Deutsche Dramaturgie: Band 1 Deutsche Dramaturgie vom Barock bis zur Klassik [4th unrev. Edition] 9783110950687, 9783484190030


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German Pages 153 [156] Year 1979

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Table of contents :
MARTIN OPITZ
GEORG PHILIPP HARSDÖRFFER
JOHANN CHRISTOPH GOTTSCHED
JOHANN ELIAS SCHLEGEL
GOTTHOLD EPHRAIM LESSING
I. Aus dem Briefwechsel
II. Aus: Briefe, die neueste Literatur betreffend, 17. Brief
III. Aus: Hamburgische Dramaturgie
HEINRICH WILHELM VON GERSTENBERG
JOHANN GOTTFRIED HERDER
I. Aus: Shakespear
II. Aus: Kalligone
III. Aus: Adrastea
JAKOB MICHAEL REINHOLD LENZ
I. Aus: Anmerkungen übers Theater
II. Aus: Rezension des neuen Menoza
GOTTFRIED AUGUST BÜRGER
Aus: Aus Daniel Wunderlichs Buch
JOHANN WOLFGANG GOETHE
I. Aus: Aus Goethes Brieftasche
II. Zum Schäkespears Tag
III. Aus: Shakespeare und kein Ende
IV. Aus: Wilhelm Meisters Lehrjahre
V. Nachtrag zum Brief an Schiller vom 26. April 1797
VI. Über epische und dramatische Dichtung
VII. Aus: Noten und Abhandlungen zum Divan. Naturformen der Dichtung
VIII. Aus: Prolog zu Eröffnung des Berliner Theaters am 26. Mai 1821
IX. Nachlese zu Aristoteles’ Poetik
X. Aus: Maximen und Reflexionen
XI. Aus Briefen und Gesprächen
FRIEDRICH SCHILLER
I. Aus: Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet
II. Aus: Über den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen
III. Aus: Über die tragische Kunst
IV. Aus: Über das Pathetische
V. Aus: Über das Erhabene
VI. Die Braut von Messina. Über den Gebrauch des Chors in der Tragödie
VII. Aus dem Briefwechsel
VIII. Aus dem Nachlaß
Quellen-Nachweis
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Deutsche Dramaturgie: Band 1 Deutsche Dramaturgie vom Barock bis zur Klassik [4th unrev. Edition]
 9783110950687, 9783484190030

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D E U T S C H E TEXTE Herausgegeben von Gotthart Wunberg 4

DEUTSCHE DRAMATURGIE VOM BAROCK BIS ZUR KLASSIK HERAUSGEGEBEN VON

BENNO VON WIESE

4., unveränderte Auflage

MAX N I E M E Y E R VERLAG T Ü B I N G E N *979

ι. Auflage 1956 2. Auflage 1962 3. Auflage 1967

CIP - Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Deutsche Dramaturgie / hrsg. von Benno von Wiese. - Tübingen : Niemeyer. N E : Wiese, Benno von [Hrsg.] 1 Vom Barock bis zur Klassik. - 4., unveränd. Aufl. - 1979. (Deutsche Texte ; 4) ISBN 3-484-19003-5

I S B N 3-484-19003-5 I S S N 0418-9159 © Max Niemeyer Verlag Tübingen 1979 Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege zu vervielfältigen. Printed in Germany. Druck: Omnitypie Gesellschaft, Stuttgart

Inhaltsverzeichnis Seite

MARTIN OPITZ

Ι

GEORG PHILIPP HARSDÖRFFER

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JOHANN CHRISTOPH GOTTSCHED

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JOHANN ELIAS SCHLEGEL

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GOTTHOLD EPHRAIM LESSING

I. Aus dem Briefwechsel II. Aus: Briefe, die neueste Literatur betreffend, 17. Brief III. Aus: Hamburgische Dramaturgie H E I N R I C H W I L H E L M VON G E R S T E N B E R G JOHANN GOTTFRIED HERDER

I. Aus: Shakespear II. Aus: Kalligone III. Aus: Adrastea

11-44

11 17 19 45

47-63

47 56 57 JAKOB MICHAEL REINHOLD LENZ 64-66 I. Aus: Anmerkungen übers Theater 64 II. Aus: Rezension des neuen Menoza 65 GOTTFRIED AUGUST BÜRGER 67-68 Aus: Aus Daniel Wunderlichs Buch 67 JOHANN WOLFGANG GOETHE 69-93 I. Aus: Aus Goethes Brieftasche 69 II. Zum Schäkespears Tag 70 III. Aus: Shakespeare und kein Ende 73 IV. Aus: Wilhelm Meisters Lehrjahre 82 V. Nachtrag zum Brief an Schiller vom 26. April 1797 83 VI. Über epische und dramatische Dichtung . . . . 84 VII. Aus: Noten und Abhandlungen zum Di van. Naturformen der Dichtung 86 VIII. Aus: Prolog zu Eröffnung des Berliner Theaters am 26. Mai 1821 88 IX. Nachlese zu Aristoteles' Poetik 89 X. Aus: Maximen und Reflexionen 92 XI. Aus Briefen und Gesprächen 92

FRIEDRICH SCHILLER

94-139

I. A u s : Die Schaubühne als eine moralische A n stalt betrachtet II. A u s : Über den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen III. A u s : Über die tragische Kunst I V . A u s : Über das Pathetische V . A u s : Über das Erhabene VI. Die Braut v o n Messina. Über den Gebrauch des Chors in der Tragödie VII. Aus dem Briefwechsel VIII. Aus dem Nachlaß Quellen-Nachweis

94 96 99 104 111 124 133 139 140

Vorwort Der Herausgeber wollte mit diesem Band ausgewählter Texte zur Deutschen Dramaturgie vom frühen Barock bis zur Hochklassik ein Lese- und Übungsbuch schaffen, in dem die Entwicklung der Lehre vom Drama und seinen Untergattungen Tragödie und Komödie in ihrem geistesgeschichtlichen Zusammenhang sichtbar wird. Die Barockpoetik konnte dabei nur in knappster Weise als Folie herangezogen werden, damit sich die Zeit der Aufklärung, des Sturm und Dranges bis zur Klassik Goethes und Schillers um so deutlicher davon abhebt. Die Auswahl suchte bei aller unvermeidlichen Konzentration der Vielheit der weitverzweigten Probleme gerecht zu werden. Wir führen hier nur einige wichtige Beispiele dafür an: die Lehre von der Nachahmung, die Überwindung der ständischen Höhenlagen, die Theorie des bürgerlichen Dramas, die Aristoteles-Interpretation, die Frage der gemischten Charaktere, die Bedeutung von Mitleid und Furcht, ferner die Rezeption Shakespeares und die damit verbundene Historisierung und Individualisierung, bzw. der Einfluß des griechischen Theaters, die Spaltung von Tragödie und Komödie und ihre beiderseitige Vermischung, das Verhältnis von Epos und Tragödie, der Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen, die Theorie des „Erhabenen" und des „Chors" in der Tragödie üsw. Es war nicht leicht, eine solche Fülle innerhalb des begrenzten Raumes unterzubringen. Der Leser muß entscheiden, wie weit es dem Herausgeber trotzdem gelungen ist. Die einzelnen Abschnitte sind im allgemeinen chronologisch gegliedert. Nur schien es mir bei Goethe zweckmäßiger, die Shakespeare-Aufsätze aus seiner frühen und seiner späten Zeit direkt nebeneinander zu stellen. Der Nachtrag zum Brief an Schiller vom 26. April 1797 folgt mit Absicht gleich hinter dem Auszug aus „Wilhelm Meisters Lehrjahre" und steht nicht erst in dem Abschnitt „Aus Briefen und Gesprächen". So erkennt der Leser sogleich den engen, sachlichen Zusammenhang zwischen den beiden Stellen, der dann sinngemäß in der Goethe und Schiller gemeinsamen Schrift „Über epische und drama-

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tische Dichtung" kulminiert. Den Höhepunkten deutscher Dramaturgie - Lessing und Schiller - wurde der größte Raum gegeben, weil sie gleichsam Brennpunkte für den ganzen Entwicklungsprozeß sind. Aus zwei Gründen habe ich Schiller an das Ende dieses Buches gestellt: einmal sollte die Kontinuität Lessing, Herder, Lenz, Bürger, Goethe - nicht unterbrochen werden; ferner schien es mir sinnvoll, das ganze Buch mit dem eigentlichen Meister der deutschen Dramaturgie der Klassik abzuschließen, wenn auch die dramaturgischen Äußerungen des alten Goethe zeitlich noch weit über Schillers Tod hinausreichen. Auf den vollständigen Abdruck ganzer Schriften habe ich bis auf einige wenige Einzelfälle verzichtet zu Gunsten einer größeren Breite und Übersicht, die auch Entlegenes berücksichtigen konnte und überall sich auf das Wesentliche zu beschränken suchte. Ungekürzt wurde abgedruckt von Goethe „ Z u m Schäkespears T a g " , ferner die im Briefwechsel mit Schiller allmählich entstandene Schrift „Über epische und dramatische Dichtung" und die kleine Studie des alten Goethe „Nachlese zu Aristoteles' Poetik", von Schiller die Vorrede zur Braut von Messina „Über den Gebrauch des Chors in der Tragödie". Nur ganz geringe Kürzungen finden sich in den Schriften von Schiller „Über das Erhabene" (wahrscheinlich 179 j entstanden) und von Goethe „Aus Goethes Brieftasche". In der Schrift von Goethe „Shakespeare und kein Ende" wurden nur im Abschnitt III größere Kürzungen vorgenommen. Von Lessing sind fast vollständig abgedruckt der 17. Literaturbrief und die Stücke 74-79 aus der Hamburgischen Dramaturgie. Bei Johann Elias Schlegel schien es mir zweckmäßig, eine ganze Reihe von verstreuten Stellen aus den verschiedensten Schriften zu bringen, weil sich erst aus allen zusammen der entscheidende Gedankengang Schlegels ergibt. Alle näheren Auskünfte über Quellen und Erscheinungsjahre finden sich im Quellen-Nachweis. Die Texte sind ohne Abänderung nach den dort angegebenen Ausgaben abgedruckt. Überall suchte ich dabei auf zuverlässige und nach Möglichkeit auch heute noch erreichbare Ausgaben zurückzugehen. Ich möchte nicht versäumen, auch noch denen zu danken, die mich bei der Herausgabe dieses Bandes mit Rat und Hilfe und beim Lesen der Korrekturen unterstützt haben: Dr. phil. Hans

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Joachim Schrimpf, Dr. phil. Günther Rohrmoser, Dr. phil. Margarete Hofius-Lohr und cand. phil. Vincent J . Günther. Möge dieser Band bei den Übungen und Seminaren im germanistischen Unterricht sich als zweckmäßig erweisen und vielleicht auch darüber hinaus denen willkommen sein, die sich mit Drama und Dramaturgie aus Neigung und Beruf näher beschäftigen! Münster/Westfalen, Juni 1955

Benno von Wiese

MARTIN OPITZ . . . Das getichte vnd die erzehlung selber belangend, nimpt sie es nicht so genawe wie die Historien, die sich an die zeit vnd alle vmbstende nothwendig binden mußen, vnnd wiederholet auch nicht, wie Horatius erwehnet, den Troianischen krieg von der Helenen vnd jhrer brüder geburt an: lest viel außen was sich nicht hin schicken wil, vnd setzet viel das zwar hingehöret, aber newe vnd vnverhoffet ist, vntermenget allerley fabeln, historien, Kriegeskünste, schlachten, rathschläge, stürm, wetter, vnd was sonsten zue erweckung der Verwunderung in den gemütern von nöthen ist; alles mit solcher Ordnung, als wann sich eines auff das andere selber allso gebe, vnnd vngesucht in das buch keme. Gleichwol aber soll man sich in dieser freyheit zue tichten vorsehen, das man nicht der Zeiten vergeße, vnd in jhrer warheit i r r e . . . . . . Die Tragedie ist an der maiestet dem Heroischen getichte gemeße, ohne das sie selten leidet, das man geringen standes personen vnd schlechte Sachen einführe: weil sie nur von Königlichem willen, Todtschlägen, verzweiffelungen, Kindervnd Vätermörden, brande, blutschanden, kriege vnd auffruhr, klagen, heulen, seuffzen vnd dergleichen handelt... . . . Die Comedie bestehet in schlechtem wesen vnnd personen ; redet von hochzeiten, gastgeboten, spielen, betrug vnd schalckheit der knechte, ruhmrätigen Landts knechten, buhlersachen, leichtfertigkeit der jugend, geitze des alters, kupplerey vnd solchen Sachen, die täglich vnter gemeinen leuten vorlauffen. Haben derowegen die, welche heutiges tages Comedien geschrieben, weit geirret, die Keyser vnd Potentaten eingeführet; weil solches den regeln der Comedien schnurstracks zuewider laufft... . . . Hergegen in wichtigen Sachen, da von Göttern, Helden, Königen, Fürsten, Städten vnd der gleichen gehandelt wird, muß man ansehliche, volle vnd hefftige reden vorbringen, vnd ein ding nicht nur bloß nennen, sondern mit prächtigen hohen Worten vmbschreiben . . .

I v. Wiese, Deutsche Dramaturgie

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G E O R G PHILIPP HARSDÖRFFER . . . Die Personen der Geschichte werden beschrieben nach ihren eigentlichen Beschaffenheiten / und finden sonderlich statt in den Trauer- und Freudenspielen / in welchen die vornemsten Personen nach ihren Sitten und Gemütsneigungen auff den Schauplatz geführet werden / als da sind großmütige Helten Tugendreiche Frauen / geitzige alte Männer / leichtsinnige Jünglinge / . Diesen werden zugegeben listige Knechte / zornige Soldaten / fleissige Boten / geschäftige Mägde / einfältige Kinder /. bey welchem allen zu beobachten / daß die Personen ihre Sitten / welche so wol von ihrem Alter / als ihrer Auferziehung hergenommen werden / nicht ändern sollen / sondern wie sie das erste mal beschrieben / also müssen sie durch das»gantze Spiel eingeführet werden. Die Sitten sollen der Wahrheit ähnlich seyn . . . . . . Wie nun dreyerley Haubtstände / also sind auch dreyerley Arten der Gedichte / welche auf den Schauplatz gesehen und gehöret werden. I. Die Trauerspiele / welche der Könige / Fürsten und großer Herren Geschichte behandeln. II. Die Freudenspiele / so deß gemeinen Burgermanns Leben außbilden. III. Die Hirten oder Feldspiele / die das Bauerleben vorstellig machen / und Satyrisch genennet werden. Diese Nachahmung der dreyen Stände haben etliche Stücke / ins gemein und zugleich... Ins gemein haben sie I. den Inhalt / welcher ist ein Fabel oder erdichte Geschieht: Zuzeiten auch ein wahre Begebenheit / mit vielen schicklichen Umständen ausgezieret. Wie nun ein jedes Volck seine eigene Sprache und Sitten hat / also ist auch thunlichst zu dergleichen Vorstellung eine derselben eigene Geschieht zu erwehlen. / . . . Wir Teutsche sollen Teutsche Gedichte ausdichten / und den Italiänern / Spaniern / Engelländern / und Frantzosen ihre Historien lassen / oder doch durch selber Erfindungen durch zimliche Veränderung uns eigen machen . . . II. Haben diese Spiele ins Gemein das Absehen / zu nutzen und zu belustigen... Der Nutz ist zu betrachten sowol / bey den Zusehern und Zuhörern / als bey den spielenden Knaben...

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Die Personen aber / so den Schauplatz betretten / werden behertzt in dem Reden / höflich in den Geberden / fähig in dem Verständniß / üben das Gedächtniß / und arten sich höhern Verrichtungen vorzustehen . . . . . . Die Lehr- und Denksprüche sind gleichsam des Trauerspiels Grundseulen... obwohl der Poet mehrmals eine wahre Geschieht ausdichtet / und an derselben Ausgang nichts verändern soll / so kan er doch allerley Umstände / welche sich nit begeben / aber doch vermutlich sich hätten begeben können./ und theils auch begeben sollen / mit an- und einbringen / sonderlich aber den Personen nachdenkliche und merkwürdige Reden zudichten / daß sie nicht nur an den Kleidern / sondern auch an den schicklichen Namen und ihren Redarten zu erkennen / wie oben vermeldet worden . . . . . . Das Trauerspiel sol gleichsam ein gerechter Richter seyn / welches in dem Inhalt die Tugend belohnet / und die Laster bestraffet; Daher wird es auch ein wolgefälliger Betrug genennet / welcher dem Betrüger Ehre wegen seiner Kunstrichtigen Arbeit / und den Betrogenen viel Nutzen durch die Lehre zuwege bringet. Solches auszuwürken ist der Poet bemühet / Erstaunen / oder Hermen und Mitleiden zu erregen / jedoch dieses mehr als jenes. Durch das Erstaunen wird gleichsam ein kalter Angstschweiß verursacht / und wird von der Furcht unterschieden / als welche von grosser Gefahr entstehet; dieses aber von einer Unthat und erschröcklichen Grausamkeit / welche wir hören oder sehen. Solche Gemütsbewegung findet sich / wann wir ein Laster scheuen ernstlich und plötzlich straffen / daß wir in unsrem Gewissen auch befinden; und wir werden zu Mitleiden veranlasst / wann wir einen Unschuldigen viel Übel leiden sehen. Der Held / welchen der Poet in dem Trauerspiel aufführet / soll ein Exempel seyn aller vollkommenen Tugenden / und von der Untreue seiner Freunde / und Feinde betrübet werden; jedoch dergestalt / daß er sich in allen Begebenheiten großmütig erweise und den Schmertzen / welcher mit Seufftzen / Erhebung der Stimm / und vielen Klagworten hervorbricht / mit Tapferkeit überwinde . . .

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JOHANN CHRISTOPH GOTTSCHED . . . Die Tragödien und Comödien anlangend, so ist die Absicht ihrer Verfasser gewiß eben dieselbe gewesen. Man findet was wahres, aber auch was erdichtetes darinnen. Man suchet durch Exempel der Tugenden und Laster, die Zuschauer zu unterrichten. Die Erregung der Affecten ist hier noch weit lebhafter als in jenem, [im Heldengedicht] weil die sichtbare Vorstellung der Personen weit empfindlicher rühret, als die beste Beschreibung. Dadurch aber suchet man die Leidenschaften der Zuschauer zu reinigen. Die Schreibart ist, sonderlich im Trauerspiele so edel und erhaben, wie die Sachen selber sind: und an lehrreichen Sprüchen hat es eher einen Ueberfluß als Mangel. Selbst die Comödie lehret und unterrichtet die Zuschauer, obwohl sie das Gelächter e r w e c k t . . . . . . Die Tragödie ist von der Comödie nur in der besondern Absicht unterschieden, daß sie an statt des Gelächters, die Verwunderung, das Schrecken und Mitleiden zu erwecken suchet. Daher pflegt sie sich lauter vornehmer Leute zu bedienen, die durch ihren Stand, Namen und Aufzug mehr in die Augen fallen, und durch große Laster und traurige Unglücksfälle solche heftige Gemüthsbewegungen erwecken k ö n n e n . . . . . . Bey den Griechen war also, selbst nach dem Urtheile des Aristoteles, die Tragödie zu ihrer Vollkommenheit gebracht; und konnte in diesem ihrem Zustande gar wohl ein Trauerspiel heißen: weil sie zu ihrer Absicht hatte, durch die Unglücksfälle der Großen, Traurigkeit, Schrecken, Mitleiden und Bewunderung bey den Zuschauern zu erwecken. Aristoteles beschreibt sie derowegen, als eine Nachahmung einer Handlung, dadurch sich eine vornehme Person harte und unvermuthete Unglücksfälle zuzieht. . . . . . Der Poet wählet sich einen moralischen Lehrsatz, den er seinen Zuschauern auf eine sinnliche Art einprägen will. Dazu ersinnt er sich eine allgemeinem Fabel, daraus die Wahrheit eines Satzes erhellet. Hiernächst sucht er in der Historie solche berühmte Leute, denen etwas ähnliches begegnet ist: und von diesen entlehnet er die Namen, für die Personen seiner Fabel,

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um derselben also ein Ansehen zu geben. Er erdenket sodann alle Umstände dazu, um die Hauptfabel recht wahrscheinlich zu machen, und das werden die Zwischenfabeln, oder Episodia nach neuer Art, genannt. Dieses theilt er dann in fünf Stücke ein, die ohngefähr gleich groß sind, und ordnet sie so, daß natürlicher Weise das letztere aus dem vorhergehenden fließet; bekümmert sich aber weiter nicht, ob alles in der Historie wirklich so vorgegangen, oder ob alle Nebenpersonen wirklich so, und nicht anders geheißen h a b e n . . . . . . Diese Fabel ist nun geschickt, Schrecken und Mitleiden zu erwecken, und also die Gemüthsbewegungen der Zuschauer auf eine der Tugend gemäße Weise zu erregen... Eine solche Fabel nun zu erdichten, sie recht wahrscheinlich einzurichten, und wohl auszuführen, das ist das allerschWerste in einer Tragödie... . . . Die Einheit der Zeit ist das andre, daß in der Tragödie unentbehrlich ist. Die Fabel eines Heldengedichtes kann viele Monathe dauren, wie oben gewiesen worden; das macht, sie wird nur gelesen: aber die Fabel eines Schauspieles, die mit lebendigen Personen in etlichen Stunden wirklich vorgestellet wird, kann nur einen Umlauf der Sonnen, wie Aristoteles spricht; das ist einen Tag, dauren . . . Die besten Fabeln sind also diejenigen, die nicht mehr Zeit nöthig gehabt hätten, wirklich zu geschehen, als sie zur Vorstellung brauchen; das ist etwa drey oder vier Stunden . . . . . . Zum dritten gehört zur Tragödie die Einigkeit des Ortes. Die Zuschauer bleiben auf einer Stelle sitzen: folglich müssen auch die spielenden Personen alle auf einem Platze bleiben, den jene übersehen können, ohne ihren Ort zu ändern. . . . . . Ich komme auf den Ausdruck oder auf die Schreibart der Tragödien. Diese muß eben so beschaffen seyn, als die Schreibart in Heldengedichten, wenn der Poet daselbst andre redend einführet. Die Alten nannten diese Art des Ausdruckes Cothurnus; von den hohen Schuhen, die von vornehmen Standespersonen getragen wurden. Weil nun dergleichen vornehme Leute in der Tragödie vorgestellet wurden, und es sich für sie nicht anders schickte, als daß sie sich auf eine edlere Art, als der gemeine Pöbel ausdrücken mußten; zumal, wenn die gewaltigsten Affecten sie bestürmeten: so bekam ihre Sprache eben diesen Namen. Die guten Poeten nun, die ihre Einbil-

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dungs kraft durch die Vernunft in den Schranken zu halten, und die hohe Schreibart durch die Regeln der Wahrscheinlichkeit zu mäßigen gewußt haben, sind auch bey einer vernünftigen hohen Art des Ausdruckes geblieben . . . . . . Die Comödie ist nichts anders, als eine Nachahmung einer lasterhaften Handlung, die durch ihr lächerliches Wesen den Zuschauer belustigen, aber auch zugleich erbauen kann. So hat sie Aristoteles beschrieben, und zugleich erkläret, was er durch das Lächerliche verstünde. Er sagt aber sehr wohl, daß es was ungestaltes oder ungereimtes sey, das doch demjenigen, der es an sich hat, keinen Schmerz verursachet: wobey er aus dem Homer das Gesicht des Thersites zum Exempel anführet. Es ist also wohl zu merken, daß weder das Lasterhafte noch das Lächerliche für sich allein, in die Comödie gehöret; sondern beydes zusammen, wenn es in einer Handlung verbunden angetroffen wird. Vieles läuft wider die Tugend, ist aber mehr strafbar und widerlich, oder gar abscheulich, als lächerlich. Vieles ist auch lächerlich; wie zum Exempel die Harlekinspossen der Italiener: aber darum ist es doch nicht lasterhaft. Beydes gehört also nicht zum Wesen eines rechten Lustspiels . . . . . . Und dieses führet mich auf die Schreibart der ComÖdien. Sie besteht aus den Gedanken und Ausdrückungen derselben [der Affekte], und hierinn ist die Comödie von der Tragödie sehr unterschieden. Das macht, daß dort fast lauter vornehme Leute; hier aber Bürger und geringe Personen, Knechte und Mägde vorkommen: dort die heftigsten Gemüthsbewegungen herrschen, die sich durch einen pathetischen Ausdruck zu verstehen geben; hier aber nur lauter lächerliche und lustige Sachen vorkommen, wovon man in der gemeinen Sprache zu reden gewohnt ist. Es muß also eine Comödie eine ganz natürliche Schreibart haben, und wenn sie gleich in Versen gesetzt wird, doch die gemeinsten Redensarten beybehalten... . . . Von der Lustigkeit im Ausdrucke möchte mancher fragen, wie man dazu gelangen könne? Ich antworte, das Lächerliche der Comödien muß mehr aus den Sachen, als Worten entstehen . . . . . . Ein Gedichte oder eine Fabel muß eine Nachahmung einer menschlichen Handlung seyn, dadurch eine gewisse moralische Lehre bestätiget wird. Eine Nachahmung aber, die der Natur nicht ähnlich ist, taugt nichts: denn ihr ganzer Werth entsteht

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von der Aehnlichkeit. Aus dieser aber sind alle die Regeln geflossen, die wir oben von der Schaubühne, sowohl für die Tragödie, als Comödie, gegeben haben. Diese Regeln sind aus der Natur selbst genommen, durch den Beyfall der größten Meister und Kenner von Schauspielen bestärket, und bey den gescheidtesten Völkern gut geheißen w o r d e n . . .

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JOHANN ELIAS SCHLEGEL . . . Da das Vergnügen, welches man aus der Nachahmung empfindet, der Endzweck ist, warum wir die Natur nachahmen, so verfehlt die Nachahmung ihres Zweckes, so bald dieses Vergnügen aufhöret... . . . Die Comödie aber weis vermittelst der Verse einen Unterscheid zwischen demjenigen, was sie abbildet, und der Abbildung zu machen, ohne etwas von der Nachahmung auszulassen . . . . . . ein Poet, der Trauerspiele schreibt, thut es, um in seinen Zuschauern edle Regungen und Leidenschaften, vermittelst der Nachahmung zu erwecken: und alles, was dieses hindert, ist ein Fehler, es mag so gut nachgeahmet seyn, als es will. Eben deßwegen verbannet man daraus alle gemeine Reden großer Herren, auch so gar alle bons mots großer Herren, die etwas an sich haben, das zum Lachen beweget, damit dieser Entzweck erhalten werde. Die Natur dient also nicht zur Entschuldigung, wenn man großen Herren schlechte Redensarten und Schimpfwörter in den Mund leget... . . . Gleichwohl reizt mich meine Neigung zur Dichtkunst, die mich, wofern ich mich recht kenne, niemals verlassen wird, meine Kräfte mit Verachtung der Gefahr, die ich dabey laufe, daran zu versuchen, und mich wenigstens an den Beweis einer Regel der Nachahmung zu wagen, welche von vielen bisher mehr unvermerkt beobachtet, als deutlich erkannt worden ist. Man soll, nämlich, zuweilen die Nachahmung der Sache, der man nachahmet, unähnlich machen.. . .. . Dieses ist nicht das einzige, was ich verlange; sondern ich bin überzeugt, daß man die Umstände seines Vorbildes zuweilen anders vorstellen muß, als sie wirklich sind; daß man öfters nur wenige Züge von derjenigen Sache, die man abschildert, behalten darf; kurz, daß man oft, wenn man nachahmet, die ganze Sache, der man nachahmet, so zu sagen, verwandeln muß. Denn aus welchen Ursachen ahmet man nach? Thut man es, damit man bloß nachgeahmt haben möge, oder unternimmt man eine so künstliche Sache nicht um ihrer selbst, sondern um

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eines entfernteren Endzweckes willen ? Ist das erstere die wahre Ursache: So ist derjenige im Nachahmen der allervollkommenste, welcher sein Vorbild nicht abschildert, sondern von neuem erschafft... . . . Die Regeln, wornach sich der Ausdruck der Reden in einem Trauerspiele richten soll, gründen sich theils auf die Begriffe, die wir von den Helden haben, so uns darinnen vorgestellet werden, theils auf die Wichtigkeit der Handlungen, die man darinnen abbildet, theils auf den Endzweck, den man dadurch zu erhalten suchet, nehmlich auf die Erweckung und Verbesserung der menschlichen Leidenschaften.. . . . eine jede Nation schreibt einem Theater, das ihr gefallen soll, durch ihre verschiedenen Sitten auch verschiedene Regeln vor, und ein Stück, das für die eine Nation gemacht ist, wird selten den andern ganz gefallen . . . . . . Obgleich das Vergnügen der Hauptzweck des Theaters ist, so ist es doch nicht der einige Zweck desselben... L e h r e n ist ohne Zweifel eine viel wichtigere Sache, als E r g e t z e n . . . . . . Wenn es lehrt, so thut es solches nicht wie eine Pedant, welcher es allemal voraus verkündiget, daß er etwas Kluges sagen will; sondern wie ein Mensch, der durch seinen Umgang unterrichtet, und der sich hütet, jemals zu erkennen zu geben, daß dieses seine Absicht sey. Es ist genug, wenn der Poet weis, daß er in seinem Werke Gelegenheit hat, der Sittenlehre Dienste zu thun. Und der dramtische Poet hat diese Gelegenheit, besonders durch eine genaue und feine Abschilderung der Gemüther und Leidenschaften. Die Kenntniß des Menschen macht einen sehr wichtigen Theil der Sittenlehre aus. Diese Kenntniß besteht größtentheils in der Kenntniß der Charaktere und Leidenschaften. Das Theater ist ein Bild von beyden . . . Es ist wie eine Schilderey, oder ein Riß, der manchmal uns Begriffe von Dingen macht, die wir nicht gesehen haben, und manchmal uns die Dinge in größerer Deutlichkeit zeigt, als wir sie in der Natur erblicken können. Eine solche Schilderey sondert eine Sache von den Nebenumständen ab, mit denen das Original vermischt ist. . . . . . Ein gutes Theater thut einem ganzen Volke eben die Dienste, die der Spiegel einem Frauenzimmer leistet, das sich putzen w i l l . . . . . . Ueberhaupt wird weiter unten von selbst erhellen, daß 9

die Erregung der Leidenschaften, so bald sie zum Hauptzwecke wird, das Lächerliche ausschließe; wenn aber die Erregung des Lachens der Hauptzweck ist, die Erweckung der Leidenschaften dadurch nicht gänzlich ausgeschlossen werde, sondern vielmehr ein gewisses Maaß davon in den mehresten Fällen zuträglich, ja fast nothwendig s e y . . . . . . Ich will hierdurch die Gewohnheit, die Einheit der Zeit und des Ortes zu beobachten, keineswegs in Verachtung bringen; sondern ich sage es bloß, um einer jeden Regel ihren rechten Werth zu bestimmen, damit man nicht fortfahre, wie viele thun, nach der äußerlichen Form der Schauspiele, ihre innerliche Schönheit zu schätzen...

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GOTTHOLD EPHRAIM LESSING I. A u s dem B r i e f w e c h s e l . . . Es kann seyn, daß wir dem Grundsatze: D a s T r a u e r spiel s o l l b e s s e r n , manches elende aber gutgemeinte Stück schuldig sind; es kann seyn, sage ich, denn diese Ihre Anmerkung klingt ein wenig zu sinnreich, als daß ich sie gleich für wahr halten sollte. Aber das erkenne ich für wahr, daß kein Grundsatz, wenn man sich ihn recht geläufig gemacht hat, bessere Trauerspiele kann hervorbringen helfen, als der: Die Tragödie soll Leidenschaften erregen. Nehmen Sie einen Augenblick an, daß der erste Grundsatz eben so wahr als der andere sey, so kann man doch noch hinlängliche Ursachen angeben, warum jener bey der Ausübung mehr schlimme, und dieser mehr gute Folgen haben müsse. Jener hat nicht deswegen schlimme Folgen, weil er ein f a l s c h e r Grundsatz ist, sondern deswegen, weil er entfernter ist, als dieser, weil er blos den Endzweck angiebt, und dieser die Mittel. Wenn ich die Mittel habe, so habe ich den Endzweck, aber nicht umgekehrt. Sie müssen also stärkere Gründe haben, warum Sie hier vom Aristoteles abgehen, und ich wünschte, daß Sie mir einiges Licht davon gegeben hätten; denn dieser Verabsäumung schreiben Sie es nunmehr zu, daß Sie hier meine Gedanken lesen müssen, wie ich glaube, daß man die Lehre des alten Philosophen verstehen solle, und wie ich mir vorstelle, daß das Trauerspiel durch Erzeugung der Leidenschaften bessern kann. Das meiste wird darauf ankommen: was das Trauerspiel für Leidenschaften erregt. In seinen Personen kann es alle mögliche Leidenschaften wirken lassen, die sich zu der Würde des Stoffes schicken. Aber werden auch zugleich alle diese Leidenschaften in den Zuschauern rege? Wird er freudig? wird er verliebt ? wird er zornig ? wird er rachsüchtig ? Ich frage nicht, ob ihn der Poet so weit bringt, daß er diese Leidenschaften in der spielenden Person billiget, sondern ob er ihn so weit bringt, 11

daß er diese Leidenschaften selbst f ü h l t , und nicht blos fühlt, ein andrer fühle sie ? Kurz, ich finde keine einzige Leidenschaft, die das Trauerspiel in dem Zuschauer rege macht, als das Mitleiden. Sie werden sagen: erweckt es nicht auch Schrecken ? erweckt es nicht auch Bewunderung ? Schrecken und Bewunderung sind keine Leidenschaften, nach meinem Verstände. Was denn ? Wenn Sie es in Ihrer Abschilderung getroffen haben, was Schrecken ist, eris mihi magnus Apollo, und wenn Sie es getroffen haben, was Bewunderung ist, Phyllida solus habeto. Setzen Sie sich hier auf Ihre Richterstühle, meine Herren, Nikolai und Moses. Ich will es sagen, was ich mir unter beyden vorstelle. Das Schrecken in d e r T r a g ö d i e ist weiter nichts als die plötzliche Ueberraschung des Mitleides, ich mag den Gegenstand meines Mitleids kennen oder nicht. Z.E. endlich bricht der Priester damit heraus: D u O e d i p b i s t d e r M ö r d e r des La j u s ! Ich erschrecke, denn auf einmahl sehe ich den rechtschafnen Oedip unglücklich; mein Mitleid wird auf einmahl rege. Ein ander Exempel: es erscheinet ein Geist; ich erschrekke: der Gedanke, daß er nicht erscheinen würde, wenn er nicht zu des einen oder zu des andern Unglück erschiene, die dunkle Vorstellung dieses Unglücks, ob ich den gleich noch nicht kenne, den es treffen soll, überraschen mein Mitleid, und dieses überraschte Mitleid heißt Schrecken. Belehren Sie mich eines Bessern, wenn ich Unrecht habe. Nun zur BewunderungI Die Bewunderung! Ο in d e r T r a g ö d i e , um mich ein wenig orakelmäßig auszudrucken, ist [sie] das entbehrlich gewordene Mitleiden. Der Held ist unglücklich, aber er ist über sein Unglück so weit erhaben, er ist selbst so stolz darauf, daß es auch in meinen Gedanken die schreckliche Seite zu verlieren anfängt, daß ich ihn mehr beneiden, als bedauern möchte. Die Staffeln sind also diese: Schrecken, Mitleid, Bewunderung. Die Leiter aber heißt: Mitleid; und Schrecken und Bewunderung sind nichts als die ersten Sprossen, der Anfang und das Ende des Mitleids. Ζ. E. Ich höre auf einmahl, nun ist Cato so gut als des Cäsars. S c h r e c k e n ! Ich werde hernach mit der verehrungswürdigen Person des erstem, und auch nachher mit seinem Unglücke bekannt. D a s S c h r e c k e n z e r t h e i l e t sich 12

in M i t l e i d . Nun aber hör' ich ihn sagen: D i e W e l t , d i e C ä s a r n d i e n t , ist m e i n e r n i c h t m e h r w e r t h . D i e Bew u n d e r u n g s e t z t d e m M i t l e i d e n S c h r a n k e n . Das Schrecken braucht der Dichter zur Ankündigung des Mitleids, und Bewunderung gleichsam zum Ruhepunkte desselben. Der Weg zum Mitleid wird dem Zuhörer zu lang, wenn ihn nicht gleich der erste Schreck aufmerksam macht, und das Mitleiden nützt sich ab, wenn es sich nicht in der Bewunderung erholen kann. Wenn es also wahr ist, daß die ganze Kunst des tragischen Dichters auf die sichere Erregung und Dauer des einzigen Mitleidens geht, so sage ich nunmehr, die Bestimmung der Tragödie ist diese: sie soll u n s r e F ä h i g k e i t , M i t l e i d zu f ü h l e n , erweitern. Sie soll uns nicht blos lehren, gegen diesen oder jenen Unglücklichen Mitleid zu fühlen, sondern sie soll uns so weit fühlbar machen, daß uns der Unglückliche zu allen Zeiten, und unter allen Gestalten, rühren und für sich einnehmen muß. Und nun berufe ich mich auf einen Satz, den Ihnen Herr Moses vorläufig demonstriren mag, wenn Sie, Ihrem eignen Gefühl zum Trotz, daran zweifeln wollen. D e r m i t l e i d i g s t e M e n s c h ist d e r b e s t e M e n s c h , zu allen gesellschaftlichen Tugenden, zu allen Arten der Großmuth der aufgelegteste. Wer uns also mitleidig macht, macht uns besser und tugendhafter, und das Trauerspiel, das jenes thut, thut auch dieses, oder - es thut jenes, um dieses thun zu können. Bitten Sie es dem Aristoteles ab, oder widerlegen Sie mich. Auf gleiche Weise verfahre ich mit der Komödie. Sie soll uns zur Fertigkeit verhelfen, alle Arten des Lächerlichen leicht wahrzunehmen. Wer diese Fertigkeit besitzt, wird in seinem Betragen alle Arten des Lächerlichen zu vermeiden suchen, und eben dadurch der wohlgezogenste und gesittetste Mensch werden. Und so ist auch die Nützlichkeit der Komödie gerettet. Beyder Nutzen, des Trauerspiels sowohl als des Lustspiels, ist von dem Vergnügen unzertrennlich; denn die ganze Hälfte des Mitleids und des Lachens ist Vergnügen, und es ist großer Vortheil für den dramatischen Dichter, daß er weder nützlich, noch angenehm, eines ohne das andere seyn kann. Ich bin jetzt von diesen meinen Grillen so eingenommen, daß ich, wenn ich eine dramatische Dichtkunst schreiben sollte, weitläufige Abhandlungen vom Mitleid und Lachen voranschicken würde. Ich würde beydes sogar mit einander vergleichen, ich 13

würde zeigen, daß das Weinen eben so aus einer Vermischung der Traurigkeit und Freude, als das Lachen aus einer Vermischung der Lust und Unlust entstehe; ich würde weisen, wie man das Lachen in Weinen verwandeln kann, wo man auf der einen Seite Lust zur Freude, und auf der andern Unlust zur Traurigkeit, in beständiger Vermischung anwachsen läßt; ich würde - Sie glauben nicht, was ich alles würde. Ich will Ihnen nur noch einige Proben geben, wie leicht und glücklich aus meinem Grundsatze, nicht nur die vornehmste bekannte Regel, sondern auch eine Menge neuer Regeln fließe, an deren Statt man sich mit dem bloßen Gefühle zu begnügen pflegt. Das Trauerspiel soll so viel Mitleid erwecken, als es nur immer kann: folglich müssen alle Personen, die man unglücklich werden läßt, gute Eigenschaften haben, folglich muß die beste Person auch die unglücklichste seyn, und Verdienst und Unglück in beständigem Verhältnisse bleiben. Das ist, der Dichter muß keinen von allem Guten entblößten Bösewicht aufführen. Der Held oder die beste Person muß nicht, gleich einem Gotte, seine Tugenden ruhig und ungekränkt übersehen. Ein Fehler des Canuts, zu dessen Bemerkung Sie auf einem andern Wege gelanget sind. Merken Sie aber wohl, daß ich hier nicht von dem Ausgange rede, denn das stelle ich in des Dichters Gutbefinden, ob er lieber die Tugend durch einen glücklichen Ausgang krönen, oder durch einen unglücklichen uns noch interessanter machen will. Ich verlange nur, daß die Personen, die mich am meisten für sich einnehmen, w ä h r e n d d e r D a u e r des S t ü c k s , die unglücklichsten seyn sollen. Zu dieser Dauer aber gehöret nicht der Ausgang. Das Schrecken, habe ich gesagt, ist das überraschte Mitleiden; ich will hier noch ein Wort hinzusetzen: das überraschte u n d u n e n t w i c k e l t e Mitleiden; folglich wozu die Überraschung, wenn es nicht entwickelt wird ? Ein Trauerspiel voller Schrecken, ohne Mitleid, ist ein Wetterleuchten ohne Donner. So viel Blitze, so viel Schläge, wenn uns der Blitz nicht so gleichgültig werden soll, daß wir ihm mit einem kindischen Vergnügen entgegen gaffen. Die Bewunderung, habe ich mich ausgedrückt, ist das entbehrlich gewordene Mitleid. Da aber das Mitleid das Hauptwerk ist, so muß es folglich so selten als möglich entbehrlich werden; der Dichter muß seinen Held nicht zu sehr, nicht zu anhaltend der bloßen Bewunderung

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aussetzen, und Cato als ein Stoiker ist mir ein schlechter tragischer Held. Der b e w u n d e r t e Held ist der Vorwurf der Epopee; der b e d a u e r t e des Trauerspiels... (An Friedrich Nicolai, 13. November 1756). . . . Lesen Sie doch das i j t e Hauptstück der Aristotelischen Dichtkunst. Der Philosoph sagt daselbst: der Held eines Trauerspiels müsse ein Mittelcharakter seyn; er müsse nicht allzu lasterhaft und auch nicht allzu tugendhaft seyn; wäre er allzu lasterhaft, und verdiente sein Unglück durch seine Verbrechen, so könnten wir kein Mitleiden mit ihm haben; wäre er aber allzu tugendhaft, und er würde dennoch unglücklich, so verwandle sich das Mitleiden in Entsetzen und Abscheu. Ich möchte wissen, wie Herr Nicolai diese Regel mit den bewundernswürdigen Eigenschaften seines Helden zusammen reimen könne — Doch das ist es nicht, was ich jetzt schreiben will. Ich bin hier selbst wider A r i s t o t e l e s , welcher mir überall eine falsche Erklärung des Mitleids zum Grunde gelegt zu haben scheint. Und wenn ich die Wahrheit weniger verfehle, so habe ich es allein I h r e m bessern Begriffe vom Mitleiden zu danken. Ist es wahr, daß das Unglück eines allzu tugendhaften Menschen Entsetzen und Abscheu erweckt ? Wenn es wahr ist, so müssen Entsetzen und Abscheu der höchste Grad des Mitleids seyn, welches sie doch nicht sind. Das Mitleiden, das in eben dem Verhältnisse wächst, in welchem Vollkommenheit und Unglück wachsen, hört auf, mir angenehm zu seyn, und wird desto unangenehmer, je größer auf der einen Seite die Vollkommenheit, und auf der andern das Unglück ist. Unterdessen ist es doch auch wahr, daß an dem Helden eine gewisse αμαρτία, ein gewisser Fehler seyn muß, durch welchen er sein Unglück über sich gebracht hat. Aber warum diese αμαρτία, wie sie Aristoteles nennt ? Etwa, weil er ohne sie vollkommen seyn würde, und das Unglück eines vollkommenen Menschen Abscheu erweckt? Gewiß nicht. Ich glaube, die einzige richtige Ursache gefunden zu haben; sie ist diese: weil ohne den Fehler, der das Unglück über ihn zieht, sein Charakter und sein Unglück kein G a n z e s ausmachen würden, weil das eine nicht in dem andern gegründet wäre, und wir jedes von diesen zwey Stücken besonders denken würden . . . (An Moses Mendelssohn, 18. Dezember 1756). 15

. . . F u r c h t und M i t l e i d e n . Können Sie mir nicht sagen, warum so wohl D a c i e r als C u r t i u s , Schrecken und Furcht für gleich bedeutende Worte nehmen ? Warum Sie das aristotelische φόβος, welches der Grieche d u r c h g ä n g i g braucht,bald durch das eine, bald durch das andre übersetzen ? Es sind doch wohl zwey verschiedne Dinge, Furcht und Schrecken ? Und wie, wenn sich das ganze Schrecken, wovon man nach den falsch verstandenen aristotelischen Begriffen bisher so viel geschwatzt, auf weiter nichts, als auf diese schwankende Uebersetzung gründete ? Lesen Sie, bitte ich, das zweyte und achte Hauptstück des zweyten Buchs der aristotelischen Rhetorik: denn das muß ich Ihnen beyläufig sagen, ich kann mir nicht einbilden, daß einer, der dieses zweyte Buch und die ganze aristotelische Sittenlehre an den Nicomachus nicht gelesen hat, die Dichtkunst dieses Weltweisen verstehen könne. Aristoteles erklärt das Wort φόβος, welches Herr Curtius am öftersten S c h r e c k e n , Dacier aber bald terreur, bald crainte übersetzt, durch die Unlust über ein bevorstehendes Uebel, und sagt, alles dasjenige erwecke in uns Furcht, was, wenn wir es an andern sehen, Mitleiden erwecke, und alles dasjenige erwecke Mitleiden, was, wenn es uns selbst bevorstehe, Furcht erwecken müsse. Dem zu Folge kann also die Furcht, nach der Meynung des Aristoteles, keine unmittelbare Wirkung des Trauerspiels seyn, sondern sie muß weiter nichts als eine r e f l e c t i r t e I d e e seyn. Aristoteles würde bloß gesagt haben: das T r a u e r s p i e l s o l l u n s r e L e i d e n s c h a f t e n d u r c h das M i t l e i d e n r e i n i g e n , wenn er nicht zugleich auch das Mittel hätte angeben wollen, wie diese Reinigung durch das Mitleiden möglich werde; und dieserwegen setzte er noch die Furcht hinzu, welche er für dieses Mittel hielt. J e n e s hat seine Richtigkeit; dieses aber ist falsch. Das Mitleiden reiniget unsre Leidenschaften, aber nicht vermittelst der F u r c h t , auf welchen Einfall den Aristoteles sein falscher Begriff von dem Mitleiden gebracht hat. Hiervon können Sie sich mit Herrn Moses weiter unterreden; denn in diesem Puncte, so viel ich weiß, sind wir einig. Nun behalten Sie, durch die ganze Dichtkunst des Aristoteles, überall wo Sie S c h r e c k e n finden, diese Erklärung der F u r c h t in Gedanken, (denn Furcht muß es überall heißen, und nicht Schrecken,) und sagen mir alsdann, was Sie von der Lehre des Aristoteles dünkt. . . (An Friedrich Nicolai, 2.April 1757). 16

