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German Pages 312 Year 2000
Deutsche Grammatik in Theorie und Praxis Herausgegeben von Rolf Thieroff, Matthias Tamrat, Nanna Fuhrhop, Oliver Teuber
Deutsche Grammatik in Theorie und Praxis Herausgegeben von Rolf Thieroff, Matthias Tamrat, Nanna Fuhrhop, Oliver Teuber
Max Niemeyer Verlag Tübingen 2000
Die Deutsche Bibliothek-CIP-Einheitsaufnahme Deutsche Grammatik in Theorie und Praxis / hrsg. von Rolf Thieroff ....Tübingen: Niemeyer, 2000 ISBN 3-484-73053-6 © M a x Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2000 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Guide-Drucke GmbH, Tübingen Einband: Heinrich Koch, Tübingen
Für Peter Eisenberg
Inhaltsverzeichnis Vorwort
I.
IX
LAUT, SILBE, W O R T
Barbara Höhle/Jürgen Weissenborn Lauter Laute? Lautsegmente und Silben in der Sprachperzeption und im Spracherwerb
1
Adelbert Schübel Mit der Silbe besser rechtschreiben?
13
Wolfgang Ullrich Wurzel Was ist ein Wort?
29
Renate Raffelsiefen Evidence for word-internal phonological words in German
43
George Smith Word Remnants and Coordination
57
Heide Wegener Da, denn und weil - der Kampf der Konjunktionen. Zur Grammatikalisierung im kausalen Bereich
69
II. DAS VERB
Cathrine Fabricius-Hansen Die Geheimnisse der deutschen ífíWe-Konstruktion
83
Oddleif Leirbukt Passivähnliche Bildungen mit haben!wissen!sehen + Partizip II in modalen Kontexten
97
Lutz Gunkel Selektion verbaler Komplemente. Zur Syntax der Halbmodal- und Phasenverben
111
Aniek IJbemalWemer Abraham Die syntaktische Funktion des infinitivischen zu
123
Vili III. DAS NOMEN
Bernd Wiese Warum Flexionsklassen? Über die deutsche Substantivdeklination
139
Klaus-Michael Kopeke Starkes, Schwaches und Gemischtes in der Substantivflexion des Deutschen. Was weiß der Sprecher über Deklinationsparadigmen?
155
Oliver Teuber Gibt es zwei Genitive im Deutschen?
171
Heinz Vater „Pronominantien" - oder: Pronomina sind Determinantien
185
Nanna Fuhrhop Zeigen Fugenelemente die Morphologisierung von Komposita an?
201
IV. DER SATZ Marga Reis Anmerkungen zu Verb-erst-Satz-Typen im Deutschen
215
Ekkehard König/Peter Siemund Zur Rolle der Intensifikatoren in einer Grammatik des Deutschen
229
Walther Dieckmann/Ingwer Paul/Gerhard Voigt/Jürgen 'Satzarten' in Gebrauchsgrammatiken des Deutschen
247
Zeck
Dietmar Rosier Zur Beschreibung und Vermittlung erweiterter Partizipialattribute
263
Hartmut Günther „... und hält den Verstand an" Eine Etüde zur Entwicklung der deutschen Interpunktion 1522-1961
275
V. GRAMMATIK UND SPRACHKRITIK
Karl-Heinz Siehr
Sprachkritik und Muttersprachunterricht. Anmerkungen aus linguistischer Sicht
287
Adressen der Autoren und Herausgeber
299
Vorwort Dieses Buch ist aus Anlaß des 60. Geburtstags von Peter Eisenberg am 18. Mai 2000 entstanden. Kollegen, mit denen Peter Eisenberg intensiv zusammengearbeitet hat, Freunde und Schüler würdigen den Jubilar mit eigens für diesen Band verfaßten Beiträgen. Trotz der teilweise theoretischen Ausrichtung seiner Arbeiten zur Grammatik versteht sich Peter Eisenberg ausdrücklich als Germanist und sucht immer wieder den Zusammenhang mit praktischen Fragen der Schule, des DaF-Unterrichts, der Orthographie und der Sprachpflege herzustellen. Entsprechend weit gefächert sind die Themen der Beiträge, die im wesentlichen vier Bereichen zugeordnet werden können. Auf Beiträge zu Laut, Silbe und Wort folgt eine Reihe von Aufsätzen, die sich im weitesten Sinne mit der Grammatik der beiden zentralen Wortarten, dem Verb und dem Nomen, befassen. Hieran schließen sich solche Beiträge an, die - in ganz unterschiedlicher Weise - den Satz zum Gegenstand haben. Den Abschluß bildet ein Artikel zum Thema Grammatik und Sprachkritik. Im ersten Teil „Laut, Silbe Wort" diskutieren HÖHLE und WEISSENBORN, inwieweit Kinder primär rhythmische Einheiten und nicht Laute wahrnehmen und wann die Fähigkeit zur Segmentierung erworben wird. Erst zum Zeitpunkt des Erwerbs einer alphabetischen Schrift kann mit Sicherheit von einer Kompetenz zur Lautdiskriminierung ausgegangen werden; im Spracherwerb ist die Silbe die primäre Einheit. Entsprechend argumentiert SCHÜBEL, daß im Rechtschreibunterricht stärker auf silbische Regularitäten der Orthographie abgehoben werden sollte - ganz im Sinne des Eisenbergschen Konzepts der Schreibsilbe. Schübel zeigt dafür konkrete didaktische Methoden, Spiele und Eselsbrücken auf. WURZEL arbeitet theorieunabhängige Kriterien für die Bestimmung der sprachlichen Einheit Wort heraus. Er gelangt über die relevanten Kriterien zu einer Skala, nach der Wörter, Semi-Wörter und Phrasen differenziert werden können. Ob ein Wort im Deutschen aus mehreren Phonologischen Wörtern bestehen kann, diskutiert RAFFELSIEFEN. Sie entwickelt insbesondere prosodische Argumente, die eine solche Annahme stützen. SMITH behandelt sogenannte Wortreste und wann sie als grammatisch gelten können. Wesentlich ist dabei nicht, was getilgt wird, sondern was übrigbleibt. Gleichermaßen von Bedeutung sind phonologische, morphologische und semantische Kriterien; sie helfen auch, vergleichbare Erscheinungen in der Syntax zu beschreiben. WEGENER bewertet die viel diskutierte Wortstellung nach weil neu. Nicht die Verb-zweit-Stellung sei der interessante Wandel, sondern die Tatsache, daß weil eine Veränderung seiner Gebrauchsbedingungen erfahren hat. Es übernimmt die Funktionen von denn und verdrängt es, (noch?) vor allem in der gesprochenen Sprache. Der zweite Teil zum Verb beginnt mit einem Beitrag von FABRICIUS-HANSEN, die die „Geheimnisse der deutschen u>iWe-Konstruktion" zu enträtseln sucht. Dabei wird die Bedeutung der uwrde-Konstruktion als im Kern kompositional erklärt, d.h. zusammengesetzt aus der Funktion von werden + Infinitiv und aus der Funktion des Konjunktiv Präteritum. LEIRBUKT befaßt sich mit einem Konstruktionstyp, der in der bisherigen Forschung kaum Beachtung gefunden hat, nämlich „passivähnlichen
χ Bildungen mit haben/wissen/sehen + Partizip II in modalen Kontexten" wie in Petra will das schnell erledigt haben/wissen/sehen, und er arbeitet eine Reihe von Unterschieden zwischen den Bildungen mit haben, mit wissen und mit sehen heraus. GUNKEL untersucht die Syntax von Halbmodalverben (drohen, versprechen) und Phasenverben (anfangen, beginnen, aufhören) und macht für die ersteren deutlich, daß sie nicht ihr syntaktisches Subjekt selegieren oder restringieren, sondern den eingebetteten Infinitiv. Für diesen gibt es Selektion bezüglich Intentionalität/NichtIntentionalität des Ereignisses; Vergleichbares gilt für die Phasenverben. IJBEMA und ABRAHAM analysieren die „syntaktische Funktion des infinitivischen zu" und vertreten die These, daß dieses zu im heutigen Deutsch ein Verbpräfix ist, das mit Derivationspräfixen wie be-, ver- und ge- vergleichbar ist. Die Beiträge zum Nomen werden von WIESE eröffnet, der Zusammenhänge von Genus, Pluralbildung und Kasusflexion des Substantivs erörtert und zu einer einfachen Systematik der neuhochdeutschen Substantivflexion gelangt, mit nur zwei unmarkierten Flexionsklassen, wobei sich die markierten Flexionsklassen durch je verschiedene Abweichungen von den Merkmalsbündeln der unmarkierten Klassen ergeben. Zwei der stark markierten Flexionsklassen - die schwachen Maskulina und die starken Feminina - sind Gegenstand des darauf folgenden Beitrags von KÖPCKE, der nach den Gründen für die Stabilität dieser Flexionsklassen fragt und sie mit einem auf prototypentheoretischen Überlegungen basierenden Schemamodell erklärt. Während Wiese und Kopeke die Flexion der (artikellos gebrauchten) Eigennamen unberücksichtigt lassen, widmet sich TEUBER gerade den morphosyntaktischen Unterschieden, die zwischen Appellativa und Propria - insbesondere in der Funktion als Genitivattribut - bestehen, und er schlägt eine Analyse vor, nach der der Genitiv von Appellativa eine andere Kategorie ist als der Genitiv des Eigennamens. Mit der Klassifikation derjenigen nominalen Einheiten, die weder Substantive noch Adjektive sind, befaßt sich VATER, der für die Aufhebung der Unterscheidung von Determinantien und Pronomina plädiert. Der Unterschied zwischen den beiden Klassen, so Vater, sei lediglich der, daß 'Determinantien' sowohl transitiv (also adnominal) als auch intransitiv (also pronominal) gebraucht werden könnten, während 'Pronomina' nur intransitiv gebraucht werden könnten. Den Bereich zwischen Syntax und Komposition untersucht schließlich FUHRHOP, die zeigt, daß Fugenelemente in einem Reanalyseprozeß von syntaktischen Elementen geradezu zum Anzeiger der allgemeinen Tendenz zur Morphologisierung von Komposita geworden sind. In ihren Anmerkungen zu Verb-erst-Satz-Typen im Deutschen, mit denen der Teil über den Satz beginnt, bietet REIS eine Übersicht über die unterschiedlichen Verb-erstSatz-Typen und diskutiert Fragen der Abgrenzung gegenüber V2-Strukturen und Fragen der Distribution von deklarativen VI-Sätzen des Typs Kommt ein Mann zum Arzt. KÖNIG und SIEMUND untersuchen die „Rolle der Intensifikatoren in einer Grammatik des Deutschen", vornehmlich anhand des prototypischen Intensifikators selbst, und sie explizieren die Interaktion von Intensifikatoren mit Topikalisierung, Fokussierung, Reflexivierung und Nominalisierung. DIECKMANN, PAUL, VOIGT und ZECK legen dar, wie unterschiedliche Satzarten in gängigen Grammatiken des Deutschen dargestellt werden. Im Mittelpunkt steht der didaktische Wert: Ist ein interessierter Laie nach der Lektüre einer solchen Grammatik — mehr als zuvor — in der Lage, konkrete Sätze eindeutig in einer konsistenten Satzart-Typologie einzu-
XI ordnen? RÖSLER skizziert das Problem von Deutschlernern, komplexe Partizipialkonstruktionen zu erlernen, bzw. diese in Grammatiken oder als Lehrer zu lehren. Es werden konkrete Darstellungen und didaktische Konzepte diskutiert und bewertet. GUNTHER kommt in seinem historischen Abriß der deutschen Interpunktion zu dem Schluß, daß diese genauso wenig ein direktes Abbild der Intonation ist wie die Buchstabenschreibung ein Abbild der segmentalen Lautung. Vielmehr handelt es sich bei der Zeichensetzung um ein weitgehend unabhängiges System mit eigener Regularität und Entwicklungsgeschichte. Schließlich macht SIEHR auf einen weitgehend unbekannten Aspekt von Eisenbergs Arbeit aufmerksam, den sprachkritischen. Während Sprachkritik in der heutigen wissenschaftlichen Grammatikschreibung kein Gegenstand ist, wird sie doch in den Rahmenplänen der Schulen verlangt und auch gesellschaftlich für notwendig erachtet. So skizziert Siehr einen Weg, wie diesen Anforderungen auch wissenschaftlich Genüge getan werden kann. Ein Blick in die Literaturverzeichnisse der Beiträge zeigt anschaulich die überragende Bedeutung von Peter Eisenbergs „Grundriß der deutschen Grammatik" (Eisenberg 1986, 1989, 1994), ohne dessen Erwähnung heute kaum noch eine Arbeit zur deutschen Grammatik zu denken ist. Ein Uberblick über Werdegang, Tätigkeiten und ein fast vollständiges Verzeichnis der Veröffentlichungen von Peter Eisenberg ist im Internet unter http:llwww.uni-potsdam.delulgermanistiklls_dgslpe.htm zu finden. Da bei Anlässen wie dem vorliegenden ein termingerechtes Erscheinen besonders wichtig ist, da andererseits bei der Herstellung von Sammelbänden immer mit unvorhergesehenen Komplikationen gerechnet werden muss, die unter Umständen sehr viel Zeit kosten können (wie einige der Herausgeber aus leidvoller früherer Erfahrung wissen), haben wir frühzeitig, nämlich Anfang 1997, damit begonnen, um Beiträge für diesen Band zu bitten. Dies erklärt, warum die meisten Autoren Peter Eisenbergs neue, zweibändige Grammatik nicht mehr berücksichtigen konnten, also weder Eisenberg 1998 noch Eisenberg 1999. Da das Erwartete nur selten eintritt, hat es natürlich kaum unvorhergesehene und schon gar keine zeitraubenden Komplikationen gegeben. Lediglich Anzahl und Zusammensetzung der Herausgeber haben sich mehrfach geändert, und wir haben Frau Birgitta Zeller (Max Niemeyer Verlag) zu danken für die Geduld, mit der sie jede diesbezügliche Änderung, die wir ihr zugemutet haben, hingenommen hat. Dabei betrifft die letzte lediglich eine Namensänderung: durch Heirat ist, kurz vor Ablieferung des fertigen Typoskripts, aus Matthias Butt Matthias Tamrat geworden. Mit dem vorliegenden Band danken wir dem Lehrer, dem Wissenschaftler und dem Menschen Peter Eisenberg - für die Vermittlung der Erkenntnis, daß Grammatik alles andere als „trocken" sein muß, daß vielmehr die Erforschung der Grammatik eine überaus spannende Sache ist, die begeistert und Spaß macht; für die tiefen Einblicke in die Struktur des Deutschen, die uns vermittelt wurden; und für vielfache Förderung und Ermutigung während vieler Jahre. Wir wünschen dem Jubilar - nicht ganz uneigennützig - noch viele produktive und in jeder Hinsicht erfolgreiche Jahre. Bonn, München, Potsdam, Berlin, im Dezember 1999 Rolf Thieroff, Matthias Tamrat, Nanna Fuhrhop, Oliver Teuber
XII
Literatur
Eisenberg, Peter (1986): Grundriß der deutschen Grammatik. Stuttgart (Metzler). Eisenberg, Peter (1989): Grundriß der deutschen Grammatik. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart (Metzler). Eisenberg, Peter (1994): Grundriß der deutschen Grammatik. 3., überarbeitete Auflage. Stuttgart, Weimar (Metzler). Eisenberg, Peter (1998): Grundriß der deutschen Grammatik. Band 1: Das Wort. Stuttgart, Weimar (Metzler). Eisenberg, Peter (1999): Grundriß der deutschen Grammatik. Band 2: Der Satz. Stuttgart, Weimar (Metzler).
Barbara Höhleljürgen
Weissenborn
Lauter Laute? Lautsegmente und Silben in der Sprachperzeption und im Spracherwerb
1. Einleitung
In einem Vortrag innerhalb einer Ringvorlesung am Institut für Linguistik der Universität Potsdam hat Peter Eisenberg die Auffassung vertreten und Argumente dafür präsentiert, dass viele Konzepte der linguistischen Beschreibung schriftsprachorientiert seien, obwohl seit Ferdinand de Saussure das Primat der gesprochene Sprache eine der Grundfesten der Linguistik zu sein scheint. Wir wollen diese Auffassung in einem spezifischen Bereich der linguistischen Beschreibung, der eigentlich der gesprochenen Sprache besonders nahe stehen sollte, nämlich der Phonologie, mit weiteren Argumenten unterstützen und - um es mit den Worten von Kohler (1977) zu sagen - zeigen, dass der Laut eine Fiktion ist. Wir wollen in unserem Beitrag nicht dagegen plädieren, dass die Annahme von Lautsegmenten bzw. Phonemen eine wesentliche Rolle in der phonologischen Beschreibung einer Sprache spielen sollte, wir wollen vielmehr gegen eine vorschnelle Übernahme von linguistisch sinnvollen Konzepten als psychisch relevante Kategorien, denen eine Rolle innerhalb von Sprachverarbeitungsprozeduren bzw. sprachlichen Repräsentationen unterstellt wird, plädieren. Konkret aber exemplarisch geht es hierbei um die Frage, ob der einzelne Laut eine grundlegende Einheit für die Perzeption und Produktion von Sprache ist oder ob die Fähigkeit, beispielsweise Wörter in Laute zu segmentieren, eine rein metasprachliche Fähigkeit ist, die erlernt wird und mit der Verarbeitung und mentalen Repräsentation gesprochener Sprache nichts zu tun hat. Dazu werden wir die folgenden Forschungsergebnisse genauer diskutieren: -
Im frühen Spracherwerb zeigt sich eine Sensitivität gegenüber Silben, nicht aber gegenüber subsilbischen Einheiten. - Erwachsene zeigen bei Aufgaben, die die Segmentierung eines akustischen Reizes in subsilbische Einheiten erfordern, größere Schwierigkeiten als bei Aufgaben, die die Segmentierung eines akustischen Signals auf silbischer Ebene erfordern. - Die Fähigkeit, subsilbische Einheiten zu manipulieren, scheint mit dem Erwerb einer alphabetischen schriftsprachlichen Kompetenz zusammenzuhängen.
2 2.
Barbara Höhle/Jürgen Weissenborn Sensitivität gegenüber Lauten und Silben im frühen Spracherwerb
Jüngere Untersuchungen zeigen, dass bereits Neugeborene über die Fähigkeit verfügen, Silben oder Wörter zu diskriminieren, die sich lediglich in einem Lautsegment unterscheiden (als Überblick s. Jusczyk 1997). Säuglinge sind Erwachsenen in dieser Hinsicht sogar überlegen, denn während des ersten Lebensjahres können Kinder auch nicht-muttersprachliche lautliche Kontraste unterscheiden, die erwachsene Sprecher wenn überhaupt - nur noch mit Mühe diskriminieren können (z.B. Werker/Tees 1984). Diese Untersuchungsbefunde werden im allgemeinen als Evidenz für die Fähigkeit zur Lautdiskrimination interpretiert, so dass die Frage, ob die Sensitivität gegenüber einzelnen Lautsegmenten zum angeborenen Repertoire von Säuglingen gehört, hiermit beantwortet zu sein scheint. In allen Untersuchungen dieser Art, zumindest in denen, die konsonantische Kontraste zum Untersuchungsgegenstand hatten, wurden die jeweiligen Laute jedoch immer innerhalb von Silben dargeboten, so dass die Ergebnisse zwar den Schluss zulassen, dass Kinder bereits im frühen Alter Silben diskriminieren können, jedoch nicht, dass sie gegenüber subsilbischen Elementen sensitiv sind. Direkte Vergleiche der Sensitivität gegenüber Lauten und gegenüber Silben sprechen denn auch eher dafür, dass Neugeborene sprachliche Sequenzen bereits als Folge von Silben wahrnehmen bzw. repräsentieren, aber nicht als Folge von Lauten. Bevor wir auf diese Befunde näher eingehen, wollen wir kurz das 'high-amplitudesucking'-Paradigma, das in einer Vielzahl von Untersuchungen zur Sprachverarbeitung bei Säuglingen eingesetzt wurde, vorstellen. In diesem experimentellen Paradigma wird die Intensität des Saugens des Kindes an einem speziell ausgestatteten Schnuller gemessen. Da das Saugverhalten mit dem Interesse des Kindes an während des Saugens dargebotenen visuellen oder akustischen Stimuli variiert, lassen sich aus dem Saugverhalten beispielsweise Schlüsse über die Fähigkeit ziehen, dargebotene Reize zu unterscheiden. In den meisten Untersuchungen dieser Art erfolgt die Präsentation eines akustischen Stimulus in Abhängigkeit vom Saugverhalten des Kindes, d.h. es wird nur dann ein akustischer Stimulus präsentiert, wenn die Saugintensität über einem zu Beginn des Experiments definierten Kriterium liegt. Zur Überprüfung von Diskriminationsleistungen wird den Kindern in der ersten Phase des Experiments, der sogenannten Habituierungsphase, bei Erreichen des Kriteriums ein konstant bleibender sprachlicher Reiz präsentiert, z.B. die Silbe ba. Im Verlauf der Habituierungsphase nimmt die Saugintensität im allgemeinen ab, da die Kinder das Interesse am immer gleich bleibenden akustischen Reiz verlieren. Wenn die Saugintensität über einen festgelegten Zeitraum kontinuierlich nachgelassen hat, d.h. bei Erreichen des sogenannten Habituierungskriteriums, wird ein anderer Reiz (z.B. ta) präsentiert. Ein darauf folgender Anstieg der Saugintensität gilt als Indikator, dass die Kinder die Veränderung bemerkt haben. In den Untersuchungen, die Unterschiede in der Sensitivität gegenüber Lauten und Silben zeigten, ging es um die Frage, wie die mentalen Repräsentationen, die die Kinder von den während der Habituierungsphase dargebotenen sprachlichen Stimuli aufbauen, strukturiert sind. Anders als in Experimenten, die nur Diskriminations-
Lauter Laute?
3
leistungen überprüfen, waren hierbei die während der Habituierungsphase dargebotenen sprachlichen Reize nicht vollkommen identisch sondern nur in Bezug auf einzelne Merkmale. So untersuchten Bertoncini und Mitarbeiter (Bertoncini et al. 1988) mithilfe des High-Amplitude-Sucking Verfahrens, ob Säuglinge auf die Stärke der Abweichung einer Silbe von vorher präsentierten Silben reagieren. In einem ersten Experiment boten sie den Kindern während der Habituierungsphase vier verschiedene CV-Silben mit gleichem initialen Konsonanten aber unterschiedlichen Vokalen dar. Nach Erreichen des Habituierungskriteriums wurde zu diesen vier CV-Silben eine weitere Silbe hinzugefügt, die entweder den gleichen initialen Konsonanten wie die zuvor präsentierten Silben, aber einen neuen Vokal enthielt, oder nur einen neuen Konsonanten, aber einen bereits vorher präsentierten Vokal aufwies, oder insgesamt aus vorher noch nicht präsentierten Lautsegmenten bestand. Bei zwei Monate alten Kindern führte die Hinzufügung aller drei Silbentypen zu einem vergleichbaren Anstieg der Saugrate. Bei Neugeborenen zeigte sich nur dann eine höhere Saugintensität, wenn die hinzugefügte Silbe einen vorher noch nicht präsentierten Vokal enthielt. Das gleiche Ergebnismuster zeigte sich in einem zweiten Experiment, in dem die Silben der Habituierungsphase nicht in ihrem initialen Konsonanten übereinstimmten, sondern im Vokal. Der Befund, dass Kinder im Alter von zwei Monaten nicht anders auf Silben reagieren, die bereits vorher präsentierte Lautsegmente enthalten, als auf Silben, die keine bereits vorher präsentierten Lautsegmente enthalten, spricht nach Auffassung der Autoren dafür, dass Silben als holistische Einheiten wahrgenommen bzw. repräsentiert werden. Direkt kontrastiert wurde die Sensitivität gegenüber Silben und kleineren Segmenten in zwei weiteren Arbeiten von Bijeljac-Babic/Bertonicini/Mehler (1993) sowie Bertoncini et al. (1995). In der Studie von Bijeljac-Babic/Bertonicini/Mehler (1993) wurde untersucht, ob Neugeborene auf die Veränderung der Silbenzahl sprachlicher Stimuli stärker reagieren als auf die Veränderung der Lautzahl. Dazu wurde 3 bis 4 Tage alten Kindern in der Habituierungsphase eine Sequenz von Wörtern mit identischer Silbenzahl, entweder zwei- oder dreisilbige, präsentiert. Nach Erreichen des Habituierungskriteriums wurde zu Wörtern mit anderer Silbenzahl übergegangen, d.h. die Kinder, die zunächst ausschließlich zweisilbige Wörter gehört hatten, hörten nun dreisilbige und die Kinder, die zunächst ausschließlich dreisilbige Wörter gehört hatten, hörten nun zweisilbige. Bei beiden Gruppen zeigte sich ein deutlicher Anstieg der Saugfrequenz bei der Präsentation von Wörtern mit anderer Silbenzahl. In einem weiteren Experiment wurde untersucht, ob Kinder desselben Alters ebenso auf die Veränderung der Zahl der Lautsegmente von Wörtern reagieren. Dazu wurden zweisilbige Pseudowörter verwendet, die entweder aus vier oder aus sechs Phonemen bestanden (z.B. rifu, suldri). In der Habituierungsphase wurden ausschließlich vierbzw. sechsphonemige Sequenzen präsentiert. Nach Erreichen des Habituierungskriteriums wurden den Kindern Pseudowörter mit einer anderen Phonemanzahl dargeboten, was nicht zu einem signifikanten Anstieg der Saugrate führte. Nach diesen Befunden scheint die Anzahl der Silben zu den Eigenschaften der sprachlichen Stimuli zu gehören, die die Kinder extrahieren und als konstante Eigenschaft der verschiedenen sprachlichen Reize wahrnehmen. Für die Anzahl der Lautsegmente eines sprachlichen Reizes gilt dies offensichtlich nicht.
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Barbara Höhle/Jürgen Weissenborn
Es bleibt aber unklar, ob das gefundene Ergebnismuster nicht auch auf eine größere Sensitivität gegenüber Vokalen als gegenüber Konsonanten zurückgeführt werden könnte, da eine Veränderung der Silbenzahl automatisch die Anzahl der Vokale ändert. Es wäre also denkbar, dass die Kinder ausschließlich auf die Veränderung der Menge oder der Typen der Vokale reagiert haben. Die Vermutung wird durch die oben berichteten Befunde gestützt, nach denen Neugeborene stärker auf neue Vokale als auf neue Konsonanten in den ihnen präsentierten sprachlichen Reizen reagieren. Zudem bringt eine Veränderung der Silbenzahl eine Veränderung des rhythmischen Musters der sprachlichen Stimuli mit sich. Nach Befunden von Morgan (1996; siehe auch Morgan/Saffran 1995) zeigen sechs Monate alte Kinder eine stärkere Sensitivität gegenüber dem rhythmischen Muster einer zweisilbigen Sequenz als gegenüber dem segmentalen Aufbau dieser Silbenabfolge. Im Vergleich verschiedener rhythmischer Grundeinheiten deutet sich allerdings eine besondere Stellung der Silbe an. So fanden Bertoncini et al. (1995) bereits bei Neugeborenen eine stärkere Sensitivität gegenüber Silben als gegenüber anderen rhythmischen Grundeinheiten. Sie präsentierten französischen neugeborenen Kindern japanische Wörter. Im Japanischen ist - anders als im silbenzählenden Französischen - nicht die Silbe die kleinste Rhythmuseinheit, sondern die sogenannte More. Die More kann im Japanischen einer Silbe entsprechen, wie es für alle CV-Silben der Fall ist. Das Japanische verfügt jedoch auch über ein allerdings sehr eingeschränktes - Inventar an geschlossenen Silben, in deren Coda im allgemeinen ein nasaler Konsonant auftritt. Dieser nasale Konsonant ist eine eigenständige More, d.h. geschlossene Silben bestehen im Japanischen grundsätzlich aus zwei Moren. So besteht beispielsweise das japanische Wort kango aus zwei Silben kan-go aber aus drei Moren ka=n=go. Ein Indikator für die rhythmische Relevanz der More im Japanischen ist die Tatsache, dass in der japanischen Metrik die More und nicht die Silbe wesentlich für die Bestimmung des Versmaßes ist (vgl. Otake et al. 1993). Bei den französischen Kindern zeigte sich in dem Experiment zwar eine Reaktion auf die Veränderung der Silbenzahl bei den japanischen Wörtern, d.h. zweisilbige wurden von dreisilbigen differenziert, aber keine Reaktion auf die reine Veränderung der Morenzahl, d.h. zweisilbige bimoraische Wörter wurden nicht von zweisilbigen trimoraischen Wörtern differenziert. Dieses Muster entspricht dem erwachsener französischer Sprecher, die innerhalb japanischer Wörter stärker auf Silben als auf Moren reagieren, nicht aber dem japanischer erwachsener Sprecher, die stärker auf Moren reagieren (Otake et al. 1993). Das Ergebnis bei den Neugeborenen lässt zwei Interpretationsmöglichkeiten offen. Entweder spielt die Silbe zu Beginn des Spracherwerbs eine besondere Rolle für die Sprachperzeption und die bei Erwachsenen beobachteten sprachspezifischen Unterschiede (vgl. Abschnitt 3) entwickeln sich erst im Verlauf des Spracherwerbs. Man könnte aber auch vermuten, dass sich bereits bei Neugeborenen die Adaptation an die für die jeweilige Umgebungssprache relevante rhythmische Grundeinheit vollzogen hat, denn rhythmische Merkmale von Sprache gehören wohl zu den Eigenschaften, die der Fötus schon im Mutterleib wahrnehmen kann (vgl. Jusczyk 1997). Dafür spricht, dass Neugeborene zwar in der Lage sind, rhythmisch divergierende Sprachen zu diskriminieren, nicht aber rhythmisch identische (Nazzi/Bertoncini/Mehler 1998). Für eine Entscheidung zwischen diesen beiden Interpretationsmöglichkeiten sind Untersuchungen zur Sensitivität gegenüber Silben und Moren bei japanischen Kindern nötig, die jedoch bislang nicht vorliegen.
Lauter Laute? 3.
