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German Pages 256 Year 2022
Andrea Augsten Design Thinking in der Industrie
Design | Band 51
Andrea Augsten leitet das Team für Innovationsmanagement der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH. Im Rahmen ihrer Arbeit im Bereich Zukunftsforschung und digitale Transformation der Volkswagen AG promovierte sie in Designmanagement und Organisationsentwicklung. Neben ihrer Beratungstätigkeit lehrt die Designforscherin an Universitäten und Institutionen im In- und Ausland. Sie ist Vorständin der Deutschen Gesellschaft für Designtheorie und -forschung und Mitglied im Think Tank 30 des Club of Rome. Bei Staat-up engagiert sie sich für eine moderne Führungskultur im öffentlichen Sektor.
Andrea Augsten
Design Thinking in der Industrie Strategien für den organisationalen Wandel?
Die Publikation basiert auf der Dissertation »Design Thinking und organisationale Veränderungen. Eine Fallstudie in der Unternehmenspraxis der Volkswagen Aktiengesellschaft«, die an der Bergischen Universität Wuppertal am Lehrstuhl Designtheorie im Juni 2020 verteidigt wurde. Die Ergebnisse, Meinungen und Schlüsse dieser Dissertation sind nicht notwendigerweise die der Volkswagen Aktiengesellschaft.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2022 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Silja Hillmann, Berlin Korrektorat: TIESLED Satz Service, Köln Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-5543-8 PDF-ISBN 978-3-8394-5543-2 https://doi.org/10.14361/9783839455432 Buchreihen-ISSN: 2702-8801 Buchreihen-eISSN: 2702-881X Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschaudownload
Inhalt
Einleitung ....................................................................9 1. 1.1. 1.2. 1.3. 1.4. 1.5.
Design Thinking ....................................................... 19 Ein Konzept für die Praxis .............................................. 21 Der Managementdiskurs ............................................... 30 Der Designdiskurs .................................................... 37 Die Anwendung als Technik, Methode und Strategic Art ................. 45 Die Kontroversen um den Begriff....................................... 49
2. Studie ................................................................ 57 2.1. Forschungsstrategie .................................................... 61 2.2. Methodisches Vorgehen................................................ 66 3. 3.1. 3.2. 3.3. 3.4. 3.5.
Erkenntnisse aus der Praxis ......................................... 75 Die Entwicklung von Design Thinking bei Volkswagen ................... 75 Die pluralistischen Auffassungen von Design Thinking .................. 115 Die Spannungsfelder für Anwender:innen in der Unternehmenspraxis ...143 Die Veränderungen durch Design Thinking..............................186 Der Fall VW und die Design(-Thinking-)Theorie.......................... 196
4. 4.1. 4.2. 4.3.
Handlungsempfehlungen............................................. 207 Für die Unternehmenspraxis ......................................... 207 Für die Designdisziplin................................................. 214 Das Potenzial von Design Thinking als Strategic Art ................... 225
5. 5.1. 5.2. 5.3. 5.4.
Anhang .............................................................. 233 Dank ................................................................. 233 Literatur ............................................................. 235 Glossar ............................................................... 247 Abbildungsverzeichnis ................................................ 253
dedicated to life
Einleitung Design Thinking ist in aller Munde, räsoniert und stolpert zugleich über Vorhandenes – warum ist das so? (Notiz Forschungstagebuch)
Diese Frage notierte ich mir Mitte 2015, nachdem ich einige Monate täglich die Unternehmenspraxis von Volkswagen beobachtet hatte. Vergleichbar mit einzelnen Keimzellen, tauchten dort punktuell Postit-Notes und ähnliche Bastelmaterialien auf, die in ihrer Gesamtheit als Design Thinking bezeichnet wurden. Auf Nachfrage, was Design Thinking sei, erklärten mir Mitarbeitende lapidar, dass sie fortan durch Design Thinking die Produkte entwickeln würden, die Kund:innen haben wollen. Meine Notiz endete mit der Frage: »Läutet Design Thinking hier eine Demokratisierung von Kreativmethoden ein?« Tatsache ist, dass Mitarbeitende in unterschiedlichen Unternehmensbereichen neue Methoden und Techniken anwenden, um mit veränderten Arbeitsweisen Ideen zu entwickeln. Dies führt zu der Frage, wie diese Ideen in einem organisationalen Umfeld Fuß fassen, das auf die Optimierung von automobilen Produktionsprozessen programmiert ist. Die beobachtete Ausbreitung von Design Thinking bei Volkswagen scheint Teil einer weitläufigeren Entwicklung zu sein. Das heißt, die ungewöhnliche Arbeitsweise und das Verständnis von Design Thinking als Förderer von Ideen wirken attraktiv auf Industrieunternehmen – zumindest entsteht dieser Eindruck, verfolgt man die seit knapp zehn Jahren rasant fortschreitende und sich stetig auf neue Wirkungsfelder
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ausbreitende Entwicklung in Deutschland. Es scheint, als ob das Versprechen von Design Thinking, einen positiven Beitrag zur Entwicklung von Innovationen zu leisten, in der Praxis Anklang findet (u.a. Dunne/ Martin 2006; Gloppen 2009; Brown 2009). Sucht man nach den Gründen für diese Entwicklung, fällt zunächst auf, dass besonders in etablierten Sektoren wie der Automobilindustrie der Bedarf nach Veränderungen hoch und dringend ist. Die Digitalisierung, gesättigte Märkte und neue Wettbewerber fordern produzierende Unternehmen heraus, in immer kürzeren Entwicklungszyklen neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln (KPMG 2016; Brandt et al. 2019). In diesem Zuge öffnen sich Industrieunternehmen für eine Reihe von neuen Techniken und Methoden und loten ihre Passung aus. Im Vergleich zu neuen Konzepten wie Scrum oder Agiles Projektmanagement, die häufig einen (informations-)technischen Ursprung haben, scheint Design Thinking flexibler, intuitiver und kreativer zu sein. Darüber hinaus suggerieren auch der Begriff und die erwähnten Arbeitsmaterialien eine besondere Nähe zur Designdisziplin. Der Grund für den rasanten Aufstieg scheint offenkundig zu sein: Organisationen öffnen sich für designbasierte Ansätze in der Arbeitsgestaltung, weil sie sich davon einen Wandel erhoffen, der ihnen hilft, dem Innovationsdruck des Marktes standzuhalten (Razzouk/Shute 2012; Martin 2009). Die Beobachtungen bei VW zeigen jedoch auch, dass Mitarbeitende (noch) kein konkretes Verständnis davon entwickeln konnten, was genau Design Thinking ist. Zugleich bedeutet diese Tatsache auch, dass, um die notierte Frage zu beantworten, was die erweiterte Anwendung von Kreativmethoden in neuen Unternehmensbereichen bewirken könnte, zunächst verstanden werden muss, wie die Einführung und Anwendung von Design Thinking in einem etablierten Industrieunternehmen wirklich funktioniert. Der Blick in die Designtheorie zeigt, dass es auch im Wissenschaftsdiskurs kein einheitliches Verständnis von Design Thinking gibt. Seit jeher existiert dort ein Spannungsfeld, das sich grob in zwei Pole unterscheiden lässt: Design Thinking als Methode und als Denkweise, auch Mindset genannt. Als Methode charakterisiert, wird es für eine linear-kreative Entwicklung von nutzer:innenzentrierten Ideen
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angewendet (u.a. Brown 2009; Meinel et al. 2015; Liedtka 2011). Als Denkweise verstanden, ist überwiegend ein ganzheitlicher, humanzentrierter Ansatz als Einstellung und strategische Herangehensweise von Handelnden gemeint, welche zum Beispiel eine Vision oder die Werte eines Unternehmens umfasst oder auf Prinzipien abstellt, nach denen Entscheidungen getroffen werden (u.a. Buchanan 2001a; Junginger 2008; Michlewski 2015). Diejenigen, die Design Thinking als Denkweise begreifen, begründen ihre Argumentation häufig mit einem seit den 1950er-Jahren verstärkt im angelsächsischen Raum beheimateten Designtheoriediskurs, während die Ausprägung als Methode mit der Innovationsagentur IDEO und der Stanford University und dortigen Ansätzen des Entwerfens von Produkten verknüpft wird. Relevant ist zu verstehen, dass innerhalb des beschriebenen Spannungsfeldes drei Paare wirken: einerseits die Interpretationen (Methode-Mindset), andererseits die zwei disziplinären Arenen, in denen sich Design Thinking entwickelt hat (Design- und Managementtheorie) und drittens der zeitliche Kontext (1950er- bis 2000er-Jahre). Sprich Design Thinking als Begriff, Anwendungskonzept und theoretisches Modell treffen in allen drei Fällen auf andere weltliche Umstände, sprechen ein anderes Publikum an und referenzieren unterschiedliche Positionen in der Forschung, ohne dabei Überschneidungen, Gemeinsamkeiten, Redundanzen und Widersprüche auszuschließen. Die Ausprägung von Design Thinking als Methode ist es, die den Aufstieg in der Praxis prägt: Seit Anfang der 2000er-Jahre häufen sich Sichtweisen, in denen der Begriff beziehungsweise das Konzept als kund:innenzentrierter Innovationsförderer bezeichnet wird. Die Interpretation stellt für die Anwendung Prozesse, Werkzeuge und Methoden bereit und eröffnet Anwendenden eine kreative und zugleich strukturierte Herangehensweise zu Problemlösungen (IDEO 2003, 2009). Geprägt wurde dieser Ansatz vor allem seitens der bereits genannten kalifornischen Firma IDEO, der School of Design an der Stanford University in Palo Alto, Kalifornien, und dem dortigen Hasso-PlattnerInstitut. Die genannten Organisationen gehören zu den führenden institutionellen Vertreter:innen dieser Ausprägung und haben ihr Verständnis in Artikeln, Vorträgen und Schulungen weitergegeben. Ihre
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Konzepte und Präzisierungen von Design Thinking werden aufgrund des ursprünglichen Standorts der Vertreter:innen auch (ironisch) als die »Silicon Valley Design Methods« (Menezes 2019; Katz 2015) bezeichnet. Eine zweite HPI School of Design Thinking wurde in Potsdam eröffnet. Dies geschah initiiert durch den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden des Softwareunternehmens SAP, Hasso Plattner. Seit nunmehr 2008 bietet das Institut Seminare für Studierende und Berufstätige an, und seither steigt der Bekanntheitsgrad von Design Thinking im deutschsprachigen Raum, indem mehr und mehr Mitarbeitende in Industrieunternehmen, Start-ups und dem öffentlichen Sektor Design Thinking (HPI School of Design Thinking 2019) in dieser Ausprägung kennenlernen. Die Ausführungen zu den beiden Interpretationen von Design Thinking verdeutlichen die Gemengelage, in der sich Anwender:innen befinden, wenn sie im industriellen Kontext erstmalig mit Design Thinking in Berührung kommen. Während sie ihm vermutlich als Methode der Produktentwicklung begegnen, arbeiten sie mit Menschen zusammen, die möglicherweise ein anderes Verständnis haben. Zudem findet die Anwendung in einer industriell geprägten Unternehmenspraxis statt, die bisher überwiegend technokratische Werte, quantitativ messbare Prinzipien und lineare Prozesse verfolgt hat (vgl. Augsten et al. 2016). Für diese Unternehmen scheint es nahezu selbstverständlich, auch Design Thinking in ein Paradigma einzuordnen, das sie kennen: in den Kontext von industriellen Prozessen, Methoden und Techniken. In Zeiten, in denen Unternehmen um ihr Bestehen kämpfen müssen, mutet somit eine Methode zur kreativen Ideenentwicklung (Brown/Katz 2011) zunächst ungewöhnlich, aber auch simpel in der Anwendung an. Designtheoretiker:innen kritisieren diese limitierte Sichtweise von Design Thinking als kreativitätsfördernde Methode (u.a. Lindberg et al. 2012). Sie verstehen es als humanzentrierte Denkweise, die sich auch in der designbasierten bzw. -theoretischen Forschung etabliert hat. In Bezug auf die Anwendung in der Praxis sehen u.a. Buchanan und Junginger das Potenzial von Design Thinking als Einfallstor für einen systemischem Wandel in Organisationen. In diesem Verständnis bewirkt – oder bezweckt – die Anwendung von Design Thinking weitaus mehr als die Sicherung von Marktrelevanz. Als Denkweise leiste
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es einen positiven Beitrag zu einer organisationalen Neuausrichtung, in der ein Mensch als soziales Wesen, als Lebewesen, aber auch als Teilnehmer:in und Akteur:in in der Mitwelt und Umwelt eine zentrale Rolle einnimmt. Ob Design Thinking als Methode dazu (auch) einen Beitrag leisten kann, wird ihrerseits bezweifelt. Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Tatsache, dass Design Thinking als etwas Bahnbrechendes und Neues dargestellt wird: Für Designer:innen sind die angeführten Methoden und Techniken, wie Visualisierungen, das schnelle Erstellen von tangiblen Prototypen oder Nutzer:innenbefragungen, nicht neu, sondern werden seit jeher im Entwurfsprozess angewendet. Mithin scheinen einige Designer:innen Design Thinking und seine Popularisierung von Designpraktiken als unlauteres Feilbieten von altem Wein in neuen Schläuchen zu empfinden, wenn nicht sogar als Profanisierung eines professionellen Standes. Berücksichtigt werden muss jedoch, dass dieser Diskurs zwar seit den 1950er-Jahren innerhalb der Designtheorie geführt wurde, aber nur eine geringe Aufmerksamkeit in Managementdiskursen oder in der Praxis erlangte. Letzteres hat sich seit dem gegenwärtigen Aufstieg verändert: Design Thinking als Methode zur Innovationsentwicklung führt den Diskurs an, der in der Industrie und darüber hinaus für Aufmerksamkeit sorgt. Dabei kann diese Aufmerksamkeit tendenziell die Tatsache verschleiern, dass genannte Strategien, Prinzipien und Methoden in der Theorie der Designprofession weder neu noch einzigartig sind. Dennoch gelang es Design Thinking erst Anfang der 2000er-Jahre, sich im Gewand einer Methode zum Modethema für die Entwicklung von Produktinnovation zu wandeln sowie bei Manager:innen und Mitarbeitenden ein verändertes Bewusstsein für Designer:innen und kreative Handlungsweisen zu wecken. Das zeigen auch aktuelle Stellenausschreibungen, die explizit professionelle Designer:innen im Kontext von Innovations- und Unternehmensberatung suchen (Accenture 2019). Die Ausgabe des Harvard Business Review Magazins, ein führendes internationales Wirtschaftsmagazin, titelte im September 2015 The Evolution of Design Thinking (HBR 2015) und rechtfertigt damit die Annahme, dass es von vielen Manager:innen wahrgenommen wurde. Die mediale Aufbereitung flankiert auch den Aufschwung im deutschsprachigen
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Raum (Brown/Martin 2015). Darüber hinaus unterstreicht der Bericht The business value of design der Unternehmensberatung McKinsey & Company das »potential for design-driven growth is enormous in both product- and service-based sectors« (Sheppard et al. 2018: 5). Das Verwenden des Begriffs in Kontexten, die in Industrie und Management akzeptiert sind, hat Design Thinking in der Wirtschaft auf die Agenda gerufen und scheint es damit gegenwärtig populär und relevant werden zu lassen. Das erwähnte Spannungsfeld, in dem sich Verständnisse von Design Thinking bewegen, zeigt sich sowohl in den Diskursen in den Design- und Managementwissenschaften als auch in der Anwendung in der Praxis: Für Mitarbeitende in Industrieunternehmen scheint es herausfordernd, diese unterschiedlichen Interpretationen zu verstehen und auf ihren Bedarf hin auszuwählen. Viele sind infolgedessen verunsichert, wie sie zwischen Methode und Denkweise navigieren sollen. Auf den ersten Blick scheint es in der Praxis eine Tendenz zu geben, Design Thinking als Methode zu verstehen und die Ausprägung zu referenzieren, die von IDEO und Co. vertreten wird. Diese bietet sich besonders für Schulungen oder einzelne Projekte an, in denen Mitarbeitende einen Prozess mit verschiedenen Phasen durchlaufen und in jeder Phase konkrete Techniken und Methoden ausprobieren, um nutzer:innenzentrierte Ideen zu entwickeln. Was genau dabei als Methode bezeichnet wird und wie es in der realen Unternehmenspraxis konkret angewendet wird, bleibt weiterhin unklar. Zusätzlich häufen sich Hinweise darauf, dass Design Thinking auch für neue Zusammenarbeitsmodelle und eine offenere Unternehmenskultur Anklang findet, die im Zuge von komplexen Herausforderungen und der Notwendigkeit zur digitalen Transformation in den Fokus rücken. Ob und wie es dazu einen möglichen Beitrag leistet, bleibt häufig diffus. Unterstreichen möchte ich an dieser Stelle, dass ich es nicht für problematisch halte, Design Thinking als Methode zu verstehen, die mit dem Wunsch nach veränderten, kund:innenzentrierten Arbeitsweisen und neuen Techniken in industriellen Unternehmen Einzug erhält. Es ist ebenso wenig kritisch, dass sich viele Verständnisse in der Praxis eher an die Ausprägung anlehnen, die IDEO, Stanford oder das Hasso-
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Plattner-Institut proklamieren. Was bislang unbeachtet bleibt, ist die Abhängigkeit zwischen der Ausprägung und der zugeschriebenen Erwartungshaltung. Die Arbeit geht jedoch davon aus, dass das Verständnis von Design Thinking in Relation zur Zielsetzung betrachtet werden muss, um den möglichen Beitrag zu erkennen, den Design Thinking in Bezug auf Veränderungen in etablierten Industrieunternehmen leisten kann. Die Frage danach, was Design Thinking genau ist, lässt sich also nur in Verbindung mit der Frage beantworten, was durch die Anwendung erreicht werden soll. Buchanan und Junginger, beides Forschende an der Schnittstelle von Design, Management und Organisation, liefern ein Modell, das helfen kann, die unterschiedlichen Auffassungen von Design Thinking zu verstehen, die das Handeln von Mitarbeitenden in der Praxis (diffus) prägen. Das Modell unterscheidet zwischen der Anwendung als Technik, als Methode und als gestaltendes Denken und Handeln (Junginger 2016), wie in Abbildung 1 dargestellt.
