Deutsche und französische Kultur im Elsaß in geschichtlicher Beleuchtung: Rede gehalten am 27. Januar 1916 bei der Feier des Geburtstages Sr. Majestät des Kaisers durch die Kaiser-Wilhelms Universität Straßbourg [Mit Erläuterungen. Reprint 2019 ed.] 9783111468419, 9783111101439


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German Pages 53 [56] Year 1916

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Hochansehnliche Versammlung!
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Deutsche und französische Kultur im Elsaß in geschichtlicher Beleuchtung: Rede gehalten am 27. Januar 1916 bei der Feier des Geburtstages Sr. Majestät des Kaisers durch die Kaiser-Wilhelms Universität Straßbourg [Mit Erläuterungen. Reprint 2019 ed.]
 9783111468419, 9783111101439

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Deutsche und französische Kultur im Elsaß in geschichtlicher Beleuchtung

Rede, gehalten am 27. Januar 1916 bei der Feier des

Geburtstages Sr. Majestät des Kaisers

durch die Kaiser-Wilhelms-Univrrsttät Straßburg

Von D. Gustav Aurich Professor der Rirchengrfchichle

Mit Erläuterungen

Straßburg 1916 Verlag von Larl I. Trübner

Alle Rechte vorbehalten.

Druck von M. DuMont Schauberg, Straßburg.

hochansehnliche Versammlung!

Einmütiger und dankbarer als je in Friedenszeiten, sturmerprobter und hoffnungsfreudiger noch als vor Jahresfrist begeht heute ganz Deutschland den Tag des Kaisers. Überall ist es der Gedanke des gemeinsamen, großen, unverbrüchlich geeinten deutschen Vaterlandes, der heute in opferbereiter Hingabe die Herzen höher schlagen läßt. Das hindert nicht, daß auch mitten im Strome der Weltereignisse und bei allen weltpolitischen Horizonten, die sich jetzt vor uns auftun, unser Blick je und je in Sorge und Hoffnung der engeren Heimat sich zuwenüet, als deren geistiger Mittelpunkt einst in großer Seit unsere Hochschule neu erstanden ist. Vie sogenannte „elsässische Frage" gibt es für uns nur als innerpolitische Frage. Sie zu erörtern, ist jetzt nicht an der Seit, so angelegentlich sie uns innerlich be­ schäftigen mag. Über hinter der politischen Frage ragt eine andere, umfassendere auf, die Frage der elsässischen Kultur, heute, da Verschiedenheiten und Gegensätze in voller Schärfe sichtbar werden, da Unfertiges, Ungefestigtes und in sich widerspruchsvolles seine mangelnde Tragkraft offenbart, muß die entscheidende Bedeutung gerade dieser Frage für die Entwicklung unseres Landes aufs neue sich uns aufdrängen. So wird es die jetzige außerordentliche Seit rechtfertigen, wenn der Kirchenhistoriker, über sein engeres Fachgebiet hinausgreifend, die Frage nach dem Verhältnis der deutschen und französischen Kultur auf dem Boden des Elsaß geschichtlich zu behandeln versucht.

4 I.

Lange Jahrhunderte hindurch hatte das Elsaß, einst von den deutschen Stämmen der Alemannen und Franken besiedelt, zu den blühendsten Gebieten des deutschen Reiches gezählt. Seine Burgen, seine mittelalterlichen Baudenk­ mäler sind redende Zeugen von alter deutscher Ritter- und Städteherrlichkeit, von den Zeiten, da Barbarossa in der Raiserpfalz zu Hagenau Hof hielt und Straßburg mit Köln um die Palme rang unter den deutschen Städten. Glänzende Namen stehen vor uns auf, von Meister Erwin und Gott­ fried von Straßburg zu den Künstlern des Unterlinden­ museums, zu den Männern des elsässischen Humanismus und der Straßburger Reformation. Sie geben uns das Recht, von einer elsässischen Kultur zu reden. Nicht in dem Sinne freilich, als ob das Elsaß, in sich abgeschlossen, sie lediglich aus sich erzeugt hätte. Darin vielmehr wurzelte seine Kraft, daß es empfangend und gebend mit dem Ganzen der deutschen Kulturwelt verbunden war, als gesunder Organismus Kräfte an sich ziehend und ausstrahlend, wie ein Ulmer und ein Kölner Meister unsere einzige Münster­ pyramide schufen, im reformatorischen Straßburg neben den elsässischen Größen die Niederdeutschen Johannes Sturm und Sleidan wirkten und der Schwabe Hans Baldung malte, an der alten Straßburger Hochschule Gelehrte aus ganz Deutschland nebst einzelnen Ausländern tätig waren, so wirkte hinwiederum ein wimpfeling in Heidelberg und Freiburg, war Straßburgs Stättmeister Jakob Sturm der Berater der deutschen Fürsten, der Wortführer der deutschen Reichsstädte, Straßburgs Reformator Martin Bucer der Führer des oberdeutschen Protestantismus, wurde der Elsässer Philipp Jakob Spener in Deutschland ein Erneuerer von Luthers Werk. Mit der gesamten jungen deutschen Kultur hat je und je auch das Elsaß bedeutsame Einflüsse seitens der älteren Kultur des Westens und des Südens er­ fahren, ja eine wichtige Eingangspforte für sie gebildet.

5 Aber was von außen kam, wurde in einer Meise innerlich angeeignet und fortgebildet, daß es zum eigenen Besitze wurde. So war und blieb die elsässische Kultur deutsche, genauer oberdeutsche Kultur mit bodenständiger Eigenart.

II. Da setzte sich in den Stürmen des dreißigjährigen Krieges Frankreich im Elsaß fest, das längst keine Einheit mehr bildete, vielmehr in eine Unzahl von größeren und kleineren Territorien zerfiel. Für die Zustände, die die französische Besitzergreifung schuf, ist die Art ihres Vollzugs von grundlegender Be­ deutung. Seit den Verhandlungen von Nymwegen im Jahre 1678 hat Frankreich stets mit der staatsrechtlichen Fiktion operiert, es sei ihm im Mestfälischen Frieden das ganze Elsaß überlassen worden. In Wirklichkeit war es viel weniger, was ihm damals ausdrücklich zugesprochen wurde, nämlich einmal die ausgedehnten österreichischen Besitzungen und Gberhoheitsrechte im Gberelsatz, dazu die Reichslandvogtei im Elsaß, die an wirklichem Inhalte die unmittelbare Herrschaft über einige vierzig Dörfer und gewisse, nicht ganz fest umschriebene Rechte in den elsässischen Zehnstädten Eolmar, Hagenau, Schlettstadt usw. in sich schloß. Aus diesem seiner Unbestimmtheit wegen sehr brauchbaren Begriff der Landvogtei ward dann zunächst die volle Oberherrschaft über die Zehnstädte hergeleitet und deren widerstand schließlich 1673 mit Gewalt gebrochen, bis zuletzt, in immer weiterer Ausdehnung eben dieses Be­ griffes der Landvogtei, der Eonseil souverain d'Alsace im Jahre 1680 ganz Ober- und Unterelsatz als unter die Souveränität des Königs von Frankreich fallend erklärte und im folgenden Jahre Überfall und Kapitulation von Stratzburg das Werk krönten. Nicht durch Krieg und Sieg und einen anerkannten internationalen Friedenstraktat hat sonach Frankreich den

6 grössten Teil des Elsaß erworben, sondern, gestützt aus seine europäische Machtstellung, durch die Künste seiner Diplo­ matie und einer in den Dienst der Politik gestellten Rechtsauslegung, die einem Vorgehen, das einen Rechtsbruch dar­ stellte und von den elsässischen Ständen als solcher beurteilt wurde, den Schein des Rechts verleihen mutzte. Mochte man aber hierbei den Begriff der Landvogtei noch so ausweiten, immer lietz sich aus ihm nur eine Oberherrschaft herleiten. So machte gerade die Behauptung, mit der Besetzung von ganz Tlsatz nur Rechte wahrzunehmen, die sich auf den gesetz­ lichen Boden des Westfälischen Friedens gründeten, in Ver­ bindung mit der politischen Gesamtlage die gewaltsame Beseitigung der bestehenden Territorialgewalten zur Un­ möglichkeit. Dementsprechend wurde der neue Zustand ge­ regelt auf dem Wege des Kompromisses, geregelt durch Verträge, welche Frankreich mit den elsässischen Territorial­ mächten schloß, derart, datz letzteren gegen Anerkennung der französischen Oberhoheit, ähnlich wie bei der Kapitulation von Stratzburg, von ihren bisherigen Freiheiten und Gerechtsamen das meiste verbrieft wurde. Wohl ward also die Regierungsgewalt des königlichen Intendanten, die Verordnungsgewalt und Gbergerichtsbarkeit des Eonseil souverain aufgerichtet, für den neuen Landesherrn ein neues System von direkten Steuern eingeführt: als Unterbau aber blieb das ganze bisherige bunte Gefüge der alten städtischen, fürstlichen, herrschaftlichen und geistlichen Ge­ biete, blieben die alten Obrigkeiten, die alten Verfassungen, die alte Gerichtsbarkeit, die alten Territorialkirchentümer, blieb fast das ganze krause Gewirre von Feudalrechten und Feudallasten. Unter solchen Umständen war für Frankreich eine or­ ganische Einverleibung des Elsaß nicht möglich. Sie war auch gar nicht beabsichtigt. Ganz ausdrücklich wurde vielmehr das Land als fremde Provinz geführt, province effectivement etrangere, die als solche außerhalb des fran­ zösischen Staatsverbandes wie der Zollgrenze gelegen war.

7 Und während eben die Zollgrenze wie der fast wegelose Vogesenwall nur schwache Handelsverbindungen mit Frankreich aufkommen ließen, gehörte das Elsaß nach wie vor zum oberrheinisch-deutschen Wirtschaftsgebiet, und Straßburg blieb der große Warenumschlagsplatz, von wo die als Wagenfracht aus dem Oberland anlangenden Güter rheinabwärts verschifft wurden.