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Laut- und Silbendetektion bei Erwachsenen
Vergleiche der Sensitivität gegenüber Silben und Phonemen bei Erwachsenen sind zunächst vor allen Dingen im Zusammenhang mit der Frage nach der kleinsten Einheit der Sprachperzeption durchgeführt worden. Hintergrund dieser Untersuchungen war die Frage, ob bei der Identifizierung von Wörtern in der gesprochenen Sprache prälexikalische Repräsentationseinheiten eine Rolle spielen, oder ob direkt vom Signal ausgehend auf eine lexikalische Repräsentation ohne eine vermittelnde sublexikalische Einheit zugegriffen werden kann. In der Diskussion um die Art möglicher sublexikalischer Einheiten spielte das Phonem von Anfang an nur eine Nebenrolle, da bislang vollkommen unklar ist, ob und wenn ja, auf welche Weise, Phoneme trotz der massiven kontextabhängigen Variation ihrer phonetischen Realisierungen vom Hörer prälexikalisch identifiziert werden können. Da Koartikulationseffekte innerhalb von Silben stärker sind als über Silbengrenzen hinweg, und somit Silben auch in unterschiedlichen Kontexten stabilere akustische Muster aufweisen als einzelne Laute, könnte die Silbe einen geeignetereren Kandidaten für eine prälexikalische Zugriffseinheit darstellen als das Phonem. In diesem Fall könnte man vermuten, dass während der Verarbeitung gesprochener Sprache durch den Zugriff auf ein mentales Silbenlexikon (vgl. Levelt/Wheeldon 1994) zunächst silbische Einheiten aus dem sprachlichen Input identifiziert werden und ausgehend von diesen silbischen Einheiten Zugriffsmechanismen auf das eigentliche Wortlexikon gestartet werden. Eine Identifizierung einzelner Phoneme könnte dann frühestens nach der Silbenerkennung erfolgen oder sogar erst nach der lexikalischen Identifizierung einer Wortform, nämlich über den Zugriff auf lexikalisches Wissen über den segmentalen Aufbau einer Silbe bzw. einer Wortform (siehe z.B. Foss/Swinney 1973; Mehler/Segui/Frauenfelder 1981). Tatsächlich zeigten sich in einer Reihe von Experimenten Vorteile für die Identifizierung von Silben gegenüber der Identifizierung einzelner Phoneme (Mehler/Seguie/ Frauenfelder 1981; Savin/Bever 1970). Mehler/Seguie/Frauenfelder (1981) fanden bei generell längeren Identifizierungszeiten für wortinitiale Konsonanten als für wortinitiale Silben sogar eine Korrelation in den Identifizierungszeiten einer wortinitialen Silbe und dem initialen Konsonanten dieser Silbe. Dieser Befund stützt die Annahme, dass zunächst Silben identifiziert und erst in einem zweiten Schritt diese in ihre segmentalen Bestandteile zerlegt werden. Auch der Vergleich von Erkennungszeiten für silbenentsprechende und nicht-silbenentsprechende Phonemsequenzen zeigt Vorteile für silbenentsprechende Einheiten, wobei sich in dieser Hinsicht allerdings sprachspezifische Effekte andeuten. Ein in diesem Bereich klassisches Experiment wurde von Mehler et al. (1981) zum Französischen durchgeführt. In dieser Untersuchung mit dem sogenannten Phonem-SequenzMonitoring-Paradigma hatten die Probanden die Aufgabe, auf eine Reaktionstaste zu drücken, sobald sie in einer Folge von auditiv präsentierten Wörtern ein Wort entdeckten, dass eine vorher spezifizierte Lautsequenz enthielt. Variiert wurde dabei, ob die Lautsequenz in dem Wort, in dem sie auftrat, einer Silbe entsprach oder nicht (z.B. Lautfolge pal in pa-lace oder in pal-mier oder Lautfolge pa entsprechend in den beiden Wörtern). Den Ergebnissen zufolge wurde die Lautsequenz jeweils dann
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Barbara Höhle/Jürgen Weissenborn
schneller identifiziert, wenn sie einer Silbe des kritischen Wortes entsprach, d.h. in pal-mier wurde die Folge pal schneller erkannt als die Folge pa während in pa-lace die Folge pa schneller erkannt wurde als die Folge pal. Gerade die Tatsache, dass in diesem Experiment ein Nachteil für subsilbische Sequenzen (pa in palmier) auftrat, spricht deutlich für die Rolle der Silbe während der Sprachperzeption, da diese subsilbischen Lautfolgen bei einer sequentiellen Identifikation einzelner Laute bzw. Lautketten schneller identifizierbar sein müsste als die Silbe, die mehr Laute umfasst und somit rein akustisch erst später vollständig erkennbar sein dürfte. Es kamen allerdings schnell Zweifel an der Universalität der dominanten Rolle der Silbe als prälexikalischer Verarbeitungseinheit auf, da Silben, vor allem Silbengrenzen, nicht in allen Sprachen so einfach zu identifizieren sind wie im Französischen und sich Silben daher nicht in allen Sprachen in gleicher Weise als prälexikalische Verarbeitungseinheit eignen. In einer vollkommen analogen Untersuchung mit englischem Sprachmaterial und englischen Probanden (Cutler et al. 1986) fanden sich denn auch keine Hinweise für schnellere Erkennungszeiten für Silben gegenüber nicht-silbenentsprechenden Lautfolgen, vielmehr waren die Ergebnisse für die silbenentsprechenden und die nicht-silbenentsprechenden Folgen vergleichbar. Im Vergleich zum Französischen verfügt das Englische über mehr Silben mit komplexeren Strukturen, sowie über weniger klare Silbengrenzen mit ambisilbischen Konsonanten. Aufgrund dieser Eigenschaft sind Silben im Englischen schwieriger zu identifizieren als im Französischen und dienen deshalb möglicherweise nicht als prälexikalische Einheiten. Offensichtlich reflektieren die Unterschiede in den Ergebnissen zwischen dem Experiment zum Französischen und dem Experiment zum Englischen jedoch nicht direkt Unterschiede in der Klarheit der Silbengrenzen im verwendeten Stimulusmaterial. Dies zeigen Befunde eines weiteren methodisch identischen Experiments (Cutler et al. 1986), in dem französischen Probanden englisches Sprachmaterial und englischen Probanden französisches Sprachmaterial präsentiert wurde. Hierbei zeigte jede Probandengruppe genau das gleiche Leistungsmuster wie bei muttersprachlichem Material, d. h. die französischen Sprecher konnten auch in den englischen Wörtern silbenentsprechende Lautsequenzen besser identifizieren als nicht silbenentsprechende Sequenzen. Dagegen zeigten die englischen Probanden auch bei den französischen Wörtern keinen Unterschied zwischen silbenentsprechenden und nicht-silbenentsprechenden Lautsequenzen. Danach scheinen Sprecher verschiedener Sprachen über unterschiedliche Segmentationsmechanismen zu verfügen. Cutler und Mitarbeiter (Cutler et al. 1992) äußern die Vermutung, dass diese Verarbeitungsmechanismen in Abhängigkeit von der phonologischen Struktur der Umgebungssprache während des frühen Spracherwerbs geprägt werden. Relevant für Unterschiede zwischen Sprachen scheint hierbei vor allem zu sein, welches die rhythmische Grundeinheit einer jeweiligen Sprache ist. Im als silbenzählend geltenden Französischen ist dies die Silbe, während im sogenannten akzentzählenden Englischen der Fuß, d. h. eine Folge aus einer starken Silbe und eventuell folgenden schwachen Silben, die rhythmische Grundeinheit darstellt. Tatsächlich gibt es Hinweise darauf, dass Grenzen vor starken Silben für Sprecher des Englischen besonders relevante Strukturierungspunkte im Signal darstellen, während für Sprecher des Französischen der metrische Status einer Silbe in dieser Hinsicht keine Rolle spielt (Cutler/Norris 1988; Cutler et al. 1992).
Lauter Laute?
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Die Annahme der Rhythmusabhängigkeit prälexikalischer Verarbeitungsmechanismen wird auch durch Befunde zum Japanischen gestützt. Wie bereits erwähnt, ist im Japanischen die More, die entweder einer Silbe entsprechen kann oder kleiner als eine Silbe sein kann, die rhythmische Grundeinheit. Falls rhythmische Eigenschaften der Sprache tatsächlich mit der Art von sublexikalischen Perzeptionseinheiten korrelieren bzw. diese bestimmen, sollte im Japanischen, anders als im Französischen, nicht die Silbe als Ganzes die relevante Größe darstellen, sondern die More. Dieser Frage wurde in einem Phonem-Sequenz-Monitoring Experiment mit japanischen Sprechern und japanischem Stimulusmaterial nachgegangen (Otake et al. 1993). Hierbei wurden zweisilbige Wortpaare verwendet, die in den ersten drei Phonemen übereinstimmten (z.B. tanishi - tanshi). Bei einem Paarling war die erste Silbe immer eine CV-Silbe, beim anderen Paarling handelte es sich stets um eine CVC-Silbe mit einem nasalen Konsonanten in der Codaposition. In allen Wörtern war die initiale CV-Sequenz die erste More des Wortes, die Wörter eines Paares unterschieden sich allerdings in Hinblick auf den Status des folgenden nasalen Konsonanten. In dem Wort mit initaler CV-Silbe war dieses /n/ der Anlaut der zweiten Silbe und somit auch der Anlaut der zweiten More, in dem Wort mit initialer CVC-Silbe war dieses Inj der Auslaut der ersten Silbe und eine selbständige More. Als zu identifizierende Phonemsequenzen wurden entweder die ersten beiden Phoneme der kritischen Wörter (z.B. ta) oder die ersten drei Phoneme der kritischen Wörter (z.B. tan) verwendet. Es zeigte sich im Japanischen kein dem Französischen analoger Silbeneffekt, d.h. ta wurde in tanishi nicht schneller erkannt als in tanshi und tan wurde in tanshi nicht schneller entdeckt als in tanishi. Die Tatsache, dass die CV-Sequenz, die in allen Fällen der ersten More des Wortes entsprach aber nicht immer der ersten Silbe, in Wörtern mit initialer CVSilbe genauso schnell entdeckt wurde wie in Wörtern mit initialer CVC-Silbe spricht nach Meinung der Autoren für einen Vorteil der Entdeckung morenentsprechender Einheiten in dieser Art von Aufgabenstellung. Französische Sprecher zeigten dagegen bei dem japanischen Material den für das Französische typischen Silbeneffekt, d.h. sie entdeckten wiederum die silbenentsprechenden Folgen schneller als diejenigen, die entweder länger oder kürzer als eine Silbe waren. Cutler und Mitarbeiter (1992) vermuten, dass die Verarbeitungsmechanismen aufgrund einer angeborenen Sensitivität gegenüber rhythmischen Grundelementen der Sprache während des frühen Spracherwerbs in Form einer Parametersetzung entsprechend der metrischen Eigenschaften des sprachlichen Inputs, auf die für die Muttersprache relevante rhythmische Einheit fixiert werden. Da bilinguale Sprecher offensichtlich nur über einen Verarbeitungsmechanismus verfügen, den sie auf beide Sprachen anwenden, scheint dieser Parameter nur einmal gesetzt werden zu können. Allerdings zeigen neuere Untersuchungen, dass das Auftreten von Silbeneffekten in Phonem-Sequenz-Monitoringaufgaben mit Variationen im Stimulusmaterial oder der Art der Aufgabendurchführung bei ein und derselben Probandengruppe manipuliert werden kann (Höhle/Schriefers 1995; Sebastian-Galles et al. 1992). Die Untersuchungen an erwachsenen Sprechern machen deutlich, dass nicht generell über verschiedene Sprachen hinweg von einem Vorteil in der Perzeption von Silben gegenüber subsilbischen Lautfolgen ausgegangen werden kann. Allerdings verfügen erwachsene Sprecher - auch wenn sie Vorteile der Silbe zeigen, wie beispielsweise die französischen Probanden - generell über die Fähigkeit, auch subsilbische
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Barbara Höhle/Jürgen Weissenborn
Elemente zu identifizieren. Da Säuglinge - wie oben berichtet - noch keine Sensitivität gegenüber subsilbischen Elementen zeigen, stellt sich die Frage, in welchem Alter und aufgrund welcher Faktoren sich die Fähigkeit zur Erkennung von einzelnen Lauten bzw. die Fähigkeit zur Segmentierung sprachlicher Reize in subsilbische Elemente entwickelt.
4. Die Entwicklung der Fähigkeit zur Lautsegmentation Noch bei Vorschulkindern zeigt sich eine starke Diskrepanz zwischen der Fähigkeit, Aufgaben zu lösen, die die Segmentation eines Wortes in Lautsegmente erfordern und der Fähigkeit Aufgaben zu lösen, die die Segmentation eines Wortes in Silben erfordern. Klassisch in dieser Domäne sind die sogenannten 'tapping-tasks', bei denen die Kinder durch Klopfen wiedergeben sollen, aus wievielen Silben bzw. Lauten ein Wort besteht. In zwei Arbeiten mit diesem Paradigma (Liberman et al. 1974; Treiman/ Baron 1981) zeigte sich übereinstimmend, dass Vorschulkinder diese Aufgabe relativ gut lösen, wenn sie auf die Silbenzahl eines Wortes reagieren sollen, nicht aber wenn sie auf die Anzahl der Laute in einem Wort reagieren sollen. Erstklässler zeigten sowohl in der silbenbezogenen als auch in der lautbezogenen Aufgabe weitaus bessere Leistungen, bei ihnen war der Leistungsunterschied zwischen den beiden Aufgabentypen zudem nicht mehr so deutlich wie bei den jüngeren Kindern. Diese Unterschiede zwischen silben- und phonembezogenen Aufgaben sind nicht nur darauf zurückzuführen, dass die Silbe als rhythmische Einheit der Klopfaufgabe besonders gut zugänglich ist, denn dasselbe Muster von besseren Leistungen bei silbischen gegenüber subsilbischen Elementen zeigt sich auch bei anderen Aufgabenstellungen. Treiman/Zukowski (1991) präsentierten Kindern Wortpaare mit der Aufgabe zu entscheiden, ob die beiden Wörter eines Paares gemeinsame Laute aufwiesen. Fünfjährige Vorschulkinder zeigten weitaus schlechtere Leistungen bei Wörtern, in denen die gemeinsamen Phoneme nicht einer Silbe entsprachen (z.B. plank-plea) bzw. wenn es sich lediglich um ein Phonem handelte (z.B. steak-sponge) gegenüber der Übereinstimmung in einer gesamten Silbe (z.B. hammer-hammock). Bei im Schnitt siebenjährigen Schulkindern zeigte sich dieser Unterschied zwischen subsilbischen und silbischen Ubereinstimmungen nicht mehr. Die Tatsache, dass zwischen Kindern im Vorschulalter und Kindern, die die erste Klasse besuchen, ein Leistungssprung bei der Lösung von phonembezogenen Aufgaben zu beobachten ist, lässt die Frage auftauchen, ob dieses relativ plötzliche Auftauchen von Phonemsensitivität Ausdruck eines spontanen kognitiven Reifungsprozesses ist, der sich während des 7. Lebensjahres vollzieht, oder ob der in der ersten Klasse beginnende Schriftspracherwerb ursächlich für das Entstehen von Phonemsensitivität ist. Vorliegende Befunde an Kindern und Erwachsenen sprechen eher für einen direkten Zusammenhang zwischen dem Erwerb eines alphabetischen Schriftsystems und dem damit verbundenen Erlernen von Beziehungen zwischen Graphemen und Phonemen und der Erlangung eines 'Phonembewusstseins'. Mann (1986) verglich die
Lauter Laute?
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Sensitivität gegenüber Silben und Phonemen bei amerikanischen und japanischen Erstklässlern im Alter von ca. 7 Jahren. Die japanischen Kinder waren den amerikanischen bei Aufgaben überlegen, die eine Sensitivität gegenüber Silben bzw. Moren erforderten, sie waren jedoch bei Aufgaben weit unterlegen, die eine Sensitivität gegenüber einzelnen Phonemen voraussetzten. Die Frage, ob sich die Sensitivität gegenüber Phonemen spontan entwickelt oder mit dem Erwerb einer alphabetischen Schrift verbunden ist, lässt sich darüber hinaus im Japanischen besonders gut untersuchen, da japanische Kinder ab der 4. Klasse eine rudimentäre Anleitung in einem alphabetischen Schriftsystem erhalten und somit bei ihnen zeitlich verzögert die Entwicklung von Sensitivität gegenüber Phonemen zu beobachten sein sollte. Ein Vergleich zwischen Kindern am Beginn der 4. Klasse, die noch keine alphabetischen Schreibübungen durchlaufen hatten, und Kindern der 6. Klasse, bei denen diese abgeschlossen waren, zeigte erheblich bessere Phonemleistungen der Kinder der sechsten Klasse als der der vierten Klasse. Dieser Befund spricht für eine direkte Auslösung der Sensibilität gegenüber einzelnen Lautsegmenten durch das Erlernen eines alphabetischen Schriftsystems. Dass nicht nur die Art des Schriftsystems sondern auch die Methode der Vermittlung eine Rolle bei der Entwicklung der Fähigkeit zur Lautsegmentation spielt, zeigen Befunde von Alegria/Pignot/Morais (1982). Sie fanden, dass Erstklässler, in deren Leseunterricht eine Ganz-Wort-Methode verwendet wurde, weitaus schlechter in einer Aufgabe abschnitten, in der bei CVC-Sequenzen der initiale und der finale Konsonant zu vertauschen war, als gleichaltrige Kinder, die anhand einer Methode, die PhonemGraphem-Korrespondenzen beinhaltete, unterrichtet wurden. Die Leistungen der beiden Gruppen unterschieden sich jedoch nicht, wenn es sich bei den zu vertauschenden Segmenten um Silben handelte. Befunde bei Erwachsenen sprechen ebenfalls für die Rolle alphabetischer Schriftsprachkenntnisse für die Entwicklung eines Phonembewusstseins. So zeigen sich bei erwachsenen Analphabeten ähnlich wie bei Vorschulkindern erheblich mehr Fehler bei phonembezogenen als bei silbenbezogenen Aufgaben (Moráis et al. 1986; Moráis et al. 1979). Erwachsene Chinesen, die ausschließlich das chinesische logographische Schriftsystem beherrschen, haben zudem mit der Lösung von Phonemlöschungs- und additionsaufgaben weitaus größere Schwierigkeiten, als im Alter und im Bildungsstand vergleichbare Probanden, die neben dem logographischen Schriftsystem auch ein alphabetisches beherrschen (Read et al. 1986).
5.
Fazit
Unser Überblick zeigt, dass die Sensitivität gegenüber einzelnen Lautsegmenten offensichtlich nicht angeboren ist, sondern sich erst während des Spracherwerbs entwickelt. Das Bewusstsein, dass Wörter aus einer Kette von Lauten bestehen, scheint sich nicht spontan zu entwickeln, sondern nur unter der Voraussetzung des Erwerbs eines alphabetischen Schriftsystems, möglicherweise sogar nur unter Anwendung einer Unter-
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Barbara Höhle/Jürgen
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richtsmethode, die Phonem-Graphem-Korrespondenzen explizit macht. Es ist sogar denkbar, dass die in der Linguistik und Psycholinguistik vorherrschende Vorstellung, die mentale phonologische Repräsentation einer Wortform beinhalte unter anderem auch eine segmentale Ebene falsch ist, oder zumindest für Vorschulkinder nicht zutrifft. Von verschiedenen Spracherwerbsforschern wurde die Vermutung formuliert, dass die ersten während des Spracherwerbs aufgebauten phonologischen Repräsentationen holistisch sind und sich erst durch den Druck des wachsenden Lexikons eine silbische Repräsentationsebene und später eine segmentale herausbildet (z.B. Ferguson 1986). Empirische Befunde zeigen tatsächlich eine Veränderung des Einflusses von Silben hin zu einzelnen Lautsegmenten, sowohl in der Perzeption als auch in der Produktion während des Vorschulalters (s. Fowler 1991). Die möglichen Wechselwirkungen zwischen diesem Prozess und dem beginnenden Schriftspracherwerb sind bislang jedoch unklar. Damit stellt sich eine Frage, die noch unbeantwortet bleiben muss, deren Antwort aber sicherlich für die Einordnung von Störungen des Schriftspracherwerbs relevant ist: Ist nur die Bewusstwerdung der segmentalen Organisation phonologischer Repräsentationen ein Entwicklungsprozess, der durch den Schriftspracherwerb beeinflusst wird oder gilt dies für die Entstehung einer segmentalen phonologischen Repräsentationsebene selbst?
Literatur
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Adelbert
Schübel
Mit der Silbe besser rechtschreiben?
0. Vorbemerkungen
Befragt man erfahrene Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer nach Grundregularitäten bzw. Prinzipien der deutschen Orthographie, so führen sie überwiegend segmentalphonologische, morphologische und grammatische an. Bezüge zum Silbischen werden zumeist nicht hergestellt; es sei denn, es erfolgt eine Präzisierung im Hinblick auf Regelungen zur Silbentrennung. Silbenstrukturelle Gesetzmäßigkeiten, die über die Regelungen zur Silbentrennung hinausgehen, sind wenig oder gar nicht bekannt. Selbst in aktuellen Sprachbüchern muß man lange nach weiteren Informationen über Silbenstrukturen und entsprechend motivierten Ableitungen von Wortschreibungen suchen. Ganz im Gegensatz zu linguistischen Publikationen. In den 80er Jahren entwickelte sich die Silbenphonologie zu einem beliebten Forschungsgegenstand, und in zahlreichen Veröffentlichungen wird versucht, Zusammenhänge zwischen der Regelhaftigkeit von Silbenstrukturen und der Orthographie des Deutschen zu beschreiben. (Vennemann 1982, 1986; Butt/Eisenberg 1990; Wiese 1991; Pompino-Marschall 1993; Eisenberg 1993, 1995, 1998; Ossner 1996 u.a.). Dass solche Überlegungen bisher wenig Widerhall in der (rechtschreib-)didaktischen Diskussion fanden, verwundert auf den ersten Blick, erscheint allerdings erklärbar, wenn, ausgehend von den Stufen des Schriftspracherwerbs, eine Favorisierung der Lautschrift, also des phonographischen Anteils der Schrift (vgl. Schmid-Barkow 1997: 58f.), befürchtet wird. Die Angst, dass die Ausbildung von Schriftsprachkompetenz und Sprachbewusstheit im Rahmen des Ersterwerbs durch eine Uberbetonung des 'Hörens' retardiert, scheint durchaus berechtigt, vor allem dann, wenn der morphematische Aspekt, d.h. die Ableitung der Wortschreibung von Stammmorphemen und Wortbildungsmorphemen und die Bedeutungserschließung über Morpheme, vernachlässigt wird. Andererseits stellt die Silbe als sozusagen naturgewachsene sprachliche Universalie innerhalb des Spracherwerbsprozesses ein Element dar, über das die Kinder intuitiv verfügen können und das sie auch immer wieder, vor allem sprachspielerisch, gern nutzen. Syllabierendes Sprechen muss nicht gelernt werden, es funktioniert, auch atemphysiologisch bedingt, wie von selbst. Kinder, selbst taubstumme, verfügen über die vom Sprachgefühl gesteuerte rhythmisch-artikulatorische bzw. rhythmisch-motorische Gliederungsfähigkeit der Sprache (vgl. Schmid-Barkow 1997: 54). Diese intuitive syllabische Strukturierungskompetenz der Kinder kann zunächst vor allem in frühen Phasen des Schriftspracherwerbsprozesses genutzt werden. Das mit dem Syllabieren verbundene Segmentieren schafft die ersten Voraussetzungen, neben die zwar äußerst wichtige, sozusagen als Ausgangs-
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Adelbert Schiibel
punkt für das Lesen- und Schreibenlernen fungierende alphabetische Strategie eine weitere, z.T. effektivere und in vielen Fällen auch zuverlässigere Strategie zu stellen. Erfordert die alphabetische Strategie eine aufwendige Laut-Buchstaben-Analyse, so operiert die silbische Strategie nunmehr mit größeren Segmentierungs-Einheiten (vgl. Schmid-Barkow 1997: 60). Es wird so etwas wie ein sensorisches, zumeist nicht semantisch gebundenes 'Bauteil-Verständnis', zunächst auf silbischer Basis, angebahnt, das schließlich den Übergang zum kognitiven morphologisch-semantischen 'Bauteil-Bewusstsein' vorbereitet. Dass die silbische Strategie auch die Entwicklung von inneren Regelbildungsprozessen beim Rechtschreiblernen stützt, wird bei der Nutzung der sogenannten 'Pilotsprache' deutlich. Die 'Pilotsprache' ist nichts anderes als das sprechmotorisch zum Ausdruck gebrachte Wissen über die Silbensegmente eines Wortes: Medaille = Me I da I il / le. Diese silbensegmentierende Schreibhilfe wird selbst von fortgeschrittenen Schreiberinnen und Schreibern häufig erfolgreich praktiziert. Solche Erkenntnisse aufgreifend, liegt es sehr nahe, intensiver darüber nachzudenken, wie sich die Silbe als Segmentierungseinheit für den Rechtschreiberwerb nutzen lässt.
1.
Über Sprechsilben, Schreibsilben, Silbengelenke und andere silbische Phänomene
Silbe ist nicht gleich Silbe. Dies wird dann bewusst, wenn man versucht, gesprochene silbische Wortsegmente mittels der GPK-Regeln in geschriebene Sprache zu übertragen. Vor allem bei fließendem Sprechen erschweren Reduktionsphänomene die Identifizierung der Silbe als abgrenzbares Segment. Die natürlichsprachliche Reduktion gesprochener Sprache kann sogar so weit führen, dass zweisilbige Einheiten durch die Reduktion der unbetonten Silbe zu einsilbigen verkürzt werden (1). (1)
(se-hen) - [ze:n]
Allerdings sind von derartigen Silbenverschmelzungen im Deutschen nur unbetonte Silben betroffen. Offensichtlich unterscheiden sich bei nicht wenigen Wortformen die 'Bauteile' geschriebener und gesprochener Silben, und offensichtlich unterliegt deren Schreibung ganz spezifischen silbenbezogenen Regeln. In der gesprochenen Sprache dient die Silbe eher als rhythmisch-prosodisches Strukturelement denn als Segment mit klar markierten Grenzen. Gerade weil die gesprochene Silbe keine fixe Einheit darstellt, müssen Versuche scheitern, sie als segmentale Einheit zu definieren (vgl. Pompino-Marschall, 1993: 62f.) - ganz im Gegensatz zur geschriebenen Silbe bzw. zur „Schreibsilbe", wie Eisenberg (1989) dieses Phänomen benennt. Die Schreibsilbe verfügt über eine weitaus größere Regularität sowie über weniger Varianten, und sie ist einfacher strukturiert (vgl. Butt/Eisenberg 1990: 55). Schreibsilben sind Einheiten, die sich aus der unabhängig von der Phonologie ermittelten typischen Verteilung von Graphemen unterhalb der Wortebene ergeben.
Mit der Silbe besser Rechtschreiben?
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So kann z. B. der Silbenkern einer Schreibsilbe in der Regel mit einem von nur acht möglichen Vokalgraphemen , nämlich (a), (ä), (e), (stem)ffi s w Then: (pref),,, (sterni
The conclusion that assimilation is not a valid diagnostic for pword structure conflicts with Wiese's analysis, who claims that nasal assimilation "can only apply between segments if the two segments belong to the same phonological word." (Wiese 1996: 68). As for the initial main stress of /N-prefixations, which he treats under "deviant expressions" in the section on simplexes rather than on the section on prefixed words he claims that it "can be explained by reference to an implicit contrast between the negative form and its positive counterpart responsible" (1996: 285). What is apparently implied here is that stress is conditioned not by prosodie structure but rather by semantic or pragmatic properties. This description fails to account for the correlation between stress and syllable structure shown in 19. It further fails to account for the generalization that all non-head prefixes have main stress, including those which have no negative meaning (e.g. Uròpa, Vóràbend, Próseminàr). Finally, the description fails to account for the systematic difference between English and German stated in 22, unless it were claimed that the languages differ in that 'implicit contrast' is marked by main stress in German but by secondary stress in English. Once it is recognized that assimilation is not a valid diagnostic for pword structure the stress patterns of words derived by iN-prefixation are no more 'deviant' than those of any other prefixed words. While main stress generally correlates with other prosodie properties to indicate that non-head prefixes form separate pwords in German this is not always the case. Both the prefixes sub- and pan- form separate domains of syllabification (cf. the LOIviolations in 23) and resist vowel reduction. Yet, they fail to carry main stress: (23)
a.
sub.atomár 'subatomic' sub.árktisch 'subarctic' sub.linguál 'sublingual' sub.rezént 'subrecent'
b.
Pan.islamismus 'pan-Islamism' pan.afrikánisch 'pan-African' Pan.amérika 'pan-America' Pan. europa 'pan-Europe'
There is some evidence that relative prominence in the words in 23 is unstable and will eventually reverse to conform with the regular pattern in 22b. For a few words derived by swfr-prefixation innovative variants with reversed relative prominence are already attested (cf. sùbàrktisch in Krech 1982, sùbrezènt in Drosdowski 1990). Moreover, all a- and /N-prefixations have undergone relative prominence reversal in this century which indicates that this sound change is a general tendency whereby nonnative prefixes adjust to the rule for native prefixes. I conclude then, mainly on the basis of weight-insensitivity (and syllabification), that the prefixes in 23 form separate pwords which are idiosyncratically marked for weak relative prominence.
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Evidence for word-internal phonological words in German
3. Words derived by suffixation
While all prefixes form a separate domain of syllabification in German, there are two types of suffixes: those which are syllabified together with the stem versus those which are not. The two classes are distinguished phonologically: the first class includes all vowel-initial suffixes while the latter includes all consonant-initial suffixes (cf. Wiese 1996 and Booij 1985 for a similar observation for Dutch). The claim that consonant-initial suffixes are not integrated into the domain of syllabification of their stem is based on LOI-violations in careful standard pronunciation illustrated in 24: (24) -tum -nis -los -mut -voll -lein
Deut[f.t]um 'Germanness' Schre[k.n]is 'horror' schla[f.l]os 'sleepless' Gro[s.m]ut 'magnanimity' ma[s.f]oll 'moderate' Flä[f.l]ein 'small bottle'
(cf. (cf. (cf. (cf. (cf. (cf.
[ft]ier 'bull') [kn]ie 'knee') [fl]asche 'bottle') [smjaragd 'smaragd') [sf]äre 'sphere') [fljauch 'hose')
The distinct syllabifications of the clusters in each row in 24 are supported by allophonic variations. For example voiceless stops are aspirated only in syllable-initial position (e.g. [th]ier 'animal'), but not if they are preceded by another segment (e.g. [Jt]ier 'bull'). The aspiration of the /t/ in Deutsch[th]um indicates accordingly that the suffix is not syllabified together with the stem. Consider next the evidence from 'Final Devoicing' in 25. 10 (25)
a.
Gebir[k.l]er 'mountaineer' Kunstgewer[p.l]er 'artisan'
(cf. Gebir[.g]e) 'mountains' (cf. Kunstgewer[.b]e) 'arts and crafts'
b.
Nör[.gl]er 'grumbler' Grüf.bl]er 'brooder'
(cf. nör[.g]eln) 'to grumble' (cf. grü[.b]eln) 'to brood'
The systematic voicelessness of the bracketed obstruents in -/er-derivations, but not in -er-derivations, cannot be explained with reference to either segmental nor metrical structure. Rather, this difference reflects the fact that consonant-initial suffixes are not syllabified together with their stem whereas vowel-initial suffixes always are. In general, German consonant-initial suffixes form a separate domain not only of syllabification but also of stress as is shown by the weight-insensitivity of suffixal stress. Compare the German suffixes in 26a with their English cognates in 26b: 11
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The term 'Final Devoicing' refers to a non-violable constraint against voiced obstruents in coda position in German. The distinctions illustrated in 25 are represented consistently in Drosdowski (1990). This is not to deny the considerable range of variation in actual speech (cf. Eisenberg 1993: 107ff.). The main phonological source for variation is the fact that many speakers do not allow for complex onsets in schwa syllables and consequently devoice the obstruents in 25b (e.g. Nör[k.]ler). Another source of variation relates to morphology. The distinct syllabifications in 25a vs. b presuppose that speakers are aware of the morphological boundaries (e.g. Gebirg+ler vs. Nörgl+er). However, there is no reason to assume that speakers necessarily depart from the original morphological structure or even are aware of that structure when uttering these words. A similar difference shows up in other function words (cf. the English modals [kan] 'can' [fai] 'shall' with their German cognates Pean] 'kann', [zol] 'soll').
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Renate Raffelsiefen
(26) a.
[lois] -los [fol] -voll [tumi] -tum [ms] -nis [za:m] -sam [ment] -ment [let] -let
b. [las] -less [fai] -ful [dam] -dorn [nas] -ness [sam] -some [mant] -ment [lat] -let
The claim that stress is weight-sensitive in English suffixes is supported by the fact that vowels followed by clusters have generally not reduced (e.g. -fold, -most). The difference between the prosodie structures of German and English suffixed words are illustrated in 27: (27)
a.
German
b. English CG
/ X C0S
C ö
w
I Σ
I Σ
I
I
σ σ harm+lo:s 'harmlos'
σ σ harm+las 'harmless'
σ σ tu:+fo:ld 'twofold'
Since German suffixes form separate pwords stress is assigned by position and consequently is insensitive to weight. Historically, this held for English as well but synchronically suffixes no longer form pwords and hence no longer form domains for stress assignment. As a result the stability of stress in English suffixes came to be determined by weight: the more complex the coda the more stable the stress. The structure in 27a is described in 28. (28)
a.
ALIGN (C-initial SUFFIX, L; PWORD, L) ALIGN (C-initial SUFFIX, R; PWORD, R)
b.
If:
Then:
(stemJuXsuffix^
s w (stem)0) (suffix^
While the rule in 28b has no exceptions there are a few counterexamples to the rule in 28a. The occurrence of schwa in 29a shows that the suffixes do not form domains of stress. They are accordingly not pwords. (29)
a.
-1er -ner -chen -sel
Sport[lar] 'athlete' Rent[nar] 'pensioner' Wûrst[çan] 'small sausage' Mitbringfzal] 'small present'
b. -lich lieb[liç] 'lovely' -ling Lieb[lir)] 'darling' -nik Kibbuz[mk] 'member of a kibbutz'
The initial consonant in the suffixes -1er and -ner is due to the reanalysis of stem-final Un as part of the suffix which happened after the (then vowel-initial!) suffix -aere had reduced to [ar].12 The claim that reanalysis followed vowel reduction is supported by 12
I agree with Fleischer (1975: 144f.) in assuming that MHG schwa syncope in dactylic words like Radier 'bicycle rider' (i.e. ráá[a]/[a]r > rádl[s]r) triggered reanalysis. However, in my opinion the crucial impact of syncope was not its effect on the syllable structure of the agentive nouns but rather its effect on the recognition of base relations. That is, as a result of syncope agentive nouns which were derived from a morphologically complex verb (i.e.
Evidence for word-internal phonological words in German
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the fact that words which are derived by the reanalysed consonant-initial suffix are never attested with a full vowel in the suffix. Establishing this sequence of events is important because only consonant-initial suffixes form separate pwords and consequently do not allow for vowel reduction. It appears then that the alignment rule in 28a, which relates morphological to prosodie structure, is blocked when a suffix cannot be parsed as a separate pword due to a violation of phonological well-formedness conditions (e.g. the absence of a full vowel). Similarly, the non-application of the alignment rules in 28a to the suffix -chert may be due to the phonotactic constraint against palatal fricatives in word-initial position in German. 13 Because the suffix -chen cannot be parsed as a pword stress destabilized and the stem vowel reduced to schwa. This account does not apply to the suffix -sel, a reduced variant of the suffix -sal, which continues to form a pword (i.e. [za:l]). Some conditions under which reduction took place are discussed in Wilmanns (1896: 272). All suffixes in 29a are prosodically best analysed as clitics. The prosodie form of the suffixes in 29b, which end in a high consonant, is more difficult to determine. Since MHG only high lax vowels (preferably [i]) have been allowed before high consonants in unstressed position (e.g. Pfirs[i]ch 'peach', Méss[i]ng 'brass', Grammát[i]k 'grammar'). As a result [i] and [a] are in complementary distribution in unstressed syllables in NHG: [i] occurs before high consonants whereas [a] occurs elsewhere. However, in stressed syllables [i] contrasts with other full vowels before high consonants (e.g. 5i[iç] 'sting' - P[eç] 'pitch', T[iJ] 'table' - r[aj] 'quick'). These distributions raise the question of whether the vowel [i] in the suffixes in 29b is in complementary distribution with [a], which means that those suffixes form clitics, or of whether that vowel contrasts with other full vowels, which means that those suffixes form separate pwords. While I will leave this question open here I opt tentatively for the latter alternative in view of the exceptional status of the clitic suffixes in 29a. The account of consonant-initial suffixes proposed here conflicts with Hall's claim that the suffixes -lich, -sam, and -bar are stressless (cf. Hall 1998). His first argument concerns allomorphy in the superlative affix: as a result of historical conditions on schwa syncope -3St occurs after stressed syllables which end in a coronal obstruent whereas -st occurs elsewhere. The occurrence of -st after -lich is hence claimed to indicate that the suffix is unstressed. This argument is relevant only for those German dialects in which the original palatal fricative [ç] has merged with the coronal fricative [fl: in standard German the selection of -st in words derived by -/¿c/7-suffixation is predicted on the basis of segmental structure alone. Even for the 'fricative-merger'dialects Hall's argument would hold only if merger would cause schwa-epenthesis (i.e.