II. A u s : B r i e f e , d i e n e u e s t e L i t e r a t u r b e t r e f f e n d Den 16. Februar 1759. Siebzehnter Brief. „Niemand, sagen die Verfasser der Bibliothek, wird leugnen, daß die deutsche Schaubühne einen großen Teil ihrer ersten Verbesserung dem Herrn Professor G o t t s c h e d zu danken habe." Ich bin dieser Niemand; ich leugne es geradezu. E s wäre zu wünschen, daß sich Herr G o t t s c h e d niemals mit dem Theater vermengt hätte. Seine vermeinten Verbesserungen betreffen entweder entbehrliche Kleinigkeiten, oder sind wahre Verschlimmerungen. Als die N e u b e r i n blühte, und so mancher den Beruf fühlte, sich um sie und die Bühne verdient zu machen, sähe es freilich mit unserer dramatischen Poesie sehr elend aus. Man kannte keine Regeln; man bekümmerte sich um keine Muster. Unsre S t a a t s - und H e l d e n a k t i o n e n waren voller Unsinn, Bombast, Schmutz und Pöbelwitz. Unsre L u s t s p i e l e bestanden in Verkleidungen und Zaubereien; und Prügel waren die witzigsten Einfalle derselben. Dieses Verderbnis einzusehen, brauchte man eben nicht der feinste und größte Geist zu sein. A u c h war Herr G o t t s c h e d nicht der erste, der es einsähe; er war nur der erste, der sich Kräfte genug zutraute, ihm abzuhelfen. Und wie ging er damit zu Werke? E r verstand ein wenig Französisch und fing an zu übersetzen; er ermunterte alles, was reimen und Oui Monsieur verstehen konnte, gleichfalls zu übersetzen; er verfertigte, wie ein schweizerischer Kunstrichter sagt, mit K l e i s t e r u n d S c h e r e seinen „ C a t o " ; erließ d e n , , D a r i u s " und die „ A u s t e r n " , die „ E l i s e " und den „ B o c k i m P r o z e s s e " , den „ A u r e l i u s " und den „ W i t z l i n g " , die „ B a n i s e " und den „ H y p o c h o n d r i s t e n " , ohne Kleister und Schere machen; er legte seinen Fluch auf das Extemporieren; er ließ den Harlekin feierlich vom Theater vertreiben, welches selbst die größte Harlekinade war, die jemals gespielt worden; kurz, er wollte nicht sowohl unser altes Theater verbessern, als der Schöpfer eines ganz neuen sein. Und was für eines neuen? Eines französierenden; ohne zu untersuchen, ob dieses französierende Theater der deutschen Denkungsart angemessen sei, oder nicht. 2 v. Wiese, Deutsche Dramaturgie

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Er hätte aus unsern alten dramatischen Stücken, welche er vertrieb, hinlänglich abmerken können, daß wir mehr in den Geschmack der Engländer, als der Franzosen einschlagen; daß wir in unsern Trauerspielen mehr sehen und denken wollen, als uns das furchtsame französische Trauerspiel zu sehen und zu denken gibt; daß das Große, das Schreckliche, das Melancholische besser auf uns wirkt als das Artige, das Zärtliche, das Verliebte ; daß uns die zu große Einfalt mehr ermüde, als die zu große Verwickelung etc. Er hätte also auf dieser Spur bleiben sollen, und sie würde ihn geraden Weges auf das englische Theater geführet haben. - Sagen Sie ja nicht, daß er auch dieses zu nutzen gesucht; wie sein „ C a t o " es beweise. Denn eben dieses, daß er den A d d i s ο η s c h e η „ C a t ο " für das beste englische Trauerspiel hält, zeiget deutlich, daß er hier nur mit den Augen der Franzosen gesehen und damals keinen S h a k e s p e a r e , keinen J o h n s o n , keinen B e a u m o n t und F l e t c h e r etc. gekannt hat, die er hernach aus Stolz auch nicht hat wollen kennen lernen. Wenn man die Meisterstücke des S h a k e s p e a r e , mit einigen bescheidenen Veränderungen, unsern Deutschen übersetzt hätte, ich weiß gewiß, es würde von bessern Folgen gewesen sein, als daß man sie mit dem C o r n e i l l e und R a c i n e so bekannt gemacht hat. Erstlich würde das Volk an jenem weit mehr Geschmack gefunden haben, als es an diesen nicht finden kann; und zweitens würde jener ganz andere Köpfe unter uns erweckt haben, als man von diesen zu rühmen weiß. Denn ein Genie kann nur von einem G e n i e entzündet werden; und am leichtesten von so einem, das alles bloß der Natur zu danken zu haben scheinet, und durch die mühsamen Vollkommenheiten der Kunst nicht abschrecket. Auch nach den Mustern der Alten die Sache zu entscheiden, ist S h a k e s p e a r e ein weit größerer tragischer Dichter als C o r n e i l l e ; obgleich dieser die Alten sehr wohl, und jener fast gar nicht gekannt hat. C o r n e i l l e kömmt ihnen in der mechanischen Einrichtung, und S h a k e s p e a r e in dem Wesentlichen näher. Der Engländer erreicht den Zweck der Tragödie fast immer, so sonderbare und ihm eigene Wege er auch wählet; und der Franzose erreicht ihn fast niemals, ob er gleich die gebahnten Wege der Alten betritt. Nach dem „ O e d i p u s ' 4 des S o p h o k l e s muß in der Welt kein Stück mehr Gewalt über unsere Leidenschaften haben als „ O t h e l l o " , als „König 18

L e a r " , als „ H a m l e t " etc. Hat C o r n e i l l e ein einziges Trauerspiel, das Sie nur halb so gerühret hätte als die „ Z a i r e " des V o l t a i r e ? Und die „ Z a i r e " des V o l t a i r e , wie weit ist sie unter dem „ M o h r e n v o n V e n e d i g " , dessen schwache Kopie sie ist, und von welchem der ganze Charakter des O r o s m a n s entlehnet worden ? . . . III. A u s : H a m b u r g i s c h e

Dramaturgie

. . . so dürfte die erste Tragödie, die den Namen einer christlichen verdienet, ohne Zweifel noch zu erwarten sein. Ich meine ein Stück, in welchem einzig der Christ als Christ uns interessiert. - Ist ein solches Stück aber auch wohl möglich ? Ist der Charakter des wahren Christen nicht etwa ganz untheatralisch? Streiten nicht etwa die stille Gelassenheit, die unveränderliche Sanftmut, die seine wesentlichsten Züge sind, mit dem ganzen Geschäfte der Tragödie, welches Leidenschaften durch Leidenschaften zu reinigen sucht? Widerspricht nicht etwa seine Erwartung einer belohnenden Glückseligkeit nach diesem Leben der Uneigennützigkeit, mit welcher wir alle große und gute Handlungen auf der Bühne unternommen und vollzogen zu sehen wünschen ? Bis ein Werk des Genies, von dem man nur aus der Erfahrung lernen kann, wieviel Schwierigkeiten es zu übersteigen vermag, diese Bedenklichkeiten unwidersprechlich widerlegt, wäre also mein Rat: - man ließe alle bisherige christliche Trauerspiele unaufgeführet. Dieser Rat, welcher aus den Bedürfnissen der Kunst hergenommen ist, welcher uns um weiter nichts als sehr mittelmäßige Stücke bringen kann, ist darum nichts schlechter, weil er den schwächern Gemütern zustatten kömmt, die, ich weiß nicht welchen Schauder empfinden, wenn sie Gesinnungen, auf die sie sich nur an einer heiligern Stätte gefaßt machen, im Theater zu hören bekommen. Das Theater soll niemanden, wer es auch sei, Anstoß geben; und ich wünschte, daß es auch allem genommenen Anstoße vorbeugen könnte und w o l l t e . . . (2. St.) . . . Es gibt Dinge in dem sittlichen Betragen des Menschen, welche, in Ansehung ihres unmittelbaren Einflusses auf das Wohl der Gesellschaft, zu unbeträchtlich und in sich selbst zu veränderlich sind, als daß sie wert oder fähig wären, unter der

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eigentlichen Aufsicht des Gesetzes zu stehen. E s gibt wiederum andere, gegen die alle Kraft der Legislation zu kurz fällt; die in ihren Triebfedern so unbegreiflich, in sich selbst so ungeheuer, in ihren Folgen so unermeßlich sind, daß sie entweder der Ahndung der Gesetze ganz entgehen oder doch unmöglich nach Verdienst geahndet werden können. Ich will es nicht unternehmen, auf die erstem, als auf Gattungen des Lächerlichen, die Komödie; und auf die andern, als auf außerordentliche Erscheinungen in dem Reiche der Sitten, welche die Vernunft in Erstaunen und das Herz in Tumult setzen, die Tragödie einzuschränken. Das Genie lacht über alle die Grenzscheidungen der Kritik. Aber so viel ist doch unstreitig, daß das Schauspiel überhaupt seinen Vorwurf entweder diesseits oder jenseits der Grenzen des Gesetzes wählet und die eigentlichen Gegenstände desselben nur insofern behandelt, als sie sich entweder in das Lächerliche verlieren, oder bis in das Abscheuliche verbreiten . . . (7. St.) . . . Denn der dramatische Dichter ist kein Geschichtsschreiber; er erzählt nicht, was man ehedem geglaubt, daß es geschehen, sondern er läßt es vor unsern Augen nochmals geschehen; und läßt es nochmals geschehen, nicht der bloßen historischen Wahrheit wegen, sondern in einer ganz andern und höhern Absicht; die historische Wahrheit ist nicht sein Zweck, sondern nur das Mittel zu seinem Zwecke; er will uns täuschen, und durch die Täuschung rühren . . . ( 1 1 . St.) Das bürgerliche Trauerspiel hat an dem französischen Kunstrichter, welcher die ,,Sara" seiner Nation·bekannt gemacht, einen sehr gründlichen Verteidiger gefunden. Die Franzosen billigen sonst selten etwas, wovon sie kein Muster unter sich selbst haben. Die Namen von Fürsten und Helden können einem Stücke Pomp und Majestät geben; aber zur Rührung tragen sie nichts bei. Das Unglück derjenigen, deren Umstände den unsrigen am nächsten kommen, muß natürlicherweise am tiefsten in unsere Seele dringen; und wenn wir mit Königen Mitleiden haben, so haben wir es mit ihnen als mit Menschen, und nicht als mit Königen. Macht ihr Stand schon öfters ihre Unfälle wichtiger, so macht er sie darum nicht interessanter. Immerhin mögen ganze Völker darein verwickelt werden; unsere Sympathie erfordert einen einzeln Gegenstand, und ein Staat ist ein viel zu abstrakter Begriff für unsere Empfindungen . . . (14. St.)

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. . . Der wahre Kunstrichter folgert keine Regeln aus seinem Geschmacke, sondern hat seinen Geschmack nach den Regeln gebildet, welche die Natur der Sache erfodert. N u n hat es Aristoteles längst entschieden, wie weit sich der tragische Dichter um die historische Wahrheit zu bekümmern habe; nicht weiter, als sie einer wohleingerichteten Fabel ähnlich ist, mit der er seine Absichten verbinden kann. E r braucht eine Geschichte nicht darum, weil sie geschehen ist, sondern darum, weil sie so geschehen ist, daß er sie schwerlich zu seinem gegenwärtigen Zwecke besser erdichten könnte. Findet er diese Schicklichkeit von ohngefähr an einem wahren Falle, so ist ihm der wahre Fall willkommen; aber die Geschichtbücher erst lange darum nachzuschlagen, lohnt der Mühe nicht. Und wie viele wissen denn, was geschehen ist? Wenn wir die M ö g lichkeit, daß etwas geschehen kann, nur daher abnehmen wollen, weil es geschehen ist: was hindert uns, eine gänzlich erdichtete Fabel für eine wirklich geschehene Historie zu halten, von der wir nie etwas gehört haben ? Was ist das erste, was uns eine Historie glaubwürdig macht? Ist es nicht ihre innere Wahrscheinlichkeit ? Und ist es nicht einerlei, ob diese Wahrscheinlichkeit von gar keinen Zeugnissen und Überlieferungen bestätiget wird, oder von solchen, die zu unserer Wissenschaft noch nie gelangt sind ? E s wird ohne Grund angenommen, daß es eine Bestimmung des Theaters mit sei, das Andenken großer Männer zu erhalten; dafür ist die Geschichte, aber nicht das Theater. A u f dem Theater sollen wir nicht lernen, was dieser oder jener einzelne Mensch getan hat, sondern was ein jeder Mensch von einem gewissen Charakter unter gewissen gegebenen Umständen tun werde. Die Absicht der Tragödie ist weit philosophischer, als die Absicht der Geschichte; und es heißt sie von ihrer wahren Würde herabsetzen, wenn man sie zu einem bloßen Panegyrikus berühmter Männer macht, oder sie gar den Nationalstolz zu nähren mißbraucht... (19. St.) . . . Weswegen wählt der tragische Dichter wahre Namen ? Nimmt er seine Charaktere aus diesen Namen; oder nimmt er diese Namen, weil die Charaktere, welche ihnen die Geschichte beilegt, mit den Charakteren, die er in Handlung zu zeigen sich vorgenommen, mehr oder weniger Gleichheit haben ? Ich rede nicht von der Art, wie die meisten Trauerspiele vielleicht entstanden sind, sondern wie sie eigentlich entstehen sollten. Oder,

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mich mit der gewöhnlichen Praxi der Dichter übereinstimmender auszudrücken: sind es die bloßen Fakta, die Umstände der Zeit und des Ortes, oder sind es die Charaktere der Personen, durch welche die Fakta wirklich geworden, warum der Dichter lieber diese als eine andere Begebenheit wählet ? Wenn es die Charaktere sind, so ist die Frage gleich entschieden, wie weit der Dichter von der historischen Wahrheit abgehen könne ? In allem, was die Charaktere nicht betrifft, soweit er will. Nur die Charaktere sind ihm heilig; diese zu verstärken, diese in ihrem besten Lichte zu zeigen, ist alles, was er von dem Seinigen dabei hinzutun darf; die geringste wesentliche Veränderung würde die Ursache aufheben, warum sie diese und nicht andere Namen führen; und nichts ist anstößiger, als wovon wir uns keine Ursache geben können. (23. St.) Die Komödie will durch Lachen bessern; aber nicht eben durch Verlachen; nicht gerade diejenigen Unarten, über die sie zu lachen macht, noch weniger bloß und allein die, an welchen sich diese lächerlichen Unarten finden. Ihr wahrer allgemeiner Nutzen liegt in dem Lachen selbst; in der Übung unserer Fähigkeit, das Lächerliche zu bemerken; es unter allen Bemäntelungen der Leidenschaft und der Mode, es in allen Vermischungen mit noch schlimmem oder mit guten Eigenschaften, sogar in den Runzeln des feierlichen Ernstes, leicht und geschwind zu bemerken. Zugegeben, daß der „Geizige" des Moliere nie einen Geizigen, der „Spieler" des Regnard nie einen Spieler gebessert habe; eingeräumet, daß das Lachen diese Toren gar nicht bessern könne: desto schlimmer für sie, aber nicht für die Komödie. Ihr ist genug, wenn sie keine verzweifelte Krankheiten heilen kann, die Gesunden in ihrer Gesundheit zu befestigen. Auch dem Freigebigen ist der Geizige lehrreich; auch dem, der gar nicht spielt, ist der Spieler unterrichtend ; die Torheiten, die sie nicht haben, haben andere, mit wclchen sie leben müssen; es ist ersprießlich, diejenigen zu kennen, mit welchen man in Kollision kommen kann; ersprießlich, sich wider alle Eindrücke des Beispiels zu verwahren. Ein Präservativ ist auch eine schätzbare Arzenei; und die ganze Moral hat kein kräftigers, wirksamers, als das Lächerliche . . . (29. St.) . . . Das Genie können nur Begebenheiten beschäftigen, die ineinander gegründet sind, nur Ketten von Ursachen und

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Wirkungen. Diese auf jene zurückzuführen, jene gegen diese abzuwägen, überall das Ungefähr auszuschließen, alles, was geschieht, so geschehen zu lassen, daß es nicht anders geschehen können: das, das ist seine Sache, wenn es in dem Felde der Geschichte arbeitet, um die unnützen Schätze des Gedächtnisses in Nahrungen des Geistes zu verwandeln. Der Witz hingegen, als der nicht auf das ineinander Gegründete, sondern nur auf das Ähnliche oder Unähnliche gehet, wenn er sich an Werke waget, die dem Genie allein vorgesparet bleiben sollten, hält sich bei Begebenheiten auf, die weiter nichts mit einander gemein haben, als daß sie zugleich geschehen. Diese miteinander zu verbinden, ihre Faden so durcheinander zu flechten und zu verwirren, daß wir jeden Augenblick den einen unter dem andern verlieren, aus einer Befremdung in die andere gestürzt werden; das kann er, der Witz; und nur das. Aus der beständigen Durchkreuzung solcher Faden von ganz verschiednen Farben entstehet denn eine Kontextur, die in der Kunst eben das ist, was die Weberei Changeant nennet; ein Stoff, von dem man nicht sagen kann, ob er blau oder rot, grün oder gelb ist; der beides ist, der von dieser Seite so, von der andern anders erscheinet; ein Spielwerk der Mode, ein Gaukelputz für Kinder. Nun urteile man, ob der große Corneille seinen Stoff mehr als ein Genie oder als ein witziger Kopf bearbeitet habe. Es bedarf zu dieser Beurteilung weiter nichts, als die Anwendung eines Satzes, den niemand in Zweifel zieht: das Genie liebt Einfalt; der Witz Verwicklung . . . (30. St.) . . . Ich möchte die Rechtfertigung des Hrn. Marmontel nicht übernehmen; ich habe mich vielmehr schon dahin geäußert, daß die Charaktere dem Dichter weit heiliger sein müssen, als die Fakta. Einmal, weil, wenn jene genau beobachtet werden, diese, insofern sie eine Folge von jenen sind, von selbst nicht viel anders ausfallen können; da hingegen einerlei Faktum sich aus ganz verschiednen Charakteren herleiten läßt. Zweitens, weil das Lehrreiche nicht in den bloßen Faktis, sondern in der Erkenntnis bestehet, daß diese Charaktere unter diesen Umständen solche Fakta hervorzubringen pflegen und hervorbringen müssen... Die Fakta betrachten wir als etwas Zufälliges, als etwas, das mehrern Personen gemein sein kann; die Charaktere hingegen als etwas Wesentliches und Eigentümliches. Mit jenen lassen wir den Dichter umspringen, wie er will, solange

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er sie nur nicht mit den Charakteren in Widerspruch setzet; diese hingegen darf er wohl ins Licht stellen, aber nicht verändern; die geringste Veränderung scheinet uns die Individualität aufzuheben und andere Personen unterzuschieben, betrügerische Personen, die fremde Namen usurpieren und sich für etwas ausgeben, was sie nicht sind. (33. St.) Aber dennoch dünkt es mich immer ein weit verzeihlicherer Fehler, seinen Personen nicht die Charaktere zu geben, die ihnen die Geschichte gibt, als in diesen freiwillig gewählten Charakteren selbst, es sei von selten der innern Wahrscheinlichkeit, oder von Seiten des Unterrichtenden, zu verstoßen. Denn jener Fehler kann vollkommen mit dem Genie bestehen; nicht aber dieser. Dem Genie ist es vergönnt, tausend Dinge nicht zu wissen, die jeder Schulknabe weiß; nicht der erworbene Vorrat seines Gedächtnisses, sondern das, was es aus sich selbst, aus seinem eigenen Gefühl, hervorzubringen vermag, macht seinen Reichtum aus . . . Marmontels Soliman hätte daher meinetwegen immer ein ganz anderer Soliman, und seine Roxelane eine ganz andere Roxelane sein mögen, als mich die Geschichte kennen lehret: wenn ich nur gefunden hätte, daß, ob sie schon nicht aus dieser wirklichen Welt sind, sie dennoch zu einer andern Welt gehören könnten; zu einer Welt, deren Zufälligkeiten in einer andern Ordnung verbunden, aber doch ebenso genau verbunden sind, als in dieser; zu einer Welt, in welcher Ursachen und Wirkungen zwar in einer andern Reihe folgen, aber doch zu eben der allgemeinen Wirkung des Guten abzwecken; kurz, zu der Welt eines Genies, das - (es sei mir erlaubt, den Schöpfer ohne Namen durch sein edelstes Geschöpf zu bezeichnen!) das, sage ich, um das höchste Genie im Kleinen nachzuahmen, die Teile der gegenwärtigen Welt versetzet, vertauscht, verringert, vermehret, um sich ein eigenes Ganze daraus zu machen, mit dem es seine eigene Absichten verbindet . . . (34. St.) . . . Nichts empfiehlt Aristoteles dem tragischen Dichter mehr, als die gute Abfassung der Fabel; und nichts hat er ihm durch mehrere und feinere Bemerkungen zu erleichtern gesucht, als eben diese. Denn die Fabel ist es, die den Dichter vornehmlich zum Dichter macht: Sitten, Gesinnungen und Ausdruck werden zehnen geraten, gegen einen, der in jener untadel24

haft und vortrefflich ist. Er erklärt aber die Fabel durch die Nachahmung einer Handlung, πράξεως; und eine Handlung ist ihm eine Verknüpfung von Begebenheiten, σύνθεσις πραγμάτων. Die Handlung ist das Ganze, die Begebenheiten sind die Teile dieses Ganzen: und so wie die Güte eines jeden Ganzen auf der Güte seiner einzeln Teile und deren Verbindung beruhet, so ist auch die tragische Handlung mehr oder weniger vollkommen, nach dem die Begebenheiten, aus welchen sie bestehet, jede für sich und alle zusammen, den Absichten der Tragödie mehr oder weniger entsprechen . . . (38. St.) Ein anderes ist, sich mit den Regeln abfinden; ein anderes, sie wirklich beobachten. Jenes tun die Franzosen; dieses scheinen nur die Alten verstanden zu haben. Die Einheit der Handlung war das erste dramatische Gesetz der Alten; die Einheit der Zeit und die Einheit des Ortes waren gleichsam nur Folgen aus jener, die sie schwerlich strenger beobachtet haben würden, als es jene notwendig erfordert hätte, wenn nicht die Verbindung des Chors dazugekommen wäre... Die Franzosen hingegen, die an der wahren Einheit der Handlung keinen Geschmack fanden, die durch die wilden Intrigen der spanischen Stücke schon verwöhnt waren, ehe sie die griechische Simplizität kennen lernten, betrachteten die Einheiten der Zeit und des Orts nicht als Folgen jener Einheit, sondern als für sich zur Vorstellung einer Handlung unumgängliche Erfordernisse, welche sie auch ihren reichern und verwickeitern Handlungen in eben der Strenge anpassen müßten, als es nur immer der Gebrauch des Chors erfordern könnte, dem sie doch gänzlich entsagt hatten... (46. St.) . . . Was will man endlich mit der Vermischung der Gattungen überhaupt ? In den Lehrbüchern sondre man sie so genau von einander ab, als möglich: aber wenn ein Genie, höherer Absichten wegen, mehrere derselben in einem und eben demselben Werke zusammenfließen läßt, so vergesse man das Lehrbuch und untersuche bloß, ob es diese höhere Absichten erreicht hat. Was geht mich es an, ob so ein Stück des Euripides weder ganz Erzählung, noch ganz Drama ist? Nennt es immerhin einen Zwitter; genug, daß mich dieser Zwitter mehr vergnügt, mehr erbauet, als die gesetzmäßigsten Geburten eurer korrekten Karinen, oder wie sie sonst heißen. Weil der Maulesel weder

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Pferd noch Esel ist, ist er darum weniger eines von den nutzbarsten lasttragenden Tieren? (48. St.) . . . Die verschiedensten Charaktere können in ähnliche Situationen geraten; und da in der Komödie die Charaktere das Hauptwerk, die Situationen aber nur die Mittel sind, jene sich äußern zu lassen und ins Spiel zu setzen: so muß man nicht die Situationen, sondern die Charaktere in Betrachtung ziehen, wenn man bestimmen will, ob ein Stück Original oder Kopie genennt zu werden verdiene. Umgekehrt ist es in der Tragödie, wo die Charaktere weniger wesentlich sind und Schrecken und Mitleid vornehmlich aus den Situationen entspringt. Ähnliche Situationen geben also ähnliche Tragödien, aber nicht ähnliche Komödien. Hingegen geben ähnliche Charaktere ähnliche Komödien, anstatt daß sie in den Tragödien fast gar nicht in Erwägung kommen. . . (51.St.) . . . In der Natur ist alles mit allem verbunden; alles durchkreuzt sich, alles wechselt mit allem, alles verändert sich eines in das andere. Aber nach dieser unendlichen Mannigfaltigkeit ist sie nur ein Schauspiel für einen unendlichen Geist. Um endliche Geister an dem Genuße desselben Anteil nehmen zu lassen, mußten diese das Vermögen erhalten, ihr Schranken zu geben, die sie nicht hat; das Vermögen abzusondern und ihre Aufmerksamkeit nach Gutdünken lenken zu können. Dieses Vermögen üben wir in allen Augenblicken des Lebens; ohne dasselbe würde es für uns gar kein Leben geben; wir würden vor allzuverschiedenen Empfindungen nichts empfinden ; wir würden ein beständiger Raub des gegenwärtigen Eindruckes sein; wir würden träumen, ohne zu wissen, was wir träumten. Die Bestimmung der Kunst ist, uns in dem Reiche des Schönen dieser Absonderung zu überheben, uns die Fixierung unserer Aufmerksamkeit zu erleichtern. Alles, was wir in der Natur von einem Gegenstande oder einer Verbindung verschiedener Gegenstände, es sei der Zeit oder dem Räume nach, in unsern Gedanken absondern, oder absondern zu können wünschen, sondert sie wirklich ab und gewährt uns diesen Gegenstand, oder diese Verbindung verschiedener Gegenstände, so lauter und bündig, als es nur immer die Empfindung, die sie erregen sollen, verstattet. Wenn wir Zeugen von einer wichtigen und rührenden Be-

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gebenheit sind, und eine andere von nichtigem Belange läuft quer ein: so suchen wir der Zerstreuung, die diese uns drohet, möglichst auszuweichen. Wir abstrahieren von ihr; und es muß uns notwendig ekeln, in der Kunst das wieder zu finden, was wir aus der Natur wegwünschten. Nur wenn eben dieselbe Begebenheit in ihrem Fortgange alle Schattierungen des Interesse annimmt, und eine nicht bloß auf die andere folgt, sondern so notwendig aus der andern entspringt; wenn der Ernst das Lachen, die Traurigkeit die Freude, oder umgekehrt, so unmittelbar erzeugt, daß uns die Abstraktion des einen oder des andern unmöglich fällt: nur alsdenn verlangen wir sie auch in der Kunst nicht, und die Kunst weiß aus dieser Unmöglichkeit selbst Vorteil zu ziehen... (70. St.) Zur Sache. - Es ist vornehmlich der Charakter des Richards, worüber ich mir die Erklärung des Dichters wünschte. Aristoteles würde ihn schlechterdings verworfen haben; zwar mit dem Ansehen des Aristoteles wollte ich bald fertig werden, wenn ich es nur auch mit seinen Gründen zu werden wüßte. Die Tragödie, nimmt er an, soll Mitleid und Schrecken erregen : und daraus folgert er, daß der Held derselben weder ein ganz tugendhafter Mann noch ein völliger Bösewicht sein müsse. Denn weder mit des einen noch mit des andern Unglücke lasse sich jener Zweck erreichen. Räume ich dieses ein: so ist „Richard der Dritte" eine Tragödie, die ihres Zweckes verfehlt. Räume ich es nicht ein: so weiß ich gar nicht mehr, was eine Tragödie ist. Denn Richard der Dritte, so wie ihn Herr Weiße geschildert hat, ist unstreitig das größte, abscheulichste Ungeheuer, das jemals die Bühne getragen. Ich sage, die Bühne: daß es die Erde wirklich getragen habe, daran zweifle ich. Was für Mitleid kann der Untergang dieses Ungeheuers erwecken ? Doch, das soll er auch nicht; der Dichter hat es darauf nicht angelegt; und es sind ganz andere Personen in seinem Werke, die er zu Gegenständen unsers Mitleids gemacht hat. Aber Schrecken? - Sollte dieser Bösewicht, der die Kluft, die sich zwischen ihm und dem Throne befunden, mit lauter Leichen gefüllet, mit Leichen derer, die ihm das Liebste in der Welt hätten sein müssen; sollte dieser blutsdürstige, seines

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Blutdurstes sich rühmende, über seine Verbrechen sich kitzelnde Teufel nicht Schrecken in vollem Maße erwecken? Wohl erweckt er Schrecken: wenn unter Schrecken das Erstaunen über unbegreifliche Missetaten, das Entsetzen über Bosheiten, die unsern Begriff übersteigen, wenn darunter der Schauder zu verstehen ist, der uns bei Erblickung vorsätzlicher Greuel, die mit Lust begangen werden, überfällt. Von diesem Schrecken hat mich Richard der Dritte mein gutes Teil empfinden lassen. Aber dieses Schrecken ist so wenig eine von den Absichten des Trauerspiels, daß es vielmehr die alten Dichter auf alle Weise zu mindern suchten, wenn ihre Personen irgend ein großes Verbrechen begehen mußten. Sie schoben öfters lieber die Schuld auf das Schicksal, machten das Verbrechen lieber zu einem Verhängnisse einer rächenden Gottheit, verwandelten lieber den freien Menschen in eine Maschine: ehe sie uns bei der gräßlichen Idee wollten verweilen lassen, daß der Mensch von Natur einer solchen Verderbnis fähig sei. Bei den Franzosen führt Crebillon den Beinamen des Schrecklichen. Ich fürchte sehr, mehr von diesem Schrecken, welches in der Tragödie nicht sein sollte, als von dem echten, das der Philosoph zu dem Wesen der Tragödie rechnet. Und dieses - hätte man gar nicht Schrecken nennen sollen. Das Wort, welches Aristoteles braucht, heißt Furcht: Mitleid und Furcht, sagt er, soll die Tragödie erregen; nicht Mitleid und Schrecken. Es ist wahr, das Schrecken ist eine Gattung der Furcht; es ist eine plötzliche, überraschende Furcht. Aber eben dieses Plötzliche, dieses Überraschende, welches die Idee desselben einschließt, zeiget deutlich, daß die, von welchen sich hier die Einführung des Wortes „Schrecken", anstatt des Wortes „Furcht" herschreibet, nicht eingesehen haben, was für eine Furcht Aristoteles meine. - Ich möchte dieses Weges sobald nicht wieder kommen: man erlaube mir also einen kleinen Ausschweif. „Das Mitleid", sagt Aristoteles, „verlangt einen, der unverdient leidet: und die Furcht einen unsersgleichen. Der Bösewicht ist weder dieses noch jenes: folglich kann auch sein Unglück weder das erste noch das andere erregen". Diese Furcht, sage ich, nennen die neuern Ausleger und Übersetzer Schrecken, und es gelingt ihnen, mit Hilfe dieses 28

Worttausches, dem Philosophen die seltsamsten Händel von der Welt zu machen. „Man hat sich", sagt einer aus der Menge, „über die Erklärung des Schreckens nicht vereinigen können; und in der Tat enthält sie in jeder Betrachtung ein Glied zu viel, welches sie an ihrer Allgemeinheit hindert und sie allzusehr einschränkt. Wenn Aristoteles durch den Zusatz ,unsersgleichen' nur bloß die Ähnlichkeit der Menschheit verstanden hat, weil nämlich der Zuschauer und die handelnde Person beide Menschen sind, gesetzt auch, daß sich unter ihrem Charakter, ihrer Würde und ihrem Range ein unendlicher Abstand befände: so war dieser Zusatz überflüssig; denn er verstand sich von selbst. Wenn er aber die Meinung hatte, daß nur tugendhafte Personen, oder solche, die einen vergeblichen Fehler an sich hätten, Schrecken erregen könnten: so hatte er unrecht; denn die Vernunft und die Erfahrung ist ihm sodann entgegen. Das Schrecken entspringt ohnstreitig aus einem Gefühl der Menschlichkeit: denn jeder Mensch ist ihm unterworfen, und jeder Mensch erschüttert sich, vermöge dieses Gefühls, bei dem widrigen Zufalle eines andern Menschen. Es ist wohl möglich, daß irgend jemand einfallen könnte, dieses von sich zu leugnen: allein dieses würde allemal eine Verleugnung seiner natürlichen Empfindungen, und also eine bloße Prahlerei aus verderbten Grundsätzen, und kein Einwurf sein. - Wenn nun auch einer lasterhaften Person, auf die wir eben unsere Aufmerksamkeit wenden, unvermutet ein widriger Zufall zustößt, so verlieren wir den Lasterhaften aus dem Gesichte und sehen bloß den Menschen. Der Anblick des menschlichen Elendes überhaupt macht uns traurig, und die plötzliche traurige Empfindung, die die wir sodann haben, ist das Schrecken". Ganz recht: aber nur nicht an der rechten Stelle! Denn was sagt das wider den Aristoteles? Nichts. Aristoteles denkt an dieses Schrecken nicht, wenn er von der Furcht redet, in die uns nur das Unglück unsersgleichen setzen könne. Dieses Schrecken, welches uns bei der plötzlichen Erblickung eines Leidens befällt, das einem andern bevorstehet, ist ein mitleidiges Schrecken und also schon unter dem Mitleide begriffen. Aristoteles würde nicht sagen, Mitleiden und Furcht; wenn er unter der Furcht weiter nichts als eine bloße Modifikation des Mitleids verstünde.

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„Das Mitleid", sagt der Verfasser der Briefe über die Empfindungen, „ist eine vermischte Empfindung, die aus der Liebe zu einem Gegenstande, und aus der Unlust über dessen Unglück zusammengesetzt ist. Die Bewegungen, durch welche sich das Mitleid zu erkennen gibt, sind von den einfachen Symptomen der Liebe, sowohl als der Unlust, unterschieden, denn das Mitleid ist eine Erscheinung. Aber wie vielerlei kann diese Erscheinung werden! Man andre nur in dem bedauerten Unglück die einzige Bestimmung der Zeit: so wird sich das Mitleiden durch ganz andere Kennzeichen zu erkennen geben. Mit der Elektra, die über die Urne ihres Bruders weinet, empfinden wir ein mitleidiges Trauern, denn sie hält das Unglück für geschehen und bejammert ihren gehabten Verlust. Was wir bei den Schmerzen des Philoktets fühlen, ist gleichfalls Mitleiden, aber von einer etwas andern Natur; denn die Qual, die dieser Tugendhafte auszustehen hat, ist gegenwärtig und überfällt ihn vor unsern Augen. Wenn aber Oedip sich entsetzt, indem das große Geheimnis sich plötzlich entwickelt; wenn Monime erschrickt, als sie den eifersüchtigen Mithridates sich entfärben sieht; wenn die tugendhafte Desdemona sich fürchtet, da sie ihren sonst zärtlichen Othello so drohend mit ihr reden höret: was empfinden wir da ? Immer noch Mitleiden! Aber mitleidiges Entsetzen, mitleidige Furcht, mitleidiges Schrecken. Die Bewegungen sind verschieden, allein das Wesen der Empfindungen ist in allen diesen Fällen einerlei. Denn, da jede Liebe mit der Bereitwilligkeit verbunden ist, uns an die Stelle des Geliebten zu setzen: so müssen wir alle Arten von Leiden mit der geliebten Person teilen, welches man sehr nachdrücklich Mitleiden nennet. Warum sollten also nicht auch Furcht, Schrecken, Zorn, Eifersucht, Rachbegier, und überhaupt alle Arten von unangenehmen Empfindungen, sogar den Neid nicht ausgenommen, aus Mitleiden entstehen können ? Man sieht hieraus, wie gar ungeschickt der größte Teil der Kunstrichter die tragischen Leidenschaften in Schrecken und Mitleiden einteilet. Schrecken und Mitleiden! Ist denn das theatralische Schrecken kein Mitleiden ? Für wen erschrickt der Zuschauer, wenn Merope auf ihren eignen Sohn den Dolch ziehet ? Gewiß nicht für sich, sondern für den Aegisth, dessen Erhaltung man so sehr wünschet, und für die betrogne Königin, die ihn für den Mörder ihres Sohnes ansiehet. Wollen wir aber 30

nur die Unlust über das gegenwärtige Übel eines andern Mitleiden nennen: so müssen wir nicht nur das Schrecken, sondern alle übrige Leidenschaften, die uns von einem andern mitgeteilet werden, von dem eigentlichen Mitleiden unterscheiden." (74. St.) Diese Gedanken sind so richtig, so klar, so einleuchtend, daß uns dünkt, ein jeder hätte sie haben können und haben müssen. Gleichwohl will ich die scharfsinnigen Bemerkungen des neuen Philosophen dem alten nicht unterschieben: ich kenne jenes Verdienste um die Lehre von den vermischten Empfindungen zu wohl; die wahre Theorie derselben haben wir nur ihm zu danken. Aber was er so vortrefflich auseinandergesetzt hat, das kann doch Aristoteles im ganzen ungefähr empfunden haben: wenigstens ist es unleugbar, daß Aristoteles entweder muß geglaubt haben, die Tragödie könne und solle nichts als das eigentliche Mitleid, nichts als die Unlust über das gegenwärtige Übel eines andern erwecken, welches ihm schwerlich zuzutrauen; oder er hat alle Leidenschaften überhaupt, die uns von einem andern mitgeteilet werden, unter dem Worte Mitleid begriffen. Denn er, Aristoteles, ist es gewiß nicht, der die mit Recht getadelte Einteilung der tragischen Leidenschaften in Mitleid und Schrecken gemacht hat. Man hat ihn falsch verstanden, falsch übersetzt. E r spricht von Mitleid und Furcht, nicht von Mitleid und Schrecken; und seine Furcht ist durchaus nicht die Furcht, welche uns das bevorstehende Übel eines andern, für diesen andern, erweckt, sondern es ist die Furcht, welche aus unserer Ähnlichkeit mit der leidenden Person für uns selbst entspringt; es ist die Furcht, daß die Unglücksfälle, die wir über diese verhänget sehen, uns selbst treffen können; es ist die Furcht, daß wir der bemitleidete Gegenstand selbst werden können. Mit einem Worte: diese Furcht ist das auf uns selbst bezogene Mitleid. Aristoteles will überall aus sich selbst erklärt werden. Wer uns einen neuen Kommentar über seine „Dichtkunst" liefern will, welcher den Dacierschen weit hinter sich läßt, dem rate ich, vor allen Dingen die Werke des Philosophen vom Anfange bis zum Ende zu lesen. Er wird Aufschlüsse für die Dichtkunst finden, wo er sich deren am wenigsten vermutet; besonders muß er die Bücher der „Rhetorik" und „Moral" studieren. Man sollte zwar denken, diese Aufschlüsse müßten die Scholastiker, 31

welche die Schriften des Aristoteles an den Fingern wußten, längst gefunden haben. Doch die „Dichtkunst" war gerade diejenige von seinen Schriften, um die sie sich am wenigsten bekümmerten. Dabei fehlten ihnen andere Kenntnisse, ohne welche jene Aufschlüsse wenigstens nicht fruchtbar werden konnten: sie kannten das Theater und die Meisterstücke desselben nicht. Die authentische Erklärung dieser Furcht, welche Aristoteles dem tragischen Mitleid beifüget, findet sich in dem fünften und achten Kapitel des zweiten Buchs seiner „Rhetorik". Es war gar nicht schwer, sich dieser Kapitel zu erinnern; gleichwohl hat sich vielleicht keiner seiner Ausleger ihrer erinnert, wenigstens hat keiner den Gebrauch davon gemacht, der sich davon machen läßt. Denn auch die, welche ohne sie einsahen, daß diese Furcht nicht das mitleidige Schrecken sei, hätten noch ein wichtiges Stück aus ihnen zu lernen gehabt: die Ursache nämlich, warum der Stagirit dem Mitleid hier die Furcht, und warum nur die Furcht, warum keine andere Leidenschaft, und warum nicht mehrere Leidenschaften beigesellet habe. Von dieser Ursache wissen sie nichts, und ich möchte wohl hören, was sie aus ihrem Kopfe antworten würden, wenn man sie fragte: warum ζ. E. die Tragödie nicht ebensowohl Mitleid und Bewunderung, als Mitleid und Furcht, erregen könne und dürfe ? Es beruhet aber alles auf dem Begriffe, den sich Aristoteles von dem Mitleiden gemacht hat. Er glaubte nämlich, daß das Übel, welches der Gegenstand unsers Mitleidens werden solle, notwendig von der Beschaffenheit sein müsse, daß wir es auch für uns selbst, oder für eines von den Unsrigen, zu befürchten hätten. Wo diese Furcht nicht sei, könne auch kein Mitleiden stattfinden. Denn weder der, den das Unglück so tief herabgedrückt habe, daß er weiter nichts für sich zu fürchten sähe, noch der, welcher sich so vollkommen glücklich glaube, daß er gar nicht begreife, woher ihm ein Unglück zustoßen könne, weder der Verzweifelnde noch der Übermütige, pflege mit andern Mitleid zu haben. Er erkläret daher auch das Fürchterliche und das Mitleidswürdige, eines durch das andere. Alles das, sagt er, ist uns fürchterlich, was, wenn es einem andern begegnet wäre, oder begegnen sollte, unser Mitleid erwecken würde: und alles das finden wir mitleidswürdig, was wir fürchten würden, wenn es uns selbst bevorstünde. Nicht genug also, daß 32

der Unglückliche, mit dem wir Mitleiden haben sollen, sein Unglück nicht verdiene, ob er es sich schon durch irgend eine Schwachheit zugezogen: seine gequälte Unschuld, oder vielmehr seine zu hart heimgesuchte Schuld, sei für uns verloren, sei nicht vermögend, unser Mitleid zu erregen, wenn wir keine Möglichkeit sähen, daß uns sein Leiden auch treffen könne. Diese Möglichkeit aber finde sich alsdenn und könne zu einer großen Wahrscheinlichkeit erwachsen, wenn ihn der Dichter nicht schlimmer mache, als wir gemeiniglich zu sein pflegen, wenn er ihn vollkommen so denken und handeln lasse, als wir in seinen Umständen würden gedacht und gehandelt haben, oder wenigstens glauben, daß wir hätten denken und handeln müssen: kurz, wenn er ihn mit uns von gleichem Schrot und Korne schildere. Aus dieser Gleichheit entstehe die Furcht, daß unser Schicksal gar leicht dem seinigen ebenso ähnlich werden könne, als wir ihm zu sein uns selbst fühlen: und diese Furcht sei es, welche das Mitleid gleichsam zur Reife bringe. So dachte Aristoteles von dem Mitleiden, und nur hieraus wird die wahre Ursache begreiflich, warum er in der Erklärung der Tragödie, nächst dem Mitleiden, nur die einzige Furcht nannte. Nicht als ob diese Furcht hier eine besondere, von dem Mitleiden unabhängige Leidenschaft sei, welche bald mit bald ohne dem Mitleid, sowie das Mitleid bald mit bald ohne ihr, erreget werden könne; welches die Mißdeutung des Corneille war: sondern weil, nach seiner Erklärung des Mitleids, dieses die Furcht notwendig einschließt; weil nichts unser Mitleid erregt, als was zugleich unsere Furcht erwecken kann. Corneille hatte seine Stücke schon alle geschrieben, als er sich hinsetzte, über die Dichtkunst des Aristoteles zu kommentieren. Er hatte fünfzig Jahre für das Theater gearbeitet: und nach dieser Erfahrung würde er uns unstreitig vortreffliche Dinge über den alten dramatischen Kodex haben sagen können, wenn er ihn nur auch während der Zeit seiner Arbeit fleißiger zu Rate gezogen hätte. Allein dieses scheinet er höchstens nur in Absicht auf die mechanischen Regeln der Kunst getan zu haben. In den wesentlichern ließ er sich um ihn unbekümmert, und als er am Ende fand, daß er wider ihn verstoßen, gleichwohl nicht wider ihn verstoßen haben wollte: so suchte er sich durch Auslegungen zu helfen und ließ seinen vorgeblichen 3 v· Wiese, Deutsche Dramaturgie

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Lehrmeister Dinge sagen, an die er offenbar nie gedacht hatte... (75. St.) . . . Allein, wie, wenn die Erklärung, welche Aristoteles von dem Mitleiden gibt, falsch wäre? Wie, wenn wir auch mit Übeln und Unglücksfällen Mitleid fühlen könnten, die wir für uns selbst auf keine Weise zu besorgen haben ? Es ist wahr: es braucht unserer Furcht nicht, um Unlust über das physikalische Übel eines Gegenstandes zu empfinden, den wir lieben. Diese Unlust entstehet bloß aus der Vorstellung der Unvollkommenheit, so wie unsere Liebe aus der Vorstellung der Vollkommenheiten desselben; und aus dem Zusammenflusse dieser Lust und Unlust entspringet die vermischte Empfindung, welche wir Mitleid nennen. Jedoch auch sonach glaube ich nicht, die Sache des Aristoteles notwendig aufgeben zu müssen. Denn wenn wir auch schon, ohne Furcht für uns selbst, Mitleid für andere empfinden können: so ist es doch unstreitig, daß unser Mitleid, wenn jene Furcht dazu kömmt, weit lebhafter und stärker und anzüglicher wird, als es ohne sie sein kann. Und was hindert uns, anzunehmen, daß die vermischte Empfindung über das physikalische Übel eines geliebten Gegenstandes nur allein durch die dazukommende Furcht für uns zu dem Grade erwächst, in welchem sie Affekt genannt zu werden verdienet ? Aristoteles hat es wirklich angenommen. Er betrachtet das Mitleid nicht nach seinen primitiven Regungen, er betrachtet es bloß als Affekt. Ohne jene zu verkennen, verweigert er nur dem Funke den Namen der Flamme. Mitleidige Regungen, ohne Furcht für uns selbst, nennt er Philanthropie: und nur den stärkern Regungen dieser Art, welche mit Furcht für uns selbst verknüpft sind, gibt er den Namen des Mitleids. Also behauptet er zwar, daß das Unglück eines Bösewichts weder unser Mitleid noch unsere Furcht errege: aber er spricht ihm darum nicht alle Rührung ab. Auch der Bösewicht ist noch Mensch, ist noch ein Wesen, das bei allen seinen moralischen Unvollkommenheiten Vollkommenheiten genug behält, um sein Verderben, seine Zernichtung lieber nicht zu wollen, um bei dieser etwas Mitleidähnliches, die Elemente des Mitleids gleichsam, zu empfinden. Aber, wie schon gesagt, diese mitleidähnliche Empfindung nennt er nicht Mitleid, sondern Philanthropie. 34

„Man muß", sagt er, „keinen Bösewicht aus unglücklichen in glückliche Umstände gelangen lassen; denn das ist das untragischste, was nur sein kann; es hat nichts von allem, was es haben sollte; es erweckt weder Philanthropie, noch Mitleid, noch Furcht. Auch muß es kein völliger Bösewicht sein, der aus glücklichen Umständen in unglückliche verfällt; denn eine dergleichen Begebenheit kann zwar Philanthropie, aber weder Mitleid noch Furcht e r w e c k e n " . . . (76. St.) Einem Einwürfe ist hier noch vorzukommen. Wenn Aristoteles diesen Begriff von dem Affekte des Mitleids hatte, daß er notwendig mit der Furcht für uns selbst verknüpft sein müsse: was war es nötig, der Furcht noch insbesondere zu erwähnen ? Das Wort Mitleid Schloß sie schon in sich, und es wäre genug gewesen, wenn er bloß gesagt hätte: die Tragödie soll durch Erregung des Mitleids die Reinigung unserer Leidenschaft bewirken. Denn der Zusatz der Furcht sagt nichts mehr, und macht das, was er sagen soll, noch dazu schwankend und ungewiß. Ich antworte: wenn Aristoteles uns bloß hätte lehren wollen welche Leidenschaften die Tragödie erregen könne und solle, so würde er sich den Zusatz der Furcht allerdings haben ersparen können, und ohne Zweifel sich wirklich ersparet haben; denn nie war ein Philosoph ein größerer Wortsparer als er. Aber er wollte uns zugleich lehren, welche Leidenschaften, durch die in der Tragödie erregten, in uns gereiniget werden sollten; und in dieser Absicht mußte er der Furcht insbesondere gedenken. Denn obschon, nach ihm, der Affekt des Mitleids weder in noch außer dem Theater ohne Furcht für uns selbst sein kann; ob sie schon ein notwendiges Ingrediens des Mitleids ist: so gilt dieses doch nicht auch umgekehrt, und das Mitleid für andere ist kein Ingrediens der Furcht für uns selbst. Sobald die Tragödie aus ist, höret unser Mitleid auf, und nichts bleibt von allen den empfundenen Regungen in uns zurück als die wahrscheinliche Furcht, die uns das bemitleidete Übel für uns selbst schöpfen lassen. Diese nehmen wir mit; und so wie sie, als Ingrediens des Mitleids, das Mitleid reinigen helfen, so hilft sie nun auch, als eine vor sich fortdauernde Leidenschaft, sich selbst reinigen. Folglich, um anzuzeigen, daß sie dieses tun könne und wirklich tue, fand es Aristoteles für nötig, ihrer insbesondere zu gedenken.