Wichtiger noch als für die politische Entwicklung mußte dies alles für die Kultut des Landes sein. Denn mochte die neue Regierung noch so geschickt die wirkliche Leitung der Dinge an sich zu ziehen wissen — ein Land, das wirtschaft­ lich gegen Deutschland offen und gegen Frankreich ge­ schlossen war, ein Land, dessen alte Derfassungs-, verwaltungs- und Rechtsordnungen in der Breite des täglichen Lebens weit stärker in Erscheinung traten als das neue Regiment, dessen Adel nach wie vor zur deutschen Reichs­ ritterschaft zählte und aus all ihre Vorrechte Anspruch hatte, dessen bedeutendste weltliche Gebiete eben jetzt durch Erbgang an reichsdeutsche Fürsten, den Landgrafen von Hessen-Darmstadt, die Herzöge von Württemberg und von Pfalz-Zweibrücken, gefallen waren — ein solches Land mußte in dem allgemeinen Bewußtsein seiner Bewohner ein deutsches Land bleiben. So konnte ihm die ererbte deutsche Kultut auch weiterhin sein Gepräge geben. Deutsch blieben Sprache und Literatur, deutsch Sitte und Eracht, deutsch die Rechtsprechung der alten Gewalten, deutsch das Schulwesen, deutsch vor allem die Kirche, abgesehen von einem durch die französische Einwanderung bedingten französischen Einschlag des katholischen Kirchentums der größeren Städte. Und hier überall hat die neue Regierung kaum einge­ griffen. Ihre hohen Beamten traten als französische Grandseigneurs auf, ihr Tonseil souverain ließ französische Verordnungen ausgehen und übte seine Gerichtsbarkeit in französischer Sprache nach französischem Recht. Bewußte französische Sprach- und Kulturpolitik, Kamps gegen die

8 deutsche Sprache und Art lag der Regierung im übrigen fern. Welches Watz von Verständnis für fremde Eigenart und von schonender Zurückhaltung? So wird, unter durch­ sichtiger Llnspielung auf die Gegenwart, von manchen ge­ urteilt, wohl unter weiterem Hinweis darauf, daß sogar die mit dem Jahre 1685 im ganzen Königreich einsetzende Pro­ testantenverfolgung an den Grenzen des Elsaß habe halt machen müssen. Indes, der Grund solcher Zurückhaltung liegt zunächst darin, daß es überhaupt nicht dem Wesen des Machtstaates der alten Zeit entspricht, eroberte Gebiete mit fremdem Volkstum sich sprachlich und kulturell anzu­ gleichen; und für Frankreich war eben das Elsaß eine fremde Provinz. Sodann aber: was im 19. Jahrhundert als sog. Rationalismus uns entgegentritt, wirkt sich in früherer Zeit vielfach aus einem anderen Boden aus, dem der Religion. Run war für das Elsaß die rechtliche Stel­ lung des Protestantismus gesichert durch den Westfälischen Frieden, auf den sich gerade Frankreich als Rechtsgrundlage fort und fort berief, gesichert durch die Kapitulation von Straßburg und die den übrigen Ständen ausgestellten Patentbriefe. Einen offenen Bruch dieser Verpflichtungen konnte Frankreich schon um seiner europäischen Politik willen schlechterdings nicht wagen. So hat es wenigstens durch ein raffiniertes System von Zurücksetzungen und Rechtsbenachteiligungen der Protestanten bie „Religion du Rot“ zu fördern gesucht. Es hat also, soweit gesamt­ politische Rücksichten es zuließen, die französische Regierung nationale Kulturpolitik getrieben in der Form einer über vertragsmäßig gesicherte Rechte unbedenklich sich hinweg­ setzenden Religionspolitik, wie denn auch die Begünstigung französischer Einwanderung und die Errichtung je eines, französischen Jesuiten anvertrauten Tolloge royal in Straßburg und Golmar aus diesem Gesichtspunkt der Religionspolitik zu verstehen ist.

9 III. Blieb nun auch das Elsaß ein Land deutscher Sprache und Sitte, so konnte es freilich nicht ausbleiben, daß auch französisches Mesen Einfluß zu üben begann. Mar es doch überhaupt die Seit, da die französisch-höfische Kultur mit ihrer Formvollendung und Geschlossenheit Deutschland in ihren Bannkreis zwang, da mit dem neuen Ideal welt­ männischer Bildung französische Gesellschaftssitte und Eracht, französische Sprache und Literatur in den höheren Kreisen als die Kultur gewertet wurden und auch auf das Bürger­ tum ihren Einfluß übten. Mie dieser allgemeine Sug der Seit auf unserem Boden sich auswirkte und wie damit nach drei Menschenaltern französischer Herrschaft die Dinge sich gestalteten, soll uns ein Blick auf Straßburg veranschau­ lichen, um die Seit, da der junge Goethe hier ein ent­ scheidendes Jahr verbrachte. Ruch das Straßburg des 18. Jahrhunderts ist im wesentlichen eine deutsche Stadt. Mie einst beraten die Sünfte auf ihren Sunftstuben, tagen im deutschen Re­ naissance-Rathaus der Große und der Kleine Rat unter Ümmeister und Stättmeistern. Vie einheimische Bürger­ schaft hat, aufs Ganze gesehen, ihre alte Rrt bewahrt. Deutsch ist für sie die selbstverständliche Umgangssprache, deutsche Literatur die wichtigste Geistesnahrung, deutsch die Sprache der Kirche wie der Schule; hat doch sogar das städtische Gymnasium den französischen Unterricht erst 1751 in seinen Lehrplan ausgenommen und nie anders als in deutscher Sprache erteilt, vor allem hat Straßburgs Kleinod, seine alte Hochschule, in Organisation und Lehr­ betrieb die Art einer deutschen Universität bewahrt. Dank der Kapitulation von 1681 in ihren Rechten und Freiheiten belassen, ohne Zusammenhang mit französischen Lehr­ anstalten, unterhält sie wissenschaftliche und persönliche Verbindungen mit ihren rechtsrheinischen Schwestern, vor allem der damals berühmtesten, der Göttinger Georgia

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Augusta, und die Männer, deren Namen einen letzten Glanz über sie breiten, ein Schoepflin und Roch, ein Gberlin und Schweighäuser, ein Lobstein und Hermann, sind Gelehrte deutscher Art. Aber neben dem Deutschen steht nun allerdings das Französische. Jm Angesichte des Münsters erhebt sich als Prunkstück französischer Saukunst das Rohanschloß; Darm­ städter und Zweibrücker Hof und Intendantur sind Denk­ mäler derselben Runstrichtung. Eine bedeutende fran­ zösische „Kolonie“ ist in der Stadt ansässig; neben dem deutsch­ sprachigen Soldaten der Fremdregimenter belebt der fran­ zösische Offizier und Soldat ihre Straßen. Jm Stadtregi­ ment hat der Königliche Prätor so sehr die Führung, daß die zum oligarchischen Familienklüngel erstarrten alten Obrigkeiten von den verbrieften alten Freiheiten nicht viel mehr als den äußern Schein in ihren Händen halten. Vie Salons des Fürstbischofs, des Generalkommandanten, des Prätors, der Chefs der Regimenter sind Brennpunkte französischer Bildung und Lebensart. Sie darf keinem fremd sein, der zu diesen Kreisen irgend Beziehungen hat. Für den in Versailles hoffähigen elsässischen Adel ist die französische Kultur jetzt vielfach die Kultur. Und hatte, dem Zuge der Zeit entsprechend, schon vor 1681 die Kennt­ nis der französischen Sprache im Bürgertum Eingang zu finden begonnen, so ist jetzt, wo Gründe praktischer Not­ wendigkeit hinzutreten, diese Kenntnis bis hinab zum Handwerker und Krämer verbreitet. Jn Tracht, Haus­ bau, Möbelstil und vielen Dingen der äußeren Kultur machen sich französische Einflüste geltend. von den vornehmsten abgesehen, rührt freilich dies alles noch nicht an den deutschen Wesenskern. Nicht Doppel­ kultur im heutigen Sinne, vielmehr das Nebeneinander zweier Bevölkerungen und zweier Kulturen macht die Eigenart des damaligen Straßburg aus. Aufs neue ist es dadurch zur Adelsuniversität geworden, was neben Deutschen und Franzosen von Stand vornehme Balten,

11 Dänen und Schweden, Russen und Engländer hierherzog, war neben dem europäischen Rufe der Staatsrechtslehrer Schoepflin und Roch die Möglichkeit, sich in deutscher Um­ gebung zu bewegen und zugleich bei allerhand Privat­ lehrern in französischer Sprache und Sitte sich auszubilden und bei den Spitzen der Gesellschaft den französischen guten Ton kennen zu lernen. Dasselbe Straßburg, in dem ein Goethe „allen französischen Wesens bar und ledig" geworden zu sein bekennt, war für vornehme Herren eine Vorschule oder ein Ersatz für Paris. — Mochte nun auch noch ein beträchtlicher Teil der Bürgerschaft alles „Welsche" verabscheuen, die letzten beiden Jahrzehnte vor der Revolution zeigen immerhin, wie die französische Rultur, zunächst vorwiegend als äußere Kultur, in friedlicher Eroberung vorzudringen begann. Der Sauber feiner Bildung und wohlwollender Urbanität, der ebendamals manchen hohen Würdenträger auszeichnete, trug zur Überbrückung der Gegensätze nicht minder bei wie der Einschlag weltbürgerlichen Empfindens in der Bildung der Rufklärungszeit. Bedeutsamer noch wirkte, daß der Elsässer jetzt zur französischen Gbrigkeit etwas wie ein inneres Verhältnis gefunden hatte. Es war dies der natürliche Dank dafür, daß hundert Jahre französischer Herrschaft dem Lande nicht nur eine lange Iriedenszeit geschenkt, sondern auch eine Wohlhaben­ heit, ein Wachstum der Bevölkerung und eine Rechtssicher­ heit beschert hatten, wie sie rechts des Rheines damals nicht bestanden. Und der Elsässer konnte darum ohne Ver­ leugnung der eigenen deutschen Rrt ein Verhältnis zum französischen Königtum finden, weil damals nur Sprache und Kultur, nicht nationalpolitisches Zusammengehörig­ keitsgefühl den Deutschen zum Deutschen machte und weil es über die Liebe zur Heimat und die Rnhänglichkeit an die angestammte Herrschaft hinaus ein bewußtes deutsch­ nationales Empfinden im Elsaß so wenig gab wie in ganz Deutschland, wo es erst unter dem Druck der napoleonischen

12 Zeit machtvoll aufflammen sollte. So konnte damals in der Straßburger Bürgerschaft Ludwig XVI. aufrichtige Ver­ ehrung genießen und dabei niemand Gegenstand einer so schwärmerischen Begeisterung sein als Friedrich der Große. Darum daß sie den König von Frankreich verehrten, fühlten sich die Elsässer mit Nichten als Franzosen. „Deutsche unter französischer Botmäßigkeit", so definiert damals einer der führenden Männer, der Theologe Blessig, die Lage der Elsässer.