13
[[[rad]N+el]v+ er ]N 'wheel + verb suffix + agentive suffix') lost phonological transparency w.r.t. the verb stem (i.e. radier - rad[a]l-), but not w.r.t. the noun stem (i.e. radier - rad). Hearers/learners were accordingly more prone to relate Radier to the noun stem Rod, with the result that the suffix was reanalysed as a denominal suffix -1er which henceforth combined with nouns (e.g. Sportier 'sport+agentive suffix'). A similar account holds for -ner. The fact that there is no reanalysed suffix -rer is due to the fact that syncope did not apply before that sequence (e.g. Wild[a]rer 'poacher'). For discussion and alternative accounts, see Fuhrhop (1998: 5 Iff.) This constraint is violated only in names and recent loanwords in northern standard NHG (e.g. China. 'China', Chemnitz 'Chemnitz', Chemie 'chemistry').
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a reselection of the superlative allomorphs). However, the short superlative form is retained in merger-dialects (e.g. f r e i s t e 'cheekiest', r e i f s t e 'richest'). The occurrence of -li\j]ste sheds therefore no light on the prosodie form of the suffix -lich. Hall's other argument from allomorphy, which affects all three suffixes, is equally problematic. Based on his claim that -keit occurs after stems ending in an unstressed syllable whereas -igkeit selects only stressed syllables the occurrence of -keit after the suffixes -lich, -sam, and -bar is interpreted as indicative of their stresslessness. However, the true condition for -/g£e/i-suffixation is far more restricted than Hall suggests: the suffix attaches only to the suffixes -haft and -los.14 A possible generalization is then that -igkeit attaches to suffixes ending in a coronal obstruent, which excludes the suffixes -lich, -sam, and -bar without referring to stress.15 The evidence from allomorphy is accordingly consistent with the analysis of -lich, -sam, and -bar as pwords, which necessarily dominate a foot. 16 Consider finally the prosodie structure of vowel-initial suffixes. The claim that bimoraic (including all bisyllabic) vowel-initial suffixes are integrated into the pword of the stem is supported by the fact that such suffixes form one domain of syllabification and of stress together with the stem. Tense vowels in pretonic position are short regardless of the length of the corresponding vowel in the base. The examples in 30a are derived by monosyllabic suffixes whereas the examples in 30b are derived by bisyllabic suffixes. (30)
a.
(emoti[o]n[à:]l)cû (cf. Emoti[ó:]n) 'emotional' (konstujlfá:]^ (cf. Kons[ú:]l) 'consular' (brav[u]r[0:]s)m (cf. Brav[ú:]r) 'brilliant' (Zitr[o]n[áí])ffl (cf. Zitr[ó:]ne) 'candied lemon peel'
b.
(sal[u]t[í:]ren)m (cf. Sal[ú:]t) 'to salute' (misfajrlaijbel^cf. Mis[é:]re) 'miserable' (Delikfaltésse)^ (cf. delik[á:]t 'delicacy' (S[a]tanísmus)ffl (cf. S[á:]tan) 'Satanism'
The prosodie form of the suffixed words in 30 is indistinguishable from that of simplexes (e.g. (banfà:]^, (Salfá:]^). Monomoraic vowel-initial suffixes, which do not carry main stress, fall into two categories: 'stress-shifting' vs. 'stress-neutral'. The question of which of these categories such suffixes belong to is not revealed by their form but rather must be considered an idiosyncratic property as is shown by the (near-)homophonous suffixes in 31a, b: (31) a.
14
15 16
Tálmúd+[if] —» talmúdisch Proton+[anjpL Protónen
b.
Élènd+[iç] -> élèndig Róbòt+ [an]INp —>• róbòten
Attaching the suffix to other forms is unacceptable (e.g. *Cooligkeit, *Fittigkeit). Alleged cases of -¿g¿e¿í-suffixation to stressed stems like Feuchtigkeit 'moistness', Schnelligkeit 'quickness' are generally reflexes of historical -fce¿f-suffixations to stems ending in -ic (e.g. MHG viuhtic+heit —» viuhticheit, snëllic+heit —> snëllicheit) with subsequent loss of the -Reforms (but not their stems viuht, snëll, etc.). As is well-known the loss of these forms is the historical source of the reanalysed fused suffix -igkeit. Similarly the English suffix -ive attaches only to stems ending in -s or -t. Hall's conclusion that -bar and -sam form pwords which do not dominate a foot (thereby presumably differing from all other sound strings) is inconsistent with the definition of pwords as domains for stress and is in need of far stronger empirical motivation than is provided.
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The behavior of 'stress-shifting' suffixes is characterized by the fact that the derived forms conform with regular stress patterns (cf. 4a). The behavior of the 'stress-neutral' suffixes is characterized by the condition that the stress contour (including relative prominence) of the stem of the derived form is identical to that of the base. In most descriptions, stress neutrality is considered the main criterion for suffix classification with the result that the suffixes in 31b are grouped together with consonant-initial suffixes and are contrasted with the vowel-initial suffixes in 30 (and 31a; cf. the distinction of class II and class I suffixes in Jessen 1999 and references therein). However, such a classification would require idiosyncratic markings on all suffixes, even though their prosodie behaviour is predictable on the basis of their phonological form in all cases except for those in 31. The alternative analysis of all vowel-initial suffixes (including those which are 'stress-neutral') as integrated into the pword of their stem in contrast to all consonant-initial suffixes (and all prefixes) presupposes that syllabification is a more critical diagnostic for pword structure than is stress. This analysis is motivated by the observation that while there exist affixes which idiosyncratically require identity of stress patterns between the derived form and the base (e.g. the suffixes in 31b) there are no affixes which idiosyncratically require that the syllable structure of the derived form (e.g. the syllable positions of all individual speech sounds) be identical to that of the base. Rather syllabification domains are entirely predictable on the basis of morphological structure and the phonological form of affixes. 17
4.
Conclusion
Currently there is no consensus that word-internal pwords are motivated for German. In addition, there is no agreement on which criteria should be used to identify them. In this paper I have argued that the domains of stress rules (excluding "identity effects"), syllabification, and vowel lengthening systematically correlate with morphological constituents, which indicates that these prosodie rules are relevant for determining pword structure. Significantly, these rules refer to precisely those units which are dominated by the pword in the prosodie hierarchy (i.e. foot, syllable, mora). The question of whether or not affixes are integrated into the pword of the stem is decided primarily on the basis of syllabification. In German vowel-initial suffixes are integrated whereas all other affixes are not integrated. The question of whether a non-integrated affix forms a separate pword is determined primarily on the basis of stress assignment. Weight-sensitivity shows that a (monosyllabic) affix does not form a separate domain of stress assignment and hence argues against analysing it as a pword (e.g. German head prefixes, English consonant-initial suffixes). Weight-insensitivity indicates that an affix forms a domain of stress-assignment in which case it should be analyzed as a pword (e.g. German and English nonhead prefixes, German consonant-initial suffixes). 17
In fact the restriction "c-initial" can be omitted from the alignment constraints in 28a if these constraints are ranked lower than the constraint which requires syllables to have an onset (cf. Prince and Smolensky 1993).
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George Smith
Word Remnants and Coordination*
0. Introduction
The German language exhibits a curious phenomenon in which certain elements which are not word forms can stand alone in the surface structure of utterances. The phenomenon has been investigated from the point of view of morphology (cf. Brettschneider 1978: 127-130, 134-139; Höhle 1982: 89-92 and Müller 1990: 334-354) and from the point of view of phonology (cf. Booij 1985; Wiese 1996: 69-72, 77, 95). For the most part, the phenomenon has been described in terms of the deletion of a phonological or morphological constituent. From this perspective, what can be observed in surface structure is that which is left over after deletion. Höhle posits deletion in the context of the boundary symbol # during the course of a derivation. Müller speaks more generally in terms of the ellipsis of morphological constituents. Booij suggests the deletion of a prosodie constituent, the phonological word, in a syntactically defined context. Wiese takes this latter position to an extreme, formulating a purely phonological rule of deletion in which a phonological word located at the edge of a phonological phrase can be deleted if the adjacent phonological phrase contains an identical phonological word. Deletability is elevated to a test for phonological wordhood. The focus on a process of deletion has resulted in a general tendency to disregard the surface structure of the utterances in which these elements occur. In this paper it will be argued that an attempt to reduce the phenomenon to a purely phonological rule of deletion is unrealistic. The grammaticality of the constructions in question is determined by phonological, morphological, syntactic and semantic factors. Further, from the perspective of phonology, it is the prosodie structure of what remains which is important, not the prosodie structure of a constituent which has been deleted during the course of a derivation. Deletability cannot be seen as a viable test for phonological wordhood. This realization is important in the context of the current discussion of prosodie structure, in which much reference is made to the phonological word, a constituent which has yet to be clearly defined. The paper is structured as follows: section 1 provides an overview of the data, section 2 discusses the data from a phonological perspective, section 3 discusses morphological issues, section 4 discusses syntactic issues, section 5 discusses semantic issues and section 6 presents a conclusion.
I would like to thank Oliver Teuber, Anja Voeste and especially Nanna Fuhrhop for helpful comments and suggestions.
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1. The Data
This section will provide a brief overview of the data. In 1, elements can be observed which correspond in some way to sub-parts of word forms which could occur in the same context. From the point of view of morphology, these elements can be seen as corresponding to a stem, a prefix, or to a sequence of stems and prefixes. (1)
a. b. c. d.
b e - u n d entladen'load and unload' verwert- oder verwendbar 'usable or applicable' Speditions- und Einzelhandelskaufmann 'shipping and retail clerk' Aktienein- und Verkäufe 'purchasing and selling of stocks'
In la, be- corresponds to a (non-separable) verbal prefix. In lb, verwert- corresponds to a derivational stem form, that is, a stem form which combines with derivational suffixes (cf. Fuhrhop 1998: 24). In le, Speditions- corresponds to a compositional stem form, that is, a (morphologically complex) stem form used in the formation of compounds (ibid.). It is not itself a word form. In particular, it is not a genitive form of the feminine noun Spedition. In Id, Aktienein- corresponds to a sequence of a compositional stem form followed by a verbal prefix. We will follow Eisenberg (1994: 43) in using the term word remnant (German Wortrest) to refer to these elements, which he takes to be syntactic base forms along with word forms and Verschmelzungen (forms such as am, a fusion of an dem). The term word remnant expresses the fact that these entities are somehow incomplete. Eisenberg remarks that what is missing can be found in the local environment. Constructions such as those in 1 can be seen as reduced forms which can be systematically related to full forms with which they are semantically identical. The material which is missing in the reduced forms is present in the full forms. The examples in 1 would then be related to the corresponding examples in 2. (2)
a. b. c. d.
beladen und entladen verwertbar oder verwendbar Speditionskaufmann und Einzelhandelskaufmann Aktieneinkäufe und Aktienverkäufe
In 2a the stem laden occurs twice, once in each of the conjuncts, whereas in la laden only occurs once. The same can be said of Kaufmann and -bar and in lb-c and 2b-c. A comparison between Id and 2d shows that in Id material is missing both to the left of the conjunction (the stem Käufe) and to the right of the conjunction (the stem Aktien) Interestingly, the reduced forms are often perceived as being idiomatic, in contrast to the full forms. The full forms are often perceived as being overly explicit. In general it can be said that there are certain types of structures which are clearly grammatical and even frequent. There are other types of structures, the grammaticality of which is less clear. The judgment of native speakers in these latter cases is influenced to a high degree by intonation and context. For the purpose of an exposition of the basic phonological, morphological and syntactic facts, it will be assumed that there is a full form and a reduced form. In the discussion of the circumstances under which a reduced form can be grammatical, reference will be made to the phonological, morphological and syntactic structure of
Word Remnants and Coordination
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both the full form and the reduced form. When it is said that a particular item can be 'left out' or 'is missing', this is meant in an informal way. It is not intended to imply that there is any kind of derivation in which an actual process of deletion occurs. The intent is to convey that a speaker may utter a longer form or a shorter form and that the shorter form lacks specific material that is contained in the longer form. The initial discussion will be limited to simple syntactic contexts and to the coordination of two elements. Constructions in which more than two elements are coordinated (e.g., Bundes-, Landes- und Bezirksverbände 'federal, state and district associations') do not yield new phenomena. More complex syntactic contexts are handled in section 4. (3)
a. b.
Anlagenbau und Anlagenwartung 'system construction and system maintenence' Versicherungsberatung und Finanzberatung 'insurance consultation and financial consultation'
In a construction in which two compounds are coordinated (3) it is sometimes possible to leave out a stem from either the compound to the right (4a) or to the left (4b) of the conjunction. (4)
a. b.
Anlagenbau und -Wartung Versicherungs- und Finanzberatung
The missing stem must be identical to a stem in the other compound. It must also be adjacent to the conjunction. The forms in 5 are ungrammatical because the adjacency requirement is not met. (5)
a. b.
"-bau und Anlagenwartung * Versicherungsberatung und Finanz-
Constructions in which compounds and phrases are coordinated can also have reduced forms. In 6a, Kundschaft appears three times, twice as the second element of a compound and once as the second element of a nominal phrase. The example 6b is a reduced form which corresponds to 6a. (6)
a. b.
Stammkundschaft, Laufkundschaft aber auch sonstige Kundschaft 'regular customers, casual customers but also other customers' Stamm-, Lauf- aber auch sonstige Kundschaft
In a construction in which two derivatives are coordinated (7), it is sometimes possible to leave out a stem or an affix from the word to the left of the conjunction (8). (7)
a. b. c.
(8)
a. b. c.
Jetzt werden die Arbeiter den L K W beladen und entladen ' N o w the workers will load and unload the truck' J e d e n Freitag m u ß Karl Autoersatzteile einkaufen und verkaufen 'Every Friday, Karl has to buy and sell auto parts' Bürgertum und Beamtentum waren ihm ein Greuel 'The middle class and civil servants were loathsome to him' Jetzt werden die Arbeiter den L K W be- und entladen J e d e n Freitag m u ß Karl Autoersatzteile ein- und verkaufen Bürger- und Beamtentum waren ihm ein Greuel
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In cases involving prototypical affixes (9), the normal state of affairs seems to be that it is not generally possible to leave out a stem or an affix to the right of the conjunction (10). (9)
a. b. c.
(10)
a. b. c.
Jetzt werden die Fans den Sänger bejubeln und beschenken ' N o w the fans will cheer and give presents to the singer' Jeden Samstag muß Karl Lebensrnittel einkaufen und eintüten 'Every Saturday, Karl has to buy and pack groceries' Bürgerschaft und Bürgertum haben sein Leben maßgeblich geprägt 'The middle class and civil servants have decisivly shaped his life' "'Jetzt werden die Fans den Sänger bejubeln und-schenken "Jeden Samstag muß Karl Lebensmittel einkaufen und -tüten ^Bürgerschaft und -tum haben sein Leben maßgeblich geprägt
In coordinate constructions involving vowel-initial suffixes (11), these suffixes can never be left out (12). (11)
a. b.
(12)
2.
a. b.
schöpferisch und erfinderisch 'creative and inventive' Beratung und Verwaltung 'consultation and administration' *schöpfer- und erfinderisch * Berat- und Verwaltung
Phonology
Booij (1985) and Wiese (1996: 69-72, 77, 95) assume that the individual stems of compounds in German form individual phonological words, and that a subset of the affixes of German form individual phonological words.1 Both also assume that constructions such as those in 1 are the result of the deletion of a phonological word. This would explain why word remnants occur relatively freely in constructions involving compounds but that there are systematic constraints on the occurrence of word remnants in constructions involving affixes. Booij (1985: 153-155) makes use of the terms cohering affixes and non-cohering affixes (cf. Dixon 1977: 90-91) in describing the behavior of derived words in coordinate constructions. Cohering affixes form a domain of syllabification together with the base to which they attach (13a). Non-cohering affixes form a separate domain of syllabification (13b-c). (13)
1
a. b. c.
kind+isch ['kin.dij"] 'childish' farb+los ['fagp.lois] 'colorless' ver+arbeiten [feg.'îaç.bai.tn] 'process (verb)'
This is an idea that ultimately goes back to Bloomfield ( 1 9 3 0 ) who writes that the phonetic system of German treats the stems of compounds and the consonant-initial suffixes as separate words.
Word Remnants and Coordination
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The lack of final devoicing in 13a shows that the final consonant of the stem Kind is syllabified together with the suffix -isch, whereas in 13b, the presence of final devoicing shows that the final consonant of the stem farb does not syllabify together with the suffix, even though the onset [bl] is possible in German. In 13 c, the suffix-final vocalic allophone of /R/ and the presence of a glottal stop indicate that the prefix is not syllabified together with the stem. In German, the vowel-initial suffixes are cohering, the consonant-initial suffixes and all prefixes are non-cohering. Booij (1985: 149) and Wiese (1996: 65-67) both follow the widespread assumption that a syllable must be entirely contained within a single phonological word. From this perspective, the vowel-initial suffix in 13a must be contained in the same phonological word as the preceding stem, since the segmental material of the suffix is dominated by a syllable which also contains segmental material of the stem. The cohering affixes of German systematically cannot be left out in coordinate constructions (cf. 12a-b). Both authors reach the conclusion that those non-cohering affixes which can be left out form phonological words independent from the phonological word formed by the base to which they attach. Booij (1985: 155) notes that there are prefixes which cannot be left out and refers to these as appendices to the phonological word. It is clear from the above that what is left out must correspond to one or more domains of syllabification. Note that this implies that what remains must also correspond to one or more domains of syllabification. A domain of syllabification in the full form cannot be broken up. It is either present in the reduced form or not. Booij (1985) is quite correct in asserting that phonological factors are crucially involved. I would argue, however, that the phonological form of the word remnant in the surface structure of the reduced form is a crucial factor. What remains must be able to stand alone phonologically. This is particularly clear in the examples la and 8a involving the prefix be-. (14) a. b. c. d.
[ba.'lcu.dn] ['be:.,la:.dn] ['be^unt.'W.lai.dn] *['b9.?unt.'?8nt.,la:.dn]
This prefix normally has a reduced vowel (14a) when it occurs in word forms, but it can also have contrastive stress (14b). In the latter case it has a long tense vowel. When the prefix be- stands alone in reduced forms (14c), it must have a full vowel, a reduced vowel is ungrammatical (14d). (15) a. b. c. d.
[fee.'kau.fn] [ft'.kau.fn] ['feg.Tunt.'tsEB.^ai.sn] * ['fê.?unt. 'tse^RajLsnj
Other prefixes do not vary as drastically. Those prefixes which are normally stressed do not have reduced forms. There are prefixes which are normally unstressed, such as ver- (cf. 15a), which can occur with reduced forms (cf. 15b). These reduced forms are optional when the prefix occurs in an environment in which it is unstressed. The reduced forms are impossible when the prefixes have contrastive stress or stand alone as word remnants (15c-d).
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Word remnants always consist of one or more elements which can stand alone phonologically. That is, they must conform to well-formedness conditions for word forms when they occur as remnants, i.e., they must contain at least one full vowel and if the final segment is a full vowel, then it must be a tense vowel (cf. 14c and 15c). This is not necessarily the case when these 'same' elements occur as parts of word forms. They may have forms which do not conform to well-formedness conditions for word forms (cf. 14a and 15b). They must be accented when they occur as remnants. This is independent of whether they are accented in full forms. It is the word remnant which must be a phonological word. Booij (1985) and Wiese (1996) argue that a deleted constituent must be a phonological word. For Wiese, deletability is one of his two main tests for phonological word status. Elements can be deleted which are not, or are not always, good candidates for phonological word status. The suffix -chert, for example contains the reduced vowel schwa. Wiese uses the deletability of -chen to argue that it is a phonological word. Also, it is often possible to syllabify words containing consonant-initial suffixes so that these suffixes do not form a domain of syllabification separate from the stem (16). (16)
a. b. c. d.
['faep.lo:s] ffa?.blo:s] färb- und ausdruckslos 'colorless and expressionless' [ l faep.?unt. l aus. 1 dRukslo:s]
The word form farblos is syllabified in 13b (given again in 16a) contrary to onset maximization. Wiese (1996: 65-67) takes this as an indication that it forms two domains of syllabification, and ultimately that the suffix -los forms a phonological word. As Wiese himself notes (1996: 65, 68), a pronunciation such as· in 16b, is not only possible, but is even common in southern Germany. Those speakers who have the pronunciation in 16b are fully capable of leaving out the suffix -los, for example by producing the form färb- und ausdruckslos, which is then pronounced as in 16d, where the word remnant conforms to phonological well-formedness conditions for word forms. The deletability of -los is not proof that it 'is' a phonological word. It can occur syllabified together with the stem, it can occur syllabified separately from the stem. In neither case does it carry stress, as word forms typically do. The important fact is that the stem farb can stand alone, and that when it does, it conforms to phonological well-formedness conditions for word forms, for example by ending in a voiceless obstruent. (17)
a. b. c.
miitter- und väterlich 'motherly and fatherly' *täg- und wöchentlich 'daily and weekly' *monat- und jährlich 'monthly and yearly'
Word remnants must not only be well-formed words from the perspective of phonology, but they must also be recognizable. The form in 17a is grammatical, but there are other constructions involving the suffix -lich, such as those in 17b-c, which are not. If the grammaticality of the reduced forms is due to the prosodie status of the suffix -lich, it is hard to understand why this should be the case. On the other hand, if we examine phonological surface structure and paradigmatic relations we can see differences. In 17b we notice that the umlaut in täg- [te:k] and wöchent- [vœçant] dimin-
Word Remnants and Coordination
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ishes recognizability. This does not seem to be the case for 17a. In both 17a and 17b, there is contrastive accent on two stems, each of which contains umlaut. The forms täg- [te:k] and wöchent- [vœçant] are not ill-formed phonologically. But it is not easy for a listener to recognize to which stem paradigm they belong. The forms mütterand väter- on the other hand are easy to recognize. They are phonologically identical to the nominative, accusative and genitive plural of the highly frequent lexemes Mutter and Vater. The example 17c is similar to the example 17b. The remnant monat- is easily recognizable, but it has contrastive accent together with the form jähr-, which is not easily recognizable for the same reason as given above for täg- and wöchent-. The more recognizable the remnant and or the form which is stressed contrastively along with the remnant, the more acceptable the reduced form. The examples 14-16 show that elements can be found in surface structure which do not correspond to morphosyntactic words, but which, from a phonological point of view, are perfectly good words. The focus on the nature of a deleted constituent which can be found in the literature has obscured the fact that the remaining element always satisfies phonological well-formedness conditions for words. In addition, the recognizability of the remnant influences judgements of acceptability.
3.
Morphology
As seen in the examples in 4, under certain circumstances, a stem can be left out of the right hand compound (4a) or the left hand compound (4b). Viewed from a different perspective, a compound in such a construction may lack either an initial stem (4a) or a final stem (4b). As the missing stem must be adjacent to the conjunction, the two perspectives are interrelated. Only the left hand compound may lack a final stem and only the right hand compound may lack an initial stem. In the written language, a hyphen is used to indicate where material is missing. The examples in 8 show it is possible to leave out a stem from a prefixed word. It is equally possible to leave out a suffix from a suffixed word. The examples in 9 and 10 show that it is not generally possible to leave out a prefix from a prefixed word and that it is also not possible to leave out a stem from a suffixed word. The reduction of elements in derivatives involving prototypical affixes is thus more constrained than in compounds. Müller (1990: 335-336) describes the deletion of a morphological constituent in terms of the structure of the word from which the constituent is deleted. In compounds, a base can be deleted if there is an identical base elsewhere in the conjunct (cf. 4). In prefixed words, it is also possible to delete a base (cf. 8a-b). In suffixed words, a base cannot be deleted (cf. 10c), whereas a suffix can (cf. 8c). From Miiller's perspective, prefixed words differ from suffixed words. A base can be deleted from a prefixed word whereas the affix cannot. In suffixed words, the affix can be deleted whereas the base cannot. Höhle (1982: 89-92) sees the data from a different perspec-
64
George Smith
tive, derivatives behave in a unified way; a morphological constituent can be deleted from a left daughter if there is an identical constituent in the right daughter. The above picture is clear for suffixes. It is not, however, entirely clear with regard to prefixes. Müller (1990) presents a critical analysis of the normative literature on ellipsis, including an analysis of many examples from varying types of text. On the one hand, he agrees with the above assessment and states categorically that in constructions involving prefixed words, identical stems can be deleted whereas when identical prefixes cannot be deleted, and that in constructions involving suffixed words, identical suffixes can be deleted whereas identical stems cannot (Müller 1990: 335). He reaffirms this view with respect to nominal prefixes (Müller 1990: 342). On the other hand, with respect to verbal prefixes he relativizes this somewhat and states that, although general discussions of the ellipsis of verbal prefixes indicate that it should be possible to delete them, this is seldom seen in practice (Müller 1990: 351). He states that this is the case with both the non-separable verbal prefixes and the verbal particles. Assuming that stems and affixes are categories which differ in their degree of grammaticalization, and assuming that affixoids exhibit a degree of grammaticalization in between that of stems and affixes (Eisenberg 1998: 209-210), it is not surprising to note that they behave more like the stems of compounds than like affixes when they occur in coordinate constructions, as noted by Müller (1990: 336). The clearly grammatical examples given in the literature for the deletion of prefixes, or for the deletion of stems in suffixed words, do not involve prototypical affixes. The examples containing affixoids in 18 are taken from Höhle (1982: 90). (18)
a. b.
Haupteingänge oder -ausgänge 'main entries and exits' eisenartige oder -haltige Mineralien 'ironlike or iron-containing minerals'
A fundamental flaw in Wiese's (1996) reasoning becomes apparent at this point. Recall that Wiese (1996: 95) is of the opinion that prefixes are deletable if they are phonological words and appear at the edge of a phonological phrase if an adjacent phonological phrase contains an identical phonological word. Wiese (1996: 95) gives einatmen oder -saugen 'breathe in or suck in' and vorgesungen und -gespielt 'sung and played to somebody' as examples for the deletion of a prefix in such a construction. Native speakers who I have consulted consistently do not interpret examples of this type as being reduced forms. These examples are instead interpreted as full forms, i.e., einatmen oder -saugen is interpreted as the nonreduced form einatmen oder saugen 'breathe in or suck' and not as a reduction of einatmen oder einsaugen. If specifically asked to interpret these structures as reduced forms, they generally feel uncomfortable with them. This is compatible with Müller's perspective. Wiese (1996: 95) gives the above two examples of the deletion of a verbal particle that are at best marginal and four examples of the deletion of a verbal prefix which he judges to be ungrammatical (*geliebt und -heiratet 'loved and married', * verliebt und -heiratet 'in love and married', *besuchen oder -sichtigen 'visit or inspect', and *zerstäuben oder -streuen 'spray or disperse'). He then concludes that the former form phonological words and that the latter don't. The result is a fundamental conflict between two of his main diagnostic criteria for phonological words. The prefix ver-,
Word Remnants and Coordination
65
(cf. 13 c) which had been used to demonstrate that prefixes form phonological words on the basis of syllabification (Wiese 1996: 67) is also used as an example of a prefix which does not form a phonological word because it does not delete. One problem for Wiese's argumentation that deletability is a purely phonological phenomenon and thus a test for phonological wordhood is that one cannot state that there is a class of prefixes which can generally be left out in surface structure, given the correct prosodie environment. If Müller is correct, it is easier to leave out verbal prefixes than nominal prefixes. It is definitely easier to leave out the less grammaticalized prefixoids than to leave out completely grammaticalized prefixes. It is very easy to leave out stems in compounds. Morphological factors clearly play a role here. The existence of incomplete forms is not a purely phonological phenomenon. The fact that an affix can or cannot be left out in reduced forms cannot be used as a test for determining the prosodie status of that affix.
4.
Syntax
Syntax can also not be ignored in a discussion of the phenomenon. If we compare full forms and reduced forms, word remnants can be seen as taking the place of word forms. They can have arguments and attributes. Where word forms can occur and where they can optionally be left out is to no small degree determined by syntax. When parts of word forms are left out, this is in positions where the entire word form could be left out in the reduced form if two identical word forms were present in the full form. This is especially clear in more complex cases, as exemplified in 19. (19)
a. b. c. d.
Karl will Autos importieren und Maria möchte Fahrräder exportieren 'Karl wants to import cars and Maria would like to export bicycles' Karl will Autos importieren und Karl will Fahrräder exportieren Karl will Autos exportieren und Karl will Fahrräder exportieren Karl will Autos exportieren und Karl will Fahrräder exportieren
In 19a, two sentences are coordinated which share no common lexical items. Each sentence is complete. In 19b, two sentences are again coordinated; this time they share their subjects and modal verbs. The full form Karl will Autos importieren und Karl will Fahrräder exportieren is grammatical, but more natural is the reduced form as given in 19b, in which the identical lexical items are left out. In 19c-d, the full verb forms are identical as well, whereby the less marked form is 19c, in which the constituents which are left out occur on the edge of the conjunct adjacent to the conjunction, and which is also compatible with an analysis in terms of phrasal coordination. (20)
a. b. c. d.
Karl will Autoersatzteile importieren und Maria möchte Fahrradersatzteile exportieren 'Karl wants to import auto parts and Maria would like to export bicycle parts' Karl will Autoersatzteile importieren und Karl will Fahrradersatzteile exportieren Karl will Autocraatztoilc exportieren und Karl will Fahrradersatzteile exportieren "'Karl will Autoersatzteile exportieren und Karl will Fahrraderaatztcilc exportieren
66
George Smith
The full forms in the examples 20a-d are identical with the corresponding full forms in 19a-d with the exception that Autos and Fahrräder are replaced with Autoersatzteile and Fahrradersatzteile respectively. Example 20c differs from 19c in that it is possible to leave out the identical stem ersatzteile in the left conjunct; this is not possible in the right conjunct (20d).2 (21)
a. b. c. d.
Karl will Autoersatzteile einführen und Maria möchte Fahrradersatzteile ausführen Karl will Autoersatzteile einführen und Karl will Fahrradersatzteile ausführen Karl will Autocrsatzteilc ausführen und Karl will Fahrradersatzteile ausführen *Karl will Autoersatzteile ausführen und Karl will Fahrradcraatzteilc ausführen
The full forms in the examples 21a-d differ from those in 20a-d in that the non-native coinages importieren and exportieren are replaced with the more transparent native coinages einführen and ausführen respectively. Here it is possible to leave out the identical verb stem führen in the left conjunct (21b); this is not possible in the right conjunct (22). The word form Autoersatzteile functions as a direct object to the word remnant ein-. (22)
*Karl will Autoersatzteile einführen und Karl will Fahrradersatzteile ausführen
The main generalization to be made here is that when two conjuncts contain identical strings of elements, that string of elements which is adjacent to the conjunction may be left out. It is not necessary to leave out the entire string, but in cases involving partial identity of word forms the missing substring must be entirely adjacent to the conjunction. This is in contrast to cases involving the complete phonological identity of word forms. Here, it is not always necessary that the missing word form be adjacent to the conjunction in the full form. Word remnants occur in a proper subset of the positions in which entire word forms can be left out.
5.
Semantics
Semantic factors are involved as well. Brettschneider (1978: 139) notes that the examples in 23 are acceptable whereas the examples in 24 are not. (23)
a. b.
Holz- und Eisentüren 'wooden and iron doors' Holztüren und -fenster 'wooden doors and wooden windows'
(24)
a. b.
"Holz- und Haustüren 'wooden doors and house doors' * Holztüren und -malereien 'wooden doors and paintings on wood'
The initial stems of the compounds Holztür, Eisentür, Holzfenster, Haustür and Holzmalerei function as modifiers and the final stems function as heads. From the point of view of morphological structure alone, there is no reason for the constructions in 24 to be ill-formed. Phonologically there can be no question of their acceptability. The problem lies in the semantic nature of the modification. Holz and Haus 2
It is still of course possible to leave out the full verb form to the left of the conjunct Karl
will Autoersatzteile exportieren und Karl will Fahrradersatzteile exportieren.
Word Remnants and Coordination
67
modify Tür in different ways just as Holz modifies Tür and Malerei in different ways. Reduced forms are only acceptable if the remnant can be interpreted as having a semantic relationship with a constituent in the other conjunct which is compatible to the relationship that its counterpart in the other conjunct has with that constituent.
6.
Conclusion
The grammar of word remnants cannot be reduced to phonology alone. These elements occur in contexts which are phonologically, morphologically, syntactically and semantically determined. The surface structure of the reduced form is of vital importance in determining grammaticality. The remnant must be a well-formed word form from the point of view of phonology. It must be recognizable. This is no problem for affixes, but can be a problem for infrequent stem forms. Both conjuncts must have parallel semantic structures. Remnants can occur in a proper subset of those syntactic contexts where it would be possible for the entire word form to be missing, were the entire word form identical to another word form in the utterance. The interaction of phonological, morphological, syntactic and semantic factors which can be observed in the grammar of word remnants is best accounted for by taking all of these factors into account simultaneously. Attempts to reduce the phenomenon to a rule operating in one module of a grammar are inadequate. Furthermore, the focus on a process of deletion during the course of a derivation which can be observed in generative analyses obscures the role played by surface structure in determining grammaticality. If the grammar of word remnants has anything to say about the prosodie status of missing affixes, it is not that those affixes which can be missing are phonological words, but rather that they are non-cohering. It can certainly be said of those affixes which remain that they conform to all phonological wellformedness conditions for word forms when they occur as word remnants. This does not imply that they always form phonological words. Indeed, it is clear that at least some of them commonly occur in a shape which does not conform to well-formedness conditions for word forms.
