Deutsche Kriegs- und Heeresgeschichte: In den Umrissen dargestellt [Reprint 2019 ed.] 9783486759099, 9783486759082


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German Pages 334 [340] Year 1927

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
I. Die germanischen Volksheere von 113 vor bis 900 »ach Chr.
II. Die ritterlichen Lehensheere von 900 bis 1500
III. Die Söldnerheere von 1500—1650
IV. Die stehenden staatlichen Heere von 1650—1800
V. Die Heere der allgemeinen Wehrpflicht von 1800 bis zur Jetztzeit. 1. Die napoleonische Epoche
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Deutsche Kriegs- und Heeresgeschichte: In den Umrissen dargestellt [Reprint 2019 ed.]
 9783486759099, 9783486759082

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Deutsche Kriegs­ und Heeresgeschichte in den Umrissen dargestellt von

Dr. Eugen von Frauenholz Major a. D., Privatdozent an der Universität München

Mit einer Übersichtskarte

Verlag von R. Oldenbourg, München und Berlin 1927

Die Geschichte der Heere einzelner deutscher Staaten hat ihre Be­ arbeiter gefunden; die deutsche Kriegs- und tzeeresgeschichte als Ganzes ist noch nicht geschildert worden. Nur eine zusammenfassende Dar­ stellung aber kann zu einem befriedigenden Ergebnis führen. Denn der Grundzug alter deutscher Heere ist gemeinsam und deutsch; trotz starker ausländischer Einflüsse, denen sich das deutsche Heerwesen so wenig — vielleicht noch weniger — als das irgend eines anderen Landes entziehen konnte, trotz der vielfachen Gegensätze im Inneren des Reiches, weist die Geschichte der deutschen Heere immer wieder mit augenfälliger Deutlichkeit nach, was unser Volk und seine Ent­ wicklung eint. Auch vom engeren fachlichen Standpunkt aus bringt erst die Gegenüberstellung und Vergleichung der einzelnen deutschen Heere ein abgerundetes Bild; die militärische Vorherrschaft der führen­ den deutschen Staaten war nie so engherzig, daß sie an den militä­ rischen Bestrebungen der übrigen vorübergegangen wäre. Manche be­ fruchtende Wirkung ging auch von den kleineren deutschen Staaten aus. Die Kriegs- und Heeresgeschichte darf nicht nur das Interesse des Spezialfachmannes in Anspruch nehmen. Das Heer ist der Aus­ druck des staatlichen Willens zur Macht; seine Verfassung zeigt das Maß der Anteilnahme des Volkes am Staate. Nicht umsonst führt die Entwicklung des deutschen Heeres vom Volksheer der Germanen, das zugleich die Vereinigung der politisch Berechtigten war, über das kleine, aber nationale Ritterheer, das die breite Masse vom Waffen­ dienst und vom politischen Dasein ausschloß, zum nationalen Söldner­ heer, das sich nur in der Zeit tiefster politischer Unfreiheit behaupten konnte; und sie nimmt von da ihren Aufstieg über das zwar noch geworbene, aber doch schon dem Staate dauernd eingegliederte Sold­ heer zum Volksheer des konstitutionellen Staates, der die politischen Rechte an die Masse des Volkes zurückgab, dafür aber auch folgerichtig die kriegerische Auseinandersetzung mit feindlichen Gewalten als eine Sache des gesamten Volkes ansprach. Jeder Staat, jedes Volk und jede Zeit haben das Heer, das sie verdienen; auf die Dauer hält sich ohne Zwang kein Heer, das dem Wesen des Staates nicht entspricht. Deutlich spiegelt sich in den

VI Einzelnheiten der Geschichte des Heerwesens die Einstellung zu den bewegenden Fragen der Zeit wider, seien sie politischer, religiöser, kultureller, geistiger oder rechtlicher Art; und die Geschichte der Kriege endlich weist mit unerbittlicher Schärfe die tatsächlichen politischen Verhältnisse nach und zeigt auf, ob Staat und Volk in allen ver­ antwortlichen Teilen, nicht nur in Bezug auf das Heer allein, ihren Aufgaben und ihrem Ehrgeiz gewachsen waren. Unter diesen Gesichtspunkten ist das vorliegende Buch geschrieben. Es kann nicht den Anspruch erheben, den Stoff erschöpfend zu behandeln. Das muh einer weit umfassenderen Darstellung Vorbehalten bleiben, zu der die Vorarbeiten erst im Werden sind. Der Wunsch vieler Hörer nach einem Buch, das in Kürze und zu erschwinglichem Preis die großen Entwicklungslinien nachweist und auch im Einzelnen Anregung gibt, hat Veranlassung gegeben, an die nicht eben dankbare Aufgabe der Abfassung eines Abrisses der deutschen Kriegs- und Heeresgeschichte heranzutreten. Nicht eben dankbar des­ halb, weil Allzuvieles aus räumlichen Gründen nur angedeutet wer­ den konnte und Manches doch auch wiederholt werden muhte, um die Abgeschlossenheit und den Sinn der einzelnen Kapitel nicht zu stören. In der Anlage des Buches sollte das entwicklungsgeschichtlich Interessanteste im Vordergrund stehen. So habe ich geglaubt, in der napoleonischen Zeit die von Napoleon selbst geförderte Entwicklung des bayerischen Heeres voranstellen zu sollen, da sich hier zuerst in Deutschland ein neues Prinzip in stetiger Entwicklung durchsetzte. Die Kriege konnten nur in ihrem operativen Verlauf geschildert werden. Wenn das Buch sich als nützlicher Führer erweist und dazu hilft, manche unhistorischen, aber festgewurzelten Vorurteile zu zerstören, die eine Erkenntnis der großen Zusammenhänge hindern, so ist sein Zweck erfüllt.

München, im Mai 1927.

Eugen v. Frauen holz,

Inhaltsverzeichnis. Vorwort.................................................................................................................................. V Inhaltsverzeichnis.........................................................................................................................VII I. Die germanischen Volksheere von 113 v. bis 900 n. Chr.......................... 1. Die Heere wandernderGermanenstämme...................................................................... A. Heerwesen.................................................................................................................. B. Kriege....................................................................................................................... 2. Das fränkische Reich................................................................................................... A. Heerwesen.................................................................................................................. B. Kriege........................................................................................................................

1 1 2 4 11 12 15

II. Die ritterlichen Lehensheere von900 bis 1500 ............................................ 1. Der Aufstieg, die Blüte und der beginnende Verfall des deutschen Kaisertumes von 900 bis 1250 A. Heerwesen................................................................................................................... B. Kriege....................................................................................................................... 2. Die Zeit von 1250 bis 1500 ................................................................................... A. Heerwesen.................................................................................................................. B. Kriege........................................................................................................................

22

22 26 51 52 53

III. Die Söldnerheere von 1500 bis 1650 1. Die Zeit des Landsknechtstumes.............................................................................. A. Heerwesen.................................................................................................................. a. Die Heeresaufbring nng....................................................... 1. Fußvolk................................................................................................................... 2. Reiterei..................................................................................................................

64 64 65 65 65 67

b. Bewaffnung, Bekleidungund Ausrüstung....................................................... 1. Fußvolk................................................................................................................... 2. Reiterei...................................................................................................................

67 67 68

c. Taktik ................................................................................................................... 1. Fußvolk................................................................................................................... 2. Reiterei................................................................................................................... B. Kriege........................................................................................................................

69 69 70 71

2. Die Heere des dreißigjährigenKrieges...................................................................... A. Heerwesen................................................................................................................... a. Heeresaufbringung.............................................................................................. b. Heeresorganisation.............................................................................................. 1. Offizierskorps........................................................................................................ 2. Infanterie.............................................................................................................. 3. Kavallerie.............................................................................................................. 4. Artillerie...................................................................................................■ . .

81 81 81 82 82 83 83 83

Bewaffnung, Bekleidungund Ausrüstung....................................................... Ausbildung und Taktik......................................................................................... Rechtspflege und Geist imHeere............................................................................ Verwaltung..............................................................................................................

83 85 86 76

B. Kriege........................................................................................................................

88

c. d. e. f.

VIII IV. Die stehenden staatlichen Heere von 1650 bis 1800

...............................

A. Heerwesen...................................................................................................................

97 98

a. Heeresaufbringung.............................................................................................. 99 1. Das Reich........................................................................................................ 99 2. Österreich ........................................................................................................ 101 3. Brandenburg-Preußen .......................................................................................... 102 4. Bayern, Sachsen und die übrigen deutschen Staaten...................................... 106 b. Offizierskorps...............................................................................................................107 1. Das Reich............................................................................................................... 107 2. Österreich ............................................................................................................... 108 3. Brandenburg.Preußen.......................................................................................... 109 4. Sachsen............................................................................................................. 113 5. Kurpfalz-Bayern.............................................................................................. 113

e. Die äußere Organisatiou der Armee......................................................................114 1. Das Reich........................................................................................................ 114 2. Österreich ......................................................................................................... 114 3. Brandenburg.Preußen.......................................................................................... 115 4. Sachsen.....................................................................................................................116 5. Kurpfalz-Bayern.............................................................................................. 116 d. Die Waffengattungen............................................................................................... 117 e. Innere Organisation ....................... 118 1. Kommandoverhältnisse................................................................................... 118 2. Ausbildung und Dienstbetrieb............................... 119 3. Wirtschaftliche Lage........................................................................................ 122 f. Bewaffnung, Bekleidung undAusrüstung............................................................. 123 g. Sanitätswesen, Verwaltung, Troß.................................................................... 125 h. Rechtspflege........................................................................................................ 126 i. Soziale Stellung . . . '.............................................................................. 126 B. Kriegsführung ......................................................................................................... 127 a. Die Kriegführung im Großen ..................................................... 127 b. Taktik und Fechtweise.................................................... 130 1. Feldkrieg.................................................................................................................... 130 2. Festungskrieg................................................................................................... 132 C. Kriege........................................................................................................................

V. Die Heere der allgemeinen Wehrpflicht von 1800 bis zur Jetztzeit

133

172

1. Die napoleonische Epoche.....................................................................................................172 A. Heerwesen..................................................................................................................

172

a. Heeresaufbringung .............................................................................................. 1. Bayern................................................................................ *........................... 2. Preußen.............................................................................................................. 3. Österreich ........................................................................................................

174 174 177 179

b. Offizierskorps........................................................................................................ 1. Bayern............................................................................................................... 2. Preußen.............................................................................................................. 3. Österreich..............................................................................................................

180 180 182 183

e/Die äußere Organisation der Armeen ...................................................................... 183 1. Bayern............................................... 184 2. Preußen.....................................................................................................................185 3. Österreich.................................................................................................................... 186

4. Sachsen.................................................................................................................... 187 5. Württemberg.......................................................................................................... 187 d. Die Waffengattungen................................................................................................187 e. Die illnere Organisation.................................................................................... 188 1. Kommandoverhältnisse................................................................................... 188 2. Ausbildung und Dienstbetrieb...........................................................................189 3. Wirtschaftliche Lage................................................................................................189 f. Bewaffnung, Bekleidung undAusrüstung . . . . '................................... 190 g. Sanitätswesen, Seelsorge,Verwaltung und Trains............................ 192 h. Rechtspflege....................................................................................................................192 i. Soziale Stellung................................................................................................... 193 B. Kriegführung.....................................................................................................................194

a. Die Kriegführungim Großen .................................................................................. 194 b. Taktik und Fechtweise................................................................................................196 1. Feldkrieg.................................................................................................................... 196 2. Festungskrieg..........................................................................................................198 C. Kriege.............................................................................................................................. 199 2.

Die Zeit der Reaktion und des Aufstieges Preußens in Deutschland von 1815 bis 1866.

A. Heerwesen......................................................................................................................... 219

a. Heeresaufbringung.....................................................................................................220 1. Der deutsche Bund................................................................................................220 2. Preußen....................................................................................................................221 4. Österreich.................................................................................................................... 223

4. Bayern....................................................................................................................224 5. Die übrigendeutschen Staaten............................................................................ 225 b. Das Offizierskorps.....................................................................................................226 1. Der deutsche Bund................................................................................................226 2. Preußen.................................................................................................................... 226 3. Österreich ....................................................................................................... 228

4. Bayern....................................................................................................................229 5. Die übrigendeutschen Staaten............................................................................ 229 c. Die äußere Organisation der Armeen..................................................................... 229 1. Der deutsche Bund................................................................................................230 2. Preußen.................................................................................................................... 230 3. Österreich............................................................................................................... 232 4. Bayern....................................................................................................................233 5. Sachsen....................................................................................................................234 6. Württemberg......................................................................................................... 234

d. Die Waffengattungen............................................................................................... 234 e. Die innere Organisation.......................................................................................... 235 1. Kommandoverhältnisse.......................................................................................... 235 2. Ausbildung und Dienstbetrieb.............................................................. . 235 3. Wirtschaftliche Lage............................................................................................... 236 k. Bewaffnung, Bekleidung undAusrüstung............................................................. 237 g. Sanitätswesen, Verwaltung usw.................................................................................240 h. Rechtspflege........................................................................................................ 240 i. Soziale Stellung ........................... . . . *................................................ 240

B. Kriegführung....................................................................................................................241 a. Die Kriegstihrung im Großen................................................................................241 b. Taktik und Fechtweise............................................................................................... 243

X 1. Feldkrieg................................................................................................................... 243 2. Festungskrieg..........................................................................................................246 C. Kriege...............................................................................................................................246 3. Die Zeit von 1867 bis 1916.......................................................................................... 259 A. Das Heerwesen des Deutschen Reiches..................................................................... 261 a. Heeresaufbringung.....................................................................................................262 b. Das Offizierskorps.............................................................................................. 262 c. Die äußere Organisation der Armee.............................................. 265 d. Die Waffengattungen............................................................................................... 267 6. Die innere Organisation..........................................................................................268 1. Kommandoverhältnisse..........................................................................................269 2. Ausbildung und Dienstbetrieb.......................................................................... 270 3. Wirtschaftliche Lage.....................................'.....................................................273 f. Bewaffnung, Bekleidung und Ausrüstung...........................................................274 1. Infanterie...............................................................................................................274 2. Kavallerie...............................................................................................................276 3. Artillerie ...............................................................................................................278 4. Pioniere und Verkehrstruppen.......................................................................... 279 5. Luftschiffen und Fliegerformationen ................................................................ 279 6. Train ....................................................................................................................280

g. Sanitätswesen, Veterinärwesen, Verwaltung......................................................280 1. Sanitätswesen......................................................................................................... 280 2. Veterinärwesen .................................................................................................... 280 3. Verwaltung ......................................................................................................... 280 4. Remontierung......................................................................................................... 281 h. Verwaltung des Artilleriematerials, Ausbau der Festungen........................... 281 i. Rechtspflege.............................................................................................................. 282 k. Militärseelsorge......................................................................................................... 282 l. Soziale Stellung .................................................................................................... 283 B. Das HeerwesenÖsterreich-Ungarns ............................................................................ 283 a. Heeresaufbringung.................................................................................................... 283 b. Das Offizierskorps.................................................................................................... 284 c. Die äußere Organisation der Armee.....................................................................285 d. Die Waffengattungen...............................................................................................286 e. Die innere Organisation..........................................................................................287 1. Kommandoverhältnisse......................................................................................... 287 2. Ausbildung und Dienstbetrieb ..........................................................................288 3. Wirtschaftliche Lage...............................................................................................288 f. Bewaffnung, Bekleidung und Ausrüstung.......................................................... 289 g. Sanitätswesen, Veterinärwesen, Verwaltung ..................................................... 290 h. Rechtspflege.............................................................................................................. 291 i. Militärseelsorge......................................................................................................... 291 k. Soziale Stellung......................................................................................................... 291 C. Kriegführung....................................................................................................................292 a. Die Kriegführung im Großen............................................................................... 292 b. Taktik und Fechtweise...............................................................................................293 1. Feldkrieg....................................................................................................................293 2. Festungskrieg......................................................................................................... 300 D. Kriege....................................................................................................................... 301

Literatur-Angaben...............................................................................................................321

I. Die germanischen Volksheere von 113 vor bis 900 »ach Chr. 1. Die Heere wandernder Germanenstamme.

Die ersten Nachrichten in der Geschichte der Völker stammen meist von kriegerischen Ereignissen. Bisher fast unbeachtete Nationen treten plötzlich und gewaltsam auf den Plan und zwingen ihre Nachbarn, ihnen Interesse zuzuwenden. So beginnt auch das historische Dasein der Germanen; dunkle Nachrichten von den Völkern, die in dem Waldund Sumpfgebiet des heutigen Deutschland und in den östlich an­ schließenden Gegenden hausten, sind zwar schon vorher bis in die damalige zivilisierte Welt der Mittelmeerländer gedrungen; Bruch­ stücke davon sind uns überkommen. Mit dieser Welt verknüpfen sich aber die Geschicke der barbarischen Völker Germaniens erst in dem Augenblick, als eine unmittelbare Berührung mit dem weltbeherrschen­ den Rom eintrat, und das geschah durch Kampf. In den unzugänglichen Gebieten Germaniens spielten sich Vor­ gänge ab, deren Werden heute noch im Dunkel liegt. Nur das ist klar, daß aus den russischen Steppengebieten heraus ein immer stärker werdender Druck auf die Stämme erfolgte, die den Rand des Gebietes inne hatten. In der grandiosen Bewegung der Völkerwanderung ent­ lud sich die Spannung; dieser Bewegung aber gingen Jahrhunderte vorher Teilwanderungen voraus. Gegen den ganzen gewaltigen An­ sturm wehrte sich in höchster Not das römische Reich; es hielt ihn durch fünfhundert Jahre hindurch zurück, bis die urwüchsige Kraft der jungen Völker den Sieg davontrug. Die ersten unmittelbaren Zusammenstöße zwischen Römern und Germanen fanden um die Wende des letzten Jahrhunderts vor Christi Geburt statt. Im Jahre 113 v. Chr. stießen die germanischen Stämme der Cimbern und Teutonen gegen die römischen Grenzgebiete vor. Die Not, nicht die Beutelust oder die Freude am Krieg trieb sie vorwärts; sie forderten von den Römern Landbesitz und versuchten, als ihnen dieser verweigert wurde, mit dem Schwert in der Hand ihn zu gewinnen. Frauenholz, Deutsche Kriegs- und Heeresgeschichte.

1

A. Heerwesen. Der germanische Heereszug in den Zeiten der Völkerwanderung war ein Volkszug. Mit allem Hab und Gut, mit Weibern und Kindern, mit Hausgeräte und Vieh wanderten die Eindringlinge' daher. Jeder waffenfähige Mann war zugleich Krieger; die allgemeine WehrPflicht bestand im wahrsten Sinne des Wortes; wer zur Volksgemein­ schaft gehörte, mußte ihren Schutz mit der Waffe übernehmen, sofern« er dazu geeignet war. Die tzeereseinteilung war einfach. Der Hauptteil des Heeres be­ stand aus Fußvolk; das Pferd war nur den Reicheren erschwinglich, doch bestand bei manchen Stämmen eine ganz ansehnliche Reiterei, die geschlossen in die Kämpfe eingriff. Bei der Zusammensetzung der Schlachthaufen wurde die Einteilung nach Familie und Sippe, die auch den Untergrund für das staatliche Leben bildete, beibehalten; die Ver­ wandten fochten zusammen in der gleichen Formation; die Kontrolle der militärischen Tüchtigkeit des Einzelnen wurde dadurch erleichtert und schuf bei dem strengen Ehrenkodex der Germanen, der sich auf der Tüchtigkeit im Kampfe aufbaute, besonders hervorragende Leistungen im Gefecht. Die Bewaffnung der germanischen Stämme bestand aus Speer und langem Schwert. Daneben führten die Aermeren Keulen und Aexte. Don einer Gleichmäßigkeit der Bewaffnung war keine Rede. Die Speere etwa konnten von dem einfachen Holzstab mit im Feuer gehär­ teter Holzspitze bis zum kunstvoll gearbeiteten Wurfspieß vertreten sein. Als typisch wird die Länge des Schwertes im Gegensatz zum kurzen römischen Schwert verzeichnet. Zu diesen Trutzwaffen traten als Fern­ waffen Schleuder und Bogen, als Schutzwaffen vor Allem der Schild, auch dieser wieder in manigfaltigster Ausstattung, vom einfachen Weigeflecht bis zum künstlich mit Metall gearbeiteten und mit Leder über­ zogenen Schilde. Sonstige Schutzwaffen waren selten. Helme oder gar Panzer kamen nur allmählich, meistens als Beute, in den Besitz der Germanen; erst nach und nach lernten sie, solche Waffen selbst zu ferti­ gen. Dagegen scheint von Anbeginn an die Verwendung von Fellen wilder Tiere zum Schutze des Körpers, auch des Kopfes, im Kampfe beliebi gewesen zu sein. Sie verliehen dem Träger zugleich ein fürchter­ licheres Aussehen.

Die Leitung der Heereszüge war bei den germanischen Stämmen je nach ihrer staatlichen Form verschieden. Monarchien und Republiken bestanden nebeneinander, und auch die Art der Monarchien war man­ nigfaltig. Durchweg aber gründete sich die Vorherrschaft Einzelner oder ganzer Geschlechter auf kriegerisches Verdienst. In den Monarchien war das Oberhaupt ohne weiteres der Führer im Kriege. Die Republiken mußten sich den Führer, den Herzog, im Ernstfall erst wählen. Die Sammlung besonderer Gefolgschaften um die militärischen Führer, die

bei den Germanen häufig war, bereitete die Ausbildung eines kriege­ rischen Berufsstandes innerhalb des Volksheeres vor. Von Strategie kann bei den Germanen zu Beginn der Völker­ wanderung nicht gesprochen werden. Ein operativer Gedanke fehlte. Die Stämme zogen dahin, wo ihnen der Erwerb günstigen Landbesitzes zu winken schien. Erst später, nach engerer Berührung mit den Römern, vor Allem, nachdem das römische Heer sich mit germanischen Söldnern zu durchsetzen begann und auch in den Führerstellen allmählich Ger­ manen auftauchen, sehen wir auch auf germanischer Seite den Versuch, strategische Gesichtspunkte den einzelnen Zügen unter zu legen. Die Taktik baute sich auf dem Gedanken des Durchbruches auf und fand ihre typische Form im Keil — vermutlich einer rechteckigen Formation mit der schmalen Seite an der Front —, an dessen Spitze ein Elitekorps kämpfte, während die Masse dem Stoß eine furchtbare Wucht verlieh. Die germanische Keilform stand im ausgesprochenen Gegensatz zu der römischen Schlachtordnung, die sich in Flügel und Treffen gliederte. Die Wtrhlng des Keiles konnte schrecklich sein, wenn der erste Ansturm gelang und die feindliche Schlachtfront ge­ spalten wurde; vernichtend für den Angreifer aber war das Resultat, wenn der erste Anprall erfolglos blieb und in die nun ungeordneten und der Reserven entbehrenden Haufen der römische Nachstoß erfolgte. Und dann hatte die Keilform einen ausgesprochenen Nachteil: sie konnte die Vernichtung des Feindes, ein Cannae, nur dann herbeiführen, wenn eine außergewöhnlich starke Reiterei zur Stelle war, die die gespaltene feindliche Schlachtfront einschloß. Sonst führte der Keil im günstigsten Fall zur Auflösung des feindlichen Heeres, nicht zu seiner Vernichtung. Die Römer schilderten den Ansturm germanischer Heere als furchtbar durch die elementare Wucht, mit der die gewaltigen Haufen reckenhafter Kämpfer unter schrecklichem Schlachtgeschrei vorwärts stürmten; solange die Römer ihnen trefflich disziplinierte Infanterie entgegenstellen konn­ ten, führten die germanischen Angriffe jedoch nur zu seltenen Teiler­ folgen. Erst die Verweichlichung Roms gab der jungen Volkskraft der Germanen die Möglichkeit großer Erfolge. Die Verteidigung erfolgte im Anschluß an die Wagenburgen, die den innersten Kern der Stellung bildeten, und häufig noch von Weibern und Kindern verteidigt wurden. Die kämpfende Masse der Männer griff oft zu ungeeigneten Mitteln, um die Linie der Kämpfer in der Verteidigung undurchdringlich zu machen. Es wird berichtet, daß sich germanische Verteidigungslinien mit Ketten aneinander gebunden hatten, so daß dann die Verwundeten und Gefallenen die noch unverwundeten Kämpfer mit sich zu Boden zogen. Die Ueberlieferung berichtet von hohen kriegerischen Eigenschaften der Germanen, durch Jahrhunderte hindurch aber blieben die Formen des germanischen Kampfes primitiv.

B. Kriege. Die Feldzüge der Cimbern und Teutonen 113 bis 101 v. Chr. Aus dem Nordseegebiet verdrängt, wanderten die beiden Stämme gegen Süden. Von den in Böhmen und an der Sau seßhaften Völkerschaften abgewiesen, stießen sie in Kärnten zum ersten Male auf römische Heere. 113 vor Chr. schlugen sie vereint den Consul Cn. Papirius Carbo bei Noreja und wandten sich dann nach Gallien. Der Konsul M. Junius Silanus, der ihre Bitte um Land und Saatkorn ab­ schlug, wurde 109 besiegt. Jahrelang zogen die beiden Stämme in Gallien umher, ohne die gewünschten Wohnsitze zu finden. Gallische Völkerschaften schlossen sich ihnen an, Rom stellte neue Heere ins Feld. Bei Arausio an der Rhone wurde 105 der Prokonsul O. Servilius Cäpio vernichtend geschlagen, einem Gelübde zufolge die Gefangenen getötet und die Beute vernichtet. Rom hätte einem Einfall nach Italien keine Truppenmacht entgegenzusetzen gehabt. Der gefürchtete Vormarsch über die Alpen erfolgte jedoch erst im Frühjahr 102. Inzwischen hatte C. Marius eine erfolgreiche Reform des römischen Heerwesens durchgeführt. Die beiden Stämme trennten sich und nun gelang es Marius, mit seinen Heeren zuerst 102 die Teutonen bei Aquae Sextiae (Aix in der Provence) und ein Jahr später die Cimbern bei Vercellae in Oberitalien zu schlagen und völlig zu vernichten. Die Feldzüge Caesars gegen die Germanen 58 bis 51. vor Chr. Die Feldzüge Caesars bezweckten die Befriedung des un­ ruhigen Galliens. Hier stieß er auf germanische Sueben unter Ariovist, die sich in Gallien festgesetzt hatten. Eine Schlacht im Oberelsaß warf 58 die Germanen über den Rhein zurück. Der Sieg Caesars bedeutete das Ende der Germanenherrschaft links des Rheines. Seine weitere Kriegführung in Gallien bezweckte die Unterwerfung der unbotmäßigen keltischen Stämme unter die römische Oberhoheit. Vielfach kam es dabei zu Kämpfen mit Germanen, die ent­ weder von den Galliern herbeigerufen waren, oder auf eigene Faust sich Land zu erwerben suchten. Zweimal, 55 und 53 v. Chr., führte Caesar Truppen über den Rhein in der demonstrativen Absicht, die mili­ tärische Ueberlegenheit Roms den Germanen vorzuführen, nicht aber, um sich dauernd auf dem rechten Rheinufer festzusetzen. Beidemale wurden die römischen Legionen nach kurzem Aufenthalt in Germanien auf gallischen Boden zurückgenommen. Nochmals flackerte unter des Vercingetorix Leitung der gallische Aufstand im Jahre 52 lebhaft auf; Caesar gelang es endlich, auch diesen letzten Versuch niederzuschlagen und dabei bediente er sich bereits germanischer tzilfsvölker, besonders Reiter, die im rechtsrheinischen Gebiet angeworben waren. 51 war die letzte gallische Gefahr beseitigt. Von da an bestand unmittelbare Berührung zwischen Germanen und Römern an der Rheingrenze. Dementsprechend mehrten sich die

kriegerischen Zusammenstöße, aber auch die friedlichen Beziehungenund es gelang den Römern nun immer häufiger, Einfluß auf die durch Zwistigkeiten vielfach gesplitterten germanischen Stämme zu ge­ winnen. Einzelne germanische Stammesteile wurden auf linksrheinisches Gebiet übernommen und als römische Untertanen zum Grenzschutz ver­ wendet. Die immer wieder erneuten Vorstöße von Germanen über den Rhein aber bedeuteten allmählich eine so schwere Gefahr für den römi­ schen Besitz in Gallien, daß Octavianus Augustus sich zu größeren Un­ ternehmungen zur Sicherung der Grenze entschloß. Feldzüge des Drusus und Tiberius 16 vor bis 6 nach Chr. Die Stiefsöhne des Augustus, Drusus und Tiberius, wurden mit der Leitung der Operationen gegen die Germanen beauftragt. Zunächst wurde in konzentrischem Vorgehen vom Brenner und von Gallien aus das Gebiet zwischen Bodensee und Wiener Wald unter­ worfen und hier die Reichsgrenze bis zur Donau vorgeschoben. Dann fiel Drusus in den Jahren 12—9 v. Chr. von Gallien her über den Rhein nach Germanien ein, um durch starke Postierungen bis zur Elbe das Land militärisch im Besitz zu nehmen und den unruhigen Nachbarn vom Rheine fernzuhalten. In vier Feldzügen gelang es den Römern, unterstützt durch die Uneinigkeit der Germanenstämme hier festen Fuß zu fassen. Nach des Drusus Tod setzte Tiberius in den Jahren 8 und 7 v. Chr. das Werk der Durchdringung Germaniens fort. Der germanische Widerstand ließ allmählich nach, ohne je gänzlich zu erlöschen. Eroberungen int unteren Donaugebiete hatten die römische Macht­ sphäre auch hier gegen den Fluß vorgeschoben, so daß etwa seit dem Jahre 9 v. Chr. Rhein und Donau als feste Reichsgrenze angesehen werden konnten, über die hinaus militärische Sicherungen vorgeschoben waren.

Um diese Zeit fällt die Gründung eines größeren Germanenreiches durch -en Markomannen Marbod, der seine vorher am oberen Main ansässigen Völker, am der römischen Beeinflussung zu entgehen, nach dem heutigen Böhmen führte und sich dort mit anderen germanischen Stämmen verbündete. Der römisch geschulte Herzog übertrug die Kenntnis römischen Kriegswesens auf sein Heer. Gestützt auf die Armee übte er königliche Gewalt aus. Gegen dieses Reich, das den Römern wie einem Teil der übrigen Germanenstämme gefährlich schien, wandte sich nun Tiberius. Feldzüge des Tiberius in Germanien 4—6 nach Chr. Seit dem Jahre 4 hatte Tiberius erneut den Oberbefehl am Rhein inne. Der Feldzug gegen Marbod wurde durch Unterwerfung unbotmäßiger Germanenstämme, der Brukterer und Chauken, vorbereitet. Dann sollte zangengleich der Angriff von Westen und von Südosten her gegen das Markomannenreich beginnen. Die beiden römischen Heere waren nur

mehr fünf Tagemärsche von einander getrennt, als ein Aufstand in Pannonien, als dessen Urheber man Marbod ansieht, das Südheer der Römer zur Umkehr zwang. Mit Marbod selbst schloß Tiberius Frieden. Der pannonische Aufstand wurde in einem dreijährigen Kampf niedergeschlagen.

Die Schlacht im Teutoburger Wald im Jahre 9 nach Chr. Eine nationale Erhebung gegen die Versuche, der militärischen Besetzung rechtsrheinischen Gebietes nun auch die Einführung der rö­ mischen Verwaltung folgen zu lassen, vertrieb die Römer endgültig vom germanischen Boden. Entgegen den Wünschen der römischen Partei, die sich fast überall bei den germanischen Stämmen gebildet hatte, gelang es dem Cheruskerfürsten Arminius, im Verein mit befreun­ deten Stämmen dem römischen Prokonsul P. Quintilius Varo, der mit 3 Legionen, 6 Kohorten Hilfstruppen und 3 Alen Reiterei, zusammen etwa 18000 Mann, zur Unterwerfung eines südlich von Aliso ge­ meldeten Aufstandes aus diesem Kastell aufgebrochen war, in einem dreitägigen Kampfe in der Dörenschlucht des Teutoburger Waldes eine vernichtende Niederlage beizubringen. Fast das ganze Heer wurde getötet. Die römischen Kastelle fielen in die Hand der Germanen. Die Streifzüge, die Tiberius in den Jahren 10 und 11 unternahm, dienten nur der formellen Wiederherstellung der römischen Waffenehre.

Die Feldzüge des Germanicus 14—16 n. Chr. Der Sohn des Drusus und Adoptivsohn des Tiberius übernahm im Jahre 13 den Oberbefehl am Rhein. Im Jahre 14 begann ein Feldzug, der die Unterwerfung Germaniens zwischen Rhein und Elbe zum Ziele hatte. Die Zwistigkeiten der Germanen, zumal die Uneinigkeit in der Familie des Arminius kamen den römischen Eroberungsplänen entgegen. Zu Land und zu Wasser wurde der Einmarsch eingeleitet. Tacitus gibt an, daß Arminius zweimal, bei Jdisiaviso und in der Gegend des Steinhuder Meeres in offener Feldschlacht besiegt worden sei. Es bestehen angesichts der Strategie des Arminius jedoch berech­ tigte Zweifel, ob es sich hier wirklich um große Feldschlachten gehan­ delt haben kann. Der Cheruskerfürst legte angesichts der zahlenmäßigen römischen Ueberlegenheit den Schwerpunkt seines militärischen Wider­ standes auf den Kleinkrieg, der den Römern bei der Unwegsamkeit des Landes soviel Leute kostete, daß Tiberius die Zurücknahme der Truppen auf das linke Rheinufer befahl. Der Rhein sollte fortan die Grenze bilden. Eine neue Provinzeinteilung gab dem Verzicht auf weitere Er­ oberungen Ausdruck. Das von Germanen besiedelte linksrheinische Gebiet wurde als römisches Germanien in zwei Hälften geteilt: Ger« mania inferior (Holland, Belgien, die linke Rheinprovinz) mit Köln

(Colonia Agrippina), Neuß (Novaesium), Birten bei Tanten (Castra yetera) und Nymwegen (Noviomagus Batavorum) als Festungen; Ger­ mania superior (die Pfalz, Elsaß und Baden) mit Mogontiacum (Mainz), Confluentes (Koblenz), Noviomagus Nemetum (Speyer) und Argentoratum (Straßburg). Südlich der Donau schlossen sich die Gebiete von Rätien, Vindelicien (vom Bodensee bis zum Inn), Noricum (bis zum Wiener Wald), Pannonien (östlich davon) mit den hauptsächlichsten Städten Augusta Vindelicorum (Augsburg), Castra Regia (Regensburg), Castra Batava (Passau), Juvavum (Salzburg) und Vindobona (Wien) an. Der 500 Kilometer lange Limes, eine militärische Grenzbefestigung, die aus durchlaufendem Wall mit Graben, Kastellen und Wachttürmen bestand und sich von Rheinbrohl bei Remagen bis nach Kehlheim an der Donau zog, verband die beiden Grenzflüsse miteinander und hinderte einen germanischen Einfall durch die von der Natur offengelassene Lücke. Die Germanen rechts des Rheines wurden „ihrer inneren Zwie­ tracht überlassen." Der Ausgang der beiden Germanenfürsten Arminius und Marbod. die sich gegenseitig bekämpften, gab diesem Verfahren recht. Bataveraufstand 69—70. Angesichts der starken Grenz­ sicherungen erfolgten zunächst keine germanischen Versuche, den Rhein und die Donau zu überschreiten. Erst unter Vespasian drohten neue Ge­ fahren. Die Bataver unter Claudius Civilis erregten 69 einen gefähr­ lichen Aufstand, dessen Ziel die Gründung eines gallogermanischen Reiches war. Die Gallier und sogar römische Legionnen schlossen sich Civilis an, der zuerst als Parteigänger Vespasians gegen Vitellins auf­ trat. Dann sandte der Kaiser den Feldherrn Petilius Cerialis mit 10 Legionen aus, dem es in hartem Kampfe gelang, im Jahre 70 des Auf­ standes Herr zu werden und die Reichsgrenzen wie vordem herzustellen.

In einem Jahrhundert des Friedens übernahmen die Grenzpro­ vinzen die römische Zivilisation. Dann aber wurde der Druck aus dem Inneren des russischen Step­ pengebietes immer stärker. Die große Völkerwanderung setzte ein. Der Markomannen- und Ouadenkrieg 166—180. Ge­ trieben von Landnot brachen die Markomannen undOuaden, nachdem ihre Bitte um Gewährung neuer Wohnsitze von den Römern abgeschla­ gen worden war, gefolgt von slavischen Völkerschaften über die Donau vor, während gleichzeitig die Chatten aus dem westlichen Germanien in Rätien einfielen. Rätien, Pannonien, Noricum und Dazien wurden über­ schwemmt, Italien selbst bedroht. Mit äußerster Kraftanstrengung konnte Marc Aurel, der die Führung selbst übernahm, die Germanen über die Donau zurücktreiben und die Donaugrenze nochmals festigen. Hand in Hand mit der Gefahr, die von Germanien her drohte, ging eine innere Zersetzung der staatserhaltenden Kräfte der römischen Herrschaft. Das Weltreich versuchte, neue Kräfte heranzuziehen und griff

dazu in erster Linie auf die unverbrauchten Germanen zurück. Eine starke Durchdringung des römischen Staates mit germanischen Elementen fand statt, zuerst auf militärischem Gebiete. Die zunächst nur als tzilfsvölker zugelassenen germanischen Krieger wurden in die eigentlichen Legionen übernommen und ihre militärische Tüchtigkeit öffnete ihnen mit der Zeit den Weg zu Führerstellen im Heere. Von da war nur ein Schritt zu der Uebertragung ziviler Aemter an Germanen. Das Ein­ dringen germanischer Elemente in die römische Staatswesen war zuerst ein ausgesprochener Gewinn für das römische Reich, das seine Lebens­ dauer durch germanische Kraft verlängerte. Aber Rom war nicht mehr lebensfähig genug, diese Fremdkörper wirklich in sich aufzusaugen. Sie beschleunigten schließlich den Sturz der römischen Weltherrschaft.

Die Festigung der mittleren Donaugrenze durch Marc Aurel hatte zur Folge, daß der Strom der germanischen Völkerwanderung sich an diesem Hindernis in zwei Arme teilte, einen südöstlichen und einen westlichen.

Die West-Gotenkriege 275—711. Die Ostgermanen (Ostund Westgoten, Burgunder, Vandalen, Heruler, Rugier, Skiren, Lango­ barden) wurden am unmittelbarsten und stärksten bedrängt. Sie gaben dem Druck aus dem Inneren Asiens nach, suchten aber gleichzeitig dem gefürchteten römischen Militärstaat auszuweichen und wandten sich der unteren Donau zu. Die Goten gründeten am schwarzen Meer ein Reich und erhielten von Aurelian (270—275) Wohnsitze in Dacien (Rumänien) zugewiesen. Der östliche Teil der Goten wurde von den Hunnen ange­ griffen und nach schwerem Verteidigungskampf im Jahre 375 über­ wältigt. Die Ostgoten standen seitdem unter hunnischer Oberhoheit. Die Westgoten suchten diesem Schicksal durch Abwanderung zu entgehen. Teile zogen sich in das siebenbürgische Bergland zurück, während ein Hauptteil von Kaiser Valens in Mösien (Bulgarien) angesiedelt wurde. Als die von der römischen Regierung versprochenen Subsistenzmittel ausblieben, erhoben sich die Goten und schlugen die Römer 378 bei Adrianopel, in welcher Schlacht Valens fiel. Die gleichzeitigen, andauernden Perserkämpfe (etwa 200 bis 600) verhinderten das römische Reich, seine ganze Kraft der Germanengefahr entgegenzuwerfen. Die Teilung des Reiches in Ost- und Westrom im Jahre 395 zwischen Arkadius und tzonorius gab den Germanen neuen Impuls zum Vordringen. Die Westgoten schlossen sich unter Alarich zusammen und versuchten, in Italien einzufallen. Noch einmal wurde Rom gerettet und zwar durch einen Germanen: der Vandale Etilicho, zu den höchsten Aemtern des Römischen Reiches emporgestiegen und dem Kaiser Honorius durch Heirat verwandt, schlug Alarich in drei Schlachten und vernichtete germanische Scharen, die unter Radagias in Oberitalien eingefallen waren. Nach seinem Sturze aber fiel Italien in die Hand der Germanen, die 410 Rom einnahmen. Ein gotisches Reich

wurde hier jedoch noch nicht gegründet. Nach Alarichs Tode führte sein Schwager Athaulf die Westgoten in das südwestliche Gallien, wo ein Reich mit der Hauptstadt Tolosa (Toulouse) entstand, dessen Schwerpunkt sich aber allmählich, vornehmlich unter dem Druck des entstehenden Frankenreiches, nach Spanien mit Toledo als Hauptstadt verlegte. Hier hielt sich die westgotische Herrschaft, bis das Vordringen der Mauren ihr 711 bei Xeres de la Frontera ein Ende bereitete. Die Burgundenkriege 406—437. Die Kämpfe gegen Alarich und Radagats hatten den Abzug rö­ mischer Truppen vom Rhein notwendig gemacht. Die Burgunden stießen 406 über den Rhein vor und gründeten eine Herrschaft mit der Haupt­ stadt Worms. Der Statthalter in Gallien, Aetius, vernichtete im Verein mit hunnischen Völkern 437 dieses Reich. Die Reste der Burgunden, die sich um Genf und Lyon ansässig machten, gingen 532 im Franken­ reiche auf. Die Vandalenkriege 406—534. Mit den Burgunden waren die Vandalen, verstärkt durch andere kleinere Völkerschaften, über den Rhein vorgedrungen und hatten sich, Gallien durchquerend, nach Spanien gewandt. Von hier durch die stärkeren Westgoten vertrieben, fuhren sie nach Nord-Afrika über und eroberten unter Geiserich 429 die römische Provinz Afrika. Sie gewannen die Seeherrschaft über das Mittelmeer und setzten mit ihren Raub­ flotten die Gestade dieses Meeres in Schrecken. Die Einnahme Roms 455 fand auf einem dieser Raubzüge statt. Nach dem Tode ihres zielbe­ wußten und kraftvollen Königs Geiserich 477 verfiel das Volk dem ver­ weichlichenden Einfluß des Klimas und der entnervenden römischen Zivilisation. Dein oströmischen Feldherrn Belisar gelang die Vernich­ tung der vandalischen Herrschaft in Afrika. Die Provinz wurde 534 wieder dem oströmischen Reiche angegliedert.

Das Ende des we st römischen Reiches 476. Nach dem gewaltsamen, vom Kaiser Valentinian herbeigeführten Ende des Aetius, der nach der Besiegung der Burgunden die hunnische Gefahr unter Attila durch die Schlacht auf den katalaunischen Felder 451 gebannt hatte, stand den germanischen Vorstößen kein gleichwertiger Widerstand mehr entgegen. Dem Vandaleneinfall folgte eine Besitz­ nahme Italiens durch den Söldnerführer Ricimer, der als patricius noch im Namen des Kaisers herrschte. Nach seinem Tode trat 472 Odoaker an die Spitze des germanischen Soldheeres und setzte 476 den letzten weströmischen Kaiser Romulus Augustulus ab. Als König von Italien übernahm er selbst die Herrschgewalt. Die Ostgotenkriege 489—553. Die Ostgoten waren bis zu Attilas Tode 453 den Hunnen unter­ tan gewesen; dann saßen sie als freies Volk in Pannonien. Von Ostrom

gegen Odoaker zu Hilfe gerufen, zog das Volk unter Führung seines Königs Theodorich nach Italien. Odoaker wurde 489 bei Verona be­ siegt und in seiner Hauptstadt Ravenna eingeschlossen. Theodorich stieß den Odoaker 493 anläßlich eines Gastmahles nieder. König Theodorich, der Dietrich von Bern der Sage, ist eine der mar­ kantesten und gewaltigsten Erscheinungen der frühergermanischen Ge­ schichte. Mit den kriegerischen Eigenschaften des germanischen Heer­ königs verband er staatsmännische Klugheit. Sein Versuch, unter Wah­ rung der römischen Einrichtungen eine Verschmelzung zwischen seinen Goten und den italienischen Römern hervorzurufen, war von Erfolg begleitet, solange der König selbst das Szepter führte. Ein Menschen­ alter lang war Italien befriedet. Nach dem Tode des großen Königs 526 jedoch vermochten seine minder gewaltigen Nachfolger die Zwie­ spältigkeiten zwischen den katholischen Römern und den arianischen Goten nicht mehr auszugleichen. Der oströmische Kaiser Iustian nützte die Lage und bereitete in einem 18jährigen gewaltigen Kampf durch seine Feldherrn Belisar und Narses dem Gotenreich ein Ende. Die Schlacht am laktarischen Berge bei Cumae 553, in dem das Ostgotennvolk unter König Teja bis auf einen kleinen Rest aufgerieben wurde, ist als heldenhafter Abschluß dieses Völkerringens der Nachwelt überkommen. Die Reichsgründung der Langobarden (568—774). Die oströmische Herrschaft in Italien war nicht von langer Dauer. 568 erschien ein anderer Germanenstamm, die Langobarden, geführt von König Alboin, in Italien und eroberte fast die ganze Halbinsel. Die Herrschaft der Oströmer wurde aus Ravenna und Süditalien beschränkt. Als späterhin die langobardische Herrschaft sich auf Ravenna ausdehnte, geriet sie in Konflikt mit einer neu sich entwickelnden Weltmacht, dem Papsttum, das im Bündnis mit dem fränkischen Reich 774 die langobar­ dische Macht niederwarf.

Die Staatenbildungen der Westgermanen. Die Züge der Ostgermanen und die aus diesen Zügen hervor­ gegangenen Staatenbildungen hatten damit ihr Ende erreicht. Keinem dieser Staaten war lange Dauer beschieden. Losgelöst von der Heimat versiegte in inneren Zwistigkeiten und im Kampf mit den romanischen Völkern, denen sie nach ihren arianischen Glaubensbekenntnis auch als Religionsfeinde gegenüberstunden, die Kraft dieser Völker; ihre geringen Reste wurden von der romanischen Bevölkerung völlig aufgesogen. Anders wirkte sich die Völkerwanderung bei den Westgermanen aus. Hier war der Druck aus dem Inneren der asiatischen Gebiete nicht mehr so gewaltig, daß er die Völkerschaften gänzlich vom heimischen Boden entwurzelt hätte. Nicht die reichen, aber auch üppigen und verweichli­ chenden Gebiete der Mittelmeerstaaten wurden von den Westgermanen erstrebt. Sie begnügten sich mit der Ausdehnung ihrer Staaten nach

Das fränkische Reich.

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Westen und Süden im unmittelbaren Anschluß als das Mutterland. Später dem Christentum zugeführt als die Ostgermanen, nahmen sie das katholische Bekenntnis an; der religiöse Gegensatz zu den Romanen wurde dadurch vermieden. Die geringere Reibung mit den Romanen und der unmittelbare Zusammenhang mit dem Mutterland verlieh ihren Staatenbildungen größere Kraft und Beständigkeit. Sie wurden zur Wiege der heutigen politischen Gestaltung Europas. Die Alemannen setzten sich int Laufe des 5. Jahrhunderts im Elsaß und am Oberrhein fest; die Sachsen bewohnten das Gebiet von der Elbe bis gegen den Rhein, ein Teil dieses Stammes unterwarf England und blieb im Besitz der Insel; die Friesen saßen an der Nordsee und im heutigen Schleswig-Holstein; die Thüringer hatten ihre Wohnsitze von der Elbe bis über den Main; die Markomannen-Bayern drangen um 500 aus ihren Sitzen in Böhmen in das Land südlich der Donau, das heutige Altbayern und Deutsch-Oesterreich ein und ließen sich hier nieder. Die Franken endlich wanderten vom Niederrhein nach Gallien vor und eroberten die Scheldegebiete und Nordfrankreich; ihnen gelang die gewaltigste Staatenbildung.

2. Das fränkische Reich. Während die Heere der wandernden Germanenstämme ihre ur­ sprüngliche Eigenart annähernd beibehielten und nur äußerlich von den römischen Heeren Verbesserungen in Bewaffnung, Ausbildung und Formation übernahmen, vollzog sich im Frankenreich eine grund­ sätzliche Umbildung des Heerwesens. Der Grundzug des fränkischen Staates und damit auch seines Heeres war durchaus germanisch; eine Verschmelzung von Römertum und Germanenart, wie Theodorich sie bewußt versucht hatte, wie sie aber auch in den anderen germanischen Mittelmeerstaaten zutage trat und zur Vernichtung des Germanentums in diesen Ländern beitrug, war im Frankenreich nicht beabsichtigt und ist hier nicht durchgeführt worden. Daß der selbstbewußte fränkische Stamm die Herrschaft über sämtliche Germanenstämme im mittleren Eu­ ropa gewann, ist ausschlaggebend für die Geschichte Deutschlands ge­ worden. Die translatio imperii von den Römern auf die Byzantiner, dann auf die Langobarden und auf die Franken bereitete die Weltstel­ lung des mittelalterlichen deutschen Kaisertums vor. Der fränkische Staat löste sein Wesen aus dem unsteten Wander­ leben der nomadischen Germanenstämme. Er schuf feste, eigene Formen germanischen Gepräges und erwies so die Fähigkeit der Germanen zu dauernder Staatenbildung. Auch sein Heer mußte den neuen selbst­ geschaffenen Bedingungen angepaßt werden.

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-"Tas fränkische Reich. — Heerwesen. A. Heerwesen.

Das Frankenreich war ein ausgesprochen christlich-germanisches Reich. Die staatliche Organisation, die Rechtspflege und die Wirt­ schaftsformen weisen germanische Grundzüge auf, die durch die ver­ fallende römische Zivilisation nicht entscheidend beeinflußt wurden. Die weitere Entwicklung der Dinge hat dann den Weg nach zwei Rich­ tungen genommen, nach der deutschen und der französischen. Beide aber haben ihren Ursprung in den Institutionen des fränkischen Reiches. Der fränkische Staat wurde von einer Zentrale aus regiert; ein Heer von Beamten, deren Spitzen höfische und staatliche Aemter ver­ einten, trug den Willen des Königs in das Volk; die Einteilung des Landes in Grafschaften, deren Vorsteher ernannte Beamte des Königs, nicht etwa durch die Geburt bestimmte Führer ihrer Gebiete waren, bildete die Basis für die Verwaltung. Der ganze Regierungsapparat war schwerfällig, wenn man die gewaltige Ausdehnung des Reiches bedenkt; nur ausgesprochen kraftvolle Persönlichkeiten, wie Karl der Große und seine Vorfahren, konnten dieser Verwaltung Heer werden. Die schwächeren Nachfolger sahen sich zu Reichsteilungen veranlaßt, die ihren Grund zwar in erster Linie in der germanischen Auf­ fassung vom Staate als Privateigentum, in zweiter aber auch wohl in dem Gefühl der Ohnmacht hatten, die gewaltigen Herrschaftsgebiete zentralistisch zusammenzuhalten. Die Heeresverfassung des fränkischen Reiches entwickelte sich eben­ falls aus germanischen Elementen. Gefolgschaft und Heerbann bildeten die Grundlagen der fränkischen Heereseinrichtungen. Es ist ein uraltes Streben der Herrscher — keineswegs nur der germanischen — gewesen, sich mit besonders zuverlässigen Truppen, mit Leibwachen zu umgeben. Auch die germanischen tzeerkönige suchten derartige Elitekorps um sich zu versammeln. Das typisch Germanische aber an diesen Gefolgschaften ist, daß sie nicht, wie vielfach bei anderen Völkern, mit Absicht aus fremden Söldlingen bestanden, die der poli­ tischen Beeinflussung schwerer zugänglich waren und daher für ver­ lässiger galten. Die germanische Gefolgschaft sollte aus besonders tüch­ tigen Leuten des eigenen Stammes bestehen, die sich dem Führer in persönlicher Weise verpflichteten und ihm nicht nur zum Gehorsam^ sondern zur Treue bis zum Tode verbunden waren. Die Quellen, die über germanische Einrichtungen berichten, heben die germanische Gefolgstreue als etwas Bemerkenswertes hervor. Die Einrichtung der Gefolgschaften blieb im Frankenreich bestehen. Man darf sich diese Korps als eine Mischung von Leibwache und Generalstab vorstellen; persönliche Tapferkeit und Führereigenschaften mußten die Antrustionen vereinen. Aus den besonderen Verhältnissen dieser Korps aber entwickelte sich eine der bedeutsamsten Institutionen des Mittelalters, die den kriegerischen, rechtlichen, wirtschaftlichen und

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sozialen Zuständen ganzer Jahrhunderte das Gepräge gab: das Benefizial- und Lehenswesen. Der Gefolgsherr hatte für die Bedürfnisse seiner Gefolgsmannen aufzukommen und darüber hinaus den Wunsch, treue Dienste besonders auzuerkennen und zu belohnen. Die Unterhaltung der Gefolgschaften, die der Eigenart ihres Dienstes entsprechend beritten sein mußten, war eine erhebliche pekuniäre Belastung des Gefolgsherrn. Im Kriege gab ja der weit größere Anteil an der Beute dem Führer leicht die Möglichkeit, die Ansprüche seiner Gefolgsmannen zu be­ friedigen. Im Frieden jedoch fiel der Unterhalt einer zahlreichen Gefolgschaft nicht leicht. Wan mußte sie verringern. Um aber doch im Ernstfall die nötige Zahl von Gefolgsmannen rasch zur Hand zu haben, ging man dazu über, eine Reihe von Vasallen so zu versorgen, daß sie dem Gefolgsherrn nicht mehr zur Last fielen. Sie erhielten Benefizien und Prekarien gegen die Verpflichtung, sich selbst in voller, brauchbarer Ausrüstung für den Waffendienst bereitzuhalten und je nach der Größe des Benefiziums noch eine Anzahl bewaffneter Leute auf eigene Kosten zu stellen. Da diese Benefizien in den meisten Fällen aus Landzuweisungen bestanden haben, von denen zunächst nur die Nutznießung, nicht aber der Besitz auf den Belehnten überging, wurde der Vasall zum Lehensträger, der sich in starker, aber keineswegs drückender Abhängigkeit vom Lehensherrn befand. Je schwerer die Zeiten waren, desto gesuchter wurden die Lehen, die auskömmliche Versorgung gewährten. Man darf also annehmen, daß das Lehenswesen aus dem Reiterdienst hervorgegangen ist und nicht umgekehrt; und die Hypothese, daß Reiterdienst und Lehenswesen von dem Kampfe Karl Martells gegen die Araber seinen Ursprung genommen habe, erweist sich nicht als haltbar. Das für die Belehnungen nötige Land entnahm der König dem Königsgut. Unter den Merovingern gaben große Säkularisationen die Möglichkeit, kriegerische Laien mit Lehen zu begaben. Unter den Karo­ lingern findet dann auch die Belehnung mit Aemtern — Grafschaften — statt, eine Maßnahme, die bei der allmählich eintretenden Erblich­ keit der Lehen zu einer Schwächung der königlichen Gewalt führte.

Neben dem Berufskriegertum bestand der Heerbann, der die ganze Masse der waffenfähigen Freien umfaßte. Solange die germanischen Völkerschaften wanderten, bildete der Heerbann die Hauptmasse des Heeres; die Gefolgschaft trat daneben in zahlenmäßiger Hinsicht und in ihrer militärischen Bedeutung zurück. Mit der beginnenden Seß­ haftigkeit änderten sich allmählich die Verhältnisse. Die kriegerischen Freien verteilten sich auf große Landgebiete; das Aufgebot des ge­ samten Heerbannes wurde durch die großen Entfernungen erschwert.

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Das fränkische Reich. — Heerwesen.

Teilaufgebote in den vom Feinde unmittelbar bedrohten Landsttichen und deren Unterstützung durch den Heerbann nahegelegener Landesteile mußten an Stelle des Gesamtaufgebotes treten. Das berufliche Vasallenheer, das rascher beweglich war als der zu Fuß dienende Heerbann, gewann nun an Bedeutung, zumal das Heerbannaufgebot der seßhaften Bauern als eine drückende Last empfunden wurde, die es für den Nomaden nicht war. Nicht nur die Wirtschaft zu Hause lag während des Heerzuges brach, wenn der freie Bauer zum Heerbann eingezogen war, die Verpflichtung, für Bewaffnung, Ausrüstung und Verpflegung für eine gewisse Zeit selbst sorgen zu müssen, fiel dem wirtschaftlich Schwachen schwer. Die zahlreichen Feldzüge der Karo­ lingerzeit machten nun trotz des nur teilweisen Aufgebots bei vielen nicht sehr begüterten Freien den Wunsch lebendig, sich der drückenden Verpflichtung des Heeresdienstes ganz oder doch teilweise zu ent­ ziehen. Ein Mittel dazu bot sich, wenn der Freie sich in ganze oder teilweise Abhängigkeit von einem der reichen Grundherren — Senioren — begab, der dann für ihn die Verpflichtung zum Kriegsdienst oder doch wenigstens die Sorge für den Unterhalt der Familie während eines Heereszuges übernahm. Das lästige Gut der Freiheit wurde zu­ gunsten einer größeren wirtschaftlichen Sicherheit aufgegeben. Die großen Grundbesitzer kamen zusammen mit den königlichen Grafen, die vielfach selbst Grundbesitzer waren, diesem Wunsch entgegen und förderten wohl auch durch Druck die Aufgabe der Freiheit da, wo die Absicht bestund, sie zu erhalten. Der Freie gab sein Gut in die Hand eines weltlichen oder geistlichen Großen und empfing es als Lehen zurück. Die Macht der Senioren wuchs mit der Anhäufung von Land­ besitz und von Hörigen. Mit der Verstärkung der Kraft des Seniorates aber erwuchs der königlichen Gewalt eine weitere Schädigung. Der Stand der Gemeinfreien verringerte sich trotz der Fürsorge, die Karl der Große ihm angedeihen ließ; daraus entstand dann später­ hin kriegerische Verweichlichung und politische Gleichgültigkeit der breiten Volksmassen, die dem Reiche nicht förderlich war. Rein militä­ risch war die Ausgestaltung des Seniorates von Vorteil: Die Kom­ mandoeinheiten des ungefügen Heerbannes konnten leichter gebildet

werden. In der Ausrüstung und Bewaffnung schieden sich Gefolgschaften und Heerbann sehr stark. Während das Vasallenheer allmählich die ritterliche Bewaffnung annahm, vor allem über gute Schutzwaffen, Helme, Schilde, Brünnen, teilweise gepanzerte Koller usw. verfugte und als Reiterwaffen die Lanze und das lange Reiterschwert führte, unterschied sich die Bewaffnung des Heerbannes nicht sehr wesentlich von der früherer Zeiten. Gute Schutzwaffen waren im allgemeinen selten und auch die Trutzwaffen wiesen noch die gleichen primitiven Formen wie zu Zeiten der Völkerwanderung auf.

Ueber die Organisation der fränkischen Heere herrschen Zweifel. Wenn auch die Beibehaltung der Einteilung nach Familie, Sippe, Gau und Stamm in der militärischen Organisation des Heerbanners gegeben war, so ist doch noch nicht mit Sicherheit festgestellt, wie die Zusammenstellung der Formationen, die Kommandoverhältnisse im Einzelnen bei den doch recht ansehnlichen Heeren der merowingischen und karolingischen Zeit geregelt waren. Ganze Familien und Sippen standen beim Heerbann nur mehr selten geschlossen im Feld. Besonders aber fehlen Anhaltspunkte darüber, wie der Marsch und vor Allem die Verpflegung solcher Heere sich gestaltete. Die einfache Angabe, daß jeder tzeerbannmann für mehrwöchentliche Ver­ pflegung selbst zu sorgen hatte, genügt nicht. Die Anlage großer Verpflegungsmagazine und der Nachschub von diesen zum Heer muß bei den Franken stattgefunden haben und ist bei der Sorgfalt, mit der die Verwaltung des Reiches ausgebildet war, auch wohl denkbar. Das Kriegsziel in der fränkischen Periode war meist Gewinn fremden Landes, Unterwerfung fremder Völker und Zerstörung der gegnerischen Herrschaft. Die tzeerführung strebte die Vernichtung der feindlichen Streitmächte an. Da nun die Kriege mit reinen Heeren, nicht mehr mit Völkerzügen geführt wurden, trennten sich die strategischen Ideen von den politischen. Der wandernde germanische Volkszug ver­ einte noch beide; er nahm Land in Besitz und verteidigte es gegen fremden Angriff. Nun, da die reinen Heere im Felde stehen, tritt der Gedanke der Operation in den Vordergrund, durch die man die feind­ liche Streitmacht vernichtet oder ausschaltet; das politische Ziel wird nach dem militärischen Erfolg höher oder tiefer gesteckt. Die römische Tresfentaktik hatte sich dem germanischen Keil über­ legen gezeigt; die Germanen waren gezwungen, ihrerseits von den altgewohnten taktischen Formen abzugehen und sich mehr der römischen Kampfesweise anzupassen, die die Vernichtung des Geg­ ners durch Umfassung erstrebte. Die' Bedeutung der Reiterei war gewachsen, teils infolge der großen Entfernungen der Reichsgrenzen, teils einem Gegner, wie den Arabern gegenüber, der über gewaltige Reitermassen verfügte. B. Kriege. König Chlodevech (48G—511).

Die Kriege Chlodevechs dienten der rücksichtslosen Niederwerfung aller Nachbarn, die der Herrschaft über das Gesamtvolk der Franken hindernd im Wege standen. Die Unterwerfung der anderen fränkischen Fürsten teils durch List, teils durch Gewalt, war das erste Ziel. Der Sieg über den letzten römischen Statthalter Syagrius bei Soissons 486 vernichtete den Rest der ohnedies nur mehr schwachen Römer­ herrschaft in Gallien. Dann konnte Chlodevech daran denken, die

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Grenzen der nunmehr zusammengefaßten fränkischen Herrschaft nach außen zu erweitern. Der germanische Nachbarstamm der Alemannen wurde um die Wende des fünften Jahrhunderts bei Tobiacum im Elsaß geschlagen und unterworfen. Am Weihnachtstag nach diesem Sieg vollzog Chlodevech in Reims den für die Entwicklung des Fran­ kenreiches bedeutsamen Uebertritt zur christlich-katholischen Kirche. Dann siegte der Frankenkönig über die Burgunden bei Dijon und warf 507 im Kampfe gegen die arianischen Westgoten bei Poitiers deren König nieder. Der weitere Widerstand der Westgoten wurde durch die Ostgoten Theodorichs unterstützt, dessen Feldherr Ibbas 508 die Franken an der Durance besiegte. Im Friedenschluß aber gewannen die Franken das westgotische Gebiet bis zur Garonne. Die Eroberungskämpfe unter Chlodevechs Nachfolgern (511—560).

Die Nachfolger Chlodevechs blieben seiner Eroberungspolitik treu. Die Thüringer wurden mit Hilfe der Sachsen 531 an der Unstrut besiegt, ihr Land kam an das Frankenreich, der Teil nördlich der Unstrut an die Sachsen. Das Burgundenreich wurde nach einem neuerlichen Siege bei Autun 532 unterworfen. Die Bayern gerieten, anscheinend ohne ernstere Kämpfe, ebenfalls in Abhängigkeit vom Frankenreich. Das Ostgotenreich mußte die Provence und das ale­ mannischen Rätien an die Franken abgeben. Bürgerkriege im Reich (560—613).

Der erstarkende Adel wandte sich gegen das Königtum. Die blutigen Fehden wurden verschärft durch den Gegensatz zwischen den beiden Königinnen Fredegundis und Brunichildis, die in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts für ihre unmündigen Söhne um die Macht kämpften. Letzter Aufschwung der Merowinger (613—638). König Chlotar II. vereinigte 613 nochmals das ganze Franken­ reich in seiner Hand. In seine Regierung und die seines Nachfolgers Dagobert I. fällt noch eine kurze Blütezeit des merowingischen Reiches. Gegen die Neugründung eines slavischen Reiches unter Samo in Böhmen kämpften jedoch die Franken vergeblich an. Der Niedergang des merowingischen Hauses (638—752).

Unter den schwächlichen Nachfolgern dieser beiden Könige verfiel allmählich die Königsgewalt. Der fränkische Adel kämpfte unter sich und mit der Kirche um die Herrschaft, und während dieser inneren Streitigkeiten gelang es 640 den Thüringern durch einen Sieg an der Unstrut, sodann auch den Bayern und Alemannen, sich von der fränkischen Oberhoheit zu lösen. Bei den Kämpfen im Inneren des Reiches bildete sich immer mehr die Gewalt der Hausmeier heraus, höchster Staats- und Hofbeamter

in den drei fränkischen Teilreichen, die unter den großenteils dekadenten Schattenkönigen die tatsächliche Gewalt ausübten. Als dieses Amt in bevorzugten Adelsfamilien erblich wurde, begann hier eine ernst­ hafte Gefahr auch für den formellen Fortbestand des merowingischen Königtumes. Der Kampf um die Reichseinheit wurde nun nicht mehr von den Königen, sondern von den Hausmeiern geführt. Er spitzte sich zu einem Ringen zwischen Austrasien und Neustrien zu, in dem zunächst der neustrische Hausmeier Ebroin das Uebergewicht behielt, bis durch den Sieg von Tertry bei St. Quentin der Austrasier Pippin der Mittlere 687 die herrschende Stellung gewann und im folgenden Jahre das ganze Frankenreich unter seiner Gewalt vereinte. Don da an datiert die Herrschaft der Arnulfinger und Karolinger über das Gesamtreich, die zunächst in Form eines Majordominates ausgeübt wurde, das in der Familie erblich blieb. Das Geschlecht stellte eine Reihe kraftvoller Persönlichkeiten an die Spitze des frän­ kischen Staates, der sich unter seiner Leitung zur höchsten Blüte entfaltete. Zunächst versuchte Pippin der Mittlere mit teilweisem Erfolg, die verlorenen Randgebiete dem Frankenreich zurückzuerobern. Die Friesen wurden 689 geschlagen und unterworfen. Die Alemannenkriege 709—710 blieben unentschieden. Sein natürlicher Sohn und Nachfolger Karl Martell (714—741) mußte nochmals, und zwar siegreich um die Herrschaft über Austrasien und Neustrien kämpfen. Dann nahm der Ansturm der Araber, die nach der Unterwerfung Spaniens gegen Frankreich vordrangen, seine Kraft in Anspruch. In einem mehrjährigen Krieg, in dem Karl den ersten Angriff 732 zwischen Tours und Poitiers abschlug und dann 737 den Arabern nochmals bei Narbonne an der Berre eine schwere Niederlage beibrachte, verteidigte Karl nicht nur das Frankenreich, sondern die ganze abendländisch-westliche Kultur vor der islamitischen Ueberflutung. Seinem Sohne hinterließ er bereits eine gesicherte Herrschaft. Die Nachfolger Karl Martells übertrugen das unselige Prinzip der Reichsteilung auch auf das tzausmeieramt. Ein Aufstand des Stiefbruders Grifo wurde niedergeworfen, dann übernahm nach Karl­ manns Abdankung 747 Pippin der Jüngere allein die Herrschaft. Schon in der Zeit der Doppelregierung waren Aquitanier und Ale­ mannen erneut unter die fränkische Herrschaft gebeugt worden. Ein Bündnis mit dem Papste sicherte diesem den fränkischen Schutz gegen die Langobarden und erleichterte Pippin die Erlangung der Königs­ würde. 752 wurde der letzte Merowinger Childerich III. abgesetzt und in ein Kloster verwiesen. Die Kriege König Pippins (752—768).

Das Bündnis mit Papst Stephan III. rief die Franken zuerst nach Oberitalien. Den ersten Langobardenkrieg schloß die Einnahme Pavias Frauenholz, Deutsche Kriegs- und Heeresgeschichte.

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754. Der Langobardenkönig Aistulf erhob sich nach Abzug der Franken nochmals, wurde jedoch 756 wiederum in seiner Hauptstadt Pavia eingeschlossen und gefangen genommen. Im Friedensvertrag sicherte Pippin dem Papste das Gebiet des Kirchenstaates als souveräne Herrschaft zu (Sogenannte Pippinische Schenkung). 759 entriß Pippin den Sarazenen ihren letzten gallischen Stützpunkt Narbonne. Der Rest seiner Regierung war kriegerisch ausgefüllt durch schwere neun­ jährige Kämpfe gegen den Herzog Waifar von Aquitanien, der sich immer aufs Neue gegen die fränkische Herrschaft erhob. Erst sein Tod brachte den Abschluß dieser Kämpfe. Kurz darauf starb auch Pippin und hinterließ sein Reich den beiden Söhnen Karlmann und Karl. Karl der Große (768—814). Wieder bestand die Gefahr einer Teilung des Reiches, die durch den Tod des einen Bruders, Karlmann, behoben wurde. In Karl dem Großen erstand dem Frankenreich die gewaltigste Herrschergestalt der karolingischen Zeit. Zielbewußt arbeitete der König auf die Vor­ machtstellung des Frankenreiches in Europa hin und die Kaiserkrönung war lediglich die Anerkennung des Gelingens seiner Bestrebungen. Die Festigung der Ordnung im Reiche selbst und der unbedingten Vor­ herrschaft der Königsgewalt ging Hand in Hand mit der Sicherung der Grenzen des Frankenreiches gegen unruhige Nachbarn. Das Bündnis mit der päpstlichen Kirche sicherte die Ansprüche des Königs gegen das kaiserliche Byzanz. Die Langobardenkriege 773—774.

Die erste Ehe Karls mit einer langobardischen Königstochter stellte gute Beziehungen zwischen dem Langobardenreich und damit auch mit den den Langobarden verbündeten Bayern her. Die Verstoßung seiner Frau nach einjähriger Ehe und die Vermählung mit einer alemannischen Prinzessin brachte Karl in Gegensatz zu dem Langobardenkönig Desi­ derius, der sich an Papst Hadrian I. mit einem Bündnisantrag gegen das Frankenreich wandte und, als Hadrian ablehnte, den Papst mit Krieg überzog. Von Hadrian zu Hilfe gerufen, wandte sich Karl gegen die Langobarden und nahm 774 Pavia. Der gefangene Desiderius wurde entthront und in ein Kloster gesperrt. Karl nahm die Würde eines Langobardenkönigs und den Titel eines römischen Patricius an und erhob damit Ansprüche auf das weströmische Erbe, das sich auf die Langobarden übertragen hatte. Die Sachsenkriege 772—804. Noch vor dem Langobardenkrieg hatte Karl 772 mit Zustimmung einer Reichsversammlung zu Worms den Krieg gegen die Sachsen beschlossen. Bestimmend hiefür war die alte Gegnerschaft zwischen Franken und Sachsen. Jede Erhebung gegen die fränkische Herrschaft

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hatte die Unterstützung der unruhigen und kriegerischen Sachsen ge­ funden. Ein religiöses Moment kam hinzu: die Sachsen hatten sich der Ausbreitung des Christentumes als hinderlich erwiesen. Der sächsische Stamm war in jeder Beziehung den Ueberlieferungen der germanischen Vorzeit treu geblieben. Der Zusammenschluß zu einem Reiche war nicht erfolgt. In vier selbständigen Gruppen, den Engern, Westfalen, Ostfalen und Nordalbingern hatten die Sachsen in dem Weser- und Elbegebiet ihre Wohnsitze. Verhinderte nun die staatliche Zerrissenheit der Sachsen die Zusammenfassung ihrer ganzen Kraft zum Widerstand, so zwang sie doch auch den Gegner, die Entscheidung nicht in einer großen Schlacht, sondern in einer Reihe von immer erneuerten Feldzügen zu suchen. Die Unterwerfung der Sachsen nahm, da der König durch anderweitige Kriege abgelenkt war, über 30 Jahre in Anspruch. Im ersten Feldzug rückte Karl 772 von Worms her in das Gebiet der Engern ein, nahm die Eresburg und 775 die Sigiburg und zerstörte ein Nationalheiligtum der Sachsen, die Irmisul. Die Sachsen unterwarfen sich zunächst, so daß 777 ein Reichstag auf säch­ sischem Boden, in Paderborn stattfinden konnte. Schon im nächsten Jahre erhoben sich, als Karl durch sarazenische Kriege festgehalten war. die Sachsen erneut unter Widukind, zerstörten die fränkischen Befestigungen und drangen bis in die Rheinlande vor. Karl besiegte sie 779 bei Bocholt an der Ha; die Ruhe im Lande aber blieb problematisch. Die Forderung eines sächsischen Heerbannaufgebotes durch Karl gegen die Sorben brachte 782 die Unruhen erneut zum Ausbruch; ein fränkisches Heer wurde 782 von Widukind am Berge Süntel an der Weser vernichtet. Karl rückte nach Sachsen ein, Widukind entfloh, die Sachsen unterwarfen sich. Karl aber ließ die ihm aus­ gelieferten Edlen bei Verden an der Aller enthaupten. Das Blutgericht entfesselte neuen Aufruhr unter Widukinds Führung. Zweimal wurden die Sachsen, bei Detmold und an der Haase, 783 entscheidend in offener Feldschlacht geschlagen. 785 unterwarf sich Widukind und eine Reihe der sächsischen Führer. Der Widerstand der Sachsen wurde nun nach Nordalbingien verlegt; im Bunde mit den slavischen Obotriten gelang Karl in jahrelangen Kämpfen endlich die Unter­ werfung auch dieses sächsischen Stammesteiles. Im Jahre 804 konnte nach einem letzten Aufflackern das Land als unterworfen gelten. Um­ fassende Zwangsübersiedelungen von Sachsen in fränkisches Gebiet raubten dem Volke die Widerstandskraft. Sarazenenkrieg 788.

Durch den Emir von Saragossa gegen den Chalifen von Cordova zu Hilfe gerufen, hatte Karl einen Zug nach Spanien unternommen, der ohne Erfolg blieb. Im Gegenteil erlitt das fränkische Heer auf dem Rückmarsch im Tale von Roncevalles eine empfindliche Niederlage. 2*

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Tas fränkische Reich. — Kriege.

Die Unterwerfung der Bayern 788. Herzog Tassilo III. von Bayern hatte sein Gebiet aus der fränkischen Abhängigkeit gelöst und regierte mit königlicher Gewalt. 781 forderte Karl, von Papst Hadrian unterstützt, im Hinblick auf den Eid, den der Herzog Pippin und seinen Nachfolgern geschworen hatte, die Unterwerfung. Tassilo leistete im gleichen Jahr zu Worms den Vasalleneid. Streitigkeiten zwischen Tassilo und königlichen Beamten entstanden; der Herzog verweigerte sein Erscheinen vor dem Königsgericht. Als Karl mit drei Heeren gegen Bayern anrückte, unterwarf sich Tassilo und erhielt Bayern wiederum zu Lehen. 788 jedoch wurde dem Herzog, als er auf einem Reichstag zu Ingelheim erschien, plötzlich der Prozeß wegen angeblicher Verbindung mit den Avaren und wegen Verlassen des fränkischen Heeres in einem aqui­ tanischen Feldzug Pippins gemacht, deren sich Tassilo vor 25 Jahren. 763, schuldig gemacht hatte. Er endete im Kloster. Bayern aber wurde unter fränkische Verwaltung genommen. Slavenfeldzug 789. Zur Sicherung der Elbgrenze unternahm der König 789 einen Feldzug gegen die Slaven, die er an der Priegnitz schlug.

Avarenkriege 791—803. Die Unterwerfung Bayerns und seiner Marken hatte das Franken­ reich zu unmittelbaren Nachbarn der Avaren gemacht. Karl unter­ warf 791 das Land zwischen Enns und Raab. In den folgenden Jahren verbreitete sich die Frankenherrschaft durch die Züge von Karls Sohn Pippin bis zur Theiß. Die „Ringe" der Avaren wurden gestürmt. Das Volk selbst, auch von den benachbarten Slaven bedrängt, verschwand völlig. Romzug 800. Auch der Zug Karls nach Rom trug militärischen Charakter. Vom Papst Leo III. gegen einen römischen Aufstand zu Hilfe ge­ rufen, erschien der Kaiser mit einem kleinen Heere in Rom, wo er am Weihnachtsfeste die Kaiserkrone empfing. Dänenkriege 808—813. Die letzten Kriege, die Karl, nunmehr Kaiser, zu führen hatte, galten der Sicherung der nördlichen Grenzen. Zuerst kämpfte Karls gleichnamiger Sohn an der Nordgrenze ohne entscheidenden Erfolg. 811 rückte Karl selbst nochmals ins Feld und erzielte einen günstigen Frieden.

Zur militärischen Sicherung der neuen Grenzen schuf Karl Marken unter militärisch besonders tüchtigen, mit weitgehenden Befugnissen ausgestatteten Markgrafen. Eine Ost- und Nordmark schützte gegen Avaren und Böhmen. Aehnliche Markgrafschaften bestanden gegen

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die Sorben und Wenden, gegen die Dänen, gegen die Normannen und Sarazenen. Ludwig der Fromme (814—840).

Nicht mehr der Erweiterung des Reiches galten die Feldzüge. Sie wurden unter den Nachfolgern Kaxls des Großen zu inneren Kämpfen um die Herrschaft im Reiche. 830 erfolgte eine erste Empörung seiner drei ältesten Söhne gegen den Kaiser Ludwig. Es gelang ihm. des Aufstandes Herr zu werden. 833 erfolgte eine neue Erhebung, bei der auf dem Lügenfelde bei Eolmar die kaiserlichen Truppen zu den Söhnen übergingen. Dann mußte der Kaiser, diesmal von seinem ältesten Sohn Lothar unterstützt, sich 838 gegen Ludwig den Deut­ schen nach Bayern wenden. Auf der Heerfahrt starb Ludwig der Fromme 840. Die Kriege bis zur Reichsteilung 870.

Zwischen dem Kaiser Lothar einerseits und seinen Brüdern Ludwig dem Deutschen und Karl dem Kahlen andererseits wurden die Kämpfe fortgeführt. Lothar unterlag seinen Brüdern 841 zu Fontenoy bei Auxerre; die Folge war die Reichsteilung von Verdun 843, der nach Erbfall die weitere Scheidung des Karolinenreiches in drei Teile, Deutschland, Frankreich, Italien, durch den Vertrag von Werfen 870 folgte. Ludwig der Deutsche (841—876); Karl der Dicke (876—887).

Ludwig der Deutsche behauptete sein Reich gegen die Slaven unter Svatopluk. Seine Söhne Ludwig III., Karlmann und Karl der Dicke teilten das ostfränkische Reich, das aber nach dem Tode seiner beiden Brüder Karl dem Dicken wieder allein zufiel. Der untüchtige Herrscher vermochte die von allen Seiten anstürmenden Gefahren für das gesamte Reich Karls des Großen, das er 885 nochmals unter seinem Szepter vereinigte, nicht abzuwehren. Slaven, Normannen und Ungarn bedrohten die Reichsgrenzen. In dieser Not setzte ein Reichs­ tag von Tribur 887 den unfähigen Kaiser ab. Deutschland und Frankreich trennten sich entgiltig. Die deutschen Großen erwählten den kricgsbewährten natürlichen Sohn Karlmanns, Arnulf von Kärn­ ten zum König. Arnulf von Kärnten (887—899)

warf 891 die Normannen bei Löwen zurück. Das slavische Reich Svatopluks löste sich nach dessen Tode 894 auf. Mit stürmender Hand gewann Arnulf 896 Rom und damit die Kaiserkrone. Ludwig das Kind (900—911).

Sein Sohn und Nachfolger, bei Regierungsantritt erst sieben­ jährig, konnte der ungarischen Gefahr keinen Damm entgegensetzen. Die Bayern unter Markgraf Luitpold schlugen den ersten Angriff

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Der Aufstieg, die Blüte u- d. beginnende Verfall d. deutsch. Kaisertums — Heerwesen,

glücklich ab, dann aber fiel bei einem neuen Einfall der tapfere Führer. Die Ostmark ging verloren.

Konrad I. (911—918), von weiblicher Seite von den Karolingern abstammend, war im Innern gebunden durch die Streitigkeiten, die ihm aus der emporwachsenden Macht der Stammesherzöge entspannen. Er empfahl bei seinem Tode die Wahl des siegreichen Sachsenherzogs Heinrich.

II. Die ritterlichen Lehensheere von 900 bis 1500. 1. Der Aufstieg, die Blüte und der beginnende Berfall des deutschen Kaisertums von 900 bis 1250. Das entgiltige Auseinanderbrechen des karolingischen Reiches gab dem deutschen Reiche die Möglichkeit selbständiger Weiterentwicklung. Unter kräftigen, kriegerischen Männern nützte Deutschland diese Ge­ legenheit zu einem unerhörten Aufstieg, der das Reich zum welt­ beherrschenden Imperium machte. Auf diesem Wege, den gewaltige Herrscher das Reich führten, war der Zusammenstoß mit einer anderen Macht, dem Papsttum unausbleiblich. Die Weltherrschaft war für beide Mächte eine Notwendigkeit. Das Papsttum bedurfte ihrer für die Ausübung der Herrschaft über die christliche Kirche, die die Welt umspannen sollte. Das deutsche Königtum sah in der Kaiserherrlichkeit die Machtstühe, die ihm im eigenen Lande fehlte. Der Kampf der beiden Mächte führte zuerst zu einem ausgesprochenen Uebergewicht der kaiserlichen Gewalt, dann zu einer Gleichstellung beider und schließ­ lich zu einem Sieg des Papsttumes. Denn während hinter dem Papsttum die trotz mancher Zwiespältigkeiten geschlossene Macht der Kirche stand, litt das deutsche Königtum unter den zersetzenden Einflüssen der Selbständigkeitsbestrebungen der deutschen Fürsten, die in egoistischem Interesse das Entstehen einer starken Königsgewalt zu verhindern trachteten. Der deutsche König wurde von den Fürsten zwar gewählt, aber dann fast regelmäßig bekämpft. Seine tatsächliche Macht ruhte nicht auf einer realen königlichen Gewalt, sondern auf der Geltung, die ihm seine Stellung als deutscher Reichsfürst gab und auf dem persönlichen Ansehen, das er sich als König und Kaiser zu erwerben wußte. Der Weg der deutschen Entwicklung führte damit zur Ausbildung der territorialen Gewalten im Reiche.

A. Heerwesen. Dem deutschen Königtum fehlte der positive Rückhalt eines könig­ lichen Heeres. Die deutschen Fürsten bemächtigten sich in ihren Ge­ bieten vor Allem der militärischen Macht, und die Entwicklung zum

Der Aufstieg, die Blüte u.d.beginnende Verfall b. deutsch. Kaisertums — Heerwesen.

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Lehensheere, die nach der fränkischen Verfassung dem deutschen Heer­ wesen vorgezeichnet war, kam diesem Streben entgegen. Die mili­ tärische Befehlsgewalt teilte sich von der obersten königlichen Spitze aus in immer kleinere Verästelungen. Eine Unzahl von kleinen Lehens­ herren rückten schließlich mit ihren Vasallen ins Feld, und diese, abhängig von den Lehensherren, achteten auf sie mehr als auf den König. Zwischen den kleinen Lehensherren und dem König aber standen die geistlichen und weltlichen Großen, von denen die Stammesherzöge, aus den ursprünglichen Beamten der Karolingerzeit zu erblichen Land­ herren geworden, den meisten Einfluß ausübten. Der „tzeerschild", eine Rangordnung der ritterlichen Stände, weist zwischen dem König und dem einfachen ritterlichen Lehensmann eine ganz erhebliche Zahl von Zwischenstufen auf. Die persönlichen Beziehungen, vor allem auch die Abhängigkeit eines untergeordneten Heerschildes vom höheren waren stärker als die zum König selbst, dessen Gericht in Streitfällen wohl angerufen werden konnte, der aber doch schwer erreichbar blieb. Das Streben der deutschen Könige, möglichst viele der Stammes­ herzogtümer — Franken, Sachsen, Bayern, Schwaben, Lothringen — in ihrer Person oder wenigstens in ihrer Familie zu vereinigen, war somit schon aus militärischen Gründen erklärlich. Aber auch der Erfolg dieser letzteren Maßnahme erwies sich als zweifelhaft. Der Heerbann schied immer mehr aus dem kriegerischen Leben des Mittelalters aus. Er eignete sich nicht mehr zu Kriegszügen in ferne Lande. Nur in den seltensten Fällen wurde er zur unmittelbaren Verteidigung des Landes in großer Not aufgeboten. Das Volk wurde so immer unfähiger zum Waffenhandwerk; dieses wurde zum Berufs­ dienst. Die Ehrenrechte, auf die der Waffenfähige Anspruch hat, verbanden sich nun nicht mehr mit der freien Geburt, sondern mit dem Berufsstand. Es ergab sich so eine soziale Umschichtung, die für die spätere Entwicklung des Adels von Bedeutung war. Der Reiter­ dienst wurde die vorherrschende Art, den militärischen Beruf aus­ zuüben. Das Fußvollk trat völlig dahinter zurück.

Zunächst konnte fieber Ritter durch den Ritterschlag einen Mann in den Ritterstand aufnehmen, dann, nachdem genug junger Nachwuchs vorhanden war, setzte sich im 12. Jahrhundert die Forderung der Ritterbürtigkeit, der Geburt von ritterlichen Eltern, durch. Im 13. Jahrhundert wurde das Lehensrecht auf Ritterbürtige beschränkt. Im Ritterstand fanden sich adelige, freie und unfreie Ritterbürtige im kriegerischen Beruf zusammen. Die Stellung der ritterbürtigen Un­ freien näherte sich der des Adels und der Begriff der Unfreiheit verlor sich allmählich für den Ritter. Schon seit dem 12. Jahrhundert hatte der unfreie Ritter den Vorrang vor dem gemeinen Freien.

Der Kriegerstand war erblich geworden. Die ganze Erziehung der Jugend dieses Standes war auf das Waffenhandwerk gerichtet;

und andererseits blieb die Erziehung zum Waffendienst nunmehr aus­ schließlich dem ritterlichen Stand Vorbehalten. Der Lehensherr forderte vom Lehensträger ein militärisches Auf­ gebot, das der Größe des Lehens entsprach. Der Lehensträger rief daraufhin seine Afterlehensträger zu den Waffen, soweit es das Auf­ gebot erforderte. Die Stärke des Aufgebotes int Ganzen wurde vom König bestimmt, ohne daß festgesetzte Normen für alle Fälle existierten. Eine gewisse Gewähr für die Anspannung der militärischen Kräfte lag in dem Umstand, daß der Einfluß des Einzelnen im Rate sich nach der Größe seines militärischen Gefolges richtete. Immerhin waren starke Ueberraschungen bezüglich der Heeresstärke möglich, wenn der König zu den Waffen rief. Ein zahlenmäßig bemessenes Aufgebot erfolgte nur in besonderen Fällen, so 981 bei einer Romfahrt Otto II. Die taktische Einheit des ritterlichen Heeres — wenn man diesen Ausdruck hier überhaupt anwenden will, — bildete der einzelne Ritter mit seinen Gehilfen (das Ganze „gleve" — Lanze — genannt). Um den schwergepanzerten, mit Lanze, Schwert (daneben auch Streitaxt, Streitkolben) und Schild ausgerüsteten Ritter scharen sich leichtbe­ waffnete und -gerüstete Reiter (Knappen) mit Reise- und Reserve­ pferden. Knechte zu Fuß vervollständigten die Gleve, deren Stärke sehr unsicher ist und wohl auch sehr verschieden war. Dem Kampf des schwerbewaffneten Ritters ordnete sich der Kampf seiner leichtbewaffneten Begleiter völlig unter. Man hört von Kämpfen, die durch ein kleines Schützengefecht eingeleitet wurden; auch die Zusammenfassung der unberittenen Knechte zu einer Art von Reserve im Rücken des Ritterheeres fand ab und zu statt. In der Hauptsache aber lief der Dienst der tzilfswaffen auf dem Gefechtsfeld darauf hinaus, den vom Ritter geworfenen ritterlichen Gegner, der in seiner Rüstung, häufig unter dem gestürzten Pferde, unbehilflich am Boden lag, entweder durch einen Gnadenstoß völlig zu erledigen oder ihn aus seiner Rüstung herauszuschälen und gefangen zu nehmen. Daraus schon ergibt sich als Platz für die Knappen und Knechte im Allgemeinen der Raum unmittelbar hinter dem Ritterheer. Die Schlachten selbst spielten sich als reine Reiterschlachten ab. Das Gefüge der Ritterheere war schwerfällig und lose. Die Einzel­ ritter in eine gleichmäßige Front zu bringen, war bei der mangelnden Disziplin dieser Herren außerordentlich schwer. Es hat an Versuchen hiezu nicht gefehlt. Schon Heinrich I. scheint eine gleichmäßige Attacken­ front angestrebt zu haben. Die besten Erfolge nach dieser Richtung hin haben die ritterlichen Orden erzielt. Hier entstanden in den Ordens­ regeln Vorschriften für Marsch, Rast und Gefecht.

Der Gefechtstroß eines Ritters war sehr ansehnlich. Die immer schwerer werdende Rüstung verbot ihr Tragen auf dem Marsch. Die Regeln des Templerordens bestimmten, daß die Knappen mit den

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Packpferden für die Rüstung vor, die übrigen hinter dem Ritter zu marschieren hatten. Für den Marsch wurde das beweglichere Marsch­ pferd, zum Kampf das Streitroß benützt. Die Marschsicherung über­ nahmen die Leichtbewaffneten. Der Ritter selbst war auf dem Marsch 'ziemlich wehrlos. Für 'das Ausstecken und den Bau von festen Lagern, die in der Nähe des Feindes für notwendig erachtet wurden, waren genaue Bestimmungen festgesetzt. Auch hier hatten die Leichtbewaffneten den Sicherungsdienst zu übernehmen. Erst im Kampfe selbst trat der Ritter in den Bordergrund. Während die Bogenschützen zu einer kurzen Einleitung des Kampfes verwendet wurden — ein langdauerndes Ferngefecht verbot die geringe Schußweite der Waffen —, und die Knechte sich hinter dem Ritterheer aufstellten, um nach dem Einbruch in die feindliche Front rasch zur Hand zu sein, ritten die Ritterhaufen, um Banner geschart, an. Linie (haye) und Kolonne waren bekannt. Beide wurden beim Anreiten gegen den Feind verwendet. Die Banner gaben die Richtung an: beim Templerorden war reglementarisiert, daß ein Komthur ein zu­ nächst noch gerolltes Reservebanner mitzuführen hatte, damit die Rich­ tung nicht verloren gehe, falls das eigentliche Banner sank. Kein Ritter sollte, weder nach vorwärts noch nach rückwärts, seinen Haufen verlassen. Die Reitermasse sollte geschlossen an den Feind gebracht werden, dann erfolgte im Trab der Chok und daraufhin löste sich das Gefecht in Einzelkämpfe auf. Das Ausscheiden und der Einsatz von Reserven war bekannt. In der Praxis sind die geordneten Ritterkämpfe selten gewesen. In der Hauptsache waren wohl nur die disziplinierten Ritterorden in der Lage, solche taktische Gedanken in die Wirklichkeit umzusehen. Bei den ritterlichen Laienheeren fehlte es an Disziplin und Uebung. Die im Frieden zahlreichen Turniere legten den tzauptwert auf den Einzelkampf; die Turniere in ganzen Scharen, denen der Charakter von militärischen Uebungen zukam, waren seltener. Die tzeerführung jener Zeit suchte die Entscheidung im freien Felde. Ihr Ziel war, das Ritterheer auf einem für den Retterkampf günstigen Platz an den Feind zu bringen und so zu manöverieren, daß der schwergerüstete Ritter unter möglichst günstigen Bedingungen in den Kampf trat. Dazu gehörte die Möglichkeit, sich spät zu wappnen, um beim Kampfe den Unbilden der Witterung, vor allem der heißen Sonne in der dumpfigen Rüstung nicht lange ausgesetzt zu sein, Bedingungen, die durch eine gewandte Führung geschaffen werden mußten. Die persönliche Tapferkeit des obersten Führers, der sich mit seinem Gefolge selbst ins Gefecht stürzte, gab vielfach den Ausschlag. Die Belagerung fester Plätze spielte eine große Rolle. Aber auch hier fiel die Entscheidung oft in ritterlichem Kampf im freien Felde,

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da bei der Unterlegenheit der Angriffsmittel der Belagerer sein Ziel häufig durch Abschließung und Aushungerung zu erreichen hoffte. Der Belagerte dagegen suchte den ümschließenden Ring durch Ausfälle zu sprengen, sofern nicht ein Entsatzheer Hilfe brachte und den Belagerer von außen her zur Feldschlacht zwang.

B. Kriege. Die Kriege der Epoche spielten sich vielfach im Inland ab, wenn man in den Begriff des Krieges die Kämpfe um die Herrschaft in Deutschland und die zahllosen Fehden einbezieht, die aus allen möglichen Gründen stattfanden. Die Fehden wuchsen zu solchem Un­ wesen aus, daß nicht nur die königliche, sondern auch die kirchliche Autorität dagegen Stellung nahm und bestimmte, nach dem Kirchen­ jahr abgegrenzte Jahreszeiten von Fehden freizuhalten befahl. Dann finden sich Kriege zur Abwehr feindlicher Einfälle, während Eroberungs­ kriege zu den Nachbarn selten waren. Ihr besonderes Gepräge aber erhielt die Epoche durch die Romfahrten, die der Erhaltung der kaiserlichen Macht für den deutschen König galten und vielfach krie­ gerisches Gepräge trugen, und die Kreuzzüge, in denen sich die religiöse Idee der Befreiung des heiligen Landes von der Herrschaft der Un­ gläubigen auswirkte.

Heinrich I. (919—936). Heinrich I. eröffnete die Reihe der sächsischen Kaiser. Von den Franken und Sachsen gewählt, mußte er die Anerkennung durch den schwäbischen Herzog Burchard II. und durch den Bayern Arnulf mit Waffengewalt erzwingen. Lothringen hielt sich zunächst zu Frankreich, dessen König Karl der Einfältige jedoch im Friedens- und Freund­ schaftsvertrag zu Bonn 921 auf seine Ansprüche verzichtete. Heinrich unterwarf den lothringer Herzog Giselbert. Der Erfolg dieser Kämpfe war die Herstellung der königlichen Gewalt über Gesamtdeutschland, allerdings mit wesentlichen staatsrechtlichen Zugeständnissen an die fünf Stammesherzöge. Mit den Ungarn, die Heinrichs Vorgänger zu schaffen gemacht hatten, gelang 924 der Abschluß eines neunjährigen Waffenstillstands, während dessen der König den Ungarn Iahrestribut zu entrichten hatte. Die Zeit wurde zu der notwendigen Reorganisation des Heer­ wesens ausgenützt. Heinrich förderte die Aufstellung und Ausbildung reiterlicher Streitkräfte, so daß in seiner Regierung die eigentliche Ge­ burtsstunde des deutschen Rittertums zu suchen ist, und legte eine Anzahl fester Plätze an, die bei feindlichen Einfällen der Bevölkerung als Zufluchtsorte dienen sollten. Aus diesen militärischen Anlagen entwickelten sich im Laufe der Zeit vielfach Städte.