IV. Da brachte die Revolutionsperiode eine völlig neue Gestaltung der Dinge. Mit Begeisterung ist im Elsaß das Morgenrot einer neuen Zeit begrüßt worden; schien sie doch vor allem den Protestanten die ersehnte bürgerliche Gleichberechtigung zu bringen; und diese Begeisterung bildete ein neues Einheits­ band zwischen Frankreich und dem Elsaß. Mochte indes auch ein Friedrich von Dietrich, Straßburgs erster Maire, durch seine französische Bildung zum politischen Idealisten französischen Gepräges werden, mochten andere, wie Rühl und Reubell, im Sturm und Drang der Zeit als Vertreter des leidenschaftlichsten Radikalismus in die pariser Ent­ wicklung einmünden — mit aller Deutlichkeit tritt doch zutage, -aß im Elsaß ein wesentlich anderer Geist herrschte als in Frankreich. Zu fest war der Elsässer in seinen alten Traditionen festgeankert, als daß er sie zugunsten „syste­ matischer Gleichmacherei" hätte preisgeben wollen. Es sollen dem Elsaß alle Privilegien einer wirklich fremden Provinz gewahrt und erweitert werden: so lautete der Auftrag, den man den Straßburger Abgeordneten zur Nationalversammlung mitgab; und gegen die Beschlüsse des 4. August hat die Stadt mit der Erklärung protestiert, daß sie „eine Verletzung des Kontrakts bedeuteten, der die freie Stadtrepublik mit Frankreich verbinde". Der leidenschaft­ liche Widerspruch gegen die Vorrückung der Zollgrenze an

13 -en Rhein wollte lange nicht verstummen. Rus demselben Geiste heraus hat Roch durch meisterliche Diplomatie das protestantische Kirchenvermögen und die der Universität dienenden Stiftungen gerettet, sind die Straßburger Pro­ fessoren nicht müde geworden, die Wiederaufrichtung der Universität, und zwar unter Beibehaltung ihres bisherigen Tharakters als deutscher Hochschule zu fordern, „wir bleiben wir", erklärte damals ihr Wortführer Blessig. Vas Rufkommen der Schreckensherrschaft im Elsaß bedeutet denn auch einen Sieg des französischen über das einheimische Element. Vie pariser Delegierten Saint Just und Lebas, der zum Maire von Straßburg erhobene Sa­ voyarde Monet und ihre Kreaturen, das sind die Größen, denen der Ruhm verbleibt, alle namhaften Männer einge­ kerkert, den Statuenschmuck des Münsters vandalisch zer­ stört und die Kirchen zu Heumagazinen und Viehställen ge­ wandelt zu haben. Kein Wunder, daß in diesen Kreisen ein wilder Nationalismus die „Hydra des Deutschtums" zu zertreten begehrte. Man sprach die Schließung der „noch nicht nationalisierten" Universität aus; man forderte das verbot der deutschen Sprache in sämtlichen Schulen; man verfehmte die deutsche Tracht der Bürgersfrauen; man machte allen Ernstes den Vorschlag, unter Begünstigung elsässischer Rbwanderung ins Innere die beiden Rheindepartemente zur Hälfte mit echten Franzosen zu besiedeln, deren Sprache und Sitte eine Scheidewand gegen das rechte Rheinufer darstellen würden. Rls dergestalt fremder Radikalismus feine Orgien feierte, die Religion geächtet war und die eidweigernden Priester verfolgt wurden, da war es im Elsaß mit der Be­ geisterung für die Revolution gründlich vorbei. Ihre bleibende Bedeutung liegt auf anderem Felde: sie liegt in der großen Rufräumungsarbeit, die sie vollzogen hat. wo eben noch das bunte Gemisch von Grafschaften, Herrschaften und freien Städten sich breitete, liegen jetzt die beiden vepartemente Gberrhein und Niederrhein, verschwunden sind

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die alten Verfassungen, Privilegien und privilegierte, Feudalrechte und Feudallasten; verschwunden das alte Gerichts- und Steuerwesen so gut wie die altgeheiligten Diözesangrenzen und die protestantischen Territorialkirchentümer. wie eine Mesenwalze ist über das Land gegangen und hat alle geschichtlich gewordenen, bodenständigen In­ stitutionen, Absterbendes und Entwicklungsfähiges zugleich, eingeebnet. Vieser größte Bruch, den das Elsaß seit den Seiten der Völkerwanderung erlebt hat, bedeutete zugleich das Ende seiner bisherigen Sonderstellung, seine organische Einverleibung in das im werden begriffene neue fran­ zösische Staatswesen. 3u voller Auswirkung ist dieser neue Zustand aller­ dings erst gekommen, als nach dem Chaos der Revolution das Kaiserreich den staatlichen Neubau wirklich zu fugen vermochte. Es gab dem schwergeprüften Elsaß den innern Frieden wieder. (Es richtete ein neues Staatskirchentum auf. Der Katholik konnte Kirche und Staat wieder gleicherweise Treue halten, der Protestant war nicht mehr Staatsbürger min­ deren Rechts, hervorragende Präfekten wußten das Land rasch zu neuer Blüte zu bringen; ja infolge der Sperrung der Häfen erlebte Straßburg als wichtigster Ausfuhr- und Ein­ fuhrplatz von ganz Frankreich eine an feine mittelalterliche Glanzzeit erinnernde Handelsblüte, vor allem aber: Frankreich steht im Zenit seines Glanzes als die siegreiche, über Europa gebietende „grande Nation". An ihrem Waffen­ ruhm hat das Elsaß hervorragenden Anteil; Kleber, Keller­ mann, Rapp sind Söhne des elsässischen Volkes. Altererbter alemannischer Soldatengeist läßt den Elsässer der sieg­ reichen Trikolore zujubeln. Noch auf lange hinaus ist der Veteran, der vom Kaiser und der großen Armee erzählt, aus dem Lande der wichtigste Verbreiter nationalfranzösischen Geistes. Diese Zeit der Größe, des Ruhmes und der Wohl­ fahrt ist es gewesen, welche die Einverleibung des Elsaß innerlich vollendet hat.

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V.

Mochte nun auch die politische Zugehörigkeit zum französischen Staatswesen fortan für den Elsässer eine Selbstverständlichkeit oder ein Gegenstand des Stolzes sein, mochte sie den bisher schlummernden Staatsgedanken erst geweckt und damit sofort in bestimmte Bahnen geleitet haben, so bedeutete dies alles an sich kein Hufgeben heimi­ scher deutscher Hrt und Sitte. Hber die Kulturentwicklung stand jetzt unter völlig anderen Bedingungen als vor der Revolution. Denn der neue französische Staat war ein straff zentralisierter Einheitsstaat. Aus dem Kampf gegen das geschichtliche Recht geboren, konnte er Rücksichten auf ge­ schichtlich berechtigte Eigentümlichkeiten einzelner Land­ schaften und Volksteile nicht kennen. Hls moderner Nationalstaat mutzte er vielmehr so Grieb als Willen haben, alles möglichst mit dem eigenen Geiste zu erfüllen, auszustotzen, was als wesensfremd feine Einheit störte. Mutzte ein so gearteter Staat nicht mit innerer Notwendigkeit dem Elsaß gegenüber eine Mission empfinden, in dem Gefühl, daß ein Land deutscher Zunge und Hit erst durch Übernahme der nationalen Sprache und Kultur restlos in Frankreich aufgehen würde? Kein Wunder, wenn fortan seine Prä­ fekten und Hkademierektoren, mit geringen Husnahmen landfremd und meist nicht einmal der deutschen Sprache mächtig, nur ein höchstes Ziel kennen, die „Nationalisie­ rung" des Elsaß. Dazu war nun der Zusammenhang mit der deutschen Vergangenheit des Landes jäh unterbrochen. Die alten aus dieser Vergangenheit stammenden Institutionen waren hin­ weggefegt. Die sich jagenden Ereignisse und Stürme der Zeit hatten die beiden letzten Jahrzehnte in ihren Wir­ kungen ebensovielen Menschenaltern gleichgemacht und eine Scheidewand gegen früher aufgerichtet. Für den Elsässer beginnt seitdem die Welt von heute mit dem Jahre 1789; was dahinter liegt, wirkt nicht mehr als lebendige Tradi-

16 tion. Gelockert war nicht minder der bisherige Zusammen­ hang mit Deutschland. Der Rhein war jetzt Zollgrenze, handel und Industrie aus die Verbindung mit Frankreich gewiesen. Revolutions- und Kriegswirren hatten in einer Zeit höchster Schöpferkraft der deutschen Dichter und Denker den geistigen Austausch mit Deutschland unterbunden. Des Elsaß hat seitdem mit der geistigen Entwicklung in Deutsch­ land nicht mehr eigentlich Schritt zu halten vermocht. Unter diesen Umständen konnte der Uationalstaat eine solche Kraft der Anziehung und Angleichung entfalten, daß die von ihm erstrebte Fusion sich in der Hauptsache von selbst, wie mit innerer Notwendigkeit, vollzog.

An Intensität wie Breite ständig zunehmend, ist diese Entwicklung in sieben Jahrzehnten ihrem Ziele entgegen­ gereift. Französisch ist in der Kaiserzeit und darüber hinaus neben Verwaltung und Justiz nur die Spitze des Unterrichts ­ wesens. Vie Fakultäten der neuen Acadomie de Strasbourg haben französischen Zuschnitt und Unterrichtssprache; als einziges Vollgymnasium ist ein völlig französisches Lycoe imperial errichtet. Das sonstige Schulwesen ist deutsch, auch das alte Sturmsche Gymnasium nebst ähnlichen An­ stalten noch 25 Jahre eine deutsche Schule. Und dank Kochs Bemühungen ist ein „protestantisches Seminar" gegründet, eine theologische Schule mit philosophisch-philologischem Unterbau, die, rechtlich wie geistig die Erbin der alten Hoch­ schule, den deutschen Betrieb der Wissenschaft in alter weife weiterführt. „wer etwa von Karlsruhe nach Straßburg reist, der meint nicht in Frankreich einzutreten, sondern aus der Fremde in eine rechte deutsche, heimatliche Stadt zu kom­ men, so vertraut sehen einen Menschen und Häuser an": so urteilt Jakob Grimm im Jahre 1814. Die Sprachen­ politik der Regierung war vorerst äußerst maßvoll. Mutter­ sprache sei Muttersprache, sagte Laumond, der erste napo-

17 leonische Präsekt; man müsse sich begnügen, die französische Sprache aus gleichen Futz mit ihr zu setzen, das weitere sei ein Werk von Jahrhunderten. Rur um so leichter kam da­ bei die Entwicklung von selbst in Gang. Insonderheit wandte sich der neue gesellschaftlich führende Stand der Rotabeln, ein Stand ohne Tradition, als Stand nicht auf Geburt und nicht auf Bildung, sondern lediglich auf Besitz beruhend, von der Regierung bevorrechtet und herangezogen, völlig der französischen Kultur zu. Im Zeitalter des Julikönigtums hielten sich deutsche und französische Kultur einigermatzen die Wage. Der wirt­ schaftliche Rufschwung im Zeitalter der Eisenbahnbauten, in der grotzen Zeit der damals durch Eharaktergestalten von ausgeprägter Eigenart getragenen oberelsässischen In­ dustrie, verbunden mit dem vom elsässischen Bürgertum begrützten politischen Umschwung, knüpfte die Bande mit Frankreich fester. Vie französische Sprache begann auch in wohlhabenden Bürgerkreisen heimisch zu werden. Run alle höheren Schulen französisch waren, auch am Stratzburger Gymnasium 1825 die französische Unterrichtssprache einge­ führt worden war, wurde die Nationalisierung der bisher rein deutschen Volksschule eingeleitet. Wenn im Jahre 38 Eduard Reutz die Worte schreiben konnte: „wir reden deutsch, heitzt ja nicht blotz, datz wir unsere Muttersprache nicht ab­ schwären wollen, sondern es heitzt, datz wir in unserer ganzen Art und Sitte, in unserm Glauben, Wollen und Thun deutsche Kraft und Treue, deutschen Ernst und Gemeingeist bewahren wollen", so sind sie bezeichnend für das, was damals noch war, wie für den Umschwung, der sich ankündigte. Konnte doch in ebendemselben Jahre ein Ludwig Spach, dessen deutsche Jugenddichtungen das Feinste sind, was damals im Elsatz gedichtet wurde, es für feine Pflicht halten, offen auszusprechen — und er tut dies so, datz man ihm innere Kämpfe und schmerzliche Resignation anmerkt —, datz nun­ mehr der Gebrauch der französischen Sprache und Form im Elsatz die einzige literarische Zukunstsmöglichkeit darstelle.