Abb. 1: Anwendungsformen von Design Thinking nach Junginger (2016)
Wegweisend an dem Dreiklang ist, dass jede Möglichkeit einen anderen Beitrag zum Wandel in Organisationen leistet. Als Technik angewendet, löst Design Thinking laut Modell isolierte, niederkomplexe Probleme, z.B. durch das Anfertigen von visualisierten Gesprächsprotokollen in Besprechungen, auch als Visual Recording bekannt. Angewendet als Methode würden dieselben Visualisierungen dazu dienen, narrativ zu beschreiben, inwiefern sich Arbeitsweisen im Team durch das Benutzen von visuellen Protokollen verändern, wie beispielsweise, dass
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Visualisierungen eine Erzählung wiedergeben, die Menschen dabei unterstützt, transparent zu kommunizieren. In dieser Ausführung macht Design Thinking »inroads in the organization« (Junginger 2016: 38), das heißt, es greift punktuell in innerorganisationale Veränderungen ein, wie hier die Teamkommunikation. Im skizzierten Modell gibt es jedoch noch eine weitere Kategorie, in der Design Thinking als Strategic Art angesehen und angewendet wird. Übersetzt als gestaltendes Denken und Handeln würde es laut Junginger angewendet, um die Ausrichtung einer Organisation zu gestalten, Budgetverteilungen, Karrierewege für Mitarbeitende und insbesondere Führungskräfte zu entwickeln oder Zusatzvergütungskonzepte. Adressiert sind also solche Themenbereiche, die einen Beitrag zur strategischen Ausrichtung eines Unternehmens haben. Wenden Mitarbeitende also Design Thinking als Methode an – neben den erwähnten disziplinären Unterschieden –, können Veränderungen auf einer taktisch-kurzfristigen oder operativen Ebene bewirkt werden. Als Methode führt es laut Junginger nicht zu Veränderungen von Geschäftsmodellen, Werten oder Unternehmensausrichtungen, also nicht zu solchen, die auf einer strategisch-langfristigen Ebene liegen. Um Design Thinking also phänomenologisch zu untersuchen, ist das Wissen um das zuvor skizzierte Spannungsfeld ebenso relevant wie das erkenntnisgewinnende Reflektieren und Systematisieren von Beobachtungen und Befragungen aus der Praxis anhand des Modells. Es bietet die konzeptionelle Rahmung für diese Studie, um zwischen den diffusen Anwendungsformen von Design Thinking zu navigieren und diese in Bezug auf organisationale Veränderungen in Unternehmen zu betrachten. Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen geht die Arbeit der Frage nach: Inwiefern leistet Design Thinking in einer bestehenden Unternehmenspraxis einen Beitrag zu organisationalen Veränderungen? Zur Beantwortung wird am Fallbeispiel der Volkswagen Aktiengesellschaft untersucht, wo, durch wen, warum und wie Design Thinking angewendet wird. Dafür muss jedoch zunächst erforscht werden, wie Design Thinking verstanden und in welchem konkreten, organisationalen Kontext es angewendet wird, um ausgehend davon Erkenntnisse über den möglichen Beitrag zu Veränderungen in einem Unternehmen zu
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gewinnen. Dafür wurde die Studie im Rahmen einer dreijährigen Promotionsstelle bei VW durchgeführt, die den besonderen Feldzugang ermöglichte. Bei VW befindet sich zu diesem Zeitpunkt die Entwicklung von Design Thinking in den Kinderschuhen, und es gibt weder ein explizites oder einheitliches Verständnis über Design Thinking noch eine Strategie zur Anwendung oder eine Zielsetzung. Die Anwendung von etwas, das als Design Thinking bezeichnet wird, verbreitet sich stattdessen organisch in unterschiedlichen Unternehmensbereichen. Um dies für Lesende verständlich zu machen, wirft die Arbeit zunächst einen Blick auf das Bekannte: Der Hauptteil kartografiert die Ursprünge und die unterschiedlichen disziplinären Diskurse, bevor im zweiten Kapitel auf die eigentliche Fragestellung eingegangen wird, für deren Beantwortung von März 2015 bis Februar 2018 Mitarbeitende in Arbeitskontexten, wie Besprechungen, Workshops und Weiterbildungsseminaren, teilnehmend beobachtet und befragt wurden, um ihre tatsächlichen und konkreten Bemühungen, Widerstände und Reaktionen in der unternehmerischen Praxis zu untersuchen. Das dritte Kapitel widmet sich den gewonnenen Erkenntnissen aus der Praxis: die Chronologie, in der sich Design Thinking bei VW über den Zeitraum der Studie entwickelt, gefolgt von den unterschiedlichen Verständnissen und Anwendungsmöglichkeiten von Mitarbeitenden. Aufbauend auf dieser Darstellung, werden die aggregierten Hürden und Potenziale beschrieben, die sich durch die Systematisierung der Daten entwickelten. Grundsätzlich exploriert die Arbeit dafür zunächst innerorganisationale Umsetzungsproblematiken und damit verbundene Spannungsfelder in der unternehmerischen Praxis, identifiziert Arten von Wirksamkeiten und präsentiert abschließend Handlungsempfehlungen und Potenziale, um gestalterisches Denken und Handeln für einen systemischen Wandel wirksam zu machen.
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1. Design Thinking
Das erkenntnisleitende Interesse dieser Arbeit richtet sich darauf, wie Design Thinking in der industriellen Unternehmenspraxis Einzug hält und inwieweit die Einführung einen Beitrag zu den organisationalen Veränderungen leistet. Dazu ist es förderlich, zunächst zu fragen, was genau gemeint ist, wenn von Design Thinking gesprochen wird. Das erste Kapitel dient dazu darzustellen, was bislang bekannt ist, und verortet die Fragestellung aus der Einleitung. Nach einem Überblick von Design Thinking als Lehrkonzept skizziert dieses Kapitel die Entwicklungen im Management- und im Designdiskurs. Eine Diskussion der Kontroversen um Begriff und Anwendung führt schließlich zur Darstellung des Erkenntnisinteresses dieser Arbeit. Wie in der Einleitung beschrieben, entwickelte sich das akademische Interesse an Design Thinking in zwei benachbarten Disziplinen mit unterschiedlichen Foki: der Designwissenschaft und der Managementtheorie. Vergleichende Literaturanalysen beider Diskursstränge, wie sie z.B. Johansson-Sköldberg et al. (2009 und 2013) und Hassi und Laakso (2011) durchgeführt haben, geben eine erste Orientierung, indem sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider aufzeigen. Hassi und Laakso (2011: 3) beschreiben »two different streams of the concept of Design Thinking«. Der erste stream hat seinen Ursprung in der Designforschung und beginnt in der 1950er-Jahren. Der zweite stream entwickelt sich erst in den 2000er-Jahren. Laut Hassi und Laakso fokussiert der Designdiskurs »the way designers think as they work«. Der Managementdiskurs verstehe dagegen unter Design Thinking eine »method for innovation and creating value«. Mit einer Methode ist dabei
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eine Handlungsanweisung für Innovation gemeint (vgl. Liedtka 2014; Uebernickel et al. 2015; Brown 2008; Lockwood 2009; Camacho 2019), wohingegen sich ein Mindset auf die innere Einstellung bezieht, mit der Menschen Situationen begegnen und Zukunftsszenarien gestalten (vgl. Buchanan 2015; Michlewski 2016; Junginger 2016). Im Managementdiskurs wird es überwiegend als Kreativitätsförderung angesehen, das Verständnis von Design Thinking als ganzheitliche Denkweise findet sich verstärkt in den Designwissenschaften. Prinzipiell zeichnen diese Analysen ein Spannungsfeld zwischen zwei Ausprägungen und unterschiedlichen theoretischen Definitionen, in denen Design Thinking erörtert wird. In der Praxis integrieren immer mehr Unternehmen Methoden und Techniken in ihre Arbeitsabläufe, die sie als Design Thinking bezeichnen. Dabei scheint es, dass sie weitestgehend ohne Rückgriff auf die kartografierten theoretischen Diskurse auskommen. In der Praxis gestalten somit Handelnde, die meist keinen oder nur einen begrenzten Zugang zu theoretischen Kenntnissen haben, ein eigenes Verständnis von Design Thinking. Noch mehr als in den akademischen Debatten führt das zu einer Diffusität des Konzepts in Sprache und Handeln, mit wechselnden Begrifflichkeiten und Erwartungen. Um den Begriff in seiner Anwendung in der Industrie zu bestimmen, kann dies nur durch die Untersuchung des konkreten Anwendungskontextes passieren, wie das dritte Kapitel für den Fall Volkswagen vornimmt. Neben den erwähnen akademischen Arenen gibt es einen DesignThinking-Diskurs, der die Anwendung in Unternehmen direkter prägt als die Wissenschaften: Es sind die Ausbildungsinstitutionen, die sich der Lehre verschrieben haben und ihr Geschäftsmodell auf dieser Vermittlung fußt. In Potsdam nahm im Jahr 2008 das sogenannte HassoPlattner-Institut als erste Institution im deutschsprachigen Raum die Design-Thinking-Lehre auf. Die Vermittlung richtete sich an Studierende sowie Expert:innen aus Unternehmen. In weiterer Folge boten viele Schulungen ähnliche Weiterbildungskurse an, und es entstand ein vielfältiges Schulungsangebot. Die meisten dieser Institutionen lassen sich zwischen Management- und Designwissenschaft ansiedeln, wobei sie sich weitestgehend auf die späteren Anwendungsmöglichkeiten in
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der Praxis fokussieren. Die Anbindung an die Forschungsdiskurse ist daher eher lose oder findet sporadisch statt. Um so förderlicher ist es, diesen Lehrdiskurs zu betrachten, um ein Verständnis darüber zu erlangen, welche Entwicklungen und Prämissen innerhalb der Praxis über Design Thinking existieren.
1.1.
Ein Konzept für die Praxis
Um mögliche (positive und negative) Beiträge von Design Thinking für einen Wandel in Unternehmen zu verstehen, reicht es nicht aus, Ursprung und Ausprägungen zu kennen. Es bedarf vielmehr eines Verständnisses über die tatsächliche Anwendung im Unternehmensumfeld. Die Entwicklungen in der Praxis zeigen, dass dabei besonders häufig auf das Verständnis, geprägt durch IDEO & Co., referenziert wird (vgl. Johansson-Sklödberg 2013), meist, ohne auf den Designdiskurs seit den 1950er-Jahren zu verweisen. Die konkretesten Konzeptualisierungen von Design Thinking sind demnach an Schulen zu finden, die sich die Vermittlung auf die Fahnen schreiben. Auch wenn das seitens der professionellen Designcommunity weder von Theoretiker:innen noch Praktiker:innen geschätzt wird, scheint es die schnelle Verbreitung von Design Thinking in Industrieunternehmen nicht einzuschränken. Jedoch beeinflusst es die Anwendungsformen in der Praxis und prägt die diversen Formen der Ausgestaltung.