Kämpfe gegen die nordöstlichen Slaven (928—929). Die Heveller, ein Teil der Milzen im Gebiet zwischen Elbe und Oder, sodann die Daleminzier im heutigen Sachsen und die Liutizen in der Lausitz wurden unterworfen, feste Plätze, vor allem Meisten, in dem eroberten Lande angelegt. Dann drang der König nach Böhmen vor und zwang die Przemisliden zur Anerkennung der Oberhoheit. Ein allgemeiner Slavenaufstand wurde 929 bei Lenzen an der Elbe nieder­ geworfen. Kämpfegegen die Ungarn 933. Nach Ablauf des neunjährigen Waffenstillstandes verweigerte Heinrich die weitere Bezahlung des jährlichen Tributes an die Ungarn. Ein Einfall der Ungarn in Thüringen antwortete. Stt der Schlacht bei Riade (vermutlich Tietheburg an der Unstrut) errang der König mit seinem Reiterheer einen entscheidenden Sieg über die Ungarn.

Kämpfe gegen die Dännen 934. Die karolingische Mark gegen Dänemark wurde 934 im Kampfe gegen den Dänenkönig Gorm den Alten wiederhergestellt. Otto I. der Große (936—973). Innere Kämpfe 936—946. Die schärfere Handhabung der Königsgewalt durch Otto I. ver­ ursachte eine Erhebung der Stammesherzöge mit Ausnahme des schwä­ bischen. Die ersten Kämpfe Ottos galten der Festigung der Königs­ macht gegen die aufrührerischen Herzöge, denen sich Ottos Stiefbruder Thankmar und sein leiblicher Bruder Heinrich zugesellten. 938 wurde Thankmar bei der Eresburg erschlagen, 939 siegte der König selbst bei Birten und ein von den Grafen Udo und Konrad befehligtes könig­ liches Heer bei Andernach über die Empörer. 940 unternahm Otto einen Heereszug nach Frankreich, um Lothringen zu sichern. Die Königsgewalt im Reiche hatte gesiegt, so dast 946 der König mit einem Heere seinem Schwager Ludwig IV. von Frankreich gegen Hugo von Francien zu Hilfe kommen konnte.

Die erste Reichsfahrt nach Italien 951. Die Hilferufe der Witwe des Königs Lothar, Adelheid, die von dem Markgrafen Berengar von 3vrea bedrängt und eingekerkert worden war, gaben Otto den Anlast zum Eingreifen in die italienischen wirren Verhältnisse. Vor ihm hatten die Bayern- und Schwabenherzöge ver­ sucht, sich in Oberitalien Geltung zu verschaffen. Nunmehr machte Otto die Unterwerfung Italiens zu einer Sache des Reiches. Ohne Schwierigkeiten zog er in Oberitalien ein. Die Langobarden huldigten ihm als König. Otto vermählte sich mit Adelheid. Die italienische Heerfahrt wurde zum Ausgangspunkt der imperialistischen Ansprüche Ottos und seiner Nachfolger.

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DerludolfinischeAufstandinDeutschland 953—955. Ottos Sohn Ludolf aus erster Ehe, durch des Königs Heirat mit Sorge um seine Thronfolge erfüllt, erhob sich im Bunde mit seinem Schwager Konrad dem Roten, Herzog von Lothringen, und dem Erz­ bischof Friedrich von Mainz gegen den Vater. Der König wurde zu Mainz zu einem Vertrage gezwungen, der die Schwächung der Macht des Bruders Ottos, Heinrich, der mit Bayern belehnt war, und die Mitregentschaft Ludolfs zugestand. Der Gewalt seiner Gegner ent­ ronnen, widerrief Otto den Mainzer Vertrag. Die Schwaben und Lothringer standen gegen ihre Herzöge mit den Sachsen zum König, die Franken und Bayern — letztere ebenfalls gegen ihren Herzog — hielten zu den Aufrührern. Die Sache des Königs stand nicht gut, als Ludolf und seine Anhänger die Unklugheit begingen, die ein­ brechenden Ungarn zu unterstützen. Die öffentliche Meinung wandte sich gegen sie. Ludolf, Konrad der Rote und Erzbischof Friedrich unter­ warfen sich. Der letzte Widerstand der Bayern wurde im Frühjahr 955 mit der Einnahme Regensburgs gebrochen. Der Kampf gegen die Ungarn 955. Der König erließ ein allgemeines Heerbann-Aufgebot gegen die Ungarn, die mit ihrem Hauptheer das tapfer von Bischof Ulrich ver­ teidigte Augsburg bekannten. In einer großen Schlacht bei Augsburg am 10. August 955 — der genaue Ort dieser sogenannten Schlacht auf dem Lechfelde steht nicht fest — wurde das ungarische Heer ent­ scheidend geschlagen und fast vernichtet. Der größere Teil der Fliehenden ist dann wohl unterwegs auf der Flucht nach Ungarn von der er­ bitterten Bevölkerung erschlagen worden.

Die Kämpfe gegen die Slaven im Nordosten des Reiches 955—968. Die Slaven hatten den ludolfinischen Aufstand zu einer erneuten Empörung gegen die deutsche Herrschaft genützt. Im Jahre 955 schlug sie der König an der Regnitz in Vorpommern. Die Markgrafen Her­ mann und Gero setzten das Werk der Germanisierung und Christiani­ sierung des Nordostens fort. Bis 968, dem Jahre der Gründung des Bistums Magdeburg, waren die Wenden unterworfen; die Böhmen und die Polen erkannten die deutsche Oberhoheit an. Die zweite und dritte Reichsheerfahrt nach Italien 962—964 und 966-972. Berengar von Ivrea, der sein Königreich als deutsches Lehen zu­ rückerhalten hatte, war im ludolfinischen Aufstand auf die Seite ter Feinde des Königs getreten. Nun bedrohte er die Herrschaft des Pap­ stes in Mittelitalien; dieser rief Otto zu Hilfe. Berengar stellte sich nicht zum Kampfe. Otto zog zuerst nach Rom, empfing dort im Febrmr 962 die Kaiserkrone und warf dann die festen Plätze Berengars nied-r.

Berengar wurde gefangen und nach Deutschland geschickt, das langobardische Königreich dem Kaiser unmittelbar unterstellt. Kämpfe in Rom gegen Papst Johann XII., der sich nun gegen den Kaiser gewendet hatte, führten 964 zur Einnahme der Stadt, zu einem blutigen Strafgericht über die aufrührerischen Römer, zur Einsetzung eines neuen Papstes und zu einem wichtigen Vertrag mit den Römern, nach dem diese keinen Papst wählen durften, der nicht vom Kaiser designiert war. Die dritte Reichsheerfahrt befreite Papst Johann XIII. aus den Händen der aufs neue aufrührerischen Römer. Die Einnahme Süd­ italiens gelang zwar nicht, dagegen die Vermählung von Ottos gleich­ namigen Sohn mit der byzantinischen Prinzessin Theophano und damit die Anerkennung der deutschen Kaisermacht durch Byzanz. Die Weltstel­ lung des römischen Kaisertums deutscher Nation war begründet. Otto II. (973—983).

Wiederum hatte der König zuerst seine Waffen gegen die Stam­ mesherzöge zu richten. Bereits 974 brach ein Aufstand aus, dessen Seele der dem Königshaus nah verwandte Bayernherzog Heinrich II., der Zänker, war. Der Aufstand wurde niedergeworfen, Heinrich seines Herzogtumes entsetzt. Die mit Heinrich verbündeten Böhmen und Polen unterwarfen sich. Der französische König Lothar, der sich in diesen Wirren Lothringen aneignen wollte, wurde 978 durch einen deutschen Heereszug nach Frankreich, der das kaiserliche Heer bis auf den Mont­ martre vor Paris führte, zum Verzicht auf das Herzogtum genötigt. Im Jahre 980 unternahm Otto II. — bereits zu Lebzeiten Otto 1, zum Kaiser gekrönt, — einen Zug nach Italien, um Unteritalien, wo Byzantiner und Araber um die Herrschaft stritten, unter die kaiserliche Botmäßigkeit zu bringen. Die Griechen und Sarazenen vereinten sich gegen den Kaiser, der ihnen zuerst mit Glück gegenübertrat. Dann aber wurde das kaiserliche Heer im Juli 982 bei Capo Colona in der Nähe von Cotrone in einen Hinterhalt gelockt und erlitt eine schwere Niederlage. Gleichzeitig erhoben sich die Wenden gegen die deutsche Oberhoheit; die Dänen brachen über die Nordgrenze ein. In dieser Not erhob sich ganz Deutschland in seltener Einmütigkeit. Auf dem Reichs­ tag von Verona 983 stimmten die weltlichen und geistlichen Fürsten Deutschlands kräftigen Abwehrmaßnahmen zu. Mitten in den Kriegs­ vorbereitungen starb der Kaiser. Otto III. (983—1002). Für den unmündigen Sohn führten bis 995 zuerst die KaiserinDitwe Theophano, dann, nach deren Tode, die Witwe Otto des Großen. Adelheid, mit Klugheit und Energie die Regierung, gegen die erneuten Unbotmäßigkeiten Heinrich des Zänkers. Sie stützten sich auf den sächsischen Adel und auf den ersten Kirchenfürsten des Reiches, den Erzbischof Willegis von Mainz.

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Als der fünfzehnjährige König 995 die Regierung selbst übernahm, rtef ihn ein Hilfeschrei des Papstes Johann XV. nach Rom, wo ein römischer Patrizier, Johann Creszentius, sich der Herrschaft bemächtigt hatte. 996 zog der König nach Rom, unterwarf den Aufstand und empfing vom Nachfolger des inzwischen verstorbenen Johann XV., dem deutschen Papste Gregor V., die Kaiserkrone. Ein erneuter Aufstand des Johann Creszentius machte eine zweite Romfahrt in den Jahren 998—999 nötig, auf der Otto III. erneut die Stadt einnahm und den Johann Creszentius hinrichten ließ. Die Gedanken des Kaisers wandten sich einer Erneuerung des römischen Weltreiches zu; die Belange des deutschen Reiches traten dagegen zurück. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland ließ er die Loslösung Polens und Ungarns aus dem deutschen Kirchenverbande, und damit die Schaffung selbstständiger, den Deutschen feindlicher Reiche zu. Eine dritte Romfahrt 1000—1002 sollte der Verwirklichung der geplanten Erneuerung des römischen Weltreiches dienten. Allein die Römer widersetzten sich einer unmittelbaren kaiserlichen Herrschaft in Italien- Otto mußte Rom verlassen und sich nach Ravenna zurückziehen. In den Vorbereitungen zu einem Kriege gegen die Römer überraschte ihn ein früher Tod.

Heinrich II. der Heilige (1002—1024). Die Krone fiel im Erbrecht dem Bayernherzog Heinrich, einem Enkel von Otto I. Bruder Heinrich und Sohn Heinrich des Zänkers, zu. Auf den phantastischen Internationalismus und Jmperalismus Otto III. folgte die national-deutsche Regierung eines ernsten, willens­ kräftigen Kriegsmannes von aufrichtiger und anerkannter Frömmigkeit, Die ersten Kämpfe hatte Heinrich im Innern gegen Hermann von Schwaben und Eckard von Meissen zu bestehen, die die Krone für sich in Anspruch nahmen. Auch mit dem Markgrafen Heinrich von Nordgau und mit den verschwägerten Grafen von Lützelburg mußte eine kriegerische Auseinandersetzung stattfinden, um die Aner­ kennung des Königtums zu erreichen. Diese Streitigkeiten dauerten fast die ganze Regierungszeit des Königs an. Nach außen aber machten die Slaven und Polen zu schaffen.

Die Polenkriege 1004—1018. Von Polen aus war unter dem Herzog Boleslav Chrobry (dem Kühnen) ein großes Reich gegründet worden, das Polen, Mähren, Schlesien umfaßte, und in die Lausitz und nach Sachsen Übergriff, Die Gefahren eines großslavischen Reiches wuchs empor. Heinrich schloß mit dem mächtigsten der Slavenstämme, mit den streitbaren Liutizen, ein Bündnis. Nach unentschiedenem Kampfe schlossen der König und Boleslav zuerst 1005 zu Bautzen, dann, nach dem Wieder­ aufflackern des Krieges 1013 zu Magdeburg Frieden, um gegen Italien und Rußland freie Hand zu bekommen. Schon 1015 aber be-

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gannen die Kämpfe von Neuem. Heinrich gelang es, die Interessen Rußlands, Böhmens und Ungarns mit denen Deutschlands gegen Boleslav zu vereinen. Der strategische Plan Heinrichs, die Heere dieser Staaten im feindlichen Lande Zusammenstößen zu lassen, gelang nicht, doch konnte sich der Polenherzog dieser Koalition gegenüber nicht be­ haupten. 1018 schloß er mit Heinrich den Frieden zu Bautzen, der für ihn den Verzicht auf ein slavisches Großreich bedeutete, für Deutschland aber die Befreiung von einem unmittelbaren, gefährlichen Nachbarn. Die Heerfahrten nach Italien 1004, 1013, 1021. Die ohnmächtige Politik Otto III. hatte in Oberitalien nationale Erhebungen zugelassen. Markgraf Arduin von Jvrea hatte 1002 die Langobardenkrone erlangt. Ein deutsches Heer unter Otto von Kärnten und Ernst von Babenberg hatte 1003 bei Campo Vitale eine schwere, Niederlage erlitten. 1004 zog Heinrich selbst unter Umgehung der Etschklause nach Italien, ließ sich in Pavia wählen und krönen, wurde aber durch den Polenkrieg zurückgerufen. 1013 zog Heinrich erneut nach Italien, Arduin wich ihm kampflos aus, der König marschierte nach Rom und ließ sich dort zum Kaiser krönen. Arduin von Jvrea wurde in den folgenden Jahren von den kaiserlichen Anhängern in Oberitalien verjagt und starb 1015 im Kloster. Auf einen Hilferuf des Papstes Benedikt VIII., der 1020 selbst am kaiserlichen Hof zu Bamberg er­ schien, zog der Kaiser erneut über die Alpen, diesmal, um die kaiserliche Schirmherrschaft über Mittelitalien gegen die Byzantiner zu sichern. Capua, Salerno, Neapel und Amalfi, wurden eingenommen. Auch in Italien war damit die kaiserliche Herrschaft in dem Ausmaße wie unter Otto dem Großen wiederhergestellt. Konrad II. (1024—1039).

Mit Konrad II. kam eine neue Dynastie, die der fränkischen Kaiser, auf den deutschen Thron. Wiederum, und zwar bis zum Jahre 1030 hatte der neugewählte König Kämpfe im Inneren und zwar gegen seinen Vetter Konrad den Jüngeren und sein Stiefsohn Ernst von Schwaben zu bestehen. Der Grund lag in der Absicht des Königs, seine Erbansprüche auf Burgund geltend zu machen, auf welches Land die Empörer bessere privatrechtliche Ansprüche zu haben glaubten. Die Kämpfe zeigten einen weniger gefährlichen Charakter als zur Zeit der Ottonen. Nach dem Tode König Rudolfs von Burgund 1032 konnte Konrad Burgund als unmittelbares Königsland dem deutschen Reiche anfügen, eine Erwerbung auch von hohem strategischen Werte, da nunmehr alle Alpenpässe nach Italien in deutschem Besitz waren.

Die Reichsheerfah rten nach Italien 1026/27 und 1036/38. Aufstände in Oberitalien, wo die Bürger von Pavia die Königsburg zerstört hatten, während ein Teil des Landadels dem französischen König die Langobardenkrone anbot, riefen Konrad dorthin. 1026 erschien

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der König von Italien, unterwarf die Aufrührer und empfing sowohl die lombardische Königs- als auch die Kaiserkrone. Während einer fast zweijährigen Aufenthaltes festigte der Kaiser die Herrschaft über Oberund Mittelitalien. Als in dem unruhigen Oberitalien aufs Neue Auf­ stände ausgebrochen waren, die sich hauptsächlich gegen die Großen des Landes richteten, zog der Kaiser 1036 wieder nach Italien und sicherte den kleinen Vasalen (Valvassoren) die Erblichkeit der Lehen zu, die die großen Capitani ihnen streitig gemacht hatten.

Die Kriege gegen Polen, Ungarn und Böhmen 1029—1033. Der Sohn Boleslavs Chrobry, Miezislav, versuchte die Politik seines Vaters fortzusetzen. 1029 setzte Konrad zu einem Zug gegen Miezislav an. Der ausbrechende Ungarnkrieg zog seine Aufmerksam­ keit jedoch an. König Stephan erhob für seinen Sohn Ansprüche auf Bayern, die Konrad nicht anerkannte. Stephan fiel daraufhin im Reiche ein. Konrad antwortete mit einem Zug bis zur Raab, bei dem die Ungarn einer Waffenentscheidung auswichen. Der Rückmarsch der Deut­ schen gestaltete sich verlustreich. Des Kaisers Sohn Heinrich, der mit der Fortführung des Krieges beauftragt war, schloß 1031 einen Frieden mit Ungarn, der ihnen Gebietsteile abrat. Glücklicher gestaltete sich der polnische Feldzug, den der Kaiser nach seiner Rückkehr von Ungarn wieder selbst führte. Ein gemeinsamer Vormarsch der Deutschen und Russen veranlaßte Miezislav bald, den Frieden zu suchen, der ihm 1031 gewährt wurde. In Böhmen stellte 1033 der Kaiser durch einen Heereszug die Ordnung wieder her. Schwierigkeiten an der slavischen Nordgrenze wurden in den kommenden Jahren durch Feldzüge behoben. Die slavischen Reiche erkannten die Oberhoheit des Kaisers an. Die Fürsten von Böhmen und Polen nahmen ihr Land vom Kaiser zu Lehen. Das mittelalterliche Kaisertum hat unter Konrad II. seine höchste reale Machtstellung erreicht.

Heinrich III (1039—1056). Sein Sohn und Nachfolger Heinrich gab der Kaiserherrlichkeit die idealste Prägung. Er behauptete die ihm vom Vater überkommene Macht in ihrer vollen Ausdehnung und fügte ihr noch die Erweiterung und Festigung der Grenzen gegen Ungarn bei. Seine Bestrebungen zur Erhaltung des inneren Friedens in seinem Reiche und zur Reform der Kirche ließen ihn den Zeitgenossen und der Nachwelt als Idealgestalt erscheinen. Kriege gegen Böhmen 1040—1041. Ein neuer Versuch, ein großslavisches Reich zu gründen, ging dies­ mal vom Böhmenherzog Bretislav aus. Heinrich suchte ihn in seinem Reiche auf. Nach einem anfänglichen Mißerfolg bei Cham gelang die Einnahme Prags. Bretislav schloß mit dem Reiche ein freundschaftliches Abkommen.

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Kriege gegen Ungarn 1042—1045 und 1051—1053. In Ungarn waren Thronstreitigkeiten ausgebrochen, König Peter wurde durch einen einheimischen Prätendenten aus dem Stamme Arpads vertrieben und erschien als Schutzflehender am kaiserlichen Hof zu Regensburg. Sein Gegner unternahm einen Einfall in die Ostmark. Der König führte nach drei glücklichen Feldzügen, deren letzten der Sieg bei Menfö an der Raab 1045 entschied, Peter auf den Thron zurück. Ungarn wurde tributpflichtiges Lehen und mußte seine Grenzen zurücknehmen. Als jedoch Peter neuerdings vertrieben wurde, konnte der Kaiser trotz zweier Feldzüge von 1051—1053, in denen die Ungarn einer Entscheidungsschlacht auswichen, die deutsche Oberhoheit nicht auf­ recht erhalten. Ungarn wurde selbständig.

Die Reichsfahrten nach Rom 1046/47 und 1055. Die beiden Romzüge des Kaisers sind keine eigentlichen Kriegs­ züge gewesen. Auf dem ersten griff Heinrich in das Schisma ein, indem er durch die Synoden von Sutri und Rom 1046 drei Päpste absetzen und einen neuen wählen ließ. Er schloß sich den kirchlichen Reformbe­ strebungen an, die vor Allem gegen die Simonie, den Handel mit geist­ lichen Aemtern, gerichtet waren. Der zweite Zug trug mehr politischen Charakter. Eine drohende Verbindung zwischen Lothringen und Italien wurde abgewehrt, dagegen konnte die Oberhoheit über die Normanen nicht gewonnen werden. Der lothringische Auf st and 1047—1054. Von Lothringen drohten dem Reiche schwere Gefahren. Schon 1044 hatte sich der lothringer Herzog Gottfried im Bunde mit Frankreich zu empören gesucht. 1047, als der Kaiser in Italien weilte, brach der Aufstand erneut und in gefährlicherer Form aus. Gottfried hatte, gestützt durch König Heinrich von Frankreich, ein Bündnis mit Balduin von Flandern und Dirk von Holland zustande gebracht, das sich gegen den Kaiser richtete und zunächst die kaisertreuen Bischöfe in den erreich­ baren Gebieten bedrohte. Nymwegen, Lüttich und Verdun wurden von den Aufrührern eingenommen. Gottfried wurde seines Herzogtums für verlustig erklärt; er blieb aber in der bewaffneten Opposition, trotzdem es dem Kaiser gelang, der Empörung Herr zu werden. Erst als mit Hilfe des Papstes, Englands und Dänemarks, denen sich auch der fran­ zösische König anschloß, eine zweite Niederwerfung Gottfrieds und seiner Verbündeten erfolgt war, unterwarf sich 1050 zu Aachen der Herzog und wurde in Haft genommen. Ein Feldzug nach Flandern, den der Kaiser 1054 unternahm, um den Widerstand des Grafen Balduin zu brechen, blieb ohne Erfolg. Heinrich IV. (1056—1106). Der Sohn und Thronfolger Heinrichs III. war beim Tode des Vaters erst sechsjährig. Für den unmüdingen Knaben führte zuerst Frauenholz, Deutsche Kriegs- und Heeresgeschichte.

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die Kaiserinwitwe Agnes eine schwächliche Vormundschaftsregierung. Gegen die Regentin, die sich auf das weltliche Fürstentum zu stützen suchte und ihre Räte aus dem niederen Adel nahm, setzte bald eine heftige Opposition der Großen ein, deren Seele Erzbischof Anno von Köln und Herzog Otto von Nordheim war. Im Kaiserwerther Attentat von 1062 bemächtigten sich die Verschworenen des königlichen Kindes, das nun unter die Vormundschaft des Erzbischofs Anno kam. Bald je­ doch gewann der Erzbischof Adalbert von Bremen beherrschenden Ein­ fluß auf den jungen König. 1066 wurde Heinrich IV. für mündig er­ klärt. Auf Betreiben der gegen Adalbert erbitterten Großen wurde der Erzbischof entlassen, gegen Otto von Nordheim ließ der König Anklage wegen Mordversuchs erheben. Der Herzog wurde 1070 geächtet und sein Herzogtum Bayern an die Welfen gegeben. 1073 erregte er unter den mit dem königlichen Regiment un­ zufriedenen Sachsen einen heftigen Aufstand. Der König, in der Harzburg überrascht, konnte mit knapper Not zu den bayerischen, schwä­ bischen und lothringischen Großen fliehen, die zu einem Zug gegen Polen sammelten. Hier fand er nur laue Unterstützung. Zu einer Straf­ expedition gegen die Sachsen waren die Fürsten nicht zu bewegen. Der König mußte 1074 im Vertrage von Gerstungen den Sachsen weit­ gehende Reservatrechte einzuräumen und die königlichen Burgen in Sachsen niederzureißen lassen. Die Ausschreitungen, die die rächsischen Bauern bei der Schleifung der Harzburg begingen, machten die Fürsten bedenklich. Heinrich nützte die günstige Situation und veranlaßte die Fürsten, nun im Interesse des Reiches gegen die Sachsen einzuschreiten. Nach einem Zug gegen die Ungarn 1074, den Heinrich zugunsten des vertriebenen Königs Salomo unternahm, gelang es ihm 1075, ein starkes Aufgebot gegen die Sachsen ins Feld zu stellen und das sächsische Heer am 9. Juni an der Unstrut zu schlagen. Der Sieg war entscheidend. Heinrich sah sich mit einem Male im Besitz der vollen königlichen Macht. In diesen Höhepunkt fiel der Beginn des Konfliktes mit dem Papsttum. Die von Heinrich III. geförderte kirchenreformatorische Rich­ tung fand in Papst Gregor VII., der 1073 zur Regierung kam, einen bedeutenden Vertreter. Hand in Hand mit einer Reinigung des Klerus von Mißständen, die sich mit der Zeit eingeschlichen hatten, forderte der Papst die Aufhebung der Investitur von Geistlichen durch Laien. Das Recht des Königs, die geistlichen Fürsten einzusetzen, wurde dadurch bedroht. Als der König fortfuhr, die Bischofstühle auch in Italien ohne Zustimmung des Papstes zu besetzen, erschien 1075 eine päpstliche Gesandtschaft mit einem Ultimatum am königlichen Hof. Durch den Sieg über die Sachsen in seinem Selbstgefühl mächtig gehoben, erklärte Heinrich IV. auf einer Synode zu Worms im Januar 1076 den Papst für abgesetzt. Gregor antwortete mit Ab­ setzung und Bann des Königs. Der päpstliche Zug erwies sich als

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der stärkere. Die oppositionellen Elemente in Deutschland schlossen sich wieder zusammen. Auf einem Fürstentage zu Tribur wurde bereits über die Aufstellung eines Gegenkönigs verhandelt; die Zwistigkeiten innerhalb der Fürsten ließen diese Maßnahme nicht zur Ausführung kommen. Ein Vertrag mit Heinrich IV. kam zustande, nach dem die Fürsten von der Absetzung Heinrichs absehen wollten, wenn er innerhalb eines Jahres vom Banne gelöst sei. Mit der ihm eigenen diplomatischen Klugheit faßte der König einen raschen Entschluß. Er eilte dem Papste, der bereits zur Entscheidung in dem Streit zwischen König und Fürsten auf dem Wege nach Deutschland war, entgegen, verhinderte so dessen unmittelbare Verständigung mit den Fürsten und nötigte ihm — der Papst hatte sich in das feste Schloß Canossa zurückgezogen, — durch eine dreitägige Kirchenbuße die Lossprechung vom Banne ab. Der bekannte Gang nach Canossa war ein diplomatischer Sieg Heinrichs. Den Gegnern war der Boden entzogen, da sie nach dem Abkommen Heinrich als König anerkennen mußten, wenn er sich vom Banne löste. Trotzdem stellten die Fürsten unter dem Einfluß Ottos von Nordheim den Schwabenherzog Rudolf von Rheinfelden auf einer Tagung in Forchheim als Gegenkönig auf. Gegen diese Fürstenvereinigung stützte sich Heinrich auf den niederen Adel, den niederen Klerus, den größten Teil des Episkopates und die Städte. In Deutschland entstand Bürgerkrieg. Die militärischen Erfolge im freien Felde fielen zwar den Gegnern zu: die Schlacht von Mellrich­ stadt 1078 blieb unentschieden, bei Flarchheim und an der Grüne 1080 wurden die königlichen Heere geschlagen allein der Gegenkönig wurde immer weiter nach Norden abgedrängt und fiel in der letztgenannten Schlacht. Nach der Schlacht von Flarchheim war der König er­ neut gebannt worden und hatte mit Aufstellung eines Gegen­ papstes geantwortet. Nach dem Tode Rudolfs von Rheinfelden überließ er die Kriegführung in Deutschland seinen Getreuen und zog 1081 selbst gegen Gregor VII. nach Rom. Die Stadt ergab sich bei der dritten Belagerung 1083. In der Zwischenzeit hatte Heinrich seine Herrschaft in Oberitalien wiederhergestellt. 1084 nahm Heinrich aus den Händen seines Gegenpapstes Clemens III. die Kaiserkrone ent­ gegen. Gregor VII. hielt sich in der Engelsburg; zu seinem Entsatz rückte ein starkes Normannenheer heran, vor dem Heinrich Rom räumte. Die Plünderungen, die dieses Heer verübte, brachten die Römer gänzlich auf Seiten des Kaisers. Gregor VII. verließ mit seinen Befreiern Rom und starb 1085 in Salerno im Gefühl einer Niederlage. In Deutschland war Hermann von Salm zum Gegenkönig gewählt worden. Der Tod Ottos von Nordheim aber beraubte die Aufrührer ihres geistigen Oberhauptes. Der Gegenkönig zog sich vor Heinrich nach Lothringen zurück. Auch die sächsischen Großen erkannten Heinrich an.

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Unter dem zweiten Nachfolger nach Gregor VII., dem Papste Urban II., kam eine Ehe der Gegnerin Heinrichs in Oberitalien, der Markgräfin Mathilde von Tuscien mit dem Sohne des Bayern­ herzogs Welf zustande; dies bedeutete eine Verbindung der Opposition in Italien mit der in Oberdeutschland. Heinrich zog 1090 erneut nach Italien. Zunächst hatte er Erfolge: Mantua und Mailand fielen in die Hand des Kaisers, Rom wurde vom Gegenpapst eingenommen, Urban flüchtete zu den Normannen. 1092 aber wandte sich das Schicksal. Die lombardischen Städte fielen vom Kaiser ab, sein eigener Sohn Konrad ging in das Lager Urbans über und wurde in Monza zum lombardischen König gekrönt; des Kaisers zweite Gemahlin Pra­ xedis erhob schändliche Anklagen gegen Heinrich. In den Jahren ■1095—97 saß der Kaiser, da ihm der Welfe die Alpenpässe sperrte, eingekreist in Oberitalien. Dann wurde seine Lage günstiger. Die Welfen, die sahen, daß das Erbe Mathildens von Tuscien nicht ihnen, sondern der Kirche zugedacht war, söhnten sich mit dem Kaiser aus, der nun nach Deutschland zurückkehren konnte. War ihm Italien verloren gegangen, so festigte sich jetzt seine Stellung in Deutschland. Urban II. starb 1099, sein Nachfolger Paschalis II. war ihm diplo­ matisch nicht ebenbürtig. Konrad wurde 1098 auf einem Mainzer Reichstag der Thronfolge für verlustig erklärt; 1101 starb er in Italien. Die Kreuzzugsbewegung lenkte die Aufmerksamkeit gerade der kriegerischen Elemente von den inneren Wirren ab auf das Ziel der Befreiung des heiligen Landes. Der Kaiser stellte sich an die Spitze einer Friedensbewegung im Reiche. Er wurde der gegnerischen Bestrebungen in Deutschland völlig Herr und gewann eine überragende königliche Stellung im Reiche, als deren äußerer Höhepunkt der Mainzer Reichstag von 1103 angesprochen werden kann, auf dem ein allgemeiner Reichsfrieden für ein ganzes Jahr verkündet wurde. Der Sohn und Thronfolger Heinrich wandte sich gegen den Vater. Die Gründe für den Aufstand sind nicht ganz klar. Vielleicht fürchtete er, die Krone nicht halten zu können, wenn er die Politik des Vaters gut hieß. Besonders in Bayern fand er unter dem niedern Laienadel Anhang, den die Friedensbewegung wirtschaftlich schädigte. Thüringen und Sachsen schlossen sich dem Aufstand an. Der Krieg weist keine offenen Schlachten auf; er spielte sich als Kleinkrieg ab. Dem Kaiser­ sohn gelang es, durch listige Vortäuschung der Unterwerfung den Kaiser zur Entlassung seiner tzeeresmacht zu bewegen; dann setzte er. ihn gefangen und zwang ihn auf einem Reichstage zu Ingelheim 1105 zur Thronentsagung. Heinrich IV. entkam aus der Haft und nun wendete er sein diplomatisches Geschick gegen den abtrünnigen Sohn. Es gelang ihm, in seiner anscheinend verzweifelten Lage rasch neuen Anhang zu finden; der Sohn erlitt eine Schlappe nach der anderen. Schon war der Kaiser im Anmarsch zur kriegerischen Ent­ scheidung, da raffte ihn nach kurzer Krankheit in Lüttich der Tod hinweg.

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Heinrich V. (1106-1125).

Die Regierung Heinrich V. weist keine Kriege, sondern nur poli­ tische Heereszüge auf. 1110 führte Heinrich ein gewaltiges Aufgebot nach Italien. 30 000 Ritter schlossen sich dem König an, der 1111 den Papst Paschalis II. zur Anerkennung der Investitur durch den Kaiser vermochte. Heinrich V. wurde zum Kaiser gekrönt. Nach dem Wegzug des Kaisers erklärte jedoch eine Lateransynode zu Rom den Vertrag für ungültig. Fehden in Deutschland, namentlich gegen den mächtigen Lothar von Supplinburg nahmen die Kraft des Herrschers in Anspruch. 1116—1118 befand sich Heinrich zum zweiten Male in Italien. 1122 endete das Wormser Konkordat zunächst den Investitur­ streit in der Weise, daß die Belehnung mit den weltlichen Gütern dem Kaiser verblieb, während die Einsetzung in das kirchliche Amt Sache des Papstes war. Lothar von Supplinburg (1125—1137.)

Die Wahl Lothars von Supplinburg war entgegen der Desig­ nation Friedrichs von Staufen durch Heinrich V. erfolgt. Auf Seite des Supplinburgers stellte sich vor Allem dessen Schwiegersohn, der Welfe Heinrich der Stolze von Bayern, und aus diesem Gegensatz resultierte der hundertjährige Kampf zwischen Welfen und Staufern. Konrad, der Bruder Friedrichs von Staufen, ließ sich zum Gegen­ könig erheben und konnte zunächst erfolgreich sogar in Italien eindringen. Lothar, in böhmische Händel verwickelt, erlitt 1126 im Kulmer Tal eine empfindliche Niederlage. Nürnberg und Speyer blieben als tzauptstützpunkte der Gegner dem König verschlossen. Erst 1130, als Konrad sich in Italien befand, gelang ihm die Einnahme dieser beiden Städte. Die königliche Macht obsiegte. 1132 konnte Lothar seine erste Romfahrt antreten. Papst Innocenz II für den sich der Kaiser in Uebereinstimmung mit Bernhard von Clairvaux erklärt hatte, konnte sich gegen seinen Widersacher Anaklet II. durchsetzen. Er zog in Rom ein und krönte Lothar. Nach der Rückkehr von Rom griff der Kaiser erneut die Staufen an und erreichte 1134 ihre Unterwerfung. Nochmals, im Jahre 1136, zog der Kaiser nach Rom. In seinem starken Heere befanden sich vereint der Welse Heinrich der Stolze und der Staufer Konrad von Schwaben. Der Kampf galt dem König Roger von Sizilien, einem Normannenfürsten, dessen Herrschaft sich bedenklich nach Norden ausdehnte. Es gelang, Roger zurückzuschlagen, auf dem Rückweg nach Deutschland aber starb 1137 der Kaiser. Konrad III. (1137—1152).

Die Wahl des Staufers ließ den Krieg zwischen Welfen und Staufern erneut entbrennen. Jahrelang zogen sich die Kämpfe hin, auf welfischer Seite zunächst noch von Heinrich dem Stolzen, nach

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dessen Tode für den jungen Heinrich den Löwen von seiner Mutter Gertrude und dem Oheim Welf III., dann von Heinrich dem Löwen selbst geführt. Nur die Eroberung der Burg Weinsberg kann als militärischer Erfolg für den König gebucht werden. Der Frankfurter Vergleich von 1142 brachte endlich den Frieden, in dem Heinrich der Löwe Sachsen erhielt, während Bayern an Heinrich Zasomirgott ver­ liehen wurde. Die Welfenkriege hatten Ohnmacht des Reiches nach außen erzeugt. In Rom war eine selbständige Regierung unter Arnold von Brescia gebildet worden. Der Papst wünschte dringend das Eingreifen des Königs. Allein Konrad hatte sich, durch eine Weihnachtspredigt des hl. Bernhard von 1146 bestimmt, von einer religiös-kriegerischen Be­ wegung mitreißen lassen: er hatte einen Kreuzzug zur Befreiung des heiligen Landes gelobt. ■1147 wurde dieser zweite Kreuzzug — der erste war hauptsächlich von französischer Seite ausgegangen — angetreten, der bis 1149 dauerte. Zwei neue Momente traten mit diesen Zügen ins militärische Leben des Mittelalters: losgelöst von der Heimat, mußten die Kriege wesentlich anders vorbereitet werden, sie bedurften der Mitwirkung einer Flotte; und dann trat den Ritterheeren ein Gegner entgegen, dessen Kampfart von der ihrigen sehr verschieden war; die leichte Reiterei maß sich im Entscheidungskampf mit dem schwerbewaffneten ritterlichen Krieger. Die Deutschen marschierten im Frühjahr 1147 von Regensburg ab, rückten über den Balkan nach Konstantinopel und von da nach Kleinasien. In Nicäa teilte sich das deutsche Heer. Eine Abteilung unter dem Bischof Otto von Freising, einem Staufer, zog die Küste entlang, die andere unter dem König selbst rückte durch Phrygien vor. Keine dieser Abteilungen gelangte zum Ziel; beide mußten nach starken Verlusten umkehren. Auch ein nun gemeinsam mit dem französischen Ritterheer unternommener Zug gegen Damaskus erreichte zwar Jerusalem, nicht aber sein Endziel. Nicht zuletzt der Verrat der syrischen Christen brachte die Unternehmung zum Scheitern. Ohne günstiges Ergebnis schiffte sich Konrad im September 1148 nach Deutschland ein, wo er 1149 eintraf. In Deutschland hatte sich indessen Welf III. im Bunde mit dein Normannenkönig wieder erhoben. Konrads vielversprechender Sohn Heinrich schlug ihn 1150 bei Flochberg, starb aber bald darauf. Der schwer erkrankte König selbst starb 1152. Friedrich I. Barbarossa (1152—1190).

Der Neffe Konrads, Friedrich von Staufen, bestieg den Thron, Er brach mit der inneren Politik Konrads, indem er sein Königtum auf die Welfen zu stützen suchte, statt sie zu bekämpfen. Der Versuch

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mißlang nach guten Anfängen und der Kaiser mußte sich nun doch zum Kampfe mit den Welfen entschließen, den er siegreich zu Ende führte. Die auswärtige Politik brachte Friedrich bei dem Versuch, das Papsttum in die Abhängigkeit vom Kaiser zurückzuführen, wie sie unter Otto dem Großen bestanden hatte, in heftige Kämpfe mit der Kurie, der sich die norditalienischen kaiserlichen Besitzungen anschlossen. Der Kaiser mußte die Zustände in Italien, wie sie sich im Laufe der letzten Jahrhunderte entwickelt hatten, anerkennen und gelangte dadurch zu beherrschender Machtstellung in Deutschland und zu einem gesicherten Verhältnis zu den italienischen Kommunen und zum Papst­ tum. Dazu bahnte er die Erwerbung des süditalienischen Normannen­ reiches für das Kaiserhaus an. An der Spitze eines gewaltigen — des dritten — Kreuzzuges beschließt der kriegerische, bald sagenum­ wobene Herrscher das Leben. Die Regierung Friedrichs ist reich an Feldzügen. Erste Heerfahrt nach Italien 1154—1155. Der Papst stand im Bündnisverhältnis zum König. In den ober­ italienischen Städten aber rührte sich der Aufruhr. Rom hatte Selbst­ regierung unter Arnold von Brescia proklamiert. Die Normannen bedrohten die päpstliche Herrschaft im Kirchenstaat. Mit einem kleinen Heere — 1800 Mann — zog der König über die Alpen. Eine Reihe von oberitalienischen Städten wurde eingenommen und bestraft. Das mächtige Mailand, den Hauptsitz der Empörung, konnte Friedrich nicht erobern. Dagegen wurde Rom genommen, der König zum Kaiser gekrönt und ein Angriff der Römer blutig abgeschlagen. Zu einem Zuge gegen die Normannen war der Kaiser zu schwach. Der Papst schloß mit ihnen Frieden. Der ziemlich ergebnislose Ausgang der Heerfahrt führte zu einer Entfremdung zwischen Kaiser und Papst. Auf dem Rückweg mußte sich das kaiserliche Heer den Durchzug durch die gesperrte Veroneser Klause erkämpfen. Nach Deutschland zurückgekehrt galt die Sorge des Kaisers der Kräftigung des Reiches. Die Rückgabe Bayerns an Heinrich den Löwen auf dem Regensburger Reichstag von 1156 schuf Frieden zwischen den Staufern und Welfen. Durch Heirat kam Burgund wieder ans Reich. In den Grenzländern des Ostens und Nordens überwog wieder der deutsche Einfluß.

Zweite Heerfahrt nach Italien 1158—1162. Die politische Konstellation hatte sich geändert, als Friedrich zum zweiten Male nach Italien zog. Der Papst und die Byzantiner, die ihm als Gegner der Normannen früher geneigt waren, hatten sich nun mit diesen verständigt. Dagegen waren die Verhältnisse in Deutschland gefestigt, so daß der Kaiser nach dieser Richtung hin seine Romfahrt ohne Sorge antreten konnte. Das erste Ziel dieses Heerzuges war die

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Niederwerfung der unbotmäßigen oberitalienischen Städte, die eine Stütze an Papst Hadrian IV. und dem Normannenkönig Wilhelm L fanden. Friedrich ließ sich, nachdem Mailand nach kurzer Belagerung ge­ fallen war, auf dem Reichstag auf den ronkalischen Feldern 1158 die unbeschränkte kaiserliche Gewalt zusprechen. Dagegen erhob sich Mailand 1159 aufs Neue; eine Reihe oberitalienischer Städte schloß sich an. Der Kaiser war zu einer langwierigen Kriegführung genötigt, die er mit Hilfe der Deutschen und italienischer tzilfsvölker glücklich durchführte. 1160 wurde Crema eingenommen; die Mailänder aber leisteten hartnäckigen Widerstand und ergaben sich erst, als ihnen die Zufuhr abgeschnitten wurde. 1162 überlieferte sich die Stadt auf Gnade und Ungnade dem Kaiser, der sie fast völlig zerstören ließ. Auch Brescia und Piacenza fielen nun. Der Tod Hadrians IV. hatte die Lage infoferne verschärft, als Friedrich den Nachfolger Alexander III. nicht anerkannte und eine Reihe von Gegenpäpsten gegen ihn aufstellte. Ein Zug gegen die Normannen kam nicht mehr zur Durchführung. 1162 kehrte der Kaiser nach Deutschland zurück.

Dritte Heerfahrt nach Italien 1168. Im nächsten Jahre erschien der Kaiser ohne deutsches Heer in Italien in der Absicht, mit italienischen Truppen gegen die Normannen zu ziehen. Der Zug kam nicht zustande; die Feindschaft des Veroneser Bundes, zu dem sich Verona, Padua, Treviso, Vicenza und Venedig zusammengeschlossen hatten, hinderte die Durchführung. Vierte Heerfahrt nach Italien 1166—1168. Die vierte Fahrt nach Italien galt der Vertreibung Alexanders III. aus Rom. Friedrich ließ die unruhigen oberitalienischen Städte zunächst beiseite liegen und marschierte direkt gegen Rom. Bei Tusculum errang sein Kanzler, Rainald von Dassel, Erzbischof von Köln, zu­ sammen mit dem Erzbischof Christian von Mainz am 29. Mai 1167 einen vernichtenden Sieg über die Römer. Der Kaiser zog mit seinem Papste Paschalis III. in der Leostadt ein und wurde erneut in der Peterskirche gekrönt. Alexander floh. Im Sommer 1167 aber ergriff eine schwere Seuche das kaiserliche Heer, der auch Rainald von Dassel zum Opfer fiel. Der Kaiser mußte sich 1168 durch die Menge seiner Feinde nach Deutschland durchschlagen. Dieser Mißerfolg stärkte die Opposition in Oberitalien. Schon 1167 hatten sich die meisten der Städte in der Po-Ebene zum lombardischen Bund zusammengeschlossen und Mailand wieder auf­ gebaut. Dieser lombardische Bund verschmolz nun mit dem Veroneser zu einem gefährlichen, kaiserfeindlichen Ganzen.

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Fünfte Heerfahrt nach Italien 1174—1178. Das Mißlingen der vierten Italienfahrt hatte das Ansehen des Kaisers in Deutschland nicht geschädigt. Die folgenden sechs Jahre seiner Regierung zeigten ein ausgesprochenes Uebergewicht der könig­ lichen Herrschaft über fürstliche Gewalt. In Italien dagegen machte die kaiserfeindliche Stimmung im lom­ bardischen Bund solche Fortschritte, daß des Kaisers Legat, Erzbischof Christian von Mainz, Mühe hatte, die Kaisertreuen zusammenzu­ halten. Friedrich mußte sich zu einem neuen Zuge nach Italien ent­ schließen. Im Oktober 1174 rückte er über die Alpen. Ueber Turin marschierte er nach Susa, das er einnahm und ver­ brannte. Vor Alessandria kam es zu einer längeren Belagerung, die den Winter über andauerte. Mit dem lombardischen Bunde, der ein Entsatzheer aufgestellt hatte, wurde im April 1175 bei Montebello ein Präliminarfrieden geschlossen, infolge dessen der Kaiser sein Heer entließ. Allein die Friedensverhandlungen führten nicht zum endgültigen Ziele. Der Kaiser versuchte, aufs Neue ein Heer zusammenzustellen. Haupt­ sächlich an der Verweigerung der Heeresfolge durch Heinrich den Löwen scheiterte die Aufstellung eines genügend starken Aufgebotes. Trotz Erfolgen Christians von Mainz im Süden wurde die Lage des Kaisers gefährlich. Am 29. Mai 1176 gewannen die Lombarden bei Legnago einen entscheidenden Sieg über die nur 3000—3500 Mann starke Streitmacht Friedrichs. Papst und Kaiser trafen sich 1177 in Venedig, wo ein Waffenstillstand zuwege kam, der dem Papste die Unabhängigkeit vom Kaiser sicherte, die kaiserlichen Hoheitsrechte über Oberitalien jedoch anerkannte.

Der Kaiser nützte die Zeit dieses Waffenstillstandes, um in Deutschland das königliche Ansehen wiederherzustellen. Die Ge­ horsamsverweigerung Heinrichs des Löwen wurde geahndet. Die Widersacher des Herzogs klagten ihn zudem des Landfriedensbruchs an und beide Reate zusammen veranlaßten eine Vorladung vor das Königsgericht, der Heinrich keine Folge leistete. Der Herzog begann einen Krieg gegen seine sächsischen Feinde und veranlaßte einen Ein­ fall der Slaven nach Deutschland. Nun wurde Heinrich 1180 auf einem Gerichtstage zu Würzburg der Prozeß gemacht und Acht und Bann über ihn ausgesprochen. Seiner Herzogtümer ging er verlustig; seine Eigengüter sollten ihm verbleiben, wenn er sich innerhalb von Jahr und Tag unterwerfen würde. Das Herzogtum Sachsen kam ver­ kleinert an Bernhard von Anhalt, mit Bayern wurde der Pfalzgraf Otto von Wittelsbach belehnt. Heinrich der Löwe unterwarf sich 1181 zu Erfurt, behielt seine Eigengüter, mußte jedoch ins Ausland in die Verbannung gehen. Friedrich stand auf dem Höhepunkte seiner Macht.

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Der Aufstieg, die Blüte u.5.b. beginnende Verfall d. deutsch. Kaisertums. — Kriege.

Sechste Heerfahrt nach Italien 1184—1186. Der Waffenstillstand von Venedig führte 1183 zum Frieden von Konstanz, der eine endgültige Einigung des Kaisers mit den lombar­ dischen Städten mit sich brachte. Der sechste Zug war fast friedlicher Natur. Die alte Feindin Mailand empfing den Kaiser mit festlichem Gepränge. Nur Cremona wollte sich nicht unterwerfen und mußte 1186 eingenommen werden. Gegen den Papst, der aufs Neue eine feindliche Haltung einnahm, unternahm Friedrich einen Zug, der zur Verwüstung der Campagna, nicht aber zur Entscheidung führte. Die Verbindungen, die Papst Urban III., ein heftiger Feind des Kaisers, mit den Gegnern Fried­ richs in Deutschland anknüpfte, ließen es geraten erscheinen, im August 1186 nach Deutschland zurückzukehren, wo sich nun auf dem Gelnhauser Reichstag im November 1186 auch der gesamte deutsche Epis­ kopat auf Seite des Kaisers stellte. Der Tod Urbans III. im Oktober 1187 endete den Streit. Sein Nachfolger Gregor VIII. sah seine haupt­ sächlichste politische Aufgabe in der Eroberung des heiligen Landes, das durch Sultan Saladin unterworfen war.

Der dritte Kreuzzug 1189—1192. Die drei bedeutendsten Fürsten des Abendlandes stellten sich an die Spitze des dritten Kreuzzuges: Kaiser Friedrich Barbarossa, König Philipp II. August von Frankreich und König Richard Löwenherz von England. Das Unternehmen wurde jedoch nicht einheitlich durchgeführt. Die deutschen Kreuzfahrer traten als erste den Vormarsch an. Friedrich legte besonderen Wert auf die militärische Vorbereitung dieses Zuges. Nur Teilnehmer zu Pferde wurden zugelassen, von denen jeder eine verhältnismäßig hohe Summe für seinen Unterhalt mit sich führen sollte. Das Heer war, was nach den hohen Anforderungen nicht ver­ wunderlich ist, nicht sehr stark. Es mag 15000—20000 Mann be­ tragen haben, diese aber waren mit aller Sorgfalt ausgewählt. Am 23. April 1189 brach das Heer von Regensburg aus auf und erreichte auf dem Marsche über den Balkan im März 1190 Kleinasien. Hier begannen nun die fast täglichen Ueberfälle der schnellen seldschukischen Reiter. Am 18. Mai 1190 gelang es, die Seldschuken vor ihrer Hauptstadt Jconium zu schlagen und diese einzunehmen. Der Marsch wurde fortgesetzt. Am 10. Juni 1190 aber traf das Heer ein schwerer Schlag: der Kaiser ertrank im Saleph. Das Schicksal des Zuges war besiegelt, er löste sich auf. Die Mehrzahl der Teilnehmer eilte in die Heimat, ein kleiner Rest unter Friedrich von Schwaben — etwa 1000 Mann — zog weiter und erreichte unter großen Entbehrungen im Ok­ tober 1190 Akka, wo die französischen Kreuzfahrer bereits die Belage­ rung begonnen hatten. Die Engländer trafen 1191 ein. Das Resultat des Kreuzzuges, der nun hauptsächlich von Franzosen und Engländern, schließlich aber nur noch von den Rittern des Richard Löwenherz ge-

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führt wurde, war ein dreijähriger Friede vom September 1192 an; die Christen erhielten den Küstenstreifen von Jaffa bis Tyrus und den freien Besuch von Jerusalem, das in der Hand Sultan Saladins blieb. Heinrich VI. (1190—1197).

Die Regierung Heinrichs VI. begann unter schwierigen Umständen. Heinrich der Löwe und die Normannen bedrohten seine Herrschaft. Durch den Schwager Heinrichs des Löwen, Richard Löwenherz, wurde eine Verbindung zwischen diesen beiden Gegnern angebahnt. Heinrich der Löwe war nach Deutschland zurückgekehrt, als Kaiser Friedrich nach dem heiligen Lande zog. Der Reichsverweser und spätere Kaiser Hein­ rich hatte mit ihm seit 1189 zu kämpfen. Um die Hand gegen die Nor­ mannen freizubekommen, die nach dem Tode des letzten Normannen­ königs unter Umgehung des Erbrechtes Heinrichs einen natürlichen Sprossen des Königsgeschlechtes, den Grafen Tankred von Lecce, auf den Thron hoben, schloß Heinrich im Juli 1190 mit Heinrich dem Löwen Frieden. Erster Zug nach Italien 1190—1191. Im Winter 1190/91 brach der König von Augsburg aus auf. Die oberitalienischen Städte erwiesen sich als freundlich gesinnt. Papst Clemens III. hatte die Kaiserkrönung zugesagt. Nach dessen Tode machte der Nachfolger Coelestin III. Schwierigkeiten, da die Kurie, von den Normannen bedrängt, mit diesen Frieden geschlossen hatte und die Kaiserkrönung die gefährlichen Nachbarn aufs neue aufreizen mußte. Die Verzögerung kam Heinrich ungelegen. Um sie zu beheben, griff er zu einem nicht einwandfreien Mittel. Er gab die kaiserlich gesinnte Stadt Tusculum, die in Fehde mit Rom lag, den Römern preis, wo­ gegen die Römer Papst Coelestin der Kaiserkrönung geneigt machten. Die Krönung wurde am 15. April 1191 vollzogen. Heinrich wandte sich gegen die Normannen. Es kam nicht zu einer Entscheidungsschlacht. Die erneuten Umtriebe der Welfen in Deutschland zwangen den Kaiser zur Aufhebung der Belagerung von Neapel und zu schleuniger Rück­ kehr nach Deutschland.

Die Wirren in Deutschland 1191—1194. Heinrich der Löwe hatte eine Anzahl von Fürsten zu erneuter Opposition gegen den Kaiser gewonnen. Der Bund wuchs; des Kaisers herrisches Wesen trieb auch bisherige Anhänger in das feindliche Lager. Die Gefangennahme Richard Löwenherz' durch den kaiser­ treuen Herzog Leopold von Oesterreich gab dem Kaiser die Möglichkeit eines Druckes auf die Fürstenverschwörung. Richard war als Schwager Heinrichs des Löwen und als Verbündeter der Normannen ein beacht­ licher Gegner des Kaisers gewesen. Der Frieden mit Heinrich dem Löwen und den Fürsten kam zustande. Die Vermählung des ältesten Sohnes Heinrichs des Löwen mit einer kaiserlichen Prinzessin erleichterte

die Versöhnung. Heinrich der Löwe gab fortan Ruhe. 1195 ist er gestorben. Der Kaiser hatte nun die Möglichkeit gewonnen, sich mit genü­ genden Kräften gegen die Normannen zu wenden.

Zweiter Zug nach Italien 1194—1195. Ein gewaltiges deutsch-italienisches Heer, unterstützt von einer genuesisch-pisanischen Flotte konnte der Kaiser im Sommer 1194 gegen die Normannen führen, deren Haupt Tankred im Februar 1184 ge­ storben war. Der Papst enthielt sich einer Parteinahme. Sizilien fiel mühelos in die Hand des Kaisers. Der Erfolg war ein durch­ schlagender. Ganz Italien unterwarf sich dem Kaiser, der seine Ge­ treuen als Verweser in den Provinzen zurückließ: seine Gattin Kon­ stanze als Regentin von Sizilien, neben ihr als Statthalter Konrad von Urslingen und als Kanzler Bischof Walter von Troja; Markward von Annweiler als Markgrafen von Ancona und Herzog der Romagna; Philipp von Schwaben als Herzog von Tuscien. Die oft erstrebte kaiserliche Weltherrschaft schien nahegerückt. Der Kaiser war im Begriff, Ansprüche auf Ostrom zu erheben. Ein ge­ planter Kreuzzug richtete sich in erster Linie gegen Konstantinopel. Es kam nicht zur Ausführung dieser Pläne. Und auch die Hoffnung Heinrichs, in Deutschland die Wahlmonarchie gänzlich beseitigen zu können, scheiterte an dem Widerspruch der Großen auf dem Würzburger Reichstag 1196. Dritter Zug nach Italien 1196—1197. Die Streitigkeiten der oberitalienischen Städte unter sich zogen den Kaiser 1196 nochmals nach Italien. Er griff wenig ein. Dagegen wurde ein Aufstand der Großen Siziliens durch die kaiserlichen Feldherren blutig niedergeworfen. Ein Sieg wurde 1197 bei Catania über das Heer des sizilischen Adels erfochten. Ein gewaltiges Heer wurde zum Kreuzzug aufgeboten, das eine Flotte aus den italienischen Häfen nach Kleinasien führen sollte; da raffte ein plötzliches Fieber am 28. September 1197 Heinrich VI. hin­ weg; der Kreuzzug mißlang. Mit Heinrich, einem der größten Real­ politiker des Mittelalters, gingen die weltbeherrschenden Kaiserträume zu Ende.

Philipp vou Schwaben (1198 —1208) nnd Otto IV. (1198 — 1212). In Deutschland kam es zu einem Doppelkönigtum des Bruders Heinrichs VI., Philipp von Schwaben, und des Sohnes Heinrichs des Löwen, Otto IV. Zugleich bestieg einer der gewaltigsten Päpste, Jnnocenz III., den päpstlichen Stuhl. Das Doppelkönigtum führte zu einer Reihe von Kämpfen im Inneren Deutschlands, in denen schließlich das staufische Königtum die Oberhand gewann. Die Ermordung Philipps 1208 aber einigte nun die Fürstenwahl auf den Welfen Otto IV.

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Die Romfahrt Ottos IV. 1209—1211. Die Anhänger der Staufer und Welfen hatten sich auch in Italien heftig befehdet. Nach Philipps Tode, war zunächst Friede. Heinrichs VI. Sohn Friedrich befand sich unter Vormundschaft des Papstes im Besitz von Sizilien. Die Romfahrt Otto IV. galt der Kaiserkrönung, die er am 4. Ok­ tober 1209 erlangte, nachdem der Investiturstreit durch das Speyerer Abkommen von 1209 beendet war, und der Kaiser die Lehensherrlich­ keit über Sizilien, sowie die päpstliche Herrschaft über den Kirchenstaat anerkannt hatte. Nach der Kaiserkrönung jedoch bereitete Otto einen Zug nach Sizilien vor; Innocenz III. antwortete mit der Banne und er­ möglichte dem Sohne Heinrichs IV., Friedrich, seine Ansprüche auf den Kaiserthron geltend zu machen. Die Musischen Anhänger sammelten sich um seine Person. Otto mußte im März 1211 nach Deutschland zurückkehren. Der Kampf um die Königsherrschaft mit Friedrich ■1211—1212. Es gelang Otto, sein Ansehen in Deutschland wiederherzustellen. 2m Jahre 1212 jedoch entschloß sich Friedrich, persönlich in Deutschland zu erscheinen. Der staufische Anhang sammelte sich von Neuem. Die Kurie und König Philipp von Frankreich erklärten sich für Friedrich, der am 5. Dezember 1212 von einer großen Zahl deutscher Fürsten zum König gewählt und am 9. Dezember vom Erzbischof von Mainz ge­ krönt wurde. Otto zog sich nach Sachsen zurück. Friedrich II. (1212—1250). Die ersten Jahre der Regierung Friedrich II. fallen mit dem Höhe­ punkt der Macht Innocenz III. zusammen. Wie in England, Aragonien, Portugal und Ungarn war auch in Deutschland die Oberhoheit des Pap­ stes anerkannt. Otto IV., von Innocenz abgesetzt, vermochte sich nicht zu halten. Zuerst trat der staufische Süden auf Seiten Friedrichs, während Otto sich in Niederdeutschland noch Geltung zu schaffen wußte. Eine eng* lisch-niederrheinisch-welfische Allianz kam zu stände, die sich gegen den Musisch eingestellten Philipp von Frankreich richtete. Das Heer, das Otto infolge dieser Allianz ins Feld stellen konnte, wurde jedoch bei Bouvines am 27. Juli 1214 entscheidend geschlagen. Nach dieser Nieder­ lage Ottos rückte Friedrich in Deutschland gegen Otto vor. Er gewann eine Reihe von deutschen Fürsten für seine Sache, dazu sicherte er sich, allerdings unter Preisgabe der nordalbingischen Lande, die Freund­ schaft des Dänenkönigs Waldemar. Aachen und Köln fielen 1215 in die Hand Friedrichs; dieser wurde zum zweiten Male gekrönt und dazu sprach nun ein Laterankonzil vom gleichen Jahre die Rechtmäßigkeit der Absetzung und des Bannes über Otto IV. aus; Friedrich erschien

nun den Zeitgenossen als der unumstritten rechtmäßige König. Das Königtum Ottos IV. sank zu bedeutungsloser Ohnmacht herab. Otto zog sich nach Braunschweig zurück und starb auf der tzarzburg. Die Wiedereinsetzung des staufischen Königtumes war mit teuren Opfern erkauft. Die kaiserliche Souveränität in Italien war in der Egerer Goldbulle von 1213 an den Papst abgetreten und auf das Investitur­ recht des Kaisers verzichtet worden, wie dies Otto schon im Speyerer Abkommen getan hatte; Frankreich war Gelegenheit gegeben, sich in deutsche Angelegenheiten zu mischen; der Dänenkönig hatte ein Stück Reichsland erhalten. Die gewaltige tzerrscherpersönlichkeit Innocenz III, triumphierte weit über die weltlichen Herrscher seiner Zeit. Friedrich dankte dem Papste die Erhebung auf den Thron und die Bewahrung seines sizilischen Erbes. Bald ergaben sich Differenzen zwischen Kaiser und Papst. Der Nachfolger Innocenz III., Honorius III., reichte nicht an die Herrscher­ größe seines Vorgängers heran. Friedrich II. umging eine Vereinbarung über Sizilien, in der er versprochen hatte, die bei ihm bestehende Per­ sonalunion zwischen Deutschland und Sizilien zu lösen und Sizilien seinem Sohne Heinrich (VII.) zu übertragen, indem er den gleichen Sohn nach der Uebergabe des sizilischen Reiches 1220 auch zum deut­ schen König wählen ließ. Gleichwohl krönte tzonorius III. ihn zum Kaiser. Friedrich hatte sowohl 1215 bei seiner Königskrönung, als auch 1220 bei der Kaiser­ krönung das Kreuz genommen, d. h. sich zu einem Kreuzzug verpflichtet. Der Termin für die Ausführung dieses Vorhabens — eines Lieblings­ wunsches Honorius III. — wurde immer wieder hinausgeschoben. 3m Vertrage von San Germano von 1225 mußte sich der Kaiser verpflichten, den Kreuzzug innerhalb zweier Jahre anzutreten.

Der fünfte Kreuzzug 1228—1229. Der Kreuzzug wurde vorbereitet. Die Vermählung Friedrichs mit 3olantha, einer Tochter König Johanns von Jerusalem, machte Fried­ rich dem Gedanken der Durchführung noch geneigter. Am 9. September 1227 ging er von Brindisi aus in See, trotzdem er selbst und ein Teil seines Heeres an einer Seuche erkrankt war. Die Krankheit wurde hef­ tiger. Friedrich schickte einen Teil der Flotte unter dem Herzog von Limburg voraus und kehrte selbst um. Der Nachfolger des Honorius, Gregor IX., hielt die Krankheit des Kaisers für einen Vorwand und sprach den Bann über ihn aus. Als Gebannter schiffte sich Friedrich am 28. Juni 1228 erneut ein und erreichte am 7. September Akka. Dem gebannten Kaiser aber weigerten ein großer Teil der Christen im heiligen Lande, besonders die Ritterorden, den Gehorsam, auch als Friedrich von der kriegerischen Leitung zurückgetreten war und diese an den Deutschordensmeister Hermann von Salza übertragen hatte. Friedrich erreichte nun durch diplomatische Verhandlungen mit Sultan

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el Kamil die Rückgabe der Orte Jerusalem, Bethlehem und Nazareth an die Christen, sowie die Einräumung eines Küstenstriches und eines Verbindungsweges zum Hinterland. Der am 18. Februar 1229 ge­ schlossene Friede sollte zehnjährige Gültigkeit haben. Nach diesem Friedensschluß riefen den Kaiser bedrohliche Nach­ richten aus Italien nach Europa zurück. Die Kämpfe in Italien 1229—1230. In den lombardischen Städten hatte schon 1226 die Ausschreibung eines Reichstages nach Cremona Erregung ausgelöst. Sie sahen darin den Versuch, die kaiserliche Oberhoheit in strafferer Form wiederherzu­ stellen. Am 31. Juli 1228 nun hatte Papst Gregor IX. die Untertanen ihres Eides gegen den gebannten und abwesenden Kaiser entbunden. Der lombardische Bund festigte sich aufs Neue und gleichzeitig brachen in Deutschland Unruhen aus, deren Seele Ludwig von Bayern war. König Heinrich — der Sohn Friedrichs II. und sein Reichsverweser — überzog ihn mit Krieg. In Italien aber stellte Gregor zwei Heere auf, von denen das eine zum Schutze Oberitaliens, das andere zur Erobe­ rung Siziliens bestimmt war. Am 10. März 1228 schlug die letztere Gruppe unter Pandulf die Kaiserlichen bei San Germano. 1229 kehrte der Kaiser, fast ohne Truppen, nach Italien zurück. Sein Anhang mehrte sich so rasch, daß Gregor einem Frieden geneigt wurde, der unter Ver­ mittlung deutscher Fürsten im August 1230 zu San-Germano—Ceprano zustande kam. Der Kaiser wurde vom Banne gelöst.

Di eEmpörung Heinrich VII. 1230—1235. Die „Conferoderatio cum principibus ecclesiasticis“ von 1220 und das „Statutum in favorem principum“ von 1231/32 hatten den geist­ lichen wie den weltlichen Fürsten erhebliche Hoheitszugeständnisse von Seiten des Kaisers eingetragen. Beide Verträge werden als die staats­ rechtliche Grundlage für die Entwicklung der Territorialität — fürst­ liche Landeshoheit — angesprochen. Der Thronfolger und Reichsver­ weser Heinrich mißbilligte hier und in anderen Punkten die Politik seines Vaters. Es kam zu einem ernsten Zerwürfnis, das 1231 durch die Unterwerfung Heinrichs in Cividiale nur vorübergehend überbrückt wurde. 1234 tat der König den Schritt zur offenen Empörung. Er fand wenig Anhang. Der Kaiser erschien in Deutschland. Heinrich wurde gefangen genommen und nach Apulien gebracht, wo er 1242 starb. An seiner Statt wurde des Kaisers zweiter Sohn Konrad zum deutschen König gewählt. Ein glänzender Reichstag wurde 1235 vom Kaiser in Mainz ab­ gehalten, auf dem das berühmte Landfriedensgeseh ausgegeben wurde.

Die Kämpfe in Italien 1236—1250. Die lombardischen Städte hatten mit dem aufrührerischen Hein­ rich Verbindungen angeknüpft. Während des Aufenthaltes des Kaisers

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in Deutschland brach die offene Empörung aus. 1236 unternahm der Kaiser von Deutschland aus einem Zug nach Oberitalien, und eroberte Vicenza. Sein Parteigänger, der Veroneser Ezzelino da Romano, führte auch nach Rückkehr des Kaisers nach Deutschland den Krieg glücklich weiter und nahm Padua ein. 1237 erschien der Kaiser wieder persönlich in Oberitalien. Bei Cortenuova unweit Brescia wurden die Truppen der Lombarden am 27. November glänzend besiegt. Allein die kaiser­ liche Forderung unbedingter Unterwerfung führte zur Fortsetzung des Kampfes, der nun weniger günstig für den Kaiser verlief. Das belagerte Brescia konnte nicht eingenommen werden. Der Kaiser verfiel aufs Neue dem päpstlichen Bann. Die Kurie schloß mit den lombardischen Städten ein Bündnis. Treviso und Ferrara ging dem Kaiser ver­ loren, während dieser seinerseits in Mittelitalien Fortschritte machte und kurz vor dem Tode Gregors vor Rom erschien. Das päpstliche Interregnum, das fast zwei Jahre dauerte, brachte einen Stillstand. Der neugewählte Papst Innocenz IV. war den Staufern freundlich gesinnt. Allein in der lombardischen Frage kam keine Einigung zu stände. Der Bann wurde nicht gelöst. Und allmählich begann sich seine Wirkung zu zeigen. Die Stellung des Kaisers wurde immer isolierter. Die noch treuen italienischen Städte fielen ab. Zwar war Friedrich und sein Sohn Enzio, der den Kampfe in Oberitalien führte, den Verbündeten militärisch überlegen. Am 31. Mai 1246 erfochten die Kaiserlichen einen großen Sieg bei Spello. Allein auch das wichtige Parma trat nun zu den Verbündeten über und konnte nicht bezwungen werden. Die Kaiserlichen erlitten bei der Belagerung eine Schlappe. Im Mai 1249 wurde Enzio bei Fossalta von den Bolognesen gefangen. Gegen das Leben des Kaisers richteten sich Verschwörungen, an denen seine nächste Umgebung beteiligt war. Der Kaiser gab die Sache noch nicht verloren. Die Kaiserlichen nah­ men am 3. Oktober 1249 Ravenna. Im Januar 1250 erfochten sie einen Sieg in der Mark Ancona. Der Kaiser drang siegreich nach Süden vor. Am 13. Dezember 1250 aber ereilte ihn in Fiorentina der Tod. Konrad IV. (1250—1254).

Konrad IV. lenkte sein Augenmerk vor Allem auf die Erhaltung seines sizilischen Erbes. Die Gegenkönige Heinrich Raspe von Thüringen und nach dessen Tode Wilhelm von Holland konnte er nicht mit Erfolg bekriegen. Er wandte sich 1251 nach Italien. Mit Hilfe von Friedrichs natürlichem Sohne Manfred und dem Führer der deutschen Söldner in Sizilien, dem Markgrafen von Vohburg-Hohenburg, gelang es. Sizilien den Staufern zu erhalten. Konrad bewältigte nach seiner Ankunft die letzten Reste des Aufstandes und wandte sich nach Mittel­ italien, wo er 1254 starb.

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Die staufische Herrschaft brach mit ihm, nachdem sie schon früher in Deutschland problematisch geworden war, auch in Italien zusammen. Manfred, durch die Ernennung Bertholds von Vohburg zum siziliani­ schen Reichsverweser zurückgesetzt, erklärte sich gegen die Staufer, deren einziger Sprosse Konradin beim Tode Konrads IV. als zweijähriges Kind in Deutschland weilte. Manfred erzwang im Bunde mit dem Papst den Rücktritt des Reichsverwesers, schlug dann in zwei Feld­ zügen seinen früheren päpstlichen Bundesgenossen und gewann selbst 1258 die sizilische Königskrone. Gegen ihn stellte der Papst den Bruder des französischen Königs, Karl von Anjou, als Gegenkönig auf, der 1266 Manfred besiegte und tötete. Von den Sizilianern gerufen, die den Druck der französischen Herrschaft abwälzen wollten, wagte der letzte Hohenstaufe, Konradin, einen Zug nach Italien, wurde jedoch nach anfänglichen Erfolgen in der Schlacht bei Tagliacozzo 1266 geschlagen und gefangen. Arn 29. Oktober 1268 wurde er zu Neapel hingerichtet.

Die Verhältnisse in Deutschland Non 1236—1273.

Mit den letzten Zügen Friedrichs II. nach Italien erlosch all­ mählich -er Einfluß der königlichen Gewalt in Deutschland. Durch die Sorge um Sizilien von den deutschen Interessen abgelenkt, haben Friedrich und sein Nachfolger die Interessen des deutschen Reiches nicht mehr gewahrt. Die Gefahren, die den Bestand Deutschlands bedrohten, mußten von den immer, mächtiger werdenden Fürsten »ab­ gewehrt werden. Im Jahre 1241 brach ein gewaltiger Einfall der Mongolen über das Reich herein. Wenzeslaus von Böhmen und der Landgraf Heinrich von Thüringen rüsteten dagegen. Der Mongolenangriff wandte sich jedoch gegen Schlesien, wo am 9. April 1241 Herzog Heinrich der Fromme von Breslau bei Liegnih geschlagen und getötet wurde. Von einem weiteren Einfall nach Deutschland standen die Mongolen ab. Ihre Absicht, nach Böhmen einzudringen, wurde durch die Abwehr­ maßnahmen Wenzels vereitelt. Sie wichen nach Ungarn aus. Der Anmarsch eines stattlichen deutschen Heeres unter Wenzel von Böhmen und die Nachricht vom Ableben des Großchans ließ sie auch von hier wieder abziehen. Die Christianisierung Preußens und die Unterwerfung des Landes durch den Deutschherrenorden war von Beginn des Jahrhunderts an eingeleitet worden. Eine Fülle ritterlicher Kraft wurde in diesem Kampfe eingesetzt, dem es in der Mitte des Jahrhunderts an empfind­ lichen Rückschlägen nicht fehlte, bis es zu Ende des Jahrhunderts dem Orden gelang, mit dem Sitze in Marienburg dauernd und souverain in dem eroberten Lande Fuß zu fassen.

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Die Reichsverwesung war in jener Zeit von Friedrich II. zuerst dem Erzbischof Siegfried von Mainz, dann, nach dessen Abfall von der staufischen Sache, dem Landgrafen Heinrich Raspe von Thüringen anvertraut worden. Dieser wurde 1246 an Stelle Konrads IV. zum deutschen König erwählt und bekämpfte Konrad zunächst siegreich. Die Vermählung Konrads mit einer bayrischen Prinzessin brachte eine Stärkung der staufischen Partei hervor, die nun eine Zeitlang das Uebergewicht erhielt. Die Gegner wählten nach dem Tode Heinrich Raspes den Grafen Wilhelm von Holland 1247 zum Gegenkönig. Der Bürgerkrieg zog sich ohne Entscheidung hin. Die Fahrt Konrads IV. nach Italien ließ das Reich in einem Zustand völliger Zerrissenheit zurück. Wilhelm von Holland, dessen Königtum nie zu irgendwelcher Bedeutung gelangt war, fiel 1256 gegen die Friesen. Im Jahre 1257 folgte eine Doppelwahl zweier Ausländer, des Bruders des Königs von England, Richard von Cornwallis, und des kastilischen Königs Alfons. Der Engländer wurde zu Aachen gekrönt und kam einigemale in die rheinischen Gegenden. Der Spanier erschien überhaupt nie in Deutschland. Dem Reiche fehlte das Ober­ haupt. Diese Zustände benutzte Ottokar II. von Böhmen, um seine Macht auszudehnen. Außer Böhmen fiel ihm die Herrschaft in Oberösterreich und Steiermark zu, das er in einem Siege über die Ungarn 1260 auf dem Marchfelde für sich behauptete. Dazu gewann er 1269 Kärnten und Krain. Die Gründung eines großslavischen Reiches auf deutschem Kolonisationsboden war nahegerückt. In Deutschland wurde das Bedürfnis nach Zusammenschluß rege, der die fehlende zentralistische Gewalt ersetzen sollte. Die empor­ blühenden Städte, vor allem die alten Städte am Rhein, Köln und Aachen, versuchten, einen kräftigen Bund zu gründen. Eine Anzahl geistlicher und weltlicher Fürsten schloß sich diesem rheinischen Städtrbund an. Allein gerade dadurch wurde die Lebensfähigkeit des Bundes beeinträchtigt) die Interessen der Bundesmitglieder gingen zu stark auseinander. Der Versuch des Bundes, politische Bedeutung zu er­ langen, blieb im Keime stecken. Nur in der emporblühenden Hansa entstand ein Bund innerhalb des Reiches, der auch nach außen hin Bedeutung erlangte. Die Fehden im Reiche aber mehrten sich. Deutsch­ land bot das Bild völliger Zerrissenheit und Ohnmacht. Es war ein Glück, daß sich kein mächtiger Gegner fand, diesen Zustand auszunützcn.

Tie Zeit von 1250 bis 1500.

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2. Die Zeit von 1250 bis 1500. Der große Gedanke einer Weltherrschaft durch das heilige Römische Reich deutscher Nation, der von Karl dem Großen bis Friedrich Barbarossa manchen machtvollen und zielbewußten Vertreter gesunder! hatte, war untergegangen in den Kämpfen im Reiche selbst und in der Abwendung der letzten Staufer von den deutschen Interessen. Zu Beginn der Periode von 1250—1500 stand die Fürstenmacht in den Territorialstaaten bereits durch Tradition und durch Staats­ verträge gefestigt da. Der Königsgedanke verlor an Glanz und Wert. Das deutsche Königtum blieb zwar bestehen, aber es wurde in Form und Inhalt beschränkt. Aus dem Kreise der Großen sonderte sich ein kleines Kollegium ab, das für sich das Recht in Anspruch nahm, den König zu wählen. Und dieses Kollegium der Kurfürsten suchte keine Spitze, die im Notfälle sich auch den Wünschen der Fürsten verschließen, eine kraftvolle Re­ gierung nach eigenem Gutdünken führen würde. Keineswegs der Mächtigste wurde zum König gewählt; der König sollte seine Wahl dankbar empfinden, seine Wähler reichlich lohnen. Es waren dabei keine an sich undeutschen Interessen im Spiele. Die Kurfürsten wünschten dem Ausland gegenüber eine kraftvolle Vertretung des Reiches. Im Innern aber sollte die Königsgewalt durch Kapitulationen so ein­ geschränkt werden, daß sie den Fürsten nicht schädlich werden konnte. Der Versuch zu einem verfassungsmäßigen Königtum wurde gemacht. Die deutschen Könige ihrerseits hatten den Wunsch, sich dieser Bevor­ mundung zu entziehen; das Bestreben, eine Hausmacht zu gründen, geht Hand in Hand mit dem Streben, das Königtum in einer Familie erblich zu machen und die Kaiserwürde als etwas Selbständiges nicht mehr aus den Händen des Papstes zu empfangen, sondern mit der deutschen Königswürde zu verbinden. Darin gewann das Haus Habs­ burg den Vorrang vor seinen Rivalen. Nicht zu den Territorial­ fürsten gehörig, denen schon im früheren Mittelalter Gebiete des Reiches zugefallen waren, mußten die Habsburger die Gründung ihrer tzausmacht an die Grenzen des Reiches verlegen und so entstand späterhin ein Kaiserstaat nicht rein deutscher Zusammensetzung. Die Kriege des deutschen Königtums standen nun unter dem Zeichen der tzausmachtpolitik. Der Kampf um die Geltung des Königs im Reiche ging ihnen vielfach voran. Auswärtige Kriege waren seltener. Die Romfahrten und die Kreuzzüge hörten in einer Zeit allmählich auf, die der Idee der Weltbeherrschung ferner stand und für ihre religiösen Gedanken anderen Ausdruck als die Befreiung des heiligen Landes suchte. Schuhkriege an den Grenzen mußten durchgefochten werden, zumal nun im Westen in dem straffer geordneten französischen Königtum ein gefährlicher Gegner entstand und im Osten der alte Kampf gegen das weitere Vordringen Asiens in anderen Formen weiterging.

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Die Zeit von 1250 bis 1500. — Heerwesen.

A. Heerwesen. Die Wehrmacht des deutschen Reiches wurde durch den Verfall des Königtums und den Wechsel in den Anschauungen der Zeit beeinflußt. Das ritterliche Lehensheer bestand zwar noch fort; die technischen Verbesserungen auf militärischem Gebiet waren nicht so bedeutend, daß sie einen Wechsel der Kampfart mit sich gebracht hätten. Auch die Erfindung des Schießpulvers oder besser gesagt, die Wiederver­ wendung eines schon früher bekannten Mittels, war bei mangelhafter Ausnützung nicht von sofortiger ausschlaggebender Bedeutung; selbst im Festungskrieg haben die alten Wurfmaschinen zunächst noch bessere Dienste getan als die plumpen Kanonen. Für das Fußvolk besonders waren Bogen und Armbrust noch geeignetere Fernwaffen als die schwerfälligen Feuerrohre. Aber das Rittertum als Berufsstand nahm nun doch einen wesentlich anderen Charakter an. Wirtschaftliche Not, gegen die keine beutereichen Romfahrten und Kreuzzüge mehr einen Ausweg boten, drückte den idealen Gehalt des Rittertums der Blütezeit herab. Die verarmte Ritterschaft, -er das magere Lehen nicht mehr auskömmlichen Unterhalt bot, verkaufte sich den Großen zum Kriegs­ dienst: der Soldritter und da, wo sich keine Soldherren fanden, der Raubritter entstand. Neue Mächte traten im Reiche auf: die Städte. Unkriegerisch, übte der Städter den Kriegsdienst nicht gerne selbst aus. Soldtruppen wurden geworben; ihre Führer stellte die verarmte Ritterschaft, die sich zum niederen Adel in Stadt und Land entwickelte.

Der Heerbann sank in Vergessenheit. Die breite Masse des krie­ gerisch verkommenen Volkes war kaum noch waffenfähig. Die Reiterei, und in ihr der schwer Gewasfnete, hatte im Kampfe das Uebergewicht. Doch mehrten sich die Versuche, das Fußvolk zu kampffähigen Formationen zusammenzustellen. Gegen Ende der Epoche entstand in den schweizer Söldnern eine Truppe, der man ihrem Gefüge und ihrer Kampfkraft nach den Namen einer Infanterie beilegen kann.

Das Aufgebot des Ritterheeres erfolgte ähnlich wie im frühen Mittelalter. Auch im Prinzip des tzeerbannaufgebotes trat keine Aenderung ein. Aus dem Soldrittertum begann sich allmählich ein festeres Gefüge von Formationen zu bilden, die ständig oder doch längere Zett gemeinsam unter den Waffen standen. In Frankreich entstanden Ordonnanzkompagnien, die Heere der italienischen Con­ dottieri zeigten straffere Formen. Auch das Fußvolk wurde aus den ungeordneten Haufen der Knechte zu geordneten Formationen zusammen­ gefaßt. Bis zu dem Auftreten der schweizer Söldner aber waren die Haufen des Fußvolkes noch nicht in der Lage, den Kampf mit der schweren Reiterei selbständig durchzuführen.

Die Zeit von 1250 bis 1500. — Kriege.

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Die Bewaffnung der Reiter war noch die völlige ritterliche. Die Rüstungen nahmen an Schwere zu. Der Plattenharnisch, der den ganzen Mann einhüllte, trat an Stelle des leichteren Kettenpanzers, der nur an besonders empfindlichen Stellen mit Platten behängt war. Die wachsende Schwere hatte ihre Grenzen in der Kraft des ebenfalls gepanzerten Pferdes. Man ging dazu über, die Dicke der Rüstung durch bessere Arbeit zu ersetzen und begann schließlich am Ende der Periode, dem Geharnischten einzelne Teile der Rüstung wieder ab­ zunehmen. Das Fußvolk schied sich in die Träger der Fernwaffen: Bogen, Armbrust und Feuergewehr, und in die Soldaten, die nur Nahkampf­ waffen führten, unter denen die Pike allmählich an Bedeutung gewann. Die Taktik war noch gänzlich auf den Reiterangriff und seine Abwehr zugeschnitten. Die Attacke war die entscheidende Kampsform. In der Abwehr aber begann das Fußvolk eine bedeutendere Rolle zu spielen; seine Verwendung erfolgte durchdachter und planmäßiger als früher. Eine Art von Feldbefestigung, der Pallisadenbau, kam dazu häufiger in Anwendung. Es sind Fälle nachweisbar, in denen das Fußvolk, vor allem die Bogenschützen, hinter möglichst verdeckten Pallisaden aufgestellt wurden, um den feindlichen Reiterangriff auf sich zu ziehen, während der entscheidende eigene Attackenstoß dann in die Flanke des Feindes erfolgte. Und schließlich versuchte man,, allerdings mit zweifelhaftem Erfolg, offensive Fußphalangen zu bilden, die dem Gegner entgegengehen sollten. Die Taktik erlitt also im Laufe der Periode Wohl Anpassungen und Vermischungen, aber noch keine grundsätzlichen Abwandlungen. B. Kriege. Nndolf von Habsburg (1273 -1291). Die Wahl Rudolfs, eines begüterten Grafen aus dem schweizer­ ischen Deutschland, von den Fürsten wie vom Papste vor allem als Gegengewicht gegen die steigende französische und böhmische Macht gewünscht, brachte einen kriegerischen Mann auf den Thron, der das Königtum nicht mehr weltferne Wege wies, sondern aas den gegebenen Grundlagen neu aufbaute. Die ohnehin verlorene Kaiserposition in Italien gab der neue Herrscher förmlich auf; die territoriale Selb­ ständigkeit der Fürsten erkannte er in dem gewordenen Umfang an. Die Königsmacht suchte er auf eine Hausmacht zu stellen.

Die Kriege gegen Ottokar von Böhmen 1276—1278. Ottokar von Böhmen hatte die Rückgabe Oesterreichs, Steiermarks und Kärntens als Reichslehen abgelehnt und die Huldigung ver­ weigert. Mit überraschender Schnelligkeit führte Rudolf im Sommer 1276 einen Vormarsch auf Wien durch, der Ottokar zur Unterwerfung nötigte. Die Reichslehen fielen an den König zurück, der sie teils

seinen Getreuen, teils seinen Söhnen übergab, während andere Teile unter unmittelbarer königlicher Verwaltung blieben. Ein Versuch Ottokars, sich 1278 gegen diesen Vertrag aufzulehnen, veranlaßte einen neuerlichen Vormarsch Rudolfs, der zu einer Entscheidungsschlacht führte. Bei Dürnkrutt auf dem Marchfelde fiel der besiegte Böhme. Eine Doppelehe zwischen beiden Häusern sollte dem Bündnis Festigkeit geben und eröffnete den tzabsburgern die Aussicht auf den Erwerb von Böhmen. Fehden im Reich. Die Macht des Königs blieb beschränkt. Auf Norddeutschland hat er so gut wie keinen Einfluß gewonnen. Auch in den süddeutschen Fehden führte das Eingreifen Rudolfs nicht immer zum Sieg. Den Streit Eberhardt des Erlauchten mit dem königlichen Landvogt Grafen Albrecht von Hohenberg vermochte er nicht zu schlichten. Der ehrgeizige Erzbischof von Köln wurde 1282 nur vorübergehend unterworfen. Der König konnte ihn nicht hindern, sich in den Limburger Erb­ folgestreit zu mischen, wo er 1288 bei Worringen vom Herzog von Brabant und den Kölner Bürgern geschlagen wurde. Die Huldigung der widerspenstigen Stadt Bern konnte Rudolf 1289 erzwingen, nicht jedoch die wirkliche Unterwerfung der Grafen von Burgund, gegen den er im gleichen Jahre mit einem großen Heere zu Felde zog. Besser gelang die Durchführung der Landfriedensbündnisse. Der König nahm die Befriedung des Landes in einzelnen Gebietsteilen selbst in die Hand und ging mit Strenge gegen das Raubrittertum vor. Dagegen konnte er gegen die widerspenstigen Städte die Steuer­ pflicht nicht durchsetzen. Adolf von Nassau (1291—1298).

Nicht einer der Söhne Rudolfs kam nach seinem Tode zur Wahl, sondern der weniger mächtige Graf von Nassau. Adolf versuchte, sich gleich Rudolf eine Hausmacht zu schaffen und glaubte, in dem durch Fehden zerrissenen Thüringen ein geeignetes Gebiet zu finden. 1294 fiel der König mit einem Reichsheer dort ein, stieß aber auf den Widerstand der Söhne des Landgrafen, Diezmann und Friedrich des Freidigen. 1295 und 1296 erneute der König mit größerem Erfolg die Einfälle. Der Unwille der Fürsten über das rechtlose Vorgehen des Königs in Thüringen, wie über seine Untätigkeit gegenüber Frank­ reich, das 1296 die Freigrafschaft Burgund gewann, kam nun in der Absetzung Adolfs und in der Wahl des Sohnes Rudolfs, Albrecht von Oesterreich, zum Ausdruck, gegen den Adolf am 2. Juli 1298 bei Göllheim unweit Worms Schlacht und Leben verlor. Albrecht von Oesterreich (1298—1308).

Die Bestrebungen des Königs, seine Hausmacht am Unterrhein zu erweitern, zog ihm bald die Feindschaft der rheinischen Fürsten zu. Die Städte dagegen schlossen sich an den König an, dessen Zoll-

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Politik ihnen entgegenkam. Es gelang Albrecht, der zuerst am Franzo­ senkönig, dann an der Kurie Rückhalt fand, das Uebergewicht über die Fürsten zu gewinnen. Er konnte sich gegen Böhmen wenden, von wo aus Wenzel II. 1304 Ungarn besetzt hatte. Der König hatte noch keine militärischen Erfolge errungen, als sein Gegner 1305 starb. Dessen Sohn und Nachfolger Wenzel III. wurde 1306 ermordet, so daß Albrecht auf Grund des Erbrechtes Böhmen seinem Sohne Rudolf zu Lehen geben konnte. Der Versuch, in Thüringen festen Fuß zu fassen, mißglückte. Die Königlichen erlitten bei Lucka am 31. Mai 1307 eine Niederlage. Als der böhmische Rudolf 1307 starb und Heinrich von Kärnten von den Böhmen auf den Thron gehoben wurde, rüstete Albrecht gegen ihn, wurde jedoch inmitten der Kriegsvorbereitungen durch seinen Neffen Johann (Parricida) am 1. Mai 1308 bei Brugg an der Reuß ermordet. Heinrich von Lützelburg (1308—1313). Graf Heinrich von Lützelburg, ein tapferer, aber friedliebender Mann, mehr Franzose als Deutscher, ließ den Dingen im Reich ihren Lauf. Böhmen erklärte sich für ihn und erbat sich die Belehnung des Königssohnes Johann mit dem böhmischen Reich. Ein rascher Zug brachte Johann in den Besitz seines Landes. Der König sicherte sich die Freundschaft Friedrich des Freidigen durch dessen Belehnung mit Thüringen. Dann zog Heinrich, erfüllt von idealistischen Plänen, nach Rom, wo er 1312 die Kaiserkrone gewann. Den Versuch, sich eine reale Macht in Italien zu gründen, durchkreuzte sein Tod am 24. August 1313.

Ludwig der Bayer (1314—1347). Die Kämpfe gegen die habsburgische Partei 1314—1322. Ludwig von Bayern wurde als Kandidat der der lützelburgischen Partei aufgestellt, während die habsburgische Partei den Sohn Alb­ rechts, Friedrich den Schönen, auf den Schild erhob. Von ausschlag­ gebender Bedeutung für die Kandidatur war ein Sieg, den Ludwig am 9. November 1313 bei Gammelsdorf über ein österreichisches Heer davongetragen hatte. Fast ein Jahr später wurden beide Rivalen von ihrer Partei zum König gewählt. Auf Seiten des Habsburgers standen Hausmacht und Reichsadel, auf Seiten des Wittelsbachers außer seinen Stammlanden die Städte und die lützelburgische Hausmacht. Die Niederlage der Oesterreicher unter dem Bruder Friedrichs, Leopold, gegen die Schweizer bei Morgarten 1315 wurde von Ludwig nicht ausgenüht. Der Kampf zog sich ohne größere Unternehmungen acht Jahre lang hin, bis Ludwig am 28. September 1322 bei Mühldorf seinen Gegner schlagen und gefangennehmen konnte.

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Der Streit um die Krone war noch keineswegs beigelegt. Friedrichs Bruder Leopold führte den Kampf fort. Die Versuche, zu gütlicher Einigung durch gemeinsame Herrschaft zu gelangen, scheiterten. Der Top Leopolds am 29. Februar 1326 machte die habsburgische Oppo­ sition bedeutungslos. Auch Friedrich starb bald darauf (1330). Der Kampf gegen die Kurie 1323—1338. Nach dem Siege bei Mühldorf, der ihm freiere Hand schuf, hatte Ludwig seine Rechte in Oberitalien geltend gemacht, indem er die Ghibellinen im Kampfe gegen Papst Johann XXII. und den König von Neapel unterstützte. Der Papst antwortete mit einem Prozeß und im Frühjahr 1324 mit dem Banne über den König. Ludwig appellierte an ein Konzil und ergriff nun gegen den Papst im Minoritenstreit Partei. 1327 zog Ludwig mit nur geringem Gefolge nach Italien, wo sich die italienischen Ghibellinen auf seine Seite stellten. Mailand empfing ihn jubelnd. Dort setzte er sich die lombardische Krone aufs Haupt. Der König durchzog Toscana, nahm Pisa ein und setzte dann seinen Marsch auf Rom fort. Dort ließ er sich am 17. Januar 1328 durch die Vertreter der Stadt zum Kaiser krönen. Johann XXII. wurde durch eine Volksversammlung für abgesetzt erklärt, ein Minoritenmönch als Nikolaus V. auf den päpstlichen Stuhl erhoben. Allein das deutsche Gefolge war zu klein, die Italiener erwiesen sich als unzu­ verlässig. Gefolgt von den Verwünschungen der Römer mußte Ludwig die Stadt verlassen und wandte sich nach Oberitalien, wo ihm eine Reihe wichtiger Städte, darunter Mailand, die Tore verschloß. 3m Dezember 1329 kehrte Ludwig ohne eigentlichen Gewinn von seinem Romzuge zurück. In Deutschland aber stellte sich die Nation nun in dem Kampfe gegen die Kurie auf Seite des Kaisers. Ludwig hatte in seinen Appel­ lationen den Satz aufgestellt daß die Ausübung der kaiserlichen Rechte dem erwählten Könige der Deutschen auch ohne die päpstliche Kaiser­ krönung zustehe. Der Nachfolger Johanns XXII., Benedikt XII., war zu Zugeständnissen bereit. Seine Friedensversuche wurden jedoch von den Königen von Frankreich und Neapel hintertrieben. Da bekannten sich 1338 im Kurverein zu Reuse die deutschen Kurfürsten zur An­ sicht des Kaisers. Eine Zusammenkunft des englischen Königs Eduard III. zu Koblenz mit dem Kaiser, der dem Engländer die französische Krone zusprach, zeigte den Kaiser auf dem Höhepunkt seiner Macht. Der Kampf mit dem lützelburgischen Gegenkönigtum 1346—1347. Die Fürsten hatten von Ludwig in Verbindung mit Eduard III. von England aktives Eingreifen gegen Frankreich erwartet. Mehr aber als sein Zaudern schuf ihm seine tzausmachtpolitik, die Brandenburg, Tirol und dann Holland, Seeland, Friesland und tzennegau teils durch

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Belehnung, teils durch Heiraten an die Wittelsbacher zu bringen trachtete, unter den Fürsten Neider und Feinde. Eine Gegenpartei erhob in Verbindung mit dem Papst und mit Frankreich den Sohn Johanns von Böhmen, Karl von Mähren 1346 zum Gegenkönig. Die Dinge stunden günstig für Ludwig; sein englischer Schwager schlug 1345 die Franzosen empfindlich bei Grecy, wo Johann von Böhmen fiel; Ludwig, selbst ein tüchtiger militärischer Führer, errang in Deutsch­ land Erfolge, während der feindliche Angriff auf Tirol mißglückte. Da starb Ludwig plötzlich am 11. Oktober 1347 auf einer Bärenjagd bei München infolge eines Schlagflusses.