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Es ist unstreitig, daß Aristoteles überhaupt keine strenge logische Definition von der Tragödie geben wollen. Denn ohne sich auf die bloß wesentlichen Eigenschaften derselben einzuschränken, hat er verschiedene zufällige hineingezogen, weil sie der damalige Gebrauch notwendig gemacht hatte. Diese indes abgerechnet, und die übrigen Merkmale ineinander reduzieret, bleibt eine vollkommen genaue Erklärung übrig: die nämlich, daß die Tragödie, mit einem Worte, ein Gedicht ist, welches Mitleid erreget. Ihrem Geschlechte nach ist sie die Nachahmung einer Handlung; so wie die Epopee und die Komödie: ihrer Gattung aber nach, die Nachahmung einer mitleidswürdigen Handlung. Aus diesen beiden Begriffen lassen sich vollkommen alle ihre Regeln herleiten: und sogar ihre dramatische Form ist daraus zu bestimmen. An dem letztern dürfte man vielleicht zweifeln. Wenigstens wüßte ich keinen Kunstrichter zu nennen, dem es nur eingekommen wäre, es zu versuchen. Sie nehmen alle die dramatische Form der Tragödie als etwas Hergebrachtes an, das nun so ist, weil es einmal so ist, und das man so läßt, weil man es gut findet. Der einzige Aristoteles hat die Ursache ergründet, aber sie bei seiner Erklärung mehr vorausgesetzt, als deutlich angegeben. „Die Tragödie", sagt er, „ist die Nachahmung einer Handlung, - die nicht vermittelst der Erzählung, sondern vermittelst des Mitleids und der Furcht die Reinigung dieser und dergleichen Leidenschaften bewirket". So drückt er sich von Wort zu Wort aus. Wem sollte hier nicht der sonderbare Gegensatz, „nicht vermittelst der Erzählung, sondern vermittelst des Mitleids und der Furcht", befremden? Mitleid und Furcht sind die Mittel, welche die Tragödie braucht, um ihre Absicht zu erreichen: und die Erzählung kann sich nur auf die Art und Weise beziehen, sich dieser Mittel zu bedienen oder nicht zu bedienen. Scheinet hier also Aristoteles nicht einen Sprung zu machen ? Scheinet hier nicht offenbar der eigentliche Gegensatz der Erzählung, welches die dramatische Form ist, zu fehlen ? Was tun aber die Übersetzer bei dieser Lücke ? Der eine umgeht sie ganz behutsam: und der andere füllt sie, aber nur mit Worten. Alle finden weiter nichts darin, als eine vernachlässigte Wortfügung, an die sie sich nicht halten zu dürfen glauben, wenn sie nur den Sinn des Philosophen liefern. Dacier übersetzt: d'une action - qui, sans le secours de la narration, 36

par le moyen de la compassion et de la terreur usw.; und Curtius: „einer Handlung, welche nicht durch die Erzählung des Dichters, sondern (durch Vorstellung der Handlung selbst) uns, vermittelst des Schreckens und Mitleids, von den Fehlern der vorgestellten Leidenschaften reiniget". O, sehr recht! Beide sagen, was Aristoteles sagen will, nur daß sie es nicht so sagen, wie er es sagt. Gleichwohl ist auch an diesem Wie gelegen; denn es ist wirklich keine bloß vernachlässigte Wortfügung. Kurz, die Sache ist diese: Aristoteles bemerkte, daß das Mitleid notwendig ein vorhandenes Übel erfordere; daß wir längst vergangene oder fern in der Zukunft bevorstehende Übel entweder gar nicht oder doch bei weitem nicht so stark bemitleiden können, als ein anwesendes; daß es folglich notwendig sei, die Handlung, durch welche wir Mitleid erregen wollen, nicht als vergangen, das ist, nicht in der erzählenden Form, sondern als gegenwärtig, das ist, in der dramatischen Form, nachzuahmen. Und nur dieses, daß unser Mitleid durch die Erzählung wenig oder gar nicht, sondern fast einzig und allein durch die gegenwärtige Anschauung erreget wird, nur dieses berechtigte ihn, in der Erklärung anstatt der Form der Sache die Sache gleich selbst zu setzen, weil diese Sache nur dieser einzigen Form fähig ist. Hätte er es für möglich gehalten, daß unser Mitleid auch durch die Erzählung erreget werden könne: so würde es allerdings ein sehr fehlerhafter Sprung gewesen sein, wenn er gesagt hätte, „nicht durch die Erzählung, sondern durch Mitleid und Furcht". Da er aber überzeugt war, daß Mitleid und Furcht in der Nachahmung nur durch die einzige dramatische Form zu erregen sei: so konnte er sich diesen Sprung, der Kürze wegen, erlauben. - Ich verweise desfalls auf das nämliche achte Kapitel des zweiten Buchs seiner Rhetorik. Was endlich den moralischen Endzweck anbelangt, welchen Aristoteles der Tragödie gibt, und den er mit in die Erklärung derselben bringen zu müssen glaubte: so ist bekannt, wie sehr, besonders in den neuern Zeiten, darüber gestritten worden. Ich getraue mich aber zu erweisen, daß alle, die sich dawider erklärt, den Aristoteles nicht verstanden haben. Sie haben ihm alle ihre eigene Gedanken untergeschoben, ehe sie gewiß wußten, welches seine wären. Sie bestreiten Grillen, die sie selbst gefangen, und bilden sich ein, wie unwidersprechlich sie 37

den Philosophen widerlegen, indem sie ihr eigenes Hirngespinste zu schänden machen. Ich kann mich in die nähere Erörterung dieser Sache hier nicht einlassen. Damit ich jedoch nicht ganz ohne Beweis zu sprechen scheine, will ich zwei Anmerkungen machen. i. Sie lassen den Aristoteles sagen, „die Tragödie solle uns, vermittelst des Schreckens und Mitleids, von den Fehlern der vorgestellten Leidenschaften reinigen". Der vorgestellten? Also, wenn der Held durch Neugierde, oder Ehrgeiz, oder Liebe, oder Zorn unglücklich wird: so ist es unsere Neugierde, unser Ehrgeiz, unsere Liebe, unser Zorn, welchen die Tragödie reinigen soll? Das ist dem Aristoteles nie in den Sinn gekommen. Und so haben die Herren gut streiten; ihre Einbildung verwandelt Windmühlen in Riesen; sie jagen, in der gewissen Hoffnung des Sieges, darauf los, und kehren sich an keinen Sancho, der weiter nichts als gesunden Menschenverstand hat und ihnen auf seinem bedächtlichern Pferde hinten nachruft, sich nicht zu übereilen, und doch nur erst die Augen recht aufzusperren: ,,Τών τοιούτων παθημάτων", sagt Aristoteles: und das heißt nicht „der vorgestellten Leidenschaften"; das hätten sie übersetzen müssen durch „dieser und dergleichen" oder „der erweckten Leidenschaften". Das τοιούτων bezieht sich lediglich auf das vorhergehende Mitleid und Furcht; die Tragödie soll unser Mitleid und unsere Furcht erregen, bloß um diese und dergleichen Leidenschaften, nicht aber alle Leidenschaften ohne Unterschied zu reinigen. Er sagt aber τοιούτων und nicht τούτων, er sagt „dieser und dergleichen" und nicht bloß „dieser": um anzuzeigen, daß er unter dem Mitleid nicht bloß das eigentlich sogenannte Mitleid, sondern überhaupt alle philanthropische Empfindungen, sowie unter der Furcht nicht bloß die Unlust über ein uns bevorstehendes Übel, sondern auch jede damit verwandte Unlust, auch die Unlust über ein gegenwärtiges, auch die Unlust über ein vergangenes Übel, Betrübnis und Gram, verstehe. In diesem ganzen Umfange soll das Mitleid und die Furcht, welche die Tragödie erweckt, unser Mitleid und unsere Furcht reinigen; aber auch nur diese reinigen, und keine andere Leidenschaften. Zwar können sich in der Tragödie auch zur Reinigung der andern Leidenschaften nützliche Lehren und Beispiele finden; doch sind diese nicht ihre Absicht; diese hat sie mit der Epopee und Komödie gemein, insofern sie ein Ge38

dicht, die Nachahmung einer Handlung überhaupt ist, nicht aber insofern sie Tragödie, die Nachahmung einer mitleidswürdigen Handlung insbesondere ist. Bessern sollen uns alle Gattungen der Poesie; es ist kläglich, wenn man dieses erst beweisen muß; noch kläglicher ist es, wenn es Dichter gibt, die selbst daran zweifeln. Aber alle Gattungen können nicht alles bessern; wenigstens nicht jedes so vollkommen, wie das andere; was aber jede am vollkommensten bessern kann, worin es ihr keine andere Gattung gleich zu tun vermag, das allein ist ihre eigentliche Bestimmung. (77. St.) 2. Da die Gegner des Aristoteles nicht in acht nahmen, was für Leidenschaften er eigentlich, durch das Mitleid und die Furcht der Tragödie, in uns gereiniget haben wollte: so war es natürlich, daß sie sich auch mit der Reinigung selbst irren mußten. Aristoteles verspricht am Ende seiner „Politik", wo er von der Reinigung der Leidenschaften durch die Musik redet, von dieser Reinigung in seiner Dichtkunst weitläuftiger zu handeln. „Weil man aber", sagt Corneille, „ganz und gar nichts von dieser Materie darin findet, so ist der größte Teil seiner Ausleger auf die Gedanken geraten, daß sie nicht ganz auf uns gekommen sei". Gar nichts ? Ich meinesteils glaube, auch schon in dem, was uns von seiner Dichtkunst noch übrig, es mag viel oder wenig sein, alles zu finden, was er einem, der mit seiner Philosophie sonst nicht ganz unbekannt ist, über diese Sache zu sagen für nötig halten konnte. Corneille selbst bemerkte eine Stelle, die uns, nach seiner Meinung, Licht genug geben könne, die Art und Weise zu entdecken, auf welche die Reinigung der Leidenschaften in der Tragödie geschehe: nämlich die, wo Aristoteles sagt, „das Mitleid verlange einen, der unverdient leide, und die Furcht einen unsersgleichen". Diese Stelle ist auch wirklich sehr wichtig, nur daß Corneille einen falschen Gebrauch davon machte, und nicht wohl anders als machen konnte, weil er einmal die Reinigung der Leidenschaften überhaupt im Kopfe hatte. „Das Mitleid mit dem Unglücke", sagt er, „von welchem wir unsersgleichen befallen sehen, erweckt in uns die Furcht, daß uns ein ähnliches Unglück treffen könne; diese Furcht erweckt die Begierde, ihm auszuweichen; und diese Begierde ein Bestreben, die Leidenschaft, durch welche die Person, die wir bedauern, sich ihr Unglück vor unsern Augen zuziehet, zu reinigen, zu mäßigen, zu bessern, ja gar

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auszurotten; indem einem jeden die Vernunft sagt, daß man die Ursache abschneiden müsse, wenn man die Wirkung vermeiden wolle". Aber dieses Raisonnement, welches die Furcht bloß zum Werkzeuge macht, durch welches das Mitleid die Reinigung der Leidenschaften bewirkt, ist falsch und kann unmöglich die Meinung des Aristoteles sein; weil sonach die Tragödie gerade alle Leidenschaften reinigen könnte, nur nicht die zwei, die Aristoteles ausdrücklich durch sie gereiniget wissen will. Sie könnte unsern Zorn, unsere Neugierde, unsern Neid, unsern Ehrgeiz, unsern Haß und unsere Liebe reinigen, so wie es die eine oder die andere Leidenschaft ist, durch die sich die bemitleidete Person ihr Unglück zugezogen. Nur unser Mitleid und unsere Furcht müßte sie ungereiniget lassen. Denn Mitleid und Furcht sind die Leidenschaften, die in der Tragödie wir, nicht aber die handelnden Personen empfinden; sind die Leidenschaften, durch welche die handelnden Personen uns rühren, nicht aber die, durch welche sie sich selbst ihre Unfälle zuziehen. Es kann ein Stück geben, in welchem sie beides sind: das weiß ich wohl. Aber noch kenne ich kein solches Stück: ein Stück nämlich, in welchem sich die bemitleidete Person durch ein übelverstandenes Mitleid oder durch eine übelverstandene Furcht ins Unglück stürze. Gleichwohl würde dieses Stück das einzige sein, in welchem, so wie es Corneille versteht, das geschähe, was Aristoteles will, daß es in allen Tragödien geschehen soll: und auch in diesem einzigen würde es nicht auf die Art geschehen, auf die es dieser verlangt. Dieses einzige Stück würde gleichsam der Punkt sein, in welchem zwei gegeneinander sich neigende gerade Linien zusammentreffen, um sich in alle Unendlichkeit nicht wieder zu begegnen. - So gar sehr konnte Dacier den Sinn des Aristoteles nicht verfehlen. Er war verbunden, auf die Worte seines Autors aufmerksamer zu sein, und diese besagen es zu positiv, daß unser Mitleid und unsere Furcht durch das Mitleid und die Furcht der Tragödie gereiniget werden sollen. Weil er aber ohne Zweifel glaubte, daß der Nutzen der Tragödie sehr gering sein würde, wenn er bloß hierauf eingeschränkt wäre: so ließ er sich verleiten, nach der Erklärung des Corneille, ihr die ebenmäßige Reinigung auch aller übrigen Leidenschaften beizulegen. Wie nun Corneille diese für sein Teil leugnete und in Beispielen zeigte, daß sie mehr ein schöner Gedanke, als eine Sache sei, die gewöhn-

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licherweise zur Wirklichkeit gelange: so mußte er sich mit ihm in diese Beispiele selbst einlassen, wo er sich denn so in der Enge fand, daß er die gewaltsamsten Drehungen und Wendungen machen mußte, um seinen Aristoteles mit sich durchzubringen. Ich sage seinen Aristoteles: denn der rechte ist weit entfernt, solcher Drehungen und Wendungen zu bedürfen. Dieser, um es abermals und abermals zu sagen, hat an keine andere Leidenschaften gedacht, welche das Mitleid und die Furcht der Tragödie reinigen solle, als an unser Mitleid und unsere Furcht selbst; und es ist ihm sehr gleichgültig, ob die Tragödie zur Reinigung der übrigen Leidenschaften viel oder wenig beiträgt. An jene Reinigung hätte sich Dacier allein halten sollen: aber freilich hätte er sodann auch einen vollständigem Begriff damit verbinden müssen. „Wie die Tragödie", sagt er, „Mitleid und Furcht errege, um Mitleid und Furcht zu reinigen, das ist nicht schwer zu erklären. Sie erregt sie, indem sie uns das Unglück vor Augen stellet, in das unsersgleichen durch nicht vorsätzliche Fehler gefallen sind; und sie reiniget sie, indem sie uns mit diesem nämlichen Unglücke bekannt macht und uns dadurch lehret, es weder allzusehr zu fürchten, noch allzusehr davon gerührt zu werden, wann es uns wirklich selbst treffen sollte. - Sie bereitet die Menschen, die allerwidrigsten Zufälle mutig zu ertragen, und macht die Allerelendesten geneigt, sich für glücklich zu halten, indem sie ihre Unglücksfälle mit weit größern vergleichen, die ihnen die Tragödie vorstellet. Denn in welchen Umständen kann sich wohl ein Mensch finden, der bei Erblickung eines Oedips, eines Philoktets, eines Orests nicht erkennen müßte, daß alle Übel, die er zu erdulden, gegen die, welche diese Männer erdulden müssen, gar nicht in Vergleichung gekommen?" Nun das ist wahr; diese Erklärung kann dem Dacier nicht viel Kopfbrechens gemacht haben. Er fand sie fast mit den nämlichen Worten bei einem Stoiker, der immer ein Auge auf die Apathie hatte. Ohne ihm indes einzuwenden, daß das Gefühl unsers eigenen Elendes nicht viel Mitleid neben sich duldet; daß folglich bei dem Elenden, dessen Mitleid nicht zu erregen ist, die Reinigung oder Linderung seiner Betrübnis durch das Mitleid nicht erfolgen kann: will ich ihm alles, so wie er es sagt, gelten lassen. Nur fragen muß ich: wie viel er nun damit gesagt ? Ob er im geringsten mehr damit gesagt, als, daß das Mitleid unsere 41

Furcht reinige ? Gewiß nicht: und das wäre doch nur kaum der vierte Teil der Forderung des Aristoteles. Denn wenn Aristoteles behauptet, daß die Tragödie Mitleid und Furcht errege, um Mitleid und Furcht zu reinigen: wer sieht nicht, daß dieses weit mehr sagt, als Dacier zu erklären für gut befunden ? Denn, nach den verschiedenen Kombinationen der hier vorkommenden Begriffe, muß der, welcher den Sinn des Aristoteles ganz erschöpfen will, stückweise zeigen, i. wie das tragische Mitleid unser Mitleid, 2. wie die tragische Furcht unsere Furcht, 3. wie das tragische Mitleid unsere Furcht, und 4. wie die tragische Furcht unser Mitleid reinigen könne und wirklich reinige. Dacier aber hat sich nur an den dritten Punkt gehalten, und auch diesen nur sehr schlecht, und auch diesen nur zur Hälfte erläutert. Denn wer sich um einen richtigen und vollständigen Begriff von der Aristotelischen Reinigung der Leidenschaften bemüht hat, wird finden, daß jeder von jenen vier Punkten einen doppelten Fall in sich schließet. Da nämlich, es kurz zu sagen, diese Reinigung in nichts anders beruhet, als in der Verwandlung der Leidenschaften in tugendhafte Fertigkeiten, bei jeder Tugend aber, nach unserm Philosophen, sich diesseits und jenseits ein Extremum findet, zwischen welchem sie innestehet: so muß die Tragödie, wenn sie unser Mitleid in Tugend verwandeln soll, uns von beiden Extremis des Mitleids zu reinigen vermögend sein; welches auch von der Furcht zu verstehen. Das tragische Mitleid muß nicht allein, in Ansehung des Mitleids, die Seele desjenigen reinigen, welcher zu viel Mitleid fühlet, sondern auch desjenigen, welcher zu wenig empfindet. Die tragische Furcht muß nicht allein, in Ansehung der Furcht, die Seele desjenigen reinigen, welcher sich ganz und gar keines Unglücks befürchtet, sondern auch desjenigen, den ein jedes Unglück, auch das entfernteste, auch das unwahrscheinlichste, in Angst setzet. Gleichfalls muß das tragische Mitleid, in Ansehung der Furcht, dem was zu viel, und dem was zu wenig, steuern: so wie hinwiederum die tragische Furcht, in Ansehung des Mitleids. Dacier aber, wie gesagt, hat nur gezeigt, wie das tragische Mitleid unsere allzugroße Furcht mäßige: und noch nicht einmal, wie es dem gänzlichen Mangel derselben abhelfe oder sie in dem, welcher allzuwenig von ihm empfindet, zu einem heilsamem Grade erhöhe; geschweige, daß er auch das übrige sollte gezeigt haben. Die nach ihm ge42

kommen, haben, was er unterlassen, auch im geringsten nicht ergänzet; aber wohl sonst, um nach ihrer Meinung den Nutzen der Tragödie völlig außer Streit zu setzen, Dinge dahin gezogen, die dem Gedichte überhaupt, aber keineswegs der Tragödie, als Tragödie, insbesondere zukommen; ζ. E . daß sie die Triebe der Menschlichkeit nähren und stärken; daß sie Liebe zur Tugend und Haß gegen das Laster wirken solle usw. Lieber! welches Gedicht sollte das nicht? Soll es aber ein jedes: so kann es nicht das unterscheidende Kennzeichen der Tragödie sein; so kann es nicht das sein, was wir suchten. (78. St.) . . . Was haben sie [die Königin, Elisabeth, die Prinzen in Weißes „Richard III."] getan? wodurch haben sie es sich zugezogen, daß sie in den Klauen dieser Bestie sind? Ist es ihre Schuld, daß sie ein näheres Recht auf den Thron haben als er ? Besonders die kleinen wimmernden Schlachtopfer, die noch kaum rechts und links unterscheiden können! Wer wird leugnen, daß sie unsern ganzen Jammer verdienen ? Aber ist dieser Jammer, der mich mit Schaudern an die Schicksale der Menschen denken läßt, dem Murren wider die Vorsehung sich zugesellet und Verzweiflung von weiten nachschleicht, ist dieser Jammer - ich will nicht fragen, Mitleid ? - E r heiße, wie er wolle - Aber ist er das, was eine nachahmende Kunst erwecken sollte ? Man sage nicht: erweckt ihn doch die Geschichte; gründet er sich doch auf etwas, das wirklich geschehen ist. - Das wirklich geschehen ist? es sei: so wird es seinen guten Grund in dem ewigen unendlichen Zusammenhange aller Dinge haben. In diesem ist Weisheit und Güte, was uns in den wenigen Gliedern, die der Dichter herausnimmt, blindes Geschick und Grausamkeit scheinet. Aus diesen wenigen Gliedern sollte er ein Ganzes machen, das völlig sich rundet, wo eines aus dem andern sich völlig erkläret, wo keine Schwierigkeit aufstößt, derenwegen wir die Befriedigung nicht in seinem Plane finden, sondern sie außer ihm, in dem allgemeinen Plane der Dinge suchen müssen; das Ganze dieses sterblichen Schöpfers sollte ein Schattenriß von dem Ganzen des ewigen Schöpfers sein; sollte uns an den Gedanken gewöhnen, wie sich in ihm alles zum besten auflöse, werde es auch in jenem geschehen... Auch das Ungeheuere in den Verbrechen partizipieret von

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den Empfindungen, welche Größe und Kühnheit in uns erwecken. Alles, was Richard tut, ist Greuel; aber alle diese Greuel geschehen in Absicht auf etwas; Richard hat einen Plan; und überall, wo wir einen Plan wahrnehmen, wird unsere Neugierde rege; wir warten gern mit ab, ob er ausgeführt wird werden, und wie er es wird werden; wir lieben das Zweckmäßige so sehr, daß es uns, auch unabhängig von der Moralität des Zweckes, Vergnügen gewährt. . . (79. St.) . . . „Durch Erwägung der allgemeinen Natur des Menschen lernet der Philosoph, wie die Handlung beschaffen sein muß, die aus dem Übergewichte gewisser Neigungen und Eigenschaften entspringet: das ist, er lernet das Betragen überhaupt, welches der beigelegte Charakter erfordert. Aber deudich und zuverlässig zu wissen, wie weit und in welchem Grade von Stärke sich dieser oder jener Charakter, bei besondern Gelegenheiten, wahrscheinlicherweise äußern würde, das ist einzig und allein eine Frucht von unserer Kenntnis der W e l t . . . " [Hurd]. (94. St.)

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HEINRICH W I L H E L M V O N G E R S T E N B E R G . . . Ist dieß wahr - ist die Erregung der Leidenschaften oder des Lachens die eigentliche Natur des griechischen Drama: gut I so werden Sie mir bald einräumen müssen, daß S c h a k e s p e a r s Tragödien keine Tragödien, seine Komödien keine Komödien sind, noch seyn können. - Ich verlange nichts mehr. „Wie nun? S c h a k e s p e a r n die Erregung der Leidenschaften, die erste und wichtigste Eigenschaft eines TheaterScribenten, streitig zu machen ? Was bleibt ihm übrig ?" Der Mensch! die Welt! Alles! - Aber merken Sie sich, daß ich ihm die Erregung der Leidenschaften nicht streitig mache, sondern sie nur einer höhern Absicht unterordne, welche ich durch die Zeichnung der Sitten, durch die sorgfältige und treue Nachahmung wahrer und erdichteter Charakter, durch das kühne und leicht entworfne Bild des idealischen und animalischen Lebens andeute. Weg mit der Claßification des Drama! Nennen Sie diese p l a y s mit W i e l a n d e n , oder mit der G o t t s c h e d i s c h e n Schule Haupt- und Staats-Actionen, mit den b r i t t i s c h e n Kunstrichtern history, tragedy, tragicomedy, comedy, wie Sie wollen: ich nenne sie lebendige Bilder der sittlichen N a t u r . . . . . . Ich glaube also nicht zu irren, wenn ich meinen obigen Grundsatz wiederhole, daß die S c h a k e s p e a r s c h e n Werke nicht aus dem Gesichtspunkte der Tragödie sondern als Abbildungen der sittlichen Nathur zu beurtheilen sind. Zu diesen gehören nun freylich auch die Leidenschaften; und ich bin, wenn Sie wollen, der erste zu behaupten, daß Niemand in den Leidenschaften größere Talente haben könne, als S c h a k e s p e a r . . . Ich glaube aber zugleich, daß dieses Talent nicht sein größtes noch vorragendes sey. Und eben dieß ist es, was ich, wenn ich einen Commentar über S c h a k e s p e a r s Genie schreiben sollte, am meisten bewundern würde, daß nämlich jede einzelne Fähigkeit des menschlichen Geistes, die schon insbesondre Genie des Dichters heißen kann, bey ihm mit allen übrigen in gleichem Grade vermischt, und in Ein großes Ganze zusammengewachsen sey.

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Er hat Alles - den bilderreichen Geist der Natur in Ruhe und der Natur in Bewegung, den lyrischen Geist der Oper, den Geist der komischen Situation, sogar den Geist der Groteske und das Sonderbarste ist, daß Niemand sagen kann, diesen hat er mehr, und jenen hat er weniger... . . . D e r Dichter der H i s t o r i e (verstatten Sie mir dieses Kunstwort des alten brittischen Theaters) findet sich von allen diesen Hülfsmitteln entblößt. Er muß seine Geschichte nehmen wie sie ist; wenn er seine Charaktere nicht gut anzuordnen, ihnen nicht durch ihre A b s t e c h u n g eine pittoreske Wirkung zu geben weiß, wenn er nicht einen Schatz von neuen, richtigen, anziehenden Beobachtungen des menschlichen Lebens in sich selbst hat, wenn er die Geschichte nicht mit den stärksten Fresco-Zügen zu treffen weiß, wenn die Zeichnung der Umrisse nicht das Leben selbst athmet: wie will er uns verargen, wenn wir gähnen ? Dieß ist Kunst von einer andern Art, und durch diese Kunst unterscheidet sich das S c h a k e s p e a r s c h e historische Drama von jenen Haupt- und Staats-Actionen, die unsre Großväter den ältesten Britten abgeborgt h a b e n . . . Das Aergste, was man von dem Dichter sagen kann, ist, daß er mit dem Epitomator einer Geschichte einerley Grundsätze habe, daß seine Vorstellungen, mit H a m l e t zu reden, the abstract and brief chronicles of the time sind. Allein ist das Alles? Hat S c h a k e s p e a r wirklich keinen weitern Endzweck, als blos ein großes Stück nach dem andern aus der Geschichte herauszuheben, und den Klumpen, so wie er da ist, den Zuschauern vorzuwerfen ? - Ich muß mich plump ausdrücken, wenn ich mich in die Ideen dieser Kunstrichter versetzen soll. - Ist das im Ernste alles ? Ich finde es nicht. Ich sehe durchaus ein gewisses Ganze, das Anfang, Mittel und Ende, Verhältniß, Absichten, contrastirte Charakter, und contrastirte Groupen hat. . . . Sie werden beständig eine malerische Einheit der Absicht und Composition beobachten, zu der alle Theile ein richtiges Verhältniß haben, und die eine Anordnung zu erkennen geben, welche, von dieser Seite betrachtet, dem Künstler eben so viel Ehre machen, als die vortrefliche Zeichnung der Natur dem Genie...

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JOHANN GOTTFRIED I. A u s :

HERDER

Shakespear

. . . Es ist von Griechenland aus, daß man die Wörter D r a m a , T r a g ö d i e , K o m ö d i e geerbet; und so wie die Letternkultur des Menschlichen Geschlechts auf einem schmalen Striche des Erdbodens den Weg nur durch die T r a d i t i o n genommen, so ist in dem Schoosse und mit der Sprache dieser, natürlich auch ein gewißer Regelnvorrath überall mitgekommen, der von der Lehre unzertrennlich schien. Da die Bildung eines Kindes doch unmöglich durch Vernunft geschehen kann und geschieht; sondern durch Ansehen, Eindruck, Göttlichkeit des Beispiels und der Gewohnheit: so sind ganze Nationen in Allem, was sie lernen, noch weit mehr Kinder. Der Kern würde ohne Schlaube nicht wachsen, und sie werden auch nie den Kern ohne Schlaube bekommen, selbst wenn sie von dieser ganz keinen Gebrauch machen könnten. Es ist der Fall mit dem Griechischen und Nordischen Drama. In Griechenland entstand das Drama, wie es in Norden nicht entstehen konnte. In Griechenland wars, was es in Norden nicht seyn kann. In Norden ists also nicht und darf nicht seyn, was es in Griechenland gewesen. Also Sophokles Drama und Shakespears Drama sind zwei Dinge, die in gewißem Betracht kaum den Namen gemein haben. Ich glaube diese Sätze aus Griechenland selbst beweisen zu können, und eben dadurch die Natur des Nordischen Drama, und des größten Dramatisten in Norden, S h a k e s p e a r s sehr zu entziffern. Man wird Genese Einer Sache durch die Andre, aber zugleich Verwandlung sehen, daß sie gar nicht mehr Dieselbe bleibt. Die Griechische Tragödie entstand gleichsam aus Einem Auftritt, aus dem Impromptu des Dithyramben, des mimischen Tanzes, des C h o r s . Dieser bekam Zuwachs, Umschmelzung: A e s c h y l u s brachte statt Einer handelnden Person zween auf die Bühne, erfand den Begriff der Hauptperson, und verminderte das Chormässige. S o p h o k l e s fügte die dritte Person hinzu, erfand Bühne — aus solchem Ursprünge, aber spät, hob 47

sich das Griechische Trauerspiel zu seiner Grösse empor, ward Meisterstück des Menschlichen Geistes, Gipfel der Dichtkunst, den Aristoteles so hoch ehret, und wir freilich nicht tief gnug in S o p h o k l e s und E u r i p i d e s bewundern können. Man siehet aber zugleich, daß aus diesem Ursprünge gewiße Dinge erklärlich werden, die man sonst, als todte Regeln angestaunet, erschrecklich verkennen müssen. Jene S i m p l i c i t ä t der G r i e c h i s c h e n F a b e l , jene N ü c h t e r n h e i t G r i e c h i s c h e r S i t t e n , jenes f o r t a u s g e h a l t n e K o t h u r n m ä s s i g e des A u s d r u c k s , M u s i k , B ü h n e , E i n h e i t des O r t s und der Z e i t - das Alles lag ohne Kunst und Zauberei so natürlich und wesentlich im Ursprünge Griechischer Tragödie, daß diese ohne Veredlung zu alle Jenem nicht möglich war. Alles das war Schlaube, in der die Frucht wuchs. Tretet in die Kindheit der damaligen Zeit zurück: S i m p l i c i t ä t der F a b e l lag würklich so sehr indem, was H a n d l u n g der V o r z e i t , der R e p u b l i k , des V a t e r l a n d e s , der R e l i g i o n , was H e l d e n h a n d l u n g hieß, daß der Dichter eher Mühe hatte, in dieser einfältigen Grösse Theile zu entdecken, Anfang, Mittel und Ende Dramatisch hineinzubringen, als sie gewaltsam zu sondern, zu verstümmeln, oder aus vielen, abgesonderten Begebenheiten Ein Ganzes zu kneten. Wer jemals A e s c h y l u s oder S o p h o k l e s gelesen, müste das nie unbegreiflich finden. Im Ersten was ist die Tragödie als oft ein A l l e g o r i s c h - M y t h o l o g i s c h - halb E p i s c h e s G e m ä l d e , fast ohne Folge der Auftritte, der Geschichte, der Empfindungen, oder gar, wie die Alten sagten, nur noch C h o r , dem einige Geschichte zwischengesetzt war - konnte hier über Simplicität der Fabel die geringste Mühe und Kunst seyn ? Und wars in den meisten Stücken des Sophokles anders? Sein P h i l o k t e t , A j a x , vertriebner O e d i p u s u.s.w. nähern sich noch immer so sehr dem Einartigen ihres Ursprunges, dem D r a m a t i s c h e n B i l d e mitten im Chor. Kein Zweifel! es ist Genesis der Griechischen Bühne. Nun sehe man, wie viel aus der simpeln Bemerkung folge. Nichts minder als: „das Künstliche ihrer Regeln war - keine Kunst! war Natur!" - Einheit der Fabel - war Einheit der Handlung, die vor i h n e n lag; die nach ihren Zeit- VaterlandsReligions- Sittenumständen, nicht anders als solch ein Eins seyn konnte. E i n h e i t des O r t s - war Einheit des Orts; denn die 48

Eine, kurze feierliche Handlang ging nur an Einem Ort, im Tempel, Pallast, gleichsam auf einem Markt des Vaterlandes vor: so wurde sie im Anfange, nur mimisch und erzählend nachgemacht und zwischengeschoben; so kamen endlich die Auftritte, die Scenen hinzu - aber alles natürlich noch eine Scene, wo der Chor Alles band, wo der Natur der Sache wegen Bühne nie leer bleiben konnte u. s.w. Und daß Einheit der Zeit nun hieraus folgte und natürlich mitging - welchem Kinde brauchte das bewiesen zu werden ? Alle diese Dinge lagen damals in der N a t u r , daß der Dichter mit alle seiner Kunst ohne sie nichts konnte! Offenbar siehet man also auch: die Kunst der Griechischen Dichter nahm ganz den entgegen gesetzten Weg, den man uns heut zu Tage aus ihnen zuschreiet. Jene s i m p l i f i c i r t e n nicht, denke ich, sondern sie v e r v i e l f ä l t i g t e n : A e s c h y l u s den C h o r , S o p h o k l e s den A e s c h y l u s , und man darf nur die künsdichsten Stücke des letztern, und sein grosses Meisterstück, den O e d i p u s in T h e b e gegen den Prometheus, oder gegen die Nachrichten vom alten D i t h y r a m b halten: so wird man die erstaunliche Kunst sehen, die ihm dahinein zu bringen gelang. Aber niemals Kunst aus Vielem ein Eins zu machen, sondern eigentlich aus Einem ein Vieles, ein schönes Labyrinth von Scenen, wo seine gröste Sorge blieb, an der verwickeltsten Stelle des Labyrinths seine Zuschauer mit dem Wahn des vorigen Einen umzutauschen, den Knäuel ihrer Empfindungen so sanft und allmählich los zu winden, als ob sie ihn noch immer ganz hätten, die vorige Dithyrambische Empfindung. Dazu zierte er ihnen die Scene aus, behielt ja die Chöre bei, und machte sie zu Ruheplätzen der Handlung, erhielt Alle mit jedem Wort im Anblick des Ganzen, in Erwartung, in Wahn des Werdens, des S c h o n h a b e n s , (was der lehrreiche E u r i p i d e s nachher sogleich, da die Bühne kaum gebildet war, wieder verabsäumte!) Kurz, er gab der Handlung (eine Sache, die man so erschrecklich mißverstehet) G r ö s s e . Und daß A r i s t o t e l e s diese Kunst seines Genies in ihm zu schätzen wüste, und eben in Allem, fast das Umgekehrte war, was die neuern Zeiten aus ihm zu drehen beliebt haben, müste Jedem einleuchten, der ihn ohne Wahn und im Standpunkte seiner Zeit gelesen. Eben daß er T h e s p i s und A e s c h y l u s verließ, und sich ganz an den vielfach dichtenden S o p h o k l e s 4 v. Wiese, Deutsche Dramaturgie

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hält, daß er eben von dieser s e i n e r N e u e r u n g ausging, in sie das Wesen der neuen Dichtgattung zu setzen, daß es sein Lieblingsgedanke ward, nun einen neuen H o m e r zu entwickeln, und ihn so vorteilhaft mit dem Ersten zu vergleichen; daß er keinen unwesentlichen Umstand vergaß, der nur in der Vorstellung seinen Begriff der G r ö s s e h a b e n d e n Handlung unterstützen konnte - Alle das zeigt, daß der grosse Mann auch im grossen Sinn seiner Zeit philosophirte, und nichts weniger als an den verengernden kindischen Läppereien schuld ist, die man aus ihm später zum Papiergerüste der Bühne machen wollen. Er hat offenbar in seinem vortreflichen Kapitel vom Wesen der Fabel „keine" andre Regeln gewußt und anerkannt, als den Blick des Zuschauers, Seele, Illusion!" und sagt ausdrücklich, daß sich sonst die S c h r a n k e n ihrer Länge, mithin noch weniger Art oder Zeit und Raum des Baues durch keine Regeln bestimmen laßen. Ο wenn Aristoteles wieder auflebte, und den falschen, widersinnigen Gebrauch seiner Regeln bei Drama's ganz andrer Art sähe! - Doch wir bleiben noch lieber bei der stillen, ruhigen Untersuchung. Wie sich Alles in der Welt ändert: so muste sich auch die Natur ändern, die eigentlich das Griechische Drama schuf. W e l t v e r f a ß u n g , S i t t e n , S t a n d der R e p u b l i k e n , T r a d i t i o n d e r H e l d e n z e i t , G l a u b e , selbst M u s i k , A u s d r u c k , M a a s der I l l u s i o n wandelte: und natürlich schwand auch Stoff zu Fabeln, Gelegenheit zu der Bearbeitung, Anlaß zu dem Zwecke. Man konnte zwar das Uralte, oder gar von andern Nationen ein Fremdes herbei holen, und nach der gegebnen Manier bekleiden: das that Alles aber nicht die Würkung: folglich war in Allem auch nicht die Seele: folglich wars auch nicht (was sollen wir mit Worten spielen ?) das Ding mehr. Puppe, Nachbild, Affe, Statüe, in der nur noch der andächtigste Kopf den Dämon finden konnte, der die Statüe belebte. Laßet uns gleich (denn die Römer waren zu dumm, oder zu klug, oder zu wild und unmässig, um ein völlig gräcisierendes Theater zu errichten) zu den neuen Atheniensern Europens übergehen, und die Sache wird, dünkt mich, offenbar. Alles was Puppe des Griechischen Theaters ist, kann ohne Zweifel kaum vollkommner gedacht und gemacht werden, als es in Frankreich geworden. Ich will nicht blos an die sogenannten Theaterregeln denken, die man dem guten Aristoteles 50

beimißt, E i n h e i t der Z e i t , des O r t s , der H a n d l u n g , B i n d u n g der S c e n e n , W a h r s c h e i n l i c h k e i t des B r e t t e r g e r ü s t e s u.s.w., sondern würklich fragen, ob über das gleissende, klassische Ding, was die C o r n e i l l e , R a c i n e und V o l t a i r e gegeben haben, über die Reihe schöner A u f t r i t t e , G e s p r ä c h e , V e r s e und R e i m e , mit der A b m e s s u n g , dem W o h l s t a n d e , dem G l ä n z e - etwas in der Welt möglich sey ? Der Verfaßer dieses Aufsatzes zweifelt nicht bloß daran, sondern alle Verehrer V o l t a i r s und der Franzosen, zumal diese edlen Athenienser selbst, werden es geradezu läugnen - habens ja auch schon gnug gethan, thuns und Werdens thun, „über das geht nichts! das kann nicht übertroffen werden!" Und in den Gesichtspunkt des Übereinkommnißes gestellt, die Puppe aufs Bretterngerüste gesetzt - haben sie recht, und müßens von Tag zu Tage je mehr man sich in das Gleissende vernarrt, und es nachäffet, in allen Ländern Europens mehr bekommen. Bei alle dem ists aber doch ein drückendes unwiderstrebliches Gefühl „das ist keine Griechische Tragödie! von Zweck, Würkung, Art, Wesen kein Griechisches Drama!" und der partheiischte Verehrer der Franzosen kann, wenn er Griechen gefühlt hat, das nicht läugnen. Ich wills gar nicht einmal untersuchen, „ob sie auch ihren Aristoteles den Regeln nach so beobachten, wie sies vorgeben," wo L e ß i n g gegen die lautesten Anmaassungen neulich schreckliche Zweifel erregt hat. Das Alles aber auch zugegeben, Drama ist nicht dasselbe; warum? weil im Innern nichts von ihm Dasselbe mit Jenem ist, nicht Handlung, Sitten, Sprache, Zweck, nichts - und was hülfe also alles Äussere so genau erhaltne Einerlei? Glaubt denn wohl jemand, daß Ein Held des grossen C o r n e i l l e ein Römischer oder Französischer Held sey? Spanisch-Senekasche Helden! galante Helden, abentheurlich tapfere, großmüthige, verliebte, grausame Helden, also Dramatische Fiktionen, die ausser dem Theater Narren heissen würden, und wenigstens für Frankreich schon damals halb so fremde waren, als sies jetzt bei den meisten Stücken ganz sind - das sind sie. R a c i n e spricht die Sprache der Empfindung - allerdings nach diesem Einen zugegebnen Übereinkommniße ist nichts über ihn; aber ausser dem auch - wüste ich nicht, wo Eine Empfindung so spräche ? Es sind Gemälde der Empfindung von dritter fremder Hand; nie aber oder selten die unmittelbaren, ersten, ungeschminkten 51

Regungen, wie sie Worte suchen und endlich finden. Der schöne V o l t ä r s c h e Vers, sein Zuschnitt, Inhalt, Bilderwirthschaft, Glanz, Witz, Philosophie - ist er nicht ein schöner Vers ? Allerdings! der schönste, den man sich vielleicht denken kann, und wenn ich ein Franzose wäre, würde ich verzweifeln, hinter Voltär Einen Vers zu machen - aber schön oder nicht schön, kein Theatervers! für Handlung, Sprache, Sitten, Leidenschaften, Zweck eines (anders als Französischen) Drama, ewige Schulchrie, Lüge und Galimathias! Endlich Z w e c k des Allen? durchaus kein Griechischer, kein tragischer Zweck! Ein schönes Stück, wenn es auch eine schöne Handlung wäre, auf die Bühne zu bringen! eine Reihe artiger, wohlgekleideter Herrn und Dames schöne Reden, auch die schönste und nützlichste Philosophie in schönen Versen vortragen zu laßen! sie allesamt auch in eine Geschichte dichten, die einen Wahn der Vorstellung gibt, und also di: Aufmerksamkeit mit sich fortzieht! endlich das alles auch durch eine Anzahl wohlgeübter Herrn und Dames vorstellen laßen, die würklich viel auf Deklamation, Stelzengang der Sentenzen und Außenwerke der Empfindung, Beifall und Wohlgefallen anwenden - das alles können vortrefliche und die besten Zwecke zu einer lebendigen Lecture, zur Übung im Ausdruck, Stellung und Wohlstande, zum Gemälde guter oder gar Heroischer Sitten, und endlich gar eine völlige Akademie der Nationalweisheit und Decence im Leben und Sterben werden, (alle Nebenzwecke übergangen) schön! bildend! lehrreich! vortreflich! durchaus aber weder Hand noch Fuß vom Zweck des Griechischen Theaters. Und welches war der Zweck? Aristoteles hats gesagt, und man hat gnug darüber gestritten - nichts mehr und minder, als eine g e w i s s e Erschütterung des Herzens, die E r r e g u n g der Seele in gewissem M a a ß und von g e w i s s e n S e i t e n , kurz! eine G a t t u n g I l l u s i o n , die wahrhaftig! noch kein Französisches Stück zuwege gebracht hat, oder zuwege bringen wird. Und folglich (es heisse so herrlich und nützlich, wie es wolle) Griechisches Drama ists nicht! Trauerspiel des S o p h o k l e s ists nicht - Als Puppe ihm noch so gleich; der Puppe fehlt Geist, Leben, Natur, Wahrheit - mithin alle Elemente der Rührung - mithin Zweck und Erreichung des Zwecks - ists also dasselbe Ding mehr ? 52