68
George Smith
References
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Heide W'egener
Da, denn und weil - der Kampf der Konjunktionen. Zur Grammatikalisierung im kausalen Bereich
1. Das Ziel: Lexikalischer oder syntaktischer Wandel
Die zunehmende Verbzweitstellung nach der Konjunktion weil oder (und das ist ein wichtiger Unterschied) die zunehmende Einleitung koordinierter Sätze mit weil statt denn (im folgenden weil-V2) hat zu drei unterschiedlichen, z.T. widersprüchlichen Annahmen hinsichtlich der Entwicklung des heutigen Deutsch geführt: 1. Zur Annahme eines lexikalischen Wandels i.S. einer semantischen Veränderung der Konjunktion weil, 2. zur Annahme eines syntaktischen Wandels i.S. einer Zunahme der Hauptsatzsyntax in Kausalsätzen, 3. zur Annahme eines lexikalischen Wandels i.S. geänderter Gebrauchsbedingungen für weil, das die Funktionen von denn übernimmt. Prinzipeil ist zwar nicht auszuschließen, daß sich bei einer Funktionsübernahme außerdem die Bedeutung der Konjunktion und/oder die Syntax der betreffenden Adverbialsätze ändert, ich möchte die These der Funktionsübernahme hier aber eng fassen und die These vertreten, daß sich weder die Bedeutung der Konjunktion weil noch die Syntax von Kausalsätzen im heutigen Deutsch geändert hat. Zu 1, der Annahme eines Bedeutungswandels Sowohl die Annahme Kellers (1993: 227f.), nur weil-V2 habe epistemische Bedeutung, als auch die Annahme Uhmanns (1996: 21), es habe im Gegensatz zu weil-Verbletzt epistemische und faktische Bedeutung, wird widerlegt durch die Tatsache, daß weil auch in Verbletzt-Sätzen epistemische Bedeutung haben kann: (1)
a. b.
Weil du grade am Regal stehst - gib mir bitte das Buch, Jetzt erzähl! Weil ich nicht so viel Zeit hab1.
Es ist also müßig, für weil zwei verschiedene Lexikoneinträge anzunehmen. Weil hat nur eine Grundbedeutung - es stellt eine kausale Relation her - , und es hängt von Struktur, Position und Intonation der beiden Teilsätze ab, ob diese kausale Relation auf der propositionalen Ebene oder auf der illokutiven Ebene ausgespielt wird (Wegener 1993: 299f.). Zu 2, der Annahme eines Syntaxwandels Die These, mit zunehmender Verbzweit-Stellung in weil-Sätzen liege ein Fall von Syntaxwandel vor, wird vor allem2 von pragmatisch orientierten Linguisten vertreten 1 2
Hörbeleg nach Denissova (1997: 378) s. aber auch Lehmann (1991: 5 2 6 )
70
Heide Wegener
und mit Argumenten begründet, die auf die illokutive Funktion der betreffenden Konstruktion abheben. Küper (1991: 133) spricht von einer derzeit zu beobachtenden „Tendenz zur Hauptsatzstellung" und vermutet, „daß der sprachliche Wandel, den wir z.Z. beobachten, in einer stärkeren Pragmatisierung der Syntax besteht" (S.150), Günthner (1996: 353f.) erklärt die angenommene und angesichts der allgemeinen Grammatikalisierungsrichtung rückläufige Entwicklung bei den Kausal- und Konzessivsätzen mit einer diskurspragmatischen Ökologie. Diese Annahme wird widerlegt durch den Vergleich mehrerer größerer Korpora hinsichtlich der Frequenz von koordinierten und subordinierten Kausalsätzen: Quelle
Zeitraum Herkunft
Ν
V-Letzt
da
V-Zweit
weil
ges. 63,8
Süddt.
396 0
63,8
Freiburger Korpus 1960-70 1990ff. Seiffert 1995
Norddt.
300 6
42
Berlin
Rudolph 1982
schr.Texte
252 4,36 913 15
Eisenmann 1973
1955-59
1960-80
denn weil 7,3
28,7
48 50,33 1,66 54,36 58,72 17,46 23,8 45 60 40 0
ges. 36,0 % 52,0 % 41,26% 40%
Tab. I 3 : da, denn und weil (V2 und VL) in gesprochener und geschriebener Sprache Es zeigt sich nämlich, daß der Anteil koordinierter Sätze deutscher Sprecher an der Gesamtzahl ihrer Begründungssätze nicht zugenommen hat. Eine Tendenz zur Hauptsatzsyntax besteht ganz offensichtlich nicht. Das statistische Gleichgewicht im Anteil der Verbzweit-Stellung, das die verschiedenen Korpora für die Kausalsätze ausweisen, und zwar von den 50er bis zu den 90er Jahren, für norddeutsche und süddeutsche Sprecher, für Dialekt und Standard, widerlegt die These der pragmatisch orientierten Linguisten, es gebe im derzeitigen Deutsch eine Tendenz zur Hauptsatzsyntax, einen syntaktischen Wandel oder gar eine „dramatische Umbruchsituation" (so Küper 1991: 134) - und macht alle daran geknüpften Erklärungen wie 'Pragmatisierung der Syntax' obsolet. Die Syntax der Kausalsätze deutscher Sprecher hat sich, zumindest in den letzten 40 Jahren, nicht wesentlich verändert, auf keinen Fall in Richtung Koordination, und diese ist auch keine Besonderheit der mündlichen Kommunikation (s. Zeile 4 vs. 1-3). Dagegen zeigt die Tabelle bei den Verbzweitsätzen im rechten Feld eine sowohl diachrone als auch diastratische Verschiebung von denn zu weil auf (und entsprechend bei den Verbletztsätzen im linken Feld von da zu weil) und weist dabei einen 'Vorsprung' der Süddeutschen (natürlich!) gegenüber den Norddeutschen (Zeile 1 vs. 2) und einen Wandel von den 60ern zu den 90ern nach, wo zumindest die Berliner aufgeholt haben (Zeile 3 vs. 2). In Wegener (1999: 14ff.) wird außerdem nachgewiesen, daß die denn-S'àtze norddeutscher Sprecher in ihren pragmatischen Verwendungsbedingungen und ihren Bedeutungen den weil-Sätzen süddeutscher Sprecher vollkommen entsprechen, also funktionsidentisch sind. Dem statistischen Gleichgewicht entspricht also ein inhaltliches Gleichgewicht: Alle semantischen und pragmatischen Funktionen, die für weilV2 nachgewiesen wurden, sind schon für denn belegt, insbesondere die epistemische Funktion der Äußerungsbegründung, der explikative Bezug auf den Sprechakt und der 3
Genauer zu diesen und kleineren Korpora s. Wegener (1999: 7f.).
Da, denn und weil - der Kampf der Konjunktionen.
71
Gebrauch als Fortsetzungssignal. Die Verwendungsbedingungen für weil-V2 entsprechen völlig denen für denn, mit der einzigen Ausnahme, daß weil-V2-Sätze vereinzelt auch als Antwortsätze vorkommen, was für denn ausgeschlossen ist. Dieser Sonderfall kann jedoch als Anakoluth erklärt werden. Geändert hat sich also nicht die Syntax deutscher Kausalsätze, sondern 'nur' ihr Konnektor: an die Stelle von denn ist weil getreten, das heute parataktische und hypotaktische Kausalsätze einleitet. Da es außerdem da weitgehend verdrängt hat, lautet der aktuelle Spielstand derzeit fast 3 : 0 für weil. Der Kampf, der sich hier abspielt, tangiert den Gegner gar nicht, sondern den Partner. Wir haben, wie die Tabelle auch zeigt, eine Art gemischtes Doppel vor uns, auf der einen Seite da- und weil-Verbletzt, auf der anderen denn- und weil-Verbzweit. Dieses dringt nicht in das Feld des Gegners vor (was, wie in Pasch 1997 und Wegener 1999 gezeigt wird, nicht funktional wäre), sondern in das des Partners: weilVerbzweit macht sich breit auf Kosten von denn, weil-Verbletzt auf Kosten von da. Die zu beobachtenden Veränderungen stellen folglich keinen syntaktischen, sondern lexikalischen Wandel dar und müssen als solcher erklärt werden. Damit wird die dritte Annahme bestätigt: Es findet eine Funktionsübernahme von denn durch weil statt. Das wirft die Frage auf, aus welchen Gründen die Sprecher parataktisch angeschlossene Begründungssätze zunehmend mit weil und nicht mehr
mit denn einleiten.
Die in der Literatur vorgebrachten Argumente zur Erklärung und Rechtfertigung der Verbzweit-Stellung nach weil - der Inhalt des Kausalsatzes sei rhematisch, habe größeres Gewicht, der Sprecher vermeide Skopusambiguitäten (Pasch 1997: 266), er könne die Vorteile der Hauptsatzsyntax nutzen, insbesondere Nicht-Subjekte an die Satzspitze stellen (s. Wegener 1993: 302), er könne behauptete Begründungen, darunter die epistemischen Äußerungsbegründungen, durch eine geradezu ikonische Hauptsatzsyntax von präsupponierten Begründungen, den Sachverhaltsbegründungen, unterscheiden (s. Küper 1991: 149f.) - diese Argumente können zwar erklären, warum die Sprecher weil-Sätze zunehmend mit Hauptsatzsyntax konstruieren, aber sie können nicht erklären, warum die Sprecher behauptete Begründungen nicht weiterhin mit der Konjunktion einleiten, die sie bisher und noch schriftsprachlich dafür verwenden, sie können also die Verdrängung von denn durch weil gerade nicht erklären. Alle angeführten Vorteile sind ja nicht Vorteile von weil-V2, sondern Vorteile der Hauptsatzsyntax. Diese aber steht dem Sprecher mit denn sowieso zur Verfügung. Wie der Vergleich der verschiedenen Korpora zeigt, hat nicht die Zahl der kausalen Verbzweit-Sätze zugenommen, sondern nur die der mit weil eingeleiteten. Der Vergleich zeigt auch, daß sich diese Verdrängung innerhalb relativ kurzer Zeit vollzog, das syntaktische Muster des parataktischen Kausalsatzes blieb dabei stets lebendig. Pasch (1997: 268) erklärt die Präferenz der Sprecher für weil durch eine Tendenz zur „lexikalischen Generalisierung" und „syntaktischen Spezialisierung". Wegener (1993: 299) sieht in der Funktionsübernahme ein Zeichen von Ökonomie. Wenn weil nun zur allein regierenden Konjunktion im Bereich der Kausalsätze wird, so ist aber noch zu klären, warum gerade weil und nicht denn oder da die andern beiden Konjunktionen aus dem Feld schlagen und diese Vorrangstellung erlangen konnte. Die Frage lautet zugespitzt also: Was zeichnet weil vor denn und da aus?
72
Heide Wegener
Um diese Frage zu beantworten, soll zum einen die heutige Distribution und Semantik der drei Konjunktionen und ihrer Homonyme, zum andern ihre Entstehung und Grammatikalisierung untersucht werden.
2. Z u r Distribution und Semantik von da, denn und weil
Schon Thim-Mabrey (1982: 205) weist darauf hin, daß weil „weniger diffuse Bedeutung" hat als die beiden anderen Konjunktionen, nach Pasch (1997: 257) ist es der „allgemeinste kausale Konnektor". Kann folglich angenommen werden, daß weil semantisch eindeutiger ist und daß die deutsche Sprache mit weil sozusagen die ideale Kausalkonjunktion gefunden hat? Tatsächlich lassen sich mühelos Beispiele mit da und denn finden, bei denen unklar ist, ob der Sprecher eine kausale oder aber eine temporale bzw. lokal-situative Relation ausdrückt. Das liegt an der größeren Distribution von da und denn gegenüber weil. (2)
Wen stört das, da alle mit sich selbst beschäftigt sind!
Da kann in diesem Beispiel aus Pasch (1983: 333) durch wo, aber nicht durch weil ersetzt werden, im Beispiel aus Schlobinski (1992: 342) eher durch als: (3)
äh (.) meine erste arbeitssteile die ick ma alleene jesucht hab? mein mann hat ja nüscht davon jewußt (.) eh dit war einunfuffzich (.) da ick ja nich jehn konnte
Der Nebensatz begründet weder den Sachverhalt noch die Äußerung des Bezugssatzes, er situiert ihn. Da kommt heute außer als kausale auch als temporal-lokale Konjunktion sowie als temporales bzw. lokales Adverb vor. In beiden Funktionen kann es temporale und lokale Bestimmungen wieder aufnehmen, aber nicht auf ein kausales Korrelat wie deswegen folgen: (4) (5)
In dieser Zeit/an diesem Ort/*aus diesem Grund, da waren wir glücklich. Sie entfernen sich, da ich komme. (Paul 1992: 158) = in dem Augenblick/ Paus dem Grund/ * deswegen, da...
Die Bedeutung von da ist also nicht eindeutig kausal. Weinrich (1993: 758) nennt es eine „situativ-kausale" Konjunktion, mit der eine bekannte Situation als Grund eingeführt oder im Text an eine bekannte Situation angeknüpft werde. Denn kommt heute außer als kausale Konjunktion als Adverb sowie als Modalpartikel vor. In beiden Fällen hat es eine Bedeutung, die temporale und/oder kausale Merkmale aufweist. Der typische Fall liegt vor, wenn die Modalpartikel an eine Vorgängeräußerung anknüpft wie in 6. (6)
A: Ich hab kein Geld mehr. B: Was hast du denn gekauft?
Hier zeigt denn, daß B's Frage sich auf A's Geständnis seiner Pleite bezieht, daß es folglich für Β einen Grund gibt, die Frage zu stellen. Die temporale Ursprungsbedeutung des Adverbs ist beim Modalpartikel-Gebrauch zwar verblaßt, aber noch
Da, denn und weil - der Kampf der Konjunktionen.
73
spürbar. Die hier beobachtbare 'retention', das Anhaften der ursprünglichen Bedeutung, bewirkt, daß die Modalpartikel denn nur auftreten kann, wenn die Frage an einen Kontext irgendeiner Art anknüpft, also nicht in gesprächsinitiierender Rede. Etwa kann beim Wecken nur der Angesprochene die folgende Frage stellen, wobei dann die Modalpartikel durch den Klammerausdruck paraphrasierbar ist: (7)
A: "'Wie spät ist es denn? B: Wie spät ist es denn, (daß du mich weckst)?
Denn zeigt also an, daß die Frage an einen (auch außersprachlichen) Kontext anknüpft, und rechtfertigt sie. Insofern hat die Modalpartikel epistemisch-kausale Bedeutung und textverknüpfende Funktion, die beide auf der temporalen Bedeutung aufbauen (genauer Wegener 1998: 48ff.). Als Adverb wird denn vor allem in Norddeutschland verwendet und hat rein temporale oder temporal-kausale Bedeutung: (8)
Und so blieb er denn zeit seines Lebens ein Deutscher (Peter Wapnewski zu Heines 200. Geburtstag am 13. Dezember 1997).
In der temporalen Lesart kann es durch dann, darauf, in der kausalen durch also, folglich paraphrasiert werden, was die zwischen Temporalität und Kausalität schillernde Bedeutung zeigt. Im folgenden Beleg aus Schlobinskis Korpus (1992: 343) liegt dagegen drei Mal die rein temporale Bedeutung vor: (9)
na ja denn kam ick (.) nun jeda briefkasten zweie. (.) ja jeda zweie und denn hat a aber so ziemlich eh klar jemacht von näch(.)stn tach (2.0) und denn äh jing et ja (.) denn drübm war ja nu noch in bißchen schwierija nich? und (1.0) s alles hausbesetza
In der letzten Zeile in 9 ist denn als Konjunktion in einer Verwendung belegt, deren Bedeutung unklar ist. Ein kausaler Zusammenhang ist nicht zu erkennen, denn ist durch und ersetzbar, ist also bloßer Textkonnektor und Fortsetzungssignal ohne kausale Bedeutung (so auch in der Schriftsprache, vgl. hierzu Rudolph 1982: 188f.): (10)
Nein, also da bin ich ganz anderer Ansicht. Denn denn paß mal auf. 4 (Freiburger Korpus)
Nicht nur die Adverbien und die Modalpartikel, auch die Konjunktionen haben also weniger eindeutige kausale Bedeutung als weil. Der Präferenz der Sprecher für weil könnte also ein Streben nach Eindeutigkeit zugrunde liegen. Gegen diese Annahme ist jedoch einzuwenden, daß das Vorhandensein homophoner Adverbien und Partikeln keine ausreichende Erklärung für den Untergang von denn und da in der Umgangssprache ist (wie Küper 1991: 143 für denn annimmt). Erstens liegen gleichlautende Adverbien und Partikeln auch für doch, aber etc. vor. Zweitens unterscheiden sich Adverbien und Partikeln durch ihre unterschiedliche Position hinreichend von der Konjunktion, so daß ein Verdrängen durch sie nicht plausibel erscheint. Drittens verwenden gerade norddeutsche Sprecher, die noch am meisten Kausalsätze mit denn bilden, auch das Adverb denn, süddeutsche dagegen dann - daraus könnte man eher schließen, daß das Adverb die Konjunktion stützt. Schließlich spricht auch die Sprach-
4
Auf diesen denn-Satz kann natürlich eine Begründung folgen, er selbst enthält aber keine.
74
Heide Wegener
geschichte gegen die Annahme, die Konjunktion denn werde durch die Partikel verdrängt, s.u. Für weil lassen sich temporale Verwendungen weniger leicht ausmachen, nach Paul (1992: 1030) schimmert die alte temporale Bedeutung aber bei vorangestellten weilSätzen noch durch: (11)
Weil wir gerade davon sprechen, möchte ich meine Bedenken anmelden...
Auch ist gerade in süddeutschen Dialekten dieweil noch heute als temporale Konjunktion, derweil als temporales Adverb gebräuchlich. Diese Mehrdeutigkeit hat den Siegeszug von weil, der ja in süddeutschen Mundarten begann, offenbar nicht behindert: (12)
a. b.
Dieweil du zur Post gehst, geh ich zum Bäcker, Geh du zur Post, ich geh derweil zum Bäcker.
Bemerkenswerterweise stammt einer der ältesten Belege für weil-V2 von dem Schriftsteller, der weil noch temporal benutzte (Beleg dafür s. u.): (13)
Dem Wandersmann gehört die Welt, weil er kann über Thal und Feld so wohlgemut hinschreiten (Rückert, s. Blatz 1896: 765)
Es ist überhaupt fraglich, ob semantische Eindeutigkeit eine notwendige Bedingung und eine Erklärung für die derzeitige Präferenz der Sprecher für weil darstellt. Im Standarddeutschen konkurriert zwar bei weil heute die kausale Bedeutung weniger stark mit anderen Bedeutungen, aber ihm droht Gefahr von anderer Seite. Es lassen sich nämlich auch für weil Belege finden, bei denen eine kausale oder temporale Bedeutung nur schwer auszumachen ist. Auch weil wird, wie Günthner (1993: 47f.) zeigt, häufig als reines Fortsetzungssignal gebraucht, ohne daß der Sprecher eine Begründung ausdrücken will. Im folgenden Beleg aus Gaumann (1983: 253) kann die Konjunktion ohne Bedeutungsverlust gestrichen werden, sie ist semantisch stark ausgeblichen: (14)
Der ist nämlich unheimlich einsam, der hat nämlich auch keine Freunde, weil der hat noch nie eigentlich Freunde gehabt in seinem ganzen Leben.
Der weil-Satz ist kaum noch kausal zu nennen, er ist eine fast wörtliche Wiederholung des Hauptsatzes; die Tatsache, daß er mit diesem ausgetauscht werden könnte, zeigt den tautologischen Charakter der Sätze und die semantische Leere von weil. Diese ist noch deutlicher in folgendem Beleg (Gaumann 1983: 49), in dem zwar eine kausale Relation ausgedrückt wird, aber durch das Kausaladverb deswegen, nicht durch weil, das hier überflüssig ist: (15)
Die bewegt sich einfach nicht genug, die Frau, weil - deswegen ist sie ja so schlaff.
Auch wenn nicht-kausales weil wohl noch nicht den Anteil von nicht-kausalem denn erreicht haben dürfte (50 % nach Rudolph 1982: 187), so ist doch auch weil offensichtlich dabei, durch übermäßigen, sinnentleerten Gebrauch seine klare kausale Bedeutung zu verlieren. Die Analyse der synchronen Distribution und Bedeutung ergibt also keine überzeugenden Anhaltspunkte dafür, daß weil eindeutiger und als Kausalkonjunktion
Da, denn und weil - der Kampf der
Konjunktionen.
75
deswegen besser geeignet ist als da und denn, insbesondere in den Mundarten, in denen die Ausbreitung in die Hauptsatzsyntax begann. Vielleicht kann ein Blick in die Diachronie Aufschluß darüber geben, warum weil gegenüber denn präferiert wird.
3. Zur Grammatikalisierung von da, denn und weil 3.1 Die semantische Verschiebung Gemeinsame Quelle für da und denn ist die indogermanische Wurzel *to, die deiktische Funktion hatte. Aus ihr entwickelt sich das Lokaladverb ahd dar, mhd da, und das temporale Adverb do, außerdem aus dem Ablativ das lokale danne/denne = 'von da', 'daher' (Dal 1966: 208), zu dem ein relatives und interrogatives wanne/wenne = 'woher' gehört. Beide nehmen schon ahd temporale Bedeutung an: danne = 'von da an' = 'danach', 'dann', und entsprechend für wann. Beide fungieren außerdem als Vergleichskonjunktion, wie noch heute in mehr denn je, und als exzipierende Konjunktion (= 'außer'). Die lokalen Adverbien daher und woher können noch heute kausal verwendet werden, z.B. in der Frage: Ach woher denn? (= 'warum'). Hier haben wir also einen direkten Übergang von lokal zu kausal, wobei sozusagen eine Etappe in der Grammatikalisierungskette lokal > temporal > kausal übersprungen wird.5 Weil entsteht dagegen aus der temporalen Adverbialphrase diu wile daz/unz (= 'die Weile bis'), das zur temporalen Konjunktion in der Bedeutung 'solange als' verkürzt wird. In dieser Bedeutung ist es noch bis ins 19. Jahrhundert, im Studentenlied sogar noch im 20. Jahrhundert lebendig: (16)
a. b.
Wendet euch, weil's noch Zeit ist zu wenden. (Rückert, vgl. Paul 1992: 1030) Freut euch des Lebens, weil noch das Lämpchen glüht.
Bei unseren drei Konjunktionen da, denn und weil vollzieht sich nun ein Übergang von der temporalen zur kausalen Bedeutung, wie er auch für andere temporale Konjunktionen, nämlich nu = 'nun', sit = 'seit', dem Vorgänger von da bis ins 17. Jahrhundert (Eroms 1980: 92), und nachdem belegt ist, und der geradezu ein Paradebeispiel der Grammatikalisierungsforschung geworden ist (vgl. Diewald 1997: 54f.). Der hier interessierende Grammatikalisierungsschritt von der temporalen zur kausalen Bedeutung, der in vielen Sprachen belegt ist (s. Traugott/König 1991: 194ff. für europäische Sprachen, Matsumoto 1988 fürs Japanische), folgt in allen Fällen dem selben bekannten Muster 'post hoc ergo propter hoc' bzw. 'simul hoc ergo propter hoc', d.h. eine Relation der Gleich- oder Nachzeitigkeit wird durch einen alltagslogischen Fehlschluß als kausal interpretiert und diese Implikatur wird konventionalisiert.
5
Nach Paul (1992: 159) geschieht dieser Übergang von der lokalen zur kausalen Bedeutung im 16. Jahrhundert.
76
Heide Wegener
Aus der Bedeutungsentwicklung lassen sich also ebenso wenig wie aus der Distribution Gründe ableiten, die weil in irgendeiner Weise als geeignetere Kausalkonjunktion ausweisen als da und denn. Man hat eher den Eindruck, daß hier ein Reigen der Konjunktionen stattfindet, als den einer erklärbaren oder gar notwendigen Ablösung. Ja, die Darstellung weckt zuweilen Assoziationen an Sportberichte und paßt folglich zu meiner Beobachtung vom aktuellen Spielstand, so wenn Eroms (1980: 108) meint, „daß aus einem bestehenden Vorrat an begründenden Konjunktionen eine oder mehrere siegreich sich durchsetzten, während die andern absterben oder aber ein Randdasein fristen, was sich positiv so ausdrücken läßt, daß sie sich in Reserve halten". 6 Sind Kausalkonjunktionen so etwas wie Austauschspieler, die vom Sprecher = Spielleiter nach Belieben ins Feld geführt werden können? Die diachronen Untersuchungen geben Antwort auf weitere Fragen. So zeigt Eroms (1980: 109f.), daß die ahd Modalpartikel danne der Konjunktion dann/denn sozusagen den Weg bereitet, als diese die bis dahin alleingültige Konjunktion wande/wan in ihrer kausalen und in ihren anderen Funktionen abzulösen begann. Warum sollte also heute die Modalpartikel denn den Untergang der Konjunktion bewirken? Arndt (1959: 397ff.) zeigt, daß die Bedeutung von weil in der Zeit, als es wände bzw. dann /denn im Nebensatz ablöste, alles andere als eindeutig kausal war. Weil konnte zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert durch folgende Konjunktionen ersetzt werden: als, indem, während (temporal und adversativ), obwohl, nachdem, wenn. Vgl. (17)
a. b. c. d.
als: In der Zeit, dieweil die Polen vor Braunschweig lagen (Arndt 1959: 398). wenn·. Die ... Lieder sollen nur gelten, weil der Tag 12 Stunden lang ist (ebd.). temporales während: Weyl die paten das Kind noch hallten in der Tauffe, sol yhm der Priester die Hauben aufsetzen (Luther XII, 46; Behaghel 1928: 340). adversatives während: Weil nämlich die Alten beides zugleich konnten, so bleiben die Neuern noch bei der Sprache ihrer Vorgänger (Gottsched).
Eindeutigkeit ist offensichtlich gar keine Voraussetzung für das Vordringen einer Konjunktion, im Gegenteil. Nach Arndt (1959: 406) bot die temporale Bedeutung „die Möglichkeit, ein abstrakt-begriffliches Kausalverhältnis im anschaulich-faßbaren Bilde eines zeitlichen Zueinanders einzufangen", so daß die Mehrdeutigkeit „die neue Konjunktion mehr gefördert als ihr geschadet" habe. In Kenntnis der Grammatikalisierungsprozesse und der Rolle, die Metaphern dabei spielen, können wir heute sagen: Gerade die noch vorhandene temporale Bedeutung von weil ermöglichte es, den abstrakten Sachverhalt einer Begründung durch einen relativ konkreten, nämlich zeitlichen Zusammenhang darzustellen, nur sie erlaubt es dem Sprecher, sich des metaphorischen Verfahrens zu bedienen. Die Diachronie schafft also Klarheit in der Frage, welche Voraussetzungen für das Vordringen einer Konjunktion günstig bzw. notwendig sind. Eindeutigkeit ist es jedenfalls nicht. Die Diachronie erklärt auch, welche Eigenschaften für weil bei seiner Entwicklung zur Konjunktion von Vorteil waren. Es hatte zwar in semantischer Hinsicht kaum Vorteile gegenüber denn, weist es doch die selbe Grammatikalisierungsgeschichte wie dieses auf, aber es hatte einen enormen syntaktischen Vorteil, der ihm zum Durchbruch verhalf.
6
Damit soll diese detailreiche, akribisch genaue Arbeit in keiner Weise abgewertet werden.
Da, denn und weil - der Kampf der Konjunktionen.
77
3.2 Der syntaktische Vorteil von diu wile daz Das Mittelhochdeutsche unterschied kausale Haupt- und Nebensätze nur nach der Verbstellung, nicht durch unterschiedliche Konjunktionen, wande/watt wurde für beide Konstruktionen gebraucht. Dies gilt zunächst auch für dann/denn, das bis ins 17. Jahrhundert auch in Nebensätzen gebraucht wird, es ist in S. Brants Narrenschiff neben daß die häufigste Subjunktion (s. Eroms 1980: 107, Fn 117). Dann jedoch tritt durch weil, das im 15. Jahrhundert neben denn, nicht an seine Stelle tritt, eine syntaktische Funktionsaufteilung ein. Diu wile daz mußte auf Grund seiner Struktur es führte ja eine subordinierende Konjunktion bei sich - die Endstellung bzw., bevor diese strikt durchgeführt war, die Späterstellung des Verbs (s. z.B. 17c) erzwingen. Das erklärt, warum es die Vorgängerkonjunktion nur im Nebensatz ablösen konnte7, und zugleich, warum das Deutsche überhaupt eine zweite Kausalkonjunktion ausbildete. Es war gerade die subordinierende Syntax von diu wile dazi weil, die es ihm ermöglichte, neben denn zu treten, dieses zu ergänzen. Nach allgemeiner Auffassung der Sprachhistoriker (s. z.B. Wolf 1981: 200ff.) diente der Ersatz der einen Konjunktion wande/wan durch mehrere Konjunktionen der Disambiguierung, hatte differenzierende Funktion, auch wenn er auf Kosten der Ökonomie ging. Weil konnte in Kooperation mit denn die sich herausbildenden Unterschiede zwischen Haupt- und Nebensatzsyntax kenntlich machen, ihre Gegensätzlichkeit hatte unterscheidende Funktion. Wäre weil von Anfang an mit Verbzweit-Stellung konstruiert worden, wie Selting (1999) annimmt, so wäre dieser Vorteil nicht zur Geltung gekommen. Es ist nicht anzunehmen, daß die damaligen Sprecher eine absolut funktionsgleiche Konjunktion zusätzlich zu denn entwickelten (und über Jahrhunderte beibehielten), denn ein solcher Sprachwandel hätte keinerlei Vorteil gebracht, hätte vielmehr zu synonymen Konjunktionen geführt. Er wäre also dysfunktional gewesen und widerspräche damit unserem Verständnis von Sprachwandelprozessen. Im 15. bis 17. Jahrhundert war es also neben der temporalen Bedeutung gerade die subordinierende Funktion von weil, die ihm den Weg ebnete (vgl. Arndt 1959: 408): „Somit kam weil dem Bedürfnis nach einer den abhängigen kausalen Satz einleitenden Konjunktion am besten nach". Auch gegenüber seinem größten Konkurrenten unter den subordinierenden Konjunktionen war es ein formaler Vorteil, der ihm zum Sieg verhalf: Es war kürzer als darumb daz (vgl. Arndt 1959: 406). Die heutige Ausdehnung von weil in den Hauptsatz widerspricht dieser frühen Entwicklung nur scheinbar, zeigt aber, daß seine subordinierende Kraft offenbar nachgelassen hat. Diese ist bei seiner jetzigen Expansion natürlich eher ein Hindernis, weckt sie doch den Widerstand der Sprachkritiker, die allerdings übersehen, daß der 'Fehler' der Sprecher nicht in der falschen Konstruktion von Kausalsätzen, sondern in der Wahl der falschen Konjunktion besteht.
7
Nach Arndt (1959: 4 0 8 ) stand weil, „von einigen Ausnahmen abgesehen, von vornherein mit Spannsatzfolge". Der einzige in Arndt (1959: 400) erwähnte frühe Beleg mit Verbzweit dürfte durch die Übersetzung bedingt sein: Denn nun sind wir lebendig, dieweil jr stehet in dem Herrn (Luther), für: Quoniam nunc vivimus si vos statis in domino.
78 4.
Heide Wegener Ökonomie und Differenzierung
Wenn aber weil heute keine Merkmale aufweist, die es gegenüber denn und da eindeutig auszeichnen, so drängt sich der Verdacht auf, daß wir es hier mit einem Sprachwandel zu tun haben, der eher als fashion denn als function zu erklären ist, was ja auch dem diachron beobachtbaren Reigen der Konjunktionen entspräche. Langfristig weist die Kosten-Nutzen-Rechnung keinen Gewinn auf und es ergibt sich das Bild vom ewig Gleichen. Wir müssen hier jedoch unterscheiden zwischen dem Verdrängungsprozeß an sich und der jeweils aktuellen Präferenz der Sprecher für ein bestimmtes Lexem. So sehr die letztere etwas Zufälliges an sich haben mag, so sehr ist der erstere doch als lexikalischer Wandel erklärbar, und zwar durch das Prinzip der Ökonomie: Mit der Konzentration auf nur eine Konjunktion reduziert die gesprochene Sprache den Aufwand (vgl. Lüdtke 1979: 5) bei der Enkodierung einer kausalen Relation für den Sprecher - und natürlich den Lernaufwand für den Spracherwerber. Es ist einfacher, eine Sprache zu handhaben und sie zu lernen, die für eine bestimmte Funktion nur ein Lexem einsetzt, damit dem Ideal Ί Form = 1 Funktion' nahekommt und auf weitere Differenzierungen verzichtet. 'Gewonnen' hat bei diesem Sprachwandel also der Sprecher und der Sprachlerner, ihr Aufwand wird minimiert. Dagegen wird vom Hörer bei der Dekodierung jetzt mehr Anstrengung verlangt, er erhält ein Signal weniger, da eine mögliche Differenzierung unterschiedlicher Arten von Kausalität und/oder von deren Präsentation als behauptet vs. präsupponiert jetzt unterbleibt. Das erklärt auch den Unterschied zwischen gesprochener und geschriebener Sprache, der wohlgemerkt nicht in der Syntax liegt: Der Anteil parataktischer Konstruktionen ist, zumindest im kausalen Bereich, in der gesprochenen Sprache nicht wesentlich höher als in der Schriftsprache8. Insofern gilt auch die Behauptung, die gesprochene Sprache sei syntaktisch einfacher (z.B. Gaumann 1983: 140), nur bedingt. Kürzere Sätze sind nicht unbedingt weniger komplex, mehrfache Einbettungen finden sich auch in den ^¿/-Belegen, s. z.B. Gaumann (1983: 233). Ganz anders sieht es im Bereich des Lexikons aus. Es bedarf keines Nachweises, daß die Schriftsprache (und erst recht die Fachsprache) für die Bezeichnung bestimmter semantischer Funktionen oder Begriffe oft mehrere Lexeme zur Verfügung hat und folglich Differenzierungen vornehmen kann, wo die Umgangssprache sich mit einem vergleichsweise unspezifischen Vokabular begnügt. Das gilt fraglos für die großen Klassen der Inhaltswörter, aber auch für die (Halb-)Funktionswörter der Präpositionen und Konjunktionen, wie ein Blick in den Duden (1995: 78Iff.) zeigt. Ökonomische Verwendung einer begrenzten Menge des Lexikons ist also durchaus typisch für die gesprochene Sprache. Die Geschichte von weil ist somit auch eine Geschichte der konkurrierenden Prinzipien des Sprachwandels. Bei seiner Entstehung ging es um Disambiguierung und um Differenzierung, was natürlich auf Kosten der Ökonomie ging. Heute dagegen, wo das Pendel zurückschlägt, erfolgt die weitere Ausdehnung von weil ins Gebiet von 8
Höhne-Leska (1975: 58) stellt anhand ihrer statistischen Untersuchungen zur deutschen Syntax auf der Basis von 10 0 0 0 Satzabschnitten fest, daß die durchschnittliche Zahl abhängiger Nebensätze „in gesprochenen Texten nur um rund 8 % niedriger als in geschriebenen Texten" ist, und zwar 32,1 vs 39,7 %.
