n t : Die Eindrücke und Erfahrungen, die jeder einzelne von uns drüben sammeln konnte, stimmen sicherlich darin überein, daß amerikanische Lebensauffassung und Erziehungsmethoden ihr besonderes Merkmal in der starken Betonung der Vorbereitung für die Praxis, für das tägliche Leben haben. Ich glaube aber, daß wir auch aus dem amerikanischen absoluten Nützlichkeitsstandpunkt manches für unser deutsches Erziehungssystem lernen können. In Ergänzung zu dem, was soeben über die amerikanische Schulerziehung gesagt wurde, möchte ich kurz etwas über die Erziehung erwähnen, die die weitverbreitete Jugendorganisation der BoyScouts in Amerika leistet. Die Scouts-Erziehung spielt in den Vereinigten Staaten schon rein zahlenmäßig eine außerordentlich große Rolle, da sie von der Schule und Kirche planmäßig gefördert wird. Sie ist vor allem aber in ihrer ganzen Anlage kennzeichnend für Amerika in der bewußten Betonung der Erziehung zur praktischen Pflichterfüllung 75
innerhalb der Volksgemeinschaft, „citizenship", und der Vorbereitung für das Leben, „fitness for life". Es gehört zu den Pflichten des amerikanischen Scouts, daß er täglich eine „gute T a t " verrichtet, den „daily good t u r n " . Dieser Brauch wirkt auf die Jungens pädagogisch sehr stark. Sie müssen jede Woche beim Treffen ihrer Gruppe schriftlich oder mündlich berichten, was sie in den vergangenen Tagen zu tun Gelegenheit hatten, und bei der starken Ehrlichkeit der amerikanischen Jungens ist anzunehmen, daß sie nicht schwindeln. I m Gegenteil, die Jungens sind den ganzen Tag wie die Jagdhunde darauf aus, eine Gelegenheit für ihren „good t u r n " zu finden, und es entbrennt dann schließlich ein Wettstreit zwischen den einzelnen, bei dem die amerikanische Vorliebe für Rekordleistungen sich ebenfalls auswirken kann. Was als „gute T a t " gebucht wird, ist oft nur Kleinigkeit, sei es das Aufstehen und Platzmachen in der Straßenbahn, das drüben keineswegsallgemeine Sitte ist, sei es die Hilfeleistung für irgendeinen Mitmenschen, der eine schwere Last zu tragen hat, sei es die freiwillig übernommene Rolle der Verkehrspolizei, die Unfälle verhüten will, sei es das Leisten erster Hilfe bei tatsächlich geschehenen Unfällen. Durch diesen Wetteifer werden von vornherein der Unternehmungsgeist und die Abenteuerlust des einzelnen Jungen angestachelt, was stärkere Wirksamkeit ausübt, als allgemeine Ermahnungen und theoretische Belehrungen. Wenn man selbst erlebt hat, mit welchem Eifer die Jungens nach Gelegenheiten suchen, sich nützlich zu erweisen und mit welchem Eifer sie erzählen, was sie dabei erlebt haben, dann spürt man, wie pädagogisch richtig dieser Anreiz zu selbständigem Handeln ist, welche Bedeutung in solchen scheinbar spielerischen Dingen liegt. Als Ergänzung zu dem, was wir bereits über die wissenschaftlichen Methoden und die Collegeerziehung in Amerika gehört haben, möchte ich noch eine Einrichtung erwähnen, die von der Universität Cincinnati ihren Ausgang genommen hat. Dort h a t Dean Schneider im Rahmen des „department of commerce and engineering" für die Studierenden die sogenannten „cooperative-courses" eingerichtet, deren Bedeutung gerade in diesem Kreise und im Rahmen der Dinge, die wir heute besprochen haben, nicht unterschätzt werden sollte. Der Sinn dieses cooperative-Systems ist der, daß jeder Student der „school of commerce and engineering" während des akademischen Jahres in regelmäßigem Wechsel 4 Wochen an der Universität studiert und 4 Wochen praktisch arbeitet. Der Unterschied dieser 76
Art von Werkstudententum von dem, was wir in Deutschland darunter verstehen, liegt vor allem darin, daß es planmäßig und regelmäßig geschieht und Teil der vorgesehenen Berufsausbildung ist. Der unverbindliche und mehr zufällige Charakter des deutschen Werkstudententums schließt das von vornherein aus. Wichtig ist vor allem die Wirkung auf die Berufsausbildung selber. Nach dem System von Dean Schneider ist der amerikanische Student, wenn er sein Abschlußexamen an der Universität gemacht hat, in der glücklichen Lage, auf eine ebenso lange Zeit praktischer Erfahrung zurücksehen zu können, wie seine theoretische Ausbildung betrug. Professor Lowrie vom „department of political science" in Cincinnati hat es unternommen, das cooperative System auch auf die staatswissenschaftliche Ausbildung zu übertragen. Die meisten nichttechnischen amerikanischen Studenten sind Werkstudenten im deutschen Sinne, d. h. sie ergreifen während der Ferien die Möglichkeit praktischer Arbeit, um sich Geld zu verdienen oder um mit dem Leben in unmittelbare Berührung zu kommen, aber ohne Zusammenhang mit dem Studium selber. Der neue Gedanke ist nun, auch für sie die praktische Arbeit als Teil der Berufsausbildung zu gestalten. Dies schien zunächst bei Staatswissenschaftlern, Volkswirtschaftlern und Juristen am leichtesten, da sie verwaltungsmäßige Berufe anstreben. So hat in Cincinnati die Universität mit der Stadtverwaltung probeweise eine Vereinbarung getroffen, nach der ihre staatswissenschaftlichen Studenten, ähnlich wie es bei den Technikern abwechselnd der Fall ist, abwechselnd 4 Wochen Universitätsunterricht und 4 Wochen praktische Verwaltungsarbeit im Gemeindedienst durchmachen können. Die bisherigen Versuche sind befriedigend verlaufen, und man hat nun ähnliche Vereinbarungen wie mit der Stadtverwaltung auch mit Handelskammern, Industrieverbänden, Gewerkschaften und Genossenschaften getroffen. Der Vorteil dieser Regelung ist, daß der staatswissenschaftliche Student, der durch diese Ausbildung hindurchgegangen ist, in seine erste Stellung nach dem Verlassen der Universität nicht nur das nötige theoretische Wissen, sondern auch die Erfahrung eigener organisatorischer Verantwortung mitbringt. Zum Schluß möchte ich noch eine allgemeine Bemerkung über das Verhältnis der alten und jungen Generation in Amerika anfügen. Bei uns in Deutschland ist es gerade in der letzten Zeit üblich geworden, der Jugend gelegentlich mit Redensarten über ihre Wichtigkeit zu schmeicheln, während man gleichzeitig auf77
strebenden jungen K r ä f t e n nur zu oft verständnislos gegenübersteht u n d geneigt ist, sie deswegen nicht ganz voll zu nehmen, weil sie noch zu jung seien. Man nimmt bei uns die Jugend häufig sehr „wichtig", aber im allgemeinen nicht „ e r n s t " genug. I n Amerika ist es genau umgekehrt. Dort ist die J u g e n d gar kein Problem u n d wird von niemandem wichtig genommen. Aber m a n nimmt die Leistung u n d den Tatdrang des einzelnen jungen Menschen außerordentlich ernst u n d gibt ihm auch die volle Gelegenheit, sich zu erproben u n d zu bewähren; was das Geheimnis der Aufstiegsmöglichkeiten des Arbeiters in Amerika ist, ist auch die Zauberformel f ü r die gleichberechtigte Anerkennung des jugendlichen Nachwuchses in Amerika, ich meine jenen Grundsatz, der das amerikanische Leben regiert und groß m a c h t : Give him a chance!
American spirit. Diplomingenieur Funke,
Amerikawerkstudent:
Wenn wir hier in unserem Kreise so zusammensitzen, sind n a t u r gemäß viele dabei, die noch nicht in Amerika waren. Und ich k a n n mir vorstellen, daß vieles von dem, was heute hier gesagt wurde, für ihre Ohren unwahrscheinlich u n d unverständlich klingt. Man kann dies den Herren nicht übelnehmen, denn das Verstehen Amerikas ist keine Frage des Wissens, sondern eine Frage des Erlebnisses. Das Erlebnis Amerika muß man aber mitgemacht haben, den „spirit" in diesem jugendlichen Amerika. An diesem „spirit" ist so vieles, was zur Auffrischung und Belebung unseres traditionsgehemmten Geistes dienen kann. Und diejenigen unter uns Werkstudenten, die etwas von jenem Geist behalten haben, den sie als Arbeiter in Amerika empfanden, werden nun, nachdem sie nach Deutschland zurückgekehrt sind, sicher Mitarbeiter sein, mit denen man keine schlechten Erfahrungen machen wird. Sie werden vielleicht manchmal über das Ziel hinausschießen u n d unter Umständen ihrem Arbeitgeber auf die Schulter klopfen u n d sagen: „Mensch, ich bin froh, bei Ihnen arbeiten zu k ö n n e n ! " Das wird sich aber wieder geben, sie lernen bald wieder die Hacken zusammenzuschlagen u n d den H u t abzunehmen. Derartige Dinge sind ja auch ganz unwesentlich und Äußerlichkeiten, die sich ausgleichen. E s erscheint mir aber vor allen Dingen wesentlich zu sein, daß m a n 78
nun den jungen Menschen, die mit großer Arbeitsintensität geladen zurückkommen, auch die Möglichkeit gibt, aufzubauen. Und in diesem Sinne möchte ich nochmals das W o r t aufgreifen, das der Schluß der Lebensphilosophie ist, die Amerika groß gemacht h a t : Give him a chance! Die nationale Erziehung in Amerika. Dr. S e i d e l ,
Austauschstudent:
Die nationale Erziehung spielt in Amerika eine große Rolle. Eine der auffälligsten Tatsachen f ü r uns Deutsche im amerikanischen Nationalleben ist die Verehrung der amerikanischen Flagge. Man kann direkt von einem Flaggenkult sprechen. Bei allen Veranstaltungen muß das Sternenbanner dabei sein. Das Aufziehen und Einholen der Flagge bei Vereins- u n d Klubveranstaltungen ist meistens eine besondere, feierliche Handlung. Wenn man amerikanischer Bürger werden will, erhält man ein Buch über die Verhaltungsmaßregeln in den Vereinigten Staaten. Darin sind mehrere Seiten der Fahne gewidmet, u n d diese Anordnungen müssen streng befolgt werden. Es heißt in diesen Anordnungen: Du hast die Fahne zu grüßen. Bei allen Veranstaltungen muß die Fahne da sein. Wenn sie verbraucht ist, muß sie verbrannt werden; dabei h a t man die H a n d an den Kopf zu legen. In der Schule befindet sich überall die Fahne, oft auf Seide gestickt. U n d jeden Morgen stehen die Kinder auf, legen die H a n d an den Kopf, grüßen die Flagge und singen die Nationalhymne. Es wird, wenn man bedenkt, daß das Land aus vielen Nationen zusammengewürfelt ist, durch diese Handlung das Volk zu einer Einheit zusammengeschweißt, an der wir uns ein Beispiel nehmen können. Auch bei Vergnügungsveranstaltungen h a t immer die amerikanische Flagge da zu sein. Ich möchte einiges über die militärische Ausbildung an den amerikanischen Universitäten sagen. An manchen Universitäten besteht ein Armeedienst mit Offiziersausbildung; die Teilnahme daran ist an einigen Universitäten sogar obligatorisch. F ü r gute Leistungen werden Auszeichnungen verteilt. Es werden richtige Manöver abgehalten mit Maschinengewehrübungen, Scharfschießen, Artilleriekämpfen usw. Dann einiges über die Einstellung des Amerikaners seinem Lande gegenüber. Was amerikanisch ist, bedeutet für den Amerikaner 79
immer das Beste in der Welt. Das geht so weit, daß wir darüber lächeln. Wir lächeln, wenn die Amerikaner sagen, sie hätten die größte Brücke der Welt. Aber es liegt darin ein, wenn auch übersteigerter, Nationalstolz. Man hört so oft, daß Deutsche durch irgendwelche Bemerkungen im Gespräch mit Ausländern ihr eigenes Vaterland herabsetzen. Das t u t der Amerikaner nie. Er würde, auch wenn er sich einiger Schwächen seines Landes bewußt ist, dies gegenüber dem Ausländer nicht äußern. Zum Schluß noch einiges über die politische Einstellung des Amerikaners. Bei einem Gespräch mit einem Universitätsprofessor über Politik sagte dieser, er sehe die Gegensätze in den beiden Auffassungen Deutschlands und Amerikas in Fragen der Politik folgendermaßen: In Amerika gäbe es sechzig verschiedene Religionen und zwei politische Parteien, in Deutschland zwei große Religionen und sechzig Parteien. Er ziehe aber das amerikanische Verhältnis vor. Lieber sechzig verschiedene Meinungen in Fragen der Religion, als in Fragen der Politik.