Karl IV. (1347—1378). Karl IV. war ein unkriegerischer König. Sein hauptsächlich auf Vergrößerung der böhmisch-lützelburgischen tzausmacht gerichtetes Ziel suchte er mehr auf dem Wege diplomatischer Eingriffe als kriegerischer Auseinandersetzungen zu erreichen. Das wittelsbachische Gegenkönig­ tum des Günther von Schwarzburg machte er dadurch unschädlich, daß er Zwiespalt in das Haus Wittelsbach trug. Die Kaiserkrone erwarb er auf einem Romzug von 1355, auf dem er sich durch die gewinn­ süchtige Einstellung, mit der er in den Städten Steuern einzutreiben wußte, die Schmähungen der Italiener, so Matteo Villanis und Petrarcas zuzog, die ihm vorwarfen, er habe durch sein unkriegerisches Vorgehen das Ansehen der kaiserlichen Majestät erniedrigt. Eine Erneuerung der Kaiserherrschaft in Italien hat er nicht angestrebt. Im Reiche hatten sich neue Kräfte entwickelt, die nun beachtliche Machtstellung erhielten: im Süden lösten sich die Schweizer in den Kämpfen gegen Herzog Albrecht II., dem Karl IV. Vorschub leistete, aus dem Verband der habsburgischen Lande, im Reiche schlossen sich die blühenden Städte in Abwehr gegen Fürsten und Adel zu Städte­ bünden zusammen; im Norden gewann der bedeutendste dieser Bünd­ nisse, die Hanse, überragenden Einfluß. Die Hanse führte seit der Mitte des 13. Jahrhunderts selbständige Kriege, vor allem gegen Dänemark, dessen endliche Niederlage in das Jahr 1370 fiel. Die ursprüngliche Einstellung der Städtebünde gegen Fürsten und Adel erfuhr mannigfaltige Aenderungen, da sich auch fürstliche und adelige Herren zeitweise den Städtebünden anschlossen. Die Reichsgesetze, die unter Karl 1356 in der Goldenen Bulle zusammengefaßt wurden, zeigten sich den Städten im allgemeinen wenig günstig. Die Stel­ lung der Städte richtete sich daher gegen den Kaiser, der seinerseits in dem bedeutendsten der Städtekriege, den der schwäbische Bund gegen den Grafen Eberhard von Württemberg 1376—1378 führte, auf Seite des Grafen trat. Es gelang den Städten, dem Heere des Grafen am 14. Mai 1377 bei Reutlingen eine vernichtende Niederlage bei­ zubringen. Der Krieg dauerte bis 1378, ohne daß die Bezwingung der Städte gelang. Die Bestrebungen der Bevölkerung innerhalb der

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Städte, Einfluß auf die Besetzung des Rates zu gewinnen, führten zu einer Reihe von Kämpfen, die teilweise weite Kreise zogen. Neben den Städtebünden entstanden Ritter- und Fürstenbünde. Wenzel (1378—1400.) Unter der Regierung des Sohnes Karl IV., Wenzel, kam der große Zwiespalt zwischen Fürsten und Städten zum Austrag. Die Städtebünde am Rhein und in Schwaben hatten sich zu einer Union vereinigt, der die Schweizer Eidgenossenschaft und die Ritterbünde zur Seite traten, die sich im Gegensatz zu den Fürsten befanden. 1385 kam der große deutsche Städtekrieg zum Ausbruch. In der Schweiz, in Württemberg und am Rhein wurde gefochten. In der Schweiz erlag am 9. Juli 1386 Herzog Leopold III. von Oesterreich den Eidgenossen, ein zweiter Sieg der Schweizer über ein österreichisches Ritterheer am 9. April 1388 besiegelte die Loslösung der Schweiz. Dagegen konnten sich die deutschen Städtebünde gegen die Fürsten nicht be­ haupten. Graf Eberhard der Greiner von Württemberg siegte am 23. August 1388 bei Döffingen über den schwäbischen, Rupprecht von der Pfalz am 6. November 1388 in der Nähe von Worms über den rheinischen Städtebund. Am 5. Mai 1389 kam der Egerer Landfrieden zustande, der die Städtebündnisse aufhob. 1400 wurde Wenzel, dessen schwächliche Regierung durch ungerecht­ fertigte Grausamkeiten gebrandmarkt war, von den Kurfürsten abgesetzt.

Rupprecht von der Pfalz (1400—1410).

Statt sich gegen Wenzel zu wenden, der in Böhmen als König fortregierte, ließ sich Rupprecht von der Pfalz auf einen Zug nach Italien in den Jahren 1401 und 1402 ein. Am Widerstand der ober­ italienischen Großen, vor allem der Mailänder Visconti scheiterte der Zug, der über Oberitalien gar nicht hinausgelangte. Auch der Versuch, nach seiner Rückkehr nach Deutschland dem Raubwesen Einhalt zu tun, mißlang; 1410 starb Rupprecht, fast von allen Anhängern ver­ lassen. . Siegmund (1410—1437.

Der jüngere Sohn Karl IV., Siegmund von Ungarn, wurde zum König gewählt. Unter seiner Regierung war das Reich von schweren äußeren Gefahren bedroht. Von Böhmen aus ergriffen die Hussiten die Offensive gegen das Reich. Ungarn hatte die Angriffe der Türken abzuwehren, im Norden fanden heftige Kämpfe zwischen dem Deutschen Orden und den Polen statt.

Die Hussitenkriege 1419—1436. Der böhmische Reformator Johann Huß war am 6. Juli 1415 in Konstanz als Ketzer hingerichtet worden. Die Nachricht rief in Böhmen eine gewaltige Erregung hervor. König Wenzel, ursprünglich den Hussiten geneigt, sah sich zu Gegenmaßnahmen genötigt. Darüber

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kam es am 30. Juli 1419 zu einem Aufstand in Prag. Wenzel starb am 16. August des gleichen Jahres. Siegmund, dem nun auch die böhmische Krone zufiel, war als Schirmherr des Konziles verhaßt, das Huß verurteilt hatte. Der Aufstand nahm größere Formen an. Seine militärischen Führer wurden der blinde Edelmann Ziska von Trocno und Nikolaus von Hussinetz. Die Hussiten brachten ein neues Element in die Kriegführung: im offenen Feld den Ritterheeren nicht gewachsen, führten sie Wagenburgen mit sich, in denen sie den Angriff der Gegner abwarteten, um dann selbst durch Ausfälle den Sieg zu er­ ringen. In gewissem Sinne kann diese Art von Krieg als Stellungs­ krieg angesprochen werden. Gegen die Hussiten brach Siegmund in einem Kreuzzug, den Papst Martin gepredigt hatte, im Jahre 1420 auf. Am 15. Juli 1420 wurde er am Ziskaberge vor Prag besiegt; eine zweite Niederlage folgte am 1. November 1420 vor Wissehrad. Ein zweiter Kreuzzug wurde 1421 unternommen. Die Deutschen belagerten Saaz, das am 2. Oktober von Ziska entsetzt wurde. Am 8. und 9. Januar 1422 wurde der Kaiser bei Habern (unweit von Kuttenberg) und Böhmisch Brod von Ziska geschlagen. Der erneute Einmarsch eines Reichsheeres in Böhmen zwang die Hussiten zur Aufhebung der Belagerung von Karlstein, führte jedoch nicht zu ihrer endgültigen Niederwerfung. Das Reich plante umfassende Maßnahmen gegen die Hussiten, so unter anderem die dauernde Unterhaltung eines Reichsheeres in Böhmen. Am 11. Oktober 1424 starb Ziska. Sein militärischer Nachfolger wurde Prokop der Kahle oder Große. Nach Ziskas Tode aber traten innerhalb der Hussiten die religiösen Gegensätze schärfer hervor und führten zu Zer­ splitterungen. Immerhin blieben die Hussiten zunächst noch Sieger. Ein erneuter Heerzug, den sächsische Streitkräfte unter Bosse Vitztum unternahmen, wurde in einer Schlacht bei Aussig am 16. Juni 1426 zum Scheitern gebracht. 1427 wurde ein großes Kreuzheer aufgeboten, das von vier Seiten her in Böhmen einrückte. Die Kaiserlichen ließen sich durch die Belagerung von Mies aufhalten, statt direkt auf Prag zu marschieren. Prokop rückte zum Entsatz heran und schlug das Kreuzheer am 3. August 1427 in die Flucht. Nun gingen die Hussiten selbst zur Offensive über. Der Grund zu den Feldzügen nach Deutschland, die vor allem Plünderungszüge waren, liegt in der Erschöpfung des durch die verschiedenen Heeres­ züge ausgesogenen Böhmen, wozu sich der Wunsch, dem hussitischen Bekenntnis neuen Boden zu schaffen, fügte. Die Hussiten er­ schienen in der Oberpfalz und in Niederbayern, dann fielen sie 1428 in Schlesien und in der Lausitz ein. Eine heillose Furcht zog vor ihnen her) hinter sich ließen sie verwüstete Landstrecken. Nur feste Plätze widerstanden ihnen, da sie sich auf lange Belagerungen nicht einließen. Doch konnte ihnen der Vogt der Niederlausitz, Hans von Polenz, am 11. November 1428 bei Kratzau eine Niederlage bei-

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bringen. 1429 begannen größere und planvollere Hussitenfahrten unter Führung Prokops des Großen und des Kleinen. Sachsen und die Lausitz wurden durchzogen und verwüstet. Ein zweiter Zug im Dezem­ ber 1429 führte bis Magdeburg. 1430 wurde Franken bis nach Nürn­ berg das Opfer der tzussitenzüge. Ein Versuch von 1431, ein Reichsheer gegen die Hussiten ins Feld zu stellen, schlug fehl; das Heer lief am 14. August 1431 ohne Kampf auseinander, als sich der gefürchtete Feind zeigte. Die Kämpfe endeten nicht durch einen Sieg des Kaisers, sondern durch Verhandlungen, die, durch die Uneinigkeit der hussitischen Par­ teien (Kalixtiner, Taboriten, Waisen und Adamiten) gefördert, 1436 zum Einzug des Kaisers in Prag führten. Die Hussitenkriege aber bil­ den einen Schandfleck auf dem Schilde der deutschen Waffenehre. Die Kämpfe im Norden Deutschlands.

Gleichzeitig mit der Hussitengefahr hatte Deutschland sich im Nor­ den der slavischen Feinde zu erwehren. Der Deutschherrenorden unter­ lag in einer entscheidenden Schlacht bei Tannenberg 1410. Die Mark Brandenburg war bedroht. Sigmund belieh mit dieser Mark den Burg­ grafen von Nürnberg, Friedrich VI. von Hohenzollern. Die Markgraf­ schaft Meissen kam an das Haus Wettin, das lützelburgische Erbe durch Heirat an die Habsburger. Diese Verleihungen bedrohter deut­ scher Lande an kräftige Herrschergeschlechter bedeuteten eine Stärkung des Reiches, das aus eigener Kraft die Marken nicht mehr zu halten vermochte.

Die Heeresreformbewegung unter Siegmund. Die Ohnmacht des Reiches den Hussiten gegenüber ist in erster Linie darauf zurückzuführen, daß sich das auf dem Lehenswesen fußende Heerwesen des Reiches ebenso überlebt hatte, wie die ritterliche Kam­ pfesweise. Siegmund suchte die Aufstellung eines Soldheeres auf Grund einer Reichsmatrikel zu erreichen, nach der den Reichskreisen die Gestellung einer ihrem Reichtum entsprechenden Zahl von Söldnern in Natur oder durch Geldabfindung auferlegt werden sollte. Die Re­ form kam nicht zur Durchführung. Der Gedanke aber blieb bestehen und wurde von den Nachfolgern Siegmunds immer wieder aufgegriffen, bis er nach zwei Jahrhunderten Verwirklichung fand. Albrecht II. von Oesterreich (1438 -1439). Seit 1360 hatten die Türken europäischen Boden betreten und sich auf der Balkanhalbinsel festgesetzt. Schon unter Siegmund war Ungarn bedroht. Den jungen Kaiser, der mit einem polnischen Gegen­ könig in Böhmen noch nicht abgerechnet hatte, rief ein Einfall Sultan Murad II. 1439 nach Ungarn, wo er im Begriff, sich mannhaft zur Wehr zu setzen, im Felde an der Ruhr starb.

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Friedrich III. (1440—1493.)

Die lange Regierungszeit Friedrich ist erfüllt von Kämpfen inner­ halb der habsburgischen tzausmachtländer und von Fehden im Reiche. Dazu kamen Angriffe von Außen: Burgund nahm Luxemburg und die wittelsbachischen Besitzungen in den Niederlanden, Polen unter­ warf Westpreußen und vernichtete die deutsche Kolonisationsarbeit im Nordosten, Dänemark schob seine Grenzen über Schleswig-Holstein vor. Die Türkengefahr wuchs mit der Einnahme von Konstantinopel. Die Schweizer erhoben sich gegen den Versuch, ihr Land den Habs­ burgern zurückzugewinnen. Um das burgundische Erbe mußte gekämpft werden. Die Kämpfe um die habsburgische Hausmacht. Der Hausmacht der Habsburger drohten ernste Gefahren. Ladislaus Postumus, der Sohn Albrecht II., war Herr auch über Böhmen und Ungarn auf dem Erbwege. Die Böhmen wie die Ungarn wählten für die Zeit seiner Minderjährigkeit einheimische Adelige als Vormünder, in Böhmen Georg Podiebrad, in Ungarn Johann Hunyadi. Nach dem Tode des Ladislaus erhoben sich die Vormünder zu nationalen Königen: in Ungarn trat an die Stelle des Johann Hunyadi dessen Sohn Matt­ hias Corvinus. Die Lande schienen den Habsburgern verloren zu gehen. Matthias Corvinus versuchte, sein Reich zu erweitern. Don der katho­ lischen Partei in Böhmen gegen Podiebrad ins Land gerufen, verhalf er dem polnischen Thronbewerber Wladislaw II. zur Krone, behielt aber die böhmischen Nebenländer Mähren, Schlesien und die Lausitz für sich. In den folgenden Jahren unterwarf er nun auch Oesterreich, Steiermark und Kärnten. Ein neues großes Reich war damit entstanden. Der un­ kriegerische Kaiser hatte diesen Vorgängen tatenlos zugesehen. Zwar wurde 1487, als die ungarische Gefahr am größten war, ein Reichsheer unter Herzog Albrecht von Sachsen gegen Matthias Corvinus ins Feld gestellt, allein es fehlte an energischer Kriegführung. Erst der plötzliche Tod des Matthias am 6. April 1490 führte einen Umschwung herbei; das ungarische Großreich fiel auseinander. Maximilian, des Kaisers Sohn, eroberte die habsburgischen Gebiete zurück, nur Ungarn blieb selbständig. 2m Preßburger Frieden vom 7. November 1491 wurde Maximilian das Erbfolgerecht auch für Böhmen und Ungarn zugesichert. Heiraten zwischen den Herrscherhäusern festigten diese Ab­ machungen.

Die Kämpfe in We st Preußen. Der deutsche Orden zerfiel. Ein preußischer Städtebund gründete sich 1440 gegen ihn und bald, schon 1454 sah sich der Orden auf Marien­ burg beschränkt. Zudem erklärte nun im Bunde mit den Städten auch Kasimir IV. von Polen dem Orden den Krieg, der sich durch 13 Jahre hinzog und ohne große Entscheidungsschlachten das Land furchtbar verwüstete. Es gelang zwar den Ordensrittern, Kasimir

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am 18. September 1454 vor Konitz zu schlagen. an Geld hinderte sie an der Ausnützung dieses nicht bezahlten Söldner des Ordens übergaben Feind. Nach einer Niederlage bei Zarnowitz 1461 Im 2. Thorner Frieden vom 19. Oktober 1466 Ordensmeister polnischer Vasall.

Allein der Mangel ersten Erfolges Die die Burgen an den ging es rasch bergab. wurde der deutsche

Die Eroberungen Philipps vonBurgund. Aus tzeirats- und Erbverträgen erhob der burgundische Herzog Ansprüche auf Luxemburg, und die wittelsbachischen Besitzungen in den Niederlanden. Das Reich war zu schwach, der Kaiser zu untätig, um diese Ansprüche mit der Waffe zurückzuweisen. 1443 besetzte Philipp die strittigen Gebiete. Die Besatzungen der Städte wehrten sich wacker. Sie konnten aber nach dem Falle Lützelsburgs am 11. Dezember 1443 nichts ausrichten. Die Kämpfe in der Schweiz. Die Zwistigkeiten innerhalb der Eidgenossenschaft gaben Friedrich öle Möglichkeit zu einem Versuch, die Schweiz unter habsburgische Oberhoheit zurückzugewinnen. Er erbat sich vom König von Frankreich die Armagnaken — Söldner, nach dem Grafen von Armagnac genannt, — und rückte mit diesen wegen ihrer Zuchtlosigkeit bekannten Truppen gegen die Eidgenossen, die am 26. August 1444 bei St. Jakob an der Birs geschlagen wurden. Statt den Erfolg auszubeuten, wandten sich die Armagnaken nach dem Elsaß, das sie mit furchtbaren Plünderungen heimsuchten. Der Kaiser hatte keine Machtmittel mehr zur Hand. 1474 vollzog sich in Konstanz die förmliche Abtrennung der Eidgenossenschaft aus dem habsburgischen Untertanenverband.

Die Abtrennung Schleswig-Holsteins. 1460 erwählten die schleswig-holsteinischen Stände den König Ehristian von Dänemark nach dem Aussterben der einheimischen Fürstengeschlechter zum Herrn. Das Reich konnte den Vorgang nicht hindern. Die Türkengefahr. Sultan Mohamed II. hatte am 29. Mai 1453 Konstantinopel er­ obert. Die Gefahr eines Einfalles in das Reichsgebiet wuchs, Belgrad war das nächste Ziel der Türken. Es blieb zunächst den Ungarn über­ lassen, die Gefahr abzuwehren.

Die Fehden im Reich. Die Fehden im Reich nahmen unter der schwächlichen Regierung Friedrichs III. an Umfang zu. Neben einer Unzahl von kleineren treten einige größere besonders hervor. Der tzohenzoller Albrecht Achilles bedrängte von 1449—1453 die Reichsstadt Nürnberg; zwar wurde

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er am 11. März 1450 bei Pillenreuth von den Nürnbergern besiegt, allein nach wie vor verheerte er das städtische Gebiet, bis ihm eine Leib­ rente zuerkannt wurde. Der Kölner Erzbischof Dietrich von Mörs führte mit der Stadt Köln von 1444—1449 die Soester Fehde. Stifts­ fehden entbrannten in Mainz und Münster und zogen sich über Jahre hin. Graf Ulrich von Württemberg und Herzog Albrecht von Oester­ reich firhrten lange Kämpfe mit Städten. Zwischen den Wettinern Friedrich dem Sanftmütigen und Wilhelm III. brach ein Bruderkrieg aus, -er von 1446—1463 dauerte. Gegen die Wittelsbacher kämpften mit Unterstützung des Kaisers Markgraf Albrecht Achilles von Bran­ denburg, der Graf von Württemberg und der Markgraf von Baden im Pfälzerkrieg von 1460—1463, in dem Ludwig von Bayern — Lands­ hut den Markgrafen Albrecht Achilles in einer Schlacht bei Giengen am 19. Juli 1462 vernichtend schlug, während Pfalzgraf Friedrich den Württemberger bei Seckendorf am 30. Juni 1462 besiegte. Im August 1463 wurde ein neuer schwäbischer Bund gegründet, der Fürsten, Herren und Städte umfaßte und bei dem Versagen der Reichsleitung für sein Gebiet die Ordnung des Landfriedens in die Hand nahm. Die Burgundenkriege 1474—1493. Die Versuche Philipps von Burgund, sein Reich zu vergrößern, wurden von seinem Nachfolger Karl dem Kühnen, fortgesetzt, der die Stellung eines römischen Königs anstrebte und sogar kaiserliche Ambititionen hegte. Die Zustimmung Friedrichs hoffte er mit einer Heirat zwischen seiner Erbtochter Maria und dem Kaisersohn Maximilian zu erkaufen. Die Verhandlungen, 1470 begonnen, zogen sich hin. Karl der Kühne wurde 1476 von den Schweizern bei Granson und Murten, am 5. Januar 1477 bei Nancy von Schweizern, Elsässern und Lothringern geschlagen und verlor hier sein Leben. Ludwig XI. von Frankreich streckte die Hand nach dem reichen burgundischen Erbe aus. Am 19. August 1477 aber fand die Vermählung Maximilians mit der burgundischen Erbin statt, und Maximilian machte nun in drei Feldzügen von 1477 bis 1493 dem französischen König das Erbe streitig. Bei Guinegate am 7. August 1479 gewann er einen glän­ zenden Sieg über die Franzosen. Nach mannigfaltigen Wechselfällen, — so 1488 einer Gefangennahme Maximilians durch die Bürger von Brügge, die durch eine Reichsheerfahrt zu seiner Freigabe gezwungen werden mußten,!—wurde 1493 zu Senlis ein Friede geschlossen, der Frankreich nur Burgund und die Pikardie beließ. Alle übrigen, vor Allem auch die flandrischen Teile des burgundischen Erbe kamen an das Haus Habsburg.

III. Die Söldnerheere von 1500—1650. 1. Die Zeit des Landsknechtstumes. Die ritterlichen Lehensheere waren nach langer Blütezeit verfallen. Innerlich, als der religiös-mystische Gehalt des Mittelalters erlosch und die großen nationalen und imperialistischen Aufgaben, die das deutsche Kaisertum in den Jahrhunderten seiner höchsten Machtentfaltung in Romfahrten und Kreuzzügen den ritterlichen Heeren gestellt hatte, in der Not eines zerrissenen Deutschlands verschwanden. Aeußerlich, als neben die Reiterei gegen Ende des Mittelalters ein Fußvolk trat, das wieder imstande war, selbständig zu fechten. Auch wirtschaftliche Gründe haben mitgespielt, um den Untergang des Rittertumes herbeizuführen; der Mangel an großen auswärtigen Feldzügen, die reiche Beute ver­ hießen, drückte auf das Leben der kleinen Vasallen, die in Bedräng­ nis gerieten. Die Unsicherheit der Verhältnisse in dem von Fehden zersetzten Deutschland, das Fehlen einer starken kaiserlichen Zentral­ gewalt ermöglichte nun die Heranbildung eines Raub- und Strauch­ rittertums. Diese Entwickelung war militärisch ungünstig. Der kleine Ritter zog den raschen und fast gefahrlosen materiellen Erwerb durch Plünderung dem harten Kriegsdienst vor, der weniger eintrug. Die Ritterschaft suchte in dem allgemeinen Chaos ihre Selbständigkeit zu erringen und sich dem kaiserlichen Aufgebot für den Krieg zu ent­ ziehen. Darin liegen die Gründe für das völlige Versagen der deutschen Heere den hussitischen Gegnern gegenüber. Mit den Territorialherren aber geriet die Ritterschaft bald in scharfen Gegensatz; es ist ein­ leuchtend, daß ein selbstherrliches Rittertum den Plänen auf Entwick­ lung straffer Territorialgewalten hinderlich im Wege stund. Das ritterliche Lehensaufgebot war also nicht nur militärisch ent­ wertet, es war auch unverlässig geworden. Kaiser wie Fürsten mußten Ersatz dafür suchen; eine Reform des Heerwesens war unausbleiblich. Die Versuche, eine solche Reform herbeizuführen, sind im vorigen Ka­ pitel kurz erwähnt worden. Aber erst um die Wende des Mittelalters kam es zu einer ausgesprochenen Umgestaltung des deutschen Heer­ wesens. Eine neue Art von Waffengefolgschaften für die Großen entstand: die Söldnerhaufen. Daß hier fast plötzlich der Söldner zu Fuß in starker Zahl auftritt, hat vor Allem den wirtschaftlichen Grund der größeren Billigkeit. Denn vom militärischen Standpunkt aus war der Reitersöldner immer noch überlegen. Vorbildlich für das Fußvolk der damaligen Zeit waren die Schwei­ zer, denen dann als gleichwertig der deutsche Landsknecht und der spani­ sche Infanterist zur Seite traten. Zwischen den Landsknechten und den Schweizern herrschte starke Konkurrenz, die zu bitterer Feindschaft aus­ wuchs. Als „Vater der Landsknechte" wird Maximilian I. bezeichnet, der selbst nicht verschmähte, statt der ritterlichen Waffe den kurzen

Spieß auf die Schulter zu nehmen, und mit einer Schar von Fürsten und Herren in Landsknechtstracht zu Fuß an der Spitze von Landsknechten in Köln einzuziehen. Das kaiserliche Vorgehen erst machte das bis dahin verachtete Fußvolk militärisch ehrlich. Der Name Landsknechte hat vielfache Deutungen erfahren; man hat ihn in Zusammenhang mit der Lanze gebracht, oder als „Knechte des eigenen oder der platten Landes" im Gegensatz zu den Schweizern erklärt u. a. m. Die wahrscheinlichste Deutung sieht in dem Namen die Uebertragung der Bezeichnung „Lantknechte", d. i. Büttel, Po­ lizisten etc. auf die neue Truppe. Der Namen „Lantknecht" kommt schon zu Beginn des 15. Jahrhunderts vor. Die Funktion dieser Knechte begriff nicht nur den reinen Polizeidienst in sich; sie wurden in den zahl­ losen Fehden auch zu kriegerischen Zwecken verwendet. Im mittelalterlichen Gefecht gab die Leistung des Einzelnen den Ausschlag; die Kämpfe lösten sich bald nach Beginn in Einzelkämpfe auf. Dazu trat nun die Fechtweise des Fußvolkes in Gegensatz. Hier war Alles auf die Massenwirkung gestellt. Während also früher die Qua­ lität entscheidend war, verschob sich nun der Schwerpunkt zugunsten der Quantität und dazu mußte eine straffere Organisation Platz greifen, als bei -en Ritterheeren nötig war. Der Kampf und damit auch notwendi­ gerweise die Ausbildung wurde reglementarisiert. A. Heerwesen. Die Heeresaufbringung. Die Einteilung der Armeen nach Waffen vollzog sich. Neben die Reiterhaufen traten solche zu Fuß, die selbständig fochten, also den Namen einer Infanterie für sich beanspruchen konnten; die Artillerie bestand noch nicht als Waffe, sondern als Zunft. Die Heeresergänzung verließ die Bahnen des Aufgebotes und wandte sich der Werbung Freiwilliger zu. Das Lehensaufgebot lebte rudimentär noch fort; Ver­ suche, das tzeerbannaufgebot neu zu beleben, wie ihn Maximilian I 1518 für Tirol machte, schlugen fehl. Man gelangte über die Aufstellung örtlicher Sicherheits- und Polizeiformationen nicht hinaus. Der Gedanke der allgemeinen Wehrpflicht ging völlig verloren und von diesem Gesichtspunkt aus kann man die Zeit des Landsknechtswesens als -en Tiefstand in der Entwicklung des deutschen Heerwesens be­ zeichnen. Der Schutz des Landes wurde nicht mehr dem Eingesessenen anvertraut, sondern Fremden, die ihre Haut heute dem, morgen seinem Gegner verkauften. a.

1. Das Fußvolk. Der Zulauf zu den Landsknechten war stark. Nach dem kaiserlichen Beispiel trat auch der Adel in die Landsknechthaufen ein und übernahm hier die Führerstellen oder diente zum mindesten bei den Doppel­ söldnern. Frauenholz, Deutsche Kriegs- und Heeresgeschichte.

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Der Landesfürst beauftragte einen Feldobristen mit der Aufstellung eines Söldnerhaufens. Die Feldobristen ernannten ihre Hauptleute, die für die Aufstellung ihrer Fähnlein zu sorgen hatten, und vor Allen ihre Kompagnieoffiziere, — Leutnant, Fähnrich, Feldwebel, — Fouriere und Rottmeister bestellten. Der Name Regiment wurde allgemein) die Stärke der Regimenter war verschieden. Sie zählten zwischen 10 und 18 Fähnlein, von denen jedes etwa 400 Mann stark war. Regiment und Fähnlein waren jedoch nur Verwaltungseinheiten. Die taktische Einheit war der gevierte Ge­ walthaufen, für den schon jetzt ab und zu der Name „Bataillon" Ver­ wendung fand. Die Regimenter wurden auf Artikelsbriefe vereidigt, die Verträge zwischen den Soldheeren und den Söldnern darstellten und die bei­ derseitigen Rechte und Pflichten festlegten. Ein eigenes Kriegsrecht entstand, das für Fußvolk und Reiterei verschieden war. Das Recht des aus der Lehensritterschaft hervorge­ gangenen Reiters schloß sich an das adelige Recht an. Der Profoß hatte die Durchführung der Strafen zu überwachen. Die Verwaltung war einfach. Der Söldner erhielt seinen Monats­ sold, im 16. Jahrhundert durchschnittlich 4 Gulden für den einfachen Fußknecht. Dafür hatte er Bewaffnung, Bekleidung und Ausrüstung zu besorgen. Der sorgfältiger gewaffnete Doppelsöldner bezog wesentlich hö­ here Gebühren. Die mangelhafte Auszahlung des Soldes spielte eine große Rolle in der Geschichte des Söldnerwesens; die Beute mußte häufig an ihre Stelle treten. Für die Verpflegung sorgte im Wesentlichen der Marketender, soferne nicht requiriert wurde. Den kriegerischen Haufen folgte ein gewaltiger Troß, zu dem Weiber, Dirnen und Buben gehörten, die für die persönliche Bedienung des Landsknechtes zu sorgen hatten. Don ihnen wurde auch der Sani­ tätsdienst ausgeübt. Zum Requirieren der Verpflegung wurde der Troß mitverwendet. In dem großen Ausmaß, den der Troß eines Landsknechtshaufens annahm, bildete er eine starke, aber notwendige Belastung für die Truppe und eine drückende Last für das durchzogene Land. Auch der Troß war Gesetzen unterworfen, deren Einhaltung der Vorgesetzte des Troßes, der Hurenweibel, überwachte. Die Unzulänglichkeit der Institution des Landsknechtsheeres drückte sich am schärfsten in dem Elend aus, dem der entlassene, „gürtende Knecht" verfiel und das er um sich verbreitete. Ein Schrecken für das Land, dabei selbst gehetzt von Bauern und Bürgern, mußte der brotlose Landsknecht sich seinen Unterhalt durch Plünderung und Diebstahl zu verschaffen suchen. Ehrliche Arbeit bot ihm niemand; und er suchte sie nicht.

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2. Reiterei. Während in den Reihen des Fußvolkes sich Adelige, Bürgerliche und Bauern zusammenfanden, ging die Reiterei aus einem geschlossenen Stand, der Ritterschaft, hervor. Es fand zunächst nur ein engerer taktischer und verwaltungsmäßiger Zusammenschluß der Soldritter statt. Immer noch brachte der Ritter einige Gewappnete mit, die mit ihm zusammen dienten, aber ihm dabei doch sozial unterlegen blieben. Das Reiterrecht bringt das zum Ausdruck. Die militärische Bewertung des Reiterdienstes war verschieden. Macchiavelli zum Beispiel gab dem Fußvolk den Borzug, das er nach dem Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht ausheben wollte. Die Reiterei wies verschiedene Klassen auf. Die vornehmste Art der Reiterei stellte der unmittelbar aus der Ritterschaft hervorgegangene Kürisser oder Spießer dar, der völlig gewappnete, mit langer Lanze und De­ gen bewaffnete Reiter auf gewappnetem oder ungewappneten Pferde. Daneben verwendete man berittene Schützen, die neben einer leichten blanken Bewaffnung Schußwaffen führten: Arkebusen und Pistolen. Das Bedürfnis nach leichten Reitern führte dazu, fremde, unkultivierte Reitervölker in Dienst zu nehmen, so etwa die Stradioten (Albanesen) und Husaren (Ungarn). Seit dem schmalkadischen Krieg wurden gerüstete Reiter ohne Lanze, aber mit Feuerwaffen verwendet, die ursprünglich unter dem Namen „schwarze", dann „deutsche Reiter" austraten. Die Reiterregimenter waren in Kompagnien eingeteilt, die manch­ mal aus verschiedenen Reitergattungen gemischt waren. Die Gefechts­ einheit bildete die Schwadron, deren Stärke auf 100—150 Mann ange­ nommen werden darf. Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts findet sich auch berittene In­ fanterie (Dragoner).

b) Bewaffnung, Bekleidung und Ausrüstung. Der einzelne hatte sich selbst auszustatten. Da sich nicht die Aus­ rüstung nach der Bezahlung, sondern die Bezahlung nach der Güte der Ausrüstung richtete, bedeutete die erste militärische Ausstattung des Mannes eine Kapitalsänlage. 1. Fußvolk. Die Bewaffnung des Fußvolkes war zu Beginn der Landsknechts­ zeit nicht nur bunt, sondern auch primitiv. Die Schweizer trugen zu­ nächst an Waffen, was sie ererbt oder selbst aus landwirtschaftlichen Geräten angefertigt hatten. Neben alten Schwertern und Lanzen wurden Aexte, Heugabeln, Sensen verwendet, und einfache Keulen, mit Sta­ cheln versehen, als Morgensterne geführt. Dazu kamen als Feuerwaffen vereinzelte Feuergewehre in der ursprünglichen Form der Luntenge­ wehre.

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Allmählich entstanden grundsätzliche Verschiedenheiten. Die schwei­ zerischen und die deutschen Söldner bevorzugten als Hauptmasse den langen Spieß, der bis zu 5 Meter erreichte, und dessen Verwendung im gevierten Haufen einen Reiterangriff unmöglich machen sollte. Als Handwaffen führte der Knecht das kurze Landsknechtsschwert und den Dolch. Die Leute, die nicht in den vordersten Gliedern standen, waren mit kürzeren Spießen und mit Helmparten '(Stieläxten) bewaffnet, die nach dem Einbruch gebraucht werden sollten, wenn die langen Spieße unnütz waren. Von einzelnen Leuten wurden große, zweihändige Schwerter geführt. Fernwaffen, darunter Feuergewehre, waren nur in beschränkter Zahl vorhanden. Auf den Schild wurde verzichtet. Ge­ wappnet war nur mehr die Brust. Anders war die spanische Infanterie bewaffnet. Hier legte man das Hauptgewicht auf das Handgemenge. Das Schwert spielte die Haupt­ rolle, der Schild wurde beibehalten. Ein viel kürzerer Spieß als bei den Deutschen diente der Erzwingung des Einbruches in die feindliche Front. Die Bekleidung des Fußvolkes war außerordentlich bunt und auf­ fallend. Die Tracht der Landsknechte ist sprichwörtlich geworden. Die Verachtung der landläufigen Sitten auch in der Kleidermode gehörte zum guten Ton; auch der Landsknechtführer setzte seinen Stolz darein, selbst bei Hofe und in Gesellschaft salopp und feldmäßig zu erscheinen. Maximilian I. entschuldigte diese Sucht, sich ein auffallendes Aeußere zu geben damit, daß der Landsknecht nie wisse, wann er sein armseliges Leben verlieren würde; man solle ihm sein bißchen Freude lassen.

2. Reiterei. Die Traditon des ritterlichen Heeres verleugnete sich auch in der Bewaffnung -er Reiterei nicht. Lanze und Schwert waren die Haupt­ waffe, ebenso blieb die Rüstung bestehen, nur der Schild entfiel. Die ganze Bewaffnung wurde leichter gehalten, das Schwert wurde zum Degen, die Rüstung allmählich zum Küraß. Doch blieben ganze Rüstun­ gen noch lange im Gebrauch. Während der Kürisser (Lanzierer, Spießer) in dieser Weise gewappnet war, und auch noch Teile der Pferderüstung kannte, trug der deutsche Reiter eine leichtere Rüstung nur für seine Person. An Stelle der Lanze führte der deutsche Reiter die Pistols, während der Arkebusier und Dragoner noch mehr auf Schutzwaffen verzichtete und eine schwerere Feuerwaffe führte. Die Bekleidung der Reiter machte die Extravaganzen des Fuß­ volkes nicht mit. Davor bewahrte vor Allem die Notwendigkeit langen Reitens, das eine zweckmäßige Bekleidung forderte. Ein Wams, darüber oftmals ein Koller, Reithosen und Reiterstiefeln bildeten die Bekleidung, die durch Hut oder Helm ergänzt wurde. Auch hier herrschte Farben­ freudigkeit, aber sie äußerte sich doch geschmackvoller. Der Adel, der bei der Reiterei dominierte, verschmähte es, durch das landesknschthafte Aussehen aufzufallen.

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Das Pferdematerial war in den Reitergattungen verschieden. Der schwer gerüstete Kürisser bedurfte zur Attacke eines schweren, aber nicht unedlen Pferdes. Die berittenen Schützen legten mehr Wert auf Rasch­ heit und Wendigkeit. Die deutschen Reiter saßen auf „Ringerpferden", d. i. geringeren, leichteren Pferden als die Kürisser. c) Taktik.

1. Fußvolk. Das Streben des Fußvolkes ging ursprünglich dahin, die Attacke selbständig abzuwehren. Mit der fortschreitenden Disziplinierung über­ nahm dann das Fußvolk selbst die Kampfentscheidung durch den An­ griff. Die Infanterie (in der ersten Zeit fanterie, von fante, Bursche, Knechte) schuf sich feste taktische Formen. Die taktische Grundform war der viereckige Haufen, der in Angriff und Verteidigung gleich blieb. Daneben gab es Keil und Kreis. Ueber die Zusammensetzung des Viereckes herrschten zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Auffassungen. Die ältere schweizerische Form des „Mannsviereckes", das ebensoviele Neben- wie Hintermänner hatte, wurde durch das weniger tiefe „Landviereck" überholt, das nur halb soviele Hinter- als Nebenmänner zeigt. Es zeigt sich hier schon das Streben nach Verbreiterung der Front bei Verringerung der Tiefe, das sich bei der Infanterie bis in die jüngste Zeit hinein fortsetzt. Eine Zeitlang bildete die Einteilung der gesamten Infanterie zur Schlacht in drei Haufen die Regel; bald ging von dieser schematischen Art ab und kämpfte in einer der Gesamtstärke angepaßten beliebigen Zahl von Haufen, In diesen Gefechtshaufen selbst nahmen ursprünglich die Bestgewaffneten und mit langen Spießen versehenen Leute die ersten Glieder ein. Sie hatten den stärksten Anprall auszuhalten. Im Inneren des Viereckes standen die Leute mit kürzeren Waffen, Helmparten und Schwertern. Allein diese Anordnung blieb keine dauernde und allgemein anerkannte. Die Spießer (Spießgesellen) nahmen manchmal nicht die vordersten Glieder ein, die Hellebardiere erscheinen in gesonderter An­ gliederung. Die Vermehrung der Feuerwaffen führte zu einer beson­ deren Einteilung der Schützen. Als Typisches blieb jedoch immer der geschlossene Gewalthaufen bestehen, der durch den Massenstoß die Ent­ scheidung bringen sollte. Die Bewegung in diesen unförmigen Haufen, die wohl mehr mit den Fahnen als mit Kommandos geleitet wurden, forderte ein förmliches Exerzieren. Maximilian I. hat solche Uebungen schon um 1479 abgehal­ ten; die Fürsten, die sich des neuen Fußvolkes bedienten, mußten seinem Beispiel folgen. Die Beschreibung einer Parade von 6000 deutschen Landsknechten 1495 vor Novarra zeigt ein hohes Maß von Exerzier­ disziplin.

In der Ausbildung der Infanterie blieben Deutschland, die Schweiz und Spanien vorbildlich; von Italien kam mehr theoretische Anregung. Die Verwendung der Feuerwaffen brach sich bei der Infanterie nur rangsam Bahn. Man mußte ursprünglich nicht recht, wie man die Be­ dienungsmannschaft der unförmigen Büchsen, die nach abgegebenem Schuß wehrlos war, unterbringen sollte. Die Schützen mußten immer wieder unter den Spießen oder im Viereck Schutz suchen. Die Waffen vervollkommneten sich allmählich etwas; die leichtere Arkebuse und die schwerere Muskete entstand, beide mit primitiven Luntenschlössem. x) Der Zusammmenstoß von zwei feindlichen Gewalthaufen, die durch ihre tiefe Gliederung unwiderstehlich nach vorne geschoben wurden, brachte die vorderen Glieder in eine mörderische Presse, in der die Kämpfer häufig erdrückt wurden, ohne die Waffe gebrauchen zu können. Man suchte dem dadurch entgegenzuarbeiten, daß man stellenweise ins erste Glied besonders starke Leute mit Hellebarden und Zweihändern stellte, die ein Loch in die feindliche Front zu schlagen hatten. In einzelnen Fällen finden sich noch Anklänge an ritterliche Fecht­ weise, wenn vor dem Zusammentreffe der Haufen angesichts ihrer Truppen die Führer Zweikämpfe mit den gegnerischen Obristen aus­ fechten.

2. R e i t e r e i. Erwuchs die Taktik der Infanterie als gänzlich Neues, so hatte die Reiterei ihre Fechtweise zu ändern. Auch hier tritt das veränderte Grundprinzip hervor; an Stelle des Einzelkampfes, der das mittelalter­ liche Gefecht beherrschte, trat der Massenstoß, dessen Ueberlegenheit man nun nicht nur im Kampfe gegen die neue Infanterie, sondern auch im Reitergefecht erkannte. Der Massenstoß der Reiterei — der Chok — forderte wie bei der Infanterie geschlossene Formen, die geübt werden mußten. Das Tournier wurde durch das Exerzieren abgelöst. Die Ritterschaft wandelte sich zur Kavallerie. Die Fechtweise der Kavallerie schied sich nach zwei Seiten hin.

Die schwere Kavallerie suchte die Schlachtentscheidung herbeizu­ führen. Sie attakierte in tiefer Gliederung — der Spanier Avila spricht von 17 Gliedern als einer geringen Tiefe —. Die leichte Kavallerie verzichtete auf die Herbeiführung der Schlachtentscheidung; ihre Aufgabe war die Vorbereitung des Kampfes, die Beunruhigung des Gegners. Allmählich wurde die Tiefengliederung der schweren Kavallerie geringer. Man erkannte die Wichtigkeit der Breitenausdehnung uud x) Die Erfindung des Pulvers wird auf die Chinesen zurückgeführt. 678 läßt sich seine Verwendung bei den Oströmern feststellen. Ein erstes Pulverrezept ist aus dnn Jahre 1250 bekannt. Zunächst diente das Pulver jedoch nur als Spreng, und Brandmiüel. Die erste Anwendung von Feuerwaffen, die Geschoße schleuderten, fand in Europa INI unter Ludwig dem Bayern statt.

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damit der Ueberflügelung ähnlich wie bei der Infanterie. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts wurde die Tiefe auf 10, dann auf 6—7 Glieder vermindert. In der Geschlossenheit suchte man nun das Heil der Attacke. Der Ehok sollte seine Wucht aus der Geschwindigkeit und dem Zusammen­ halt der Schwadron erhalten. Nicht mehr der mechanische Druck der Tie­ fengliederung, sondern Ausbildung und Disziplin wurden als das Mo­ ment angesehen, das der Attacke nachhaltige Kraft verleihen sollte. Eine neue Reitergattung entstund und brachte eine neue Abart des Reiterkampfes auf. Die „Deutschen Reiter" bildeten auf leichteren Pferden die Attacke nach einer anderen Richtung hin aus. Die Lanze sollte bei ihnen durch ine leichter zu handhabende Pistole ersetzt werden, die damit zur Attackenwaffe wurde. Auch das zweite und dritte Glied hatte vor dem Handgemenge von dieser Waffe Gebrauch zu machen; das erste Glied sollte dazu nach dem Feuern im Anreiten durch Ab­ schwenken hinter die Front dem nächsten Glied das Schußfeld freigeben. Dieses Manöver, die Carracole genannt, war nur einem untätigen Gegner gegenüber durchführbar. Suchte der Feind, zumal feindliche Reiterei, die Entscheidung durch die blanke Waffe, so war bei der ge­ ringen Schußweite der Pistole das Carracolieren unmöglich. Der Geg­ ner überritt eine Schwadron, die sich mit Feuern abgab. Der Wert dieser Evolution als Exerziermanöver aber war bedeutend, denn die Carracole forderte unbedingte Einordnung des Einzelnen beim Exer­ zieren. Die Pistole als Attackenwaffe vermochte sich nicht durchzusetzen. Auch die Lanze verschwand. Der Degen wurde zur entscheidenden Waffe der Reiterei. Die Bedeutung des Wortes „Kürassier" wandelte sich; die Bezeichnung fand allmählich auch Anwendung auf die deutschen Reiter und diese traten nun in die erste Gattung der Reiterei ein. B. Kriege. Maximilian I. (1493—1519). Maximilian L, bezeichnenderweise zugleich als „letzter Ritter" und als „Vater der Landsknechte" gefeiert, versuchte, das deutsche Heer­ wesen in geregelte Bahnen zu lenken. Die Aufstellung von Söldner­ haufen erforderte laufende Geldmittel. Der „gemeine Pfennig", eine Reichssteuer, wurde ausgeschrieben. Die Mittel reichten jedoch zur dauernden Unterhaltung eines Reichsheeres nicht hin. Der Versuch Maximilians, die allgemeine Wehrpflicht neu zu beleben, scheiterte.

Kriege mit den Franzosen in Italien 1494—1516. Der persönliche Gegensatz zu Karl VIII. von Frankreich (siehe die Burgunderkriege) und der 1494 erfolgte Einfall der Franzosen in Italien veranlaßte Maximilian, der „Großen Liga" beizutreten, der außer ihm der Papst, Ferdinand der Katholische von Spanien, Mailand

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und Venedig angehörten. Die Kriegführung schleppte sich aus Mangel an Geld träge hin, ohne daß es zu einer Entscheidung kam, bis die Hilfe von Schweizer Söldnern gewonnen wurde. 1512 siegten die Franzosen bei Ravenna, 1513 die Schweizer bei Novarra, bis es am 13. und 14, September bei Marignano den Franzosen glückte, die Schweizer ent­ scheidend zu schlagen. 1516 trat Maximilian dem Frieden von Brüssel bei, in dem Mailand an die Franzosen, Verona an Venedig kam. Krieg Maximilians und des schwäbischen Bundes gegen die Schweizer 1498/99.

Die Eifersucht der Eidgenossenschaft auf die junge Selbständigkeit des schwäbischen Bundes von 1487 führte 1495 zu einem Handstreich der Schweizer auf Konstanz. Im Jahre 1499 siegten die Schweizer in verschiedenen Treffen bei Triefen, bei Hard, am Bruderholz bei Basel, bei Mals über Schwaben und Tiroler. Mit Mühe brachte Maximilian zwei Heere auf, von denen das eine auseinanderlief, ohne an den Feind zu kommen, während das zweite am 22. Juli 1499 bei Dorneck ge­ schlagen wurde. Der Baseler Friede vom 22. September 1499 beendete den Streit. Er erkannte die Selbständigkeit der Schweiz in der Form an, daß die Eidgenossenschaft von nun ab als „Verwandte des Reiches" angesehen wurde. Die Landshuter Fehde 1504. Der Streit der Wittelsbacher um das Erbe Georg des Reichen von Landshut wurde durch einen Schiedsspruch Maximilians ge­ schlichtet, dem sich die Münchener, nicht aber die pfälzische Linie der Wittelsbacher unterwarf. Die Reichsacht wurde über Rudolf von der Pfalz verhängt, der bei Regensburg 1504 von Maximilian I. ge­ schlagen wurde. Zug nach Ungarn 1506. Dem Zug nach Ungarn, der die Wiederherstellung des habs­ burgischen gegenüber dem türkischen Einfluß dienen sollte, war ent Erfolg nicht beschicken. Der Mangel an Mitteln veranlaßte feite Einstellung.

Krieg gegen Venedig 1508—1509.

Eine Episode in den Kämpfen in Italien ist der Krieg gegen Venedig, zu dem sich Maximilian, dem die Venetianer den Durchzog durch ihr Gebiet zur Kaiserkrönung verweigerten, mit Ludwig XII. von Frankreich, Ferdinand von Spanien und Papst Julius II. in d-r Liga von Cambrai 1508 verband. Bei Agnadello siegten die Fratzosen am 14. Mai 1509 über die Venetianer, Maximilian vermache jedoch das feste Padua nicht einnehmen. Den Venetianern gelang eZ, die Koalition zu trennen und Maximilian wie den Papst und dm spanischen König auf ihre Seite herüberzuziehen.

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Karl V. (1519—1556.) Karl V., ein Enkel Maximilians I., seit 1516 König von Spanien, wurde ein halbes Jahr nach dem Tode Maximilians im Juni 1519 zum Kaiser gewählt. Seine Regierung steht im Zeichen des Konfliktes mit Frankreich, der wachsenden Türkengefahr und der inneren Spal­ tung Deutschlands durch die Reformation. Dazu kam das zwischen Deutschland und Spanien geteilte Interesse des Kaisers. Eine Periode des äußersten Verfalles des Deutschen Reiches begann.

Erster Krieg gegen Franzi, von Frankreich 1521—1525. Der Gegensatz zwischen Karl und Franz entstand durch die Wahl Karls V. zum Deutschen Kaiser, für die auch Franz als Kandidat auf­ getreten war, und durch die Ansprüche, die Karl als Deutscher Kaiser auf Oberitalien erhob, das int Besitze des französischen Königs war. Mit einem Landsknechtsheer, dessen Führer Frundsberg, Sickingen und der Graf von Nassau waren, fiel Karl in der Champagne ein, wo Bayard für Franz I. kämpfte. Der Kampf blieb in Frankreich unent­ schieden. In Italien aber neigte sich der Erfolg allmählich den Kaiser­ lichen zu. Die Schweizer, zuerst auf französischer Seite, verließen, durch den Oberfeldherrn Lautrec gekränkt, die französischen Fahnen. Lautrec sah sich auf die Behauptung fester Plätze beschränkt. Mailand fiel 1521 den spanischen Söldnern Karls in die Hände. 1522 erschien nun auch Frundsberg mit deutschen Landsknechten in Oberitalien. Da es Franz I. gelungen war, die Schweizer wieder an sich zu ziehen, kämpften nun auf kaiserlicher Seite Landsknechte, Spanier und Italiener, auf französischer Franzosen und Schweizer. Bei Bicocca kam es am 27. April 1522 zu einem außerordentlich interessanten Treffen, in dem der alte Haß der Landsknechte und der Schweizer zum Ausbruch kam. Die Landsknechte siegten. Die Eidgenossen erlitten die erste Niederlage, seit sie in Gesamtheit ausgezogen waren. Sie hatten die Schlacht ertrotzt, da ihnen der Sold nicht ausgezahlt worden war und sie dafür Beute haben wollten. Die Schlacht vernichtete den Ruf der Unbesiegbarkeit der Schweizer. Der Krieg in Italien schleppte sich trotz dieses Sieges ohne Ent­ scheidung weiter. Heinrich VIII. von England trat auf Seite des Kaisers, ebenso der mächtigste französische Vasall, der Connetable Karl von Bourbon. Am 30. April 1524 fiel Bayard durch eine Büchsen­ kugel an der Sesia. Erst die Schlacht bei Pavia vom 24. Februar 1525, wo Frundsberg mit seinen Landsknechten und den Spaniern erneut die Franzosen und Schweizer schlug, führte zum Ende des Krieges, da Franz I. hier in deutsche Gefangenschaft geriet. Franz entsagte im Frieden von Madrid im Januar 1526 seinen Ansprüchen auf Italien und Burgund.

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Zweiter Krieg gegen Franzi. 1526—1529. Nach dem Frieden von Madrid entlassen, widerrief Franz I. seine Versprechungen als erzwungen. Es gelang ihm, in der Heiligen Liga von Cognac am 22. Mai 1526 den Papst Clemens VII., Heinrich VIII, von England, Mailand und Venedig auf seine Seite zu bringen. Aufs neue stieg ein Landsknechtsheer unter Frundsberg im Winter 1526/27 über die Alpen und vereinigte sich mit den Truppen des Connetable von Bourbon und den Spaniern. Das Ausbleiben des Soldes und die dürftige Verpflegung erweckte den Unwillen der Landsknechte, die zu meutern begannen. Frundsberg wurde bei dem Versuch, die Meuterei zu unterdrücken, vom Schlage getroffen. Das Heer zog nun nach Rom und nahm die Stadt am 6. Mai 1527 im Sturm, wobei der Connetable fiel. Rom wurde in entsetzlicher Weise geplündert. Dann, beim Heran­ nahen eines französischen Heeres, marschierten die Kaiserlichen, nun unter dem Prinzen Philibert von Oranien, nach Neapel, das die Franzosen einschlossen. Der Uebergang der genuesischen Flotte unter Andrea Doria zum Kaiser und die Pest zwang die Franzosen zur Aufgabe der Belagerung. Das französische Heer verlief sich. Im Jahre 1529 machte Franz I. erneut den Versuch, sich in Ober­ italien festzusetzen. Seine Truppen wurden jedoch von dem kaiserlichen Feldherrn de Leyva am 21. Juni 1529 bei Landriano geschlagen. Durch Vermittlung von -es Kaisers Tante, Margarethe von Oesterreich, und der Mutter Franz I., Luise von Savoyen, kam am 5. August 1529 der „Damenfrieden" von Cambrai zustande, auf dem Franz seinen italienischen Ansprüchen entsagte, jedoch Burgund behielt.

Dritter Krieg gegen Franz 1.1536—1538.

Franz I. erneuerte nach dem Tode Franz Sforzas von Mailand seine Ansprüche. Er besetzte überraschend Savoyen und Piemont. Karl versuchte einen Einfall in Südfrankreich, der vor Marseille zum Stehen kam. Die Belagerung dieser Stadt führte nicht zum Ziele. Während­ dessen begannen die mit Franz I. verbündeten Türken die Küsten Italiens zu verheeren. Die Stimmung der Christenheit gegen "dieses Bündnis zwang Franz, es aufzugeben und sich mit dem Kaiser zu verständigen. Am 18. Juni 1538 kam unter Vermittlung des Papstes Paul III. Farnese ein zehnjähriger Waffenstillstand zu Nizza zu­ stande, in dem sich beide Fürsten zu gemeinsamer Abwehr der Türken verpflichteten. Vierter Krieg gegen Franz I. 1542—1544. Nochmals versuchte Franz, als der Kaiser sich nach seinem alge­ rischen Zug in Bedrängnis befand, im Bunde mit den Türken, mit Gustav Wasa, den Schotten und protestantischen deutschen Fürsten, sich in den Besitz Mailands zu setzen. Während Karl den Herzog von Kleve züchtigte, gewannen die Franzosen Nizza und besiegten die

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Kaiserlichen am 14. April 1544 bei Ceresole d' Alba. Der Kaiser, mit Heinrich VIII. von England verbündet, faßte den kühnen Entschluß, durch einen konzentrischen Vormarsch auf Paris die Entscheidung zu suchen. Die zögernde Durchführung ließ den Plan nicht ganz zur Reife kommen. Heinrich von England hielt sich mit der Belagerung von Boulogne auf, während der Kaiser von Chateau Thierry an der Marne aus gegen Soissons abschwenkte, um mit Heinrich Fühlung zu gewinnen. Immerhin aber war der Eindruck des Vorgehens auf Paris so groß, daß Franz sich zum Frieden bereit erklärte, der am 18. September 1544 zu Crepy geschlossen wurde und den erneuten Verzicht des französischen Königs auf Oberitalien enthielt.

Die Türkenkriege. Während Karl V. im Westen und Süden kaiserliches Gebiet gegen den französischen Zugriff zu verteidigen hatte, wuchs im Osten eine Gefahr herauf, die nicht nur das Reich, sondern ganz Europa bedrohte. Die Kriege im Westen und Süden des deutschen Reiches gingen um Gebietsabgrenzungen zweier europäischer Kulturstaaten. Die Abwehr der Türkengefahr dagegen war ein Kampf um den Fortbestand euro­ päischer Kultur und christlicher Religion. Die Bündnisse mit den Türken gegen europäische Herrscher tragen den Stempel des Verrates an der christlichen und europäischen Sache. Die Türkenkriege wurden wohl durch Friedensschlüsse unterbrochen, nie aber beendet. Es mußte sich ausweisen, welche Religion und welche Kultur in sich und in ihren Vertretern stärker war. Die Frie­ densschlüsse trugen den Charakter von befristetem Waffenstillstand, auch wo dies nicht ausgesprochen war. Erst der Zusammenbruch der Türken vor der gefestigten österreichisch-ungarischen Donaumonarchie gegen Ende des 18. Jahrhunderts brachte die endgültige Entscheidung. Die große Aufgabe Oesterreichs, die es von der Ostmark übernommen hatte, erfüllte sich in diesen Kämpfen. Sultan Soliman II., der Prächtige, schob seit 1521 seine Macht nach Ungarn und Serbien vor. Belgrad fiel in seine Hand, am 29. August 1526 besiegte er bei Mohacs die Ungarn unter ihrem König Ludwig II., der auf der Flucht den Tod fand. Ungarn fiel an den Habsburger Ferdinand, einen Bruder Karls V. und Schwager Lud­ wigs von Ungarn. Ein Gegenkönig, Johann Zapolya, wurde auf­ gestellt und rief die Türken um Hilfe an, die erneut in Ungarn ein­ marschierten. Ferdinand kämpfte gegen Zapolya mit wechselndem Glück, vermochte jedoch den Vormarsch der Türken nicht aufzuhalten. Soli­ man II. rückte 1529 mit einem gewaltigen Heer — die Zahlenangaben zwischen 120 000 und 250000 Mann sind unverlässig, sie zeigen nur den starken Eindruck an, den das Heer auf die Zeitgenossen machte — von Belgrad über Ofen vor Wien. Diese unmittelbare Bedrohung der Kaiserstadt einte Katholiken und Protestanten. Als Soliman nach

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einer vergeblichen vierwöchentlichen Belagerung des vom Grafen Niklas Salm verteidigten Wien wieder abzog, konnte ein kaiserliches Heer nach Ungarn rücken. Ofen wurde vergeblich belagert. Doch kam am 22. De­ zember 1530 ein einjähriger Waffenstillstand mit den Türken und Zapolya zustande. 1532 brach Soliman wieder mit einem gewaltigen Heere gegen Wien auf. Dem Kaiser war es jedoch gelungen, ein ungewöhnlich großes christliches Heer aufzubringen, das bei Wien sammelte und die Stärke von 76 000 Mann erreichte. Diesem Aufgebot gegenüber ließ es Soliman nicht auf eine Entscheidungsschlacht ankommen. Er zog seine Truppen, die mit Teilen bereits in Steiermark und Kärnten ein­ gefallen waren, zurück. Ein gleichzeitiger Seesieg Andrea Dorias über die Türken beschleunigte diesen Entschluß. Der Frieden von 1533, der dem mißglückten Einfall folgte, war nur von kurzer Dauer. 1535 ergriff der Kaiser selbst die Offensive und zwar zur See gegen das unter türkischer Oberhoheit stehende Tunis. Der türkische Vasall Chaireddin Barbarossa wurde bei Goletta ge­ schlagen, die Feste erstürmt. Goletta wurde spanischer Besitz, das übrige Tunis eingeborenen Fürsten unterstellt. In Ungarn dagegen machten die Türken Fortschritte. Ofen wurde 1541 erobert und dort ein Pa­ schalik eingerichtet. Ein reichsdeutsches Unternehmen, das unter Befehl des Kurfürsten Joachim von Brandenburg 1542 sich gegen Ofen richtete, kam nicht zum Ziele. 1543 eroberte Soliman II. Gran. Die Habs­ burger wurden im Frieden von 1547 auf Westungarn beschränkt. 1551 brach der Kampf von neuem aus. Temesvar fiel in die Hand der Türken. Bei Palast wurde ein Heer Ferdinand I. am 11. August 1552 von den Türken geschlagen. Ein Zug des Kurfürster. Moritz von Sachsen im gleichen Jahre fand keine Unterstützung durch die Ungarn. Die Kriegszüge gingen ununterbrochen weiter und ver­ heerten ganz Ungarn. 1566 mußte ein starkes Reichsheer aufgeboter werden, um Solimann, der erneut auf Wien rücken wollte, entgegen­ zutreten. Die Feste Szigetvar, von Nikolaus Zriny tapfer verteidigt, wurde im September 1566 von den Türken gestürmt. Das Reichsheei verhinderte die Durchführung weiterer Pläne Soliman II., der voi Szigetvar an einem Schlaganfall starb. Sein Nachfolger Selim II schloß am 17. Februar 1568 einen achtjährigen Waffenstillstand mr Kaiser Maximilian II. Ein Zug, den Karl V. 1542 gegen die Seeräuber von Algier ein­ leitete, kam durch die Ungunst der Witterung nicht zur Durchführung Die Kämpfe im Inneren Deutschlands. Die Sickingische Fehde 1522—1523. Die Reichsritterschaft fühlte sich durch die erstarkende Gewai der Territorialherren in der eigenen Machtenwicklung bedroht. Di< Einschränkung des Fehdewesens und der Versuch, Reichssteuern einzu-

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heben, war der großenteils eigenwilligen Reichsritterschaft ebenfalls unwillkommen. In Franz von Sickingen fanden die Versuche, die eigene Machtstellung zu halten und zu heben, einen impulsiven Vertreter, der zudem mit den Neuerungen des Kriegswesens wohl betraut war. Mit ihm verband sich Ulrich von Hutten. Die neue religiöse Lehre, zu der Sickingen übertrat, versuchte er im politischen Sinne für sich nutzbar zu machen, trotzdem er auf die Ablehnung durch Luther stieß. Nun unter­ nahm er eine Fehde gegen den Erzbischof von Trier in der Hoffnung, eine Erhebung gegen die geistlichen Landesherren zustande zu bringen. Die weltlichen Fürsten — auch protestantisch gesinnte — erkannten den wahren Grund der von Sickingen hervorgerufenen Bewegung und kamen dem Erzbischof zu Hilfe. Die Fehde endete mit der Einschließung Sickingens auf seiner Burg Landstuhl, wo er am 7. Mai 1523 nach Ilebergabe der Festung einer tätlichen Verwundung erlag. Der Bauernaufstand 1524—1526. Die gleiche Vermischung politischer, sozialer und religiöser Momente steht in naiverer Form hinter dem Bauernaufstand. Vom badischen Schwarzwald ausgehend gewann die Bewegung, die sich gegen die Un­ terdrückung durch die kleinen Herren wandte, Boden in Lothringen, Franken und im Salzburgischen. Die mißverstandene Lehre von der evangelischen Freiheit veranlaßte Luther, gegen den Aufstand Stellung zu nehmen. Die Bauern rotteten sich zu Haufen zusammen, die aus den alten Geheimbünden des „Bundschuh" und des „Armen Konrad" hervor­ gingen. Gewandte Führer, wie Hans Müller aus Bulgenbach und die beiden Ritter Florian Geyer und Götz von Berlichingen brachten an­ fängliche Erfolge zustande. Dann aber zerschellte der Aufstand, dessen Zügellosigkeit und Grausamkeit die Machthaber im Reiche besorgt machte, an dem Widerstand der Fürsten und Städte. Bei Königshofen wurden am 2. Juni 1525 die Odenwälder, bei Sulzdorf und Ingolstadt am 4. Juni die fränkischen Bauern, bei Schladming am 3. Juli die Salz­ burger von den Heeren der Fürsten und Städter geschlagen. Würzburg, das die Bauern bis auf die Feste erobert hatten, fiel am 7. Juni 1525 wieder in die Hand der Fürsten. Die Bauernbewegung in Thüringen, die unter Thomas Münzer einen besonderen, theokratischen Charakter erhalten hatte, war schon am 15. Mai 1525 in der Schlacht bei Frankenhausen blutig niederge­ schlagen worden. Die Rädelsführer des Bauernaufstandes wurden mit Rücksicht auf die Grausamkeiten der Bauernhaufen hart bestraft.

Die deutschen Religionskriege. Während das Reich sich gegen äußere Feinde von allen Seiten zu wehren hatten, entstanden infolge der Glaubensspaltung im Inneren Deutschlands, die sich mit politischen Motiven verquickte, Fehden und

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Kriege, die den Bestand des Reiches aufs Aeußerste gefährdeten. Die protestantischen Fürsten, vor allem Brandenburg, Sachsen-Mei­ ningen und Württemberg, schlossen sich 1530 zum Schmalkadischen Bund und 1538 in der Nürnberger Einung zusammen. Versuche, eine religiöse Einigung herbeizuführen, blieben ohne Erfolg. Das allge­ meine Konzil von Trient, das 1545 begann, wurde von den Protestanten nicht beschickt. Ein Vorspiel der Religionskriege war die Niederwerfung der Wiedertäufer 1534/35 in Münster, wo Johann von Leyden einen „Gottesstaat" auf kommunistischer Grundlage eingerichtet hatte.

Der Schmalkadische Krieg 1546—1547. Der Kaiser entschloß sich, gegen den Schmalkadischen Bund vorzu­ gehen. Die Fortschritte des Protestantismus und die Weigerung der Protestanten, das Tridentiner Konzil zu beschicken, bildeten den inneren Grund zum Kriege. Den äußeren Anlaß gab die Vertreibung des katholischen Herzogs von Braunschweig-Wolfenbüttel durch den Schmalkädischen Bund. Dessen Führer, wurden in die Reichsacht erklärt. Auf Seiten des Kaisers standen die katholischen Fürsten und der pro­ testantische Fürst Moritz von Sachsen. Die Seele des Schmalkadischen Bundes war Landgraf Philipp von Hessen. Der Schmalkadische Bund, dem sich wichtige Städte angeschlossen hatten, verfügte zunächst über reichere Mittel. Ein bedeutendes Heer sammelte sich in Oberdeutschland unter dem Augsburgischen Feldhaupt­ mann Schärtlin von Burtenbach. In Mitteldeutschland stellten Ppilipp von Hessen und Johann Friedrich von Sachsen ein zahlreiches Heer auf. Während die Schmalkaldener über 50 000 Fußsoldaten und 6000 Reiter verfügten, hatte der Kaiser, der sich in Regensburg aufhielt, nur 10 000 Fußknechte und 2000 Reiter zur Hand. Statt jedoch auf Regensburg zu marschieren und die günstige Anfangssituation auszunützen, zögerte die Schmalkaldische Kriegführung mit der Offensive. Die Truppen wurden von den Städten immer wieder zurückgerufen, wenn sich die Möglichkeit eines großen Erfolges, wie der Sperrung des Brenner Passes, ergab. Auch die mitteldeutsche Armee der Schmalkaldener rückte nur zögernd vor. Mittlerweile trafen über den Brenner aus Italien die spanischen Söldner des Kaisers ein, der im August über 40000 Mann verfügte. Ueber Landshut zog der Kaiser nach Ingolstadt, wo am 15. September 1546 der kaiserliche Feldhauptmann von Büren mit neuen 12 000 Mann zu ihm stieß. Nun ergriff der Kaiser die Offensive. Am 19. Sep­ tember erstürmte er Neuburg, dann unterwarf er sich Giengen, Nörd­ lingen, Rothenburg. Am 22. Dezember 1546 gab Ulm den Widerstand auf. Augsburg, Frankfurt und Straßburg folgten. Die-von den Schmalkaldenern erwartete französische Hilfe blieb aus. Moritz von Sachsen fiel zusammen mit dem Bruder Karls V., dem König Ferdinand, in Kursachsen ein. Kurfürst Johann Friedrich von

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Sachsen gelang es, sein Land zurückzuerobern. Erst als der Kaiser selbst in Sachsen erschien, erfochten die Kaiserlichen am 24. April 1547 bei Mühlberg einen Sieg, der dem Kurfürsten die Freiheit und den Kurhut kostete; Moritz von Sachsen wurde mit der Kur belehnt. Philipp von Hessen ergab sich am 19. Juni auf der Moritzburg bei Halle und wurde gefangen gehalten. König Ferdinand unterwarf Böhmen; am 7. Juli fiel auch Prag. Am längsten währte der Widerstand der niedersächsischen Städte, gegen die Erich von Braunschweig mit kaiserlichen Truppen focht. Am 23. Mai 1547 wurde er bei Drachenburg geschlagen. Der Schmalkadische Bund war nach den Feldzügen auseinanderge­ sprengt, -er Kaiser Herr in ganz Deutschland. In der Hoffnung, auch den inneren Frieden in Deutschland durch den Zusammenschluß der Fürsten und Städte wiederherzustellen und die religiöse Spaltung durch das Tridentiner Konzil zu bannen, verfuhr er mit Mäßigung. Beide Wünsche erfüllen sich nicht.

Der Krieg Moritz' von Sachsen gegen den Kaiser 1551—1552. Der ehrgeizige Moritz von Sachsen suchte seine Macht zu vergrößern Er ließ sich die Ausführung der Reichsacht, die über Magdeburg ver­ hängt war, übertragen und gewann ,so die Möglichkeit, unauffällig Truppen anzuwerben. Dann näherte er sich unter dem Vorgehen, die Gefangennahme seines Schwiegervaters Philipp von Hessen durch den Kaiser trete seiner Ehre zu nahe, den protestantischen Fürsten, die sich im norddeutschen Fürstenbund zusammengeschlossen hatten, und knüpfte mit Heinrich II. von Frankreich Verhandlungen an. Sie führten Ende 1551 zu einem Vertrag zu Friedewalde, wo dem König für seine Hilfe die Bistümer Metz, Toul und Verdun versprochen wurden. Moritz wandte sich nun mit seinem Heere durch Oberdeutschland nach Innsbruck, wo der Kaiser ohne Truppen residierte. Es gelang Karl, nach Villach in Kärnten zu entkommen. Durch Vermittlung König Ferdinands kam am 2. August 1552 zu Passau ein Vertrag zwischen Kaiser und Fürsten zustande. Die Franzosen aber blieben im Besitz der drei Bistümer, die sie besetzt hatten. Ein Versuch des Kaisers im Winter 1552/53, Metz mit den Waffen wieder zu gewinnen, scheiterte. Die Unterwerfung des Markgrafen Albrecht von Brandenburg-Kulmbach 1553—1554. Markgraf Albrecht Alcibiades war dem Passauer Vertrag nicht bei­ betreten und verweigerte die Rückgabe seiner im Reiche gemachten Er­ oberungen. Er begann 1553 einen neuen Zug gegen die geistlichen Fürsten in Franken. Die würzburgischen und bambergischen Gebiete hatten besonders zu leiden. Am 11. April 1553 schlug er die Würz­ burger bei Pommersfelden. Gegen den Markgrafen kam ein Fürsten­ bund zustande, dessen Heer Moritz von Sachsen führte. Am 9. Juli

1553 schlug Moritz den Markgrafen bei Sievershausen, wurde aber selbst tätlich verwundet. Ein erneuter Sieg des Verbündeten folgte am 12. September 1553 bei Steterburg in der Nähe von Braun­ schweig. Der Hauptstützpunkt Albrechts, die Plassenburg bei Kulmbach, wurde am 22. Juni 1554 eingenommen. Die Macht des Markgrafen war gebrochen.

Der Augsburger Religionsfrieden vom 25. September 1555 be­ schloß die Kämpfe in Deutschland. Karl V., frühzeitig gealtert und kränklich, hatte seine Absichten, die auf Wiedervereinigung der Kirche und Stärkung der Reichsgewalt gingen, scheitern sehen. 1556 übergab er die Kaiserwürde seinem Bruder Ferdinand und die Herrschaft in Spanien seinem Sohne Philipp. 1558 starb er in St. Iuste in Spanien.

Ferdinand I. (1556—1564). Dem Kaiser gelang es, den Frieden im Reiche aufrecht zu erhalten. Die Türkenkriege (f. Seite 76) nahmen ihren für die habsburgischen Lande ungünstigen Verlauf. Die Ostseeprovinzen gingen dem Reiche an Polen und Schweden verloren. Maximilian II. (1564—1576). Die Türkenkriege (f. Seite 76) nahmen unter der Regierung des Sohnes Ferdinands, Maximilian II., ihren Fortgang und fanden 1568 einen vorläufigen Abschluß in dem achtjährigen Waffenstillstand zu Adrianopel. Die Reformvorschläge des tüchtigen Söldnerführers La­ zarus Schwendi zur Aufstellung eines besseren, dauernden Grenz­ schutzes gegen die Türken drangen wegen Geldmangel nicht durch. Im Reiche erregte der fränkische Ritter Wilhelm von Grumbach, gestützt auf den Herzog Johann Friedrich II. von Sachsen-Gotha mehr­ fache Fehden. Bei seinem letzten Streit mit Würzburg 1563—1567 verfiel er der Reichsacht. Am 10. April 1567 mußte Grumbach kapitu­ lieren. Er wurde hingerichtet, Johann von Sachsen-Gotha in lebens­ länglicher Haft gehalten. Der Beginn der Aufstände gegen die Spanier in den Nieder­ landen interessierte den Kaiser als mutmaßlichen Erben.

Rudolf II. (1576—1612); Matthias (1612—1619). Unter den beiden nächsten Nachfolgern Maximilians, seinem Sohne Rudolf und dessen Bruder Matthias spitzten sich die Verhältnisse im Reiche zu. Religiöse Gegensätze mischten sich mit politischen zu einem unentwirrbaren Ganzen. Die Türken waren in Persien gebunden. Frankreich hatte seine Hugenottenkriege in der Zeit von 1562—1598 zu führen. So fehlte der Druck von außen, der vielfach die Kräfte im deutschen Reich zu­ sammengeführt hatte. Der Kampf der Niederlande gegen die Spanier

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von 1568—1648, an dem Deutschland nicht beteiligt war, verschärfte gleichwohl den Zwiespalt zwischen Katholiken und Protestanten. Die tatenlose Regierung Rudolfs II. rief schließlich den Wider­ spruch der Stände in den habsburgischen Erblanden hervor, die Mat­ thias auf den Schild erhoben; dieser übernahm die Regierung. Rudolf starb als Gefangener seines Bruders. Im Reiche brachen da und dort im Zusammenhang mit dem reli­ giösen Zwiespalt Fehden aus. So hatte der Erzbischof von Köln, Gebhardt von Truchseß-Waldburg, den Versuch gemacht, sich zu ver­ ehelichen und als weltlicher Fürst sein Land der Reformation z'uzuführen. 1583 wurde er nach zweijährigem Kampf seines Fürstentums entsetzt. In Straßburg kam es zu einer Spaltung innerhalb des Domkapitels. Die Versuche, geistliche Herrschaften durch eine erzwungene Reformation zu verweltlichen, nahmen zu. Andererseits wurde in Aachen zwangsweise das katholische Bekenntnis wieder eingeführt. Die Reichsstadt Donauwörth verfiel wegen Störung einer Prozession der Acht, die Herzog Maximilian von Bayern 1607 vollstreckte. 2m Vorder­ grund stehen bei all diesen Bestrebungen die Wünsche der Fürsten auf Vergrößerung ihrer Macht. Das rein religiöse Motiv trat vielfach zurück. Aus den Gegensätzen heraus entstand 1608 die Union, ein Bünd­ nis der protestantischen Fürsten und Stände unter Christian von An­ halt, der 1609 unter führendem Anteil des Herzogs Maximilian von Bayern die katholische Liga gegenübergestellt wurde. Der Kaiser stand den beiden Sonderbünden zuerst fern.

2. Die Heere des Dreißigjährigen Krieges. Die Landsknechtsheere entbehrten der Einheitlichkeit. Der Fort­ schritt, der im Landsknechtstum zum Ausdruck kommt, ist die Entwick­ lung unbrauchbarer Haufen von Fußknechten zur Infanterie. Noch aber fehlten feste taktische Formen. Diese schuf sich zuerst die Reiterei. Regimenter, Eskadrons, Kompagnien wurden aus Derwaltungskörpern zu taktischen Einheiten, die allgemeine europäische Geltung erlangten und schon annähernd gleichmäßige Truppenmassen darstellten. Das Fußvolk folgte diesem Beispiel. Im 16. Jahrhundert vollzog sich diese Reglementarisierung allmählich. Zu Beginn des dreißigjährigen Krieges war sie vollendet. Die Heere des großen Krieges stellten sich schon in bestimmten Formen dar.

A. Heerwesen. a) Heeresaufbringung. Das Söldnertum blieb in seiner tiefsten Form bestehen. Ohne viel nach Ueberzeugungen zu fragen, verkaufte der Söldner seine Haut F rauenholz, Deutsche Kriege- und Hecresyeschichte.

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dem Meistbietenden. Die Unverlässigkeit solcher Heeresergänzung liegt auf der Hand. Sie ist schon damals erkannt worden. Eine Reihe von Vor­ schlägen läßt sich nachweisen, ganz oder teilweise die Heeresergänzung im Inlands durchzuführen und auf die Wehrpflicht der Untertanen zurückzugreifen. Wie bereits erwähnt, ist der Florentiner Staatsmann Macchiavelli um 1500 ein Verfechter der allgemeinen Wehrpflicht ge­ wesen. In Bayern hat unter Wilhelm V. der Oberlandeszeugmeister Freiherr von Sprinzenstein, der lang in Florenz gelebt hatte, um 1580 die Gedanken Macchiavellis aufgegriffen. Johann von Wall­ hausen und andere führen um 1600 ähnliche Ideen erneut vor. Die stehenden Heere fanden in Thurmayr (Aventinus), in dem Mark­ grafen Albrecht von Brandenburg, in Schwendi und einer Reihe von Militärs, Staatsmännern und Finanzleuten ihre Verfechter. Allein die Zeit war für die Durchführung dieser Pläne nicht reif. Vor allem fehlte im Reiche Einheitlichkeit und gegenseitiges Vertrauen. Einzig der Graf Johann von Nassau machte in seinem kleinen Lande die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht um 1600 zur Tat. Es blieb die freie Werbung der Regimenter bestehen, die entweder der Fürst selbst ausübte, oder in seinem Namen durch seinen Stell­ vertreter, den militärischen Führer, ausüben ließ, der, auf seinen soldatischen Ruhm gestützt, nun oft dem Auftraggeber über den Kopf wuchs. Der Glanz eines bekannten kriegerischen Namens rief die Söldner zu den Fahnen, die nun häufig wohl zu ihrem Führer, nicht aber zum Landesherren in ein persönliches Gehorsamsverhältnis traten, b) Heeresorganisation.

1. Offizierskorps. Die Handhabung der nach jeder Richtung hin komplizierter gewor­ denen Heere verlangte vom Führer höhere fachliche Kenntnisse. Die persönliche Tapferkeit allein genügte nicht mehr. Auch der rauhen Masse der Söldner gegenüber konnte nur höhere militärische und allgemeine Bildung auf die Dauer ein Uebergewicht verleihen. Aus der Führer­ schaft der Landsknechtshaufen entstand allmählich ein berufsmäßiges Offizierskorps. Die Wichtigkeit seines geregelten Nachersatzes wurde bald erkannt. Fürstliche Institutionen suchten Offiziersaspiranten heran­ zubilden. Die bisherige Kriegerkaste, der Adel, behielt die führende Stellung. Als erster in Europa hat Johann von Nassau 1617 zu Siegen eine „Kriegs- und Ritterschule" errichtet, in der junge Adelige und Patriziersöhne zu Offizieren ausgebildet wurden. Das Studienprogramn dieser unter Johann von Wallhausen stehenden Akademie umfaßle Ingenieurkunst, Fortifikation, Artilleriewesen, Latein, Französisch und Italienisch; dazu trat die Ausbildung in den ritterlichen Künsten. Andere Akademien folgten, so die wallensteinische zu Iitschin. Die

Kriegsperiode von 1618—1648 war jedoch einer Ausgestaltung dieser Schulen nicht günstig. Erst nach dem dreißigjährigen Kriege blühten die Akademien wirklich empor. 2. Infanterie. Das Regiment wurde zur Einheit auf taktischem und verwaltungs­ technischen Gebiet. Die Stellung des Obristen gewann an Gewicht. Er stellte sein Regiment auf und unterhielt es. Die Stärke eines Regiments schwankte zwar noch zwischen 1000 und 3000 Mann; diese Differenz ist jedoch bedeutend geringer als die Schwankungen in der Stärke der früheren Landsknechtshaufen. Normalerweise enthielt ein Regiment 10 Kompagnien in Stärke von 100 bis 300 Mann. Schweden setzte den Etat der Kompagnien auf 150 Mann fest. Die Möglichkeit für den Führer, eine Kompagnie im Gefecht mit der Stimme zu re­ gieren, ließ 300 Mann als Höchstgrenze erscheinen. Neben die Haupt­ leute und Kompagnieoffiziere, die der Obrist zu ernennen hatte, traten nun Unteroffiziere als Gehilfen. Den Waffen nach bestanden noch Spießer, Hellebardiere und Musketiere; doch überwog die Zahl der Feuerwaffen. Um 1500 waren erst 1/10, um 1600 bereits 2/3 der Mann­ schaften durchschnittlich mit Feuergewehren bewaffnet. 3. Kavallerie. Schwere und leichte Kavallerie schieden sich deutlicher. Daneben bestanden Dragoner als berittene Infanterie, deren Eingliederung in die Kavallerie sich allmählich vollzog. Die Einteilung in Regimenter war durchgeführt. Die verwal­ tungstechnische Unterabteilung des Regiments, die Kompagnie (Fähn­ lein) verschmolz allmählich mit der taktischen, der Eskadron (Ge­ schwader, Schwadron)?)

4. Artillerie. Die Artillerie war noch reine Zunft. Ein Zusammenfassen in mi­ litärische Verbände unterblieb. Die Verwendung der Artillerie er­ folgte durch den höheren Führer, der vom artilleristischen Fachmann beraten wurde. Eine Neuerscheinung im dreißigjährigen Krieg war die Zuteilung von leichten Infanteriegeschützen (Lederkanonen) durch Gustav Adolf an das Fußvolk. c) Bewaffnung, Bekleidung und Ausrüstung.

Die Ausstattung des Soldaten erfolgte unter dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit. Die Auswüchse der Landsknechtszeit verschwanden. Gleichmäßigkeit und Handlichkeit wuchsen. Die Ausstattung war zwar noch zum größten Teil Privateigentum des Soldaten, allein der Werbe*) Es ist nicht uninteressant, daß sich die Einteilungin Eskadrons und Kompagnien wenig­ stens formell bis zum Jahre 1888 im Regiment der K. Pr. Gardes du Corps erhalten hat, wo jede Eskadron in zwei Kompagnien zerfiel.

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Herr verlangte bei der Einstellung doch den Dorweis bestimmter Stücke, bevor er die Aufnahme vollzog. Sodann existierten städtische und ständische Rüsthäuser größeren Umfanges, von denen heute noch das Zeughaus in Graz besteht, aus dem zu ersehen ist, daß Gleichmäßigkeit der Bewaffnung angestrebt und erreicht wurde. Eine Art fabrik­ mäßiger Herstellung der Waffen, bei der unter Leitung eines be­ kannten Waffenschmiedes einzelne Meister die Herstellung von Teilen der Waffen übernahmen, die dann zusammengesetzt wurden, läßt sich nachweisen. Die Infanterie arbeitete auf Erleichterung der Feuerwaffe hin, da die schwere Muskete zur Abwehr von Reiterangriffen untauglich war. Die Einführung leichterer Gewehre ermöglichte rascheres Laden und Schießen. Die hinderliche Stützgabel konnte allmählich in Fortfall kommen; besonders wichtig aber war die Erfindung des Radschlosses in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, das lange den Vorrang vor dem fast gleichzeitig erfundenen Steinschloß behielt. Die beiden neuen Schlösser ließen die lästige Notwendigkeit fortfallen, ständig eine brennende Lunte mit sich zu führen. Abgepaßte Pulverladungen, die Vor­ läufer der Patronen, die der Infanterist am Bandelier in kleinen tzolzbüchschen trug, erhöhten die Ladegeschwindigkeit und förderten die Gleichmäßigkeit der Schußleistung. Ein starker Degen ergänzte die Bewaffnung. Die Pikeniere und Hellebardiere führten statt der Feuerwaffe die entsprechende Stoßwaffe. Die Rüstung kam bei den Schützen in Wegfall. Sie hinderte die Handhabung der Feuerwaffe zu stark. Die nur mit blanker Waffe ausgestatteten Leute behielten eine leichte Rüstung bei. Bogen- und Armbrustschützen bestanden noch bis nach 1620. Die Bekleidung der Infanterie wurde weniger auffallend unb gleichmäßiger. Die Vorgesetzten wurden durch allgemeine Rangab­ zeichen — die Offiziere durch Feldbinden — kenntlich gemacht. Die Anfänge einer Uniformierung entstanden dadurch, daß viele Regi­ menter gleichmäßige Farben trugen. In der Bewaffnung der Kavallerie änderte sich nicht viel. Lanze und Degen bildeten die tzauptwaffen; doch profitierte die Reiterei besonders von der Einführung des Radschlosses bei der Pistole, die deren Gebrauch zu Pferde erst eigentlich möglich Machte. Die Dragoner führten ein verkürztes Gewehr. Lanzierer und Kürisser trugen den Harnisch, der sich in seiner Form allmählich dem Küraß näherte. Der Helm wurde leichter, das Visier kam allmählich in Fortfall. Die leichte Kavallerie, aus Reiter­ völkern hervorgegangen, trug buntere, der ursprünglichen Landestracht ähnliche Bekleidung und Ausrüstung. Die Dragoner waren mit Aus­ nahme von Reitstiefeln und Reithosen in der Bekleidung und Aus­ rüstung der Infanterie ähnlich. Lederne Koller wurden vielfach über dem Tuchrock getragen.

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Die Bewaffnung der Artillerie war völlig ungleichmäßig. Die Herstellung von Geschützen und Munition wurde von Meistern durch­ geführt, die Bedienung erfolgte durch Feuerwerker und Knechte. Der Ansicht des Einzelnen über die notwendige Kaliberstärke für bestimmte Zwecke war weiter Spielraum gelassen. Doch fällt das Bestreben auf» leichtere Geschütze für den Feldgebrauch herzustellen. d) Ausbildung und Taktik.

Die Ausbildung wurde einheitlicher und straffer. Kürzere Kom­ mandos, die auch im Gefecht die Formationen bewegten, wurden einge­ führt. Das Fortschreiten von -er Einzelausbildung zur Ausbildung im Trupp und dann in den größeren Körpern bürgerte sich ein. Lager- und Wachtdienst wurde geregelt und gelehrt. Die Ueberlegenheit der Feuerwaffe gegenüber dem Spieß rang sich im Infanteriekampf allmählich durch. Dem raschen Reiter gegenüber aber war der Schütze immer noch dadurch gehemmt, daß er nur einen Schuß aus dem Gewehr brachte, bis die Attacke heran war. Dann aber war das abgefeuerte Gewehr fast keine Waffe mehr. Der Schütze mußte den Schutz der Pikeniere aufsuchen, wenn er abgeseuert hatte. Man versuchte, dem dadurch abzuhelfen, daß man die Schützen in Gliedern hintereinander aufstellte, von denen immer das vorderste feuerte und dann zum Schutze hinter das letzte lief. Aber auch auf diese Weise wurde völlige Selbständigkeit dem Reiterangriff gegenüber nicht erzielt; immer wieder mußte der Schütze Anschluß und Deckung beim Haufen der Pikeniere suchen. Die Schwierigkeit, Pikeniere und Schützen zu einem taktischen Verband zu vereinen, der die Fern­ wirkung der Feuerwaffe mit der Sicherheit des Spießes verband, wurde zum taktischen Problem der Zeit, dessen Lösung nicht gelang. Die Entwicklung ging andere Wege: die Verbesserung der Feuerwaffe an sich und die Erfindung des Bayonettes, beides erst nach der Zeit des dreißigjährigen Krieges, machten den Schützen selbständig und den Pikenier überflüssig. Leichter als beim Angriff ließ sich die Einteilung der Schützen und Pikeniere in der Verteidigung bestimmen. Die Schützen besetzten unter Ausnützung des Geländes und unter dem Schutze der Artillerie Teile der Verteidigungsstellung, während die Pikeniere dazwischen standen und die Gegenstöße zu führen hatten. Im Allgemeinen verbreiterte sich mit der besseren Ausbildung die Front der fechtenden Truppe. Die Entscheidung sollte nicht mehr durch den Stoß des Gewalthaufens herbeigeführt werden, bei dem die vorderen Glieder, einmal eingesetzt, mechanisch gegen den Feind gepreßt wurden. Jetzt sollten möglichst viele Kämpfer in die Front treten. Die Zerlegung der breiteren Front in Unterabteilungen wurde notwendig.

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Bei der Kavallerie lag das Hauptgewicht auf der geschlossenen Attacke, die die Lanzierer und Kürisser durchzureiten hatten. Die Tiefe der Attackenkörper verringerte sich wieder. Deutscherseits scheint man jedoch unter vier Glieder nicht heruntergegangen zu sein, während die schwedische Reiterei unter Gustav Adolf in drei Gliedern attackierte. Die Attacke der Lanzierer sah für die einzelnen Glieder größere Abstände vor. Die Verwendung der Pistole bei der Attacke war noch nicht abge­ schafft; doch wendeten sich namhafte Führer gegen das Carracolieren. so Wallenstein nach der Schlacht bei Lützen. Die Verwendung der Dragoner (berittene Schützen, Jäger etc.) und der leichten Kavallerie blieb die gleiche wie früher. Bei der Schlachtaufstellung hatte die Reiterei grundsätzlich den Platz auf den Flügeln der Infanterie. Eine Artillerietaktik gab es noch nicht. Die Verwendung der schwereren Stücke in der Schlacht wurde nach Besprechung mit dem Feldherrn von den handwerksmäßigen Büchsenmeistern durchgeführt. Der Versuch, kleinere Geschützkaliber der Infanterie beizugeben, wnrde von Gustav Adolf nicht zum ersten Male, wohl aber erstmals in größerem Maßstab gemacht.

e) Rechtspflege. Die Disziplin der Truppe hing von der Persönlichkeit des Führers ab. Während die demokratischere Verfassung der Landsknechthaufen an sich ein festeres Gefüge auch beim Versagen der Führer schuf, gab nun die aristokratischere Befehlsgewalt der Führer die Möglichkeit, aber nicht die Sicherheit einer schärferen Disziplinierung der gleichmäßiger gegliederten Truppen. So entstand, da die Führerpersönlichkeiten nicht überall in der Lage waren, ihre schärferen Machtmittel voll zu ge­ brauchen, im Allgemeinen größere Zuchtlosigkeit, die der lange Krieg noch förderte. Die Strafen waren streng und wurden nach heutigen Begnffen mit Grausamkeit ausgeführt. Da man auch bei größeren Vergehen Bestrafungen anwenden wollte, die wohl schwer, aber nicht tötlich waren und den Soldaten dem Werbeherren erhielten, kam man zu der Strafe des Spießrutenlaufens, dessen Erfindung Gustav Adolf ztgeschrieben wird. In verschiedenen Graden angewendet, konnte liefe Strafe bis zum Tode gesteigert werden. Nicht mehr sämtliche Strafen wurden vom Profosen ausgefihrt. Dessen Berührung machte ehrlos und zog die Ausstoßung des Soltaten aus seinem Korps nach sich, während Strafen, deren Vollzug die Kameraden auszuführen hatten, so z. B. das Spießrutenlaufen, nicht unehrlich machten. Ein einheitliches Militärrecht gab es in Deutschland nicht. Kregsartikel bestanden in allen größeren deutschen Staaten. Ein Recht des Soldaten war das Beutemachen auf dem Schlacht­ feld, nicht dagegen das Plündern, d. h. die Wegnahme von Privat-

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eigentum der Nichtsoldaten. Bestimmungen zum Schuhe der nicht­ kämpfenden Bevölkerung haben existiert. Doch konnte vom militärischen Führer eine legale Plünderung angeordnet werden. Wie wenig der Soldat im Laufe des dreißigjährigen Krieges sich um die Bestimmungen zum Schuhe des Privateigentums kümmerte und beim häufigen Aus­ bleiben des Soldes auch kümmern konnte, ist bekannt. k) Verwaltung.

Vorbildlich für die Verwaltung wurden die Verordnungen des Kurfürsten Maximilians I. von Bayern. Von ihm gingen mustergiltige Anordnungen für das gesamte Heerwesen aus. Eine Bestallungs­ ordnung von 1611 regelte die Rangverhältnisse. Reglements zu den Uebungen wurden ausgegeben. Verpflegung und Löhnung wurden geregelt und durch ein Kriegszahlamt und ein Proviantamt durchgeführt. Die Einquartierungen besorgte ein Generalquartiermeisteramt. Die Löhnung war für den damaligen Geldwert hoch: es erhielten unter Maximilian von Bayern täglich: Hauptmann der Infanterie 3 Gulden, Feldwebel 30 Kreuzer, Infanterist 8 Kreuzer; bei der Ka­ vallerie der Rittmeister 5 Gulden, Wachtmeister 2 Gulden, der Reiter 36 Kreuzer. Ob davon Abzüge für die Bewaffnung gemacht wurden, steht nicht fest. Auch für die Verpflegung bestanden feste, ziemlich hohe Sätze, die ausbezahlt wurden, wenn man keine Naturalverpflegung verabreichte. Im Gegensatz dazu wurden in einem Edikt von 1630 die branden­ burgischen Regimenter angewiesen, sich birekt aus dem Lande zu er­ nähren, was zu einem dauernden Kleinkrieg zwischen Soldaten und Bauern führte. Auch Wallenstein hat 1630 und 1632 Verpflegungsregelungen erlassen. Das Reich versuchte, Einheitlichkeit in das bunte Gemisch der Edikte zu bringen. Vielfach dienten französische Vorschriften als Muster. Ferdinand III. griff in einem Artikelsbrief, den er 1642 erließ, auf die bayrischen Verordnungen zurück. Die Versuche, den Troß einzuschränken, wiederholten sich. Mit der Länge des Krieges aber wuchs auch immer wieder der Umfang des Trosses, eine Erscheinung, die bis in die jüngste Zeit sich fortseht. Das Mitlaufen von Weibern und Kindern blieb bestehen, so daß sich der Troß der Regimenter im dreißigjährigen Kriege nicht allzuviel von dem der Landsknechthaufen unterschied. Auch der Sanitätsdienst lag noch hauptsächlich in den Händen der Troßweiber.

B. Kriege. Ferdinand II. (1619—1637); Ferdinand III. (1637—1657). Der -reißigjähri ge Krieg 1618—1648. Der Krieg entstand aus den mannigfachen Spannungen im deut­ schein Reiche. Der religiöse Zwiespalt gab den äußeren Anlaß; immer stärker aber trat der eigentliche Grund, die Auflehnung der Fürsten gegen eine Stärkung der kaiserlichen Gewalt, hervor. Das Eingreifen fremder Mächte — Dänemark, Schweden und Frankreich — schließ­ lich wandelte den Krieg völlig in einen Kampf gegen die Weltstellung des deutschen Kaiserhauses. Das religiöse Moment trat mit dem Eintritt Frankreichs in den Krieg gänzlich zurück.

1. Der böhmisch-pfälzische Krieg 1618—1623. Ein Majestätsbrief Rudolf II. von 1609 hatte den Böhmen Reli­ gionsfreiheit zugesichert. Die Furcht vor Zurücknahme dieser Frei­ heit trieb die Böhmen zu offenem Aufstand. Am 23. Mai 1618 warfen die Aufrührer die beiden kaiserlichen Räte Marttnitz und Slawata aus dem Fenster des Schlosses in Prag. Eine provisorische Regierung wurde von den protestantischen Ständen eingesetzt, die nun versuchten, auf dem Wege der Aushebung ein Heer von 17 000 Fuß­ soldaten und 2400 Reitern aufzustellen. Es kam nur zur Bildung eines Heeres von etwa 4000 Mann. Die protestantischen Stände scheuten vor Opfern zurück. Auch die Möglichkeit der Ent­ fesselung eines religiösen Aufstandes in Ober- und Niederösterreich wurde nicht ausgenützt. 3m August 1618 setzte der Vormarsch kaiserlicher Truppen unter dem General Buquoy ein, dem das böhmische Heer unter dem Grafen Thurn entgegenttat. Südböhmen wurde unterworfen. Auf beiden Seiten hemmte jedoch der Geldmangel eine energische Kriegführung. 3m November 1618 stieß der Söldnerführer Ernst von Mansfeld mit einer geringen Stteitmacht zu den Böhmen. Thurn konnte gegen den kaiserlichen Reiterführer Dampierre einige Erfolge erzielen. Es kam zu keinen entscheidenden Kriegshandlungen. Friedensversuche von beiden Seiten führten jedoch zu keinem Resultat. 3m März 1619 starb der kränkliche Kaiser Matthias. Sein Nach­ folger Ferdinand II. geriet in harte Bedrängnis, als am 5. Juni 1|619, während Graf Thurn mit einem böhmischen Heere vor Wien lag, die niederösterreichischen Stände in der Hofburg von ihm eine Kapi­ tulation forderten, die den Böhmen völlige Freiheit gewährte. Ferdi­ nand weigerte standhaft seine Unterschrift und wurde im letzten Augen­ blick durch das Eintreffen der Kürassiere Dampierres gerettet, die mit flachen Klingen die Abordnung aus der Hofburg trieben?) *) Das Regiment, aus dem später das K. und K. Dragonerregiment Nr. 1 hervorgegangen ist, hatte seither eine Reihe von Vorrechten, so den jederzeitigen Eintritt des Kommandeurs zum Kaiser, das Recht, den Werbetisch in der Hofburg aufzuschlagen und durch die Hofburg zu marschieren.