Hiermit würde noch nichts über Werth und Unwerth entschieden, es wäre nur blos von Verschiedenheit die Rede, die ich mit dem Vorigen ganz ausser Zweifel gesetzt glaube. Und nun gebe ichs jedem anheim, es selbst auszumachen, „ob eine Kopirung fremder Zeiten, Sitten und Handlungen in Halbwahrheit, mit dem köstlichen Zwecke, sie der zweistündigen Vorstellung auf einem Bretterngerüste fähig und ähnlich zu machen, wohl einer N a c h b i l d u n g gleich- oder übergeschätzt werden könne, die in gewißem Betracht die höchste Nationalnatur war ?" ob eine Dichtung, deren Ganzes eigendich (und da wird sich jeder Franzose winden oder vorbei singen müßen) gar keinen Z w e c k hat - das Gute ist nach dem Bekänntniß der besten Philosophen nur eine Nachlese im Detail - ob die einer L a n d e s a n s t a l t gleichgeschätzt werden kann, wo in jedem kleinen Umstände Würkung, höchste, schwerste Bildung lag ? Ob endlich nicht eine Zeit kommen müste, da man, wie die meisten und künstlichsten Stücke C o r n e i l l e n s schon vergeßen sind, C r e b i l l o n und V o l t a i r e mit der Bewundrung ansehen wird, mit der man jetzt die A s t r ä a des Hrn. v o n U r f e , und alle C l e l i e n und A s p a s i e n der Ritterzeit ansieht, „voll Kopf und Weisheit! voll Erfindung und Arbeit! es wäre aus ihnen so viel! viel zu lernen - aber Schade I daß es in der A s t r ä a und C l e l i a ist". Das Ganze ihrer Kunst ist ohne Natur, ist abentheuerlich, ist eckel! - Glücklich wenn wir im Geschmack der Wahrheit schon an der Zeit wären! Das ganze Französische Drama hätte sich in eine Sammlung schöner Verse, Sentenzen, Sentimens verwandelt - aber der grosse S o p h o k l e s stehet n o c h , wie er i s t ! . . . S h a k e s p e a r fand keinen Chor vor sich; aber wohl Staatsund Marionettenspiele - wohl! er bildete also aus diesen Staats- und Marionettenspielen, dem so schlechten Leim! das herrliche Geschöpf, das da vor uns steht und lebt! Er fand keinen so einfachen Volks- und Vaterlandscharakter, sondern ein Vielfaches von Ständen, Lebensarten, Gesinnungen, Völkern und Spracharten - der Gram um das Vorige wäre vergebens gewesen; er dichtete also Stände und Menschen, Völker und Spracharten, König und Narren, Narren und König zu dem herrlichen Ganzen! Er fand keinen so einfachen Geist der Geschichte, der Fabel, der Handlung: er nahm Geschichte, wie er sie fand, und setzte mit Schöpfergeist das verschiedenartigste 53

Zeug zu einem Wunderganzen zusammen, was wir, wenn nicht H a n d l u n g im Griechischen Verstände, so A k t i o n im Sinne der mittlem, oder in der Sprache der neuern Zeiten B e g e b e n heit (evenement) grosses E r ä u g n i ß nennen wollen - ο Aristoteles, wenn du erschienest, wie würdest du den neuen Sophokles Homerisiren! würdest so eine eigne Theorie über ihn dichten, die jetzt seine Landsleute, H o m e und H u r d , Pope und J o h n s o n noch nicht gedichtet haben! Würdest dich freuen, von Jedem deiner Stücke, H a n d l u n g , C h a r a k ter, M e i n u n g e n , A u s d r u c k , B ü h n e wie aus zwei Punkten des Dreiecks Linien ziehen zu können, die sich oben in Einem Punkte des Zwecks, der V o l l k o m m e n h e i t begegnen! Würdest zu Sophokles sagen: mahle das heilige Blatt dieses Altars! und du ο Nordischer Barde alle Seiten und Wände dieses Tempels in dein unsterbliches Fresko! Man laße mich als Ausleger und Rhapsodisten fortfahren: denn ich bin Shakespear näher als dem Griechen. Wenn bei diesem das Eine einer H a n d l u n g herrscht: so arbeitet Jener auf das Ganze eines E r ä u g n i s s e s , einer B e g e b e n h e i t . Wenn bei Jenem Ein T o n der Charaktere herrschet, so bei diesem alle Charaktere, Stände und Lebensarten, so viel nur fähig und nöthig sind, den Hauptklang seines Concerts zu bilden. Wenn in Jenem Eine singende feine Sprache, wie in einem höhern Äther tönet, so spricht dieser die Sprache aller Alter, Menschen und Menschenarten, ist Doilmetscher der Natur in all' ihren Zungen - und auf so verschiedenen Wegen beide Vertraute Einer Gottheit? - Und wenn J e n e r G r i e c h e n vorstellt und lehrt und rührt und bildet, so lehrt, rührt und bildet Shakespear Nordische M e n s c h e n I Mit ist, wenn ich ihn lese, Theater, Akteur, Koulisse verschwunden! Lauter einzelne im Sturm der Zeiten wehende Blätter aus dem Buch der Begebenheiten, der Vorsehung, der Welt! - einzelne Gepräge der Völker, Stände, Seelen! die alle die verschiedenartigsten und - abgetrenntest handelnden Maschienen, alle - was wir in der Hand des Weltschöpfers sind - unwißende, blinde Werkzeuge zum Ganzen Eines theatralischen Bildes, Einer Grösse habenden Begebenheit, die nur der Dichter überschauet. Wer kann sich einen grössern Dichter der Nordischen Menschheit und in dem Zeitalter! denken! 54

Wie vor einem Meere von Begebenheit, wo Wogen in Wogen rauschen, so tritt vor seine Bühne. Die Auftritte der Natur rücken vor und ab; würken in einander, so Disparat sie scheinen; bringen sich hervor, und zerstören sich, damit die Absicht des Schöpfers, der alle im Plane der Trunkenheit und Unordnung gesellet zu haben schien, erfüllt werde - dunkle kleine Symbole zum Sonnenriß einer Theodicee Gottes. L e a r , der rasche, warme, edelschwache Greis, wie er da vor seiner Landcharte steht, und Kronen wegschenkt und Länder zerreißt - in der Ersten Scene der Erscheinung trägt schon allen Saamen seiner Schicksale zur Ernte der dunkelsten Zukunft in sich. Siehe! der gutherzige Verschwender, der rasche Unbarmherzige, der kindische Vater wird es bald seyn auch in den Vorhöfen seiner Töchter - bittend, betend, bettelnd, fluchend, schwärmend, segnend, - ach, Gott! und Wahnsinn ahndend. Wirds seyn bald mit blossem Scheitel unter Donner und Blitz, zur untersten Klaße von Menschen herabgestürzt, mit einem Narren und in der Hole eines tollen Bettlers Wahnsinn gleichsam pochend vom Himmel herab. - Und nun ist wie ers ist, in der ganzen leichten Majestät seines Elends und Verlassens; und nun zu sich kommend, angeglänzt vom letzten Strale der Hoffnung, damit diese auf ewig, ewig erlösche! Gefangen, die todte Wohltäterin, Verzeiherin, Kind, Tochter auf seinen Armen! auf ihrem Leichnam sterbend, der alte Knecht dem alten Könige nachsterbend - Gott! welch ein Wechsel von Zeiten, Umständen, Stürmen, Wetter, Zeitläuften! und alle nicht blos Eine Geschichte - Helden und Staatsaktion, wenn du willt! von Einem Anfange zu Einem Ende, nach der strengsten Regel deines Aristoteles; sondern tritt näher, und fühle den M e n s c h e n g e i s t , der auch jede Person und Alter und Charakter und Nebending in das Gemälde ordnete. Zween alte Väter und alle ihre so verschiedne Kinder! Des Einen Sohn gegen einen betrognen Vater unglücklich dankbar, der andre gegen den gutherzigsten Vater scheuslich undankbar und abscheulich glücklich. Der gegen seine Töchter! diese gegen ihn! ihre Gemal, Freier und alle Helfershelfer im Glück und Unglück. Der blinde Gloster am Arm seines unerkannten Sohnes, und der tolle Lear zu den Füssen seiner vertriebnen Tochter! und nun der Augenblick der Wegscheide des Glücks, da Gloster unter seinem Baume sirbt, und die Trompete rufet, alle 55

Nebenumstände, Triebfedern, Charaktere und Situationen dahinein gedichtet - Alles im Spiel! zu Einem Ganzen sich fortwickelnd - zu einem V a t e r - u n d K i n d e r - , K ö n i g s - u n d N a r r e n - u n d B e t t l e r - u n d E l e n d - G a n z e n zusammen geordnet, wo doch überall bei den Disparatsten Scenen Seele der Begebenheit athmet, wo örter, Zeiten, Umstände, selbst, möchte ich sagen, die heidnische S c h i c k s a l s - u n d S t e r n e n p h i l o s o p h i e , die durchweg herrschet, so zu diesem Ganzen gehören, daß ich Nichts verändern, versetzen, aus andern Stücken hieher oder hieraus in andre Stücke bringen könnte. Und das wäre kein Drama? Shakespear kein Dramatischer Dichter ? Der hundert Auftritte einer Weltbegebenheit mit dem Arm umfaßt, mit dem Blick ordnet, mit der Einen durchhauchenden, Alles belebenden Seele erfüllet, und nicht Aufmerksamkeit; Herz, alle Leidenschaften, die ganze Seele von Anfang bis zu Ende fortreißt - wenn nicht mehr, so voll Vater Aristoteles zeugen, „die Größe des lebendigen Geschöpfs darf nur mit Einem Blick übersehen werden können" - und hier Himmel! wie wird das Ganze der Begebenheit mit tiefster Seele fortgefühlt und geendet! - Eine Welt Dramatischer Geschichte, so groß und tief wie die Natur; aber der Schöpfer gibt uns Auge und Gesichtspunkt, so groß und tief zu sehen 1 . . . II. Aus: K a l ü g o n e . . . Vorzüglich vor allem zeigt die dramatische Form das innig-Wahre der Dichtkunst, deren höchste, vielartigste, concentrirtste Darstellung eben sie ist. Sie giebt Schauspiele, in denen der Sage nach alles, der Wahrheit nach für Ohr und Seele n i c h t s g e s p i e l t , alles gehandelt, motivirt seyn muß; das wollen die Worte A c t i o n , A c t , D r a m a (Handlung) Performance u.f.; sie fodern es unerbittlich. Wer auf diesem Schaugerüst mit den Ideen unsrer Einbildungskraft oder unsern Empfindungen spielen zu dürfen glaubt, wer als Kritiker spielend urtheilt, der ist des hölzernen Pulcinella selbst nicht werth; denn auch dieser meint es, wenn Puppe an Puppe klappt, sehr ernsthaft. Offenbar kommt die ganze Verwirrung vom Misverständniß des vieldeutigen Worts Spiel her, das eigentlich nichts heißt als eine l e i c h t e B e w e g u n g . . . 56

III. A u s : Adrastea . . .„Aber Schicksal,und immer Schicksal! Wir Christen und Weise, glauben kein Schicksal". So nenne man's S c h i c k u n g , B e g e g n i ß , E r e i g n i ß . V e r k n ü p f u n g der B e g e b e n h e i t e n und U m s t ä n d e ; unentweichlich stehen wir unter der Macht d i e s e s Schicksals. Freilich, wenn ein Dichter das Wort so mißverstünde, daß die g r o ß e G ö t t i n n ein Poltergeist würde, der, für und wider nichts, die aufs beste angelegte Plane menschlicher Vernunft, aller Vernunft entgegen, Absichtlos oder Schadenfroh ohne alle Schuld der Menschen verwirrte; wenn er auf das Kunststück sönne, daß Alles, was Menschen wohlgesinnt und wohlbesonnen unternehmen, unglücklich, dagegen was die Götter leidenschaftlich und brutal wollen, abscheulich-glücklich ausfalle; dann haßten wir in diesem Dichter das t u m m e , s t u p i d e S c h i c k s a l . Ein Zweiter lahmte den Menschen den Arm, reichte ihnen ein Opium gegen alle vernünftige Ueberlegung und Entschlüße, ließe aber dafür das S c h i c k s a l walten; „geh nach Orient, rufen wir, du Opium-Krämer!" Ein Dritter gäbe sich alle Mühe, den Karren in den Koth zu schieben, damit ihn das Schicksal ohne Hände herausziehe. Ein Vierter ließe die blinde Göttinn auf Menschen wie auf einen Marmorblock schlagen, und nennte diesen Empfindungslosen Block einen Weisen. Ein Fünfter triebe mit der Schickung S c h e r z ; wenn sein Held Alles gethan hat, fällt er ins Waßer oder bricht ein Bein, und Alles ist, als ob es nicht geschehen wäre; freilich solche Misgriffe im Gebrauch dieses Worts zeigen ein k l ä g l i c h e s Schicksal, und wenn Leßing in einem andern Sinn die Tragödie „ein Gedicht nannte, das M i t l e i d e r r e g e t , " so erregen solche Stücke wahres Mitleid. Mitleid nämlich mit dem Dichter; Abscheu gegen den Misbrauch des mißverstandenen hohen Namens, ja des ersten Begriffes der Sache selbst. War dies aber der Sinn der Griechen? Warum dringt Aristoteles darauf, daß im Trauerspiel A l l e s n a t ü r l i c h z u g e h e und die Auflösung des Knotens nie durch M a s c h i e n e n geschehen müße? Warum macht er uneingeschränkt die Meinungen und Sitten der Menschen zu Q u e l l e n i h r e r H a n d l u n g e n , i h r e s G l ü c k s und U n g l ü c k s ? und wägt mit einer Goldwaage ab, wiefern v o l l k o m m e n e und u n v o l l k o m m e 57

ne, g u t e u n d b ö s e C h a r a k t e r e i n s Trauerspiel, d.i. unter die Bürde des tragischen Verhängnißes treten dürfen? Diesund jenseit verdammet er den kleinsten Fehler. Und das mit Recht. Wollen wir der Bühne die r e i n e Darstellung menschlicher Charaktere mit Allem, was aus i h n e n folget, wollen wir ihr die r e i n e Entwicklung menschlicher Leidenschaften und Gesinnungen, der Glücks- und Unglücksfälle, wie sie aus jenen folgen, rauben, und ein falsches Wunderbare, Poltergeister, die allenthalben die Natur stören, auf den Schauplatz führen; wo bliebe noch eine reine dargestellte, rein entwickelte Menschennatur und Wahrheit ? Schenkt dem Roman, der Sage, dem Mährchen Euren Wunderglauben, Ihr, die ihr der Dichtkunst bezauberte Waffen schmiedet; nur die Bühne verschont mit diesen Künsten. Auf ihr wollen wir, auch in ihrem Ideal, natürliche Wahrheit sehen; Sacer est locus; meiite extra! Nur also durch Menschen-Charaktere wirke das Schicksal, doch so daß Jene unter der Gewalt Dieses wirken. Wer ließ den Oedipus an diesem Ort, unter solchen Umständen gebohren werden ? wer machte sogleich bei seiner Geburt ihn zum Oedipus, dem Fußdurchbohrten? Auch ohne Pythischen Orakelspruch, durch jede andre Veranlaßung that es das V e r n ä n g n i ß . Wer schlang, von Pelops herab, dem Stamm des Atreus die eherne Binde um seine Stirn, die erst in der dritten Geschlechtsfolge, als unter Dianens und Phöbus Gunst Orest und Iphigenia das Haus entsühnt hatten, zu schmelzen anfing? Der S t a m m e s c h a r a k t e r , das Schicksal. Die Sagen hierüber legt das Trauerspiel aus; es führt die Charaktere auf seinen Grund zurück, und zeigt die Schickung eben im Spiel dieser Charaktere, die immer leiser und leiser wirkend, den Stammes- oder Standescharakter endlich versöhnen. So im Hause des Oedipus zwischen seinen verfeindeten Söhnen und seinen sanfteren Töchtern. Der Faden der Verhängniße ist g e n e t i s c h gewebt, wie wir ihn noch allenthalben vor uns sehen, hier bedaurend, dort lobjauchzend. Alle Gefahren Herkules, liegen sie nicht in seinem C h a r a k t e r ? Jeder Herkules hat seinen Euristheus, seine Juno, seine Omphale, Jole, Dejanira. Und wie nah liegt sein, des Rückkehrenden, von der Göttinn ihm gesandter Wahnsinn, da er seine Kinder als f r e m d e erwürgt, im Herkules Charakter! Mit dem Namen der v e r h ä n g e n d e n G ö t t i n n 58

ist ein Ehrennetz über ihn gebreitet. So über Ajax und aller Helden Charakter, die das Schicksal verfolgte. Ein Mann, der gegen die Götter streitet, grenzt an Wahnsinn. Wenn nun Ulyßes Schlauigkeit das, was ihm gebührte, vor den Augen ihm wegstiehlt, was kann er werden, als was er im Trauerspiel wird, mit Allem was daraus folget ? So in hundert andern Mährchen der Griechen. Hippokrates Ausspruch: παντα θεια και ανθρώπινα παντα ist ihre Inschrift. Die Schicksale Jedes ihrer alten Helden sind eine E x p o s i t i o n seines Charakters. Dies zu bemerken gewährt ein lehrreiches Vergnügen; ein noch lehrreicheres das l a n g s a m e Z u b e r e i ten und K o m m e n des S c h i c k s a l s in ihren Epopeen und Trauerspielen. Ein feines Ohr hat es belauschet. Wer für seine Welt der Schicksale sich Auge und Ohr öfnen will, lese sie; wie A l t a r b i l d e r stehn hohe Unglückliche da, lehrend, warnend, beruhigend, tröstend. Im kleinsten und größten ihrer Unfälle das Maas des Mitleids und der Furcht dem Gemüth zuzuwägen, und es daran zu gewöhnen, dazu trat Melpomene auf den Kothurn, unter Gesang, mit Thaten und Rede. Hat sie diese Waage verlohren: so gestalte sie ihren Dolch, ihre Käule zur Spindel. Sie spinne Situationen und Sentenzen... „Aber eine so strenge dramatische Gerechtigkeit, verödet sie nicht das Theater? Soll jeder tugendhafte Charakter in dem Maasse, wie er es verdient, belohnt, der Lasterhafte gestraft werden; so hört die Tragödie auf; sie wird ein tragisch-feierliches Lustspiel. Soll den Zuschauern der Codex ihres Gewißens aufgerollt werden, so bleiben sie weg; sie wollen geschmeichelt und amusirt, nur amusirt seyn". Falsche Vorspiegelungen der trägen Unkunst, aus Misverständnißen genommen, Schlaffheiten nährend, am edleren Theil der Menschheit verzagend. Wer will dann, daß jede Tugend ganz belohnt, das Laster ganz bestraft werde ? Wer will, daß ein Theater das Forum der höchsten und ewigen Gerechtigkeit werde? Darf sich dessen ein Mensch nur in Gedanken anmaassen? Wir sprechen vom Verhängniß, wie wirs kennen, wie es hier anspinnt, leitet und entscheidet. Nach Maassgabe dessen foderte Aristoteles, daß kein ganz vollkommener Charakter auf der tragischen Bühne erscheine; aber auch kein ganz lasterhafter Charakter. Jener, weil er über uns, dieser, weil er unter der Menschheit sei, 59

mithin bei Keinem von beiden Furcht für uns, Mitleid mit ihm statt finde, weil beide unsres Gleichen nicht sind. Auch der tugendhafte Held sei nicht ohne Fehler, der Böse nicht ohne Anlage zum Guten; beide seyn und bleiben Menschen, über welche dann das Verhängniß waltet. Walte es über sie, wie es ihm gefällt; die Waage ihres innern und äußeren Werths, ihres wahren Glücks und Unglücks, ihrer Schuld und Unschuld bleibt dem Dichter. Er zeige, was die waltende Göttin mit ihnen vornahm, wie sie es veranlaßten und ertrugen, m e n s c h l i c h . Ließ das Glück sie kleiner Fehler wegen sinken; wohlan! Er darf es nicht rechtfertigen; aber zeigen muß er, was in der Brust des Rechtschaffenen auch gegen diese hohe Hand für ein Gegengewicht liege. Hebt es den Ruchlosen empor und läßt ihm seine Tollheit gelingen; er zeige, wie wenig er dadurch glücklich ward, und welche Folgen diese Tollheit für ihn und andre habe. Blute die Wunde, oder werde sie geheilt; nur der Lauf der Begebenheit gewinne einen Ruhepunkt oder werde geründet. So dachten die grichischen Dichter. Oedipus, als Mörder seines Vaters enthüllt, der unschuldig-schuldige Oedipus steht da, blind, ein Verbannter. E i n Ruhepunkt in der schrecklichen Fabel seines Schicksals. Jokaste ist todt, die Töchter begleiten den Verbanneten. Da erschien sein Schatte dem bejahrten Sophokles und sprach: „bring* mich zur Ruhe! die Fabel meines Schicksals ist nicht beendet". Sophokles folgte der Stimme und schrieb den Oedipus in Kolone. - Auf seinem Geschlechte lag der Fluch; er ward erfüllet. Antigone stieg lebendig ins Grab; unglücklich aber schwesterlich-edel, und der Tyrann litt für seine Unthat. In fürchterlichem Zweikampf kommen Oedipus Söhne, Eteokles und Polynikes um; der Tyrann leidet für seine Unthat gegen die Schwester. Die grause Fabel ist geendet. So Agamemnons Haus. Der König ist zu den Schatten hinunter; Klytemnestra mit blutiger Hand ist ihm gefolget; Orestes irrt, verfolgt von den Eumeniden umher, Iphigenia war geopfert. „Sie sei gerettet, sprach die Muse. Die Göttinn habe sie nach Tauris gesichert; als Priesterinn daselbst rette sie dem letzten Sproß der Atriden das Leben, und gründe aufs neue das Glück des verödeten Hauses. Orestes werde entsühnt; das Schicksal versöhnet." Prometheus liegt gefeßelt am Felsen; soll er dort ewig

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ächzen? Die Muse erschien dem Dichter; er schrieb den entfeßelten Prometheus. Dies ist der Ursprung jener bekannten T r i l o g i e e n und T e t r a l o g i e e n der Griechen. Nicht blos das Herkommen und die unersättliche Lust der Athener zu Schauspielen brachte sie hervor, sondern das verlangende Menschenherz und die tragische Kunst selbst. Beide sehnten sich nach einer Beendigung, durch welche wie durch den Schluß einer Musik die Leidenschaften gestillet, und wie durch Weihgesänge das erregte menschliche Herz mit dem Schicksal versöhnt werde... Wie die ä s o p i s c h e F a b e l ihre Lehre nur in der bestehenden Naturordnung mittelst fortwirkender unveränderlicher Charaktere anerkannte; wie das M ä h r c h e n , vermöge der Gesetze unsrer Natur, seine Welt uns in einem Traumreich zeigte; so strebt die d r a m a t i s c h e P o e s i e , die höchste Aller, zum höchsten Ziele. Menschliche Charaktere und Leidenschaften ordnet sie in eine Fabel der Begegniße des Lebens, die zum Theil aus ihnen entsponnen, gewiß aber durch sie geleitet und aufgelöset wird; und zwar, nicht zum blinden Haß oder zu stupider Unterwerfung, sondern durch Furcht für uns, durch Theilnehmung an unsers Gleichen, zu Ordnung und Läuterung unsrer Leidenschaften von allerlei Art, wie in den O r g i s c h e n G e h e i m n i ß e n bei einem V e r s ö h n u n g s o p f e r . . . Hieraus ergiebt sich, daß je geordneter die Menschen und die Staaten werden, der Zunder zur tragischen Flamme sich mindre. Atreus, Thyeste, Klytemnestren u. f. giebt es nur in den sogenannt-heroischen Zeiten; in andern spielen sie ihre Rollen, hinter dem Vorhange oder gar in der Couliße, sittlicher, verdeckter. Nur Macbeths können morden wie Er; nur Othello's erdroßeln ihre Desdemonen also. Eine gewiße Rauhheit der Seele in Herrschsucht, Rache, Stolz, Grausamkeit scheint unter der Hand der Zeit abgeschliffen, wenigstens geglättet zu seyn, daß sie so scharf nicht ritzt oder schneidet. Siehet man L e ß i n g z.B. die Mühe nicht an, die er hatte, den Mord seiner Emilie durch die Hand des Vaters bei den Zuschauern nur zu rechtfertigen ? vielmehr im Gemüth beider und in der Situation selbst ihn zu motiviren? Die Zeiten der Virginia sind vorüber; und ein andrer Vater als Odoardo hätte den Dolch vielleicht wohin anders gerichtet. - Auch sind wir in unsern Begriffen von einem waltenden Schicksal absprechender worden; wir

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w o l l e n ein Verhängniß nicht mehr glauben; und haben Recht daran, wenn damit eine Schadenfrohe Gottheit oder gar eine Hekate gemeint ist. Aber auch den Sturz der Thronen, den Ausgang ganzer Geschlechter, die ein Dämon verfolgt oder eine Unthat hinabreißt, den äußersten menschlichen Jammer, das tiefste menschliche Elend schaudern wir zu sehen; wir fodern einen fröhlichen, wenigstens einen gemäßigten Ausgang. So will es u n s e r Schicksal. Wie nun ? Sollen wir deßhalb jene alte hohe Fresko-Gemählde bei Aeschylus, Sophokles, Shakespear a u f g e b e n ? Gewiß nicht. So waren die Menschen einst und so sind sie noch; jetzt nur schlauer, verdeckter. An jenen großen Vorbildungen in Tugenden und Gräueln laßet uns hören, in welchen Tönen, mit welchen Wendungen die Leidenschaft einst laut sprach; jetzt raisonnirt sie leiser und feiner. An Kritzeleien aber läßt sich keine reine Handschrift lernen; sondern an großen, starken Fracturzügen. Das Menschenherz bleibt immer dasselbe; die Schickung waltet durch alle Stände. Ein unbedeutender Mensch erfährt oft Katastrophen, wie König Lear sie kaum erfuhr; einer bedrängten Familie erscheint die Retterinn aus Noth gewiß erwünschter, freundlicher, milder, als einer Königinn der unerwartete Bundesgenoß ihrer Kriegs- und Staatsplane. Die Herabstimmung der hohen Tragödie zu dem sogenanntb ü r g e r l i c h e n T r a u e r s p i e l ist also keine Erniedrigung, keine Entweihung. Der Ungeheuer auf Thronen sind wir satt; wir wollen in den uns näheren Ständen und Verhältnißen M e n s c h e n sehen, die mit eignerer Kraft als vielleicht jene der Schickung abwenden oder gegen sie kämpfen. Sokrates und Epaminondas, die Horazier, Coriolan, Regulus, Brutus, Cinna, Seneka, Papinian u. f. waren keine Könige, sondern Bürger. Hat das rettende Stück einen fröhlichen Ausgang, so schmerze es der Spottname einer w e i n e r l i c h e n K o m ö d i e (comedie larmoyante) nicht; wir haben unter diesem Namen rührende Stücke der leidenden und geretteten Menschheit. Ueberhaupt ists ein gutes Zeichen, daß wir den Geschmack am Flitterstaat der Alt-Französischen, so wie an der gothischen Pracht der Englischen Tragödie verlohren haben; auch die Theilnahme am Geklirr und Gelärm des alten Gedankenlosen Ritterwesens ist fast vorüber. 62

Der Feind, mit dem wir kämpfen, ist das schwächliche D i v e r t i ß e m e n t falscher Künstelei, falscher Liebelei, falscher Weisheit. Gern möchten wir den ganzen Shakespear in einen G o z z i verwandeln, (den man ja auch den Italiänischen Shakespear genannt hat) oder, wo möglich, alle seine Stücke als Opern sehen und hören. Nicht überlegend, daß wir dadurch die ganze Kraft s e i n e r t r a g i s c h e n M u s e , seinen Monolog, seine Sprache des Herzens, der Vernunft und Natur, sondern auch die D e c l a m a t i o n verlöhren, die nicht am Gesänge: (denn der will gehört, nicht gesehen seyn;) sondern an g e s p r o c h e n e n Worten haftet. In Vorzeichnung der Action durch die Sprache selbst ist Shakespear Meister. . .

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JAKOB MTCHAEL REINHOLD LENZ I. A u s : A n m e r k u n g e n übers T h e a t e r . . . Was heißen die drei Einheiten ? hundert Einheiten will ich euch angeben, die alle immer doch die eine bleiben. Einheit der Sprache, Einheit der Religion, Einheit der Sitten - ja was wird's denn nun? Immer dasselbe, immer und ewig dasselbe. Der Dichter und das Publikum müssen die eine Einheit fühlen aber nicht klassifizieren. Gott ist nur eins in allen seinen Werken, und der Dichter muß es auch sein, wie groß oder klein sein Wirkungskreis auch immer sein mag. Aber fort mit dem Schulmeister, der mit seinem Stäbchen einem Gott auf die Finger schlägt. . . . bei den alten Griechen war's die Handlung, die sich das Volk zu sehen versammelte. Bei uns ist's die Reihe von Handlungen, die wie Donnerschläge aufeinander folgen, eine die andere stützen und heben, in ein großes Ganze zusammenfließen müssen, das hernach nichts mehr und nichts minder ausmacht, als die Hauptperson, wie sie in der ganzen Gruppe ihrer Mithändler hervorsticht. Bei uns also fabula est una si circa unum sit. Was können wir dafür, daß wir an abgerissenen Handlungen kein Vergnügen mehr finden, sondern alt genug geworden sind, ein Ganzes zu wünschen ? daß wir den Menschen sehen wollen, wo jene nur das unwandelbare Schicksal und seine geheimen Einflüsse sahen. Oder scheuen Sie sich, meine Herren, einen Menschen zu sehen ? . . . Damit wir nun, unsern Reiigionsbegriffen und ganzen Art zu denken und zu handeln analog, die Grenzen unsers Trauerspiels richtiger abstecken, als bisher geschehen, so müssen wir von einem andern Punkt ausgehen, als Aristoteles, wir müssen, um den unsrigen zu nehmen, den Volksgeschmack der Vorzeit und unsers Vaterlandes zu Rate ziehen, der noch heutzutage Volksgeschmack bleibt und bleiben wird. Und da finde ich, daß er beim Trauerspiele oder Staatsaktion, ist gleichviel, immer drauf losstürmt (die Ästhetiker mögen's hören wollen oder nicht) das ist ein Kerl! das sind Kerls! bei der Komödie

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aber ist's ein anders. Bei 'der geringfügigsten drollichten, possierlichen unerwarteten Begebenheit im gemeinen Leben rufen die Blaffer mit seitwärts verkehrtem Kopf: Komödie! Das ist eine Komödie! ächzen die alten Frauen. Die Hauptempfindung in der Komödie ist immer die Begebenheit, die Hauptempfindung in der Tragödie ist die Person, die Schöpfer ihrer Begebenheiten... So ist's mit den historischen Stücken Shakespeares: hier möchte ich C h a r a k t e r s t ü c k e sagen, wenn das Wort nicht so gemißbraucht wäre. Die Mumie des alten Helden, die der Biograph einsalbt und spezereit, in die der Poet seinen Geist haucht. Da steht er wieder auf, der edle Tote, in verklärter Schöne geht er aus den Geschichtsbüchern hervor, und lebt mit uns zum andernmale. Ο wo finde ich Worte, diese herzliche Empfindung für die auferstandenen Toten anzudeuten - und sollten wir ihnen nicht mit Freuden nach Alexandrien, nach Rom, in alle Vorfallenheiten ihres Lebens folgen und das: selig sind die Augen, die dich gesehen haben, nun für uns behalten ? Habt ihr nicht Lust ihnen zuzusehen, meine Herren? In jeder ihrer kleinsten Handlungen, Schicksalswechsel und Lebensstößen? In ihrer immer regen Gegenwirkung und Geistesgröße ? Weilt ihr lieber an der Moorlache, als an der grünen See in unauslöschlicher Bewegung und dem hellen Felsen mitten in? Ja, meine Herren! wenn Sie den Helden nicht der Mühe wert achten, nach seinen Schicksalen zu fragen, so wird Ihnen sein Schicksal nicht der Mühe wert dünken, sich nach dem Helden umzusehen. Denn der Held allein ist der Schlüssel zu seinen Schicksalen. Ganz anders ist's mit der Komödie. Meiner Meinung nach wäre immer der Hauptgedanke einer Komödie eine S a c h e , einer Tragödie eine Person. Eine Mißheirat, ein Findling, irgend eine Grille eines seltsamen Kopfs (die Person darf uns weiter nicht bekannt sein, als insofern ihr Charakter diese Grille, diese Meinung, selbst dieses System veranlaßt haben kann: wir verlangen hier nicht die ganze P e r s o n zu kennen).. II. A u s :

Rezension

des

neuen

Menoza

. . . Ich nenne durchaus Komödie nicht eine Vorstellung, die bloß Lachen erregt, sondern eine Vorstellung, die für jeder5 r. Wiese, Deutsche D r a m a t u r g i e

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mann ist. Tragödie ist nur für den ernsthafteren Teil des Publikums, der Helden der Vorzeit in ihrem Licht anzusehn und ihren Wert auszumessen imstande ist. So waren die griechischen Tragödien Verewigung merkwürdiger Personen ihres Vaterlandes in auszeichnenden Handlungen oder Schicksalen; so waren die Tragödien Shakespeares wahre Darstellungen aus den Geschichten älterer und neuerer Nationen. Die Komödien jener aber waren für das Volk, und der Unterschied von Lachen und Weinen war nur eine Erfindung späterer Kunstrichter, die nicht einsahen, warum der gröbere Teil des Volks geneigter zum Lachen als zum Weinen sein, und je näher es dem Stande der Wildheit oder dem Hervorgehen aus demselbigen, desto mehr sich seine Komödien dem Komischen nähern mußten. Daher der Unterschied unter der alten und neuen Komödie, daher die Notwendigkeit der französischen weinerlichen Dramen, die alle Spöttereien nicht hinwegräsonieren können, und die nur mit totalem Verderbnis der Sitten der Nation ganz fallen werden. Komödie ist Gemälde der menschlichen Gesellschaft, und wenn die ernsthaft wird, kann das Gemälde nicht lachend werden. Daher schrieb Plautus komischer als Terenz und Moliere komischer als Destouches und Beaumarchais. Daher müssen unsere deutschen Komödienschreiber komisch und tragisch zugleich schreiben, weil das Volk, für das sie schreiben, oder doch wenigstens schreiben sollten, ein solcher Mischmasch von Kultur und Rohigkeit, Sittigkeit und Wildheit ist. So erschafft der komische Dichter dem Tragischen sein Publikum.

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GOTTFRIED AUGUST BÜRGER A u s : A u s D a n i e l W u n d e r l i c h s Buch Trauerspiel, - Freudenspiel, - rührendes, weinerliches Lustspiel, - Possenspiel, heroisches, bürgerliches, bäuerisches, schäferliches, - und der Himmel weiß! was noch sonst für Spiele die Theoreienmacher uns herrechnen! Und doch tun sie der Sache noch lange nicht genug, wenn sie alles, was sich nach ihrer Weise teilen läßt, bis ans Ende fortteilen wollen. Daß sie doch alle der B a t t e u x holte! Und ihren Verstand weit droben im ariostischen Monde in tausend Fläschchen verteilte und jedes dicht und fest zupfropfte! Schauspiel ist - Schauspiel, und damit gut! Jene Teilung gemahnet mich nicht anders, als wenn man die liebe Mutter Natur in die lachende und weinende, tragikomische und komischtragische tabellieren wollte, da sie doch das alles in einer und eine in dem allen ist. Wisset ihr nicht, daß sie Freud' und Leid, Krieg und Frieden, Ruh' und Aufruhr, Haß und Liebe, Versöhnung und Rache, Tod und Leben in einem Neste brütet ? Warum zimmern also wohl die kindischen Kinder der Kunst so viel hundert Kästchen und Fäserchen, alles das auseinander zu sondern? Wie mögen sie ihr wohl vorschreiben, wie sie das all ? ob sie's einzeln oder paarweise ? oder die ganze Hecke auf einmal ausfliegen lassen soll? Was Mutter Natur tut, das ist recht; was sie paart, das ist wohl gepaart. Daß euch die Hand nicht aus dem Grabe wachse, weil ihr euch an der Mutter vergreift! Wisset ihr nicht, was Sokrates sagte, daß Schmerz und Wollust an ihren Enden zusammengeknotet wären ? Da meinen sie nun, verbieten zu können, daß das Komische etwas Tragisches und das Tragische etwas Komisches begleite, und bedenken nicht, wie sehr einem mit dem anderen oft aufgeholfen werden könne. Hat nun erst einmal ein Junker solch Sprüchlein auswendig gelernt, so spricht er darnach frisch vom Munde weg, ohne das Gefühl der Natur zu Rate zu ziehen. Freilich hat dies auch die leidige Theorie ersäuft. Also meinst du aber doch, Menschchen, daß die volle Lache, in einem und

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ebendemselben Nu, nicht manchmal ebenso durchschauern könne als der grimmigste Blick des Wüterichs ? Ei, Lieber! wie, wenn der Teufel zu dir träte und dich bei voller Lache zum höllischen Tanz aufforderte? Dann würdest du ja wohl zum Teufel sagen: Dein Anstand ist komisch und schickt sich nicht für diese tragische Situation! Oder würdest du verlegen sein, wie du diesen Akt nennen solltest? Nenn' ihn doch Tragikomödie ! Darum kenn' ich nur ein Spiel; und das heißt Schauspiel. Das sei, wie es wolle! Nur gefalle es den Kindern der Natur.

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JOHANN WOLFGANG GOETHE I. A u s : A u s G o e t h e s B r i e f t a s c h e . . . Es ist endlich einmal Zeit, daß man aufgehöret hat, über die Form dramatischer Stücke zu reden, über ihre Länge und Kürze, ihre Einheiten, ihren Anfang, ihr Mittel und Ende, und wie das Zeug alle hieß. Auch geht unser Verfasser ziemlich stracks auf den Inhalt los, der sich sonst so von selbst zu geben schien. Deswegen gibt's doch eine Form, die sich von jener unterscheidet, wie der innere Sinn vom äußern, die nicht mit Händen gegriffen, die gefühlt sein will. Unser Kopf muß übersehen, was ein andrer Kopf fassen kann; unser Herz muß empfinden, was ein andres füllen mag. Das Zusammenwerfen der Regeln gibt keine Ungebundenheit; und wenn ja das Beispiel gefährlich sein sollte, so ist's doch im Grunde besser, ein verworrnes Stück machen als ein kaltes. Freilich, wenn mehrere das Gefühl dieser innern Form hätten, die alle Formen in sich begreift, würden wir weniger verschobne Geburten des Geists aneklen. Man würde sich nicht einfallen lassen, jede tragische Begebenheit zum Drama zu strecken, nicht jeden Roman zum Schauspiel zerstücklen. Ich wollte, daß ein guter Kopf dies doppelte Unwesen parodierte und etwa die Aesopische Fabel vom Wolf und Lamme zum Trauerspiel in fünf Akten umarbeitete. Jede Form, auch die gefühlteste, hat etwas Unwahres, allein sie ist ein für allemal das Glas, wodurch wir die heiligen Strahlen der verbreiteten Natur an das Herz der Menschen zum Feuerblick sammeln. Aber das Glas! Wem's nicht gegeben wird, wird's nicht erjagen; es ist, wie der geheimnisvolle Stein der Alchimisten, Gefäß und Materie, Feuer und Kühlbad. So einfach, daß es vor allen Türen liegt, und so ein wunderbar Ding, daß just die Leute, die es besitzen, meist keinen Gebrauch davon machen können. Wer übrigens eigentlich für die Bühne arbeiten will, studiere die Bühne, Würkung der Fernemalerei, der Lichter, Schminke,

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Glanzleinewand und Füttern, lasse die Natur an ihrem Ort und bedenke ja fleißig, nichts anzulegen, als was sich auf Brettern, zwischen Latten, Pappendeckel und Leinewand, durch Puppen vor Kindern ausführen läßt. II. Z u m S c h ä k e s p e a r s T a g Mir kommt vor, das sei die edelste von unsern Empfindungen: die Hoffnung, auch dann zu bleiben, wenn das Schicksal uns zur allgemeinen Nonexistenz zurückgeführt zu haben scheint. Dieses Leben, meine Herren, ist für unsre Seele viel zu kurz; Zeuge, daß jeder Mensch, der geringste wie der höchste, der unfähigste wie der würdigste, eher alles müd wird, als zu leben; und daß keiner sein Ziel erreicht, wornach er so sehnlich ausging; denn wenn es einem auf seinem Gange auch noch so lang' glückt, fällt er doch endlich, und oft im Angesicht des gehofften Zwecks, in eine Grube, die ihm Gott weiß wer gegraben hat, und wird für nichts gerechnet. Für nichts gerechnet! Ich! Da ich mir alles bin, da ich alles nur durch mich kenne! So ruft jeder, der sich fühlt, und macht große Schritte durch dieses Leben, eine Bereitung für den unendlichen Weg drüben. Freilich jeder nach seinem Maß. Macht der eine mit dem stärksten Wandertrab sich auf, so hat der andre Siebenmeilen Stiefel an, überschreitet ihn, und zwei Schritte des letzten bezeichnen die Tagreise des ersten. Dem sei wie ihm wolle, dieser embsige Wandrer bleibt unser Freund und unser Geselle, wenn wir die gigantischen Schritte jenes anstaunen und ehren, seinen Fußtapfen folgen, seine Schritte mit den unsrigen abmessen. Auf die Reise, meine Herren! Die Betrachtung so eines einzigen Tapfs macht unsre Seele feuriger und größer als das Angaffen eines tausendfüßigen königlichen Einzugs. Wir ehren heute das Andenken des größten Wandrers und tun uns dadurch selbst eine Ehre an. Von Verdiensten, die wir zu schätzen wissen, haben wir den Keim in uns. Erwarten Sie nicht, daß ich viel und ordentlich schreibe. Ruhe der Seele ist kein Festtagskleid, und noch zur Zeit habe ich wenig über Schäckespearen gedacht; geahndet, empfunden wenn's hoch kam, ist das Höchste, wohin ich's habe bringen können. Die erste Seite, die ich in ihm las, machte mich auf

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Zeitlebens ihm eigen, und wie ich mit dem ersten Stücke fertig war, stund ich wie ein Blindgebomer, dem eine Wunderhand das Gesicht in einem Augenblicke schenkt. Ich erkannte, ich fühlte aufs lebhafteste meine Existenz um eine Unendlichkeit erweitert; alles war mir neu, unbekannt, und das ungewohnte Licht machte mir Augenschmerzen. Nach und nach lernt' ich sehen, und, Dank sei meinem erkenntlichen Genius, ich fühle noch immer lebhaft, was ich gewonnen habe. Ich zweifelte keinen Augenblick, dem regelmäßigen Theater zu entsagen. Es schien mir die Einheit des Orts so kerkermäßig ängstlich, die Einheiten der Handlung und der Zeit lästige Fesseln unsrer Einbildungskraft. Ich sprang in die freie Luft und fühlte erst, daß ich Hände und Füße hatte. Und jetzo, da ich sähe, wie viel Unrecht mir die Herrn der Regeln in ihrem Loch angetan haben, wie viel freie Seelen noch drinne sich krümmen, so wäre mir mein Herz geborsten, wenn ich ihnen nicht Fehde angekündigt hätte und nicht täglich suchte, ihre Türne zusammenzuschlagen. Das griechische Theater, das die Franzosen zum Muster nahmen, war nach innrer und äußerer Beschaffenheit so, daß eher ein Marquis den Alcibiades nachahmen könnte, als es Corneillen dem Sophokles zu folgen möglich w ä r \ Erst Intermezzo des Gottesdiensts, dann feierlich politisch, zeigte das Trauerspiel einzelne große Handlungen der Väter dem Volk mit der reinen Einfalt der Vollkommenheit, erregte ganze große Empfindungen in den Seelen, denn es war selbst ganz und groß. Und in was für Seelen! Griechischen! Ich kann mich nicht erklären, was das heißt, aber ich fühl's und berufe mich der Kürze halber auf Homer und Sophokles und Theokrit, die haben's mich fühlen gelehrt. Nun sag' ich geschwind hinten drein: Französchen, was willst du mit der griechischen Rüstung, sie ist dir zu groß und zu schwer. Drum sind auch alle französche Trauerspiele Parodien von sich selbst. Wie das so regelmäßig zugeht, und daß sie einander ähnlich sind wie Schuhe, und auch langweilig mitunter, besonders in genere im vierten Akt, das wissen die Herren leider aus der Erfahrung, und ich sage nichts davon. 71