Kernaspekte Dass Design Thinking in der Anwendung mehrdeutig bleibt, bedeutet nicht, dass es an Versuchen mangelt, Begriff und Praxis positiv zu beschreiben oder gar normativ zu fassen. Die einflussreichsten davon haben mit den Programmen einzelner renommierter Universitäten im angloamerikanischen Raum zu tun, wie die Rotman School of Management oder die d.school der Stanford University. Diese verfolgen primär das Ziel, Studierende und Expert:innen Design Thinking beizubringen, und tragen maßgeblich zur Verbreitung und Anwen-
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dung in Industrieunternehmen bei. Trotz leichten Differenzen in ihren Programmatiken nennen alle Institutionen drei Kernaspekte: die Vorgehensweise anhand eines (normativen) Prozessmodells, die kollaborative Zusammenarbeit von Expert:innen mit unterschiedlichen (disziplinären) Hintergründen und ein flexibles Raumkonzept zur Förderung interaktiver Arbeitsweisen (u.a. Stanford d.school 2010; Seidel/ Fixson 2013). Auch zwischen den Prozessmodellen der Schulen gibt es nur geringe Differenzen wie die Anzahl an Prozessschritten. Während beispielsweise der Prozess der d.school (2009) zunächst sechs Schritte umfasste, wurde das Modell im Jahr 2010 auf fünf Prozessschritte reduziert: • • • • •
Empathize: Datenerhebung, z.B. ethnografische Studien; Define: Ergebnisüberprüfung, um Problemverständnis zu steigern; Ideate: Fokus auf Bedürfnisse als Grundlage für Ideenentwicklung; Prototype: Erlebbare Darstellungen der Ideen; Test: Testen der Prototypen durch potenzielle Nutzer:innen.
Das Hasso-Plattner-Institut in Potsdam arbeitet weiterhin mit dem vorherigen 6-Phasen-Modell der d.school, wobei sich die erste Phase Empathize in Beobachten und Verstehen unterteilt. Versucht man eine Übersicht über weitere Prozessmodelle in der Praxis zu erhalten, finden sich Dutzende Varianten, die sich in Anzahl der Phasen und Benennungen unterscheiden, aber auf den populären Vorlagen der oben genannten Schulen aufbauen. Es handelt sich bei fast allen Varianten um eine iterativ anmutende Prozessdarstellung, d.h., es ist jederzeit möglich, zum vorherigen Schritt zurückzukehren, wenn es notwendig erscheint. Oft werden die ersten Phasen als konvergentes Denken beschrieben – das divergente Denken folgt im zweiten Teil. Zu Beginn fordert es ein gewisses Maß an Offenheit, um zunächst beispielsweise das Problem und konkrete Nutzer:innenbedürfnisse zu verstehen, bevor die Ideengenerierung und die Überprüfung der Ideenkonzepte beginnen. In einer zweiten Phase gilt es dann, die jeweiligen Ideenansätze zu konkretisieren. Die Prozesse beschreiben tendenziell
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eine Vorgehensweise, die konkrete Ausgestaltung der Iteration und Offenheit wird häufig im Feld verhandelt. Die Zusammenarbeit von Menschen aus unterschiedlichen Disziplinen und Denkschulen gilt als weiterer Kernaspekt. Die Interdisziplinarität befördere, dass komplexe Situationen, Probleme und Erkenntnisse aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden. Die damit einhergehende Kollaboration – ein aktives Miteinandergestalten – fordert eine neue Qualität der Zusammenarbeit, in der etwas durch gemeinsames Handeln entsteht. Diese unterscheidet sich deutlich von einer sequenziellen, linearen Abfolge von Handlungen, die von einzelnen Expert:innen aufeinander folgend durchgeführt werden. Der dritte Aspekt betrifft die Arbeitsräume: Um flexibel miteinander interagieren zu können, werden bewegbare Stehtische, Whiteboards und analoge Arbeitsmaterialien empfohlen. In Anlehnung an die Gestaltung von Designagenturen (Seitz 2017) soll das Mobiliar die Kreativität anregen, wie ein oft thematisierter Kicker für Tischfußball, Post-it-Notes oder ein vielfältig bestückter Kühlschrank. Das Aufkommen von Design Thinking hat in traditionellen Industrieunternehmen visuelle Veränderungen bewegt und neue Artefakte in eine funktionale Büroumgebung eingeführt. Besonders in Unternehmensbereichen, in denen bis dahin wenig mit Kreativmethoden gearbeitet wurde, war der Wandel von rein funktionalen Einzelarbeitsplätzen zu flexiblen Raumkonzepten nicht zu übersehen. Daher wundert es nicht, dass der Praxisdiskurs über Design Thinking häufig von visuellen Elementen wie z.B. Methodenkarten, Sitzmöglichkeiten oder Prototyping-Material dominiert wurde. Die Auffälligkeit der Artefakte fördert allerdings auch den Eindruck, dass Design Thinking sich darauf beschränkt. Design Thinking umfasst in der Ausprägung, die IDEO & Co. vertreten, zwar auch eine Reihe designorientierter Prinzipien, Methoden und Techniken – die jedoch weniger ins Auge springen als umgestaltete Räumlichkeiten oder bunte Arbeitsmaterialien. Dazu gehören Visualisierungstechniken, um Situationen auf einfache Weise zu erklären oder Ideen schnell begreifbar zu machen. Das Arbeiten in multidisziplinären Teams lädt ein, gemeinsam Ideen zu entwickeln oder auf Vorherigem aufzubauen und diese weiterzuentwickeln. Demselben Grundprinzip
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folgt das Erstellen schneller Prototypen, um Abläufe oder Dienstleistungen darzustellen und Feedback zu erhalten. Auch Rollenspiele werden eingebettet, um die betreffende Situation aus Nutzer:innenperspektive nachzuspielen und nachvollziehbar zu machen. Analoge Arbeitsweisen wie etwa das Anbringen von Notizen an Wänden oder der Bau von konkreten Prototypen fördern ebenfalls die Interaktion zwischen Teammitgliedern. In der Anwendung laufen Methoden, Techniken und zugrunde liegende Prinzipien fluide ineinander und sind demnach nicht losgelöst voneinander zu betrachten. In originären Artikeln der d.school und des Hasso-Plattner-Instituts (Meinel et al. 2015; Schmiedgen et. al 2015) werden einzelne Methoden und Techniken dementsprechend nicht konkret einem einzelnen Prozessschritt zugeordnet. Das zeigt sich jedoch in der Praxis häufig anders. Viele Anwender:innen verorten einzelne Methoden oder Techniken systematisch in der Prozessabfolge, da ihnen Design Thinking so erstmals begegnet ist. In der Praxis tauchen daher immer mehr systematisierte Anwendungsbeispiele auf, die weniger Raum für Kreativität, Offenheit und Intuition lassen und eine schematische Ausprägung von Design Thinking fördern.
Die manageriale Systematisierung Die Tendenz zur Systematisierung fördert auch einige theoretische Beiträge, insbesondere aus dem Bereich der Managementforschung. Exemplarisch kann ein vielbeachteter Beitrag von Carlgren et al. (2016a) genannt werden: Darin entwickeln sie ein Modell, um die Anwendung von Design Thinking zu systematisieren und mehr Kohärenz im Managementdiskurs zu schaffen. Das Modell von Carlgren et al. besteht aus fünf Themenfeldern und verknüpft diese jeweils mit »Principles, Practices and Techniques« (2016a: 50). Die Zielsetzung der Autoren besteht darin, durch die Teilung einzelne Bausteine von Design Thinking transparenter und leichter nachvollziehbar zu machen. Durch dieses Vorgehen lässt die Analyse jedoch mögliche Pfadabhängigkeiten, Verknüpfungen und implizite, nicht greifbare Aspekte außen vor. Anders gesagt, während die Modelle der Schulen zumindest implizit unterstellen, dass Design Thinking mehr ist als die Summe
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seiner Teile, können Carlgren et al. so verstanden werden, dass sie vorschlagen, es über die Beschreibung und Umsetzung von Einzelaspekten fassen zu können. Damit steht diese Studie exemplarisch für ein manageriales Vorgehen: das Aufteilen von Systemen, um sie verständlich(-er) zu machen. Der Designdiskurs widerspricht dieser Form von Erkenntnisgewinn und betont dagegen den systemischen Ansatz von Design Thinking als Einfallstor für Veränderungen in Organisationen. Dabei bleibt jedoch für viele weniger greifbar und konkret in seinen Erkenntnissen, betrachtet dafür aber auch die Abhängigkeiten der einzelnen Elemente voneinander. Das widerspricht in gewisser Form der Herangehensweise der Managementforschung und wiederholt den Einfluss der disziplinären Regelwerke. Die disziplinären Arenen vereinen sich in der Praxis. Hier ist an vielen Stellen wahrnehmbar, dass die detaillierten Beschreibungen der einzelnen Bausteine bei Praktiker:innen den Eindruck wecken, sie können diese separiert betrachten, anwenden oder messen. Mehr noch, sie müssten lediglich den Beschreibungen folgen und würden dann (notwendigerweise) zu einer positiven Anwendung von Design Thinking kommen. Das gilt besonders in einem ingenieursgeprägten Umfeld oder in konformistischen Organisationen, wie sie auch im öffentlichen Sektor zu finden sind. Normative Prozesse, Methodenbeschreibungen und kreative Techniken scheinen sich von Menschen mit solchen disziplinären Hintergründen und Denkschulen in ein für sie bekanntes Paradigma einordnen zu lassen. Aspekte von informeller Arbeitskultur, subjektiver Einstellungen, implizitem, intuitivem Erfahrungswissen und systemischen Veränderungen geraten schnell aus dem Blick, da diese sehr viel schwieriger zu artikulieren oder zu messen sind. Die normative Systematisierung lässt häufig den Umstand oder ein Bewusstsein dafür vermissen, etwas Unvorhergesehenes, Neuartiges und Imaginatives entstehen zu lassen. Die Anwendung von Design Thinking wird häufig jedoch mit der Erwartung verknüpft, etwas Neues und Unbekanntes hervorzubringen, das kaum linearen Prozessschritten folgen wird – und den Widerspruch verdeutlicht. Bei aller Kritik lässt sich jedoch kaum bestreiten, dass die SiliconValley-Ausprägung erst eine gewisse interdisziplinäre Popularität in
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Praxis und Wissenschaft erreichte (Wrigley/Straker 2017). Zugleich bleibt der Eindruck, dass Design Thinking sich zunehmend zu einem mechanischen Konzept entwickelt, das als Heilmittel für wirtschaftliche Innovationskraft Akzeptanz findet. Debatten um die changierenden Zugriffe auf Design Thinking von normativ bis systemisch sind nicht neu: Grots und Creuznacher fragten bereits im Jahr 2012 Design Thinking – Prozess oder Kultur? und machten darauf aufmerksam, dass ein Durchlaufen eines vorgegebenen Prozesses nicht per se zu Produktinnovationen führt. Stattdessen verwiesen sie auf fünf kulturelle Voraussetzungen in Unternehmen: ganzheitlich, offen, empathisch, intuitiv und optimistisch. Diese Aspekte gleichen denen, die Carlgren et al. (2016a) anführen. Auf Anwender:innen wirken die Voraussetzungen abstrakt und sind wenig nacherlebbar. Grots und Creuznacher merken dazu kritisch an: Eine weitere Einschränkung erfährt das Design Thinking durch einen ihrer größten Werte: die Offenheit. Die Auslegungsvarianten des Prozesses machen ihn für viele Menschen schwer zu fassen und bieten Entscheidern oftmals zu wenig Sicherheit und Gewissheit. Es braucht also Mut, sich auf dieses Vorgehen einzulassen. (2012: 21) Beobachtungen aus der Praxis zeigen, dass es Mitarbeitenden meistens schwerfällt, die eigene Unternehmenskultur zu explizieren oder zu beurteilen, wie (offen) sie die Kultur um sich herum wahrnehmen. Das Aushalten von Unsicherheit und dem Nichtwissen darüber, wie genau sich das Projektergebnis darstellt, hatte bislang in vielen Industrieunternehmen wenig Platz (vgl. Michlewski 2016). Auch Szczepanska (2017) kritisiert, dass… … it [Design Thinking] has begun to monitor and measure itself in a quantified way. A trick it learnt from the business and economics sectors. Sie sieht eine Tendenz, Design Thinking in der Praxis nach bekannten und etablierten Bewertungsmaßstäben der Managementforschung zu verstehen, die in der Welt von Wirtschaftsunternehmen üblich sind, aber einem systemischen Ansatz nicht gerecht werden kann. Das Folgen
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von Prozessen und Methodenanleitungen erweist sich dagegen auf den ersten Blick als deutlich simpler in Industrieunternehmen einzuführen. Das Bedürfnis, Design Thinking normativ zu begreifen, rührt also auch daher, wie unterschiedliche Disziplinen mit Offenheit umgehen. Der skizzierte Aufschwung von Design Thinking in industriell geprägten Unternehmenspraxen deutet darauf hin, dass der Grad des Normativen angepasst scheint an das Umfeld, indem es angewendet wird. Wie beschrieben, sind es vorwiegend Programme von Institutionen, die das Erlernen von Design Thinking ermöglichen. In vielen Unternehmen wird Design Thinking durch Schulungskonzepte eingeführt. Teilnehmer:innen lernen Techniken wie Prototyping, Brainstorming oder das Observieren von potenziellen Kund:innen und wenden sie unter Anweisung exemplarisch an. Das Vorgehen erinnert an Lernweisen von Fallstudien, die darauf abzielen, Abläufe und Praktiken zu erkennen und sie zu repetieren. Der heute emeritierte Professor für Organisationsverhalten und -psychologie Karl E. Weick kritisierte das Vorgehen in seinem Beitrag Drop your tools (2007) schon frühzeitig, da seiner Meinung nach in dieser Form die Anwendung von Werkzeugen erlernt wird, aber nicht die sinnvolle Abwandlung dieser. Die Kompetenz und das Wissen um eine situative Adaption kann jedoch erst nach und nach erworben werden. Um das Erlernte im Unternehmensalltag anzuwenden, ist eine situative Anpassung voraussetzend. Viele Schulungen finden allerdings unter anderen Voraussetzungen statt als solche, die Mitarbeitende in ihrem Arbeitsumfeld vorfinden. Die Fähigkeit, das erworbene Wissen in tägliche Routine zu transferieren, kann in Schulungen nur unzureichend trainiert werden. Es wird jedoch häufig suggeriert, dass Schulungen Menschen dazu befähigen, Design Thinking in ihrem Arbeitsalltag anzuwenden, und führt in weiterer Folge nicht nur zu vielen Missverständnissen, sondern auch zu Frustrationen. Die Form, wie Menschen Design Thinking begegnen und erlernen, ist häufig nicht abgestimmt auf die Form, mit der sie Design Thinking in ihrem Arbeitsalltag anwenden können. Das Normative wirkt sich demnach auf zwei Ebenen auf Design Thinking in der Praxis aus: als Einfallstor für ein reguliertes, techno-
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kratisches Verständnis und als Hürde für den Transfer der Anwendung in den unternehmerischen Alltag.