Das geistige Amerika. Dr. Selig, A u s t a u s c h s t u d e n t i n : Man könnte auf Grund des bisher Gehörten von einer gewissen Sorge bewegt sein, daß diese neuartigen Bildungsunternehmungen, wie der Amerika-Werkstudenten-Dienst und der Akademische Austauschdienst, in irgendeinem geringeren oder größeren Maße unser deutsches Bildungsgut, unser humanistisches Erbe, unser deutsches Universitäts-Ideal beeinträchtigen könnten. Ich glaube, ich spreche im Namen aller Amerikawerkstudenten, wenn ich sage, daß es uns nie und nimmer darauf ankommen kann, daran zu rühren. Die Tatsache, daß wir in Deutschland aufgewachsen sind in der Zeit einer internationalen Katastrophe, dem Krieg, in einer Zeit nationalen Unglücks, der Revolution, erklärt es, daß wir natürlich sehr stark daran interessiert sind, die geistige Vollendung deutschen Wesens in dieser doppelten Beziehung zu stärken. Was wir von Amerika lernen können, das ist das leichte Einspielen auf Menschen verschiedener Klassen und Stände, Menschen verschiedener Nationen. Ich glaube, daß Sie sehr verwundert wären, wenn 80
Sie uns begegnet wären in den Halls und Parks unserer amerikanischen Colleges. Sie würden gefunden haben, daß uns nichts so sehr bewegt hat wie die große Auseinandersetzung, der kritische Dialog zwischen deutschem und amerikanischem Bildungs- und Hochschulideal. Da wären Sie vielleicht erstaunt gewesen, daß wir gerade die Gegenpartie zu dem gespielt haben, was wir Ihnen hier einseitig zu vertreten scheinen. Immer wieder wurde herausgearbeitet, wie anders und wertvoll uns die deutsche Hochschulbildung erscheint, und den Redner, der Ihre Kritik besonders herauszufordern schien, sah ich noch im letzten J a h r in einem Seminar in New York gerade Ihren Standpunkt vertreten, wo Vertreter des Erziehungswesens von dreißig Nationen diese Probleme besprachen. Niemand war ein so fanatischer Vertreter des deutschen Hochschulideals als Dr. Geisler, den Sie hier über die Werte der amerikanischen Erziehung gehört haben. Daß so stark nur die positiven Werte zum Vorschein kamen, war in dem Thema der Tagung begründet, das ja den Wert dieser neuartigen Bildungsexperimente nachprüfen sollte. Es ist hier nicht möglich, das Ergänzende und das Vergleichende der beiden Bildungssysteme darzustellen. Ich würde es begrüßen, wenn einmal zu einer Tagung der Austauschstudenten die Werkstudenten zu Gast geladen würden und dann diese Darstellung viel stärker herauskäme und man sehen würde, wie diese Dinge sich ergänzen. Es würde dann ganz klar hervortreten, wie es hier nicht um eine Gefahr, sondern um einen Gewinn geht: Nicht um die Verkümmerung, sondern um die Vollendung der geistigen Gestalt des Deutschen. Ich muß leider aus Zeitmangel abgehen von meinem Plan, von Erfahrungen mit Land und Leuten im Hinblick auf das geistige Amerika zu sprechen, und möchte mich auf wenige Andeutungen beschränken: Wenn früher jemand von „geistigem Amerika" sprach, so wurde dieses Wort vom Europäer mit einem verächtlichen und vom Amerikaner mit einem zweifelnden Lächeln beantwortet. Das galt, wie ein amerikanischer Schriftsteller mit Recht sagt, ganz besonders von dem Amerikaner von Geist. — Diese Zeit ist vorbei. Das wird jeder zugeben, der die Geistesgeschichte der letzten fünfundzwanzig J a h r e Amerikas kennt, die den meisten von uns überhaupt nicht bekannt ist. Jene ältere Generation des intellektuellen Amerika mag sogar von einzelnen Zweiflern zu Verz weif lern geworden sein, aber sie ist auch von Menken bis Sinclair schon zur „Minorität" geworden. Der Aufstieg 6
Werkstudenten in Amerika.
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des Geistigen schreitet fort, sofern die Auseinandersetzung der zwei Mächte wächst, die wir um die Seele Amerikas ringen sehen: Der Kampf zwischen Geist und Geld, der jeden Tag erbitterter wird. Ich kenne und teile Ihre Argumente gegen das geistige Amerika. Ich erinnere nur an die Häßlichkeit des amerikanischen Städtebildes, an die konventionelle Geselligkeit, an die stereotypen Redensarten der Amerikaner, an die mangelnde Freiheit ihrer akademischen Bildungsmethoden, die Problemlosigkeit des amerikanischen Theaters und Kinos, die Verständnislosigkeit für klassische Musik, die Oberflächlichkeit ihres Denkens. Dies alles ist zuzugeben. Aber diese Dinge haben noch eine andere Seite: Greifen wir einmal die Oberflächlichkeit heraus. Ich habe viel davon drüben gefunden. Aber ich muß sagen, daß ich in ganz Amerika nicht so viel Oberflächlichkeit gefunden habe, wie in dem Urteil von Europäern über Amerika. Und wenn wir uns nach dem Positiven umschauen, so sehe ich im Vordergrunde die eine große Manifestation des geistigen Amerika, die in der Bildung des Menschen liegt, der uns heute immer wieder als der Kern des amerikanischen Rätsels erschienen ist. Resultat dieser Menschenbildung ist eben jene Intelligenz, die eine eigenartige Verbindung von Verstand und Sympathie darstellt. Daß die Diskussion des heutigen Tages immer wieder auf psychologische Tatsachen hinauslief, beweist, daß in der Tat hier der Kern des Problems liegt. Für mich ist das andersartige Verhältnis zwischen Arbeiter und Unternehmer nur ein Einzelfall, nur eine Ausdrucksform dieser Intelligenz und Bildung. Denn ich sehe dasselbe Verhältnis wiederkehrend zwischen Professoren und Studenten, zwischen Erwachsenen und Kindern, zwischen Mann und Frau. Diese Dinge sind meiner Ansicht nach auf diese tieferen Zusammenhänge zurückzuführen. Ich glaube, es gibt aber heute auch schon eine Reihe von Kundgebungen des geistigen Amerika, wo selbst viele gebildete Europäer noch eine absolute Kulturwüste in Amerika vermuten. Ich erinnere nur an die Architektur und Musik. Sehen Sie sich die jüngsten Bauten in New York an: Das Telephongebäude und das General Motors Building. Es ist dort in höchst interessanter und origineller Weise mit einem Minimum von Mitteln, — mit Proportionen und Flächenzuordnung, ein ungewöhnliches Maß ästhetischer Wirkung erzielt. Nehmen wir die Musik, die Volksmusik, in der man den Amerikanern gar nichts zutraut. Viele von uns haben die geistlichen Lieder gehört, die in jedem College, bei jedem Zusammen82
sein, auf jeder Konferenz gesungen werden. Sie sind Gemeingut des Volkes und von solcher Innigkeit, daß Herder sie sicher in seine Sammlung echtester Volkspoesie aufgenommen hätte. Die Einsicht in das geistige Amerika erscheint mir von einer grundlegenden Bedeutung für unser Verhalten gegenüber dem Amerikaner. Nichts wird ihn so sehr gewinnen, wie die Anerkennung seiner geistigen Bemühungen, der Glaube an seine geistige Potenz in diesem kulturhistorischen Sinne. Meiner Ansicht nach haben die Amerikastudenten hier eine große Aufgabe, eine Pflicht der Erwiderung an Amerika für das, was uns Amerika gegeben hat. Sie sollten die Avantgarde für eine neue Interpretation Amerikas werden, Pioniere in Europa für die Entdeckung des geistigen Amerika. Gerade in der jetzigen Zeit, wo der Ruf und die geistige Individualität Amerikas wieder so viel umstritten ist im Gefolge der Kriegsschulddebatte (in anderen Ländern spürt man dies viel stärker als in Deutschland), sollten die Deutschen, die sich immer dem Geistigen besonders verpflichtet fühlten, sich zum Wort melden. I n diesem Sinne könnte ich mir denken, daß unsere Erfahrungen in Amerika auch auf anderen Gebieten eine ganz neue Bedeutung gewinnen. Zum Schluß möchte ich nur noch einen ganz praktischen Vorschlag machen, und zwar in bezug auf den Amerika-WerkstudentenDienst. Ich würde eine außerordentliche Vervollkommnung darin sehen, wenn man beide Dinge, akademisches Studium in Amerika mit der Werkarbeit des Amerika Werkstudenten verbinden könnte, wodurch man die Ausbildung des amerikanischen Ingenieurs nebenbei mit erleben könnte. Ein bekannter Redner aus Chicago erzählte mir einmal, daß er prächtige deutsche Werkstudenten getroffen habe und nur bedauere, daß sie mit dem gebildeten Amerika so wenig Kontakt gewännen. Nun noch etwas. Wir haben in Deutschland eine neue Arbeit begonnen, nämlich die Sorge für die ausländischen Studenten. Die ausländischen Studenten sollen wissenschaftlich, geistig, gesellschaftlich miteinander und mit deutschen Studierenden in Verbindung gebracht werden. Ich würde es begrüßen, wenn Sie alle sich mit Ihren eigenen und Ihren Freundeskreisen diesem Wollen zur Verfügung stellen würden, so daß auch die ausländischen Studenten in einer Weise mit dem geistigen Deutschland in Berührung kämen, daß sie ihrerseits einer adäquateren Interpretation Deutschlands dienen könnten. 6*
Verlebendigung der Beziehungen zur Umwelt.