Da, denn und weil - der Kampf der Konjunktionen.
79
denn hinein aus dem Prinzip der Ökonomie - und geht auf Kosten der Differenzierung. Es ist zwar ökonomisch und in einer Sprache wie der deutschen mit klar unterschiedlicher Syntax in Haupt- und Nebensatz auch strukturell sinnvoll und also funktional, nur eine Konjunktion für beide Arten der Verknüpfung zu gebrauchen. Die Präferenz der Sprecher gerade für weil gegenüber denn und da läßt sich aber weder diachron noch synchron als zwingend erklären, was bei lexikalischem Wandel jedoch nicht anders zu erwarten ist. Seine Bedeutung und v.a. seine syntaktische Funktion ist derzeit noch eindeutiger als die der Konkurrenten, aber wie die Geschichte zeigt, ist Eindeutigkeit keine Voraussetzung für die Funktionsübernahme und den Sieg einer Konjunktion. Die heute ebenfalls zu beobachtende Abnutzung und Ausbleichung der kausalen Bedeutung durch den Mißbrauch von weil als Fortsetzungssignal deutet schon an, daß auch die Tage dieser Konjunktion gezählt sind. Für die weitere Entwicklung sind - natürlich nur spekulativ - mehrere Fälle denkbar, weshalb hier mehrere Prognosen erlaubt seien: 1. Weil dringt in die Schriftsprache ein, wofür Belege aus monologischen Texten sprechen 9 . Sein Sieg wird vollkommen. 2. Weil wird ersetzt durch eine Konjunktion mit konkreterer Bedeutung, vermutlich wieder aus dem temporalen Bereich. In den Startlöchern steht schon nachdem. 3. Neben weil tritt eine oder mehrere weitere Konjunktion(en) zur Differenzierung verschiedener Bedeutungen oder Funktionen. Wenn auch der 'Sieg' der Konjunktion weil über denn und da nicht zwingend erklärt, d.h. nicht als notwendig nachgewiesen werden kann, was, da es sich um lexikalischen Wandel handelt, nicht verwunderlich ist, so ist doch das Ersetzen von mehreren Konjunktionen durch nur eine und ebenso das Ersetzen von nur einer Konjunktion durch mehrere durchaus erklärbar. Beide Prozesse folgen dem „Streben des Menschen nach Optimierung", vgl. Lüdtke (1979: 5). Im einen Fall, dem heute zu beobachtenden Vordringen von weil in den Hauptsatz und Verdrängen von denn, wird der Arbeitsaufwand des Sprechers bei der Produktion minimiert, das System wird für Sprecher und Lerner ökonomischer, allerdings erhält der Hörer jetzt weniger Signale, weniger Information. Im anderen Fall, der Entwicklung einer zusätzlichen kausalen Konjunktion für den Nebensatz, wird der Arbeitsaufwand für den Hörer minimiert, die Dekodierung wird dank zusätzlicher Signale leichter, allerdings muß der Sprecher jetzt mehrere unterschiedliche Konjunktionen verwenden und lernen. Sprachwandel aber ist, wie Lüdtke (ebd.) zeigt, Sisyphusarbeit.
9
Im Feuilleton: S. Rückert über das Verhalten der Touristen in Börgerende in der ZEIT vom 13.8.1993: Die (= die 40 PKW) brausen mit 70 km/h an den Häusern entlang, und die Fußgänger hopsen in die Straßengräben. Nur bei Krauses fährt man gerne etwas schleppender vorbei, weil, da gibt es was zu sehen. Obwohl-V2 ist sogar schon in den Leitartikel vorgedrungen: G.Hofmann in der ZEIT vom 30.7.1998, S.l: Es geht nicht darum, eine Amerikanisierung herbeizuwünschen, in welcher der Parteienstaat an sein Ende käme. Obwohl - den Weltuntergang und ein Aus für die Demokratie bedeutet auch das nicht.
80
Heide Wegener
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Da, denn und weil - der Kampf der Konjunktionen.
81
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-L hinterer umlautf. Stammvokal [ # KKt] Beispiel:
hinterer umlautf. Stammvokal [#_Kt]
hinterer umlautf. Stammvokal [#_t]
hinterer umlautf. Stammvokal [#_#]
Kunst
Kraft
Naht
Kuh
[#_#] Stirn
Während diese Tendenz bei einem Nomen des Typs Kuh, also ohne finales /t/, nur ganz schwach nachzuweisen ist, steigt der relative Anteil der stark deklinierten Feminina bei einem Nomen des Typs Naht schon auf etwa 50% an. Während bei Kuh nur der hintere umlautfähige Stammvokal vorliegt, weist Naht zusätzlich noch den alveolaren Plosivlaut auf. Für Fälle des Typs Brust und Kraft gilt eine Wahrscheinlichkeit von gut 60% und für Fälle des Typs Brunft und Kunst sogar von knapp 90% für starkes Deklinationsverhalten. Mit anderen Worten: Ein monosyllabisches Femininum mit hinterem umlautfähigem Stammvokal und der Struktur [# KK+/t/] stellt den Prototyp für starkes Deklinationsverhalten dar. Weniger prototypisch für starkes Deklinationsverhalten wäre ein Femininum der Struktur [# K+/t/]. 3 Keinerlei Ähnlichkeit mit dem Prototyp weist ein Nomen wie die Stim auf. Nachfolgend soll mittels einer experimentellen Untersuchung geprüft werden, ob den beschriebenen Strukturen auch psychologische Realität zugeschrieben werden darf.
3. Experimentelle Überprüfung der Deklinationsklassenzuweisung 3.1 Konzeption des Experiments Ausgangspunkt für das Experiment war die Hypothese, daß sich die Deklinationsklassenzuweisung zu 'neuen' Nomina vor dem Hintergrund prototypentheoretischer Annahmen erklären läßt. Um diese Hypothese zu überprüfen, wurde ein Experiment mit 31 Anfängerstudenten der Germanistik aus dem norddeutschen Raum durchgeführt. Die Versuchspersonen (Vpn) hatten die Aufgabe, zu 37 Kunstwörtern den Gen.Sg. und Nom.Pl. zu bilden. Die Kunstwörter wurden in zwei Zufallsreihenfolgen gebracht; die eine Hälfte der Vpn sollte Abfolge A bearbeiten, die andere Hälfte Abfolge B. Alle Kunstwörter entsprachen den phonotaktischen Mustern der deutschen Gegenwartssprache. Die Vpn sollten sich vorstellen, Mitarbeiter in der Dudenredaktion zu sein. Von den 'neuen' Nomina war ihnen nur das Genus und die Bedeutung bekannt.
„K" bedeutet, daß an dieser Stelle ein Konsonant dem finalen /t/ vorausgeht und „KK", daß ein Konsonantencluster vorausgeht.
160
Klaus-Michael Kopeke
Wegen der spezifischen Akzentmuster der prototypisch schwachen Maskulina wurden alle Kunstwörter vom Versuchsleiter vorgelesen; die Vpn hatten dabei eine Liste der Nomina mit den jeweiligen Bedeutungsangaben vor sich. Ihre Aufgabe war es, die verschrifteten Nomina um die Gen.Sg.- und Nom.Pl.-Endung zu ergänzen. Eine vollständige Liste der im Experiment verwendeten Kunstwörter findet sich im Anhang.4 Ein denkbarer Einwand gegen die Validität der Ergebnisse könnte sein, daß sich die Vpn bei ihren Entscheidungen durch Analogiebildungen zu realen Wörtern leiten ließen; etwa könnte zu dem Kunstwort die Prüft das Femininum die Gruft assoziiert und folglich der Plural mit Umlaut + -e gebildet werden. Um diesem unerwünschten Effekt so weit wie möglich entgegenzuwirken, wurde ein Vortest mit einer anderen Gruppe von 29 Erstsemesterstudenten durchgeführt. Sinn dieses Tests war, für das Experiment Kunstwörter mit einem möglichst breiten Assoziationsspektrum zu finden. Aufgabe der an dem Vortest beteiligten Vpn war es, zu 60 Kunstwörtern das spontan assoziierte reale Wort niederzuschreiben. Wenn bei einem Testitem mehr als fünf identische Assoziationen auftraten, wurde das Item von der Liste gestrichen. Das Item Kurst mußte etwa eliminiert werden, weil fast die Hälfte der Vpn hierzu Wurst assoziierten. Ebenfalls der Streichung zum Opfer fielen solche Items, zu denen zwar in ausreichender Anzahl unterschiedliche reale Wörter assoziiert wurden, jedoch diese Assoziationen hinsichtlich ihrer Pluralbildung in mehr als 30% mit dem prognostizierten Pluralallomorph übereinstimmten. 3.2 Ergebnisse des Experiments Die Ergebnisse für die beiden Listen A und Β fielen nahezu identisch aus, darüber hinaus zeigte keine Vp individuelle Auffälligkeiten im Antwortverhalten. Die Ergebnisse des Experiments werden daher über alle Vpn und über beide Listen hinweg in den Tabb. 1 und 2 zusammengefaßt. Ganz links in den Tabellen werden die morphologischen und semantischen Eigenschaften der Nomina angegeben. In der rechten Spalte wird die spezifische Prognose für die Genitiv- bzw. Pluralbildung genannt, und zwar auf der Grundlage von IP-Analysen des Lexikons. Die Spalten in der Mitte zeigen, mit welchen relativen Häufigkeiten sich die Vpn für spezifische Morpheme entschieden haben. In Gruppe (1) geht es um die schon vorgestellten starken und schwachen Maskulina. Unter (2) werden Maskulina mit spezifischen Endungen untersucht. Bei der Endung -or unter (a) handelt es sich im Deutschen überwiegend um Personenbezeichnungen, wobei es allerdings kaum möglich ist, diese Wortbildungen synchron zu analysieren. Ein Vertreter dieser Untersuchungsgruppe im Realwortschatz ist der Autor. Nomina mit dieser Endung gehören zur sog. gemischten Deklination. Maskulina auf -eÜ-er unter (b) werden fast ausschließlich stark dekliniert5, etwa der Vogel und der Adler. Unter (3) finden sich die Ergebnisse für die Feminina. 4
5
Ich möchte darauf hinweisen, daß es unter den Testitems auch acht Neutra gab. Hierdurch sollte lediglich sichergestellt werden, daß alle drei Genera einigermaßen gleichgewichtig vertreten waren. Der gemischten Deklinationsklasse gehören etwa der Stachel und der Kaffer an. Mugdan (1977: 211) zählt 20 Nomina auf. Das entspricht, wenn man die Zählung von Äugst (1975)
Starkes, Schwaches und Gemischtes
in der Substantivflexion
des
161
Deutschen
Ν
-(e)n (U)-e (U)- 0
a) Prototyp für schwache Maskulina
62
90%
6%
30/0 -(e)n
b) Schwa, [+menschl.]
93
61%
34%
40/0 -(e)n
c) Schwa, [+belebt]
93
49%
49%
1 % -(e)n
-s
(U)-er Vorhers.
1) Maskulina
d) monosyll., [+menschl.]
93
39% 55%
e) monosyll., [+belebt]
93
30%
70%
f) monosyll., [-belebt]
93
9%
89%
1%
3%
2 % -(e)n/-e (-(e)n)/-e
2%
-e
2) Maskulina mit spezifischen Endungen 30/0 -en
a) '-or
62
7 3 % 240/0
b) -el/-er
62
27%
K] kein umlautfähiger Stammvok.
62
79%
14%
70/0
-en
b) [#
K] umlautfähiger Stammvokal
62
74%
21%
50/0
-en
c) [#
Kt] umlautfähiger Stammvokal
62
66%
270/0
5%
-en
d) [#
KKt] umlautfähiger Stammvokal
62
32%
61%
8%
-en/U+-e
io/o -0
710/0
3) Feminina a) [#
Tab. 1 : Überblick über die Ergebnisse des Experiments für die Pluralbildung Ν
-(e)n
-(e)s
(U)-e
(U)-0 Vorhersage
a) Prototyp für schwache Maskulina
62
760/0 210/0
3 % -(e)n
b) Schwa, [+menschl.]
93
710/0 270/0
20/0 -(e)n
c) Schwa, [+belebt]
93
370/0 630/0
d) monosyll., [+menschl.]
93
38%
e) monosyll., [+belebt]
93
260/0 7 3 %
f) monosyll., [-belebt]
93
10%
a) '-or
62
b) -el/-er
62
1) Maskulina
-(e)n
50/0 -(e)n/-(e)s
570/0 820/0
io/o (-(e)n)/-(e)s 6%
2 % -(e)s
270/0 6 5 %
1%
5%
870/0
2%
6% -s 6% -s
2) Maskulina mit spezifischen Endungen
3) Feminina a) [#
K] kein umlautfähiger Stammvok.
62
10%
3%
20%
6 7 % -0
b) [#
K] umlautfähiger Stammvokal
62
11%
3%
23%
6 3 % -0
c) [#
Kt] umlautfähiger Stammvokal
62
16%
5%
I30/0
d) [#
KKt] umlautfähiger Stammvokal
62
11%
2%
26%
660/0 -0 6 1 % -0
Tab. 2 : Überblick über die Ergebnisse des Experiments für die Genitivbildung
der auf -e//-er-auslautenden Maskulina zugrunde legt, etwa 3%. Für diese Berechnung sind alle morphologisch durchsichtigen Nomina agentis und actionis vernachlässigt worden, also z.B. malen - der Maler.
Klaus-Michael Kopeke
162
Insgesamt zeigen die Ergebnisse, daß die Vorhersagen auf der Grundlage der distributionellen Fakten im Realwortschatz nur in sehr eingeschränktem Maße eingelöst werden. Dies gilt sowohl für die Bildung des Gen.Sg. wie auch für die des Nom. PI. Nachfolgend sollen die Daten mit dem Instrumentarium der Prototypentheorie analysiert werden. Eingehend analysiert werden die Daten der Gruppen (1) und (3); auf die Ergebnisse unter (2) wird nur am Rande eingegangen werden.
4.
Diskussion
4.1 Schwache und starke Maskulina Die schwachen Maskulina sind im nominalen Wortschatz verglichen mit den stark deklinierten relativ selten. Daher ist zunächst zu prüfen, ob die Vpn überhaupt spezifische Kunstwörter systematisch schwach deklinierten. Schwaches Deklinationsverhalten liegt vor, sofern alle obliquen Kasus mit -(e)n gebildet werden. Unter den experimentellen Bedingungen sollten also der Gen.Sg. und der Nom.Pl. diese Form aufweisen. Die in den Tabellen unter (la) bis (lf) abgedruckten Ergebnisse zeigen, daß die Vpn intuitiv sehr wohl über das spezifische Deklinationsverhalten der schwachen Maskulina Bescheid wußten. Die Prozentangaben für die Genitiv- und Pluralbildung mit -(e)n für die Testitems der Gruppe (1) liegen immer relativ nah zusammen. Wenn sich eine Vp also bei den hier zur Diskussion stehenden Items bei der Gen.Sg.-Bildung für -(e)n entscheidet, dann entscheidet sie sich meistens auch beim Plural für dieselbe Form und umgekehrt. Für die Pluralbildung gilt, daß die Vpn bei den Maskulina der Gruppe (1) nur die Pluralallomorphe -(e)n, (U) + -e und (U) + -0 verwenden. Die Allomorphe -s und (U) + -er werden nur in einer zu vernachlässigenden Anzahl von Fällen gewählt. Für (U) + -er ist das nicht überraschend, da dieser Pluralmarkierung in der Gegenwartssprache keinerlei Produktivität zugeschrieben werden kann. Anders bei -s: Diese Markierung dehnt sich in der Gegenwartssprache immer weiter aus, insbesondere bei Entlehnungen wird sie favorisiert, vgl. Bornschein/Butt (1987) und Kopeke (1988). Es ist denkbar, daß der Grund für die Untergeneralisierung von -s in der Anlage des Experiments selbst zu suchen ist. Die Vpn sollten bei ihren Entscheidungen nämlich nicht nur die Ausdrucksseite eines Testitems berücksichtigen, sondern auch seine Inhaltsseite. Das experimentelle Design entsprach also eher natürlichen Bedingungen als das in Kopeke (1988) verwendete, wo nur auf der Grundlage ausdrucksseitiger Merkmale Pluralmarkierungen zu Kunstwörtern zugewiesen werden sollten. Möglicherweise wird -s umso eher als Default-Markierung verwendet, je weniger sich ein Item als deutsches oder eingedeutschtes Wort interpretieren läßt. Ein Wort, dessen Bedeutung man nicht oder nur vage kennt, wäre dann eher für den -s-Plural geeignet als ein Wort, dessen Bedeutung dem Sprachbenutzer bekannt ist. Daß die Kenntnis der Bedeutung für die Entscheidungen der Vpn wichtig war, läßt sich leicht an den Ergebnissen für die Testitems der Gruppen (la) bis (lf) ablesen, denn ganz offensichtlich spielt der Belebtheitsfaktor für die Auswahl der Markierung -(e)n zur Kennzeichnung
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des Gen.Sg. und des Nom.Pl. eine entscheidende Rolle. In dem Maße, wie dieses semantische Merkmal von [+menschlich] über [+belebt] zu [-belebt] verändert wird, sinkt jeweils auch der Anteil der -(^«-Zuweisungen kontinuierlich ab, und zwar bei der Pluralbildung zugunsten von (U) + -0, sofern das jeweilige Testitem auf Schwa auslautet, und zugunsten von (U) + -e, sofern ein monosyllabisches Testitem vorliegt. Die Addition von -(e)n und (U) + -0 bzw. (U) + -e deckt für jedes im Experiment getestete Muster mindestens 95% aller Entscheidungen der Vpn ab. Dieses Ergebnis ist in mehrfacher Hinsicht unvereinbar mit den von Äugst (1979) vorgeschlagenen Regeln (1) und (2), vgl. Abschnitt 1. Offensichtlich gilt weder uneingeschränkt, daß Maskulina, deren Stammform auf Schwa endet, ihren Plural mit -(e)n bilden, noch daß endungslose, also etwa monosyllabische Maskulina den Plural mit -e bilden. Darüber hinaus ist natürlich der hohe Anteil von (U) + -0-Bildungen erklärungsbedürftig. Die Verwendung von -(e)n unter den experimentellen Bedingungen nimmt genau in dem Maße ab, wie die Testitems weniger Charakteristika für die schwache Deklination aufweisen. Während sich beim Prototyp nahezu alle Vpn für -(e)n entscheiden, nehmen mit zunehmender Entfernung vom Prototyp auch Ubergangsprozesse von schwacher zu starker Deklination zu. Daß das Belebtheitskriterium (und eben nicht nur formale Charakteristika) für die Entscheidungen der Vpn von großer Bedeutung war, läßt sich an einem Vergleich der Gruppen (b) und (c) und der Gruppen (d) bis (f) ablesen. Gruppe (c) unterscheidet sich von Gruppe (b) nur dadurch, daß das Merkmal t+menschlich] durch [+belebt] ersetzt wurde. Entsprechend gilt für (d) das Merkmal [+menschlich], für (e) [+belebt] und für (f) [-belebt]. Offensichtlich führt die Rückführung des Belebtheitsfaktors zu einem kontinuierlichen Abrücken von -(e)n als Pluralmarkierung. Auch die in Kopeke (1995) postulierte Relevanz der prosodischen Faktoren (Mehrsilbigkeit, Akzent auf der Penultima bei vorausgehender nebentoniger Silbe, auslautendes Schwa) läßt sich durch die Ergebnisse bestätigen. Der einzige Unterschied zwischen den Testitems der Gruppen (a) und (b) betrifft die Prosodie. Die Differenz bezüglich der Anzahl der -(^«-Zuweisungen zwischen diesen beiden Gruppen beträgt fast 30%. Ebenfalls unübersehbar ist der Rückgang von -(^«-Zuweisungen, sofern das auslautende Schwa fehlt. Die Gruppen (b) und (d) bzw. (c) und (f) unterscheiden sich jeweils nur durch die An- oder Abwesenheit des Schwa. Bei beiden Vergleichen ist ein Unterschied von etwa 20 Prozentpunkten hinsichtlich der Auswahl von -(e)n als Pluralmarkierung festzustellen. Komplementär zu -(e)n werden von den Vpn die Pluralmarkierungen -0 und -e gewählt. Die Pluralbildung mit -e wird auch von Äugst vorausgesagt, sie tritt aber erst dann dominant auf, wenn man sich im Peripheriebereich der schwachen Maskulina bewegt, also bei den Untersuchungsgruppen (e) und (f). In Gruppe (f) finden sich genau solche Maskulina, die keine Merkmale für schwaches Deklinationsverhalten aufweisen. Viel überraschender als die Zuweisung von -e ist aber die von -0. Diese Pluralmarkierung ist im Realwortschatz für den hier untersuchten Typ von Maskulina nicht vertreten. Mit anderen Worten: Für das Verhalten der Vpn bei den Items der Gruppen (a) bis (c) gibt es im Realwortschatz keine Grundlage. Abermals liegen hiermit also Daten vor, die durch IP-Modelle nicht zu erklären sind. Eine Erklärung der Ergebnisse läßt sich m.E. mit dem in den vergangenen 15 Jahren immer besser ausgearbeiteten Schemaansatz erzielen, der mit den theoretischen
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Überlegungen zur Prototypentheorie wesensverwandt ist, vgl. etwa Bybee (1985), Kopeke (1993). Der Schemaansatz geht von der Annahme aus, daß die Klassifikation von Wörtern und Wortformen auf der Grundlage der Wiedererkennung spezifischer Muster erfolgt. Solche Entscheidungen hinsichtlich der Klassifikation basieren auf perzeptuellen Charakteristika der gegebenen phonotaktischen Gestalten. Ein Schema wird definiert als eine ausdrucksseitige Gestalt, der eine spezifische Regelhaftigkeit in dem Sinne anhaftet, daß sie ein bestimmtes Konzept, hier das der schwachen Deklination, mehr oder weniger zuverlässig repräsentiert. Es wird angenommen, daß sich die Schemata um Prototypen gruppieren. Spezifische Form-Bedeutungsbündel sind nämlich unterschiedlich gut dazu geeignet, die Zugehörigkeit zu grammatischen Klassen auszudrücken. Sieht man einmal von spezifischen Bedeutungsausprägungen bei den monosyllabischen Maskulina ab, dann ist -e die für diesen Strukturtyp die mit Abstand am häufigsten gewählte Pluralmarkierung. Eine Basisform, die auf -e auslautet, weist eine gewisse Ähnlichkeit mit dem prototypischen Schema [ # e] für den Plural monosyllabischer Maskulina auf. Der einzige Unterschied ist, daß die Artikelform der hiermit nicht harmoniert. Ruft man sich jedoch die Aufgabenstellung für die Vpn noch einmal in Erinnerung, dann ist zu bedenken, daß die Artikelform die vorgegeben war und nur noch die entsprechende Wortform einzusetzen war. Eine Form wie die Zirfe kann sehr wohl der Plural von der Zirf sein. Die Ergebnisse scheinen nahezulegen, daß die Vpn eine Strategie verfolgten, möglichst die besten Pluralschemata zu produzieren. Wenn aber ein Testitem in seiner Singularform schon dieses Pluralschema abbildete, behandelten die Vpn das Item so, als ob es sich schon um einen Plural handelte. Eine Analyse der Wortform erfolgt also nicht, stattdessen wird die Wortform als holistische Gestalt interpretiert und mit einer spezifischen Funktion in Verbindung gebracht. 6 Eine ganz ähnliche Erklärung wurde schon von Linell (1976: 21) vorgeschlagen: [...] there is plenty of evidence that languages strive for matching certain canonical (surface) patterns for the various morphological categories rather than deriving the forms by simply adding some invariant material to the input forms of the corresponding morphological operations.
Für die Genitivbildung der Testitems der Gruppe (1) gilt, daß die Auswahl zwischen den beiden Formen -(e)n und -s nahezu komplementär verläuft (Fig.l). Die Markierung -(e)n wird mit Abstand am häufigsten ausgewählt, sofern ein prototypisch schwaches Maskulinum vorliegt oder ein Maskulinum, das aufgrund des Merkmalsbündels [+menschlich] und auf Schwa auslautend unmittelbar an den Prototyp grenzt. Mit wachsender Entfernung vom Prototyp gewinnt dann immer mehr -s die Oberhand. Es ist allerdings wichtig festzustellen, daß es keinen abrupten Umschlagpunkt von -(e)n zu -5 gibt, sondern daß sich dieser Wechsel kontinuierlich vollzieht. Wiederum gilt, daß solche Beobachtungen mit den theoretischen Vorgaben von IP-Modellen kaum zu vereinbaren sind, hingegen lassen sie sich unter Zugrundelegung der Prototypentheorie voraussagen.
6
Diese Überlegungen erklären auch, und zwar alternativ zu den in Abschnitt 4.1 gegebenen Erklärungen, warum die Vpn so selten auf die Pluralallomorphe -er und -s zurückgriffen. Diese Allomorphe bilden natürlich Pluralformen, aber eben nicht die in diesem Zusammenhang prototypischen.
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90 80 •
70 60
50 40 · 30 · 20 -
10
0 • Schettose Truntake
Zirfe Troche Sponke
Kniche Stisse Schnache
Knirf Knatt Schiaß
Sier Sperf Knauck
Grolch Trilch Knoff
Fig. 1 : Genitivbildung mit -(e)n und -s bei den Maskulina (in %)
4.2 Gemischt deklinierte Maskulina Mit den Testitems der Frátor und der Tréikor sollte das Wissen der Vpn um die gemischte Deklination überprüft werden. Die Endung -or bewirkt zwar im Realwortschatz ausnahmslos die gemischte Deklination, andererseits aber weisen die mit dieser Endung auslautenden Nomina eine gewisse Verwandtschaft mit den prototypisch schwachen Maskulina auf. So gelten auch hier Mehrsilbigkeit und das semantische Merkmal [+menschlich]. Die bei der Pluralbildung dieser Nomina festzustellende Verschiebung des Hauptakzents auf die Penultima und die damit vorausgehende nebentonige Silbe führen zumindest im Pluralparadigma zu völliger Identität mit den prototypisch schwachen Maskulina: der Léktor > die Lektoren. Vor diesem Hintergrund darf man erwarten, daß sich in diesem Segment des nominalen Wortschatzes die Markierung -en auch auf das Singularparadigma ausdehnt. Die Ergebnisse des Experiments bestätigen diese Vermutung, denn immerhin 73% der Vpn markierten den Nom.PL und 27% den Gen.Sg. mit -en. Analysiert man diese über beide Testitems gewonnenen Werte genauer, dann läßt sich auch hier wieder die Bedeutung des semantischen Merkmals [+menschlich] nachweisen. Während Tréikor nämlich ein Werkzeug bezeichnete, wies Frátor das Merkmal [+menschlich] auf. Bei Tréikor entschieden sich für -en als Pluralmarkierung 65% der Vpn, bei Frátor aber 81%. Vergleichbar fielen mit 22% bzw. 32% die Unterschiede bei der Verwendung von -en als Markierung für den Gen.Sg. aus. Erklären lassen sich solche Daten, wenn man das Instrumentarium der Prototypentheorie einsetzt. Dabei wird, im Unterschied zu IP-
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Klaus-Michael Kopeke
Modellen, angenommen, daß weder eine spezifische Basisform noch der Prozeß, durch den eine Wortform aus einer vorgegebenen Basisform gebildet wird, eindeutig eine flektionsmorphologische Behandlung erzwingen. Vielmehr wird davon ausgegangen, daß sich der Übergang von der einen zur anderen Kategorie, also etwa von schwacher zu gemischter zu starker Deklination, allmählich und nicht abrupt vollzieht.
4.3 Schwache und starke Feminina Ich habe in Abschnitt 2.2 schon erwähnt, daß Feminina im allgemeinen schwach dekliniert werden; lediglich eine kleine Gruppe fast ausschließlich monosyllabischer Feminina wird stark dekliniert. Die stark deklinierten Feminina sind nicht willkürlich über das Lexikon verteilt, vielmehr sind sie um einen Prototyp herum organisiert. Genau diese Organisationsform sorgt wahrscheinlich neben der hohen Gebrauchsfrequenz dieser Nomina für den Fortbestand ihres spezifischen Deklinationsverhaltens.7
— Zehr Schirr
1
1 Taff Bluhr
1 Bracht Prüft
Schunst Barst
Fig. 2: Pluralbildung mit Umlaut + -e und -en bei Feminina (in %) Die Zahlenangaben aus Tab. 1 unter (3a) bis (3d) zeigen, daß bei den untersuchten Feminina keineswegs einheitlich die von Äugst (1979) prognostizierte Pluralmarkierung -(e)n gewählt wird. Vielmehr ist zu beobachten, daß sich die Vpn in dem Maße, wie sich die untersuchte Struktur dem Prototyp für die starken Feminina annähert, immer häufiger für die Pluralbildung mit {Umlaut) + -e entscheiden. Darüber hinaus ist Fig. 2 zu entnehmen, daß die beiden Pluralmarkierungen -(e)n und (Umlaut) + -e von den Vpn nahezu komplementär verwendet wurden.
7
Noch im Mittelhochdeutschen war das Muster der Pluralbildung mit (Umlaut) + -e viel verbreiteter als heute. Es läßt sich aber nachweisen, daß sich der Abbau dieses Musters in der Peripherie des Prototyps vollzog. Mit anderen Worten, je näher man der Struktur des Prototyps kommt, desto seltener ist ein Wechsel von (Umlaut) + -e hin zu -(e)n nachzuweisen, vgl. Kopeke (1993: 127f.).
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Für den Gen.Sg. bei den Kunstwörtern aus Gruppe (3) gilt, daß er unabhängig vom jeweiligen Strukturtyp nahezu konstant in etwa 2/3 der Fälle mit - 0 gebildet wird. Uberraschend ist hieran weniger die Konstanz als vielmehr die relativ geringe Zahl der zielsprachlichen Formen selbst, denn gleichgültig, ob es sich um ein starkes oder schwaches Femininum handelt, ist der Gen.Sg. bei Feminina ja immer endungslos. Ich möchte nicht darüber spekulieren, warum die Zahl der Genitivbildungen mit Null vergleichsweise gering ausgefallen ist. Wichtiger scheint mir die Tatsache zu sein, daß die experimentellen Ergebnisse auf Seiten der Vpn ein Wissen auch um relativ kleine Subgruppen im nominalen Lexikon belegen.
5 . Schlußbemerkungen
Die Ergebnisse zeigen, daß IP-Regeln nur sehr unzureichend das Deklinationsverhalten von Nomina voraussagen können. Zwar läßt sich nachweisen, daß Regeln für spezifische Bereiche des nominalen Lexikons annähernd korrekte Prognosen bereitstellen können, jedoch gilt ebenso für eine ganze Reihe von Segmenten des Lexikons, daß sie falsche Voraussagen abgeben. Ursache hierfür ist ausdrücklich nicht die zu grob geschnitzte Regel, sondern vielmehr die Tatsache, daß sich das Lexikon möglicherweise prinzipiell den expliziten Anweisungen für durchzuführende formale Operationen von IP-Regeln entzieht. Das liegt zum einen daran, daß sich im Lexikon zu fast jeder Regel Ausnahmen finden lassen, die dann vom Sprecher als sprachliche Einzeltatsachen zu speichern wären, zum anderen tendieren lexikalische Einträge dazu, sich aufgrund spezifischer semantischer und/oder ausdrucksseitiger Gemeinsamkeiten innerhalb größerer Klassen zu Subklassen zusammenzuschließen. Auch diese Subklassen sind meistens in ihrem morphologischen Verhalten nicht vollständig einheitlich. Als Beispiele hierfür können die schwachen Maskulina und die starken Feminina gelten, die jeweils den größeren Klassen der Maskulina bzw. Feminina angehören. Das Konzept der Regel wird offensichtlich diesem Teilbereich der innersprachlichen Organisation nicht gerecht. Als alternativen theoretischer Zugriff auf das Problem habe ich eine theoretische Konzeption vorgeschlagen, die davon ausgeht, daß das Lexikon in vielen Bereichen entlang von Prototypen organisiert ist. Die schwachen Maskulina und die starken Feminina scheinen Paradebeispiele für diesen Organisationstyp zu sein. Im Unterschied zum Symbolverarbeitungsansatz, bei dem Kategorien scharf voneinander abgegrenzt sind, arbeitet die Prototypentheorie mit 'weichen' Übergängen von einer Kategorie zur anderen. 8 Die verschiedenen Muster weisen unterschiedliche Gewichtungen auf und sind demzufolge hinsichtlich der zu ihnen assoziierten grammatischen Kategorien unterschiedlich zuverlässig.