Nutzer:innenzentrierung als Erfolgsversprechen Für die Aufmerksamkeit, die Design Thinking in der Industrie widerfährt, ist die Nutzer:innenzentrierung ein zentraler Aspekt: Das Verständnis von Design Thinking impliziert für viele, dass Produktinnovationen entwickelt werden, die Erfolg am Markt haben werden. Die Fokussierung auf Nutzer:innen und Bedürfnisse ist ein Ergebnis, um ökonomische Relevanz zu erhalten. Der Impuls für den schnellen Anstieg resultiert also aus der Wirtschaftslage und nicht aus dem Konzept an sich heraus. Das zeigt auch, dass die Nutzenden bisher nicht im Zentrum vieler Produktentwicklungen standen. Hier war es in der Regel eine technologisch geprägte Forschung, in der eben technologische Innovationen entstehen. Andererseits geht damit auch einher, dass bisher Nutzer:innenbedürfnisse nicht gleichwertig zu technologischer und ökonomischer Machbarkeit in der Produktentwicklung betrachtet werden. Das Versprechen des Design-ThinkingAnsatzes erweitert die Innovationsentwicklung um die Dimension der Bedürfnisse der Nutzenden. Die Notwendigkeit für eine gleichwertige Berücksichtigung von Bedürfnissen, technologischer Machbarkeit und Ökonomie trifft in Unternehmen auf Akzeptanz, um am Markt relevant zu bleiben. Für die Ausbreitung von Design Thinking in der Praxis bedeutet das allerdings gleichermaßen, dass es wenig Vorkenntnisse und eher Unsicherheit im Umgang mit einer Nutzer:innenforschung gibt. Design Thinking proklamiert einen qualitativen Methodenansatz, der Nutzende beobachtet, befragt und (oder) partizipativ in den Entwicklungsprozess integriert. Es lehnt sich damit an den geisteswissenschaftlichen, soziologischen und designorientierten Methodenkanon an. Dahinter verbirgt sich der Grundgedanke, dass ein Angebot für Kund:innen besonders attraktiv ist, wenn es ein Problem löst, was sie wirklich haben. Dieses ergibt sich aus realen Lebenswelten und wird qualitativ erkannt. Potenzielle Kund:innen werden bislang häufig durch soziode-
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mografische Kennzahlen beschrieben. Interviews oder Beobachtungen zum Erkennen von Bedürfnissen oder Ängsten halten Einzug in andere Unternehmensbereiche, sind aber häufig neu, ungewohnt und folgen anderen Prämissen als etablierte quantitative Analysen. In weiterer Folge stellt es sich häufig als Herausforderung dar, Nutzer:innenbedürfnisse kontinuierlich in etablierte Entscheidungsprozesse zu integrieren. Das zeigt ein Verständnis von Design Thinking als einen User-Centered-Design-Ansatz, der sich auf die Interaktion zwischen dem Entwicklungsteam und potenziellen Nutzer:innen begrenzt. Ein systemisches Verständnis von Design Thinking würde neben vermeintlichen Kund:innen alle weiteren Perspektiven von Menschen, die im Prozess relevant sind, berücksichtigen. Solch ein systemisches Verständnis wird als Human-Centered-Design-Ansatz beschrieben. Im Praxisdiskurs über Design Thinking sind beide Begriffe, HumanCentered-Design und User-Centered-Design, verbreitet, werden häufig simultan verwendet und können beide mit Nutzer:innenzentrierung übersetzt werden. Sie haben ähnliche Wurzeln, beschreiben aber zwei unterschiedliche Ausprägungen, die relevant sind zu verstehen: Beide Ansätze stellen den Menschen, für den etwas gestaltet wird (User = Nutzer:in oder Kund:in), in den Mittelpunkt. Ein User-Centered-DesignAnsatz konzentriert sich auf die Bedürfnisse potenzieller Endverbraucher:innen. Ein Human-Centered-Design-Ansatz dagegen schließt alle Akteursgruppen ein, die von der Gestaltung betroffen sind bzw. betroffen sein können (Buchanan 2001; Junginger 2012). Ein User-CenteredDesign-Ansatz ist also eher eine Interaktion zwischen dem Unternehmen, das ein Produkt herstellt, und potenziellen Käufer:innen. Ein Human-Centered-Design-Ansatz dagegen würde weitere Akteure wie z.B. Zulieferer, Straßenverkehrsteilnehmer:innen, Anwohnende, Verbände oder politische Vertreter mit in den Gestaltungsprozess integrieren. In vielen wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Beiträgen wird die Ausprägung von IDEO zwar als ein Human-CenteredDesign-Ansatz beschrieben, der in der Praxis und im ganzheitlichen Einbeziehen aller Akteursgruppen wenig zu finden ist. Basierend auf dieser Unterscheidung, gilt es zu verstehen, dass zwar jeder Human-
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Centered-Design-Ansatz auch einen User-Centered-Design-Ansatz beschreibt – also ein systemischer, ganzheitlicher Ansatz per se auch die Interaktion mit Kund:innen einschließt. Im Gegensatz dazu ist nicht jeder User-Centered-Design-Ansatz gleichwohl ein Human-CenteredDesign-Ansatz, der alle Akteursgruppen in den Prozess integriert. In diesem Sinne kann das Einbeziehen potenzieller Kund:innen wie das Beobachten ihrer realen Lebensumgebungen ein erstes Verständnis für Nutzende wecken. Für die Anwendung von Design Thinking ergibt sich die Problematik, dass die Nutzer:innenzentrierung häufig auf Kund:innen potenzieller Produkte oder Dienstleistungen reduziert wird. Eine Schwierigkeit in diesem Vorgehen liegt auch darin, dass die Personen, die mit der Datenerhebung betraut sind, selten über ausreichend Erfahrung in der Anwendung qualitativer Methoden verfügen müssen, um Empathie für Nutzer:innen zu entwickeln. Andererseits fällt es schwer, Erfahrungen mit einer menschenzentrierten Vorgehensweise zu sammeln, wenn ihre direkte Unternehmensumgebung nach anderen Prinzipien handelt. Die häufige Anwendung von Design Thinking als ein User-Centered-Design-Ansatz ist ein weiteres Indiz, warum es vorwiegend als Methode für nutzer:innenzentrierte Produktentwicklung und weniger als systemischer Veränderungsansatz in Industrieunternehmen verstanden wird. Daher verwundert es nicht, dass in der Praxis die Nutzer:innenzentrierung als Erfolgsargument genannt wird.
1.2.
Der Managementdiskurs
Wie nicht zuletzt der Fall Volkswagen zeigt, ist ein entscheidender Faktor für die Ausbreitung von Design Thinking in der Industrie, dass der Begriff sich auf der Managementebene als zukunftsgewandtes Konzept etablieren konnte. Während Schulungsprogramme das Verständnis von Design Thinking bei Mitarbeiter:innen prägen, dürften die Vorstellungen von Manager:innen von der Managementtheorie geprägt sein, wo sich seit Anfang der 2000er-Jahre ein eigener Diskurs entwickelt hat.
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Diese Entwicklung hilft zu verstehen, wie Design Thinking seinen Ruf als strategisches Managementinstrument etablieren konnte.
Der Treibstoff des Interesses In der Managementtheorie erwähnen erste Publikationen Design Thinking im Kontext von Innovationsentwicklung, wo der Begriff ein Umdenken in Richtung Kreativität markiert. Innerhalb des Diskurses wird es ganz grundsätzlich als etwas verstanden, was jede:n befähigt, kreativ und innovativ zu handeln. Bis dahin war der Innovationsdiskurs ingenieursmäßig verankert und beschäftigte sich vordergründig mit statistischen Zusammenhängen und rational-normativen Innovationsmodellen (Johansson-Sköldberg et al. 2009), die tendenziell eine stetige Optimierung von Prozessketten, Produktnutzung oder Ergonomie betrachten. Im Gegensatz dazu suggeriert Design Thinking als Begriff und im Erleben grundsätzlich etwas Offenes, Flexibles und Kreatives. Diese Andersartigkeit erhält immer mehr Bedeutung, je mehr das Bewusstsein zunimmt, dass neben der stetigen Optimierung auch die Neugestaltung von Geschäftsmodellen, Organisationsstrukturen und Produktportfolios zukunftsentscheidend ist. Es scheint also, dass Veränderungen der wirtschaftlichen Lage das Interesse für Design Thinking geweckt haben: zur richtigen Zeit, am richtigen Ort. Der Managementdiskurs entwickelte sich also parallel zu einer entscheidenden Veränderung innerhalb von Industrieunternehmen, in der die Nutzer:innenzentrierung ein wichtiger Indikator ist, um zukunftsweisende Entscheidungen zu treffen. Die gegenwärtige Produktflut verändert die Rolle der Nutzenden dahingehend, dass sie nach ihren Bedürfnissen aus einer Fülle an Produkten auswählen. Es wird daher immer wichtiger, Kund:innen und ihre Bedürfnisse in der Entwicklung zu berücksichtigen. Auch wenn der Managementdiskurs ein akademischer ist, entwickelt er sich sehr praxisorientiert und ist eng an die beschriebenen Schulungsprogramme und ihre Implikationen für die Anwendung gebunden. Daher verwundert es nicht, dass auch Unternehmen frühzeitig im akademischen Managementdiskurs erscheinen und in weiterer Fol-
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ge dort referenziert werden – als Untersuchungsgegenstand. Prominentestes Beispiel bleibt die kalifornische Innovationsagentur IDEO. Ihre Verknüpfung von Praxiserfahrung und akademischer Expertise durch die Stanford University fördert das Interesse und die Legitimation für Design und Kreativität im Innovationsdiskurs (Bruce/Bessant 2002; Feldman/Boult 2005; Stevens/Moultrie 2011). Das wachsende Interesse an Design Thinking im Managementdiskurs rührt also aus einem Dreiklang: dem Druck nach Veränderung (Innovationsentwicklung), einem veränderten Kund:innenverständnis (Nutzer:innenbedürfnisse als Kaufargument) und einer Ausrichtung der Managementforschung, die sich durch eine Nähe zur Praxis auszeichnet. Im Diskurs unterscheiden Johansson-Sköldberg et al. (2013) zwischen drei Verständnissen von Design Thinking als ... • • •
Handlungsweise der Innovationsagentur IDEO; managerialer Ansatz der Problemlösung; Teilbereich von Managementtheorie.
Design Thinking als Handlungsweise Im Verständnis als Handlungsweise bietet Design Thinking konkrete Kreativstrategien, um neue Produkt- und Dienstleistungsideen zu entwickeln, die attraktiv für Kund:innen sind. Das Verständnis zeichnet sich durch die Verknüpfung von theoretischem Diskurs und Anwendung aus und beruht auf den erwähnten Kernaspekten: einem Prozessmodell, flexiblem Mobiliar und einem multidisziplinären Team. Für die Verknüpfung sind drei Institutionen konstitutiv: IDEO, die Stanford University und das Hasso-Plattner-Institut (u.a. Kelley/Littmann 2001, 2005; Brown 2008, 2009). Die Innovationsagentur IDEO wurde 1991 in San Francisco von David Kelley gegründet. Er führte diese gemeinsamen mit seinem Bruder Tom Kelley, bis Tim Brown im Jahr 2000 die Nachfolge übernahm. Im Jahr 2019 beschäftigt IDEO laut Website mehr als 600 Mitarbeitende mit unterschiedlichen disziplinären Hintergründen wie der Verhaltenswissenschaft über alle Formen des Designs bis hin zu
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Ingenieur:innen und Organisationsdesigner:innen an neun globalen Standorten. Die enge Verknüpfung von Forschung und Praxis ist bei IDEO früh erkennbar. So gibt es viele Hinweise, dass Mitarbeitende ihre Entwurfsarbeiten auf akademischen Konferenzen vorstellten, beispielsweise referierten sie darüber, wie ein Prototyp für das Interfacedesign eingesetzt wurde und das den gesamten Entwicklungsprozess prägte (Muñoz/Miller-Jacobs 1992). Der präsentierte Entwurfsprozess öffnete somit einen Austausch zwischen Theorie und Praxis. Aus theoretischer Perspektive lag das Interesse darin, genauer zu verstehen, welche Rolle der Mensch und seine Bedürfnisse in der Entwicklung von Produkten, Dienstleistungen oder Systemen einnehmen. Aufgrund der engen Beziehung zwischen Kelley und der Stanford University stellt IDEOs Arbeitsweise selbst auch einen interessanten Forschungsgegenstand dar. Das wiederum fördert die Reflexion darüber, wie Projekte gemeinsam mit Nutzenden durchgeführt werden. Im Vergleich zur Geheimhaltung von Innovationsprozessen und -praktiken, wie sie in ingenieursgeprägten Unternehmen gelten, schützt IDEO weder bestimmte Vorgehensweisen noch Prinzipien. Im Gegenteil: Sie suchen den Austausch mit externen Akteursgruppen, indem sie ihre Erfahrungen, Erlebnisse und Misserfolge dem Diskurs bereitstellen. Diese Haltung gibt womöglich erste Hinweise auf die Verknüpfung von Arbeitsweisen und Einstellungen bei IDEO. Folgt man den verschiedenen Ausführungen, scheinen Mitarbeitende keinen oder nur einen begrenzten Wandel durchlaufen und ihre Arbeitsweisen verändert zu haben, sondern eine übliche Arbeitsweise und die verwendeten Methoden und Techniken beschrieben und damit für andere zugänglich gemacht. Jedenfalls sind keinerlei Publikationen bekannt, die sich primär mit der sich stetigen Weiterentwicklung von Design Thinking innerhalb IDEOs beschäftigen. Stattdessen wurde diese Ausprägung vom Managementdiskurs aufgenommen, und zwar deutlich häufiger als Beiträge aus dem designtheoretischen Diskurs. Eine weitere Institution, die mit Kelley und IDEO verbunden wird, ist die d.school. Sie wurde 2005 als Hasso Plattner Institute of Design gegründet und ist als Einrichtung an die School of Engineering der Stanford University angebunden. Ihr Leiter Larry Leifer ist der ehemalige Professor von
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David Kelley, als dieser an der Designfakultät an der Stanford University studierte, was wiederum die Verknüpfung zwischen dem eigentlichen Entwurf und der theoretischen Auseinandersetzung verdeutlicht. In diesem Zusammenhang darf die Rolle des Hasso-PlattnerInstituts in Potsdam, kurz HPI, nicht unerwähnt bleiben, da es die Verbreitung in Deutschland auch innerhalb der drei Arenen förderte. Das Institut wurde 2009 als Symbiose aus Forschung und Lehre gegründet. Initiiert durch den ehemaligen SAP-Vorstandsvorsitzenden und Namensgeber, wurde es als Tochterinstitution der University of Stanford erschaffen. Ziel war es auch hier, zeitgleich zu forschen und Studierenden und später auch Arbeitnehmenden Design Thinking näherzubringen. Da es sich beim HPI um die erste Institution in Deutschland handelt, hat sie das Verständnis von Design Thinking maßgeblich mitgestaltet. All diese Institutionen haben entweder als wissenschaftliche Einrichtung, als Ausbildungsstätte oder als Auftragnehmer für Industriekunden dazu beigetragen, dass ihre Ausprägung von Design Thinking verbreitet wird und Aufmerksamkeit erlangte. Relevant ist zu verstehen, dass sie in den drei unterschiedlichen Arenen – Wissenschaft, Weiterbildung und Industrieauftrag – ein weitestgehend einheitliches Verständnis von Design Thinking als kreative Methode proklamierten.