Referendar Mestern,
Austauschstudent:
Als ich in den Vereinigten Staaten studierte, h a t t e ich einen chinesischen Freund, von dem ich Ihnen als Einleitung zu meinen Ausführungen etwas erzählen möchte. Mr. Chang war als Student nach den Vereinigten Staaten gekommen. E r war Inhaber eines Stipendiums auf Grund des Boxer Indemnity-Abkommens, jenes Abkommens, durch das die Amerikaner die nach dem Abschluß des Boxeraufstandes von den Chinesen bezahlte Entschädigung für Stipendien zum Studium von Chinesen an amerikanischen Hochschulen zur Verfügung gestellt haben. Was aber bedeutete für Mr. Chang diese aus dem Gedanken der Völkerverständigung hervorgegangene Studienangelegenheit 1 Obwohl schon zwei J a h r e im gastfreundlichen Amerika, war er doch immer noch ein so Fremder und Einsamer wie am ersten Tage. E r schloß sich ab von jedem Umgang mit den Amerikanern, mied diese, wo immer er nur konnte, und beschränkte sich darauf, mit wildem Eifer die Wissenschaft zu verschlingen, die ihm an den amerikanischen Universitäten bereitwilligst geboten wurde. Der Grund f ü r diese Abkapselung von der Umgebung, der politisch begründet ist, interessiert hier weniger; wohl aber der Erfolg einer solchen Abschließung u n d eines solchen Einsiedlerdaseins. Wie konnte der in etwas anderem bestehen, als in einem im Laufe der Zeit sich immer mehr verschärfenden H a ß gegenüber der fremden, unbekannten Umwelt ? Bei seiner Einstellung gab es gar keine Brücke zu jener Welt, der er sich anderseits doch nicht entziehen konnte, da er doch in ihr lebte. Da war kein einziger Versuch zu einem Kennenlernen seiner Umgebung, das doch das einzige Mittel war, um dem ihm Fremden und Feindlichen näherzukommen. W a r u m erzähle ich Ihnen von diesem chinesischen Studenten ? Weil sein Schicksal uns allen etwas zu sagen hat. Weil die nämlichen Tatsachen u n d psychologischen Vorgänge, die in diesem Einzelfall den Frieden zwischen den Individuen u n d der Gesellschaft zerstörten, bei uns sich hunderttausendfach wiederholen u n d den Frieden zwischen unseren verschiedenen Volksschichten bedroht und zerstört haben. Genau dasselbe, was ich bei Unterredungen mit dem chinesischen Studenten immer wieder bemerken mußte, 84
wenn das Gespräch auf Amerika kam, ereignet sich, wenn man als Mensch aus den sogenannten „höheren" Schichten mit einem Arbeiter in einen Gedankenaustausch treten will. Oft tritt geradezu explosionsartig der ganze in Stunden der Not und des Kampfes aufgespeicherte Groll gegenüber den „Besseren" hervor, Groll, der sich fast immer nur bilden konnte, weil die betreffenden Menschen sich in vollkommener Unkenntnis über die Arbeits- und Lebensverhältnisse der „anderen" befanden. Der Klassenkampf mag wirtschaftlich begründet sein, aber er ist in seiner heutigen Schärfe undenkbar ohne den psychologischen Faktor der Unkenntnis von dem Sein und den Verhältnissen der anderen Klasse. In diesem Zusammenhang möchte ich denn das heute morgen angeschnittene Problem eines besseren Verhältnisses zwischen Leitung und Arbeitnehmer innerhalb der Betriebe erweitern und nur als einen Teil der allgemeineren Aufgabe auffassen, das Wissen und das Verständnis der einzelnen Volksschichten zueinander zu verbessern. Wie das zu machen ist, dafür kann uns Amerika zum Vorbild dienen. Wie leicht ist es z. B. dort, Bekanntschaften zu schließen, die einem die Kenntnis anderer Volksschichten vermitteln! Wie viele Bekanntschaften haben sich nicht anläßlich einer Eisenbahnfahrt entwickelt? Wer würde als Jurist in einem deutschen D-Zuge, sagen wir, auf der Strecke von Köln nach Frankfurt, von einem ostpreußischen Schuhmacher in sein Häuschen nach Königsberg eingeladen werden oder erhielte von einem einfachen Bauarbeiter die Aufforderung, einmal zu ihm zum Abendessen zu kommen ? Derartiges ereignet sich drüben ohne besondere Umstände. Nicht anders ist es mit der Anknüpfung von Gesprächen, aus denen man viel Wertvolles lernen kann. Man muß nur ein wenig aufgeschlossen sein und sich für die Angelegenheiten seiner Mitmenschen interessieren. Die morgendliche Fahrt zur Arbeit, alle Arten von Zeitvertreib, die der Erholung dienen, und nicht zuletzt die zwanglose Weise, in der sich Reich und Arm, Alt und J u n g auf der Landstraße mischen, vermehren den täglichen, nie unausgenutztgelassenen Kont a k t zwischen allen Schichten der Bevölkerung. Was kann man nicht alles anläßlich eines „trip" auf der Landstraße von seinen Mitmenschen hören und erfahren. Gleich den amerikanischen Studenten bin ich hinaus auf die Landstraße gegangen und habe von Bergarbeitern, Straßenbahnführern, Reisenden und Millionären gar vieles Fremde begreifen und verstehen gelernt. Solche Bekannt85
Schäften sind durchaus nicht immer mit dem Auseinandergehen beendet, sondern führen manchmal zu dauernden Anknüpfungen und Gedankenaustausch. Sehr erleichtert wird der Austausch zwischen den Menschen durch die freieren Formen des gesellschaftlichen Verkehrs. Da ist vor allem auch die englische Sprache zu erwähnen, die nicht wie bei uns noch ein besonderes Mittel kennt, um die Distanz zu betonen. Sie kennt nicht den Unterschied zwischen Sie und Du. Schließlich muß jedoch noch etwas weiteres hinzukommen, um die Zwanglosigkeit und die Leichtigkeit des Sich-Kennenlernens und des Gedankenaustausches zu ermöglichen. Dies ist die andersartige Einstellung des Amerikaners einem Unbekannten gegenüber, die von verschiedenen Amerikanern mir gegenüber auf die Formel gebracht wurde: während man in Deutschland jeden neuen Menschen erst mal mit Mißtrauen betrachtet und von ihm den vorherigen Nachweis seiner Unschuld und Brauchbarkeit verlangt, beginnt man in Amerika mit dem Vertrauen, nimmt einen neuen Menschen für seinen „face value" und gibt ihm eine „chance". Es liegt auf der Hand, wie dadurch nicht nur die Anknüpfung geschäftlicher Beziehungen, sondern auch das gelegentliche in-Beziehung-treten mit unseren Mitmenschen in anderen Lebenslagen sehr erleichtert wird. Noch eine andere Frage darf ich in diesem Zusammenhang berühren. Wenn wir anläßlich der heutigen Tagung versucht haben, Folgerungen und Richtlinien für zukünftiges Wirken aus unserer amerikanischen Arbeitserfahrung herauszulesen, so ist es wohl nicht müßig, auf die Erfahrungen bei ihrer praktischen Anwendung in Deutschland einen Seitenblick zu werfen. Seitdem ich im Januar wieder deutschen Boden betrat, habe ich versucht, auch hier in Deutschland den amerikanischen freien Ton in dem Verkehr von Mensch zu Mensch anzuwenden. Vielleicht haben auch andere, die den Versuch unternommen haben, die amerikanische Herzlichkeit und Ungezwungenheit in den Verkehr zwischen Unternehmer und Angestellten oder Arbeiter, zwischen Vorgesetzten und Untergebenen in den Behörden, zwischen Lehrer und Schüler in den Schulen und Hochschulen praktisch zu erproben, dabei erkannt, daß noch eine große Erziehungsarbeit zu leisten ist, um die heutigen verschrobenen und krampfartigen Verhältnisse wieder natürlich zu gestalten und hinter Titeln, Ämtern und Standesunterschieden den Menschen wieder hervorzuholen. Heute wirft vielleicht nichts ein erschütternderes Schlaglicht auf unsere liebeleeren, auf Kampf 86
eingestellten Verhältnisse, als die rührende Dankbarkeit, die einem entgegengebracht wird, sobald man z. B. als Amtsperson die bekannte Unnahbarkeit, Distanz und Überlegenheit aufgibt und hinter der Organisation auch wieder den Menschen herausschauen läßt. Ich erinnere mich da eines Falles, der mir vor kurzem beim Hamburger Arbeitsgericht widerfuhr. Ein sehr robuster und etwas aufgeregter, aber sonst herzensguter Bayer wollte seinen Arbeitgeber gleich „fünfmal verklagen". Da er im Tageslohn stand, hätte er bestenfalls seinen Prozeß gewonnen, aber auch bei der ersten Gelegenheit seine Stelle verloren. Wie so oft wollte der Mann gar nicht einen Prozeß gewinnen, sondern nur von dem ihm unerträglichen Gefühl, eine Ungerechtigkeit erlitten zu haben, befreit werden. Sobald sich dieses herausfühlen ließ, setzte ich mich mit dem Mann für eine Viertelstunde in eine ruhige Ecke, und wir besprachen die Sache als „Arbeitskollegen" durch. Und nach einer Viertelstunde, in der ich teilnehmend zuhörte und ihn beriet, war der Mann wie umgewandelt; voll Freude über die menschliche Behandlung drückte er mir die Hand, um dann wenige Minuten später (wohl ohne Wissen von der drinliegenden Beamtenbestechung) durch den Kastellan eine Zigarre hinauf schicken zu lassen. Damit war diese Arbeitsstreitigkeit erledigt. Wie viele Fälle werden ähnlich liegen? Diese Geschichte von dem Bayer zeigt aber auch noch etwas anderes. Sie zeigt, wie wichtig und wertvoll es für den Juristen und besonders den Arbeitsjuristen ist (zu denen ich auch die zu so wichtiger Tätigkeit berufenen Beamten in den Geschäftsstellen rechnen möchte), praktische Erfahrungen durch Werkarbeit erworben zu haben, denn diese ist es doch wohl in erster Linie, die ein verständnisvolles Eingehen auf die Schwierigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis erst ermöglicht. Jeder, der einmal versucht, die hier kurz skizzierten Wege zu gehen, wird sich sehr viel Freude und Befriedigung schaffen.
Ausbildungsförderung durch Auslandsaufenthalt. Geheimrat
Thieß:
Als akademischer Lehrer freue ich mich ganz außerordentlich über den großen Erfolg Ihrer Amerikareise, der allein schon an den heute gehörten Ausführungen erkennbar ist. Ich bin der Über87
zeugung, daß Auslandsreisen zu Studienzwecken, wie wir sie auch früher schon gehabt haben, in der Frühzeit unserer Industrie, wo unsere jungen Ingenieure hauptsächlich nach England gingen, eine absolut notwendige Ergänzung unserer Ausbildungsart sind. Heute richtet sich unser Blick mehr nach Nordamerika, weil wir mit dem dortigen Wirtschaftsleben enger verwachsen sind als mit den älteren Industrien in Europa. Der Trieb, den Ausbildungsgang im Auslande zu erweitern, war etwas eingeschlafen, als Ende des vorigen Jahrhunderts unsere Industrie in ihre starke Blütezeit eintrat. Damals war so viel Selbstbewußtsein in uns, daß wir glaubten, das Auslandsstudium als Teil unserer Ausbildung entbehren zu können. Das haben uns führende Ausländer oft übelgenommen. Mir wurde einmal gesagt, daß ohne weiteres anerkannt werde, was wir könnten, aber man empfinde es als Ausländer sehr unangenehm, daß dieses Selbstbewußtsein bei uns dem Auslande gegenüber so stark zur Schau getragen werde. Ich habe als Lehrer an der Handelshochschule, der Technischen Hochschule und der Universität, oft allerdings mit geringem Erfolge, meine Studenten aufgefordert, auch ins Ausland zu gehen. Ich freue mich, daß diese notwendige Ergänzung der Ausbildung durch das Auslandsstudium jetzt wieder so stark in Gang gekommen ist. An jeden, der längere Zeit im Ausland gewesen ist, tritt die Frage heran, ob er nun diesen oder jenen Punkt als Ergänzung heimischer Eigenart verarbeiten soll oder ob er sich gerade in diesem oder jenem Punkt völlig abwandeln soll nach fremden Mustern. Bei der Entscheidung in solchen Fragen darf man nicht vergessen, daß wir andere Aufgaben haben in der Weltgeschichte als beispielsweise Amerika. Wir haben andere Gaben, die wir im Wettkampf der Völker besonders stark einsetzen müssen, als die, die beispielsweise Amerika am stärksten in den Vordergrund stellen würde. Wir waren früher unter den Nationen gekennzeichnet durch das Wort „germania docet". Unsere besondere Art systematischer Ausbildung wurde als ein Vorteil betrachtet. Dies hatte sich besonders in den Uberseeländern gezeigt, wo unsere Leute mit Amerikanern, Engländern usw. in Konkurrenz traten. Nach der Art und Weise, wie sich die Repräsentanten der einzelnen Länder in Übersee durchgesetzt haben, bewerten die Überseer die verschiedenen Ausbildungsmöglichkeiten. Ich habe dies besonders in J a p a n erlebt. Dort besteht der Brauch, Studenten mit den besten Zensuren Auslandsstipendien zu erteilen. Wenn dann von diesen Stipendiaten 88
ein Drittel für Deutschland, ein Drittel für England und ein Drittel für Amerika bestimmt war, so war die Nachfrage nach den deutschen Stipendienstellen meistens am stärksten. Gerade in der Frage der Auslandsstipendien ist aber auch ein wunder Punkt. Diejenigen Studenten, die in Deutschland studierten, wurden besondere wissenschaftlich geschult. Sie wurden später akademische Lehrer oder waren in wissenschaftlichen Berufen tätig. Die in England ausgebildeten Stipendiaten traten sehr oft in die politische Karriere ein oder in die Verwaltung, wurden Leiter von Industriewerken usw. Amerika hatte einen großen Anteil von Menschen ausgebildet, die später als Journalisten tätig waren. Daraus ist es auch verständlich, daß die japanische Presse auch heute noch sehr stark amerikanisiert ist. Es wäre für uns vielleicht günstiger gewesen, wenn die führenden Leute für die japanische Wirtschaft und die japanische Verwaltung ihre Ausbildung in Deutschland erhalten hätten. Es ist allerdings einmal vorgekommen, daß die Mitglieder eines Ministeriums fast alle in Deutschland studiert hatten. Es war nach dem mandschurischen Kriege, und ich habe in jenem Ministerium von 1908 bis 1911 mitgearbeitet. Der deutsche Einfluß in der Wissenschaft wurde nur scheinbar zurückgedrängt durch den Weltkrieg. Wenn jetzt junge Studenten aus J a p a n kommen und mir Grüße von japanischen Kollegen bringen, dann höre ich, daß heute unter jenen, die jetzt an der Spitze von großen Industrieunternehmungen stehen oder in führenden Stellen in der Verwaltung oder in der Wissenschaft tätig sind, viele ihre Ausbildung in Deutschland erhalten haben. Ein unparteiisches Zeugnis für unsere Lehrmethoden liegt in der Tatsache, daß die japanischen Universitäten es während des Weltkrieges durchgesetzt haben, daß sie an Stelle der amerikanischen die deutsche Universitätsverfassung annehmen durften. Während des Krieges waren die Auslandsstipendien gesperrt. Nun hatten sich wieder Mittel angesammelt, und man wollte fünfmal soviel Studenten ins Ausland schicken. Daraufhin hielten an den verschiedenen Universitäten sowohl der englische als auch der amerikanische, besonders der französische Botschafter Reden über die Kultur- und Hochschulverhältnisse ihrer Länder. Bei einer Umfrage bei den auserwählten Studenten, wo sie studieren wollten, meldeten sich 90 % für Deutschland, wie mir ein früherer Unter richtsminister aus J a p a n erzählte. Sie wurden aber aus politischen und Bildungsgründen gleichmäßig auf die wichtigsten Länder ver89
teilt. Das große Erdbeben h a t dann bald diese Ausgaben wieder gedrosselt, aber es ist doch eine Anerkennung f ü r uns, daß der große Wunsch besteht, zum Studium nach Deutschland zu gehen. I n der schwierigen Einpassung in die veränderten Verhältnisse nach dem Kriege haben wir auf den von allen Industrienationen umworbenen Märkten Ostasiens von neuem eine Probe hinsichtlich der Leistungsfähigkeit unserer Ingenieure u n d Kaufleute bestanden. Die Angelsachsen triumphierten nämlich, weil sie durch ihren militärischen Sieg die deutsche Sprache zugunsten der englischen verdrängt hätten und dies auch f ü r ihren E x p o r t bedeutsam würde. Die selbstbewußt gewordenen Ostasiaten verlangten aber kühl, daß in ihrem Lande japanisch bzw. chinesisch gesprochen werde. D a f ü r h a t der Angelsachse wenig Sinn, wohl aber haben ihn die nun zurückkehrenden Deutschen bei dem ihnen innewohnenden Streben, fremden Kulturen näherzukommen. Als die Amerikaner nach dem Kriege versuchten, den freigewordenen P l a t z des niedergebrochenen Europa einzunehmen, mußten sie vielfach auf die Chinadeutschen zurückgreifen u n d sie in ihren Firmen als Vertreter anstellen, weil ihre eigenen Leute dort versagten. J e t z t haben sich diese Deutschen größtenteils schon wieder selbständig gemacht. Ich habe diese ganzen Ausführungen gemacht, u m an Beispielen zu zeigen, wie notwendig es mir erscheint, daß wir unsere akademischen Erziehungsmethoden dauernd an ausländischen Vorbildern kontrollieren u n d das Gute daraus herausziehen. Das heißt nicht, daß wir unser Eigenleben darangeben sollen, wenn wir einige von fremden Vorzügen uns aneignen u n d zur Auffrischung unserer Ausbildungsmethoden verwenden.