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Am 10. Juni wurde Mansfeld von Buquoy bei Zablat ent­ scheidend geschlagen. Die im August 1619 erfolgte Kaiserwahl Ferdinand II. beant­ worteten die Böhmen am 26. und 27. August mit der Wahl des Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz zum böhmischen König. Während es den Böhmen nicht gelang, die Hilfe der protestantischen Union in ausreichendem Masse zu gewinnen oder sich mit anderen Bundesgenossen zu verbinden, trat auf Seite des Kaisers Spanien, die katholische Liga unter Führung Maximilians von Bayern, Polen und der protestantische Kurfürst Johann Georg von Sachsen. Maxi­ milians Feldherr Graf Czerklas von Tilly unterwarf 1620 zuerst das unsichere Oberösterreich, dann ging er von Linz über Freistadt nach Böhmen vor, vereinigte sich hier mit -en Truppen Buquoys und marschierte gegen Prag. Am 8. November 1620 kam es hier am Weißen Berge zu einer Entscheidungsschlacht, in der Tilly mit 30000 Mann die Böhmen in Stärke von etwa 20000 Mann unter Christian von Anhalt vernichtend schlug. Der „Winterkönig" Fried­ rich von der Pfalz floh nach Brandenburg, wurde geächtet und verlor die Kurwürde, die an Maximilian von Bayern überging. Der Kurfürst von Sachsen unterwarf dem Kaiser Schlesien und die Lausitz. Der Kampf um Böhmen war entschieden. Mansfeld, der in den böhmischen Kämpfen eine zweifelhafte Rolle gespielt hatte, wandte sich, von den Kaiserlichen bedrängt, nach der Kur­ pfalz, in die 1620 spanische Söldner aus den Niederlanden einge­ fallen waren. Zunächst suchte Mansfeld Anschluß an den protestan­ tischen Fürsten Christian von Braunschweig, -er von den Nieder­ ländern unterstützt wurde und bis an den Main vorgedrungen war. Nachdem Christian von hier abgezogen war, um die westfälischen Bis­ tümer zu brandschatzen, fand Mansfeld einen Bundesgenossen an dem Markgrafen von Baden-Durlach. Am 27. April 1622 gelang es beiden, Tilly bei Wiesloch bei Heidelberg zu schlagen, dann aber vernichtete Tilly das Heer des Markgrafen am 6. Mai 1622 bei Wimpfen am Neckar. Mansfeld suchte nun Anschluß an den anrückenden Christian von Braunschweig, der jedoch vor der Vereinigung von Tilly bei Höchst am Main am 20. Juni 1622 besiegt wurde. Christian und Mansfeld wandten sich nun nach dem Elsaß, wurden jedoch von Friedrich V. von der Pfalz entlassen. Brotlos zogen die Söldner durch Lothringen nach den Niederlanden, wo sie sich den Eintritt mit einem Siege bei Fleurus am 29. August 1622 erkämpften. Christian von Braunschweig erschien nochmals in Niedersachsen, wurde jedoch am 6. August 1623 bei Stadtlohn von Tilly vernichtend geschlagen. Das kaiserliche Uebergewicht war hergestellt.

2. Der nie der sächsisch-dänische Krieg 1625—1629. Gegen die habsburgische Macht schloß sich nun der Norden Deutschlands zusammen. König Christian IV. von Dänemark, als

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Herzog von Holstein deutscher Reichsfürst, nützte die Situation zur Stärkung der Macht seines Königtums, und wollte eine Reihe nord­ deutscher Hochstifter an sein Haus bringen. Er stellte, unterstützt von Frankreich, England und Holland, ein dänisches Heer von 20000 Mann auf, zu dem die sächsischen Kreistruppen stoßen sollten. Auf kaiserlicher Seite hatten bisher vor allem die Bayern die Siege Ferdi­ nands erfochten. Der neuen politischen Konstellation gegenüber wies Kurfürst Maximilian von Bayern beim Kaiser darauf hin, daß die Aufstellung eines eigenen kaiserlichen Heeres notwendig sei, zumal in Siebenbürgen der Aufstand unter Bethlen Gabor wieder aufflackerte und auch ein Eingreifen Schwedens nicht ausgeschlossen erschien. Der Kaiser beauftragte 1625 den Obristen Albrecht von Wallenstein, der in kaiserlichem Dienst sich großes Vermögen erworben hatte und seit 1624 durch seinen Grundbesitz wie durch günstige Heirat als Herzog von Friedland Reichsfürst war, mit der Aufstellung eines neuen Heeres. Rasch stellte Wallenstein als Generalissimus der kaiserlichen Völker ein Heer von 20 000 Mann auf, das auf das Doppelte anwuchs. Das System rücksichtsloser Kontributionen, durch das Wallenstein auch im Freundesland die Armee unterhielt, brachte bald starke Differenzen mit den Bayern hervor, denen die Schonung des eigenen Landes und die geordnete Bezahlung der Truppen am Herzen lag. Der Dänenkönig fiel über Stade—Hannover int Juni 1625 in Deutschland ein. Tilly trat ihm über Höxter an der Weser entgegen, während Wallenstein von Böhmen—Franken aus gegen Halberstadt anrückte. Die Dänen zogen sich zurück. Im Winter lagen sich die Dänen und Tilly, die Mansfeldischen Truppen, die zu den Dänen gestoßen waren, und Wallenstein zwischen Weser und Elbe gegenüber. 1626 fiel Christian von Braunschweig ins Hessische ein; Tilly folgte und vertrieb ihn und nahm die festen Städte Münden und Göttingen. Wallenstein plante eine Vereinigung beider Heere, um gemeinsam den Dänenkönig anzugreifen; Tilly, in den Anschauungen seiner Zeitt groß geworden, legte mehr Wert auf die Eroberung fester Plätze. So kam eine Ver­ einigung nicht zustande. Der Dänenkönig unternahm nun einen Vor­ stoß gegen Tilly, der die Stadt Northeim belagerte. Er wandte sich bald wieder ängstlich zum Rückmarsch, wurde jedoch von Tilly am 27. August 1626 bei Lutter am Barenberg eingeholt und vernichtend ge­ schlagen. Nur Trümmer seines Heeres konnte er hinter die Elbe retten. Bei Verden bezog Tilly frühzeitig Winterquartiere. Wallenstein hatte am 25. April 1626 den Ansturm der Maisfeldischen Truppen auf dem Brückenkopf bei Dessau abgeschlagen. Mansfeld wandte sich dann durch die Lausitz und Sachsen nach Sieben­ bürgen, Wallenstein hielt sich stets zwischen ihm und Wien. Bethlen Gabor aber war nun geneigt, mit dem Kaiser Frieden zu schließen und nahm Mansfeld nicht auf. Dessen Heer zerstreute sich. Er selbst starb

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im November 1626 auf der Reise nach Venedig in einem bosnischen Dorfe bei Serajewo. 1627 stand Christian IV. mit dem Hauptteil seines wieder er­ gänzten Heeres im nördlichen Teil Deutschlands, mit geringeren Kräften in Oberschlesien, gestützt auf die Festung Kosel. Markgraf Georg Wilhelm von Brandenburg trat auf Seite des Kaisers. Wallen­ stein vertrieb in einer Reihe von Gefechten die Dänen aus Ober­ schlesien und nahm die festen Plätze. Tilly rückte Anfang August gegen den bei Rendsburg stehenden Dänenkönig. Nach Tillys Verwundung in einem Gefecht übernahm Wallenstein den Gesamtoberbefehl. In großem Zuge räumte er Norddeutschland von den Dänen, wobei wieder seine Geringschätzung unbedeutender Belagerungen auffällt. Christian I V. mußte sich fluchtähnlich nach Dänemark zurückziehen, während Wallen­ stein Schleswig-Holstein und Jütland in Besitz nahm. Nur die Festung Stade blieb in der Hand der Dänen. Nach dem Verlust seiner festländischen Position versuchte Christian IV. 1628, durch den Seekrieg Erfolge zu erzielen. Allein der Entsatz Stades mißlang der dänischen Flotte, während andererseits Wallen­ stein Stralsund nicht einnehmen konnte, das von der dänischen Flotte und späterhin von den Schweden unterstützt wurde. Der unfruchtbare Kampf einer überlegenen Flotte gegen ein über­ legenes Landheer dauerte auch 1629 an. Wallensteins Versuche, eine kaiserliche Flotte mit Hilfe der Hansestädte zu schaffen, scheiterte an der geringen Bereitwilligkeit dieser Städte. Den Dänen gelang eine Landung in Schleswig; am 22. Mai 1629 schloß der Frieden von Lübeck die Streitigkeiten. Der dänische Besitz blieb dem König erhalten; in Deutsch­ land aber hatte die kaiserliche Partei das absolute Uebergewicht. Wallen­ stein erhielt Mecklenburg als erbliches Herzogtum, mußte aber nach dem Kurfürstentag von Regensburg von 1630 auf Betreiben der Kurfürsten, vor allem Maximilians von Bayern den Oberbefehl niederlegen, nach­ dem ein Teil der wallensteinischen Truppen entlassen war. Die Kur­ fürsten fürchteten sowohl eine übermächtige kaiserliche Zentralgewalt, als auch Uebergriffe Wallensteins selbst.

3. Der schwedische Krieg 1630—1634. Das Uebergewicht der kaiserlichen Waffen in Norddeutschland und die Versuche, eine kaiserliche Seeherrschaft anzubahnen, veranlaßten den Schwedenkönig Gustav Adolf II. zur Kriegserklärung an den Kaiser. Mit einem trefflichen Heere, das sich neben der Werbung auch durch Aushebung in der Heimat ergänzte, landete Gustav Adolf im Juli 1630 auf Usedom. Der Schwedenkönig ging systematisch vor. Er sicherte seine Flottenbasis und damit die Verbindung mit Schweden. Dann nahm er Pommern und Teile Polens in Besitz. Seine Züge sollten seine Politik, die auf Gründung einer deutschen Fürstenpartei gegen den Kaiser ging, unterstützen; sie dienten daher vielfach als Druck-

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mittel auf widerstrebende deutsche Fürsten, die zum Anschluß an den Schwedenkönig gezwungen werden sollten. Der Kaiser vermochte zu­ nächst, durch Streitigkeiten mit der Liga gehindert, dem König keinen nennenswerten Widerstand entgegenzusetzen. 1631 fiel Kolberg in die Hände der Schweden. Der branden­ burgische Kurfürst weigerte vergeblich den Durchzug durch sein Gebiet. Am 13. April 1631 erstürmte Gustav Adolf Frankfurt an der Oder und schwenkte von da nach der Elbe ab, um einen Druck auf die Fürsten im mittleren Deutschland auszuüben. Tilly belagerte in­ zwischen Magdeburg und nahm die Stadt am 20. Mai im Sturm. Der Kurfürst Georg Wilhelm von Brandenburg wurde nun von Gustav Adolf zum Anschluß gezwungen; Hessen und Kursachsen traten frei­ willig auf Seite der Schweden, die in einem Lager bei Werben am Zusammenfluß der Havel und Elbe stunden. Tilly hatte nach einem Vorstoß gegen Werben sich gegen Sachsen gewandt. Gustav Adolf folgte ihm, um dem sächsischen Bundesgenossen Erleichterung zu bringen, und schlug Tilly am 17. September 1631 völlig bei Breitenfeld un­ weit Leipzig. 40 000 Schweden und Verbündete fochten hier gegen 30000 Kaiserliche. Von hier nahm Gustav Adolf die Richtung auf Rhein und Main, während die Sachsen in Böhmen einfielen und Prag gewannen. Die Schweden erstürmten am 18. Oktober 1631 Würzburg; am 23. Dezember fiel Mainz. Tilly zog über Aschaffenburg nach Miltenberg. 2m Dezember 1631 erhielt Wallenstein zum zweiten Male den Auftrag zur Aufstellung eines kaiserlichen Heeres. •1632 zog Tilly gegen den schwedischen General Horn, der in Franken zurückgelassen worden war und Bamberg erobert hatte, und schlug ihn am 9. März bei Bamberg. Gustav Adolf marschierte darauf­ hin nach Franken, vereinigte sich mit den Truppen Horns und ging über Nürnberg nach Donauwörth vor. Tilly wollte ihm das Vor­ dringen über den Lech verwehren, wurde aber am 15. April 1632 von den überlegenen schwedischen Kräften bei Rain am Lech geschlagen. Er selbst erhielt hier eine tätliche Wunde. Gustav Adolf zog in Augsburg und am 17. Mai in München ein, vermochte jedoch Ingolstadt nicht einzunehmen und wich unter furchtbaren Verheerungen nach Augsburg zurück. Maximilian hatte seine Truppen bei Regensburg versammelt. Wallenstein hatte die Sachsen aus Böhmen vertrieben, nun ver­ einigten sich sein Heer und das Maximilians von Bayern bei Eger. Gustav Adolf, dessen Plan auf einen Vormarsch donauabwärts gegen Wien gerichtet gewesen war, hatte vergeblich versucht, dieser Vereini­ gung zuvorzukommen und bezog nun ein festes Lager bei Nürnberg. Wallenstein und Maximilian I. legten sich ihm in befestigter Stellung gegenüber, ohne anzugreifen. Am 4. September 1632 ging Gustav Adolf seinerseits zum Sturme vor, wurde jedoch abgewiesen. Am 18. September hob er das Lager auf und zog gegen Westen ab. Wallen­ stein und Maximilian folgten ihm nicht, sondern wandten sich nach

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Norden. Nun wurde die Führung Gustav Adolfs unsicher. Statt in die österreichischen Erblande einzufallen, nahm er das Gesetz des Handelns vom Gegner an und folgte Wallenstein nach Sachsen. Maximilian hatte sich von Wallenstein getrennt und war nach Bayern gezogen. Wallenstein bezog im Glauben, der Feldzug sei beendet, Winterquartiere und entließ den ihm unterstellten General Grafen Pappenheim zu Maximilian. Auf diese Nachricht hin brach Gustav Adolf mit 14 000 Mann gegen das 12000 Mann starke Heer Wallen­ steins auf, das am 16. November 1632 bei Lützen geschlagen wurde. In der Schlacht fiel jedoch Gustav Adolf. Die Schweden versuchten nach Gustav Adolfs Tod unter der mili­ tärischen Führung Bernhards von Weimar das Errungene festzu­ halten. Die politische Leitung lag in den Händen des Kanzlers Axel Oxenstierna. Die Gesamtstreitkräfte der Schweden und ihrer Anhänger beliefen sich 1633 auf etwa 120 000 Mann; dazu kam die pekuniäre Unterstützung Frankreichs, das sich unter Richelieus Leitung in die Kämpfe in Deutschland zu mischen begann. Den Kaiserlichen kam Spanien zu Hilfe, das ein Heer unter dem Herzog von Feria über Tirol nach Bayern schickte. Bernhard von Weimar konnte die Ver­ einigung der Spanier und Bayern nicht hindern, die nun nach dem Oberrhein marschierten und das von General v. Horn belagerte Kon­ stanz entsetzten. Bernhard von Weimar dagegen wandte sich nach Regensburg, das er am 14. November 1633 einnahm. Wallenstein hatte sich das ganze Jahr über abwartend verhalten. Erst am 10. Ok­ tober 1633 warf er sich bei Steinau auf ein feindliches Heer, das er zur Kapitulation zwang. Schlesien fiel dadurch in seine Hand. Die zweifelhafte Rolle, die Wallenstein im Jahre 1633 und im Winter 1633/34 spielte, veranlaßte seine Absetzung und seine Er­ mordung am 25. Februar 1634 zu Eger. Das bisherige wallensteinische Heer trat unter den Oberbefehl des Erzherzogs Ferdinand — des späteren Kaisers Ferdinand III. —, dem der General Graf Gallas zur Seite stand. Es gelang diesem Heere, Regensburg zurückzugewinnen. Nördlingen wurde belagert, und hier stieß ein neues spanisches Heer unter dem Generalinfanten Fer­ nando zu den Kaiserlichen,, die den zum Entsatz heranrückenden Schweden am 5. und 6. September 1634 eine blutige Niederlage be­ reiteten. Bernhard von Weimar floh nach Frankfurt und von da in das Elsaß. Süddeutschland war von den Schweden befreit. Die kaiserlichen Erfolge führten eine Spaltung zwischen den Schweden und ihren deutschen Bundesgenossen herbei. Die nord­ deutschen protestantischen Fürsten waren des ihnen zum Teil aufgebrungenen Krieges müde. Kurfürst Johann Georg von Sachsen vor allem trieb eine auf Frieden abzielende Politik. Am 30. Mai 1635 idtn zwischen dem Kaiser, Sachsen und den meisten norddeutschen Protestantischen Fürsten ein Frieden zu Prag zustande.

4. Der schwedisch-französische Krieg 1635—1648. Allein die Schweden waren nicht gewillt, ihre Eroberungen preis­ zugeben. Sie traten in ein Bündnisverhältnis zu Frankreich. Aus einem Krieg von Fürsten und Ständen gegen die kaiserliche Gewalt wurde ein Kampf auswärtiger Mächte, vor allem Frankreichs, um die Vor­ machtstellung in Europa gegen das deutsche Kaisertum. Im Wesentlichen wurde auf zwei Kriegsschauplätzen gefochten. In Süd- und Westdeutschland kämpften die Kaiserlichen und die Bayern gegen die Franzosen, in Norddeutschland die Kaiserlichen und die mit ihnen verbündeten norddeutschen Fürsten gegen die Schweden.

a) Die Kämpfe in Süd- und Westdeutschland. Bernhard von Weimar war gegen das Versprechen eines ober­ rheinischen Fürstentumes mit 18000 deutschen Söldnern in französische Dienste getreten. 1635 und 1636 kämpfte gegen ihn mit Glück der bayerische Reitergeneral Johann von Werth. Bernhard mußte sich auf Metz zurückziehen, während die Reiter Johann von Werths bis Paris streiften. Auch im Jahre 1637 konnten sich die Kaiserlichen am Ober­ rhein behaupten, dann aber wandte sich das Glück Bernhard von Weimar und den Franzosen zu. 1638 drang er durch die neutrale Schweiz vor, nahm Freiburg im Breisgau und belagerte Breisach. Drei kaiserliche Entsatzversuche wurden abgeschlagen; am 17. Dezember 1638 fiel die Stadt. Eine rasche Krankheit endete das Leben Bernhards am 18. Juli 1639. Seine deutschen Söldner traten nun unter unmittel­ baren französischen Oberbefehl. 1639 und 1640 konnten die Franzosen ihre Machtsphäre bis nach Hessen ausdehnen. Eine gemeinsame Ope­ ration, die der französische Feldherr Quebriant und der Schwede Banör Ende 1640 gegen den Reichstag in Regensburg planten, kam wegen plötzlich eintretenden Tauwetters nicht zur Durchführung. Die feind­ lichen Heere teilten sich wieder; Ouebriant ging 1641 über Bamberg gegen Wolfenbüttel, wo er am 29. Juni 1641 ein kaiserliches Heer schlug. Von Westfalen kehrte Quebriant dann an den Rhein zurück. Für 1643 wurde eine erneute gemeinsame Offensive der Fran­ zosen und Schweden (nach Baners Tode unter Torstenson) geplant. Johann von Werth verhinderte die Vereinigung der beiden Heere und trieb die Franzosen zurück. Ouebriant zog Verstärkungen an sich, wurde aber in einem Treffen bei Rottweil am 17. November tätlich ver­ wundet. Wenige Tage darauf — am 24. November — überfiel der bayerische General Mercy das französische Heer bei Tuttlingen und rieb es völlig auf. 1644 trat an Ouebriants Stelle Turenne. Eine Schlacht bei Freiburg vom 3—5. August 1644 blieb unentschieden. Turenne wandte sich wieder zum Rheine und drang bis Mainz vor. 1645 versuchten Turenne und Condo, in Bayern einzufallen. Mercy wehrte in der Schlacht von Mergentheim am 5. Mai 1645 das fran­ zösische Vordringen ab. Bei Alerheim wurde er zwar am 3. August

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■1645 von Conde geschlagen und fiel selbst im Kampf; allein die stark geschwächten Franzosen mußten sich an den Rhein zurückziehen. 1646 vereinigten sich Franzosen.und Schweden bei Fritzlar und drangen gemeinsam nach Bayern vor, das fast ganz erobert wurde. Kurfürst Maximilian wurde am 14. März 1647 zu einem Neutralitätsvertrag ge­ nötigt, den er am 14. September kündigte. Die Gegner fielen darauf­ hin erneut in Bayern ein, schlugen am 17. Mai 1648 die Kaiser­ lichen bei Zusmarshausen und verheerten Bayern bis zum Inn. Picco­ lomini und Johann von Werth, der nach dem Neutralitätsvertrag in kaiserliche Dienste getreten war, trieben die Verbündeten nach Schwaben zurück.

b) Die Kämpfe in Norddeutschland. Das Glück war zuerst den Kaiserlichen hold, die bis nach Hinter­ pommern vordrangen. Als Hilfe aus Schweden eintraf, schlug sie Baner bei Dömitz an der Elbe am 1. November 1635 und Torstenson am 17. Dezember bei Kyritz. Im folgenden Jahre drang Baner bis Erfurt vor, nachdem er die Kaiserlichen und Sachsen am 4. Oktober bei Wittstock geschlagen hatte. Das Jahr 1637 war für die Kaiserlichen günstiger. Die Schweden wurden bis an die Oder und Ostsee zurück­ gedrängt. Ein kaiserlicher Sieg bei Vlotho am 17. Oktober 1638 ver­ schaffte auch in diesem Jahre dem Kaiser das Uebergewicht in Nordderüschland. 1639 begannen die Versuche der Schweden, in die kaiserlichen Erblande vorzudringen. Baner fiel in Böhmen ein, siegte bei Brandeis und zog vor Prag. Vor einem Entsatzheer unter Piccolomini mußte er sich nach Thüringen zurückziehen, zumal die Zuverlässigkeit der norddeutschen Bundesgenossen zweifelhaft erschien. 1640 kam es nicht zur Schlacht, trotzdem sich die schwedischen und kaiserlichen Heere bei Saalfeld gegenüberstanden. Im Februar 1641 jagte Baner in einem küh­ nen Vorstoß nach Regensburg den Reichstag auseinander; allein die ge­ wünschte Vereinigung mit den Franzosen kam nicht zustande (f. oben). Am 20. Mai 1641 starb Baner. Sein Nachfolger Torstenson drang nach Abschluß eines Waffenstillstandes mit Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg im Jahre 1642 über Schlesien nach Mähren vor und belagerte Olmütz. Zu einem Zug nach Wien reichten seine Kräfte nicht aus. Nach einer vergeblichen Belagerung von Olmütz zog er sich nach Sachsen zurück, wo er am 2. November bei Breitenfeld mit 20 000 Schweden 23 000 Kaiserliche und Sachsen schlug. Ein Zug Torstensons 1643 nach Böhmen und Mähren wurde durch die Kriegserklärung König Christians von Dänemark an die Schweden unterbrochen. Dem nach Schleswig-Holstein abziehenden Torstenson folgte ein kaiserliches Heer unter Gallas, ohne daß es zur Schlacht kam. 1644 zog Torstenson wieder nach Süden, Gallas folgte ihm. Ein Einfall Georg Rakoczys von Siebenbürgen nach Ungarn wurde von kaiserlichen Streitkräften zurückgeschlagen.

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1645 zwang General Graf Wrangel die Dänen zum Frieden. Torstenson fiel erneut in Böhmen ein, schlug am 6. März 1645 bei Iankau ein kaiserliches Heer unter Götz und marschierte gegen Wien. Am Widerstande Brünns erschöpfte sich die Kraft des Vormarsches. Wien wurde nicht erreicht. Sachsen mußte sich zur Neutralität ver­ stehen. 1646 drangen die Schweden unter Torstensons Nachfolger Wrangel — Torstenson kehrte, gesundheitlich erschüttert, nach Schweden zurück — gemeinsam mit den Franzosen in Bayern ein (f. oben), wo der Kurfürst zum Waffenstillstand genötigt wurde. 1647 versuchte Wrangel einen neuen Einfall in Böhmen, nahm Eger, mußte dann aber wieder zurückgehen. ■1648 wandte sich Wrangel mit Turenne wieder gegen Bayern (f. oben). Sein General Graf Königsmark eroberte die Kleinseite von Prag am 26. Juli 1648. Wrangel mußte mit den Franzosen vor den Kaiserlichen und Bayern nach Schwaben zurückgehen, als der Friede die kriegerischen Handlungen unterbrach.

Der Friede von Osnabrück und Münster, der am 24. Oktober ■1648 abgeschlossen wurde, machte einem Krieg ein Ende, der bis zur völligen Erschöpfung Deutschlands geführt worden war. Namentlich in der zweiten Hälfte des Krieges sind die Truppen mit unerhörter Grausamkeit und Rohheit verfahren. Die Verwüstung weiter Land­ strecken hatte zu einem Ueberwiegen der Reiterei in den Heeren geführt, da diese die unfruchtbaren Gebiete rascher durcheilen konnte; die Be­ setzung feindlicher Gebiete nur durch Kavallerie war allerdings wenig nachhaltig. Die häufige Aufgabe eroberten Landes hängt damit zu­ sammen. Frankreich und Schweden waren schließlich im Kriege mili­ tärisch überlegen geblieben; allein der Kaiser war nicht verloren, solange Böhmen nicht entgiltig im feindlichen Besitz war. Der Frieden brachte Schweden die pommersche Ostseeküste, Frank­ reich Teile des Elsaß. In Deutschland selbst traten Machtverschie­ bungen ein, deren wichtigste für die spätere Entwicklung Deutsch­ lands das Hineinwachsen Brandenburgs nach Deutschland durch den Zufall mitteldeutscher Stifte, die Gewinnung der Kur und der Ober­ pfalz durch Bayern und die Schaffung einer neuen pfälzischen Kur war. Die religiösen Gegensätze traten zurück.

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IV Die stehenden staatlichen Heere von 1650—1800. Sm Reiche war die kaiserliche Macht geschwächt; die Landesfürsten und die Reichsstädte hatten sich durchgesetzt. Aber die deutschen Fürsten waren noch nicht in der Lage, die landesherrliche Gewalt in voller Ausdehnung auszuüben. Sm Laufe der nächsten Sahrzehnte mußte ihre Autorität erst gegenüber den Gewalten erkämpft werden, die nun innerhalb der Einzelstaaten auf Selbständigkeit hinarbeiteten. Es war dabei der Traum von alter deutscher Kaiserherrlichkeit und deutscher Größe nicht erloschen; mit ihm verband sich die Erkenntnis, wie schwer es den Einzelstaaten fallen werde, sich ohne Stütze des Reiches Gel­ tung zu verschaffen. Allein letzten Endes überwogen die Snteressen des Einzelstaaten. Der Westfälische Frieden regelte auch die inneren Verhältnisse Deutschlands und gewann in seinen Bestimmungen über die Reichs­ verfassung grundlegende Bedeutung. Diese Bestimmungen sind nicht etwa Neuerungen, sie gaben vielmehr den Verhältnissen rechtliche Geltung, die sich im Laufe der letzten anderthalb Sahrhunderte in Deutschland herausgebildet hatten. Die Reichsverfassung war ein Abkommen zwischen dem Kaiser und den Reichsständen. Dem Kaiser verblieb die Reichsgesetzgebung und die Reichssteuer, die Entscheidung über Krieg und Frieden und Bündnisse des Reiches, über militärische Aushebung und Reichsbefestigung; doch mußte er die Zustimmung des Reichstages erholen. Der Reichstag setzte sich aus drei Kollegien zusammen, in denen die acht Kurfürsten, die 165 geistlichen und weltlichen Reichsfürsten und die 61 Reichsstädte faßen; da der Reichs­ tag seit 1663 ständig tagte und von den Reichsständen mit Gesandten beschickt war, kann er als Ueberleitung zum späteren Bundesrat ange­ sehen werden. Die Reichsstände übten innerhalb ihrer Gebiete die Ho­ heitsrechte aus und durften untereinander und mit fremden Fürsten Bündnisse abschließen, sofern sich diese nicht gegen Kaiser und Reich, gegen den Landfrieden und gegen die Bestimmungen des westfälischen Friedens richteten. Dadurch und durch den Umstand, daß fremde Staaten, wie Frankreich und Schweden vermöge ihrer deutschen Be­ sitzungen deutsche Reichsstände geworden waren und im Reichstag Sitz und Stimme hatten, war der fremden Einmischung in deutsche Verhält­ nisse das Tor geöffnet. Die Reichsverfassung ist schon von den Zeitgenossen angefochten worden. Der Staatsrechtslehrer Samuel von Pufendorf (Severinus de Monzambano) nannte 1667 das Deutsche Reich ein Monstrum, das sich in die aristotelische Staatslehre nicht einfüge. Boguslav Philipp von Chemnitz (Hipolitus a Lapide) kämpfte gegen ein erbliches Kaisertum der Habsburger. Leibnitz (teilweise unter dem Pseudonym Caesarius Fuerstenarius) vertrat einen ausgleichenden Standpunkt zwischen Kaiser und Fürsten. Die Verfassung konnte die Schwäche des

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Reiches nicht verdecken; offenkundig wurden die Bestimmungen über­ treten, die zugunsten der kaiserlichen Autorität sprachen. So schlossen eine Reihe von Reichsfürsten — Mainz, Köln, Neuburg, Münster, Braun­ schweig, Hessen-Cassel — 1658 den ersten Rheinbund mit Frankreich und Schweden, der ein eigenes Bundesheer vorsah und seine Spitze gegen Leopold I. richtete. Die Ohnmacht des Reiches steigerte sich von da bis zum 2. Rheinbund von 1806, der den formellen Zerfall des deutschen Kaisertums herbeiführte. Das Streben der Einzelstaaten nach Souveränität spitzte sich zu dem Kampf um die Vorherrschaft zwischen Oesterreich und Preußen zu, dessen Anfänge in der Zeit nach dem dreißigjährigen Krieg liegen. Die Tragik dieses Kampfes und seines Ausganges liegt darin, daß große Teile kerndeutschen Volkes außerhalb des Reichsverbandes traten, während undeutsche, zum Teil feindliche Volksteile gegen ihren Willen dem deutschen Reiche zugebracht wurden.

A. Heerwesen. Es ist notwendig, sich die Reichsverfassung und ihre Folgen vor Augen zu halten, um die Entwicklung des deutschen Heerwesens zu verstehen. Maßgebend für die Ausgestaltung der Heereseinrichtungen wurde nicht das Reich. Die Einzelstaaten waren die Träger der Ideen, während in Frankreich sich Alles zentralistisch zusammenschloß. Fremde, vor allem französische Einflüsse wurden auch im Heerwesen ausschlaggebend. Ein Grundsatz setzte sich nach dem dreißigjährigen Krieg durch, der nicht von Deutschland ausging, sondern sich allmählich in allen Militärstaaten Europas entwickelte: die Aufstellung stehender Heere. Die Fürsten wollten den Schutz ihrer Staaten nicht mehr dem Söldner anvertrauen, der nur im Kriegsfall angeworben wurde und unverlässig war. Das Heer sollte als eine dauernde Institution dem Staate einverleibt werden und, wenn auch größtenteils aus fremden Elementen zusammengesetzt, sich dem Fürsten, dem es diente, besonders verbunden fühlen. Zwei hindernde Momente mußten die Landes­ fürsten in harten Kämpfen überwinden: den Widerstand der Stände, die die Mittel zum dauernden Unterhalt von Truppen nicht aufbringen wollten, und die noch schwierigere Opposition der Obristen, die ihre Rechte als freie Werbeherren aufgeben und sich dem Staate einfügen sollten. Den Widerstand der Stände half ein Umstand zu überwinden, den der dreißigjährige Krieg mit sich gebracht hatte: unzählige brotlos gewordene Söldner durchzogen gartend das ganze Land; wo der Landes­ fürst nicht über eine verlässige ständige Truppe verfügte, da dauerte der Kleinkrieg, den diese Banden notgedrungen führten, noch jahrelang an. Bürger und vor Allem Bauern waren ihres Besitzes und ihres Lebens nicht sicher. Es zeigte sich, daß die bewaffnete Macht des Staates allein die Sicherheit gedeihlicher Entwicklung des staatlichen Lebens gewährleisten konnte. Der Widerstand der Obristen als Werbe-

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Herren aber hörte erst mit dem Absterben einer Generation völlig auf, die in den Anschauungen des dreißigjährigen Krieges großgewachsen war. Für die weitere Entwicklung des Heerwesens war die Stellung von Wichtigkeit, die der Fürst dem Staate gegenüber einnahm. Der Abso­ lutismus zeigt unendliche Verschiedenheiten. Zwischen Ludwig XIV. von Frankreich, der den ganzen Staat auf seine Person einstellte und keinen Richter über sich anerkannte, und Friedrich Wilhelm I. von Preußen, der das Königtum als Amt ansah, das ihm von Gott übertragen worden war und über das er einst Rechenschaft ablegen müsse, besteht ein gewaltiger Unterschied. Allen absoluten Herrschern aber ist der Begriff des Staates als eines fürstlichen Privateigentums, nicht als einer Volksgemeinschaft geläufig. Für die Heereseinrichtungen war diese Auffassung insofern von Bedeutung, als der Fürst sich zum Schutze des Staates als seines Eigentums verpflichtet fühlte, ohne dabei die allgemeine Wehrpflicht in Anspruch zu nehmen. Bei Wer­ bungen und Aushebungen wurden die produktiven Stände geschont und von den Inländern nur das in die Armee eingestellt, was sonst nicht zur Hebung des Wertes des Staates beitragen konnte. In der Hauptsache suchte man den Bedarf an Soldaten im Ausland zu decken, nach dem Grundsatz des französischen Ministers Choiseul, der er­ klärte, ein im Ausland geworbener Soldat habe den Wert von drei Men­ schen, einmal seinen eigenen als Soldat, dann den des Mannes, der den bürgerlichen Berufen des eigenen Landes erhalten bleibe, und den des dritten, den man dem Gegner wegnehme. Die allgemeine Wehrpflicht lebte ein kümmerliches Dasein in den Landmilizen usw. fort; das stehende Heer aber wurde zum Ausdruck des fürstlichen Willens. Das System der stehenden, geworbenen Heere verband sich mit der Heranziehung des kriegerischen Standes, des Adels, zum Dienst in Offizierskorps, das damit bodenständig wurde. Das so geschaffene Heer stand über dem Söldnertum, aber unter dem Volksheer. Es war das allein mögliche System für das XVIII. Jahrhundert, in dem das Volk noch außerhalb des staatlichen Lebens stand. a) Heeresaufbringung.

1. Das Reich. Das Reich entwickelte sich zum Bundesstaat. Reichsgebiete, aus denen ein eigenes Reichsheer durch Aushebung geschöpft werden konnte, waren nicht vorhanden; zur Werbung eines besonderen stehenden Reichsheeres fehlten die laufenden Steuereinnahmen. Für die Auf­ stellung des Reichsheeres war also der Weg gewiesen, die militärischen Machtmittel der einzelnen Reichsstände zu vereinen. In einem einzigen Punkt ging die entstehende Reichskriegsverfassung fortschrittlich voran: während den Einzelstaaten überlassen blieb, wie stark sie ihre militä­ rische Macht im eigenen Sinn anspannen wollten, forderte das Reich 7*

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von den Reichständen eine Beteiligung an der militärischen Rüstung, die der wirtschaftlichen Lage der einzelnen Reichsstände und -kreise entsprach. Aber dieser einzige Vorzug der Reichskriegsverfassung stand nur auf dem Papier. In der Praxis entzogen sich die Reichsstände nur zu häufig ihren militärischen Pflichten dem Reiche gegenüber. Die Reichsmatrikel vom 30. August 1681 setzte nach dem Beschluß des Reichstages für die zehn Reichskreise, zu denen die Reichsstände zusammengefaßt waren, nachstehende militärische Leistungen fest:

Das Simplum des Reichsheeres sollte 40 000 Mann betragen) davon trafen auf den Kurrheinischen Kreis 600 Mann zu Pferde, 2707 zu Fuß den Obersächsischen Kreis 1322 2707 ), )) n den Oesterreichischen Kreis 2522 5507 ,) >> n n ,) den Burgundischen Kreis 1321 2708 >) )) n n )) den Fränkischen Kreis 980 1902 >) >> >> >> >1 den Bayrischen Kreis 800 ■1494 n )) » n den Schwäbischen Kreis 1321 2707 >) )) )> M n den Oberrheinischen Kreis 491 2853 M n H M ,, den Westfälischen Kreis 1321 2708 >) ,> >> )) >) den Niedersächsischen Kreis 1322 2707 H M n n n In Summa also 12000 Reiter (darunter 2000 Dragoner) und 28 000 Mann zu Fuß. Hiezu kam noch leichtes und grobes Geschütz und ein Ingenieurkorps mit einem Brückentrain; den Kreisen war Ablösung in Geld an den Reichsfeldzeugmeister gestattet. Die Befehlsgewalt über das Reichsheer stand dem Kaiser zu. der in Uebereinstimmung mit dem Reichstag zu Regensburg im Kriegsfall den Reichsfeldmarschall und die Reichsgeneralität ernannte. Besichtigungsbefugnisse schon im Frieden hatten die von den Kreisen ernannten Kreisobristen. Die Gestellung der den Kreisen auferlegten Zahl von Mannschaften erfolgte in Regimentern und Eskadrons. Die Zusammensetzung inner­ halb dieser Formationen aber war sehr bunt. Die größeren Reichs­ stände» wie Bayern, Sachsen, Brandenburg, stellten zwar geschlossene Truppenteile, bei den kleineren aber verteilte sich die Verpflichtung zur Gestellung der Mannschaften auf Bruchteile herab; so hatte etwa die Reichsstadt Buchau in Schwaben IVs Infanteristen zu stellen. Wenn auch bei solchen Gestellungen oft Geldablösung stattfand, so konnten doch auch die kleinen Reichsstände von dem Recht Gebrauch machen, ihre Soldaten in Person zu stellen. Dies führte zu dem Mißbrauch, Armen- und Zuchthäuser 311 leeren, um so billige Soldaten zu gewinnen und sich gleichzeitig die Insassen dieser Institute vom Halse zu schaffen. Bunt war auch die Zusammensetzung des Offizierskorps, dessen Ernennung nicht dem Reiche oder auch nur dem Kreise, sondern den

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Reichsständen zusiel, die aus dem Verkauf der Offiziersstellen häufig ein Geschäft machten. Die Institution der Kreisobristen kam allmählich in Verfall; der Zusammenhalt der Kreiskontingente wurde dadurch noch mehr geschwächt. Das Simplum von 40000 Mann konnte vervielfacht werden. Gewöhnlich war die Ausschreibung eines Triplums, d. h. der drei­ fachen Zahl von Leuten. Das Simplum entsprach nicht der tatsächlichen wirtschaftlichen Kraft der Reichsstände. Eine Anzahl von Staaten des Reiches, Oester­ reich, Sachsen, Bayern, Brandenburg-Preußen waren im Laufe der Periode imstande, für sich allein größere Heere aufzustellen, als das gesamte Reichsheer. Dieser Zustand erhielt sich bis 1866 und zeigt das völlige Eigenleben der Staaten im Reiche.

2. Oesterreich. Oesterreich als der deutsche Kaiserstaat nahm die führende Stellung im deutschen Reich auch in militärischen Dingen ein. Preußen machte sie dem Donaustaat im Laufe der Periode streitig, aber noch keines­ wegs mit unbestrittenem Erfolg. Der glanzvollste Vertreter des militärischen Oesterreich war Prinz Eugen von Savoyen (1663—1736), der seit der Ablehnung seiner militärischen Dienste durch Ludwig XIV. im Jahre 1683 im kaiser­ lichen Dienste stand. Neben seinen unsterblichen Verdiensten als Feld­ herr und Staatsmann stehen seine Schöpfungen auf dem Gebiete der militärischen Organisation. Der Glanz seines kriegerischen Namens, die Zweckmäßigkeit seiner Reformen, seine absolute Kaisertreue, wie sein Gerechtigkeitssinn und seine persönliche Güte gaben den Reformen eine Basis, die die österreichische Armee über die Armeen der Zeit hob. Die besondere „Kaiserlichkeit" der österreichischen Armee und vor allem ihres Offizierskorps ist auf das Wirken des Prinzen Eugen zurückzuführen. Das Werbesystem mußte Prinz Eugen auch für die österreichische Armee beibehalten. Kein absolutistischer Staat konnte zur allgemeinen Wehrpflicht kommen. Allein es ist bemerkenswert, daß Prinz Eugen zu den weitschauenden Geistern gehörte, die der Volksbewaffnung das Wort redeten. Die Landesdefension, die in Oesterreich, wie in anderen deutschen Staaten als Rudiment der Teilnahme des ganzen Volkes am Kriegsdienst bestand, wurde unter ihm der Gegenstand größerer Aufmerksamkeit. Es ist unter dem Prinzen der Fall eingetreten, daß ein Regiment, das für die Landesdefension aufgestellt war, in das stehende Heer übernommen wurde, ohne daß die Soldaten von dem Rechte des Ausscheidens Gebrauch machten. Allein das stehende Heer blieb auch in Oesterreich das Organ zur Ausführung des fürst­ lichen und staatlichen Willens. Der Gedanke der allgemeinen Wehr­ pflicht wurde auch im Kaiserstaat nicht auf das stehende Heer über­ tragen.

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Im Gegensatz zu der Mehrzahl der anderen Staaten aber gab man in Oesterreich dem inländischen Soldaten den Vorzug vor dem Aus­ länder. Feldmarschall Graf Khevenhüller erkannte in seinen mili­ tärischen, sehr maßgebenden Schriften dem Inländer größere Verlässigkeit zu. Eine verhältnismäßig zahlreiche Bevölkerung, die in den östlichen Gebieten des Staates noch dazu unkultivierter und kriegerischer war, als in den deutschen Mittel- und Weststaaten, er­ leichterte die Werbung im eigenen Land ohne Schädigung der wirt­ schaftlichen Interessen. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts ging man zur Ergänzung der Werbung durch die Konskription von Landeskindern über. Unmittel­ bar nach dem Hubertusburger Frieden von 1763 machte Maria Therisa den Versuch, eine allgemeine Konskription durchzuführen. 1770 erschien ein Gesetz über die Einrichtung von Kantonen, ähnlich wie in Preußen. •1781 regelte ein neues Gesetz, das bis 1804 in Kraft blieb, erneut die Konskription. Diese Versuche sind Vorläufer der allgemeinen Wehrpflicht. Der Staat legte zunächst die Hand auf das wehrfähige Volk. Zu allgemeiner Aushebung führte die Einschreibung in die Listen noch nicht. In den Heeren überwogen nach wie vor die Geworbenen. Die zahlreichen Aus­ nahmen von der Konskriptionspflicht, die die Verordnungen vorsahen, gaben fast Alle frei, von denen der Staat sich nutzbringende Arbeit erwartete. Die Konskription und noch mehr die tatsächliche Aushebung blieb auf unbrauchbare Elemente beschränkt. Sie erschien daher dem Be­ troffenen besonders hart und ungerecht. Die Zusammenstellung mit den Geworbenen, die unter harter Zucht standen, und von denen man zum Teil in der Gefahr nur widerwilliges Verbleiben bei der Fahne erwar­ tete, war nicht geeignet, die Aushebung im Volke populär zu machen. 3. Brandenburg-Preußen. Der kleine Staat stand zunächst militärisch in Deutschland an vierter Stelle. Neben Oesterreich waren die sächsische Armee und die Bayern unter Max Emanuel zahlenmäßig und nach ihrer Organisation den Brandenburgern überlegen. Der Große Kurfürst von Brandenburg, Friedrich Wilhelm (1640 —1688) schuf aus dem durch den dreißigjährigen Krieg arg mitgenom­ menen Land einen gefestigten Staat mit einer kleinen, aber tüchtigen Armee. Die Heeresergänzung geschah auch hier durch Werbung, die bei den geringen Mitteln des armen Staates in der Hauptsache auf das Inland beschränkt war. Unter seinem Nachfolger Friedrich III. (1688—1713; seit 1701 als König in Preußen Friedrich I.) wurde der Armee nicht mehr die gleiche Sorgfalt wie unter dem Großen Kurfürsten zugewandt. Bemerkenswert sind einzelne Versuche, das allgemeine Volksaufgebot, das neben der Armee bestand durch Verordnungen in den Jahren 1701—1705 neu zu

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beleben. Auch in Brandenburg stand die Landmiliz, wozu auch die „Ritter- und Lehenspferde" zu rechnen waren, durchaus neben dem ste­ henden Heer, ohne mit ihm in irgend eine Verschmelzung zu treten. Im Gegenteil schützten Enrollierungen in die Landmiliz vor der Wer­ bung für das stehende Heer.

Das brandenburgisch-preußische Heer hatte keine große Bedeutung, als der Sohn Friedrichs I., König Friedrich Wilhelm I. (1713—1740) zur Regierung kam. Die selbstlose und sparsame Regierung dieses zielbewußten Herrschers schuf für Preußen und damit auch für die preu­ ßische Armee die Grundlagen, auf denen es zur deutschen und europäi­ schen Großmacht heranwachsen konnte. In seinem „Testament an seinen lieben Successor" von 1722 gibt der König eine Schilderung von dem zerrütteten Zustand, in dem er Land und Armee übernommen hatte; in der Armee und in den Finanzen sieht er die Grundpfeiler des Staates. Beide war er restlos zu heben bemüht. Der Armee gehörte Friedrich Wilhelm I. mit Leib und Seele an. In seinen Verordnungen über die Gestaltung des Heeres finden sich Ge­ danken, die über die Anschauungen seiner Zeit hinausgehen, und in denen der Herrscher seinen sonst größeren Sohn überragt. Die Werbung war in Preußen die übliche Form der tzeeresaufbringung; der König sann auf die Heranziehung der ganzen Kraft des eigenen Volkes zum Heeresdienst. Der Weg war nicht so leicht zu finden, als es heute scheinen könnte. Die Notwendigkeit, mit menschlichen Arbeitskräften zu sparen, verlangte die Schonung aller Produzenten in den näh­ renden Berufen; eine freiwillige Hingabe des Volkes an den Waffen­ dienst der das ganze Leben dauerte, war nicht zu erwarten, da dieser Pflicht keine Rechte gegenüberstanden. So mußten letzten Endes die Versuche Friedrich Wilhelms im Großen scheitern; allein sie führten doch der Armee neues Leben zu und änderten vor Allem den Geist des Heeres, das sich vom Söldnertum des dreißigjährigen Krieges einen bedeutenden Schritt weiter entfernte. Die Schwierigkeit, die Hee­ resaufbringung neu zu gestalten, drückt sich in dem Schwanken aus, das die Erlasse des Königs in der ersten Hälfte seiner Regierung bezüglich Werbung und Aushebung zeigen. Von 1713—1733 durchlaufen sie alle Stufen vom völligen Verbot auch der freiwilligen Werbung im In­ land bis zur zwangsweisen Aushebung von Rekruten. Die Auslands­ werbung wurde zeitweise gefördert, zeitweise in den Hintergrund gestellt.

Gegen die Miliz verhielt sich der König zunächst ablehnend. Am 7. März 1713, also unmittelbar nach der Thronbesteigung, wurde sie aufgehoben. Die Gründe sind in der militärischen Minderwertigkeit der Landmiliz und in dem Umstand zu suchen daß sie ein tzemnis für die Ergänzung des stehenden Heeres war. Sogar der Ausdruck „Mili­ tär" durfte auf das stehende Heer nicht angewendet werden. 1729 aber errichtete der König selbst wieder Landregimenter, die bei Kriegsausbruch

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den Garnison- und Polizeidienst übernehmen sollten. Auch ein Entwurf für ein Landesaufgebot im Falle eines polnischen Einfalles entstand. Erst im Jahre 1733 hatte sich der König zur Klarheit über die Mög­ lichkeiten der Heeresergänzung durchgerungen. Das sogenannte Kanton­ reglement von 1733 — kein geschlossenes Reglement, sondern eine Reihe von Verfügungen an die einzelnen Regimenter — ist für die Entwick­ lungsgeschichte der tzeeresergänzung besonders bedeutungsvoll. Es schuf, wie fast alle Bestimmungen auf diesem Gebiete, nicht grundsätzlich Neues, aber es legalisierte gewordene Zustände und verlieh ihnen festere Form. Nach dem Reglement wurde das ganze Land in Kantonbezirke eingeteilt, die den einzelnen Regimentern zugewiesen wurden. Das Land war noch nicht dicht genug bevölkert, um den ganzen Heeresersatz durch Aushebung aufzubringen; immer noch lag das Hauptgewicht auf der Werbung und bei dieser spielte die Auslandswerbung eine große Rolle infoferne, als unter Friedrich Wilhelm I. noch 1/3, später, nach den großen Kriegen, sogar wieder 2/3 des Heeres aus Ausländern bestanden. Das Kantonreglement sah zunächst nur eine Bestandsaufnahme der wehrfähigen jungen Leute vor. Allein im Bedarfsfälle war somit doch die Möglichkeit gegeben, auf die Aushebung von Konskribierten zurück­ zugreifen. Der Ersatz war sichergestellt. Einen bedeutsamen Fortschritt aber machte das Reglement in dem Satz, der in der Resolution vom 15. September 1733 steht, die zum Kantonreglement gerechnet wird: „Alle Einwohner des Landes sind zu den Waffen geboren und sind dem Regiment obligieret, zu dessen Kantondistrikt die Feuerstelle gehört, auf der sie geboren sind." Damit wurde einmal die allgemeine Wehr­ pflicht, die in den Landmilizen fortbestanden hatte, erneut ausgesprochen, und — und das ist die bedeutsame Neuerung — von der Miliz weg auf das stehende Heer übertragen. Das Reglement hat neben seiner Bedeutung für die Sicherstellung des notwendigen Ersatzes und für die Regelung der Konskription und Aushebung innerhalb des Landes und der Armee noch eine andere; es zeigt, daß der König im Kampfe gegen die Selbstherrlichkeit der Grund­ besitzer, der „Junker" Sieger geblieben war. Der Kompagniechef war für die Vollzähligkeit der Kompagnie verantwortlich. Durch die Be­ strebungen des Königs (f. unter „Offizierskorps") war der bodenständige Adel ins Offizierskorps gezogen worden. Die Schwierigkeit und Kost­ spieligkeit der Beschaffung des Mannschaftsersatzes hatte nun diejenigen Kompagniechefs, die entweder selbst Gutsbesitzer waren, oder zu be­ güterten Familien gehörten, veranlaßt, den Ersatz ihrer Kompagnien zum Teil aus den eigenen Gutsuntertanen zu nehmen. Das Verfahren war für den Kompagniechef, für den Ausgehobenen und für die Armee nicht schlecht; der Kompagniechef sparte die Kosten der Werbung; nach voll­ endeter Ausbildung wurde der Soldat wieder in die Heimat entlassen^ konnte dort seinen bäuerlichen Obliegenheiten nachgehen und verdiente für den Gutsherren und für sich selbst; die Armee gewann eine gewisse

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kleine Reserve im Lande, da der Gutsherr, der Kompagniechef war, lieber öfters junge Leute neu ausbildete, als die alten, die als Arbeiter wertvoller geworden waren, immer wieder zum Exerzieren einzog. Die Mißhelligkeiten des Systems lagen darin, daß nicht jeder Kompagnie­ chef Gutsbesitzer war und über Untertanen verfügte, und darin, daß der Ersatz weit hergeholt werden mußte, wenn z. B. der Kompagniechef im Westen des Königreiches in Garnison stand und sein Gut in Ost­ preußen lag. 3m Kantonreglement greift der König in die Gutsherrlichkeit zu Gunsten des Ganzen ein und legt die Hand auf die wehrfähigen jungen Gutsuntertannen. Nicht mehr der Gutsherr stellte seine Leute in seine Kompagnie ein, sondern der König verlangte sie für die Armee überhaupt und befahl, welchem Regiment sie angehören sollten. Die Konskribierten waren für die militärische Verwendung der Gewalt des Gutsherrn entzogen und unterstanden nun nicht mehr der Gerichtsbarkeit des Guts­ herren, sondern des Regiments. Das äußere Zeichen der Konskribierten, das Püschel am Hute und später die militärische rote Halsbinde, be­ deutete, daß der Mann nicht mehr restlos dem Gutsherrn leibeigen, son­ dern ein Mann des Königs und seiner Armee war. Die Wirkung des Kantonreglements war groß. Der Ersatz der Armee konnte mit größerer Ruhe und Stetigkeit betrieben werden; eine Verbindung des bäuerlichen Teiles der Bevölkerung mit der Armee entstand; der erzieherische Einfluß der Kaserne auf einen Teil des Volkes setzte ein. Allein zur Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht führte das Kantonsystem noch keineswegs; dazu waren die Ausnahmen von der Kantonpflicht zu groß, und dann wurde auch nur ein Teil der Konskri­ bierten tatsächlich zum Waffendienst ausgehoben.

Diese von Friedrich Wilhelm I. geschaffene Institution wurde von seinen Nachfolgern nicht ausgebaut. Friedrich der Große dachte absolu­ tistischer und aristokratischer als sein Vater. Er legte das Hauptgewicht der Erziehung in die Armee auf die Ausbildung der Führer. Die Masse des Volkes und des Heeres stand ihm ferner. Die Kraft, die im Volke steckte und die den Wehrgedanken 'fruchtbar machen konnte, erkannte er nicht. Dazu kamen noch die trüben Erfahrungen eines kampfreichen Le­ bens, die den großen König zu einem Menschenverächter machten, der schließlich nur mit wenigen Erlesenen gerne verkehrte, und die wirt­ schaftlichen Schwierigkeiten des Retablissiments nach dem siebenjährigen Krieg. Die Auslandswerbung mußte wieder in den Vordergrund geschoben werden, um dem Lande möglichst viele einheimische Arbeitskräfte zu er­ halten. Und so wurde die Armee nach dem siebenjährigen Kriege nicht besser. Nach Friedrichs eigenem Urteil erreichte sie die Höhe nicht mehr, die sie in den ersten beiden schlesischen Kriegen und besonders vor dem siebenjährigen Kriege errungen hatte.

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Der Nachfolger Friedrichs des Großen verstanden nicht, die Armee zu heben. Es fehlte ihnen die nachhaltige Energie Friedrich Wilhelms I., der die Armee schuf, und die überzeugende Führerpersönlichkeit Fried­ richs des Großen, der sie auf seiner Bahn mit fortriß. Eine Reform wurde zwar nach Friedrichs Tode für nötig erkannt und eine Reihe von Plänen ausgearbeitet. Allein sie kam nicht zustande. ■1792 erschien unter Friedrich Wilhelm II. eine Neuausgabe des Kantonreglements, die infoferne wenigstens ein formales Fortschritt war, als die Dienstzeit im Heere nun nicht mehr auf Lebensdauer, sondern auf 20 Dienstjahre festgesetzt wurde. Die Ausnahmen von der Kantonpflicht nahmen jedoch einen solchen Umfang an, daß sich das neue Reglement weiter von der allgemeinen Wehrpflicht entfernte als das alte. Friedrich Wilhelm III. befaßte sich 1797 selbst in einer Denkschrift mit militärischen Reformen, die eine Organisationskommission zu beraten hatte. Zu einer praktischen Aenderung der tzeeresaufbringung kam es jedoch trotz des französischen Beispieles noch nicht. Der Name des großen Königs diente überalterten Generalen als Schutz vor unbequemen Neuerungen. An dem Zusammenbruch von 1806 trägt dieses Beharren in den Formen vergangener Zeiten, denen der lebendige Geist der großen Führer abhanden gekommen war, nicht zum wenigsten die Schuld. 4. Bayern, Sachsen und die übrigen deutschen Staaten. Die Heeresergänzung beruhte überall auf der Werbung. Die Be­ strebungen des Grafen Johann von Nassau in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zur Einführung der allgemeinen Wehrpflicht blieben vereinzelt. Der kriegerische Aufschwung der Bayern unter Max Emanuel führte nicht zu einer nachhaltigen Heeresform. Die Armee blieb unter ihrem berühmten Führer gut, verfiel aber unter den Nachfolgern. Bemerkens­ wert ist ein Versuch Max Emanuels vom Jahre 1702, den Regimentern aus den Landfahnen Rekruten zuzusühren; die Einrichtung bewährte sich nicht, da die „Landfähnler", der gutsherrlichen Gerichtsbarkeit entzogen, mehr Exzesse verübten, als Dienste leisteten. Den tiefsten Stand er­ reichten die kurpfalz-bayerischen tzeereseinrichtungen unter dem Kurfür­ sten Karl Theodor. In dessen Regierungszeit fällt der militärisch völlig verfehlte Reformversuch des Amerikaners Benjamin Thompson, Graf von Rumford. Rumford hatte aus dem amerikanischen Unabhängigkeits­ kriege die Idee von der Verteidigung des Landes durch die Bewohner mitgebracht, denen in Amerika ein rauhes, gefahrvolles Pionierdasein kriegerische Eigenschaften eingeimpft hatte. Er versuchte nun, amerikakanische Erfahrungen nach Bayern zu übertragen; statt daß der Far­ mer wie in Amerika im Kriegsfälle zum Gewehr griff, sollte hier im Frieden der Soldat einen produktiven Beruf ausüben. Die Folge war

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die Abwendung des Militärs vom Dienst. Ebenso wenig erfolgverspre­ chend war die Absicht Rumfords, die Hefe des Volkes, Landstreicher, Bettler, selbst Verbrecher, in der Schule des militärischen Dienstes zu brauchbaren Menschen zu erziehen. Die bayerische Armee wurde zum Korrektionsinstitut, dessen Ansehen in bürgerlichen Kreisen entsprechend gering war. Die Versuche, in Sachsen den Ersatz wenigstens teilweise durch Aushebung zu decken, stießen auf den stärksten Widerstand der Land­ schaft. Nicht einmal von dem verbrieften Rechte, 2% der Bevölkerung auszuheben, konnte der Kurfürst Gebrauch machen. Die freie Werbung blieb die alleinige Form der Heeresergänzung. Es ist bemerkenswert, daß trotzdem die sächsische Armee mit vorbildlicher Treue an ihrem Kriegsherrn hing. Als nach der Kapitulation von Pirna im Jahre 1756 die sächsischen Regimenter zwangsweise in preußischen Dienst gesteckt wurden, wichen viele Soldaten durch Desertion dem feindlichen Kriegs­ dienst aus und stießen zur österreichischen Armee. Während des Feldzuges gingen dann ganze Regimenter unter Führung ihrer Unter­ offiziere — die sächsischen Offiziere waren durch preußische ersetzt worden — mit fliegenden Fahnen zu den Oesterreichern über. Von den kleineren Staaten zeichnete sich Hessen-Cassel durch seine militärischen Einrichtungen besonders aus. Der kleine Staat unterhielt 11 Infanterie- und 7 Kavallerieregimenter mit Artillerie-, Jngenieurund Mineurkorps, deren Kriegstüchtigkeit anerkannt war. b) Offizierskorps. 1. Das Reich. Die Kriegsverfassung des deutschen Reiches hätte die Möglichkeit gegeben, von Seiten des Reiches aus den Reichskontingenten Muster­ truppen mit gutem Offizierskorps zu schaffen, die vorbildlich für die übrigen Truppen der deutschen Staaten hätten sein können. Weder die Reichskontingente, noch das Offizierskorps dieser Kontingente wurde in diesem Sinne ausgestaltet. Gerade beim Offizierskorps wären die Grundlagen für fachliche Arbeit gegeben gewesen. Der Reichsadel zog es vor, bei den Kreistruppen Dienste zu nehmen, statt sich einem Landesherrn zu verpflichten, dem sich die Angehörigen des Reichsadels ebenbürtig fühlten. Eine Reichskriegsschule hätte brauchbaren Offiziers­ ersatz heranbilden können. Es lag jedoch weder dem Kaiser am Herzen, die einzelnen Reichskontingente zu Pflanzschulen für die Heere der deutschen Staaten zu machen, die nicht immer auf seiner Seite fochten, noch hatten die Landesherrn ein Interesse am Erstarken des Reichs­ heeres, das ja unter Umständen zur Reichsexekution gegen jeden ein­ zelnen von ihnen verwendet werden konnte. So blieb das Offiziers­ korps des Reichsheeres uneinheitlich. An der Spitze des Reichsheeres stunden im Ernstfall bedeutende kaiserliche Generale) so bekleidete Prinz Eugen von Savoyen vom

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Jahre 1707 ab im spanischen Erbfolgekrieg die Würde des „Katho­ lischen Reichsfeldmarschalls". Auch für die Reichsgeneralität waren genügend tüchtige Generale verfügbar. Aber schon die Kreisobristen wurden von den Kreisen selbst ernannt und waren daher nicht immer nach ihrer militärischen Brauchbarkeit, sondern nach allen möglichen Rücksichten ausgesucht. Die Ernennung des unteren Offizierskorps aber war auf die Reichsstände verteilt und da spielten nichtmilitärische Gründe eine ausschlaggebende Rolle. Die fürstlichen und adeligen Reichsstände suchten jüngere Familienmitglieder mit den Offiziersstellen zu be­ lehnen, die gute Einkünfte trugen. Von den Städten und Stiftern wurden solche Stellen oft an den Meistbietenden verkauft, gleich­ gültig, ob der Betreffende militärisch geschult war oder nicht. 2. Oesterreich. Das österreichische Offizierskorps erfreute sich eines begründeten Rufes. Als sein Schöpfer darf Prinz Eugen von Savoyen angesehen werden, der ihm den Geist der Pflichterfüllung und der besonderen Einstellung auf die Person des Monarchen einimpfte, die das Offiziers­ korps von den Führern der Söldnertruppen unterschied. Der Wunsch, unter dem berühmten Feldherren zu dienen, hat eine Reihe tüchtiger Kriegsleute in die österreichische Armee geführt. Das tzauptkontingent für den Ersatz des Offizierskorps stellte der Adel der österreichischen Erblande, der die ritterliche Tradition der Pflege des Waffenhand­ werks übernommen hatte. Das zur Führerschaft geeignete, gebildete Bürgertum hielt sich stärker zurück; es besaß keine kriegerischen Eigen­ schaften und schwankte zwischen Verachtung und Angst vor der Soldateska. Doch stand in der österreichischen Armee die Offiziers­ laufbahn dem Bürgerlichen leichter offen als etwa in Preußen oder Sachsen. Maria Theresia faßte — hierin großzügiger als ihr Gegner Friedrich — die Entwicklung des Offizierskorps etwa so, wie die des ritterlichen Standes auf und schuf sich einen Schwertadel, der sich dem Geburtsadel eingliederte; unadelige Offiziere sollten nach ihrem Willen „nach zehnjähriger vorwurfsfreier Dienstzeit als nobilitiert an­ gesehen werden". Frühzeitig gründete man in Oesterreich Institute zur Heranbildung des Offizierskorps. Unmittelbar nach dem dreißigjährigen Krieg hinter­ ließ ein Privatmann, Johann Konrad von Richthausen, Freiherr von Chaos, sein gesamtes Vermögen zur Einrichtung einer militärischen Schule, -er „Chaosstiftung" zu Wien, in der Ingenieurkunst und andere Kriegswissenschaften gelehrt wurden. Die Schule war zunächst noch nicht staatlich. 1708 gründete Joseph I. nach dem Vorbilde einer „Fürsten- und Ritterschule", die die österreichischen Stände im XVII. Jahrhundert zu Wien eingerichtet hatten, die Ritterakademie zu Liegnitz. In Brüssel schuf Karl VI. eine Ingenieurschule, 1718 wurde

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zu Wien eine Ingenieurakademie gegründet, die später mit der Chaos­ stiftung verschmolz. Der höchste Aufschwung der Militärschulen war der Kaiserin Maria Theresia zu danken. 1744 gründete sie die Ritter­ schule zu Kremsmünster, 1746 die berühmt gewordene theresianische Ritterakademie. 1752 stiftete sie drei Schulen: die Kriegsakademie, die nur zur Aufnahme einiger vornehmer Edelleute bestimmt war, dann die Militärpflanzschule, die als Vörbereitungsschule gedacht war und 200 Kadetten aufnehmen konnte und endlich die Militärakademie zu Wienerisch Neustadt, die die Zöglinge dieser Pflanzschule übernahm und bis zur Offiziersreife erzog. Joseph II. vereinigte 1771 die beiden letztgenannten Institute in Wienerisch Neustadt. Die Anstalt hatte damals 400 Zöglinge. 1786 erhielt das Institut den Namen „Militärisches Kadettenhaus".

3. Preußen. Schwerer als in Oesterreich kam in Preußen die Bildung eines Offizierskorps im modernen Sinn zustande. Die Verhältnisse lagen hier ungünstiger. Der österreichische Kaiserstaat war auch nach dem dreißigjährigen Krieg festgefügt; ein reicher Adel war vorhanden^ der den Dienst bei Hofe und in der Armee als Pflicht und als Vorrecht ansah. In Brandenburg, das vom Kriege härter mitgenommen war. stand der Große Kurfürst nach dem Kriege vor einem Chaos. Die Einkünfte waren spärlich; ein kultivierter und vermögender Adel exi­ stierte so gut wie überhaupt nicht. Die tzaustruppen waren kaum nennenswert. Die Truppenteile, die vom Kriege her noch im Lande waren, standen unter unbotmäßigen Obristen dem Kurfürsten feindlich gegenüber. So drohte der Obrist von Rochow, Spandau in die Luft zu sprengen, wenn er kein Geld erhalte usw. Der Kurfürst war zuerst darauf angewiesen, mit den mächtigsten dieser Obristen zu paktieren, um mit ihrer Hilfe die anderen seinem Willen unterzuordnen. Das Geschlecht dieser Obersten mußte erst aussterben, bevor ein Offiziers­ korps entstehen konnte, das sich dem obersten Kriegsherrn zu Treue und Gehorsam verpflichtet fühlte. Gegen -Ende seiner Regierung war dem Großen Kurfürsten auch hier die Festigung der landesherrlichen Gewalt gelungen. Die Offiziere, die früher jeden unbequemen Dienst verweigerten, soferne er nicht ausdrücklich in ihrem Dienstvertrag stand, waren nun dem Kriegsherrn zum Gehorsam schlechthin verpflichtet. Das Recht der Ernennung der oberen Befehlshaber und der Bestätigung der Offiziere der unteren Chargen stand beim Kurfürsten. Die Notwendigkeit, dem Offizierskorps einen gleichmäßig borge» bildeten Ersatz zu sichern, war vom Kurfürsten früh erkannt worden. 1653 gründete er eine Ritterakademie zu Kolberg, die nach den Prin­ zipien der Kriegsschule Johann von Nassaus eingerichtet war. In Küstrin bestand eine „Baumschule", in der 1666 150 junge Edelleute erzogen wurden; das Gründungsdatum dieser Schule ist unbekannt.

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Eine private Anstalt ähnlichen Charakters hielt der Magister Magirus in Berlin. 1684 kündigte sich eine gleiche neue Anstalt unter dem Hofmaler Laborie an. 1665 erließ der Kurfürst eine Ritterordnung, die der Erziehung des jungen Adels eine gleichmäßige Richtung geben sollte. Befesti­ gungskunde und Mathematik spielten im Lehrplan eine große Rolle; fremde Sprachen sollten gelehrt werden; auf die ritterlichen Leibes­ übungen wurde ein Hauptgewicht gelegt. Ingenieure und Artilleristen erhielten eine Sonderausbildung. Neben der Erziehung des jungen Nachwuchses in diesen Ritter­ schulen war das Ergreifen der Offizierslaufbahn auf dem Wege des Eintritts als Page beim Kurfürsten oder bei den Generalen, oder als Regimentskadett möglich. Die Erziehung der Pagen war dem be­ treffenden Herrn überlassen; die Regimentskadetten faßte der Kurfürst in Kadettenkompagnien zusammen, von denen 1689 drei existierten, die drei Infanterieregimentern zugewiesen waren und 375 Kadetten umfaßten. Die Kadettenkompagnien wurden auch im Kriege als ge­ schlossene Formationen verwendet. Friedrich I. errichtete 1705 eine „Fürsten- und Ritterakademie" in Berlin, die, der Prachtliebe des Herrschers entsprechend, pompös einge­ richtet war, gerade deswegen aber ihren Zweck verfehlte; der arme märkische Adel war nicht in der Lage, die teuren Kosten für die Pensionäre zu erschwingen. Gelehrt sollte werden: Moral, Staats­ und Naturrecht Zivilrecht, Heraldik, Genealogie und Diplomatik, Phi­ losophie, Physik, Mathematik, Fortifikation, Elementartaktik, Exer­ zieren mit Pike und Muskete und die ritterlichen Künste. Friedrich Wilhelm I. hob diese Akademie 1713 als kostspielig und unfruchtbar auf. 1704 wurde eine Ritterakademie zu Brandenburg gegründet. Eine private Akademie unter Leitung des Rektors Briand erfreute sich be­ sonderen Zulaufes von Seiten des höheren Adels. Die Kadettenkompagnien schmolzen allmählich zu einer beim Regi­ ment Leibgarde zusammen, aus der sich 1701 eine Kadettenakademie zu Berlin entwickelte. Die Ritterakademie in Kolberg wurde 1703 in eine Kadettenakademie umgewandelt, eine neue 1709 zu Magdeburg errichtet. In den Jahren 1716—1718 schloß Friedrich Wilhelm I. die Kadettenakademien mit der Cüstriner Baumschule zu einem „Corps des Cadets" in Berlin zusammen, aus dem 1726 ein Kadetten­ bataillon wurde. Der Kronprinz stand in besonderen Beziehungen zu diesem Korps und erhielt die gleiche Erziehung wie die Kadetten.

Der brandenburg-preußische Adel gab seine Söhne nicht willig in die strenge Zucht des königlichen Kadettenkorps. Es ist eines der größten Verdienste des Königs Friedrich Wilhelm I., daß er mit un­ ermüdlicher Energie seinen Landadel allmählich dazu brachte, nicht nur den Nachwuchs für das Offizierskorps zu liefern, sondern die Offiziers-

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laufbahn geradezu als ein ausschließliches Recht für sich in Anspruch zu nehmen. Denn nicht nur die Armee, sondern das ganze Land trug den Vorteil davon. Der brandenburgische und vor allem der preußische Adel jener Zeit bot kein schönes Bild. Während in den reicheren Gegenden Deutschlands der Adel als Kulturträger eine gewichtige Rolle spielte, lebte der Edelmann im armen Preußen bäuerisch auf seiner Scholle, wenn er nicht in noch schlimmerer Weise als Krippen- und Wurst­ reiter das Land unsicher machte. Lieber lief der Gutsherr barfuß auf seinem Hofe, als die bäuerliche Schuhbekleidung zu benützen, wenn ihm das Geld zum vornehmen Stiefel fehlte. Unbildung und gänz­ liche Verrohung sind die Merkmale dieser Gutsbesitzer. Der König zwang die widerwilligen Eltern mit Polizeireitern und Zwangs­ einquartierungen, ihre Söhne in das Kadettenkorps zu stellen. Von seinen Inspektionsreisen brachte er die jungen Adeligen wagenweise nach Berlin. Hier in der Schule des Korps lernte der junge Mann Dinge kennen, die ihm fremd waren: Reinlichkeit, Unterordnung, Pünkt­ lichkeit. Die gänzlich vernachlässigte Schulbildung wurde dadurch ge­ hoben, daß der Kadett Lesen, Schreiben, Rechnen, dann auch einiges über fremde Sprachen und die militärischen Fächer lernte, und später im Urlaub und nach seiner Verabschiedung auf seinem Gute das Erlernte weitergab. Der bis dahin stets in Opposition befindliche, dem Staate zu Nichts nutze Adel übernahm nun im Offizierskorps einen Pflichtenkreis, der ihn zu einem nützlichen Mitglieds des Staates machte. Denn bald erkannte der ursprünglich widerspenstige Adel, daß ihm aus der Heranziehung zur Offizierslaufbahn nicht nur Pflichten erwuchsen, sondern daß damit auch Annehmlichkeiten verbunden waren. Die jüngeren Söhne, denen keine Güter zufielen und die dann ihrem älteren Bruder auf der Schüssel lagen oder sich auf oft zweideutige Art durchs Leben schlugen, gewannen eine auskömmliche Versorgung; und bald sahen auch die älteren Söhne, die die Güter erbten, es als eine Ehrenpflicht an, wenigstens einige Zeit bei der Fahne Dienst zu tun. Das Heer gewann wenigstens im Offizierskorps einen absolut bodenständigen und verlässigen Teil; der Adel wurde die Sorge um die jüngeren Söhne los und erhob sich nun durch seine Erziehung über seine Gutsuntertanen; dem Land kam die höhere Bildung des Adels in einer allgemeinen Hebung der Volksbildung und in menschen­ würdigerer Behandlung der Hörigen zugute; um den König und den Adel endlich schlang sich ein besonderes persönliches Band. Die Erfolge der Heere Friedrichs des Großen ruhten auf der Trefflichkeit seines Offizierskorps. Friedrich selbst erkannte die Not­ wendigkeit, das Offizierskorps auf dieser Höhe zu halten und wandte ihm seine ganze Sorgfalt zu. Das Kadettenkorps in Berlin blieb bestehen. 1769 errichtete der König eine neue Kadettenanstalt zu Stolpe, 1776 eine weitere in Kulm. 1765 entstand eine „Akademie des Nobles",

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die nur eine geringe Zahl von Schülern (etwa 30) in besonderer Weise für den Militär- und Staatsdienst vorbereiten sollte. Sie hatte einen zu hochgesteckten Lehrplan und teilte schließlich das Schicksal der Fürstenschule Friedrichs I. Innerhalb der Regimenter sorgte der König für die wissenschaft­ liche Weiterbildung der Offiziere. Für die Spezialwaffen der Artillerie und der Ingenieure wurden eigene Akademien errichtet. Es ist jedoch nicht zu verkennen, daß der König nach dem sieben­ jährigen Krieg die Freude an der Heranbildung eines tüchtigen Offi­ zierskorps nicht mehr fand, wie vordem. Der Krieg hatte zu große Lücken in die Reihen der Offiziere gerissen, die dem König persönlich oder militärisch besonders nahe standen. Die Blüte des Offizierskorps lag auf den Schlachtfeldern und die Einsamkeit, die sich um den großen König bildete, hinderte ihn, mit der gleichen Wärme wie früher sich mit dem jungen Nachwuchs zu befassen. Die Nachfolger erhielten von der Armee Friedrichs des Großen nur die äußere Form. Das Offizierskorps erstarrte, statt sich im Sinne des Königs weiter zu ent­ wickeln. Die ausschließliche Bevorzugung des Adels, die bei der Schöpfung des Offizierskorps berechtigt war, weil sie sich mit der Forderung persönlicher Leistung verbunden hatte und einen Stand dem Staate nützlich eingliederte, wuchs sich dahin aus, daß die adelige Geburt alles war. Auch auf die bisher den Bürgerlichen offenen Offiziersstellen bei den Husaren, der Artillerie und den Ingenieuren erstreckte sich die Forderung adliger Abkunft. Unter Friedrich Wilhelm II. wurden 1787 und 1793 die Kadetten­ anstalten zu Culm und Berlin vergrößert, die Pagen den Kadetten­ anstalten zugewiesen. 1793 errichtete der König eine neue Kadetten­ anstalt in Kalisch.

Innerhalb des Offizierskorps entwickelte sich der Generalstab, zu dem schon der Große Kurfürst im Generalquartiermeisterstab den Grund gelegt hatte. Friedrich der Große leitete selbst den Unterricht dieser Offiziere, deren Zahl etwa 25 betrug. Dem Generalstab fiel die Auf­ gabe zu, den Feldherrn von den technischen Anordnungen zu ent­ lasten. Das Auswählen des Geländes für befestigte Stellungen und Lager, die Einrichtung des Lagers selbst, die Einfädelung der Marsch­ kolonnen, die Sorge für die Bewegungen der Kolonnen, der Nach­ schub gehörten zu den Aufgaben der Generalstabsoffiziere. Diese selbst gehörten zur königlichen Suite. Generaladjutanten, persönliche Adjütanten, Ordonnanzoffiziere waren nicht nach höfischen Rücksichten, son­ dern unter dem Gesichtspunkt ihrer Brauchbarkeit zum Generalstab ausgewählt und zählten zu diesem. Unter Friedrich Wilhelm II. er­ hielt der Generalstab eine besondere Uniform; auch die Landes­ vermessung wurde nun dem Generalstab zugewiesen und ihm dafür Ingenieurgeographen unterstellt. Das Korps nahm von da an eine

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gesonderte Stellung in der Armee ein; der ganz persönliche Kontakts der den Generalstab unter Friedrich dem Großen mit dem Herrscher verband, ging unter den Nachfolgern, die keine Feldherren waren, verloren.

4. Sachsen. In Sachsen errichtete Kurfürst Johann Georg II. 1692 ein „Eadets-Corps" zu Alt-Dresden, in dem 125 Kadetten ausgebildet wurden. Eine Artillerieordnung bestand seit 1674; eine Artillerieschule wurde 1744 ins Leben gerufen. Die Verhältnisse lagen ähnlich wie in Oesterreich. Der Adel war von vorneherein bereitwillig in oas Offizierskorps eingetreten; die Maitressenwirtschaft am sächsischen Hofe ließ allerdings auch im Offizierskorps starke Protektionswirtschaft ein­ reißen.

5. Kurpfalz-Bayern. Bayern kann für sich in Anspruch nehmen, das Artilleriewesen be­ sonders gefördert und am Frühesten dem Zünftigen entrückt zu haben. Schon 1526 ließ Herzog Wilhelm IV. junge Leute im Zeughaus zu München im Artilleriewesen unterrichten. Max Emanuel gründete 1682 in München unter den Oberstuckshauptmann Burkart von Pürkenstein die erste deutsche Artillerieschule, die 1686 mit 50 Schülern eröffnet wurde. Eine Ritterakademie in Ettal, die 1711 als „Collegium nobilium et illustrium“ errichtet wurde, erfreute sich aus bayerischen und öster­ reichischen Kreisen guten Zulaufes. 1756 gründete Maximilian III. Joseph in München ein Kadetten­ korps, dessen Besuch für sämtliche Offiziersaspiranten obligatorisch war. Unter Karl Theodor hob nach der Vereinigung von Bayern und der Kurpfalz der dem Altbayrischen abholde Generalleutnant Frh. von Belderbusch 1778 das Münchener Kadettenkorps zugunsten der pfäl­ zischen Hauptkriegsschule zu Mannheim auf; die Herzogin Maria Anna erhielt die Anstalt aus eigenen Mittel als „Marianische Landes­ akademie", bis im Jahre 1789 auf Anregung des Grafen'Rumford eine Vereinigung der Marianischen Landesakademie mit der Mann­ heimer Hauptkriegsschule als „Militärakademie" zu München statt­ fand. Kurfürst Maximilian IV. Joseph reformierte 1799 die Anstalt und gab ihr den alten Namen Kadettenkorps. Trotz der anerkannt guten Vorbildungsanstalten war das bayrische Offizierskorps nicht auf der Höhe. Das Hauptübel war der Stellen­ kauf, der erst 1799 aufgehoben wurde. Die Unmöglichkeit, ohne die Aufwendung erheblicher Geldmittel oder ohne besondere Hofprotektion höhere und einträglichere Kommandostellen zu erreichen, verhinderte die gleichmäßige Heranziehung des Adels zum Dienst im Offiziers­ korps. Die kriegerische Blütezeit des bayrischen Heeres unter Max Emanuels rief zwar eine Reihe tüchtiger Offiziere zu den Fahnen^ Frauenholz, Deutsche Kriegs- und Heeresgeschichte. g

allein später weisen die Listen des Kadettenkorps eine für die damalige Zeit unerfreuliche Uneinheitlichkeit der Klassen auf, aus denen sich die Offiziere ergänzten. Dienstfreudigkeit konnte nicht entstehen, wenn reichere junge Leute in die Stellen der Kompagniechefs und Komman­ deure aufrückten, und unvermögende ältere Offiziere Leutnants blieben. Das Urteil Friedrichs des Großen anläßlich des bayrischen Erbfolge­ krieges über die bayrischen Soldaten ist gut, über das Offizierskorps dagegen absprechend. c) Die äußere Organisation der Armeen?)

Allen Armeen war gemeinsam, daß Kriegs- und Friedensstärken annähernd gleich waren. Der Mangel an ausgiebigen Reserven verbot die Aufstellung größerer Mobilmachungsformationen. 1. Das Reich. Die Organisation der Truppenteile, die nicht geschlossen von den größeren Reichsstaaten gestellt wurden, waren den Reichskreisen über­ lassen und hielt sich an die der größeren Staaten. 2. Oesterreich. Nach dem dreißigjährigen Krieg bestand die österreichische Armee aus 25000 Mann Infanterie und 8000 Reitern. Sehr bald stieg die Zahl der Truppen. Unter Leopold I. bestanden 19 Regimenter Infanterie zu einem Stande von je 2540 Mann und 20 Kavallerie­ regimenter zu je 890 Mann. Im Ganzen zählte die Armee über 65 000 Mann, wozu noch 12 000 Mann Grenztruppen und die Be­ dienung der Artilleriestücke kam. Beim Tode Leopold I. 1705 betrug die Stärke der Armee 85 000 Mann Infanterie, 28000 Reiter und 600 Artilleristen. Unter Joseph I. stieg die Armee auf 92 000 Mann Infanterie, und 30 000 Retter. Karl VI. vermehrte sie auf 104 000 Mann Infan­ terie, 37 0.00 Reiter und 800 Artilleristen; 1728 wuchs sie vorüber­ gehend auf 195 000 Mann Infanterie, 73000 Reiter in 65 Regi­ mentern Infanterie, 1 Heiduckenregiment, 26 Kürassier-, 10 Hnsarenund 17 Dragonerregimentern an. Maria Theresia fand bei ihrem Regierungsantritt 160 000 Mann in 52 Infanterie-, 18 Kürassier-, 8 Husaren- und 14 Dragonerre­ gimentern vor. Joseph II. hinterließ 59 Infanterie-, 17 Grenzerregimenter, 11 Regimenter Kürassiere, 7 Dragoner, 6 Chevaulegers, 8 Husaren, 1 Grenzhusaren, 3 Regimenter Artillerie, 1 Pontonnier- und 1 EzaiYAnm. Die vorstehenden Angaben geben keineswegs die hauptsächlichsten Veränderungen in den Heeresstärken wieder: sie sollen nnr als allgemeiner Anhalt für die Stärke der

Heere und ihre Zusammensetzung dienen.

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kistenbataillon — die Czaikisten waren die Bemannung der Boote der Donauflotille —, 1 Mineur- und 1 Sappeurkorps. Die Etatstärken der Infanterieregimenter wechselten zwischen 2000 und 3000 Mann, die zu 12—18 Kompagnien formiert waren. Die Kavallerieregimenter waren 900—1500 Mann in Eskadrons zu 150— 200 Reitern stark. Die Formation der Artillerie erfuhr grundlegende Aenderungen. Zu Beginn der Periode war die gesamte Artillerie mit Ausnahme weniger Infanteriegeschütze zum Park vereinigt. Nach dem ersten schlesischen Krieg wurde das preußische Verfahren, das die leichte Artillerie der Infanterie beigab, nachgeahmt. Es vollzog sich die Trennung der schweren und leichten Artillerie. 1772 erfolgte die Einteilung der Feldartillerie in Regimenter. Eine weitere Erhöhung der Beweglichkeit fand 1788 durch Einführung von reitender Ar­ tillerie statt. Der verschiedenartige Dienst der Pioniere usw. wurde zuerst durch Zivilarbeiter unter Leitung von Ingenieuroffizieren ausgeführt. 1716 entstand ein Mineurkorps; 1738 trat dieser Formation ein Pontonnierkorps, 1758 ein Pionierbataillon und 1760 ein Sappeurkorps zur Seite. Die Gründung eines besonderen Fuhrwesenskorps fällt in das Jahr 1778. 3. Brandenburg — Preußen. Kurfürst Friedrich Wilhelm fand bei seinem Regierungsantritt nur wenige verlässige Kompagnien vor. 1658 zählte das Heer bereits 30 000 Mann in 111 Fußkompagnien, 96 Reiter- und 24 Dragoner­ kompagnien. Bei seinem Tode 1688 waren die 30 000 Mann in 6 Bataillone Garde, 30 Bataillone Infanterie, 32 Reitereskadrons, 8 Dragonereskadrons und 20 Garnisonskompagnien formiert. Die Artillerie verfügte über etwa 100 Stücke. Friedrich I. hinterließ 1713 40 000 Mann in 38 Jnfanteriebataillonen, 32 Reitereskadrons, 24 Dragonerkompagnien und 20 Garnisons­ kompagnien. Unter Friedrich Wilhelm I. erlebte die preußische Armee ihre bedeutsamste Reorganisation. Die Einteilung in Regimenter setzte sich durch. Friedrich Wilhelm I. hinterließ seinem Nachfolger 80 000 Mann in 32 Infanterieregimentern, 12 Kürassier-, 6 Dragoner-, 2 Husaren­ regimentern, 1 Bataillon Feldartillerie, 1 Bataillon Garnisonsartil­ lerie, 4 Garnisonsbataillonen und 4 Landregimentern. Der große Landzuwachs durch die Kriege Friedrichs des Großen und die gespannte politische Lage ließen das preußische Heer stark anwachsen. Friedrich der Große verfügte bei seinem Tode 1786 über 200000 Mann in 1 Garderegiment, 1 Gardegrenadierbataillon, 53 Linieninfanterieregimentern, 1 Regiment Garde du Corps, 12 Kürassier8*

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regimentern, 12 Dragoner-, 10 Husaren-, 4 Feldartillerieregimentern. 13 Kompagnien Garnisonartillerie, 4 Mineurkompagnien, 1 Pontonnierkommando, 43 Garnisonsbataillonen und 4 Landregimentern. Friedrich Wilhelm II. hinterließ 1797 235000 Mann; davon 1 Garderegiment, 1 Gardegrenadierbataillon, 58 Linieninfanterieregi ­ menter, 24 Füsilierbataillone, 1 Regiment Feldjäger zu Fuß, 1 Re­ giment Gardes du Corps, 12 Kürassier-, 12 Dragoner-, 10 Husaren­ regimenter, 1 tzusarenbataillon, 1 Tartarenpulk, 10 Bataillone Feld­ artillerie, 15 Kompagnien Garnisonsartillerie, 6 Mineurkompagnien, 1 Pontonierkommando, 56 Garnisonbataillone und 4 Landregimenter.

4. Sachsen. Die sächsische Armee bestand während der schlesischen Kriege aus 1 Leib-Grenadier-Garderegiment, 12 Infanterieregimentern, 1 Re­ giment Gardes du Corps, 1 Karabinierregiment, 8 Kürassier-, 4 Dra­ goner-, 4 Chevaulegersregimentem, 12 Ulanen-Hof-Fahnen, 4 Kompag­ nien Feldartillerie, 1 Mineur- und 1 Pontonnierkompagnie. Diese Stärke wurde auch bei der Heeresorganisation nach dem siebenjährigen Krieg annähern beibehalten. 5. Kurpfalz — Bayern. Die Stärken der kurpfälzischen und der bayrischen Armee schwank­ ten im Laufe der Periode außerordentlich. Nach dem Tode des großen Kurfürsten Maximilian I. fanden aus Ersparnisgründen er­ hebliche Abdankungen von dessen wohlorganisierter Armee statt. Außer den Garden wurden nur noch 16 Kompagnien beibehalten. 1673 betrug die Stärke der Armee 8500 Mann zu Fuß, 4 000 Reiter und 500 Dragoner. Unter Max Emanuel wurde die Armee stark vermehrt; 1682 verfügte der Kurfürst über 7 Regimenter zu Fuß, 4 zu Pferde, 3 Frei­ kompagnien und 4 Dragonerkompagnien. Im österreichischen Erbfolgekrieg zählt die bayrische Armee 1745 9 Infanterieregimenter, 1 Freikompagnie, 1 Regiment Grenadiers a cheval, 3 Kürassier-, 5 Dragoner-, 2 Husarenregimenter, eine Frei­ partie, 1 Artilleriebrigade. Unter Max III. Joseph wurden die Stäm­ me der Truppenteile stark reduziert. Bei der Vereinigung der kurpfälzischen und bayrischen Armee •1777 unter Karl Theodor war die Armee 18 Infanterieregimenter, 2 bayr. Kürassier-, 2 bayr. Dragoner-, 2 pfälzische Dragoner-, 1 pfäl­ zisches Reiter-, 1 pfälzisches Husarenregiment, 1 bayr. Artillerieba­ taillon und 3 pfälzische Artilleriekompagnien stark. 1789 wurde die Stärke durch den Grafen von Rumford auf 4 Grenadier-, 2 Feldjäger-, 14 Füsilier-, 2 Kürassier-, 3 Chevaulegers­ und 2 Dragonerregimenter festgesetzt, zu denen 1791 1 Artilleriere­ giment zu 8 Kompagnien trat. Die Stärken der Truppenteile waren zu Ende der Regierung Carl Theodors sehr ungleich.

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d) Waffengattungen.

Die Infanterie hatte in den stehenden Heeren von Anbeginn an das zahlenmäßige Uebergewicht. Der Grund liegt in der billigeren Unterhaltung der Infanterie, die mit der Verbesserung der Feuer­ waffen und mit der Erfindung des Bayonettes aufs Neue selbstän­ diger wurde, und in der Lage war, dem Reiterangriff erfolgreich zu begegnen. Dazu kam das entschiedene Uebergewicht der Infanterie in der Verteidigung, bei der das Pferd des Kavalleristen ein Hin­ dernis war. Die Aufgabe der dauernden Behauptung einer Stellung/ die der Berittene nicht durchzuführen vermag, wurde durch die In­ fanterie gelöst. Innerhalb der Infanterie bildete sich die Einteilung in Grenadiere und Füsiliere heraus, also in leichte und schwere Infanterie, von denen die schwere, die Grenadiere, für den Nahkampf in besonderer Weise mit Handgranaten ausgerüstet war. Die Kavallerie stand an Stärke hinter der Infanterie zurück. Die schwere Kavallerie — Kürassiere — war ausgesprochene Attacken­ reiterei; der leichten — Husaren etc. — fielen die Aufgaben der Aufklärung, der Verschleierung und des kleinen Krieges zu. Die Aufklärung durch Kavallerie beschränkte sich auf die Nahaufklärung; Kundschaft über operative Bewegungen des Gegners wurde durch Spione und Agenten eingezogen. Neben schwerer und leichter Ka­ vallerie bestanden in allen Militärstaaten die Dragoner, die sich aus berittener Infanterie zu Kavallerie entwickelten und gleich der übrigen Reiterei attackieren konnten. Als Besonderheit behielten die Dragoner die Fähigkeit bei, wie die Infanterie in geschlossener For­ mation zu Fuß zu fechten. Das Pferdematerial war verschieden; die Kürassiere sollten wuchtige, aber nicht unedle Attackenpferde besitzen; die leichte Kavallerie verfügte über bewegliches Pferdematerial; bei den Dragonern war der Klepper ursprünglich nur Fortbewegungs­ mittel, mit der Wandlung zur Kavallerie wurde auch hier größere Sorgfalt auf die Auswahl der Pferde verwendet. Die Unterschiede zwischen den Kavalleriegattungen verwischten sich allmählich. Die Um­ wandlung von Regimentern einer Gattung in die andere, wie sie gegen das Ende des XVIII. Jahrhunderts nicht selten war, bezeugt dies auch äußerlich. Die Artillerie löste sich allmählich aus dem Zunftmäßigen. Die Forderung nach größerer Beweglichkeit förderte dieses Streben. Die entstehende Feldartillerie mußte mit Infanterie und Kavallerie zu­ sammen in der Schlacht eingesetzt werden können; sie bedurfte daher der Zusammenfassung in taktische Verbände, die leicht befehligt wer­ den konnten. Diese Umorganisation fand erst gegen das Ende des XVIII. Jahrhunderts statt. Bei der Festungsartillerie war die mili­ tärische Organisation nicht so vordringlich; sie erfolgte mehr aus ver­ waltungstechnischen als aus taktischen Gründen. Die Geschütze der Feldartillerie wurden zuerst durch Bauernpferde gezogen; dann wurden

Bespannungsabteilungen gebildet und endlich die Bespannung selbst als Bestandteil den Artillerieformationen einverleibt?) Die Fort­ bewegung der Bedienungsmannschaften erfolgte zunächst zu Fuß. Dann wurden sie auf besonderen Fahrzeugen mitgefahren. Eine reitende Artillerie, die der Kavallerie folgen sollte, entstand gegen Ende der Periode.

e) Innere Organisation. 1. Kommandoverhältnisse. Zu Beginn der Periode vollzog sich die für die Festigung der Armee besonders bedeutsame Zusammenfassung der militärischen Führer zu geschlossenen Offizierskorps. Die Obristen waren ursprünglich freie Werbeherren, die Generale nur Führer im Felde mit sehr beschränkten Musterungsbefugnissen. Der Gehorsam des Obristen hing von dem Grade seiner persönlichen Anhänglichkeit an den Kriegsherrn ab. Der Kampf der fürstlichen Kriegsherren, der sich besonders scharf in Brandenburg abzeichnete, ging gegen die unbeschränkte Kommando­ gewalt des Obristen. Erst mit dem Absterben der Generation des dreißigjährigen Krieges, deren Regimenter nun ernannten Obristen als fürstliche Belohnung übertragen wurden, gewannen die Kriegs­ herren die Oberhand. Der Obrist war nun nicht mehr Werbeherr» sondern bestellter Offizier; der Titel bezeichnete jetzt eine Charge im heutigen Sinn. Die Generale wurden auch im Friedensdienst den Obersten übergeordnet und erhielten dauernde Dorgesetzteneigenschaft. Die gleichen Vorgänge wie in Brandenburg spielten sich in allen Militärstaaten ab, wenn auch nicht in gleich schroffer Form. Da, wo gefestigere Staaten bereits vorhanden waren, hatten die Obristen nicht in ähnlicher Weise gegen den Fürsten auftreten können wie in Branden­ burg. In Oesterreich hat der Kriegsruhm und Einfluß des Prinzen Eugen, in Bayern der Max Emanuels die Einordnung des Offiziers­ korps in den Staat erleichtert. Die Regimenter wurden um die Wende des XVII. Jahrhunderts in Bataillone eingeteilt, da die Verbesserung der Waffen ihre Ausnützung in kleineren Formationen als in den unhandlichen Regimentern wün­ schenswert erscheinen ließ. Als Führer dieser Bataillone wurden jüngere Stabsoffiziere bestimmt, Oberstleutnante und Majore (Oberst­ wachtmeister), die ursprünglich den Obersten als Stellvertreter im Verwaltungsdienst und bei besonderen Anlässen beigegeben waren. Die Hauptleute und Rittmeister führten ihre Kompagnien und Eskadrons unter voller Verantwortung im inneren und äußeren Dienst. Sie waren damit die eigentlichen Truppenbefehlshaber. Ihnen unter­ standen die Subalternoffiziere, zunächst ein Leutnant und ein Fähnrich (bei der Kavallerie Cornet). Bezeichnenderweise nennt die „Heutige *) Einen ähnlichen Werdegang durchlief gegen Ende des XIX. Jahrhunderts die schwere

Artillerie des Feldheeres.