Design Thinking als manageriale Denkweise Eine durch Roger Martin, früherer Dekan der Rotman School of Management in Toronto, Kanada, vertretene Ausprägung versteht Design Thinking vorwiegend als kognitive Handlungsanweisung für Manager:innen (u.a. Dunne/Martin 2006; Martin 2009). Während sich die Designdisziplin durch die enge und unabdingbare Verknüpfung von Denken und Handeln auszeichnet, vertreten Martin und andere die Sichtweise, dass Design Thinking als Denkweise besonders Manager:innen im Handeln unterstütze. Da sie sich stetig in komplexen Entscheidungs- und Gestaltungsaufgaben befinden, plädiert er dafür, die Prinzipien und Prämissen von Design Thinking anzuwenden. Während es Kritiken gibt, die diese Sichtweise als Limitierung begreifen,
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argumentiert Martin, dass viele Institutionen ein Managementverständnis lehren, welches Emotionen und Intuition weitestgehend ausklammern. Er hingegen würde dies bezweifeln und argumentiert für eine Integration und Akzeptanz von Bauchgefühl in Entscheidungen. Er ermuntert damit Führungskräfte, zwar nicht auf Messung und Vorhersagbarkeit zu verzichten, sich aber in Bezug auf neue Ideen davon zu lösen. Besondere Unterschiede sieht Martin bei der Art und Weise, wie Probleme gelöst werden: Abduktive Schlussfolgerungen, die im Design-Thinking-Prozess bei der Problemlösung angewandt werden, sind nach Martin das wichtigste Merkmal. In einer abduktiven Logik spielt die Schlussfolgerung eine Rolle, indem die Erkenntnis erweitert wird. Es wird eine Hypothese über Möglichkeiten gebildet und somit ein neuer, offener Raum für Ideen geschaffen. Deduktives und induktives Schlussfolgern sind dagegen weitgehend anerkannte Methoden, um Theorien zu testen – und weit verbreitet in der institutionellen, managerialen Ausbildung. Die sogenannte abduktive Logik erschafft Neues und ist bisher in der Designdisziplin verortet. Die Ausprägung von Martin zeigt auch Parallelen zu den Ausführungen von Rylander (2009). Ihr Artikel Design Thinking as Knowledge Work: Epistemological Foundations and Practical Implications vergleicht Diskurse über Design Thinking und Wissensarbeit. Er zeigt auf, dass es im Managementdiskurs rein kognitiv und ohne das für professionelle Designer:innen so entscheidende verkörperte, implizite oder intuitive Wissen, das sogenannte Embodied Knowledge, verstanden wird.
Design Thinking als gestaltende Denk- und Handlungsweise Eine dritte Möglichkeit, Design Thinking zu verstehen, ist umfassender und weniger beachtet in populärwissenschaftlichen Artikeln. Boland und Collopy, Forschende im Bereich Management und Informationssysteme, gestalten diese Ausprägung entscheidend mit (u.a. Boland/Collopy 2004; Buchanan 2008). Die Arbeitsweise des Architekten Frank O. Gehry am neuen Gebäude der Weatherhead School of Management inspirierte sie dazu, Wissenschaftler:innen wie u.a. Buchanan im Jahr 2008 zu einem Symposium einzuladen. Die auf
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dem Symposium fußende Publikation Managing as Designing kann als Grundlage für dieses Verständnis von Design Thinking angesehen werden. Die Beiträge vereinen die Reflexion darüber, wie Manager:innen als Entscheidungsträger:innen gestalten (Boland/Collopy 2004). Die Forschenden verknüpfen Handeln und Haltung: Sie beschreiben eine »Design Attitude« als »expectations and orientations one brings to a design project« (2004b: 9). Im Gegensatz zu IDEOs Sichtweise auf Design Thinking beziehen sie ihre Ausführungen auf die Denkweise, die innere Einstellung und die kognitiven Merkmale von Handelnden. Damit zeigt die Auffassung von Boland und Collopy eine gewisse Nähe zur zweiten Ausprägung, die z.B. Martin vertritt. Das von IDEO gelebte Verständnis zeigte dagegen frühzeitig eine Tendenz auf, Design Thinking als Methode für jede:n zu verstehen. Auch wenn sie diese Bezeichnung selbst nicht verwenden, so wecken die Kernaspekte solche normativen Eindrücke. Der deutschsprachige Managementdiskurs entwickelt sich allmählich, nachdem die Ausgabe des Harvard Business Review im September 2015 titelt: The Evolution of Design Thinking. Infolgedessen scheint die Aufmerksamkeit geweckt zu sein und es erscheinen viele deutschsprachige Publikationen, sowohl im akademischen (Köppen 2017; Schmiedgen et al. 2015; Dribbisch 2015; Seitz 2017) als auch im angewandten, populärwissenschaftlichen Umfeld (Erbeldinger/Ramge 2013; Brown 2016; Übernickel et al. 2015; Gerstbach 2016; Gerling/ Gerling 2018). Grundsätzlich verfolgt der Managementdiskurs das Ziel, Manager:innen einzuladen, die Praktiken und Methoden aufzunehmen und auszuprobieren (Cooper et al. 2009). Sein Anliegen ist es, Manager:innen die Art und Weise, wie Designer:innen denken und handeln, verständlich zu machen (Martin 2009; Liedtka 2011). Demnach ist der Diskurs deutlich praxisorientierter ausgerichtet und prägt womöglich die Verständnisse von Praktiker:innen, besonders Manager:innen, die eine andere Entscheidungsfreiheit innerhalb von Industrieorganisationen genießen, um organisationale Veränderungen zu bewirken. Das könnte ein Hinweis darauf sein, warum sich das methodische Verständnis als Arbeitsweise am weitesten verbreitet: es lässt sich
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vermeintlich am leichtesten in den Unternehmensalltag integrieren. Auf die Frage, inwiefern es sich auch als Denkweise etablieren kann, wird diese Studie erste Erkenntnisse liefern.
1.3.
Der Designdiskurs
Bei den Konzepten und Methoden, die Schulungsprogramme heute vermitteln, handelt es sich nicht um Neuerfindungen dieser Schulen oder ihrer Gründer:innen. Vielmehr ist Design Thinking in diesem Kontext als Zuspitzung bestimmter Tendenzen im Nachdenken über Designprozesse bzw. in der Theoretisierung von Design zu verstehen. Im angloamerikanischen Diskurs tauchten bereits Mitte der 1950erJahre Aspekte, Prämissen und Aktivitäten auf, die zwar nicht als Design Thinking bezeichnet werden, aus heutiger Sicht aber als Vorreiter verstanden werden können. Auch wenn dieser Diskurs nur mittelbar Auswirkungen auf das Verständnis in der industriellen Praxis haben dürfte, hilft er, die Entwicklung des Konzepts einzuordnen und den Stand der wissenschaftlichen Diskussion zu verstehen, zu der diese Arbeit beiträgt.
Die angewandte Designwissenschaft Die sogenannte angewandte Designwissenschaft wurde Anfang der 1950er-Jahre vom amerikanischen Architekten Buckminster-Fuller am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston eingeführt mit dem Ziel, implizite Aspekte des Gestaltens erklärbar zu machen. Sein Anliegen war es, Potenziale von Wissenschaft und Technik in der Gestaltung zu nutzen, um das Wohlbefinden und die Lebensqualität von Menschen zu verbessern. Dazu bildete er interdisziplinäre Teams und entwickelte systemische Methoden zur Bewertung, Gestaltung und Lösung von Problemen. Die Zusammenarbeit von Menschen mit multidisziplinären Hintergründen gilt heute als ein Kernelement der Ausprägung von Design Thinking, die IDEO & Co. vertreten.
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Das Design Methods Movement entstand rund zehn Jahre später, in den 1960er-Jahren, und ist in Bezug auf das Spannungsfeld Offenheit und Systematisierung für die Entwicklung relevant. Vertreter wie Jones (1972) oder Alexander (1977) bauten auf den Grundgedanken Buckminster-Fullers auf, indem sie Entwurfsprozess und Methoden weiter externalisierten und für andere Disziplinen zugänglich machten. Dieser Bewegung wird bereits eine Tendenz zum Rationalismus nachgesagt, die sich in normativen Methodenanleitungen und Prozessbeschreibungen in der Praxis abbildet – vergleichbar mit der Toolisation im Design Thinking. Die Gemeinsamkeit zeigt sich auch in den Erwartungen: Methoden werden herangezogen, um existierende wissenschaftlich-theoretische Kenntnisse in den Designprozess zu integrieren und in Folge (vermeintlich) rational-überprüfbare Entscheidungen zu treffen (Bayazit 2004). Methodenanleitungen scheinen dabei zu einer höheren Systematisierung und Wiederholbarkeit beizutragen. Der Wunsch nach einem reproduzierbaren, normativen Entwurfsprozess wurde somit bereits im Kontext des Design Method Movements geäußert (Huppartz 2015) und wiederholt sich im Aufkommen von Design Thinking. Für das Verständnis muss ergänzt werden, dass ein Designverständnis im industriellen Umfeld zu dieser Zeit überwiegend auf quantifizierbaren Fakten beruht und sich aus Ingenieursdenken formt. Der Arbeitsplatz professioneller Designer:innen befand sich überwiegend in Universitätslaboren oder Fabrikhallen. Nur einige wenige Designer:innen waren als Berater:innen tätig, wie etwa Dieter Rams bei Braun oder Raymond Loewy bei Coca-Cola. Designagenturen oder Innovationsberatungen als eigenständige Organisationsformen sind noch nicht etabliert. Dennoch zeigen die Beispiele eine gewisse Pionierarbeit, um den gegenwärtigen Diskurs zu (be-)greifen. Das Interesse am Normativ-Systematischen ließ innerhalb der Designwissenschaft nach kurzer Zeit nach. Bereits in den 1970er-Jahren öffnete sich der Diskurs für partizipativere, offenere Ansätze wie die Bewegung des Participatory Designs. Diese Ansätze wirken aus heutiger Sicht wie eine Gegenbewegung zum Bestreben von Erklärbarkeit und Rationalität. Dieses Bewusstsein schien auch Christopher Jones zu haben, der in den 1970er-Jahren noch die Bewegung vorantrieb. In der
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überarbeiteten Ausgabe seiner Publikation von 1980 kritisiert er, dass ein methodenbasiertes Arbeiten in der Designdisziplin dazu führt, dass es auf andere als ein vollends rationaler, explizierbarer Prozess wirkt: I dislike the machine language, the behaviorism, the continual attempt to fix the whole of life into a logical framework (1992: xi) Er vermisst die Relevanz von Intuition und Kreativität in den Diskursen, was darauf hinweist, dass in der angewendeten Designwissenschaft jeher ein Spannungsfeld zwischen Offenheit, Intuition und Kreativität einerseits und prüfbaren, planbaren Entwurfsprozessen andererseits besteht. Die Balance zwischen Systematisierung und einer Wahrung von Offenheit und Adaptionsmöglichkeit wirkt in Anbetracht dessen wie ein Tauziehen in der Entwicklung von Design Thinking, das bereits vor knapp 30 Jahren begonnen hat und anhält.
Der theoretische Diskurs Gleichlaufend zur angewandten Wissenschaft entwickelt sich ein theoretischer Diskurs, indem Design Thinking selbst zunehmend zum Gegenstand wird. Wie bereits erwähnt, analysierten u.a. die Forschenden Johansson-Sköldberg et al. (2013) die erschienenen Publikationen über Design Thinking. Ihre Literaturanalyse gilt international als zentral, um die Gemengelage um Ursprünge und Interpretationen zu kartografieren. Innerhalb des designtheoretischen Diskurses identifizierten sie fünf unterschiedliche Verständnisse von Design Thinking als … • • • • •
Schaffung von Artefakten (Simon 1969); reflexive Praxis (Schön 1983); Problemlösungsaktivität (u.a Buchanan 1992; Rittel/Webber 1973); Möglichkeit, die Dinge zu verstehen (Lawson 2006 [1980]; Cross 1982, 2011); Schaffung von Bedeutung (Krippendorff 2006).