Wer eigentlich zuerst drauf gekommen ist, die Haupt- und Staatsaktionen aufs Theater zu bringen, weiß ich nicht; es gibt Gelegenheit für den Liebhaber zu einer kritischen Abhandlung. Ob Schäkespearen die Ehre der Erfindung gehört, zweifl' ich; genung, er brachte diese Art auf den Grad, der noch immer der höchste geschienen hat, da so wenig Augen hinauf reichen und also schwer zu hoffen ist, einer könne ihn übersehen oder gar übersteigen. Schäckespear,mein Freund, wenn du noch unter uns wärest, ich könnte nirgend leben als mit dir; wie gern wollt' ich die Nebenrolle eines Pylades spielen, wenn du Orest wärst, lieber als die geehrwürdigte Person eines Oberpriesters im Tempel zu Delphos Ich will abbrechen, meine Herren, und morgen weiter schreiben, denn ich bin in einem Ton, der Ihnen vielleicht nicht so erbaulich ist, als er mir von Herzen geht. Schäckespears Theater ist ein schöner Raritäten Kasten, in dem die Geschichte der Welt vor unsern Augen an dem unsichtbaren Faden der Zeit vorbeiwallt. Seine Plane sind, nach dem gemeinen Stil zu reden, keine Plane, aber seine Stücke drehen sich alle um den geheimen Punkt (den noch kein Philosoph gesehen und bestimmt hat), in dem das Eigentümliche unsres Ichs, die prätendierte Freiheit unsres Willens mit dem notwendigen Gang des Ganzen zusammenstößt. Unser verdorbner Geschmack aber umnebelt dergestalt unsere Augen, daß wir fast eine neue Schöpfung nötig haben, uns aus dieser Finsternis zu entwickeln. Alle Franzosen und angesteckte Deutsche, sogar Wieland, haben sich bei dieser Gelegenheit, wie bei mehreren, wenig Ehre gemacht. Voltaire, der von jeher Profession machte, alle Majestäten zu lästern, hat sich auch hier als ein echter Thersit bewiesen. Wäre ich Ulysses, er sollte seinen Rücken unter meinem Scepter verzerren. Die meisten von diesen Herren stoßen auch besonders an seinen Charakteren an. Und ich rufe: Natur, Natur! nichts so Natur als Schäckespears Menschen. Da hab' ich sie alle überm Hals. Laßt mir Luft, daß ich reden kann! Er wetteiferte mit dem Prometheus, bildete ihm Zug vor Zug seine Menschen nach, nur in k o l o s s a l i s c h e r G r ö ß e 72

darin liegt's, daß wir unsre Brüder verkennen - und dann belebte er sie alle mit dem Hauch s e i n e s Geistes, er redet aus allen, und man erkennt ihre Verwandtschaft. Und was will sich unser Jahrhundert unterstehen, von Natur zu urteilen ? Wo sollten wir sie her kennen, die wir von Jugend auf alles geschnürt und geziert an uns fühlen und an andern sehen. Ich schäme mich oft vor Schäckespearen, denn es kommt manchmal vor, daß ich beim ersten Blick denke: das hätt' ich anders gemacht! Hinten drein erkenn' ich, daß ich ein armer Sünder bin, daß aus Schäkespearen die Natur weissagt und daß meine Menschen Seifenblasen sind, von Romanengrillen aufgetrieben. Und nun zum Schluß, ob ich gleich noch nicht angefangen habe. Das, was edle Philosophen von der Welt gesagt haben, gilt auch von Schäkespearen: das, was wir bös nennen, ist nur die andre Seite vom Guten, die so notwendig zu seiner Existenz und in das Ganze gehört, als Zona torrida brennen und Lappland einfrieren muß, daß es einen gemäßigten Himmelsstrich gebe. Er führt uns durch die ganze Welt, aber wir verzärtelte unerfahrne Menschen schreien bei jeder fremden Heuschrecke, die uns begegnet: Herr, er will uns fressen. Auf, meine Herren! trompeten Sie mir alle edle Seelen aus dem Elysium des sogenannten guten Geschmacks, wo sie schlaftrunken, in langweiliger Dämmerung halb sind, halb nicht sind, Leidenschaften im Herzen und kein Mark in den Knochen haben, und weil sie nicht müde genug, zu ruhen, und doch zu faul sind, um tätig zu sein, ihr Schattenleben zwischen Myrten und Lorbeergebüschen verschlendern und vergähnen. III. Aus : Shakespeare u n d kein E n d e Es ist über Shakespeare schon so viel gesagt, daß es scheinen möchte, als wäre nichts mehr zu sagen übrig; und doch ist dies die Eigenschaft des Geistes, daß er den Geist ewig anregt. Diesmal will ich Shakespeare von mehr als einer Seite betrachten, und zwar erstlich als Dichter überhaupt, sodann verglichen mit den Alten und den Neusten, und zuletzt als eigentlichen Theaterdichter. Ich werde zu entwickeln suchen, was die Nachahmung seiner Art auf uns gewirkt und was sie überhaupt wirken kann. Ich werde meine Beistimmung zu dem, was schon 73

gesagt ist, dadurch geben, daß ich es allenfalls wiederhole, meine Abstimmung aber kurz und positiv ausdrücken, ohne mich in Streit und Widerspruch zu verwickeln. Hier sei also von jenem ersten Punkt zuvörderst die Rede. I. S h a k e s p e a r e als D i c h t e r ü b e r h a u p t . Das Höchste, wozu der Mensch gelangen kann, ist das Bewußtsein eigner Gesinnungen und Gedanken, das Erkennen seiner selbst, welches ihm die Einleitung gibt, auch fremde Gemütsarten innig zu erkennen. Nun gibt es Menschen, die mit einer natürlichen Anlage hierzu geboren sind und solche durch Erfahrung zu praktischen Zwecken ausbilden. Hieraus entsteht die Fähigkeit, der Welt und den Geschäften im höheren Sinn etwas abzugewinnen. Mit jener Anlage nun wird auch der Dichter geboren, nur daß er sie nicht zu unmittelbaren, irdischen Zwecken, sondern zu einem höhern, geistigen, allgemeinen Zweck ausbildet. Nennen wir nun Shakespeare einen der größten Dichter, so gestehen wir zugleich, daß nicht leicht jemand die Welt so gewahrte wie er, daß nicht leicht jemand, der sein innres Anschauen aussprach, den Leser in höherem Grade mit in das Bewußtsein der Welt versetzt. Sie wird für uns völlig durchsichtig: wir finden uns auf einmal als Vertraute der Tugend und des Lasters, der Größe, der Kleinheit, des Adels, der Verworfenheit, und dieses alles, ja noch mehr, durch die einfachsten Mittel. Fragen wir aber nach diesen Mitteln, so scheint es, als arbeite er für unsre Augen; aber wir sind getäuscht: Shakespeares Werke sind nicht für die Augen des Leibes. Ich will mich zu erklären suchen. Das Auge mag wohl der klarste Sinn genannt werden, durch den die leichteste Überliefrung möglich ist. Aber der innere Sinn ist noch klärer, und zu ihm gelangt die höchste und schnellste Überlieferung durchs Wort; denn dieses ist eigentlich fruchtbringend, wenn das, was wir durchs Auge auffassen, an und für sich fremd und keineswegs so tiefwirkend vor uns steht. Shakespeare nun spricht durchaus an unsern innern Sinn; durch diesen belebt sich zugleich die Bilderwelt der Einbildungskraft, und so entspringt eine vollständige Wirkung, von der wir uns keine Rechenschaft zu geben wissen; denn hier liegt eben der Grund von jener Täuschung, als begebe sich alles vor

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unsern Augen. Betrachtet man aber die Shakespeareschen Stücke genau, so enthalten sie viel wenigei sinnliche Tat als geistiges Wort. Er läßt geschehen, was sich leicht imaginieren läßt, ja was besser imaginiert als gesehen wird. Hamlets Geist, Macbeths Hexen, manche Grausamkeiten erhalten ihren Wert erst durch die Einbildungskraft, und die vielfältigen kleinen Zwischenszenen sind bloß auf sie berechnet. Alle solche Dinge gehen beim Lesen leicht und gehörig an uns vorbei, da sie bei der Vorstellung lasten und störend, ja widerlich erscheinen. Durchs lebendige Wort wirkt Shakespeare, und dies läßt sich beim Vorlesen am besten überliefern; der Hörer wird nicht zerstreut, weder durch schickliche noch unschickliche Darstellung. Es gibt keinen höhern Genuß und keinen reinem, als sich mit geschloßnen Augen durch eine natürlich richtige Stimme ein Shakespearesches Stück nicht deklamieren, sondern rezitieren zu lassen. Man folgt dem schlichten Faden, an dem er die Ereignisse abspinnt. Nach der Bezeichnung der Charaktere bilden wir uns zwar gewisse Gestalten, aber eigentlich sollen wir durch eine Folge von Worten und Reden erfahren, was im Innern vorgeht, und hier scheinen alle Mitspielenden sich ver abredet zu haben, uns über nichts im dunkeln, im Zweifel zu lassen. Dazu konspirieren Helden und Kriegs knechte, Herren und Sklaven, Könige und Boten, ja die untergeordneten Figuren wirken hier oft tätiger als die Hauptgestalten. Alles, was bei einer großen Weltbegebenheit heimlich durch die Lüfte säuselt, was in Momenten ungeheurer Ereignisse sich in dem Herzen der Menschen verbirgt, wird ausgesprochen; was ein Gemüt ängstlich verschließt und versteckt, wird hier frei und flüssig an den Tag gefördert; wir erfahren die Wahrheit des Lebens und wissen nicht wie. Shakespeare gesellt sich zum Weltgeist; er durchdringt die Welt wie jener; beiden ist nichts verborgen. Aber wenn des Weltgeists Geschäft ist, Geheimnisse vor, ja oft nach der Tat zu bewahren, so ist es der Sinn des Dichters, das Geheimnis zu verschwätzen und uns vor oder doch gewiß in der Tat zu Vertrauten zu machen. Der lasterhafte Mächtige, der wohldenkende Beschränkte, der leidenschaftlich Hingerissene, der ruhig Betrachtende, alle tragen ihr Herz in der Hand, oft gegen alle Wahrscheinlichkeit; jedermann ist redsam und redselig. Genug, das Geheimnis muß heraus, u nd sollten es die Steine ver75

künden. Selbst das Unbelebte drängt sich hinzu, alles Untergeordnete spricht mit, die Elemente, Himmel-, Erd- und Meerphänomene, Donner und Blitz, wilde Tiere erheben ihre Stimme, oft scheinbar als Gleichnis, aber ein wie das andere Mal mithandelnd. Aber auch die zivilisierte Welt muß ihre Schätze hergeben; Künste und Wissenschaften, Handwerke und Gewerbe, alles reicht seine Gaben dar. Shakespeares Dichtungen sind ein großer, belebter Jahrmarkt, und diesen Reichtum hat er seinem Vaterlande zu danken. Überall ist England, das meerumflossene, von Nebel und Wolken umzogene, nach allen Weltgegenden tätige. Der Dichter lebt zur würdigen und wichtigen Zeit und stellt ihre Bildung, ja Verbildung mit großer Heiterkeit uns dar, ja er würde nicht so sehr auf uns wirken, wenn er sich nicht seiner lebendigen Zeit gleichgestellt hätte. Niemand hat das materielle Kostüm mehr verachtet als er; er kennt recht gut das innere Menschenkostüm, und hier gleichen sich alle. Man sagt, er habe die Römer fürtrefflich dargestellt; ich finde es nicht; es sind lauter eingefleischte Engländer, aber freilich Menschen sind es, Menschen von Grund aus, und denen paßt wohl auch die römische Toga. Hat man sich einmal hierauf eingerichtet, so findet man seine Anachronismen höchst lobenswürdig, und gerade daß er gegen das äußere Kostüm verstößt, das ist es, was seine Werke so lebendig macht. Und so sei es genug an diesen wenigen Worten, wodurch Shakespeares Verdienst keineswegs erschöpft ist. Seine Freunde und Verehrer werden noch manches hinzuzusetzen haben. Doch stehe noch eine Bemerkung hier: schwerlich wird man einen Dichter finden, dessen einzelnen Werken jedesmal ein anderer Begriff zu Grunde liegt und im Ganzen wirksam ist, wie an den seinigen sich nachweisen läßt. So geht durch den ganzen C o r i o l a n der Ärger durch, daß die Volksmasse den Vorzug der Besseren nicht anerkennen will. Im Cäsar bezieht sich alles auf den Begriff, daß die Bessern den obersten Platz nicht wollen eingenommen sehen, weil sie irrig wähnen, in Gesamtheit wirken zu können. A n t o n i u s und K l e o p a t r a spricht mit tausend Zungen, daß Genuß und Tat unverträglich sei. Und so würde man bei weiterer Untersuchung ihn noch öfter zu bewundern haben. 76

II. S h a k e s p e a r e , v e r g l i c h e n m i t d e n A l t e n u n d Neusten. Das Interesse, welches Shakespeares großen Geist belebt, liegt innerhalb der Welt: denn wenn auch Wahrsagung und Wahnsinn, Träume, Ahnungen, Wunderzeichen, Feen und Gnomen, Gespenster, Unholde und Zauberer ein magisches Element bilden, das zur rechten Zeit seine Dichtungen durchschwebt, so sind doch jene Truggestalten keineswegs Hauptingredienzien seiner Werke, sondern die Wahrheit und Tüchtigkeit seines Lebens ist die große Base, worauf sie ruhn; deshalb uns alles, was sich von ihm herschreibt, so echt und kernhaft erscheint. Man hat daher schon eingesehen, daß er nicht sowohl zu den Dichtern der neueren Welt, welche man die romantischen genannt hat, sondern vielmehr zu jenen der naiven Gattung gehöre, da sein Wert eigentlich auf der Gegenwart ruht und er kaum von der zartesten Seite, ja nur mit der äußersten Spitze an die Sehnsucht grenzt. Dessen ungeachtet aber ist er, näher betrachtet, ein entschieden moderner Dichter, von den Alten durch eine ungeheuere Kluft getrennt, nicht etwa der äußern Form nach, welche hier ganz zu beseitigen ist, sondern dem innersten tiefsten Sinne nach. Zuvörderst aber verwahre ich mich und sage, daß keineswegs meine Absicht sei, nachfolgende Terminologie als erschöpfend und abschließend zu gebrauchen; vielmehr soll es nur ein Versuch sein, zu andern, uns schon bekannten Gegensätzen nicht sowohl einen neuen hinzuzufügen, als daß er schon in jenen enthalten sei, anzudeuten. Diese Gegensätze sind: Antik, Modern. Naiv, Sentimental. Heidnisch, Christlich. Heldenhaft, Romantisch. Real, Ideal. Notwendigkeit, Freiheit. Sollen, Wollen. Die größten Qualen, so wie die meisten, welchen der Mensch ausgesetzt sein kann, entspringen aus den einem jeden innewohnenden Mißverhältnissen zwischen Sollen und Wollen, sodann aber zwischen Sollen und Vollbringen, Wollen und 77

Vollbringen; und diese sind es, die ihn auf seinem Lebensgange so oft in Verlegenheit setzen. Die geringste Verlegenheit, die aus einem leichten Irrtum, der unerwartet und schadlos gelöst werden kann, entspringt, gibt die Anlage zu lächerlichen Situationen. Die höchste Verlegenheit hingegen, unauflöslich oder unaufgelöst, bringt uns die tragischen Momente dar. Vorherrschend in den alten Dichtungen ist das Unverhältnis zwischen Sollen und Vollbringen, in den neueren zwischen Wollen und Vollbringen. Man nehme diesen durchgreifenden Unterschied unter die übrigen Gegensätze einsweilen auf und versuche, ob sich damit etwas leisten lasse. Vorherrschend, sagt' ich, sind in beiden Epochen bald diese, bald jene Seite; weil aber Sollen und Wollen im Menschen nicht radikal getrennt werden kann, so müssen überall beide Ansichten zugleich, wenn schon die eine vorwaltend und die andere untergeordnet, gefunden werden. Das Sollen wird dem Menschen auferlegt, das Muß ist eine harte Nuß; das Wollen legt der Mensch sich selbst auf, des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Ein beharrendes Sollen ist lästig, Unvermögen des Vollbringens fürchterlich, ein beharrliches Wollen erfreulich, und bei einem festen Willen kann man sich sogar über das Unvermögen des Vollbringens getröstet sehen. Betrachte man als eine Art Dichtung die Kartenspiele; auch diese bestehen aus jenen beiden Elementen. Die Form des Spiels, verbunden mit dem Zufalle, vertritt hier die Stelle des Sollens, gerade wie es die Alten unter der Form des Schicksals kannten; das Wollen, verbunden mit der Fähigkeit des Spielers, wirkt ihm entgegen. In diesem Sinn möcht' ich das Whistspiel antik nennen. Die Form dieses Spiels beschränkt den Zufall, ja das Wollen selbst. Ich muß, bei gegebenen Mit- und Gegenspielern, mit den Karten, die mir in die Hand kommen, eine lange Reihe von Zufällen lenken, ohne ihnen ausweichen zu können. Beim L'hombre und ähnlichen Spielen findet das Gegenteil statt. Hier sind meinem Wollen und Wagen gar viele Türen gelassen; ich kann die Karten, die mir zufallen, verleugnen, in verschiedenem Sinne gelten lassen, halb oder ganz verwerfen, vom Glück Hilfe rufen, ja durch ein umgekehrtes Verfahren aus den schlechtesten Blättern den größten Vorteil ziehn; und so gleichen diese Art Spiele vollkommen der modernen Denk- und Dichtart. 78

Die alte Tragödie beruht auf einem unausweichlichen Sollen, das durch ein entgegenwirkendes Wollen nur geschärft und beschleuniget wird. Hier ist der Sitz alles Furchtbaren der Orakel, die Region, in welcher O e d i p u s über alle thront. Zarter erscheint uns das Sollen als Pflicht in der A n t i g o n e ; und in wie viele Formen verwandelt tritt es nicht auf! Aber alles Sollen ist despotisch: es gehöre der Vernunft an, wie das Sitten- und Stadtgesetz; oder der Natur, wie die Gesetze des Werdens, Wachsens und Vergehens, des Lebens und Todes. Vor allem diesem schaudern wir, ohne zu bedenken, daß das Wohl des Ganzen dadurch bezielt sei. Das Wollen hingegen ist frei, scheint frei und begünstigt den einzelnen. Daher ist das Wollen schmeichlerisch und mußte sich der Menschen bemächtigen, sobald sie es kennen lernten. Es ist der Gott der neuern Zeit; ihm hingegeben, fürchten wir uns vor dem Entgegengesetzten, und hier liegt der Grund, warum unsere Kunst so wie unsere Sinnesart von der antiken ewig getrennt bleibt. Durch das Sollen wird die Tragödie groß und stark, durch das Wollen schwach und klein. Auf dem letzten Wege ist das sogenannte Drama entstanden, indem man das ungeheuere Sollen durch ein Wollen auflöste; aber eben weil dieses unserer Schwachheit zu Hilfe kommt, so fühlen wir uns gerührt, wenn wir nach peinlicher Erwartung zuletzt noch kümmerlich getröstet werden. Wende ich mich nun, nach diesen Vorbetrachtungen, zu Shakespeare, so muß der Wunsch entspringen, daß meine Leser selbst Vergleichung und Anwendung übernehmen möchten. Hier tritt Shakespeare einzig hervor, indem er das Alte und Neue auf eine überschwängliche Weise verbindet. Wollen und Sollen suchen sich durchaus in seinen Stücken ins Gleichgewicht zu setzen; beide bekämpfen sich mit Gewalt, doch immer so, daß das Wollen im Nachteile bleibt. Niemand hat vielleicht herrlicher als er die erste große Verknüpfung des Wollens und Sollens im individuellen Charakter dargestellt. Die Person, von der Seite des Charakters betrachtet, s o l l ; sie ist beschränkt, zu einem Besondern bestimmt; als Mensch aber w i l l sie. Sie ist unbegrenzt und fordert das Allgemeine. Hier entspringt schon ein innerer Konflikt, und diesen läßt Shakespeare vor allen andern hervortreten. Nun aber kommt ein äußerer hinzu, und der erhitzt sich öfters dadurch, daß ein unzulängliches Wollen durch Veranlassungen zum un79

erläßlichen Sollen erhöht wird. Diese Maxime habe ich früher an H a m l e t nachgewiesen; sie wiederholt sich aber bei Shakespeare : denn wie Hamlet durch den Geist, so kommt Macbeth durch Hexen, Hekate und die Überhexe, sein Weib, Brutus durch die Freunde in eine Klemme, der sie nicht gewachsen sind; ja sogar i m C o r i o l a n läßt sich das Ähnliche finden; genug, ein Wollen, das über die Kräfte eines Individuums hinausgeht, ist modern. Daß es aber Shakespeare nicht von innen entspringen, sondern durch äußere Veranlassung aufregen läßt, dadurch wird es zu einer Art von Sollen und nähert sich dem Antiken. Denn alle Helden des dichterischen Altertums wollen nur das, was Menschen möglich ist, und daher entspringt das schöne Gleichgewicht zwischen Wollen, Sollen und Vollbringen ; doch steht ihr Sollen immer zu schroff da, als daß es uns, wenn wir es auch bewundern, anmuten könnte. Eine Notwendigkeit, die mehr oder weniger oder völlig alle Freiheit ausschließt, verträgt sich nicht mehr mit unsern Gesinnungen; diesen hat jedoch Shakespeare auf seinem Wege sich genähert: denn indem er das Notwendige sittlich macht, so verknüpft er die alte und neue Welt zu unserm freudigen Erstaunen. Ließe sich etwas von ihm lernen, so wäre hier der Punkt, den wir in seiner Schule studieren müßten. Anstatt unsere Romantik, die nicht zu schelten noch zu verwerfen sein mag, über die Gebühr ausschließlich zu erheben und ihr einseitig nachzuhängen, wodurch ihre starke, derbe, tüchtige Seite verkannt und verderbt wird, sollten wir suchen, jenen großen, unvereinbar scheinenden Gegensatz um so mehr in uns zu vereinigen, als ein großer und einziger Meister, den wir so höchlich schätzen und oft, ohne zu wissen warum, über alles präkonisieren, das Wunder wirklich schon geleistet hat. Freilich hatte er den Vorteil, daß er zur rechten Erntezeit kam, daß er in einem lebensreichen, protestantischen Lande wirken durfte, wo der bigotte Wahn eine Zeitlang schwieg, so daß einem wahren Naturfrommen, wie Shakespeare, die Freiheit blieb, sein reines Innere, ohne Bezug auf irgend eine bestimmte Religion, religiös zu entwickeln... I I I . S h a k e s p e a r e als T h e a t e r d i c h t e r . . . . Shakespeares Name und Verdienst gehören in die Geschichte der Poesie; aber es ist eine Ungerechtigkeit gegen alle

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Theaterdichter früherer und späterer Zeiten, sein ganzes Verdienst in der Geschichte des Theaters aufzuführen. Ein allgemein anerkanntes Talent kann von seinen Fähigkeiten einen Gebrauch machen, der problematisch ist. Nicht alles, was der Vortreffliche tut, geschieht auf die vortrefflichste Weise. So gehört Shakespeare notwendig in die Geschichte der Poesie; in der Geschichte des Theaters tritt er nur zufällig auf. Weil man ihn dort unbedingt verehren kann, so muß man hier die Bedingungen erwägen, in die er sich fügte, und diese Bedingungen nicht als Tugenden oder als Muster anpreisen. Wir unterscheiden nahverwandte Dichtungsarten, die aber bei lebendiger Behandlung oft zusammenfließen: Epos, Dialog, Drama, Theaterstück lassen sich sondern. E p o s fordert mündliche Überlieferungen an die Menge durch einen einzelnen; D i a l o g Gespräch in geschlossener Gesellschaft, wo die Menge allenfalls zuhören mag; D r a m a Gespräch in Handlungen, wenn es auch nur vor der Einbildungskraft geführt würde; T h e a t e r s t ü c k alles drei es zusammen, insofern es den Sinn des Auges mit beschäftigt und unter gewissen Bedingungen örtlicher und persönlicher Gegenwart faßlich werden kann. . . Genau aber genommen, so ist nichts theatralisch, als was für die Augen zugleich symbolisch ist: eine wichtige Handlung, die auf eine noch wichtigere deutet. Daß Shakespeare auch diesen Gipfel zu erfassen gewußt, bezeugt jener Augenblick, wo dem todkranken schlummernden König der Sohn und Nachfolger die Krone von seiner Seite wegnimmt, sie aufsetzt und damit fortstolziert. Dieses sind aber nur Momente, ausgesäte Juwelen, die durch viel Untheatralisches aus einander gehalten werden. Shakespeares ganze Verfahrungsart findet an der eigentlichen Bühne etwas Widerstrebendes; sein großes Talent ist das eines Epitomators, und da der Dichter überhaupt als Epitomator der Natur erscheint, so müssen wir auch hier Shakespeares großes Verdienst anerkennen; nur leugnen wir dabei, und zwar zu seinen Ehren, daß die Bühne ein würdiger Raum für sein Genie gewesen. Indessen veranlaßt ihn grade diese Bühnenenge zu eigner Begrenzung. Hier aber nicht, wie andere Dichter, wählt er sich zu einzelnen Arbeiten besondere Stoffe, sondern er legt einen Begriff in den Mittelpunkt und bezieht auf diesen die Welt und das Universum. Wie er alte und neue Geschichte in die Enge zieht, kann er den Stoff von jeder Chronik brauchen β ν. Wiese, Deutsche Dramaturgie

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an die er sich oft sogar wörtlich hält. Nicht so gewissenhaft verfährt er mit den Novellen, wie uns H a m l e t bezeugt. R o m e o und J u l i e bleibt der Überlieferung getreuer; doch zerstört er den tragischen Gehalt derselben beinahe ganz durch die zwei komischen Figuren Mercutio und die Amme, wahrscheinlich von zwei beliebten Schauspielern, die Amme wohl auch von einer Mannsperson gespielt. Betrachtet man die Ökonomie des Stücks recht genau, so bemerkt man, daß diese beiden Figuren, und was an sie grenzt, nur als possenhafte Intermezzisten auftreten, die uns bei unserer folgerechten, Übereinstimmung liebenden Denkart auf der Bühne unerträglich sein müssen. Am merkwürdigsten erscheint jedoch Shakespeare, wenn er schon vorhandene Stücke redigiert und zusammenschneidet. Bei K ö n i g J o h a n n und L e a r können wir diese Vergleichung anstellen, denn die altern Stücke sind noch übrig. Aber auch in diesen Fällen ist er wieder mehr Dichter überhaupt als Theaterdichter. . . IV. A u s : W i l h e l m M e i s t e r s L e h r j a h r e . . . Einen Abend stritt die Gesellschaft, ob der Roman oder das Drama den Vorzug verdiene ? Serlo versicherte, es sei ein vergeblicher, miß vers tandner Streit; beide könnten in ihrer Art vortrefflich sein, nur müßten sie sich in den Grenzen ihrer Gattung halten. Ich bin selbst noch nicht ganz im klaren darüber, versetzte Wilhelm. Wer ist es auch? sagte Serlo; und doch wäre es der Mühe wert, daß man der Sache näher käme. Sie sprachen viel herüber und hinüber, und endlich war folgendes ungefähr das Resultat ihrer Unterhaltung: Im Roman wie im Drama sehen wir menschliche Natur und Handlung. Der Unterschied beider Dichtungsarten liegt nicht bloß in der äußern Form, nicht darin, daß die Personen in dem einen sprechen und daß in dem andern gewöhnlich von ihnen erzählt wird. Leider viele Dramen sind nur dialogierte Romane, und es wäre nicht unmöglich, ein Drama in Briefen zu schreiben. Im Roman sollen vorzüglich Gesinnungen und Begebenheiten vorgestellt werden; im Drama Charaktere und Taten. 82

Der Roman muß langsam gehen, und die Gesinnungen der Hauptfigur müssen, es sei auf welche Weise es wolle, das Vordringen des Ganzen zur Entwickelung aufhalten. Das Drama soll eilen, und der Charakter der Hauptfigur muß sich nach dem Ende drängen und nur aufgehalten werden. Der Romanenheld muß leidend, wenigstens nicht im hohen Grade wirkend sein; von dem dramatischen verlangt man Wirkung und Tat. Grandison, Ciarisse, Pamela, der Landpriester von Wakefield, Tom Jones selbst sind, wo nicht leidende, doch retardierende Personen, und alle Begebenheiten werden gewissermaßen nach ihren Gesinnungen gemodelt. Im Drama modelt der Held nichts nach sich, alles widersteht ihm, und er räumt und rückt die Hindernisse aus dem Wege oder unterliegt ihnen. So vereinigte man sich auch darüber, daß man dem Zufall im Roman gar wohl sein Spiel erlauben könne; daß er aber immer durch die Gesinnungen der Personen gelenkt und geleitet werden müsse; daß hingegen das Schicksal, das die Menschen, ohne ihr Zutun, durch unzusammenhängende äußere Umstände zu einer unvorgesehenen Katastrophe hindrängt, nur im Drama statthabe; daß der Zufall wohl pathetische, niemals aber tragische Situationen hervorbringen dürfe; das Schicksal hingegen müsse immer fürchterlich sein und werde im höchsten Sinne tragisch, wenn es schuldige und unschuldige, von einander unabhängige Taten in eine unglückliche Verknüpfung bringt. Diese Betrachtungen führten wieder auf den wunderlichen Hamlet und auf die Eigenheiten dieses Stücks. Der Held, sagte man, hat eigentlich auch nur Gesinnungen; es sind nur Begebenheiten, die zu ihm stoßen, und deswegen hat das Stück etwas von dem Gedehnten des Romans: weil aber das Schicksal den Plan gezeichnet hat, weil das Stück von einer fürchterlichen Tat ausgeht und der Held immer vorwärts zu einer fürchterlichen Tat gedrängt wird, so ist es im höchsten Sinne tragisch und leidet keinen andern als einen tragischen Ausgang... V. N a c h t r a g z u m B r i e f a n S c h i l l e r

V011126.

April

1797

Im Trauerspiel kann und soll das Schicksal oder, welches einerlei ist, die entschiedne Natur des Menschen, die ihn blind da- oder dorthin führt, walten und herrschen, sie muß ihn nie83

mals zu seinem Zweck, sondern immer von seinem Zweck abführen, der Held darf seines Verstandes nicht mächtig sein, der Verstand darf gar nicht in die Tragödie entrieren als bei Nebenpersonen zur Desavantage des Haupthelden und so weiter. Im Epos ist es grade umgekehrt, bloß der Verstand, wie in der Odyssee, oder eine zweckmäßige Leidenschaft, wie in der Ilias, sind epische Agenden. Der Zug der Argonauten als ein Abenteuer ist nicht episch. VI. Über epische und dramatische Dichtung Von Goethe und Schiller Der Epiker und Dramatiker sind beide den allgemeinen poetischen Gesetzen unterworfen, besonders dem Gesetze der Einheit und dem Gesetze der Entfaltung; ferner behandeln sie beide ähnliche Gegenstände und können beide alle Arten von Motiven brauchen; ihr großer wesentlicher Unterschied beruht aber darin, daß der Epiker die Begebenheit als v o l l k o m m e n v e r g a n g e n vorträgt, und der Dramati ker sie als ν ο 11 k ο m m e η g e g e n w ä r t i g darstellt. Wollte man das Detail der Gesetze, wonach beide zu handeln haben, aus der Natur des Menschen herleiten, so müßte man sich einen Rhapsoden und einen Mimen, beide als Dichter, jenen mit seinem ruhig horchenden, diesen mit seinem ungeduldig schauenden und hörenden Kreise umgeben, immer vergegenwärtigen, und es würde nicht schwer fallen zu entwickeln, was einer jeden von diesen beiden Dichtarten am meisten frommt, welche Gegenstände jede vorzüglich wählen, welcher Motive sie sich vorzüglich bedienen wird; ich sage vorzüglich: denn, wie ich schon zu Anfang bemerkte, ganz ausschließlich kann sich keine etwas anmaßen. Die Gegenstände des Epos und der Tragödie sollten rein menschlich, bedeutend und pathetisch sein: die Personen stehen am besten auf einem gewissen Grade der Kultur, wo die Selbsttätigkeit noch auf sich allein angewiesen ist, wo man nicht moralisch, politisch, mechanisch, sondern persönlich wirkt. Die Sagen aus der heroischen Zeit der Griechen waren in diesem Sinne den Dichtern besonders günstig. Das epische Gedicht stellt vorzüglich persönlich beschränkte Tätigkeit, die Tragödie persönlich beschränktes Leiden vor; das epische Gedicht den a u ß e r s i c h w i r k e n d e n

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Menschen: Schlachten, Reisen, jede Art von Unternehmung, die eine gewisse sinnliche Breite fordert; die Tragödie den nach i n n e n g e f ü h r t e n Menschen, und die Handlungen der echten Tragödie bedürfen daher nur weniges Raums. Der Motive kenne ich fünferlei Arten: 1. V o r w ä r t s s c h r e i t e n d e , welche die Handlung fördern; deren bedient sich vorzüglich das Drama. 2. R ü c k w ä r t s s c h r e i t e n d e , welche die Handlung von ihrem Ziele entfernen; deren bedient sich das epische Gedicht fast ausschließlich. 3. R e t a r d i e r e n d e , welche den Gang aufhalten oder den Weg verlängern; dieser bedienen sich beide Dichtarten mit dem größten Vorteile. 4. Z u r ü c k g r e i f e n d e , durch die dasjenige, was vor der Epoche des Gedichts geschehen ist, hereingehoben wird. 5. V o r g r e i f e n d e , die dasjenige, was nach der Epoche des Gedichts geschehen wird, antizipieren; beide Arten braucht der epische so wie der dramatische Dichter, um sein Gedicht vollständig zu machen. Die W e l t e n , welche zum Anschauen gebracht werden sollen, sind beiden gemein: 1. Die p h y s i s c h e , und zwar erstlich die n ä c h s t e , wozu die dargestellten Personen gehören und die sie umgibt. In dieser steht der Dramatiker meist auf einem Punkte fest, der Epiker bewegt sich freier in einem größern Lokal. Zweitens die e n t f e r n t e r e Welt, wozu ich die ganze Natur rechne. Diese bringt der epische Dichter, der sich überhaupt an die Imagination wendet, durch Gleichnisse näher, deren sich der Dramatiker sparsamer bedient. 2. Die s i t t l i c h e ist beiden ganz gemein und wird am glücklichsten in ihrer physiologischen und pathologischen Einfalt dargestellt. 3. Die Welt der P h a n t a s i e n , A h n u n g e n , E r s c h e i n u n g e n , Z u f ä l l e und S c h i c k s a l e . Diese steht beiden offen, nur versteht sich, daß sie an die sinnliche herangebracht werde; wobei denn für die Modernen eine besondere Schwierigkeit entsteht, weil wir für die Wundergeschöpfe, Götter, Wahrsager und Orakel der Alten, so sehr es zu wünschen wäre, nicht leicht Ersatz finden. Die Behandlung im ganzen betreffend, wird der Rhapsode, 85

der das vollkommen Vergangene vorträgt, als ein weiser Mann erscheinen, der in ruhiger Besonnenheit das Geschehene übersieht; sein Vortrag wird dahin zwecken, die Zuhörer zu beruhigen, damit sie ihm gern und lange zuhören, er wird das Interesse egal verteilen, weil er nicht im stände ist, einen allzu lebhaften Eindruck geschwind zu balancieren, er wird nach Belieben rückwärts und vorwärts greifen und wandeln; man wird ihm überall folgen, denn er hat es nur mit der Einbildungskraft zu tun, die sich ihre Bilder selbst hervorbringt, und der es auf einen gewissen Grad gleichgültig ist, was für welche sie aufruft. Der Rhapsode sollte als ein höheres Wesen in seinem Gedicht nicht selbst erscheinen; er läse hinter einem Vorhange am allerbesten, so daß man von aller Persönlichkeit abstrahierte und nur die Stimme der Musen im allgemeinen zu hören glaubte. Der Mime dagegen ist gerade in dem entgegengesetzten Fall; er stellt sich als ein bestimmtes Individuum dar, er will, daß man an ihm und seiner nächsten Umgebung ausschließlich teilnehme, daß man die Leiden seiner Seele und seines Körpers mitfühle, seine Verlegenheiten teile und sich selbst über ihn vergesse. Zwar wird auch er stufenweise zu Werke gehen, aber er kann viel lebhaftere Wirkungen wagen, weil bei sinnlicher Gegenwart auch sogar der stärkere Eindruck durch einen schwächern vertilgt werden kann. Der zuschauende Hörer muß von Rechts wegen in einer steten sinnlichen Anstrengung bleiben, er darf sich nicht zum Nachdenken erheben, er muß leidenschaftlich folgen, seine Phantasie ist ganz zum Schweigen gebracht, man darf keine Ansprüche an sie machen, und selbst was erzählt wird, muß gleichsam darstellend vor die Augen gebracht werden. V I I . A u s : N o t e n u n d A b h a n d l u n g e n zu b e s s e r e m V e r s t ä n d n i s des W e s t - ö s t l i c h e n Divans N a t u r f o r m e n der D i c h t u n g . Es gibt nur drei echte Naturformen der Poesie: die klar erzählende, die enthusiastisch aufgeregte und die persönlich handelnde: E p o s , L y r i k und D r a m a . Diese drei Dichtweisen können zusammen oder abgesondert wirken. In dem kleinsten Gedicht findet man sie oft beisammen,•* und sie bringen eben Ο 86

durch diese Vereinigung im engsten Räume das herrlichste Gebild hervor, wie wir an den schätzenswertesten Balladen aller Völker deutlich gewahr werden. Im älteren griechischen Trauerspiel sehen wir sie gleichfalls alle drei verbunden, und erst in einer gewissen Zeitfolge sondern sie sich. So lange der Chor die Hauptperson spielt, zeigt sich Lyrik obenan; wie der Chor mehr Zuschauer wird, treten die andern hervor, und zuletzt, wo die Handlung sich persönlich und häuslich zusammenzieht, findet man den Chor unbequem und lästig. Im französischen Trauerspiel ist die Exposition episch, die Mitte dramatisch, und den fünften Akt, der leidenschaftlich und enthusiastisch ausläuft, kann man lyrisch nennen. Das Homerische Heldengedicht ist rein episch; der Rhapsode waltet immer vor, was sich ereignet, erzählt er; niemand darf den Mund auftun, dem er nicht vorher das Wort verliehen, dessen Rede und Antwort er nicht angekündigt. Abgebrochene Wechselreden, die schönste Zierde des Dramas, sind nicht zulässig. Höre man aber nun den modernen Improvisator auf öffentlichem Markte, der einen geschichtlichen Gegenstand behandelt; er wird, um deutlich zu sein, erst erzählen, dann, um Interesse zu erregen, als handelnde Person sprechen, zuletzt enthusiastisch auflodern und die Gemüter hinreißen. So wunderlich sind diese Elemente zu verschlingen, die Dichtarten bis ins Unendliche mannigfaltig; und deshalb auch so schwer eine Ordnung zu finden, wonach man sie neben oder nach einander aufstellen könnte. Man wird sich aber einigermaßen dadurch helfen, daß man die drei Hauptelemente in einem Kreis gegen einander über stellt und sich Musterstücke sucht, wo jedes Element einzeln obwaltet. Alsdann sammle man Beispiele, die sich nach der einen oder nach der andern Seite hinneigen, bis endlich die Vereinigung von allen dreien erscheint und somit der ganze Kreis in sich geschlossen ist. Auf diesem Wege gelangt man zu schönen Ansichten, sowohl der Dichtarten, als des Charakters der Nationen und ihres Geschmacks in einer Zeitfolge. Und obgleich diese Verfahrungsart mehr zu eigner Belehrung, Unterhaltung und Maßregel als zum Unterricht anderer geeignet sein mag, so wäre doch vielleicht ein Schema aufzustellen, welches zugleich die äußeren zufälligen Formen und diese inneren notwendigen 87

Uranfänge in faßlicher Ordnung darbrächte. Der Versuch jedoch wird immer so schwierig sein als in der Naturkunde das Bestreben, den Bezug auszufinden der äußeren Kennzeichen von Mineralien und Pflanzen zu ihren inneren Bestandteilen, um eine naturgemäße Ordnung dem Geiste darzustellen. V I I I . A u s - . P r o l o g zu E r ö f f n u n g des B e r l i n e r T h e a t e r s am 26. M a i 1 8 2 1 . . . Vom tragisch Reinen stellen wir euch dar Des düstern Wollens traurige Gefahr; Der kräftige Mann, voll Trieb und willevoll, Er kennt sich nicht, er weiß nicht, was er soll, Er scheint sich unbezwinglich wie sein Mut Und wütet hin, erreget fremde Wut Und wird zuletzt verderblich überrennt Von einem Schicksal, das er auch nicht kennt. Unmaß in der Beschränkung hat zuletzt Die Herrlichsten dem Übel ausgesetzt, Und ohne Zeus und Fatum, spricht mein Mund, Ging Agamemnon, ging Achill zu Grund. Ein solches Drama, wer es je getan, Es stand dem Griechenvolk am besten an; Sie haben, großen Sinns und geistiger Macht, Mit wenigen Figuren das vollbracht. Nach Jahren stürmt's auf wogem Wellenmeere; Wir führen euch zum Schauplatz ganze Heere. Die Mittelzeit gebieret Mann für Mann, Der Tüchtige hilft sich, wie er helfen kann, Und wenn zuletzt ihm Fehl zu Fehle schlägt, Ergibt er sich dem Kreuze, das er trägt. Was Dulden sei, erscheint ihm nur gering, Weil er im Handeln an zu dulden fing; Entsagung heiligt Kriegs- und Pilgerschritt, Sie treibt's, zu leiden, weil der Höchste litt. Nun aber zwischen beiden liegt, so zart. Ein Mittelglied von eigner holder Art. Schicksal und Glaube finden keinen Teil. 88

In reiner Brust allein ruht alles Heil: Denn immerfort, bei allem, was geschah, Blieb uns ein Gott im Innersten so nah; Wo Erd' und Himmel sich im Gruße segnen, Dem Staunenden als Herrlichstes begegnen.. . IX. Nachlese

zu A r i s t o t e l e s '

Poetik

Ein jeder, der sich einigermaßen um die Theorie der Dichtkunst überhaupt, besonders aber der Tragödie bekümmert hat, wird sich einer Stelle des Aristoteles erinnern, welche den Auslegern viel Not machte, ohne daß sie sich über ihre Bedeutung völlig hätten verständigen können. In der nähern Bezeichnung der Tragödie nämlich scheint der große Mann von ihr zu verlangen, daß sie durch Darstellung Mitleid und Furcht erregender Handlungen und Ereignisse von den genannten Leidenschaften das Gemüt des Zuschauers reinigen solle. Meine Gedanken und Überzeugung von gedachter Stelle glaube ich aber am besten durch eine Übersetzung derselben mitteilen zu können. „Die Tragödie ist die Nachahmung einer bedeutenden und abgeschlossenen Handlung, die eine gewisse Ausdehnung hat und in anmutiger Sprache vorgetragen wird, und zwar von abgesonderten Gestalten, deren jede ihre eigne Rolle spielt, und nicht erzählungsweise von einem einzelnen; nach einem Verlauf aber von Mitleid und Furcht mit Ausgleichung solcher Leidenschaften ihr Geschäft abschließt." Durch vorstehende Übersetzung glaube ich nun die bisher dunkel geachtete Stelle ins klare gesetzt zu sehen und füge nur folgendes hinzu. Wie konnte Aristoteles in seiner jederzeit auf den Gegenstand hinweisenden Art, indem er ganz eigentlich von der Konstruktion des Trauerspiels redet, an die Wirkung und, was mehr ist, an die entfernte Wirkung denken, welche eine Tragödie auf den Zuschauer vielleicht machen würde? Keineswegs! er spricht ganz klar und richtig aus: wenn sie durch einen Verlauf von Mitleid und Furcht erregenden Mitteln durchgegangen, so müsse sie mit Ausgleichung, mit Versöhnung solcher Leidenschaften zuletzt auf dem Theater ihre Arbeit abschließen. E r versteht unter K a t h a r s i s diese aussöhnende Abrundung, 89

welche eigentlich von allem Drama, ja sogar von allen poetischen Werken gefordert wird. In der Tragödie geschieht sie durch eine Art Menschenopfer, es mag nun wirklich vollbracht oder, unter Einwirkung einer günstigen Gottheit, durch ein Surrogat gelöst werden, wie im Falle Abrahams und Agamemnons; genug, eine Söhnung, eine Lösung ist zum Abschluß unerläßlich, wenn die Tragödie ein vollkommnes Dichtwerk sein soll. Diese Lösung aber, durch einen günstigen, gewünschten Ausgang bewirkt, nähert sich schon der Mittelgattung, wie die Rückkehr der Alceste; dagegen im Lustspiel gewöhnlich zu Entwirrung aller Verlegenheiten, welche ganz eigentlich das Geringere von Furcht und Hoffnung sind, die Heirat eintritt, die, wenn sie auch das Leben nicht abschließt, doch darin einen bedeutenden und bedenklichen Abschnitt macht. Niemand will sterben, jedermann heiraten, und darin liegt der halb scherz-, halb ernsthafte Unterschied zwischen Trauer- und Lustspiel [aristotelischer] Ästhetik. Ferner bemerken wir, daß die Griechen ihre Trilogie zu solchem Zwecke benutzt: denn es gibt wohl keine höhere Katharsis als der O e d i p u s v o n K o l o n u s , wo ein halbschuldiger Verbrecher, ein Mann, der durch dämonische Konstitution, durch eine düstere Heftigkeit seines Daseins, gerade bei der Großheit seines Charakters, durch immerfort übereilte Tatausübung den ewig unerforschlichen, unbegreiflich-folgerechten Gewalten in die Hände rennt, sich selbst und die Seinigen in das tiefste, unherstellbarste Elend stürzt und doch zuletzt noch aussöhnend ausgesöhnt und zum Verwandten der Götter, als segnender Schutzgeist eines Landes eines eignen Opferdienstes wert, erhoben wird. Hierauf gründet sich nun auch die Maxime des großen Meisters, daß man den Helden der Tragödie weder ganz schuldig, noch ganz schuldfrei darstellen müsse. Im ersten Falle wäre die Katharsis bloß stoffartig, und der ermordete Bösewicht zum Beispiel schiene nur der ganz gemeinen Justiz entgangen; im zweiten Falle ist sie nicht möglich: denn dem Schicksal oder dem menschlich Einwirkenden fiele die Schuld einer allzuschweren Ungerechtigkeit zur Last. Übrigens mag ich bei diesem Anlaß, wie bei jedem andern, mich nicht gern polemisch benehmen; anzuführen habe ich 90

jedoch, wie man sich mit Auslegung dieser Stelle bisher beholfen. Aristoteles nämlich hatte in der Politik ausgesprochen, daß die Musik zu sittlichen Zwecken bei der Erziehung benutzt werden könnte, indem ja durch heilige Melodien die in den Orgien erst aufgeregten Gemüter wieder besänftigt würden und also auch wohl andere Leidenschaften dadurch könnten ins Gleichgewicht gebracht werden. Daß hier von einem analogen Fall die Rede sei, leugnen wir nicht, allein er ist nicht identisch. Die Wirkungen der Musik sind stoffartiger, wie solches Händel in seinem A l e x a n d e r s f e s t durchgeführt hat, und wie wir auf jedem Ball sehen können, wo ein nach sittig-galanter Polonaise aufgespielter Walzer die sämtliche Jugend zu bacchischem Wahnsinn hinreißt. Die Musik aber, so wenig als irgend eine Kunst, vermag auf Moralität zu wirken, und immer ist es falsch, wenn man solche Leistungen von ihnen verlangt. Philosophie und Religion vermögen dies allein; Pietät und Pflicht müssen aufgeregt werden, und solche Erweckungen werden die Künste nur zufällig veranlassen. Was sie aber vermögen und wirken, das ist eine Milderung roher Sitten, welche aber gar bald in Weichlichkeit ausartet. Wer nun auf dem Wege einer wahrhaft sittlichen inneren Ausbildung fortschreitet, wird empfinden und gestehen, daß Tragödien und tragische Romane den Geist keineswegs beschwichtigen, sondern das Gemüt und das, was wir das Herz nennen, in Unruhe versetzen und einem vagen, unbestimmten Zustande entgegenführen; diesen liebt die Jugend und ist daher für solche Produktionen leidenschaftlich eingenommen. Wir kehren zu unserm Anfang zurück und wiederholen: Aristoteles spricht von der Konstruktion der Tragödie, insofern der Dichter, sie als Objekt aufstellend, etwas würdig Anziehendes, Schau- und Hörbares abgeschlossen hervorzubringen denkt. Hat nun der Dichter an seiner Stelle seine Pflicht erfüllt, einen Knoten bedeutend geknüpft und würdig gelöst, so wird dann dasselbe in dem Geiste des Zuschauers vorgehen: die Verwicklung wird ihn verwirren, die Auflösung aufklären, er aber um nichts gebessert nach Hause gehen; er würde vielmehr, wenn er ascetisch aufmerksam genug wäre, sich über sich selbst verwundern, daß er eben so leichtsinnig als hartnäckig, eben so 91

heftig als schwach, eben so liebevoll als lieblos sich wieder in seiner Wohnung findet, wie er hinausgegangen. Und so glauben wir alles, was diesen Punkt betrifft, gesagt zu haben, wenn sich schon dieses Thema durch weitere Ausführung noch mehr ins klare setzen ließe. X . A u s : M a x i m e n und R e f l e x i o n e n Ein dramatisches Werk zu verfassen, dazu gehört Genie. Am Ende soll die Empfindung, in der Mitte die Vernunft, am Anfang der Verstand vorwalten und alles gleichmäßig durch eine lebhaft-klare Einbildungskraft vorgetragen werden. Des tragischen Dichters Aufgabe und Tun ist nichts anders, als ein psychisch-sittliches Phänomen, in einem faßlichen Experiment dargestellt, in der Vergangenheit nachzuweisen. Was man Motive nennt, sind also eigentlich Phänomene des Menschengeistes, die sich wiederholt haben und wiederholen werden, und die der Dichter nur als historische nachweist. XI. Aus B r i e f e n und Gesprächen An Schiller, 9. Dezember 1797 . . . Ohne ein lebhaftes pathologisches Interesse ist es auch mir niemals gelungen, irgend eine tragische Situation zu bearbeiten, und ich habe sie daher lieber vermieden, als aufgesucht. . . Ich kenne mich zwar nicht selbst genug, um zu wissen, ob ich eine wahre Tragödie schreiben könnte, ich erschrecke aber bloß vor dem Unternehmen und bin beinahe überzeugt, daß ich mich durch den bloßen Versuch zerstören könnte... An Zelter, 31. Oktober 1831 . . . Ich bin nicht zum tragischen Dichter geboren, da meine Natur konziliant ist; daher kann der rein-tragische Fall mich nicht interessieren, welcher eigentlich von Haus aus unversöhnlich sein muß, und in dieser übrigens so äußerst platten Welt kommt mir das Unversöhnliche ganz absurd v o r . . . Friedrich von Müller berichtet in seinem Tagebuch am 6. Juni 1824: 92

Alles Tragische beruht auf einem utiausgleichbaren Gegensatz. Sowie Ausgleichung eintritt oder möglich, schwindet das Tragische. Aus den Gesprächen mit Riemer: Die Tragödie sei bloß für die Niederträchtigkeit der Menschen. Kein Held sei so niederträchtig und jämmerlich, wie er in der Tragödie erschiene. Aus dem Gespräch mit Eckermann vom 2. März 1827: . . . Freilich leben wir alle in Familien und im Staat, und es trifft uns nicht leicht ein tragisches Schicksal, das uns nicht als Glieder von beiden träfe. Doch können wir auch ganz gut tragische Personen sein, und wären wir bloße Familien- oder wären wir bloße Staatsglieder. Denn es kommt im Grunde bloß auf den Konflikt an, der keine Auflösung zuläßt, und dieser kann entstehen aus dem Widerspruch welcher Verhältnisse er wolle, wenn er nur einen echten Naturgrund hinter sich hat und nur ein echt tragischer ist. So geht der Aias zu Grunde an dem Dämon verletzten Ehrgefühls, und der Herkules an dem Dämon liebender Eifersucht. In beiden Fällen ist nicht der geringste Konflikt von Familienpietät und Staatstugend vorhanden, welches doch nach Hinrichs die Elemente der griechischen Tragödie sein sollen . . .