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Jn der Tat begann mit dem Jahre 48 das Übergewicht der französischen Srt einzusetzen. Vie neue Welle patrioti­ scher Begeisterung im Revolutionsjahr, unter deren Druck z. B. das protestantische Seminar für alle Pflichtvorlesungen fortan die französische Sprache vorschrieb, trug hierzu nicht minder bei wie die durch den hohen Flor von Landwirt­ schaft und Industrie mitbedingte Volkstümlichkeit der Napoleonischen Regierung. Für den Geist dieser Zeit ist nichts bezeichnender als die systematische Durchführung einer äußerst straffen natio­ nalen Schulpolitik. Der besonders begünstigten Kleinkinderschule ward die nationale Mission zugewiesen, den Kleinsten das Französische unmittelbar als lebende Sprache beizubringen und damit ein neues, französisch sprechendes Geschlecht heranziehen zu helfen. Für die Volksschule ward 1853 das Französische zur Unterrichtssprache erhoben, 1859 der fortan in französischer Sprache zu erteilende deutsche Unterricht auf täglich 35 Minuten beschränkt; sonst war nur der Religionsunterricht noch teilweise deutsch. Offiziell bekannte man sich zum Prinzip der Zweisprachigkeit der Schule; das war's auch, was man im Elsaß selbst fast allge­ mein begehrte. Indes, die berechnet stiefmütterliche Be­ handlung des Deutschen, der Zorn auf die deutschen Re­ ligionsunterricht verlangende Geistlichkeit, die zeitweilige gänzliche Unterdrückung des deutschen Unterrichts im Schul­ programm für die deutschsprachigen Gebiete Lothringens, alles zeigt klar, daß die völlige Nationalisierung der Volks­ schule nur mehr eine Frage der Zeit war.

VI. So bietet sich uns am Vorabend des deutsch-französischen Krieges folgendes Bild: Französische Sprache und Kultur hat, von oben nach unten vordringend, sämtliche Schichten des Volkes, wenn auch in sehr verschiedener weise, ergriffen und entfaltet

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eine vorher nicht gekannte werbende Kraft. In den Kreisen der Notabeln und der höheren Bourgeoisie ist französische Bildung herrschend geworden, vorerst noch mit sehr merk­ lichen Resten deutsch-elsässischen Wesens. Vie Generation, die in den 60er Jahren ihre entscheidenden Jugend- und Lildungseindrücke empfängt, ist die erste von ausgesprochen französischem Gepräge. Kleinbürgertum und Arbeiterschaft sind noch vorwiegend deutsch, nehmen aber für sich und erst recht für ihre Kinder französische Art und Sprache begierig auf als die Sprache des öffentlichen Lebens, der Bildung, des vorwärtskommens. Selbst der seinem Wesen nach kerndeutsche Bauer bildet sich unendlich viel daraus ein, daß seine Kinder französische Schulbildung erhalten; deutsch brauchen sie ja nicht erst zu lernen, das können sie von Hause. Deutsch war nur noch eine Großmacht des Volks­ lebens, Kirche und Religion. Bibelwort und Kirchenlied, deutsche Predigt und Religionsunterricht waren in Stadt und Land der letzte Hort der deutschen Kultur; das Hoch­ deutsche blieb annoch für viele die geweihte Sprache des Gottesdienstes und des Gebets. Wit dem Volksleben am innigsten verwoben und vertraut, hat, aufs Ganze gesehen, die Geistlichkeit die alte deutsche Art am längsten bewahrt, von der Geistlichkeit beider Bekenntnisse ist der Protest gegen die Schulpolitik der Regierung getragen gewesen. Vieser Widerstand ist allerdings zuletzt matter geworden, teils weil man seiner Nutzlosigkeit sich bewußt wurde, teils weil die allgemeine Wandlung sich auch in der Geistlichkeit bemerkbar zu machen begann. Da es auf die Dauer doch unumgänglich sei, so meinten jetzt manche, so sei es, um einem unerträglichen Swittertum zu entgehen, das Beste, wenn die Kirche dem allgemeinen Kulturumschwung sich möglichst rasch und entschlossen anbequeme, und sei es um den Preis der Opferung einer Generation. Im übrigen sind es nur kleinere Kreise gewesen, die sich zu dem allgemeinen Suge der Kulturentwicklung in be-

20 wußten Gegensatz stellten. Da waren sinnige Dichternaturen wie die Brüder Bugust und Adolf Stöber, wie Tandidus, Mühl und andere, die in ihrem Schaffen an die deutschen Dichterheroen sich anlehnten und die Sagen und Erinne­ rungen der elsässischen Dorzeit pietätvoll sammelten. Sie haben Feines und Zartes gesagt, und das Bewußtsein, das heilige Kleinod der Muttersprache zu hüten, gab ihrem Dichten die Weihe; auf dem lauten Markte des Lebens ver­ hallten ihre Klänge fast ungehört. Da waren einige evangelische Theologen um Eduard Reuß, die im Gefühl, mit ihrem ganzen innern Sein in deutschem Geistesleben und deutscher Frömmigkeit zu wurzeln, die fortschreitende „Derwelschung" als charakterlose Derleugnung des eigenen besten Erbes empfanden. Da war eben in der Zeit, da die Jugend sonst mehr in französische Bahnen lenkte, ein Kreis von jungen Leuten, die mit deutscher Studentensitte und -Sang auch deutschen Sinn pflegten; den sangesfrohesten aus ihren Reihen, Karl Hackenschmidt, haben wir kürzlich zu Grabe geleitet. Den allgemeinen Gang der Entwicklung haben diese Männer, die alle die große Wendung des Jahres 70 freudig begrüßt haben, nicht zu beeinflussen vermocht. Das Elsaß wies jetzt ein Doppelgesicht auf; eine soge­ nannte Doppelkultur mit jeweils unendlich verschiedener Mischung von deutschen und französischen Elementen gab ihm sein Gepräge. Bestand doch damals keinerlei Bbneigung, ge­ schweige Feindschaft gegen Deutschland als Kulturnation. Doller Hochachtung sprach man von seinen Dichtern und Denkern, und die französische Kultur fand mit deshalb so leicht Eingang, weil ihre Bnnahme nicht gepaart war mit bewußter Abstoßung der deutschen. Man empfand keinen Bruch; man hielt es für das hohe Dorrecht des Elsässers, an deutschem und französischem Geistesleben in gleicher Weise Anteil zu haben; ja man redete gern von einer besonderen Mission des Elsaß, zwischen beiden Dölkern und Kulturen zu vermitteln, und erblickte dementsprechend in der Doppel­ kultur das eigentliche elsässische Kulturideal.

21 Vermittlungen auf einzelnen Gebieten haben denn auch stattgefunden, und aus den besonderen Verhältnissen der Zeit erwuchs manche besondere Mission. Eduard Reuß z. B., der Vertreter deutscher Art, konnte in Frankreich als Bahn­ brecher wirken, weil er der von der Zeitlage ihm gestellten besonderen Aufgabe sich nicht versagte, dem französischen Protestantismus die deutsche Bibelwissenschaft zu ver­ mitteln. Eine Rechtfertigung der voppelkultur als Ziel, als Prinzip und Ideal bedeuten solche Vermittlungen mit Nichten. Eine voppelkultur, die eine wirklich harmonische innere Verbindung oder gar einen höheren Ausgleich beider Kulturen dargestellt hätte, hat es denn auch in keiner Gesellschaftsschicht gegeben; wenn überhaupt, was nicht ohne Einschränkungen zu bejahen ist, hat nur bei einigen wenigen höchstgebildeten etwas von diesem Ideal Gestalt gewonnen. Es war die elsässische voppelkultur auch nie eine irgend einheitliche und ausgereifte Größe; immer stan­ den vielmehr nebeneinander Menschen und Kreise, in denen die deutsche, und solche, in denen die französische Art wesens­ bestimmend war. Mit einem Worte, die voppelkultur war — und ist — die Mischkultur einer Übergangszeit; sie stellte einen Übergangszustand dar, der als solcher allerhand be­ sondere Aufgaben in sich schloß, aber so wenig von Dauer sein konnte wie jeder Schwebezustand. Fraglos hatte diese Mischkultur für die äußeren Lebensbeziehungen ihre Vor­ teile. Aber wie das Reden, Denken und Fühlen in zwei Sprachen von ganz verschiedenem Genius ein Leben in zwei Welten bedeutete, das auch für die Tüchtigsten eine gewisse Zwiespältigkeit des inneren Seins zur Folge hatte und die Entfaltung der Persönlichkeit zu kraftvoll geschlossener Ein­ heit mindestens gefährdete, so bedeutete für das Ganze in Hinsicht auf wahre innere Bildung, auf geistige und seelische Kraft die voppelkultur fraglos Hemmung, Verflachung, Veräußerlichung. An dem ungemeinen Bildungstiefstand in vielen Schichten des Bürgertums, an dem zunehmenden Mangel an charakterfesten Persönlichkeiten ist die voppel­ kultur mitschuldig, wie klagten damals die Urteils-