8
Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, daß diese Position mit den Modellen von neuronalen Netzwerken kompatibel ist, die in den vergangenen 10 Jahren im Rahmen des Neokonnektionismus erarbeitet worden sind.
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Klaus-Michael
Kopeke
Anhang
Nachfolgend werden alle Testitems geordnet nach Zugehörigkeit zu den untersuchten Mustern abgedruckt, vgl. auch die Tabb. 1 und 2. Auf den Abdruck der neutralen Störitems verzichte ich aus Platzgründen.
1. Maskulina a) Prototyp für schwache Maskulina der Truntáke: Häuptling eines südamerikanischen Indianerstammes. der Schettóse: Angehöriger eines afrikanischen Stammes in Natal. b) Schwa, [+menschlich] der Sponke: Bezeichnung für einen geizigen Menschen. der Troche: Bezeichnung für einen Menschen mit ironisch-zynischer Geisteshaltung. der Zirfe: Hoher türkischer Würdenträger. c) Schwa, [+belebt] der Kniche: Ein Greifvogel, der in den Hochlagen der Anden lebt. der Stisse: Ein dem Zebra ähnliches Tier, das in den Savannen Afrikas entdeckt wurde. der Schnacke: Ein in den Tropen beheimatetes Säugetier von der Größe eines Schäferhundes. d) monosyllabisch, [+menschlich] der Knirf: Abwertende Bezeichnung für einen mürrischen Menschen. der Knatt: Bezeichnung im Südwesten Bayerns für einen verwahrlosten Menschen. der Schiaß: Bezeichnung für einen hinterhältigen Menschen. e) monosyllabisch, [+belebt] der Sier: Bezeichnung für ein löwenähnliches Säugetier in den Tropen. der Sperf: Ein in den Regenwäldern beheimateter Singvogel mit extrem langen Beinen. der Knauck: Ein kürzlich in den Alpen entdecktes Säugetier mit schwarzweiß gezeichnetem, langschnäuzigem Kopf. f) monosyllabisch, [-belebt] der Trilch: Strapazierfähiges Gewebe. der Grolch: Handgeknüpfter turkmenischer Teppich. der Knoff: Bezeichnung für einen festen Moorgrund oder eine torfartige Schicht.
2. Maskulina mit spezifischen Endungen a) Maskulina mit der Endung '-or der Tréikor: Bezeichnung für ein längs zur Pflugrichtung angebrachtes Teil am unteren Ende des Pfluges. der Frátor: Bezeichnung für den Vorsitzenden einer turkmenischen Kolchose. b) Maskulina mit den Endungen -el/-er der Grettel: Im Freien geschichteter größerer Haufen Stroh, Heu, Torf. der Fletter: Begriff aus der Fachsprache der Schuster: Aufgedoppelte Schuhsohle.
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3. Feminina a) Muster [ # K], kein umlautfähiger Stammvokal die Schirr: Mulde zwischen Steilwänden im Hochgebirge. die Zehr: Eine flache Scheibe. b) Muster [ # K], umlautfähiger Stammvokal die Taff: Eine der Artischocke ähnelnde Pflanze. die Blahr: Druckersprache: Zur Herstellung des Satzes dienende Hochdruckform. c) Muster [ # Kt|. umlautfähiger Stammvokal die Bracht: Fruchtkern der Mango. die Prüft: Kleine Ansammlung von Wasser. d) Muster [ # KKt]. umlautfähiger Stammvokal die Barst: Langer Wollfaden. die Schunst: Seitliche Körperpartie unterhalb der Kruppe beim Pferd.
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Klaus-Michael Kopeke
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Oliver Teuber
Gibt es zwei Genitive im Deutschen?*
1. Allgemeines
Die Beschäftigung mit dem Genitiv im Deutschen stellt sich zu nicht geringen Teilen als Betrachtung oder gar Bewertung von Zweifelsfällen und Besonderheiten dar. Die Konkurrenz zwischen Genitiv- und Präpositionalkonstruktionen mit von und durch (la; „ ~ " steht für „variiert mit"), relativ rezente Sprachwandelerscheinungen wie der Abbau des Genitivs bei Verben (lb; „>" steht für „wird zu") und Veränderungen in der Morphosyntax (lc) und Morphologie (ld) des Genitivs haben teilweise erhebliche Schwankungen bei Grammatikalitätsurteilen zur Folge (le) oder tragen archaische Konnotation (lf). Im übrigen ist es natürlich eine Tatsache, daß es im gesprochenen Süddeutsch den Genitiv gar nicht gibt. (1)
a. b. c. d. e. f.
Peters Grammatik ~ Die Grammatik von Peter Sie erinnert sich seiner > Sie erinnert sich an ihn die Leiden des jungen Werthers > die Leiden des jungen Werther des Vettern > des Vetters; des Bauern > des Bauers ?die Grammatik Peters; ?des Genitiv; PFritz Grammatik; PWir gedenken Rosa und Karl die Stadt Davids; im Lande Lenins
Trotzdem sind wir der Meinung, daß der Genitiv im gegenwärtigen Standarddeutsch einen bestimmbaren, strukturellen Platz einnimmt. Ihm können systematische Eigenschaften zugesprochen werden, die es erlauben, vielleicht nicht jeden Zweifelsfall, aber doch den größten Teil des Datenbestandes und einige grammatographische Problemfälle zu erklären. Für das Folgende genügt es, wenn wir uns auf morphologische und syntaktische Eigenschaften beschränken, so daß auf Fragen der Semantik des Genitivs hier nicht eingegangen werden muß (zur Genitivsemantik Eisenberg 1994: 248f.; Zifonun et al. 1997: 2025-2030; Helbig/Buscha 1994: 591f.). Zunächst stellen wir die Konstruktionstypen vor, die die Basis unserer Überlegungen bilden, und es wird der im Weiteren auszuführende Analyseansatz angedeutet. Anschließend werden die Charakteristika des Genitivs in morphosyntaktischer und funktionaler Hinsicht umrissen, um danach die u.E. strukturell entscheidenden Fragen zum s-Genitiv der Appellativa und Stoffsubstantive sowie der Eigennamen darzustellen und zu bearbeiten. Dabei sind Einzelheiten zur syntaktischen Struktur genitivischer Nominale und Aspekte der Flexionstypen der Substantive darzulegen. Wir tun dies im Strukturformat, das aus Eisenberg (1998: 14-27; auch Eisenberg 1994: 52-72) bekannt ist. Schließlich wird noch kurz auf Aspekte eingegangen, die sich aus der vorgeschlagenen Analyse für die Verhältnisse innerhalb der engen Apposition und zur Frage der Orthographie des Genitiv-s ergeben. * Für zahlreiche Hinweise, Verdeutlichungen und Beispiele danke ich Ewald Lang herzlich.
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Oliver Teuber
Wir gehen von der in 2 wiedergegebenen Grammatikalitätsverteilung aus. Die mit „(*>" gekennzeichneten Fälle sind nicht ungrammatisch im eigentlichen Sinn; im allgemeinen werden sie als stilistisch markiert betrachtet (vgl. Eisenberg 1994: 250; Zifonun et al. 1997: 2020; Erben 1980: 155; Duden 1995: 643). Als strukturfundierend sollen aber in jedem Fall 2a und 2d verstanden werden, auf die dann auch andere Konstruktionen (wie der Aufstieg des Arturo Ui, weiter unten) zu beziehen sind. (2)
a. c.
Peters Grammatik Mdes Professors Grammatik
b. d.
w
d i e Grammatik Peters die Grammatik des Professors
Worauf unsere Argumentation letztlich hinauslaufen wird, ist eine Analyse, wonach Peters in 2a und Professors in 2d syntagmatisch und morphosyntaktisch völlig unterschiedlich zu explizieren sind und in einem gewissen Sinne 'zwei verschiedene Genitive' darstellen. Das soll auch daran aufgezeigt werden, daß bestimmte Beschreibungsprobleme damit zusammenhängen, daß beide unangemessenerweise in dieselbe Kiste Genitiv gepackt werden.
2. Zu Form und Funktion des Genitivs im Deutschen
Zunächst tun wir aber so, als sei Genitiv eine heterogene Kategorie, und geben kurz eine allgemeine Charakteristik. Wenn dabei von Besonderheiten die Rede ist, so ist dies natürlich relativ zu verstehen. Jede grammatische Erscheinung muß Besonderheiten haben, sonst gäbe es sie gar nicht. Auf 'Randständigkeit' soll daraus nicht unmittelbar geschlossen werden. Die mögliche Zugehörigkeit zur strukturellen Peripherie ergibt sich erst aus der Deutung des Systems. Nominativ (Nom), Akkusativ (Akk) und Dativ (Dat) sind v.a. von Verben regierte Kasus. Ihre formale Ausdifferenzierung und Systematizität ist funktional explizierbar mit der Notwendigkeit der transparenten Kennzeichnung von Subjekt, direktem Objekt und indirektem Objekt bei maximal dreistelligen Verben (Seiner Frau bat der Professor das Buch gewidmet). Alle drei Kasus treten darüber hinaus 'frei' auf, also adverbial: der Nom als Vokativ, der Akk als 'Akkusativ der Zeit' und 'des Wegs', der Dat als 'freier (mindestens: ethischer) Dativ'. Akk und Dat bilden darüber hinaus ein System als Präpositionalkasus. In paradigmatischer 'Konkurrenz' können sie bei einer Klasse von Präpositionen direktionale (Akk, in die Küche, etc.) und lokale (Dat, in der Küche, etc.) Bedeutung differenzieren. Den Genitiv (Gen) als Objektkasus im gegenwärtigen Deutsch betrachten wir als ausgestorben. Die Domäne des Genitivs ist das Attribut und umgekehrt, „Das Attribut ist die Domäne des Genitivs" (Eisenberg 1994: 246). Aus dem System zur Ausdifferenzierung der Kasus ist der Gen damit nicht zwangsläufig ausgeschlossen. Die Unterscheidung von Ergänzungen zum Verb (Nom, Akk, Dat) und Attributen zum Nominal (Gen) ist durchaus von funktionalem Nutzen, wenn vielleicht auch nur struktureller Natur; 'Minimalpaare' sind eher marginal (daß Peter Reis kocht vs. daß Peters Reis kocht). Desweiteren kann der Genitiv von Präpositionen regiert sein. Diesen Syntagmen ist im allgemeinen aber noch deutlich ihre Herkunft aus der
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Attributstruktur anzusehen (an der Stelle des Professors > anstelle des Professors) und es ergeben sich bestimmte Akzeptanzprobleme, möglicherweise stilistischer Natur (anstelle Peters). Wo bei Präpositionen Alternanz zwischen Gen und Dat besteht (wegen, laut), ist dies nicht, wie bei den Akk-Dat-Paaren, funktional-differenzierend. Vielmehr interpretiert man möglichen Dativ als fortgeschrittene Grammatikalisierung, was dann allerdings tatsächlich so gedeutet werden könnte, daß fortschreitende Integration in 'das morphosyntaktische Kernsystem' vom Genitiv weg führt. Hingegen ist der Genitiv mancher Adverbien als lexikalisiert zu betrachten im Sinne einer 'Nicht-(mehr-)Analysierbarkeit'. Zweifellos trifft dies auf links, flugs und öfters (syntaktisch und semantisch gleich öfter) zu. Fraglich ist der Status der Typen eines
Morgens (vgl. feines fernen Jahres, "einer schönen Woche) und freitags (vgl. *aprils regnet es hier viel). Wir blenden diese Fälle aus unseren Betrachtungen aus.
Zusammenfassend stellt sich der Genitiv syntaktisch als besonderer Kasus dar, indem er sozusagen dem restlichen Kasussystem als Ganzem gegenübersteht und außerdem in sehr enger, beinahe eineindeutiger Korrelation zu einer einzigen syntaktischen Relation, dem Attribut zum Nominal, steht. Noch deutlicher wird die Stellung des Genitivs zwischen Integration in das Kasussystem und Sonderrolle beim Blick auf die Nominal-, insbesondere Substantivflexion. Im Singular der Feminina besteht zwischen Gen und Dat immer Synkretismus, auch in der ausgebauten Nominalgruppe (dieser neuen Grammatik). Im Plural aller Genera lautet das Substantiv im Gen wie im Nom und Akk, zur Differenzierung ist mindestens der Artikel notwendig (der neuen Grammatiken) oder ein stark flektiertes Adjektiv oder Pronomen (neuer / dieser Grammatiken). Soweit ist der Gen ein 'ganz normaler Fall'. Die Verschiebung der Kasuskennzeichnung vom Substantiv in den Artikel ist ein Sprachwandelprozeß, der sich vom Germanischen bis ins Neuhochdeutsche zieht und als durchaus zielgerichtet bezeichnet werden kann (siehe dazu Wurzel 1992: 18-25). Umso erstaunlicher ist vor diesem Hintergrund dann aber die Flexion der Maskulina und Neutra im Singular. In der starken und gemischten Flexion ist es gerade der Genitiv, der obligatorisch gekennzeichnet ist, nämlich mit -s. Die Besonderheit dieser Kennzeichnung zeigt sich im Vergleich zu den anderen verbliebenen Kasusmarkern am Substantiv, dem fakultativen Schwa im DatSg und als 'Einschub' im GenSg und dem DatPl-K.
Fig. 1 : Gegenwärtige Varianten in der starken Substantivflexion Fig. 1 zeigt die beiden Paradigmen, zwischen denen die starke Flexion der Substantive im gegenwärtigen Deutsch variiert. Dabei sind diejenigen Formen grau unterlegt, die bei einsilbigem Stamm trochäisch sind. Den 'Ausfall' des Schwa im Dat- und GenSg (rechtes Paradigma gegenüber dem linken) kann man unschwer funktional so deuten, daß die prosodische Differenzierung innerhalb des Paradigmas isomorph zur Nume-
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Oliver Teuber
rusunterscheidung ist: einsilbige Formen sind singularisch, trochäische pluralisch. Das /s/ des GenSg und das /n/ des DatPl stören diese Systematik nie. Bis auf die gleich zu behandelnden zwangsläufigen Sonderfälle kann /s/ an jeden Stamm suffigiert werden, ohne daß die Syllabierung beeinträchtigt wird. Das gleiche gilt für /n/, aber nur wegen der Phonologie der Pluralbildung im Deutschen: die 'Pluralstämme' im Kernbereich der Substantivflexion enden alle auf e, er oder el. Entscheidend ist nun, daß im DatPl der trochäische Fuß auch auf Kosten der transparenten Kennzeichnung beibehalten wird. Wird der Plural mit en gebildet (Bett) oder ist der Stamm bereits zweisilbig auf η (Brunnen), so ist der DatPl nicht von den anderen (Plural-)Formen zu unterscheiden (*Bettenn, *Brunnenn). Genau dies ist aber im parallelen Fall im GenSg nicht so. Lautet hier der Stamm auf s aus, muß eine Silbe angehängt werden (Herr des Hauses nicht *Herr des Haus), die prosodisch-funktionale Teilung des Paradigmas kann nicht aufrecht erhalten werden. Der Genitiv im Singular ist also der einzige Kasus, der am Substantiv selbst in jedem Fall gekennzeichnet werden muß. Das gleiche gilt für die schwachen Maskulina. Fig. 2 zeigt die beiden für diesen Flexionstyp Varianten Paradigmen, wieder mit Hervorhebung der trochäischen Formen. Systematische Abbauerscheinungen betreffen hier den Akk- und DatSg. Der GenSg wird immer gekennzeichnet, was in diesem Fall heißt, daß er auch prosodisch markiert ist. (Man beachte übrigens, daß das starke Paradigma von Haus somit prosodisch identisch ist mit den schwachen Paradigmen, indem genau GenSg und die Plural-Formen zweisilbig sind. In beiden Fällen sind die 'abgebauten' Paradigmen rechts in den Figuren vorausgesetzt.)
Fig. 2: Gegenwärtige Varianten in der schwachen Substantivflexion Die Morphologie des Genitivs stellt sich zusammenfassend also durchaus als heterogen dar. Während sie bei den Feminina im Sg vollständig im System der Unterscheidung von Nom/Akk und Dat/Gen aufgeht und im Plural aller Genera 'systemkonform' auf den Artikel verlagert ist, stellt sich die Genitivkennzeichnung der Maskulina und Neutra im Singular als schon fast penetrant heraus - schließlich ist sie auch noch redundant gegenüber dem kasus-eindeutigen Artikel (des, eines). Eine zufriedenstellende Erklärung dieses Sachverhalts können wir im Folgenden nicht geben. Immerhin können wir sagen, daß Unsicherheiten in der Genitivbildung von fremden, insbesondere prosodisch 'überlangen' Wörtern in dieser Sicht nicht überraschend erscheinen (des Genitivs ~ des Genitiv, ??des Kommunismuses·, zu solchen Fällen vgl. Leirbukt 1983; Rowley 1988).
Gibt es zwei Genitive im Deutschen? 3.
17 5
Der s-Genitiv der Appellativa und Stoffsubstantive
Von den beiden Genitivattributen, die wir als die Kerntypen betrachten, 2a (Peters Grammatik) und 2d (die Grammatik des Professors), wird die Regularität des ersten meist so beschrieben, daß als vorangestellter, sog. sächsischer Genitiv nur artikellose Eigennamen in Frage kommen (Eisenberg 1994: 250; Zifonun et al. 1997: 2020; Erben 1980: 155; der Duden 1995: 643 spricht ausschließlich von Personennamen). Wir kommen auf den Genitiv der Eigennamen in Abschnitt 4 zurück. Den für die Analyse ausschlaggebenden Aspekt sehen wir in der Frage nach dem Artikel, genauer im Umkehrschluß zur genannten Regularität: das nachgestellte Genitivattribut (des Professors) steht im allgemeinen nur mit 'Artikel'. Um diese, strenggenommen viel zu vage Formulierung inhaltlich zu füllen, muß etwas ausgeholt werden. Zum einen geht es nicht um Artikel als Wortart, sondern um eine 'determinierende Konstituente' in der Nominalgruppe (NGr), die stark flektiert ist, also ein Pronomen, Adjektiv oder eben einen Artikel. Die strukturelle Rolle einer solchen Einheit wird uns gleich beschäftigen. Zum anderen treten die entscheidenden Eigenschaften von Nominalgruppen mit vs. ohne Artikel nicht nur beim Genitivattribut auf, sondern auch nach Präpositionen, und zwar im Genitiv und Dativ. Steht keine 'determinierende Konstituente', kann das Substantiv nicht die Kasusform haben, d.h. fakultatives Dativ-e und obligatorisches Genitiv-s sind ungrammatisch wie in 3 und 4 (3 und 4a, c aus Eisenberg 1994: 177f.). (3)
a. b. c. d.
Japan versorgt Europa mit billigem Stahl Japan versorgt Europa mit billigem Stahle Japan versorgt Europa mit Stahl * Japan versorgt Europa mit Stahle
(4)
a. b. c.
der Preis japanischen Stahls der Preis des Stahls *der Preis Stahls
Eine Regularität dieser Art verträgt sich nicht mit dem, was als das normale Verhältnis von paradigmatischer und syntagmatischer Strukturiertheit angesehen wird. Wenn etwa aus syntaktischen Gründen ein Dativ gefordert ist und das Paradigma eine dativische Form enthält, dann kann diese Form 'normalerweise' auch verwendet werden. [3d] und [4c] zeigen, daß diese Annahme nicht immer gilt. Eisenberg 1 9 9 4 : 177f.
Verhältnisse dieser Art treten aber nicht nur, wie Eisenberg analysiert, bei Stoffsubstantiven auf; diese stehen nur prototypischerweise ohne Artikel. Erlaubt der Kontext Appellativa ohne Artikel, tritt die gleiche Grammatikalitätsverteilung auf (5). (5)
a. b. c.
mit Stuhl anstatt Sessel ''mit Stuhle anstatt Sessels mit einem Stuhle anstatt des Sessels
Ausschlaggebend für den Kasus des gesamten Nomináis ist also offensichtlich die 'determinierende Konstituente'. Ihre strukturelle Rolle ist dabei relational zu begreifen: als Teil der Nominalgruppe ist sie in bestimmter Weise für Form und Syntax der ganzen NGr 'verantwortlich'. Diese Relation ist die Kopf-Relation („hd" für head). Sie ist zu unterscheiden von der Kern-Relation („nuk" für Nukleus), so daß sich die Ver-
176
Oliver Teuber
hältnisse für komplexe Nominale wie in Fig. 3 darstellen. (Zu Kopf und Kern in der N G r siehe Eisenberg 1998: 329, dort jedoch mit einer anderen Auffassung bezüglich des stark flektierten Adjektivs, vgl. ebd.: 333; zur Begründung einer morphologischen Kopf-Funktion Eschenlohr 1999: 35ff.) a.
b. \
NGr
y
\
N N der Stuhl
NGr
f
N N hoher Stuhl
( Ν dieser
NGr
j
Ν Ν hohe Stuhl
Fig. 3: Kopf (hd)- und Kern (nuk)-Relationen in der Nominalgruppe In der Kopf-Position wird der Kasus der NGr gekennzeichnet. Diese Analyse steht in Einklang mit der bereits erwähnten diachronen Verschiebung dieser Kennzeichnung vom Substantiv in den Artikel, abstrahiert dabei 'Artikel' jedoch auf eine funktionale Stelle im ausgebauten Nominal. Das Zustandekommen der Kasusmarkierung in einer solchen NGr kann wie in Fig. 4 dargestellt werden. Dem endungslosen Substantiv wird dabei gar keine Einheitenkategorie zugewiesen; die 'Markierungsvererbung' von primitiver Konstituente auf Nominalgruppe ist durch „ > " angedeutet, „ > " bildet eine Rektionsbeziehung ab, „COM" steht für Appellativum (common noun). * > '·
NGr
\|
Ν der {Nom,Sg,Mask} /''{DEF}
I
]
1//
Ν Stuhl 0 {MASK,COM}-
1
)
{Nom,Sg,Def} {MASK,COM} ~~ Fig. 4: Markierungsverhältnisse in der Nominalgruppe Hätte das Substantiv eine Kasusmarkierung, so wäre dies für die Kasusmarkierung der ganzen Gruppe ohne Bedeutung. Kasus am Substantiv liefe funktional leer. Wir interpretieren die Verhältnisse folglich so, daß das Substantiv gar keinen Kasus hat, in dem Sinne, wie die möglichen Konstituenten in Kopf-Position und die gesamte NGr Kasus haben. Das optionale Schwa im DatSg und das s im GenSg sehen wir vielmehr als Kongruenzformen zum Kasus des Kopfes. Wir bezeichnen also Stuhls als 'die s-Form des Paradigmas Stuhlp: {-s}' und nehmen eine Kongruenzregel an '{-s} im Kern ist kongruenzabhängig von {GenSg} im Kopf'. (Vorsichtiger sollte man hier statt von ,,{-s} im Kern" besser von ,,{-s} im nächsten auf den Kopf folgenden Substantiv" sprechen. Wir kommen auf diesen Aspekt in Abschnitt 6 zu sprechen.) Parallel zu Fig. 4 stellt sich der Genitiv des Stuhls wie in Fig. 5 dar; „ ·> " deutet die Kongruenzbeziehung an.
Gibt es zwei Genitive im Deutschen?
Ν des
177
Ν Stuhls
{ Gen,Sg,Mask} / n u i î i ^ · .. {DEF}*
{-s} {MASK,COM}
{Gen,Sg,Def} {MASK,COM} Fig. 5: Kongruenz in der genitivischen NGr Wenn wir also Formen wie Stuhls, Sessels und Stahls nicht mehr als Genitivformen auffassen, ist auch offensichtlich, warum sie in Konstruktionen wie 4c und 5b ungrammatisch sind: eine Konstituente, die Genitivattribut oder Genitivergänzung sein soll, muß als Genitiv markiert sein, Stahls und Sessels sind das nicht. Daß im Falle der Ergänzung zur Präposition (anstatt Sessel, 5a) die unspezifische Form des Paradigmas stehen kann, sehen wir wie folgt begründet. Zwischen Präposition und Nominal bestehen im allgemeinen zwei syntagmatische Beziehungen, Rektion und „Positionsbezug" (Eisenberg 1994: 56; vgl. auch 405). Die positionalen Verhältnisse in der Präpositionalgruppe sind strikt; 'Nichtbeachtung' der Rektionsforderung muß also keinen Verlust der funktionalen Trasparenz der Konstruktion nach sich ziehen. Ein Rektionsverstoß im eigentlichen Sinne liegt aber gar nicht vor. Zwar fordert anstatt den Gen, da Sessel aber für gar keine Einheitenkategorien markiert ist, liegt zumindest kein Widerspruch vor. Insbesondere weist die Phrase keinen Kongruenzverstoß auf, wie dies in *anstatt Sessels der Fall wäre, wo es zu {-s} nichts gibt, wovon es kongruenzabhängig wäre. Im Fall des Attributs hingegen ist nicht nur *der Preis Stahls, sondern auch die unspezifische Form *der Preis Stahl unmöglich. Letzteres liegt daran, daß die Konstituente ohne explizite Genitivmarkierung überhaupt nicht als Genitivattribut identifizierbar ist, bzw. fälschlicherweise als enge Apposition interpretiert werden müßte. Der Positionsbezug alleine ist hier nicht eindeutig. In diesem Fall schließt die Konstruktion mit von (der Preis von Stahl) eine systematische Lücke, allen eventuellen stilistischen Vorbehalten zum Trotz. Das Singularparadigma starker und gemischter Maskulina und Neutra hat nach dieser Analyse zwei Formen, eine merkmallose und eine auf s, also: Stuhlp 3 {{Stuhl, 0 ) , (Stuhls, {-s})}. So wie das Auftreten der spezifischen Form rein über syntaktische und syntagmatische Relationen geregelt ist, erfassen wir auch die fakultativen Schwas im Dat- und GenSg über eine Kongruenzregel: '(fakultativer) Trochäus im Substantiv, das auf den Kern folgt, ist kongruenzabhängig von obliquem Kasus im Sg im K o p f . (Zum Verständnis von „oblique" siehe Eisenberg 1998: 166.) Für die schwachen Maskulina ist lediglich s durch η zu ersetzen, Trochäus bei Gen im Kopf obligatorisch und in der 'fakultativen Trochäusregel' der Umfang von „oblique" auf Nicht-Nominativ zu erweitern (vgl. ebd.). Für Wörter mit trochäischem Stamm (Löwe, Ende) laufen die prosodischen Regeln leer.
178 4.
Oliver Teuber Der s-Genitiv der Eigennamen
Appellativa und Stoffsubstantive haben also, wie wir gesehen haben, gar keine Form, die alleine ein Genitivattribut funktional transparent etablieren könnte. Bei den Eigennamen ist genau dies anders, der Standardfall ist ja der Eigenname ohne Artikel oder anderen 'Begleiter' wie in Peters Grammatik (2a). Wenn, wie eben argumentiert, das Genitivattribut in jedem Fall als Gen markiert sein muß, heißt dies, daß dies für Peters zutreffen muß. Die Struktur stellt sich also wie in Fig. 6a dar. Dabei ist zu beachten, daß wir bisher das Bezugswort des Attributs aus der Analyse ausgeblendet haben, weshalb zur Verdeutlichung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede noch eine Struktur mit Nicht-Eigenname in Fig. 6b danebengestellt wird; zum hier nicht analysierten Teil siehe Fig. 5. „PRP" steht für Eigenname (proper name). b. NGr
•JA,
ι/ Ν Grammatik
/
Ν Peters {Gen} {PRP}
--a
i / W Ν (der) Preis
0
'··. 0 {COM,FEM}
{MASK,COM}
NGr NGr
des
Stuhls I
{Gen,Sg,Def} {MASK.COM}
Fig. 6: Rektionsverhältnisse beim Genitivattribut Eigennamen haben also, im Gegensatz zu Appellativa und Stoffsubstantiven, einen 'richtigen' Genitiv. Das steht unmittelbar damit in Zusammenhang, daß sie selbständig definite Beschreibungen abgeben, wofür Nicht-Eigennamen aus semantischen Gründen 'Begleiter' brauchen, nämlich 'determinierende Konstituenten', die dann gleichzeitig syntaktisch die Kasusmarkierung übernehmen. Morphosyntaktisch heißt dies aber, das sei noch einmal herausgestellt, daß Eigennamen und Nicht-Eigennamen auf s unterschiedlich kategorisiert sein müssen, nämlich (Peters, {Gen}) und (Stuhls, {-s}). Diese Sicht hilft auch, ein Problem beim nachgestellten Genitivattribut aus Eigenname und Artikel anzugehen. (6)
a. b.
Der Aufstieg des Arturo Ui *Der Aufstieg des Arturo Uis
Das Genitiv-s kann nicht stehen, wenn der Eigenname dem Artikel folgt. Die Eigennamen verhalten sich in diesem Punkt gerade komplementär zu den Stoffsubstantiven [vgl. 4. ... Es] stellt sich die Frage, was Arturo Ui in [6a] für eine Form ist. Hat das Paradigma zwei verschiedene Genitive oder handelt es sich um eine kasuslose Form? Eisenberg 1 9 9 4 : 1 8 0
Der Genitiv des Artikels, des, kongruiert, wie wir vorher formuliert haben, mit {-s} beim Substantiv. Arturo Uis ist aber nicht als {-s}, sondern als {Gen} markiert. Einerseits würde mit dieser Form die Kongruenzregel nicht erfüllt, andererseits wäre der 'tatsächliche' Genitiv von Arturo Uis nicht regiert. Dies trifft nämlich nur, indirekt vermittelt, auf den Kopf des Attributs, des, zu. Es steht also die unspezifische Form,
Gibt es zwei Genitive im Deutschen f
179
Arturo Ui. Fig. 7a und b zeigt die Strukturen der ungrammatischen und grammatischen Form. a.
b.
(der Auf stieg) des
Arturo
^xk—1
{Gen,Sg} {...,CÇ)M} / ...
{Gen} ...
Uis
(der Aufstieg) des
{...,COM}
0~-->{Gen}
n
Arturo
{Gen.Sg}
0
/ V \ '·•·, ~~->{Gen}
rf
Fig. 7: Genitivattribut aus Eigenname mit Artikel Bis hierhin zusammenfassend unterscheiden wir also einerseits einen 'echten' Genitiv, der syntagmatisch regiert ist und von Eigennamen vorkommt sowie von solchen Wörtern, die in Kopf-Position in der NGr stehen, und andererseits eine s-Form, die syntagmatisch kongruiert ('Kongruenzgenitiv') und von Substantiven vorkommt, die keine Eigennamen sind. Damit wäre die Klasse der Substantive aus morphologischen Gesichtspunkten zweigeteilt, nämlich in Eigennamen gegenüber Appellativa/Stoffsubstantiven. Es soll noch kurz aufgezeigt werden, daß es tatsächlich gerechtfertigt ist, Eigenname als eine Flexionsklasse aufzufassen (vgl. auch Helbig/Buscha 1995: 246ff.; Duden 1995: 219ff.). Die Einteilung der Substantive in Flexionsklassen, oder vorsichtiger in -typen, wird im allgemeinen ja primär entlang des Genus vorgenommen. Dem nachgeordnet kann dann in stark, gemischt und schwach klassifiziert werden (Eisenberg 1998: 152-154; vgl. auch Duden 1995: 219-221). Wie auch immer man die Klassifikation genau anlegt, keines dieser Kriterien ist für die Eigennamen einschlägig. Vielmehr flektieren sie völlig einheitlich, Feminina wie Maskulina, 'stark' mit s im Genitiv und im Plural (soweit man Pluralbildung bei Eigennamen als semantisch grammatikalisierungsfähig betrachtet), also Peters, Heikes,
Konstantins, Katharinas und Uwes, nicht *Uwen zu Uwe wie Löwen zu Löwe.
Phonologisch bedingte Ausnahmen von dieser Regel zeigen im übrigen Abweichungen von den vergleichbaren Flexionstypen bei den Appellativa/Stoffsubstantiven (Fritzens als Gen zu Fritz gegenüber Hauses zu Haus oder (des) Jazz zu (der) Jazz). Mitunter wird darauf verwiesen, daß außer den Eigennamen auch Verwandtschaftsbezeichnungen als sächsischer Genitiv vorkommen (Omas Ferrari; vgl. Wurzel 1991: 170; Duden 1995: 240). Wir sind hier allerdings der Meinung, daß es sich in den entsprechenden Konstruktionen tatsächlich um Eigennamen handelt, oder wenigstens um 'Verwendung als Eigenname'. Erkennbar ist dies daran, daß das entsprechende Substantiv dann keine relationale Bedeutung mehr hat (Oma - 'Großmutter von jemandem'), sondern als definite Beschreibung genau eine Person bezeichnet, egal in
180
Oliver Teuber
welchem Verwandtschaftsverhältnis die Person zum Sprecher oder irgend jemand sonst steht. Deshalb ist auch der sächsische Genitiv bei eindeutig relationaler Verwandtschaftsbezeichnung ungrammatisch (*meine(r) Omas Ferrari). Oma hat als Eigenname ein anderes Paradigma (nämlich das normale Eigennamen-Paradigma einschließlich der Gen-Form Omas) als Oma als Appellativum (mit dem normalen Paradigma der Feminina, nämlich ohne spezifische Genitivform). Es ist also auch morphologisch zu rechtfertigen, die Flexion der Eigennamen von derjenigen der Appellativa und Stoffsubstantive zu trennen. Das vermeintlich 'gemeinsame' GenSg-s in beiden Klassen steht quer zu den denkbaren gemeinsamen Klassifikationen aller Substantive. Die Ursachen dafür haben wir bereits syntaktisch expliziert, so daß wir wiederum auf der Unterscheidung eines 'echten', regierten Genitivs von einem 'vermeintlichen', Kongruenzgenitiv insistieren.