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FRIEDRICH

SCHILLER

I . A u s : D i e S c h a u b ü h n e als eine m o r a l i s c h e A n s t a l t betrachtet . . . Die Gerichtsbarkeit der Bühne fängt an, wo das Gebiet der weltlichen Gesetze sich endigt. Wenn die Gerechtigkeit für Gold verbündet und im Solde der Laster schwelgt, wenn die Frevel der Mächtigen ihrer Ohnmacht spotten und Menschenfurcht den Arm der Obrigkeit bindet, übernimmt die Schaubühne Schwert und Wage und reißt die Laster vor einen schrecklichen Richterstuhl. Das ganze Reich der Phantasie und Geschichte, Vergangenheit und Zukunft stehen ihrem Wink zu Gebot. Kühne Verbrecher, die längst schon im Staub vermodern, werden durch den allmächtigen Ruf der Dichtkunst jetzt vorgeladen und wiederholen zum schauervollen Unterricht der Nachwelt ein schändliches Leben. Ohnmächtig, gleich den Schatten in einem Hohlspiegel, wandeln die Schrecken ihres Jahrhunderts vor unsern Augen vorbei, und mit wollüstigem Entsetzen verfluchen wir ihr Gedächtnis. Wenn keine Moral mehr gelehrt wird, keine Religion mehr Glauben findet, wenn kein Gesetz mehr vorhanden ist, wird uns Medea noch anschauern, wenn sie die Treppen des Palastes herunter wankt und der Kindermord jetzt geschehen ist. Heilsame Schauer werden die Menschheit ergreifen, und in der Stille wird jeder sein gutes Gewissen preisen, wenn Lady Macbeth, eine schreckliche Nachtwandlerin, ihre Hände wäscht und alle Wohlgerüche Arabiens herbeiruft, den häßlichen Mordgeruch zu vertilgen. So gewiß sichtbare Darstellung mächtiger wirkt als toter Buchstab und kalte Erzählung, so gewiß wirkt die Schaubühne tiefer und dauernder als Moral und Gesetze... Unmöglich kann ich hier den großen Einfluß übergehen, den eine gute stehende Bühne auf den Geist der Nation haben würde. Nationalgeist eines Volks nenne ich die Ähnlichkeit und Übereinstimmung seiner Meinungen und Neigungen bei Gegenständen, worüber eine andere Nation anders meint und empfindet. Nur der Schaubühne ist es möglich, diese Überein-

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Stimmung in einem hohen Grad zu bewirken, weil sie das ganze Gebiet des menschlichen Wissens durchwandert, alle Situationen des Lebens erschöpft und in alle Winkel des Herzens hinunter leuchtet; weil sie alle Stände und Klassen in sich vereinigt und den gebahntesten Weg zum Verstand und zum Herzen hat. Wenn in allen unsern Stücken ein Hauptzug herrschte, wenn unsre Dichter unter sich einig werden und einen festen Bund zu diesem Endzweck errichten wollten wenn strenge Auswahl ihre Arbeiten leitete, ihr Pinsel nur Volksgegenständen sich weihte - mit einem Wort, wenn wir es erlebten, eine Nationalbühne zu haben, so würden wir auch eine Nation. Was kettete Griechenland so fest aneinander ? Was zog das Volk so unwiderstehlich nach seiner Bühne ? - Nichts anders als der vaterländische Inhalt der Stücke, der griechische Geist, das große überwältigende Interesse des Staats, der besseren Menschheit, das in denselbigen atmete. . . . Die Schaubühne ist die Stiftung, wo sich Vergnügen mit Unterricht, Ruhe mit Anstrengung, Kurzweil mit Bildung gattet, wo keine Kraft der Seele zum Nachteil der andern gespannt, kein Vergnügen auf Unkosten des Ganzen genossen wird. Wenn Gram an dem Herzen nagt, wenn trübe Laune unsre einsamen Stunden vergiftet, wenn uns Welt und Geschäfte anekeln, wenn tausend Lasten unsre Seele drücken und unsre Reizbarkeit unter Arbeiten des Berufs zu ersticken droht, so empfängt uns die Bühne - in dieser künstlichen Welt träumen wir die wirkliche hinweg, wir werden uns selbst wieder gegeben, unsre Empfindung erwacht, heilsame Leidenschaften erschüttern unsre schlummernde Natur und treiben das Blut in frischeren Wallungen. Der Unglückliche weint hier mit fremdem Kummer seinen eigenen aus - der Glückliche wird nüchtern und der Sichere besorgt. Der empfindsame Weichling härtet sich zum Manne, der rohe Unmensch fängt hier zum erstenmal zu empfinden an. Und dann endlich - welch ein Triumph für dich, Natur! - so oft zu Boden getretene, so oft wieder auferstehende N a t u r ! - w e n n Menschen aus allen Kreisen und Zonen und Ständen, abgeworfen jede Fessel der Künstelei und der Mode, herausgerissen aus jedem Drange des Schicksals, durch eine allwebende Sympathie verbrüdert, in ein Geschlecht wieder aufgelöst, ihrer selbst und der Welt vergessen und ihrem himmlischen Ursprung sich nähern. Jeder 95

einzelne genießt die Entzückungen aller, die verstärkt und verschönert aus hundert Augen auf ihn zurückfallen, und seine Brust gibt jetzt nur e i n e r Empfindung Raum - es ist diese: ein M e n s c h zu sein. II. A u s : Ü b e r den G r u n d des V e r g n ü g e n s an tragischen Gegenständen . . . Die Naturzweckmäßigkeit könnte noch immer problematisch sein, die moralische ist uns erwiesen. Sie allein gründet sich auf unsre vernünftige Natur und auf innre Notwendigkeit. Sie ist uns die nächste, die wichtigste und zugleich die erkennbarste, weil sie durch nichts von außen, sondern durch ein innres Prinzip unsrer Vernunft bestimmt wird. Sie ist das Palladium unsrer Freiheit. Diese moralische Zweckmäßigkeit wird am lebendigsten erkannt, wenn sie im Widerspruch mit andern die Oberhand behält ; nur dann erweist sich die ganze Macht des Sittengesetzes, wenn es mit allen übrigen Naturkräften im Streit gezeigt wird und alle neben ihm ihre Gewalt über ein menschliches Herz verlieren. Unter diesen Naturkräften ist alles begriffen, was nicht moralisch ist, alles, was nicht unter der höchsten Gesetzgebung der Vernunft stehet; also Empfindungen, Triebe, Affekte, Leidenschaften so gut als die physische Notwendigkeit und das Schicksal. Je furchtbarer die Gegner, desto glorreicher der Sieg; der Widerstand allein kann die Kraft sichtbar machen. Aus diesem folgt, ,,daß das höchste Bewußtsein unsrer moralischen Natur nur in einem gewaltsamen Zustande, im Kampfe, erhalten werden kann, und daß das höchste moralische Vergnügen jederzeit von Schmerz begleitet sein wird". Diejenige Dichtungsart also, welche uns die moralische Lust in vorzüglichem Grade gewährt, muß sich eben deswegen der gemischten Empfindungen bedienen und uns durch den Schmerz ergötzen. Dies tut vorzugsweise die T r a g ö d i e , und ihr Gebiet umfaßt alle mögliche Fälle, in denen irgend eine Naturzweckmäßigkeit einer moralischen, oder auch eine moralische Zweckmäßigkeit der andern, die höher ist, aufgeopfert wird. Es wäre vielleicht nicht unmöglich, nach dem Verhältnis, in welchem die moralische Zweckmäßigkeit im Widerspruch mit der andern erkannt und empfunden wird, eine 96

Stufenleiter des Vergnügens von der untersten bis zur höchsten hinaufzuführen und den Grad der angenehmen oder schmerzhaften Rührung a priori aus dem Prinzip der Zweckmäßigkeit bestimmt anzugeben. Ja vielleicht ließen sich aus eben diesem Prinzip bestimmte Ordnungen der Tragödie ableiten und alle mögliche Klassen derselben a priori in einer vollständigen Tafel erschöpfen; so, daß man im stände wäre, jeder gegebenen Tragödie ihren Platz anzuweisen und den Grad sowohl als die Art der Rührung im voraus zu berechnen, über den sie sich, vermöge ihrer Spezies, nicht erheben kann. Aber dieser Gegenstand bleibt einer eigenen Erörterung vorbehalten... Zweckmäßigkeit gewährt uns unter allen Umständen Vergnügen, sie beziehe sich entweder gar nicht auf das Sittliche, oder sie widerstreite demselben. Wir genießen dieses Vergnügen rein, so lange wir uns keines sittlichen Zwecks erinnern, dem dadurch widersprochen wird, Ebenso, wie wir uns an dem verstandähnlichen Instinkt der Tiere, an dem Kunstfleiß der Bienen u. dgl. ergötzen, ohne diese Naturzweckmäßigkeit auf einen verständigen Willen, noch weniger auf einen moralischen Zweck zu beziehen, so gewährt uns die Zweckmäßigkeit eines jeden menschlichen Geschäfts an sich selbst Vergnügen, sobald wir uns weiter nichts dabei denken als das Verhältnis der Mittel zu ihrem Zweck. Fällt es uns aber ein, diesen Zweck nebst seinen Mitteln auf ein sittliches Prinzip zu beziehen, und entdecken wir alsdann einen Widerspruch mit dem letztern, kurz, erinnern wir uns, daß es die Handlung eines moralischen Wesens ist, so tritt eine tiefe Indignation an die Stelle jenes ersten Vergnügens, und keine noch so große Verstandeszweckmäßigkeit ist fähig, uns mit der Vorstellung einer sittlichen Zweckwidrigkeit zu versöhnen. Nie darf es uns lebhaft werden, daß dieser Richard III., dieser Jago, dieser Lovelace Menschen sind, sonst wird sich unsre Teilnahme unausbleiblich in ihr Gegenteil verwandeln. Daß wir aber ein Vermögen besitzen und auch häufig genug ausüben, unsre Aufmerksamkeit von einer gewissen Seite der Dinge freiwillig abzulenken und auf eine andre zu richten, daß das Vergnügen selbst, welches durch diese Absonderung allein für uns möglich ist, uns dazu einladet und dabei festhält, wird durch die tägliche Erfahrung bestätigt. Nicht selten aber gewinnt ei ne geistreiche Bosheit vorzüglich 7

Wiese, D e u t s c h e Dran s t u r g i c

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deswegen unsre Gunst, weil sie ein Mittel ist, uns den Genuß der moralischen Zweckmäßigkeit zu verschaffen. Je gefährlicher die Schlingen sind, welche Lovelace Ciarissens Tugend legt, je härter die Proben sind, auf welche die erfinderische Grausamkeit eines Despoten die Standhaftigkeit seines unschuldigen Opfers stellt, in desto höherem Glanz sehen wir die moralische Zweckmäßigkeit triumphieren. Wir freuen uns über die Macht des moralischen Pflichtgefühls, welches die Erfindungskraft eines Verführers so sehr in Arbeit setzen kann. Hingegen rechnen wir dem konsequenten Bösewicht die Besiegung des moralischen Gefühls, von dem wir wissen, daß es sich notwendig in ihm regen mußte, zu einer Art von Verdienst an, weil es von einer gewissen Stärke der Seele und einer großen Zweckmäßigkeit des Verstandes zeugt, sich durch keine moralische Regung in seinem Handeln irre machen zu lassen. Übrigens ist es unwidersprechlich, daß eine zweckmäßige Bosheit nur alsdann der Gegenstand eines vollkommenen Wohlgefallens werden kann, wenn sie vor der moralischen Zweckmäßigkeit zu Schanden wird. Dann ist sie sogar eine wesentliche Bedingung des höchsten Wohlgefallens, weil sie allein vermag, die Übermacht des moralischen Gefühls recht einleuchtend zu machen. Es gibt davon keinen überzeugendem Beweis als den letzten Eindruck, mit dem uns der Verfasser der Clarissa entläßt. Die höchste Verstandeszweckmäßigkeit, die wir in dem Verführungsplane des Lovelace unfreiwillig bewundern mußten, wird durch die Vernunftzweckmäßigkeit, welche Clarissa diesem furchtbaren Feind ihrer Unschuld entgegensetzt, glorreich übertroffen, und wir sehen uns dadurch in den Stand gesetzt, den Genuß beider in einem hohen Grad zu vereinigen. Insoferne sich der tragische Dichter zum Ziel setzt, das Gefühl der moralischen Zweckmäßigkeit zu einem lebendigen Bewußtsein zu bringen, insofern er also die Mittel zu diesem Zwecke verständig wählt und anwendet, muß er den Kenner jederzeit auf eine gedoppelte Art, durch die moralische und durch die Naturzweckmäßigkeit, ergötzen. Durch jene wird er das Herz, durch diese den Verstand befriedigen. Der große Haufe erleidet gleichsam blind die von dem Künstler auf das Herz beabsichtete Wirkung, ohne die Magie zu durchblicken, vermittelst welcher die Kunst diese Macht über ihn ausübte... 98

I I I . A u s : Ü b e r die t r a g i s c h e K u n s t . . . Wenn wir nunmehr die Resultate aus den bisherigen Untersuchungen ziehen, so sind es folgende Bedingungen, welche der tragischen Rührung zum Grund liegen. Erstlich muß der Gegenstand unsers Mitleids zu unsrer Gattung im ganzen Sinn dieses Worts gehören und die Handlung, an der wir teilnehmen sollen, eine moralische, d. i. unter dem Gebiet der Freiheit begriffen sein. Zweitens muß uns das Leiden, seine Quellen und seine Grade, in einer Folge verknüpfter Begebenheiten vollständig mitgeteilt und zwar drittens sinnlich vergegenwärtigt, nicht mittelbar durch Beschreibung, sondern unmittelbar durch Handlung dargestellt werden. Alle diese Bedingungen vereinigt und erfüllt die Kunst in der Tragödie. Die Tragödie wäre demnach dichterische Nachahmung einer zusammenhängenden Reihe von Begebenheiten (einer vollständigen Handlung), welche uns Menschen in einem Zustand des Leidens zeigt und zur Absicht hat, unser Mitleid zu erregen. Sie ist erstlich Nachahmung einer Handlung. Der Begriff der Nachahmung unterscheidet sie von den übrigen Gattungen der Dichtkunst, welche bloß erzählen oder beschreiben. In Tragödien werden die einzelnen Begebenheiten im Augenblick ihres Geschehens, als gegenwärtig, vor die Einbildungskraft oder vor die Sinne gestellt; unmittelbar, ohne Einmischung eines dritten. Die Epopöe, der Roman, die einfache Erzählung rücken die Handlung, schon ihrer Form nach, in die Ferne, weil sie zwischen den Leser und die handelnden Personen den Erzähler einschieben. Das Entfernte, das Vergangene schwächt aber, wie bekannt ist, den Eindruck und den teilnehmenden Affekt; das Gegenwärtige verstärkt ihn. Alle erzählende Formen machen das Gegenwärtige zum Vergangenen; alle dramatische machen das Vergangene gegenwärtig. Die Tragödie ist zweitens Nachahmung einer Reihe von Begebenheiten, einer Handlung. Nicht bloß die Empfindungen und Affekte der tragischen Personen, sondern die Begebenheiten, aus denen sie entsprangen und auf deren Veranlassung sie sich äußern, stellt sie nachahmend dar; dies unterscheidet sie von den lyrischen Dichtungsarten, welche zwar ebenfalls gewisse Zustände des Gemüts poetisch nachahmen, aber nicht Handlungen. Eine Elegie, ein Lied, eine Ode können uns die 99

gegenwärtige, durch besondre Umstände bedingte Gemütsbeschaffenheit des Dichters (sei es in seiner eignen Person oder in idealischer) nachahmend vor Augen stellen, und insoferne sind sie zwar unter dem Begriff der Tragödie mit enthalten, aber sie machen ihn noch nicht aus, weil sie sich bloß auf Darstellungen von Gefühlen einschränken. Noch wesentlichere Unterschiede liegen in dem verschiedenen Zweck dieser Dichtungsarten. Die Tragödie ist drittens Nachahmung einer vollständigen Handlung. Ein einzelnes Ereignis, wie tragisch es auch sein mag, gibt noch keine Tragödie. Mehrere als Ursache und Wirkung in einander gegründete Begebenheiten müssen sich mit einander zweckmäßig zu einem Ganzen verbinden, wenn die Wahrheit, d.i. die Übereinstimmung eines vorgestellten Affekts, Charakters und dergleichen mit der Natur unsrer Seele, auf welche allein sich unsre Teilnahme gründet, erkannt werden soll. Wenn wir es nicht fühlen, daß wir selbst bei gleichen Umständen ebenso würden gelitten und ebenso gehandelt haben, so wird unser Mitleid nie erwachen. Es kommt also darauf an, daß wir die vorgestellte Handlung in ihrem ganzen Zusammenhang verfolgen, daß wir sie aus der Seele ihres Urhebers durch eine natürliche Gradation unter Mitwirkung äußrer Umstände hervorfließen sehen. So entsteht und wächst und vollendet sich vor unsern Augen die Neugier des Oedipus, die Eifersucht des Othello. So kann auch allein der große Abstand ausgefüllt werden, der sich zwischen dem Frieden einer schuldlosen Seele und den Gewissensqualen eines Verbrechers, zwischen der stolzen Sicherheit eines Glücklichen und seinem schrecklichen Untergang, kurz, der sich zwischen der ruhigen Gemütsstimmung des Lesers am Anfang und der heftigen Aufregung seiner Empfindungen am Ende der Handlung findet. Eine Reihe mehrerer zusammenhängender Vorfälle wird erfordert, einen Wechsel der Gemütsbewegungen in uns zu erregen, der die Aufmerksamkeit spannt, der jedes Vermögen unsers Geistes aufbietet, den ermattenden Tätigkeitstrieb ermuntert und durch die verzögerte Befriedigung ihn nur desto heftiger entflammt. Gegen die Leiden der Sinnlichkeit findet das Gemüt nirgends als in der Sittlichkeit Hilfe. Diese also desto dringender aufzufordern, muß der tragische Künstler die Martern der Sinnlichkeit verlängern; aber auch dieser muß er Befriedigung zeigen, um jener den Sieg desto schwerer und rühmlicher zu

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machen. Beides ist nur durch eine Reihe von Handlungen möglich, die mit weiser Wahl zu dieser Absicht verbunden sind. Die Tragödie ist viertens poetische Nachahmung einer mitleidswürdigen Handlung, und dadurch wird sie der historischen entgegengesetzt. Das letztere würde sie sein, wenn sie einen historischen Zweck verfolgte, wenn sie darauf ausginge, von geschehenen Dingen und von der Art ihres Geschehens zu unterrichten. In diesem Falle müßte sie sich streng an historische Richtigkeit halten, weil sie einzig nur durch treue Darstellung des wirklich Geschehenen ihre Absicht erreichte. Aber die Tragödie hat einen poetischen Zweck, d.i. sie stellt eine Handlung dar, um zu rühren und durch Rührung zu ergötzen. Behandelt sie also einen gegebenen Stoff nach diesem ihrem Zwecke, so wird sie eben dadurch in der Nachahmung frei; sie erhält Macht, ja Verbindlichkeit, die historische Wahrheit den Gesetzen der Dichtkunst unterzuordnen und den gegebenen Stoff nach ihrem Bedürfnisse zu bearbeiten. Da sie aber ihren Zweck, die Rührung, nur unter der Bedingung der höchsten Übereinstimmung mit den Gesetzen der Natur zu erreichen im stände ist, so steht sie, ihrer historischen Freiheit unbeschadet, unter dem strengen Gesetz der Naturwahrheit, welche man im Gegensatz von der historischen die poetische Wahrheit nennt. So läßt sich begreifen, wie bei strenger Beobachtung der historischen Wahrheit nicht selten die poetische leiden, und umgekehrt bei grober Verletzung der historischen die poetische nur um so mehr gewinnen kann. Da der tragische Dichter, so wie überhaupt jeder Dichter, nur unter dem Gesetz der poetischen Wahrheit steht, so kann die gewissenhafteste Beobachtung der historischen ihn nie von seiner Dichterpflicht lossprechen, nie einer Übertretung der poetischen Wahrheit, nie einem Mangel des Interesse zur Entschuldigung gereichen. Es verrät daher sehr beschränkte Begriffe von der tragischen Kunst, ja von der Dichtkunst überhaupt, den Tragödiendichter vor das Tribunal der Geschichte zu ziehen und Unterricht von demjenigen zu fordern, der sich schon vermöge seines Namens bloß zu Rührung und Ergötzung verbindlich macht. Sogar dann, wenn sich der Dichter selbst durch eine ängstliche Unterwürfigkeit gegen historische Wahrheit seines Künstlervorrechts begeben und der Geschichte eine Gerichtsbarkeit über sein Produkt stillschweigend eingeräumt haben sollte, fordert die Kunst ihn mit allem 101

Rechte vor ihren Richterstuhl, und ein Tod Hermanns, eine Minona, ein Fust von Stromberg würden, wenn sie hier die Prüfung nicht aushielten, bei noch so pünktlicher Befolgung der Kostüme, des Volks- und des Zeitcharakters mittelmäßige Tragödien heißen. Die Tragödie ist fünftens Nachahmung einer Handlung, welche uns Menschen im Zustand des Leidens zeigt. Der Ausdruck „Menschen" ist hier nichts weniger als müßig und dient dazu, die Grenzen genau zu bezeichnen, in welche die Tragödie in der Wahl ihrer Gegenstände eingeschränkt ist. Nur das Leiden sinnlichmoralischer Wesen, dergleichen wir selbst sind, kann unser Mitleid erwecken. Wesen also, die sich von aller Sittlichkeit lossprechen, wie sich der Aberglaube des Volks oder die Einbildungskraft der Dichter die bösen Dämonen malt, und Menschen, welche ihnen gleichen, - Wesen ferner, die von dem Zwange der Sinnlichkeit befreit sind, wie wir uns die reinen Intelligenzen denken, und Menschen, die sich in höherm Grade, als die menschliche Schwachheit erlaubt, diesem Zwange entzogen haben, sind gleich untauglich für die Tragödie. Uberhaupt bestimmt schon der Begriff des Leidens, und eines Leidens, an dem wir teilnehmen sollen, daß nur Menschen im vollen Sinne dieses Worts der Gegenstand desselben sein können. Eine reine Intelligenz kann nicht leiden, und ein menschliches Subjekt, das sich dieser reinen Intelligenz in ungewöhnlichem Grade nähert, kann, weil es in seiner sittlichen Natur einen zu schnellen Schutz gegen die Leiden einer schwachen Sinnlichkeit findet, nie einen großen Grad von Pathos erwecken. Ein durchaus sinnliches Subjekt ohne Sittlichkeit, und solche, die sich ihm nähern, sind zwar des fürchterlichsten Grades von Leiden fähig, weil ihre Sinnlichkeit in überwiegendem Grade wirkt, aber von keinem sittlichen Gefühl aufgerichtet, werden sie diesem Schmerz zum Raube - und von einem Leiden, von einem durchaus hilflosen Leiden, von einer absoluten Untätigkeit der Vernunft wenden wir uns mit Unwillen und Abscheu hinweg. Der tragische Dichter gibt also mit Recht den gemischten Charakteren den Vorzug, und das Ideal seines Helden liegt in gleicher Entfernung zwischen dem ganz Verwerflichen und dem Vollkommenen. Die Tragödie endlich vereinigt alle diese Eigenschaften, um den mitleidigen Affekt zu erregen. Mehrere von den Anstalten,

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welche der tragische Dichter macht, ließen sich ganz füglich zu einem andern Zweck, ζ. B. einem moralischen, einem historischen u. a. benutzen; daß er aber gerade diesen und keinen andern sich vorsetzt, befreit ihn von allen Forderungen, die mit diesem Zweck nicht zusammenhängen, verpflichtet ihn aber auch zugleich, bei jeder besondern Anwendung der bisher aufgestellten Regeln sich nach diesem letzten Zwecke zu richten. Der letzte Grund, auf den sich alle Regeln für eine bestimmte Dichtungsart beziehen, heißt der Zweck dieser Dichtungsart; die Verbindung der Mittel, wodurch eine Dichtungsart ihren Zweck erreicht, heißt ihre Form. Zweck und Form stehen also mit einander in dem genauesten Verhältnis. Diese wird durch jenen bestimmt und als notwendig vorgeschrieben, und der erfüllte Zweck wird das Resultat der glücklich beobachteten Form sein. Da jede Dichtungsart einen ihr eigentümlichen Zweck verfolgt, so wird sie sich eben deswegen durch eine eigentümliche Form von den übrigen unterscheiden, denn die Form ist das Mittel, durch welches sie ihren Zweck erreicht. Eben das, was sie ausschließend vor den übrigen leistet, muß sie vermöge derjenigen Beschaffenheit leisten, die sie vor den übrigen ausschließend besitzt. Der Zweck der Tragödie ist: Rührung; ihre Form: Nachahmung einer zum Leiden führenden Handlung. Mehrere Dichtungsarten können mit der Tragödie einerlei Handlung zu ihrem Gegenstand haben. Mehrere Dichtungsarten können den Zweck der Tragödie, die Rührung, wenn gleich nicht als Hauptzweck, verfolgen. Das Unterscheidende der letztern besteht also im Verhältnis der Form zu dem Zwecke, d. i. in der Art und Weise, wie sie ihren Gegenstand in Rücksicht auf ihren Zweck behandelt, wie sie ihren Zweck durch ihren Gegenstand erreicht. Wenn der Zweck der Tragödie ist, den mitleidigen Affekt zu erregen, ihre Form aber das Mittel ist, durch welches sie diesen Zweck erreicht, so muß Nachahmung einer rührenden Handlung der Inbegriff aller Bedingungen sein, unter welchen der mitleidige Affekt am stärksten erregt wird. Die Form der Tragödie ist also die günstigste, um den mitleidigen Affekt zu erregen. Das Produkt einer Dichtungsart ist vollkommen, in welchem die eigentümliche Form dieser Dichtungsart zu Erreichung

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ihres Zweckes am besten benutzt worden ist. Eine Tragödie also ist vollkommen, in welcher die tragische Form, nämlich die Nachahmung einer rührenden Handlung, am besten benutzt worden ist, den mitleidigen Affekt zu erregen. Diejenige Tragödie würde also die vollkommenste sein, in welcher das erregte Mitleid weniger Wirkung des Stoffs als der am besten benutzten tragischen Form ist. Diese mag für das Ideal der Tragödie g e l t e n . . . I V . A u s : Ü b e r das P a t h e t i s c h e Darstellung des Leidens - als bloßen Leidens - ist niemals Zweck der Kunst, aber als Mittel zu ihrem Zweck ist sie derselben äußerst wichtig. Der letzte Zweck der Kunst ist die Darstellung des Übersinnlichen, und die tragische Kunst insbesondere bewerkstelligt dieses dadurch, daß sie uns die moralische Independenz von Naturgesetzen im Zustand des Affekts versinnlicht. Nur der Widerstand, den es gegen die Gewalt der Gefühle äußert, macht das freie Prinzip in uns kenndich; der Widerstand aber kann nur nach der Stärke des Angriffs geschätzt werden. Soll sich also die Intelligenz: im Menschen als eine von der Natur unabhängige Kraft offenbaren, so muß die Natur ihre ganze Macht erst vor unsern Augen bewiesen haben. Das Sinnenwesen muß tief und heftig leiden; Pathos muß da sein, damit das Vernunftwesen seine Unabhängigkeit kund tun und sich handelnd darstellen könne. Man kann niemals wissen, ob die Fassung des Gemüts eine Wirkung seiner moralischen Kraft ist, wenn man nicht überzeugt worden ist, daß sie keine Wirkung der Unempfindlichkeit ist. Es ist keine Kunst, über Gefühle Meister zu werden, die nur die Oberfläche der Seele leicht und flüchtig bestreichen; aber in einem Sturm, der die ganze sinnliche Natur aufregt, seine Gemütsfreiheit zu behalten, dazu gehört ein Vermögen des Widerstandes, das über alle Naturmacht unendlich erhaben ist. Man gelangt also zur Darstellung der moralischen Freiheit nur durch die lebendigste Darstellung der leidenden Natur, und der tragische Held muß sich erst als empfindendes Wesen bei uns legitimiert haben, ehe wir ihm als Vernunftwesen huldigen und an seine Seelenstärke glauben. P a t h o s ist also die erste und unnachlaßliche Forderung an den tragischen Künstler, und es ist ihm erlaubt, die Darstellung

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des Leidens so weit zu treiben, als es, ohne Nachteil für seinen letzten Zweck, ohne Unterdrückung der moralischen Freiheit, geschehen kann. Er muß gleichsam seinem Helden oder seinem Leser die ganze volle Ladung des Leidens geben, weil es sonst immer problematisch bleibt, ob sein Widerstand gegen dasselbe eine Gemütshandlung, etwas Positives, und nicht vielmehr bloß etwas Negatives und ein Mangel i s t . . . Jetzt sind wir im stände, die Art und Weise anzugeben, wie die übersinnliche selbständige Kraft im Menschen, sein moralisches Selbst, im Affekt zur Darstellung gebracht werden kann. - Dadurch nämlich, daß alle bloß der Natur gehorchende Teile, über welche der Wille entweder gar niemals oder wenigstens unter gewissen Umständen nicht disponieren kann, die Gegenwart des Leidens verraten - diejenigen Teile aber, welche der blinden Gewalt des Instinkts entzogen sind und dem Naturgesetz nicht notwendig gehorchen, keine oder nur eine geringe Spur dieses Leidens zeigen, also in einem gewissen Grad frei erscheinen. An dieser Disharmonie nun zwischen denjenigen Zügen, die der animalischen Natur nach dem Gesetz der Notwendigkeit eingeprägt werden, und zwischen denen, die der selbsttätige Geist bestimmt, erkennt man die Gegenwart eines übersinnlichen Prinzips im Menschen, welches den Wirkungen der Natur eine Grenze setzen kann und sich also eben dadurch als von derselben unterschieden kenntlich macht. Der bloß tierische Teil des Menschen folgt dem Naturgesetz und darf daher von der Gewalt des Affekts unterdrückt erscheinen. An diesem Teil also offenbart sich die ganze Stärke des Leidens und dient gleichsam zum Maß, nach welchem der Widerstand geschätzt werden kann; denn man kann die Stärke des Widerstandes, oder die moralische Macht in dem Menschen nur nach der Stärke des Angriffs beurteilen. Je entscheidender und gewaltsamer nun der Affekt in dem Gebiet der Tierheit sich äußert, ohne doch im Gebiet der Menschheit dieselbe Macht behaupten zu können, desto mehr wird diese letztere kenntlich, desto glorreicher offenbart sich die moralische Selbständigkeit des Menschen, desto pathetischer ist die Darstellung und desto erhabener das Pathos... In moralischen Gemütern geht das Furchtbare (der Einbildungskraft) schnell und leicht ins Erhabene über. So wie die Imagination ihre Freiheit verliert, so macht die Vernunft die 105

ihrige geltend; und das Gemüt erweitert sich nur desto mehr nach innen, indem es nach außen Grenzen findet. Herausgeschlagen aus allen Verschanzungen, die dem Sinnenwesen einen physischen Schutz verschaffen können, werfen wir uns in die unbezwingliche Burg unsrer moralischen Freiheit und gewinnen eben dadurch eine absolute und unendliche Sicherheit, indem wir eine bloß komparative und prekäre Schutzwehre im Feld der Erscheinung verloren geben. Aber eben darum, weil es zu diesem physischen Bedrängnis gekommen sein muß, ehe wir bei unsrer moralischen Natur Hilfe suchen, so können wir dieses hohe Freiheitsgefühl nicht anders als mit Leiden erkaufen. Die gemeine Seele bleibt bloß bei diesem Leiden stehen und fühlt im Erhabenen des Pathos nie mehr als das Furchtbare; ein selbständiges Gemüt hingegen nimmt gerade von diesem Leiden den Übergang zum Gefühl seiner herrlichsten Kraftwirkung und weiß aus jedem Furchtbaren ein Erhabenes zu erzeugen . . . Der Unterschied zwischen beiden Arten der Beurteilung fällt noch deutlicher in die Augen, wenn man eine Handlung zum Grunde legt, über welche das moralische und das ästhetische Urteil verschieden ausfallen. Man nehme die Selbstverbrennung des Peregrinus Proteus zu Olympia. Moralisch beurteilt, kann ich dieser Handlung nicht Beifall geben, insofern ich unreine Triebfedern dabei wirksam finde, um derentwillen die P f l i c h t der Selbsterhaltungο hintangesetzt wird. Ästhetisch ο beurteilt, gefällt mir aber diese Handlung, und zwar deswegen gefällt sie mir, weil sie von einem Vermögen des Willens zeugt, selbst dem mächtigsten aller Instinkte, dem T r i e b e der Selbsterhaltung, zu widerstehen. O b es eine rein moralische Gesinnung oder ob es bloß eine mächtigere sinnliche Reizung war, was den Selbsterhaltungstrieb bei dem Schwärmer Peregrin unterdrückte, darauf achte ich bei der ästhetischen Schätzung nicht, wo ich das Individuum verlasse, von dem Verhältnis s e i n e s Willens zu dem Willensgesetz abstrahiere und mir den menschlichen Willen überhaupt, als Vermögen der Gattung, im Verhältnis zu der ganzen Naturgewalt denke. Bei der moralischen Schätzung, hat man gesehen, wurde die Selbsterhaltung als eine Ρ f 1 i c h t vorgestellt, daher beleidigte ihre Verletzung ; bei der ästhetischen Schätzung hingegen wurde sie als ein I n t e r e s s e angesehen, daher gefiel ihre Hintansetzung. Bei

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der letztern Art des Beurteilens wird also die Operation gerade umgekehrt, die wir bei der erstem verrichten. Dort stellen wir das sinnlich beschränkte Individuum und den pathologisch affizierbaren Willen dem absoluten Willensgesetz und der unendlichen Geisterpflicht, hier hingegen stellen wir das absolute Willens v e r m ö g e n und die unendliche Geistergewalt dem Zwange der Natur und den Schranken der Sinnlichkeit gegenüber. Daher läßt uns das ästhetische Urteil frei und erhebt und begeistert uns, weil wir uns schon durch das bloße Vermögen, absolut zu wollen, schon durch die bloße Anlage zur Moralität gegen die Sinnlichkeit in augenscheinlichem Vorteil befinden, weil schon durch die bloße Möglichkeit, uns vom Zwange der Natur loszusagen, unserm Freiheitsbedürfnis geschmeichelt wird. Daher beschränkt uns das moralische Urteil und demütigt uns, weil wir uns bei jedem besondern Willensakt gegen das absolute Willensgesetz mehr oder weniger im Nachteil befinden und durch die Einschränkung des Willens auf eine einzige Bestimmungsweise, welche die Pflicht schlechterdings fordert, dem Freiheitstriebe der Phantasie widersprochen wird. Dort schwingen wir uns von dem Wirklichen zu dem Möglichen und von dem Individuum zur Gattung empor; hier hingegen steigen wir vom Möglichen zum Wirklichen herunter und schließen die Gattung in die Schranken des Individuums ein; kein Wunder also, wenn wir uns bei ästhetischen Urteilen erweitert, bei moralischen hingegen eingeengt und gebunden fühlen. Aus diesem allen ergibt sich denn, daß die moralische und die ästhetische Beurteilung, weit entfernt, einander zu unterstützen, einander vielmehr im Wege stehen, weil sie dem Gemüt zwei ganz entgegengesetzte Richtungen geben; denn die Gesetzmäßigkeit, welche die Vernunft als moralische Richterin fordert, besteht nicht mit der Ungebundenheit, welche die Einbildungskraft als ästhetische Richterin verlangt. Daher wird ein Objekt zu einem ästhetischen Gebrauch gerade um so viel weniger taugen, als es sich zu einem moralischen qualifiziert; und wenn der Dichter es dennoch erwählen müßte, so wird er wohl tun, es so zu behandeln, daß nicht sowohl unsre Vernunft auf die R e g e l des Willens, als vielmehr unsre Phantasie auf das V e r m ö g e n des Willens hingewiesen werde. Um seiner selbst willen muß der Dichter diesen Weg einschlagen, denn mit 107

unserer Freiheit ist sein Reich zu Ende. Nur solange wir außer uns anschauen, sind wir s e i n ; er hat uns verloren, sobald wir in unsern eigenen Busen greifen. Dies erfolgt aber unausbleiblich, sobald ein Gegenstand nicht mehr als Erscheinung von uns betrachtet wird, sondern als Gesetz über uns richtet. Selbst von den Äußerungen der erhabensten Tugend kann der Dichter nichts für seine Absichten brauchen, als was an denselben der Kraft gehört. Um die Richtung der Kraft bekümmert er sich nichts. Der Dichter, auch wenn er die vollkommensten sittlichen Muster vor unsre Augen stellt, hat keinen andern Zweck und darf keinen andern haben, als uns durch Betrachtung derselben zu ergötzen. Nun kann uns aber nichts ergötzen, als was unser Subjekt verbessert, und nichts kann uns geistig ergötzen, als was unser geistiges Vermögen erhöht. Wie kann aber die Pflichtmäßigkeit eines andern u n s e r Subjekt verbessern und unsere geistige Kraft vermehren? Daß er seine Pflicht wirklich erfüllt, beruht auf einem zufälligen Gebrauche, den er von seiner Freiheit macht und der eben darum für uns nichts beweisen kann. Es ist bloß das Vermögen zu einer ähnlichen Pflichtmäßigkeit, was wir mit ihm teilen, und indem wir in seinem Vermögen auch das unsrige wahrnehmen, fühlen wir unsere geistige Kraft erhöht. Es ist also bloß die vorgestellte Möglichkeit eines absolut freien Wollens, wodurch die wirkliche Ausübung desselben unserm ästhetischen Sinn gefällt. Noch mehr wird man sich davon überzeugen, wenn man nachdenkt, wie wenig die poetische Kraft des Eindrucks, den sittliche Charaktere oder Handlungen auf uns machen, von ihrer historischen Realität abhängt. Unser Wohlgefallen an idealischen Charakteren verliert nichts durch die Erinnerung, daß sie poetische Fiktionen sind, denn es ist die poetische, nicht die historische Wahrheit, auf welche alle ästhetische Wirkung sich gründet. Die poetische Wahrheit besteht aber nicht darin, daß etwas wirklich geschehen ist, sondern darin, daß es geschehen konnte, also in der innern Möglichkeit der Sache. Die ästhetische Kraft muß also schon in der vorgestellten Möglichkeit liegen. Selbst an wirklichen Begebenheiten historischer Personen ist nicht die Existenz, sondern das durch die Existenz kund gewordene Vermögen das Poetische. Der Umstand, daß diese Personen wirklich lebten und daß diese Begebenheiten wirklich 108

erfolgten, kann zwar sehr oft unser Vergnügen vermehren, aber^mit einem fremdartigen Zusatz, der dem poetischen Eindruck vielmehr nachteilig als beförderlich ist. Man hat lange geglaubt, der Dichtkunst unsers Vaterlands einen Dienst zu erweisen, wenn man den Dichtern Nationalgegenstände zur Bearbeitung empfahl. Dadurch, hieß es, wurde die griechische Poesie so bemächtigend für das Herz, weil sie einheimische Szenen malte und einheimische Taten verewigte. Es ist nicht zu leugnen, daß die Poesie der Alten, dieses Umstandes halber, Wirkungen leistete, deren die neuere Poesie sich nicht rühmen kann - aber gehörten diese Wirkungen der Kunst und dem Dichter ? Wehe dem griechischen Kunstgenie, wenn es vor dem Genius der Neuern nichts weiter als diesen zufälligen Vorteil voraus hätte, und wehe dem griechischen Kunstgeschmack, wenn er durch diese historischen Beziehungen in den Werken seiner Dichter erst hätte gewonnen werden müssen! Nur ein barbarischer Geschmack braucht den Stachel des Privatinteresse, um zu der Schönheit hingelockt zu werden, und nur der Stümper borgt von dem Stoffe eine Kraft, die er in die Form zu legen verzweifelt. Die Poesie soll ihren Weg nicht durch die kalte Region des Gedächtnisses nehmen, soll nie die Gelehrsamkeit zu ihrer Auslegerin, nie den Eigennutz zu ihrem Fürsprecher machen. Sie soll das Herz treffen, weil sie aus dem Herzen flöß, und nicht auf den Staatsbürger in dem Menschen, sondern auf den Menschen in dem Staatsbürger zielen. Es ist ein Glück, daß das wahre Genie auf die Fingerzeige nicht viel achtet, die man ihm, aus besserer Meinung als Befugnis, zu erteilen sich sauer werden läßt; sonst würden Sulzer und seine Nachfolger der deutschen Poesie eine sehr zweideutige Gestalt gegeben haben. Den Menschen moralisch auszubilden und Nationalgefühle in dem Bürger zu entzünden, ist zwar ein sehr ehrenvoller Auftrag für den Dichter, und die Musen wissen es am besten, wie nahe die Künste des Erhabenen und Schönen damit zusammenhängen mögen. Aber was die Dichtkunst mittelbar ganz vortrefflich macht, würde ihr unmittelbar nur sehr schlecht gelingen. Die Dichtkunst führt bei dem Menschen nie ein besondres Geschäft aus, und man könnte kein ungeschickteres Werkzeug erwählen, um einen einzelnen Auftrag, ein Detail, gut besorgt zu sehen. Ihr Wirkungskreis ist das Total der menschlichen Natur, und bloß, insofern sie auf den