22 fähigen, daß der Arbeiter und Bauer feine Muttersprache nicht mehr schreiben und die in der Schule angeeignete Fremdsprache nur halb noch verstehen und sprechen könne. Auch wird es kaum Zufall sein, datz das Elsaß im 19. Jahr­ hundert zwar große Generale und große Männer der In­ dustrie, aber auf dem Gebiete des Geisteslebens keinen schöpferischen Genius aufweist, keinen wirklich großen Dichter, Schriftsteller, Musiker, Künstler und nur einige wenige bedeutende Gelehrte. vor allem aber lassen gerade die 60er Jahre mit voller Deutlichkeit erkennen, wohin diese ganze Entwicklung mit innerer Notwendigkeit führen mußte, ohne datz die meisten Zeitgenossen sich davon Rechenschaft gegeben hätten: Nicht auf ein schönes Gleichgewicht oder eine harmonische Ver­ bindung der beiden Kulturen war sie eingestellt, vielmehr aus den vollen und ausschlietzlichen Sieg der französischen Kultur. In den oberen Schichten hätte derselbe nicht mehr sonderlich lange auf sich warten lassen, wäre das Jahr 1870 nicht gekommen, es würden unsere Söhne Goethe und Schiller nicht anders lesen als der gebildete Deutsche Pascal und Moliere liest, vor der Schule und der Gesellschaft hätte über kurz oder lang auch die Kirche in der Sprachenfrage schrittweise kapitulieren müssen, von hochdeutscher Sprache und Schrifttum abgeschnitten, wäre das Elsässerdeutsch in Arbeiterkreisen ohne besonders zähen widerstand einem zweifelhaften Französisch gewichen, während es sich auf dem Lande wohl noch eine beträchtliche Zahl von Generationen hindurch als altertümliches, mehr und mehr verachtetes patois behauptet hätte. Unser Volk ohne sein deutsches Volks- und Kirchenlied, ohne seine Lutherbibel, seine Muttersprache als die Sprache der Unbildung betrachtend — man mag nicht ausdenken, welche Gefühls- und Gemüts­ werte dadurch zerstört, welche Kleinodien der Volksseele angetastet worden wären? Jedenfalls: mit der behaupteten kulturellen Vermittlungsmission des Elsatz wäre es gründ­ lich aus gewesen. Und wenn heute die Voppelkultur wieder

23 als das eigentliche elsässische Ideal gepriesen wird, sei es von überzeugten, ehrlichen Kulturidealisten, sei es von solchen, die ihre pflege bewußt oder unbewußt anderen Zielen dienstbar machen, so geben sich wohl die einen so wenig wie die anderen davon Rechenschaft, daß sie heute von Doppelkultur nicht reden würden, wenn das Elsaß im Jahre 70 nicht wieder deutsch geworden wäre.

hochansehnliche Versammlung! Vie weltgeschichtliche Wendung des Jahres 1870 hat, fast im letzten Augenblick, das Steuer herumgeworfen, neue schwierige Probleme politischer und kultureller Art waren damit für Generationen gegeben; sie zu verfolgen, liegt nicht in unserem Plan. Vie Lebensfrage für das Elsaß war und ist, den inneren Anschluß zu finden an den deutschen Nationalstaat, weil dieser der zusammenfassende Träger auch der deutschen Kultur geworden und unter Feindschaft oder partikularistischer Abschließung ihm gegenüber ein fruchtbarer innerer Anschluß an die deutsche Kulturgemein­ schaft nicht möglich ist. weit entfernt, voneinander un­ abhängig zu sein, bedingen die politisch-nationale Frage und die Kultursrage einander gegenseitig aufs stärkste, und mit darin liegen die Schwierigkeiten der Entwicklung. So unendliche Differenzierungen und so polare Gegen­ sätze indessen die letzten Jahrzehnte in der Stellung zu dieser Lebensfrage aufgewiesen haben mögen und so selbstver­ ständlich es ist, daß auf den Gebieten der Außenkultur und der Gesellschaftsschichtung eine zweihundertjährige Verbin­ dung mit Frankreich unvergängliche Spuren zurücklassen muß — eins tritt doch immer wieder zutage, wie grund­ deutsch jeglichem Firnis zum Trotz unser elsässisches Volks­ tum seinem innersten Wesen nach geblieben ist, und wie sich bei ihm dieser Wesenskern mit echt alemannischer Zähig­ keit behauptet hat.

24 Wohl- wie übelwollenden gegenüber müssen wir Elsässer uns deshalb entschieden dagegen verwahren, als ein Fremdvolk im Gefüge des deutschen Nationalstaates angesprochen zu werden. Das Problem „Fremdvolk und Nationalstaat" ist durch die französischen Lothringer und die Polen gegeben, im Elsatz besteht es nicht. Für uns gilt's im Gegenteil Neuentfaltung des eigenen deutschen Wesens­ kernes durch innere Verbindung mit dem Ganzen eben der Volksgemeinschaft, deren Glied zu sein ein unverlierbares Anrecht unserer Geburt ist. Und weil dem so ist, so bliebe für den Angehörigen eines deutschen Volksstammes ein sogenannter lediglich politischer Nnschlutz an Deutschland unter dauernder bewußter Bevorzugung einer anderen Kultur ein lahmer, eigennütziger, des Idealismus ent­ behrender Nnschlutz, eine in sich widerspruchsvolle Stellung, von der in schwerer Seit kein weg aufwärts führt zu den Menschen und Dolksgemeinschast adelnden hehrsten sittlichen Leistungen des Opfers, der Selbsthingabe, des unbedingten Eintretens für das Ganze.

von der hohen warte einer weltgeschichtlich entscheiden­ den Seit haben wir heute das Recht, über allerlei Niede­ rungen hinweg in die Ferne zu blicken, wir sehen im Geiste unser Elsatz als Glied der großen deutschen Volksgemein­ schaft zu neuer Blüte emporwachsen, wir sehen eine elsässische Kultur, einheitlich in ihrer Gesamtorientierung, die verschiedenen Schichten gemeinsam umspannend, unseres Volkes innerstes Wesen neu erschließend; ein organisches Glied der deutschen Gesamtkultur und doch ein Eigenwesen mit landschaftlicher Eigenart und heimatlichem Erdgeruch; ein (Buell traulich-inniger heimatliebe wie entschlossener Hingabe an das große Vaterland; nach guter deutscher Art allen großen Geistern und allen wirklichen Kulturerrungen­ schaften der Nachbarvölker gegenüber aufgeschlossen, dabei aber in sich selbst so einheitlich und stark, daß sie, wie das lebendige Erbe des Altertums, so die Kulturgaben der Nach-

25 barn in das eigene Wesen einzuschmelzen und zur Bereiche­ rung und Erhöhung der eigenen Art dienen zu lassen die Kraft hat. Ideal einer fernen Zukunst! In der Tat, vieles davon kann nur die Zeit schaffen. Mögen sich Hindernisse weg­ räumen und Schädlinge entfernen, mag sich Widerspruch ersticken lassen, das positiv wertvolle läßt sich nicht er­ zwingen, es kann nur von innen heraus sich gestalten. Über wir dürfen des Glaubens leben, daß die Wucht der welt­ geschichtlichen Ereignisse Helsen wird, es zu entbinden. Es kann die neue Gemeinschaft, die in Schützengräben und auf Schlachtfeldern heranwächst, auch bei den yeimgekehrten nicht fruchtlos verwehen; es werden im Ernst der Zeit klarer erkannte Kulturausgaben als persönliche Kulturpslichten empfunden werden; es werden vor allem die, die schon immer deutsch empfanden, erst recht und rückhaltlos deutsch empfinden, seit ihnen in jenen Tagen, da es um des Reiches Bestand, um Deutschlands Existenz als Weltvolk ging, aus innerstem Erbeben heraus das vichterwort zum persönlichen Bekenntnis emporwuchs: Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt! heute, da wir in stolzem vertrauen auf unsre Kämpfer und Heerführer blicken und die Söhne unsrer Lllma Mater an den Ironien grüßen, gedenken wir in dankbarer Er­ griffenheit der Heldengräber in Ost und West, in die so manche gebettet sind, die unsre Hoffnung und unser Stolz gewesen. Und wir sagen uns: Indem sie für Deutschlands Existenz sich einsetzten, haben sie auch unsre Heimat mit ihren Leibern gedeckt, haben sie auch dafür Blut und Leben hingegeben, daß unsrem Elsaß sein bestes Teil, seine Seele bewahrt bleibe. Des danken wir ihnen laut! Mit freudigem Stolze aber dürfen wir Ungehörige der Straßburger Hochschule von der Gewißheit getragen sein, daß die deutsche Wissenschaft, einst ein fester Rückhalt deut­ scher Srt im Elsaß, nunmehr wieder als festeste Brücke zum deutschen Volk und Vaterlande sich bewährt, und dies mit

26 um so sichrerem Erfolg, je mehr sie rein auf die Macht der Gedanken, den sittlichen Ernst des Wahrheitsstrebens und die Vornehmheit und Gerechtigkeit des Urteils ihre Wir­ kung gründet. Darum gilt gerade auf unsrem Boden von jeder treuen und hingebenden Urbeit das Wort, das über dem Eingang unseres Hauses leuchtet: Litteris et patriae, von der engeren Heimat leitet dies Wort die Blicke wieder auf das große deutsche Vaterland. AIs dessen per­ sönliche Verkörperung steht uns heute die Gestalt unsres Kaisers leuchtend vor Augen, wir fühlen es tief, wieviel Ursache zum Dank wir haben, daß unsrem Volke in schwerer Zeit ein Führer gegeben ward, der in Gewissenhaftigkeit und pflichttreue uns hehres Vorbild ist, dessen Weitblick unser Schwert geschärft, unsrem Reich neue weltpolitische Ziele gegeben hat. Aus dankbarer Rückschau und freudiger Zu­ versicht steigen darum heute in unsrer Mitte wie überall im deutschen Volke tief empfunden Wunsch und Bitte auf: Gott segne, Gott erhalte uns den Kaiser?

Erläuterungen.