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Kriegsdisziplin" von 1697 den Hauptmann, der für Alles zu sorgen hat, -en Bater, -en Leutnant, der Ausbildung und inneren Dienst leitet, den Teufel, und den Fähnrich, der den innern Verwaltungs­ dienst besorgt, die Mutter der Kompagnie. In -er Stellung der Subalternoffiziere vollzog sich allmählich eine Wandlung. Die abgegrenzten Dienstgebiete wurden ihnen ge­ nommen. An -ie Stelle eines Leutnants traten deren mehrere, die den Dienst nach dem Befehl des Kompagniechefs zu verrichten hatten. Fähnrich wurde ein Titel für Offiziersaspiranten. Die Ernennung der Offiziere war ursprünglich ein Recht des Obristen. Gegen Ende des XVII. Jahrhunderts erlangte der Kriegsherr allmählich das Bestätigungsrecht für die ernannten Offiziere; im XVIII. Jahrhundert wurde die Ernennung der Offiziere ausschließliches Recht der Landesherren. Der Stand der Unteroffiziere entwickelte sich von der Verwaltung her. Die notwendigen Funktionen in den Söldnerhaufen waren durch besonders ausgewählte ältere Leute ausgeübt worden, denen allmählich eine gewisse Kommandogewalt zukam, und die auch zum Ausbildungs­ dienst verwendet wurden. In -er „Heutigen Kriegskunst" von 1697 wird die Zahl der Feldwebel und Sergeanten (bei der Kavallerie Wachtmeister) einer Kompagnie auf „gewöhnlich drei" angegeben. Dazu kamen als Unter­ offiziersfunktionäre: der Führer als Adjutant des Fähnrichs, der Feldscherer, der Musterschreiber und eine Anzahl Corporale und Gesteite. Die Gefreitenkorporale waren junge Leute, die mit Aussicht auf Beförderung zum Offizier dienten. Der Regimentsadjutant war Unteroffizier und rangierte als ältester Feldwebel oder Wachtmeister. 3m Laufe -er Periode bildete sich wie bei den Offizieren ein Unteroffizierskorps aus, das seinen Pflichtenkreis vom Kompagniechef zugewiesen erhielt. 2. Ausbildung und Dien st betrieb. Der Übergang von mündlicher Tradition über die zweckmäßigste Art der Ausbildung zum feststehenden Reglement vollzog sich. Während rach dem dreißigjährigen Krieg nur die gemeinsame 'Kriegserfahrung, die vielfach in militärischen Schriften niedergelegt wurde, eine gewisse Gleichmäßigkeit der Ausbildung schuf, dem Obersten jedoch letzten Endes die Art der Ausbildung seines Regiments überlassen blieb, rief die Einrichtung der stehenden Heere und ihr zahlenmäßiges Anwachsen ten Wunsch hervor, innerhalb der einzelnen Armeen völlige Gleich­ mäßigkeit der Ausbildung zu erreichen, die eine straffere Gefechts­ führung ermöglichte. In allen Militärstaaten entstanden so Waffenreglements, die nun cffiziell die Erfahrungen übernahmen und ausbauten, die in den kald nach dem dreißigjährigen Kriege entstandenen privaten Exerzier-

aufzeichnungen enthalten waren. Das älteste preußische Reglement „Exercice von den Handgriffen mit der Flint" erschien 1702; von da an folgten sich die Reglements in raschem Wechsel. Oesterreich besaß in heft trefflichen Vorschriften des Feldmarschalls Grafen Khevenhüller allgemein anerkannte Reglements, so daß erst 1737 ein offizielles Reglement gegeben wurde. In Bayern bestand bereits seit 1674 ein offizielles „Kriegsexercitien-Manual in der Musqueten und Picquen. Nach Churbayrischer Kriegsart und Manier, denen sämmtlichen unter­ gebenen Kriegsoffizieren und Soldaten zu gebrauchen." Sachsen erhielt 1707 ein offizielles Reglement, nachdem vorher die Dienst­ vorschriften der Generale von Schöning und Graf von der Schulenburg offiziöse Geltung gewonnen hatten. Die Ausbildung ging ausschließlich auf den Drill und wußte nichts von Erziehung. Der unbedingte und unselbständige Gehorsam mußte von Heeren verlangt werden, deren Soldaten aus Geworbenen der unterschiedlichsten Qualität bestanden. Mit der Verlässigkeit der Soldaten war nur zu rechnen, wenn sie in der geschlossenen Truppe unter den Augen ihrer Vorgesetzten verwendet wurden. Das schloß eine Reihe schöner Einzeltaten auch von Mannschaften nicht aus; die Masse der Truppe aber versagte, wenn sie der Aufsicht entrückt war. Der Satz Friedrich des Großen, daß die Soldaten ihre Offiziere mehr fürchten müssen, als den Feind, beherrschte die Anschauung über die Verwendbarkeit der Truppe und demgemäß ihre Ausbildung. Drillmäßige Einzelausbildung eröffnete den gesamten Ausbil­ dungsgang. Dann erfolgte die Zusammenstellung in kleinere und größere Formationen. Die Einzelausbildung beschränkte sich bei der Infanterie auf formale Handhabung der Waffe. Auf die Wirksamkeit des Einzelfeuers wurde kein Wert gelegt. Die geringe Präzision der militärischen Schußwaffe läßt das gerechtfertigt erscheinen. Die Salve im wagrechten, fast ungezielten Anschlag war die Feuerart der Infan­ terie; eine Reihe von rasch aufeinanderfolgenden Feuerwellen sollte den Gegner zum Halten und zur Flucht bringen. Das Bajonett tat dann das Uebrige. Das Hauptgewicht der Ausbildung wurde auf rasches Läden und Feuern gelegt. Da das Feuer erst auf nahe Entfernungen (200—300 Schritt) beginnen konnte, war es von höchster Wichtigkeit, in der kurzen Zeit bis zum feindlichen Einbruch noch möglichst viele Salven gegen den Feind zu schleudern. Die preußische Infanterie stand in der Feuerleistung an der Spitze; sie konnte bis zu vier geregelte Salven in der Minute abgeben, beim Vorderlader eine gewaltige Leistung.^) Die Tätigkeit der Vorgesetzten bestand im Gefecht in der präzisen Abgabe der Kommandos, in der genauen Beaufsichtigung der schießen’) Sinnt. Die oft genannten höheren Zahlen von 6—8 Schuß in der Minitte beziehen sich nicht auf das Feuern mit scharfer Munition.

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den Truppe und im rechtzeitigen Vorführen zum Sturm oder Gegen­ stoß. Etwas individueller wurde die Handhabung der Waffe bei der Kavallerie gelehrt, deren Gefecht sich nach dem ersten Einbruch in das Handgemenge Einzelner auflöste. Friedrich der Große legte Wert darauf, seiner Kavallerie den Glauben an die Ueberlegenheit der blanken Waffe über die Pistole im Reiterkampf einzuimpfen. Auf gute Reitausbildung wurde gehalten.

Der äußere Dienst spielte sich auf dem Exerzierplatz ab. Feld­ manöver waren unbekannt und unnötig. Auf formales Exerzieren und rasches Laden kam es an. Der Felddienst beschränkte sich auf den engbegrenzten Vorpostendienst, auf Märsche und Biwaks. Für die Sonderheiten des Husarendienstes im kleinen Krieg etwa gab der Frieden keine Uebungsmöglichkeit. Hier war die Initiative der Unterführer im Kriege von ausschlaggebender Bedeutung. Paraden (Revuen), bei denen das ganze geschlossene Exerzitium gezeigt wurde, nahmen die Stelle der Manöver und der Besichtigungen ein.

Der Wachtdienst nahm einen großen Teil der Zeit in Anspruch, da der Truppe auch die Ausübung des bürgerlichen Sicherheits­ dienstes zufiel. Der innere Dienst zeigt seit etwa 1700, um welche Zeit im Allgemeinen die Truppen in Städten kaserniert waren, das allgemeine Gepräge des Kasernendienstes. Eine Reihe von militärischen Aus­ drücken der jüngsten Zeit, die auf den inneren Dienst Bezug nehmen, haben ihren Ursprung in dem militärischen Leben nach dem dreißig­ jährigen Krieg. Im Allgemeinen haben sich seit jener Zeit die Be­ dürfnisse wohl gemehrt, die Sparsamkeit aber, die in den Heeres­ einrichtungen herrschte, hat nur das Notwendigste gelten lassen. Wenn man etwa bedenkt, daß die Gasbeleuchtung nie, die elektrische Be­ leuchtung noch vor dem Weltkriege nicht Eingang in die Kasernen gefunden hat. so wird man sich darüber klar sein, daß eine Kasernen­ stube unter Friedrich Wilhelm I. sich von einer solchen zu Anfang des XX. Jahrhunderts nicht wesentlich unterschieden hat. Eine Besonderheit der geworbenen Heere war die große Zahl der Verheirateten, die teils in, teils außerhalb der Kasernen wohnten. Bis zu einem Drittel der Soloaten war verehelicht. Friedrich Wilhelm sah in der Verheiratung des Soldaten ein Mittel, den Mann an den Staat zu fesseln. Die Regimenter hatten sich mit der Disziplin der Soldatenfrauen und mit der Erziehung der Soldatenkinder zu befassen. In den Soldatenkindern erblickte man den Heranwachsenden militärischen Nachwuchs und für dessen Erziehung ist Erhebliches geleistet worden. In einer Zeit, in der die Volksschulen erst in ihren Anfängen lagen, zeichneten sich manche Soldatenschulen vor ihnen aus, so etwa 1786 die des preußischen Regiments Pfuhl.

Für die Hinterbliebenen der Soldaten sorgten die Militärwaisen­ häuser, für deren Einrichtung besonders Maria Theresia viele Mittel aufwandte. Auch Joseph II. förderte wie Friedrich Wilhelm III. das Militärerziehungswesen. Es war keine Lächerlichkeit, wenn man im XVIII. Jahrhundert häufig ausgediente Unteroffiziere als Dorfschullehrer antraf. Abgesehen von Disziplin und Reinlichkeit, die diese Lehrer ihren Zöglingen bei­ brachten, stand der gediente Soldat auf einer positiv höheren Bildungs­ stufe als die Mehrzahl der Landeseinwohner. Bayerische Erziehungsversuche verbinden sich mit den Namen des Kurfürsten Maximilian III. Joseph und des Grafen von Rumford; in Württemberg war die berühmte und teilweise berüchtigte Karlschule aus Soldatenkinderschulen hervorgegangen. In den übrigen Staaten bestanden ähnliche Einrichtungen.

3. Wirtschaftliche Lage. Die Ueberführung des Soldaten in eine geordnete wirtschaftliche Situation war eine der hauptsächlichsten Grundlagen für die Ver­ staatlichung der Heere. Während die Söldnerheere häufig in den entscheidensten Momenten versagten, weil ihnen der bedungene Sold nicht ausbezahlt wurde, während sogar kriegerische Maßnahmen gegen den Willen der Führer durchgeführt werden mußten, um etwa durch Eroberung und Preisgabe einer Stadt den rückständigen Sold durch Beute zu ersetzen, wurde bei den stehenden Heeren ein festes System der Entlohnung in allen militärischen Chargen durchgeführt. Damit erst konnte sich tue Disziplin durchsetzen, die immer gefährdet ge­ wesen war, solange für den Söldner die Meuterei als letztes Mittel galt, den versprochenen Sold herauszupressen. Das Recht auf Beute aber und vor Allem auf die in besonderen Fällen zugelassene Plün­ derung ging dem Soldaten verloren, und auch das trug zur Festigung der Disziplin bei. Die Besoldung der Offiziere bestand in dem festen Gehalt und in den Einkünften, die der Offizier vom Kompagniechef auswärts aus dem ihm unterstellten Truppenteil zog. Ursprünglich erscheint auch das Regiment als Einnahmequelle, bald aber war nur mehr die Kompagnie als solche anzusehen, bis gegen Ende der Periode die Nebeneinkünfte ganz verschwinden und der Offizier sich auf den ent­ sprechend erhöhten festen Gehalt angewiesen sieht. Die Kompagnie also war während des Hauptteiles der Periode die Quelle der Nebeneinkünfte; die Uebernahme einer Kompagnie wurde vom jüngeren Offizier als erstrebenswertes Ziel betrachtet, die Abgabe einer solchen vom älteren möglichst lange hinausgezogen. So blieben den höheren Offizieren Kompagnien ihrer Regimenter (Oberstenkom­ pagnien etc.) zur Nutzniesung zugewiesen, die von jüngeren Haupt­ leuten geführt wurden. Der Kompagniechef hatte dafür zu sorgen,

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daß mit dem für eine Kompagnie bewilligten Geldetat die Kompagnie vollzählig und in gutem Zustande erhalten war) was er dabei einsparte, floß in seine Tasche. Auch die Werbung gab die Möglichkeit zu Er­ sparnissen für den Kompagniechef. So konnte der Kompagniechest der ein Gut besaß, sich billige Rekruten durch Einstellung seiner Gutshörigen schaffen. Das Konskriptionssystem (f. S. 104 ff.) hob diese Möglichkeit zugunsten des Staates auf. Das System bot viele Unzuträglichkeiten. Trotzdem scharfe Revi­ sionen die gröbsten Mißstände, wie die Einstellung gemieteter Leute für die Tage der Musterung abschafften, blieb für nicht charakterfeste Offiziere die Möglichkeit des Unterschleifs bestehen. Der Staat be­ mächtigte sich allmählich der Lieferung von Bekleidung, Ausrüstung und Bewaffnung, und schließlich setzte sich das gerechtere System durch, daß alle Ersparnisse in das Staatssäckel flössen. Der Staat seinerseits mußte dann die Offiziere höher bezahlen. Die Gehälter in den hohen Offiziersstellen waren gut, in den mittleren auskömmlich, in den unteren und bei den Unteroffizieren und Mannschaften bescheiden. Die Gehälter und Löhnungen in den einzelnen deutschen Staaten glichen sich nach stillschweigender Uebereinkunft aneinander an. Die Monatsgehälter int Reichsheer waren 1683 festgesetzt auf: Generalfeldmarschall 1500 Gulden, General 1200, Obrist zu Pferde 225, Obrist zu Fuß 200, Rittmeister 75, Hauptmann 70, Kavallerie­ leutnant 30, Infanterieleutnant 25, Cornet 25, Fähnrich 24, Wacht­ meister 10, Führer 7, Reiter 9 und Infanterist 4 Gulden. Am höch­ sten besoldet war das technische Personal, bei dem der Obrist 450, der Stückhauptmann 100 und der Artillerieknecht 10 Gulden erhielt. Interessant ist die Einschätzung der Chargen bei der Auslösung aus der Gefangenschaft. Zwischen Leopold I. und Ludwig XIV. wurde 1692 vereinbart, daß ein Generalleutnant (damals die höchste Charge nach dem Oberbefehlshaber) mit 25 000 Gulden, ein Generalfeld­ marschall mit 15 000, ein Obrist zu Pferde mit 700, einer zu Fuß mit 600, ein Rittmeister mit 100, ein Hauptmann mit 70, ein Cornet mit 30, ein Fähnrich mit 20, ein Reiter mit 7 und ein Fußsoldat mit 4 Gulden auszulösen sei. Mit der Vermehrung der Generalität gingen die Gehälter der obersten Chargen erheblich zurück. f) Bewaffnung, Bekleidung und Ausrüstung.

Mit der Einführung der stehenden Heere setzte sich Gleichmäßigkeit innerhalb der Regimenter durch, die nun an der Uniform kenntlich gemacht wurden. Die Offiziere waren durch reichere Ausführung der Uniform, besonders durch Stickerei von den Unteroffizieren und Mann­ schaften unterschieden) allmählich erhielten auch die einzelnen Chargen Gradabzeichen. Die Unteroffiziere waren durch Tressenauszeichnungen

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kenntlich gemacht. Die Uniform wurde nach zwei Gesichtspunkten ausgewählt: der Staat wollte sie möglichst sparsam halten und dabei doch so kleidsam gestalten, daß sie als Lockmittel bei der Anwerbung dienen konnte. Die Ausrüstung sollte für die Mitführung des Kriegs­ materials und der persönlichen Bedürfnisse des Einzelnen genügen. Bei der Bewaffnung waren die letzten Kriegserfahrungen ausschlag­ gebend.

Die Infanterie trug zu Beginn der Periode einen langschößigen Rock, der beim Gehen zurückgeschlagen wurde. Daraus entstand dann der billigere Frack, dessen Schösse noch die Merkmale des zurückge­ schlagenen langen Rockes zeigten. Die Beinbekleidung bestand aus Leinen- oder Tuchhosen, über die hohe Stoffgamaschen getragen wur­ den; derbe Schuhe vervollständigten die Ausrüstung. Der Helm machte einem breitkrämpigen Hute Platz, dessen Seiten zuerst zum Dreispitz und dann zum Zweispitz aufgeschlagen wurden. Die Grenadiere trugen einen Blechschild am Hut, der sich zur Grenadiermütze mit hoher Metallverzierung entwickelte, oder auch Fellmützen. Mäntel fehlten bei der Infanterie. Die Ausrüstung wurde en bandouliere getragen. In der großen Patronentasche befand sich die Munition, in einem leinenen Schnappsack der persönliche Bedarf des Mannes. Die Bewaffnung blieb durch die ganze Periode annähernd die­ selbe. Pike und Rüstung bei der Infanterie fielen bereits zu Anfang, etwa um das Jahr 1680, fort. An Stelle der Pike trat das Bajonett, das zuerst mit einem Holzgriff in den Lauf gesteckt wurde, also beim Schießen entfernt werden mußte. Angeblich durch den englischen General Mackey wurde im Jahre 1689 die wichtige Erfindung des Dillenbajonettes gemacht, das mit einer seitlich der Klinge ange­ brachten Röhre (Dille) über den Lauf gezogen wurde und das Schießen mit aufgepflanztem Bajonett ermöglichte. Beim Gewehr selbst setzte sich die Steinschloßkonstruktion allgemein durch. Eine gleichmäßige genaue Kalibrierung innerhalb der einzelnen Armeen wurde nicht erreicht. Der eiserne Ladestock an Stelle des hölzernen wurde 1718 vom Fürsten Leopold von Dessau eingeführt. Ein kurzer Infanteriesäbel vervoll­ ständigte die Bewaffnung. Die Grenadiere führten außerdem die Handgranaten; gegen Ende der Periode wurde die leichte Infanterie (Jäger) mit gezogenen Büch­ sen ausgerüstet.

Die Kavalleriebekleidung ähnelte derjenigen trug der Reiter hohe, über das Knie reichende den Dragonern etwas leichter gehalten waren. Husaren, Ulanen usw. wies Anklänge an des

der Infanterie. Nur Reiterstiefel, die bei Die Bekleidung der Nationalkostüm des

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Landes auf, dem diese Kavalleriegattungen entstammten. Der Helm kam um 1700 auch bei der schweren Kavallerie in Fortfall und machte dem Hute Platz, der zum Schutz gegen den Hieb mit Stahleinlagen versehen war. Die Rüstung blieb in der Form der Kürasse bei der schweren Kavallerie bestehen. Die Kavallerie führte Mäntel. Die Ausrüstung verteilte sich auf Mann und Pferd. Der Mann trug nur die Reiterpatronentasche (Kartusche) am Bandelier. Die Pferde trugen schwere Bocksättel, auf denen neben dem Mantel der persönliche Bedarf von Reiter und Pferd aufgeschnallt war. Die Bewaffnung bestand bei der schweren Reiterei in der schweren Hieb- und Stichwaffe, dem Pallasch. Daneben wurden Pistolen und in manchen Staaten auch Karabiner geführt, die zur Verwendung vom Pferde aus bestimmt waren. Als besondere Schußwaffen der Reiterei waren mancherorts Trabouen und Espignolen verwendet. Die Trabouen, die beispielsweise die österreichischen Kürassiere eine zeitlang führten, waren kurze Karabiner mit trompetenförmigem Lauf, die mehrere Kugeln mit starker Streuung verschossen. Die Espignolen waren Handfeuerwaffen ohne Schaft, in denen mehrere Ladungen steckten, die von der Mündung aus entzündet wurden. Die Dragoner führten zuerst das Infanteriegewehr, später einen längeren Karabiner mit dem Dillenbajonett. Die leichte Kavallerie war mit leichteren Säbeln, Pistolen und teilweise, z. B. in Kursachsen, bereits mit ge­ zogenen Büchsen bewaffnet. Die Artillerie verfügte über eine große Zahl Geschütze verschiedener Kaliber. Doch trat das Streben nach Vereinfachung des Geschütz­ materials hervor, das besonders bei der Feldartillerie einheitlicher wurde. Die Mannschaften der Artillerie hatten ähnliche Bekleidung wie die Infanterie. Sie führten zur Nahverteidigung kurze Säbel und Pistolen,

g) Samtätswescn, Verwaltung, Troß. Das Sanitätswesen entwickelte sich dem allgemeinen Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechend. Die Fürsorge für die Kranken und Verwundeten übernahm bei den stehenden Heeren der Staat durch besonders angestellte Organe. Die Rolle des Trosses im Sanitätswesen fiel fort. Die Chirurgie wurde durch Bader ausgeübt, die den Re­ gimentern als Feldscherer beigegeben waren. Wirkliche Aerzte waren nicht int ausreichenden Maße zur §anb, so daß auch einfache Ver­ letzungen auf dem Schlachtfeld großenteils tätlich verliefen. Gegen Seuchen konnten keine wirksamen Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Mit dem Sanitätswesen in den Armeen hat sich u. a. auch Leibniz beschäftigt, der 1714 auf die Notwendigkeit von Lazarettbaracken an Stelle der schwer zu desinfizierenden festen Lazarette hinwies.

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Die Verwaltung ging allmählich ganz in die Hände des Staates über. Ueber Löhnung und Verpflegung siehe Seite 123. Eine bedeu­ tende Rolle spielte der Nachschub der Verpflegung im Kriege, der durch eigene Intendanzen besorgt wurde. Die geworbenen Heere waren stark von Magazinen abhängig, da bei der Unverlässigkeit der Mannschaften die Absendung von Requisitionskommandos zur Beitreibung nicht in ausreichendem Matze stattfinden konnte. Magazine mutzten angelegt und nachgeführt werden, zumal auch feindliches Land als Friedens­ pfand möglichst geschont werden sollte. Der Trotz wurde gegenüber den Söldnerheeren stark verkleinert. Die Mitführung der Familie des Soldaten, der nun in seiner Garnison ein „bleibend Quartier" besaß, wurde weder geduldet noch war sie berechtigt. Nur mehr das Kriegsgepäck, so Munition, Verpflegung, Zelte usw. wurde nachgeführt. h) Rechtspflege.

Der Soldat behielt sein eigenes Recht, das sich dem bürgerlichen und dem Strafrecht der Zeit im allgemeinen anpaßte, aber besondere militärische Vergehen und Strafen kannte. Die Artikelsbriefe zu Ende des XVII. Jahrhunderts enthielten noch die vertragsmäßig vereinbarten Kriegsartikel; später entstand ein all­ gemein gültiges fürstliches Kriegsrecht in den einzelnen Staaten. Den Offizieren gegenüber erscheint immer wieder vordringlich das Duell­ verbot; scharfe Strafen, die hauptsächlich sich auf Mannschaften be­ zogen, standen auf Feigheit, Desertion, Insubordination, Betrug, Ma­ rodieren und Zauberei. Im Zeitalter der Aufklärung verschwand das letztere Reat. Die Rechtsprechung ging zum Teil in die Hände von Militär­ juristen (Auditeuren) über, die in schwereren Fällen die aus Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften zusammengesetzten Gerichte ergänzten. Schon zu Beginn des XVIII. Jahrhunderts existierten Regiments­ auditeure. Die Strafen waren teilweise hart. Neben Todesstrafen, Arrest und Gefängnisstrafen gab es Leibesstrafen, wie Prügel und Spieß­ rutenlaufen, zu Beginn der Periode auch noch die Verstümmelung. Entehrende Strafen wurden auch an Offizieren öffentlich vollzogen. Die Tortur bestand bis Ende des XVIII. Jahrhunderts, wenn sie auch immer seltener zur Anwendung kam. i) Soziale Stellung.

Die soziale Stellung des Soldaten hob sich mit Einführung der

stehenden Heere. Das Offizierskorps nahm in den meisten Staaten, besonders in Oesterreich und Preußen, durch seine Verschmelzung mit dem Adel

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eine besondere Stellung ein. Zwischen Offizierskorps und Mann­ schaften aber lag eine tiefe Kluft, die nur einigermaßen durch gemein­ same Waffentaten überbrückt werden konnte. Die Werbung führte den Heeren vielfach noch zweifelhaftes Soldatenmaterial zu, das auf ge­ sellschaftlich sehr niederer Stufe stand. Das Bürgertum verhielt sich im allgemeinen der Armee gegen­ über ablehnend. Es blickte mit Neid und Haß auf den Offizier, dessen Stellung ihm im großen verschlossen blieb, und mit Verachtung auf den Soldaten, dessen Stellung ihm nicht genügte. Immerhin aber zeigen die Bitten brandenburgischer Städte an Friedrich Wilhelm I. um Garnisonen, daß der Soldat dem Bürger nicht mehr als Plagegeist erschien. Am meisten hatte sich das Verhältnis zum Bauern geändert, der den Söldner des dreißigjährigen Krieges gefürchtet, den Entlassenen verfolgt hatte. Die Verankerung des Soldatenstandes im Staate und die in geringen Grenzen durchgeführte Aushebung, die in erster Linie die bäuerlichen Kreise traf, schuf ein besseres Verhältnis, das dadurch gewann, daß der entlassene Soldat, der vielfach in niederen Staats­ stellen auf dem Lande Verwendung fand, dem Bauern an Bildung überlegen war. Eine eigenartige Erscheinung war die Vermietung ganzer Truppen­ teile im XVIII. Jahrhundert an fremde kriegführende Mächte. Es handelt sich dabei nicht nur um Akte fürstlicher Willkür. Auch ausgesprochen wohlwollende Fürsten, wie Maximilian III. von Bayern übten solche Vermietungen aus. Man hat es hier mit Ueberresten aus der Söldnerzeit zu tun. Die Unterhaltung des stehenden Heeres wurde als eine schwer erträgliche finanzielle Last empfunden; durch die Vermietung von Truppenteilen wurde diese Last vom Lande genom­ men und darüber hinaus noch Geld gewonnen. Wo der Fürst diese ersparten Summen zum Wohle seines Staates anwandte, gewinnt die Vermietung ein wesentlich anderes Gesicht als da, wo sie für luxu­ riöse Privatzwecke ausgegeben wurden. Auf jeden Fall aber zeigten die Vermietungen die geringe Bewertung des Soldaten als Staats­ bürger; und mit den fremden Geworbenen hatten auch die wenigen eingestellten Landeskinder zu leiden.

B. Kriegsführung. a) Kriegsführung im Großen. Das ungelöste Problem der Feldherrnschaft führte in Oesterreich zu dem Versuch, den Feldherrn durch ein Konsortium zu ersetzen. Der vielgeschmähte Hofkriegsrat entstand aus dem Wunsche, einem un­ kriegerischen Kaiser eine Reihe von Männern an die Seite zu stellen, die von der staatlichen Zentrale aus einen umfassenden Ueberblick über die Gesamtkriegsührung und über die Mittel des Staates gewannen,

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und beides, Kriegführung und Mittel, miteinander in Einklang bringen sollten. Der Hofkriegsrat, der sich in vielen Fällen als tzemnis für tätige Führer erwies, hatte doch noch öfter einen günstigen Einfluß auf die Operationen, besonders dann, wenn Oesterreich auf verschie­ denen Kriegsschauplätzen von ungleicher Bedeutung zu kämpfen hatte. Die Institution des Hofkriegsrates wurde in anderen Staaten, z. B. in Bayern, nachgeahmt. Diese Kriegsräte sind die Vorläufer der späteren Kriegsministerien und in gewissem Sinne auch der Großen Generalstäbe gewesen.

Die Zeit vom dreißigjährigen Krieg bis zur französischen Revo­ lution weist zwei der großartigsten Feldherrngestalten auf, die die Geschichte kennt: Eugen von Savoyen und Friedrich den Großen. Prinz Eugen von Savoyen wurde am 18. Oktober 1663 als Sohn des Grafen Eugen Moritz von Soissons aus dem Hause Savoyen und seiner Gattin Olympia Mancini, einer Nichte des Kardinals Mazarin, zu Paris geboren. Die Familie des Prinzen fiel 1665 bei Ludwig XIV. in Ungnade. Der junge Prinz, vom König für den geistlichen Stand bestimmt, wurde mit seiner Bitte um Einstellung in die Armee wegen seines unansehnlichen Aeußern höhnisch abgewiesen. Eugen folgte dem Beispiel seines älteren Bruders und nahm 1683 in Oesterreich kaiser­ liche Dienste. Hier gut ausgenommen, trat er in ein Reiterregiment ein und zeichnete sich schon am 7. Juli in einem Gefecht bei Petronell aus. Im Herbst des gleichen Jahres erhielt er bereits das Kommando des Dragonerregiments Kuefstein, das er, mehrfach verwundet, in den kommenden Feldzügen führte. Seine treffliche Dienstleistung lenkte die Aufmerksamkeit der führenden kaiserlichen Militärs, des Herzogs von Lothringen, des Markgrafen Ludwig von Baden und des Kurfürsten Max Emanuel von Bayern auf ihn. 1697 erhielt der Prinz auf Be­ treiben des Hofkriegsratspräsidenten Rüdiger von Starhemberg, des Verteidigers von Wien, das Oberkommando über die Armee gegen die Türken. (Seine weitere Laufbahn s. unter „Kriege"). Eine beson­ dere Eigenschaft des Prinzen war seine absolute Treue dem kaiser­ lichen Herrn gegenüber, in der ihn auch die verlockendsten Anerbie­ tungen nicht wankend machen konnten. Der große Feldherr und Staats­ mann war zugleich ein feinsinniger Förderer der Künste und Wissen­ schaften. Am 21. April 1736 ist der Prinz zu Wien sanft verschieden. Friedrich II., der Große, König von Preußen, ist am 24. Januar ■1712 als Sohn Friedrich Wilhelms I. und seiner Gattin Sophie Do­ rothea zu Berlin geboren. Sein Vater sah mit Sorge die Neigung des Sohnes zu Luxus und die Abwendung von militärischen Dingen, die der Prinz in seiner Jugend zeigte, und die den Vater an die Eigen­ schaften Friedrich I. erinnerten. Eine harte Schule sollte den Kron-

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Prinzen zur Einfachheit erziehen. Ein Fluchtversuch des Prinzen im Jahre 1730 scheiterte; sein Mitschuldiger, der Leutnant von Katte, wurde vor seinen Augen hingerichtet, Friedrich zu Küstrin in strenger Haft gehalten. Er unterwarf sich dem Willen des Vaters und erhielt nach einer Heirat mit der Prinzessin Elisabeth von Braunschweig 1732 dessen volle Verzeihung. Gereift, widmete sich Friedrich mit Eifer der Führung seines Regiments in Rheinsberg. Am 31. Mai 1740 bestieg er den Thron. (Weiteres siehe unter „Kriege".) Nach einem arbeits- und erfolgreichen Leben starb er am 17. August 1786 nach langem Leiden zu Sanssouci.

Neben diesen überragenden Führern stehen eine Reihe hervor­ ragender Feldherrn und Generale. Während nun auf der einen Seite der Absolutismus mit seiner unbeschränkten landesherrlichen Gewalt großen Naturen in Führerstellungen die Möglichkeit gab, alle Kräfte eines Landes anzuspannen und unter einem Willen auf ein Ziel zu richten, legte andererseits die Beschränktheit der staatlichen Mittel an sich dem Feldherrnwillen Zwang auf. Die durchschnittlich geringe Bevölkerungsdichte und die mangelnde Finanzkraft der Länder verbot die Aufstellung großer Heere. Friedrich der Große hatte günstigen­ falls 200 000 Mann zur Verfügung, um sich gegen Schweden, Russen, Oesterreicher, die Reichsarmee und die Franzosen zu wehren. An die Durchführung weitgesteckter Ziele, wie die Einnahme von Wien oder Paris, geschweige denn Petersburg konnte er nicht denken. Es war schwer, ben Gegner zum Frieden zu zwingen. Die Mittel, die sich dafür boten, waren die Besetzung lebenswichtiger Provinzen oder die Vernichtung der feindlichen Streitkräfte. Die restlose Besetzung weiter feindlicher Landesteile war für die kleinen Heere unmöglich; man mußte sich begnügen, die festen Plätze einzunehmen. Der Festungskrieg spielte daher eine bedeutende Rolle. Schwieriger und gewagter war der Versuch, die feindlichen Streitkräfte durch eine Entscheidungsschlacht zu vernichten. Hier mahnte vor allem Eines zur Vorsicht: die Eigenart der Heere. Die geworbenen Armeen waren gegen eine große Niederlage und auch gegen einen verlustreichen Sieg bei weitem nicht so widerstandsfähig als später die Volksheere» in denen der Gedanke der Verteidigung des eigenen Vaterlandes geweckt war. Eine große Niederlage konnte eine Armee völlig auf­ lösen; den gleichen Erfolg aber konnte auch ein verlustreicher Sieg haben. Die Desertionen mehrten sich dann in erschreckender Weise und der finanziell schwache Staat konnte in den wenigsten Fällen daran denken, eine Reservearmee bereitzustellen. Die Schlacht blieb in ihrer Gefährlichkeit das Hilfsmittel der großen Geister, während die konventionelle Kriegführung jener Zeit die gefahrlosere Besitznahme von Provinzen vorzog. Frauenholz, Deutsche Kriegs- und Heeresgeschichte.

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Anders lagen die Verhältnisse da, wo es sich um Kämpfe Han­ delte, in denen um Leben oder Tod der Staaten und ihrer Kultur gestritten wurde. Im Osten, den Türken gegenüber, kämpfte Deutsch­ land und an seiner Spitze Oesterreich um den Fortbestand Europas. Die schwächlichere Art der Kriegsführung der Kulturstaaten unter sich konnte hier nicht Platz greifen. Die feindliche Streitmacht mutzte ver­ nichtet werden, um Europa Ruhe vor den asiatischen Einfällen zu schaffen. Die Kriegführung im Grohen unterschied sich noch in anderen Punkten wesentlich von der des dreißigjährigen Krieges. Der fürstliche Staat hatte die Macht an sich gerissen. Das Emporkommen von Söldnerführern zu politischer Bedeutung wurde ohne den Rückhalt eines Staates unmöglich. Die nur von der Sorge um den Unterhalt der Armee diktierten Züge hörten auf. Die Führung selbst wurde dadurch erschwert, daß die staatlichen, geworbenen Heere nur mehr durch die Disziplin, ohne die Hoffnung auf große Beute zusammengehalten wurden. Die Schonung des eigenen Landes als wertvollen Eigentumes und des fremden als kostbaren Faustpfandes führte im Zusammenhalt mit der Notwendigkeit, die Heere unter straffer Zucht zu halten, zur reinen Magazinverpflegung, die der Führung unbequeme Rücksichten aufzwang. Kleine Märsche, an­ strengende Biwaks, ebenfalls zur Schonung des Landes, und das früh­ zeitige Beziehen der Winterquartiere hemmten große operative Unter­ nehmungen. Die Ueberwindung aller dieser Rücksichten forderte eine über den Durchschnitt stehende Führerqualität. Der tüchtige General allein kam über diese Schwierigkeiten nicht hinweg) nur die hervor­ ragendsten Führer überwanden sie ganz oder teilweise.

b) Taktik und Fechtweise. 1. Feldkrieg.

Die Bedeutung der Infanterie stieg, ohne daß die Reiterei ihre schlachtentscheidende Rolle abgab. Bei der Infanterie wurde die Feuerwaffe alleinherrschend, die Pike verschwand gänzlich (f. Seite 124). Der Kampf begann bereits auf Ent­ fernungen von einigen hundert Schritt und wurde zum Vorträgen einer Feuerwalze, aus der sich der letzte Stoß mit der blanken Waffe entwickelte, soferne der Gegner nicht schon vorher den Kampf aufgab. Abwechselnd feuernd und avancierend rückte die angreifende Infantrie vor. Der Wunsch, möglichst viele Feuergewehre zur Geltung zu brin­ gen, verbreiterte die Schlachtordnung und verringerte aufs Neue ihre Tiefengliederung. Die preußische Infanterie, die unter Friedrich Wilhelm und Leopold von Dessau vorbildlich geschult war und ihren Ruhm auf den Schlachtfeldern Friedrichs des Großen erwarb, focht in der dünnen Aufstellung von drei feuernden Gliedern des ersten Treffens.

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Um baS Zerreißen dieser dünnen Front zu verhüten, folgte dem ersten Treffen in tieferer Gliederung ein zweites in solcher Entfernung, daß nicht beide gemeinsam der feindlichen Feuerwirkung ausgesetzt waren. Die Lineaturtaktik wurde Gemeingut der deutschen Infanterie. Die Starrheit, die ihr innewohnte, engte die taktische Einwirkung der oberen Führer so ein, daß „die Schlachten Eugens und Marlbo­ roughs den napoleonischen ähnlicher sind, als die friderzianischen'. (Delbrück, Geschichte der Kriegskunst, IV. 322.) Einen Versuch, diese Starrheit zu lösen, stellt die berühmte schiefe Schlachtordnung Friedrichs des Großen dar, die ein einziges Mal, bei Leuthen, zu voller Ausführung gelangte. Durch Staffelung sollte der entscheidende Flügel früher an den Feind gebracht werden; der andere Flügel konnte nur schwächer gehalten werden. Die schwierigen Bewegungen hiefür erforderten eine hervorragende Exerziertechnik. Das Fechten in aufgelöster Ordnung blieb bis zum Ende der Periode bei der -deutschen regulären Infanterie verpönt, trotzdem die tzilfsvölker der Panduren und Kroaten in den schlesischen Kriegen den Preußen viel zu schaffen machten. Ihre Fechtweise hinter Bäumen, Zäunen und Hecken, unter Ausnützung des Geländes wurde als un­ ehrlich angesprochen. Den Freibataillonen, deren Bildung gegen die österreichische irreguläre Infanterie Friedrich zuließ, wandte er wenig Augenmerk zu. Auch die Bildung von 'Iägerbataillonen, wie sie gegen Ende des XVIII. Jahrhundert in einzelnen Armee zu verzeichnen ist, führte nicht zu entscheidenden Aenderungen in der Jnfanterietaktik. Die schwere Reiterei sollte die Entscheidung im geschlossenen, meh­ rere Glieder tiefen Chok herbeiführen. Auch von den Dragonern und von der leichten Kavallerie verlangte man im Laufe der Periode die Fähigkeit der geschlossenen Attacke neben ihren sonstigen Aufgaben. Die Attacke sollte mit dem Pallasch, nicht mehr mit der Pistole durchgefochten werden. Das Feuern mit Pistolen kam noch in den schle­ sischen Kriegen bei der österreichischen Kavallerie vor, diente aber möhr dazu, den Gegner in Schrecken zu setzen. Zum Einbruch in die feindliche Front griff auch hier der Reiter zum Pallasch. Zunächst behielt die durch den Prinzen Eugen zur Elitewaffe ausgebildete österreichische Kavallerie das unbestrittene Uebergewicht über die anderen deutschen Kavallerien. Die Attacke wurde bis auf einige Hundert Meter im Trabe angesetzt und dann im Galopp durchgeritten. Die preußische Kavallerie war unter Friedrich Wilhelm I. gegenüber der Infanterie zurückgeblieben. Sogar der Attackengalopp war aufgegeben worden. Erst nach dem Versagen der Kavallerie bei Mollwitz nahm sich Friedrich der Große der Reiterei an und zwar mit solcher Energie, daß sie in den kommenden Feldzügen ebenbürtig neben die österreichische treten konnte. Bemerkenswert ist das zahlenmäßige Anwachsen der Kavallerie im preußischen Heere unter Friedrich dem Großen auf mehr als y4 der Feldstärke der Armee.

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Die Artillerie erfuhr eine gewaltige Vermehrung, die von Oester­ reich ausging, das hierin einen Ausgleich gegen die überlegene Schu­ lung der preußischen Infanterie suchte. Während zu Beginn der schle­ sischen Kriege ein bis zwei Geschütze auf tausend Mann Infanterie trafen, steigerte sich gegen Ende die Zahl auf sechs bis sieben. Der Mangel an brauchbaren taktischen Formationen bei der Artillerie ließ einen erheblichen Wandel in der Taktik der Artillerie nicht zu. Erst gegen Ende des XVIII, Jahrhunderts fand die Zusammenfassung in Batterien statt. Die Feldbefestigung gewann an Bedeutung. Schon die Mitfüh­ rung spanischer Reiter gegen die Kavallerieangriffe kann als eine Art von Feldbefestigung angesprochen werden. Nun, mit der höheren Be­ wertung der Feuerwaffe, versucht man, durch Verhaue den Verteidig­ ungsstellungen mehr Halt zu geben. Besonders aber wurde die Be­ festigung von Ortschaften, die in der Schlachtfront gelegen waren, ge­ pflegt; feste Kirchhöfe, die ursprünglich dem Schutz der Bevölkerung dienen sollten, spielten eine besondere Rolle. Bei Blindheim, wie bei Leuthen waren solche Kirchhöfe Kernpunkte der Stellungen. Wiederholt machte man von befestigten Lagern Gebrauch, namentlich in den Zeiten großer Ermattung, in denen man sich den Gefahren einer Feldschlacht noch weniger als sonst uussehen mochte. 2. Festungskrieg. Die Befestigungskunst erreichte eine hohe Blüte. Die Entwicklung der Feuerwaffen, vor allem der Artillerie wirkte entscheidend ein. Die einfache hohe Mauer, die eine geradlinige Derteidigungsfront darstellte, genügte nicht mehr. Sie wurde vom feindlichen Feuer fron­ tal gefaßt, und zerschossen. Der Feuerwirkung wurde nun der Erdwall vor der Mauer und eine Gliederung der Verteidigungslinie selbst entgegengesetzt, die dem Angreifer den einfachen Frontalangriff ver­ wehrte. Die hochragenden Verteidigungslinien begannen im Erdboden zu verschwinden. Die Vorbauten, die sich schon bei den mittelalterlichen Burgen in schwachen Ansätzen finden, wurden immer weiter hinausge­ schoben, blieben aber zunächst noch in unmittelbarer Verbindung mit dem Kermverk der Verteidigungsanlage. Die Flankierung der einzelnm Teile der Festungswerke durch den Verteidiger wurde immer wichtiger, je mehr weittragende Feuerwaffen die Möglichkeit gaben, dem Gegner, der sich schon einzelner Teile der Befestigung bemächtigt hatte, das weitere Vordringen durch Feuer zu verwehren. Eine Reihe von Kriegsingenieuren haben sich mit den Fragen des Festungsbaues befaßt, von denen der Franzose Sebastien le Pretre de Dauban (1633—1707), dessen System bahnbrechend wurde, die erste Stelle einnahm. Neben diese Kriegsleute aber traten schon in der zweiten Hälfte des XVII. Jahrhunderts Gelehrte, die dem Problem der unbezwinglichen

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Befestigung von der rein wissenschaftlichen, der mathematischen Seite näher zu kommen suchten. Die Befestigungskunst erhielt nun einen doktrinären Einschlag. Während^die französischesFortifikation an dem Vaubanschen System mit seinen vorgeschobenen Bastionen festhielt, traten in Deutschland Meister der Befestigungskunst auf, die das Tenaillensystem bevor­ zugten, bei dem die Verstärkung der Verteidigungslinie nicht durch das Vorschieben von Bastionen, sondern durch mannigfaltige Brechung der Front in aus- und einspringende Winkel erreicht werden sollte. Leonhard Sturm (1669—1719), Lehrer an der Ritterakademie in Wol­ fenbüttel und an der Universität Frankfurt a. O., sodann Oberbau­ direktor des Herzogs von Mecklenburg, trat als einer der ersten der bedeutenden Vertreter dieses Systems auf, das in dem sächsischen General Hermann Landsberg (1680—1740) und in dem Marschall Graf Moritz von Sachsen (1696—1750) seine hauptsächlichsten Ver­ treter fand. Friedrich der Große befaßte sich selbst mit der Befestigung der schlesischen Städte. Die Gedanken des Königs wichen vom Her­ gebrachten ab; er strebte „Wechselwirkung zwischen Fortifikation und Taktik" an. Da ihm keiner seiner Ingenieure in diese neue Gedanken­ welt folgte, arbeitete der König die Pläne für die Befestigungen per­ sönlich aus. Die friderizianischen Ideen, die in Frankreich der Marquis Marc Rene de Montalembert (1714—1800) übernahm und ausbaute, führten bereits zu dem Vorschieben selbstständiger, von der Kernbefestigung getrennter Forts und leiteten damit zu der modernen Art der ständigen Befestigung über. Der Lehre von der Befestigung steht die Lehre vom Angriff gegen­ über. Mit der Verstärkung der Festungen mußte auch der Angreifer seine Arbeiten mehr als früher decken. Allmählich schoben sich bei der förmlichen Belagerung die Laufgräben und Batterien an die Festungs­ werke heran, bis die Stellung erreicht war, von der aus der Sturm gewagt werden konnte. Neben dem förmlichen Angriff kannte man den Handstreich, der schlecht bewachten Festungen gegenüber nicht selten gelang. Wenn eine Festung sich wehrte, waren meist lange Belagerun­ gen nötig.

C. Kriege. Auf die Zeit des dreißigjährigen Krieges folgte nicht etwa eine lange Friedensperiode. Das ermattete Deutschland fand keine Zeit zu ruhigem Wiederaufbau. Um die Grenzen Deutschlands wogte ein Meer von Kämpfen, in die das Reich entweder ganz oder mit Teilen hineingezogen wurde. Von 1619—1699 kämpfte die Türkei gegen Polen und Rußland, von 1632—1667 Rußland und Polen unter sich, von 1635—1659 Frankreich mit Spanien, von 1640—1668 Spanien mit Por-

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tugal, von 1642—1716 war England von Revolutionskriegen durch­ wühlt, von 1645—1669 focht Venedig gegen die Türken, von 1649—1653 fanden die Kriege der Fronde in Frankreich statt; England hatte von 1652—1667 gegen Spanien und gegen Holland zu fechten, Holland und Portugal bekämpften sich von 1656—1661. In der Schweiz brachen in den fünfziger Jahren Bauernaufstände und Religionsstreitigkeiten aus. Die europäische Lage forderte von Deutschland einen Kamps nach zwei Hauptfronten. Von Osten her drohte wieder die Überflutung Eu­ ropas durch Asien. Wie früher Hunnen, Avaren, Mongolen und Un­ garn, so drangen jetzt die Türken gegen Europa vor. Dagegen stand hier, aus der alten Ostmark hervorgegangen, Oesterreich, und das früher feind­ liche Ungarn stellte sich auf die Seite Europas in dem Kampf, der um Christentum und europäische Kultur geführt wurde. Das habsburgische Kaiserhaus erfüllte in den Jahrhunderten der Türkenkämpfe seine große europäische Mission. Im Westen aber ging Frankreich gegen das deutsche Reich vor. Die Kriege tragen hier zwar nicht den Charakter von Kämpfen um den Bestand einer ganzen Kultur, aber doch um das Fortbestehen und die Geltung eines großen Reiches und auch hier sind die Habsburger in heißem Ringen ihrer kaiserlichen Pflicht gegenüber dem Reiche nachgekommen. Unter erschwerenden Umständen insoferne, als das Reich nicht geschlossen hinter ihnen stand. Der Drang der Fürsten nach Festigung der Verhältnisse in den eigenen Landen und nach Erweiterung ihrer Geltung von deutschen zu europäischen Mächten führte eine Reihe von ihnen in eine feindliche Stellung zum Kaiser, von dessen Siegen sie die Erstarkung einer zentralen Kaisergewalt und eine Schwächung der eigenen Macht fürchteten. Während das Kaisertum im Kampfe gegen Ost und West smnd. nahm im Norden Deutschlands ein bisher wenig bedeutender Staat, Brandenburg, den Kampf gegen Feinde des Reiches auf, ohne sich cllerdings mit dem Kaisertum zu verbünden. Im Gegenteil wuchs hier dem kaiserlichen Oesterreich der gefährlichste Rivale heran.

FerdinandIII. (1637—1657);LeopoldI. e hier auf 'Seite der Verbündeten der napoleonische Vernichtungsgedanke bis in die letzten Konsequenzen hinein in die Tat umgesetzt;

Die Zeit der Reaktion und des Aufslieges Preußens in Deutschland von 1815 bis 1866

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die bewußte Auflösung der Verbände des verfolgenden preußischen Heeres, das die Verfolgung ohne Rücksicht auf die ermattet zurück­ bleibenden Mannschaften und Pferde fortsetzte,stellt einen bedeutungs­ vollen Bruch mit der Kriegführung des XVIII. Jahrhunderts dar, die das Vorgehen der Verbündeten sonst noch stark beherrschte. Napoleon traf am 21. Juni ohne Heer in Paris ein. Auch jetzt war die Energie des gewaltigen Mannes noch nicht gebrochen. Er versuchte, Frankreich zum äußersten Widerstand emporzureißen. Nun aber zeigte sich die Schwäche seines zweiten Kaisertumes, das nicht mehr diktatorisch befehlen konnte. Die verfassungsmäßigen Kam­ mern hatten sich seit Napoleons Rückkehr aus Elba größere Rechte zu wahren gewußt. Nun scheiterte die Erhebung des ganzen Volkes am Widerstand der von Fouche gegen Napoleon aufgepeitschten Ab­ geordnetenkammer. Sein Abgang wurde von der Kammer gefordert, während das Volk noch auf seiner Seite stand. Napoleon entsagte am 22. Juni dem Throne. Der von der Kammer erwartete Erfolg blieb aus: Blücher und Wellington blieben im Vormarsch auf Paris. Marschall Davout ver­ suchte nun, den Widerstand zu organisieren und brachte 75 000 großen­ teils unbrauchbarer Mannschaften zusammen. Am 29. Juni erschienen die Preußen und Engländer vor Paris, das am 4. Juli kapitulierte. Die Hauptarmee setzte sich auf die Nachricht vom Siege bei Waterloo am 22. Juni über Lothringen in Marsch auf Paris. Der tapfere Widerstand der französischen Festungen konnte den Zug der überwältigenden Ueberzahl nicht aufhalten. Auch durch Oberitalien marschierten die Oesterreicher vor. Am 10. Juli zogen die verbündeten Monarchen in Paris ein. Die französische Regierung hatte Napoleon zwei Fregatten zur Verfügung gestellt, um nach Nordamerika zu entkommen. Wellington verweigerte die Ausstellung der Pässe. Die englische Flotte blockierte die französische Küste. Um nicht schmählich auf der Flucht gefangen zu wer­ den, rief Napoleon das Gastrecht der Engländer an. Die Engländer verbrachten ihn nach St. Helena, wo er am 5. Mai 1821 starb. Der zweite Pariser Frieden vom 20. November 1815 schloß den Krieg.

2. Die Zeit der Reaktion und des Aufstieges Preußens in Deutschland von 1815 bis 1866. Der Wiener Kongreß beschäftigte sich nicht nur mit der Neuordnung Europas. Auch die deutsche Frage sollte gelöst werden. Die Sehnsucht des deutschen Volkes ging nach Zusammenschluß und staatlicher Macht, die allein ein Emporblühen Deutschlands gewährleisten konnten. Die Erneuerung -er alten deutschen Kaiserherrlichkeit erwartete die Mehr-

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zahl der Deutschen von der Arbeit des Kongresses. Eine Reihe von Hindernissen stand dem im Wege. Neben den alten Kaiserstaat war das neue Preußen getreten, das seine Macht und seine Verdienste um die Erhebung gegen Napoleon in die Wagschale legen sonnte; keine -er beiden Großmächte trat vor der anderen zurück. Die kleineren Staaten hatten eine Selbständigkeit erlangt, die sie nur schwer wieder aufgeben wollten. Den übrigen europäischen Staaten erschien ein un­ geeintes Deutschland angenehmer, als ein mächtiger Kaiserstaat. Der neue deutsche Bund, der auf dem Wiener Kongreß entstand, war aus all diesen Gründen keine Erfüllung der Hoffnungen, die vaterländisch denkende Männer wie der Freiherr von Stein oder Kronprinz Ludwig von Bayern gehegt hatten. Nur ein loser Staatenbund kam zustande, der kein eigentliches Oberhaupt besaß, sondern von dem vielköpfigen Bundestag mit dem ständigen Sitz in Frankfurt und Oesterreich als Präsidialmacht geleitet werden sollte.

Ein weiteres Moment, das die Entwicklung der Heereseinrichtungen stark beeinflußte, war der Kampf um die Gewährung von Verfassungen an die Deutschen. Die französische Revolution hatte die Kräfte des Volkes freigemacht; in -en Befreiungskriegen hatte sich allerorts in Deutschland opferwillige Stimmung gezeigt; Gut und Blut war man bereit gewesen, für die Befreiung des Vaterlandes hinzugeben. Nach der Befreiung hatte das Volk gehofft, daß die Regierungen mit offener Hand die Gabe freierer Entwicklung in verfassungsmäßig geordneten Staaten geben würden. Ein Teil der mittleren und kleineren deutschen Staaten ging mit gutem Beispiel voran. Auch in Preußen versprach der König eine Verfassung; allein die Erfüllung des Ver­ sprechens blieb aus. Und Oesterreich stellte sich von vorneherein in -er Verfassungsfrage auf einen ablehnenden Standpunkt. Fürsten und Regierungen sahen in der Verfassung vielfach ein revolutionäres Element, das die Grundlagen des Staates schädigen konnte. Die Bundesverfassung hatte zwar anerkannt, daß in den einzelnen Staaten Verfassungen gegeben werden müßten, allein die Präsidialmacht Oester­ reich drängte keineswegs auf die Durchführung dieses Paragraphen. Es entstand eine Zett der Reaktion, der Entfremdung zwischen Fürsten und Regierungen einerseits und den Völkern anderersetts, die durch die Revolution des Jahres 1848 nur teilweise behoben wurde. Das staatliche Leben des deutschen Reiches stagnierte. Die Vormacht Oesterreich fand den Weg zu neuem Aufstieg nicht. Preußen, wohl seit langem innerlich mit Oesterreich rivalisierend, wagte doch in ent­ scheidenden Momenten nicht, den Bruch mit dem Kaiserstaat herbeiMführen, bis eine übermächtige staatsmännische Persönlichkeit sich hier durchsetzte und mit einer Regeneration Preußens auch ein neues deutsches Reich nach seinem Sinne schuf. Preußen war im Begriff gewesen, innerlich wie vor 1806 zu erstarren; Bismarck entriß es

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gewaltsam diesem Prozeß und schuf ihm, zuerst im eigenen wie in den übrigen deutschen Ländern bestens gehaßt und gefürchtet, die starke Waffe eines gewaltigen Heeres, das mit Blut und Eisen ein neues Deutschland errichtete. A. Heerwesen Die Vorherrschaft Preußens in Deutschland war auch in militäri­ scher Beziehung nicht voll anerkannt, bevor der Waffengang von 1866 entschieden hatte. Bis dahin galt die österreichische Armee als der preußischen überlegen und als die beste Deutschlands. Der Ruhm Radetzkys hatte die Schäden überdeckt, die sich im österreichischen Heerwesen eingeschlichen hatten. Die Armeen der einzelnen deutschen Staaten boten ein sehr buntes Bild. Vor Allem war die Durchführung der tatsächlichen Einstellung des wehrhaften Volkes zum Heeresdienst gänzlich verschieden. Während die Armeen der beiden deutschen Großstaaten ansehnlich waren, ließen viele der Mittel- und Kleinstaaten ihre Heere verfallen. Der größte Mittelstaat, Bayern, ging hiebei mit schlechtem Beispiel voran. Immer wieder machten Fachleute und Laien auf die Rückständigkeit der Heeres­ einrichtungen dieser Staaten aufmerksam. Eine Unzahl von Flugblättern und Broschüren existiert über diese Zustände in der damaligen Zeit. Allein die in einer dieser Broschüren tadelnd erwähnte Auffassung: „Wir sind kein Militärstaat, wir werdens nicht ausmachen" blieb der Leitgedanke in den meisten Mtttel- und Kleinstaaten des deutschen Bundes. Bei den Großstaaten trat ein neuer Gesichtspunkt in die Er­ scheinung, der sich auch bei den Armeen der übrigen europäischen Groß­ mächte nachweisen läßt, und der dem XVIII. Jahrhundert fremd war: der Drang, den voraussichtlichen Gegner in waffentechnischer Beziehung zu überflügeln. Während man im XVIII. Jahrhundert die Möglichkeit hatte, stärkere Heere aufzustellen, wenn das Geld dafür vorhanden war, fiel mit der Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht diese Mög­ lichkeit fort; war alles Waffenfähige zum Heeresdienst herangezogen, soweit dies die Verhältnisse im Staate überhaupt zuließen, so konnte eine tzeeresvermehrung nicht mehr stattfinden. Die Ausbildung hob man auf die bestmöglichste Stufe, eine Steigerung hatte auch hier ihre Grenzen. Es blieb nur die Verbesserung der Waffen in so einschnei­ dender Weise, daß auch eine zahlenmäßige Ueberlegenheit des Feindes ausgeglichen werden konnte. Die fortgeschrittene Technik kam den Wün­ schen der Militärs entgegen. Die Folge war eine Ueberschätzung der Technik, die sich bis in unsere Zeit herein fortsetzt. Immer wieder mußten die Kriege erweisen, daß der Mensch, nicht das Material das Ausschlaggebende ist. Der Krieg von 1866 wurde nicht durch das Zündnadelgewehr, sondern durch die überlegene Führung Moltkes und durch die bessere Schulung seiner Unterführer gewonnen; 1870

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siegten die Franzosen trotz eines weit besseren Jnfanteriegewehres nicht. Selbstverständlich aber mutzte jede militärische Großmacht sich die neuesten technischen Verbesserungen zunutze machen. a) Heeresanfbringuug.

1. Der deutsche Bund. Die deutschen Bundesakte vom 8. Juni 1815 enthielten die Grund­ züge für die Heeresverfassung des neuen Bundes. 1818 wurden all­ gemeine Gesichtspunkte und Direktiven für die Kriegsverfassung auf­ gestellt. Die „Kriegsverfassung des deutschen Bundes" erschien dann durch Bundesbeschlutz vom 9. und 12. April 1821 und vom 11. Juli 1822. Sie ist bis 1866 im Wesentlichen unverändert geblieben) die Ausführungsbestimmungen haben durch Bundesbeschluß vom 4. Januar 1855 eine Revision einzelner Abschnitte erfahren. Die Kriegsverfassung bekannte sich nicht zum Gedanken der all­ gemeinen Wehrpflicht; sie nötigte die einzelnen Bundesstaaten nicht zu ihrer Einführung. Das Bundesheer rekrutierte sich aus den Kon­ tingenten der einzelnen Bundesstaaten, die nach der Größe dieser Staaten verschieden waren. Auf die volle Ausnützung der Wehr­ kraft des Gesamtbundes wurde verzichtet, und so verfügte jede der beiden deutschen Großmächte über mehr Truppen, als im Falle einer Bundesexekution durch Bundesbeschluß gegen sie aufgeboten werden konnten. Die Kriegsmacht des deutschen Bundes belief sich auf 452 475 Mann für die erste Linie; 50277 Mann sollten als Ersatzkontingent bereitgestellt werden. Die Einteilung des Bundesheeres wies zehn Armeekorps (darunter sieben ungemischte und drei gemischte) und eine Reservedivision auf. Davon hatten (einschließlich Ersatzkontingent) aufzu­ stellen : Oesterreich das I., II., III. Armeekorps mit 158037 Mann Preußen das IV,,. V., VI., Armeekorps mit 133 769 Mann Bayern des VII. Armeekorps mit 59334 Mann Württemberg, Baden, Hessen (Grhztm). das VIII. Armeekorps mit 50251 Mann Sachsen, Kurhessen, Nassau, Limburg, Luxemburg das IX. Armeekorps mit 38281 Mann Hannover, Braunschweig, Holstein-Lauenburg, Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz, Oldenburg, Lübeck, Bremen und Ham­ burg das X. Armeekorps mit 45 744 Mann. Am buntesten sah die Reservedivision aus, die aus den Kontin­ genten von Sachsen-Altenburg, Sachsen - Coburg - Gotha, SachsenMeiningen-Hildburghausen, Sachsen-Weimar-Eisenach, Anhalt-DessauKöthen, Anhalt-Bernburg, Hessen-Homburg, Waldeck, Lippe, Schaum­ burg - Lippe, Schwarzburg - Sondershausen, Schwarzburg - Rudolstadt.

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Lichtenstein, Reuß und Frankfurt zusammengesetzt war und eine Stärke von 17 336 Mann erreichte. Militärkonventionen der Staaten unter sich waren verboten; den kleineren Staaten wurde dadurch die Möglichkeit genommen, ihr Kon­ tingent in einem größeren Rahmen ausbilden zu lassen. An der Ge­ stellung der Waffengattungen sollten alle Staaten beteiligt sein, so daß auch der kleinste, Lichtenstein, der 82 Mann zu stellen hatte, diese nicht in der Form einer schwachen Kompagnie aufstellen durfte, sondern 4 Scharfschützen, 61 Infanteristen, 10 Reiter und 7 Artilleristen zu stellen hatte. Der Wert der Korps war dadurch- sehr verschieden. Während die sieben ungemischten Korps gut sein konnten, machte sich bei den drei übrigen die buntere Zusammensetzung in ungünstigster Weise fühlbar. Die Reservedivision wurde nicht als Feldtruppe angesprochen, sondern sollte als Festungsbesatzung Verwendung finden. Für die Ausbildungsdauer und die Mindestpräsenzzeit des ein­ zelnen Mannes bei der Fahne setzte die Kriegsverfassung fest, daß die Rekrutenzeit sechs Monate dauern müsse; der Infanterist habe min­ destens zwei Jahre, der Kavallerist drei Jahre, der Fußartillerist zwei Jahre, der Feldartillerist drei Jahre und der Pionier zwei Jahre bei der Fahne zu dienen. Diese Mindestdienstzeit mußte jedoch nicht zu­ sammenhängend abgedient werden, sondern konnte sich auf einen Zeit­ raum von sechs Jahren verteilen.

2. Preußen. Die Entwicklung des Heerwesens in Preußen in der Zeit von 1815 bis 1866 ist ein außerordentlich interessantes Kapitel in der Geschichte des deutschen Heeres. Man darf jedoch bei seiner Betrachtung nicht aus dem Auge verlieren, daß die Volksvertretung, die als neues Element nach 1848 zu den bestimmenden Faktoren für die Ausgestaltung des Heeres trat, in dem entstehenden Kampf nicht nur um militärische Fragen, sondern vielmehr noch um politische Rechte focht. Das Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht wurde beibehalten; die dreijährige Dienstzeit bei der Fahne bestand fort. Die Not des Staates nach den Befreiungskriegen machte es jedoch unmöglich, die ganze Zahl der wehrfähigen Rekruten in das Heer ein­ zustellen. Dieser Umstand kam dem Gedanken des Kriegsministers von Boyen entgegen, die in den Befreiungskriegen improvisierte Landwehr neben der Linie bestehen zu lassen. Nicht int Sinn eines Rückhaltes an älteren Mannschaften, wozu die Landwehr später wurde, sondern mit eigenen Rekruten und eigenen Offizieren wollte Boyen die Landwehr erhalten wissen. Er gebrauchte das Gleichnis von zwei Brüdern, von denen die Linie der rauhere war, gegen dessen Uebergriffe man die Land­ wehr gelegentlich schützen müsse. Der Gedankengang Boyens war ge­ tragen von der Ueberzeugung, daß das Heer eine Erziehungsanstalt für

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das ganze Volk sein müsse. Nur wies er — und das war sein Fehler —, diese Aufgabe nicht der Linie» sondern der Landwehr zu, in der die staatsbürgerliche Haltung des Einzelnen nicht nur gepflegt, sondern auch bis in die späteren Lebensjahre hinein kontrolliert werden sollte. Bohen setzte sich zunächst durch. Die Landwehrordnung vom 21. November 1815 entsprach seinen Ansichten. Als jedoch die für sich allein stehende Landwehr in den Manövern versagte, entschloß sich der König zu ihrer Neuordnung. Doyen nahm seinen Abschied. Die aktiven Komman­ dierenden Generale erhielten die Aufsicht über die Landwehr, die sonst als selbständiges Institut bestehen blieb. Die kommenden Jahre brachten keine Fortschritte in der Entwicklung des Heerwesens. Die preußische Armee blieb bedenklich auf dem Alten stehen. Auch die Ideen Doyens setzten sich erneut durch; zum zweiten Male wurde er am 28. Februar 1841 als hochbetagter Mann durch Friedrich Wilhelm IV. auf den Posten -es Kriegsministers berufen, eine Ernennung, die pro­ grammatischen Charakter trug. Die Landwehr wurde wieder vor der Berührung mit der Linie bewahrt, vor allem blieben die Offizierskorps getrennt. Doyen mußte 1847 vor dem Einfluß der militärischen Reform­ partei von seinem Posten weichen, deren Haupt der Prinz von Preußen, der spätere Kaiser Wilhelm I., geworden war. Doch war der König auch in den kommenden Jahren nicht zu den durchgreifenden Reformen zu bewegen, die der Prinz wünschte. So gut sich in den Jahren 1848 und 1849 die Linie bewährte, so wenig brauchbar und verlässig zeigte sich die Landwehr. Allein weder dieser Umstand, noch die bittere Er­ klärung des Kriegsministers im Jahre 1850 anläßlich eines drohenden Konfliktes mtt Oesterreich, die preußische Armee sei nicht auf der Höhe und der österreichischen nicht gewachsen, vermochte Reformen herbeizu­ führen. Nur die Dienstzeit, die 1820 bei der Infanterie auf 2^, 1837 auf 2 Jahre herabgesetzt worden war, wurde 1858 unter dem Ein­ fluß Wilhelms wieder auf 3 Jahre festgesetzt. Erst die Uebernahme der Regentschaft für den erkrankten Bruder im Jahre 1858 durch den Prinzen von Preußen ermöglichte Wilhelm, seine Reformpläne ins Werk zu setzen. Das Jahr 1859 verging mit der Vorbereitung. Nun war aber ein neuer Faktor in die Erscheinung getreten, der sich seither fast immer als stören- für die volle Ausgestaltung der Wehrkraft des deutschen Volkes erwiesen hat: die Volksvertretung. Die Parteien haben die Genehmigung der lebenswichtigen Ausgestaltung des Heeres als Mittel benützt, um sich parteipolitische Vorteile zu sichern. In den kommenden Jahren wurde nun die Linie zum Symbol der könig­ lichen Gewalt, die Landwehr zu dem des souveränen Volkes. Einem Aufgehen der Landwehr in der Linie widersetzten sich die liberalen Parteien, da ihnen in diesem militärisch notwendigen Vorgang eine Stärkung der Königsgewall zu liegen schien. Der Kriegsminister, General von Bonin, der kein überzeugter Anhänger einer radikalen Reform war, trat im November 1859 zurück,

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an seiner Stelle übernahm General von Roon das Kriegsministerium; dessen Ansichten stimmten völlig mit denen des Prinzen von Preußen überein. Zunächst kam 1860 ein Kompromiß zustande, der die Mittel für die Reorganisation „vorläufig" bewilligte. Die Landwehrregimenter wurden in Linienregimenter umgewandett, während man mit Landwehr nunmehr die gedienten Mannschaften älterer Jahrgänge bezeichnete. Die Dienstzeit bei der Fahne dauerte 3, in der Reserve 5 und in der Landwehr 11 Jahre. Allmählich setzte der Konflikt zwischen Krone und Parlament ein. Die liberalen Parteien des Landtages betonten ihre Rechte, die Krone blieb auf den ihrigen bestehen. Das Militärbudget wurde 1861 nicht mehr bewilligt. Wilhelm, nach dem Tode seines Bruders seit 1861 König, wich nicht zurück. Er fand nur an Roon eine Stütze, wäh­ rend das übrige Ministerium zum Vergleich neigte. Die Reorganisation nahm ihren Fortgang, der Staatshaushalt wurde ohne die Bewilligung des Landtages wettergeführt. Der Kampf nahm eine solche Schärfe an, daß der König zu ermatten drohte und sich mit Rückttittsgedanken trug. Endlich setzte Roon die Berufung des Herrn von Bismarck, Ge­ sandten in Paris, zum Ministerpräsidenten durch. Der König hatte ursprünglich eine starke Abneigung gegen Bismarck empfunden, der ihm gewalttätig und revolutionär erschien. Bismarck nahm den Kampf mit dem Landtag auf. Mit Hohn empfangen, in Preußen der bestgehaßte Mann, setzte er dem Verlangen des Landtages unbeugsamen Willen entgegen. Der Staatshaushalt wurde weitergeführt, die Reorganisation nicht unterbrochen. Mit welch' verletzender Erbitterung der Kampf weiterging, zeigen die Worte, mit denen ein Abgeordneter der Regie­ rung vorwarf, ihr Verhalten in der Heeresreformangelegenheit trüge das Kainszeichen des Eidbruches an der Stirn, worauf Roon erwiderte, jedenfalls trügen die Worte des Abgeordneten „an der Stirne den Stempel der Ueberhebung und Unverschämtheit". Erst die überraschenden Erfolge von 1866 legten den Wert der Reorganisation so deutlich dar, daß das Abgeordnetenhaus in der Sitzung vom 5. August 1866 begeistert zustimmte, als der siegreich heimgekehrte König die Hand zur Versöhnung bot und die nachträgliche Bewilligung -er Heeresausgaben forderte. Der Konflikt war damit heigelegt. 3. Oesterreich-Ungarn. Die Heeresverfassung Oesterreichs kannte nach den napoleonischen Kriegen die allgemeine Wehrpflicht noch nicht. Die Armee ergänzte sich durch Werbung im Inlands, wozu den Regimentern Werbebezirke zugewiesen waren. Daneben bestand wie im XVIII. Jahrhundert die Konskription. Soweit die Werbung nicht ausreichte, griff der Staat auf die konskribierten Mannschaften zurück.

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Die Dienstzeit wurde unter Kaiser Ferdinand I. 1845 von vierzehn auf acht Jahre herabgesetzt. Am 5. Dezember 1848 verfügte Kaiser Franz Joseph I. eine Er­ weiterung der Konskriptionspflicht durch Aufhebung der Ausnahme­ bestimmungen. 1852 wurde das Institut der Reserve weiter ausgebaut. Nach der achtjährigen Dienstzeit bei der Fahne war der Mann noch zwei weitere Jahre zum Dienst in der Reserve verpflichtet. Für die Militärgrenze galten Sonderbestimmungen. Die Landwehrpflicht aller Konskribierten bis zum 45. Jahre blieb bestehen. 1860 wurde mit dem landsmannschaftlichen Charakter gebrochen, der bisher in den Regimentern festgehalten war. Namentlich die Offi­ ziere wurden zu Regimentern versetzt, die sich aus anderssprechenden Gegenden rekrutierten. Die österreichische Armee verschloß sich im Bezug auf die Heeres­ aufbringung -em großen Zug der Zeit, der nach allgemeiner Wehr­ pflicht ging. Eine veraltete Art der Heeresergänzung blieb bestehen. Ungarn beharrte zudem auf Vorrechten, die der Bildung einer einheit­ lichen Armee abträglich waren. Das Vorbild, das Preußen in der Aus­ gestaltung des Heerwesens gab, blieb hier nicht unbeachtet, wurde aber nicht nachgeahmt.

4. Bayern. Bayern war einer der Staaten, die sich am raschesten in Deutsch­ land — schon 1818 — zur Einführung einer Verfassung entschlossen. Die Vorgänge im bayerischen Landtag, in dem ein Teil der Abge­ ordneten in eine sinnlose und kleinliche Opposition zur Regierung trat, und auch in der Form sich vielfach verfehlte, wirkte nicht ermutigend auf die anderen Staaten, die noch mit der Proklamation von Ver­ fassungen im Rückstand waren. Auch König Ludwig I., der als Kron­ prinz einer der eifrigsten Verfechter von Verfassung und Volksvertretung war, sah sich in seinen Erwartungen getäuscht. Am meisten hatte die Armee zu leiden. Hier war am leichtesten einzusparen und die gemachten Abstriche vom Budget waren am augen­ fälligsten. Es begann ein ständiger Kampf um die Militärvorlagen, der von -er Regierung nicht mit dem nötigen Nachdruck geführt wurde. Die Nachfolger Max Josephs I. waren im Gegensatz zu diesem keine Soldaten: Ludwig I. huldigte vor allem künstlerischen, Maximilian II. wissenschaftlichen Interessen; Ludwig II., dessen Regierungsantritt noch in die Periode vor 1866 fällt, zeigte sich militärischen Dingen abgeneigt. So entbehrte die Armee des Rückhaltes, den der Oberste Kriegsherr ihr geben mußte. Die Regierung gab zeitweise sogar dann, wenn aus­ nahmsweise aus Abgeordnetenkreisen Anregungen zur Verbesserung des Heerwesens kamen, die Militärvorlagen der Opposition preis, um anderwärts leichter Zugeständnisse zu erzielen.

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Die Forderungen tüchtiger Militärs, so des Prinzen Carl von Bayern, auf zeitgemäße Ausgestaltung des bayerischen Heerwesens ver­ hallten ungehört. Zunächst galt noch das Konskriptionsgesetz von 1812, das am 15. August 1828 durch ein neues ersetzt wurde. Die allgemeine Wehrpflicht wurde beibehalten, nur wenige Ausnahmen gestattet; die Stellvertretung blieb bestehen. Die Dienstzeit bei der Fahne betrug sechs Jahre. Die Verpflichtung zum Dienst in Reserve —bis zum 40. Lebensjahr — und Landwehr blieb bestehen. Das Gesetz bot also durchaus die Mög­ lichkeit, eine brauchbare Armee aufzustellen; sein größter Nachteil war die Zulassung der Stellvertretung. In der Praxis aber wurde von dem Gesetz nicht der nötige Ge­ brauch gemacht. Bayern zählte damals etwa 5 Millionen Einwohner. Jährlich waren etwa 40 000 Mann konskriptionspflichtig, davon wurden jedoch nur eingestellt: 1826 bis 1830 rund 9000 Mann jährlich, 1849 bis 1855 rund 14 000 Mann jährlich, seit 1856 rund 15 000 Mann jährlich. Der größte Teil der Konskriptionspflichtigen wurde also nicht zum Heeresdienst herangezogen. Dazu kam noch, daß ein Sechstel der jähr­ lichen Rekrutenquote nur gemustert, eingekleidet und wieder entlassen wurden; diese „Assentiert-Unmontierten" verstärkten das Heer also nur auf dem Papier. Das Konflriptionsgesetz von 1828 blieb bis zum Ende der Periode in Kraft. Am 7. März 1826 erließ König Ludwig I. eine neue Landwehr­ ordnung. Die Landwehrpflicht, die während der Zugehörigkeit zur aktiven Armee und zur Reserve ruhte, umfaßte alle wehrpflichtigen Bayern vom 18. bis zum 60. Lebensjahr; doch existierte hier eine große Zahl von privilegierten Ständen. Die Landwehr teilte sich in zwei Klassen; die erste umfaßte die Landwehrpflichtigen bis zum 41. Lebensjahr, die zweite vom 41. bis zum 60. Lebensjahr. Ersatz des Offizierskorps und Rekrutierung der Mannschaften erfolgte von der Linie völlig getrennt, so daß die gleiche Scheidung wie in Preußen vorhanden war. Da in Bayern die Verschmelzung der Linie und der Landwehr, wie sie die preußische Reorganisation durchführte, auch im späteren Verlauf der Periode nicht eintrat, entartete die Landwehr, völlig. Sie wurde zum militärischen Zerrbild, das sich mit schlechter Nachahmung des militärischen Pompes bei Feierlichkeiten begnügte. 5. Die übrigen deutschen Staaten. Die übrigen deutschen Mittel- und Kleinstaaten gingen im all­ gemeinen den Weg Bayerns. Es fehlte der Wille zur Heranbildung guter kleiner Armeen, der im XVIII. Jahrhundert vielfach erkennbar war. Die Volksvertretungen erkannten die Notwendigkeit der Unter­ haltung ausreichender Heere weniger als die absoluten Herrscher des Araue nh'olz, Deutsche Kriegs« und Heeresgeschichte.

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vergangenen Jahrhunderts, die letzten Endes ihrem Staat gegenüber verantwortlicher waren als die Parlamente, die die letzte Verantwor­ tung doch der Regierung zuschoben. b) Das

Offizierskorps.

1. Der Deutsche Bund. Ein Bundesoffizierskorps existierte nicht. Auch die in jener Zeit vielfach geforderte Einrichtung einer gemeinsamen höheren Offiziersschule fehlte, die Einheitlichkeit in die Offiziersausbildung der verschiedenen Kontingente hätte bringen können. Der Bundesfeldherr sollte erst im Kriegsfall vom Bundestag ernannt werden; sogar die Kommandierenden Generale für die ge­ mischten drei Armeekorps waren noch nicht im Frieden bestimmt. Welche Unzuträglichkeiten daraus im Ernstfall entstanden, zeigt die Mobili­ sierung -er Bundes-Streitkräfte und der Verlauf des süddeutschen Feldzuges von 1866, wo sich der zum Bundesfeldherrn ernannte Prinz Carl von Bayern gegenüber dem offenen Ungehorsam des zum Kommandierenden General des VIII. Korps bestimmten Prinzen Alexander von Hessen, der selbst den Oberbefehl erstrebt hatte, nicht durchzusetzen vermochte. Das Versagen der südwestdeutschen Bundes­ armee ist zum großen Teil auf die mangelnden Einrichtungen bezüglich des Oberbefehls zurückzuführen. 2. Preußen. Das aktive Offizierskorps in Preußen behielt den trefflichen Geist, den es seit den Befreiungskriegen wieder in sich ausgenommen hatte. Dieses Offizierskorps kann weit mehr als das vor 1806 als die geistige Nachfolgerin -es von Friedrich Wilhelm I. und Friedrich dem Großen geschaffenen Offizierskorps angesprochen werden. Die Tradition, die vor 1806 verloren gegangen war, hatte sich wieder gefunden. Unmittelbar nach -em Kriege mußten die großen Lücken ausge­ füllt werden, die durch die Verluste im Offizierskorps entstanden waren. Diele Landwehroffiziere traten in die Reihen des aktiven Offizierskorps, eine große Zahl freiwilliger Jäger wurde zu Offizieren befördert. Es zeigte sich dabei hier wie anderwärts, daß sich unter diesen Offizieren viele ungeeignete Elemente befanden, die von dem harten Friedensdienst -er aktiven Offiziere nichts wissen wollten. Das Offizierskorps hatte zu kämpfen, bis es sich in den folgenden Jahren wieder gereinigt hatte. Erst als der junge Nachwuchs, der nach dem Kriege ausgenommen wurde, heranreifte, gewann das Offizierskorps wieder größere Einheit­ lichkeit. Der Geburtsadel besaß nicht mehr das ausschließliche Recht auf die Offizierslaufbahn. Man ging in Preußen zu dem über, was Oester­ reich schon im XVIII. Jahrhundert getan hatte: man schuf einen

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Schwertadel. Daß adelige Namen im Offizierskorps auch in der Periode von 1815 bis 1866 häufiger vertreten waren als bürgerliche, hat seinen Grund darin, daß der Adel seine Söhne immer noch willig zur Armee stellte, während das gebildete Bürgertum sich auch jetzt noch zurückhaltend gegenüber der Offizierslaufbahn verhielt und seine Söhne lieber in lukrativeren Berufen untergebracht sah. Im Durchschnitt überwog bei der Infanterie und Kavallerie der Adel, während Artillerie und Ingenieure mehr bürgerliche Offiziere aufwiesen. Die Ergänzung fand großenteils aus den Kadettenkorps statt; wer nicht Kadett war. mußte sich einer Eintrittsprüfung unterziehen. Die Kadettenkorps wurden durch Allerhöchste Kabinettsordres von 1816 und 1818 reorganisiert. Zu der Berliner und Potsdamer Kadetten­ anstalt kam 1818 die Anstalt von Kulm. Neue Voranstalten wurden 1828 zu Wahlstatt und 1840 zu Bensberg errichtet. 1850 wurde eine Reorganisation des Lehrplanes der Kadettenschulen vorgenommen und die tzauptanstalten den Realgymnasien gleichgestellt. Der militärische Charakter der Kadettenkorps ist schon damals viel angefeindet worden. Eine gewisse Einseitigkeit in der Erziehung, die später dem gewesenen Kadetten das Einleben in andere als mili­ tärische Verhältnisse erschwerte, ist nicht zu leugnen; doch haftet jedem Internat ein Zug größerer Disziplin an und die Sparsamkeit des Staates zwang, als Erzieher in den Kadettenkorps Offiziere zu ver­ wenden. Jedenfalls aber ist den jungen Leuten aus der frühzeitigen Gewöhnung an Disziplin kein Schaden erwachsen. 1848 glaubte man, Zugeständnisse machen zu müssen und den militärischen Charakter der Kadettenkorps auszuschalten. 1865 kehrte man wieder zum militärischen System zurück. Eine wichtige Neuerung traf der König für die Erlangung der Offiziersreife. Nach den Befreiungskriegen wurden 1816 Brigade-, später Divisionsschulen eingerichtet, auf denen der Fähnrich die fach­ liche Vorbildung zum Offizier erhielt. 1850 wurde eine Reihe von Divisionsschulen vereinigt und diese wieder 1858 durch drei Kriegs­ schulen in Neiße, Potsdam und Erfurt ersetzt, zu denen 1863 eine vierte in Engers kam. Die Vorbildung zum Offizier gewann dadurch ganz wesentlich an Gleichmäßigkeit. Als Vorbereitungsschule zum Generalstabsdienst wurde 1816 in Berlin eine „Allgemeine Kriegsschule" ins Leben gerufen, zu deren ersten Direktoren der General von Clausewitz zählte, der ihr von 1818 bis 1830 Vorstand. Zunächst nahm die Anstalt jährlich 60 Offi­ ziere, davon 50 Infanteristen und Kavalleristen und 10 Artilleristen und Ingenieure auf. Der Eintritt wurde von dreijähriger Offiziers­ dienstzeit und von dem Bestehen einer Eintrittsprüfung abhängig ge­ macht, die 1826 so geregelt wurde, wie sie bis 1914 Geltung hatte. Die Kurse dauerten drei Jahre. 1859 erhielt die Anstalt die Be­ zeichnung „Kriegsakademie". Die Einberufung zum Generalstab wurde 15*

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von der Beurteilung abhängig gemacht, die der Offizier in der Kriegs­ akademie erhalten hatte. Die Artillerie- und Ingenieuroffiziere erhielten eine besondere Fachschule. 1816 wurde eine „Vereinigte Artillerie- und Ingenieur­ schule" mit zweijährigem Lehrkurs errichtet. Die Beförderung zum Offizier erfolgte erst nach Ablegung der Prüfung zu Ende des zweiten Jahres. 1832 wurde der Kurs auf drei Jahre ausgedehnt) nach dem zweiten Jahre erfolgte die Beförderung zum Offizier, nach dem dritten die zum Artillerie- bezw. Ingenieuroffizier. Vor der Beförderung zum Hauptmann mußten die Artillerie- und Jngenieuroffiziere noch eine weitere Prüfung ablegen. Bemerkenswert ist das Anwachsen der Militärliteratur in jener Zeit, einerseits ein Beweis geistigen Vorwärtsstrebens im Offiziers­ korps, andererseits aber auch ein Zeichen dafür, daß Vieles im Heere verbesserungsbedürftig war. 3. Oesterreich-Ungarn. Die ganze Entwicklung des Heerwesens in Oesterreich-Ungarn ging gleichmäßigere Bahnen als in Preußen. Sie stagnierte nicht so, wie vor der tzeeresreorganisation, nahm aber auch nicht den Aufschwung, wie in Preußen infolge der Erneuerung der Armee. Die dauernden Kämpfe, in die Oesterreich verwickelt war, schufen ein kriegstüchtiges Offizierskorps, das mit Stolz auf den berühmtesten Führer, den Feldmarschall Grafen Radetzky, blickte. Die Bildungsanstalten, so die Wiener-Neustädter Militärakademie, wurden verschiedentlich reformiert, ohne ihren Grundcharakter zu ver­ lieren. Im Jahre 1852 befahl der Kaiser eine durchgreifende Reform der Militärbildungsanstalten, wohl nicht ohne Berücksichtigung der preußischen Institutionen. Die oberste Leitung erhielt das Armeeoberkommando. Aus 12 Untermilitärerziehungshäusern traten die besten Zöglinge in die 4 Kadettenschulen (der Rest wurde in den 12 Obermilitärerziehungshäusern zum Unteroffiziersdienst herangebil­ det). Die vier Kadettenanstalten, die auch andere Zöglinge aufnahmen, gaben ihre Absolventen in die Akademien ab, von denen die WienerNeustädter für die Infanterie und Kavallerie bestimmt war, während für Artillerie, Ingenieure und Marine eine eigene Akademie errichtet wurde. Nach einem vierjährigen Lehrkurs traten die Absolventen dieser Akademien als Lieutenants 2. Klasse in die Armee. Als höhere Militär-Lehranstalten bestanden: das Militärlehrerinstitut, das in ein­ jährigem Kurs die Lehrer für die Erziehungsanstalten heranzog; die Militär-Central-Equitationsanstalt, die für die reiterliche Aus­ bildung der Kavallerieoffiziere sorgte; der Höhere Artillerie- und Geniekurs, der der preußischen Artillerie- und Ingenieurschule entsprach, und die Kriegsschule, die zwei Jahre dauerte und die Vor­ bereitung von Offizieren für den Generalstabsdienst bezweckte.

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Das Offizierskorps war hart und einfach erzogen. Das Leben in den kleinen Garnisonen besonders der Militärgrenze, gab keine Gelegenheit zu Luxusausgaben.

4. Bayern. Die Weiterbildung und das Ansehen des Offizierskorps litt unter dem Verfall der Armee. Der Offizierskorps war ungleichmäßig. Aehnlich wie in Preußen hatte nach den Befreiungskriegen die Einstellung zahlreicher Legionsoffiziere und Freiwilliger manches unbrauchbare Ele­ ment in das Offizierskorps gebracht und das Avancement erheblich verschlechtert. Auch nach dem Abstoßen der ungeeigneten Persönlich­ keiten geschah nicht viel für die Hebung des Offizierskorps. Neben einzelnen bevorzugten Regimentern, besonders in der Kavallerie, gab es Regimenter mit sehr unterschiedlichem Offiziersersatz. Beim Kadettenkorps wurden 1851 die beiden untersten der acht Lehrklassen aufgehoben, dafür zwei Sonderklassen für Artillerie- und Ingenieurwesen angefügt, die sich 1857 als Artillerie- und Ingenieur­ schule vom Kadettenkorps trennten. Am 1. November 1856 wurde die Kriegsschule gegründet, von deren Absolutorium die Beförderung zum Offizier abhing. Eine Kriegsakademie zur Vorbereitung für den Generalstabs­ dienst und eine Militärreitschule für 'Kavallerieoffiziere fehlten. Die Militärliteratur jener Zeit zeigte auch unter den bayrischen Offizieren fähige und strebsame Männer. Allein von oben wurde nichts getan, um die fachliche Bildung des Offiziers zu fördern und in gleichmäßige Bahnen zu lenken. Nach dem Zeugnis des Ober­ kommandierenden Prinzen Carl von Bayern erwies sich das Offiziers­ korps im Jahre 1866 zwar als tapfer, aber für seine Aufgaben nicht geschult.

5. Die übrigen deutschen Staaten. Die allgemeine Abneigung der Mittel- und Kleinstaaten ließ nirgends die Bildung eines geschlossenen, homogenen Offizierskorps wie in Preußen und Oesterreich aufkommen. Ueberall ragten einzelne hervorragende Persönlichkeiten hervor; die Leistungen der Gesamt­ heit der Offizierskorps im Jahre 1866 aber ließen, wie in Bayern, erkennen, daß die fachliche Ausbildung nicht auf der Höhe stand, c) Die ünßere Organisation der Armee. Die in der napoleonischen Zeit überall anerkannte Einteilung in Brigaden und Divisionen blieb im Allgemeinen bestehen. Auch von der Zusammenfassung zu Armeekorps machte man nun häufiger Ge­ brauch. Wie früher die Bataillone und Regimenter, gewannen nun auch die höheren Verbände nicht nur innerhalb Deutschlands, sondern auch innerhalb Europas eine gewisse Gleichmäßigkeit.

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1. Der deutsche Bund. Die äußere Organisation des deutschen Bundesheeres siehe Seite 220. Die Zusammenstellung der Kontingente zu Divisionen und Korps erfolgte erst im Ernstfälle. 2. Preußen. Das Ministerium erhielt 1825 eine neue Organisation. Außer einer Zentralstelle umfaßte es nun das Allgemeine Kriegsdepartement, das Militär-Oekonomie-Departement, das Generalauditoriat, die In­ spektion der Remonten und die Generalmilitärkasse. Im Grundzug blieb diese Einteilung bis 1914 bestehen. Der Generalstab wurde 1821 vom Kriegsministerium getrennt, dem er bis dahin unterstand. Seit 1821 stand ein Chef des General­ stabes der Armee an seiner Spitze. Als Erster bekleidete General von Müffling diesen Posten. Die Zentralstelle, bisher zweites Departement des Kriegsministeriums, erhielt die Bezeichnung „Großer Generalstab der Armee". Er war in vier Sektionen eingeteilt. Der Generalstabs­ etat von 1821 wies 69 Generalstabsoffiziere aus, davon 16 beim Großen Generalstab, 27 bei den 9 Generalkommandos, 20 bei den 18 Divisionen und den 2 Gouvernements, 6 bei den wichtigsten Gesandtschaften. 1833 wurde bestimmt, daß die Generalstabsoffiziere gelegentlich wieder zur Front zurücktreten müßten. 1848 fand eine Reorganisation des Generalstabes unter dem General von Reyher statt; ihm folgte 1857 General von Moltke, der diese Stelle 31 Jahre lang innehatte. Die Ausbildung der Generalstabsoffiziere unter seiner Leitung wurde vorbildlich. Die Stellung des Generalstabschefs war jedoch bis nach 1866 keine allgemein anerkannte. Noch 1866 konnte der General von Manstein, als Moltke ihm einen Befehl schickte, der nicht vom König unterzeichnet war, fragen: „Das ist alles ganz schön — wer aber ist der General Moltke?" Das Feldherrnproblem, dessen Regelung in Oesterreich mit der Einsetzung eines Hofkriegsrates versucht worden war, wurde durch Wilhelm I. in Gemeinschaft mit Bismarck und Moltke einer neuen Lösung zugeführt. Die persönlichen Angelegenheiten der Offiziere übernahm ein dem König unmittelbar unterstelltes Militärkabinett. Die Stärke der preußischen Armee betrug 1819 rund 125 000 Mann in 4 Garde- und 36 Linieninfanterieregimentern, 2 Garde- und 4 Linien- Jäger- und Schützenbataillonen, 18 Garnisonsbataillonen. 36 Kavallerieregimentern (4 Garde-, 8 Kürassier-, 4 Dragoner-, 12 Husaren-, 8 Ulanenregimentern), 9 Artilleriebrigaden mit 27 reiten­ den Batterien, 108 Fuß- und 9 Handwerkerkompagnien, 18 Pionier­ kompagnien. Jedem Linien-Jnfanterieregiment entsprachen zuerst zwei, später ein Landwehrregiment. Seit 1820 wurden die Begriffe Gene­ ralkommando und Korpskommando miteinander verschmolzen; Ursprung-

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lich war „Generalkommando" eine Behörde, die einem bestimmten territorialen Bezirk vorgesetzt war. Die preußische Armee war in 9 Korps eingeteilt, die die Bezeichnung Gardekorps und I. mit VIII. Armeekorps führten. Nach -er Durchführung der Reorganisation im Jahre 1859 war der Gesamtstand der Armee auf 212649 Mann einschließlich der Offiziere erhöht worden (1,1 Prozent der Gesamtbevölkerung). Die bisherigen neun Armeekorps blieben erhalten. Für die Artillerie be­ standen nun eine Generalinspektion und vier Inspektionen, für die Ingenieure eine Generalinspektion, eine Ingenieurkommission und drei Ingenieurinspektionen; dazu kamen die Inspektionen der Jäger und Schützen und des Trains. Die Landwehrregimenter waren nun in die Linie ausgenommen worden, so daß die Zusammensetzung der Armee sich folgendermaßen gestaltet hatte: Infanterie: 9 Garde-, 72 Linienregimenter, 2 Garde-, 8 Linien-Iägeroder Schützenbataillone. Kavallerie: 8 Garderegimenter (2 Kürassier-, 3 Ulanen-, 1 Husaren-, 2 Dragonerregimenter), 40 Linienregimenter (8 Kürassier-, 8 Dragoner-, 12 Husaren-, 12 Ulanenregimenter). Artillerie: 1 Gardeartilleriebrigade mit 12 Batterien und 5 Kompag­ nien, 8 Artilleriebrigaden mit je 12 Batterien und 5 Kom­ pagnien. Pioniere: 1 Gardebataillon und 8 Linienbataillone. Train: 1 Gardebataillon und 8 Linienbataillone. Die neuen Landwehrregimenter, die erst im Kriege formiert wurden, bildeten nun nicht mehr eine gesonderte Truppe, sondern nahmen die älteren Mannschaften auf, die in der Armee gedient hatten. Sie waren mit der Linien als Reservoir für den Ernstfall organisch ver­ bunden. Kleine Stämme für die Landwehrregimenter wurden im Frie­ den noch gehalten. Es bestanden an Landwehrstämmen: Landwehrinfanterie: 4 Garde-, 32 Landwehrregimenter, 8 Landwehr­ bataillone. Landwehrkavallerie: 2 Garde-, 32 Landwehrregimenter, 8 Landwehr­ eskadrons Die Infanterie war schon im Frieden in Divisionen eingeteilt, von denen jedes Armeekorps zwei besaß. Die Kavallerie war den Divisionen zugeteilt, nur bei der Garde bestand seit 1859 die Gardekavalleriedivision bereits im Frieden. Die Artilleriebrigaden, die Pio­ niere und die Trains waren den Armeekorps unterstellt. Die Mobilmachung wurde durch die Neuorganisation vor neue Aufgaben gestellt. Die Linie wurde durch die Reserve auf den Kriegs­ fuß gebracht; aus den überzähligen Reservemannschaften waren neue Reserveformationen zu bilden; die Landwehrtruppenteile mußten auf­ gestellt werden. Dazu kam nun ein sehr wichtiges neues Moment: die

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Eisenbahn, die eine überraschende Entwicklung nahm. Die erste Bahn in Deutschland wurde 1835 zwischen Nürnberg und Fürth mit 6 Kilometer Strecke eröffnet. 1840 bestanden in Deutschland bereits 550, 1865 15000 km Strecke. Die Mobilmachungsvorarbeiten mußten sich nun nicht nur mit der Aufstellung der Truppen, sondern auch mit der Beförderung per Bahn ins Aufmarschgebiet befassen. 3. Oesterreich-Ungarn. Der Hofkriegsrat blieb weiterhin bestehen; er erhielt 1848 die Be­ zeichnung „Kriegsministerium", ohne daß in seiner Diensteinteilung Wesentliches geändert wurde. Erster Kriegsminister war der General Graf Latour. 1853 wurde das Kriegsministerium aufgehoben und seine Geschäfte durch das Armeeoberkommando übernommen. Ungarn erhielt 1848 ein eigenes Kriegsministerium. Der Generalquartiermeisterstab war, soweit er nicht beim Truppen­ generalstab Verwendung fand, dem Hofkriegsrat (Kriegsministerium) und dem Armeeoberkommando unterstellt. 1853 wurde zum Dienst bei den höheren Stäben ein Adjutantenkorps gegründet, das 1860 püt dem Generalstab verschmolz. Die Tätigkeit des Generalquartier­ meisterstabes war keine so umfassende und selbständige, als sie sich in Preußen unter Moltke herausbildete. Ein Hauptgewicht lag auf der Landesaufnahme. Gut war die kriegsgeschichtliche Abteilung. Das Land war militärisch in zwölf, später in zehn Territorialbezirke — Generalate — unter Kommandierenden Generalen eingeteilt. Die Formierung der Armee in Korps trat erst im Kriegsfall ein. 1850 wurde die Korpseinteilung auch für den Frieden übernommen. Ueber den 14 Armeekorps bestanden vier große Armeecommanden. Die Ein­ teilung in Divisionen blieb nicht während der ganzen Periode be­ stehen. Zeitweise wurden die Korps aus vier selbständigen Infanterie­ brigaden und den nötigen übrigen Waffen ohne Divisionseinteilung zusammengesetzt. Auch 1866 rückte die Armee ohne Divisionsverbände — ausgenommen bei der Kavallerie — ins Feld. Die Stärke der österreichisch-ungarischen Armee betrug 1845 rund 400000 Mann in 58 Infanterieregimentern, 20 Grenadierbataillonen, 6 Garnisonsbataillonen, 1 Tiroler Jägerregiment, 12 Iägerbataillonen, 17 Nationalgrenzinfanterieregimentern, 1 illyrisch-bänatischen Batail­ lon; die Kavallerie bestand aus 8 Kürassier-, 6 Dragoner-, 7 Che­ vaulegers-, 12 Husaren- und 4 Ulanenregimentern; die Artillerie war in 5 Feldartillerieregimenter, 1 Bombardierkorps, 1 Feuerwerkerkorps eingeteilt; dazu kamen 1 Pionierregiment, 1 Sappeurkorps, 1 Mineur­ korps und 1 Fuhrwesenskorps. Der Stand der Armee sank in den folgenden Jahren ganz be­ deutend: er betrug 1861 nur 280000, 1862 nur 254000 Mann. Die häufigen Umorganisationen machten sich nach jeder Richtung hin schäd­ lich geltend. Man war im Begriff, zu einem Kadresystem überzugehen.