Der Ökonom Herbert Simon versteht unter design zunächst Handlungen, die etwas Vorhandenes in etwas Neues verwandeln. Er unterschied
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die Designdisziplin damit zwar von den Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften, aber nicht von den Ingenieurswissenschaften. Simon selbst verwendete nicht den Terminus Design Thinking, sondern sprach von Design als »the transformation of existing conditions into preferred ones« (1996: 4). Das heißt, in Simons Ausführungen geht es zwar um das Gestalten von Neuem im Sinne der Innovationsentwicklung, jedoch in einem bereits bekannten Rahmen. Aspekte von Imagination oder Visionskraft werden nicht betont, sondern er bezieht sich auf das Planbare, Überschaubare und Normative. Sein Verständnis markiert eine gewisse Nähe zur Interpretation von IDEO & Co., auch wenn diese sich nicht auf Simons Arbeit beziehen. Johansson-Sköldberg et al. verstehen Simons Ansatz als systematische und technokratische Sichtweisen von Design. Ein anderes Verständnis brachte Donald Schön auf. In seinem Buch The Reflective Practitioner (1983) forderte er Forschende und Praktizierende auf, die Rolle von technischem, schematischem Methodenwissen im Vergleich zum praktischen Handeln nicht zu überhöhen. Im Vergleich zu Simons kognitiver Sichtweise integriert Schön das Machen und berücksichtigt ein ständiges Wechselspiel zwischen dem Handeln und der Selbstreflexion des Handelnden. Er betrachtete dabei auch die Managementpraxis und merkte an, dass Manager:innen ein Bewusstsein für Entscheidungen außerhalb einer technischen Rationalität entwickeln müssten. Sie seien in der Praxis stetig aufgefordert, Entscheidungen zu treffen, die aufgrund der Zukunftsausrichtung unsicher sind, und müssten sich stetig auf ihre Intuition verlassen. Schön empfiehlt Führungskräften, über ihr eigenes Handeln zu reflektieren, da Entscheidungen kaum mit rein rationalen Argumenten getroffen werden können. Er verknüpft dabei ihre Haltung mit dem Handeln. Schön und Simon vertreten zwar beide die Ansicht, dass die Anwendung von Design Thinking als Gestaltungspraxis unabhängig einer professionellen Disziplin ausgeübt werden kann. Dabei versteht Simon jedoch einen denkerischen Ansatz, während Schön die Verknüpfung von Denken und Handeln in einem explorativen Gestaltungsraum versteht. In vielen Diskursen wird ein (häufig undefinierter und diffuser) positiver Beitrag von Design Thinking zur Entwicklung
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von Innovationen erwähnt. Aus dieser Perspektive versteht Simon die Anwendung von Design Thinking als Praktik einer evolutionären Innovationsentwicklung – im Rahmen des bereits Bekannten –, während Schöns Sichtweise disruptive Gestaltungsansätze miteinschließt. Buchanan bringt eine weitere Perspektive in den akademischen Diskurs ein, sein Artikel Wicked Problems in Design Thinking (1992) bringt eine grundlegende Referenz in den internationalen Designdiskurs ein. Darin beschreibt er Design Thinking als eine Herangehensweise für das Lösen von Problemen, die durch eine gewisse Form von Komplexität und Unbekanntheit charakterisiert sind, sogenannten Wicked Problems. Sein Fokus liegt damit eher auf der Problemstellung als auf der Gestaltungspraxis per se. Abstrakter könnte man sagen, dass er das Anwenden mit der Frage nach dem Warum verknüpft. Die Unterschiede deuten frühzeitig zwei Programmatiken an, die sich in der Ganzheitlichkeit bei u.a. Buchanan und in der Systematisierung bei u.a. Simon im weiteren Diskurs fortsetzt. Während Buchanan und Schön die Anwendung von Design Thinking als etwas Imaginatives verstehen, lässt Simons Sichtweise das Visionäre vermissen. Simon argumentiert zwar, dass jede:r, die/der eine gegebene Situation in eine bevorzugte wandelt, auch gestaltet. Jedoch beschränkt seine Sichtweise sich auf ein Neuverknüpfen von Gegebenem, um durch neue Muster und Zusammenhänge zu gestalten. Diese Sichtweise zeigt Gemeinsamkeiten mit einer ingenieursdominierten, schematischen Auffassung von Gestaltung. Neben diesen Verständnissen bestimmen Beiträge des Architekten Brian Lawson und des Designers Nigel Cross den Design-ThinkingDiskurs über einen langen Zeitraum. Lawsons Buch How Designers Think: The Design Process Demystified, der Beitrag von Cross Designerly ways of knowing (1982) und sein Buch Design Thinking (2011) richten sich in erster Linie an Praktiker:innen. Beide Autoren untersuchen professionelle Designer:innen und beschreiben die empirischen Erkenntnisse in ihren Publikationen. Ihre Ausführungen richten damit den Blick in die Praxis und analysieren das, was sie dort vorfinden – unabhängig bereits existierender theoretischer Konzepte. Ihnen geht es darum, das gestaltende Handeln zu verstehen und es in dieser Darstellungsform
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anderen zugänglich zu machen. Neben ihrem offenen Feldansatz und der daraus resultierenden Praxisnähe unterscheidet sich ihr Konzept von Design Thinking von den anderen in puncto, wer wendet es an. Für Lawson und Cross handelt es sich um eine Praktik professioneller Designer:innen und nicht als Ansatz für jede:n, wie bei Buchanan, Simon oder Schön. Die Frage danach, wer gestaltet, ist also auch innerhalb der Designtheorie kontrovers. Das fünfte Verständnis, das Sköldberg-Johansson et al. analysiert haben, versteht die Anwendung als Schaffung von Bedeutung, eine Sichtweise, die vom Designtheoretiker Klaus Krippendorff (2006) vertreten wird. Er versteht es als einen Ansatz für Creating Meaning, also das Schaffen von Bedeutung für Nutzer:innen, und hebt damit die Rolle des Menschen hervor, für den- oder diejenige etwas gestaltet wird. Krippendorff plädiert dafür, die Bedeutung eines Produktes über die eigentliche Funktion zu stellen. Für Simon steht dagegen das erschaffene Artefakt im Fokus, während für Krippendorff der Sinn oder die Bedeutung im Zentrum einer kontextabhängigen Wahrnehmung durch Nutzer:innen steht. Trotz Krippendorffs theoretischer Perspektive weist er auf die Bedeutung der Nutzenden hin. Dieser Aspekt ist auch in der IDEO-Interpretation zentral. Die fünf teilweise kontroversen, aber auch komplementären Perspektiven von Design Thinking innerhalb des akademischen Designdiskurses machen zwei Dinge deutlich: Weder ist man sich einig noch konnte sich ein einheitliches Verständnis durchsetzen. Während Schön die Reflexionen von Designer:innen beim Entwerfen hervorhebt, untersucht Buchanan die Probleme selbst. Lawson und Cross fokussieren sich in empirischen Studien auf das spezifische Bewusstsein und die Fähigkeiten professioneller Designer:innen, BuckminsterFuller dagegen betont den Wert eines multidisziplinären Teams für die Entwicklung von Innovationen. Andere Theoretiker:innen plädieren bereits zu diesem Zeitpunkt für die Berücksichtigung von Nutzer:innen (Krippendorff) und für bestimmte Designmethoden und -praktiken (Simon) oder sprechen sich dagegen aus (Verganti 2009), bevor Design Thinking weit über die Designdisziplin hinaus bekannt wurde. Die
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erwähnten Argumentationen der Diskurse zeigen jedoch auf, dass innerhalb der Disziplin sehr wohl Pionierarbeit geleistet wurde.
Der deutschsprachige Diskurs Für das Verständnis im deutschsprachigen Raum sind weitere Dinge konstitutiv: Zunächst kann nicht übersehen werden, dass der Diskurs hier noch in den Kinderschuhen steckt. Bis zum Jahr 2013 erscheint eine überschaubare Anzahl an wissenschaftlichen Beiträgen in deutscher Sprache, die den Begriff überhaupt erwähnen. Bis heute stammen deutschsprachige Publikationen über Design Thinking überwiegend aus Disziplinen der Organisationsentwicklung oder dem Management. Beispielhaft kann hier die deutsche Übersetzung des Klassikers Change by Design (2008) angeführt werden, die im Jahr 2016 erscheint (Brown/ Katz 2016) – acht Jahre nach der englischen Erstveröffentlichung. Tim Seitz (2017), Autor von Design Thinking und der neue Geist des Kapitalismus, widmete sich dem Phänomen aus soziologischer Sicht und präsentierte erste empirische Eindrücke aus einer Werbeagentur. Ansonsten dominieren eher ratgebende Publikationen, die erklären, wie es richtig angewendet wird. Zu den deutschen Vertretern im erwähnten frühen DesignThinking-Diskurs zählten Horst Rittel und Wolfgang Jonas: Der Designtheoretiker Rittel und seine gemeinsam mit Webber entstandene Publikation Wicked Problems findet bis heute Anklang. Doch auch er lehrte nach der Hochschule für Gestaltung Ulm (1958–1963) für fast 30 Jahre an der University of Berkeley in Kalifornien (1963–1990), bevor er den Ruf der Universität Stuttgart annahm, und ist demnach im angloamerikanischen Diskurs bekannter als im deutschen. Reuter und Jonas geben im Jahr 2013 eine deutschsprachige Textsammlung von Rittel unter dem Titel Thinking Design (Rittel 2013) heraus, auch um die Aktualität für gegenwärtige designtheoretische Diskurse zu zeigen, so Jonas (Rittel 2013: 6) im Vorwort zur Neuauflage. Jonas (2013) ist neben Rittel ein weiterer deutscher Vertreter. Ähnlich wie Hassi & Laakso und Johansson-Sköldberg unterscheidet er auch zwischen zwei Ausprägungen von Design Thinking. Er verortet
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die erste Ausprägung im »Bereich der Forschung«, wo sie sich mit den »kognitiven, kommunikativen und sozialen Prozessen des Entwerfens« beschäftigt [2013: 45]. Die zweite Ausprägung beschreibt Jonas als »neues und massiv propagiertes strategisch-methodisches Konzept von Innovation und Design« und verweist damit auf den Managementdiskurs. Doch ist auch dieser Ansatz theoriegeleitet und weist für Anwender:innen keine direkte Anschlussfähigkeit auf. Ein möglicher Grund für die geringe Beteiligung im Diskurs mag die Ausrichtung der deutschsprachigen Designausbildung sein, die nur wenige Designforschende hervorbringt. Viele Ausbildungsstätten vertreten ein Selbstverständnis von Kunsthochschulen und bieten eine weitestgehend praktische Entwurfsausbildung (Melles/Wölfel 2014; Zerweck 2018). Die Rolle der Designtheorie, in der der Diskurs um Design Thinking verortet sein könnte, findet in den entwurfsorientierten Curricula wenig Raum. Zudem werden unternehmerische Aspekte und Innovationsdiskurse bislang in vielen Studiengängen kaum abgebildet (Augsten/Gekeler 2017). Es fehlt also an einer klaren Verortung in den jeweiligen Studiengängen und damit auch am Wissen über die internationalen Vorreiter, Ausprägungen und unterschiedlichen Verständnisse von Design Thinking. Daher könnte es auch sein, dass der Kontext von Innovationsentwicklung weder für Designforschende noch Designpraktiker:innen relevant erscheint. In diesem Kontext entsteht und wächst jedoch das Interesse um Design Thinking. Eine der wenigen Äußerungen lieferte vor zehn Jahren die Designtheoretikerin Claudia Mareis (2011), indem sie anmerkt: »Im Ausbildungscurriculum für den Studiengang ›Design Thinking‹ an der Universität Potsdam [gemeint ist das Hasso-Plattner-Institut] sind allerdings die dort angeführten Begriffe wie ›Multidisziplinarität‹, ›Innovationsprozesse‹ und ›planvolles kreatives Denken‹ noch kaum durch wissenschaftliche Differenzierung und Problematisierung gedeckt, sondern ziehen vorerst noch als Schlagwörter die Blicke auf sich.« (Mareis 2011: 189f.) Ihre Äußerung bestätigt vorherige Kritiken, doch auch sie erkennt an, dass der Begriff derzeit Aufmerksamkeit erhält, führt allerdings auch keinen Lösungsvorschlag an.
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Festzuhalten bleibt, dass der designtheoretische Diskurs – national wie international – über Design Thinking weitestgehend akademisch ausgerichtet ist und kaum Einzug in die Praxis von Industrieunternehmen erhält. Vergleicht man die Design- und Managementforschung, betrachtet der Designdiskurs überwiegend die Handlungen professioneller Designer:innen und hält damit an der Verknüpfung von Profession und Handlung fest. Die Ausprägungen verdeutlichen, dass es unterschiedliche Diskurse gibt, die sich verästeln oder einzelne Aspekte analysieren. Empirische Beiträge beziehen sich vorwiegend auf die Auslegung von IDEO & Co. und es scheint, als ob sich die identifizierten Diskurse (Johansson-Sköldberg et al. 2013) fortsetzen. Auffällig ist, dass Ursprünge, die Buchanan, Collopy und Boland zeichneten und die grundsätzlich Design Thinking als einen Teil des Managementdiskurses verorten, es (besonders außerhalb des Designdiskurses) schwer haben, sich zu etablieren. Die Konzepte aus dem akademischen Diskurs haben bestenfalls auf Umwegen einen Einfluss auf das Verständnis von Design Thinking in der industriellen Praxis. Für eine Analyse dieser Praxis sind sie dennoch hilfreich, weil sie das Augenmerk auf verschiedene Ebenen richten, in denen Design Thinking in der Industrie und darüber hinaus wirksam werden kann.
1.4.
Die Anwendung als Technik, Methode und Strategic Art
Die vorangegangenen Überlegungen stellen die Vielfalt dar, die auf das Verständnis von Design Thinking wirken, indem es die Ursprünge in Design- und Managementdiskurs und ihre Einflüsse veranschaulicht, die das Konzept in der Praxis formt. Das erwähnte Modell von Junginger ermöglicht innerhalb der Designtheorie einen Perspektivwechsel. Bisher wurde der Ansatz verfolgt, zu untersuchen und zu verstehen, wie professionelle Designer:innen arbeiten. Wie gezeigt, gibt es darauf verschiedene Antworten, die sich teils überschneiden. Junginger (2016) verlegt den Fokus auf die Funktion und fragt:
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Was leistet eine gestaltende Denk- und Handlungsweise? Und auf welcher Ebene kann eine gestaltende Arbeitsweise innerhalb von Organisationen, ihren Vorgehensweisen, Prozessen und Programmatiken Wirkung zeigen? Der Beitrag einer systemischen Gestaltungsdenke wurde zuvor mitgedacht, stand aber nicht im Fokus der Diskurse. Junginger proklamiert hingegen, dass ausschlaggebend sei, wie es angewendet wird und ausgehend davon verändert sich die Wirksamkeit. Dafür schlägt sie drei Anwendungsformen von Design Thinking (2016: 37) vor, als … • • •
Technik, Methode, Strategic Art (übersetzt: gestaltendes Denken und Handeln).