Zu Seite 5: 1. Die beste Darstellung über die Art der französischen Besitz­ ergreifung und die durch sie geschaffenen öffentlichrechtlichen Verhältnisse bietet Th. Ludwi g, Die deutschen Reichsstände im Elsaß und der Ausbruch der Revolutionskriege, 1898; vgl. auch A. Overmann, Die Abtretung des Elsaß an Frankreich im Westfälischen Frieden, Zeitschr. für Geschichte des Oberrheins N. F. 19, 1904, S. 79 ff., 434 ff., und CH. Pfister, La reunion de l’Alsace ä la France,

Revue de Paris, 7. annee, tome 4, juillet—aoüt 1900, p. 361 ss. Zu Seite 7: 2. Über die Zugehörigkeit des Elsaß zum rheinischen Wirtschastsgebiet vgl. z. B. P. Darmstädter (unten Nr. 28), S. 288 ff. 3. Die reichsunmittelbare Ritterschaft des Unterelfaß hatte sich um die Mitte des 17. Ihs. enger zusammengeschlossen und war 1651 ausderallgemeinenRitterschastsversammlung zu Mergentheim als neuer Kreis neben den bestehenden Ritterschaftskreisen von Schwaben, Franken und Niederrhein anerkannt worden. Sie erkannte 1681 die Souveränität des Königs von Frankreich an. Ihr in Straßburg residierendes Direktorium übte auch weiterhin die niedere Gerichts­ barkeit in den ritterfchastlichen Territorien. Nach wie vor hatte der elsässische Adel Anwartschaft auf Stellen in deuffchen Adelsstistern und bergt Umgekehrt blieb das hochadlige Straßburger Domkapitel bis zur Revolution zu zwei Dritteln aus Angehörigen deutscher Fürstenhäuser und Adelsgeschlechter zusammengesetzt. 4. Die Grafschaft Hanau-Lichtenberg mit der Hauptstadt Buchsweiler, das größte weltliche Territorium des Unterelfaß, fiel infolge Aussterbens der Hanau-Lichtenberg 1736 an HessenDarmstadt. Die württembergische Grafschaft Horburg-Reichenweier im Oberelfaß, zu Zeiten im Besitz von Seitenlinien, ward 1748 endgültig mit dem Hauptland vereinigt. Berschiedene Pfälzer Linien waren im Elsaß begütert. Die durch Erbteilung entstandene Linie Psalz-Birkenfeld-Bischweiler erbte 1673 nach

30 dem Tode des letzten Herrn von Rappoltstein die bedeutende, aber nicht reichsunmittelbare Herrschaft Rappoltstein; 1731 nach

dem Aussterben der Lime Pfalz-Kleeburg-Schweden das unterelfäMche Amt Kleeburg, 1734 das Herzogtum Zweibrücken. Die Residenz wurde 1717 von Bischweiler nach Rappoltsweiler, 1734 von da nach Zweibrücken verlegt. Die neue Linie Pfalz-Zwei­ brücken erwarb 1766 von Kurpfalz auch das unterelfäsfifche Amt Selz; sie vereinigte damit alle pfälzischen Besitzungen im Elsaß in ihrer Hand, das unterelsässische Amt Altenstadt ausgenommen, das 1709 durch Tauschvertrag an das Bistum Speyer gekommen war. Zu Seite 8:

5. Boreilige Erlasse der ersten Zeit gegen die deutsche Tracht und über das Französische als allgemeine Gerichtssprache find, wie sie nun gemeint sein mögen, jedenfalls von der Regierung selbst sehr bald völlig fallen gelassen worden; vgl. darüber Rod. Reuss, L’Alsace

au 17me siede I, 1897, p. 726 s. 6. Über die Stellung des Staates der alten Zeit zu fremdem Volkstum vgl. die trefflichen Ausführungen von W. Wittich, Kultur und Nationalbewußtsein im Elsaß, Revue Alsacienne il­

lustres XI, 1909, S. 28 ff. 7. Elsaß:

über die Religionspolitik

der französischen Regierung im

Rod. Reuss, Louis XIV. et l’Eglise protestante de Strasbourg, 1887; ders., L’Alsace au 17me siede II, 1898, p. 534 ss.; ders., Documents relatifs ä la Situation legale des Pro­ testants d’Alsace au 18me siede, 1888. Die wichtigsten allgemeinen Maßnahmen waren: Einführung des Simultaneums, d. h. der Mitbenutzung der Kirche eines evange­ lischen Orts durch die Katholiken, sobald sieben katholische Familien

am Orte ansässig geworden waren (1684), nicht nur ohne entsprechende Gegenleistung von katholischer Seite, sondern bei Unterdrückung des evangelischen Gottesdienstes in den zu zwei Dritteln katholischen Ort­ schaften (Geheimedikt von 1686); das direkt gegen die Bestimmungen des westfälischen Friedens über das Normaljahr 1624 verstoßende Simultaneum ward in etwa 150 Ortschaften durchgeführt. — Verord­

nung, daß sämtliche territorialherrlichen Amtleute und Schreiber katholischen Glaubens sein müssen (1685), wie auch die sieben, das Direktorium der elsässischen Reichsritterschaft bildenden Direktoren sämtlich katholisch fein müssen. In Straßburg und andern Städten

31 Einführung der sog. Alternative (1687), d. h. der Ordnung, daß sämt­ liche Magistratsstellen abwechselnd von Protestanten und Katholiken zu bekleiden sind; die damit eintretende starke Bevorzugung katholischer Minoritäten war eine Verlockung zum Übertritt für politische Streber. — Beim Übertritt zum Katholizismus Steuerfreiheit auf drei Jahre und persönliche Gratifikationen (1685), wogegen auf Übertritt zum Protestantismus die Strafe der Verbannung steht. Zulassung protestanttscher Kinder zur Abschwörung von ihrem siebten Jahre an (1681). Katholische Konfession sämtlicher unehelicher Kinder, deren Zahl durch Verbot von Ehen zwischen Protestanten und Katholiken gemehrt wird. In den Jahren 1684 ff. ist es an einzelnen Orten zu wirklicher Zwangsanwendung gekommen. Die Dörfer Düttelnheim, Jllwickersheim (heute Ostwald), Röschwoog, Offendorf, Herlisheim, Drusenheim, Rohrweiler sind mit Gewalt rekatholisiert worden. Die schmähliche Behandlung des Straßburger Ammeisters Dominikus Dietrich, den man auf Louvois' Veranlassung zum Übertritt zwingen wollte (1685 ff.), ist bekannt. Daß politische Erwägungen und nicht andre Rücksichten ein strengeres Vorgehen gegen den Protestantismus ver­ hinderten, zeigt z. B. die völlige Vernichtung des evangelischen Kirchentums in der Grafschaft Saarwerden von 1685—1697; sie ge­ hörte nicht zum eigentlichen Elsaß, so daß Frankreich hier nicht durch den Westfälischen Frieden gebunden war: G. M a t t h i s, Die Leiden der Evangelischen in der Grafschaft Saarwerden, 1888.

Zu Seite 9: 8. Über Straßburg in den zwei Jahrzehnten vor der Revolution vgl. die bekannten Abschnitte von Goethes „Dichtung und Wahr­ heit", Buch 9—11 (überdie Jahve 1770/71); sTH. Fr. Ehrmanns, Briefe eines reisenden Deutschen an seinen Bruder, 1789; Herrn. Ludwig svon Jans, Straßburg vor hundert Jahren, 1888. 9. Das in Straßburg gesprochene Deutsch betreffend ist die Be­ obachtung von Ehrmann (s. Nr. 8) S. 368 interessant, „daß hier die Vermischung der deutschen Sprache mit französischen Wörtem weit weniger in Gebrauch ist als in andem ganz deutschen Städten". Das ist bezeichnend für die zäh konservative altfränkische Art des da­ maligen Straßburger Mittelstandes. Eben damit hängt zusammen, daß auch das von Gebildeten, z. B. auf der Kanzel gesprochene Deutsch starke Lokalsärbung zeigte. In Leipzig trägt der 26 jährige Blessig 1773 in sein Reisejournal ein: „Nie habe ich mich tiefer ge-

32 kränkt gefühlt, als da mich neulich eine Dame sehr höflich und ohne die mindeste Bosheit fragte: Sprechen Sie das Deutsche schon lange? Man spottet hier laut unsres Dialekts": C.M. Fritz, Leben D. Ioh. Lor. Blessigs I, 1818, S. 39. Über seinen Besuch der Neuen Kirche am Ostertage 1775 notiert der in Straßburg studierende Erbprinz von Sachsen-Meiningen, es sollte lieber französisch gepredigt werden als in dem schrecklichen Deutsch des Elsaß: Bechstein (unten Nr. 16) S. 97 f. Daß die Buchbinder alljährlich reiche Ladungen deutscher Literatur von der Leipziger Messe bringen, notiert E h r mann S. 370. 10. Einführung der französischen Sprache im Gymnasium: C. Zwilling, Die sranzösische Sprache in Straßburg, Festschrift des Protest. Gymnasiums 1888, I S. 294.

11. über die alte Universität vgl. die treffliche Studie von C. Barren trapp, Die Straßburger Universität in der Zeit der französischen Revolution, Zeitschr. für Gesch. des Oberrheins N. F. 13, 1898, S. 448 ff.; dazu die Charakterisierung der Hochschule und ihrer Lehrer bei E h r m a n n (oben Nr. 8) S. 378 ff. Koch erhielt 1773 einen Ruf nach Göttingen; der Mediziner Lobstein wurde mehrfach nach Deutschland berufen. Bezeichnend ist folgende Ausführung des Memorandum der Universität an den Königlichen Praetor 1769: „.. daß gedachte Universitas sowohl in Ansehung ihrer eigenen Ver­ fassung als auch sonderlich in Ansicht auf andre berühmte Universi­ täten in Teutschland als eine teutsche und protestantische muß an­ gesehen werden. Weßwegen dann auch die hiesige protestantische Universität mit den französischen Universitäten in keiner Gemeinschaft ... steht; es auch femer als ein großes politisches Ver­ sehen und eine der Zierde und dem bisherigen Ruhm der hiesigen Universität, wie auch dem bono publico höchst nachteilige Sache anzusehen wäre, wann... die bisher beachtete Methode... nach und nach sollte verändert... und nach dem Geschmack der fran­ zösischen Universität sollte eingerichtet werden": A. Schlicker, Zur Geschichte der Universität Straßburg, 1872, S. 44.

Zu Seite 10: 12. Noch 1815 ff. bildeten die französischen Eingewanderten, Beamten und hohen Militärs die sog. Colo nie: Ferd. Graf Eckbrecht-Dürckheim, Erinnerungen I, 1887, S. 13.

33 13. Welchen Grad der Vollkommenheit diese französische Bildung

in Adelskreisrn erreichen konnte, zeigen z.B. die bekannten, bis zum Jahre 1789 reichenden M6moires de la baronne d’Oberkirch (geb. v. Waldner-Freundstein aus oberelsässischem Wel), 2 Bde. 1853. Diese französische Bildung bedeutet in damaliger Zeit keim Scheidung gegenüber dem rechtsrheinischen Adel. Durch Familienverbindungen mit letzterem und durch seine rechtsrheinischen Besitzungen bleibt der elsässische Adel doch immer in Berbindung mit Deutschland, wohin er in der Revolutionszeit zum Teil endgültig übersiedelt, so daß er doch nicht so schlechtweg in die französische Art eingemündet ist wie das Notabelntum des 19. Jahrhunderts.