Vom Erleben Deutschlands im Ausland.
Dr. B e r g s t r ä s s e r : Ich habe in den Ausführungen der Werkstudenten u n d auch der Austauschstudenten etwas vermißt: nämlich das Erlebnis Deutschlands, vom fremden Lande aus gesehen. Mein eigenes Auslandserlebnis h a t von vornherein einen besonderen Charakter gehabt, und zwar gerade in dieser Richtung. Ich habe selber nicht das 90
Glück gehabt, nach Amerika gehen zu können. Ich bin aber in anderen, europäischen, Ländern gewesen und habe bei meinen Reisen im Ausland sehr stark empfunden, daß man von jenseits der Grenzen das eigene Land anders ansieht, daß man plötzlich seine Heimat in ihrem ganzen Reichtum, in ihren Fehlern und in ihrer Größe sieht. Es ist selbstverständlich, daß wir heute, wo die Amerikawerkstudenten aus Amerika zurückgekommen sind, zunächst einmal hören, welche Eindrücke sie von Amerika gehabt haben. Und auch ich möchte diese Schilderung nicht vermissen. Aber ich frage: Eine solche Tagung wie die heutige, so kurz sie ist, sollte sie nicht die Gedanken auch auf die andere Seite lenken: Was ist uns dort Deutschland gewesen ? Wie hat sich in der fremden Welt Deutschland gespiegelt und das bewährt, was wir aus Deutschland mitgebracht haben? Ich glaube, nicht darin fehlzugehen, daß es gerade dieses aus Deutschland Mitgebrachte, dieses Geistige gewesen ist, das es überhaupt möglich gemacht hat, uns heute so lebendige Schilderungen zu geben. Ich möchte fragen, ob nicht vielleicht doch einmal Einwendungen grundsätzlicher Natur zu machen sind gegen die Grundtendenz, die in beinahe allen Reden der Amerikastudenten zum Ausdruck gekommen ist. Man hatte so etwas das Gefühl einer Anzahl von Vorwürfen gegen bestimmte Seiten deutschen Lebens, die teilweise sogar in der Formulierung an manches erinnern, was man aus der Jugendbewegung und der Schulreformbewegung kennt. So etwas wie von Freiheit ist uns hier entgegengeklungen, und ich möchte doch, obwohl ich kein Pädagoge bin, sagen, daß manche heute zum Leitsatz erhobenen Gedankengänge keineswegs neu sind, sondern daß sie einer Bewegung zugehören, die schon einige Jahrzehnte lebendig ist, daß also hier Fragen angerührt wurden, die in unseren deutschen Erörterungen ziemlich tiefgründig und ziemlich weitgehend schon behandelt worden sind, und daß man dabei diejenigen Elemente unseres nationalen Lebens berührt hat, die meiner Ansicht nach die Wurzeln des deutschen Kulturlebens sind: Verlebendigung des Wissens, Verlebendigung der Erziehung. Hier möchte ich Sie bitten, mir volle Offenheit zu gestatten und an eine Erziehungsfrage heranzutreten, die Sie alle kennen und von der ich als junger Hochschullehrer sprechen möchte. Die deutsche Universität ist vielfach besser, als sie gemacht wird. Sie finden auch unter den stillen Gelehrten sehr häufig Menschen, die mit der Intensität ihrer Seele und mit der Ganzheit ihrer Person dem 91
nachgehen, was ihre Aufgabe ist. Sie finden aber an dieser Universität zugleich eine Institution akkreditiert, die eine Erziehungsaufgabe traditionell seit 100 Jahren übernimmt und die heute noch immer sich in einer Verfassung befindet, die dem Geist der von den Amerikawerkstudenten aufgestellten Forderungen direkt entgegengesetzt ist. Ich meine die studentischen Korporationen. Die Korporation ist von mir nicht irgendwie falsch angesehen. Ich habe sehr vielen Korporationsstudenten persönlich nahegestanden und habe zu viele erlebnisreiche Stunden in Korporationen verbracht, um den erzieherischen Wert dieser Einrichtungen zu verkennen. Ich weiß das alles. Aber daß in diese Korporationen etwas mehr von dem Wind hineinwehen möge, der heute hier geweht hat, wäre zu wünschen. Um nun noch zu einer anderen Sache zu kommen: Ich möchte mir erlauben, hier in diesem Kreise ein Erlebnis aus meinem Pariser Aufenthalt zu erzählen. Als ich in Paris war, ging ich abends nach einer mehrstündigen politischen Debatte, die zwischen einigen Dozenten und einigen Politikern geführt worden war, auf einem Boulevard spazieren. In dieser politischen Debatte hatte sich der ganze Glanz der französischen Rhetorik in ihrer Überlegenheit erwiesen, und man hatte den Eindruck, hier einem Kreise Menschen gegenüberzustehen, die in einer anderen Weise als die Amerikaner klassisch geschult waren und in ihrem geistigen Wesen eine geschlossene nationale Bildung vertraten. Es ist mir zunächst etwas traurig zumute gewesen, als ich dachte, daß in Deutschland diese Einheit im Denken und Fühlen noch nicht oder überhaupt nicht zu finden ist. Als ich eine Weile gegangen war, überfiel mich aber gewissermaßen die Freude daran, daß hier in Deutschland die Dinge nicht so hell, nicht so klar, nicht so verständlich sind wie in Frankreich, daß bei uns viel mehr Schlaf und Traum und viel mehr Möglichkeiten sind. Es handelt sich nur darum, daß die Nation lebt und denkt in einem nationalen Rhythmus, der aus ihrer geistigen Geschichte sich entwickelt hat, denn es sind ja nicht die kleinen Praktiken, die kleinen Dinge, an denen es sich entscheidet, sondern es sind die großen geistigen Formen und Kräfte. Wenn man sich bei der Bearbeitung von Erziehungsfragen, von Fragen des akademischen Unterrichts und des akademischen Studiums beschränkt auf die unmittelbaren psychologischen Reaktionen, die der einzelne junge Mensch aufnimmt, wie wir sie etwa lebendiger oder weniger lebendig gestalten können, so läßt sich dadurch sicher viel er92
reichen, aber das Entscheidende ist doch die Frage, wo denn die Wege zu den tiefsten K r ä f t e n , die eine Nation h a t u n d die diese Nation trägt, sind. Zu diesem Problem h a t ein englischer Politiker, der auch in der Geschichte unseres Volkes eine nicht unbedeutende Rolle spielt, gesagt: Wenn die Deutschen anfangen, etwas t u n zu wollen, so philosophieren sie darüber, und wenn sie das tun, dann kann man sicher sein, daß sie etwas zu t u n im Schilde führen. E r meinte damit die geistige Durchdringung eines Problems. Geist und Theorie sind nichts, wenn sie über den Wassern schweben, wenn sie nichts zu t u n haben mit der lebendigen Wirklichkeit. I n der nationalökonomischen Theorie gibt es eine Theorie des Kapitals, die sich die Theorie der Produktionsumwege nennt und die der Ansicht ist, daß das, was wir u m uns sehen — Leverkusen beispielsweise — niemals das wäre, was es heute ist, wenn nicht jähre-, jahrzehntelang Leute ohne jede Aussicht auf Erfolg angefangen hätten, chemisch-wissenschaftlich zu arbeiten. Ebenso wie es in der naturwissenschaftlichen Produktion solche Produktionsumwege gibt, ebenso gibt es im geistigen Leben der Nationen solche Produktionsumwege. U n d ein derartiger Produktionsumweg ist meines Erachtens die humanistische Erziehung, in der wir nicht einmal alleinstehen, wie man das an den englischen Colleges sehen kann. Das geistige Schicksal des Menschen wichtig zu nehmen, ist ein deutsches Erbteil, das auch f ü r die wirtschaftliche Z u k u n f t unseres Volkes von Bedeutung ist. Ich wollte Ihnen das nur vortragen, um etwas in die Debatte zu werfen, was dem Denken, das n u n von Amerika zu uns hineinströmt, etwas wie die deutsche geistige Fahne entgegenhält, damit umgekehrt dieses Umdenken uns nach der anderen Seite hin vielleicht zum Bewußtsein bringt, wie wir draußen Deutschland fühlten, nicht nur in seinen Schwächen, sondern auch in seinem W e r t !