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Die Verhältnisse bei Reserve und Landwehr waren jedoch zu wenig geregelt, als daß mit einer raschen Einberufung im Mobilmachungsfall gerechnet werden konnte. Auch die übrigen Mobilmachungsvorbereitungen standen nicht auf der Höhe. Der Generalquartiermeisterstab wurde dem technischen Korps zugezählt und suchte seine Aufgabe in der Vervollkommnung nach der rein technischen Seite hin.

4. Bayern. In Bayern bestand als oberste militärische Spitze eine General­ inspektion, die lange Jahre Prinz Carl von Bayern innehatte. Der Generalinspekteur hatte jedoch wenig Einfluß und tatsächliche Kom­ mandogewalt. Das Kriegsministerium war zugleich Verwaltungs- und Kom­ mandobehörde. Seine Organisation blieb seit 1826 fast unverändert. Die einzelnen Sparten der militärischen Verwaltung wurden Sektionen zugewiesen. Ein Kriegsrat, der 1837 wieder aufgehoben wurde, sollte bei Neuorganisationen zu Rate gezogen werden. Der Generalquartiermeisterstab legte wie in Oesterreich sein Haupt­ gewicht auf den topographischen Dienst. Es ist bezeichnend, daß die 1859 eingeführte Feldtelegraphie als neuer 'Zwerg des General­ stabsdienstes angesehen wurde. Die Generalstabsoffiziere waren nicht in der Lage, klare Befehle abzufassen) im Gefecht von Kissingen unter­ blieb das Eingreifen der Division Hartmann an entscheidender Stelle, weil der befehlholende Generalstabsoffizier des Reitens so unkundig war, daß er einen Bauernwagen benutzte. Unter solchen Umständen konnte von einer fruchtbaren Tätigkeit der Generalstabsoffiziere als Gehilfen höherer Führer nicht die Rede sein. Mannigfaltige Organisationsveränderungen wurden in der Armee vorgenommen, jedoch ohne die besonders vom Prinzen Carl gewünschte Zielsicherheit und Anlehnung an das preußische Vorbild, das Prinz Carl als trefflich erkannte. König Ludwig I. löste 1825 die Garden aus. Die Einteilung in Korps, Divisionen und Brigaden war auch in Bayern durchgeführt. Die Stärke der Armee betrug 1866 etwa 55000 Mann in 16 Jnfanterieregimentern, 6 Jägerbataillonen, 12 Kavallerieregimentern (3 Kürassier-, 3 Ulanen-, 6 Chevaulegersregimenter), 4 Artillerie­ regimentern, 1 Genieregiment und 1 Fuhrwesenkorps. Die Reserven der Armee waren dürftig und mußten im Ernstfall für Depots-, Festungsbesatzungen etc. verwendet werden, da die Land­ wehr jeden militärischen Wertes entbehrte. Die Mobilmachungsvorarbeiten steckten in den Kinderschuhen. Be­ sonders machten 1866 die Bahntransporte Schwierigkeiten, da Bahnund Militärbehörden in keiner Weise auf ein Zusammenarbeiten vor­ bereitet waren.

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5. Sachsen. Die Institutionen des Kriegsministeriums und des Generalstabes schlossen sich im allgemeinen an die österreichischen an. Die Armee rückte 1866 mit 25 000 Mann ins Feld, die sich in zwei Divisionen zu je 2 Brigaden gliederten. Der Regimentsverband fehlte bei der Infanterie, die 16 Infanterie- und 4 Iägerbataillone stark war. Die Kavallerie zählte 4 Regimenter (Gardereiter- und Reiterregimenter 1—3). Die Artillerie war, soweit sie nicht batterieweise den Divisionen zügeteilt war, in der Reserveartillerie zu zwei Brigaden züsammengesaßt. 6. Württemberg. Württemberg besaß sein eigenes Kriegsministerium in ähnlicher Zusammensetzung wie die übrigen deutschen Kriegsministerien. 1815 bestand die Württembergische Armee aus 23000 Mann in 13 Infanterieregimentern, 7 Kavallerieregimentern, 3 reitenden, 7 Fuß­ batterien und 1 Train. Der Generalquartiermeisterstab war ähnlich wie in Bayern for­ miert und wurde den technischen Truppen zugezählt. 1866 stellte Württemberg eine Division zu drei Infanterie- und einer Kavalleriebrigade in der Gesamtstärke von 15500 Mann ins Feld. d)

Die Waffengattungen.

Die Unterscheidung zwischen Garde und Linie blieb in Preußen bestehen. Oesterreich-Ungarn hatte sie nie eingeführt, Bayern schaffte sie wieder ab. (Die traditionellen Leibwachen, wie die Leibwachen in Oesterreich, die Hartschiere und Trabanten in Bayern etc. bleiben hier, als nicht mehr zur Feldarmee gehörig, außer Betracht.) Ueberreste der Garden blieben in Württemberg und Sachsen, sowie in kleineren deutschen Staaten erhalten. Die Infanterie behielt in vielen Staaten die Bezeichnungen „Grenadiere", „Füsiliere" und „Musketiere" aus traditionellen Grün­ den bei. Unterschiede bestanden nicht mehr. Die Jägerbataillone nahmen als leichte Infanterie eine Sonderstellung ein. Der Unterschied zwischen schwerer und leichter Kavallerie blieb bestehen) die schwere Kavallerie, zu der mon nun vielfach auch die Ulanen zählte, sollte als Attackenkavallerie bei der Kavalleriereserve Verwendung finden. Ueber die Einteilung und Verwendung der Feldartillerie kam man zu keinen allgemein anerkannten Grundsätzen. Die Trennung zwischen Feld- und Fußartillerie wurde aufrecht erhalten. Die technischen Truppen wurden durch Telegraphenformationen vermehrt, die um das Jahr 1860 in manchen Staaten, so 1857 in Preußen, 1859 in Bayern, eingeführt wurden.

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e) Die innere Organisation.

•1. Kommandoverhältnisse. Die Befehlsverhältnisse waren in der napoleonischen Epoche soweit geklärt worden, daß sie im Großen bis 1866 beibehalten werden konnten. Die interessanteste Veränderung war das Emporwachsen der Stellung des Generalstabschefs in Preußen, wo er sich fast zum Ober­ befehlshaber entwickelte. Das alte Problem, wie die fehlende höchste Feldherrneigenschaft bei einem Fürsten, der sonst durch seine Stellung zum Staate und dessen Hilfsmitteln zur Führerschaft berufen war, ersetzt werden könne, fand hier eine neue Lösung. Oesterreich verdankt seine Niederlage, Feldzeugmeister von Benedek sein unverdient tragisches Schicksal den halben Maßnahmen, die hier mit der Uebernahme des Oberbefehls verbunden waren. Weder in Oesterreich, noch in den kleineren deutschen Staaten herrschte über die Stellung des General­ stabschef und des Generalstabes die Klarheit, die sich in Preußen allmählich, wenn auch mit Schwierigkeiten, durchsetzte (s. S. 230). Aller­ dings mußte der Herrscher eine Persönlichkeit von der durchaus ge­ sunden und klaren militärischen Auffassung Wilhelms I. sein, wenn die Stellung des Generalstabschefs sich so auswirken sollte, wie in Preußen.

2. Ausbildung und Dien st betrieb. Die Aenderungen in der Bewaffnung brachten einen grundlegenden Wechsel in der Ausbildung mit sich. Die Einzelausbildung und -erziehung trat nun immer stärker als Grundlage der Gesamt­ ausbildung in den Vordergrund. Die Infanterie hatte sich eine völlig neue Schießausbildung an­ zueignen. Die Kavallerie suchte nach neuen Formen, um sich trotz der Verbesserung der Feuerwaffen auf Attackenweite dem Gegner nähern zu können; die Schnelligkeit des Pferdes wurde nun zur Ueberwindung der feuerbestrichenen Räume ausgenutzt. Auch die Attacke der schweren Kavallerie, die bisher möglichst lange im Trabe geritten wurde, mußte sich daher zu früherem Ansetzen des Galoppes bequemen; erhöhte Reit­ ausbildung war die Folge. Das Leichtreiten im Trabe wurde einge­ führt. Die Ausbildung bei der Artillerie wurde durch die Einführung verschiedener Geschoßarten erschwert. Preußen ging in der Einführung von Feldmanövern außerhalb der Truppenübungsplätze voran. Oesterreich schulte einen großen Teil seiner Armee auf den italienischen Schlachtfeldern. In den kleineren Staaten blieben die Uebungen im Truppenverband auf die Garnisonen und auf die Uebungslager beschränkt, die in großen Zwischenräumen auf Uebungsplätzen abgehalten wurden. Zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung wurden die Truppen in den Revolutionsjahren 1848 und 1849 herangezogen, an-

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läßlich deren es besonders in Oesterreich-Ungarn und Baden zu größeren Gefechtshandlungen kam. Auf gänzlich anderer Stufe als bei der aktiven Armee stand die Ausbildung bei der Landwehr, solange diese nicht ausschließlich ältere, gediente Soldaten der aktiven Armee in sich aufnahm. Die preußische Landwehr mußte als minderwertig bezeichnet werden in einer Zeit, in der die Linie trotz aller organisatorischen Rückständigkeit Treffliches in der Ausbildung leistete. Während in Bayern bei der aktiven Truppe wenigstens die Einzelausbildung, besonders die Schießaus­ bildung gut war, sank hier die Ausbildung der Landwehr zur Einübung äußerer militärischer Paradeformen herab, die dazu nur mangelhaft wiedergegeben wurden und die Landwehr zum Kinderspott machten. 3. Wirtschaftliche Lage. Die ivirtschaftlichen Verhältnisse blieben sich im Grundzug gleich. Die unteren Offizierschargen waren schlecht bezahlt) vom Hauptmann an begann eine erträgliche wirtschaftliche Stellung) erst der Regiments­ kommandeur, also eine Charge, die die überwiegende Mehrzahl der Offiziere nicht erreichte, hatte ein gutes Einkommen. Es bezogen z. B. 1830 in der preußischen Armee die Komman­ dierenden Generale 12 000 Taler, die Brigadekommandeure 3300 Taler, die Regimentskommandeure 2500 Taler, die Majore 1800 Taler, die Hauptleute I. Klasse 1200, II. Klasse 600 Taler, die Premier» und Sekondeleutnants 300 bzw. 204 Taler jährliches Gehalt. Dazu kam ein niedriges Wohnungsgeld, das für den Major in der ersten Servis­ klasse 108 Taler jährlich betrug. Nach den Befreiungskriegen wurde in Preußen die Errichtung von Offizierskasinos befohlen) der König hatte die Einrichtung der englischen Offiziersmessen dabei vor Augen. Das Regiment Garde zu Fuß besaß bereits feit 1811 ein Kasino. Diese Einrichtung trug nach zwei Seiten hin gute Früchte. Das Leben der Offiziere wurde erheb­ lich verbilligt) das Gefühl auch der gesellschaftlichen Zusammengehörig­ keit wuchs. Bisher hatte für den dienstfreien Offizier die Wachtstube eine große Rolle gespielt, auf der sich die Kameraden versammelten, die über wenig Geld verfügten. Trunk und Spiel ist auf diesen Wacht« stuben heimisch gewesen. Im Kasino gewann das außerdienstliche Leben des Offiziers ein weniger rauhes Gepräge, wenn auch die Einrichtung der ersten Offiziersspeiseanstalten noch außerordentlich einfach war. Diese Institution wurde von anderen Staaten zunächst noch nicht über­ nommen. Die niederen Gehälter der unteren Offizierschargen wurden des­ halb besonders hart empfunden, weil die Avancementsverhältnisse außerordentlich schlecht waren. 1848 diente im preußischen 24. Infan­ terieregiment der älteste Premierleutnant über 27 Jahre bei einem

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Lebensalter von 44 Jahren. Mit der Reorganisation trat ein rascheres Avancement ein. Die Bezüge in Oesterreich waren noch schlechter als die in Preußen. Am 1860 erhielt ein Unterleutnant II. Klasse 432 Gulden, ein Haupt­ mann 944 Gulden jährliche Gage. In Bayern wurden die Offiziere ähnlich bezahlt; der Leutnant bezog etwas über 40, der Hauptmann I. Klasse 100 Gulden monatliche Gage. Bei -en Unteroffizieren und Mannschaften änderte sich nichts Wesentliches. Die Löhnungen der Unteroffiziere wurden allgemein als zu niedrig empfunden. Der Staat konnte sich nicht zu durchdreifenden Reformen in diesem Punkt entschließen. Die Mittel dafür waren nicht vorhanden. Das Bestreben der Offiziere ging dahin, aus Eigenem zu helfen. Die Kompagniechefs waren in der Lage, aus Kompagniefonds und aus privaten Mitteln alten Unteroffizieren Zulagen zu gewähren; auch die Subalternoffiziere steuerten, so gut es ging, bei besonderen Anlässen, z. B. an Weihnachten bei. Beim österreichischen Kürassier­ regiment Wallmoden, in dem reicher Adel diente, war es von 1809 bis 1862 nicht üblich, daß die Subalternoffiziere ihre Gage selbst in Empfang nahmen; sie traten sie an verdienstvolle Unteroffiziere ab, ein Beispiel, -em weniger begüterte Offizierskorps nicht folgen konnten,

f) Bewaffnung, Bekleidung und Ausrüstung. Die Bewaffnung, Bekleidung und Ausrüstung war stärkeren Ab­ wandlungen unterworfen, als im ganzen XVIII. Jahrhundert. Bei der Infanterie vollzogen sich zwei einschneidende Verände­ rungen in der Bewaffnung: der Uebergang vom Steinschloßgewehr zum gezogenen Vorderlader mit Hahnschloß und später die Ein­ führung gezogener tzinterlädegewehre. 1818 wurde das Zündhütchen erftrnden: die Militärstaaten konnten an dieser epochemachenden neuen Erfindung nicht vorübergehen, die Einführung der Perkussions­ gewehre wurde in den nächsten Jahren allgemein. Weniger rasch setzte sich das Hinterladegewehr durch. Der gasdichte Abschluß nach rückwärts war schwer zu erreichen; zudem befürchtete man ein Verschießen der Infanterie im Gefecht, wenn sie mit einer rasch feuernden Waffe aus­ gerüstet war. Nur Preußen ging mit der Einführung des Zündnadel­ gewehres, das 1827 von dem Techniker Dreyhse erfunden und ver­ bessert worden war, voran. Nach umfangreichen Versuchen seit dem Jahre 1835 wurde 1848 die Einführung der Waffe befohlen, mit der die preußische Infanterie jedoch erst 1859 durchwegs ausgerüstet war. Die übrigen Staaten blieben beim Perkussionsgewehr, die meisten beim System des gezogenen Vorderladers. Interessant ist ein Vergleich der Bewaffnung der Infanterie im Bundesheer, der zugleich die Schwierigkeit des Munitionsersatzes im Kriege für dieses Heer zeigt. Es waren nach 1860 bewaffnet:

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Oesterreich: Infanterie Spitzkugel-Kapselgewehr, Jäger Kapselstutzen. Preußen: Zündnadelgewehre, Reserveformationen Miniö- bezw. Thouveningewehre. Bayern: Infanterie Podewilsgewehre, Jäger Dornstutzen. Württemberg: Gezogene Vorderlader. Sachsen: Gezogene Vorderlader. Kurhessen: Gewehre nach Miniesystem. Nassau: Miniegewehre. Hannover: Pickelgewehre. Braunschweig: Thouveningewehre. Mecklenburg: Miniegewehre. Oldenburg: Dorngewehre. Sachsen-Altenburg: Delavignegewehre. Liechtenstein: Wild'sche Büchsen. Frankfurt: Glatte Gewehre u. s. f. Nicht einmal in Bewaffnungsfragen konnte der Deutsche Bund wenigstens unter den kleineren Staaten Gleichmäßigkeit erzielen. Die Schußweiten der Vorderlader reichten bis etwa 600 m. Eine nicht unbedeutende Veränderung erlitt die blanke Waffe der Infanterie. Das gewöhnlich dreikantige Bajonett, das noch in den napoleonischen Kriegen häufig auch zum Schießen aufgepflanzt worden war, trug man zur Erzielung größerer Präzision beim Schießen nun meist nicht mehr auf dem Gewehr, sondern in einer gesonderten Leder­ scheide. Es wurde erst vor dem Sturm aufgepflanzt. Daneben wurde der Infanteriesäbel geführt, den der Mann im Handgemenge und als Werkzeug gebrauchen sollte. Versuche, Bajonett und Jnfanteriesäbel zu vereinen, waren im Gange. Zuerst wurden bei den Jägern — Preußen 1850 — die Hirschfänger zum Aufpflanzen auf das Gewehr eingerichtet; ein anderer Weg, den Oesterreich einschlug, war die Ein­ richtung des Bajonetts zum gleichzeitigen Gebrauch als Stich- und als Hiebwaffe. Die österreichischen Jäger waren 1866 mit diesem Hau­ bajonett ausgestattet. Die Infanterieoffiziere erhielten in vielen Staaten den Säbel statt des Degens. Die Bekleidung wechselte ebenfalls stark. An Stelle des un­ praktischen Frackes wurde etwa um 1850 der bequemere und kleid­ samere Waffenrock überall in Deutschland eingeführt. Die Unterschiede in der Kopfbedeckung wurden bei den einzelnen Staaten noch auf­ fallender, als Preußen 1842 den Helm mit Spitze, die „Pickelhaube", einführte. Nur einzelne norddeutsche Staaten folgten diesem Beispiel. Bayern hielt an dem malerischen, aber nicht sehr praktischen Raupenhelm fest, der eine etwas kleinere Form annahm. In Oesterreich und den mei­ sten süddeutschen Staaten trug die Infanterie den Tschako, der immer leichter wurde und sich schließlich zur Feldmütze wandelte. Die Möglichkeit, die Kopfbedeckung bei der Infanterie leichter zu ge-

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stalten, war dadurch gegeben, daß mit der Verbesserung der Feuerwaffen die Attacke gegen Infanterie immer seltener wurde und somit der Schutz des Kopfes gegen den Hieb von oben bei der Infanterie nicht mehr so

nötig war. Auch in der Ausrüstung ging Preußen voran. 1848 wurden die gekreuzten Riemen für Seitengewehr und Patronentasche durch einen einfachen Leibgurt ersetzt, der die Brust des Trägers nicht mehr belastete. 1860 folgte Bayern diesem Beispiel. Oesterreich blieb der kreuzweisen Adjustierung treu. Die Stiefel und Gamaschen wurden in den meisten Staaten durch halbhohe Infanteriemarschstiefel ersetzt. Ebenso manigfaltig sind die Aenderungen bei der Kavallerie. Die Säbelmodelle wurden vielfach gewechselt. Man suchte einen Säbel, der gleichmäßig für Hieb und Stich geeignet war. Schließlich blieb den Kürassieren der schwere Pallasch, während die anderen Kavalleriegattun­ gen meist gebogene, leichtere Säbel trugen. Die Lanze war Spezialwaffe der Ulanen. Ueber den Wert des Kürasses gingen die Ansichten auseinavder. Vorübergehend wurde in Preußen und in Oesterreich der Küraß abgelegt, 1866 trugen jedoch sämtliche beteiligten Kürassiere wieder den Panzer. Nicht geklärt war die Frage der Bewaffnung der Kavallerie mit Karabiner. Bei den Kürassieren schied diese Waffe wegen des Kürasses aus; auch die Ulanen führten sie im allgemeinen nicht. A)ie Dragoner und Husaren wurden vielfach mit Karabiner ausge­ stattet. Kürassiere und Ulanen führten Pistolen, meist ziemlich un­ brauchbare Waffen. Die Bekleidung trug der Tradition der Kavalleriegattungen Rechnung. Bei den Kürassieren erschien vielfach wieder mit Ausnahme Bayerns — die weiße Farbe des Kollers. Der Frack verschwand und machte Schoßröcken Platz, die meist kürzer als bei der Infanterie waren. Die Beinkleidung wechselte. Das lange, mit Leder besetzte Reit­ beinkleid, die „Blechhose", verschwand in Preußen; in Bayern und Oesterreich erhielt es sich. Der Reitermantel war länger als der Infanteriemantel. Die Kopfbedeckungen blieben im allgemeinen die gleichen, wurden jedoch, wie bei der Infanterie, niedriger. Die preußischen Kürassiere er­ hielten statt des Lederhelmes den Stahlhelm. Die Ausrüstung der Kavallerie wandelte sich in den meisten Stücken nicht sehr. Bei der Pferdeausrüstung trat 1854 in Preußen an Stelle des Mantelsackes, der nicht den Mantel, sondern die kleinen Ge­ rätschaften enthielt, die Packtasche. Die wichtigsten Veränderungen bei der Artillerie liegen in der Umwandlung, die Geschütze und Geschoß erlitten. Die glatten Vorder­ ladegeschütze wurden durch gezogene ersetzt, bis schließlich auch bei bet Artillerie in Preußen der gezogene Hinterlader 1858 zur Einführung

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kam. In -en übrigen Staaten blieb man bei den gezogenen Vorder­ ladern stehen. Die Schutzweiten betrugen bis zu 5000 Schritt. Fast wichtiger waren die Neuerungen bei den Geschotzen. Das Vollgeschoß büßte an Wirkung ein, je zerstreuter die Infanterie focht. Die beliebte Kartätsche kam seltener zur Anwendung, seit sich das Infan­ teriefeuer bis auf 600 Meter fühlbar machte. Die Sprenggeschoße gewannen das Uebergewicht. Vor allem wurde die Granate bevorzugt. Versuche mit Schrapnells einer Erfindung, die der englische Oberst Shrapnell 1803 gemacht hatte, wurden vorgenommen, führte jedoch bis ■1866 noch zu keiner Entscheidung. Man scheute die Vermehrung der Munitionsarten. Die Zünderfrage lag noch in Kinderschuhen. Die Einführung eines neuen Artilleriematerials war mit solchen Kosten verbunden, daß die meisten Staaten bei der raschen Entwicklung der Technik abwarten wollten, bis ein Abschluß in den Verbesserungen des Artilleriematerials erreicht war. Die Artilleriebewaffnung stand da­ her in vielen Staaten hinter den geltenden Anschauungen zurück. Ausrüstung, Bewaffnung und Bekleidung des einzelnen Artille­ risten schloß sich an die der Infanterie und Kavallerie an. Die Bewaffnung, Ausrüstung und Bekleidung der technischen Trup­ pen folgte im allgemeinen der Infanterie, die des Trains der Artillerie« g) Sanitätswese«, Verwaltung «sw. Sanitats- und Veterinärwesen verbesserten sich. Neben das Korps der Militärärzte trat ein Sanitätsunteroffizierskorps. Besondere Sani­ tätsformationen und Feldlazarette wurden geschaffen. Die Verwaltung blieb in den Händen der mMärischen Behörden, denen in den Jntendanturbeamten besonders vorgebildete Hilfskräfte zur Verfügung standen. Die Intendanturen zeigten sich in den Feldzügen den Anforderungen des Krieges gewachsen. Die Erfassung der Vorräte des Feindeslandes zu gleichmäßiger Verwertung für die Armeen hatte Fortschritte gemacht. Die Trains dienten nun auch zur Aufstellung eines Stammes an Verpflegungskolonnen. h)

Rechtspflege.

Die Grundzüge des Militärrechtes, wie sie sich in der napoleonischen Epoche gestaltet hatten, blieben bestehen. In der Art der Strafen trat eine wesentliche Abwandlung ein. Die Prügelstrafe kam gänzlich in Fortfall. Ebenso ging die Oeffentlichkeit des Strafvollzuges verloren. Degradationen erfolgten nun stillschweigend. Ebenso die Ausstoßungen aus dem Heere. Die Todesstrafe wurde unter Ausschluß der Oeffent­ lichkeit vollzogen. i) Soziale Stellung.

Schwierig war besonders in den Revolutionsjahren und in Preußen in der Konfliktszeit die Stellung des Offiziers im öffentlichen Leben. Die Uniform, die Bevorzugung bei Hofe und in der konservativen

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Gesellschaft hatte dem Offizier schon immer viele Neider geschaffen. Nun erschien er der Masse des Volkes als der Träger der Redaktion. Dazu kam, daß, mit Ausnahme von Oesterreich, die deutschen Armeen eine lange Friedenszeit durchmachten, in der der Wert der bewaffneten Macht in den Augen des großen Publikums zurücktrat. Schließlich aber wäre,: in Oesterreich die kriegerische Leistung, in Preußen die Fort­ schritte in der inneren Ausgestaltung der Armee auch von ihren Feinden nicht abzuleugnen. In den Staaten dagegen, in denen die Armee verfiel, verschlechterte sich auch das Ansehen des Offizierskorps, wie die soziale Stellung der Unteroffiziere und Mannschaften. B. Kriegführung. a) Die Kriegführung im Großen. Zwei Feldherren, die unter die Großen eingereiht werden müssen, gehörten den deutschen Armeen an: Radetzky und Moltke. Johann Graf Radetzky stammmte aus einer hämischen Adels­ familie und war 1766 auf dem Schloß Trzebnitz in Böhmen geboren. 1781 trat er ins Theresianum zu Wiener-Neustadt ein, wurde 1784 Kadett im zweiten Kürassierregiment und machte 1788—89 den Türken­ krieg, sodann die Koalitionskriege und die napoleonischen Kriege mit. 1800 wurde er Kommandeur des 3. Kürassierregiments, 1805 Brigade­ kommandeur, 1809 Divisionskommandeur. 1813 wurde er zum Chef des Generalquartiermeisterstabes und zum Hofkriegsrat ernannt. In den Befreiungskriegen hatte er die Stelle des Stabschefs von Schwarzenberg inne. 1829 zum General der Kavallerie befördert, übernahm er 1831 den Oberbefehl in Italien. Hier wirkte er in vorbildlicher Weise für die Ausbildung der ihm unterstellten Armee: die österreichischen Feldmanöver in Italien waren berühmt und zogen Offiziere aus aller Herren Länder herbei. 1836 wurde er zum FeldMarschall ernannt. In den Kriegsjahren 1848—49 führte er die österreichische Armee in Italien zum Siege (f. unter Kriege, S. 248 ff.) 1857 trat Radetzky nach 72jähriger Dienstzeit im Alter von 91 Jahren in den Ruhestand und starb im gleichen Jahre in Mailand. Seine Leiche wurde am 18. Januar 1858 in Wien beigesetzt. Helmuth Freiherr von Moltke wurde 1800 zu Parchim als Sohn eines preußischen Hauptmanns a. D. aus einer ursprünglich dänischen Familie geboren. Er besuchte von 1811 an die dänische Landeskadetten­ akademie zu Kopenhagen, wurde 1819 zum dänischen Leutnant beför­ dert und trat 1822 in preußische Dienste. Zuerst wurde er beim 8. In­ fanterie-Regiment in Frankfurt an der Oder eingestellt, 1832 in den Generalstab versetzt. 1835 unternahm er eine Reise in die Türkei, wo er bis 1839 als militärischer Ratgeber des Sultans blieb. 1839 trat er in den Generalstab des IV. Armeekorps und wurde 1842 zum Major befördert. 1845 wurde er Adjutant des in Rom lebenden Prin­ zen Heinrich von Preußen, 1848 Abteilungschef im Großen GeneralFrauenholz, Deutsche Kriegs- und Heeresgeschichte

1 p,

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stab 1848 war er Chef des Generalstabs des IV. Armeekorps, sodann Adjutant des Prinzen (späteren Kaisers) Friedrich Wilhelm von Preu­ ßen. 1858 trat er an die Spitze des Großen Generalstabs, dessen Chef er bis zum Jahre 1888 blieb. In der Stellung des Generalstabschefs begann seine Feldherrntätigkeit. Die Feldzüge von 1864, 1866 und 1870 fanden nach seinen Operationsentwürfen und unter seiner Leitung statt. ■1866 wurde Moltke zum General der Infanterie befördert und 1870 in den Grafenstand erhoben. 1871 erhielt er das Großkreuz des Eisernen Kreuzes und die Ernennung zum Generalfeldmarschall. 1890 starb Moltke. Seine Leiche wurde auf dem Familiengute Kreisau in Schlesien beigesetzt. Beiden Feldherren war die überlegene Herrschaft über das ihnen zur Verfügung stehende Material an Menschen und Maschinen eigen. Ihre Kriegführung zeichnete sich im napoleonischen Sinn durch den Zug aufs große Ziel aus, der alles Nebensächliche beiseite ließ. Ein grundsätzlicher Wandel in der Zusammmensehung der Heere, wie etwa zwischen den Zeiten Friedrichs des Großen und Napoleons hatte sich nicht vollzogen, die Bedingungen der großen Kriegführung waren also die^gleichen geblieben. Dagegen forderten die überraschenden Fortschritte der Technik dauernde Arbeit an einer zeitgemäßen Aus­ bildung der Truppen und ihrer Führer, und nach dieser Richtung hin haben beide Feldherren Gewaltiges geleistet, Radetzky in der angeneh­ meren Stellung des wirklichen Oberbefehlshabers, der unmittelbar auf die unterstellten Truppen einwirken konnte, Moltke auf den schwierigeren Posten des Generalstabschefs, der seine Ideen vornehmlich durch das Sprachrohr des ihm unterstellten Generalstabes der Armee einpflanzen konnte. Von besonderer Bedeutung für die Nachwell sind die theoretischen Ausführungen des Generals von Clausewitz über den Krieg und die Kriegslehren Moltkes, die der Generalstabschef in seinen Schriften niedergelegt hat und die der große Generalstab in den „Militärischen Schriften" Moltkes veröffentlichte. In diesen Lehren entwickelt Moltke die Zusammenhänge zwischen Krieg und Politik, die sich „leider von einander nicht trennen lassen". Die Strategie erkennt er als ein Mittel der Politik an, -aß dieser letzten Endes untergeordnet ist. Die Politik hat das Ziel des Krieges zu bestimmen. Die Strategie hat durch die militärischen Operationen die Erreichung des Kriegszieles herbeizu­ führen. Moltke erkennt die vielfachen Abwandlungen an, die die Politik einem ursprünglich einfachen Kriegsziel aufzuzwingen genötigt sein kann; die daraus resultierende Hemmung der rein militärischen EntschließLngen ist bedauerlich, aber unvermeidbar. Prophetisch sieht Moltke in seinen Werken in die Zukunft und weist entgegen der landläufigen Anschauung auf die unabsehbare Dauer hin, die ein europäischer Krieg, in den Deutschland verwickelt wird, haben kann.

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In der Vorschrift: „Grundzüge der höheren Truppenführung"/ sind die Grundsätze der Generalfeldmarschalls für die deutsche Armee niedergelegt worden. Der Dernichtungswille, den Napoleon in der Kriegführung wieder zur Geltung brachte, spricht sich auch in den Vloltkeschen Schriften und Lehren aus. Das napoleonische Prinzip der möglichsten Erhaltung der Kampf­ kraft der Heere vor der Schlacht, die Heranziehung aller verfügbaren Kräfte zur Schlacht, der rücksichtslose Einsatz in und nach der Schlacht blieben bestehen. Es ergaben sich dadurch weite Quartiere, in denen die Truppe für Unterkunft und Verpflegung die günstigsten Bedingungen fanden, solange die kriegerische Lage dies irgend gestattete; ferner getrennte Anmarschwege für den Vormarsch zur Schlacht, die ebenfalls wieder größere Bequemlichkeiten für die vormarschierenden Truppen im Gefolge hatten und die raschere Entwicklung der Heeressäulen zum Kampfe gewährleisteten. Das zahlenmäßige Anwachsen -er Heere änderte nichts an diesen Grundprinzipien; doch brachte die Ver­ größerung -er tzeeresmassen eine Erweiterung der Ruhe- und An­ marschräume mit sich. Die Versammlung der stärkeren Heere konnte nicht mehr, wie meistens in der napoleonischen Zeit, vor der Schlacht stattfinden, sie mußte auf dem Schlachtfeld selbst angestrebt werden.

b) Taktik und Fechtweise. 1. Feldkrieg. Die Uebersichtlichkeit der Heere auf dem Schlachtfelde selbst, die in den napoleonischen Schlachten noch teilweise vorhanden war, ging verloren. Die Stärke der fechtenden Truppen war so groß, daß sie nicht mehr von einem Punkt aus übersehen werden konnten. Von er» ^hter Bedeutung war daher das verständnisvolle Eingehen der Unter­ führer, der Korps- und Divisionskommandeure auf die Absichten der Obersten Heeresleitung. Der Befehl, den der Feldherr auszugeben hatte, erweiterte sich nun zur Direktive, in der vor Allem klar zum Ausdruck kommen mußte, was die Oberste Führung erstrebte; dem Unterführer mußte dann überlassen werden, wie er sich im Rahmen der Ziele der Oberleitung mit den Verhältnissen abfand, die er in seinem Frontausschnitt fand. Die Schulung, die Moltke dem Generalstab angedeihen ließ, lief im Wesentlichen auf die Erziehung zur Selb­ ständigkeit hinaus. Daß die Oesterreicher im Jahre 1866 geschlagen wurden, hat seinen Hauptgrund in der Rückständigkeit der Befehls­ gebung der Obersten Heeresleitung, die dem Unterführer bestimmte Aufträge gab, ohne selbst den Gang des Gefechtes und die Zwischen­ fälle, die eintraten, übersehen zu können. Auf diese Weise ging durch das Versagen des rechten Flügels, dessen Divisionen befehlsgemäß, aber nicht der Situation entsprechend handelten, die Schlacht von Königgrätz verloren.

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Das Handeln im Sinne der obersten Leitung mußte über­ zeugtes Gemeingut der höheren Truppenführung werden. Moltke hatte noch 1866 wie 1870 gegen Widerstände zu kämpfen, die daraus entstanden, daß diese Ueberzeugung fehlte und daß, wie Friedrich der Große schon bei seinen Generalen tadelte, Jeder auf eigene Faust bataillieren wolle. Die Fechtweise der Infanterie machte eine nur schrittweise Wand­ lung durch. Die Schützenschwärme gewannen an Bedeutung, wurden jedoch noch keineswegs zu Trägern der Kampfentscheidung. Die Ko­ lonne sollte den Sturm durchführen, den der Schützenschwarm vor­ bereitet hatte. Soweit gingen alle deutschen Infanterien einig. Ein Unterschied machte sich jedoch in der Anwendung der Kolonnen selbst bemerklich. Während Oesterreich und mit ihm die meisten anderen Staaten an den Bataillonskolonnen festhielten in der Annahme, daß die Bataillonskolonne die größere Wucht des Stoßes garantiere, setzte sich in Preußen die Ueberzeugung durch, daß die Kompagniekolonne die bessere Angriffsformation sei. Die preußische Infanterie wurde auf dem Gefechtsfeld damit in kleinere Teile zerlegt und besonders für die feindliche Artillerie schwerer faßbar; die breiteren und tieferen Angriffskolonnen der Oesterreicher und Bayern hatten unter dem feind­ lichen Feuer mehr zu leiden. Ein grundlegender Unterschied trat auch in der Bewertung des vorbereitenden Feuergefechts zu tage. Die preußische Infanterie nahm den Gedanken in sich auf, daß die Feuervorbereitung ausgedehnt werden müsse, so daß der Sturm gewissermaßen als letzter Akt des Kampfes ohne allzugroße Verluste durchgeführt werden könne; die österreichische Infanterie und mit ihr die Mehrzahl der übrigen deutschen Infan­ terien sah im geschlossenen Bajonettangriff den tzauptakt des Kampfes, -er, wie in der napoleonischen Zeit, durch die Schützenschwärme nur plänkelnd eingeleitet wurde. „Kein langwieriges Feuergefecht, es ver­ schleppt nur den günstigen Augenblick der Entscheidung" war das österreichische Dogma. Dementsprechend waren auch die Unterstützungs­ trupps und die Reserven bei der österreichischen Infanterie näher heran­ gehalten als bei der preußischen und damtt von Beginn des Kampfes an dem feindlichen Feuer stärker ausgesetzt. Die österreichische In­ fanterie machte der preußischen gegenüber 1866 mehrfache Luftstöße, die unter ungeheuren Verlusten im feindlichen Feuer zusammenbrachen. Noch weit mehr als die überlegene Waffe hat die überlegene Infanterietaktit zu den preußischen Siegen von 1866 beigetragen. Die Kavallerie wurde noch immer in erster Linie als Schlachten­ waffe betrachtet. Die Aufklärungstätigkeit war nicht auf der Höhe. Nachrichten vom Gegner zog man durch Kundschafter ein. In Preußen hat General Graf Wrangel und nach ihm Prinz Friedrich Karl die Kavallerie als Kampfttuppe auf eine hohe Stufe gehoben; in Oesterreich war die Kavallerie die beste Waffe der Armee, die ihre

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Ausbildung Radetzky selbst und später, besonders in reiterlicher Hinsicht, dem General von Edelsheim zu danken hatte. Die Attacke wurde in geschlossenen Formationen durchgeritten. In Oesterreich kannte man bereits den langen Galopp vor der Attacke, der etwa 60—80 Schritt vom Gegner entfernt in Karriere überging. In Preußen und in den meisten übrigen deutschen Staaten legte man dem langen Galopp wenig Wert bei, blieb möglichst lange im Trabe und setzte dann zur Attacke an. Das Feuergefecht war nicht genügend geübt. Die leichte Kavallerie sollte zwar nach wie vor auch zum Aufklärungs- und Sicherungsdienst verwendet werden. Die Aufgaben, die ihr hier von der höheren Führung gestellt wurden, reichten jedoch kaum über die nächste Umgebung der Infanterie hinaus. Daß 1866 auf beiden Seiten mangelhafte Resultate erzielt wurden, lag zum großen Teil daran, daß die oberen Führern von der Kavallerie keine Aufklärung forderten. Typisch ist der Fall zu Beginn des Main­ feldzug, wo Prinz Carl von Bayern zur Befreiung der eingeschlossenen Hannoveraner anmarschierte und weder die bayrische, noch die hannoveranische Kavallerie den naheliegenden Auftrag erhielt, die Fühlung aufzunehmen und die Lage bei den Verbündeten festzustellen. Statt dessen setzte Prinz Carl eine Belohnung von 100 Gulden für eine sichere Agentennachricht über den Verbleib der Hannoveraner aus. Die Artillerie war in Preußen hinsichtlich ihrer Fechtweise die am meisten zurückgebliebene Waffe. Bis zum Kriege von 1866 war die bereits genehmigte Bewaffnung mit gezogenen Geschützen noch nicht durchgeführt. Aus dem Nebeneinander von ungleichwertigen Ge­ schützen entstand Verwirrung in der Verwendung der Artillerie, die schließlich dazu kam, möglichst wenig Stellungswechsel vorzunehmen und die ganze Gefechtshandlung aus einer Stellung zu begleiten. Dazu herrschte eine überspannte Auffassung von dem Verlust der Geschütze als eines ehrenkränkenden Vorganges, die dazu führte, daß die Artillerie nicht genügend vorging und das Gefecht in Zweifels­ fällen frühzeitig abbrach. Die österreichische und bayrische Artillerie huldigte hier moderneren Grundsätzen. Der Verlust der Geschütze wurde nicht als Schande angesehen, wenn sie bis zum letzten Augenblick ihre Pflicht getan hatten. Größere Beweglichkeit der mit besserem Material ausgestatteten österreichischen und bayrischen Artillerie ge­ stattete ihr kräftiges Eingreifen in das Infanteriegefecht. Die offen­ kundige Ueberlegenheit des preußischen Gewehres und das Uebergewicht der preußischen Infanterietaktik, das sich im Kriege selbst erwies, wurde zum Teil durch die Ueberlegenheit der österreichischen Artillerie ausgeglichen, die bei Königgrätz zusammen mit der Reiterei den völligen Zusammenbruch verhütete. Don den Pionieren forderte man im Gefecht die gleichen Leistungen wie von der Infanterie.

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Die Feldbefestigung spielte keine wesentliche Rolle. Erst mit der allgemeinen Einführung der tzinterladegewehre konnte ihre Bedeutung steigen, da der Vorderlader im flachen Graben fast gar nicht ver­ wendet werden konnte. Bis 1866 hatte die einzige mit Hinterladern ausgerüstete preußische Infanterie andere Aufgaben vor sich, als die Ausgestaltung der Feldbefestigung. Mit der wachsenden Größe der Heere verlor auch die Ortsverteidigung an Bedeutung.

2. Festungskrieg. Mit der erhöhten Fernwirkung der Feuerwaffen stieg die Be­ deutung der Außenforts. Die Kernumwallung blieb zwar als wesent­ licher Bestandteil der Festung bestehen, die Hauptverteidigungslinie verlegte sich aber von selbst in die Linie der 3—5 km vor die Kern­ umwallung vorgeschobenen Forts, die so angelegt waren, daß sie die Zwischenfelder mit Feuer decken konnten. Das vom Feind her sichtbare Mauerwerk verschwand immer mehr unter Erdummantelung. Die Einführung von Sprengmunition machte eine stärkere Erddecke nötig. Die Lehre von der Belagerung änderte sich nicht wesentlich. Den größeren Schußweiten und der verstärkten Wirkung der Festungs­ geschütze angepaßt, mußten die Belagerungsarbeiten weiter vom Gegner entfernt beginnen und Deckung gegen die verstärkte Wirkung bieten. Die Bedeutung der Festungen wurde allgemein anerkannt. Die oberitalienischen Festungen hatten sich 1848 und 1859 für die Oesterrreicher als treffliche Stützpunkte und Waffenplätze bei den Feld­ operationen erwiesen. Im dänischen Kriege wäre ohne die Festungen der Feldzug in raschem Anlauf beendet worden, 1866 waren in Italien wie in Böhmen die Festungen erhebliche Hindernisse für den Feind gewesen.

0) Kriege. Deutschland als Ganzes hatte in der Periode zwischen 1815 und 1866 nur wenige Kriege zu führen. Die Kriege gegen Dänemark wurden teilweise als Bundesexekutionen angesehen und mit Bundes­ truppen, durchgeführt, 1866 wurde vom Bunde das Bundesheer gegen Preußen mobil gemacht. Die übrigen Kriege waren Kämpfe der Großmächte Oesterreich und Preußen mit auswärtigen Mächten, und schließlich unter sich.

Oesterreich:

Preußen:

Franz I. (1792—1835). Ferdinand I. (1835—1848). Franz Joseph l. (1848—1916). FriedrichWilhelm III. (1797—1840). Friedrich Wilhelm IV. (1840—1858) [gest. 1861]. Wilhelm I. (1858 [als Regent, seit 1861 als König] —1888.)

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Maximilian I. Joseph (1799—1825). Ludwig I. (1825—1848) ^Thronentsagung, gest. 1868]. Maximilian II. (1848—1864). Ludwig II. (1864—1886). Sachsen: Friedrich August I. (1769—1827). Anton (1827—1836). Friedrich August II. (1836—1854). Johann (1854—1873). Württemberg: Friedrich I. (1797—1816). Wilhelm I. (1816—1864). Karl (1864—1891).

Bayern:

Aufstände in Polen 1830, in Galizien und Krakau 1846. Anläßlich des Aufstandes in Russisch-Polen 1830/31 entsandten Preußen wie Oesterreich militärische Verstärkungen in ihre polnischen Gebiete, wo es zu unbedeutenden Scharmützeln kam. Ein ernsthafterer Aufstand in Galizien im Jahre 1846, ebenfalls von Polen ausgehend, wurde durch den Obersten Benedek energisch niedergeschlagen. •

Revolution von 1848—1849. In Wien, in Berlin, in Dresden und in einigen andern Haupt­ städten der deutschen Staaten kam es 1848 und 1849 zu Revolutionen,, denen großenteils unklare Ideen über eine Reform des deutschen Bundes und die Forderung nach einer Verfassung zugrunde lagen. Ernsthaftere Formen nahmen die Aufstandsbewegungen in Polen und Baden an, wo sie sich gegen die bestehende staatliche Ordnung richteten. In Polen traten die Insurgenten unter dem Vorgeben einer Revolution gegen Rußland ziemlich ungestört zusammen. Im April brach der Aufstand offen aus. Das V. Armeekorps, die 4. Divi­ sion und Teile des VI. Armeekorps wurden nach Posen entsandt. Nach glücklichen Gefechten erlitten die Truppen am 30. April eine Schlappe, die die Empörung neu emporwachsen ließ. Am 7. Mai 1848 jedoch wurde der Polenführer Mieroslawski gezwungen, den Oberbefehl niederzulegen. Sein Nachfolger kapitulierte am 9. Mai 1848 zu Bardo, worauf die Provinz ohne Schwierigkeiten entwaffnet wurde. Aufstandsbewegungen in Baden und in der Pfalz unter den Rädelsführern Struve, Hecker und Sigel im Jahre 1848 wurden durch Württembergische und bayrische Truppen leicht unterdrückt. 1849 jedoch fiel ein Teil der badischen und der Pfälzer Truppenteile den Aufständischen zu. Zwei preußische und ein Bundesarmeekorps warfen unter dem Oberbefehl des Prinzen Wilhelm von Preußen in einer Reihe von Gefechten den Aufstand nieder. Die Revolutionäre wurden teils über die Schweizer Grenze, teils in die Festung Rastatt ge­ trieben, die am 22. Juli 1849 kapitulierte.

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Die Erhebung Ungarns 1848—1849. Die Ungarn verlangten einen völlig selbständigen, von Oesterreich getrennten Nationalstaat. Ferdinand I. gewährte eine eigene Berfassung und ein ungarisches Ministerium. Er ernannte den Erzherzog Stephan zum Palatin, den Grafen Ludwig Batthiany zum Ministerpräsidenten und Ludwig Kossuth zum Finanzminister. Gleichwohl trieben die Ungarn zum Aufstand. Der Ban von Kroatien, Oberst Baron Iellachich, marschierte darauf­ hin in Ungarn ein, muhte aber, da sich nach Befehlen aus Wien auch die österreichischen Truppen der ungarischen Regierung unter­ stellten, aus Ungarn zurückweichen. Er bog auf Wien aus. Dort war im Oktober 1848 Revolution ausgebrochen. General Fürst Windisch-Grätz rückte vor die Stadt und vereinigte sich mit Iellachich. Wien wurde im Oktober eingenommen. Windisch-Grätz ging nun nach Ungarn vor. Infolge des Krieges in Italien verfügte er nur über geringe Streitkräfte, denen die Ungarn stärkere Kräfte entgegen­ stellten. Es kam zu heftigen Kämpfen, die sich bis in den September 1849 hinein ausdehnten. Erst am 27. September 1849 konnte mit der Kapitulation von Komorn die ungarische Erhebung als unter­ drückt angesehen werden. Der Krieg in Italien 1848—1849.

Die nationalen und freiheitlichen Bestrebungen der italienischen Patrioten erstrebten den Zusammenschluß des ganzen Italien zu einem einheitlichen Reich. Im Anschluß an die revolutionären Bewegungen in Deutschland brach eine Erhebung los, die durch die Bundesgenossenschaft Karl Alberts von Sardinien bald den Charakter eines Krieges gewann. Feldmarschall Graf Radetzky verfügte über knapp 50000 Mann, die in den Garnisonen Oberitaliens verstreut lagen. Mailand konnte angesichts des wachsenden Aufruhres mit der 20 000 Mann starken Garnison nicht gehalten werden. Radetzky ging hinter die Adda zurück, um seine Truppen zu konzentrieren. Auf dem Marsch dahin erfuhr er, daß das Land in seinem Rücken sich in vollem Aufstand befand. Radetzky warf sich in das Festungsviereck Mantua—Peschiera—Verona —Legnago. Karl Albert hatte am 25. März 1848 mit 45000 Mann den Ticino überschritten. Seine Armee verstärkte sich rasch durch den Zuzug von Aufständischen, die besondere, zahlreiche Korps bildeten. Für Radetzky war die Lage kritisch. Infolge der Revolution in Ungarn trafen aus Oesterreich keine Verstärkungen ein. Die Garnisonen in Italien waren großenteils abgeschnitten und mußten sich erst durch­ schlagen. Truppenteile italienischer Nationalität gingen zum Feinde über.

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Das Festungsviereck hielt gegenüber den Anstrengungen stand, die Karl Albert machte, um Mantua und Peschiera zu nehmen. Radetzky stand bei Verona. Nachdem er 45000 Mann versammelt hatte, ergriff der Feldmarschall die Offensive. Am 29. Mai 1848 zersprengte er bei Curtatone das Einschließungskorps vor Mantua. Peschiera fiel jedoch, bevor Radetzky eintreffen konnte. Der Feld­ marschall warf sich auf Vicenza, das am 10. Juni erstürmt wurde. Von da wandte er sich gegen die Piemontesen, die in breiter Front zwischen Mantua und Peschiera standen. Am 22. und 23. Juli wurden die Piemontesen bei Rivoli, Somma Campagna und Sona geschlagen, am 25. Juli in der Schlacht von Custozza besiegt. Karl Albert ging auf Mailand zurück, wohin ihm Radetzky auf der nördlichen Straße folgte. Am 4. August kam es vor Mailand zur Schlacht, in der Karl Albert unterlag. Am 6. August ging er eine Kapitulation ein, der am 9. August 1848 ein Waffenstillstand folgte. Mit Ausnahme von Venedig nahmen die Oesterreicher die ober­ italienischen Festungen wieder in Besitz. Venedig hielt sich noch, auch ohne die piemontesische Hilfe. Am 12. März 1849, als in Ungarn das österreichische Vorgehen zum Stocken kam, kündigte Karl Albert den Waffenstillstand. Der König hatte die piemontesische Armee inzwischen auf 100000 Mann in 7 Di­ visionen und 2 selbständigen Brigaden verstärkt. Radetzky verfügte über fünf Korps mit 75 000 Mann. Karl Albrecht wollte mit den Hauptkräften über Magenta nach Mailand rücken. Die 5. Division sollte den Vormarsch auf dem süd­ lichen Po-Ufer über Casteggio begleiten, während die 6. Division von Spezia aus an die Trebbia vormarschierte. Man rechnete damit, daß die Oesterreicher sich wieder aus der Lombardei zurückziehen würden, Radetzky jedoch, der seine Streitkräfte bis zur Kündigungsfrist des Waffenstillstandes, dem 20. März, bei Pavia vereinigt hatte, demon­ strierte gegen die piemontesische 5. Division bei Casteggio, die einen feindlichen Angriff von Piacenza her vermutete und daher abwartend stehen blieb; Radetzky ging mit seinen tzauptkräften bei Pavia über den Ticino, zerstörte die Pobrücke südlich Pavia und warf sich nun auf die Hauptkräfte der Piemontesen unter Karl Albert, die bei Digevano und Mortara stehen geblieben waren, ohne den Vormarsch auf Mailand fortzusetzen. Am 21. März 1849 warfen hier die Oesterreicher den Gegner zurück. Karl Albert zog seine Streitkräfte nach Novara. Hier holte ihn Radetzky am 23. März ein und schlug ihn entscheidend. In­ folge der schweren Waffenstillstandsbedingungen, die Radetzky stellte, dankte der König ab. Sein Sohn Viktor Emanuel schloß am 24. März den Waffenstillstand, der zum Frieden von Mailand am 6. August 1849 führte. Während dieser Kämpfe hatte sich im Rücken des Heeres der Aufstand erneut gerührt. Das abtrünnige Brescia wurde am 31. März

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von General von Haynau erstürmt, Livorno und Bologna fielen im Mai; Venedig, das sich am längsten hielt, kapitulierte am 24. August 1849. Deutsch-dänischer Krieg 1848—1850. Der Krieg brach aus, als König Friedrich VII. von Dänemark unter dem Einfluß der eiderdänischen Partei die Einverleibung Schleswigs in das dänische Königreich aussprach und damit alte Verträge brach, nach denen die beiden Länder Schleswig und Holstein, die 1460 den König von Dänemark zum Herzog gewählt hatten, auf ewig ungeteilt sein sollten. Da Holstein deutsches Bundesland war, griff der Deutsche Bund ein. Die Herzogtümer setzten eine provisorische Regierung unter dem Prinzen von Noer ein, und rüsteten selbst zum Widerstand. Die schleswig-holsteinischen Truppen bezogen unter General von Krohn zum Schutze Flensburgs eine weite Aufstellung. Am 9. April wurden sie von überlegenen dänischen Kräften angegriffen und im Gefecht bei Bau zurückgedrängt. Bundesstreitkräfte und preußische Truppen trafen unterdes in Holstein ein. Den Oberbefehl übernahm zuerst der hannöversche General tzalkett, dann der preußische General von Wrangel. Die zum Schutze der Herzogtümer aufgestellte Bundes­ armee erreichte allmählich die Stärke von 14000 Preußen, 11000 Mann Bundestruppen aus dem nördlichen Deutschland und 9000 Schleswig-Holsteinern. Am 23. April wurden die Dänen in der Schlacht bei Schleswig geschlagen. Die Bundestruppen wurden nun nach vorne gezogen und trafen bei Oeversee am 24. April auf die Nachhut der Dänen, die zurückgetrieben wurden. Die Dänen zogen sich auf die Insel Alsen zurück, wo sie beim Mangel einer preußischen oder Bundeskriegs­ flotte unerreichbar waren. Der Einspruch von Rußland, England und Frankreich verwehrte den Bundestruppen die Ausnützung der Situation in Jütland. Ende Mai drängten die Dänen die deutschen Vorposten auf der Halbinsel Sundewitt zurück und nahmen auf den Düppeler Höhen eine schwer angreifbare Aufstellung. Ein Angriff der Deutschen auf diese Höhen am 5. Juni mußte abgebrochen werden. Einer Umfassung bei Hadersleben entzogen sich die Dänen. Unter dem Druck der drohenden Haltung Rußlands und Schwedens kam am 26. August 1848 der Waffenstillstand bei Malmö zustande. Am 26. März 1849 kündigten die Dänen diesen Waffenstillstand. Der Bundestag bot 50 000 Mann aller deutschen Staaten mit Aus­ nahme Oesterreichs auf, die unter den Befehl des preußischen Generals von Prittwitz traten. Die schleswig-holsteinischen Dortruppen wurden Anfang April aus der Gegend von Düppel zurückgedrückt. Die dänische Marine erlitt jedoch bei einer Demonstration in der Bucht von Eckern­ förde am 5. April durch die dortigen Strandbatterien eine schwere Niederlage. Auf Sundewitt wurden die Dänen wieder auf die Stellung bei Düppel zurückgeworfen.

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Nach einem Gefecht bei Kolbing am 19. April marschierten die deutschen Truppen in Jütland ein. Die Dänen zogen unvermutet ihre Kräfte aus Jütland und Alfen nach Fredericia heran und schlugen dort die vereinzelt stehende schleswig-holsteinische Division in der Schlacht bei Fredericia am 6. Juli 1849. In dem folgenden Waffenstillstand von Berlin vom 10. Juli 1849 wurde Schleswig vom Deutschen Bunde preisgegeben. Die Holsteiner rüsteten zu weiterem Widerstand. Preußen schied im Frieden von Berlin am 2. Juli 1850 aus der Reihe der Kämpfenden aus und zog sich infolge des Vertrages von Olmütz im November ganz von der schleswig-holsteinischen Frage zurück. Die Schleswig-Holsteiner rückten mit 27 000 Mann unter dem preußischen General von Willisen, unter dem der bayerische Oberstleutnant von der Tann als General­ stabschef diente, nach Schleswig vor, wurden jedoch bei Idstedt am 2. Juli geschlagen. Die Unternehmung auf Missunde am 12. September schlug fehl. Gegen Ende des Jahres wurde das dänische Heer so ver­ stärkt, daß weiterer Widerstand unmöglich war.

Der Krieg in Italien 1859. Die Einigungsbestrebungen Italiens, die 1849 gescheitert waren, fanden Unterstützung durch Napoleon III. Die Piemontesen rüsteten, Oesterreich verlangte Einstellung der Rüstungen, ohne indessen aus falscher Sparsamkeit selbst mobil zu machen. Am 23. April wurde ein österreichisches Ultimatum in Turin überreicht und nach drei Tagen ab­ gelehnt; zugleich begannen die französischen Truppentransporte nach Italien. Die Gesamtstärke der Oesterreicher unter dem Feldzeugmeister Grafen Gyulay betrug 240 000 Mann, von denen etwa 140 000 für die Feldarmee verfügbar waren. Die Piemontesen stellten 63000 Kom­ battanten auf, zu denen 26 000 Mann Freischaren stießen. Die Fran­ zosen stellten 127 000 Mann ins Feld. Gyulay war kein Mann von raschem Entschluß. Statt sich nach dem Rat seines Generalstabschefs, des Obersten Kuhn, auf die Piemon­ tesen zu werfen, bevor die Franzosen heran waren, zögerte er. Die napo­ leonischen Truppen trafen ein. Napoleon III. entschloß sich, an der rechten österreichischen Flanke vorbei auf Mailand zu marschieren. Gyulay ging auf das linke Ticinoufer zurück. Napoleon griff indessen am 4. Juni die Brücken bei Magenta an und erzwang in einem harten Kampf den Uebergang. Die Oesterreicher marschierten ins Festungs­ viereck ab, Napoleon zog am 8. Juli in Mailand ein. Kaiser Franz Joseph übernahm nun mit dem Feldzeugmeister von Heß als Generalstabschef selbst den Oberbefehl. Heß wollte der Armee im Festungsviereck zunächst Ruhe gönnen, der Kaiser jedoch hörte auf den Rat des Souschefs, General von Ramming, der für sofortige Offen­ sive war. Die österreichische Armee traf im Vormarsch auf die Fran-

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zosen. Bei Solferino kam es am 24. Juni zu einer Begegnungsschlacht. Die Piemontesen wurden geschlagen, ein Sturm der französischen Garde auf Solferino jedoch entschied das Schicksal des Tages zugunsten der Franzosen. Die Oesterreicher zogen sich in das Festungsviereck zurück. Napoleon war aus politischen Gründen zum Frieden bereit, der dem am 8. Juli abgeschlossenen Waffenstillstand zu Villafranca schon am 12. Juli folgte. Oesterreich verlor die Lombardei.

Deutsch-dänischer Krieg 1864. Die schleswig-holsteinische Frage trat in ein neues Stadium, als zum Verfassungsstreit noch ein Erbfolgestreit kam. Der Bundestag erklärte im Dezember 1863 die vorher mehrfach angedrohte Reichs­ exekution gegen Dänemark, das durch Holstein Bundesmitglied war. Bundestruppen rückten in Holstein ein, aus dem sich die Dänen zurück­ zogen. Nun aber erklärten Oesterreich und Preußen als europäische Großmächte den Krieg an Dänemark. Feldmarschall von Wrangel übernahm den Oberbefehl über ein preußisches Korps unter dem Prinzen Friedrich Karl und ein öster­ reichisches unter dem Feldmarschalleutnant Frhrn. von Gablentz. Dazu stieß noch eine als III. Korps bezeichnete preußische Heeresabteilung unter General von der Mülbe. Die Gesamtsumme der Streitkräfte betrug rund 60 000 Mann. Die Dänen unter General de Meza machten drei Infanterie- und eine Kavalleriedivision mit insgesamt 54 000 Mann mobil. Die dänische Armee hielt in weiter Aufstellung das Danewerk besetzt. Der von Moltke entworfene Feldzugsplan ging dahin, die Dänen in dieser Stellung festzuhalten, bis der deutsche rechte Flügel über die Schlei vorgedrungen sei und so dem Gegner den Rückzug abschneiden könne. Der Plan wurde im Hauptquartier nicht ganz durchgeführt; man ging zu früh zum Frontalangriff vor. Die Dänen entzogen sich in der Nacht zum 5. Februar 1864 der drohenden Umfassung in der Danewerkstellung. Bei Oeversee holten die Oesterreicher die dänische Nachhut am 6. Februar 1864 ein und brachten ihr eine empfindliche Niederlage bei. Die Dänen setzten nun den Rückmarsch in die Düppelstellung fort. Nur die dänische Kavalleriedivision blieb in Jütland; bei Düppel wurde von einer Division eine stark ausgebaute befestigte Stellung bezogen. Der Rest der dänischen Streitkräfte setzte nach Alfen über. Das I. (preußische) Korps der Verbündeten erhielt den Befehl zum Angriff auf Düppel, das II. (österreichische) und III. (preußische) Korps sollte bis an die Nordgrenze Schleswigs marschieren. Moltke hatte die Besetzung Jütlands gefordert, um die Hilfsquellen des reichen Landstriches den Dänen wegzunehmen und den Verbündeten zuzuführen.

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Infolge der Einmischung fremder europäischer Mächte geriet jedoch der Vormarsch ins Stocken. Im März kamen die Operationen wieder in Fluß. Jütland wurde eingenommen, die Festung Fredericia eingeschlossen. Am 26. Mai 1864 räumten die Dänen die Festung, die den Oesterreichern in die Hände fiel. Vor Düppel hatten die Preußen zum förmlichen Angriff schreiten müssen. Eine geplante Unternehmung gegen Alsen, die den Fall der Düppeler Schanzen beschleunigen sollte, mußte wegen ungünstiger Witterung aufgegeben werden. Die Artilleriebeschießung auf Düppel setzte nun am 7. April ein, drei Paralellen wurden gegen die Schanzen vorgeschoben. Der am 18. April angesetzte Sturm gelang glänzend. Die Düppeler Schanzen fielen in die Hände der Preußen. Infolge der Einmischung Englands wurde vom 12. Mai ab eine sechswöchentliche Waffenruhe vereinbart. Nach deren Ablauf gingen die Preußen am 29. Juni auf die Insel Alsen über. Die überraschten Dänen leisteten keinen einheitlichen Widerstand. Auch die dänische Flotte traf zu spät ein, um den gefährlichen Uebergang zu stören. Die Dänen schifften sich am 1. Juli nach der Insel Fünen ein. Mit Hilfe der österreichisch-preußischen Flotte konnten nun auch die dem Festland vorgelagerten Inseln den Dänen entrissen werden. Durch den Uebergang nach Alsen war die dänische Kriegspartei in ihrem Glauben an die Uneinnehmbarkeit der dänischen Inseln erschüttert worden. Wie nach Alsen, konnten die Verbündeten auch nach Fünen und Seeland übergehen und Kopenhagen einnehmen. Die englische Friedensvermittlung fand nun in Kopenhagen geneigtes Gehör. Am 1. August wurde der Prämilinarfrieden unterzeichnet, dem der Frieden von Wien am 30. Oktober 1864 folgte; Dänemark trat die Herzog­ tümer an Oesterreich und Preußen ab, die sie in gemeinsame Ver­ waltung nahmen.

Der Krieg von 1866. Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland zwischen Oester­ reich und Preußen mußte zum Austrag kommen. Die Zwistigkeiten, die sich zwischen beiden Mächten in der gemeinsamen Verwaltung der schleswig-holsteinischen Herzogtümer ergeben hatten, bildeten nur den äußeren Anlaß zum Kriege. Der Deutsche Bund beschloß auf Antrag Oesterreichs am 14. Juni die Bundesmobilmachung gegen Preußen, worauf Preußen seinen Aus­ tritt aus dem Bund erklärte und ihn als aufgelöst bezeichnete. Italien trat auf Seite Preußens gegen Oesterreich in den Kampf. Die Oesterreicher hatten ihre Hauptarmee in Böhmen und Mähren mobil gemacht. Hier standen unter dem Feldzeugmeister von Benedek 7 Armeekorps und 3 Kavalleriedivisionen mit annähernd 240 000 Mann. Gegen Italien waren unter dem Oberbefehl des Erzherzogs Albrecht 80 000 Mann aufgestellt.

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Die Bundesstreitkräfte, die gegen Preußen mobil gemacht wurden, zählten im Verlauf der Mobilmachung 40 000 Bayern, 20 000 Sachsen und etwa 40 000 Mann des VIII. Bundesarmeekorps. Die Aufstellung des IX. und X. Bundesarmeekorps kam infolge der Zersplitterung innerhalb -es Bundes und infolge des raschen preußischen Vorgehens überhaupt nicht zustande. Preußen konnte 310 000 Kombattanten ins Feld stellen, von denen 250 000 gegen die österreichische Nordarmee, 60000 gegen die Bundes­ streitkräfte verwendet werden sollten. Italien machte 160000 Kombattanten mobil.

a) Der Krieg in Deutschland. Auf Seiten der Preußen bestand ein durchaus einheitlicher Ober­ befehl. Der König führte nominell als oberster Kriegsherr. Moltkes Pläne wurden durchgeführt, soweit es die Politik Bismarcks gestattete. Moltkes Operationsplan sah einen konzentrischen Vormarsch aus Schlesien und über Sachsen gegen Mähren und Böhmen vor. Im Besitz dieser beiden Länder sollte der weitere Vormarsch auf Wien gehen. Gegen die Bundestruppen wollle er nur schwache Kräfte verwenden. Die gewünschte operative Uebereinkunft mit Italien kam nicht zustande. Oesterreichischerseits hatte Feldzeugmeister von Benedek nur wider­ willig den Oberbefehl über die Nordarmee übernommen. Er war auf dem italienischen Kriegsschauplatz groß geworden und hatte hier zuerst unter Radetzky, dann als dessen Nachfolger sich militärische Lorbeeren geholt und den Kriegsschauplatz, sowie die eigenen und feindlichen Truppen in Italien kennen gelernt. Der Kaiser befahl ihm unter Berufung auf seinen Soldateneid die Uebernahme des Oberbefehls im Norden. Von vorneherein war hier Benedek, der sich mit den Fragen eines Krieges gegen Preußen nie befaßt hatte, auf die Rat­ schläge seines Generalstabschefs, des Generals Baron tzennikstein, und noch mehr des Chefs der Operationskanzlei, Oberst von Krismania, angewiesen. Man verzichtete österreichischerseits, um nicht als Angreifer zu erscheinen, auf eine große Offensive; mit Rücksicht auf die hohe Kriegsbereitschaft Preußens wurde die Versammlung der österreichischen Strettkräfte nicht in Böhmen, sondern in Mähren, um Olmütz, be­ fohlen. Mit -en Bundestruppen kam Oesterreich zu keiner Einigung über den Operationsplan. Zuerst sollten die Bayern nach Böhmen rücken und im unmittelbaren Anschluß an die Oesterreicher kämpfen. Dann wurde die Bildung einer südwestdeutschen Bundesarmee unter dem Befehl des Prinzen Carl von Bayern vorgesehen, die am Main ope­ rieren sollte. Die Deckung eigenen Gebietes spielte eine große Rolle in den Entschlüssen der Mittel« und Kleinstaaten. Nur die Sachsen, denen bei einem raschen preußischen Vormarsch nichts anderes übrig blieb, entschlossen sich zum unmtttelbaren Anschluß an die Oesterreicher.

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Die Preußen standen gegenüber den Oesterreichern am 15. Juni 11866 mit drei Armeen in folgender Aufstellung: Elbarmee unter dem General Herwarth von Bittenfeld bei Torgau; 1. Armee unter dem Prinzen Friedrich Karl nördlich von Böhmen; 2. Armee unter dem Kronprinzen im östlichen Schlesien. Die Oesterreicher hatten keine Einteilung in Armeen vorgenommen. Es standen: I. Korps unter Elam-Gallas in Böhmen, die übrigen sechs Korps in der Versammlung um Olmütz in Mähren. Benedek halle sich nun doch zum Vorrücken nach Böhmen entschlossen, um hier bei Josephstadt—Königgrätz den Entscheidungskampf anzunehmen. Am 17. Juni begann Benedek den Vormarsch. Die preußische Elbarmee hatte am 15. Juni die sächsische Grenze überschritten. Die Sachsen zogen sich planmäßig ohne Widerstand zurück und vereinigten sich in Böhmen mit dem I. österreichischen Korps. Diese Streitkräfte traten nun zusammen unter den Befehl des Kronprinzen Albert von Sachsen. Die Bewegungen Benedeks hatten im preußischen Hauptquartier die Besorgnis wachgerufen, die Oesterreicher planten einen Einfall in Schle­ sien. Trotzdem und entgegen den Lehren Napoleons und Jominis, die den getrennten Vormarsch Friedrichs des Großen 1757 nach Böhmen verdammten, hielt Moltke an seinem Plan fest. Es blieb bei dem an­ geordneten Vormarsch durch die Gebirgspässe. Bei Jitschin sollten sich die drei preußischen Armeen die Hand reichen. Benedek vermutete in der Armee des Prinzen Karl seinen Haupt­ gegner. Er schätzte die Stärke der 2. preußischen Armee nur auf zwei Korps und beabsichtigte, bei seinem Flankenmarsch an der schlesischen Grenze vorbei seinerseits zwei Korps gegen die 2. preußische Armee stehen zu lassen. Die Armee des Kronprinzen von Sachsen erhielt Be­ fehl, an der Jser auszuharren, bis Benedek heran war. Bei dieser Armee kam es zu den ersten heftigeren Kämpfen. Am 26. Juni wurde das schwach besetzte Turnau von den Preußen in die Hand genommen. Da Benedeks Befehl eintraf, bei Turnau zu halten, versuchte der Kronprinz von Sachsen, allerdings vergeblich, Turnau erneut zu nehmen. Ein weiterer Befehl, der den Wunsch aus­ sprach, daß ernstere Gefechte vermieden werden soltten, unterbrach die ge­ plante Erneuerung des Angriffes. Am 28. löste sich die Armee des Kronprinzen Albert in einem blutigen Nachhutgefecht von den Preußen. Bei Jitschin nahmen die Sachsen erneut Stellung, um das Heran­ kommen Benedeks abzuwarten. Bendek hatte seinen Plan geändert, und nun machte sich fühlbar, daß er nicht, wie Mollke, die Unterführer mit dem Operationsplane vertraut machte und Direktiven gab, sondern seine Armee- und Korps­ führer lediglich mit Befehlen versah, ohne ihnen seine Absichten mitzu-

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teilen. Die 1. preußische Armee drang auf drei Straßen über Liebau— Trautenau, Schweidnitz—Braunau, Glatz—Nachod aus Schlesien vor. Bei Nachod kam es am 27. Juni zwischen General von Steinmetz und dem VI. österreichischen Korps unter General von Ramming zum Kampf, der anfänglich für die Oesterreicher günstig stund, bis der ent­ scheidende Stoß, den das österreichische Infanterieregiment 20 „Prinz von Preußen" mutig vorgetragen, im überlegenen preußischen Jnfanteriefeuer zusammenbrach. Hier war es, wo der Regimentsinhaber, Kron­ prinz Friedrich Wilhelm, den tötlich verwundeten Kommandeur seines österreichischen Regiments trauernd begrüßte. Am gleichen Tage focht das Korps Gablenz bei Trautenau gegen das Korps Bonin. Bonin gab, geschlagen, den Befehl zum Rückzug nach Schlesien- die siegreichen Oesterreicher wurden jedoch am nächsten Tage von der über Eipel vorgehenden Garde gefaßt und in einem zwei­ ten Gefecht bei Trautenau geschlagen. Am 28. Juni griff Steinmetz das VIII. österreichische Korps, das gegen ihn herangezogen worden war, an und schlug es. Am 29. Juni wurde die Armee des Kronprinzen von Sachsen, durch den Prinzen Friedrich Karl, der über die Elbarmee und die 1. preußische Armee verfügte, bei Jitschin in blutigem Kampfe geworfen. Benedek konnte daraufhin eine Aufstellung hinter dem Dubenetz, die er mit Front nach Norden und Osten gegen die preußische 2. Armee ein­ genommen hatte, nicht mehr halten und befahl das Beziehen einer Stel­ lung bei Königgrätz, in der er die ganze österreichisch-sächsische Armee versammelte. Die bisherigen Kämpfe hatten die Mängel der österreichischen Armee stark zutage treten lassen. Die Truppe hatte sich glänzend geschlagen,immer wieder war die Infanterie todesmutig unter ungeheuren Verlusten vorgegangen, hatte die Kavallerie attackiert, die Artillerie bis zur letzten Kartouche ausgehalten. Allein die Taktik der preußischen Infanterie er­ wies sich als überlegen, und, was noch mehr in die Wagschale siel, die preußische untere und mittlere Führung arbeitete verständnisvoll mit der oberen zusammen. Benedek deckte einem kaiserlichen Abgesandten diese Schäden schonungslos auf und erbat in einem Telegramm vom 1. Juli an den Kaiser den sofortigen Friedensschluß. Wilhelm I. und Moltke waren in Jitschin eingetroffen, zunächst noch im Unklaren über die österreichischen Absichten. Erst allmählich er­ kannte man, daß die Oesterreicher bei Königgrätz standhalten wollten. Prinz Friedrich Karl sprach die Absicht aus, die Oesterreicher anzu­ greifen. Moltke billigte den Plan und sandte gleichzeitig der Armee des Kronprinzen den Befehl zum Vorgehen in die rechte Flanke der Oesterreicher. Am 3. Juli 1866 zwischen 7 und 7 Uhr 30 Vorm. begann der Entscheidungskampf. Die österreichische Stellung war von Natur sehr stark, und dazu noch von den Pionieren in 40-stündiger Arbeit ausge-

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baut. Planmäßig gaben die Oesterreicher die vorgeschobenen Stellungen an der Bistritz auf. Dann kam der preußische Angriff im überlegenen österreichischen Artilleriefeuer zum Stocken. Benedeck entschloß sich zum Gegenstoß mit seiner Hauptreserve. Der entscheidende Moment der Schlacht war gekommen. Nun aber rächte sich die veraltete Befehlsgebung der Oesterreicher. Zwei Korps waren, ohne über den Anmarsch der Armee des Kronprin­ zen von Preußen informiert zu sein, als Schuh in die rechte Flanke ent­ sandt worden. Hier sahen sie von Norden her keinen Feind und stürzten sich auf den linken preußischen Flügel, wo General von Fransecky im Swiepwald bewußt die überlegenen feindlichen Kräfte auf sich zog und in ein zersetzendes Waldgefecht verwickelte. Eben, als die Hauptreserve zum Gegenstoß ansetzen sollte und als die beiden Flügelkorps in dem Kampf um den Swiepwald gebunden waren, erhielt Benedek um 11 Uhr 30 Vorm. durch den Festungs­ telegraphen von Königgrätz eine Kavalleriemeldung, daß der preußische Kronprinz im Anmarsch sei. Er wagte nicht mehr, den Gegenstoß durch­ zuführen und stellte eine Abwehrstaffel gegen den Kronprinzen auf. Diebeiden zerzausten Flügelkorps wurden von der preußischen 2. Armee überannt, die österreichischen Abwehrstaffeln erlitten das gleiche Schick­ sal. Um 3 Uhr Nachm. waren die beherrschenden Höhen von Chlum in preußischer Hand. Das Schicksal des Tages war entschieden. Dank der Aufopferung der österreichischen Kavallerie, die bei Stresetitz sich mit 5000 Reitern der gleichstarken preußischen Kavallerie und der preußischen Infanterie entgegenwarf, gelang der österreichischen Infanterie das Loslösen vom Feinde. Auch die österreichische Artillerie hatte den Rückzug gedeckt. Während des Reiterkampfes hatte das öster­ reichische I. Korps nochmals versucht, Chlum zu nehmen, ein Versuch, der mit furchtbaren Opfern (das Korps verlor von 18600 Mann 150 Offiziere und 5800 Mann) gescheitert war. Die preußische Verfolgung setzte unter dem Eindruck des gewaltigen Kampfes nicht nachdrücklich ein. Die Oesterreicher zogen sich über die Elbe zurück. Die Verluste waren völlig ungleich, auf österreichischer Seite betrugen sie 44 000 Mann, auf preußischer 9 200 Mann. Benedek sammelte seine Truppen bei Olmütz und marschierte dann, einer Weisung aus Wien folgend, über Ungarn hinter die Donau nach Wien, da ihm der preußische Kronprinz am 15. Juli bei Tobitschau den näheren Weg durch Mähren verlegte. Die Preußen folgten in breiter Front durch Mähren. Angesichts des Stephansturmes kam aus politischen Erwägungen Bismarcks heraus der preußische Vormarsch zum Stehen. Ein beginnendes Gefecht bei Blumenau am 22. Juli wurde infolge des Eintrittes des Waffenstill­ standes unterbrochen. Der Prager Frieden vom 23. August schloß den Krieg, grauet,holz, Deutsche Kriegs- und Heeresgeschichte.

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Auf dem Nebenkriegsschauplatz in Süddeutschland hatte sich inzwi­ schen ebenfalls entscheidende Kämpfe abgespielt. Hier kämpfte General Bogel von Falkenstein mit 48 000 Mann gegen die südwestdeutsche Bundesarmee unter dem nominellen Oberbefehl des Prinzen Carl von Bayern mit cirka 70 000 Mann. Die Verhältnisse wurden für den bayerischen Heerführer dadurch erschwert, daß sich ihm Prinz Ale­ xander von Hessen mit dem VIII. Bundeskorps nur widerwillig unter­ stellte und niemals Gehorsam leistete. Die Kämpfe begannen mit einem unglücklichen Auftakt: die Hanno­ veraner, etwa 20 000 Mann stark, sollten zur Bundesarmee stoßen, verzögerten ihren Marsch aber so, daß sie von den Preußen bei Langen­ salza eingeschlossen und am 29. Juni trotz eines siegreichen Gefechtes zur Kapitulation gezwungen wurden. Weder von bayerischer noch von hannoveranischer Seite war die Vereinigung energisch betrieben worden. Beiderseits zweifelte man am guten Willen. Prinz Carl von Bayern, der nach Thüringen vormarschiert war, zog sich vor den anrückenden Preußen nach Süden zurück; Prinz Alex» xander marschierte trotz eines gegenteiligen Befehles nach Frankfurt ab. Währenddessen traf die Nachricht von dem Verlust der Entscheidungsschlacht bei Königgrätz im süddeutschen Hauptquartier ein. Prinz Carl wurde von den Preußen bei Kissingen und Hammelburg am 10. Juli 1866 geschlagen, dann wandten sich die Preußen nach Frankfurt. Prinz Alexander wurde bei Laubach am 13. und 14. Juli besiegt. Frankfurt fiel in preußische Hand. Prinz Carl befahl nun die Versammlung der beiden Bundeskorps bei Würzburg, wo sie am 23. Juli glücklich vollzogen wurde. Die Preußen, nun unter dem Befehl Manteuffels, folgten durch den Oden­ wald. Am 23.,; 24. und 25. Juli kam es zu Gefechten bei Werbach, Tauberbischofsheim und Helmstadt, die für die Preußen glücklich ver­ liefen. Am 26. Juli erwartete Prinz Carl in günstiger Stellung bei Hettstadt den preußischen Angriff, als Prinz Alexander mit dem VIII. Bundeskorps plötzlich abmarschierte, ohne angegriffen zu sein. Die linke Flanke der Bayern war dadurch entblößt. Prinz Carl mußte sich ebenfalls hinter den Main zurückziehen. Am 2. August wurde auch hier ein allgemeiner Waffenstillstand abgeschlossen. Der Mainfeldzug hatte die Unbrauchbarkeit der Bundeskriegsvefassung erwiesen, die jede straff angelegte Operation unmöglich machte. Wie das VIII. Bundeskorps dem Bundesfeldherrn den Gehorsam ver­ weigerte, so innerhalb dieses VIII. Korps die einzelnen Kontingente^ deren Führer für jeden Sonderfall geheime Weisungen ihrer Re­ gierungen in der Tasche hatten, die letzten Endes auf die Deckung des eigenen Gebietes hinausliefen. Mit diesem rühmlosen Feldzug wurde der deutsche Bund und seine Kriegsverfassung zu Grabe ge­ tragen.

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b) Der Krieg in Italien. Moltke hatte versucht, den italienischen Generalstabschef La Mar­ mora für den Plan eines direkten Vorgehens über Padua auf Wien 3U gewinnen. Zusammen mit einem ungarischen Aufstand, der von Preußen protegiert wurde, sollte dieser Vormarsch die österreichische Monarchie ins Herz treffen. La Marmora ging darauf nicht ein. Er wollte einen Frontalangriff über den Mincio gegen das Festungsviereck, gab dann aber dem Ge­ neral Cialdini teilweise nach, der den Moltkeschen Plan verfocht. Die italienische Armee ging somit in zwei Gruppen oor^bie eine, unter Viktor Emanuel, mit 90 000 Mann frontal über den Mincio, die andere unter Cialdini, mit 70000 Mann, südlich des Po gegen Venetien. Erzherzog Albrecht hatte seine Streitkräfte im Festungsviereck zu­ sammengezogen. Als Generalstabschef stand ihm der erfahrene General Freiherr von John zur Seite. Er faßte auf die Nachricht von der Kräfte­ verteilung der Italiener hin den Plan, zuerst mit der Minciogruppe abzurechnen und sich dann auf Cialdini zu werfen. Am 20. Juni begannen die Feindseligkeiten. Die österreichische Ka­ vallerie verschleierte geschickt den Vormarsch des Erzherzogs. Am 24. Juni erschienen die Oesterreicher unvermutet in der linken Flanke des italienischen tzauptheeres und brachten ihm bei Custozza eine schwere Niederlage bei. Die Schlacht entschied den ganzen Feldzug. Die italienische Haupt­ armee ging fluchtartig zurück. Cialdini wagte mit seiner Armee nicht mehr, den Po zu überschreiten. Bald nach seinem Sieg rief die Nachricht von der Niederlage bei Königgrätz den Erzherzog an die Donau ab, um hier Wien zu schützen. Die Italiener konnten mühelos Venetien besetzen. Die österreichische Flotte aber gewann unter Admiral Tegethoff am 20. Juli 1866 noch einen glänzenden Sieg bei Lissa über die über­ legenen italienischen Seestreitkräfte.

3. Die Zeit von 1867—1918. Oesterreich war aus dem Reiche ausgeschieden. Das Uebergewicht Preußens hatte sich erwiesen. Noch schloß sich aber kein deutsches Reich zusammen. Bismarck faßte zunächst die Staaten nördlich des Maines zum norddeutschen Bund zusammen, dessen feste Fügung ihm ohne die Süddeutschen leichter schien. Erst als sich im Kriege gegen Frankreich der Süden bereitwillig an das nördliche Deutschland anschloß, entstand als Krönung der Schlachtensiege das Deutsche Reich in neuer Gestalt. Die Versöhnung Oesterreichs und sein Bündnisanschluß an Deutsch­ land hatte Bismarck schon auf den böhmischen Schlachtfeldern vorge­ schwebt. Unter Anderem war diese Absicht ausschlaggebend, als Bismarck 17*

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sich -en Wünschen seines Königs und Moltkes auf volle Ausnützung der Siege von 1866 entgegenstellte. Der Zweibund von 1879 enthielt die Erfüllung dieses Gedankens. Während die politische Einigung des engeren Deutschland noch einige Jahre auf sich warten ließ, ging seine militärische voraus. Die Er­ folge Preußens im Kriege waren so durchschlagend gewesen, daß sich keiner der besiegten Staaten der Notwendigkeit einer Heeresreform ver­ schließen konnte. Die noch vielfach entgegenstehenden Widerstände von Männern, die eine Rückkehr zu den alten wehrlosen Zuständen anstrebten, wurden überwunden. In Norddeutschland verlangte der Norddeutsche Bund eine Heeresreform auf Grund der preußischen tzeerordnung, in Süddeutschland wurden unter der Leitung energischer Männer, in Bay­ ern des Kriegsministers Freiherrn von Prankch, in Württemberg vor Allem durch den Einfluß des Flügeladjudanten und späteren Kriegsmi­ nisters von Suckow, in Baden durch den Großherzog selbst die preu­ ßischen Heereseinrichtungen als vorbildlich eingeführt. Die Reformen setzten sofort nach dem Kriege ein. Es zeigte sich, daß das Bedürfnis nach durchgreifenden Aenderungen in den süddeutschen Heeren so stark gewesen war, daß die Reorganisationen von den Armeen willig ausge­ nommen und als Erlösung aus unwürdigen Zuständen empfunden wurden. In der kurzen Zeit von 1866 bis 1870 wandelten sich die Armeen so völlig, daß sie den Kampf von 1870/71 als ebenbürtige Glieder des deutschen Heeres durchfechten konnten. Militärkonventionen, die zuerst noch geheim gehalten waren, wur­ den mit Preußen abgeschlossen. Das neue Reich übernahm nach 1871 die politischen und mili­ tärischen Grundsätze des norddeutschen Bundes. Die süddeutschen Ar­ meen wurden dem großen deutschen Heere in allem Wesentlichen ein­ gegliedert. Wenn für die größeren deutschen Bundesstaaten Sonderbe­ stimmungen galten, die sich nach der militärischen Macht der Staaten abstuften, so war das ein Vorteil für das Ganze: die Sonderstellung verpflichtete auch zu besonderer Leistung; die in sich geschlossenen ein­ zelnen deutschen Kontingente traten in einen förderlichen Wettstreit. Ein deutsches Reichsheer entstand, das zu seinem Vorteil nicht auf den festen Kitt verzichtete, der in dem staatlichen und landsmannschaftlichen Charakter der einzelnen Heeresteile lag. Das deutsche Heer durfte sich 1914 stolz und unbestritten als das erste der Welt bezeichnen. Oesterreich-Ungarn schloß sich dem Bundesstaat an, der sich damit zum Staatenbund erweiterte. Auch hier wurde nach 1866 eine gründ­ liche Reform des Heerwesens durchgeführt. Allein im späteren Verlauf ist nach der militärischen Seite hin Deutschland seiner Verpflichtung Oesterreich-Ungarn gegenüber nicht nachgekommen; als der stärkere der beiden Bundesgenossen hätte er das Recht und die Pflicht gehabt, den Kaiserstaat in dem Kampf zu stützen, den er mit den verschiedensten Elementen im Inneren um die Ausgestaltung seiner Heermacht zu

Die ßeit von 1867—1918. — Das Heerwesen des Deutschen Reiches.

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führen hatte. Bündnismäßige Festlegung der gegenseitigen militärischen Leistung, so, wie sie Entente unter sich verlangte, hätte den Ausbau des österreichisch-ungarischen Heeres erleichtert.

A. Das Heerwesen des Deutschen Reiches. a) Die Heeresanfbringung. Die Verfassung des norddeutschen Bundes sprach die allgemeine Wehrpflicht eindeutig aus. Die Zweiteilung der bewaffneten Macht in Linie und Landwehr war verschwunden. Das neue deutsche Reich übernahm in seiner Verfassung vom 16. April 1871 mit geringen Abänderungen die erprobte Verfassung des norddeutschen Bundes. Jeder Deutsche war wehrpflichtig und konnte sich in Ausübung dieser Pflicht nicht vertreten lassen. Die Wehrpflicht dauerte vom 17. bis zum 45. Lebensjahr. In der Regel nach dem vollendeten 20, Lebensjahr trat der Dienstpflichtige in die Armee ein, diente sieben Jahre im stehenden Heere, davon drei bei der Fahne, und vier in der Reserve; sodann trat er in die Landwehr über, der er fünf Jahre angehörte. Die Landsturmpflicht dauerte vom 17. bis zum 45. (zuerst zum 42.) Lebensjahr. Das Gesetz erlitt bis 1918 einige Abänderungen. Die Dienst­ pflicht bei der Fahne wurde für die Fußtruppen und die fahrende Artillerie 1893 auf zwei Jahre festgesetzt, während sich die Reserve­ pflicht bei diesen Truppen auf fünf Jahre erhöhte. Die Landwehr wurde 1888 in zwei Aufgebote eingeteilt; die Dienstzeit in der Land­ wehr I. Aufgebotes betrug für die aus der Reserve Entlassenen fünf Jahre (seit 1893 bei den berittenen Truppen 3 Jahre), in der Land­ wehr II. Aufgebotes diente man bis zum vollendeten 39. Lebensjahr. Der Landsturm wurde 1888 ebenfalls in zwei Aufgebote eingeteilt, in die alle Wehrfähigen traten, soweit sie nicht dem stehenden Heer oder der Landwehr angehörten; das I. Aufgebot umfaßte die Mannschaft bis zum 40., das II. die vom 40. bis zum 45. Lebensjahr. Eine Reihe von tauglichen Mannschaften, die nicht in das stehende Heer eingestellt wurden, sind der Ersahreserve überwiesen worden, für die Uebungen vorgesehen waren. Die Ersatzreservepflicht dauerte zuerst fünf Jahre in der ersten, bis zum 31. Lebensjahr in der zweiten Klasse. Seit 1888 fiel die Klasseneinteilung der Ersatzreserve fort; die Ersatzreservepflicht dauerte 12 Jahre, worauf Mannschaften, die Uebungen mitgemacht hatten, der Landwehr II. Aufgebotes, die übrigen dem Landsturm I. Aufgebotes überwiesen wurden. Eine verkürzte Dienstzeit hatten die Einjährig-Freiwilligen, die die Berechtigung hiezu auf Grund eines Schulzeugnisses über den absolvierten Besuch der 6. Klasse des Gymnasiums oder einer ähnlichen Schule erwarben. Die Einjährig-Freiwilligen bezogen keinerlei Ge­ bühren. Aus ihnen ergänzte sich das Reserve- und Landwehroffiziers­ korps.