14. über die Verbreitung des Französischen vgl. die Studie von Zwilling (oben Nr. 10) S.259ff. und den Abschnitt La langue fran^aise en Alsace bei Rod. R e u s s, L’Alsace au 17me siede

Ehrmann (oben Nr.8) S.368f.: „Die deutsche Sprache ist hier immer noch die herrschende, denn sie ist die allgemeine Sprache des Mittelstandes und des Pöbels, da aber die Vomehmen größtenteils Franzosen sind und da sich hier in alle Stände Franzosen gemischt haben, so wird die Kenntniß der französischen Sprache den Krämern und Kaufleuten sowie den Handwerkern unentbehrlich... Die französische Sprache wird aber sorgfältiger studiert, als die deutsche, weil der Straßburger glaubt, er könne Deutsch genug, wenn er den häßlichen Dialekt seiner Vaterstadt plaudern kann." Eine auch für die Zukunft sehr bedeutungsvolle Beobachtung: das Fran­ II p. 185ss.

zösische hat mit dadurch so leicht gewonnenes Spiel gehabt, weil mit geringen Ausnahmen auch der gebildete Elsässer das Hochdeutsche wohl schrieb und, mit mehr oder weniger Dialektfärbung, etwa in der Kirche sprach und hörte, als häusliche Sprache aber und im täglichen Leben genau wie der Basler den heimischen Dialekt beibehielt. Auch das hat dazu beigetragen, daß auf einer gewissen Höhe teils äußerer, teils innerer Bildung die französische Schriftsprache als Sprache der Bildung der deutschen Dialektsprache den Rang ablief.

15. Auch Ehrmann (oben Nr. 8) betont die doppelte Kultur. Die Einwohner der Stadt, sagt er S. 337 ff., beständen „theils aus Deutschen..., welche ihren Nazionalkarakter nicht mehr ver­ ändert haben, als ein Zweig des deutschen Völkerstammes in der Mitte des heiligen römischen Reiches; theils aus Franzosen, welche nicht mehr und nicht weniger Franzosen sind, als die Pariser;

34 theils aus Leuten, die eine Art von Mittelding zwischen Fran­ zosen und Deutschen machen; doch kann diese letzte Gattung in keine besondere Klasse gebracht werden, da sie...gar nicht zahlreich ist. Ich kann daher, was man von dem vermischten Karakter der Straf­ bürger spricht, nicht anders verstehen, als daß man die Vermischung meint, aus welcher Straßburgs Einwohner heutzutag zusammenge­ setzt sind...kurz und gut: der Karakter der deutschen Straßburger ist deutsch und der der französischen französisch". Ebenso Blessig in seiner „Jubelrede" von 1781 S. 83: „Nennet mir die Stadt, worinn zwei Völker von verschiedenem Bekenntniß, von verschiedener Sprache so friedlich wohnen... Deutsche mit Franzosen, Franzosen mit Deutschen so innig verbunden!"

Zu Seite 11: 16. Über das adlige Element an der ehemaligen Universität vgl. des berühmten Koch Discours sur l’ancienne gloire litteraire de la ville de Strasbourg, 1809, p. 19 s.: Von 1785—1787 hätten 125 junge Leute von Stand hier studiert, darunter 44 Russen und Liven, 23 Engländer und Schotten. Eine Anschauung über das ge­ sellschaftliche Leben dieser vornehmen Kreise nebst vielen Namen geben die Auszüge aus dem Reisetagebuche des Erbprinzen Karl August von Sachsen-Meiningen, der mit seinem Bruder 1775 in Straßburg studierte: L. Bechstein, Mitteilungen aus dem Leben

der Herzoge von Sachsen-Meiningen, 1856, S. 87—129. Das zitierte Wört Goethes steht im 11. Buche von „Dichtung und Wahrheit". 17.

Über das

Vordringen der

fmnzösischen

Kultur urteilt

H. Storch, Skizzen, Szenen und Bemerkungen, auf einer Reise durch Frankreich gesammelt, 2. Ausl. 1790, S. 12 f.: „In eben dem Maß, in welchem allmählich der deutsche Sinn und die letzten morschen Grundpfeiler der reichsstädtischen Verfassung sinken, nimmt der Geschmack an französischer Sitte und die Liebe gegen die herrschende Nation zu... Je geschwinder und vollkommener die Sitten, die Sprache, der Geist der französischen Nation auf die Elsässer übergehen wird, desto glücklicher werden sie seyn. Einer Veränderung, die unvermeidlich einmal eintreffen wird, muß man den Weg bahnen und sich auf dieselbe vorzubereiten suchen. Das ist's denn auch, was die...Straßburger seit ungefähr zwanzigIahrenzu thun anfangen. Um jene Zeit dachte man zum erstenmal im Ernst daran, die alten Sitten und Gewöhn-

35 heilen gegen französische auszutauschen, welches denn bis izt seinen guten Fortgang gehabt hat, wenngleich.einige steifsinnige Reichs­ bürger sich sträuben und ihre Söhne und Töchter eher spanisch als französisch erziehen lassen." Verfasser ist der Balte Heinr. Fr.

von Storch, der Erzieher Kaiser Nikolaus' I., der spätere berühmte Nationalökonom und Vizepräsident der Petersburger Akademie; vgl. Allg. Deutsche Biographie Bd. 36 S. 437 f. Die obige Reise nach Paris hat er 1786 als Zwanzigjähriger unternommen. Sein Auf­ enthalt in Straßburg dauerte nur kurz; fein Hauptverkehr aber war der aus „Dichtung und Wahrheit" uns wohlbekannte Aktuar Saltzmann, auf den das meiste, was er berichtet, zurückgehen dürfte. Das Urteil über das, was im Interesse der Straßburger liegt, überrascht im Munde eines Balten doppelt. 18. Besonderer Beliebtheit erfreuten sich der Generalkommandant der Provinz, Marschall Le Contades, später der Prätor Baron d'Autigny, der die Professoren der Hochschule regelmäßig bei sich vereinigte, vgl. von Jan (oben Nr. 8) S. 118, 182. Der bei den damaligen Gelehrten nicht selten zu bemerkende kosmopolitische Zug ist stark ausgeprägt bei dem berühmtesten Lehrer der Straßburger Hochschule im 18. Jahrhundert, dem Historiker und Staatsrechts­ lehrer Joh. Dan. Schoepflin, einem geborenen Badenser, und entspricht hier einer internationalen Berühmtheit, teilweise auch Wirk­ samkeit. Schoepflin, ein Mann von weltmännischen Formen, hatte schon 1725 eine Berufung an die Petersburger Akademie und zum russischen Hofhistoriographen ausgeschlagen. 1740 zum Historio­ graphen des Königs von Frankreich ernannt, war er gleich gern ge­ sehen in Versailles wie am Wiener Hofe, und wie er mit führenden Gelehrten vieler westeuropäischer Länder persönliche Bekanntschaft geknüpft, hatte er auch eine Reihe von deutschen Fürstenhöfen be­ sucht. Er war es, der 1763 den Kurfürsten Karl Theodor von der Pfalz zur Gründung der Mannheimer Akademie bewog, deren Ehren­ präsident er wurde, und 1771 bei den österreichischen Staatsmännern die Gründung der Brüsseler Akademie durchsetzte. Dgl. W.Wie­ gand, Allg. Deutsche Biographie, Bd. 32 S. 358 ff. Sein Schüler Koch hielt seine Privatvorlesungen vor jungen Adligen z. T. in fran­ zösischer Sprache, Ehrmann (oben Nr. 8) S. 386.

19. über das materielle Gedeihen unter franMlcker Herrschaft vgl. Th. Ludwig (oben Nr. 1) S.93 und P. Darmstädter

36 in der Einleitung seiner unten Nr. 28 genannten Studie. Ehrmann (oben Nr. 8) S. 128 zählt auf: die Verdoppelung der Bevölkerung seit 1681, die Zunahme -es Wohlstandes, den Aufschwung des Handels, die Zunahme von Ruhe und Sicherheit in Straßburg und meint: „Man denke nur an dm fchröklichen Verfall der meisten deutschen Reichsstädte; was hätte auch Straßburg vor diesem Schicksal retten können?" Zu Seite 12: 20. über die Begeisterung für Friedrich -. Gr. vgl. E h r m a n n (oben Nr. 8) S.212: „Die Protestanten, so sehr sie auch ihren König lieben, halten es, wann's auf's Kriegführen ankömmt..., insonderheit mit den Preußen; der verstorbene große Friedrich war ihr Abgott gewesen; Gut und Blut hätten sie für ihn ausgeopfert." Vgl. einen Straßburger Nachruf auf „Friedrich den Einzigen" und die Ankündigung einer billigen Ausgabe seiner Werke durch eine Straßburger Verlagshandlung bei v. Jan (oben Nr. 8) Anm. 358. über die von Ehrmonn betonte Liebe zum König vgl. Fritz, Leben Blessigs I S. 235: „Die Rückkehr Ludwigs XVIII. erfüllte ihn (Blefsig) mit Dank gegen die Vorsehung. Denn ob er gleich ein ge­ horsamer Unterthan der jedesmal bestehenden Regierung war, so hatte sich ihm doch die Zuneigung zu den Bourbonen von seinen frühesten Jahren an zu tief eingeprägt; so sah er den Umsturz des Thrones zu sehr als ein National-Derbrechen an." 21. „Deutsche unter französischer Botmäßigkeit": Blessig, Deutsches Museum Bd. ii S. 471 f., nach Varrentrapp (oben Nr. 11) S. 451. Vgl. aus Blessigs Selbstgespräch in seinem Joumal bei Ausarbeitung feiner Rede zur Enthüllung des Denkmals des Marschalls Moritz von Sachsen in der Thomaskirche 1777: „Diese Lobrede französisch! und ich bin ein Deutscher, habe niemals Frankreich gesehen", C. M. F r i tz, Leben Blessigs II, 1818, S. 113. Bezeichnend ist auch, wie der Berliner Propst Spalding in einem Schreiben an Blessig vom Jahre 1785 Elsaß und Frankreich aus­ einanderhält: ... „derjenigen Nation (der französischen), der Sie, vermittelst der gemeinsamen Oberherrschaft, an­ gehören, Fritz, ebenda S. 59.

22. über die Revolution int Elsaß vgl. die Beurteilung bet Lorenz u. Scherer, Geschichte des Elsasses, 3. Aufl. 1886, S. 431 ff.

37 23. Cahier des voeux du Tiers-Etat de la ville de Stras­ bourg, Abschnitt 13:

,,Ils

insisteront

ä ce que

l’Alsace soit

rStablie dans l’integrite du privilege de province etrangere effective: Rod. Reuss,

L’Alsace pendant la Revolution fran-

?aise (Dokumente) I, 1880, p. 40; ebenso werden gefordert die Er­

haltung, ja Ausdehnung der alten Freiheiten und Privilegien der

Stadt Straßburg, S. 43 f.

In der Declaration de la Ville de

Strasbourg ä 1’Assemblee Nationale

Protest gegen die

vom

berühmten Beschlüsse vom

1789

Oktober

als

4. August steht der

Satz: ,,Quand eile (la ville de Strasbourg) oublierait, qu’autrefois republique libre, eile ne s’est rendue qu’ä des conditions dont la Violation serait celle du

contrat qui

la France“. . .; die Durchführung dieser Beschlüsse

la lie ä

hieße die Prosperität der Stadt opfern ,,ä l’apparence d’une amelioration

et

S. 201 f.

Vgl. auch Ioh. von Türckheims Rapport ä la Ville do

ä

un

sisteme

d’uniformite,

Reuß,

Strasbourg bei Niederlegung seines Mandats, ebenda S. 249 ff.