Amerikanische und deutsche Kulturbilanz. Prälat
Schreiber:
Die heutigen Ausführungen der Amerikawerkstudenten haben in mir eine ganz eigenartige Stimmung ausgelöst. Sie wurde durch 93
die Ausführungen meiner akademischen Kollegen verstärkt und auch sachlich geteilt. Wir müssen uns nämlich davor hüten, die Ausführungen auf der Amerikawerkstudenten-Tagung nach Art eines Rembrandtbildes zu sehen, bei dem einseitig und ausschließlich nur das Sonnenhelle, das wundervolle Licht, der seelisch bewegte Strahl gesehen wird, während man die dunkel entwickelten Schattenkonturen übersieht. Da ergibt erst der Zusammenklang von Licht und Schatten die seelische Wirkung des Rembrandtbildes. Wir sollten also nicht vergessen, daß im amerikanischen Bilde auch Defizits, Verluste, dunkle Stellen vorhanden sind; daß andererseits Wesenheiten und Eigenarten des deutschen Volkstums nicht unterwertet werden dürfen, da sie köstliche Substanz unseres kulturellen Volksbesitzes bedeuten, der nirgendwo im Ausland kopiert werden kann, da gerade die deutsche Prägung und Fassung das spezifisch Originale ist. Das ist keine Überheblichkeit, keine einseitige ruhmredige Placierung von Deutschland, kein hohl empfundenes Germania docet. Diese dem deutschen Volkstum zugewandte Feststellung ist lediglich ein Blick auf die Völkerindividualität und Volkspersönlichkeit, deren starker symphonischer Zusammenklang den ewigen großen Rhythmus des AllgemeinMenschlichen ergibt. Nach diesen einleitenden Bemerkungen möchte ich zu dem Spezialthema unseres heutigen Nachmittags, zur Erziehungsfrage, bemerken, daß auch wir in Deutschland große reformpädagogische Wellen haben. Von ganz eigener Prägung, mit starken und seelisch bewegten Zielstellungen. Eine ansehnliche Literatur ist bereits entwickelt. Weniger bestimmt und einheitlich ist vorerst noch die Praxis. Ein weiteres noch. Auch die Forderung eines möglichst engen Kontaktes von Wissenschaft und Leben ist bei uns in Deutschland heute das Leitmotiv. Gewiß, es findet Hemmungen, aber das Tempo des Verständnisses wächst. Eine andere Feststellung. Man muß anerkennen, daß die amerikanischen Hochschulen bedeutende Leistungen in der organisatorischen Gestaltung des Hochschullebens und der Wissenschaftskultur aufzuweisen haben. Vor allen Dingen im Ausbau von Forschungsinstituten. Eine weite, langgezogene alpine Kette von über 500 Instituten. Natürlich kommt die einfache rechnerische Tatsache, daß sie über größere Geldmittel verfügen können, dem Umfang, dem Aufgabenkreis und der Intensität der wissenschaftlichen Arbeit zugute, auch ihrer Rationali94
sierung. H a t d e r d e u t s c h e I n d i v i d u a l i s m u s i n d e r A u f s t e l l u n g v o n W i s s e n s c h a f t s a u f g a b e n u n d im A u f b a u v o n W i s s e n s c h a f t s d i s z i p l i n e n sich o f t zu w e i t h e r z i g u n d o f t a l l z u p e r s ö n l i c h e n t w i c k e l t ? Zusammengefaßte K r a f t im Sinne einer geistigen Ökonomie der Kräfte wäre in der Entwicklung des 19. und 20. Jahrhunderts mehr zu wünschen gewesen. Erst zaghaft regt sich das Verständnis für eine Gesamtbetrachtung der deutschen Wissenschaftsarchitektur. Überdies stimmt uns die Betrachtung der amerikanischen Wissenschaftsentwicklung noch in einem anderen Punkte nachdenklich. In diesen auch soziologisch zu wertenden Instituten tritt die Union von Wirtschaft und Wissenschaft scharf und markant in Erscheinung. Sie bringt gewiß Abhängigkeiten mit sich, aber doch eine lebendige Zusammenfassung wahlverwandter Größen. So ist man in Amerika uns in dieser Synthese von Wirtschaft und Wissenschaft organisatorisch voraus, wenigstens in einiger Hinsicht. Allerdings liegen auch bei uns bedeutsame Ansätze für eine Neuorientierung vor. Schon um die Wende des Jahrhunderts traten diese neuen Beziehungen zutage. 1910/11 wurde die Kaiser-WilhelmGesellschaft gegründet, der bedeutendste Anschauungsunterricht dieser Verschwisterung von Forschung und Produktion. Sie läßt dem Gelehrten die Selbständigkeit und das Ethos. Aber sie bereichert gleichzeitig den wissenschaftlichen Problemkreis, aber auch die Ausstattung des Laboratoriums und die qualitative und quantitative des forscherischen Rohstoffs. Ein Wort auch noch über die geistige Kapitalbildung in Deutschland. An Finanzkapital sind wir schwach und engbrüstig geworden. Wir leben da etwas von der Hand in den Mund. Wir kämpfen mit Unsicherheiten der volkswirtschaftlichen und weltwirtschaftlichen Lage. Um so schärfer tritt die geistige Kapitalsubstanz hervor. Sie äußert sich nicht bloß in dem reich differenzierten deutschen Volksgemüt. Sie zeigt sich überdies in der unerschöpflichen Linie der Tradition deutscher und europäischer Entwicklung. Der deutsche Mensch hat die große gigantische Auseinandersetzung von Christentum, Germanentum und Antike immer wieder erlebt. Von Jahrhundert zu Jahrhundert. I n stets erneuten geistigen Abwandlungen. I n einer schier unerschöpflichen Folge. I n einem faustischen, schicksalsschweren Erleben unserer Nation. Tradition ist aber mehr als Patina und Museumskultur, wenn sie lebendig empfunden und besessen wird. Dann ist sie fortzeugendes Leben, bewegt 95
empfundene Gegenwart und Baustein in den Baurissen der Zukunft. Deutschland ist der Sachwalter, Hüter und Siegelbewahrer eines kostbaren Kulturerbes von Gotik und Barock, von Renaissance und Romantik. Ein Erbe, dem immer wieder Impulse, Gestaltungen und Neuschöpfungen entströmen sollen wie einer Wunderquelle und einem Heiltrank. Uber dieser deutschen Kultur liegt aber auch das nobile officium, diesen deutschen Besitz zu einem Welterbe zu machen und die Wege eines Neuhumanismus zu gehen, der sich lebenswirklich und, zugleich mit Goethe, sich allgemein menschlich empfindet.
Synthese.
Dr. S c h a i r e r : Wir stehen unter dem tiefen Eindruck dreier Reden von Männern des deutschen Hochschullebens. Ihr Herz hat sie dazu getrieben, gegenüber dem, was wir heute von unseren aus Amerika zurückkehrenden Freunden gehört haben, gegenüber dieser Hochschätzung der Wege der praktischen Erfahrung in Erziehung und Leben, uns das Bild des deutschen Geisteslebens mit allem seinem Glänze und der hinreißenden Macht des Absoluten aufzuzeichnen, so, wie es das Ziel der deutschen Wissenschaft ist. Wir alle sind tief bewegt von diesen Reden, und niemand wird daran zweifeln, daß im Kleide dieser Worte lebendige, tiefe Wahrheiten unter uns getreten sind. Sollen wir uns von der Macht dieser Worte dazu hinreißen lassen, das, was wir heute an Berichten und Erfahrungen aus dem Reiche der praktischen täglichen Lebenserfahrung, aus den Bezirken echter, lebendiger Menschlichkeit gehört haben, gering zu schätzen, weil es in schlichtem Kleide neben dem Glänze der Wissenschaft in den Schatten getreten ist ? Sollen Sie bei Ihrer Rückkehr aus Amerika sich entmutigen lassen, sollen Sie schwankend werden in Ihren Entschlüssen, die einen oder die anderen Ihrer Erfahrungen und Erlebnisse von der Neuen Welt in der Alten zu verwirklichen? Welch ein Glück, daß uns bei diesem Schwanken der genius loci zu Hilfe eilt, daß von den Wänden dieses Saales, aus den weiten, arbeitserfüllten Hallen, Laboratorien und Fabriken dieses Werkes 96
ein unwiderlegliches Zeugnis zu uns spricht für die Macht des Zusammenwirkens hoher Wissenschaft und menschlicher Lebenserfahrung. Welch ein Glück, daß heute der Mann unser Führer ist, der dieses Werk Leverkusen geschaffen hat. Unser Studentenvater, Geheimrat Duisberg, selbst wurzeltief verwachsen in den Urgründen deutschen Geistes, mit allen Fasern seines Wesens aber lebend und wirkend in der Welt der Tat. Es ist ferner ein gutes Vorzeichen, daß wir gerade in diesem Verwaltungsratssaale Leverkusens diese Fragen besprechen. Sonst sind diese Wände Zeugen der ernsten Beratungen erster deutscher Wirtschaftsführer der zweitgrößten Industriegesellschaft Deutschlands. Heute treffen sich hier Studenten, Jungakademiker, Professoren und Wirtschaftler, Industrielle und Gewerkschaftsführer. Wir beraten nicht nur Wirtschaftsfragen, wir gehen einen Schritt weiter zu den Grundlagen auch der Wirtschaft, zu den Fragen der Erziehung. Zum ersten Male in Deutschland trifft sich ein solcher Kreis an solchem Ort für diese Fragen. Welch große, verheißungsvolle Synthese des Ortes, des Personenkreises und der Probleme! Das aber ist heute zwischen uns die große und entscheidende Frage: Ist das, was wir heute von unseren aus Amerika zurückkommenden Freunden gehört haben, eine Macht, die unserem deutschen Geisteswesen fremd und feindlich gegenübersteht? R u f t in diesem Sinne der Amerikanismus uns zur Abwehr auf? Oder tritt auch hier wieder, wie in anderen Schicksalsfragen der letzten Jahrzehnte, an Deutschland der Schicksalsruf zur Synthese heran, zur Verschmelzung von Elementen, die durch äußere Umstände getrennt, in ihrer inneren Natur aber wesensverwandt sind? Schon Dr. Bergsträsser hat darauf hingewiesen, daß die Ziele unserer neueren Erziehungsreformer in vielen Punkten dem amerikanischen Erziehungswesen gleichen. Ich gehe noch einen Schritt weiter und behaupte, daß das Wesentliche im amerikanischen Erziehungssystem, seine Hochschätzung der praktischen Erfahrung, des Erlebnisses als Erziehungsfaktor, ureigenstes deutsches Geistesgut ist, von hier nach drüben verpflanzt. Als ich in Amerika vor drei Jahren die Verhandlungen führte für den Anfang des AmerikaWerkstudenten-Dienstes, habe ich immer wieder gefragt: Woher kommt bei euch diese Neigung, diese Leidenschaft für die Erziehung durch die Tat, durch die lebendige Erfahrung? Und alle haben mir geantwortet, daß die wichtigsten Anregungen und Befruchtungen auf diesem Gebiete von Deutschland nach den Ver7
Werkstudenten in Amerika.