Jungingers Konzept verknüpft die Anwendungsform mit der Funktion. Die Frage danach, was genau erreicht, unterstützt oder auch unterbunden werden soll, bedingt die Art und Weise der Anwendung. Folgt man dem Modell, empfiehlt es sich also, die Frage nach dem Wofür (Funktion) mit der Form der Anwendung (Wie) zu betrachten. Für diese Studie ist der Ansatz zentral, um der Frage nachzugehen, wie Design Thinking in einem Unternehmen eingesetzt und verstanden wird und auf welcher Ebene diese Anwendungsform in Bezug auf organisationale Veränderungen gegebenenfalls wirkt. Es wird insofern verwendet, als dass es als angewendete Perspektive bei der Analyse der Daten herangezogen wird, um aus dieser die beobachtete Unternehmenspraxis von Volkswagen zu systematisieren. Laut Junginger ist es angewendet als Technik dazu geeignet, spezifische und isolierte Probleme zu lösen. Eine Technik zeichnet sich dadurch aus, dass es ein planbares Ergebnis produziert, das einen gewissen Perfektionismus, eine exzellente Verarbeitung und Präsentationsform aufweist. In diesem Sinne kann das Ergebnis mit richtig und falsch beurteilt werden. Techniken können z.B. das Erstellen von Collagen in Photoshop sein, ein originalgetreues Abzeichnen eines Gegenstandes oder das Layout einer Broschüre. Techniken beschränken sich auf das Erstellen, ohne auf den Zweck einzugehen, den diese
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erfüllt. Häufig können Techniken von einer Person ausgeführt und unabhängig von Methoden angewendet werden. Bemerkenswert ist dabei, dass eine Technik für Junginger keine Auswirkung auf Veränderungen auf eine Unternehmenspraxis hat. Denn die Anwendung einer Technik findet unabhängig des Kontextes statt. Bei der Anwendung als Methode wirkt der Kontext, und Menschen kommunizieren miteinander, um gemeinsam etwas zu gestalten, das über einen rein technischen Perfektionismus hinausgeht. Junginger führt dazu aus: The moment when we move from techniques to methods, we can no longer insists on the purity of one technique or another. When we form methods from techniques, we reach outside the individual expert boundaries and often ,muddle‘ techniques by combining them with techniques from many other areas of expertise. (2016: 45) Jedoch wird das Gestaltungsergebnis durch einen fachlichen, intellektuellen und wissenschaftlichen Rahmen geprägt, in dem es wirkt – und wird in diesem Kontext auch verstanden. Mit dem Begriff Methode werden also weiterhin unterschiedliche Erwartungen, Prozesse und Handlungsfelder verbunden. Während in der Designdisziplin Methoden tendenziell als Hilfestellung im Entwurfsprozess gelten, verstehen Managementdiskurse dagegen Methoden als feststehende Anleitung von Handlungsabfolgen. Die vermeintliche Einigung auf Design Thinking als Methode muss also weiterhin kritisch betrachtet werden, da der Begriff in den Disziplinen unterschiedlich konnotiert ist. Auch Johansson-Sköldberg et al. (2013) weisen darauf hin, dass der Begriff Methode außerhalb der Designdisziplin meist mit einem expliziten Wissen verstanden wird. Innerhalb der Designdisziplin herrscht dagegen ein Verständnis darüber, dass jede Methode explizites und implizites Wissen voraussetzt, um angewendet werden zu können. So deutlich diese Unterscheidung zwischen Technik und Methode theoretisch wirkt, so diffus werden beide in der Anwendung vermischt. Die Praxisanwendung setzt jedoch zwei Dinge voraus: Einerseits tritt in der Praxis selten der Fall auf, dass Design Thinking bewusst als einzelne Technik Anwendung findet, da Menschen in der Regel
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auch miteinander kommunizieren. Andererseits setzt die Anwendung voraus, dass Anwendende ein Bewusstsein über den Mix von Techniken und Methoden haben und zusätzlich verstehen, wie ihr Gegenüber den Begriff der Methode versteht. Im dritten Verständnis nach Junginger findet Design Thinking Anwendung als Strategic Art, was sich als gestaltendes Denken und Handeln versteht. Als Strategic Art vereint es verschiedene Methoden und Techniken, es besteht aber zusätzlich aus Prinzipien und übergeordneten Leitlinien, wie Buchanan ausführt: An art is a systematic discipline for thinking, doing and making. It provides principles and strategic guidance for the use of the many specific methods and techniques that are employed in design. In contrast, methods provide tactical support in addressing design problems. Methods are characterized by a particular intellectual, disciplinary, or scientific framework. They typically bring special knowledge into practical use for the designer. Finally, techniques are individual tools and ways of working to solve technical problems. (2002: 38) Wird Design Thinking als gestaltendes Denken und Handeln verstanden, prägt es auch die managerialen Prinzipien und Handlungsweisen eines gesamten Unternehmens. Erst in dieser Funktion wird es nach Junginger dem Anspruch gerecht, einen Beitrag zu organisationalen Veränderungen im Sinne der strategischen Ausrichtung oder einer kollaborativen Zusammenarbeit zu leisten. Als Methode angewendet, wirkt Design Thinking zwar innerhalb der Produktentwicklung als Kreativitätsförderer, jedoch ist kein Beitrag zu organisationalen Veränderungen zu erwarten (Junginger 2016). Das Modell von Junginger ermöglicht eine Einordnung der Anwendungsform und setzt sie in Relation zur Funktion, also das, was durch die Anwendung zu erwarten ist. Ihr Modell kann daher als eine Art Paradigmenwechsel begriffen werden, der disziplinäre Arenen und Ursprünge hinter sich lässt und im konkreten Geschehen in einer Unternehmenspraxis eine Form der Einordnung anbietet, um die Erwartungshaltung nach Veränderung in Einklang mit der Anwendungsform zu verstehen.
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Die angeführten unterschiedlichen Ursprünge verdeutlichen jedoch auch, dass in vielen Publikationen die Betrachtung der Anwendungsformen bislang nicht mit der wünschenswerten Zielsetzung reflektiert wird. Letzteres jedoch scheint unabdingbar, wenn der Anspruch besteht, innerhalb von Industrieorganisationen eine menschzentrierte Perspektive zu etablieren und einen organisationalen Wandel dahingehend zu fördern.
1.5.
Die Kontroversen um den Begriff
Richtet man einen vergleichenden Blick auf die Management- und die Designtheorie fallen einige Gemeinsamkeiten, aber auch konträre Grundhaltungen auf. Beide Diskurse sind darin vereint, dass sie sich in ihren Ursprüngen mit handelnden Akteuren beschäftigen. Allerdings unterscheiden sie sich hinsichtlich der Personengruppe, die sie ansprechen möchten. In der Designtheorie beleuchten die meisten Publikationen gestaltende Handlungen von professionell ausgebildeten Designer:innen. Verkürzt könnte man sagen: In vielen Designpublikationen sind die Handelnden auch Teil der Leserschaft. Im Management wird Design Thinking weitestgehend als Methode zur Entwicklung nutzer:innenzentrierter Ideen verstanden. Die Erkenntnisse und Konzepte sind damit einer sehr viel breiteren Leserschaft zugänglich. Diese unterschiedliche Ausrichtung ist Grundlage vieler Kritiken und bietet gleichermaßen einen Nährboden für Irritationen und Unschärfe im Verständnis von Design Thinking. Sich diese Kontroversen bewusst zu machen, hilft zu verstehen, welche Verständnisse die Anwendung leiten, und unterstützt das Einordnen der empirischen Beobachtungen über Design Thinking in der industriellen Praxis.
Die theoretische Unschärfe Der schnelle Aufstieg von Design Thinking förderte auch kritische, wissenschaftliche Stimmen. Bereits im Jahr 2013 wiesen erste Einschätzungen darauf hin, dass die Ausprägung nach IDEO & Co. auf
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keinem belastbaren theoretischen Rahmenwerk basiert, obwohl die Anwendung sich rasant verbreite. Johansson-Sköldberg et al. merkten an: »While Brown’s stories are compelling, there is no published theoretical framework other than his description of the circular process.« (2013: 128) Viele empirische Studien befragen zwar Praktizierende und präsentieren anekdotisches Wissen, verwenden aber keine oder eigene Definitionen von Design Thinking, statt ihr Verständnis innerhalb bestehender theoretischer Ansätze zu verorten. Andere Publikationen streben danach, spezifische Teilaspekte wie Raumkonzepte oder einzelne Entwicklungsphasen zu untersuchen, oft ohne explizit zu machen, auf welches Verständnis sie sich dabei beziehen. Das führt dazu, dass die Möglichkeit, prüfende Verfahren anzuwenden, entfällt oder seinen Sinn verliert, da das jeweils zugrunde liegende theoretische Verständnis unklar bleibt. Qualitative, explorative Studien wie diese liefern dagegen erkenntnistheoretische Beiträge, verfolgen aber nicht das Ziel, eine quantitative, manageriale Messgröße zu bestimmen. Das Bestreben der einzelnen wissenschaftlichen Diskurse nach einem möglichen, allgemeingültigen Verständnis von Design Thinking ist argumentativ im Sinne der Wissenschaftslogik nachvollziehbar. Dennoch wird an diesem Bestreben deutlich, dass die Arenen von Designtheorie und Managementforschung unterschiedlichen Regelwerken unterliegen. Auch praxisorientierte Vertreter:innen – wie beispielsweise der frühere IDEO-Geschäftsführer Brown – sprachen sich mehrmals gegen die Entwicklung einer Definition aus, die einen normativ-repetitiven Charakter fokussiert. Brown etwa befürchtete, dass in diesem Fall Aspekte der Offenheit, der Imagination oder der Kreativität durch eine wissenschaftliche Normation nicht ausreichend Berücksichtigung finden würden. Stattdessen plädierte er für die Notwendigkeit, Design Thinking als etwas zu verstehen, das sich situativ anzupassen vermag bzw. angepasst werden kann und sich stetig weiterentwickelt. Das wissenschaftliche Bestreben nach einer – seinem Verständnis nach – zu eng gefassten Definition nehme den Kernelementen von situativ, adaptiv und sich stetig selbst infrage zu stellen den nötigen Freiraum. Im Vorwort der deutschen, überarbeiteten Ausgabe seines Buches Change by Design betont er, dass seine Auffassung von Design Thinking nicht
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als »Gewusst wie«-Anleitung (2016: 8f.) daherkommen soll, da es sich um Kompetenzen handele, die man sich am besten durchs Anwenden aneignet. Das skizzierte Beispiel zeigt einen positiven Aspekt der Gemengelage und plädiert für ihre Erhaltung als natürlicher Treiber der Veränderung. Das Bestreben nach einer vermeintlich allgemeingültigen Definition von Design Thinking – vereint mit dem Wunsch nach situativer Anpassung und einer inhärent stetigen Weiterentwicklung – kennzeichnet die unterschiedlichen Denkschulen und Wissenschaftsverständnisse, die zum Zeitpunkt der Publikation existieren. Interessant ist dennoch, dass der Versuch, eben keine Definition von Design Thinking im akademischen Sinne zu entwickeln, seit dem Aufstieg in der Praxis gelingt und sich andererseits die Uneindeutigkeit in der Entwicklung von diversen Verständnissen und Anwendungsformen spiegelt. Diese Unschärfe wiederum weckt gleichermaßen das Interesse von Forscher:innen und Praktiker:innen, dem Erkenntnisgewinn weiterhin nachzugehen. So logisch diese Worte und der ausgedrückte Widerspruch zunächst klingen mögen, hat Brown möglicherweise unterschätzt, dass Design Thinking durch diese andauernde unklare Definition Gefahr läuft, als eine »Management Fashion« (Abrahamson 1996) verstanden zu werden, eine Art Modeerscheinung. Der Historiker Abrahamson spricht davon, wenn etwas neu und interessant erscheint, ohne evidenzbasierte Kenntnisse über Funktion oder Relevanz. Zentral im Diskurs über Verständnisse von Design Thinking und die gegenwärtige Vielfalt an theoretischen Definitionen ist, dass jede Mode einer zeitlichen Komponente unterliegt, die mit einer wellenartigen Trendentwicklung einhergeht. Eine Trendwelle steigt zunächst rasant an, wie es seit Anfang der 2000er-Jahre zu beobachten ist. Jedoch flachen die Kurve und damit das Interesse auch ebenso schnell wieder ab, und Design Thinking könnte mit seinen diversen theoretischen Ansätzen aus den Diskursen verschwinden. Die Vielfalt der theoretischen Definitionen und die empfundene Unklarheit des Konzepts können dazu führen, dass Design Thinking als Buzzword abgetan wird; sie können aber auch dazu motivieren, weiter zu forschen oder anzuwenden.
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Die Relevanz von Intuition und Imagination Im Juni 2017 hielt die Grafikerin Natasha Jen, Partnerin der Designfirma Pentagram, einen Vortrag mit dem provokativen Titel Design Thinking is Bullshit. Sie begann ihren Vortrag mit dem Vorwurf, dass es zu einem bedeutungslosen Schlagwort geworden sei, da es als normative Anleitung verstanden wird. Sie argumentiert weiter, dass diese Post-itMania, also das Verwenden vieler, bunter Klebenotizzettel, so auffällig erscheint, dass umfassendere Techniken, Methoden und Prozesse der Designdisziplin überschattet werden. Die italienische Autorin, Herausgeberin und MoMa-Kuratorin Paola Antonelli unterscheidet ebenfalls deutlich zwischen Design und Design Thinking: Design Thinking is not design. Design Thinking is to design what the scientific method is to science. It is like a modelling way a designer might work, but it does not substitute design. It’s the steps without the knowledge and the years of training. And Design Thinking is a real danger because many companies think they’re doing design and they’re not. So, it’s become a real consultant’s playground, and a way for many companies to abdicate their responsibilities towards design. It’s really a big problem. (Kirkpatrick 2016) Sie zweifelt ebenfalls an, dass Erfahrungswissen in mehrtägigen Schulungen gewonnen werden kann, und sieht eine Gefahr darin, dass die Popularisierung durch normative Prozesse und Methodenvorlagen klassische Beratungen motiviert, Design Thinking als Managementmode zu promoten und dadurch um seine Vorteile von Offenheit, Intuition und Kreativität beraubt. Antonelli verteidigt also die Ursprünge des professionellen Designs, indem sie die tiefgreifende Bedeutung von Design Thinking infrage stellt, und bezieht sich dabei auf die Ausprägung von IDEO. Wie zuvor angesprochen, kritisieren beide die Verkürzung, mit der Design Thinking im Managementdiskurs verstanden wird. Besonders die Nichtberücksichtigung von Intuition und implizitem Erfahrungswissen findet im normativen Managementverständnis keine Berücksichtigung. Grundsätzlicher deuten auch diese
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Äußerungen auf die unterschiedlichen Ursprünge und Grundsätze beider Disziplinen hin. Fest steht, dass in der Praxis nur wenige Mitarbeitende über theoretische oder praktische Vorkenntnisse verfügen und ihre Anwendung sich daher meist losgelöst von akademischen Vorstellungen über Inhalt und Funktion von Design Thinking entfaltet. In der Praxis scheint sich demnach eine Verwendung von Design Thinking mit eigenständigen Vorstellungen und Anwendungsformen zu entwickeln. Das zeigt sich unter anderem an den diversen Prozessmodellen, Methodenbeschreibungen und Hilfsmitteln wie Templates oder Kartensets. Diese Artefakte unterstützen die Anwendung und grundsätzlich auch den Transfer von theoretischen Konzepten in die Praxis, jedoch fördern sie überwiegend ein Verständnis, dass Design Thinking normativ begreifbar und damit per se für jede:n erlernbar ist. Hier liegt vermutlich die größte Differenz, nämlich die Annahme, dass implizites Wissen, Kreativität und Empathie erlernbar, explizierbar und damit replizierbar sind. Das Entstehen diverser Hilfsmittel befördert diese Kritik, die seitens der Designcommunity offen geäußert wird. Sie gilt nicht den Hilfsmitteln per se, sondern wiederum der Unschärfe, mit dem der Begriff vielerorts verwendet wird, ohne sich der kontroversen Verständnisse bewusst zu sein. Der Designdisziplin konnte es bislang allerdings nicht gelingen, einen positiven Beitrag aus ihrer Kritik zu formulieren und die unbeachteten Ursprünge über Design Thinking in der Praxis verständlich und bekannt zu machen. Es scheint, als ob das Kontroverse sich weiterhin aus den unterschiedlichen Grundlagen der beiden Disziplinen und Denkschulen und einem gegenseitigen Ignorieren speist. Aus Sicht der Designdisziplin scheint es nahezu selbstverständlich, dass sich jede Form von Prozess, Methode und Technik in der Anwendung situativ an die jeweiligen Gegebenheiten und die Kompetenzen der Handelnden anpasst – gemäß einer jeweiligen Sinnhaftigkeit. Diese Perspektive basiert auf der Annahme, dass jede Situation einzigartig ist und sich einer identischen Herangehensweise entzieht. Die Managementlehre formuliert stattdessen tendenziell das Erkennen von Mustern und entwickelt Lösungsschemata, in denen Hilfsmittel häufig als Anleitung verstanden
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werden und keine visionären Gestaltungsmerkmale aufweisen. Beide Denkschulen zeigen, dass dieses Verständnis disziplinär variiert. Bemerkenswert ist daran, dass trotz der Argumentation Browns für eine Nichtdefinition (womöglich auch unbeabsichtigt) dieser Aspekt weiterhin polarisiert und kontroverse Positionen hervorruft, aber noch keinerlei Fortschritt sichtbar wird, wie diese Kontroversen produktiv genutzt werden können.