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Charakter einfließt, kann sie auf seine einzelnen Wirkungen Einfluß haben. Die Poesie kann dem Menschen werden, was dem Helden die Liebe ist. Sie kann ihm weder raten, noch mit ihm schlagen, noch sonst eine Arbeit für ihn tun; aber zum Helden kann sie ihn erziehn, zu Taten kann sie ihn rufen und zu allem, was er sein soll, ihn mit Stärke ausrüsten. Die ästhetische Kraft, womit uns das Erhabene der Gesinnung und Handlung ergreift, beruht also keineswegs auf dem Interesse der Vernunft, daß recht gehandelt w e r d e , sondern auf dem Interesse der Einbildungskraft, daß recht handeln m ö g l i c h sei, d.h. daß keine Empfindung, wie mächtig sie auch sei, die Freiheit des Gemüts zu unterdrücken vermöge. Diese Möglichkeit liegt aber in jeder starken Äußerung von Freiheit und Willenskraft, und wo nur irgend der Dichter diese antrifft, da hat er einen zweckmäßigen Gegenstand für seine Darstellung gefunden. Für sein Interesse ist es eins, aus welcher Klasse von Charakteren, der schlimmen oder guten, er seine Helden nehmen will, da das nämliche Maß von Kraft, welches zum Guten nötig ist, sehr oft zur Konsequenz im Bösen erfordert werden kann. Wie viel mehr wir in ästhetischen Urteilen auf die Kraft als auf die Richtung der Kraft, wie viel mehr auf Freiheit als auf Gesetzmäßigkeit sehen, wird schon daraus hinlänglich offenbar, daß wir Kraft und Freiheit lieber auf Kosten der Gesetzmäßigkeit geäußert, als die Gesetzmäßigkeit auf Kosten der Kraft und Freiheit beobachtet sehen. Sobald nämlich Fälle eintreten, wo das moralische Gesetz sich mit Antrieben gattet, die den Willen durch ihre Macht fortzureißen drohen, so gewinnt der Charakter ästhetisch, wenn er diesen Antrieben widerstehen kann. Ein Lasterhafter fängt an, uns zu interessieren, sobald er Glück und Leben wagen muß, um seinen schlimmen Willen durchzusetzen; ein Tugendhafter hingegen verliert in demselben Verhältnis unsre Aufmerksamkeit, als seine Glückseligkeit selbst ihn zum Wohlverhalten nötigt. Rache, zum Beispiel, ist unstreitig ein unedler und selbst niedriger Affekt. Nichtsdestoweniger wird sie ästhetisch, sobald sie dem, der sie ausübt, ein schmerzhaftes Opfer kostet. Medea, indem sie ihre Kinder ermordet, zielt bei dieser Handlung auf Jasons Herz, aber zugleich führt sie einen schmerzhaften Stich auf ihr eigenes, und ihre Rache wird ästhetisch erhaben, sobald wir die zärtliche Mutter sehen. 110

Das ästhetische Urteil enthält hierin mehr Wahres, als man gewöhnlich glaubt. Offenbar kündigen Laster, welche von Willensstärke zeugen, eine größere Anlage zur wahrhaften moralischen Freiheit an als Tugenden, die eine Stütze von der Neigung entlehnen, weil es dem konsequenten Bösewicht nur einen einzigen Sieg über sich selbst, eine einzige Umkehrung der Maximen kostet, um die ganze Konsequenz und Willensfertigkeit, die er an das Böse verschwendete, dem Guten zuzuwenden. Woher sonst kann es kommen, daß wir den halbguten Charakter mit Widerwillen von uns stoßen und dem ganz schlimmen oft mit schauernder Bewunderung folgen? Daher unstreitig, weil wir bei jenem auch die Möglichkeit des absolut freien Wollens aufgeben, diesem hingegen es in jeder Äußerung anmerken, daß er durch einen einzigen Willensakt sich zur ganzen Würde der Menschheit aufrichten kann. In ästhetischen Urteilen sind wir also nicht für die Sittlichkeit an sich selbst, sondern bloß für die Freiheit interessiert, und jene kann nur insofern unsrer Einbildungskraft gefallen, als sie die letztere sichtbar macht. Es ist daher offenbare Verwirrung der Grenzen, wenn man moralische Zweckmäßigkeit in ästhetischen Dingen fordert und, um das Reich der Vernunft zu erweitern, die Einbildungskraft aus ihrem rechtmäßigen Gebiete verdrängen will. Entweder wird man sie ganz unterjochen müssen, und dann ist es um alle ästhetischen Wirkung geschehen; oder sie wird mit der Vernunft ihre Herrschaft teilen, und dann wird für Moralität wohl nicht viel gewonnen sein. Indem man zwei verschiedene Zwecke verfolgt, wird man Gefahr laufen, beide zu verfehlen. Man wird die Freiheit der Phantasie durch moralische Gesetzmäßigkeit fesseln und die Notwendigkeit der Vernunft durch die Willkür der Einbildungskraft zerstören. V . A u s : Über das Erhabene „Kein Mensch muß müssen" sagt der Jude Nathan zum Derwisch, und dieses Wort ist in einem weiteren Umfange wahr, als man demselben vielleicht einräumen möchte. Der Wille ist der Geschlechtscharakter des Menschen, und die Vernunft selbst ist nur die ewige Regel desselben. Vernünftig handelt die ganze Natur; sein Prärogativ ist bloß, daß er mit

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Bewußtsein und Willen vernünftig handelt. Alle andere Dinge müssen; der Mensch ist das Wesen, welches will. Eben deswegen ist des Menschen nichts so unwürdig, als Gewalt zu erleiden, denn Gewalt hebt ihn auf. Wer sie uns antut, macht uns nichts Geringeres als die Menschheit streitig; wer sie feigerweise erleidet, wirft seine Menschheit hinweg. Aber dieser Anspruch auf absolute Befreiung von allem, was Gewalt ist, scheint ein Wesen vorauszusetzen, welches Macht genug besitzt, jede andere Macht von sich abzutreiben. Findet er sich in einem Wesen, welches im Reich der Kräfte nicht den obersten Rang behauptet, so entsteht daraus ein unglücklicher Widerspruch zwischen dem Trieb und dem Vermögen. In diesem Falle befindet sich der Mensch. Umgeben von zahllosen Kräften, die alle ihm überlegen sind und den Meister über ihn spielen, macht er durch seine Natur Anspruch, von keiner Gewalt zu erleiden. Durch seinen Verstand zwar steigert er künstlicherweise seine natürlichen Kräfte, und bis auf einen gewissen Punkt gelingt es ihm wirklich, physisch über alles Physische Herr zu werden. Gegen alles, sagt das Sprichtwort, gibt es Mittel, nur nicht gegen den Tod. Aber diese einzige Ausnahme, wenn sie das wirklich im strengsten Sinne ist, würde den ganzen Begriff des Menschen aufheben. Nimmermehr kann er das Wesen sein, welches will, wenn es auch nur e i n e n Fall gibt, wo er schlechterdings muß, was er nicht will. Dieses einzige Schreckliche, was er nur muß u n d n i c h t w i l l , wird wie ein Gespenst ihn begleiten und ihn, wie auch wirklich bei den mehresten Menschen der Fall ist, den blinden Schrecknissen der Phantasie zur Beute überliefern; seine gerühmte Freiheit ist absolut nichts, wenn er auch nur in einem einzigen Punkte gebunden ist. Die Kultur soll den Menschen in Freiheit setzen und ihm dazu behilflich sein, seinen ganzen Begriff zu erfüllen. Sie soll ihn also fähig machen, seinen Willen zu behaupten, denn der Mensch ist das Wesen, welches w i l l . . . Das Gefühl des Erhabenen ist ein gemischtes Gefühl. Es ist eine Zusammensetzung von Weh sein, das sich in seinem höchsten Grad als ein Schauer äußert, und von F r o h s e i n , das bis zum E n t z ü c k e n steigen kann und, ob es gleich nicht eigentlich Lust ist, von feinen Seelen aller Lust doch weit vorgezogen wird. Diese Verbindung zweier widersprechender 112

Empfindungen in einem einzigen Gefühl beweist unsere moralische S e l b s t ä n d i g k e i t auf eine unwiderlegliche Weise. Denn da es absolut unmöglich ist, daß der nämliche Gegenstand in zwei entgegengesetzten Verhältnissen zu uns stehe, so folgt daraus, daß wir s e l b s t in zwei verschiedenen Verhältnissen zu dem Gegenstand stehen, daß folglich zwei entgegengesetzte Naturen in uns vereiniget sein müssen, welche bei Vorstellung desselben auf ganz entgegengesetzte Art interessieret sind. Wir erfahren also durch das Gefühl des Erhabenen, daß sich der Zustand unsers Geistes nicht notwendig nach dem Zustand des Sinnes richtet, daß die Gesetze der Natur nicht notwendig auch die unsrigen sind, und daß wir ein selbständiges Prinzipium in uns haben, welches von allen sinnlichen Rührungen unabhängig ist. Der erhabene Gegenstand ist von doppelter Art. Wir beziehen ihn entweder auf unsere F a s s u n g s k r a f t und erliegen bei dem Versuch, uns ein Bild oder ein Begriff von ihm zu bilden; oder wir beziehen ihn auf unsere L e b e n s k r a f t und betrachten ihn als eine Macht, gegen welche die unsrige in nichts verschwindet. Aber ob wir gleich in dem einen wie in dem andern Fall durch seine Veranlassung das peinliche Gefühl unserer Grenzen erhalten, so fliehen wir ihn doch nicht, sondern werden vielmehr mit unwiderstehlicher Gewalt von ihm angezogen. Würde dieses wohl möglich sein, wenn die Grenzen unsrer Phantasie zugleich die Grenzen unsrer Fassungskraft wären? Würden wir wohl an die Allgewalt der Naturkräfte gern erinnert sein wollen, wenn wir nicht noch etwas anders im Rückhalt hätten, als was ihnen zum Raube werden kann ? Wir ergötzen uns an dem Sinnlich-Unendlichen, weil wir denken können, was die Sinne nicht mehr fassen und der Verstand nicht mehr begreift. Wir werden begeistert von dem Furchtbaren, weil wir wollen können, was die Triebe verabscheuen, und verwerfen, was sie begehren. Gern lassen wir die Imagination im Reich der Erscheinungen ihren Meister finden, denn endlich ist es doch nur eine sinnliche Kraft, die über eine andere sinnliche triumphiert, aber an das absolut Große in uns selbst kann die Natur in ihrer ganzen Grenzenlosigkeit nicht reichen. Gern unterwerfen wir der physischen Notwendigkeit unser Wohlsein und unser Dasein, denn das erinnert uns eben, daß sie über unsre Grundsätze nicht zu gebieten hat. Der Mensch t> v. Wiese, Deutsche Dramaturgie

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ist in ihrer Hand, aber des Menschen Wille ist in der seinigen. Und so hat die Natur sogar ein sinnliches Mittel angewendet, uns 211 lehren, daß wir mehr als bloß sinnlich sind; so wußte sie selbst Empfindungen dazu zu benutzen, uns der Entdeckung auf die Spur zu führen, daß wir der Gewalt der Empfindungen nichts weniger als sklavisch unterworfen sind. Und dies ist eine ganz andere Wirkung, als durch das Schöne geleistet werden kann - durch das Schöne der Wirklichkeit nämlich, denn im Idealschönen muß sich auch das Erhabene verlieren. Bei dem Schönen stimmen Vernunft und Sinnlichkeit zusammen, und nur um dieser Zusammenstimmung willen hat es Reiz für uns. Durch die Schönheit allein würden wir also ewig nie erfahren, daß wir bestimmt und fähig sind, uns als reine Intelligenzen zu beweisen. Beim Erhabenen hingegen stimmen Vernunft und Sinnlichkeit n i c h t zusammen, und eben in diesem Widerspruch zwischen beiden liegt der Zauber, womit es unser Gemüt ergreift. Der physische und der moralische Mensch werden hier aufs schärfste von einander geschieden; denn gerade bei solchen Gegenständen, wo der erste nur seine Schranken empfindet, macht der andere die Erfahrung seiner K r a f t und wird durch eben das unendlich erhoben, was den andern zu Boden drückt. Ein Mensch, will ich annehmen, soll alle die Tugenden besitzen, deren Vereinigung den s c h ö n e n C h a r a k t e r ausmacht. Er soll in der Ausübung der Gerechtigkeit, Wohltätigkeit, Mäßigkeit, Standhaftigkeit und Treue seine Wollust finden; alle Pflichten, deren Befolgung ihm die Umstände nahe legen, sollen ihm zum leichten Spiele werden, und das Glück soll ihm keine Handlung schwer machen, wozu nur immer sein menschenfreundliches Herz ihn auffordern mag. Wem wird dieser schöne Einklang der natürlichen Triebe mit den Vorschriften der Vernunft nicht entzückend sein, und wer sich enthalten können, einen solchen Menschen zu lieben? Aber können wir uns wohl, bei aller Zuneigung zu demselben, versichert halten, daß er wirklich ein Tugendhafter ist, und daß es überhaupt eine Tugend gibt? Wenn es dieser Mensch auch bloß auf angenehme Empfindungen angelegt hätte, so könnte er, ohne ein Tor zu sein, schlechterdings nicht anders handeln, und er müßte seinen eignen Vorteil hassen, wenn er lasterhaft sein wollte. Es kann sein, daß die Quelle seiner Handlungen 114

rein ist, aber das muß er mit seinem eignen Herzen ausmachen: w i r sehen nichts davon. Wir sehen ihn nicht mehr tun, als auch der bloß kluge Mann tun müßte, der das Vergnügen zu seinem Gott macht. Die Sinnenwelt also erklärt das ganze Phänomen seiner Tugend, und wir haben gar nicht nötig, uns jenseits derselben nach einem Grund umzusehen. Dieser nämliche Mensch soll aber plötzlich in ein großes Unglück geraten. Man soll ihn seiner Güter berauben, man soll seinen guten Namen zu Grund richten. Krankheiten sollen ihn auf ein schmerzhaftes Lager werfen, alle, die er liebt, soll der Tod ihm entreißen, alle, denen er vertraut, ihn in der Not verlassen. In diesem Zustande suche man ihn wieder auf und fordre von dem Unglücklichen die Ausübung der nämlichen Tugenden, zu denen der Glückliche einst so bereit gewesen war. Findet man ihn in diesem Stück noch ganz als den nämlichen, hat die Armut seine Wohltätigkeit, der Undank seine Dienstfertigkeit, der Schmerz seine Gleichmütigkeit, eignes Unglück seine Teilnehmung an fremdem Glücke nicht vermindert, bemerkt man die Verwandlung seiner Umstände in seiner Gestalt, aber nicht in seinem Betragen, in der Materie, aber nicht in der Form seines Handelns - dann freilich reicht man mit keiner Erklärung aus dem N a t u r b e g r i f f mehr aus (nach welchem es schlechterdings notwendig ist, daß das Gegenwärtige als Wirkung sich auf etwas Vergangenes als seine Ursache gründet), weil nichts widersprechender sein kann, als daß die Wirkung dieselbe bleibe, wenn die Ursache sich in ihr Gegenteil verwandelt hat. Man muß also jeder natürlichen Erklärung entsagen, muß es ganz und gar aufgeben, das Betragen aus dem Zustande abzuleiten, und den Grund des erstem aus der physischen Weltordnung heraus in eine ganz andere verlegen, welche die Vernunft zwar mit ihren Ideen erfliegen, der Verstand aber mit seinen Begriffen nicht erfassen kann. D i e s e Entdeckung des absoluten moralischen Vermögens, welches an keine Naturbedingung gebunden ist, gibt dem wehmütigen Gefühl, wovon wir beim Anblick eines solchen Menschen ergriffen werden, den ganz eignen unaussprechlichen Reiz, den keine Lust der Sinne, so veredelt sie auch seien, dem Erhabenen streitig machen kann. Das Erhabene verschafft uns also einen Ausgang aus der sinnlichen Welt, worin uns das Schöne gern immer gefangen 115

halten möchte. Nicht allmählich (denn es gibt von der Abhängigkeit keinen Übergang zur Freiheit), sondern plötzlich und durch eine Erschütterung reißt es den selbständigen Geist aus dem Netze los, womit die verfeinerte Sinnlichkeit ihn umstrickte, und das um so fester bindet, je durchsichtiger es gesponnen ist. Wenn sie durch den unmerklichen Einfluß eines weichlichen Geschmacks auch noch so viel über die Menschen gewonnen hat - wenn es ihr gelungen ist, sich in der verführerischen Hülle des geistigen Schönen in den innersten Sitz der moralischen Gesetzgebung einzudrängen und dort die Heiligkeit der Maximen an ihrer Quelle zu vergiften, so ist oft eine einzige erhabene Rührung genug, dieses Gewebe des Betrugs zu zerreißen, dem gefesselten Geist seine ganze Schnellkraft auf einmal zurückzugeben, ihm eine Revelation über seine wahre Bestimmung zu erteilen und ein Gefühl seiner Würde, wenigstens für den Moment, aufzunötigen. Die Schönheit unter der Gestalt der Göttin Kalypso hat den tapfern Sohn des Ulysses bezaubert, und durch die Macht ihrer Reizungen hält sie ihn lange Zeit auf ihrer Insel gefangen. Lange glaubt er einer unsterblichen Gottheit zu huldigen, da er doch nur in den Armen der Wollust liegt - aber ein erhabener Eindruck ergreift ihn plötzlich unter Mentors Gestalt: er erinnert sich seiner bessern Bestimmung, wirft sich in die Wellen und ist frei. Das Erhabene, wie das Schöne, ist durch die ganze Natur verschwenderisch ausgegossen, und die Empfindungsfähigkeit für beides in alle Menschen gelegt; aber der Keim dazu entwickelt sich ungleich, und durch die Kunst muß ihm nachgeholfen werden. Schon der Zweck der Natur bringt es mit sich, daß wir der Schönheit zuerst entgegeneilen, wenn wir noch vor dem Erhabenen fliehn; denn die Schönheit ist unsre Wärterin im kindischen Alter und soll uns ja aus dem rohen Naturzustand zur Verfeinerung führen. Aber ob sie gleich unsre erste Liebe ist und unsre Empfindungsfähigkeit für dieselbe zuerst sich entfaltet, so hat die Natur doch dafür gesorgt, daß sie langsamer reif wird und zu ihrer völligen Entwicklung erst die Ausbildung des Verstandes und Herzens abwartet. Erreichte der Geschmack seine völlige Reife, ehe Wahrheit und Sittlichkeit auf einen bessern Weg, als durch ihn geschehen kann, in unser Herz gepflanzt wären, so würde die Sinnenwelt ewig die Grenze unsrer Bestrebungen bleiben. Wir würden weder in 116

unsern Begriffen, noch in unsern Gesinnungen über sie hinausgehn, und was die Einbildungskraft nicht darstellen kann, würde auch keine Realität für uns haben. Aber glücklicherweise liegt es schon in der Einrichtung der Natur, daß der Geschmack, obgleich er zuerst blühet, doch zuletzt unter allen Fähigkeiten des Gemüts seine Zeitigung erhält. In dieser Zwischenzeit wird Frist genug gewonnen, einen Reichtum von Begriffen in dem Kopf und einen Schatz von Grundsätzen in der Brust anzupflanzen und dann besonders auch die Empfindungsfähigkeit für das Große und Erhabene aus der Vernunft zu entwickeln. So lange der Mensch bloß Sklave der physischen Notwendigkeit war, aus dem engen Kreis der Bedürfnisse noch keinen Ausgang gefunden hatte und die hohe d ä m o n i s c h e Freiheit in seiner Brust noch nicht ahnete, so konnte ihn die u n f a ß b a r e Natur nur an die Schranken seiner Vorstellungskraft, und die v e r d e r b e n d e Natur nur an seine physische Ohnmacht erinnern. E r mußte also die erste mit Kleinmut vorübergehen und sich von der andern mit Entsetzen abwenden. Kaum aber macht ihm die freie Betrachtung gegen den blinden Andrang der Naturkräfte Raum, und kaum entdeckt er in dieser Flut von Erscheinungen etwas Bleibendes in seinem eigenen Wesen, so fangen die wilden Naturmassen um ihn herum an, eine ganz andere Sprache zu seinem Herzen zu reden; und das relativ Große außer ihm ist der Spiegel, worin er das absolut Große in ihm selbst erblickt. Furchtlos und mit schauerlicher Lust nähert er sich jetzt diesen Schreckbildern seiner Einbildungskraft und bietet absichtlich die ganze Kraft dieses Vermögens auf, das Sinnlich-Unendliche darzustellen, um, wenn es bei diesem Versuche dennoch erliegt, die Überlegenheit seiner Ideen über das Höchste, was die Sinnlichkeit leisten kann, desto lebhafter zu empfinden. Der Anblick unbegrenzter Fernen und unabsehbarer Höhen, der weite Ozean zu seinen Füßen und der größere Ozean über ihm entreißen seinen Geist der engen Sphäre des Wirklichen und der drückenden Gefangenschaft des physischen Lebens. Ein größerer Maßstab der Schätzung wird ihm von der simpeln Majestät der Natur vorgehalten, und von ihren großen Gestalten umgeben, erträgt er das Kleine in seiner Denkart nicht mehr. Wer weiß, wie manchen Lichtgedanken oder Heldenentschluß, den kein 117

Studierkerker und kein Gesellschaftsaal zur Welt gebracht haben möchte, nicht schon dieser mutige Streit des Gemüts mit dem großen Naturgeist auf einem Spaziergang gebar - wer weiß, ob es nicht dem seltenern Verkehr mit diesem großen Genius zum Teil zuzuschreiben ist, daß der Charakter der Städter sich so gerne zum Kleinlichen wendet, verkrüppelt und welkt, wenn der Sinn des Nomaden offen und frei bleibt, wie das Firmament, unter dem er sich lagert. Aber nicht bloß das Unerreichbare für die Einbildungskraft, das Erhabene der Quantität, auch das Unfaßbare für den Verstand, die V e r w i r r u n g , kann, sobald sie ins Große geht und sich als Werk der Natur ankündigt (denn sonst ist sie verächtlich), zu einer Darstellung des Übersinnlichen dienen und dem Gemüt einen Schwung geben. Wer verweilet nicht lieber bei der geistreichen Unordnung einer natürlichen Landschaft, als bei der geistlosen Regelmäßigkeit eines französischen Gartens ? Wer bestaunt nicht lieber den wunderbaren Kampf zwischen Fruchbarkeit und Zerstörung in Siziliens Fluren, weidet sein Auge nicht lieber an Schottlands wilden Katarakten und Nebelgebirgen, Ossians großer Natur, als daß er in dem schnurgerechten Holland den sauren Sieg der Geduld über das trotzigste der Elemente bewundert? Niemand wird leugnen, daß in Bataviens Triften für den physischen Menschen besser gesorgt ist als unter dem tückischen Krater des Vesuv, und daß der Verstand, der begreifen und ordnen will, bei einem regulären Wirtschaftsgarten weit mehr als bei einer wilden Naturlandschaft seine Rechnung findet. Aber der Mensch hat noch ein Bedürfnis mehr, als zu leben und sich wohl sein zu lassen, und auch noch eine andere Bestimmung, als die Erscheinungen um ihn herum zu begreifen. Was dem Reisenden von Empfindung die wilde Bizarrerie in der physischen Schöpfung so anziehend macht, eben das eröffnet einem begeisterungsfähigen Gemüt, selbst in der bedenklichen Anarchie der moralischen Welt, die Quelle eines ganz eignen Vergnügens. Wer freilich die große Haushaltung der Natur mit der dürftigen Fackel des V e r s t a n d e s beleuchtet und immer nur darauf ausgeht, ihre kühne Unordnung in Harmonie aufzulösen, der kann sich in einer Welt nicht gefallen, wo mehr der tolle Zufall als ein weiser Plan zu regieren scheint und bei weitem in den mehresten Fällen Verdienst und

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Glück mit einander im Widerspruche stehn. Er will haben, daß in dem großen Weltlaufe alles wie in einer guten Wirtschaft geordnet sei, und vermißt er, wie es nicht wohl anders sein kann, diese Gesetzmäßigkeit, so bleibt ihm nichts anders übrig, als von einer künftigen Existenz und von einer andern Natur die Befriedigung zu erwarten, die ihm die gegenwärtige und vergangene schuldig bleibt. Wenn er es hingegen gutwillig aufgibt, dieses gesetzlose Chaos von Erscheinungen unter eine Einheit der Erkenntnis bringen zu wollen, so gewinnt er von einer andern Seite reichlich, was er von dieser verloren gibt. Gerade dieser gänzliche Mangel einer Zweckverbindung unter diesem Gedränge von Erscheinungen, wodurch sie für den Verstand, der sich an diese Verbindungsform halten muß, übersteigend und unbrauchbar werden, macht sie zu einem desto treffendem Sinnbild für die reine Vernunft, die in eben dieser wilden Ungebundenheit der Natur ihre eigne Unabhängigkeit von Naturbedingungen dargestellt findet. Denn wenn man einer Reihe von Dingen alle Verbindung unter sich nimmt, so hat man den Begriff der Independenz, der mit dem reinen Vernunftbegriff der Freiheit überraschend zusammenstimmt. Unter dieser Idee der Freiheit, welche sie aus ihrem eigenen Mittel nimmt, faßt also die Vernunft in eine Einheit des Gedankens zusammen, was der Verstand in keine Einheit der Erkenntnis verbinden kann, unterwirft sich durch diese Idee das unendliche Spiel der Erscheinungen und behauptet also ihre Macht zugleich über den Verstand als sinnlich bedingtes Vermögen. Erinnert man sich nun, welchen Wert es für ein Vernunftwesen haben muß, sich seiner Independenz von Naturgesetzen bewußt zu werden, so begreift man, wie es zugeht, daß Menschen von erhabener Gemütsstimmung durch diese ihnen dargebotene Idee der Freiheit sich für allen Fehlschlag der Erkenntnis für entschädigt halten können. Die Freiheit in allen ihren moralischen Widersprüchen und physischen Übeln ist für edle Gemüter ein unendlich interessanteres Schauspiel als Wohlstand und Ordnung ohne Freiheit, wo die Schafe geduldig dem Hirten folgen und der selbstherrschende Wille sich zum dienstbaren Glied eines Uhrwerks herabsetzt. Das letzte macht den Menschen bloß zu einem geistreichen Produkt und glücklichern Bürger der Natur; die Freiheit macht ihn zum Bürger und Mitherrscher eines höhern Systems, wo es unend-

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lieh ehrenvoller ist, den untersten Platz einzunehmen, als in der physischen Ordnung den Reihen anzuführen. Aus diesem Gesichtspunkt betrachtet, und n u r aus diesem, ist mir die Weltgeschichte ein erhabenes Objekt. Die Welt, als historischer Gegenstand, ist im Grunde nichts anders als der Konflikt der Naturkräfte unter einander selbst und mit der Freiheit des Menschen, und den Erfolg dieses Kampfs berichtet uns die Geschichte. So weit die Geschichte bis jetzt gekommen ist, hat sie von der Natur (zu der alle Affekte im Menschen gezählt werden müssen) weit größere Taten zu erzählen, als von der selbständigen Vernunft, und diese hat bloß durch einzelne Ausnahmen vom Naturgesetz in einem Cato, Aristides, Phocion und ähnlichen Männern ihre Macht behaupten können.Nähert man sich nur der Geschichte mit großen Erwartungen von Licht und Erkenntnis - wie sehr findet man sich da getäuscht! Alle wohlgemeinte Versuche der Philosophie, das, was die moralische Welt f o r d e r t , mit dem, was die wirkliche l e i s t e t , in Übereinstimmung zu bringen, werden durch die Aussagen der Erfahrungen widerlegt, und so gefällig die Natur in ihrem o r g a n i s c h e n R e i c h sich nach den regulativen Grundsätzen der Eeurteilung richtet oder zu richten scheint, so unbändig reißt sie im Reich der Freiheit den Zügel ab, woran der Spekulationsgeist sie gern gefangen führen möchte. Wie ganz anders, wenn man darauf resigniert, sie zu erk l ä r e n , und diese ihre Unbegreiflichkeit selbst zum Standpunkt der Beurteilung macht. Eben der Umstand, daß die Natur, im großen angesehen, aller Regeln, die wir durch unsern Verstand ihr vorschreiben, spottet, daß sie auf ihrem eigenwilligen freien Gang die Schöpfungen der Weisheit und des Zufalls mit gleicher Achtlosigkeit in den Staub tritt, daß sie das Wichtige wie das Geringe, das Edle wie das Gemeine in e i n e m Untergang mit sich fortreißt, daß sie hier eine Ameisenwelt erhält, dort ihr herrlichstes Geschöpf, den Menschen, in ihre Riesenarme faßt und zerschmettert, daß sie ihre mühsamsten Erwerbungen oft in einer leichtsinnigen Stunde verschwendet und an einem Werk der Torheit oft Jahrhunderte lang baut mit einem Wort: dieser Abfall der Natur im großen von den Erkenntnisregeln, denen sie in ihren einzelnen Erscheinungen sich unterwirft, macht die absolute Unmöglichkeit sichtbar, durch N a t u r g e s e t z e die N a t u r s e l b s t zu erklären und v o n

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ihrem Reiche gelten zu lassen, was in ihrem Reiche gilt, und das Gemüt wird also unwiderstehlich aus der Welt der Erscheinungen heraus in die Ideenwelt, aus dem Bedingten ins Unbedingte getrieben. Noch viel weiter als die sinnlich unendliche führt uns die furchtbare und zerstörende Natur, so lange wir nämlich bloß freie Betrachter derselben bleiben. Der sinnliche Mensch freilich und die Sinnlichkeit in dem vernünftigen fürchten nichts so sehr, als mit dieser Macht zu zerfallen, die über Wohlsein und Existenz zu gebieten hat. Das höchste Ideal, wornach wir ringen, ist, mit der physischen Welt, als der Bewahrerin unserer Glückseligkeit, in gutem Vernehmen zu bleiben, ohne darum genötigt zu sein, mit der moralischen zu brechen, die unsre Würde bestimmt. Nun geht es aber bekanntermaßen nicht immer an, beiden Herren zu dienen, und wenn auch (ein fast unmöglicher Fall) die Pflicht mit dem Bedürfnisse nie in Streit geraten sollte, so geht doch die Naturnotwendigkeit keinen Vertrag mit dem Menschen ein, und weder seine Kraft noch seine Geschicklichkeit kann ihn gegen die Tücke der Verhängnisse sicherstellen. Wohl ihm also, wenn er gelernt hat, zu ertragen, was er nicht ändern kann, und preiszugeben mit Würde, was er nicht retten kann! Fälle können eintreten, wo das Schicksal alle Außenwerke ersteigt, auf die er seine Sicherheit gründete, und ihm nichts weiter übrig bleibt, als sich in die heilige Freiheit der Geister zu flüchten - wo es kein andres Mittel gibt, den Lebenstrieb zu beruhigen, als es zu wollen - und kein andres Mittel, der Macht der Natur zu widerstehen, als ihr zuvorzukommen und durch eine freie Aufhebung alles sinnlichen Interesse, ehe noch eine physische Macht es tut, sich moralisch zu entleiben. Dazu nun stärken ihn erhabene Rührungen und ein öfterer Umgang mit der zerstörenden Natur, sowohl da, wo sie ihm ihre verderbliche Macht bloß von ferne zeigt, als wo sie sie wirklich gegen seine Mitmenschen äußert. Das Pathetische ist ein künstliches Unglück, und wie das wahre Unglück setzt es uns in u n m i t t e l b a r e n V e r k e h r mit dem Geistergesetz, das in unserm Busen gebietet. Aber das wahre Unglück wählt seinen Mann und seine Zeit nicht immer gut; es überrascht uns oft wehrlos, und was noch schlimmer ist, es m a c h t uns oft w e h r l o s . Das künstliche Unglück des Pathetischen hingegen findet

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uns in voller Rüstung, und weil es bloß eingebildet ist, so gewinnt das selbständige Prinzipium in unserm Gemüte Raum, seine absolute Independenz zu behaupten. Je öfter nun der Geist diesen Akt von Selbsttätigkeit erneuert, desto mehr wird ihm derselbe zur Fertigkeit, einen desto größern Vorsprung gewinnt er vor dem sinnlichen Trieb, daß er endlich auch dann, wenn aus dem eingebildeten und künstlichen Unglück ein ernsthaftes wird, im stände ist, es als ein künstliches zu behandeln und - der höchste Schwung der Menschennatur! - das wirkliche Leiden in eine erhabene Rührung aufzulösen. Das Pathetische, kann man daher sagen, ist eine Inokulation des unvermeidlichen Schicksals, wodurch es seiner Bösartigkeit beraubt und der Angriff desselben auf die starke Seite des Menschen hingeleitet wird. Also hinweg mit der falsch verstandenen Schonung und dem schlaffen verzärtelten Geschmack, der über das ernste Angesicht der Notwendigkeit einen Schleier wirft und, um sich bei den Sinnen in Gunst zu setzen, eine Harmonie zwischen dem Wohlsein und Wohlverhalten l ü g t , wovon sich in der wirklichen Welt keine Spuren zeigen. Stirne gegen Stirn zeige sich uns das böse Verhängnis. Nicht in der Unwissenheit der uns umlagernden Gefahren - denn diese muß doch endlich aufhören nur in der B e k a n n t s c h a f t mit denselben ist Heil für uns. Zu dieser Bekanntschaft nun verhilft uns das furchtbar herrliche Schauspiel der alles zerstörenden und wieder erschaffenden und wieder zerstörenden Veränderung - des bald langsam untergrabenden, bald schnell überfallenden Verderbens, verhelfen uns die pathetischen Gemälde der mit dem Schicksal ringenden Menschheit, der unaufhaltsamen Flucht des Glücks, der betrogenen Sicherheit, der triumphierenden Ungerechtigkeit und der unterliegenden Unschuld, welche die Geschichte in reichem Maß aufstellt und die tragische Kunst nachahmend vor unsre Augen bringt. Denn wo wäre derjenige, der, bei einer nicht ganz verwahrlosten moralischen Anlage, von dem hartnäckigen und doch vergeblichen Kampf des Mithridat, von dem Untergang der Städte Syrakus und Karthago lesen und bei solchen Szenen verweilen kann, ohne dem ernsten Gesetz der Notwendigkeit mit einem Schauer zu huldigen, seinen Begierden augenblicklich den Zügel anzuhalten und, ergriffen von dieser ewigen Untreue alles Sinnlichen, nach dem Beharrlichen in 122

seinem Busen zu greifen ? Die Fähigkeit, das Erhabene zu empfinden, ist also eine der herrlichsten Anlagen in der Menschennatur, die sowohl wegen ihres Ursprungs aus dem selbständigen Denk- und Willens vermögen unsre A c h t u n g , als wegen ihres Einflusses auf den moralischen Menschen die vollkommenste Entwickelung verdient. Das Schöne macht sich bloß verdient um den M e n s c h e n , das Erhabene um den r e i n e n D ä m o n in ihm; und weil es einmal unsre Bestimmung ist, auch bei allen sinnlichen Schranken uns nach dem Gesetzbuch reiner Geister zu richten so muß das Erhabene zu dem Schönen hinzukommen, um die ä s t h e t i s c h e E r z i e h u n g zu einem vollständigen Ganzen zu machen und die Empfindungsfähigkeit des menschlichen Herzens nach dem ganzen Umfang unsrer Bestimmung, und also auch über die Sinnenwelt hinaus, zu erweitern. Ohne das Schöne würde zwischen unsrer Naturbestimmung und unsrer Vernunftbestimmung ein immerwährender Streit sein. Über dem Bestreben, unserm G e i s t er b e r u f Genüge zu leisten, würden wir unsre M e n s c h h e i t versäumen und, alle Augenblicke zum Auf bruch aus der Sinnenwelt gefaßt, in dieser uns einmal angewiesenen Sphäre des Handelns beständig Fremdlinge bleiben. Ohne das Erhabene würde uns die Schönheit unsrer Würde vergessen machen. In der Erschlaffung eines ununterbrochenen Genusses würden wir die Rüstigkeit des C h a r a k t e r s einbüßen und, an d i e s e z u f ä l l i g e F o r m des D a s e i n s unauflösbar gefesselt, unsre unveränderliche Bestimmung und unser wahres Vaterland aus den Augen verlieren. Nur wenn das Erhabene mit dem Schönen sich gattet und unsre Empfänglichkeit für beides in gleichem Maß ausgebildet worden ist, sind wir vollendete Bürger der Natur, ohne deswegen ihre Sklaven zu sein und ohne unser Bürgerrecht in der intelligibeln Welt zu verscherzen. Nun stellt zwar schon die Natur für sich allein Objekte in Menge auf, an denen sich die Empfindungsfähigkeit für das Schöne und Erhabene üben könnte; aber der Mensch ist, wie in andern Fällen, so auch hier, von der zweiten Hand besser bedient als von der ersten und will lieber einen zubereiteten und auserlesenen Stoff von der Kunst empfangen, als an der unreinen Quelle der Natur mühsam und dürftig zu schöpfen. Der nachahmende Bildungstrieb, der keinen E i n d r u c k erleiden 123

kann, ohne sogleich nach einem lebendigen A u s d r u c k zu streben, und in jeder schönen oder großen Form der Natur eine Ausforderung erblickt, mit ihr zu ringen, hat vor derselben den großen Vorteil voraus, dasjenige als Hauptzweck und als ein eigenes Ganzes behandeln zu dürfen, was die Natur - wenn sie es nicht gar absichtlos hinwirft - bei Verfolgung eines ihr näher liegenden Zwecks bloß im Vorbeigehen mitnimmt. Wenn die Natur in ihren schönen organischen Bindungen entweder durch die mangelhafte Individualität des Stoffes oder durch Einwirkung heterogener Kräfte G e w a l t e r l e i d e t , oder wenn sie, in ihren großen und pathetischen Szenen, G e w a l t a u s ü b t und als eine Macht auf den Menschen wirkt, da sie doch bloß als Objekt der freien Betrachtung ästhetisch werden kann, so ist ihre Nachahmerin, die bildende Kunst, völlig frei, weil sie von ihrem Gegenstand alle zufällige Schranken absondert, und läßt auch das Gemüt des Betrachters frei, weil sie nur den S c h e i n und nicht die W i r k l i c h k e i t nachahmt. Da aber der ganze Zauber des Erhabenen und Schönen nur in den Schein und nicht in dem Inhalt liegt, so hat die Kunst alle Vorteile der Natur, ohne ihre Fesseln mit ihr zu teilen. Über

VI. D i e B r a u t v o n M e s s i n a den G e b r a u c h des C h o r s in der

Tragödie

Ein poetisches Werk muß sich selbst rechtfertigen, und wo die Tat nicht spricht, da wird das Wort nicht viel helfen. Man könnte es also gar wohl dem Chor überlassen, sein eigener Sprecher zu sein, wenn er nur erst selbst auf die gehörige Art zur Darstellung gebracht wäre. Aber das tragische Dichterwerk wird erst durch die theatralische Vorstellung zu einem Ganzen: nur die Worte gibt der Dichter, Musik und Tanz müssen hinzu kommen, sie zu beleben. So lange also dem Chor diese sinnlich mächtige Begleitung fehlt, so lange wird er in der Ökonomie des Trauerspiels als ein Außending, als ein fremdartiger Körper und als ein Aufenthalt erscheinen, der nur den Gang der Handlung unterbricht, der die Täuschung stört, der den Zuschauer erkältet. Um dem Chor sein Recht anzutun, muß man sich also von der wirklichen Bühne auf eine m ö g l i c h e versetzen; aber das muß man überall, wo man zu etwas 124

Höherm gelangen will. Was die Kunst noch nicht hat, das soll sie erwerben; der zufällige Mangel an Hilfsmitteln darf die schaffende Einbildungskraft des Dichters nicht beschränken. Das Würdigste setzt er sich zum Ziel, einem Ideale strebt er nach; die ausübende Kunst mag sich nach den Umständen bequemen. Es ist nicht wahr, was man gewöhnlich behaupten hört, daß das Publikum die Kunst herabzieht; der Künstler zieht das Publikum herab, und zu allen Zeiten, wo die Kunst verfiel, ist sie durch die Künstler gefallen. Das Publikum braucht nichts als Empfänglichkeit, und diese besitzt es. Es tritt vor den Vorhang mit einem unbestimmten Verlangen, mit einem vielseitigen Vermögen. Zu dem Höchsten bringt es eine Fähigkeit mit, es erfreut sich an dem Verständigen und Rechten, und wenn es damit angefangen hat, sich mit dem Schlechten zu begnügen, so wird es zuverlässig damit aufhören, das Vortreffliche zu fordern, wenn man es ihm erst gegeben hat. Der Dichter, hört man einwenden, hat gut nach einem Ideal arbeiten, der Kunstrichter hat gut nach Ideen urteilen; die bedingte, beschränkte, ausübende Kunst ruht auf dem Bedürfnis. Der Unternehmer will bestehen, der Schauspieler will sich zeigen, der Zuschauer will unterhalten und in Bewegung gesetzt sein. Das Vergnügen sucht er und ist unzufrieden, wenn man ihm da eine Anstrengung zumutet, wo er ein Spiel und eine Erholung erwartet. Aber indem man das Theater ernsthafter behandelt, will man das Vergnügen des Zuschauers nicht aufheben, sondern veredeln. Es soll ein Spiel bleiben, aber ein poetisches. Alle Kunst ist der Freude gewidmet, und es gibt keine Höhere und keine ernsthaftere Aufgabe, als die Menschen zu beglücken. Die rechte Kunst ist nur diese, welche den höchsten Genuß verschafft. Der höchste Genuß aber ist die Freiheit des Gemüts in dem lebendigen Spiel aller seiner Kräfte. Jeder Mensch zwar erwartet von den Künsten der Einbildungskraft eine gewisse Befreiung von den Schranken des Wirklichen, er will sich an dem Möglichen ergötzen und seiner Phantasie Raum geben. Der am wenigsten erwartet, will doch sein Geschäft, sein gemeines Leben, sein Individuum vergessen, er will sich in außerordentlichen Lagen fühlen, sich an den seltsamen Kombinationen des Zufalls weiden; er will, 125

wenn er von ernsthafterer Natur ist, die moralische Weltregierung, die er im wirklichen Leben vermißt, auf der Schaubühne finden. Aber er weiß selbst recht gut, daß er nur ein leeres Spiel treibt, daß er im eigentlichen Sinn sich nur an Träumen weidet, und wenn er von dem Schauplatz wieder in die wirkliche Welt zurück kehrt, so umgibt ihn diese wieder mit ihrer ganzen drückenden Enge, er ist ihr Raub wie vorher, denn sie selbst ist geblieben, was sie war, und an ihm ist nichts verändert worden. Dadurch ist also nichts gewonnen als ein gefälliger Wahn des Augenblicks, der beim Erwachen verschwindet. Und eben darum, weil es hier nur auf eine vorübergehende Täuschung abgesehen ist, so ist auch nur ein Schein der Wahrheit oder die beliebte Wahrscheinlichkeit nötig, die man so gern an die Stelle der Wahrheit setzt. Die wahre Kunst aber hat es nicht bloß auf ein vorübergehendes Spiel abgesehen; es ist ihr ernst damit, den Menschen nicht bloß in einen augenblicklichen Traum von Freiheit zu versetzen, sondern ihn wirklich und in der Tat frei zu m a c h e n , und dieses dadurch, daß sie eine Kraft in ihm erweckt, übt und ausbildet, die sinnliche Welt, die sonst nur als ein roher Stoff auf uns lastet, als eine blinde Macht auf uns drückt, in eine objektive Ferne zu rücken, in ein freies Werk unsers Geistes zu verwandeln und das Materielle durch Ideen zu beherrschen. Und eben darum, weil die wahre Kunst etwas Reelles und Objektives will, so kann sie sich nicht bloß mit demSchein der Wahrheit begnügen; auf der Wahrheit selbst, auf dem festen und tiefen Grunde der Natur errichtet sie ihr ideales Gebäude. Wie aber nun die Kunst zugleich ganz ideell und doch im tiefsten Sinne reell sein - wie sie das Wirkliche ganz verlassen und doch aufs genaueste mit der Natur übereinstimmen soll und kann, das ist's, was wenige fassen, was die Ansicht poetischer und plastischer Werke so schielend macht, weil beide Forderungen einander im gemeinen Urteil geradezu aufzuheben scheinen. Auch begegnet es gewöhnlich, daß man das eine mit Aufopferung des andern zu erreichen sucht und eben deswegen beides verfehlt. Wem die Natur zwar einen treuen Sinn und eine Innigkeit des Gefühls verliehen, aber die schaffende Einbil126

dungs kraft versagte, der wird ein treuer Maler des Wirklichen sein, er wird die zufällige Erscheinungen, aber nie den Geist der Natur ergreifen. Nur den Stoff der Welt wird er uns widerbringen ; aber es wird eben darum nicht unser Werk, nicht das freie Produkt unsers bildenden Geistes sein und kann also auch die wohltätige Wirkung der Kunst, welche in der Freiheit besteht, nicht haben. Ernst zwar, doch unerfreulich ist die Stimmung, mit der uns ein solcher Künstler und Dichter entläßt, und wir sehen uns durch die Kunst selbst, die uns befreien sollte, in die gemeine enge Wirklichkeit peinlich zurück versetzt. Wem hingegen zwar eine rege Phantasie, aber ohne Gemüt und Charakter zu teil geworden, der wird sich um keine Wahrheit bekümmern, sondern mit dem Weltstoff nur spielen, nur durch phantastische und bizarre Kombinationen zu überraschen suchen, und wie sein ganzes Tun nur Schaum und Schein ist, so wird er zwar für den Augenblick unterhalten, aber im Gemüt nichts erbauen und begründen. Sein Spiel ist, so wie der Ernst des andern, kein poetisches. Phantastische Gebilde willkürlich aneinander reihen heißt nicht ins Ideale gehen, und das Wirkliche nachahmend wieder bringen heißt nicht die Natur darstellen. Beide Forderungen stehen so wenig im Widerspruch mit einander, daß sie vielmehr - eine und dieselbe sind; daß die Kunst nur dadurch wahr ist, daß sie das Wirkliche ganz verläßt und rein ideell wird. Die Natur selbst ist nur eine Idee des Geistes, die nie in die Sinne fällt. Unter der Decke der Erscheinungen liegt sie, aber sie selbst kommt niemals zur Erscheinung. Bloß der Kunst des Ideals ist es verliehen, oder vielmehr, es ist ihr aufgegeben, diesen Geist des Alls zu ergreifen und in einer körperlichen Form zu binden. Auch sie selbst kann ihn zwar nie vor die Sinne, aber doch durch ihre schaffende Gewalt vor die Einbildungskraft bringen und dadurch wahrer sein als alle Wirklichkeit und realer als alle Erfahrung. E s ergibt sich daraus von selbst, daß der Künstler kein einziges Element aus der Wirklichkeit brauchen kann, wie er es findet, daß sein Werk in a l l e n seinen Teilen ideell sein muß, wenn es als ein Ganzes Realität haben und mit der Natur übereinstimmen soll. Was von Poesie und Kunst im ganzen wahr ist, gilt auch von allen Gattungen derselben, und es läßt sich ohne Mühe von dem jetzt Gesagten auf die Tragödie die Anwendung machen. Auch 127

hier hatte man lange und hat noch jetzt mit dem gemeinen Begriff des N a t ü r l i c h e n zu kämpfen, welcher alle Poesie und Kunst geradezu aufhebt und vernichtet. Der bildenden Kunst gibt man zwar notdürftig, doch mehr aus konventionellen als aus innern Gründen, eine gewisse Idealität zu; aber von der Poesie und von der dramatischen insbesondere verlangt man I l l u s i on, die, wenn sie auch wirklich zu leisten wäre, immer nur ein armseliger Gauklerbetrug sein würde. Alles Äußere bei einer dramatischen Vorstellung steht diesem Begriff entgegen alles ist nur ein Symbol des Wirklichen. Der Tag selbst auf dem Theater ist nur ein künstlicher, die Architektur ist nur eine symbolische, die metrische Sprache selbst ist ideal; aber die Handlung soll nun einmal real sein, und der Teil das Ganze zerstören. So haben die Franzosen, die den Geist der Alten zuerst ganz mißverstanden, eine Einheit des Orts und der Zeit nach dem gemeinsten empirischen Sinn auf der Schaubühne eingeführt, als ob hier ein anderer Ort wäre als der bloß ideale Raum, und eine andere Zeit als bloß die stetige Folge der Handlung. Durch Einführung einer metrischen Sprache ist man indes der poetischen Tragödie schon um einen großen Schritt näher gekommen. Es sind einige lyrische Versuche auf der Schaubühne glücklich durchgegangen, und die Poesie hat sich durch ihre eigene lebendige Kraft, im einzelnen, manchen Sieg über das herrschende Vorurteil errungen. Aber mit den einzelnen ist wenig gewonnen, wenn nicht der Irrtum im ganzen fällt, und es ist nicht genug, daß man das nur als eine poetische Freiheit duldet, was doch das Wesen aller Poesie ist. Die Einführung des Chors wäre der letzte, der entscheidende Schritt - und wenn derselbe auch nur dazu diente, dem Naturalism in der Kunst offen und ehrlich den Krieg zu erklären, so sollte er uns eine lebendige Mauer sein, die die Tragödie um sich herumzieht, um sich von der wirklichen Welt rein abzuschließen, und sich ihren idealen Boden, ihre poetische Freiheit zu bewahren. Die Tragödie der Griechen ist, wie man weiß, aus dem Chor entsprungen. Aber so wie sie sich historisch und der Zeitfolge nach daraus loswand, so kann man auch sagen, daß sie poetisch und dem Geiste nach aus demselben entstanden, und daß ohne diesen beharrlichen Zeugen und Träger der Handlung eine ganz andere Dichtung aus ihr geworden wäre. Die Abschaffung 128

des Chors und die Zusammenziehung dieses sinnlich mächtigen Organs in die charakterlose langweilig wiederkehrende Figur eines ärmlichen Vertrauten war also keine so große Verbesserung der Tragödie, als die Franzosen und ihre Nachbeter sich eingebildet haben. Die alte Tragödie, welche sich ursprünglich nur mit Göttern, Helden und Königen abgab, brauchte den Chor als eine notwendige Begleitung; sie fand ihn in der Natur und brauchte ihn, weil sie ihn fand. Die Handlungen und Schicksale der Helden und Könige sind schon an sich selbst öffentlich und waren es in der einfachen Urzeit noch mehr. Der Chor war folglich in der alten Tragödie mehr ein natürliches Organ, er folgte schon aus der poetischen Gestalt des wirklichen Lebens. In der neuen Tragödie wird er zu einem Kunstorgan, er hilft die Poesie h e r v o r b r i n g e n . Der neuere Dichter findet den Chor nicht mehr in der Natur, er muß ihn poetisch erschaffen und einführen, das ist, er muß mit der Fabel, die er behandelt, ein solche Veränderung vornehmen, wodurch sie in jene kindliche Zeit und in jene einfache Form des Lebens zurück versetzt wird. Der Chor leistet daher dem neuern Tragiker noch weit wesentlichere Dienste als dem alten Dichter, eben deswegen, weil er die moderne gemeine Welt in die alte poetische verwandelt, weil er ihm alles das unbrauchbar macht, was der Poesie widerstrebt, und ihn auf die einfachsten, ursprünglichsten und naivsten Motive hinauftreibt. Der Palast der Könige ist jetzt geschlossen, die Gerichte haben sich von den Toren der Städte in das Innere der Häuser zurückgezogen, die Schrift hat das lebendige Wort verdrängt, das Volk selbst, die sinnlich lebendige Masse, ist, wo sie nicht als rohe Gewalt wirkt, zum Staat, folglich zu einem abgezogenen Begriff geworden, die Götter sind in die Brust des Menschen zurückgekehrt. Der Dichter muß die Paläste wieder auftun, er muß die Gerichte unter freien Himmel herausführen, er muß die Götter wieder aufstellen, er muß alles Unmittelbare, das durch die künstliche Einrichtung des wirklichen Lebens aufgehoben ist, wieder herstellen und alles künstliche Machwerk an dem Menschen und um denselben, das die Erscheinung seiner innern Natur und seines ursprünglichen Charakters hindert, wie der Bildhauer die modernen Gewänder, abwerfen und von allen äußern 9 v. Wiese, D e u t s c h e D r a m a t u r g i e