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einigten Staaten gekommen seien. Drei deutsche Erzieher sind die Führer dieser Entwicklung: Pestalozzi, Fröbel und Fellenberg, die diese Lehren der Menschenbildung durch die Erfahrung, durch die Tat nach den Vereinigten Staaten brachten. Diese Lehren fanden nirgends einen fruchtbareren Boden als gerade in Amerika, während sie in Deutschland in der Hauptsache in hervorragenden literarischen Dokumenten enthalten sind. Das Eindrucksvollste dieser Dokumente sind die Ausführungen in Wilhelm Meisters Wanderjahren; er schildert in seiner Pädagogischen Provinz als das Ideal der Erziehung die Tatsache, daß junge Menschen zugleich mit der geistigen Ausbildung herangebildet werden in Handfertigkeit und in Handberufen. Er sah darin die wichtigste Verbindung zwischen geistigen Bildungsformen und der Welt der Tat. Goethe war überzeugt, daß nur aus dieser Synthese zwischen Geist und Tat, Erkenntnis und Erfahrung der deutsche Mensch zur vollen Entfaltung aller Kräfte kommen könne. Die Gefahr liegt nahe, daß unter dem Eindrucke der drei glanzvollen Reden über die deutsche Hochschulbildung und ihren Wert wir uns heute in dem Gefühl beruhigen würden, als ob alles in Ordnung wäre, als ob Deutschland durch seine höhere Bildung unbestritten noch immer an der Spitze der Welt stehe. Nichts wäre gefährlicher als das. Ich glaube, wir müssen ganz klar erkennen, daß in der Entwicklung der letzten Jahrzehnte in Deutschland dieses Stück, das die genannten geistigen Führer als notwendig erkannt haben, zu kurz gekommen ist, daß das Intellektuelle einseitig, auf Kosten der lebendigen Erfahrung, geschult wurde und daß es unsere Aufgabe ist, auf irgendwelchem Wege an der Besserung dieses Zustandes mitzuwirken. Solche Entscheidungen kommen nicht von selbst, indem man den Dingen ihren Lauf läßt; auch Amerika hat nicht immer auf diesem Boden gestanden, und ich mag vielleicht das Problem etwas zu oberflächlich sehen, wenn ich glaube, daß die Entscheidung in Amerika selbst gefallen ist, damals, als ein großer Mann, ein Führer, in die Geschichte der Vereinigten Staaten eintrat: Abraham Lincoln. Er ist selbst aufgewachsen als der Sohn eines Holzfällers im Urwald. Mit 18 Jahren verließ er zum ersten Male diesen Wald und kam in eine Stadt. Hier hatte er das entscheidende Erlebnis seiner Jugend. E r sah auf einem Sklavenmarkt zum erstenmal ein unfreies Wesen, eine junge Negerin, die nackt vor den Käufern hin- und hergetrieben wurde. Damals entfuhr seinem 98
Munde das trotzige W o r t : „Mein ganzes Leben ist verfehlt, wenn ich nicht dieser elenden Sklaverei ein Ende mache." Ein Wort im Munde eines armen Holzfällers — unmöglich! Aber mit der eisernen Entschlossenheit, die ihm eigen war, ließ er nicht nach, bis er sich selbst die Wege zur Bildung erschlossen hatte. Über die Hochschule stieg er in das Parlament auf und dann von Stufe zu Stufe, bis er endlich als Präsident der Vereinigten Staaten an der Stelle stand, von der aus er den Kampf um das Menschenrecht, um die Freiheit heraufbeschwören konnte. Dieser Kampf, von 1862 bis 1865 zwischen den amerikanischen Nord- und Südstaaten geführt, war von Einfluß auf die ganze Weltgeschichte. Er hat 300000 Tote gekostet und endete mit dem Siege Lincolns. Am Tage nach dem Siege wurde er ermordet, aber der Sieg über die Knechtung, der Sieg der Freiheit und der Würde des Menschen lebte weiter. Nichts ist in Amerika lebendiger als die Idee, für die dieser Mann gekämpft hat und gestorben ist. Ich habe fast kein Zimmer eines Unternehmers, eines Gewerkschaftsführers oder eines Professors betreten, in dem ich nicht dieses Bild Abraham Lincolns wie ein heiliges Symbol vorgefunden habe. Lincoln war der Mann, der Amerika diesen Stempel seines Wirkens und seines Wesens aufdrückte. Aber Lincoln konnte kaum orthographisch richtig schreiben. Nicht intellektuelle, hochgesteigerte Bildung des Verstandes hat ihn befähigt, dieses Werk durchzuführen, sondern die Reinheit seines Herzens und die Größe seiner Gedanken, geschult an den harten Tatsachen der täglichen Lebenserfahrung. Ich glaube, die Lage in der Welt gleicht in vielen Punkten der damaligen. Was wir unter dem Begriff der sozialen Frage kennen, verbunden mit dem Kampf der unterdrückten farbigen Völker um ihre Freiheit, erschüttert die Gegenwart der Geschichte und wird für die kommenden Jahrzehnte die großen Entscheidungen um das Sein oder Nichtsein unserer Kultur heraufführen. Große Entscheidungen in diesem Sinne können nur dann zugunsten des Weiterbestandes unserer westlichen Kultur ausfallen, wenn neben die Ausbildung des Intellektuellen tritt die wahre Geistesbildung, die Herzensbildung, die Erfahrung, geschult durch das tägliche Leben. Gerade wir in Deutschland sind in der Gefahr, durch Überspannung des intellektuellen Bildungsbegriffes bei der sogenannten gebildeten Schicht eine Entfernung und Entfremdung von den wirklichen Problemen des Lebens und zugleich von der großen handarbeitenden 7*
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Schicht unseres Volkes herbeizuführen. Vergessen Sie nicht, daß nicht nur in Amerika diese Dinge, die deutschen Ursprunges sind, lebendig wurden, auch in Rußland, wo diese Lehren über andere Verbindungsbrücken eingedrungen sind. Dort ist jeder Student verpflichtet, bei seinem Examen 18 Monate praktischer Handarbeit nachzuweisen. Auch dort wächst langsam eine junge Schicht heran zur verantwortlichen Führung des Volkes, die aufgewachsen ist in enger Verbindung mit den Problemen der Handarbeit, die in eigener Erfahrung teil hatte an den Aufgaben und Schwierigkeiten der werktätigen Volksgenossen und die nach der Überzeugung der großen Erzieher unseres Volkes dadurch instand gesetzt werden, unmittelbarer und mit größerer Vollmacht teilzunehmen an den kommenden großen Entscheidungen der nächsten Jahrzehnte. Ich erinnere mich eines Erlebnisses als junger Student: Auf einem großen Kongreß sprach einer der Führer Deutschlands aus der Vorkriegszeit, Friedrich Naumann. Er schilderte in hinreißenden Worten die volle Blütezeit des Aufstieges Deutschlands, er sprach davon, wie deutsche Waren, deutsche Schiffe in der ganzen Welt mehr und mehr die anderen Völker verdrängen und wie Deutschland durch seinen Handel und seine Industrie auf friedliche Weise die Welt erobere. Er stellte die Frage, was wohl der letzte, tiefste Grund dieses gewaltigen Fortschrittes sei, und er kam darauf, daß wiederum die deutschen Schulmeister sich anschicken, einen großen Sieg zu erringen, weil durch die außerordentlich intensive Schulbildung seit Generationen jeder Deutsche in seinem Gehirne ein paar Windungen mehr aufweise, als die Angehörigen anderer Völker. Wer mit offenen Augen in die Zukunft Deutschlands schaut, der muß zu der Überzeugung durchdringen, daß diese Tatsache des hochgesteigerten Intellektes, diese paar Gehirnwindungen mehr, in der Zukunft nicht genügen werden. Um bei dem gleichen Bilde zu bleiben, müßten neben die Gehirnwindungen hinzutreten neue Organe, neue Windungen im Herzen jedes Deutschen. Nur der gleiche Weg der Erziehung, in enger Verbindung mit der Welt der Erfahrung, kann uns in Deutschland auf diesem Gebiete weiterbringen. Dies ist die große Lehre, die nach meiner Überzeugung Amerika uns vorlebt. In einer solchen Forderung liegt keine Geringschätzung dessen, was die Einrichtungen der deutschen höheren Bildung den 100
jungen Schülern der Wissenschaft geben, aber erst, wenn es ergänzt wird durch diese praktische Erziehung, wird es selbst wiederum seinen vollen Wert und seine stärkste Wirksamkeit erlangen. Ich glaube, der heutige Tag sollte uns nicht aus diesem Saale scheiden sehen, ehe wir nicht, jeder sich und alle gemeinsam, uns die Frage vorgelegt haben: Was können wir tun, um auf diesem Gebiete von Amerika zu lernen und so zugleich alte deutsche Lebens- und Bildungsweisheit von der Theorie in die Wirklichkeit umzusetzen. Dies ist die Entscheidung, vor die uns das Erlebnis Amerika stellt.
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Schlußreden
Professor Heidebrock: Ich muß bekennen, daß der Verlauf der Diskussion heute früh mich nach verschiedenen Seiten mit etwas Sorge erfüllt hat, nämlich der Sorge, die sich nicht etwa darauf richtet, ob diese Probleme an sich nicht diskussionsreif sind, sondern darauf, wie diese ganze Diskussion auf unsere Werkstudenten zurückwirken wird. Ich habe ein klein wenig Sorge gehabt, wie unsere Amerikawerkstudenten, die mit einem gewissen Auftrieb geistiger Art von drüben zurückgekommen sind, nun gegenüber dieser Fülle der Problematik die Ruhe finden würden, das kleine Pflänzchen an Amerikageist noch zu einer wirklich lebenskräftigen Pflanze zu entwickeln. Ich glaube aber jetzt, daß wir wirklich keine Besorgnis in dieser Richtung zu haben brauchen. Wir stehen am Ende der heutigen Tagung, und da ist es mir ein ehrenvoller Auftrag, Herrn Geheimrat Duisberg im Namen der Gäste recht herzlich dafür zu danken, daß er uns allen Gelegenheit gegeben hat, dieser Tagung beizuwohnen. Wir alle werden viele Anregungen mitnehmen. Ich persönlich habe nur noch den Wunsch, daß noch viele andere unserer Kollegen Gelegenheit hätten, auch einmal einer solchen Tagung beizuwohnen. Die Zusammensetzung der heutigen Tagung aus Männern der Wirtschaft und der Hochschule, aus Regierungskreisen, aus jungen und alten Leuten, ist so selten in Deutschland, aber so glücklich und so fruchtbringend, daß wir alle den Wunsch haben, in irgendeiner Form etwas Ähnliches gelegentlich wieder zu erleben. Darüber hinaus haben wir den Wunsch, daß die Ergebnisse dieser Tagung auch im weitesten Umfange in irgendeiner Form denen zugänglich gemacht werden möchten, die aus irgendwelchen Gründen nicht in der Lage waren, an dieser Tagung teilzunehmen. Wir waren alle aufgeschlossen und dankbar, daß uns aus einer anderen Sphäre Anregungen gegeben wurden, die durch Erleben erforscht wurde. Zum Schluß im Namen aller Gäste noch einmal herzlichen Dank unserem Gastgeber, Herrn Geheimrat Duisberg, dem wir es letzten Endes ganz allein verdanken, daß diese Tagung zustande gekommen ist. 105
Legationsrat Kraske: Ich brauche nicht besonders zu betonen, daß das Auswärtige Amt an den Fragen, die auf der heutigen Tagung behandelt wurden, ein ganz besonders lebhaftes Interesse hat. Ich bin aber nicht nur als Vertreter meines Ministeriums, sondern auch mit starkem persönlichem Interesse hierhergekommen. Ich fühle mich auf dieser Tagung etwa wie jemand, der zur Konfirmation seines Patenkindes kommt. Es war mir während der Zeit, als ich in New York war, möglich, die Grundlagen des Amerikawerkstudenten-Dienstes mitzulegen, und ich habe die ersten Erfahrungen, die man in dieser Sache machte, persönlich mitgemacht. Bald darauf verließ ich die Vereinigten Staaten. Ich stehe, wenn ich auch jetzt schon seit 2 Jahren mit diesen Dingen von Berufs wegen gar nichts mehr zu tun habe, doch ihnen noch persönlich sehr nahe und bin dankbar, daß die Wirtschaftshilfe mich so weit auf dem laufenden gehalten hat, daß ich nicht als ganz Fremder hierherkam. Es ist im Laufe des heutigen Tages viel, auch außerhalb der Reden, gesprochen worden über dieses episodenhaft Lebendige der einzelnen Erfahrungen, des einzelnen Erlebens im Vergleich mit Europa. Nach meinen eigenen Erfahrungen in den Vereinigten Staaten ist Amerika wirklich das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Die Vereinigten Staaten sind so groß und vielseitig, daß man völlig entgegengesetzte Erfahrungen machen kann. Wenige, und auch die nur nach längerer Zeit, werden sie in so großer Zahl machen können, daß sich daraus eine Synthese ergibt. Um die Vereinigten Staaten zu verstehen, muß man drüben gelebt und gekämpft haben. Nach meiner Überzeugung wäre es besser, wenn viele von den Urteilen über Amerika, die wir in der Literatur in großer Fülle haben, ungedruckt blieben. Ich glaube, daß auch manche von den zurückgekehrten Werkstudenten, trotzdem sie nun zwei Jahre in den Vereinigten Staaten gewesen sind, den Wunsch haben, erst einmal wieder ein halbes Jahr sich in Deutschland umzusehen, ehe sie darangehen, das, was sie in Amerika erlebt und gesehen haben, in eine feste Form zu bringen. Während eines Aufenthaltes im Ausland jagen alle Dinge in so wildem Tempo vorbei, daß es sehr schwer ist, die jeweiligen Erlebnisse sofort durchzuarbeiten und einem festen Rahmen anzufügen. Einer der Tagungsteilnehmer hat die Befürchtung geäußert, daß die Zurückgekehrten vielleicht mit allzuviel Amerikanismus durch106
tränkt seien. Ich halte diese Befürchtung aber nicht für begründet. Die Korrektur wird ganz von allein kommen. Die altgewohnte Umgebung in Deutschland wird bald vieles von dem wieder abschleifen, was nicht in innerstem Erleben verwurzelt ist. Zum Schluß ist es mir ein Bedürfnis, als Vertreter meines Ministeriums und auch ganz besonders persönlich Herrn Geheimrat Duisberg vielmals zu danken, daß er diese Tagung ermöglicht hat, die wir als starkes geistiges Band zwischen den Vereinigten Staaten und uns betrachten dürfen.