5.
Das Genitiv-s in der engen Apposition und in der Orthographie
Zwei 'Seitenaspekte' der vorgeschlagenen Analyse des Genitivs im Deutschen sollen noch aufgezeigt werden. Sie sind keine Argumente, welche die hier vertretene These stützen, sondern zeigen Problemlösungen auf, die sich ergeben, wenn man sich auf diese Auffassung einläßt. Die Frage nach Kern und Attribut innerhalb der engen Apposition ist nur schwer, in manchen Fällen vielleicht gar nicht zu beantworten (vgl. Eisenberg 1994: 254-260). Mitunter versucht man, aus dem Flexionsverhalten der Teilkonstituenten auf die Relation innerhalb der engen Apposition zu schließen. Kern der Nominalgruppe soll die flektierte Konstituente sein (ebd.: 256, dort auch zur Literatur). Ohne uns auf sonstige Strukturaussagen festlegen zu müssen, wollen wir kurz aufzeigen, daß die unterschiedliche Flexion in den engen Appositionen in 7a und b rein syntagmatisch über die Unterschiede der 'beiden Genitive' geregelt ist und sich Rückschlüsse darauf, was Kern ist, kaum zwangsläufig ergeben. (7)
a. b.
Eine eingehende Befragung des Bundeskanzlers Schröder ergab, daß ... Eine eingehende Befragung Bundeskanzler Schröders ergab, daß ...
Befragung regiert in beiden Fällen den Genitiv der attributiven Phrase (der) Bundeskanzler Schröder. Dieser Genitiv wird unserer Analyse zufolge im Kopf der AttributsNGr gekennzeichnet. Steht der definite Artikel (7a), so ist dieser prinzipiell Kopf. Um die Kongruenz, die von des ausgeht, zu erfassen, wählen wir die 'vorsichtigere' Formulierung aus Abschnitt 3, die lediglich fordert, daß das nächste Substantiv hinter dem Kopf {-s} in der Markierung haben soll. Damit sagen wir nichts über den Kern aus und schließen somit nicht aus, daß Schröder Kern der Apposition ist. Es ergibt sich die Struktur in Fig. 8. Gibt es hingegen keinen definiten Artikel, muß die Genitivkennzeichnung der Apposition als Ganzer anders erfolgen. Bundeskanzler kann sie nicht übernehmen, da sein Paradigma ja gar keine {Gen}-Form enthält. Also bekommt Schröder den Genitiv
Gibt es zwei Genitive im Deutschen ?
181
NGr \| Ν des
(Befragung)
ι Ν Bundeskanzlers
1 Ν Schröder
{Gen,Sg,Mask} {-s} /-"{DEF} {MASK,COM} ^ ι ι • ->{Gen,...}
0 {PRP} 1
Fig. 8: Genitiv in der engen Apposition mit Artikel und wird Kopf der NGr. Kongruenz ergibt sich bei der vorher gewählten 'vorsichtigen' Formulierung in keinem Fall, da Bundeskanzler vor dem Kopf steht. Es ergibt sich die Struktur in Fig. 9.
NGr*'
(Befragung) {....COM}
Ν Bundeskanzler
! Ν Schröders
0 {Gen} — N {MASK,COM} {PRP} , 1 1 y {Gen,...}
führten
ihn
y
führeten ihn
ihn
)
führeten ihn
jn yhn 40
ihn
j führeten ihn j führeten ihn
/ / / / /
führeten ihn füreten
in
füreten
)n
füreten
jn yhn
füreten
278
Hartmut
Zeichen
?
;
/
t
:
j
insgesamt
1961
117
15
14
-
213
56
38
453
1912
117
15
11
-
291
55
48
537
1865
125
15
3
-
303
54
26
526
1797
121
14
6
-
304
58
53
556
1736
121
15
-
-
294
80
42
552
1694
125
12
-
368
-
53
5
563
1626
116
11
-
414
-
-
-
541
1569
113
13
-
416
-
-
-
542
1545
119
9
-
411
-
-
-
539
1522
58
11
-
451
-
-
-
520
Günther
Tab. 2: Verteilung der Satzzeichen in den Drucken von 1522 - 1961
3.
Satzschlusszeichen
3.1 Punkt Der Satz wird in der Interpunktion des Deutschen heute durch eine initiale Majuskel und einen finalen Punkt markiert (zu Frage- und Ausrufezeichen s.u.). Dieses Prinzip ist in den hier untersuchten Texten bereits 1522 fest etabliert. Im Druck von 1961 finden sich 117 Satzschlusspunkte. Davon stehen 4 6 % der Punkte auch in allen anderen untersuchten Ausgaben.4 Bei den restlichen 5 4 % steht in der Ausgabe von 1522 eine Virgel. Diese Zahl ist auf 13% reduziert in der Ausgabe von 1545, auf 4 % in der Ausgabe von 1694. Der Bruch ist deutlich: In der Ausgabe von 1522 steht noch an sehr vielen Stellen eine Virgel, wo in späteren Ausgaben ein Schlusspunkt steht. Tab. 2 zeigt einen solchen Fall (Spalte 23). Seit 1545 scheint im Bibeltext dagegen weitgehend festgelegt, was als Satz durch Punkt abzuschließen ist; die Kennzeichnung der Satzgrenze bleibt seitdem weitgehend konstant: 1545 werden via Satzschlusszeichen 128 Sätze ausgewiesen, 1694 sind es 138, 1961 sind es 146. Die leichte Zunahme von Satzschlusspunkten erklärt sich durch den vereinzelten Ersatz von Virgeln bzw. Semikola und Doppelpunkten älterer Ausgaben durch den Punkt, z.B.
Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. # Darum gehet hin und lehret alle Völker...
[28,19f.]; 5 hier steht bis 1736 die Virgel, bis 1865 ein Semikolon.
An dieser Stelle zwei knappe Bemerkungen zu den Quasisatzschlusszeichen Doppelpunkt und Semikolon. Der Doppelpunkt taucht zuerst im Druck von 1694 auf, dort noch neben der Virgel. Der Text von 1961 weist 56 Doppelpunkte auf. Davon stehen 4 4 in allen Ausgaben seit 1694. Es handelt sich durchwegs um die Kennzeichnung des Beginns wörtlicher Rede nach performativem Verb (... und sprach: ...). In 9 Fällen steht nur im Druck von 1736 (dem ersten, der die Virgel nicht mehr verwendet) dort 4
5
Unsystematisch streuend findet sich ganz gelegentlich statt des Punktes der Ausgabe von 1961 in einer früheren Ausgabe ein Semikolon; eine Systematik ist hier nicht zu erkennen. In eckigen Klammern gebe ich die Bibelstelle aus dem Matthäusevangelium an.
Eine Etüde zur Entwicklung der deutschen Interpunktion 1522-1961
279
ein Komma. Die restlichen 3 Fälle sind uneinheitlich. Das heißt, dass die Markierung wörtlicher Rede durch Doppelpunkt seit 1694 bekannt und weitgehend fest ist.- Das Semikolon taucht ebenfalls 1694 zum ersten Mal auf, allerdings nur fünfmal. Sein Gebrauch ist besonders schwankend in den einzelnen Ausgaben, und zwar nicht nur bezüglich der Gesamtzahl pro Druck (s.o. Tab. 2), sondern auch deswegen, weil der Gebrauch in den einzelnen Sätzen schwankt - es gibt hier am wenigsten Kontinuität. Generell vertritt das Semikolon teilweise den Punkt, um stärkere, teilweise das Komma, um schwächere Zusammenhänge zu signalisieren. Eine genauere Analyse scheint lohnend; sie kann aus Platzgründen hier nicht geleistet werden.
3.2 Fragezeichen und Ausrufezeichen Anstelle des Punktes als Satzschlusszeichen können auch das Fragezeichen oder das Ausrufezeichen stehen. Im heutigen Deutsch wird damit der Satzmodus gekennzeichnet (vgl. Primus 1996). Das Fragezeichen ist von Beginn der Texte an als Satzschlusszeichen vorhanden; seine Funktion verändert sich nicht. Bis auf eine Textstelle sind dabei alle Sätze eindeutig grammatische Fragesätze, entweder durch Verbspitzenstellung Bist du der Juden König? [27,11], oder durch Fragewörter Was hat er denn Übles getan? [27,23]. Die einzige Ausnahme ist folgende: Welchen wollt ihr, dass ich euch losgebe? Barabbas oder Jesus. von dem gesagt wird, er sei Christus? [27,17]. Hier ist der zweite (unterstrichene) Satz elliptisch und deshalb nicht prima facie als Fragesatz erkennbar. Er ist aber so deutlich an die andere Frage angeschlossen, dass seine Frageform unmissverständlich ist. Das Fragezeichen, von Anbeginn der untersuchten Texte an bei Fragesätzen fest, zeigt wohl kaum die Frageintonation an, denn die Sätze sind ohnehin per Satzstellung Fragesätze, und bei W-Fragen ist fallende Satzschlussintonation der unmarkierte Fall. Bemerkenswert ist weiter, dass das Fragezeichen am Satzende steht, wo es bei längeren Sätzen für rhythmisch-intonatorisch korrektes (Vor-)Lesen nachgerade überflüssig ist, weil es für den Lesenden zu spät kommt. Das Ausrufezeichen taucht im untersuchten Textausschnitt zum ersten Mal in der Ausgabe von 1797 auf. Die Befundlage entspricht ansonsten der beim Fragezeichen: Das Ausrufezeichen übernimmt die Funktion des Punktes als Satzschlusszeichen, wenn es um einen Imperativsatz geht, d.h. einen grammatisch ohnehin ausgezeichneten Satz - 1 2 von 14 Ausrufezeichen der Ausgabe von 1961 stehen in solchen Sätzen, z.B. Laß ihn kreuzigen! [27,23]. Wie Tab. 2 zeigt, wird die Mehrzahl dieser Imperativsätze erst in unserem Jahrhundert mit einem Ausrufezeichen markiert. Keine Imperativsätze sind lediglich die Belege in der Bergpredigt mit satzinternem Ausrufezeichen: Wer aber zu seinem Bruder sagt: Racha! der ist des Rats schuldig; wer aber sagt: Du Narr! der ist des höllischen Feuers schuldig [5,22; Ausgabe 1961], die erst in den beiden Ausgaben aus unserem Jahrhundert durch Ausrufezeichen ausgezeichnet werden - vorher finden wir hier ein Komma bzw. die Virgel. Dies ist gegenläufig zur behaupteten Veränderung von einem rhythmisch-intonatorischen zum grammatischen Prinzip der Interpunktion: Gerade hier könnte das Ausrufezeichen so gut als Intonationsangabe verstanden werden! Die Beobachtung, dass die Frage- und Ausrufezeichen (mit Ausnahme des letztgenannten Falles) in den hier untersuchten Beispielen sowohl rhythmisch-intonatorisch
280
Hartmut Günther
als auch grammatisch gesehen redundant sind, gibt einen Hinweis auf ihre Funktion. Dem Punkt als unmarkiertem Fall (Aussagemodus) stehen Frage- und Ausrufezeichen als markierte Fälle gegenüber (Primus 1996; vgl. auch Behrens 1989: 26-34); darauf beruht die Möglichkeit, sie auch in grammatisch nicht als Frage- oder Imperativsatz ausgezeichneten Fällen wie im eben genannten Beispiel du Narr! zu verwenden. Inwieweit die Besonderheit des untersuchten Textausschnitts repräsentativ ist, dass ursprünglich nur der Aufforderungsmodus durch ein Ausrufezeichen gekennzeichnet wird und dass der expressive Modus erst in späterer Zeit die dominante Rolle für das Setzen des Ausrufezeichens spielt (Primus 1996: 476), müsste an umfangreicherem Material untersucht werden.
4. Virgel und Komma 4.1 Allgemeines Schon oben erwähnt wurde die massivste Veränderung der Texte im Bereich der Interpunktion: Mit der Ausgabe von 1736 verschwindet die Virgel [/]; sie wird in den meisten Fällen durch das Komma [,] ersetzt, daneben aber auch durch Semikolon oder Doppelpunkt. Betrachtet man die Entwicklung insgesamt, so stellt man eine zunehmende Differenzierung fest (s.o. Tab. 2). Das Verhältnis der Anzahl der Virgeln zu anderen Satzzeichen beträgt in der Ausgabe 1522 fast 7:1, 1694 ist das Verhältnis knapp 2:1. Die Zahl der Kommata geht im 18. und 19. Jahrhundert weiter zurück auf ein Verhältnis von etwa 1:1 in der Ausgabe von 1912. Die Mehrzahl der Kommatierungsstellen steht seit 1522 fest: An 175 von den 213 Stellen, an denen sich in der Ausgabe von 1961 ein Komma findet, steht auch schon in der Ausgabe von 1522 eine Virgel, das sind über 80%. Es handelt sich bei diesen 175 Kommastellen6 um solche bei Relativsätzen, bei mit einer Konjunktion eingeleiteten Nebensätzen sowie bei Koordinationen mit und.
4.2 Nebensätze Der untersuchte Textausschnitt enthält 49 Relativsätze. Vor 34 (69%) von ihnen findet sich in allen untersuchten Ausgaben ein Komma; seit 1694 sind sämtliche Relativsätze kommatiert. Ein Großteil der fehlenden Kommata lässt sich syntaktisch erklären: In der Ausgabe von 1626 fehlt das Komma bei 7 Relativsätzen ohne offenes Bezugsnomen wie in selig sind (,) die da geistlich arm sind [5,3].7 In weiteren 4 Fällen fehlt das Komma 1626 dort, wo Bezugsnomen und Relativpronomen verschiedene 6
7
Sofern nicht im Text anders vermerkt, wird bei solchen Angaben stets mitverstanden, dass „Komma" in den Ausgaben vor 1736 die Virgel meint. Ein entsprechendes Komma fehlt dreimal in der Ausgabe von 1865, z.B. bei segnet die euch fluchen [5,44; 5,42],
Eine Etüde zur Entwicklung
der deutschen Interpunktion
1522-1961
281
Kasus aufweisen wie in gib dem (,) der dich bittet [5,42]. Das deutet darauf hin, dass hier die grammatische Analyse quasi zu schwierig ist, d.h. ein Relativsatz nicht als solcher erkannt wird - ein bis heute bei unsicheren Schreibern beobachtbares Phänomen. Das Interpunktionsprinzip beim Relativsatz ist also von Anfang grammatisch. Jedenfalls wüsste ich nicht, welche rhythmisch-intonatorischen Gründe das fehlende Komma in den angegebenen Beispielen rechtfertigen könnten; ganz im Gegenteil ist beim zusammenhängenden Verlesen der Seligpreisungen in Matthäus 5, 3-10 gerade in den Fällen, in denen das Bezugsnomen fehlt, eine Phrasierung vor die angebracht, um einen 'garden path', eine Irreführung des Hörers zu vermeiden: Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen. Selig sind (,) die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden [5,5f.]. Genau dort, wo das Komma in den vorgeblich rhythmisch-intonatorisch-pausologisch interpunktierten frühen Ausgaben fehlt, würde man es erwarten! Der untersuchte Textausschnitt enthält 70 konjunktional eingeleitete Nebensätze; vor 56 davon steht in allen Ausgaben ein Komma unabhängig davon, ob der Nebensatz nach oder vor dem Hauptsatz steht. Seit 1694 sind im Prinzip sämtliche konjunktional eingeleiteten Nebensätze kommatiert. Interessant sind folgende Fälle, bei denen das Komma vor dem Nebensatz fehlt. Zweimal handelt es sich um Vergleichssätze: ...und wurden (,) als wären sie tot [28,4] in allen Ausgaben außer 1961, 1912, 1694; nahmen das Geld und taten (,) wie sie gelehret waren [28,15] in allen Ausgaben außer 1961, 1912, 1694. Zweimal ist die Satzstruktur nicht deutlich: darum (,) wenn du deine Gabe auf dem Altar opferst ... so laß allda vor dem Altar deine Gabe [5,23f.]; sondern (,) so dir jemand einen Streich gibt auf deinen rechten Backen, dem biete den andern auch dar [5,39] in allen Ausgaben vor 1912. Auch in diesen Fällen würde eine pausologische Interpunktion gerade ein Komma erwarten lassen, wo es in älteren Ausgaben fehlt. Zusammenfassend lässt sich konstatieren: Konjunktionale Nebensätze werden von Anfang an kommatiert, wenn sie als solche erkannt werden, und es gibt Stellen, an denen in früheren Ausgaben gerade dort nicht kommatiert wird, wo ein rhythmisches Prinzip eine Pause vermuten lassen würde. 8
4.3 Das Komma vor und Besch (1981) konstatiert hier einen Bruch zwischen allen älteren Ausgaben und der aus der Mitte unseres Jahrhunderts - vor und werden heute weniger Kommata gesetzt. Sein Beispiel ist besonders drastisch [27, 27-30]:
8
An dieser Stelle lässt sich noch auf die sieben Infinitivkonstruktionen aus dem untersuchten Textausschnitt hinweisen. In zwei Beispielen wird der Infintiv in sämtlichen Ausgaben kommatiert [27,15; 28,1]. Ein Satz bleibt nur 1522 unkommatiert [5,17; der erste Infinitiv]; ein weiterer Satz [5,28] ist uneinheitlich, das Komma fehlt 1545, 1569, 1624 und 1865. Das Komma findet sich in allen Ausgaben ab 1737 in [28,3]. Der zweite Infinitiv in [5,17] wird erst seit 1865 kommatiert, und der Infinitiv in [5,36] sogar erst seit 1912. Die dünne Materialbasis lässt hier keine allgemeinen Aussagen zu.
282
Hartmut Günther
Da nahmen die Kriegsknechte des Landpflegers Jesum zu sich in das Richthaus und sammelten über ihn die ganze Schar und zogen ihn aus und legten ihm einen Purpurmantel an, und flochten eine Dornenkrone und setzten sie auf sein Haupt und ein Rohr in seine rechte Hand, und beugten die Kniee vor ihm und verspotteten ihn und sprachen: Gegrüßet seist du, der Juden König! Und spieen ihn an und nahmen das Rohr und schlugen damit sein Haupt.
Er interpretiert dies als Einebnung sinnvoller Binnendifferenzierung durch grammatikalisierte Vorschriften (Besch 1981: 193£.) - in den früheren Ausgaben findet sich vor jedem und dieser Passage ein Komma bzw. eine Virgel. Zu fragen ist, wie repräsentativ das Beispiel ist, und, ob es sich wirklich um eine so junge Erscheinung handelt. Dies ist insbesondere deshalb wesentlich, weil durchgehende Regularitäten intonatorischer oder pausologischer Art vor der Konjunktion und nicht existieren. Das Textmaterial enthält 173 Koordinationen mit und. 20 Koordinationen sind solche innerhalb der Nominalgruppe (die Hohepriester und die Altesten), die übrigen verknüpfen Sätze bzw. Satzteile (die Felsen zerrissen, und die Gräber taten sich auf·, der Landpfleger fragte ihn und sprach). Der untersuchte Textauschnitt enthält 20 nominale ««¿-Koordinationen wie alle Hohenpriester und die Ältesten des Volks [27,1]. In neun Fällen enthalten alle Ausgaben hier kein Komma; in vier weiteren solchen Fällen steht nur in jeweils einer Ausgabe ein Komma, wo es heute fehlen würde. Bis auf die beiden neuesten Drucke und den von 1522 steht in allen Ausgaben in der Formel [Darum gehet hin und lehret alle Völker und taufet sie} im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes [28,19] beide Male vor und ein Komma, dies wird man im Sinne des liturgischen Gebrauchs der Formel deuten können. Auch in Es war aber allda Maria Magdalena (,) und die andere Maria... [27,61; ebenso 28,1] wird durchwegs bis auf 1522, 1912 und 1961 kommatiert, dies mag der Namensproblematik geschuldet sein. Insgesamt ist die Schülerregel 'und ersetzt das Komma' in der nominalen Gruppe offenbar von Anfang an stabil. Bei der Auswertung der Satzkoordinationen ist zunächst die überkommene Versnummerierung des Evangeliumstextes zu berücksichtigen. Zwar wird sie erst in der Ausgabe von 1626 mitgedruckt; sie wird aber schon in den Ausgaben berücksichtigt, in denen die Verszählung nicht gedruckt wird. Denn Verse, die mit und beginnen und die eigentlich als nebenordnende Satzkoordinationen zu analysieren sind, werden in den meisten Fällen dennoch von 1522 an mit Majuskel begonnen, der davor stehende Text mit Punkt oder Virgel abgeschlossen. Es gibt im untersuchten Textausschnitt 44 mit und beginnende Bibelverse; in 40 Fällen wird entsprechend verfahren. Man wird deshalb diese Fälle aus der weiteren Betrachtung ausschließen müssen. Bei den restlichen Satzkoordinationen werden in 12 Fällen selbstständige Sätze mit und koordiniert, z.B. ... die Felsen zerrissen, und die Gräber taten sich auf [27,52]; sie werden in sämtlichen Ausgaben kommatiert. In 89 Fällen werden Sätze mit gemeinsamem Subjekt koordiniert (der Landpfleger fragte ihn (,) und sprach). Hier ist der deutlichste Unterschied zwischen der Ausgabe von 1961 und den übrigen Drucken zu verzeichnen: 57-mal (64%) findet sich in allen Ausgaben zwischen 1545 und 1912 9 ein Komma, das in der Ausgabe von 1961 fehlt. Auch in den übrigen 32 Fällen sind es
9
Die Ausgabe von 1522 ist hier nicht berücksichtigt aufgrund der generell unterschiedlichen Interpunktion bei Haupsätzen (s.o. Abschnitt 3.1).
Eine Etüde zur Entwicklung
der deutschen Interpunktion
IS22-1961
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stets nur 1-3 Ausgaben, in denen vor solchen und-Anschlüssen nicht kommatiert wird. Es ist deutlich zu sehen, dass der oben erwähnte starke Rückgang der Zahl der Satzzeichen zwischen den Ausgaben von 1912 und 1961 auf diese eine Veränderung - kein Komma vor ««¿-Satz-Koordinationen mit identischem Subjekt - zurückzuführen ist. Diese Veränderung fällt genau in die Zeit, in der durch die Integration des Buchdruckerdudens in den 'allgemeinen' Duden 1915 die Buchdruckerregeln zur Interpunktion quasi amtlich wurden. Es läge also nahe, den soeben geschilderten Befund als Folge eines putschartigen Normierungsprozesses zu sehen. Dies ist offenbar nicht zutreffend: Gerade in diesem Bereich nämlich sind die Bibeldrucke offenbar erheblich konservativer als der allgemeine Druckusus. In vergleichsweise willkürlichen Stichproben habe ich feststellen können, dass der heutige Usus - also in der Regel kein Komma vor ««¿-Koordinationen mit gemeinsamem Subjekt - sich schon im 19. Jahrhundert vielfach findet. In verschiedenen Ausgaben des Vorwärts zwischen 1871 und 1912 finde ich nicht einen einzigen Fall, in dem kommatiert würde, auch nicht im Vorwort zur Sophienausgabe von Goethes Werken (1887); in Goethes Wahlverwandschaften in der Sophienausgabe findet sich ein solches Komma vor und nur an stilistisch markierten Stellen. Lichtenbergs Hogarth-Studien (erschienen 1794-1798) dagegen zeigen durchwegs Kommatierung von mit und koordinierten Sätzen. Sollten diese Beobachtungen sich durch größere Untersuchungen erhärten lassen, so ergäbe sich, dass die von Besch (1981) als Folgen 'einebnender Grammatikalisierungen' des 20. Jahrhunderts angesehenen fehlenden Kommata vor und tatsächlich ein Produkt des 19. Jahrhunderts vor der Orthographiedebatte und -reform gewesen sind, also vermutlich eher Produkt der tätig-unsichtbaren Hand der Drucker und Setzer als ein normsetzendes Verfahren der Grammatiker. Die Regel für das Komma vor und im Deutschen lässt sich cum grano salis so formulieren: Koordinierte gleichrangige Konstituenten werden durch Komma getrennt; das und ersetzt das Komma. Nimmt man alle Beobachtungen zur Entwicklung der Kommatierung vor und zusammen, so zeigt sich, dass hier zwei gegenläufige Prinzipien im Widerstreit stehen. Auf der einen Seite das durchgängige Fehlen von Kommata vor und in der Nominalphrase, auf der anderen Seite die durchgängige Kommatierung vor Teilsätzen mit und. Neuere Arbeiten zum Komma gehen meist von zwei Kommatypen aus. Primus (1996: 478f.) kennzeichnet die Regularitäten so: Das Komma steht zwischen zwei Ausdrücken A und Β genau dann, wenn (a) beide von einem S-Knoten dominiert werden, und entweder (b) zwischen A und Β eine Satzgrenze liegt oder (c) A und Β koordiniert sind, aber keine echte koordinierende Konjunktion vorhanden ist. Das Problem dieser grundsätzlich zutreffenden Kennzeichnung liegt darin, dass es eine versteckte logische Hierarchie geben muss. Denn mit und koordinierte Sätze und Teilsätze enthalten sowohl eine Satzgrenze zwischen A und Β der Landpfleger fragte ihn (,) und sprach, deshalb steht in den Ausgaben bis 1912 ein Komma, als auch eine echte koordinierende Konjunktion, deswegen steht 1961 keines mehr. Im Sinne der Entwicklung und auch der intuitiven Einschätzung ist Bedingung (b), d.h. die Satzgrenze, der 'typische' Kommafall; der markierte Fall bei Koordinationen, der innerhalb der Nominalgruppe von Anfang an fest ist, wird erst später auf diesen Bereich ausgedehnt.
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Hartmut
Günther
4.4 Abweichungen Die bisherigen Befunde lassen sich cum grano salis so zusammenfassen, dass es die heute üblichen, grammatisch geregelten Interpunktionsstellen schon vom ersten Druck unseres Textausschnittes an gibt (1522). Wollte man am Primat eines rhythmisch-intonatorischen Prinzips für zumindest eine längere Zeit, etwa bis ans Ende des 18. Jahrhunderts, festhalten, so müsste man zeigen, dass es in überzufälliger Weise Interpunktionen gibt, die dem grammatischen Prinzip entgegenstehen, aber rhythmischintonatorisch erklärt werden können. In unserem Textausschnitt ist der eben zitierte Taufbefehl [28,19] ein solches Beispiel; dass die älteren Ausgaben hier im Namen des Vaters, und des Sohnes, und des heiligen Geistes kommatieren, ist sicherlich dem mündlichen Gebrauch dieser Formel geschuldet. Ahnlich wird man die 1694 gesetzte Virgel Sein Blut komme über uns / und unsere Kinder [27,25] deuten dürfen - ein Einzelfall freilich. Welche weiteren Fälle von grammatikalisch weniger plausiblen Interpunktionen gibt es noch? Zunächst überrascht die doch recht niedrige Zahl: Neben den oben besprochenen Kommata vor ««¿/-Koordinationen in den Ausgaben vor 1961 finden sich nur an 29 Stellen von 1961 abweichende Kommata (97 Belege). Die Mehrzahl davon (12 Fälle) betrifft vor- oder nachgestellte Satzadverbiale wie Und sie gingen eilend zum Grabe hinaus, mit Furcht und großer Freude [28,8], vornehmlich Zeitausdrücke (9 Fälle) wie zu Beginn des Beispieltextes (Tab. 1). Siebenmal betrifft die Kommatierung Satzadverbiale oder Präpositionalattribute in distanter, meist Nachfeldstellung, z.B. Sie ... kauften einen Töpfersacker darum, zum Begräbnis der Pilger [27,4]. Diese Kommata machen 92 Belege von 97 aus; die übrigen Fälle sind unsystematisch und nur in jeweils einer Ausgabe belegt. Zweifellos lässt sich für diese Fälle argumentieren, dass das Komma eine Phrasierungsgrenze betrifft, die zur Pausierung oder zu spezifischer Intonierung einlädt. Es fällt jedoch auf, welche syntaktische Einheitlichkeit wir hier finden. In der Analyse von Maas (1992) steht das Komma dort, wo die einfache syntaktische Konstruktion unterbrochen wird. Die hier gekennzeichneten Fälle passen vorzüglich zu diesem Ansatz. Die (meist nachgestellten) Satzadverbiale sind als solche nicht formal gekennzeichnet; die distanten Präpositionalattribute könnten immer auch Präpositionalobjekte oder Adverbiale sein. Dies ist zunächst eine syntaktische Regularität. Dass sie intonatorische Konsequenzen haben kann, ist diesbezüglich sekundär.
5.
Diskussion
5.1 Caveat Mit Absicht habe ich diesen Text als eine Etüde bezeichnet. Es wird hier nichts bewiesen und Vieles nicht berücksichtigt. Nicht überall wird im deutschsprachigen Raum nach der Lutherbibel geschrieben und gedruckt, und die Zeichensetzung ist sicherlich regional und textsortenspezifisch zu differenzieren. Auch ist die Bibelortho-
Eine Etüde zur Entwicklung der deutschen Interpunktion
1522-1961
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graphie und -Interpunktion vielfach konservativ, wenngleich die vielen Veränderungen der Wortschreibungen, die ich in Günther (1999) dokumentiert habe, anzeigen, dass dieser Punkt vielleicht in der Vergangenheit überschätzt wurde. Sicherlich gab (und gibt) es eine Diskrepanz zwischen der gedruckten Graphie und der selbstgeschriebenen von Individuen. Auch ist der gewählte Textausschnitt sehr klein und die sprachliche Form wenig repräsentativ; für eine Reihe interessanter Phänomene im Bereich der Interpunktion gibt es einfach zu wenige oder gar keine Beispiele, weil die entsprechenden syntaktischen Strukturen nicht vorkommen bzw. weil die beibehaltene LutherSyntax doch recht archaisch ist - das gilt speziell für Infinitivkonstruktionen.
5 . 2 Grammatische vs. rhythmisch-intonatorische Interpunktion Der Grundtenor der Überlegungen - das grammatische Prinzip dominiert von Anfang an die Interpunktion, und nicht ein viel behauptetes rhythmisch-intonatorisches auf der Basis von Pausen - sollte freilich Bestand haben, denn die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Für die Gegenwartssprache scheint die Position, dass die deutsche Interpunktion rein syntaktisch organisiert ist, ohnehin kaum bestreitbar (vgl. u.a. schon Eisenberg 1 9 7 9 ; Behrens 1989; Primus 1996; u.a.m.). Der Zusammenhang von Intonation und Interpunktion wird in diesen Beschreibungen vielmehr so gesehen, dass beide voneinander unabhängige Mittel zur Signalisierung syntaktischer Verhältnisse sind. Da sie sich auf eine im Wesentlichen gleiche Syntax 10 beziehen, gibt es natürlich Parallelen - aber die Interpunktion bildet die Intonation nicht ab. In einer sehr anregenden Studie zeigt Primus (im Druck) darüber hinaus, dass dieser Befund nicht auf das Deutsche beschränkt ist. In einem Vergleich der deutschen mit der vorgeblich freieren, mehr an der Lautung orientierten rumänischen Interpunktion weist sie nach, dass auch die Interpunktion des Rumänischen ausschließlich syntaktisch geregelt ist und dass die vorgeblich rhetorisch basierten Freiheiten bei der Kommasetzung nur darauf beruhen, dass bestimmte Ausdrücke syntaktisch unterschiedlich analysiert werden können. Warum glauben dann aber die Grammatiker vom 16. Jahrhundert an bis zum Teil heute noch, dass Interpunktion rhythmisch-intonatorisch determiniert ist? Wahrscheinlich ist der Übergang von einer Hör- zu einer Lesekultur hier von besonderer Bedeutung. Der Glaube an die Priorität der Lautsprache zwingt dazu, jedes schriftliche Zeichen phonographisch zu interpretieren. Ein (an der schriftlichen Sprache orientiertes!) Kategoriensystem der 'Grammatik' existierte seit alters her; ein System für die Kennzeichnung des Gesprochenen fehlte. Die Grammatiken des 16.-18. Jahrhunderts sind bestimmt für die Unterweisung von Lehrern, insbesondere auch in der Lese- und Schreibtechnik. Lesen und Schreiben aber lernt man durch lautes Lesen und Schreiben; bei diesem versuchenden Lesen entstehen notwendig Pausen. Dabei lässt sich, ganz im Sinne des Eingangszitats aus Schottel 1663, eben am besten so lesen, dass man an bestimmten Stellen 'einhält' - nicht, weil dort sinnvollerweise zu atmen oder eine Vortragspause zu machen ist, sondern weil ein syntaktisch ausgezeichneter
10
Die Syntax der geschriebenen und der gesprochenen Sprache haben einen gemeinsamen Kernbereich, aber auch Unterschiede - Verbzweitstellung nach weil z.B. dürfte in der geschriebenen Syntax aus guten Gründen auch in Zukunft nicht vorkommen.