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Umgebungen, desselben nichts aufnehmen, als was die höchste der Formen, die menschliche, sichtbar macht. Aber ebenso, wie der bildende Künstler die faltige Fülle der Gewänder um seine Figuren breitet, um die Räume seines Bildes reich und anmutig auszufüllen, um die getrennten Partien desselben in ruhigen Massen stetig zu verbinden, um der Farbe, die das Auge reizt und erquickt, einen Spielraum zu geben, um die menschlichen Formen zugleich geistreich zu verhüllen und sichtbar zu machen, ebenso durchflicht und umgibt der tragische Dichter seine streng abgemessene Handlung und die festen Umrisse seiner handelnden Figuren mit einem lyrischen Prachtgewebe, in welchem sich, als wie in einem weitgefalteten Purpurgewand, die handelnden Personen frei und edel mit einer gehaltenen Würde und hoher Ruhe bewegen. In einer höhern Organisation darf der Stoff oder das Elementarische nicht mehr sichtbar sein; die chemische Farbe verschwindet in der feinen Karnation des Lebendigen. Aber auch der Stoff hat seine Herrlichkeit und kann als solcher in einem Kunstkörper aufgenommen werden. Dann aber muß er sich durch Leben und Fülle und durch Harmonie seinen Platz verdienen und die Formen, die er umgibt, geltend machen, anstatt sie durch seine Schwere zu erdrücken. In Werken der bildenden Kunst ist dieses jedem leicht verständlich, aber auch in der Poesie und in der tragischen, von der hier die Rede ist, findet dasselbe, statt. Alles, was der Verstand sich im allgemeinen ausspricht, ist ebenso wie das, was bloß die Sinne reizt, nur Stoff und rohes Element in einem Dichterwerk und wird da, wo es vorherrscht, unausbleiblich das Poetische zerstören; denn dieses liegt gerade in dem Indifferenzpunkt des Ideellen und Sinnlichen. Nun ist aber der Mensch so gebildet, daß er immer von dem Besondern ins Allgemeine gehen will, und die Reflexion muß also auch in der Tragödie ihren Platz erhalten. Soll sie aber diesen Platz verdienen, so muß sie das, was ihr an sinnlichem Leben fehlt, durch den Vortrag wieder gewinnen; denn wenn die zwei Elemente der Poesie, das Ideale und Sinnliche, nicht innig verbunden zus a m m e n wirken, so müssen s i e n e b e n e i n a n d e r wirken, oder die Poesie ist aufgehoben. Wenn die Wage nicht vollkommen inne steht, da kann das Gleichgewicht nur durch eine S c h w a n k u n g der beiden Schalen hergestellt werden.

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Und dieses leistet nun der Chor in der Tragödie. Der Chor ist selbst kein Individuum, sondern ein allgemeiner Begriff; aber dieser Begriff repräsentiert sich durch eine sinnlich mächtige Masse, welche durch ihre ausfüllende Gegenwart den Sinnen imponiert. Der Chor verläßt den engen Kreis der Handlung, um sich über Vergangenes und Künftiges, über ferne Zeiten und Völker, über das Menschliche überhaupt zu verbreiten, um die großen Resultate des Lebens zu ziehen und die Lehren der Weisheit auszusprechen. Aber er tut dieses mit der vollen Macht der Phantasie, mit einer kühnen lyrischen Freiheit, welche auf den hohen Gipfeln der menschlichen Dinge wie mit Schritten der Götter einhergeht - und er tut es, von der ganzen sinnlichen Macht des Rhythmus und der Musik in Tönen und Bewegungen begleitet. Der Chor r e i n i g t also das tragische Gedicht, indem er die Reflexion von der Handlung absondert und eben durch diese Absonderung sie selbst mit poetischer Kraft ausrüstet; ebenso wie der bildende Künstler die gemeine Notdurft der Bekleidung durch eine reiche Draperie in einen Reiz und in eine Schönheit verwandelt. Aber ebenso wie sich der Maler gezwungen sieht, den Farbenton des Lebendigen zu verstärken, um den mächtigen Stoffen das Gleichgewicht zu halten, so legt die lyrische Sprache des Chors dem Dichter auf, verhältnismäßig die ganze Sprache des Gedichts zu erheben und dadurch die sinnliche Gewalt des Ausdrucks überhaupt zu verstärken. Nur der Chor berechtiget den tragischen Dichter zu dieser Erhebung des Tons, die das Ohr ausfüllt, die den Geist anspannt, die das ganze Gemü t erweitert. Diese eine Riesengestalt in seinem Bilde nötigt ihn, alle seine Figuren auf den Kothurn zu stellen und seinem Gemälde dadurch die tragische Größe zu geben. Nimmt man den Chor hinweg, so muß die Sprache der Tragödie im ganzen sinken, oder was jetzt groß und mächtig ist, wird gezwungen und überspannt erscheinen. Der alte Chor, in das französische Trauerspiel eingeführt, würde es in seiner ganzen Dürftigkeit darstellen und zunichte machen; eben derselbe würde ohne Zweifel Shakespeares Tragödie erst ihre wahre Bedeutung geben. So wie der Chor in die Sprache Leben bringt, so bringt er Ruhe in die Handlung - aber die schöne und hohe Ruhe, die

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der Charakter eines edeln Kunstwerkes sein muß. Denn das Gemüt des Zuschauers soll auch in der heftigsten Passion seine Freiheit behalten; es soll kein Raub der Eindrücke sein, sondern sich immer klar und heiter von den Rührungen scheiden, die es erleidet. Was das gemeine Urteil an dem Chor zu tadeln pflegt, daß er die Täuschung aufhebe, daß er die Gewalt der Affekte breche, das gereicht ihm zu seiner höchsten Empfehlung; denn eben diese blinde Gewalt der Affekte ist es, die der wahre Künstler vermeidet, diese Täuschung ist es, die er zu erregen verschmäht. Wenn die Schläge, womit die Tragödie unser Herz trifft, ohne Unterbrechung auf einander folgten, so würde das Leiden über die Tätigkeit siegen. Wir würden uns mit dem Stoffe vermengen und nicht mehr über demselben schweben. Dadurch, daß der Chor die Teile aus einander hält und zwischen die Passionen mit seiner beruhigenden Betrachtung tritt, gibt er uns unsre Freiheit zurück, die im Sturm der Affekte verloren gehen würde. Auch die tragischen Personen selbst bedürfen dieses Anhalts, dieser Ruhe, um sich zu sammeln; denn sie sind keine wirkliche Wesen, die bloß der Gewalt des Moments gehorchen und bloß ein Individuum darstellen, sondern ideale Personen und Repräsentanten ihrer Gattung, die das Tiefe der Menschheit aussprechen. Die Gegenwart des Chors, der als ein richtender Zeuge sie vernimmt und die ersten Ausbrüche ihrer Leidenschaft durch seine Dazwischenkunft bändigt, motiviert die Besonnenheit, mit der sie handeln, und die Würde, mit der sie reden. Sie stehen gewissermaßen schon auf einem natürlichen Theater, weil sie vor Zuschauern sprechen und handeln, und werden eben deswegen desto tauglicher, von dem KunstTheater zu einem Publikum zu reden. Soviel über meine Befugnis, den alten Chor auf die tragische Bühne zurück zu führen. Chöre kennt man zwar auch schon in der modernen Tragödie; aber der Chor des griechischen Trauerspiels, so wie ich ihn hier gebraucht habe, der Chor als eine einzige ideale Person, die die ganze Handlung trägt und begleitet, dieser ist von jenen operhaften Chören wesentlich verschieden, und wenn ich bei Gelegenheit der griechischen Tragödie von C h ö r e n anstatt von einem Chor sprechen höre, so entsteht mir der Verdacht, daß man nicht recht wisse, wovon man rede. Der Chor der alten Tragödie ist meines Wissens seit dem Verfall derselben nie wieder auf der Bühne erschienen. 132

Ich habe den Chor zwar in zwei Teile getrennt und im Streit mit sich selbst dargestellt; aber dies ist nur dann der Fall, w o er als wirkliche Person und als blinde Menge mithandelt. Als C h o r und als ideale Person ist er immer eins mit sich selbst. Ich habe den Ort verändert und den Chor mehrmal abgehen lassen; aber auch Aeschylus, der Schöpfer der Tragödie, und Sophokles, der größte Meister in dieser Kunst, haben sich dieser Freiheit bedient. Eine andere Freiheit, die ich mir erlaubt, möchte schwerer zu rechtfertigen sein. Ich habe die christliche Religion und die griechische Götterlehre vermischt angewendet, ja selbst an den maurischen Aberglauben erinnert. Aber der Schauplatz der Handlung ist Messina, w o diese drei Religionen teils lebendig, teils in Denkmälern fortwirkten und zu den Sinnen sprachen. Und dann halte ich es für ein Recht der Poesie, die verschiedenen Religionen als ein kollektives Ganze für die Einbildungskraft zu behandeln, in welchem alles, was einen eignen Charakter trägt, eine eigne Empfindungsweise ausdrückt, seine Stelle findet. Unter der Hülle aller Religionen liegt die Religion selbst, die Idee eines Göttlichen, und es muß dem Dichter erlaubt sein, dieses auszusprechen, in welcher Form er jedesmal am bequemsten und am treffendsten findet. V I I . A u s dem B r i e f w e c h s e l A n Goethe, Jena, 4. April 1797 . . . Ich finde, je mehr ich über mein eigenes Geschäft und über die Behandlungsart der Tragödie bei den Griechen nachdenke, daß der ganze Cardo rei in der Kunst liegt, eine poetische Fabel zu erfinden. Der Neuere schlägt sich mühselig und ängstlich mit Zufälligkeiten und Nebendingen herum, und über dem Bestreben, der Wirklichkeit recht nahe zu kommen, beladet er sich mit dem Leeren und Unbedeutenden, und darüber läuft er Gefahr, die tiefliegende Wahrheit zu verlieren, worin eigentlich alles Poetische liegt. E r möchte gern einen wirklichen Fall vollkommen nachahmen und bedenkt nicht, daß eine poetische Darstellung mit der Wirklichkeit eben darum, weil sie absolut wahr ist, niemals koinzidieren kann. . . . E s ist mir aufgefallen, daß die Charaktere des griechischen Trauerspiels mehr oder weniger idealische Masken und keine

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eigentliche Individuen sind, wie ich sie in Shakespeare und auch in Ihren Stücken finde. So ist zum Beispiel Ulysses im Aias und im Philoktet offenbar nur das Ideal der listigen, über ihre Mittel nie verlegenen, engherzigen Klugheit; so ist Kreon im Oedip und in der Antigone bloß die kalte Königs würde. Man kommt mit solchen Charakteren in der Tragödie offenbar viel besser aus, sie exponieren sich geschwinder, und ihre Züge sind permanenter und fester. Die Wahrheit leidet dadurch nichts, weil sie bloßen logischen Wesen ebenso entgegengesetzt sind als bloßen Individuen... An Goethe, Jena, 25. April 1797 . . . Was Sie den besten dramatischen Stoff nennen (wo nämlich die Exposition schon ein Teil der Entwicklung ist), das ist zum Beispiel in den Zwillingen des Shakespeare geleistet. Ein ähnliches Beispiel von der Tragödie ist mir nicht bekannt, obgleich der Oedipus rex sich diesem Ideal ganz erstaunlich nähert. Aber ich kann mir solche dramatische Stoffe recht wohl denken, wo die Exposition gleich auch Fortschritt der Handlung ist. Gleich der Macbeth gehört darunter, ich kann auch die Räuber nennen. Dem Epiker möchte ich eine Exposition gar nicht einmal zugeben; wenigstens nicht in dem Sinne, wie die des Dramatikers ist. Da er uns nicht so auf das Ende zutreibt wie dieser, so rücken Anfang und Ende in ihrer Dignität und Bedeutung weit näher aneinander, und nicht, weil sie zu etwas führt, sondern weil sie selber etwas ist, muß die Exposition uns interessieren. Ich glaube, daß man dem dramatischen Dichter hierin weit mehr nachsehen muß; eben weil er seinen Zweck in die Folge und an das Ende setzt, so darf man ihm erlauben, den Anfang mehr als Mittel zu behandeln. Er steht unter der Kategorie der Kausalität, der Epiker unter der der Substantialität; dort kann und darf etwas als Ursache von was anderm dasein, hier muß alles sich selbst um seiner selbst willen geltend machen... An Goethe, Jena, 2. Oktober 1797 . . . Ich habe mich dieser Tage viel damit beschäftigt, einen Stoff zur Tragödie aufzufinden, der von der Art des Oedipus Rex wäre und dem Dichter die nämlichen Vorteile verschaffte. 134

Diese Vorteile sind unermeßlich, wenn ich auch nur des einzigen erwähne, daß man die zusammengesetzteste Handlung, welche der tragischen Form ganz widerstrebt, dabei zum Grunde legen kann, indem diese Handlung ja schon geschehen ist und mithin ganz jenseits der Tragödie fällt. Dazu kommt, daß das Geschehene, als unabänderlich, seiner Natur nach viel fürchterlicher ist, und die Furcht, daß etwas geschehen sein möchte, das Gemüt ganz anders affiziert, als die Furcht, daß etwas geschehen möchte. Der Öedipus ist gleichsam nur eine tragische Analysis. Alles ist schon da, und es wird nur herausgewickelt. Das kann in der einfachsten Handlung und in einem sehr kleinen Zeitmoment geschehen, wenn die Begebenheiten auch noch so kompliziert und von Umständen abhängig waren. Wie begünstiget das nicht den Poeten!... An Goethe, Jena, 28. November 1797 . . . Ich las in diesen Tagen die Shakespearischen Stücke, die den Krieg der zwei Rosen abhandeln, und bin nun nach Beendigung Richards III. mit einem wahren Erstaunen erfüllt. Es ist dieses letzte Stück eine der erhabensten Tragödien, die ich kenne, und ich wüßte in diesem Augenblick nicht, ob selbst ein Shakespearisches ihm den Rang streitig machen kann. Die großen Schicksale, angesponnen in den vorhergehenden Stücken, sind darin auf eine wahrhaft große Weise geendiget, und nach der erhabensten Idee stellen sie sich nebeneinander. Daß der Stoff schon alles Weichliche, Schmelzende, Weinerliche ausschließt, kommt dieser hohen Wirkung sehr zustatten, alles ist energisch darin und groß, nichts Gemeinmenschliches stört die rein ästhetische Rührung, und es ist gleichsam die reine Form des tragisch Furchtbaren, was man genießt. Eine hohe Nemesis wandelt durch das Stück, in allen Gestalten, man kommt nicht aus dieser Empfindung heraus von Anfang bis zu Ende. Zu bewundern ists, wie der Dichter dem unbehülfliehen Stoffe immer die poetische Ausbeute abzugewinnen wußte, und wie geschickt er das repräsentiert, was sich nicht präsentieren läßt, ich meine die Kunst, Symbole zu gebrauchen, wo die Natur nicht kann dargestellt werden. Kein Shakespearisches Stück hat mich so sehr an die griechische Tragödie erinnert... 135

An Goethe, Jena, 26. Dezember 1797 . . . Ich möchte noch ein zweites Hülfsmittel zur Anschaulichmachung dieses Unterschieds in Vorschlag bringen. Die dramatische Handlung bewegt sich vor mir, um die epische bewege ich mich selbst, und sie scheint gleichsam stille zu stehen. Nach meinem Bedünken liegt viel in diesem Unterschied. Bewegt sich die Begebenheit vor mir, so bin ich streng an die sinnliche Gegenwart gefesselt, meine Phantasie verliert alle Freiheit, es entsteht und erhält sich eine fortwährende Unruhe in mir, ich muß immer beim Objekte bleiben, alles Zurücksehen, alles Nachdenken ist mir versagt, weil ich einer fremden Gewalt folge. Beweg ich mich um die Begebenheit, die mir nicht entlaufen kann, so kann ich einen ungleichen Schritt halten, ich kann nach meinem subjektiven Bedürfnis mich länger oder kürzer verweilen, kann Rückschritte machen oder Vorgriffe tun und so fort. Es stimmt dieses auch sehr gut mit dem Begriff des V e r g a n g e n s e i n s , welches als stillstehend gedacht werden kann, und mit dem Begriff des E r z ä h l e n s , denn der Erzähler weiß schon am Anfang und in der Mitte das Ende, und ihm ist folglich jeder Moment der Handlung gleichgeltend, und so behält er durchaus eine ruhige Freiheit. Daß der Epiker seine Begebenheit als vollkommen vergangen, •der Tragiker die seinige als vollkommen gegenwärtig zu behandeln habe, leuchtet mir sehr ein. Ich setze noch hinzu: Es entsteht daraus ein reizender Widerstreit der Dichtung als Genus mit der Spezies derselben, der in der Natur wie in der Kunst immer sehr geistreich ist. Die Dichtkunst, als solche, macht alles sinnlich gegenwärtig, und so nötigt sie auch den epischen Dichter, das Geschehene zu vergegenwärtigen, nur daß der Charakter des Vergangenseins nicht verwischt werden darf. Die Dichtkunst, als solche, macht alles Gegenwärtige vergangen und entfernt alles Nahe (durch Idealität) und so nötigt sie den Dramatiker, die individuell auf uns eindringende Wirklichkeit von uns entfernt zu halten und dem Gemüt eine poetische Freiheit gegen den Stoff zu verschaffen. Die Tragödie in ihrem höchsten Begriffe wird also immer zu dem epischen Charakter hinaufstreben und wird nur dadurch zur Dichtung. Das epische Gedicht wird ebenso zu dem Drama her u n t e r streben und wird nur dadurch den 136

poetischen Gattungsbegriff ganz erfüllen; just das, was beide zu poetischen Werken macht, bringt beide einander nahe. Das Merkmal, wodurch sie spezifiziert und einander entgegengesetzt werden, bringt immer einen von beiden Bestandteilen des poetischen Gattungsbegriffs ins Gedränge, bei der Epopee die S i n n l i c h k e i t , bei der Tragödie die F r e i h e i t , und es ist also natürlich, daß das Contrepoids gegen diesen Mangel immer eine Eigenschaft sein wird, welche das spezifische Merkmal der entgegengesetzten Dichtart ausmacht. Jede wird also der andern den Dienst erweisen, daß sie die G a t t u n g gegen die A r t in Schutz nimmt. Daß dieses wechselseitige Hinstreben zueinander nicht in eine Vermischung und Grenzverwirrung ausarte, das ist eben die eigentliche Aufgabe der Kunst, deren höchster Punkt überhaupt immer dieser ist, Charakter mit Schönheit, Reinheit mit Fülle, Einheit mit Allheit pp. zu vereinbaren... An Goethe, Jena, 29. Dezember 1797 . . . Wenn das Drama wirklich durch einen so schlechten Hang des Zeitalters in Schutz genommen wird, wie ich nicht zweifle, so müßte man die Reform beim Drama anfangen, und durch Verdrängung der gemeinen Naturnachahmung der Kunst Luft und Licht verschaffen. Und dies, deucht mir, möchte unter andern am besten durch Einführung symbolischer Behelfe geschehen, die in allem dem, was nicht zu der wahren Kunstwelt des Poeten gehört und also nicht dargestellt, sondern bloß bedeutet werden soll, die Stelle des Gegenstandes verträten. Ich habe mir diesen Begriff vom Symbolischen in der Poesie noch nicht recht entwickeln können, aber es scheint mir viel darin zu liegen. Würde der Gebrauch desselben bestimmt, so müßte die natürliche Folge sein, daß die Poesie sich reinigte, ihre Welt enger und bedeutungsvoller zusammenzöge und innerhalb derselben desto wirksamer würde. . . An Goethe, Jena, 24. August 1798 . . . Ich bin verlangend, Ihre neuen Ideen über das Epische und Tragische zu hören. Mitten in einer tragischen Arbeit fühlt man besonders lebhaft, wie erstaunlich weit die beiden Gattungen auseinandergehen. Ich fand dies auf eine mir selbst überraschende Weise bei der Arbeit an meinem fünften Akte, die mich von allem Ruhig-Menschlichen völlig isolierte, weil 137

hier ein Augenblick fixiert werden mußte, der notwendig vorübergehend sein muß. Dieser so starke Absatz, den meine Gemütsstimmung hier gegen alle übrigen freieren menschlichen Zustände machte, erweckte mir beinahe eine Furcht, mich auf einem zu pathologischen Wege zu befinden, weil ich das meinem Individuum zuschrieb, was die Natur des Geschäfts mit sich brachte. Aber so ist es mir ein Beweis mehr, daß die Tragödie nur einzelne außerordentliche Augenblicke der Menschheit, das Epos dagegen, wobei jene Stimmung nicht wohl vorkommen kann, das beharrliche, ruhig fortbestehende Ganze derselben behandelt und deswegen auch den Menschen in jeder Gemütsverfassung anspricht. Ich lasse meine Personen viel sprechen, sich mit einer gewissen Breite herauslassen; Sie haben mir darüber nichts gesagt und scheinen es nicht zu tadeln. Ja Ihr eigener Usus sowohl im Drama als im Epischen spricht mir dafür. Es ist zuverlässig, man könnte mit weniger Worten auskommen, um die tragische Handlung auf- und abzuwickeln, auch möchte es der Natur handelnder Charaktere gemäßer scheinen. Aber das Beispiel der Alten, welche es auch so gehalten haben und in demjenigen, was Aristoteles die Gesinnungen und Meinungen nennt, gar nicht wortkarg gewesen sind, scheint auf ein höheres poetisches Gesetz hinzudeuten, welches eben hierin eine Abweichung von der Wirklichkeit fodert. Sobald man sich erinnert, daß alle poetische Personen symbolische Wesen sind, daß sie, als poetische Gestalten, immer das Allgemeine der Menschheit darzustellen und auszusprechen haben, und sobald man ferner daran denkt, daß der Dichter sowie der Künstler überhaupt auf eine öffentliche und ehrliche Art von der Wirklichkeit sich entfernen und daran erinnern soll, daß ers tut, so ist gegen diesen Gebrauch nichts zu sagen. Außerdem würde, deucht mir, eine kürzere und lakonischere Behandlungsweise nicht nur viel zu arm und trocken ausfallen, sie würde auch viel zu sehr realistisch, hart und in heftigen Situationen unausstehlich werden, dahingegen eine breitere und vollere Behandlungsweise immer eine gewisse Ruhe und Gemütlichkeit, auch in den gewaltsamsten Zuständen, die man schildert, hervorbringt.. . An Johann Wilhelm von Süvern, 26. Juli 1800 . . . Ich theile mit Ihnen die unbedingte Verehrung der 138

Sophokleischen Tragödie, aber sie war eine Erscheinung ihrer Zeit, die nicht wieder kommen kann, und das lebendige Produkt einer individuellen bestimmten Gegenwart einer ganz heterogenen Zeit zum Maßstab und Muster aufdringen, hieße die Kunst, die immer dynamisch und lebendig entstehen und wirken muß, eher tödten als beleben. Unsere Tragödie, wenn wir eine solche hätten, hat mit der Ohnmacht, der Schlaffheit, der Charakterlosigkeit des Zeitgeistes und mit einer gemeinen Denkart zu ringen, sie muß also Kraft und Charakter zeigen, sie muß das Gemüth zu erschüttern, zu erheben, aber nicht aufzulösen suchen. Die Schönheit ist für ein glückliches Geschlecht, aber ein unglückliches muß man erhaben zu rühren suchen... VIII. A u s dem N a c h l a ß Tragödie und Komödie . . . Welche von beiden, die Komödie oder die Tragödie, höher stehe, ist öfters gefragt worden. Man müßte untersuchen, welche das Höhere erzielt, aber dann wird man finden, daß beide aus so verschiedenen Punkten ausgehen und nach so verschiedenen Punkten wirken, daß sie sich nicht vergleichen lassen. Im ganzen kann man sagen: die Komödie setzt uns in einen h ö h e r n Z u s t a n d , die Tragödie in eine h ö h e r e T ä t i g k e i t . Unser Zustand in der Komödie ist ruhig, klar, frei, heiter, wir fühlen uns weder tätig noch leidend, wir schauen an, und alles bleibt außer uns; dies ist der Zustand der Götter, die sich um nichts Menschliches bekümmern, die über allem frei schweben, die kein Schicksal berührt, die kein Gesetz zwingt. Aber wir sind Menschen, wir stehen unter dem Schicksal, wir sind unter dem Zwang von Gesetzen. Es muß also eine höhere, rüstigere Kraft in uns aufgeweckt und geübt werden, damit wir uns wieder herstellen können, wenn jenes glückliche Gleichgewicht, worin die Komödie uns fand, aufgehoben ist. Dort brauchten wir diese Kraft nicht, weil wir mit nichts zu kämpfen hatten; aber hier müssen wir siegen und bedürfen also der Kraft. Die Tragödie macht uns nicht zu Göttern, weil Götter nicht leiden können; sie macht uns zu Heroen, d. i. zu göttlichen Menschen, oder, wenn man will, zu leidenden Göttern, zu Titanen. Prometheus, der Held einer der schönsten Tragödien, ist gewissermaßen ein Sinnbild der Tragödie selbst. 139

QUELLEN-NACHWEIS Martini Opitii Buch von der deutschen Poeterey, Breßlau 1624, hier abgedruckt nach dem Abdruck der ersten Ausgabe, Sechster Druck, Tübingen 1954. S. 19, Z. 25-37; S. 2o, Z. 4-9; S. 20, Z. 1 2 - 1 9 ; S. 31, Z. 17-21. G e o r g P h i l i p p H a r s d ö r f f e r , Poetischer Trichter, Zweiter Teil, Nürnberg 1648. S. 38, Z. 23 - S. 39, Z. 13; S. 71, Z. 10-20; Z. 24-S. 72, Z. 6; S. 72, Z. 1 2 - 1 7 ; 19-20; S. 73, Z. 5-7; Z. 16-20; S. 81, Z. 5-6; Z. 1 0 - 2 1 ; S. 83, Z. 14-S. 84, Z. 15. J o h a n n C h r i s t o p h G o t t s c h e d , Versuch einer Critischen Dichtkunst, 3. Aufl., Leipzig 1742. S. 91, Z. 4 - 1 6 ; S. 164, Z. 1 0 - 1 7 ; S. 706, S. 15-23; S. 710, Z. 36-S. 711, Z. 15; S. 712, Z. 5-7, 29-31; S. 713, Z. 33S. 714, Z. 3, Z. 1 6 - 1 9 ; S. 715, Z. 1 4 - 1 8 ; S. 719, Z. 19-34; S. 739, Z. 35-S. 740, Z. 15; S. 747, Z. 15-27; S. 748, Z. 1 1 - 1 4 ; S. 757, Z. 8-18. J o h a n n E l i a s Schlegel, hier abgedruckt nach: Johann Elias Schlegels aesthetische und dramaturgische Schriften, hrsg. v. J . von Antoniewicz ( = Deutsche Litteraturdenkmale des 18. und 19. Jahrhunderts in Neudrucken, hrsg. v. B. Seuffert, Bd. 26) Heilbronn 1887. Die Stellen 1 und 2 entstammen der Schrift: Schreiben an den Herrn N.N. über die Comödie in Versen (1740). S. 12, Z. 29-32; S. 15, Z. 31-34. Die 3. Stelle entstammt der Schrift: Vergleichung Shakespears und Andreas Gryphs (1741). S. 92, Z. 32-S. 93, Z. 4. Die Stellen 4 und 5 entstammen der Schrift: Abhandlung, daß die Nachahmung der Sache, der man nachahmet, zuweilen unähnlich werden müsse (1745). S. 97, Z. 17-25; S. 98, Z. 26-S. 99, Z. 2. Die 6. Stelle entstammt der Schrift: Vorrede zu Theatralische Werke Durch Johann Elias Schlegel (1747). S. 169, Z. 27-33. Die Stellen 7 - 1 2 entstammen der Schrift: Gedanken zur Aufnahme des dänischen Theaters (1747). S. 194, Z. 25-28; S. 202, Z. 1 5 - 1 6 ; 21-22; S. 203, Z. 15-28, 30-36; S. 205, Z. 18-20; S. 207, Z. 28-34; S. 224, Z. 8-13. 140

G o t t h o l d E p h r a i m L e s s i n g , I. Aus dem Briefwechsel, abgedr. nach: G. E. Lessings sämtliche Schriften, hrsg. v. K. Lachmann u. F. Muncker, 3 . Aufl., Leipzig i 8 8 6 f f . , Bd. 1 7 . II. und III. abgedruckt nach: Lessings Werke, Vollständige Ausgabe in 25 Teilen, hrsg. v. J. Petersen u. W. v. Ophausen. Berlin, Leipzig etc. 1925 ff. I. Aus dem Briefwechsel. 1. Aus dem Brief an Friedrich Nicolai v. 13. 11. 1756, S. 64, Z. 1 8 - S . 6 8 , Z. 11. 2. Aus dem Brief an Moses Mendelssohn v. 18. 12. 1756, S. 85, Z.

5-35.

3. Aus dem Brief an Friedrich Nicolai v. 2. 4. 1757, S. 97, Z. 2 8 - S . 9 8 , Z. 3 0 . II. Aus der Schrift: Briefe, die neueste Literatur betreffend. XVII. Brief v. 16. 2. 1759. 4. Teil, S. 56, Z. 15-S. 58, Z. 7. III. Aus: Hamburgische Dramaturgie, 5. Teil. 2 . Stück S. 31, Z. 37-S. 3 2 , Z. J 9 ( 5· 5· 1767) 7· „ S. 50, Z. 2 6 - S . 5 1 , z . 7 ( 2 2 . 5· 1767) „ S. 6 6 , z . 5 - 1 2 11. ( 5· 6 . 1767) „ S. 76, z . 1 7 - 3 1 6 . 1767) 14. (16. „ S. 95, z . 3 7 - S . 9 6 , z . 3 2 ( 3· 7· 1767) 19. S· I J 3» z . 2 2 - 4 1 23( τ 7· 7· 1767) 29. S. 133, z . 3 5 - S . 1 3 4 , z . 1 8 ( 7· 8 . 1767) 30. „ S. 1 3 8 , z . 2 I - S . 1 3 9 , z . 5 ( ι I . 8 . 1 7 6 7 ) 33· „ S. 151, z . 3 5 - S . 1 5 2 , z . 4 ( 2 1 . 8 . 1767) S. 152, z . 2 3 - 3 1 „ s. 152, z . 3 2 - S . 1 5 3 , z . 3 (25· 8 . 1767) 34· s. 153, z . 1 6 - 3 1 38. „ s. 1 6 9 , z . 3 4 - S . 1 7 0 , z . 6 ( 8· 9· 1767) 46. „ s. 2 0 0 , z . 1 0 - 1 7 ( 6· ΙΟ. 1767) s. 2 0 0 , z . 3 5 - S . 2 0 1 , z . 4 ΙΟ. 1767) 48. „ S. 2 1 0 , z . 3 9 - S . 2 1 1 , z . 1 0 2 2 2 , „ S. z. 1 2 - 2 5 ( 2 3 . ΙΟ. 1767) 51· z . „ S. 2 9 6 , 70. 3-39 ( *· I . Ι 7 6 8 ) z . „ S. 6 S . 3 1 2 , z . 74· 35 (Μ- I . Ι 7 6 8 ) 309, „ s. 312, z . 3 6 - S . 3 1 5 , z . 36 ( Ι 9 . I . Ι 7 6 8 ) 75· „ s. 3 1 8 , z . 6 - S . 3 1 9 , z . 1 0 ( 2 2 . I . 1768) 76. „ s. 3 2 0 , z . 25-S. 3 2 4 , z . 1 8 ( 2 6 . I . Ι 7 6 8 ) 77· 78. „ s. 324, z . 1 9 - S . 3 2 8 , z . 5 ( ζ 9· I . Ι 7 6 8 ) y y

fo·

141

79· StückS. 329, Ζ. 19-S. 33o, Ζ. 2 ( 2 . 2. 1768) S. 33°» Ζ. 4i-S. 33τ5 Ζ. 6 94· » S. 383» Ζ· 30-S. 384, Ζ. 3 ( 2 5· 3· *768) H e i n r i c h Wilhelm v o n G e r s t e n b e r g , Briefe über Merkwürdigkeiten der Litteratur, Erste und Zweyte Sammlung, Schleswig und Leipzig 1766; hier abgedruckt nach: Briefe über die Merkwürdigkeiten der Litteratur, Erste und Zweite Sammlung ( = Deutsche Litteraturdenkmale des 18. und 19. Jahrhunderts in Neudrucken, hrsg. v. B. Seuffert, Bd. 29) Heilbronn 1888. 1. Stelle aus dem Vierzehnten Brief, S. 112, Z. 20-S. 113, Z. 3. 2. Stelle aus dem Fünfzehnten Brief, S. 124, Z. 36—S. 125, Z. 6; S. 125, Z. 11-25. 3. Stelle aus dem Achtzehnten Brief, S. 160, Z. 27-S. 161, Z. 4; S. 161, Z. 14-26. 4. Stelle ebenfalls aus dem Achtzehnten Brief, S. 163, Z. 6 - 1 1 . J o h a n n G o t t f r i e d Herder, abgedruckt nach: Herders Sämmtliche Werke, hrsg. v. B. Suphan, Berlin 1877fr. I. Aus: Shakespear (1773). Bd. 5, S. 209, Z. 16-S. 216, Z. 31; 5. 218, Z. 24-S. 221, Z. 27. II. Aus: Kalligone. Von Kunst und Kunstrichterei. II. Theil. (1800). Bd. 22, S. 152, Z. 8-21. III. Aus: Adrastea. II. Band, IV. Stück (1801). Bd. 23, S. 359, Z. 12-S. 362, Ζ. 1 1 ; S. 381, Z. 8-S. 383, Z. 8; S. 385, Z. 12-23 5 S. 389, Z. 14 - S. 391, Z. 14. J a k o b M i c h a e l R e i n h o l d Lenz, abgedruckt nach J . M. R. Lenz, Gesammelte Schriften, hrsg. v. F. Blei, München 1909 ff. I. Aus: Anmerkungen übers Theater (1774). Bd. 1, S. 238, Z. 9 - 1 8 ; S. 238, Z. 23-S. 239, Z. 3; S. 252, Z. 15-30; S. 253, Z. 20-S. 254, Z. 13. II. Aus: Rezension des neuen Menoza, von dem Verfasser selbst aufgesetzt (1775). Bd. 2, S. 333, Z. 23-S. 334, Z. 16. G o t t f r i e d A u g u s t B ü r g e r , Aus: Aus Daniel Wunderlichs Buch, Erstdruckin Boies Deutschem Museum, 5. Stück(i776); hier abgedruckt nach: Von deutscher Art und Kunst, hrsg. v. H. Kindermann ( = Deutsche Literatur. Sammlung literarischer Kunst- und Kulturdenkmäler in Entwicklungsreihen, 142

hrsg. ν. Η. Kindermann, Reihe Irrationalismus. Bd. 6) Leipzig 1935. S. 305, Z. 21-S. 306, Z. 22. J o h a n n W o l f g a n g Goethe. Bei den Stücken I - I V , V I - I X handelt es sich um Abdrucke, die der Jubiläums- Ausgabe, hrsg. v. E. v. d. Hellen, Stuttgart-Berlin 1902ff., entnommen sind. I. Aus: Aus Goethes Brieftasche. Anhang zu Mercier-Wagners Neuem Versuch über die Schauspielkunst (1775). Bd. 36, S. 115, Z. 8-S. 116, Z. 22. II. Zum SchäkespearsTag(i77i). Bd. 36, S. 3, Z. i - S . 7, Z. 15. III. Aus: Shakespeare und kein Ende(1813-1816). Bd. 37, S. 37, Z. 7-S.45, Z. 19; S. 46, Z. 14-S. 47, Z. 2; S.47, Z. 20-S.48, Z.22. IV. Aus: Wilhelm Meisters Lehrjahre (gedr. 1795/6). Bd. 18, S. 33, Z. 17-S. 35, Z. 9. V. Nachtrag zum Brief an Friedrich Schiller v. 26. 4. 1797, Abdruck nach J. W. Goethe, Gedenkausgabe, hrsg. v. E. Beutler, Zürich 1948 ff. Bd. 20, S. 341, Z. 34-S. 342, Z. 10. VI. Über epische und dramatische Dichtung. Von Goethe und Schiller (1797). Bd. 36, S. 149, Z. 22-S. 152, Z. 20. VII. Aus: Noten und Abhandlungen zu besserem Verständnis des West-Östlichen Divans (gedr. 1814). Bd. 5, S. 223, Z. 20S. 225, Z. 1 1 . VIII. Aus: Prolog zu Eröffnung des Berliner Theaters am 26. Mai 1821. Bd. 9, S. 292, Z. 31-S. 293 Z. 64. IX. Nachlese zu Aristoteles' Poetik (1827). Bd. 38, S. 81, Z. S. 85, Z. 5. X. Aus: Maximen und Reflexionen, abgedruckt nach: Goethes Werke, Hamburger Ausgabe, hrsg. v. E. Trunz, Hamburg 1948 ff. Bd. 12, hrsg. v. H. v. Einem u. H. J. Schrimpf. Nr. 919, S. 495, Z. 1 2 - 1 6 ; Nr. 920, S. 495, Z. 17-20; Nr. 921, S. 495, Z. 21-24. XI. Aus Briefen und Gesprächen. Abgedruckt nach J . W. Goethe, Gedenkausgabe, hrsg. v. E. Beutler, Zürich 1948 ff. 1. Brief an Friedrich Schiller v. 9.12. 1797. Bd. 20, S. 464, Ζ. ι ο ί 3, I7-20. 2. Brief an Karl Friedrich Zelter v. 31. 10. 1831. Bd. 21, S. 1016, Z. 26-31. 3. Friedrich v. Müller berichtet in seinem Tagebuch v. 6.6.182 4. Bd. 23, S. 349, Z. 1 3 - 1 5 . 143

4· Aus den Gesprächen mit Friedrich Wilhelm Riemer (zw. 1803 u. 1814). Bd. 22, S. 751, Z. 1-4. 5. Aus den Gesprächen mit Joh. Peter Eckermann v. t8. 3. 1827. Bd. 24, S. 603, Z. 14-27. F r i e d r i c h S c h i l l e r . Bei den Stücken I - V I und VIII handelt es sich um Abdrucke, die der Säkular-Ausgabe, hrsg. v. E. v. d. Hellen, Stuttgart-Berlin 1904fr., entnommen sind. I. Aus: Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet (1784). Bd. 1 1 , S. 91, Z. 9-36; S. 98, Z. 14-37; S. 99, Z. 25-S. 100, Z. 16. II. Aus: Über den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen (1791). Bd. 1 1 , S. 145, Z. 29-S. 146, Z. 38; S. 152, Z. 2 1 - S . 154, Z. 19. III. Aus: Über die tragische Kunst (1792). Bd. 1 1 , S. 173, Z. 14S. 179, Z. 13. IV. Aus: Über das Pathetische (1793). Bd. 1 1 , S. 246, Z. 1 S. 247, Z. 1 3 ; S. 255, Z. 25-S. 256, Z. 19; S. 261, Z. 1 2 - 3 3 ; S. 267, Z. 32-S. 274, Z. 31. V. Aus: Über das Erhabene (erster Druck 1801). Bd. 12, S. 264, Z. i - S . 265, Z. 17; S. 268, Z. 34-S. 282, Z. 16. VI. Aus: Vorreden und Besprechungen eigener Werke. Die Braut von Messina. Über den Gebrauch des Chors in der Tragödie (1803). Bd. 16, S. 118, Z. 9-S. 128, Z. 25. VII. Aus dem Briefwechsel. Die Ausschnitte aus den Briefen 1 - 7 sind abgedruckt nach J . W. Goethe, Gedenkausgabe, hrsg. v. E. Beutler, Zürich 1948 fr. Bd. 20. 1. An Goethe v. 4. 4. 1797. S. 322, Z. 25-S. 323, Z. 3, S. 323, Z. 15-26. 2. An Goethe v. 25. 4. 1797. S. 339, Z. 33-S. 340, Z. 20. 3. An Goethe v. 2. 10. 1797. S. 435, Z. 8-26. 4. An Goethe v. 28. 1 1 . 1797. S. 456, Z. 12-35. 5. An Goethe v. 26. 12. 1797. S. 475, Z. 29-S. 477, Z. 14. 6. An Goethe v. 29. 12. 1797. S. 480, Z. 4-19. 7. An Goethe v. 24. 8. 1798. S. 613, Z. 20-S. 614, Z. 30. 8. Brief an Johann Wilhelm von Süvern v. 26. 7. 1800, abgedruckt nach: Schillers Briefe, hrsg. v. F. Jonas, Leipzig etc. 1892fr. Bd. 6, S. 175, Z. 25-S. 176, Z. 7. VIII. Aus dem Nachlaß. Aus: Tragödie und Komödie. Bd. 12, S. 329, Z. 28-S. 330, Z. 17. 144