Oberregierungsrat Niessen: Ich habe gestern dem Herrn Reichsminister des Innern Vortrag gehalten über den Zweck der Tagung und meines vorgesehenen Besuches in Leverkusen. Er hat mich aufgefordert, ihm nach der Rückkehr zu berichten. Ich sehe, daß ich meinen gestrigen Vortrag sehr korrigieren muß: Es ging von den heutigen Verhandlungen ein solcher Strom von K r a f t aus, daß ich neue Linien sich bilden sehe, die sich auf das ganze Volk auswirken werden. Es sind nicht nur Ergebnisse eines Teilgebietes, die sich verheißungsvoll anzeigen; ich sehe, daß hier der allgemeine Geist sich ausdrückt, der die studentische Wirtschaftsarbeit erfüllt. Es ist eine Fortsetzung des Wirkens, das sich in der Wirtschaftshilfe vollzieht. Ich möchte hier der Person gedenken, die auf diesem Felde mit restloser Hingabe gearbeitet hat, des Herrn Dr. Schairer, dem ich hierfür im Namen des Reiches danke. E r hat sich mit einer seltenen K r a f t der Idee und mit Wärme des Herzens für diesen neuen Geist eingesetzt, der sich an solchen Tagen wie diesen in so wunderbarer Weise auswirkt. Wir stehen unter dem Eindruck des Neuen, das sich vollzieht, auch einer neuen Art, die sich befaßt, wie es bisher nicht üblich war, mit d e r Frage der Bildung des Volkes, des Menschen, die nicht nur eine Angelegenheit der Behörden ist, sondern zu der jeder im deutschen Volke beitragen soll. So darf ich für meinen Herrn Minister den Eindruck mitnehmen, daß neue Dinge sich gestalten, die neuen Geist und damit neue Tage f ü r Deutschland heraufbringen.
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Oberregierungsrat Morsbach: Mit Recht sind heute unserem verehrten Gastgeber von allen Seiten Worte des herzlichsten Dankes gezollt worden für die Gelegenheit, mit den zurückgekehrten Amerikawerkstudenten zusammen zu sein. Es ist mir ein besonderes Herzensbedürfnis, ihm namens der Austauschstudenten, die heute auch als Gäste mit den Amerikawerkstudenten und den übrigen Gästen zusammen sein dürfen, aufrichtigsten Dank zu sagen. Da ich ja selbst die Freude habe, dem Vorstand des Amerika-Werkstudenten-Dienstes anzugehören, weiß ich genau, wie sehr die Interessen des Werkstudentendienstes und des Akademischen Austauschdienstes gemeinsame sind. Wir wollen hoffen, daß unser gemeinsames Ziel, durch gegenseitiges Verständnis die Zusammenarbeit unter den Völkern zu fördern, erreicht wird. Dr. H o f f m a n n : Ich möchte ganz kurz einige Worte sagen. Die Versuchung war groß, viermal während der Tagung in die Diskussion einzugreifen, aber ich habe mich zurückgehalten. Es war eine der genußreichsten und wertvollsten Tagungen, die ich erlebt habe, denn Mr. Crane und ich haben unser eigenes Land durch anderer Augen sehen können. Allerdings wurde vielleicht allzuviel nur Günstiges über Amerika berichtet. Aber in Anbetracht des Zwecks dieser Tagung war das wahrscheinlich nötig. Wir hätten gern auch von den Schattenseiten etwas mehr gehört. Aber vielleicht bietet sich dazu einmal eine andere Gelegenheit. Ich werde unseren amerikanischen Freunden von dieser Tagung berichten und sie auffordern, etwas Ähnliches zu tun. Ich möchte dieses Zusammensein nicht zu Ende gehen lassen, ohne auf einen P u n k t hinzuweisen, der bisher nicht berührt wurde. Als seinerzeit die ersten Verhandlungen über den Ausbau des Werkstudententums in Amerika geführt wurden, wurde von der Gefahr gesprochen, daß durch diesen Austausch die Deutschen die Möglichkeit bekämen, amerikanische Methoden sich anzueignen, und weiterhin dadurch die Konkurrenzfähigkeit Deutschlands auf dem Weltmarkt sehr stark erhöht werde. Darin läge eine Gefahr für Amerika. Ich stehe aber auf dem Standpunkt, daß man in derartigen Dingen großzügig sein muß und sich das Wort zu eigen machen sollte: Die Tüchtigen voran! 108
Dann möchte ich noch auf einen anderen Punkt zu sprechen kommen. Es ist so viel vom rein Menschlichen gesagt worden und ganz besonders vom Verhältnis des Arbeiters zum Arbeitgeber in Amerika. Ich als Amerikaner habe diese Ausführungen mit Stolz gehört, aber auch in gewisser Beziehung manchmal mit einer gewissen Beklemmung, denn ich kenne auch die Schattenseiten in Amerika. Das Schöne an der Idee des Amerikawerkstudententums ist für mich die Möglichkeit des gegenseitigen Sichkennenlernens, des gegenseitigen Befruchtens. Mein sehnsüchtiger Wunsch ist der, daß es nicht allzulange dauern wird, bis wir in Amerika eine ähnliche Tagung abhalten können mit amerikanischen Werkstudenten, die aus Deutschland zurückgekommen sind, und daß wir dann dort von den zurückgekehrten Amerikanern etwas von dem Deutschland zu hören bekommen, wie sie es während ihrer Arbeit kennengelernt haben. Und dann hoffe ich viel Gutes über Deutschland zu hören, so wie ich heute viel Gutes von Ihnen über Amerika gehört habe. Und nun nochmals meinen und Mr. Cranes herzlichsten Dank, daß wir an dieser Tagung teilnehmen durften. Geheimrat Duisberg: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind am Ende unserer Tagesordnung, aber noch nicht am Ende der Tagung. Wir wollen jetzt hinübergehen in das Kasino und wie gestern unser Abendessen einnehmen und dabei auch wieder recht fröhlich und vergnügt sein. Aber jetzt muß ich Ihnen schon danken dafür, daß Sie eine solch große Ausdauer bewiesen haben. Sie haben von heute früh 9 Uhr bis fast 20 Uhr ausgehalten. Das war eine Höchstleistung. Ich bin am Ende meiner Kraft. Ich weiß nicht, wie es bei Ihnen steht. Ich habe in meinem Leben schon viele Tagungen mitgemacht, aber eine solche, die, ich möchte sagen, mein Gehirn und mein Herz, ja meinen ganzen Körper so in Anspruch genommen hat, habe ich noch nicht erlebt. Und woher ist es gekommen? Weil wir, wie schon gesagt worden ist, heute hier eine Tagung hatten, wie sie in Deutschland bis jetzt nicht üblich war, bei der Jung und Alt, Professoren, Studenten und Wirtschaftler zusammengekommen sind und versucht haben, ihre gegenseitigen Erfahrungen und Meinungen auszutauschen. Daß diese Tagung 109
nicht fruchtlos sein wird, davon bin ich fest überzeugt, weil wir es als köstliches Volksgut mitbekommen haben, neuen Anregungen und neuen Problemen mit Zähigkeit und Ausdauer nachzugehen, ohne müde und verzagt zu werden, auch wenn der Erfolg lange nicht zu kommen scheint. An der Pflege und Entwicklung dieses Volksgutes haben unsere Schulen großen Anteil. Daraus erwächst die Fruchtbarkeit unseres deutschen Geisteslebens, die Fruchtbarkeit unserer wissenschaftlichen Arbeiten. Wir dürfen aber über der rein geistigen Tätigkeit bei unseren Studien nicht den Menschen vergessen, sondern müssen auch die Pflege der Charakterbildung und Herzensbildung und das Verständnis für soziales Denken und Empfinden zu fördern suchen. In dieser Hinsicht leistet die Werkstudententätigkeit ein gutes Stück Arbeit. Und das ist der Hauptgrund, weshalb ich so sehr für die Werkarbeit eintrete, die unsere Amerikawerkstudenten sogar noch nach dem Studium zwei volle Jahre ausgeübt haben, um durch das Studium fremden Volkstums ihren Gesichtskreis zu erweitern. Durch die Werkarbeit werden die Angehörigen der geistigen Berufe veranlaßt, zu fühlen und zu erkennen, wie es den Menschen ums Herz ist, die in einer ganz anderen Berufswelt leben, nämlich den Handarbeitern. Werkstudententätigkeit wird immer eine Bereicherung fürs Leben sein, und darum wollen wir nicht, wie es manchmal noch geschieht, verächtlich über die Werkarbeit denken, sondern sie als ein dringendes Erfordernis jedes Studienganges betrachten. Ich schließe die Sitzung mit einem herzlichen Dank an Sie alle, die Sie zum Gelingen dieser Tagung beigetragen haben, die Vertreter der Behörden, die Professoren, die Herren aus der Wirtschaft, die Austauschstudenten und vor allem unsere Amerikawerkstudenten! (Langanhaltender Beifall.)
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Ausklang Prälat Dr. Schreiber im Juliheft des „Studentenwerk", Zeitschrift der studentischen Selbsthilfearbeit, herausgegeben von der Wirtschaftshilfe der Deutschen Studentenschaft.
Die Juni-Tagung 1928 in Leverkusen bedeutet für jeden Teilnehmer ein inhaltreiches und starkes Erlebnis. Es gab sich eindrucksvoller als vieles, was die Literatur über das wirtschaftliche und kulturelle Amerika sonst beibringt. Die Wellenlänge des lebendigen Wortes und des persönlichen Gedankenaustausches wirkt eben unmittelbarer und vernehmlicher. Das Gegenspiel der Auffassungen schafft Ausstrahlungen, die auch eine lebensvolle Peripherie und stark berührte Nachbargebiete erreichen. Was war es eigentlich, was uns so bewegte und immer wieder aufhorchen ließ ? Die alte und neue Welt rangen miteinander. Nicht minder die alte und die neue Zeit. Dabei erhob sich nicht nur der Widerstreit der Wirtschaftsmethoden. Darüber hinaus t r a t die Mentalität zweier Völker in lebhaft empfundenen Gegensätzen hervor. Ebenso setzte sich die seelische Bewegtheit Europas mit der realistischen Frische amerikanischer Kraftentfaltung auseinander. Die geistvoll durchblutete Erörterung erweiterte sich zur uralten Antithese von Zivilisation und Kultur. Gleichzeitig breitete es sich wie Hoffnung und starkes Wollen über das junge Deutschland. Die von Amerika Zurückgekehrten sprachen mit der wohltuenden Lebensnähe persönlicher Beobachtungen, oft auch mit dem ganzen Enthusiasmus der Jugend. Hier und da bereits mit einem Einschlag echt deutschen Kritizismus und faustischer Problemschwere. Doch t r a t das kritische Moment im allgemeinen zurück gegen eine beachtliche Anhänglichkeit an die Vorzüge amerikanischen Wesens. Immer wieder brach das stolze Gefühl durch, dort in Büchern und Bilanzen einer kraftvollen Wirtschaft gelesen zu haben, deren europäischer Parallelismus bedauerliche Fehlbeträge und vermeidbare Verluste aufweist. Man las den jungen Menschen die helle Entdeckerfreude vom Gesicht ab. Sie fühlten etwas von der ozeanmächtigen Columbustat an sich, die sie in neue Bezirke der Wirtschaft und der Seele eindringen ließ. Sie hingen an den Vereinigten Staaten mit einer ersten großen völkerkundlichen Liebe, mit einer bräutlichen Zuneigung. Sie priesen in einem hohen Liede die glänzenden Vorzüge, sie werteten die kostbare Eigenart und Erbmasse, sie lobten das erfolggroße Neue. Sie S
Werkstudenten in Amerika.