24. „Die Verschiebung der Zollgrenze bis zum Rhein gilt als

Unheil für das ganze Land und eine der größten Härten des neuen

Systems": Th. Ludwig (oben Nr. 1) S. 36. der Notabelnversainmlungen des Jahres

Drei Denkschriften

1787 aus Elsaß, Metz,

Lorraine et Trois-Eveches, wehren sich aufs heftigste gegen die

beabsichtigte Vorrückung der Zollgrenze an den Rhein: Die

wirtschaftlichen

Beziehungen

Elsaß-Lothringens

A. Wahl, zu

Frank­

reich, Zvitschr. für Gesch. des Oberrheins N. F. 17, 1902, S. 531 ff.;

auch die ebenerwähnten Cahiers des voeux protestieren dagegen,

Reuß S. 40.

Zu Seite 13: 25. über die Schicksale der Universität in der Revolutionszeit s.

die oben Nr. 11 genannte Studie von Varrentrapp S. 458 ff. Die Professoren bejahten 1790 die beiden Fragen: 1. ob man für

eine protestantisch« Universität eintreten solle (die alte Universi­ tät hatte dämm protestantischen Charakter, weil die Kanonikate des protestantischen St. Thomasstiftes die Gehälter der Professoren bil­

deten); 2. ob man es als vorteilhaft für das ganze Reich

ansehe, daß hier auf der Grenze gegen Deutschland eine deutsche Universität sich befinde. Vgl. dazu das Memorandum von 1769, oben Nr. 11.

Eine entsprechende von Blessig verfaßte Adresse wurde

38 nach Paris gesandt. In Blessigs Motivierungsbericht der Satz: „Wir bleiben wir und werden besser", Barren trapp S. 462. 26. über die Zerstörung von 235 Statuen des Münsters vgl. Rod. Reuss, La cathedrale de Strasbourg pendant la Revo­ lution, 1888, S. 456 ff. Ein Gehilfe Monets, der aus der Lyoner Gegend stammende frühere Priesterkandidat Tsterel, beantragte die Abtragung des Münsterturmes bis zur Plattform; man begnügte sich indes, eine riesige rote Jakobinermütze auf seiner Spitze anzubringen, Reuß S. 496ff. 27. über die Pläne des Jakobinerklubs vgl. Darrentrapp (oben Nr. 11) S. 468 ff. Besonders bezeichnend sind die S. 478 voll abgedruckten Borschläge Monets an die Munizipalität. Sie fordem zur Vernichtung der Universität auf: ,,une universite aui n’est pas nationalisee encore... presente le spectacle Gtonnant de la servilste et du germanisme dans un pays frangais et libre... nous ferons tous nos efforts pour detruire l’h y d r e du germanisme. “ — Nach einer Rede von Barrere über die Schädlichkeit der verschiedenen Sprachen hatte der Convent im Januar 1794 beschlossen, in jeder Landgemeinde der fremdsprachigen Departemente, darunter Ober- und Niederrhein, sei ein Lehrer der französischen Sprache anzustellen. Im Straßburger Jakobinerklub sprach man im Anschluß daran von einem vollständigen Verbot der deutschen Sprache in dm Schulen, und das Erziehungskomitv schlug als er­ gänzende Maßregeln vor: Erleichterungen für Franzosen aus dem Innern, die sich im Elsaß ansiedeln wollen und umgekehrt, und Derpfkmzung einer dm verbleibenden Elsässern gleichen Zahl von fran­ zösisch Redenden ins Elsaß; vgl. Th. Renaud, Zeitschr. für Gesch. des Oberrheins N. F. 23, 1908, S. 493. Später änderte Monet seinen Vorschlag dahin, es sollte allen verdienten französischen Sol­

daten im Elsaß Land angewiesen werden, Lorenz u. Scherer (oben Nr. 22) S. 457. Zu Seite 14: 28. Die Zeit des Kaiserreichs betreffend vgl. die treffliche Studie von P. Darmstädter, Die Verwaltung des Unterelsaß unter Napoleon L, Ztschr. für Gesch. des Oberrheins, N. F. 18, 1903, S. 286 ff., 536 ff.; 19, 1904, S. 122 ff., 284 ff., 631 ff., besonders die Schlußbemerkungen S. 670/72. Interessante Bemerkungen über die Zustände im Jahre 1801 und die Nachwirkungen der Revolutions-

39 zeit im Elsaß bietet aus eigenem Augenschein und nach Mitteilungen seiner Straßburger Freunde der Göttinger Professor C. M e i n e r s, Beschreibung einer Reise nach Stuttgart und Strasburg, 1803. 29. Die Protestanten haben denn auch Napoleon wegen der Aufrichtung staatlich anerkannter evangelischer Kirchentümer fast wie einen zweiten Konstantin verherrlicht; s. darüber den Bortrag von P. E. Lucius, Bonaparte und die protestantischen Kirchen Frank­

reichs, 1903.

Zu Seite 15: 30. Feuriger französischer Patriotismus in deutschem Gewände z.B. in den deutschen Gedichten von Karl Friedr. Hartmann, die, von Begeisterung für Napoleon und den Kriegsruhm der Napoleonischen Zeit getragen, die politischen Vorzüge des freiheit­ lichen fmnzösischen Staatswesens preisen. Dabei erklärt Hartmann:

Ein Frankenherz und deutsche Sprach Sind dem Alsaten keine Schmach, Wes auch der Fremde deute. S. von B o r r i e s (unten Nr. 38) S. 15 ff., 85 ff.

31. In einem Bericht an den Minister erklärt 1849 der Präfekt Chanal: ,,Ea nationalisation de la Population allemande de l’Alsace doit et re le but des efforts du gouvernernent“; das Ziel sei „franciser la Population alsacienne“. Ebenso der Aka­ demierektor Delcasso in seinem Bericht an den Mnister 1859: ,,L’Administration academique de Strasbourg a toujours considere comme le plus national de ses devoirs la Mission de conquerir l’Alsace ä la langue francaise“: H. Kaiser (unten Nr. 41) S. 18 f. 49. Die französische Sprache heißt denn im offiziellen Sprachgebrauch fast regelmäßig la langue nationale. Wort und Begriff Nationalisation, nationalisieren hatte die Revolutionszeit geprägt, vgl. oben Nr. 27. Bei Beratung des Unterrichtswesens hatte Talley-

rand in der Constituante gesagt: Die Einheit der Sprache ist eine Grundbedingung der Einheit des Staates, vgl. M. Sorgius (unten Nr. 41) S. 10.

Zu Seite 16: 32. Nachdem 1794 eine Ecole de medecine, 1802 eine Ecole de droit gegründet worden, schufen die Reorganisationsdekrete von

40 1806/08 die der Universite de France eingegliederte Academie de Strasbourg. Die beiden bestehenden Schulen wurden zu Fakul­ täten und eine Faculte des lettres und Faculte des Sciences neu hinzugefügt. Zu wirklicher Blüte gelangte nur die medizinische Fakultät. Dem Rektor der Straßburger Akademie, als solcher ein regierungsseitig ernannter Beamter, und dem Conseil academique unterstand das gesamte Schulwesen -es Elsaß. Einiges über die Akademie bei Ludw. Spach, Moderne Culturzustände im Elsaß I, 1873, S. 260 ff. 33. Das alte städtische Gymnasium hatte sich durch die Neu­ ordnung von 1802 in ein dem Direktorium der Kirche Augsburger Konfession und dem Protestantischen Seminar unterstehendes Gymnase des Protestants verwandelt. Der 1821 ans Gymnasium

kommende spätere Philosophieprofessor Willm war der erste, der das Französische nicht als tote Sprache lehrte; Professor Matter (vgl. unten Nr. 40) erhob als Gymnasiarch 1825 das Französische zur Unterrichtssprache. Der Religionsunterricht wurde erst von 1851 ab in französischer Sprache erteilt: M. Baum, Joh. W. Baum, 2. Ausl. 1902, S. 65. 34. Kochs Bestreben ging auch um die Jahrhundertwende auf die volle Wiederaufrichtung der alten Universität; was er erreichte, war ein Teilerfolg. Die 1803 errichtete Academie des Protestants, später Seminaire Protestant genannt, ruhte finanziell wie die alte Universität auf den Kanonikaten des Thomas-Stifts und ward des­ halb zu deren Rechtsnachfolgerin erklärt. Mit dem Seminar wurde 1818 eine kleine staatliche theologische Fakultät verbunden. 35. Jakob Grimms Brief ist abgedruckt bei Lorenz u. Scherer (oben Nr. 22) S. 559 ff. Es heißt darin weiter: „Ein solcher gesunder, Haltsester schlag menschen sind auch die Elsässer; seit er vor mehr als hundert jähren... im stich gelassen war, hat er sich selbst beygestanden, spräche, sitten und trachten aufrecht erhalten, welches nicht beschrieben, sondern nur mit äugen angeschaut werden kann, weil es bis in die mienen, redensarten, housgeräth und ein« richtung -er ftuben geht. Fragt man nach der Sprache, die teutsche ist überall die herrschende, selbst unter den vornehmen die häusliche trauliche; daß mehr französisch als vor fünfzig jähren gesprochen wird, folgt unvermeidlich; leicht aber ist verhältnismäßig mehr französisch in Mainz oder Coftlenz im verlauf

41 von zwanzig jähren eingedrungen als in Straß­ burg feit der ersten besitznahme." Jakob Grimm hatte auf der Rückreise von Paris im Juni 1814 einige Tage in Straßburg geweilt. Sein Brief war an Joseph Görres gerichtet und wollte ein vorschnelles Urteil von Görres im „Rheinischen Merkur" richtigstellen, was ihm vollständig glückte: E. Wendling, Das Elsaß und die Elsässer im „Rheinischen Merkur", Els.-Lochr. Kulturfragen IV, 1914, 14 ff. — über die Stimmung um 1825 vgl. auch Ferd. Graf Eckbrecht-Dürckheim, Erinnerungen I, 1887, S. 76: „Wir fühlten uns nicht als Franzosen im Elsaß. So deutsch war noch alles damals im Elsaß, daß wir vom Franzosentum nur das Gute, Edle spürten." Bezeichnen- ist auch, wie der Dichter-Historiker Michelet in seinem Tableau de la France von 1833 Elsaß als deutsches Land betrachtet und darum ausschließt: ,,La langue fran-

Caise s’arrete en Lorraine. . . Je m’abstiens de franchir la montagne, de regarder l’Alsace. Le monde german i q u e est dangereux pour moi. II y a lä un tout-puissant lotos qui fait oublier la patrie“, ed. 1875, p. 51. Zu Seite 17: 36. über die sprachliche Nationalisierung schrieb der Präfekt Laumond 1802: Bornons-nous ä propager le plus possible

la langue fran