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Hartmut Günther
Teil abgetrennt worden ist. Man macht vermutlich einen schwerwiegenden Fehler, wenn man sich das laute Lesen in dieser Zeit vorstellt wie heutiges leises Lesen plus Stimmton. Die Erfahrung zeigt, dass man auch heute noch mit dem lautem Lesen unbekannter Texte durchaus Probleme hat - es ist unmittelbar zu hören, ob ein Text frei vorgetragen oder abgelesen wird, und zwar gerade daran, dass an 'unpassenden' Stellen pausiert wird oder die Intonation schief ist. In diesem Sinne ist das eingangs eingerückte Schottel-Zitat zu verstehen: Interpunktion dient der Signalisierung grammatischer Struktur; das Erkennen grammatischer Struktur erleichtert das Verstehen. Was in der geschriebenen Sprache die Interpunktion leistet, leistet im Gesprochenen die Intonation. Ein Abbildungsverhältnis besteht hier ebensowenig wie in der Beziehung von Lauten und Buchstaben. 11
Literatur
Behrens, Ulrike (1989): Wenn nicht alle Zeichen trügen. Interpunktion als Markierung syntaktischer Konstruktionen. Frankfurt/M. (Lang). Besch, Werner (1981): Zur Entwicklung der deutschen Interpunktion seit dem späten Mittelalter. In: Smits, Kathryn; Besch, Werner und Lange, Volker (Hgg.): Interpretation und Edition deutscher Texte des Mittelalters. Festschrift für John Asher zum 60. Geburtstag. Berlin (Schmidt). 187-206. Eisenberg, Peter (1979): Grammatik oder Rhetorik? Über die Motiviertheit unserer Zeichensetzung. Zeitschrift für germanistische Linguistik 7. 323-337. Garbe, Burckhard (1984) (Hg.): Texte zur Geschichte der deutschen Interpunktion und ihrer Reform 1462-1983. Hildesheim (Olms). (= Germanistische Linguistik 4-6) Günther, Hartmut (1999): Entwicklungen in der deutschen Orthographie 1522-1797 - Eine Etüde. In: Pümpel-Mader, Maria und Schönherr, Beatrix (Hgg.): Sprache - Kultur Geschichte. Sprachhistorische Studien zum Deutschen. Festschrift für Hans Moser zum 60. Geburtstag. Innsbruck (Germanistisches Institut). 171-182. (= Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft, Germanistische Reihe 59) Maas, Utz (1992): Grundzüge der deutschen Orthographie. Tübingen (Niemeyer) Primus, Beatrice (1996): Satzbegriffe und Interpunktion. In: Äugst, Gerhard; Blüml, Karl; Nerius, Dieter und Sitta, Horst: Zur Neuregelung der deutschen Orthographie. Begründung und Kritik. Tübingen (Niemeyer). 473-492. Primus, Beatrice (im Druck): Syntaktische Determination statt rhetorischer Freiheit: das Komma im Deutschen und Rumänischen. In: Ehlich, Konrad (Hg.): Interpunktionen.
11
Ich danke Werner Besch, Ursula Bredel, Nanna Fuhrhop, Ulrich Knoop und Beatrice Primus für wertvolle Hinweise zu einer früheren Version dieses Aufsatzes.
Karl-Heinz Siehr Sprachkritik und Muttersprachunterricht. Anmerkungen aus linguistischer Sicht
0. Warum dieses Thema? Angesichts des Umstandes, dass sich das Verhältnis zwischen Sprachwissenschaft und Sprachkritik - trotz gewisser Tendenzen der Annäherung - nach wie vor recht problematisch gestaltet1, mag das Thema des Beitrages in einem Band zu praktischen und theoretischen Fragen der deutschen Grammatik womöglich etwas deplaciert erscheinen. In einem Band, der dem Grammatiker Peter Eisenberg gewidmet ist, hat er aber seinen Platz. Eisenbergs wissenschaftliches Werk lässt sich mindestens in zweifacher Hinsicht auch als sprachkritisch verstehen: Zum Ersten findet sich eine Reihe von Arbeiten, die eine explizite sprachkritische Grundhaltung erkennen lassen, weil sie unmittelbar auf aktuelle, in der sprachlichen Öffentlichkeit z.T. heftig und kontrovers diskutierte Kommunikations- bzw. Normkonflikte eingehen und dazu das linguistisch, d.h. vor allem das grammatisch Sagbare äußern. Erinnert sei hier nur an ein linguistisches Gutachten für die IG Metall, in dem Eisenberg die strittige Formulierung „nach Art und Umfang gleiche Forderungen" einer linguistischen Analyse unterzog (Eisenberg 1987), an seinen engagierten Beitrag in der Debatte um den sog. inhumanen Akkusativ (Eisenberg 1993a), an seinen Zwischenruf „Der Kausalsatz ist nicht zu retten" in der Diskussion zu den weil-Sätzen mit Verbzweitstellung (Eisenberg 1993b) und schließlich auch an einen seiner jüngsten Aufsätze zum Thema „Für wen schreiben wir Grammatiken?" (Eisenberg 1998b). Gerade in diesem Beitrag wird die Nähe von Grammatik und Sprachkritik besonders deutlich. Zum Zweiten lässt sich von Sprachkritik in Eisenbergs Werk noch in einem gänzlich anderen, die Wurzeln von philosophischer und logischer Sprachkritik tangierenden Sinn reden. In einer Würdigung P. Eisenbergs anlässlich der Verleihung des Deutschen Sprachpreises 1996 gebraucht Klein (1996) den Ausdruck 'Sprachkritik' für Eisenbergs Art des Grammatikschreibens, speziell für seine „hochgradig sprachbewußte Tugend, die in den Geisteswissenschaften derzeit eher zu verkümmern scheint: das Arbeiten mit explizit definierten Grundbegriffen". Die Begriffe würden dabei „nicht in autoritativer Manier als ein für allemal abgeschlossen und verfestigt vorausgesetzt. Eisenberg bezieht den Leser in längeren Passagen immer wieder in Entstehung und argumentative Rechtfertigung der linguistischen Terminologie ein." Dies führe zu einem „durchdachten Aufbau des Textganzen" und repräsentiere damit eine „sprachliche Güte" jenseits traditioneller sprachpflegerischer Kriterien: „Nur wer einfühlsam und vorausschauend kalkuliert, wo im eigenen Sprachgebrauch kritische Punkte
1
Zu den historischen Ursachen vgl. Dieckmann (1991).
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Karl-Heinz Siehr
ausdrücklich zu klären sind, spricht klar und deutlich." - Mir scheint, dass Eisenbergs neuer „Grundriß der deutschen Grammatik. Das Wort" (1998a) dieser Einschätzung in besonderer Weise gerecht wird. Die Wahl meines Themas hat darüber hinaus auch eine ganz persönliche Komponente: Es war im Jahre 1993, kurz nach der Berufung P. Eisenbergs an die Universität Potsdam. Wir kannten uns noch wenig, doch eines Tages kam er auf mich zu und sagte, dass er gehört habe, dass ich mich mit Sprachkritik beschäftige. Dieses Gebiet interessiere ihn seit langem, und es sei doch zu überlegen, ob wir dazu nicht einmal ein gemeinsames Seminar anbieten wollen, gewissermaßen eine deutsch-deutsche Sicht auf ein Thema, das ja bekanntlich in Ost und West eine recht unterschiedliche Behandlung erfahren hatte. Dieses erste Gespräch dauerte wenige Minuten, viele andere zum Thema folgten. Das Seminar verlief - so denke ich - für uns als Lehrkräfte aufschlussreich, für die Studierenden mitunter recht spannend, nicht zuletzt auch deshalb, weil alle Beteiligten schnell merkten, dass unser Seminar auch damit zu tun hatte, sich selbst derjenigen Verstehensschwierigkeiten sprachkritisch bewusst zu werden, die die unterschiedlichen sprachkritischen Traditionen in Ost und West mit sich brachten. Einige jener Diskussionspunkte, von denen wir meinten, dass sie insbesondere Lehrerinnen und Lehrer interessieren müssten, sind in Eisenberg/Siehr ( 1 9 9 5 ) nachzulesen. - Mein Beitrag hier ist nicht zuletzt auch durch diese gemeinsame Arbeit und das unmittelbare Erleben, wie Eisenberg Sprachkritik praktiziert, inspiriert worden.
1.
Z u r Ausgangssituation
Ich will thesenhaft einige Anmerkungen zur Sprachkritik im Kontext des Muttersprachunterrichts machen und dabei versuchen, einige Grundprinzipien des Grammatikkonzepts von Eisenberg für ein primär methodisch orientiertes Verständnis von Sprachkritik zu nutzen, das Belange des Muttersprachunterrichts im Blick hat. Die Tatsache, dass hier nicht über Sprachkritik an sich geredet werden soll, sei damit gerechtfertigt, dass dies hinreichend getan wird (vgl. jüngst Schwinn 1997 und Schiewe 1998). Es ist m. E. an der Zeit, auch aus linguistischer Sicht intensiver über die verschiedenen sprachkritischen Erscheinungsformen und ihre jeweilige Handlungsund Kontextspezifik nachzudenken. Die Situation für die (erneute) 2 Thematisierung der Beziehung von Sprachkritik und Muttersprachunterricht erscheint mir recht günstig, und zwar aus zwei Gründen. Erstens: Nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten ist es möglich geworden, auch das Feld der Sprachkritik von einigen ideologischen Überformungen zu befreien, die es hier und dort - freilich mit unterschiedlicher Gewichtung - gab und deren Konsequenzen bis in den Muttersprachunterricht zu spüren waren und noch zu spüren sind. Was in diesem Punkt die Verhältnisse in der DDR anbelangt, so lassen sie 2
Die Bemühungen um eine Integration sprachkritischer Ansätze in den Deutschunterricht sind nicht neu. Vgl. dazu genauer Neuland (1993).
Sprachkritik und
Muttersprachunterricht
289
sich am ehesten vielleicht mit der zuspitzenden, den Kern der Sache aber wohl treffenden Formel von der „Sprachkultivierung ohne Sprachkritik" (vgl. genauer Siehr 1994) charakterisieren. Das seit den siebziger Jahren systematisch betriebene Sprachkultur-Konzept war - jedenfalls in seinen wesentlichen Zügen und im Schnittpunkt von Linguistik und Muttersprachunterricht - ohne expliziten Bezug auf sprachkritische Traditionen entwickelt worden (vgl. z.B. Nerius 1985; rückblickend Schnerrer 1994), was zur Folge hatte, dass diese auch im Muttersprachunterricht im Prinzip3 fehlten, zumindest in den Lehrplänen, Sprachbüchern und anderen orientierenden Texten für den Deutschunterricht. (Vgl. Fix 1989; Techtmeier 1989.) Erst seit der Wende wird diese Komponente systematisch in den Deutschunterricht integriert.4 Die Verhältnisse in der alten Bundesrepublik waren in dieser Frage zwar wesentlich pluralistischer, doch Wimmers Anfang der achtziger Jahre emphatisch vorgetragenes „Plädoyer für eine Stärkung der selbstreflexiven Sprachkompetenz des einzelnen Sprechers" (1984: 14) war auch eine Antwort auf eine schulische Praxis der „Überbetonung von Normensicherung und Normenkonformität" (10) und damit auf ein reduktionistisches Verständnis von Sprachkultur, das Elemente einer linguistisch begründeten Sprachkritik weitgehend negiert hatte. Dort, wo in der Schule Sprachkritik Unterrichtsgegenstand war, wurde das Thema teilweise mit unrealistischen sprachemanzipatorischen und gesellschaftspolitischen Zielen und Erwartungen verknüpft, was offensichtlich zu einer Diskreditierung des Gegenstandes selbst geführt hat. (Vgl. dazu rückblickend Neuland 1993.) Und zweitens spricht für ein Aufgreifen des Themas, dass sich in letzter Zeit - so jedenfalls mein Eindruck - in Lehrplänen, Sprachbüchern und Fachzeitschriften für den Deutschunterricht wieder Aussagen mehren, die den schulischen Lernbereich 'Reflexion über Sprache' explizit mit dem Konzept 'Sprachkritik' verbinden. (Vgl. Bremerich-Vos 1990, 1992; Neuland 1992, 1993; Fix 1992; Linke/Voigt 1995; Praxis Deutsch 1995; Siehr 1996; Siehr/Seidel 1997/98.) Bemerkenswert dabei ist, dass der schulischen Beschäftigung mit Sprachkritik keineswegs eine nur marginale Rolle zugeschrieben wird. Gefordert wird, sie als einen „der roten Fäden" und von „Beginn an [als] Unterrichtsprinzip" (Linke/Voigt 1995: 21 f.) des gesamten Deutschunterrichts zu entwickeln. Eine ähnliche Position nimmt Neuland (1992: 3) ein, wenn sie Sprachkritik als „Zielperspektive im [...] Lernbereich 'Reflexion über Sprache'" im Rahmen eines „aufgeklärten Sprachunterricht[s]" einstuft. Während Sprachkritik einerseits also zunehmend als notwendiger, integraler Teil des Deutsch-, speziell des Muttersprachunterrichts anerkannt wird, weil es sich dabei offensichtlich um einen in verschiedener Hinsicht erfolgversprechenden Unterrichtsgegenstand handelt, muss andererseits aber auch gesehen werden, dass die Umsetzung des Gegenstandes in der Schule noch viele Fragen aufwirft. 5 3
4
5
„Im Prinzip" soll heißen, dass es im schulischen Alltag durchaus so etwas wie Sprachkritik 'von unten' gab. Vgl. z.B. den Lehrplan für die Sekundarstufe II in Brandenburg, wo u.a. verlangt wird, dass die Schüler in „der kritischen Auseinandersetzung mit Sprachhandlungen [...] Analyse-, Beschreibungs- und Wertungskategorien und damit Maßstäbe und Impulse für den eigenen Sprachgebrauch" (Rahmenplan 1992: 41; Hervorhebung - K.-H. S.) gewinnen sollen. Meine Erfahrungen beruhen u.a. auf einer mehrjährigen Lehrtätigkeit in berufsbegleitenden Studiengängen für Deutschlehrer, die an der Universität Potsdam angeboten werden.
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Karl-Heinz Siehr
Lehrer, obwohl von dem Thema 'Sprachkritik' im Allgemeinen sehr angetan, sprechen selbst von einem regelrechten 'sprachkritischen Chaos': Viele praktizieren Sprachkritik (und viele durchaus mit einigem Erfolg), doch was sie wie tun, bleibt den Beteiligten selbst oft unklar. Praktiziert wird eine Sprachkritik des Einzelfalls, ohne systematische Reflexion der Methode und oft ohne zureichende linguistische Basis. Sprachkritik gerät so hier und dort - und oft nicht mit Absicht - zum Ersatz für pauschale Kultur- und Sachkritik. Die offenbar äußerst attraktive Wortmarke 'Sprachkritik' scheint Bestätigung genug zu sein, etwas Sinnvolles, Richtiges zu tun. Diese Feststellung sei nicht als besserwisserischer Vorwurf an die Praxis verstanden. Sie verweist eher auf Defizite in den Bereichen 'Angewandte Linguistik' und 'Deutschdidaktik', die sich dem Problem gegenüber nach wie vor recht reserviert verhalten. Die alleinige Entwicklung von Konzepten einer wissenschaftlich begründeten Sprachkritik, wie sie besonders seit Mitte der siebziger Jahre von Teilen der germanistischen Linguistik in Auseinandersetzung mit außerlinguistischen Praktiken von Sprachkritik betrieben wird (vgl. Polenz 1986; Wimmer 1984, 1986, 1994; Heringer 1990), führt nicht automatisch auch zu operationalisierbaren Konzepten im Unterricht.
2. Defizite in der sprachkritischen Methodik
Zu den Fragen, die aus meiner Sicht (z.T. erneut) auf der Tagesordnung stehen und die teils linguistische, teils didaktische Antworten verlangen, gehören z.B. die -
-
-
nach der Spezifik von Sprachkritik im Vergleich zu anderen Sprachbewusstseinsund Sprachreflexionprozessen, nach einer Typologie sprachkritischer Fälle, die es erlaubt, zwischen prototypischen und weniger typischen Fällen und Argumentationsmustern zu unterscheiden, nach dem Verhältnis von linguistisch möglicher und didaktisch nötiger Analysebreite und -tiefe und in diesem Zusammenhang nach einer Systematisierung notwendiger linguistischer Kenntnissysteme und Beschreibungsmethoden für bestimmte Typen von sprachkritischen Fällen, nach dem Verhältnis von Normensicherung und Normenkritik, nach der Beziehung von Regel, Norm, Fehler und damit nach dem Verhältnis von Analyse und Bewertung im sprachkritischen Vorgang.
Damit sind nur einige der Fragen angesprochen, für die es z.T. Antworten gibt (vgl. etwa Dieckmann/Voigt 1989; Eisenberg/Voigt 1990), die im hier angesprochenen Gesamtzusammenhang jedoch noch einmal zu bedenken sind. Das vielleicht zentrale, aber auch schwierigste Problem besteht m.E. darin, dass bisher kein linguistisch begründetes und didaktisch handhabbares Konzept von Sprachkritik vorliegt, mit dem Sprachkritik im Muttersprachunterricht methodisch, d.h. über den Einzelfall hinaus betrieben werden kann. Die Tatsache, dass gerade der methodische Aspekt von Sprachkritik so zurückhaltend behandelt wird, hat zweifellos auch gegenstands-
Sprachkritik und Muttersprachunterricht
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bedingte Ursachen. Allein eine Bestimmung des Begriffs 'Sprachkritik' ist, wie sich gezeigt hat, schwierig und wird z.T. mit guten Gründen gemieden (vgl. Heringer 1 9 8 2 ; Dieckmann 1992; jüngst auch Schwinn 1997; Schiewe 1998). Wegen der Vielschichtigkeit des Gegenstandes Sprache und der damit gegebenen Vielzahl von Möglichkeiten, Aspekte von Sprache und Sprachgebrauch kritisch zu thematisieren, kann es den Begriff von Sprachkritik wohl auch nicht geben. Dort, wo Sprachkritik über einen feuilletonistischen Zustand hinausgelangen will, muss jedoch gerade ihre methodische Seite konsequenter entwickelt werden. Ansätze dafür gibt es. Ich verweise hier auf Vorschläge für eine sprachkritische Methodik von Wimmer und Bremerich-Vos (vgl. Tab. I). 6 Letztere ist dabei explizit für den Unterricht entwickelt worden. Wimmer (1986)
Bremerich-Vos (1992)
a) Kennzeichnung der in einem konkreten Fall auftretenden bzw. zum Ausdruck kommenden Kommunikationsschwierigkeiten oder -konflikte b) Bestimmung der Ziele und der Relevanz einer sprachkritischen Analyse c) Kennzeichnung der sprachlich wichtigen Punkte, die im Zentrum der linguistischen Analyse stehen müssen d) Linguistische Analyse der benannten Phänomene e) Sprachkritische Bewertung der Kommunikationskonflikte auf der Grundlage der Analyse und im Hinblick auf die kommunikativ relevanten Erscheinungen
a) Erkennen einer sprachlichen Divergenz b) Deutung der divergierenden Positionen und Interessen c) Bewertung dieser Interessen unter Anerkennung prinzipiell gleicher Rechte der Sprecher
Tab. 1: Schrittfolge für Sprachkritik Ich will diese Modelle hier nicht im Einzelnen kommentieren. Zweifellos beinhalten sie wichtige Eckpunkte eines methodischen Verständnisses von Sprachkritik, das auch im Muttersprachunterricht orientierend wirken kann. Zum Kernpunkt des gesamten sprachkritischen Vorgangs allerdings, dem eigentlichen Analyseschritt, wird wenig gesagt. Bei Bremerich-Vos ist er ohnehin nicht mehr recht erkennbar. Es ist m.E. kein Zufall, dass die Leerstelle in der Beschreibung dessen, was linguistische Analyse heißen soll, korrespondiert mit der weiter oben konstatierten Linguistik-Ferne nicht weniger sprachkritischer Aktivitäten im Unterricht. Im Allgemeinen findet sich nur der übliche Verweis darauf, dass angesichts der Vielfalt der sprachkritischen Fälle im Prinzip das gesamte kategoriale und methodische Instrumentarium der Linguistik heranzuziehen ist (so Wimmer 1986: 152), um Kommunikationskonflikte zu bearbeiten. So einleuchtend dieses Argument auch ist, aus der Sicht der Praxis erzeugt ein 6
Zu erwähnen sind jedoch auch Polenz' „Thesen und Hinweise für den sprachkritischen Umgang mit Sätzen in Texten" (Polenz 1988: 342ff.), die wertvolle Anregungen für sprachkritische Analysen im Bereich der Satzsemantik und des „Zwischen-den-Zeilen-Lesens" geben, allerdings nicht den Generalisierungsgrad wie die Aussagen von Wimmer und Bremerich-Vos haben.
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solcher Hinweis eher eine Abwehrhaltung gegenüber der linguistischen Analyseprozedur.7 Lässt sich wirklich nicht mehr sagen? Ich meine, die bisherigen methodischen Überlegungen zu diesem Punkt lassen sich ein wenig konkretisieren, ohne die sprachkritische Tätigkeit in ein zu starres Korsett zu zwängen.
3.
Vorschlag zur Präzisierung der Analysedimension von Sprachkritik
Worum es also - hier und in weiteren Überlegungen - gehen muss, ist, eine präzisierte Vorstellung davon zu gewinnen, was im Kontext sprachkritischer Arbeit im Unterricht 'linguistische Analyse' heißen soll. Ich will dazu aus primär linguistischer (und nicht aus didaktischer) Sicht einen Vorschlag unterbreiten und dabei zurückgreifen auf einige der methodischen Grundprämissen von Eisenbergs Grammatik-Konzept (vgl. Eisenberg 1998a: Iff.). Für viele Grammatik-Konzepte mag eine solche Inanspruchnahme paradox oder gar unerwünscht sein (anders z.B. Zifonun 1993), Eisenbergs Verständnis von Grammatik - so scheint mir jedenfalls - lässt dies folgerichtig zu. Ich halte vor allem folgende Positionen für wesentlich: -
-
die Betonung der sprachlichen Form als Schlüsselstelle der grammatischen Analyse und die Explikation der Form über den Strukturbegriff, die Betonung des primär funktionalen Charakters der Grammatik, allerdings unter Beachtung des Zusammenhangs wie auch der strikten Trennbarkeit von formal-struktureller und funktionaler Analyse, die Akzeptanz einer Bewertungsdimension im Kontext der linguistischen Analyse, die Unterscheidung von a) intuitivem, mehr oder weniger reflektiertem (man hat Ansichten über die Sprache), b) implizitem (man kann eine Sprache) und c) explizitem bzw. reflektiertem Sprachwissen (man kann Sprache mehr oder weniger selbständig grammatisch analysieren).
Diese Positionen berücksichtigend, sei zunächst ein Verständnis von Sprachkritik formuliert, das die Belange des Muttersprachunterrichts im Blick hat: Sprachkritik ist eine Erscheinungsform des Thematisierens von Sprache und Sprachgebrauch, die ihren Ausgangspunkt bei der Wahrnehmung sprachlich-kommunikativer 'Störungen', d.h. bei Kommunikationskonflikten, und damit zumeist bei einem mehr oder weniger intuitiven Sprachwissen des Betrachters hat. Kommunikationskonflikte sind oft, aber nicht immer, Normkonflikte. Der sprachreflexive Akt fragt nach den Gründen der Konfliktsituation. Durch eine im gegebenen Kontext möglichst hinreichende linguistische Analyse ergibt sich eine Erklärungsmöglichkeit des Kommunikationskonfliktes und - darauf aufbauend - eine Möglichkeit seiner Bewertung bzw. Einschätzung durch den sprachkritisch Agierenden. Die Basis dessen ist im Allgemeinen ein reflektiertes, weniger intuitives Sprachwissen als zu Beginn des sprachkritischen Prozesses. 7
Wimmer spricht selbst von einem „Dilemma", das besonders für Nicht-Experten (also für den 'normalen' Sprecher) zu spüren ist und ihnen den Zugang zur linguistischen Fundierung von Sprachkritik erschwert.
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Im Kern konstituiert sich Sprachkritik damit im wesentlichen aus drei Dimensionen: a) einer Gegenstandsdimension (was ist strittig?), b) einer Analysedimension (warum ist etwas strittig?) und c) einer Bewertungsdimension (wie ist der Fall zu beurteilen?). Diese Dimensionen 8 bringen erst in ihrem Zusammenspiel das Sprachkritische einer sprachreflexiven und sprachthematisierenden Handlung zum Ausdruck und grenzen Sprachkritik 9 (allerdings nicht 'restfrei') von wissenschaftlicher linguistischer Analyse einerseits und von alltagsweltlicher Laien-Linguistik andererseits ab (vgl. dazu Antos 1996). -
Die gegenständliche Dimension beinhaltet, dass nicht Sprache an sich das Thema von Sprachkritik ist, sondern 'nur' solche Sprachfragen, die in irgendeiner Form als strittig, auffallend, brisant o.ä. gelten. - Die Analysedimension beinhaltet, dass die im gegebenen Kontext linguistisch nötigen (und didaktisch möglichen) Einsichten über die Ursachen des sprachkritischen Falles erarbeitet werden, d.h. sie sichert, dass Sprachkritik sich unter der Hand nicht verwandelt in eine elementare Form von Laien-Linguistik. - Die Bewertungsdimension beinhaltet, dass Sprachkritik über die reine Deskription von Sprachdaten und über die alleinige Explikation von Sprachstrukturen hinausgehen und prinzipiell, d.h. nicht generell und d.h. auch mit unterschiedlichen Typen von Bewertungen, Aussagen wie falsch - richtig; angemessen unangemessen u.ä. treffen kann. Auf die Gegenstands- und die Bewertungsdimension 10 kann an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. Das Interesse gilt hier - wie angekündigt - der sprachkritischen Analysedimension. Angesichts der Tatsache, dass viele, vielleicht die Mehrheit der Kommunikationskonflikte nicht grammatischer, sondern mehr semantisch-lexikalischer oder pragmatischer Natur sind, dass nicht nur Einzelzeichen, sondern sehr oft Zeichenkomplexe (Texte) Gegenstand von Sprachkritik werden und dass im Allgemeinen Zeichen im Gebrauch (types) den Ausgangspunkt sprachkritischer Wahrnehmung bilden, ist eine Erweiterung der oben aufgeführten Positionen von Eisenberg nötig. Ich spreche ausdrücklich nur von Erweiterung, weil ich der Auffassung bin, dass die konsequente Berücksichtigung der Formseite sprachlicher Ausdrücke, das 'Suchen' nach sprachlichen Strukturen und schließlich ihre funktionale Interpretation zum methodischen Kern auch von Sprachkritik im Muttersprachunterricht zählen müssen. Dies gilt vor allem dann, wenn der jeweilige sprachkritische Fall eine mehr inhaltsorientierte 8
9
10
Die Wissensdimension durchdringt die drei anderen Dimensionen und liegt damit quer zu dieser Einteilung. Im Kern ergibt sich damit eine Vorstellung von Sprachkritik, die mit den Positionen von Dieckmann (1992: lf.) und Schiewe (1998: 17) kompatibel ist. Für die Bewertungsdimension halte ich den Vorschlag von Bickes (1995) für diskussionswert, der Typen von sprachbewertenden Aussagen funktional herleitet. Im Wesentlichen unterscheidet er zwischen Bewertungen der Regelgemäßheit von Sprache und Bewertungen, die kommunikationsethisch motiviert und begründet sind.
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Sprachkritik erfordert. Gerade dann ist das linguistisch Sagbare gefragt, will man nicht allzu schnell alltagsweltliche Vorurteile bedienen, naiven Sprachtheorien folgen oder ins Ideologisieren abgleiten. Die Geschichte der Sprachkritik beweist, dass diese Gefahr real ist. Aus dem Gesagten sollte deutlich werden, dass und warum ich dafür plädiere, die linguistische Analyse im Rahmen einer sprachkritischen Handlung11 möglichst nah an der Sprache und unter Rückgriff auf methodisch grundlegende, quasi nicht hintergehbare Fixpunkte zu verorten. Eine so verstandene Sprachkritik - und dies ist mein Vorschlag - sollte ihr Analysefeld mit den Koordinaten Gestalt, Struktur und Funktion abstecken. Den Begriff 'Gestalt' gebrauche ich hier in Anlehnung an Feilkes Konzept von Sprache als sozialer Gestalt bzw. als Menge von Ausdrucksgestalten (vgl. 1996). Den Vorteil dieses Konzepts 12 gerade für sprachkritisches Handeln sehe ich darin, dass der Begriff 'Gestalt' sprachliche Zeichen (vom Morphem bis zum Text) in ihrer Einheit von konventionalisierten formalen und semantischen Eigenschaften begreift und dass die Gestaltebene als „Schaltzentrale [...] zwischen dem hochstrukturierten Systemaspekt von Sprache einerseits und den je individuellen Bedingungen der Textproduktion und des Sprechens andererseits vermittelt" (Feilke 1993: 15). Damit lässt sich Sprachkritik einerseits anbinden an den für Sprachkritik wesentlichen Aspekt des Wahrnehmens von Kommunikationskonflikten (das sprachkritische Unbehagen, das Fragliche) und andererseits beziehen auf das im jeweils vorliegenden Fall sprachlich tatsächlich Gegebene in seiner Einheit von Form und Bedeutung (das genaue Schauen auf die Sprache). Der Strukturbegriff bezieht sich unmittelbar auf die Ebene der sprachlichen Gestalt und dient der Explikation der höchst verschiedenen zeicheninternen und -externen, syntagmatischen und paradigmatischen, auf das System und auf den Sprachgebrauch gerichteten (formalen und/oder semantischen) Beziehungen, die sich für den jeweiligen Fall rekonstruieren lassen. Menge und Art der strukturellen Aussagen variieren dabei je nach Typ des sprachkritischen Falls. Man denke dabei etwa an solch unterschiedliche Gegenstände wie die weil-Sätze mit Verbzweitstellung, die Charakterisierung eines bestimmten Wortgebrauchs als Unwort, die textlich bedingten Gründe 13 für die stark divergierenden Reaktionen auf die Walser-Rede anlässlich der Verleihung des Deutschen Buchpreises im Oktober 1998. So schwierig es im Einzelfall auch sein mag, die strukturellen Grundlagen eines sprachkritischen Falls zu beschreiben, methodisch darf kein Weg an dieser Phase vorbeiführen: Wer nicht nur hermeneu11
12
13
Diese Formulierung soll zum Ausdruck bringen, dass eine sprachkritische Analyse oft mehr als nur die linguistische Analyse umfassen kann und muss. Man denke z.B. an die sprachkritischen Notizen V. Klemperers zu den sprachlichen Verhältnissen im Faschismus, die ihren Wert gerade auch dadurch erhalten haben, dass Klemperer historische, mentalitätsgeschichtliche, sozialpsychologische u.a. Perspektiven verknüpft. Auf eine kritische Auseinandersetzung mit bestimmten Seiten dieses Ansatzes muss an dieser Stelle verzichtet werden. Damit ist gemeint, dass Sprachkritik in diesem Fall zeigen müsste, inwieweit die sehr kontroversen Reaktionen auch durch eine strategisch angelegte semantische Offenheit und Vagheit des Textes bedingt sind. Erst vor diesem Hintergrund sind auch genauere Erklärungen für die Beurteilung des Ausdrucks Moralkeule zu erwarten, der ja bekanntlich von einer Jury als Unwort 1998 bewertet wurde.
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tisch-interpretierend argumentieren will, muss sich auf die in der jeweiligen Sprachund Kommunikationsgemeinschaft synchron konventionalisierten sprachlichen und kommunikativen Beziehungen bzw. Zusammenhänge berufen und berufen können. Es ist etwas anderes, wieweit man damit im gegebenen Fall etwas erklären kann. Unter Umständen hat man die Grenze des linguistisch Sagbaren erreicht, ohne dass das konfliktäre Moment befriedigend beschrieben ist. Den logischen Schluss der Analyseprozedur bildet die funktionale Deutung der gegebenen strukturellen Zusammenhänge. Funktion wird dabei verstanden als Zielgerichtetheit sprachlich-kommunikativer Tätigkeit [...] und zugleich [...] Zweckbestimmtheit der Instrumente/Mittel [...], nämlich des Sprachsystems, der Texte und der einzelnen sprachlichen Mittel in ihrem anteiligen Zusammenwirken. Michel 1985: 14
In dieser Doppelseitigkeit ist Funktion sowohl auf systeminterne Verhältnisse als auch auf den Handlungskontext und die Kommunikationsteilnehmer beziehbar. Der Schritt der Funktionsdeutung öffnet letztlich den Weg zu Aussagen über das sprachliche Bedeuten und Meinen der Handlungsbeteiligten in dem zur Debatte stehenden sprachkritischen Fall, indem die strukturellen Aussagen vor dem Hintergrund des jeweiligen sprachlichen und außersprachlichen Kontexts interpretiert werden. Insofern, als nun auf die sprachliche Gestalt auch in ihrer situativen und individuellen Geprägtheit Bezug genommen wird, schließt sich damit in einem gewissen Sinne der Kreis der linguistischen Analyse.
4. Fazit und Ausblick
Ziel meiner Anmerkungen war es, erstens für eine stärkere methodische Durchdringung des sprachkritischen Vorgehens generell und speziell im Muttersprachunterricht sowie zweitens für eine Konkretisierung der analytischen Dimension von Sprachkritik zu plädieren. Das Gestalt-Struktur-Funktions-Prinzip, wie ich es hier in Anlehnung an methodische Prämissen des Grammatik-Konzepts von Eisenberg skizziert habe, könnte unter Umständen helfen, die weiter oben beschriebene LinguistikFerne der sprachkritischen Praxis im Unterricht abzubauen. Dabei geht es keineswegs um eine 'Linguistifizierung' von Sprachkritik, sondern um ihre notwendige linguistische Fundierung. Will sich Sprachkritik einen festen Platz im stofflichen Kanon des Muttersprachunterrichts sichern, ist dieser Weg unverzichtbar.14 Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass das hier postulierte Prinzip eine Art idealtypische Konstruktion ist, die sowohl linguistisch (wieweit greift das Prinzip bei welchen Typen von sprachkritischen Fällen?) als auch didaktisch (wie lässt es sich in ein schülerorientiertes Handlungskonzept transformieren?) noch weiterer theoretischer Präzisierungen und vor allem empirischer Überprüfungen bedarf.
14
Dass diese Forderung wohl nicht allgemein geteilt wird, ist bereits dem Titel einer gerade erschienenen Monographie von Ingendahl (1999) zu entnehmen: „Sprachreflexion statt Grammatik". - Eine Auseinandersetzung mit dieser These ist hier jedoch nicht mehr möglich.
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