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suchten mit Oswald Spengler das Primitive als Urform der schöpferischen Kraft. Sie wurden zu lebhaften Interpreten, und wo sie Widerspruch erfuhren, zu beredten Verteidigern und zu feurigen Apologeten des jugendlichen Kontinents. Selbst noch Jugend und jugendlich bewegt, fühlten sie mit ihm die Wesensverwandtschaft frischansteigenden und kraftvoll gerichteten jungen Lebens. Eine Eigenart deutschen Wesens trat hinzu. Die echtdeutsche Art, fremdem Volkstum gerecht zu werden, auch auf die Gefahr hin, fremdländische Art zu überschätzen. Jene Art, „sich am Nachbar zu steigern", vor der schon Goethe warnte. Zunächst war es die amerikanische Wirtschaft, die als lockender Gegenstand der Erörterung fesselte. Sie stand ja nach dem Plan der Tagung von vornherein im Mittelpunkt, mit ihrer Methodenlehre und all jenen auffallenden Unterschiedlichkeiten, die herausgearbeitet werden sollten. Die Fülle der Details sammelte sich, Beobachtung trat neben Beobachtung. Man tauchte förmlich unter in den wogenden Menschenmassen von New York undChikago. Man stieg ein in die Schächte Pennsylvaniens, man wanderte auf den weitgedehnten Farmen des Westens. Man spürte die unendlich frische Beweglichkeit, den rationellen Nutzeffekt, aber auch die seelische Krisis des Transportbandes. Man überprüfte etwas neidisch die robusten Tatsachen der Autarkie, der völligen wirtschaftlichen Unabhängigkeit dieses Riesenreiches. Aber mit deutscher Gründlichkeit drang man von leuchtenden Vorzügen und unumstößlichen Tatsachen zur schwierigen Problematik vor. Man verteilte allmählich Licht und Schatten. Man erfaßte die Wirtschaft nicht bloß als Einzelwirtschaft. Man sah in ihr nicht bloß das Verhältnis von Produktion und Konsum, nicht nur die Zusammenhänge von Volkswirtschaft und Weltwirtschaft, nicht allein den tausendfachen Rhythmus von sinnverwirrenden Zahlen und Ziffern. Man schürfte tiefer. Man untersuchte soziale Voraussetzungen, kulturelle Gebundenheiten und volkspolitische Zielstellungen dieses amerikanischen Wirtschaftslebens. Nachdenklich und immer eindringlicher stellte man die Frage nicht ausschließlich nach der Konjunktur, sondern auch vor allem nach dem Ethos des amerikanischen Wirtschaftslebens. Man drang also tiefer in das Wesen des Amerikanismus ein. Man durchlebte noch einmal die letzten Jahre, die in Deutschland auf eine eindringliche Erfassung des amerikanischen Problems hinarbeiteten. 114
Mit dem äußeren Anstieg dieses Riesenreiches wuchs ja das Interesse an den Imponderabilien, an dem Irrationalen und an der Metaphysik dieser Nation, soweit man überhaupt geneigt war, eine derartige kulturelle Atmosphäre zuzugestehen. Schärfer als mancher andere hat Karl Schmitt, der frühere Bonner Publizist und jetzige Lehrer an der Berliner Handelshochschule, die Eigenart des rein ökonomischen Denkens und den flachen Präzisionsmechanismus der Nur-Zivilisation aufgedeckt. Gleichzeitig den Mangel des Repräsentativen und des Seelisch-Bewegten, das sich über die stoffgebundene Technik erhebt. Die Anwendung auf Amerika liegt nahe. Auch viele andere haben f ü r solche Zusammenhänge uns wertvolle Beobachtungen übermittelt. Damit steigen die Schattenseiten des Amerikanismus auf. Der nur ökonomisch empfundene Zweck entseelt. Der Dreiklang von Technik, Erwerb und Muskelkraft kann auf die Dauer nicht befriedigen. Der Wille, rasch Geld zu verdienen und möglichst günstige Lebensbedingungen zu gestalten, hat sich völlig einseitig entwickelt, mit einer Wucht, mit einer Anschaulichkeit, mit einer Massensuggestion, mit der Amerika eben Europa in allem überlegen ist. Es h a t mit der robusten E n t schiedenheit des frisch zugreifenden Kolonialstaates, mit dem Kraftbewußtsein der stetig ansteigenden Wirtschaftsmacht, mit dem Fruchtbarkeitswillen der Geldmacht jenen gigantischen Magnetberg — wie eine vulkanische Schöpfung — zwischen den Klippen des Atlantik und des Stillen Ozeans ansteigen lassen, der die Schiffe und Warenladungen, aber auch die Kriegsschuldsummen der Nationen an sich zieht. Dabei tönen die Sirenengesänge der Prosperität, des Glückes, der Zufriedenheit des Lebensstandards. Mit stillem Neid schauen die anderen Länder nach der Entwicklungsfähigkeit und wirtschaftlichen Geschlossenheit dieses nordamerikanischen Riesenreiches. Aber dieser mehr ökonomisch gerichtete Amerikanismus steht bereits in seiner Revision und Reform. E r erkennt, daß die E n t wicklung der ungeahnten wirtschaftlichen Möglichkeiten eine in sich begrenzte ist, das bereits heute ernste Konturen und wirtschaftliche Sorgen das schier unendliche Land zwischen den Neu-England-Staaten und Kalifornien umsäumen. Schon zeigen sich gewisse ernsthafte Strömungen, die darangehen, die seelisch-sittlichen Grundlagen dieses Wirtschaftslebens nachzuprüfen. Auch drüben arbeitet sich die Stellung des Menschen, und zwar des seelisch bewegten, im Arbeitsprozeß stärker heraus. Manche wert8*
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vollen Ansätze sind vorhanden, ja, es ergeben sich manche Vorteile vor der europäischen Entwicklung. Es zeigen sich bei näherem Zusehen geradezu zahlreiche Voraussetzungen, die den Übergang zum Ethischen und Kulturellen — richtiger den Einklang — erleichtern. So, wenn der Unterschied zwischen Herr und Knecht in der Arbeitsleistung, und zwar im persönlichen Verhältnis von Generaldirektor und Lohnarbeiter gefallen ist. Wiederum ist ein Vorzug, daß die Arbeitsfreude erfrischend in Erscheinung tritt, die selbst durch technische Mittel wie durch das Auto, das zur schöpferischen Pause des Wochenendes führt, gemehrt wird; daß im allgemeinen die Pünktlichkeit der Lieferung nicht bloß versprochen, sondern eingehalten wird; wenn weiter das Verbundensein, das Verwachsensein mit dem Werk der Hände eine beachtliche Durchdringung erreicht; wenn jede Arbeit, auch die schmutzigste Handarbeit, als ehrlich und ehrenvoll empfunden wird. Es ist wiederum ein Vorzug, wenn Wirtschaftsführer jung in maßgebende Stellungen gelangen können; ähnlich hat auch Napoleon junge entschlußkräftige Generale für seine Armee gewünscht. Es weist schließlich in geistige und kulturelle Lebenslinien des amerikanischen Volkes jene andere Tatsache, daß die Schaffung eines einheitlichen Nationalbewußtseins sich verhältnismäßig schnell vollzog. Das ist der Aufmarsch zu einem geschlossenen Kulturbewußtsein und zur einheitlich empfundenen Kulturnation, die auf wertvolle, ideale Uberlieferungsreihen (Sklavenemanzipation) und auf eine originale Porträtgalerie kerniger Führergestalten zurückblickt, in der auch selbstlose Aristidesfiguren nicht fehlen. So fällt bei einem Vergleich zwischen Amerika und Deutschland, der Wirtschaft und Kultur wertet, manches an schweren Gewichten zugunsten des Landes am Missouri und Mississippi. Aber auch tiefernste Schatten gleiten über das Bild. Auch die werktätige Jugend übersah diese Dorsalnotizen nicht, trotzdem mancher dazu neigte, ein überscharfes Licht einzuzeichnen. Niemand darf nämlich verkennen, daß sich Probleme der sozialen Frage langsam aber stetig vorwärtsarbeiten. Bemerkenswerte Vorpostengefechte kündigen sich an. Eine erste, fast noch zurückhaltende Gewitterwolkenbildung auf sonnig beschienener Landschaft. Bislang nur eine Vertagung ernster Konflikte. Gewiß bedeutet das vorläufig noch eine große Kräfteersparnis. Gewiß beeindruckt noch der starke Rhythmus von Erzeugung und Reichtum. Das alles ist nur ein glänzendes 116
Provisorium. Jene umfassende europäische Problematik von Produktion und Konsum, von Kapital und Arbeit, von Besitz und Proletariat dringt zwangläufig und unaufhaltsam ein, zunächst und vordringlich in Absatzkrisen. Sehnsüchtig schaut man aus nach China als dem aufnehmenden Markt, als der brauchbarsten Interessensphäre, als der rettenden Parole der Zukunft. Aber dabei stößt man auf das kraftvoll erwachende Nationalbewußtsein des chinesischen Menschen. Daheim sucht man durch Drosselung der Einwanderung und durch Regulierung der Geburten langsam heraufdämmernden Gefahren vorzubeugen, dabei gerät man in neue Konflikte. Man braucht nur auf die Fruchtbarkeit der schwarzen Rasse hinzuweisen, an der sich die Geburtenminderung der weißen rächt. So kommt man um neue soziale Lösung nicht herum. So nähert sich Amerika schicksalsverwandten europäischen Erlebnissen. Auch die große Auseinandersetzung zwischen Staat und Religionsgemeinschaften, die Europa in immer wieder aufgeworfenen sekularen Fragestellungen die geistige Tiefe verlieh, wird diesem Lande nicht erspart bleiben. Solches und anderes berichteten die Amerikafahrer. Anderes fügten wir hinzu. Die Heimkehrenden boten wertvolle empirischc Linien, die eine sinnende Wirtschaftsphilosophie und Kulturphilosophie in allgemein menschliche Zusammenhänge einbezieht und ins Irrationale umbiegt. Höchst bemerkenswert war immer wieder der Anstieg aus dem Geröllfeld der Details zum bergesfreien Ethos, das stets von neuem und mit originaler Wucht die umfassende Aussprache durchzog. Anders ausgedrückt: In jener volksvergleichenden Darstellung und Analyse äußerte sich immer wieder der deutsche Wille zum kategorischen Imperativ der Pflicht. Wer diese Amerikafahrten auch nur an dieser Leverkusener Aussprache mißt, wird mit Fug und Recht urteilen, daß sie dem deutschen Volke reichen Gewinn bringen. Es ist ein besonderer Typ von Auslandsanleihen, die wir in den Vereinigten Staaten aufnehmen. Es sind das nämlich Darlehne, die im ureigensten Sinne des Wortes als produktiv und wertbeständig anzusprechen sind. Sie werden gleichzeitig zu wertvollen Inlandsanleihen, weil sie den Blick für deutsche Eigenart schärfen. Nur im Spiegel fremden Volkstums wächst das Verständnis für den eigenen Wert. Mögen diese Amerikawerkstudenten als Führer, als Pioniere, als Bahnbrecher durch unser Volk gehen. Mögen sie auch als Prediger des Adels der Handarbeit in Deutschland wirken. 117
Kraftvoll wie Augustin mögen sie sich gegen die kastenmäßige Unterbewertung der schwieligen Hand zur Wehr setzen. Mit jenem Paulinismus, der über den Zelttuchmacher Paulus gegenüber einer überheblichen Antike bemerkte: ,,Er hat ein reines und ehrbares Gewerbe betrieben, wie das die Arbeiten der Schmiede, Bauleute, Schuster und Bauern sind." Gleichzeitig wächst in unserem eigenen Volk der Sinn für die wirtschaftliche und politische Bedeutung dieses Studentenaustausches. Noch stehen wir in ersten Anfängen des Verstehens und des Begreifens. Noch ist diese Idee des Völkerverkehrs in das deutsche Kulturbewußtsein tiefer einzubetten. Vor allem hat die deutsche Kulturpolitik, wie Schairer in seinem ausgezeichneten Buch über die „Studenten im internationalen Kulturleben" (Sammlung „Deutschtum und Ausland", Heft 11, Münster 1927) nachweist, ein Interesse daran, daß auf dem geistigen Weltmarkt und in der internationalen kulturellen Gemeinschaftsarbeit ein derartiger Austausch geistig regsamer und wirtschaftlich interessierter Gruppen sich vollzieht. Ein Wort des Dankes auch an Carl Duisberg. Das ganze Milieu in Leverkusen wirkte anregend und belebend auf die weitausgreifenden Verhandlungen. Mehr noch die Persönlichkeit und das Ethos dieses Wirtschaftsführers und zugleich des warmherzigen Mentors der akademischen Jugend. Das war Leverkusen mit seiner Tagung. Ganz in der Nähe trieb der Rhein eilends und hochgemut seine grünen Wogen zur ozeanischen Flut, die die Alte und Neue Welt verbindet.
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STUDENTEN WERK