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Das im ganzen treffliche Wehrgesetz wies zwei Lücken auf: das Einjährig-Freiwilligenwesen und die Unterlassung einer grundsätzlichen Festsetzung der tzeeresstärke im prozentualen Verhältnis zur Bevöl­ kerung. Das Einjährigensystem setzte für den künftigen Führer eine kürzere Dienstzeit fest als für den Mann. Das Reserve- und Landwehroffizierskorps war dadurch für die Aufgaben nicht genügend vorgeschulk die der Krieg stellt. Das Fehlen eines Gesetzes, nach dem das Heer eine bestimmte Prozentzahl der Bevölkerung stark sein mußte, gab der Volksver­ tretung die Möglichkeit, die Heeresstärken zu bestimmen. Bismarck hat versucht, eine automatische Verstärkung des Heeres bei anwachsender Bevölkerung durchzusetzen. Der Reichstag hat sich nicht darauf ein­ gelassen. So mußte, zuerst jedesmal für sieben, dann (nach Bismarck) für fünf Jahre der Etat mit Genehmigung des Reichstages aufgestellt werden. Dadurch, daß der Reichstag nicht die volle Verantwortung für die zeitgemäße Verstärkung des Heeres trug, ergab sich in den Jahren nach Bismarcks Tod ein unerfreuliches Bild. Die Heeresvorlagen wurden stark beschnitten, und zu einer Zeit, in der sich der Ring der Entente um Deutschland zu schließen begann, in der namentlich Frank­ reich seinen letzten Mann zur Armee heranholte und auf schwarze Hilfskräfte zurückgriff, stellte Deutschland nur 54 o/o seiner wehrfähigen Mannschaft ein. Nach französischem Urteil konnte Deutschland zu Beginn des Weltkrieges die kriegsentscheidende Zahl von 600 000 Mann ausgebildeter jüngerer Jahrgänge mehr ins Feld stellen, wenn es die gleichen Anstrengungen wie Frankreich gemacht hätte.

b) Das Offizierskorps. Das Offizierskorps behielt seinen landmannschaftlichen Charakter, seine dienstlichen Obliegenheiten regelten sich jedoch innerhalb des ganzen Reiches nach gleichen Normen. Der Geist des aktiven Offizierskorps war und blieb vortrefflich. Der Offiziersberuf war nicht auf materiellen Gewinn aufgebaut; nach wie vor blieben gerade die unteren Chargen bis zum Stabsoffizier, über die die meisten Offiziere nicht hinauskamen, schlecht bezahlt. Der Staat verlangte sogar vom Leutnant einen Zuschuß, der bei den berittenen Waffen nicht unerheblich war. Der Kavallerieoffizier mußte in den unteren Chargen ein, in den oberen mehrere Pferde ohne Entschädigung zum Dienste einstellen. Diese schlechte wirtschaftliche Lage hat manchmal den Eintritt von Söhnen aus alten Soldaten­ familien in die Armee unmöglich gemacht; die Gefahr lag nahe, daß ein neues Geschlecht heranwuchs, das im Besitz materieller Güter die alten Traditionen des -Offizierskorps, 'die selbstlose Pflichterfüllung und die Aufopferung für 'feine 'Untergebenen außer Acht ließ. Diese Gefahr ist im Allgemeinen glücklich gebannt worden. Der alte soldatische

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Führergeist blieb in den Offizierskorps der herrschende. Nur in wenigen Regimentern hat sich ein Luxus breit gemacht, der nicht in Einklang mit der traditionellen und pflichtmäßigen Einfachheit des Offiziers­ lebens stand. Das treffliche Verhältnis, das im Weltkrieg zwischen den aktiven Offizieren und ihren Mannschaften herrschte, zeigt, daß das Offizierskorps seine Aufgabe schon im Frieden richtig erfaßt hatte. Der höhere Prozentsatz an gefallenen Offizieren im Weltkrieg (25 o/o der aktiven Offiziere gegen 14 % bei den Unteroffizieren und Mannschaften) erweist, daß die Offiziere auch vor dem Feind ihrer Truppe vorangingen. Eine neue preußische Bestimmung vom 12. Februar 1875 über die Ehrengerichte der Offiziere, die auch von den übrigen Staaten über­ nommen wurde, enthielt nicht etwa Bestimmungen über den Austrag von Ehrenhändeln, sondern grundl^ende Hinweise auf die berufliche Auffassung vom Offiziersstand. Die Ehre war nicht eine andere als die anderer Menschen; der exponierte Beruf des Offiziers aber er­ forderte eine besondere Reinhaltung der Ehre; der Einzelne hatte nicht nur für sich, sondern für den ganzen Stand zu sorgen, dessen auffallendes Kleid er trug. Der Offiziersersatz erfolgte durch Einstellung von Kadetten oder jungen Leuten mit geeigneter Vorbildung in das Heer. Bayern forderte von allen Offiziersaspiranten die Hochschulreife, die übrigen Staaten begnügten sich ttttt einer siebenklaffigen Gymnasialzeit. Die preußischen Kadettenkorps wurden weiterhin vermehrt. 1914 existierten die Hauptanstalt in Lichterfelde mit 1000 Zöglingen und acht Voranstalten mit zusammen 1600 Zöglingen. Sachsen hatte ein eigenes Kadettenkorps, dessen Organisation sich an die preußische an­ schloß. Das bayrische Kadettenkorps hatte den Lehrplan der sechs oberen Klassen eines vollständigen Realgymnasiums von neuen Klassen; eine Vorschule gab es hier nicht, -er Eintritt ins Kadettenkorps erfolgte nach dreijährigem Besuch eines Gymnasiums. Der Offiziersaspirant trat mit Genehmigung des Regiments­ kommandeurs als Fahnenjunker, wenn er Kadett gewesen war, als Fähnrich in die Armee ein. Die Absolventen der preußischen Selekta erhielten sofort den Leutnantsrang, die Absolventen der bayrischen Pagerie wurden als Fähnriche ausgenommen. Nach mindestens sechs­ monatlicher Dienstzeit, die seit 1908 in Bayern auf ein Jahr ausgedehnt worden ist, wurden die Offiziersaspiranten zum etwa einjährigen Kurs auf die Kriegsfällen kommandiert, von denen eine in Bayern, zwölf im übrigen Deutschland vorhanden waren. Die Beförderung zum Offizier hing dann vom Ausfall der Schlußprüfung und von der Wahl des Offizierskorps statt, die der Allerhöchsten Ernennung voran­ gingen. Die Fortbildung -er Offiziere gewann nun in allen deutschen Staaten ein einheitliches und festes Gepräge. Sie blieb nicht mehr,

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wie in vielen deutschen Staaten vor 1866, dem Einzelnen überlassen. Die preußische Artillerie- und Ingenieurschule nahm weiterhin die jungen Offiziere dieser Waffen auf; ihr erfolgreicher Besuch war die Vorbedingung für ihr Verbleiben in der Waffe. 1903 wurde in Preußen eine militärisch-technische Akademie gegründet, die 1907 mit der Artillerie- und Ingenieurschule verschmolz. Zu diesem Institut wurden Offiziere aller Waffen kommandiert, doch blieben die Artillerie- und Ingenieuroffiziere in der Ueberzahl. Für sie war der Besuch der ersten zwei Jahrgänge der Anstalt obligatorisch. Bayern behielt seine eigene Artillerie- und Ingenieurschule bei, kommandierte jedoch Offiziere zur militärtechnischen Akademie. Die Kriegsakademie in Berlin diente der Vorbereitung zum Generalstabsdienst, zur höheren Adjutantur und zum Lehrfach. Bayern hatte 1867 eine eigene Kriegsakademie gegründet, die bestehen blieb. Beide hatten den gleichen dreijährigen Lehrgang. Die Kriegsakademie war eine der bestdotierten staatlichen Schulen. Außer den militärischen Fächern war dem Offizier Gelegenheit gegeben, in hochschulmäßiger Weise seine Kenntnisse in Staatswissenschaft, Recht, Geschichte, Geo­ graphie und in fremden Sprachen zu erweitern, ohne hiefür Kosten aufbringen zu müssen. Die Zulassung war von dem Bestehen einer sehr schwierigen Eintrittsprüfung abhängig. Die Zentralstelle des Generalstabes war der Große Generalstab in Berlin. Bayern behielt seine eigene Zentralstelle, kommandierte jedoch Offiziere in den Großen Generalstab. Die Institution des Generalstabes wuchs gewaltig an; der deutsche Generalstab wurde als einer der besten Teile des unvergleichlichen Heeres angesehen. Bis 1888 wirkte Generalfeldmarschall Graf Moltke in der Stellung des Generalstabschefs, die sich immer mehr hob, allerdings, ohne den letzten, ausschlaggebenden Einfluß auf den Ausbau des Heeres zu erhalten. Reichskanzler, Kriegsminister und schließlich der Staats­ sekretär der Finanzen des Reiches behielten ein gewichtiges Wort. Bei Kaiser und Reichstag lag die Entscheidung, bei keinem aber die volle, alleinige Verantwortung. Moltkes Nachfolger war der General der Kavallerie Graf Walderfee, der den Posten nur bis 1891 bekleidete. Ihm folgte der General der Kavallerie Graf Schliessen, neben dem älteren Moltke die be­ deutendste militärische Erscheinung des neuen deutschen Reiches. Als er 1906 in den Ruhestand trat, übernahm General der Infanterie Graf Moltke (der Jüngere) das Amt, das er zu Kriegsbeginn inne hatte. Im September 1914, nach der Marneschlacht, folgte ihm der Kriegsminister, Generalleutnant von Falkenhayn, der 1916 durch Ge­ neralfeldmarschall von Hindenburg in dieser Stellung ersetzt wurde. Hindenburg hatte das Amt bis nach dem Weltkriege inne. Neben dem aktiven Offizierskorps stand das Reserve- und Land­ wehroffizierskorps. Diese Offiziere gingen zum überwiegenden Teil aus

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den Einjahrig-Freiwilligen hervor; nur ein kleiner Teil waren aktive Offiziere, die frühzeitig die aktive Laufbahn verlassen hatten. So besaß das Regiment der Garde du Corps fast ausschließlich Reserveoffiziere, die als aktive Offiziere im Regiment gedient hatten. Die Mängel des Einjährigendienstes zeigten sich beim Führer deutlich. Dem Reserve­ offizier fehlte die Kenntnis des Ausbildungsdienstes. Nach seinem Einjährigenjahr hatte er eine Uebung als Unteroffizier, eine weitere als Vizewachtmeister, bezw. Vizefeldwebel abzuleisten und konnte dann nach Wahl durch das Offizierskorps seines Landwehrbezirkes zum Reserveoffizier befördert werden. Nach einigen Uebungen als Offizier trat er dann entweder zu den Landwehroffizieren über oder wurde in der Reserve weiter befördert. Die praktischen und theoretischen Grundlagen waren ungenügend. Der Reserveoffizier mußte sich int Kriege erst mühsam eine Reihe notwendiger Kenntnisse aneignen.

c) Die äußere Organisation der Armee. Die Verbände des deutschen Heeres gewannen ein durchaus gleich­ mäßiges Gepräge. Kriegsministerien blieben in Preußen, Bayern, Sachsen und Würt­ temberg bestehen. Das preußische Kriegsministerium übernahm die kriegsministerielle Tätigkeit für sämtliche übrigen deutschen Kontingente. Eine Besonderheit des bayrischen Kriegsministeriums war, daß der bayrische Kriegsminister die oberste Befehlsgewalt über die bayrische Armee hatte, während die übrigen Kriegsministerien nur Verwaltungs­ behörden waren. Die Einteilung der Kriegsministerien war etwa die gleiche und umfaßte alle Zweige des militärischen Dienstbetriebes. Unmittelbar dem Kaiser unterstellt war das Militärkabinett, das die persönlichen Verhältnisse der Offiziere (Beförderungen, Verabschie­ dungen, Orden etc.) zu bearbeiten hatte. In Bayern, wo der König Oberster Kriegsherr blieb und der Kaiser nur Oberster Bundesfeldherr war, besorgte die Personalabteilung des Kriegsministeriums die persön­ lichen Angelegenheiten sämtlicher bayrischer Offiziere. In Sachsen und Württemberg gingen die Befugnisse der Regelung der Offiziersange­ legenheiten teilweise in die Hände des Kaisers über, oder bedurften seiner Zustimmung. Die übrigen Staaten hatten die Offiziersangelegen­ heiten gänzlich dem Kaiser übertragen. Die Stärke des deutschen Heeres betrug nach 1871 345 565 Mann ohne Offiziere, Unteroffiziere und Einjährig-Freiwillige. Bis zu Bis­ marcks Abgang trat eine Vermehrung auf 419 962 Mann ein. Bis 1900 wurde die Armee auf 495500 Mann gebracht, dann trat eine Stagnation ein, so daß 1912 trotz des Anwachsens der Bevölkerung auf fast das Doppelte nur 544211 Mann bei den Fahnen standen. Die letzte große Heeresvorlage vom 3. Juli 1913, die nicht mehr ganz zur Durchführung kam, sah eine tzeeresstärke von 661478 Mannschaften

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Vor. Einschließlich der Offiziere, Unteroffiziere und Einjährigen belief sich die Friedenspräsenzstärke des deutschen Heeres im Sommer 1914 auf 760 908 Mann, während Frankreich zur gleichen Zeit eine Frie­ denspräsenzstärke von 883566 bis 910000 Mann — die Angaben schwanken — aufwies. Die Zahl der Armeekorps hatte 1871 18 betragen (14 preus­ sische, 2 bayrische, 1 sächsisches, 1 württembergisches), die 1890 auf 20, 1899 auf 23 und 1912 auf 25 Armeekorps erhöht wurde (19 preus­ sische, 3 bayrische, 2 sächsische, 1 württembergisches Armeekorps.) Die Armeekorps, unter einem Kommandierenden General stehend, waren aus zwei Divisionen zusammengesetzt, die ihrerseits aus zwei bis drei Infanterie-, einer Kavallerie- und einer Feldartilleriebrigade bestanden. Im Frieden existierte nur eine Kavalleriedivision beim Gardekorps. Fußartillerie, Pioniere, Verkehrstruppen und Train waren den Ge­ neralkommandos unmittelbar unterstellt. Für alle Waffen mit Ausnahme der Infanterie waren zur Kon­ trolle der einheitlichen Ausbildung Waffeninspektionen vorhanden. Es bestanden 1913 nach der letzten durchgeführten Heeresvermeh­ rung: 217 Infanterieregimenter zu je drei Bataillonen mit 12 Infan­ terie- und einer Maschinengewehrkompagnie, 18 Iägerbataillone mit Maschinengewehrkompagnien und Radfahrerkompagnien, 11 Feld- und 15 Festungsmaschinengewehrabteilungen, 110 Kavallerieregimenter zu 5 Eskadrons (nur 3 Regimenter hatten erst 4 Eskadrons), 100 Feld­ artillerieregimenter mit 600 fahrenden und 33 reitenden Batterien, 48 Fußartillerieregimenter mit 190 Batterien und 30 Bespannungs­ abteilungen, 35 Pionierbataillone, 8 Eisenbahn», 9 Telegraphen­ bataillone, 18 Luftschiffer- und 14 Fliegerkompagnien, 25 Train­ bataillone. Ueber den Armeekorps standen Armeeinspektionen, deren Zahl 1871 vier, 1914 acht betrug. Die Mobilmachung des gewaltigen Kriegsheeres, das aus dem Friedensheer entstehen sollte, war ein immer schwierigeres Problem geworden. Vorarbeiten, die bis ins Kleinste gingen, und an denen, von Kriegsministerium und Generalstab angefangen bis herunter zu den Truppenadjutanten, die Offiziere bei den Stäben zu arbeiten hatten, be­ reiteten die Aufftellung eines Millionenheeres vor, die sich 1914 ohne die geringste Rettung vollzog. Auch die außerordentlich schwierigen Bahntransporte waren bis ins Einzelne geregelt und liefen ohne wesentliche Störung ab. 1914 stellte Deutschland 2 Millionen Mann ins Feld, die sich auf die 25 aktiven Armeekorps, auf 11 Kavallerie­ divisionen, 121/2 Reservekorps und eine Reihe von Landwehr- und Landsturmformationen verteilten. Den acht Armeeinspektionen ent­ sprechend waren acht Armeen aufgestellt. Im Laufe des Krieges wuchs

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die Zahl der Eingestellten in Deutschland auf rund 10 Millionen Mann in entsprechend vermehrten Formationen an. Die Aenderungen in den Formationen des mobilen Heeres waren mannigfaltig. Als wichtigste feien erwähnt: die Schaffung von Heeres» gruppenkommandos, denen eine Anzahl von Armeen unterstellt wurde; es hatte sich bereits beim ersten Vormarsch zur Marne heraustzestellt, daß die Handhabung der sieben Armeen des Westens von einem Hauptquartier aus nicht straff genug war. Ferner die Auflösung des Brigadeverbandes bei der Infanterie und Artillerie; die Infanterie­ divisionen erhielten als Unterführer nun einen Kommandeur der In­ fanterie, der über drei Infanterieregimenter verfügte und einen Kom­ mandeur der Artillerie, dem die Feld» und Fußartillerie der Division unterstand. Die erwähnten beiden Neuordnungen entstanden aus den Erfahrungen des großen Krieges und sollten für später übernommen werden. Eine große Reihe anderer Aenderungen dagegen waren der Not des vierjährigen Krieges entsprungen, so die Herabsetzung der Stärken der einzelnen Formationen u. a. m. In territorialer Beziehung, -. h. zu Aushebungs» und Mobili­ sierungszwecken, war das ganze Reich in Korpsbezirke eingeteilt, die — mit Ausnahme der Garde — den aktiven Generalkommandos unter­ stellt waren. Die Infanteriebrigaden (und vereinzelte Kavallerie» und Feldartilleriebrigaden) blldeten die unteren Instanzen, unter denen Landwehrbezirkskommandos standen, die die Rekrutierungs» und Kontrollgefchäste durchzuführen hatten. Landwehrinspektionen unterstützten die Generallommandos. d) Die Waffengattunge«.

Nach 1866 ging das allgemeine Streben auf Vereinfachung. Bei der Infanterie waren die in Preußen noch üblichen Bezeich­ nungen Grenadier, Musketier, Füsilier nur mehr Namen mit tradi­ tioneller Bedeutung gewesen; in vielen anderen Staaten trat die Dienstbezeichnung „Gemeiner" oder „Infanterist" an Stelle der anderen Namen. Die Zahl der Iägerbataillone wurde verringert. Bei der Kavallerie legten die Kürassiere 1888 den Küraß zum Dienstgebrauch ab und behielten ihn nur zur Parade bei; in Bayern war man noch Wetter gegangen, hatte 1876 den Küraß, 1878 auch den Stahlhelm abgel^t und den Namen Kürassiere in Schwere Reiter ver­ wandelt. Der Karabiner wurde bei der gesamten Kavallerie eingeführt. 1890 erhielt die ganze Kavallerie Lanzen, die bis dahin nur die Ulanen geführt hatten. Die Kavallerie war zur Einheitskavallerie geworden; die schwere Kavallerie hatte lediglich kräftigere Pferde und größere Reiter als die leichte. Die Feldartillerie verringerte die Zahl der reitenden Batterien, die nur mehr bei den Kavalleriedtvisionen Verwendung finden sollten« und suchte nach dem Einheitsgeschütz. Die Fußartillerie teilte sich in Festungs» und Belagerungsartillerie.

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Der Pionier machte die Wandlung zum Einheitspionier durch, der alle Zweige des Pionierdienstes zu beherrschen hatte.

Dieses Streben hielt nicht Stand, als die Technik auf allen Gebieten Fortschritte machte. Die Infanterie mußte zuerst das Maschinengewehr als Spezial­ waffe aufnehmen, das seine Brauchbarkeit in den englischen Kolonial­ kriegen der neunziger Jahre des XIX. Jahrhunderts erwiesen hatte und 1900 in der deutschen Armee nach langen Versuchen eingeführt wurde. Im Laufe des Krieges traten noch Minenwerferabteilungen zur Infanterie, so daß hier ein neuer Spezialdienst entstand,- auch Infan­ teriegeschütze kamen zur Einführung. Auch die Radfahrabteilungen können als infanteristische. Spezialtruppe angesehen werden. Die Kavallerie hatte innerhalb der Eskadrons speziell im Tele­ graphen- und Pionierdienst ausgebildete Leute, die indessen den übrigen kavalleristischen Dienst voll mitzumachen hatten. 2m Kriege übernahm die Reiterei ebenfalls die Maschinengewehre; jedes Regiment erhielt eine Eskadron mit schweren Maschinengewehren; außerdem sollten den Reiteskadrons noch leichte Maschinengewehre zugeteilt werden. Auch die Einheitlichkeit der Feldartillerie konnte nicht durchgeführt werden. Die reitenden und fahrenden Batterien zwar hatten das gleiche Geschütz mit unwesentlichen äußeren Verschiedenheiten. Die Notwendig­ keit, gegen gedeckte Ziele zu wirken, führte jedoch zur Einführung von leichten Steilfeuerbatterien. Bei der Fußartillerie ging eine bedeutungsvolle Trennung vor sich. Unter dem Einflüsse des Generalstabschefs Grafen Schlieffen wurde in den neunziger Jahren des XIX. Jahrhunderts die Ausscheidung einer schweren Artillerie des Feldheeres durchgeführt, die, ähnlich bespannt wie die Feldartillerie, dem Feldheere zu folgen vermochte. Die schwere Artillerie des Feldheeres führte die leichte Feldhaubitze und den Mörser, dazu in beschränkterem Maße schwere Flachbahngeschütze. Die Fußartillerie ohne Bespannung bediente das Artilleriematerial der Festungen und die schweren Belagerungsgeschütze, die nicht den Be­ wegungen des Feldheeres folgen konnten. Besonders deutlich prägte sich die Notwendigkeit der Speziali­ sierung bei den Pionieren aus. Von ihnen lösten sich die Verkehrs­ truppen, die in sich wieder zahlreich gegliedert waren und den Dienst des Eisenbahnwesens, der Kraftfahrer, des Telegraphen- und Fern­ sprechwesens zu versehen hatten. Die Luftschifferformationen und die Flieger waren ursprünglich auch den Pionierinspektionen unterstellt ge­ wesen. Dazu stellte der Weltkrieg die Pioniere selbst vor neue Auf­ gaben; der Minenkampf wurde wieder ausgenommen und erforderte Spezialausbildung, der Ausbau der tiefgegrabenen Stollen in den Schützengräben mußte zunächst von den Pionieren in Angriff ge-

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nommen werden, bis die Infanterie sich selbst zu helfen wußte; der Bau von Hindernissen gewann ebenfalls erhöhte Bedeutung. 'Es haben sich an den Arbeiten des Stellungskrieges in ausgedehntestem Maße die anderen Waffen beteiligt; die erste Anleitung mußte aber von den Pionieren ausgehen, die auch vielfach die Lehrer blieben. Auch der Straßenbau nahm als Zweig des Pionierdienstes einen ungeahnten Umfang an. Die Friedensformationen des Trains reichten eben nur zur Auf­ stellung -er Stäbe und zur Abgabe von Personal an die Kriegs­ formationen aus. Im Kriege schieden sich dann die Munitionskolonnen von den Verpflegungstrains. Die Munitionskolonnen traten allmählich in ein immer engeres Verhältnis zu den Waffen, für die sie zu sorgen hatten. Gut vorbereitete Neuformationen stellten die Feldlazarette und Sanitätskompagnien dar, die im Frieden nicht bestanden (die Friedens­ sanitätskompagnien waren aufgelöst worden). e) Die innere Organisation.

1. Kommandoverhältnisse. Die Kommandoverhältnisse waren in der ganzen deutschen Armee die gleichen. Oberster Kriegsherr war der deutsche Kaiser (für Bayern der König von Bayern, unter dem der Kriegsminister die oberste Kom­ mandogewalt inne hatte). Die Armeeinspekteure, meist Generalfeldmarschälle oder Generalobersten, hatten das Jnspektionsrecht über die ihrem Befehlsbereich zugeteilten Korps. Eine ausgedehnte Kommando­ gewalt über die Truppen und militärischen Behörden ihres Korps­ bezirkes hatten die Kommandierenden Generale der 25 Armeekorps, im allgemeinen Generale der Infanterie, Kavallerie oder Artillerie. Die Divisionen wurden in der Regel von Generalleutnants befehligt (die Generale von dieser Charge an erhielten gewöhnlich den Titel Ex­ zellenz). Die Brigadekommandeure waren Generalmajore oder Stabscffiziere (in der Regel Generalmajore). Die Regimenter wurden von Stabsoffizieren (in der Regel Obersten) geführt. Beim Stabe jedes Infanterieregiments befand sich ein Oberstleutnant, bei den übrigen Waffen ein Oberstleutnant oder Major beim Stabe, der Vertreter des Regimentskommandeurs war und diesen vornehmlich in Verwaltungs­ angelegenheiten unterstützte. Die Bataillone wurden von Majoren (selten Oberstleutnants), die Kompagnien und Batterien von Haupt­ leuten, die Eskadrons von Rittmeistern (selten Majoren) befehligt. Die Subalternoffiziere (Leutnants und Oberleutnants) — 3 bis 4 pro Kom­ pagnie etc. — taten in den Kompagnien etc. Dienst nach Anweisung der Compagnie etc.-Chefs. Die Unteroffiziere waren eingeteilt in solche nit und ohne Offiziersportepee. Zu erstem gehörte der Feldwebel (Wachtmeister) einer Kompagnie, der den Kompagniechef im inneren Dienst unterstützte und eine besondere Vertrauensstellung besaß, die Vize-

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feldwebel (Dizewachtmeister) und die Fähnriche mit oder ohne Offiziers­ seitengewehr (erstere nach Erlangung der Offiziersreife)) zu letzteren die Sergeanten und Unteroffiziere. Die Mannschaft hatte als Grad die Gefreiten und Obergefreiten (bei der Artillerie). Den Kommandeuren vom Bataillonskommandeur an aufwärts standen Adjutanten zur Seite. Die höheren Kommandostellen von der Division aufwärts verfügten außerdem über Generalstabsoffiziere zur Unterstützung des Führers. Sm allgemeinen war in der deutschen Armee die höhere Charge der niederen vorgesetzt; innerhalb der gleichen Charge galt das höhere Diensthalter; doch herrschte der Grundsatz, daß Funktionsrang vor Chargenrang gehe. War z. B. ein Schieß- oder Reitkurs für Stabs­ offiziere abzuhalten, so hatte der Führer dieses Kurses, auch wenn er ein junger Oberstleutnant war, den Befehl über die kommandierten älteren Oberstleutnants und Obersten. Sn ein wirkliches Vorgesetztenverhältnis traten erst die Snhaber von Kommandostellen, so z. B. der Kompagniechef zu sämtlichen Kom­ pagnieangehörigen, der Regimentskommandeur gegenüber allen Ange­ hörigen seines Regimentes usw. Auf dieses dauernde Vorgesetzten­ verhältnis war auch die Strafgewalt aufgebaut. Nicht gänzlich klar war immer noch die Stellung des General­ stabschefs und der Generalstabsoffiziere. Der Generalstabschef war offiziell nur ausführendes Organ des Obersten Kriegsherrn, in Wirk­ lichkeit aber fiel ihm die Tätigkeit des Oberkommandierenden zu. Von den Truppengeneralstabsoffizieren wurde während -es Krieges oft eine Einwirkung verlangt, die sich ohne tatsächliche Machtbefugnis eigent­ lich nicht erreichen ließ. Es zeigte sich, daß die Grenze zwischen der Tätigkeit des Führergehilfen und des Kommandeurs sehr schwer zu ziehen war. 2. Ausbildung und Dien st betrieb. Die Ausbildung hatte den Ausgleich zwischen der zur Verfügung stehenden Dienstzeit des Mannes und den Forderungen des Dienstes zu treffen, die mit der Vervollkommnung der Technik immer höhere wurden. Es wurde angestrebt, den Mann int Laufe seiner Dienstzeit zu einem selbständig denkenden Glied des Heeres zu machen, das seine Waffen völlig beherrschte und bereit war, mit Hingabe seines Lebens im Ernstfall die Befehle nicht dem Buchstaben nach, sondern sinngemäß zur Ausführung zu bringen. Mit einem bloßen Kadavergehorsam war nichts getan. Das Verlangen Kaiser Wilhelms I. nach „Drill und Erziehung", wie der alte Soldat unter eine Broschüre schrieb, die den Titel „Drill oder Erziehung?" trug, drückt eine der Grundforde­ rungen aus, die an die Ausbildung zu stellen war. Der Führer mußte in der Lage sein, auch in den schwierigsten Situationen richtige Befehle zu geben; der Untergebene mußte den

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Sinn der Befehle erfassen und sie auch unter veränderten Umständen dem Willen des Führers entsprechend zur Durchführung bringen. Aus dem Bewußtsein des Untergebenen, daß richtig befohlen, und der Ueberzeugung des Vorgesetzten, daß sinngemäß ausgeführt wurde, ent­ stand erst die Leistung, die das deutsche Heer 1914 so vorbildlich machte. Die Ausbildung der Führer war mit dem Absolutorium der Kriegs­ schule keineswegs abgeschlossen. Auch wer sich nicht freiwillig durch die Vorbereitung auf die Kriegsakademie fortbildete, wurde weiter geschult. Abgesehen von -en Erfordernissen des Truppendienstes, für die die Schule des Offiziers eigentlich nie aufhörte, wurde in den Regimen­ tern gleichmäßig nach höheren Weisungen an der Ausbildung der Offiziere gearbeitet, der als Hauptgrundsatz die Erziehung zur Verantwortungsfreudigkeit unterstellt wurde. In der Winterperiode wur­ den Kriegsspiele, taktische Besprechungen im Gelände, Vorträge un­ taktische Aufgaben abgehalten. Dazu kamen bei der Infanterie Of­ fiziersschießen, Fechten und Turnen, bei den berittenen Waffen Reit­ jagden (die Dienst waren), Geländeritte, Offiziersreitschule, Patrouillen­ ritte, Fechten zu Pferde und zu Fuß, und Schießen. Im Sommer trat im Allgemeinen vor -en Anforderungen des Gesamtdienstes die Sonderausbildung der Truppenoffiziere zurück. Nur die Spezialkurse im Reiten, im Pionierdienst etc. fanden im Sommer statt. Dagegen wurden nun auf Generalstabsreisen und Kommandeur­ reisen, die sich über Wochen erstreckten, eine Anzahl von Offizieren der höheren Stäbe mit den Anforderungen des Dienstes in den Stäben und mit den kriegerischen Verhältnissen vertraut gemacht, die sich im Manöver nicht darstellen ließen. Die Generalstabreisen wurden vom älteren Moltke eingeführt und vorbildlich geleitet. Der Ausbildung der Offiziere für den Dienst in der Truppe dienten eine Reihe von Kommandos, so zu den Schießschulen, zur Berliner Turnanstalt, zur Wjlitärtelegraphenschule, zur Kavallerietelegraphenschule. Für die Offiziere der Kavallerie und Feldartillerie waren die Kommandos zu den Reitinstituten in Hannover (1849 in Schwedt ge­ gründet, 1867 von Schwedt a. O. hierher verlegt) und München (ge­ gründet 1868) mit zweijährigen Kursen wesentlich. Die Reitschulen in Dresden, dann die seit 1905 in Paderborn, 'seit 1913 auch in Soltau eingerichteten Reitschulen für jüngere Offiziere mit einjährigem Kursus sollten der Vorbereitung.für die Kommandos zu den großen Reitinstitu­ ten dienen. Die Ausbildung der Unteroffiziere zu tüchtigen Unterführern er­ folgte im Wesentlichen innerhalb der Regimenter und Kompagnien etc. Unteroffiziersschulen bereiteten junge Leute auf die Unteroffizierslauf­ bahn vor.

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Die Ausbildung des Mannes war ausschließlich auf die Erziehung zur Kriegstüchtigkeit gerichtet. Auch viele Uebungen, die dem Laien un­ verständlich blieben, hatte dieses Ziel vor Augen. Der Körper des Mannes mußte geschmeidig und leistungsfähig gemacht werden. Die Ausbildung des Rekruten begann mit einer gründlichen Durch­ bildung des einzelnen Mannes. Der Rekrut wurde im Oktober einge­ stellt. Bei den unberittenen Truppen mußte seine Ausbildung bis zum Januar, bei den berittenen bis Ostern fertig sein. Dann erfolgte die all­ mähliche Zusammenstellung der kleineren Verbände, der Züge und Kom­ pagnien. Auf die Ausbildung der Kompagnieen, Eskadrons und Batte­ rien wurde besonderer Wert gelegt und ihr eine verhältnismäßig lange Zeit zugebilligt. In den Bataillonen und Regimentern wurde dann im Frühjahr und Sommer geübt. Sodann erfolgte im Hochsommer auf Truppenübungsplätzen, denen immer mehr der Geländecharakter belassen wurde, die Ausbildung in Regiment und Brigade, bei der Ka­ vallerie auch in der Division. Und schließlich nahmen im September seit 1874 alle Truppen an Manövern teil. Während zu Beginn der Periode den Manövern noch manches Schenratische anhaftete, gestalteten sie sich nach Anlage und Durchführung immer kriegsmäßiger. Im letzten Jahrzehnt vor dem Weltkrieg wurden die Kaisermanöver immer häufiger, an denen oft drei bis fünf Armeekorps teilnahmen, und die mit den daraus entstehenden Reibungen den Verhältnissen des Ernst­ falles schon recht nahe kamen. Im ersten Dienstjahre durchlief so der Mann die ganze militärische Ausbildungsschule. Im zweiten sollte sich das Erlernte festigen und die Möglichkeit gegeben sein, die nötigen Spezialdienste zu erlernen. Die Beschränkung der Dienstzeit von drei auf zwei Jahre im Jahre 1893 brachte für die ausbildenden Offiziere und Unteroffiziere eine erhebliche Erschwerung des Dienstes mit sich. Ganz konnten die nachteiligen Fol­ gen der verkürzten Dienstzeit nicht aufgehoben werden; es zeigte sich in Vielem, daß das dritte Dienstjahr, das mit Rücksicht auf die Reitaus­ bildung der Kavallerie und reitenden Artillerie belassen worden war, die Leute doch zu wesentlich selbstständigeren Soldaten erzog, als dies in zwei Jahren möglich war. Der Nachteil der kürzeren Ausbildung der Einjährig-Freiwilligen wurde bereits erwähnt. Vom Polizeidienst war das Heer gänzlich entbunden. Eine Unter­ stützung der polizeilichen Macht zur Aufrechterhaltung der Ordnung war nur selten und in kleinem Umfange nötig. Erst gegen Ende des Krieges regten sich in Deutschland revolutionäre Kräfte, denen die Regierung nicht rechtzeitig die Waffengewalt, über die sie noch verfügte, entgegenstellte. Der Wachdienst wurde auf das Nötigste eingeschränkt und umfaßte nur mehr den unmittelbaren Schutz der militärischen Gebäude und die Gestellung einer Anzahl von Ehrenposten für militärische und fürstliche Persönlichkeiten.

Der innere Dienst blieb sich bei der Sparsamkeit, die überall herrschte und die Verpflanzung moderner Komforts in die Kasernen ver­ hinderte, im Allgemeinen gleich.

3. Wirtschaftliche Lage. Die Prinzipien, nach denen sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Soldaten regelten, blieben die gleichen. Nur langsam glichen sich die Gehälter und Löhnungen einigermaßen den gesteigerten Preisen der Lebenshaltung an. Vom Offizier wurde verlangt, daß er sich selbst bekleidete, ausrüstete und ernährte. Für die Unterkunft wurde ein Zuschuß gezahlt. Bei der Kavallerie wurde vom Staate die Stellung eines Pferdes ohne Ent­ schädigung durch den Leutnant, von drei Pferden durch die Rittmeister und von vier und mehr Pferden durch die Stabsoffiziere verlangt. Dafür erhielt der Leutnant ein Chargenpferd, das nach vier Jahren in seinen Besitz überging und durch ein neues ersetzt wurde. Bei den übrigen Waffen erhielten die Offiziere die Pferde teils gestellt, teils in Geld vergütet. Die Offiziersgehälter begannen nach der letzten Gehaltsaufbesserung von 1909 mit 1500 Mark jährlich für den Leutnant; dazu kam ein Woh­ nungsgeldzuschuß, dessen Größe sich nach der Garnison richtete und der einige hundert Mark betrug. Nach drei Dienstjahren erhöhte sich der Ge­ halt um jährlich 200 Mark. Die Hauptmannsgehälter betrugen im ersten Jahr 3400 Mark jährlich und stiegen nach vier Jahren auf 4900 und nach acht Jahren auf 5100 Mark. Die Majore erhielten 6522, die Regimentskommandeure 8772 Mark. Die Generale bezogen Gehälter von 11000 bis 36000 Mark. Die Pensionen richteten sich nach den Ge­ hältern und der Dienstzeit. Die Kriegsgehälter waren wesentlich höher als die Friedensgehälter. Die Kasinos blieben bestehen und halfen den unteren Offiziers­ chargen durch die billige Lebensführung im Kasino über die schlechte Bezahlung hinweg. Eine Anzahl von Stiftungen konnte von Offizieren, die in eine unverschuldete Notlage geraten waren, in Anspruch genom­ men werden. Dem verheirateten Offizier standen keine höheren Gebühren zu. Bei -er Verheiratung, zu der das Offizierskorps seine Zustimmung geben mußte, und die dann der Allerhöchsten Genehmigung unterlag, wurde vom Leutnant die Stellung einer Kaution verlangt, die verhindern sollte, daß pekuniär ungenügend gesicherte Ehen geschlossen wurden. Die Gebühren der Unteroffiziere und Mannschaften paßten sich ebenfalls nur widerwillig den teuren Lebensbedingungen an. Doch hatten Unteroffiziere und Mannschaften den Vorteil, daß ihnen Unter­ kunft, Bekleidung, Unterhalt, Beleuchtung und Beheizung vom Staate gestellt wurden, so daß sie sich besser standen, als die jüngeren Offiziere, von denen der Staat noch pekuniäre Opfer forderte. Es erhielten seit Frauenholz, Deutsche Kriegs« und Heeresgeschichte.

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1909 die Unteroffiziere 302.40 Mark, Sergeanten 475.20, Vizewachtmeifter 565.21 Mark, Wachtmeister 745.20 Mk. jährlich. Am Höchsten bezahlt waren die Musikmeister, die nach 22 Dienst­ jahren ein Gehalt von 2250 Mark jährlich bekamen, jedoch für Ver­ pflegung, Unterhalt und Bekleidung selbst aufkommen muhten. Nach zwölfjähriger Dienstzeit erhielten die Unteroffiziere den Zivilversor­ gungsschein, der ihnen die Berechtigung gab, eine Stellung im unteren Staatsdienst zu beanspruchen. Auch bei den Unteroffizieren wurde im Anschluß an die Kantinen die Gründung von einfachen Unteroffiziers­ kasinos durchgeführt, in denen für billige Verköstigung gesorgt war. Die Löhnung der Mannschaften betrug seit 1912 für Kapitulanten 198 Mark jährlich, für den Gefreiten 144 Mark, für den Mann 126 Mk. jährlich?) Die Einrichtung von Truppenkantinen war angeordnet worden und gestattete dem Soldaten, seine Bedürfnisse billig einzukaufen. Die Me­ nage der Unteroffiziere und Mannschaften wurde durch eine Menagekommission überwacht, die sich aus Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften zusammensetzte. Die Menage wurde in eigener Regie des Truppenteiles geführt, die Kantinen waren häufig an ältere Un­ teroffiziere oder an Zivilunternehmer verpachtet, die zu besttmmetn Preisen liefern muhten. f) Bewaffnung, Bekleidung und Ausrüstung. Vor allem bei der Bewaffnung vollzogen sich einschneidende Aen­ derungen. Bei der Jnfanteriebewaffnung setzte sich der Mehrlader mit Mittelschaftsmagazin durch. Dagegen fanden Sell>stlädegewechre weder vor noch nach dem Krieg Eingang in großen Militärstaaten. Es zeigte sich, daß das Bedürfnis nach Steigerung der Feuergeschwindigkeit sich erschöpft hatte. Als Faustfeuerwaffen wurden noch Pistolen verschiedenen Modells geführt, dann wurde der Revolver in die Armee offiziell eingeführt, der 1908 durch die Selbstladepistole System Parabellum abgelöst wurde. Die Geschütze machten die Wandlung zum Rohrrücklaufgeschütz mit Schutzschilden durch. Auch hier scheint eine Höchstgrenze erreicht zu sein. Keiner der Staaten, die den Weltkrieg mitgemacht haben, hat sich zu durchgreifenden Aenderungen in seinem Material entschlossen. Es scheint, als ob die Entwicklung dieser Art von Kriegsmitteln abgeschlossen sei und als ob Verbesserungen des Kriegsmaterials überhaupt neue Wege suchen müßten.

1. Infanterie. Einheitlichkett der Infanteriebewaffnung bestand zunächst nicht. Der Norddeutsche Bund hatte das Zündnadelgewehr angenommen, das je­ doch 1870 bereits durch das französische Chassepotgewehr überflügelt *) Die angegebenen Zahlen beziehen sich aus die Kavallerie. anderen Waffen waren um eine Kleinigkeit niedriger.

Die Löhnungen bei den

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war. Bayern besaß in dem Werdergewehr, mit dem 1870 erst einige Bataillone ausgerüstet waren, eine dem Zündnadelgewehr überlegene Waffe, die aber nicht die Möglichkeit der Entwicklung zum Mehrlader in sich trug. Nach 1870 wurde ein Infanteriegewehr Modell 71 eingeführt, das ein Einlader war und 11 Millimeter Kaliber hatte. Bayern über­ nahm dieses Gewehr 1877. Aus dem Modell 71 entstand ein Vorder­ schaftsmehrlader M. 71/84, der acht einzeln geladene Patronen im Vorderschaft aufnehmen konnte und 1886 in der ganzen Armee einge­ führt wurde. Die Gesamtschußweite dieses Gewehres betrug bereits 3000 Meter. Das nächste Gewehr der deutschen Infanterie war das M. 88, das in den Jahren nach 1888 zur Einführung kam. Das Gewehr hatte nur mehr 7,9 Millimeter Kaliber, eine Gesamtschußweite von 4000 Meter und war ein Pakettmehrlader, in dessen Mittelschaftsmagazin mit einem Handgriff 5 Patronen in einer Packung eingeschoben werden konnten. Diesem Gewehr folgte 1900 das Gewehr M. 98, das kein grundsätzlich neues System darstellt. Eine Reihe praktischen Aenderun­ gen wurde eingeführt, darunter statt der Pakett- die Streifenladung. Ka­ liber und ballistische Leistung des Gewehres war die gleiche wie beim Gewehr 88. Dagegen wurde die Schußleistung durch Einführung einer neuen Munition gehoben. Gewehr 71 hatte bereits eine Metallpatrone, sedoch noch mit Schwarzpulver und Bleigeschoß. 1888 gelangte bei M. 71/84 rauchschwaches Pulver zur Einführung. M. 88 hatte ein Geschoß aus Hartblei mit Nickelstahlmantel und gerundeter Spitze,' zum M. 98 wurde ein verbessertes Pulver und ein Mantelgeschoß mit Spitze ver­ wendet. Anfangsgeschwindigkeit und Durchschlagskraft des Geschosses wurden dadurch erhöht. Als blanke Waffe wurde allgemein an Stelle des Bajonetts und des Infanteriesäbels das aufpflanzbare Seitengewehr eingeführt, das bei M. 71 ziemlich lang und schwer war. Zu M. 71/84 war ein kurzes Seitengewehr ausgegeben worden, das in Preußen bald wieder durch das alte ersetzt wurde, während Bayern "das neue beibehielt. Zum Ge­ wehr 98 gehörte ein längeres Seitengewehr mit schmaler Klinge, das im Felde durch ein kurzes, breiteres ersetzt wurde. 1900 erhielt die Infanterie als neue Spezialwaffe das Maschinenge­ wehr System Maxim, das die Infanteriemunition verschoß und bis 600 Schuß in der Minute abgeben konnte. Die Waffe ist im Kriege als schweres Maschinengewehr beibehalten worden. Dazu trat noch ein leichtes M.G., das etwa gleiche Schußleistung, aber geringere Feuerge­ schwindigkeit und geringere Zielsicherheit hatte. Die Bekleidung der deutschen Infanterie war im Großen einheitlich. Sie trug einreihigen (in Württemberg bis 1892 zweireihigen) Waffen18*

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rock (in-Preußen und den übrigen Staaten dunkel-, in Bayern hellblau), mit langer Hose (in Preußen etc. schwarz, in Bayern hellblau), die im Felddienst in die kurzschäftigen Stiefel gesteckt wurde. Der einreihige Mantel war schwarz, seit 1894 grau, doch dauerte die Tragezeit der schwarzen Mäntel noch bis in den Weltkrieg hinein. An Stelle der verschiedenartigen Kopfbedeckungen trat nach 1871 ein Helm mit Spitze nach dem Muster des preußischen; Bayern legte den Raupenhelm erst 1886 ab. Jäger und Schützen trugen den Tschako und eine von der Infanterie in den Farben verschiedene Uniform. (Preußen grün mit roten, Bayern blau mit grünen Abzeichen.) Auf den Helmen waren die Hoheitsabzeichen der Kontingente angebracht. Nach 1908 wurde für den Ernstfall eine feldgraue Bekleidung hergestellt, zu der der Leder­ helm mit einem grauen Ueberzug getragen wurde. 1916 wurde eine graue Friedensuniform mit bunten Abzeichen und dem alten Helm geschaffen, und für den Feldgebrauch eine Feldbluse, sowie ein Stahl­ helm eingeführt. Die Ausrüstung blieb im Grundzug die gleiche wie 1870. Das Lederzeug wurde als Gürtel um den Leib, der Tornister auf dem Rücken getragen. Der Mantel lag nun gerollt um den Tornister, die Patronen­ taschen waren am Leibgurt befestigt. 1893 wurden bei der Infanterie tragbare Zelte eingeführt die in einzelne Zeltbahnen zerlegt über den Mantel auf den Tornister geschnallt wurden. Kleines tragbares Schanz­ zeug wurde bei der Infanterie eingeführt und stark vermehrt. Die Jäger und Schützen glichen in Ausrüstung und Bewaffnung der Infanterie. Im Weltkriege wurden ihnen besondere Zielfernrohrge­ wehre überwiesen. Die Ausstattung der Infanterie mit Bagagen wechselte. Munition und Verpflegung mußten die Truppenfahrzeuge für "den täglichen Be­ darf nachführen. Eine wichtige Einführung war die der Feldküchen, die im Jahre 1908 bei den Fußtruppen erfolgte. 2. Kavallerie. Die Bundesstaaten behielten die verschiedenen Kavalleriegattungen bei, die sie vor 1870 hatten (Preußen: Kürassiere, Dragoner, Husaren, Ulanen; Bayern: Kürassiere, bezw. Schwere Reiter, Ulanen, Chevau­ legers; Sachsen: Schwere Reiter; Ulanen, Husaren; Württemberg: Dra­ goner, Ulanen). Neu kamen 1897 in Preußen die Jäger zu Pferde dazu, die sich aus den Meldereiterdetachements entwickelten. 1890 erhielt die gesamte Kavallerie Lanzen, die bis dahin nur die Ulanen geführt hatten. Pallasch und Säbel blieben bestehen. Der Krieg von 1870/71 hatte die Notwendigkeit erwiesen, die ganze Kavallerie mit einer brauchbaren Feuerwaffe auszustatten. Die Pistolen (später Revolver, Selbstladepistolen) verblieben den Offizieren und Un­ teroffizieren. 1875 erhielten die Ulanen den Karabiner, 1881 wurden

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den Kürassiereskadronen je 25 Chassepotkarabiner zugewiesen; mit dem Ablegen des Kürasses 1888 erhielten auch sämtliche Kürassiere den Karabiner. Die Karabiner glichen im System den Infanteriegewehren; nur das Gewehr 71/84 hatte keinen gleichartigen Karabiner. Im Welt­ krieg war die Kavallerie mit Karabiner 98 bewaffnet. 1915 wurde der Kavallerie zu ihrer sonstigen Bewaffnung ein aufpflanzbares Seitenge­ wehr gegeben.

Maschinengewehre waren der Kavallerie zunächst als völlig ge­ trennte tzilfswaffe in den 1900 geschaffenen Maschinengewehrabteilungen zugeteilt, von denen jede Kavalleriedivision eine zu sechs Gewehren er­ hielt. 1915 wurden bei den Kavallerieregimentern Maschinengewehr­ eskadrons eingeführt. Die Zuteilung von leichten Maschinengewehren an die Reiteskadrons war 1918 geplant, kam aber nicht mehr zur Durch­ führung.

Die Uniformierung behielt die Tradition der Kavalleriegattungen bei; nur die bayrischen Kürassiere erhielten bei ihrer Umwandlung in Schwere Reiter ein völlig verwandeltes Aussehen. Die neuen Jäger zu Pferde bekamen eine den Kürassieren ähnliche Uniform. Die Grund­ farben waren in Preußen: Kürassiere weiß, Ulanen dunkelblau, Dra­ goner hellblau, Husaren verschieden, Jäger zu Pferde graugrün; in Bayern: Schwere Reiter hellblau, Ulanen und Chevaulegers dunkel­ grün; in Sachsen: Schwere Reiter hellblau, Ulanen hellblau, Husaren verschieden; in Württemberg: Dragoner hellblau, Ulanen dunkelblau. Die Auszeichnungsfarben waren verschieden. Die Kopfbedeckungen glichen sich den preußischen an. Als Beinbekleidung wurden Reithosen mit Lederbesatz und Reitstiefel getragen. Der Versuch, Gamaschen einzuführen, bewährte sich im Weltkrieg nicht. Der Reiter trug einen längeren Mantel als -er Soldat bei den Fußtruppen. Die Ausrüstung blieb zunächst gleich. Das weiße Lederzeug herrschte bei der Kavallerie vor. Der Säbel wurde an einem Leibgurt, die Patronen in einer Kartusche getragen, die über die Schulter gehängt war. Seit 1905 wurde der Säbel am Sattel befestigt. Nach Einführung der feldgrauen Uniform fiel das weiße Lederzeug für den Feldgebrauch fort. Ein braunes Tragegestell mit Patronentaschen wurde eingeführt. Mantel und die 1916 eingeführten Zeltbahnen, Säbel und Karabiner wurden am Sattel getragen, an dem noch zwei Packtaschen, Futtersack und Tränkeimer befestigt waren. 1915 erhielt der Reiter für den Dienst im Schützengraben einen RuLsack, der auch zu Pferde auf dem Rücken getragen wurde. Der Sattel änderte sich. 1890 trat an Stelle des Bocksattels ein dem englischen ähnlicher Armeesattel.

Die berittenen Truppen erhielten die Feldküchen erst während des Krieges gegen Ende des Jahres 1914.

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3. Artillerie. Die Feldartillerie nahm nach 1866 das Hinterladungsgeschütz an. Nach dem Kriege von 1870/71 erhielt die gesamte deutsche Feld­ artillerie das Material 6/73, eine Gußstahlkanone mit 8,8 und 7,85 cm Kaliber. Die Munition bestand aus Granaten, Schrapnells und Kar­ tätschen. Die größte Schußweite betrug 7 000 m. ■1889 wurde auch bei der Artillerie das rauchschwache Pulver ein­ geführt. 1890 erhielt das Schrapnell einen'Doppelzünder. Eine Spreng­ granate wurde eingeführt. Am Geschütz selbst wurde eine Reihe von Verbesserungen angebracht (Seilbremse, Richtfläche). Das so verbesserte Material 6/73 erhielt sich über 20 Jahre. Erst 1896 wurde ein neues Feldgeschütz 6/96 angenommen, eine Schnelladekanone mit 7,7 cm Kaliber und einer größten Schußweite von 8 000 m. Dieses Geschütz wurde in den Jahren 1902—1907 unter dem Namen „Feldkanone 96 n. A." in ein Schnellfeuergeschütz mit Rohrrücklauf und Schutzschilden umgewandelt. Im Kriege wurde das Material mehrfach verbessert. 1898 erhielt die Feldartillerie ein zweites Geschütz, die Feld­ haubitze 98 mit einem Kaliber von 10,5 cm; das Steilfeuergeschütz sollte gegen feldmäßige Deckung wirken, hatte jedoch auch die Mög­ lichkeit zum Beschießen beweglicher Ziele mit Schrapnells. Diese leichte Feldhaubihe wurde als „leichte Feldhaubihe 98/07" ähnlich wie die Feldkanone zum Rohrrücklaufgeschütz mit Schutzschilden umgewandelt. Weitere wichtige Neuerungen waren die Einführung eines Ein­ heitsgeschosses, das als Granate und Schrapnell verwendet werden konnte und einer Metallpatrone 1910 („Patrone 10“), die ähnlich wie bei der Infanteriemunition Geschoß und Kartusche verband. Die bespannte Fußartillerie (Schwere Artillerie des Feldheeres) erhielt vor Allem drei Geschützarten, die schwere Feldhaubihe mit 15 cm Kaliber, den 21 cm Mörser und die 10 cm Kanone, die alle bis zum Kriege ebenfalls mit Rohrrücklauf und Schuhschilden aus­ gestattet wurden. Das Material der Festungsartillerie entwickelte sich in mannigfachster Weise. Eine völlige Ueberraschung für die Gegner war 1914 das Auftreten von deutschen 42 cm Mörsern. Eine Reihe von Spezialgeschützen wurden außerdem verwendet, die ungeahnte Schußweiten bis zu 70 km erreichten. Entfernungen von 10—15 km lagen im Weltkrieg im sicheren Feuer der gewöhnlich verwendeten schweren Geschütze. Im Weltkrieg kamen zu den verschiedenen vorhandenen Geschoß­ arten noch die im Frühjahr 1915 zum ersten Male verwendeten Gasgeschosse. Flugabwehrgeschütze traten zu den bisher bekannten Geschützarten. Vielfach wurde der Transport der Geschütze durch Motore statt durch Pferde durchgeführt. Als Handfeuerwaffen führte die Feldartillerie Pistole und Säbel, bezw. Seitengewehr, die Fußartillerie Seitengewehr und Karabiner.

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3m Weltkriege wurde auch die Feldartillerie mit Karabinern bewaffnet. Die Bekleidung war ähnlich wie bei der Infanterie für die un­ berittenen, wie bei der Kavallerie für die berittenen Mannschaften der Artillerie. Die Grundfarbe der Röcke war mit Ausnahme Sachsens dunkelblau, das Auszeichnungstuch schwarz (Sachsen grünes Grundtuch mit roten Auszeichnungen). Die Fußartillerie hatte weiße, die Feld­ artillerie verschiedenfarbige Achselklappen, das Lederzeug war meist weiß. Mit Einführung der feldgrauen Uniform erhielt auch die Ar­ tillerie braunes Lederzeug. Das Gepäck des Mannes wurde auf den Pferden und in den Protzen untergebracht. Geschütze und Munitionswagen der Feldartillerie waren mit sechs Pferden bespannt. Auch die schwere Artillerie des Feldheeres, die zuerst vierspännig fuhr, erhielt den sechsspännigen Zug.

4. Pioniere und Verkehrstruppen. Die Bewaffnung war derjenigen der Infanterie ähnlich; doch hatten die Pioniere das Gewehr, während die Mehrzahl der Verkehrstruppen den Karabiner führte. Das umfangreiche Material, das die Pioniere zu den Schanzarbeiten und zum Brückenbau benötigten, wurde in eigenen Kolonnen nachgeführt. Die Fernsprechtruppen verfügten über ausgedehnte Vorräte zum Legen von Leitungen. Die Funkerstationen waren fahrbar und konnten den Bewegungen der Truppen folgen. Der Pferdezug reichte für die Pioniere und Verkehrstruppen nicht aus. Häufig mußte das Material mit Lastkraftwagen nach vorne geschafft werden. Die Uniformierung der Pioniere war dunkelblau mit schwarzem Kragen und (zum Unterschied von der Artillerie) weißen Knöpfen und Beschlägen. Die Verkehrstruppen trugen dazu weiße Litzen und stall des Helmes meist den Tschako. Beide hatten schwarzes Lcderzeug. Die Ausrüstung ähnelte für die unberittenen Mannschaften der­ jenigen der Infanterie, für die berittenen derjenigen der Artillerie. 5. Luftschiffer- und Fliegerformationen. Die Formationen waren wie die Verkehrstruppen bewaffnet, be­ kleidet und ausgerüstet. Die Luftschiffe des deutschen Heeres waren nach den Systemen Kppelin, Parseval und Groß gebaut. Es hatte sich schon im Frieden gezeigt, daß das lenkbare Luftschiff für militärische Zwecke dem Flug­ zeug unterlegen war. Man hatte daher den Bau von militärischen Luftschiffen zugunsten des Flugzeugbaues zurückgestellt. Außer über Luftschiffe verfügten die Luftschifferabteilungen über Fesselballone, die häufig zur Artilleriebeobachtung Verwendung fanden. Die Luftschiffe waren mit abwerfbarer Sprengmunition ausgestattet. Die Fliegerabteilungen hatten als Kriegswerkzeuge die Flugzeuge, bereu Zahl im Kriege stark anwuchs. Sie wurden zur Aufklärung und

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zum Abwerfen von Sprengmunition verwendet und dementsprechend ausgestattet. Zum persönlichen Kampf führten die Flugzeuge leichte Maschinengewehre. 6. Train. Die Bewaffnung des Trgins bestand aus Säbel Und Karabiner. Die Uniformierung war dunkelblau mit hellgrauem Kragen (in Sachsen hellblau mit schwarzem Kragen). Der preußische Train trug den Tschako, der 1893 durch den Infanteriehelm ersetzt wurde. Die Ausrüstung glich derjenigen der Feldartillerie.

g) Sanitätswesen, Veterinärwesen, Verwaltung. 1. Sanitätswesen. Seit 1873 bestand ein Sanitätsoffizierskorps. Der Nachersatz der Militärärzte wurde durch die geregelte Stellung, die der Sanitätsoffizier im Gegensatz zu früher einnahm, erleichtert. Es durften in das Sani­ tätsoffizierskorps nur Mediziner ausgenommen werden, die auf Hoch­ schulen voll als Aerzte ausgebildet waren. Die Aspiranten dienten zunächst als Einjährige sechs Monate mit der Waffe und wurden dann in den militärischen Dienst übernommen. Die Rangstufen inner­ halb des Sanitätsoffizierskorps waren denen der Offiziere angepaßt. Die Sanitätsunteroffiziere und -Mannschaften bei der Truppe und in den Lazaretten erhielten nach der Ausbildung mit der Waffe ihre fachliche Ausbildung durch die Sanitätsoffiziere. Dem Sanitätsoffizierskorps der Reserve gehörten fast sämtliche Aerzte von Ruf an, so daß im Weltkrieg die gewaltigen Anforderungen, die der Krieg stellte, fast überall erfüllt werden konnten. Die Feldlazarette und Sanitätskompagnien waren Kriegsforma­ tionen. 2. Veterinärwesen. Die Veterinäre (in Preußen Roßärzte) ergänzten sich aus den Zöglingen der preußischen Militär-Roßarztschule oder der zivilen Vete­ rinärschulen. Zunächst galten diese nicht als Hochschulen. Das Absolutorium einer Mittelschule war nicht Vorbedingung für ihren Besuch. Als dann die Veterinärschulen den Universitäten als Fakultäten an­ gegliedert wurden und für ihren Besuch die Hochschulreife verlangt wurde, wurden im Jahre 1910 auch die Veterinäre, wie seinerzeit die Aerzte, zu einem Veterinäroffizierskorps zusammengefaßt, und die Ve­ terinäroffiziere in Rangstufen eingeteilt, die denen der Offiziere ent­ sprachen. Den Deterinäroffizieren waren die Fahnenschmiede und die Be­ schlagschmiede unterstellt, die ähnlich wie die Sanitätsunteroffiziere und -Mannschaften fachlich ausgebildet wurden. 3. Verwaltung. Das große Gebiet der Militärverwaltung wurde von einem um­ fangreichen Beamtenkörper gekettet, der den höheren Militärbehörden

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von der Division an aufwärts zugeteilt war. Die Regimenter und Bataillone hatten Rechnungsbeamte, Zahlmeister und Oberzahlmeister, die für die Verrechnung der Gelder sorgten, die den Truppenteilen überwiesen wurden. Die Bestände an Uniformen etc. wurden von der Truppe selbst verwaltet, deren Kommandeure und Chefs dafür verantwortlich waren. Jährliche Musterungen durch die höheren Kom­ mandeure in Begleitung der höheren Intendanturbeamten prüften Be­ stände und Kassen nach. Den oberen Militärbeamten, die allgemeinen Offiziersrang hatten, standen Unterbeamte im Unteroffiziersrang zur Seite, die durch Schreiberpersonal, das aus der Truppe kommandiert war, unterstützt wurden. Mit der Beaufsichtigung des militärischen Eigentums in den Garnisonen waren besondere Garnisonsverwaltungen beauftragt.

4. Remontierung. Die Remontierung der Armee erfolgte nach 1870 gänzlich aus Deutschland selbst. Die pferdearmen deutschen Gebiete konnten nun auf die großen staatlichen und privaten Gestüte in Ostpreußen, Hannover, Holstein usw. zurückgreifen. Im Allgemeinen remontierte die Kavallerie aus Ostpreußen, die Artillerie aus Hannover, Holstein und Mecklen­ burg. Die Remontierung wurde durch Remonte - Inspektionen und -ankaufskommissionen geleitet.

h) Verwaltung des Artilleriematerials, Ausbau der Festuuge«. Die Verwaltung des Waffenmaterials oblag zuerst den Kriegs­ ministerien. 1898 wurden Feldzeugmeistereien geschaffen, die diese Ver­ waltung übernahmen. Den Feldzeugmeistereien in Berlin und München unterstanden die Inspektionen der technischen Institute der Artillerie, die Artilleriedepots, die Traindepots und Inspizienten der Waffen. Ferner waren ihnen unterstellt: die Munitions- und Gewehrfabriken, die Geschützgießereien und Geschoßfabriken, die Hauptlaboratorien und die Artilleriewerkstätten. In diesen Instituten waren Zeug- und Feuerwerksoffiziere tätig, die aus dem Unteroffiziersstand hervorgingen und eine besondere fachliche Ausbildung erhielten. Ihnen waren Zeugfeldwebel und Ober­ feuerwerker unterstellt. In den Fabriken etc. waren zivile Arbeiter beschäftigt. Die Instandhaltung der Festungen, von denen die meisten im Inlands befindlichen kleinen deutschen Bundesfestungen ausgelassen wurden, oblag den Ingenieurinspektionen. Generalstabsoffiziere, In­ genieuroffiziere und Festungsbauoffiziere, die fachlich vorgebildet waren, wurden den Kommandeuren der Festungen beigegeben.

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i) Rechtspflege.

Die Befugnis, Disziplinarstrafen zu erteilen, ging gänzlich in die Hände der Chefs und Kommandeure vom Kompagniechef aufwärts über. Jedes Regiment hatte ein Standgericht, das aus Offizieren, Unter­ offizieren und Mannschaften ohne juristische Beamte bestand. Die weiterhin bestehenden Kriegsgerichte und Oberkriegsgerichte setzten sich aus Soldaten jeder Rangklasse und aus richterlichen Militärbeamten zusammen. Die richterlichen Militärbeamten — Kriegsgerichtsräte, Oberkriegsgerichtsräte etc. — hatten den gleichen Bildungsgang wie die zivilen richterlichen Beamten. 1900 wurde als oberste militärische .Gerichtsbehörde das Reichsmilitärgericht in Berlin geschaffen. Wie im bürgerlichen Leben, gab es auch beim Militär zunächst kein einheitliches Militärrecht. Erst am 1. Oktober 1900 wurde eine für das ganze Reich gültige Militärstrafgerichtsordnung ausgegeben. Das Militärrecht glich sich dem zivilen Recht an; besonders das Rechtsverfahren, das für den Angeklagten Verteidigung und Be­ rufung an die höhere Instanz kannte, brachte das zum Ausdruck. Als Besonderheiten blieben schwere Strafen für Ungehorsam in jeder Form und der Wegfall der Trunkenheit als Strafmilderungsgrund, wie ihn das zivile Recht kannte, bestehen. k) Militärseelsorge.

Von den ältesten Zeiten an haben Priester die Heere begleitet. Die Nähe des Schlachtentodes hat in dem Soldaten immer das Be­ dürfnis nach geistlichem Zuspruch aufrecht erhalten. Sogar in den Zeiten starker sittlicher Entartung der Soldateska ist der Wunsch nach den Tröstungen -er Religion nie gänzlich erloschen. Mit der Schaffung stehender Heere gewann die Ausübung der Religion im Heere auch zu Friedenszeiten an Bedeutung und mit dem Entstehen der Volksheere trat ein neues Moment in die Militär­ seelsorge: die Erziehung des Elternhauses und der Schule sollte in der Armee fortgesetzt werden. Der auf religiöser Grundlage stehende Staat verlangte vom Soldaten die Ausübung des religiösen Bekenntnisses, dem er angehörte. Die Militärseelsorge war Geistlichen beider christ­ licher Bekenntnisse übertragen, die sie je nach der Größe der Garnisonen entweder Haupt- oder nebenamtlich ausübten. Im Weltkriege hatte jede Division einen Geistlichen der katho­ lischen und protestantischen Konfession. Eine Reihe dieser Divisions­ geistlichen hat über den Rahmen ihrer engeren Pflicht hinausgehend in schweren Kampfsituationen den Geist der Frontkämpfer in vorderster Linie gehoben. Für die religiösen Bedürfnisse der Angehörigen des israelittschen Glaubens sorgten die den Armeeoberkommandos zugeteilten Armeexabbiner.

1) Soziale Stellung. Die Anfeindungen, die Armee und vor allem Offizierskorps zu erleiden hatten, gingen nun vor allem von der Sozialdemokratie aus, die im raschen Emporwachsen war. Aus parteipolitischen Gründen stellte sie sich gegen jede Heeresvermehrung und suchte dem Ansehen der Armee, wo es tunlich war, Abbruch zu tun. Uebergriffe, wie sie bei einer so großen Institution unausbleiblich waren, wurden von der Sozialdemokratie aufgebauscht und verzerrt in die Oeffentlichkeit gezogen. Trotz dieser Anfeindungen litt die soziale Stellung der Armee nicht. Das Offizierskorps, dessen Nachwuchs beim Anwachsen der Armee nicht mehr ausschließlich aus -em Adel und den Offiziers­ familien gedeckt werden konnte, fand leicht einen Teil seines jungen Ersatzes in -en Kreisen des gebildeten Bürgertums. Zunächst hat wohl vielfach eine Ueberschätzung der Aeußerlichkeiten des Offiziersberufes die Söhne aus guten Bürgerkreisen veranlaßt, den unlukrativen Beruf zu ergreifen. Allein, wer nur der glänzenden Stellung und Uniform wegen Offizier werden wollte, der sah sich in der Härte des Dienstes bald enttäuscht und verließ die entsagungsvolle Laufbahn. Wer ihr treu blieb, übernahm die alten Offiziersgrundsätze. Ebenso waren Unteroffiziere und Mannschaften allgemein beliebt und geachtet. Die militärische Erziehung verlieh dem Soldaten nach jeder Richtung hin ein anderes Auftreten, brachte ihm Ordnung und Reinlichkeit bei. Der gediente Soldat hatte daher auch in Zivil­ berufen den Vorzug vor dem ungedienten Mann. Die fast völlige Ausrottung der Soldatenmißhandlungen, zu­ sammen mit der sichtbaren militärischen Leistung, hob das Ansehen der Armee. B. Das Heerwesen Oesterreich-Ungarns. a) Die Heeresanfbringnng. Nach dem militärischen Mißerfolg des Jahres 1866 setzte eine durchgreifende Reorganisation ein. Die allgemeine Wehrpflicht wurde mit kaiserlicher Verordnung vom 29. September 1866 eingeführt. Die Widerstände gegen das Gesetz waren von Seiten der österreichischen Abgeordneten groß) Ungarn forderte für sich eine eigene Wehrver­ fassung. Für die allgemeine Wehrpflicht legten vor allem Erzherzog Albrecht, dann dessen Generalstabschef General Freiherr von John, der 1366 Reichskriegsminister wurde, und dann dessen Nachfolger seit 1368, General Freiherr von Kuhn, ihr gewichtiges Wort in die WagsHale. Die allgemeine Wehrpflicht blieb bestehen. Es bildeten sich jedoch Institutionen heraus, die von den deutschen verschieden waren. Am 5 Dezember 1868 erfolgte die Sanktion des Wehrgesetzes. Die Durchführung des Wehrgesetzes rief 1869 einen blutigen Aufstand in Dalmatien hervor, der erst 1870 durch FML. von Rodich unterdrückt werden konnte.

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Die Zeit von 1867—1918. — Das Heerwesen Oesterreich-Ungarns.

Die Wehrgesetze für Oesterreich-Ungarn wurden 1889 erneut fest­ gelegt.

Die bewaffnete Macht gliederte sich in Heer, Kriegsmarine, Land­ wehr und Landsturm. Die Wehrpflicht, die für jeden Staatsbürger Geltung hatte, zerfiel in Dienstpflicht und Landsturmpflicht. Im Heere diente man drei Jahre in der Linie, sieben Jahre in der Reserve; die Dienstpflicht in der Ersatzreserve des Heeres dauerte zehn Jahre. In -er Landwehr dienten: zwei Jahre die Mannschaften, die durch die Schule des Heeres und der Reserve gegangen waren, zwölf Jahre die unmittelbar in die Landwehr eingereihten. Die Landwehr hatte ihre eigene Ersahreserve mit 12jähriger Dienstzeit. Der Landsturm umfaßte in zwei Aufgeboten alle Wehrfähigen vom 19. bis 42. Lebensjahr. Das Heer war für Oesterreich-Ungarn gemeinsam, die Landwehren (in Ungarn Honved) und der Landsturm getrennt. Ein tzauptunterschied zwischen der deutschen und der österreichisch­ ungarischen Wehrverfassung war das Bestehen der Landwehren neben der Linie, ähnlich wie vor 1859 in Preußen. Die Landwehr besaß eigene Kadres, jedoch mit aktiven Offizieren und Unteroffizieren, in denen die Landwehrrekruten in verkürzter Dienstzeit ausgebildet wurden. Nur ein Teil der Landwehr bestand daher aus gedienten Soldaten der Linie. Das Institut der Einjährig-Freiwilligen bestand wie in Deutsch­ land. Das Wehrgesetz vom 8. Juli 1912 brachte auch für OesterreichUngarn die zweijährige Dienstzeit mit Ausnahme der Kavallerie unh reitenden Artillerie. Die Reservedienstzeit erhöhte sich für die Mann­ schaften, die zwei Jahre gedient hatten, auf zehn Jahre. In Bosnien und der Herzegowina existierte keine Landwehr- und Landsturmpflicht, dagegen eine längere Reservedienstzeit. b)

Das Offizierskorps.

Der landsmannschaftliche Charakter des Offizierskorps wurde im Wesentlichen nur in Ungarn gewahrt. Die Ergänzung des Offizierskorps erfolgte entweder durch die Militärbildungsanstalten, oder durch Uebernahme von Einjährigen und Reserveoffizieren in die Armee. Die Militärschulen zu Güns und St. Pölten, sowie einige andere gleichartige Schulen lieferten die Zöglinge für die Therefianische Aka­ demie in Wiener-Neustadt und die Technische Akademie in Wien (letztere für Artillerie und technische Truppen). Nach deren Absol-

Vierung — im ganzen nach zehnjähriger Ausbildung — traten die Zöglinge als Offiziere in die Armee. Eine zweite Gruppe der Bildungsanstalten waren die Kadettenfchulen, deren Absolventen als Kadetten in die Armee traten und nach einjähriger Dienstzeit zum Offizier befördert werden konnten. Die Einjährig-Freiwilligen oder Reserveoffiziere, die in den aktiven Dienst übertreten wollten, wurden nach Ablegung einer Prüfung ihrem Rang entsprechend eingereiht. Der Ersatz war nicht so gleichmäßig als in Deutschland. Einmal kamen die Offiziersaspiranten aus den verschiedenen Nationen der Donaumonarchie. Dann war der Ersatz bei bestimmten Regimentern geregelter und besser als bei anderen, die schlechtere Garnisonen hatten und nicht über Beziehungen zu bestimmten Gesellschaftskreisen ver­ fügten. 3m allgemeinen konnte die Kavallerie und Artillerie auf besseren Ersatz zurückgreifen. Für die theoretische Ausbildung der Offiziere war durch eine Reihe trefflicher Anstalten gesorgt. Der Generalstab ergänzte sich aus aktiven Offizieren, die nach mindestens dreijähriger Truppendienstzeit die Kriegsschule (= der deutschen Kriegsakademie) besucht hatten und dann zur Dienstleistung zum Generalstab kommandiert waren. Die Aufnahme in den General­ stab erfolgte durch den Generalstabschef, nachdem der betreffende Offi­ zier nochmals als Hauptmann zwei Jahre Truppendienst geleistet hatte. Im Gegensatz zu den deutschen Bestimmungen war das österreichisch­ ungarische Generalstabskorps in sich geschlossen mit eigenem Avance­ ment. Zum Frontdienst wurden die Generalstabsoffiziere nicht mehr zu den Regimentern versetzt, sondern zur Dienstleistung kommandiert. Als Generalstabschefs haben die Generale Freiherr von John, Freiherr von Schönfeld, Freiherr von Beck, Conrad von Hötzendorf und Arz von Straußenburg gewirkt. c) Die äußere Organisation der Armee.

An der Spitze der gesamten Wehrmacht stand als Oberster Kriegs­ herr S. M. der Kaiser, König von Ungarn. Er konnte den Oberbefehl an einen General übertragen, so nach 1866 an den Feldmarschall Erzherzog Albrecht, 1898 an den Erzherzog Thronfolger Franz Ferdinand. Aehnlich wie in Deutschland die Armeeinspektionen bestanden Generaltruppeninspektionen. Die Landwehren hatten eigene Landwehr­ oberkommanden. Das Kriegsministerium war oberste Behörde für das gemeinsame Heer) für jede der beiden Landwehren bestand ein eigenes Landes­ verteidigungsministerium. Die Waffen mit Ausnahme der Infanterie hatten eigene Waffen­ inspektionen mit Besichtigungsrecht.

Die Stärke der Armee belief sich 1874 auf 11579 Offiziere, 255728 Unteroffiziere und Mannschaften; 1898 auf 18289 Offiziere, 330916 Unteroffiziere und Mannschaften; 1912 auf 20 765 Offiziere, 2076 Offiziersaspiranten, 370523 Unteroffiziere und Mannschaften. Die österreichisch-ungarische Armee war 1914 in 16 Armeekorps» 8 K. K. Landwehrinfanteriedivisionen, 8 K. Ung. Landwehrinfanterieund 2 Landwehrkavalleriedivisionen eingeteilt. Die Armeekorps be­ standen aus zwei bis drei Infanteriedivisionen, denen häufig eine Ka­ valleriedivision zugeteilt war. Im Ganzen bestanden 49 Infanterieund 10 Kavalleriedivisionen. Die Infanteriedivision hatte zwei In­ fanteriebrigaden, einige Eskadrons Kavallerie und eine Feldartillerie­ brigade, deren Verband jedoch im Frieden nicht überall bestand. Die Kavalleriedivision verfügte über zwei Kavalleriebrigaden zu zwei Re­ gimentern zu sechs Eskadrons; dazu traten reitende Abteilung und Maschinengewehrabteilungen. Es bestanden 1914 182 Infanterie- und Jägerregimenter, 58 Ka­ vallerieregimenter, 65 Feldartillerieregimenter, 6 Festungsartillerieregimenter, 8 Pionierbataillone, 14 Sappeurbataillone, 1 Eisenbahn­ regiment. 4 Telegraphenbataillone, 1 Luftschifferabteilung, 16 Train­ divisionen und 27 Sanitätsabteilungen. Die Bezeichnung „Division" hatte in Oesterreich-Ungarn eine doppelte Bedeutung. Die „Truppendivision" war ein Verband von der Größe einer deutschen Division. Außerdem führten die Halbregimenter der Kavallerie etc. den Namen „Division", der damit etwa der Be­ deutung eines „Bataillons" bei der Kavallerie entsprach. Die Vorbereitungen zur Mobilmachung ähnelten den deutschen. Trotz der schwierigen Verhältnisse in der Donaumonarchie vollzog sich Mobilmachung und Aufmarsch 1914 ohne Störung, abgesehen von den feindlichen Einwirkungen, die bereits in Galizien sich gegen den Bahnaufmarsch richteten. Oesterreich-Ungarn stellte zu Beginn des Krieges ein Heer von 1,1 Millionen Mann ins Feld. Außer den aktiven Formationen wurde eine Reihe von Kriegsformationen aufgestellt, so daß die österreichisch­ ungarische Feldarmee zu Kriegsbeginn 58 Infanterie- und 11 Kaval­ leriedivisionen stark war. Die Donaumonarchie war in Ergänzungsbezirke für das Heer und die Landwehr eingeteilt. Es existierten 112 Ergänzungsbezirke für das Heer (60 in Oesterreich, 48 in Ungarn und 4 in Bosnien und der Herzegowina), 58 österreichische und 47 ungarische Ergänzungsbezirke für die Landwehr. d) Die Waffengattungen.

Die Entwicklung der Waffengattungen nahm den gleichen Weg wie in Deutschland. Bei der Infanterie nahmen die Jägerregimenter eine Sonder­ stellung infoferne ein, als sie für den Gebirgskrieg geschult waren; in

Deutschland hatte man auf die Ausbildung von Truppen im Gebirgs­ krieg verzichtet. Maschinengewehre wurden ebenfalls eingeführt. Die Kavallerie verlor die Kürassierregimenter, die in die Dragoner­ regimenter 1—12 umgewandelt wurden. Der Unterschied zwischen leichter und schwerer Kavallerie wurde 1869 aufgehoben. Es bestanden dem Namen nach Dragoner, Husaren und Ulanen. Die österreichische Land­ wehrkavallerie wurde als Ulanen, später als reitende Schützen, die ungarische als Husaren geführt. Die Feldartillerie übernahm wie in Deutschland zu den reitenden und fahrenden Batterien nun auch Feldhaubitzbatterien. Dazu bestanden die in Deutschland fehlenden Gebirgsbatterien. Die schwere Artillerie des Feldheeres, die in Deutschland aus der Fußartillerie hervorging, gliederte sich in Oesterreich an die Feldartillerie an. Die Festungsartillerie blieb ohne Bespannung, war jedoch in Bri­ gaden, Regimenter und Bataillons eingeteilt. Die Versuche, Einheitspioniere zu schaffen, waren in Oesterreich nie so intensiv als in Deutschland gewesen. Es blieben immer Unter­ schiede zwischen Pioniertruppe und Genietruppe bestehen. Die fort­ schreitende Technik machte hier wie in Deutschland eine weitere Speziali­ sierung der technischen Truppen nötig. Es entstanden Eisenbahn-, Telegraphen-, Fernsprecher-, Kraftfahrer-, Luftschiffer- und Flieger­ formationen. Der Train stellte ebenfalls nur Kadres für die Mobilmachung dar. Sanitätsformationen bestanden bereits im Frieden. e) Die innere Organisation.

1. Kommandoverhältnisse. Die Kommandoverhältnisse in der österreichisch-ungarischen Armee waren den deutschen ähnlich. Abweichend war die Stelle des vom Kaiser ernannten Oberbefehlshabers der Armee, die es in Deutschland nicht gab. Die Rangklassen der Offiziere und die Verwendungen in den ver­ schiedenen Kommandostellen waren etwa die gleichen wie in Deutsch­ land. Auch die Rangbezeichnungen waren bis auf wenige Abweichungen die nämlichen. Die Bezeichnung „Feldmarschalleutnant" entsprach dem deutschen „Generalleutnant". Die Rangbezeichnungen der Unteroffiziere waren andere als im deutschen Heere. Zu den Unteroffizieren zählten: I. Feldwebel, Oberjäger, Wachtmeister, RechnungsUnteroffiziere I. Massei II. Zugsführer, Rechnungsunteroffizier II. Klasse; III. Korporale, Unterjäger. Bei den Mannschaften gab es die Oberstufe der Gefreiten (Pa­ trouilleführer).

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Die Zuteilung von Generalstabsoffizieren und Adjutanten zu den Stäben war etwa die gleiche wie in Deutschland. Doch war in Oester­ reich bereits der Brigade ein Generalstabsoffizier zugewiesen.

2. Ausbildung und Dienstbetrieb. Die Prinzipien für die Ausbildung und den Dienstbetrieb waren dieselben wie in Deutschland. Die häufige Verteilung der österreichisch­ ungarischen Truppen in kleinen Formationen auf kleine und vom Verkehr weit entfernte Bauerndörfer, wie sie besonders in Galizien stattfand, war der Einzelausbildung im allgemeinen förderlich, da Ab­ lenkungen vom Dienstbetrieb fehlten. Für die Ausbildung der größeren Abteilungen wirkte diese Zersplitterung hindernd. Eines besonders guten Rufes erfreute sich die Reitausbildung in der österreichisch-ungarischen Armee, deren Angehörige berittener Waffen sich durch geschmeidigen Sitz auszeichneten. Das Militärreitlehrerinstitut in Wien, das 1877 an Stelle des Zentral-Kavalleriekurses getreten war, sorgte für die gleichmäßige Uebertragung der Reittradition auf die Truppenteile. Außerdem bestand ein Militär-Reit- und Fahrlehrerinstitut zu Schloßhof bei Marchegg. Auch zur Spanischen tzofreitschule in Wien, die die Ausbildung besonderer Pferde in der Hohen Schule betrieb, wurden Offiziere kom­ mandiert. Hier bestand auch noch ein Kommando bayrischer Offiziere nach Oesterreich. 3. Wirtschaftliche Lage. Auch hierin ähnelte die österreichisch-ungarische Armee der deutschen. Der Offiziersberuf konnte nicht des Gelderwerbes wegen ergriffen wer­ den, denn das Aufrücken in die wirklich gut bezahlten Stellungen war zu unsicher. Der Offizier mußte aus Ueberzeugung den aufopferungs­ vollen und schweren Dienst übernehmen. Nach außen hin trat das noch mehr als in Deutschland in die Erscheinung, denn die vielen kleinen Garnisonen in Oesterreich-Ungarn boten keine Gelegenheit, von den Aeußerlichkeiten Gebrauch zu machen, die mit dem Offiziersstand ver­ bunden waren, und die den Außenstehenden oft blendeten. Die österreichisch-ungarischen Offiziere erhielten etwa die gleichen Gehälter in Kronen wie die deutschen in Mark, so daß sie bei der Kaufkraft der Kronen wirtschaftlich etwa gleichgestellt waren. Die jährlichen Gehälter betrugen 1909: für Leutnants 1680 bis 2000 Kr., für Hauptleute und Rittmeister 3000—3600 Kr., für Obersten 7200—8800 Kr. Die Generalsgebühren betrugen 11000—44 000 Kr. Kasinos bestanden wie in Deutschland, glichen jedoch infolge der häufigen Transferierungen weniger eigenen Heimen. Die Bestimmun­ gen über Verheiratung der Offiziere waren ähnlich. Die jährlichen Gebühren der Unteroffiziere und Mannschaften betrugen im Durchschnitt: für Feldwebel etc. 800 Kronen, Zugsführer etc. 500 Kronen, Korporale etc. 312 Kronen, Gefreite 72 Kronen,

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Mannschaften 45 Kronen. Die niedrigeren Bargebühren gegenüber der Löhnung der Gefreiten und Gemeinen in Deutschland wurden teilweise dadurch ausgeglichen, daß der österreichische Soldat eine sehr reichliche Tabakportion erhielt. Kantinen existierten. f) Bewaffnung, Bekleidung und Ausrüstung.

Oesterreich-Ungarn machte den allgemeinen Entwicklungsgang sämt­ licher Militärstaaten mit. Die Infanterie erhielt unmittelbar nach dem Kriege von 1866 in dem in einen Hinterlader umgewandelten alten Lorenzgewehr (System Wänzl, Kaliber 13,9 mm) ein Uebergangsgewehr, dem dann die Ein­ führung eines modernen Sinterladers (Werndlgewehr, Kaliber 11 mm) im Jahre 1883 folgte. 1888 wurde die Armee mit einem Mehrlader, dem .,,8 mm Infanterierepetiergewehr M/88 System Mannlicher" aus­ gestattet, das 1890 eine Patrone mit rauchschwachem Pulver erhielt. Dieses Gewehr wurde 1895 durch eine verbesserte Mannlicher­ konstruktion, das Gewehr M/95, ersetzt. Die ballistische Leistung ent­ sprach etwa der des deutschen Gewehres 98. An Stelle des Bajonettes trat ein kurzes Seitengewehr. Bei der Bekleidung verschwand der typische weiße Waffenrock der Oesterreicher aus der Armee. Die Grundfarbe des Waffenrockes war bei Infanterie und Jägern blau. Zum Felddienst wurde statt des Waffenrockes eine bequemere Bluse getragen. Eine feldgraue Be­ kleidung, lichter als die deutsche, kam vor dem Kriege zur Einführung. Die Kopfbedeckung war für Parade der Tschako, für den Dienstgebrauch die Mütze. Die Täger trugen einen Hut mit Hahnenfederbusch. Im Weltkrieg wurde der deutsche Stahlhelm übernommen. Die Armee erhielt Maschinengewehre nach System Schwarzlose (M/12). Auch Oesterreich-Ungarn ging zur Gürtelrüstung über. Bei der Kavallerie verschwand mit der Umwandlung der Küras­ siere in Dragonerregimenter der Küraß aus der Armee. Der reich ver­ zierte Lederhelm mit Kamm blieb bestehen. Ulanen und Husaren be­ hielten ihre typischen Uniformen. Die österreichisch-ungarische Kavallerie lehnte als einzige Groß­ machtkavallerie die Lanze ab. Auch die Ulanen führten sie nicht mehr. Der Säbel blieb die blanke Waffe der österreichisch-ungarischen Reiterei. Die österreichische Landwehrkavallerie wurde als Ulanen, später als reitende Schützen, die ungarische Honvedkavallerie als Husaren aus­ gestattet. Die gesamte Kavallerie wurde mit einem Karabiner, System Werndl, seit 1891 mit einem Mannlicherkarabiner ausgerüstet. Arauenholz, Deutsche Kriegs- und Heeresgeschichte

in

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Die Bewaffnung der Kavallerie mit Maschinengewehren ging in Oesterreich andere Wege als in Deutschland. Während dort die M.G.Ahteilungen, die den Kavalleriedivisionen zugeteilt wurden, infante­ ristischen Ursprungs waren und auf Fahrzeugen verladen wurden, entnahm man bei der Aufstellung von M.G.-Abteilungen in Oester­ reich im Jahre 1908 die Offiziere und Mannschaften den Kavallerie­ regimentern; die Maschinengewehre selbst wurden auf Packpferde ver­ laden, so daß die M.G.-Abteilungen jeder reitenden Truppe zu folgen vermochten. Die Grundfarben der Bekleidung waren: lichtblau für die Dra­ goner, dunkelblau für die Ulanen, hell- oder dunkelblau für die Husaren. Die österreichischen Kavallerieregimenter trugen rote Reithosen. Die Feldartillerie erhielt 1875 ein tzinterladungsgeschütz M 75, das in zwei Kalibern von 8 und 9 cm hergestellt wurde. Mit dem ersteren wurden die leichten und die Kavalleriebatterien, mit dem letzteren die schweren Batterien der Feldartillerie ausgerüstet. 1902 wurde eine leichte Feldhaubitze M 99 mit 10 cm Kaliber eingestellt. Das neue Feldgeschütz von 1905 war ein Rohrrücklaufgeschütz von 7,68 cm Kaliber mit Stahlschutzschilden. Dazu kamen schwere 15 cm Feldhaubitzen, die ebenfalls der Feldartillerie zugeteilt waren. Gebirgsbatterien waren 1885 eingeführt worden. Das letzte Ge­ birgsgeschütz hatte ein Kaliber von 7 cm. Wenige Jahre vor dem Welt­ kriege wurden Gebirgshaubitzen eingeführt. Die Festungsartillerie übernahm die schweren Kaliber der Festungs- und Belagerungsparks. Flugabwehrgeschütze kamen im Weltkrieg zur Einführung. Oester­ reich-Ungarn konnte bereits 1914 einige Motorbatterien aufstellen. Die Grundfarbe des Waffenrockes der Artillerie war braun. Mit Einführung der Felduniform erhielt auch die Artillerie das lichte Grau. Die Ausrüstung des einzelnen Artilleristen entsprach der deutschen. Die Bewaffnung und Ausrüstung der übrigen Waffen wies keine grundlegenden Unterschiede von der deutschen auf. Lediglich die Ver­ wendung von Tragetieren z. B. bei Fernsprechabteilungen, gegen die in Deutschland eine unbegründete Abneigung bestand, war prinzipiell verschieden. Die Bekleidung entsprach bei den Fußsoldaten der technischen Truppen etwa der der Infanterie, bei den Fahrern der der Artillerie. g) Sanitätswesen, Veterinärwesen, Verwaltung. Die Entwicklung des Sanitäts- und Veterinärwesens hing wie überall eng mit der Entwicklung der Wissenschaft zusammen. Die guten

Universitäten Oesterreichs, aus denen eine Reihe weltberühmter Aerzte hervorgingen, schufen ein Sanitäts- und Veterinärkorps, das allen Anforderungen gewachsen war. Die Aerzte waren Sanitätsoffiziere, die Tierärzte Beamte. Die Tierärztliche Hochschule in Wien war ein Institut, das mit der Armee stark verbunden war. Die Heeresverwaltung war der deutschen ähnlich. Die Remontierung der Armee erfolgte zum größten Teil aus ungarischen Gestüten.

h) Rechtspflege. Die militärische Rechtspflege in Oesterreich-Ungarn beschränkte sich auf die Aburteilung militärischer Reate. Während in Deutschland der Soldat jeden Grades in Strafsachen lediglich den militärischen Gerichten unterstand, kannte das österreichische Militärrecht eine Unter­ stellung von Militärpersonen unter bürgerliche Gerichtsbarkeit.

i) Militärseelsorge. Die Militärseelsorge erfolgte nach den gleichen Grundsätzen wie in Deutschland (s. S. 282). Der Kaiserstaat mußte auch für die religiösen Bedürfnisse der Angehörigen des mohammedanischen Glaubens sorgen,

k) Die soziale Stellung. Die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in OesterreichUngarn brachte auch hier eine innigere Verschmelzung der Armee mit dem Volke hervor. Der erzieherische Einfluß der Kaserne blieb nicht aus. Gerade für die weitverzweigte, aus einer Reihe von Nationen bestehende Donaumonarchie bildete die einheitliche Armee das einzige Band, das gleichmäßig alle Staatsangehörigen umfaßte. Das Ansehen des Soldaten als des Landesverteidigers war int Volke gut. Die Stellung des Berufssoldaten, vor allem des Offiziers war nicht so scharf umrissen als in Deutschland. Dazu fehlte die Gleich­ mäßigkeit des Offiziersersatzes. Auch war dem Ansehen des Offiziers nicht förderlich, daß die Handhabung des Dienstes nicht in allen Regimentern und bei allen Waffengattungen die gleiche war. Die verschiedenartige Leistung im Dienste wurde vom Volke selbst empfunden und führte zu einer verschiedenartigen Bewertung des Offizierskorps. Die besondere Stellung zum Allerhöchsten Kriegsherrn, die An­ hänglichkeit an die Person des Monarchen, die „Kaiserlichkeit" des Offizierskorps, ein altes Erbteil der österreichischen Armee, blieb zu Lebzeiten des Kaisers Franz Joseph erhalten und half über viele trennende Unterschiede hinweg.

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C. Die Kriegführung. a) Die Kriegführung im Großen. Die Grundlagen der großen Kriegführung hatten sich nicht ge­ ändert. In einem großen europäischen Krieg kämpft Volk gegen Volk. Der alte, ursprüngliche Vernichtungsgedanke trat damit wieder voll in die Erscheinung. Die Auffassung Napoleons I. vom Kriege, die Clausewitz in lehr­ hafte Form gebracht, Moltke vertieft und faßlich gemacht hatte, bestand nach wie vor zu Recht. Noch klarer als Moltke gab sein bedeutendster Nachfolger als Generalstabschef, Generalfeldmarschall Graf von Schlieffen, der Not­ wendigkeit Ausdruck, daß jede militärische Handlung im Kriege die Vernichtung des Feindes anstreben müsse. In seiner bekannten Studie „Cannae" entwickelte Schliessen seine Gedanken über Kriegführung. Er geht hier von der Schlacht bei Cannae aus, in der es Hannibal gelang, den römischen Gegner auf allen Seiten einzuschließen und ihn völlig zu vernichten. Dieses Ziel des Vernichtungssieges, das immer angestrebt werden muß, wird nur selten zu erreichen sein. Auch die doppelte Umfassung, die die feindliche Rückzugslinie nicht verschließt, aber von beiden Seiten bedroht, ist schwer zu erzielen. Meist wird man sich begnügen müssen, einen feindlichen Flügel zu umfassen. Auch diese Operation kann wirkungsvoll, unter Umständen vernichtend sein, wenn genügend Kräfte für die Umfassung verwendet werden. Schliessen fordert daher, daß in der Front, der nur die Aufgabe der Abwehr feindlicher Angriffe und des Festhaltens feindlicher Heeresteile zu­ fällt, so wenig Kräfte als möglich eingesetzt werden, und daß alles Ver­ fügbare dem eigenen Stoßflügel zugeteilt werde. Schliessen kennt hier, wie alle großen Feldherrn, keine Konzessionen; was er als richtig er­ kannt hat, will er mit allen Mitteln anstreben. Den Durchbruch als operative Entscheidungsform erwähnt Schliessen nicht — seine Gegner machen ihm das zum Vorwurf. Der Grund liegt darin, daß es einen wirksamen operativen Durchbruch allein nicht gibt; denn aus dem Durchbruch muß sich immer erst eine Umfassung ent­ wickeln, wenn eine Vernichtung des Gegners angestrebt werden will. Die Moltkeschen Operationen des Jahres 1870/71 waren nach ähnlichen Gesichtspunkten durchgeführt, wie sie Schliessen in seinem Cannae später niederlegte. Für einen künftigen Krieg gegen Frankreich hatte Schliessen selbst den Plan aufgestellt, der den Vormarsch durch Belgien und die Umfassung des französischen linken Heeresflügels vor­ sah. Die Verletzung der belgischen Neutralität war unvermeidbar, da die französische Ostftont in ihrer ganzen Ausdehnung so stark befestigt war, daß eine operative Umfassung nicht durchgeführt werden konnte. Ein Durchmarsch durch die Schweiz verbot sich — auch abgesehen von den freundschaftlichen Beziehungen, die Deutschland mit der Schweiz

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verbanden — durch die Natur des Gebirgslandes und durch die Stärke der für ihren Zweck trefflichen Schweizer Armee. Der Nachfolger des Grafen Schlieffen in der Stellung des Gestabschefs, Generaloberst Helmuth Graf Moltke, ein Neffe des großen Moltke, konnte sich nicht zu der Ausschließlichkeit durchringen, mit der Schliessen alles auf die Umfassungsbewegung durch Belgien setzen wollte. Er war der Ansicht, daß die französische Armee sich durch den deutschen Vormarsch nicht von einem Einfall in das südliche Deutsch­ land abhalten lassen werde, so daß es dann in Lothringen zu einer Entscheidungsschlacht kommen müsse. Er schwächte daher, wovor Schliessen immer gewarnt hatte, den rechten deutschen Flügel so stark, daß das ursprüngliche Kräfteverhältnis von 7:1, in das Schliessen den deutschen Nord- und Südflügel setzen wollte, in das Verhältnis 3:1 umgewandelt wurde. Der deutsche Nordflügel entbehrte dadurch der nötigen Stoßkraft. Die Oberste Heeresleitung hatte keine Reserven mehr, als die Deutschen an der Marne standen. Schon die Umgehung von Paris im Westen der Stadt hatte aufgegeben werden müssen, da eine entstandene Lücke durch Zusammenziehen der Armeen ausgefüllt werden mußte. Der Erfolg zeigte die Richtigkeit der Schlieffenschen Gedanken. Es ist im Weltkrieg eine wirkliche Ueberlegenheit einer der Obersten Heeresleitungen, wie sie etwa bei Napoleon sichtbar war, nicht zutage getreten. Der jüngere Moltke war nicht der geniale Feldherr, der österreichische Generalstabschef Conrad von Hötzendorf verfügte nicht über eine so geschlossene Armee, daß feine hochfligenden Pläne ver­ wirklicht werden konnten; die folgenden obersten Führer, von denen Hindenburg im Osten im kleineren Rahmen geniale Operationen durch­ geführt hatte, waren durch die Folgen des Versagens der ersten Obersten Heeresleitung so gehemmt, daß sie nicht zur Entfaltung ihrer ganzen Kraft mehr gelangen konnten. Auf Seiten der Gegner trat keine über­ ragende Führerpersönlichkeit auf. Auf keiner Seite war der Endsieg im Großen ein Führungssieg oder ein Führungsversagen. Der Weltkrieg bot keine Gelegenheit, eine neue überlegene Führerpersönlichkeit in der Vollkraft der Mittel nach den geltenden Grundsätzen verfahren oder neue schaffen zu sehen. Die strategischen Lehren in der ganzen Welt sind in der Periode von 1866—1914 stärker als vordem von den deutschen Prinzipien be­ einflußt gewesen. Vorher galt das napoleonische Frankreich als die Schule strategischen Denkens. Nach 1866 und 1870 ging die Vorherr­ schaft auf diesem Gebiet ausgesprochen auf Deutschland über.

b) Taktik und Fechtweise. 1. Feldkrieg. Die Führung der Truppen auf dem Gefechtsfeld wurde weiterhin durch die Ausdehnung der Heere und damit der Schlachtfelder nach

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Raum und Zeit erschwert. Die Ausgestaltung der Waffen und der technischen Mittel schuf völlig neue Bedingungen. Während 1870 noch die höheren Führer häufig persönlich in den Kampf eingriffen, da sie sich mit ihren Stäben verhältnismäßig nahe an der vordersten Linie aufhalten konnten, ohne in der ruhigen Befehlsgebung gestört zu sein, zwang nun die Waffenwirkung zu großer Entfernung zwischen fechtender Truppe und Stäben. Die Gefechtsführung gewann damit einen anderen Charakter. Der Führer sah selbst nichts mehr; Telegraph und Telephon traten vielfach an Stelle der Ordonnanzoffiziere und Meldereiter. Die Erziehung der Unterführer zum selbständigen und verständnisvollen Eingehen auf den Willen der oberen Führung gewann damit erneut an Bedeutung. Die Direktive an Stelle des Befehls wurde immer all­ gemeiner. Die Mißerfolge der österreichisch-ungarischen Armee sind vor allem darauf zurückzuführen, daß die mittlere Führung zu wenig ge­ schult war, sich die leitenden Gedanken der oberen Führung zu eigen zu machen und dann mit aller Kraft durchzuführen. Die Komplizierung des Materials nach jeder Richtung hin er­ schwerte die Führung auf dem Gefechtsfeld; der Führer war vielfach auf den Rat der Fachleute angewiesen, da die Beherrschung der Materialwirkung außerordentlich schwierig war und ein eingehendes Studium voraussetzte. Die Fechtweise der Infanterie machte von 1866 bis 1918 gewal­ tige Wandlungen durch. Es ist dabei sehr bemerkenswert, daß die Lehren des Krieges von 1870/71, in der die deutsche Infanterie einem gleichwertig bewaffneten Gegner gegenüberstand, fast völlig verloren gingen. Die deutsche Infanterie hatte bis 1888 ein Exerzierreglement, das der modernen Waffenwirkung keine Rechnung trug. Trotzdem namhafte Militärschriftsteller, wie die preußischen Generale von Bo­ guslawsky und von Scherfs immer wieder auf die Notwendigkeit Hin­ wiesen, den Infanteriekampf von vorneherein als ein Feuergefecht in aufgelöster Ordnung zu führen, hingen die deutschen und österreichischen Reglements noch an den geschlossenen Formationen und an der Er­ öffnung des Feuerkampfes erst auf nächste Entfernungen. Das preus­ sische Reglement von 1876 basierte noch auf dem Exerzierreglement von 1847. Es sah Angriffe in Bataillonskolonnen und das Bataillons­ karree vor. Das österreichische Reglement von 1874 wollte auf Ent­ fernungen über 240 m nur ausgewählte Schützen feuern lassen, und gegen in Deckung liegende Ziele sollten selbst die guten Schützen erst von 160 m an schießen. Auch die Salve war eine Zeitlang wieder zu Ehren gekommen. Trotz der Erfahrungen von Saint Privat wollte xnan die Infanterie im geschlossenen Vorgehen wissen und fetzte sie so reglementär ungeheuren Verlusten aus. Die Ausbildung hat in der Praxis vielfach die Theorie des Reglements überholt; das Reglement blieb hinter der Ausbildung zurück.

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1888 erschien in Deutschland ein neues Exerzierreglement für die Infanterie, das den Verhältnissen eines künftigen Krieges Rechnung trug. Das Reglement betonte die Selbsttätigkeit der Führer aller Grade und wies damit den Weg, wie auch ein Gefecht in aufgelöster Ordnung durchgeführt werden kann, ohne daß Unordnung entsteht. Das Re­ glement sah die erste Jnfanterieentwicklung auf 1000—1200 m vor; die Schützenlinie sollte das Feuer sprungweise an den Feind herantragen,, wobei noch an Sprünge von Abteilungen unter Zugstärke nicht gedacht ist. In der sogenannten tzauptfeuerstation sollten von rückwärts her die Schützenlinien verstärkt werden, dann wollte man von hier aus — auf etwa 500—600 m — die Feuerüberlegenheit über den Gegner erringen, um schließlich unter Einrücken der geschlossenen Unterstützungen und Reserven in die vorderste Linie den Sturmangriff mit wenigen großen Sprüngen vorzutragen. Den letzten Impuls zum Angriff mit dem Ba­ jonett sollte die geschlossene Truppe geben. Sogar Angriffe im ge­ schlossenen Bataillon, Sprünge im Bataillon und das Kompagniekarree kannte die Vorschrift noch; bis in die ersten Jahre des XX. Jahr­ hunderts wurden diese Formen geübt. Erst das Exerzierreglement für die Infanterie von 1906 räumte mit diesen veralteten Dingen auf. Die Erfahrungen der Kolonialkriege, vor allem die der Engländer im Buren­ kriege, hatten erwiesen, daß geschlossene Abteilungen ohne Deckung sich im Wirkungsbereich des wirksamen Infanteriefeuers nicht mehr be­ wegen können. Auch die deutsche und die österreichische Infanterie hatte nun Versuche mit dem sogenannten „Burenangriffe" angestellt. Das Reglement legalisierte die Versuche. Die Trägerin des Feuerkampfes sowohl als des letzten Infanterieangriffes wurde nunmehr ausschließlich die Schützenlinie, die sich zum Vorgehen in kleine und kleinste Teile zerlegte. Die Sprünge wurden erneut kürzer als früher, die Sturm­ entfernung als nahe am Feind liegend angenommen. Besonders betonte das Reglement die Unterstützung der vorgehenden Infanterie durch die inzwischen eingeführten Maschinengewehre. Das österreichische In­ fanterie-Exerzierreglement bekannte sich zu gleichen Grundsätzen. Der Weltkrieg zeigte die glänzende Ausbildung der deutschen und der österreichisch-ungarischen Infanterie und erwies, daß der Ent­ wicklungsgang ein durchaus gesunder war. Der Angriffsgeist der In­ fanterie hatte durch die aufgelöste Fechtweise dank der Tätigkeit der Unterführer nicht gelitten. Besonders die Anfangserfolge der Infan­ terie im Bewegungskrieg sind diesem Angriffsgeist zu danken, der alles vor sich niederwarf. Es hat sich gezeigt, daß das Vorspringen in kleinsten Teilen, oft nur mit einzelnen Leuten, die Regel war, und daß die Sammlung feuerkräftiger Schützenlinien, die vom Führer geleitet werden konnten, sich nahezu von selbst ergab. Von ganz besonderem Werte aber war die Leistung Einzelner, Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften, die durch persönliches Beispiel das Vorreißen der übrigen zum Sprung und vor allem zum Schlußakt, zum Angriff mit Hand-

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granate und Bajonett übernahmen. Diese Einzelkämpfer waren die eigentlichen Träger des Gefechtes; ihr Wert wuchs, je mehr in den letzten Kriegsjahren bei der Infanterie die Zahl der noch friedens­ mäßig ausgebildeten Mannschaften zusammenschrumpfte. Die Fechtweise der Infanteriemaschinengewehre war eng mit der der Infanterie verbunden. Die große Feuerkraft der Maschinengewehre unterstützte das Vorkommen der Infanterie. Ihr Feuer war besonders geeignet, den Gegner beim Sturm niederzuhalten, oder den feindlichen Sturm abzuwehren. Die Schwierigkeit des sprungweisen Vorgehens der schweren Maschinengewehre wurde überwunden, immerhin aber führte der Wunsch nach leichter beweglichen Maschinengewehren zur Einführung leichter Modelle neben den schweren.

Die Ansichten über die Schlachtentätigkeit der Kavallerie wandelten sich. Die Schwierigkeit, geschlossene Körper auf Attackenentfernung an den Feind zu bringen, ohne daß unverhältnismäßige Verluste ein­ traten, schränkte die Attackenmöglichkeit gegen intakte Infanterie und Artillerie auf Fälle ein, in der sich die Kavallerie bewußt für die In­ fanterie aufopferte, wie am 18. August 1870 bei Mars la Tour. Zurückgehende Infanterie dagegen bot ein günstiges Attackenobjekt. Gegen Kavallerie, die nicht von Fernwaffen begleitet war, blieben die Bedingungen die gleichen wie früher; die in dem Zeitraum von 1866—1918 durchgeführte Ausstattung der Kavalleriedivisionen mit Fernwaffen ließ jedoch den reinen Kavalleriekampf als etwas Seltenes erscheinen. Ganz auf die Attacke verzichten wollte man aus guten Gründen nicht: eine attackenfreudige Kavallerie schuf sich mit ihren kleinen und kleinsten Körpern rasch Bahn für die strategische Auf­ klärung; und wenn einmal, wie im August 1914 bei Lagarde, wo die bayrische Ulanenbrigade auf intakte Infanterie und Artillerie attackierte, ein Reiterangriff erfolgreich durchgeritten werden konnte, da war die Erschütterung des Gegners besonders groß. Gegen Infanterie und Artillerie wurde eine Attacke in verschiedenen Wellen hintereinander in aufgelöster Ordnung, gegen Kavallerie die geschlossene Attacke in zwei Gliedern mit mehreren Treffen angewendet. Immer größere Bedeutung gewann das Feuergefecht der Kavallerie. Dieses Fußgefecht unterschied sich wesentlich vom Feuerkampf der In­ fanterie. Die Handpferde bildeten immer einen schwachen Punkt bei der abgesessenen Reiterei. Die Zahl der Schützen einer Eskadron war, da außer den Pferdehaltern Patrouillen und Meldereiter abzugeben waren, gering und betrug im Ernstfall selten über 40—50 Mann. Ein nach­ haltiges Feuergefecht konnte von der Kavallerie unter diesen Umständen nicht geführt werden. Es kam beim Feuergefecht zu Fuß darauf an, die Eigenart der Kavallerie, vor allem ihre Schnelligkeit und Beweg­ lichkeit auszunützen, um rasche Erfolge an unerwarteter Stelle zu er­ zielen; wo dieser rasche Erfolg nicht möglich war, sollte die Kavallerie das Gefecht abbrechen, um es an anderer Stelle wieder zu beginnen.

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Das geschlossene Exerzieren spielte bei der Kavallerie immer noch eine bedeutende Rolle, da nur durch die Uebung im exerziermäßigen Reiten die nötige Ordnung und Schnelligkeit von Kavalleriekörpern auf dem Schlachtfeld gewährleistet werden konnte. Die Exerzierreglements der Kavallerie waren im allgemeinen fort­ schrittlich gerichtet. Als nach 1870 die deutsche Kavallerie neue, einheit­ liche Reglements erhielt, gaben die vortrefflichen österreichischen Vor­ schriften für die Kavallerie vielfach die Grundlagen für die deutschen — wie übrigens auch für die französischen — Kavallerievorschriften ab. Die deutschen Reglements von 1873, 1876, 1886, 1896 und 1909 stellen zeit­ gemäße Vorschriften dar. Das wesentlichste Tätigkeitsfeld der Kavallerie im Ernstfall lag jedoch nicht mehr auf den Schlachtfeldern, auf denen die Infanterie im Verein mit der Artillerie zu kämpfen hatte. Der Kavallerie fiel als Hauptaufgabe die strategische und taktische Aufklärung zu; diese aller­ dings — besonders die strategische — verlangte von der Kavallerie eine umfassende Kampftätigkeit, die sie nach ihrer Weise ausfocht. Noch 1870/71 waren die Resultate der Kavallerieaufklärung sehr mäßig gewesen,- noch herrschte damals keine Klarheit bei der höheren Führung, was man von der Aufklärungstätigkeit der Kavallerie zu erwarten be­ rechtigt war. Erst in den Friedensjahren fand die Kavallerie sich auf diesem Feld zurecht. Die Reglements, vor allem die Felddienstordnungen, gingen nur in großen Zügen auf die Aufklärungstätigkeit der Kavallerie ein. So entstand 1910 in den von der Generalinspektion der Kavallerie ausge­ gebenen „Gesichtspunkten für den Aufklärungsdienst" eine Art Privat­ vorschrift der Kavallerie. Die großen Kavalleriekörper wurden als Träger der strategischen Aufklärung angesehen; die Aufklärung selbst sollte von Offiziers­ patrouillen durchgeführt werden, die man auf große Entfernungen entsandte. Allmählich erkannte man schon im Frieden, daß die Pa­ trouillen für so weitgesteckte Ziele zu schwach seien. Die Felddienst­ ordnung von 1908 sah bereits die Aufklärungseskadrons als die Organe an, die die Fernaufklärung durchzuführen hatten. Im Welt­ krieg vergrößerte man diese Eskadrons vielfach zu Aufklärungsabtei­ lungen von mehreren Eskadrons mit Maschinengewehren und Ge­ schützen, da die Aufklärung häufig nur mit Kampf vorgetragen werden konnte. Auch nach der starken Erweiterung der Flugaufklärung behielt die Kavallerieaufklärung ihren Wert, da der Flieger von der Sichtigkeit dcs Wetters und des Geländes abhängig ist, und wichtige Einzelheiten, so z. B. die Zugehörigkeit des Gegners zu Regimentern usw. nicht feststellen kann. Die Kavallerie war sich über ihre Aufgaben im Klaren; das gleiche kann jedoch von der oberen und mittleren Führung nicht gesagt wrrden. Die Verwendung großer Kavalleriekörper entgegen dem Wunsch

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des Grafen Schliessen gegen den undurchdringlichen lothringischen Grenzschutz zeugt davon. Die Kavallerie hätte auf dem rechten deutschen Flügel und im Osten von vorneherein reiche Betätigung gefunden. Vorbildlich dagegen war die Verwendung der großen Kavalleriekörper unter dem Befehl Hindenburgs im Osten. Die Führer der Infanteriedivisionen wußten oft mit der Kavallerie ihrer Division nichts anzufangen und unterließen es, ihr zweck­ entsprechende Aufträge zu geben. Die Feldartillerie zog vor allem die Lehren aus dem Fiasko der der preußischen Artillerie im Jahre 1866. Dort hatte man geglaubt, die Artillerie müsse unter Ausnutzung ihrer größten Schußweiten be­ strebt sein, während eines Gefechtes die Stellung möglichst wenig zu wechseln. Der Erfolg war, daß die Infanterie die Unterstützung der Feldartillerie entbehren mußte, während die österreichische Infanterie von ihrer Artillerie selbstlos begleitet wurde. Die preußische Reserve­ artillerie wurde tatsächlich noch als Reserve behandelt und erst gegen Schluß des Gefechtes eingesetzt. Von 1866 ab stand die gesamte deutsche und österreichisch-ungarische Artillerie in ihrer taktischen Ent­ wicklung unter dem Zeichen der Unterstützung der Infanterie. Bereits ■1870/71 machte sich fühlbar, daß die Artillerie mit ihrem verkehrten alten System gebrochen hatte. Im französischen Krieg zeigte die Ar­ tillerie das Bestreben, sich möglichst frühzeitig aus der Marschkolonne zu lösen, um den Kampf der Infanterie vorzubereiten und in seinem Vorschreiten durch Stellungswechsel zu begleiten, so oft dies nötig war. Während 1866 häufig verschossene preußische Batterien nach rück­ wärts fuhren, wurde nun der Grundsatz aufgestellt, daß die Artillerie den Munitionsersatz ebenso wie die Infanterie in der Feuerstellung ab­ zuwarten habe. Die Scheu vor dem Verlust der Geschütze, die 1866 noch beherrschend war, wurde überwunden. Der Verlust der Geschütze galt sogar als ehrenvoll, wenn sie, wie bei der berühmten österreichischen „Batterie der Toten" bei Königgrätz, vom letzten Mann bedient, bis zum Schluß gefeuert hatten. Die Reserveartillerie wurde in eine Korpsartillerie umgewandelt, die nicht aufgespart, sondern frühzeitig an entscheidenden Punkten ein­ gesetzt werden sollte. Die Artillerie trat 1870/71 mit Vorliebe im Abteilungsverband auf. Auch nach dem Kriege blieb die Ansicht bestehen, daß nicht mehr die Batterie, sondern die Abteilung als die taktische Einheit an­ zusehen sei. Erst später kam die Batterie wieder zu ihrem Recht. Die Einführung von Steilfeuergeschützen bei der Feldartillerie und die Bespannung schwerer Artillerie, die dem Feldheere folgen sollte, komplizierte die Verwendung der Artillerie im Feldkrieg. Der Grundsatz der unbedingten Unterstützung der Infanterie im Angriff und in der Verteidigung blieb jedoch bestehen.

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Die Frage blieb lange Zeit ungelöst, auf welches Ziel sich die Artillerie zuerst zu werfen habe, um der Infanterie die nötige Unter­ stützung zu gewähren. Eine Zeitlang glaubte man an ein förmliches Duell zwischen den beiderseitigen Artillerien, das dem Infanteriekampf vorausgehen müsse. Die siegreiche Artillerie konnte sodann den In­ fanterieangriff durch Beschießung der feindlichen Infanterie vorbereiten, während die unterlegene Artillerie so niedergekämpft sein sollte, daß sie nicht mehr nennenswert in die Erscheinung treten würde. Diese Ansicht vermochte sich jedoch nach den Erfahrungen auswärtiger Kriege nicht mehr zu halten. Die Artillerie nahm grundsätzlich die Ziele unter Feuer, deren Niederkämpfung für das Fortschreiten des Angriffes am wichtigsten waren, oder die in der Verteidigung der eigenen Stellung am gefährlichsten wurden. Die Ausnützung des Geländes wurde nun auch von der Artillerie gefordert. Während noch 1870 die Artillerie vielfach schematisch auf beherrschenden Höhen auffuhr und von dort aus feuerte, machte die fortschreitende Wirkung der Artilleriegeschosse ein offenes Auffahren später nahezu unmöglich gemacht. Die Stellungen mußten so gewählt werden, daß sie der Sicht des Feindes entzogen waren. Es wurde ein langer Kampf zwischen den Anhängern der offenen und der verdeckten Feuerstellungen ausgefochten, der erst wenige Jahre vor dem Kriege zugunsten der verdeckten Stellungen entschieden wurde. Naturgemäß kamen die Steilfeuerbatterien früher zum Einnehmen verdeckter Stel­ lungen als die Kanonenbatterien, denen die Ausnützung des Geländes nicht in dem gleichen Maße möglich ist. Der Weltkrieg hat noch mit manchen Starrheiten gebrochen, die der deutschen Artillerie anhafteten. Das offene Auffahren in erhöhter Gangart wie es zu Beginn des Krieges noch ab und zu im feindlichen Feuer versucht wurde, erwies sich als unmöglich. Die Artillerie ge­ wann int Kriege größere Schmiegsamkeit und lernte, nach den Bedürf­ nissen des Kampfes, ähnlich wie die Infanterie ihre taktischen Verbände entweder noch unter die Batteriestärke herunter, die als Einheit aner­ kannt war, zu zerlegen, oder zu größerer Wirkung zusammenzufassen. Die Trennung zwischen leichter und schwerer Artillerie im Gefecht wurde überwunden. Man kannte nur mehr Batterien, die zur Bekämpfung eines bestimmten Zieles entweder geeignet waren oder nicht. Dement­ sprechend erfolgte der Einsatz der unter einem gemeinsamen Kommandeur stehenden Artillerie. Die Unterstützung der Hauptträgerin des Angriffes oder der Ver­ teidigung, also der Infanterie, oder, bei den Kavalleriedivisionen, der Kavallerie und Jäger, war die alleinige Aufgabe der Artillerie, deren Taktik in einer Taktik der verbundenen Waffen aufging. Von einer Fechtweise der Pioniere, der technischen Truppen und des Trains kann nicht gesprochen werden. Die Feldbefestigung gewann

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Mit der Einführung der Hinterlader bei der Infanterie an Gewicht, das sich immer mehr steigerte, bis es im Stellungskrieg der Westfront int Weltkrieg seinen Höhepunkt erreicht. Noch 1870 hatte man von der Feldbefestigung so gut wie keinen Gebrauch gemacht. Die Erfahrungen der russisch-türkischen und später der russisch-japanischen Kriege hatten einen Wandel in der Bewertung der Feldbefestigung eintreten lassen. Den Pionieren blieb das Lehramt Vorbehalten, auch als die Infanterie und Kavallerie lernte, selbständig Feldbefestigungen, zu schaffen. Die Verwendung der technischen Mittel nahm im Weltkrieg einen außerordentlichen Umfang an. Die Feuerwirkung, die die Zurückver­ legung der Stäbe bedingte, steigerte damit den Wert der Verkehrs­ mittel und des Fernsprechers. An die Leistungsfähigkeit der Munitionskolonnen und der Trains stellte besonders der Stellungskrieg in den Großkämpfen gewaltige Anforderungen.

2. Festungskrieg. Die Festung gewann ein neues Element in der Stahlpanzerung, die in den verschiedensten Arten Verwendung fand. 2n Verbindung mit dem Beton entstanden, in den Boden versenkt und von außen kaum sichtbar, Werke von großer passiver Widerstandskraft. Die Waffentechnik trat dagegen mit neuen Geschützen und mit verbesserter Munition auf den Plan. Während Frankreich zu dem System der zusammenhängenden Be­ festigung der Grenzen durch kleinere Sperrforts überging, hinter denen die großen Festungen standen, hielt Deutschland an dem System fest, das wenige, aber große Festungen vorzog. Wem der Vorzug gebührt, ist im Weltkrieg nicht entschieden worden. Die deutschen Festungen sind dazu nicht stark genug in Aktion getreten. Jedenfalls aber hat die französische Sperrbefestigung zusammen mit den großen Festungen den deutschere Vormarsch an der französischen Grenze aufgehalten, während die großen belgischen Festungen allein dies nicht zu tun vermochten. Man hat in der Periode von 1866—1914 mehrfach geglaubt, die Verbesserungen auf dem Gebiet der Waffentechnik würden der perma­ nenten Befestigung den Todesstoß versehen. Das hat sich als Irrtum erwiesen. Doch sind alle Staaten dazu übergegangen, die ständige Be­ festigung durch die halbstündige und die Feldbefestigung zu unter­ stützen. Die Zwischenräume zwischen den einzelnen Forts der Gürtel­ festungen, die nun immer weiter hinausgeschoben worden waren, wur­ den im Frieden zur Befestigung vorbereitet, Zwischenwerke angelegt und im Ernstfall das Zwischengelände sorgfältig ausgebaut. Ebenso spielte die Verteidigung des Vorfeldes der Festung eine große Rolle. 2e länger der Angriff auf die Forts hintangehalten wurde, desto mehr Aussicht bestand, die Festung bis zum Friedensschluß zu halten. Die Kernumwallung der Festung fiel; wie der Fall von Lüttich beweist,

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ist man hierin einen militärisch unrichtigen Weg gegangen, den mehr die Sorge um die Entwicklung großer Festungen als Städte, als die militärischen Forderungen gewiesen haben. Die französischen Festungen waren 1870 ein starkes tzemmmnis für den deutschen Vormarsch gewesen. Auf Grund der Kriegserfahrungen trat nach 1870 die Lehre vom Angriff auf Festungen, die vorher stark vernachlässigt waren, wieder bedeutsam in ihre Rechte. Die Diskussion in den Fachzeitschriften über das Wesen des Festungsangriffes, an der der bayerische General von Sauer führenden Anteil nahm, führte all­ mählich zu der Ausgabe einer offiziellen Vorschrift für den Kampf um Festungen, die 1910 erschien. Die Vorschrift lehnte jedes Schematisieren ab. Sie kannte nur den Angriff, der je nach den Verhältnissen rascher oder weniger rasch vorwärts schritt. Der Kampf um Festungen entwickelt sich nach der Vorschrift aus den Bewegungen des Feldkrieges und geht erst allmählich in das Ringen um die Werke über, wenn diese nicht den Mitteln des Feldheeres zum Opfer fallen. Den abgekürzten An­ griff nennt die Vorschrift also einen solchen, den das Feldheer mit seinen eigenen Mitteln durchzuführen vermag) für die Belagerungen war die Aufstellung besonderer Formationen nötig. D. Kriege. Das um Oesterreich verkleinerte Deutschland kämpfte 1870/71 um seine Einigung gegen die Bestrebungen Napoleons III., das Zustande­ kommen eines deutschen Reiches unter preußischer Führung zu hindern. 1914 hatte es aus einer ungünstigen politischen Konstellation heraus zusammmen mit seinem Bundesgenossen Oesterreich-Ungarn den Kampf um seine Existenz und um seine Geltung als Großmacht zu führen. Zwischen den beiden gewaltigen Kriegen lag eine lange Friedenszeit, die nur durch kleinere, meist koloniale Kämpfe unterbrochen wurde. Deutschland: Kaiser Wilhelm!. (1871-1888) Kaiser Friedrich III. (1888) Kaiser Wilhelm II. (1888—1918) Oesterreich: Kaiser Franz Joseph I. (1848—1916) Kaiser Karl (1916—1918) Preußen: (wie oben die deutschen Kaiser) Bayern: Ludwig II (1864—1886) Otto I. (1886—1913); [für den geisteskranken König:) Prinzregent Luitpold (1886—1912) Ludwig III. [seit 1912 als Regent, als König:) (1913—1918) Sachsen: Johann (1854—1873) Albert (1873—1902) Georg (1902—1904) Friedrich August III. (1904—1918) Württemberg: Karl (1864—1891) Wilhelm II. (1891—1918)

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Aufstand in Dalmatien 1869—1870. Die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht gab Anlaß zu einer Volkserhebung in Dalmatien, die den Charakter eines Gebirgskrieges trug. Nach anfänglichen Mißerfolgen der Truppen wurden die Auf­ ständischen im Oktober 1869 bei Cattaro und Budua geschlagen. Bis zum Januar 1870 war der Aufstand mit einem erheblichen Einsatz von Truppen niedergeworfen.

Deutsch-französischer Krieg von 1870—1871. Der Grund zum Kriege lag in der Absicht Napoleons, die Vorherr­ schaft Preußens in Deutschland und das Zustandekommen eines deut­ schen Reiches zu hindern. Den Anlaß zum Kriege bot der spanische Antrag an den Prinzen Leopold von Hohenzollern, den spanischen Thron zu besteigen. Napoleon III. forderte in brüsker Weise die Erklärung,> daß niemals ein Hohenzoller die spanischen Anträge annehmen werde. Bismarck wich der Entscheidung, die unausbleiblich war, nicht aus. Frankreich erklärte am 18. Juli 1870 an Preußen den Krieg. Der norddeutsche Bund und die süddeutschen Staaten traten auf Seite Preußens. Der französische Feldzugsplan ging auf Einmarsch nach Deutschland von Straßburg aus in der Absicht, die Süddeutschen, von denen man Neutralität erwartete, von den Norddeutschen zu trennen. Dann wollte Napoleon, nach Norden einschwenkend, die preußische Armee aufsuchen. Alles kam bei diesem Plan auf Schnelligkeit in der Ausführung an. Der Moltkesche Feldzugsplan sah die Zusammenfassung der deut­ schen Streitkräfte in Linie Wittlich—tzomburg—Landau vor. Die Deckung Süddeutschlands erfolgte aus dieser Flankenstellung besser als durch di­ rekte Verteidigung. Aus dieser Versammlung sollte die französische Feldarmee aufgesucht und von Paris abgedrängt werden.

Die französische Mobilmachung vollzog sich langsam und in Un­ ordnung. Ende Juli stand die französische Armee unter dem Oberbefehl Napoleon III. mit der rechten Flügelgruppe (60 000 Mann unter dem Marschall Mac Mahon) bei Straßburg, mit der linken Flügelgruppe (140 000 Mann unter dem Marschall Bazaine) östlich von Metz. Als Reserve befand sich bei Chalons das IV. Korps. Die deutschen Streitkräfte waren unter dem Oberbefehl König Wilhelm I. von Preußen, dem Moltke als Generalstabschef zur Seite stand, folgendermaßen eingeteilt: 1. Armee südöstlich von Trier (60 000 Mann unter General der Infanterie von Steinmetz: I., VII., VIIL Korps, 1. und 3. Kavallerie-Division), 2. Armee südwestlich von Mainz (190000 Mann unter dem Prinzen Friedrich Karl von Preußen: Garde-, II., III., IV., IX., Sächs. Korps, 5. und 6. Kav.Div.); 3. Armee bei Landau (130000 Mann unter Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen: V., VI., XL, I. und II. daher. Korps, Württembergische und badische Division, 2. und 4. Kav.Div.)

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In den ersten Augusttagen begannen die Operationen. Ein französi­ scher Vorstoß nach Saarbrücken brachte einen leichten Erfolg über die geringe Besatzung der Stadt. Als der erwartete große französische Angriff ausblieb, entschloß sich Moltke zur Offensive gegen Paris. Am 4. August stieß die 3. Armee bei Weißenburg auf eine fran­ zösische tzeeresvorhut und warf sie zurück. In diesem ersten Gefecht hatten bayerische Truppen Gelegenheit, Seite an Seite mit den preußi­ schen zu fechten. Am 6. August schlugen die Spitzen der 1. und 2. Armee das vorgeschobene französische Korps Frossart bei Spicheren, am gleichen Tag errang die 3. Armee bei Wörth einen Sieg über Mac Mahon. Beide Schlachten hatten sich gegen den Willen der Obersten Heereslei­ tung aus dem Drang der Truppe entwickelt, den Feind anzupacken. Die deutschen Armeen waren noch nicht so gruppiert, daß sie einen Sieg ausnützen konnten. Die Fühlung mit dem Feinde ging daher verloren. Mac Mahon gewann Zeit, die Gegend von Luneville zu erreichen^ Bazaine zog sich auf Metz zurück. Die Armee Mac Mahons wurde nach Chalons transportiert und dort auf 130 000 Mann verstärkt, ein Vor­ gang, der den Deutschen unbekannt blieb. Napoleon legte den Oberbefehl in die Hande des Marschalls Bazaine und begab sich nach Chalons. Für die deutsche Heeresleitung war ein schwieriger Moment ge­ kommen. Man wußte nicht, wohin sich Mac Mahon gewendet hatte. Moltke entschloß sich zum Vormarsch in breiter Front mit den Zielen: 1. Armee Metz, 2. Armee Pont ä Mousson, 3. Armee Nancy. Die 1. Armee stieß am 14. August auf die französische Hauptarmee unter Bazaine, die eben im Begriff stand, ihren gefährdeten Aufent­ haltsraum östlich von Metz zu verlassen, um nach Verdun zu mar­ schieren. Die Spitzen der I. Armee faßten den im Abzug begriffenen Gegner bei Colombey—Nouilly und zwangen ihn zur Entwicklung in breiter Front. Nun setzte einer der genialsten Züge Moltkes ein. Er ließ die zweite Armee ohne Rücksichten auf die Preisgabe der rück­ wärtigen Verbindungen nach Norden einschwenken und westlich an Metz vorbei den Franzosen den Weg nach Verdun verlegen. Am 16. August versuchte die französische Armee, sich nach Verdun durchzuschlagen. Das III. und X. preußische Korps wies bei Vionville—Mars la Tour diesen Durchbruchsversuch ab. Am 18. August griff Moltke selbst an und warf in der Schlacht bei Gravelotte—St. Privat den Gegner nach Metz zurück. Die französische Heeresleitung erstrebte nun die Befreiung Bazaines und die Vereinigung der beiden französischen Armeen. Am 23. August tret Mac Mahon den Marsch von Reims auf Montmedy an, wo er Bazaine erwarten wollte. Deutscherseits hatte man zur Belagerung von Metz die 1. Armee ulÄ Teile der 2. bestimmt, die unter den Befehl des Prinzen Friedrich Kcrl traten. Der Rest der 2. Armee wurde als Maasarmee dem Kron-

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Prinzen Albert von Sachsen unterstellt. Die Maasarmee und die 3. Armee nahmen gemeinsam am 23. August den Marsch nach Chalons auf. Am 24. August stellte die vorausgesandte Kavallerie fest, daß das Lager von Chalons verlassen war, am 25. erfuhr man über London von dem Marsch Mac Mahons auf Montmödy. Moltke entschloß, sich zu dem berühmten Rechtsabmarsch. Am 30. August erreichte die Maasarmee auf dem linken Maasufer Beaumont, stieß dort auf die Armee Mac Mahons und warf sie auf das rechte Maasufer. Mac Mahon zog sich auf Sedan zurück, das von den beiden deutschen Armeen eingeschlossen wurde. Während nun Bazaine am 3. August einen vergeblichen Ausfall in Richtung auf Roisseville nördlich von Metz machte, um Mac Mahon die Hand zu reichen, versuchte Mac Mahon am 1. September in der Schlacht von Sedan, den deutschen Ring zu sprengen. Am 2. September mußte sich die Armee Mac Mahons, bei der sich auch Napoleon befand, mit 100000 Mann ergeben.

Die kaiserlichen Armeen waren damit aus dem Felde geschlagen. In Frankreich wurde die Republik ausgerufen, zugleich aber eine Re­ gierung der nationalen Verteidigung eingesetzt. Mit bewundernswerter Tatkraft zog die Regierung die wenigen noch vorhandenen aktiven Truppen zusammen, und schuf mit Hilfe von Freiwilligen und Mobil­ garden eine Derteidigungsarmee für Paris in Stärke von 300000 Mann, von denen 65000 Mann offensiv verwendbar waren. Die neue Regierung, in der Gambetta, Jules Favre und der General Trochu saßen, ging auch sofort an die Neuaufstellung von Formationen in den östlichen und südlichen Teilen Frankreichs. Die Deutschen waren von Sedan aus nach Paris marschiert und umschlossen die Stadt. Die Situation war keineswegs unbedenklich: auf der Einschießungslinie um Paris, die eine Ausdehnung von 90 Kilometer hatte, standen zunächst nur 150 000 Mann mit 620 Feld­ geschützen. Die Kavallerie deckte den Einschließungsring nach außen. Allenthalben regte sich das Franktireurwesen. In der zweiten Hälfte des Krieges wurde um Paris gekämpft. Es war die Frage, ob es den Franzosen gelingen werde, Paris zu ent­ setzen, oder ob die deutsche Belagerung zum Ziele führen werde. Mit dem Falle der Festungen im Osten Frankreichs verbesserte sich die Lage der Deutschen, deren schwierige Situation zu Ende September die Franzosen aus Mangel an aktiven Truppen nicht ausnützen konnten. Am 23. September fiel Toul, am 28. Straßburg. Die freigewordenen Kräfte wurden der Armee vor Paris zugeführt. Moltke war dadurch in die Lage gesetzt, das I. bayerische Korps, die 22. Division und die 2. und 4. Kav.Div. aus der Einschließungsarmee zu lösen und gegen die bei Orleans sich bildenden Neuformationen der

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Franzosen zu entsenden. Der bayerische General von der Tann schlug am 10. und 11. Oktober die Franzosen bei Artenah und Orleans. Das bisherige Belagerungskorps von Straßburg rückte unter General von Werder gegen Spinal vor, wo es die neugebildete 1. fran­ zösische Vogesenarmee in den Kämpfen vom 6.—11. Oktober zurück­ warf. Um Paris bildete sich nun fast ein doppelter Einschließungsring. Vor den Forts lagen die deutschen Belagerungstruppen, um diese im weiten, nach Osten offenen Halbkreis der französische Truppenschleier^ hinter dem sich die Neuformationen bereitstellten. Am 27. Oktober trat die von den Deutschen sehnsüchtig erwartete Kapitulation von Metz ein. Die Einschließungsarmee wurde frei. Die alte I. Armee unter Manteuffel erhielt den Befehl, den Schutz der Belagerung von Paris im Nordosten und Norden zu übernehmen. Die Armee des Prinzen Friedrich Karl sollte das Gleiche im Südosten tun. Bei Orleans griffen die Franzosen zuerst an. Von der Tann wehrte sich tapfer am 9. November bei Coulmiers mit 20 000 Mann gegen 70000 Franzosen, mußte sich jedoch zurückziehen. Der Großherzog von Mecklenburg kam der Gruppe mit neuen Kräften zu Hilfe. Prinz Friedrich Karl erhielt Befehl zum schleunigen Vorrücken nach Süd­ osten. Am 27. November stand die ganze, nunmehr als deutsche Loire­ armee zusammengefaßte Abwehrgruppe unter dem Prinzen Friedrich Karl bei Beaune la Rolande. Hier begannen am 28. die Kämpfe, die sich am 2. Dezember im Scheitern des französischen Durchbruchsver­ suches bei Loigny—Poupry fortsetzten und am 3. und 4. Dezember durch den deutschen Gegenstoß auf Orleans gekrönt wurden. Die Stadt wurde zum zweitenmal von den Deutschen besetzt. Die französische Loire­ armee unter General d'Aurelle de Paladin brach in zwei Hälften aus­ einander, von denen die eine unter Bourbaki den Rückzug nach Südosten und die andere unter Chanzy nach Westen nahm. Die Besatzung von Paris hatte am 30. November und am 2. Dezember in zwei großen Ausfallsgefechten den Befreiern die Hand reichen sollen, war jedoch beidemale von den Einschließungstruppen zurückgeworfen worden. Im Norden hatte Manteuffel die französische Nordarmee am 27. November bei Amiens geschlagen, während Werder zur gleichen Zeit die 2. Vogesenarmee unter Garibaldi und Cremer bei Dijon zurück­ warf. Von der französischen Loirearmee stellte sich Chanzy zu neuem Kampfe. Er wurde in der Schlacht bei Beaugency—Cravant vom 7.—10. Dezember besiegt. Von Norden her bedrohte erneut eine Gruppe unter dem General Faidherbe La Fere und Amiens. Manteuffel zwang ihn in der Schlacht un der Hallue am 23. und 24. Dezember zum Abzug. '.Frauenholz, Deutsche Kriegs- und Heeresgeschichte

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Ueber den Verbleib Boubakis herrschte Unklarheit. Werder sollte durch einen Vorstoß die nötige Aufklärung schaffen. Die Kämpfe bei Vesoul am 5. Januar 1871 zeitigten die überraschende Erkenntnis, daß Bourbaki hier, nicht mehr an der Loire stund. Eine neue deutsche Armee unter dem Befehl Manteuffels — dessen 1. Armee der Ge­ neral von Gäben übernahm, — wurde aus dem Korps Werder, dem II. und VII. Korps gebildet. Während Werder bei Villersexel am 9. Januar und an der Lisaine vom 15. bis 17. Januar die Vorstöße Bourbakis abwies, drang Manteuffel mit den beiden anderen Korps durch den verschneiten Iura und schnitt Bourbaki vom Süden Frank­ reichs ab. Eingekreist, verblieb Bourbaki nur der Uebertritt auf das neutrale Schweizer Gebiet, wo er in den Tagen vom 30. Januar bis 2. Februar entwaffnet wurde. Gegen Chanzy drang Prinz Friedrich Karl erneut vor und schlug ihn entscheidend in der Schlacht bei Le Mans vom 10.—12. Januar 1871. Wiederholte Vorstöße der französischen Nordarmee unter Faidherbe wurden am 3. Januar bei Bapaume, und am 19. Januar bei St. Quentin von der deutschen 1. Armee abgewiesen. Gegen Paris wurde das aus politischen Gründen lange zurückge­ haltene Bombardement eröffnet, auf der Südseite am 5., auf der Nordfeite am 21. Januar. Im Zusammenhang mit der Schlacht bei St. Quentin versuchte die Besatzung am 19. Januar mit letzter Kraft bei Mont Valörien einen Ausfall, der abgewiesen wurde. Am 28. Januar 1871 kapitulierte Paris. Ein Waffenstillstand folgte unmittelbar; im Mai wurde der Frieden zu Frankfurt geschlossen, der Deutschland Elsaß—Lothringen und 5 Milliarden Fr. Kriegsentschädigung brachte. Die Besetzung Bosniens und der Herzegowina durch Oesterreich 1878—1879. Oesterreich hatte auf dem Berliner Kongreß von 1878 den Auftrag der europäischen Mächte zur Besetzung von Bosnien und der Herzego­ wina erhalten. Die Bevölkerung trat mit Unterstützung regulärer tür­ kischer Truppen dem Einmarsch mit den Waffen gegenüber.

Der österreichische Vormarsch auf Serajevo im August 1878 stieß in dem gebirgigen Land auf heftigen Widerstand. Am 19. August konnte jedoch Serajevo nach hartem Kampfe besetzt werden. Die weitere Besitznahme des Landes ging unter fortwährenden Kämpfen in den Herbstmonaten 1878 vor sich. Im Jahre 1879 erlosch der Widerstand. Ein Aufstand in Bosnien, Dalmatien und der Herzegowina im Jahre 1881 wurde in diesem und dem kommenden Jahre mit Waffen­ gewalt niedergeworfen.

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Deutsche Kolonialkriege. Araberaufstand in Ostafrika 1888—1890. Der von dem Häuptling Buschiri geleitete Aufstand nahm zuerst bedrohliche Ausdehnung an, wurde aber nach Bildung einer Schutz­ truppe durch Major Witzmann niedergeschlagen. Kämpfe in Südwestafr ika 1893—1898.

1893 erhob sich der Häuptling Hendrik Witboi mit seinen Leuten. Er wurde 1894 von Major Leutwein nach harten Kämpfen geschlagen. 1896 brach ein Hereroaufftand aus, der von der Schutztruppe unter Leutwein niedergeworfen wurde. Das gleiche Schicksal hatten die Ausstände der Afrikaner 1897 und der Swartboi-tzottentotten 1897—1898. Kämpfe in China 1900—1901. Eine gegen die Fremden und Christen gerichtete Bewegung brach in China aus. Europäisches Gesandtschaftspersonal, darunter der deut­ sche Gesandte von Ketteler, wurde im Sommer 1900 getötet, die Gesandtschaften mit chren Schutzwachen in Peking eingeschlossen. Die Landungstruppen der in Ostasien stationierten europäischen Kriegs­ schiffe, darunter deutsche, reichten zur Wiederherstellung des friedlichen Arstände nicht aus. Die Mächte entschlossen sich zur Entsendung eines größeren gemischten Expeditionskorps, das im Oktober 1901 in der Gesamtstärke von 80000 Mann (darunter 19000 Deutsche und 300 Oesterreicher) unter den Befehl des preußischen Feldmarschalls Grafen Waldersee trat. Noch im Jahre 1900 wurden die Chinesen mehrfach geschlagen. 1901 fanden die Kämpfe ihren Abschluß. Am 6. Mai 1901 verließ Waldersee China.

Aufstand in Südwestafrika 1903—1907.

Die schwierigsten Kämpfe fanden 1903 bis 1907 in Südwest­ afrika statt. Der Versuch, die Eingeborenen zu entwaffnen, führte den Beginn der Kämpfe im Oktober 1903 herbei. Die nur 800 Mann zählende Schutztruppe unter Oberst Leutwein hatte einen harten Stand. 1904 brach der Aufstand mit neuer Macht los. Die Hereros im Norden der Kolonie brachten 1904 eine mit ungenügenden Kräften unternommene deutsche Offensive zum Scheffern. Die Schutztruppe wurde nun auf 4000 Mann gebracht und Generalleutnant von Trotha mit der Leitung der Operationen betraut. Es gelang, besonders in dem Gefecht bei Waterberg am 11. August, die Hereros zu schlagen und schließlich den in eine Sandwüste gedrängten Stamm zu vernichten. Gleichzeitig mtt den Hereros hatten sich im Süden die Hottentotten wieder unter Hendrik Witboi erhoben. Deutsche Niederlassungen wurden geplündert und verbrannt, die Bewohner ermordet. Erst allmählich 20*

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gewann die Schutztruppe unter großen Entbehrungen und in schweren Kämpfen Boden. Witboi wurde am 29. Oktober 1905 in einem Ge­ fecht bei Fahlgras tötlich verwundet. Aber erst im März 1907 konnte der Kriegszustand aufgehoben werden. Die Schutztruppe war in diesen Kämpfen durch Freiwillige aller deutschen Regimenter auf einen Stand von 21000 Mann gebracht worden. Einzelne Räuberbanden setzten ihr Unwesen bis zum März 1908 fort. Der Weltkrieg 1914—1918. Gegen Deutschland und seinen Verbündeten Oesterreich-Ungarn hatte sich eine gewaltige Koalition zusammengefunden, deren Seele Frankreich und Rußland war, und an der sich auch England beteiligte Frankreich erstrebte die Wiedereroberung Elsaß-Lothringens,- Rußland suchte den Zugang zu einem offenen Meer, den ihm Oesterreich ver­ wehrte; England fürchtete das Anwachsen der deutschen Kriegsflotte und des deutschen Handels. Den äußeren Anlaß zum Kriege bot die Ermordung des österreichischen Thronfolgers Erzherzog Franz Fer­ dinand am 28. Juni 1914 in Serajevo durch Angehörige eines serbischen Geheimbundes, der die Unterstützung der serbischen Regierung genoß. Oesterreich forderte Genugtuung, die Serbien, von Rußland gestützt, nicht in dem geforderten Maße gewähren wollte. Die Ungewandtheit der deutschen Staatskunst ließ die Kriegs­ erklärungen von Seiten der Mittelmächte erfolgen, nachdem die Mobil­ machungsbefehle auf Seite der Entente früher als auf Seite der Mittel­ mächte ausgegeben worden waren. Die Entente verstand, fast die ganze Welt gegen Deutschland und seine Verbündeten in den Krieg zu ziehen. Es erklärten den Krieg an die Mittelmächte: Frankreich, Rußland, England, Belgien, Serbien, Montenegro; ferner int Verlaufe des Krieges: Japan, Italien, Rumänien, Portugal und die Vereinigten Staaten von Nordamerika; in den Kriegszustand mit den Mittelmächten traten: Cuba, Panama, Siam, China, Brasilien, Bolivia, Guatemala, Honduras, Nicaragua, Haiti, Peru, Uruguay, Ecuador, Griechenland, tzedschas, Liberia, Polen und die Tschechoslowakei. Im Ganzen verfügten die Verbündeten über 1400 Millionen Menschen, von denen 40 Millionen zu den Waffen gerufen wurden. Demgegenüber standen nur Deutschland und Oesterreich-Ungarn, denen sich int Verlauf des Krieges die Türkei und Bulgarien an­ schlossen. Die Mittelmächte hatten eine Bevölkerung von 160 Millionen Einwohnern und bot 22 Millionen Mann zum Kriegsdienst auf.

Der deutsche Operationsplan stammt von dem früheren General­ stabschef Grafen Schlieffen. (s. S. 292). Der zu Beginn des Krieges leitende Generalstabschef Graf Moltke hatte ihn nur mit Abschwächun­ gen übernommen (s. S. 293). Deutschland wollte mit möglichster Rasch-

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heit einen entscheidenden Erfolg über die Franzosen und ihre un­ mittelbaren Verbündeten erringen, um sich dann im Verein mit den Oesterreichern auf den Ostgegner zu werfen. Der deutsche Sieg im Westen sollte durch eine große operative Umfassung des französischen Nordflügels erreicht werden, die einen Vormarsch durch das neutrale Belgien nötig machte. Der Operationsplan der Alliierten strebte eine konzentrische Offen­ sive an. Während die Franzosen und Engländer einen Angriff nach Elsaß-Lothringen oder einen Gegenstoß gegen den vermuteten deutschen Vormarsch durch Belgien ausführen wollten, sollte Rußland sich zuerst auf den gefährlichsten Gegner im Osten, auf die Deutschen werfen, und dann mit den Oesterreichern abrechnen. Rußland änderte die Verein­ barung dahin ab, daß es seinen ersten Hauptangriff gegen die Oester­ reicher richtete.

Die Mittelmächte stellten auf: Deutschland. Oberster Bundesfeldherr: S.M. Kaiser Wilhelm II. Generalstabschef: Generaloberst der Infanterie Graf Moltke.

Im Westen: 1. Armee unter Generaloberst von Kluck (II., III., IV., IX. A. K., IV. Res. Korps) bei Jülich. 2. Armee unter Generaloberst von Bülow (Garde-, VII. X. A.K., Garde-, VII., X. Res.Korps) bei Aachen—Eupen. Dazu im Raume der 2. Armee tz.K.K. (Höherer Kavalleriekomman­ deur — Kavalleriekorps) 2 mit 2., 4. und 9. Kav.Div. (Die Kavalleriekorps unterstanden unmittelbar der Obersten Heeres­ leitung). 3. Armee unter Generaloberst von Hausen (XL, XII. (sächs.), XIX. (sächs.) A.K., XII. (sächs.) Res.Korps) bei Neuerburg. Im Raume der 3. Armee H.K.K. 1 mit Garde- und 5. Kav.Div. 4. Armee unter Generaloberst Herzog Albrecht von Württemberg (VI., VIII., XVIII. A.K., VIII., XVIII. Res.Korps) bei Luxemburg-Trier. 5. Armee unter Generalleutnant Kronprinz Wilhelm (V., XIII. (württ.). XVI. A.K., V., VI. Res.Korps) bei Diedenhofen—Metz. Im Raume der 5. Armee tz.K.K. 4 mit 3. und 6. Kav.Div. 6. Armee unter Generaloberst Kronprinz Rupprecht von Bayern (XXL, I. bayr., II. bayr., III. bayr. A.K., I. bahr. Res.Korps) bei Saarburg. 3m Raume der 6. Armee H.K.K. 3 mit 7., 8. und bayr. Kav.Div. 7. Armee unter Generaloberst von Heeringen (XIV., XV. A.K., XIV. Res.Korps) bei Straßburg-Colmar. 3tn Osten: 8. Armee unter Generaloberst von Prittwih (L, XVII., XX. A.K., I. Res.Korps und 1. Kav.Div.) zwischen Thorn und Tilsit.

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Oesterreich-Ungarn. Oberbefehlshaber: S.K. K.H. Erzherzog Friedrich von Oesterreich. Generalstabschef: General der Infanterie Freiherr Conrad von tzötzendorf. Im Nordosten: Armeegruppe Köves: General der Infanterie Köves von Köveshaza (später 2. Armee unter General der Kavallerie von Böhm - Ermolli) (4 A.Ks., 4 selbst. Div., 3 Kav.Div.) bei Stanislan. 3. Armee unter General der Kavallerie von Brudermann: (2 A.Ks.,' 3 selbst. Div., 3 Kav.Div.) östlich Przemysl. 4. Armee unter General der Infanterie Frh. von Auffenberg (4 A.Ks., 2 Kav.Div.) westlich Przemysl. ■1. Armee unter General der Kavallerie von Dank! (3 A.Ks., 1 selbst. Div., 2 Kav.Div.) westlich der 4. Armee Armeegruppe Kummer: General der Kavallerie von Kummer (2 selbst. Div., 1 Kav.Div.) westlich Krakau. 3m Südosten: 5. Armee unter General von Frank (2 A.Ks.) westlich der Drina. 6. Armee unter Feldzeugmeister Potiorek (zugleich Oberbefehlshaber im Südosten), (2*/2 A.Ks.) anschließend an die 5. Armee. (Die 2. Armee (Böhm-Ermolli) stand ursprünglich in Syrmien, wurde aber bald nach dem Nordosten verschoben).

Die Entente stellte zu Kriegsbeginn auf: Frankreich: 5 Armeen und ein Kavalleriekorps unter dem Oberbefehl des Generals Ioffre im Westen. England: ein Expeditionskorps von 3 A.Ks. und 1 Kav.Div. unter Befehl des Marschalls Sir French im Westen. Belgien: 6 Armeedivisionen und 1 Kav.Div. unter dem Ober­ befehl S.M. König Alberts von Belgien im Westen. Rußland: 3 Armeen und 1 Armeegruppe unter dem Oberbe­ fehl des Generals Shilinski gegen Deutschland. 5 Armeen unter dem Oberbefehl des Generals Iwanow gegen Oesterreich. 2 Armeen, und 19 Jnf.Div., 41/2 Kav.Div. in Reserve. Oberbefehlshaber über die gesamte russische Armee war S. K. tz. Großfürst Nikolas Nikolajewitsch. Serbien: 10 Divisionen, 1 Kav.Div. unter dem Befehl S.K.tz. des Kronprinzen. Montenegro: 40000 Mann Irregulärer. Zahlenmäßig stellte zu Beginn Deutschland 2 Millionen, Oester­ reich 1,1 Millionen, Frankreich 2 Millionen, England 153000, Ruß­ land 1750000, Serbien 280000, Montenegro 40 000 Mann ins Feld.

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Die Operationen unter Leitung des Generalobersten GrafenMoltkevomBeginnbiszum 14. September 1914. Am 30. Juli war die allgemeine Mobilmachung in Rußland an­ geordnet worden, am 31. Juli folgte Oesterreich, am 1. August 4 Uhr Nachm Frankreich, am 1. August 5 Uhr Nachm. Deutschland. Die Kriegserklärungen erfolgten: am 28. Juli von Oesterreich an Serbien, am 1. August 6 Uhr Nachm. von Deutschland an Rußland, an, 3. August von Deutschland an Frankreich, am 5. August von England an Deutschland. Die kriegerischen Handlungen begannen int Westen beiderseits mit Unternehmungen, die die großen Offensiven vorbereiten sollten. Bereits am 4. August rückten 6 Jnfanteriebrigaden in Friedens­ stärke gegen Lüttich. In der Nacht vom 5./6. August wurde der Weg ins Innere der Stadt erkämpft, am 16. August waren sämtliche Forts in deutscher Hand. Die Franzosen hatten am 7. August einen Angriff ins Elsaß hinein unternommen, wurden am 9. August in der ersten Schlacht bei Mühlhausen abgewiesen, konnten jedoch die Vogesenpässe festhalten. Das I. Bayr. A.K. machte von Saarburg aus einen Vorstoß nach Südwesten, der mit dem siegreichen Gefecht von Badonvillers am 12. August endete. Der Vorstoß sollte feindliche Kräfte auf sich ziehen.

Am 18. August begannen planmäßig die großen Operationen mit dem Vormarsch der nördlichen deutschen Angriffsgruppe um den Dreh­ punkt Diedenhofen. Die Belgier wichen nach Antwerpen zurück, das von General von Beseler eingeschlossen wurde. Nach dem 21. August stießen die deutschen Armeen auf die Franzosen und Engländer. Am 23. wurden die Engländer bei Mons, am 22. und 23. die französische 5. Armee bei Namur geschlagen. Die 3. deutsche Armee erzwang den Ilebergang bei Dinant. Die 4. und 5. deutsche Armee schlug die Franzosen in den Tagen vom 22. bis 25. August bei Longwy, Longuyon, Neufchateau und am Othainbach. In Lothringen waren die Franzosen dem I. bayr. Korps bis vor die Saarstellung gefolgt. Der Führer der 6. Armee, dem auch die 7. unterstellt war, entschloß sich zum Gegenangriff, da nicht zu erkennen war, ob die Franzosen nicht Kräfte nach dem Norden abtxansportierten. In der Saarschlacht warfen die Deutschen vom 20. bis 25. August die Franzosen in zügigem Anlauf zurück. An der Sperrfortslinie kam der deutsche Angriff zum Stehen. Am 25. August war unter dem Eindruck der Siegesmeldungen die OHL. (Oberste Heeresleitung) zu der Anschauung gekommen, daß die Entscheidung im Westen bereits zu Gunsten der Deutschen gefallen sei. Zwei Korps wurden nach dem schwer bedrohten Osten abgegeben.

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Am 26. August wurden die Engländer erneut bei Le Cateau geschlagen. Ein großer französischer Gegenangriff wurde am 29. und 30. August bei St. Quentin abgewiesen, während die deutsche 1. Armee die in der Bildung begriffene französische 6. Armee bei Peronne schlug. Die 3. und 4. deutsche Armee fand jedoch an der Maas starken Wider­ stand, den sie nur langsam brechen konnte. Am 2. September floh die französische Regierung von Paris nach Bordeaux, Ioffre marschierte weiter zurück. Der Gouverneur von Paris, General Galliern, war durch seine Aufklärungsorgane über die Lage bei den Deutschen genau unterrichtet; er wußte daß ihr rechter Flügel vorwärtsgestaffelt war, und daß sie über keine nennenswerten Heeresreserven verfügten. Gallieni schlug Ioffre einen Stoß der französischen 6. Armee aus der Nordostfront von Paris heraus gegen den deutschen rechten Flügel vor. Nach anfänglichem Zögern ging Ioffre darauf ein. Zwischen den deutschen Oberbefehlshabern der 1. und 2. Armee herrschte keine Uebereinstimmung über die Fortführung der Operationen. Ein eigentliches Heeresgruppenkommando fehlte, wenn auch der Ober­ befehlshaber der 2. Armee mit dem Oberkommando über beide Armeen betraut war. Die OHL. wollte am 4. September die Vorwärtsbewegung der Armeen, deren rechter Flügel sich östlich von Paris befand, einstellen, da sie der Ansicht war, daß sich die Franzosen der großen operativen Umklammerung entzogen hätten. Die 1. und 2. Armee sollten daher gegen Paris einschwenken, die übrigen Armeen versuchen, noch möglichst starke Teile der französischen Südarmee abzuschneiden. Die 1. Armee hatte die Marne östlich Paris bereits nach Süden überschritten. Am 5. September traf sie Anstalten, wieder auf das nördliche Marneufer überzugehen. Der Aufmarsch der französischen 6. Armee an der Nordostfront von Paris wurde festgestelü. Die Fran­ zosen griffen von hier aus und von Süden her an. In der Marneschlacht (6.-9. September 1914) trug zuerst die 1. Armee die Hauptlast des Kampfes. Sie wies den Angriff der Franzosen sowohl aus der Nordostfront von Paris, als aus Süden ab. Die 2. Armee konnte die neugebildete französische 9. Armee und die 5. Armee vor sich her drücken. Die 3. Armee hatte sich in zwei Gruppen geteilt, von denen die eine der 2., die andere der in frontalem Ringen mtt französischen Kräften stehenden 4. Armee zu Hilfe kam. Am 7. entstand zwischen der 1. und 2. Armee eine Lücke, da der Oberbefehlshader der 1. Armee in der Ueberzeugung, daß auf seinem rechten Flügel die Entscheidung falle, alle verfügbaren Kräfte dahin geworfen hatte. Am 8. September drängte die 1. Armee die französische 6. Armee völlig in die Ver­ teidigung; dagegen erkannten die Franzosen und Engländer die Lücke zwischen der 1. und 2. Armee und begannen hier vorzustoßen. Während nun am 9. September der Oberbefehlshaber der 1. Armee den Angriff

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auf die französische 6. Armee unbekümmert um die Vorgänge auf seinem linken Flügel zur Entscheidung bringen wollte, glaubte der Führer der 2. Armee, nicht mehr halten zu können und ordnete den Rückmarsch an. Die 1. Armee, die knapp vor einem Erfolg stand, mußte folgen. Der Bevollmächtigte der OHL., Oberstleutnant Hentsch, stimmte dem Entschluß der 2. Armee zum Rückmarsch zu und vertrat seine Berechtigung beim Oberbefehlshaber der 1. Armee, der anderer Ansicht war. Die Deutschen gingen hinter die Vesle und Aisne zurück; die Franzosen und Engländer, durch das „miracle“ des deutschen Rück­ zuges völlig überrascht, folgten nur zögernd. Am 15. September war eine feste deutsche Abwehrfront entstanden.

Im Osten hatte unterdes nach den ersten, nicht ungünstigen Grenz­ gefechten General von Prittwitz den Entschluß gefaßt, hinter die Weichsel zurückzumarschieren. Zwar änderte er diesen Plan, allein die OHL., mit dieser Absicht nicht einverstanden, hatte bereits den General -er Infanterie von Hindenburg mit General Ludendorff als Generalstabschef mit der Führung der 8. Armee betraut. Hindenburg entschloß sich, die durch die ostpreußische Seenplatte getrennten, langsam vormarschierenden russischen Armeen vor ihrer Vereinigung getrennt zu schlagen. Zuerst warf er sich auf die 2. russische (Narew-)Armee und brachte ihr in der Schlacht von Tannenberg vom 26. bis 31. August eine völlig vernichtende Niederlage bei. Die Schlacht von Tannenberg ist die einzige „Cannae"-Schlacht des Welt­ krieges. Sodann griff er die russische 1. (Njemen-)Armee an und schlug sie in der Schlacht an den masurischen Seen vom 7. bis 9. Sept^ 1914. Der österreichische Aufmarsch im Nordosten war durch verräterische Bahnzerstörungen verzögert worden. Am 25. August traten die Oester­ reicher zum Angriff an; es zeigte sich, daß der russische Aufmarsch weiter fortgeschritten war, als man angenommen hatte. Bei Krasnik schlug die 1. österreichische Armee zwischen dem 23. und 25. August vorgeschobene Kräfte der Russen. Die österreichische 4. Armee schlug in der Schlacht von Zamosch-Komarow vom 26. August bis 1. September die russische 5. Armee. Die 3. österreichische Armee wurde jedoch am 26. und 27. August bei Zlotschow umfaßt und am 29. und 30. August bei Przemyslany erneut geschlagen. Dann griffen die Russen auch den bisher siegreichen österreichischen Nordflügel mit überlegenen Kräften an und zwangen ihn in der Schlacht von Grodek-Rawa Ruska vom 7. bis 11. September zum Zurückgehen. Die Oesterreicher marschierten hinter den San. Gegen Serbien war die erste österreichische Offensive vom 12. August nach anfänglichen Erfolgen gescheitert. In Syrmien wehrte Feldmarschalleutnant von Krauß den Einfall von 3 serbischen Divisionen

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glücklich ab. Eine zweite österreichische Offensive, die Mitte September begann, führte zur serbischen Niederlage bei Krupiany in den Tagen vom 16. bis 23. September. Die Operationen unter Leitung des Generals von Falkenhayn vom 15. September 1914 bis zum 29. August 1916. Nach der Marneschlacht hatte der Kriegsminister General von Falkenhayn an Stelle Möltkes die Geschäfte des Generalstabschefs übernommen. Im Westen handelte es sich zunächst darum, einer feindlichen Ueberflügelung des Nordflügels zuvorzukommen. Die aus dem süd­ lichen Teil der Front herausgezogenen Korps und in der Heimat neu­ gebildete Reserveformationen wurden eingesetzt, wie sie eintrafen; es entstand auf beiden Seiten der Wettlauf nach dem Nordflügel. Die Engländer trennten sich in Sorge um Calais von den Franzosen und eilten nach der Küste. Die belgische Feldarmee verließ Antwerpen, das am 9. Oktober fiel, und vereinigte sich mit den englischen und franzö­ sischen Streitkräften. In der Zeit vom 18. bis 31. Oktober fand an der Nser und bei Ppern ein außerordentlich zähes Ringen zwischen der neueingetroffenen 4. Armee und den Engländern, Franzosen und Bel­ giern statt, das auf keiner Seite das gewünschte Resultat brachte. Die Westfront erstarrte im Stellungskampf.

Im Osten war eine neue 9. Armee gebildet worden, die den Oester­ reichern über Krakau zu Hilfe kam. Die Offensive gelangte vom 27. Sep­ tember bis 27. Oktober bis in die Gegend von Grojetz. Die Oester­ reicher gewannen Przemysl zurück. Dann mußten die Verbündeten vor überlegenen russischen Angriffen bis an die deutsch-polnische Grenze und an die Karpathenpässe zurückgehen. In Serbien drangen die Oesterreicher mit zwei Gruppen vor, von denen die eine siegreich bis Kragujevac gelangte. Dann wurden sie von den Serben vereinzelt angefallen und bis zum 15. Dezember aus dem Lande vertrieben. Hindenburg entschloß sich zu erneuter Offensive. Die 9. Armee wurde mit der Bahn nach Thorn gebracht und stieß von dort aus am 11. November gegen die Russen bei Lodz vor, während Conrad von Hötzendorf in Polen und Galizien vorging. Der deutsche Angriff konnte bis zum 10. Dezember vorgetragen werden, kam jedoch dann zum Stehen. Die Oesterreicher schlugen die Russen in der Schlacht von Lapanon-Limanowa vom 2. bis 12. Dezember, erlitten jedoch auf der Verfolgung bei Iaslo am 20. Dezember eine Niederlage. Falkenhayn entschloß sich am Ende des Jahres 1914, den Krieg auch militärisch als reinen Verteidigungskrieg ohne größere Offensiven

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zu führen. Nur Schläge aus der Front mit begrenztem Ziel sollten den Gegner mürbe machen. Die Ostführer — Hindenburg und Conrad — glaubten an die Möglichkeit eines entscheidenden Sieges über Rußland. Aus diesen verschiedenartigen Auffassungen entstanden Kompromisse. Das 2ahr 1915 begann mit einer Reihe feindlicher Angriffe. Die Russen drängten die Oesterreicher in Galizien wieder zurück und nahmen einen Teil der Karpathenpässe. Ein österreichischer Gegenangriff am 22. Januar 1915 mit Unterstützung einer neuen deutschen Südarmee konnte nur die Karpathenpässe zurückgewinnen. Przemysl fiel nach tapferer Verteidigung am 22. März in russische Hand. Ein russischer Angriff im Laborczatal wurde vom deutschen Beskidenkorps in einer Schlacht vom 2. bis 14. April abgewehrt. An der französischen Front setzte eine Reihe von französischen Teilangriffen ohne Erfolg ein. Von Ostpreußen aus war Hindenburg mit zwei Armeen am 7. und 8. Februar 1915 auf die überraschten Russen bei Augustowo losge­ brochen und vernichtete in der Winterschlacht in den Masuren bis zum 22. Februar die 10. russische Armee. Ein Versuch der Armeegruppe Gallwitz, gegen die russische 12. Armee vorzugehen, scheiterte. Die Forderungen der Ostführer nach einer entscheidungsuchenden Operation führten zum Entschluß Falkenhayns, hiefür Kräfte zur Verfügung zu stellen und einen großen Durchbruch durch die russische Front zu versuchen. Während in Kurland eine am 27. April beginnende große Ka­ vallerieoperation den Einfall stärkerer deutscher Kräfte vortäuschte, griffen die deutschen und österreichischen Stoßtruppen am 2. Mai bei Gorlice an und errangen einen großen Erfolg. Die Russen wurden zurückgeworfen, Galizien zum größten Teil befreit. Bis zum 2. Juli wurde die Offensive vorgetragen, dann trat eine Stockung ein. Die Russen bauten neue Abwehrstellungen auf. Die deutschen und österreichischen Armeen wurden umgruppiert. Die deutsche Stoßgruppe im Süden sollte Richtung nach Norden nehmen, während von Ostpreußen her die Armeegruppe Gallwitz gegen Süden vorstoßen sollte. Man hoffte, die im „polnischen Sack" steckenden russischen Kräfte abzuschneiden. Die Operation gelang nicht ganz. Die deutschen Armeen drangen zwar siegreich vor, allein die Russen führten den Rückzug so gewandt, daß die in Polen befindlichen russischen Heeresteile sich der Vernichtung entziehen konnten. Hindenburg hatte statt eines Vorstoßes der Armeegruppe Gallwitz über Praßnhtsch einen Vormarsch auf Wilna gewünscht, den Falken­ hahn abgelehnt hatte. Hindenburg führte nun die Operation auf Wilna mit den schwachen Kräften der 10. Armee durch. In der Schlacht von Wilna vom 9. bis 12. September gelang die Einnahme der Stadt. Der große Erfolg, den Hindenburg erhofft hatte, konnte mit den ge­ ringen vorhandenen Kräften nicht erreicht werden. Die Oesterreicher

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hatten eine Operation auf Rowno glücklich durchgeführt. Die Stellung im Osten, wo seit Oktober ebenfalls eine geschlossene Front vorhanden war, lief nun von der rumänischen Grenze östlich an Czernowitz vorbei über die Linie Styr—Pinsk—Baranowitschi-Narocz-See vor Riga und Dünaburg vorbei zum Meere. Während dieser Operationen war auf den anderen Fronten keine Ruhe gewesen. Der Eintritt Italiens in den Krieg auf Seite der Entente hatte den Aufbau einer neuen österreichischen Front not­ wendig gemacht) die italienischen Angriffe am Isonzo wurden ab­ gewiesen. Ebensowenig gelangen die französisch-englischen Angriffe am 9. Mai bei Arras und La Bassee, die bis in den Juni dauerten) dann vom 25. September bis 30. Oktober in der Champagne, bei Arras und bei La Bassee. Die deutsche OHL. mußte sich jedoch 1915 noch zu einer großen Operation gegen Serbien entschließen, um den Weg nach der Türkei zu öffnen und diesen Verbündeten mit Kriegsmaterial zu versorgen. Die Landungen der Entente bei Gallipoli und Kum Kale im April 1915 hatten eine ausreichende Unterstützung der Türken besonders mit Ar­ tilleriemunition nötig gemacht. Bulgarien trat auf Seite der Mittel­ mächte und so konnte Falkenhayn im September 1915 mit einer deutschen, einer österreichischen und zwei bulgarischen Armeen den Ein­ fall nach Serbien unternehmen. Die Deutschen und Oesterreicher stießen unter dem Feldmarschall von Mackensen von Norden her, die Bulgaren von Osten in das Innere Serbiens vor. Am 7. Oktober begann der Vormarsch. Die Serben würben bis zum 29. November unter fort­ währenden schweren Kämpfen fast völlig aufgerieben, der Rest aus dem Lande gedrängt. Die Entente hatte unter Nichtachtung der griechischen Neutralität bei Saloniki am 5. Oktober ein Expeditionskorps aus­ geschickt, das jedoch die serbische Niederlage nicht hindern konnte. An der griechischen Grenze entstand eine deutsch-österreichisch-bulgarische Abwehrfront.

2m Jahre 1916 setzten außerordentlich schwere Angriffe ein. Falkenhahn hatte sich zu einer Offensive mit beschränktem Ziele auf Verdun entschlossen, die am 21. Februar 1916 begann und am 2. Sep­ tember 1916 eingestellt wurde. Falkenhayn hoffte, die französische Armee hier zum Ausbluten zu bringen, auch wenn Verdun nicht er­ reicht würde. Die Verluste der Deutschen waren jedoch in diesem Kampf mindestens ebenso hoch und schwerer zu ersetzen als bei der Entente. Und die moralische Stimmung beim Gegner wurde durch den Umstand gehoben, daß die Deutschen Verdun nicht erobern konnten. Von Seiten der Entente setzten trotz der Bindung bei Verdun starke Angriffe auf anderen Teilen der Front ein.

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Die Russen unternahmen vom 18. bis 28. März mit 360 gegen 66 deutsche Bataillone eine gewaltige Entlastungsoffensive bei Postawy und am Narocz-See, deren Abwehr nur mit Mühe gelang. Der Umstand, daß die Schneeschmelze plötzlich eintrat und den Angriff stark hinderte, unterstützte die deutsche Abwehr. Italien griff in zwei weiteren Schlachten am Isonzo vergeblich an. Oesterreich hatte entgegen den Wünschen der deutschen OHL. eine Offensive in Tirol versucht, die am 15. Mai beginnend bis in die Linie Asiago-Arsiero vorgetragen werden konnte, dann aber zum Stehen kam. Die durch Abgaben an die italienische Front übermäßig ge­ schwächte galizische Front jedoch brach am 4. Juni 1916 bei Czernowitz und Luzk vor der ersten Offensive des russischen Generals Brussilow zusammen und konnte nur mit Mühe unter Einsatz deutscher Truppen gestützt werden. Der ganze südliche Teil der Front wurde zurückverlegt. Am 24. Juni begann Frankreich und England einen gewaltigen Angriff an der Somme, der bis zum November dauerte, ohne daß die Gegner mehr als örtlichen Gewinn errangen. Auch die Orientarmee bei Saloniki rührte sich nun. Am 15. August unternahm der hier kommandierende General Sarrail einen Angriff, der abgewiesen wurde. Mitten in dieser für die Mittelmächte furchtbaren Lage erklärte Rumänien mit einer frischen Feldarmee von 750 000 Mann den Krieg an die Mittelmächte. General von Falkenhayn, dessen Ansehen unter dem Uebergewicht der Ostführer gelttten hatte, nahm das zum Anlaß, um seine Enthebung vom Posten des Generalstabschefs zu erbitten und die 9. Armee gegen Rumänien zu übernehmen.

Die Operationen unter Feldmarschall von Hindenburg und General Ludendorff vom 29. August 1916 bis zum Kriegsende. An Stelle Falkenhayns wurde Hindenburg zum Generalstabschef ernannt und neben ihm Ludendorff als mttverantwortlicher Leiter unter dem Titel eines Generalquartiermeisters eingesetzt. Die vordringlichste Sorge der neuen OHL. war die Einstellung des Angriffes auf Verdun, die am 2. September befohlen wurde, und die Abwehr der rumänischen Gefahr. Letztere sollte durch Angriff er­ folgen. Mit Mühe konnte unter dem Befehl Mackensens eine deutschbulgarisch-türkische Donauarmee südlich der Dobrutscha zusammenge­ bracht werden. In Siebenbürgen wurde die 9. deutsche Armee unter Falkenhayn und die 1. österreichische Armee unter General von Arz bereitgestellt. Die Rumänen rückten zögernd nach Siebenbürgen vor. Mackensen fiel zuerst in die Dobrutscha ein und stieß bis zum Trajanswall vor. Am 20. September marschierte auch Falkenhayn an und brachte vom 26. bis 29. September der 1. rumänischen Armee in der

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Schlacht bei Hermannstadt, vom 7. bis 9. Oktober der 2. rumänischen Armee bei Kronstadt vernichtende Niederlagen bei. Im November ge­ lang die Ueberschreitung der transsylvanischen Alpen. Die Armee, voran die Kavalleriedivisionen des Grafen Schmettow, drang in die Walachei ein. Mackensen erzwang am 23. November bei Svistvo den Donauüber­ gang. Auf dem Schlachtfeld am Argesch, wo vom 30. November bis 3. Dezember gekämpft wurde, reichten sich die beiden Armeen die Hand. Am 6. Dezember zogen die Truppen in Bukarest ein. Auch die Oesterreicher hatten den ihnen gegenüberstehenden Gegner zurück­ gedrückt. Der Vormarsch wurde fortgesetzt, bis die Donau bis zur Serethmündung in deutscher Hand war. Von da verlief die Front westwärts bis zum Anschluß an die österreichische Stellung. Auch hier begann nun der Stellungskrieg.

Während dieser Operation hatte die Sommeschlacht ihren Fortgang genommen. Bei Verdun hatten nun die Franzosen die Offensive er­ griffen und vom 21. Oktober bis zum 14. Dezember die Deutschen in ihre Ausgangsstellungen zurückgedrückt. Brussilow führte in Galizien vom 1. bis 30. September seine zweite, am 29. Oktober seine dritte und im Dezember seine vierte Offen­ sive ohne Erfolg. Die Orientarmee nahm am 3. Oktober Monastir, konnte aber nicht weiter vordringen. Die italienischen Angriffe am Isonzo im September und Oktober konnte die österreichische Front nicht durchstoßen. Bei den Mittelmächten war die Ernährungslage ungünstig gewor­ den und damit die Stimmung der Völker erheblich gesunken. Die OAL. wollte im Jahre 1917 das Kriegsende bestimmt herbeiführen. Als Mittel bot sich der v-Bootkrieg, von dem die Marinefachleute behaup­ teten, er könne England zum Frieden zwingen. Freilich war mit dem Eintritt Amerikas in den Krieg bei Erklärung des uneingeschränkten v-Bootkrieges zu rechnen. Allein, wenn der Krieg 1917 sicher zu Ende geführt werden konnte, so vermochte Amerika mit seinen rückständi­ gen tzeereseinrichtungen nicht mehr rechtzeitig auf dem Plane zu er­ scheinen. Der uneingeschränkte v-Bootkrieg wurde am 1. Februar 1917 erklärt. Die Vereinigten Staaten traten auf Seite der Entente. Die Armee sollte sich 1917 nur verteidigungsweise verhalten, indeß die Marine durch die v-Boote die Entscheidung bringen würde. Am 16. März 1917 wurde eine Verkürzung der Front zwischen Arras und Laon vorgenommen und die Truppen in die rückwärtige Hindenburgstellung zurückgezogen, nachdem das Zwischengelände nach Möglichkeit zerstört worden war.

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Die Franzosen griffen am 16. April an der Aisne und in der Champagne, die Engländer bei Arras an. Beide Angriffe wurden blutig abgewiesen. Die Kampfhandlungen zogen sich noch durch Monate hin, ohne daß die Gegner einen Erfolg erzielen konnten. Die besonders gro­ ßen Verluste in der Aisneschlacht hatten ausgedehnte Meutereien im französischen Heere zur Folge, die energisch unterdrückt wurden. Nach dem mißglückten Versuch bei Arras machten die Engländer vom 31. Juli bis 10. November einen vergeblichen Großangriff in Flandern. Die Franzosen unternahmen noch zwei kleinere Offensivstöße am 20. August bei Verdun und am 22. Oktober bei LLon, beide ebenfalls ohne großen Erfolg. Am 20. November brachen aus der englischen Front überraschend Tanks in großer Zahl vor, die die deutsche Front bei Cambrai überrannten. Aus Mangel an Reserven konnte der englische Anfangserfolg nicht aus­ genützt werden, bevor deutsche Hilfe heran war. Fast das ganze Gelände wurde von den Deutschen im Gegenstoß zurückgewonnen. In Rußland brach am 14. März 1917 Revolution aus. Der Diktator Kerenski setzte am 26. Juni an vielen Stellen nochmals zu einer Offensive an, die jedoch mißlang. Der deutsche Gegenangriff ge­ wann bis zu 150 Kilometer in die Tiefe Boden. Am 3. September wurde Riga, im Oktober die Inseln Oesel, Moon und Dagö genommen. Am 3. März 1918 kam mit Rußland zu Brest-Litowsk, am 7. Mai mit Rumänien zu Bukarest Frieden zustande. Weder die Orientarmee mit ihren Angriffen im März und Mai 1917, noch die Italiener in den Isonzoschlachten vom Mai bis Septem­ ber vermochten durchzustoßen. Die Lage an der Jsonzofront war jedoch so schwierig geworden, daß sich die OHL. zu einer großen Offensive ent­ schloß. Am 24. Oktober 1917 brachen deutsche und österreichische Truppen auf dem italienischen Nordflügel der Jsonzofront ein. Die Italiener gingen fluchtartig bis hinter den Piave zurück. Der II-Bootkrieg hatte trotz großer Erfolge die in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllt. England war nicht zum Frieden gezwungen worden Für 1918 waren nun neue amerikanische Truppen zu erwarten. Die OHL. wollte das Kriegsende nun durch eine entscheidende Of­ fensive im Westen herbeiführen, bevor die Amerikaner in stärkerer Zahl in Europa eingetroffen waren. Die innere Zerrüttung der Mit­ telmächte machte rasches Handeln nötig. Am 21. März 1918 brach der deutsche Michaelsangriff gegen Amiens los, der die feindliche Front durchstieß, wegen Mangel an Reserven aber zu keinem kriegsentscheidenden Erfolg führte. Die En­ tente schuf in höchster Not einem gemeinsamen Oberbefehl, der dem französischen Marschall Foch übertragen wurde. Der zweite deutsche Angriff vom 9. bis 25. April — die Georgsschlacht an der Lys -kam ebensowenig als der dritte vom 26. Mai bis 5. Juni bei Soissons

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und der vierte vom 9. bis 25. Juni bei Montdidier über örtliche Er­ folge hinaus. Der 5. Angriff bei Reims am 15. Juli wurde von Ueberläufern verraten und von den Franzosen abgewiesen. Nun setzten vom 15. Juli an die Gegenstöße Fochs ein. Ein fran­ zösischer Massenangriff bei Villers-Cotterets warf Teile der deutschen 7. Armee. Am 2. August gab die OHL. den Gedanken an eine Wieder­ aufnahme der Offensive endgültig auf. Am 8. August, dem „schwarzen Tag" des deutschen Heeres, bra­ chen bei Peronne englische und französische Tanks durch und zwangen bei den vielfachen Anzeichen von Zersetzung, die sich bei den Truppen fühlbar machten, zu einem Rückzug im Großen. Bis zum 9. September wurden die deutschen Truppen in die Wotan- und Siegfriedstellung zurückgenommen. Der Rückmarsch vollzog sich unter harten Kämpfen planmäßig. Die deutsche Front stand erneut. Am 29. September stellte die OHL. die Forderung eines sofortigen Waffenstillstandsangebotes, die die Stimmung in Heer und Heimat aufs Schwerste erschütterte. Die Front mußte unter weiteren schweren Kämpfen zurückgenommen werden. Erst in der Antwerpen—Maas Stellung, die Anfang November erreicht wurde, konnte das deutsche Heer erneut Front machen. Am 11. November wurde der Waffenstillstand abgeschlossen. Am ■12. November begann der Rückmarsch in die Heimat, wo seit den ersten Novembertagen durch vaterlandslose Elemente von langer Hand her vorbereitete Revolution Volk und Etappe zersetzt und jede Möglichkeit des weiteren Widerstandes gegen den Feind unmöglich gemacht hatte. Gegen die Südwestfront stießen Engländer und Franzosen im Juni 1918 noch einmal vergeblich vor; im September aber brach auch hier die Front zusammen. Bulgarien schloß am 29. September Waffenstillstand. In Italien waren die Oesterreicher am 15. Juni 1918 zu einer breiten Entlastungsoffensive geschritten, die keinen Erfolg hatte. Am 24. Oktober stieß ein italienischer Angriff in die bereits aufgelöste öster­ reich-ungarische Armee, die nicht mehr kämpfte. Die Türkei, in Kleinasien, von den Engländern überrannt, schloß am 31. Oktober Waffenstillstand.

Im Frieden von Versailles vom 28. Juni 1919 verlor Deutsch­ land Elsaß-Lothringen, und eine Reihe anderer Gebiete. Teile Deutsch­ lands wurden besetzt, dem Reiche unerträgliche Verpflichtungen auferlegt. Die alte deutsche Armee mußte 1919 aufgelöst werden; das neue Reichsheer darf nur 100 000 Mann betragen, denen die modernsten Kampfmittel fehlen, und deren Organisation genau festgelegt ist. Die österreichisch-ungarische Monarchie zerfiel. Mit dem deutschen Rest wurde am 10. September der Frieden von St. Germain ge­ schlossen. Der Anschluß an Deutschland wurde verboten.

Literaturangaben.i) A. Nachschlagewerke. 1. Dahlmann-Waitz, Quellenkunde der deutschen Geschichte. Leipzig 1912. 2. Pohler I., Bibliotheca historico-militaris. Cassel 1887—1899. 3. Scharfenort v., Quellenkunde der Kriegswissenschaften für den Zeitraum 1740—1910. Berlin 1910.

von

B. Heeresgeschichte. a. Allgemeines. 4. Delbrück H., Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. (Von Band V an fortgesetzt von E. Daniels). Berlin 1920—1927. 5. Jähns M., Geschichte der Kriegswissenschaften, vornehmlich in Deutschland. München 1889—1891. 6. Jähns M-, Heeresverfassungen und Völkerleben. Berlin 1885.

b. Heerwesen älterer Zeiten. 7. Baltzer M., Zur Geschichte des deutschen Kriegswesens in der Zeit von den letzten Karolingern bis aus Kaiser Friedrich II. Leipzig 1877. 8. Barthold F. W., Geschichte der Kriegsversassung und des Kriegswesens der Deutschen. Leipzig 1864. 9. B a r t h o l d F. W., George von Frundsberg oder das deutsche Kriegshandwerk zur Zeit der Reformation. Hamburg 1833. 10. Brunner H., Der Reiterdienst und die Anfänge des Lehenswesens. (In „Forschungen zur Geschichte des deutschen und französischen Rechts"). 11. Dopsch A., Die Wirtschastsentwicklung der Karolingerzeit vornehmlich in Deutschland. Weimar 1921/23. 12. Dop sch A., Wirtschaftliche und soziale Grundlagen der europäischen Kulturentwicklung aus der Zeit von Cäsar bis auf Karl den Großen. Wien 1923/24. 13. Ficker I., Vom Heerschilde. Innsbruck 1862. 14. Peucke r v., Das deutsche Kriegswesen der Urzeiten. Berlin 1860. 15. Roth P., Geschichte des Benefizialwesens von den ältesten Zeiten bis ins zehnte Jahrhundert. Erlangen 1850. 16. Roth P., Feudalität und Untertanenverband. Weimar 1863. 17. Rüstow W., Geschichte der Infanterie. Gotha 1857 (Leipzig 1884). 18. Zallinger £)., Ministerialen und Milites. Innsbruck 1878.

c.

Heerwesen neuerer und neuster Zeit.

1. Deutsches Reich. 19. Jähns M., Zur Geschichte der Kriegsverfassung des deutschen Reiches. Berlin (Preußische Jahrbücher Band 39). 20. Loebell'sche Jahresberichte von 1873—1926. Berlin 1873—1926. 21. Loen A. Frh. v-, Die Kriegsverfassung des deutschen Reiches und des deutschen Bundes 1668—1860. Dessau 1860. 22. Rüdt von Collenberg L. Frh. v., Die deutsche Armee von 1870—1914. Berlin 1922. 2. Preußen. 23. CrousatzA. v., Die Organisationen des Brandenburgischen und Preußischen Heeres seit 1640, sowie neuzeitig die des norddeutschen Bundes und Deutschen Reichsheeres.Berlinl873. *) Die Literaturangaben machen keinen Anspruch auf Vollständigkeit. (Es sind hier nicht sämmtliche Werke ausgenommen, die als Grundlage für die Darstellung dienten. Die Literaturangaben wurden unter dem Gesichtspunkt ausgewählt, datz sie dem Leser eine Reihe wichtiger Werke nennen sollten, an Hand derer ein weiteres Studium der Kriegs« und Heeresgeschichte erleichtert wird. Bei dem Mangel an Literatur über die ältere deutsche Kriegs« und Heeresgeschichte mutzten für diese Zeit auch ältere und ins (Einzelne gehende Werke genannt werden, dabei auch solche, deren Theorien teilweise durch neuere Forschungen überholt find — ich erinnere hier an die Untersuchungen von Roth, Brunner und Dopsch über Benefizial« und Lehenswesen. — Für die neuere Zeit konnten die Angaben auf umfassendere Darstellungen beschränkt werden. Bei den Kriegen wurden neben den hauptsächlichsten, amtlichen Werken auch solche genannt, die einen kurzen Überblick über grotze Kriege und gute Literatur- und Quellenverzeichnisse enthalten.

Frauenholz, Deutsche Kriegs« und Heeresgeschichte

21

322 24. l’Homme de Courbiere R. de, Geschichte der brandenburgisch-preußischen Heeres­ verfassung. Berlin 1852. 25. Gansauge H. v., Das brandenburg-preußische Heerwesen in den Jahren 1440, 1640, und 1740. Berlin 1839. 26. Pelet-Narbonne G. v., Geschichte der brandenburg-preußischen Reiterei. Berlin 1910. 27. Osten-Sacken O. Frh. v., Preußens Heer von seinen Anfängen bis zur Gegenwart. Berlin 1910. 28. Schmidt P. v., Der Werdegang des preußischen Heeres. Berlin 1903. 3. Österreich. 29. Meynert H., Geschichte der K. K. Österreichischen Armee, ihrer Heranbildung und Organisation, sowie ihrer Schicksale, Taten und Feldzüge von den frühesten bis auf die jetzige Zeit. Wien 1852. 30. Müller F., Die kais. königl. österreichische Armee seit Errichtung der stehenden Kriegs­ heere bis auf die neueste Zeit. Prag 1845. 31. Sechzig Jahre Wehrmacht 1848 bis 1908. Bearbeitet vom K. u. K. Kriegsarchjv. Wien 1908. 4. Bayern. 32. Geschichte des bayerischen Heeres. Im Auftrage des Kriegsministeriums herausgegeben vom K. B. Kriegsarchiv. München 1901 ff. (Bis jetzt erschienen 4 Bände bis 1777). 33. M ü n n i ch F., Geschichte der Entwicklung der bayerischen Armee seit zwei Jahrhunderten. München 1864. 5. Sachsen. 34. Schuster O. und Franke F. A. Geschichte der sächsischen Armee von deren Errichtung bis auf die neueste Zeit. Leipzig 1885. 6. Württemberg. 35. Stadlinger L. I., Geschichte des württembergischen Kriegswesens von der frühesten bis auf unsere Zeit. Stuttgart 1856.

d. Bewaffnung, Bekleidung und Ausrüstung. 36. Knötel R., Uniformkunde. Rathenow 1890—1911. 37. Müller K. und Braun L., Organisation, Bekleidung, Ausrüstung und Bewaffnung der Königlich Bayerischen Armee von 1806—1906. München 1906. 38. Wille R., Waffenlehre. Berlin 1900 ff. 39. s. a. Löbell'sche Jahresberichte von 1873 bis 1926 für die Berichtsjahre.

e. Militärrecht. 40. Beck W., Die ältesten Artikelsbriefe für das deutsche Fußvolk. München 1908. 41. Friccius C-, Geschichte des deutschen, insbesondere des preußischen Kriexsrechts. Berlin 1848.

C. Kriegführung. a. Kriegführung im Großen. 42. 43. 44. 45.

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49. 50. 51.

Clausewitz C. v-, Hinterlassene Werke. Berlin 1833. Delbrück H., Geschichte der Kriegskunst, (s. unter B. a). Friedrich der Große, Hinterlassene Werke. Augsburg 1789. Jo mini, General Baron, Abriß der Kriegskunst. Übersetzt, erläutert und nit An­ merkungen versehen durch v. Boguslawski. Berlin 1881. (In der Sammlung: „Militärische Klassikers. Erzherzog Karl, Ausgewählte militärische Schriften. Erläutert und mt einer Einleitung versehen durch Frh. v. Waldstätten. Berlin 1882. (In der Sammlung: „Militärische Klassiker"). Moltke H. Graf v., Militärische Werke. Herausgegeben vom Großen Generaljtabe. Berlin 1892 ff. Napoleon I., Militärische Schriften. Erläutert durch Boie. Berlin 1881. .In der Sammlung: „Militärische Klassiker"). Radetzky Graf v.,Feldinstruktion für die Infanterie, Kavallerie und Artillerie. Wim 1861. Schliessen A. Graf v., Gesammelte Schriften. Berlin 1913. Aalentini Frh. v., Lehre vom Krieg. Berlin 1821 ff.

b. Taktik und Fechtweise. 52. Balck W., Taktik. Berlin 1903-08. 53. Boguslawski A. v., Die Fechtweise aller Zeiten.

Berlin 1880.

D. Feldherrnbiographien der neueren Zeit?) 54. Angeli M. v., Erzherzog Karl [von Österreich als Feldherr und Heeresorganisator. Wien 1896 ff. 55. Arneth A. v., Prinz Eugen von Savoyen. Wien 1858. 56. Bern har di Th. v., Friedrich der Große als Feldherr. Berlin 1881. (vergl. dazu Delbrück, Geschichte der Kriegskunst, s. B. a). 57. Delbrück H., Das Leben des Feldmarschalls Grafen Neidhardt von Gneisenau. Berlin 1894. 58. Jähns M., Feldmarschall Moltke. Berlin 1906. 59. K o s e r R., Geschichte Friedrichs des Großen. Stuttgart und Berlin 1921. 60. Lenz M., Napoleon I. Stuttgart. (Monographien zur Weltgeschichte). 61. Unger W. v., Blücher. Berlin 1907. 62. Dork von Wartenburg Graf v., Napoleon als Feldherr. Berlin 1909. (vergl. dazu Friedrich, Befreiungskrieges, unten).

E. Kriege. a. Allgemeines. 63. Alten G. v., Handbuch für Heer und Flotte, Sonderband IX: Kriege, mit Kartenband. Berlin 1909.] 64. Delbrück H., Geschichte der Kriegskunst (s. B. a). 65. Galitzin N. S. Fürst, Allgemeine Kriegsgeschichte aller Völker und Zeiten. Cassel 1885 ff.

b. Kriege neuerer Zeit?)

1. Kriege des Prinzen Eugen von Savoyen. 66. Angeli M. v., Feldzüge gegen die Türken 1697/98. Wien 1876. 67. Arneth A. v., Prinz Eugen von Savoyen. Wien 1858. 68. K. u. K. Kriegsarchiv, Die Feldzüge des Prinzen Eugen von Savoyen. Wien 1863—1893.

2. Die Kriege Friedrichs des Großen und-Maria Theresias. 69. Großer Generalstab, Die Kriege Friedrichs des Großen. Berlin 1890 ff. 70. K. li. K. Kriegsarchir), Die Kriege unter der Kaiserin-Königin Maria Theresia. Wien 1896 ff. 71. K. u. K. Kriegsarchir), Geschichte des österreichischen Erbfolgekrieges 1740—1748. Wien 1896—1905. 3. D i e beiden er st en Koalitionskriege. 72. Clausewitz C. v., Geschichte der Feldzüge von 1796 und 1799. (in den „Gesam­ melten Werken", s. unter C. a). 73. K. u. K. Kriegsarchiv, Der Krieg gegen die französische Revolution 1792—1997. Wien 1905. 74. Kuhl v., Der erste Feldzug Napoleons bis zum Frieden von Cherasko. Berlin 1892.

4. Der Krieg von 1805. 75. Mayerhofer vonAedropolje, Der Krieg der dritten Koalition gegen Frank­ reich. Wien 1905. 76. Schönhals K. v., Der Krieg von 1805 in Deutschland. Wien 1873. 5. Der Krieg von 1806/07. 77. Hüpfn er E. v., Der Krieg von 1806 und 07. Berlin 1855. 78. Lettow-Vorbeck O. v., Der Krieg von 1806 und 1807. Berlin 1891—96. 6. Der Krieg von 1809. 79. Binder von Krieglstein C. Frh. v., Der Krieg Napoleons gegen Österreich 1809. Berlin 1906. 89. K. u. K. Kriegsarchiv, Krieg 1809. Wien 1907—1909. *) Kurze Darstellungen in der „Allgemeinen Deutschen Biographie". 2) Für die Kriege der alteren Zeiten f. Alten, a. a. O. (mit zahlreichen Literaturangaben).

324 7. Der Krieg von 1812. 81. Bogdanowitsch M., Geschichte des Feldzuges im Jahre 1812. Leipzig 1863. S2. Osten-Sacken O. v. d., Geschichte des Feldzuges von 1812 in Rußland. Berlin 1901.

8. Die Befreiungskriege. 83. Friederich N., Die Befreiungskriege 1813—1815. Berlin 1911—1913. 84. Geschichte der Befreiungskriege (von v. Holleben, v. Caemmerer, Friederich, v. Janson, v. Lettow-Vorbeck und v. Voß) Berlin 1903 ff.

9. Der Krieg von 1859/60. 85. K. u. K. Generalstab, Der Krieg von 1859 in Italien. Wien 1872—76. 86. K. Preuß. Generalstab, Der italienische Feldzug von 1859. Berlin 1870. 87. Moltke', Militärische Werke (s. C. a.) III., 3. 10. Der Krieg von 1864. 88. Großer Generalstab, Der deutsch-dänische Krieg 1864. Berlin 1886/81.

11. Der Krieg von 1866. 89. K. B. Generalquartiermeisterstab, Anteil der K. B. Armee am Kriege des Jahres 1866. München 1868. 90. K. u. K. Generalstab, Österreichs Kämpfe im Jahre 1866. Wien 1867—69. 91. K. Preuß. Generalstab, Der Feldzug von 1866 in Deutschland. Berlin 1867—1868. 92. K. Sächs. Generalstab, Der Anteil des K. S. Armeekorps am Feldzug 1866 in Österreich.

Dresden 1868. 93. Lettow-Vorbeck O. v., Geschichte des Krieges 1866 in Deutschland. Berlin 1896 ff. 94. (Nach neueren Quellen: B al ck, Der Krieg von 1866 in Süddeutschland. Nur in Fahnenabzügen vorhanden. sBayer. KriegsarchivZ. 12. Der Krieg von 1870/71. 95. Großer Generalstab, Der deutsch-französische Krieg 1870/71. Berlin 1872 ff. (vgl. dazu die neueren Veröffentlichungen über einzelne Schlachten durch den Gr. Generalstab in den „Studien zur Kriegsgeschichte und Taktik"). 96. Moser O. v., Kurzer strategischer Überblick über den Krieg von 1870. Berlin 1908.

13. Die Kämpfe in Bosnien. 97. K. u. K. Kriegsarchiv, Die Okkupation Bosniens und der Herzegowina durch die K. K. Truppen im Jahre 1878. Wien 1879. 98. K. u. K. Kriegsarchiv, Der Aufstand in der Herzegowina, Südbosnien und Süddalmatien 1881—82. Wien 1883. 14. D i e Kämpfe i n IS ü d w e st a f r i t a. 99. Großer Generalstab, Die Kämpfe der deutsche