Die Wirtschaftsnähe Ein weiterer Aspekt, der in der Designdisziplin für Kritik sorgt, ist die Nähe zu Wirtschaftsunternehmen und traditionellen Unternehmensberatungen, in denen Design Thinking eine besondere Aufmerksamkeit zukommt, die maßgeblich zum Auftrieb beizutragen scheint. Grundlage dessen sind wiederum die unterschiedlichen Zielsetzungen und Selbstverständnisse der Disziplinen. Während es im Design vielerorts angestrebt wird, Produkte, Dienstleistungen und Systeme zu gestalten, die Aspekte im Leben von Menschen verbessern (vgl. Simon), beschreibt im industriellen Kontext häufig die Gewinnmaximierung die Zielsetzung des Managements. Überspitzt könnte man ausdrücken, dass die Designcommunity ihre Arbeitsweisen als Ausdruck von individueller Weltverbesserung versteht, während Design Thinking von Unternehmensberatungen als Mittel zur Profitmaximierung promotet wird. Hier liegt die Vermutung nahe, dass eine gewisse Unsicherheit innerhalb der Designdisziplin – möglicherweise gefördert durch künstlerische Wurzeln und die Jugendlichkeit der Disziplin – im Vergleich zu Disziplinen wie der Betriebswirtschaft zugrunde liegt und eine Grundsatzkritik an kapitalistischen Zielsetzungen vertritt. Andererseits stellt sich auch die Frage, in welchen Tätigkeitsfeldern sich professionelle Designer:innen verorten, wenn sie Wirtschaftsunternehmen und Unternehmensberatungen ablehnen, obwohl sie möglicherweise einen manifestierten Zugang als Auftragnehmende haben. In Bezug auf Design Thinking steht fest, dass die meisten Organisationen anderen Logiken folgen als die Designdisziplin. Aspekte wie das Visionäre, die Exploration und die Kreativität, die in einem künst-
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lerischen Umfeld bestimmend sein mögen, werden in technischen Umfeldern anders akzeptiert und antizipiert. Das unternehmerische Setting tendiert dazu, Design Thinking als etwas zu klassifizieren, das zu seiner Denk- und Arbeitsweise passt, statt Design Thinking mit der Designdisziplin zu verknüpfen. Da der Begriff und die Disziplin Design im industriellen Kontext bislang weitestgehend in Verbindung mit Form und Ästhetik verstanden werden, verwundert es nicht, dass der Bezug zwischen Designdisziplin und Design Thinking für viele Anwender:innen nicht nahezuliegen scheint. Der Fokus der Praxis liegt stattdessen auf dem Ausprobieren und dem Entwickeln von individuellem und kollektivem Erfahrungswissen. Viele Anwender:innen benötigen dazu keine akademischen Definitionen, noch zeigt sich die Relevanz dafür in ihren Tätigkeiten. Zusätzlich wird Design Thinking in der Praxis von vielen Akteuren mit unterschiedlichen Perspektiven, Fähigkeiten und Erfahrungen ausgestaltet und jede:r entwickelt ein leicht unterschiedliches Verständnis. Diese Unterschiedlichkeit fördert eine Fragmentierung und eine gewisse Unschärfe, was Design Thinking sei. Grundsätzlich muss darauf hingewiesen werden, dass eine Systematisierung der diversen Kritiken kaum möglich ist, aber der Eindruck entsteht, dass es sich um eine Mischform zwischen einer Kritik an der inflationären Verwendung des Begriffs und einer Art und Weise, wie offene, gestaltende und situative Arbeitsweisen in Industrieunternehmen und ihre Strukturen und Prozesse gepresst werden, handelt.
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2. Studie
Den Aufstieg von Design Thinking in der Praxis begleitet ein akademisches Interesse, wie die Diskussion um Design-Thinking-Schulen, den Managementdiskurs und die designtheoretischen Abhandlungen deutlich macht. Neben frühen Untersuchungen, die verschiedene Strömungen beleuchten (Hassi und Laakso 2011) und innerhalb dieser zwischen diversen Ausprägungen unterscheiden (Johansson-Sköldberg et al. 2013), konzentrieren sich einige Beiträge auf eine Definition von Design Thinking, wie etwa Cross (2001, 2011), Doorst (2015) und Liedtka (2011, 2014, 2015). Andere untersuchen Einzelaspekte, wie das Prototyping (Blomkvist/Holmlid 2012; Halmgrimmson 2012), die Raumgestaltung (Thoring et al. 2019) oder Zusammenarbeitsmodelle (Sanders/ Stappers 2008; Hollern 2016). Daneben nimmt die Zahl empirischer Studien zu, die anhand von Fallbeispielen wie z.B. von Carlgren et al. (2016b) oder Schweitzer et al. (2016) Positionen aus unterschiedlichen Unternehmen oder Branchen darstellen. Darin greifen sie jedoch methodisch meist auf solche Expert:innen zurück, die Design Thinking als Vorreiter in jenen Unternehmen einführen, fördern und ausüben. Diese Herangehensweise ist mit der Kritik verbunden, dass die Befragten per Funktion, Rolle, Profession oder Interesse einen inhärenteren Optimismus mit Design Thinking verbinden (Johansson-Sköldberg et al. 2013), was sich wiederum in den Erkenntnissen niederschlägt. Eine andere Art empirischer Studien untersucht, inwiefern durch die Anwendung von Design Thinking vordefinierte Ziele oder Erwartungen erreicht werden, oder vergleicht, in welchen Aspekten es sich besser für
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die Lösung bestimmter Problemstellungen eignet als andere Methoden (Seidel/Fixson 2013). Die vorliegende Studie ergänzt bereits verfügbare Erkenntnisse, unterscheidet sich jedoch durch die Form des Feldzugangs zum Untersuchungsgegenstand. Sie interessiert sich für die Praxis und konkreter dafür, was in einem einzelnen, realen Unternehmensalltag passiert, wenn etwas angewendet wird, das als Design Thinking von Mitarbeitenden bezeichnet wird, um, aufbauend auf diesen Erkenntnissen, der Kernfrage nachzugehen, was Design Thinking für den Wandel eines Unternehmens eigentlich nützt. Es geht also darum, in einem ersten Schritt herauszufinden, wie Design Thinking am Beispiel des Volkswagen Konzerns eingeführt und verstanden wird. In einem zweiten Schritt eröffnet sich die Frage: Was entwickelt sich, wenn es als diffuses Konzept auf die Realität eines klassischen Industrieunternehmens trifft? Das heißt auch, Design Thinking wird in dieser Untersuchung nicht mit einer Definition oder einem vorgefassten Verständnis betrachtet, sondern entwickelt diesen aus der Praxis für den konkreten Untersuchungskontext. Die Designtheorie nimmt jeher die Perspektive des Menschen, der Handelnden in einer Organisation ein. Um zu verstehen, wie Handelnde mit Design Thinking umgehen, um aufbauend darauf den Beitrag von Design Thinking zu Veränderungen innerhalb eines Unternehmens benennen zu können, verknüpft die Studie das Was mit dem Wozu. Dabei geht es aber nicht nur um den Begriff und das Konzept, sondern vor allem um die Funktion: Was leistet Design Thinking für ein Unternehmen – vermeintlich und tatsächlich? Damit schließt meine Arbeit an das dargestellte Modell von Junginger (2016) an und ermöglicht einerseits zu verstehen, in welcher Ausprägung die Anwendung von Design Thinking stattfindet. Andererseits beschreibt Junginger für jede Kategorie eine unterschiedliche Form von Beitrag für Veränderungen in einer Organisation, die in dieser Arbeit reflektiert und ggf. ergänzt werden. In a nutshell: Design Thinking in der Ausprägung als kreativitätsfördernde Methode beansprucht häufig, einen Beitrag zu kulturellen Veränderungen zu leisten. Junginger argumentiert jedoch, dass durch die Anwendung von Techniken und Methoden kein Beitrag zu Ver-
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änderungen zu erwarten ist. Ob eine etablierte Unternehmenspraxis sich so verhält, bleibt offen. Zwar wird Design Thinking häufig in praxisorientierten Artikeln ein vielversprechender, optimistischer Beitrag zum Wandel in Organisationen zugeschrieben, z.B. zu einer veränderten Arbeitskultur durch eine neue Form der Zusammenarbeit. In akademischen Diskursen gibt es dazu kaum evidente Erkenntnisse. Wenige Beiträge widmen sich Kulturen oder Narrativen (Buchanan 2008; Junginger 2008; Elsbach/Stigliani 2018; Starostka 2014; Kolko 2015; Wyrwicka/Chuda 2019; Bason/Austin 2019). Bisherige Studien berücksichtigen selten das organisationale Umfeld der Anwendung. Sie bestätigen zwar den Anspruch der Praxis, dass Design Thinking einen positiven Beitrag zu organisationalen Veränderungen leistet (Buchanan 2015; Grots/Creuznacher 2012; Junginger 2005; Saviranta/ Elorante 2015), häufig fehlen jedoch empirische Untersuchungen. Es fehlen also Studien, die sich eben diesen Beitrag von Design Thinking zum Wandel in Organisationen genauer anschauen. Einzig die systematische Literaturanalyse von Elsbach und Stigliani (2018) vergleicht erschienene Publikationen auf die Einflussnahme von Kulturen in allen Ausprägungen von Design Thinking und kartiert Pfadabhängigkeiten. Um jedoch den Beitrag zum Wandel umfassend zu verstehen, liefert die Einzelfallstudie bei VW eine ausführlichere Art von Erkenntnissen, als es vergleichende Literaturanalysen leisten. Diese explorative Studie stellt daher die folgende Frage: Inwiefern leistet Design Thinking in einer bestehenden Unternehmenspraxis einen Beitrag zu organisationalen Veränderungen? Organisationale Veränderungen umfassen dabei Veränderungen auf personeller, struktureller, kultureller und solcher Ebene, die unterschiedliche Aspekte miteinander verknüpft in einer Organisation. Dem betrachteten Phänomen – Design Thinking in der Industrie – wird dabei nicht hypothesengeleitet begegnet, um aus Perspektive der Handelnden nachzeichnen zu können, welche Auseinandersetzungen im realen Unternehmensalltag erfolgen. Dieser induktive Feldzugang schafft die Voraussetzung dafür, die Ergebnisse so zu systematisie-
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ren, dass sie neue Erkenntnisse für Praktiker:innen bereitstellen und auch wissenschaftliche Diskurse befruchten oder erweitern. Zudem liefern die Erkenntnisse Impulse dafür, etablierte Vorgehensweisen in Organisationen dahingehend zu überdenken, ob sie eine menschenzentrierte Sichtweise anstreben. Im gegenwärtigen Paradigmenwechsel hinterfragen viele Industrieunternehmen ihre Ausrichtung und mit ihr die unternehmenseigen entwickelten Strukturen und Kulturen, um weiterhin relevant zu sein. Ein Verständnis von Design Thinking als gestaltendes Denken und Handeln führt laut Junginger zu organisationalen Veränderungen und könnte somit auch einen Beitrag hin zu einer veränderten Unternehmensausrichtung leisten, die Profitabilität und Menschlichkeit verbindet. Ob das am Beispiel Volkswagen gelingen kann, wird untersucht. In diesem Kapitel wird dazu dargestellt, wie die Daten für diese Studie erhoben und ausgewertet wurden. Der angewendete Forschungsstil der Grounded Theory bietet einen übergeordneten Rahmen und basiert auf der Sichtweise, dass sich erst in der Auseinandersetzung mit dem erhobenen Material Erkenntnisse entwickeln, die für die Bildung von Neuem dienen. Der offene Forschungsansatz ermöglicht es, in der Studie perspektivisch neue Zugänge zu entwickeln, und schafft erste Erkenntnisse zu einem noch wenig bekannten Forschungsgegenstand im ebenso jungen, wissenschaftlichen Diskurs über Design Thinking und Veränderungen in Organisationen. Diese Besonderheit prägte die Entscheidung für eine methodische Anlehnung an die Grounded Theory, um zu untersuchen, wie Design Thinking in der realen Unternehmenspraxis bei Volkswagen angewendet wird und verborgene Hürden in den innerorganisationalen Umsetzungsproblematiken sichtbar macht. Dazu werden Spannungsfelder herausgearbeitet, die sich innerhalb der Organisation zeigen. Diese stellen das Ergebnis einer systematischen Untersuchung dar, um die leitende Fragestellung zu beantworten. Da die Studie als angestellte Doktorandin bei Volkswagen durchgeführt wurde und das Unternehmen zugleich als Fallbeispiel dient, wird die Doppelrolle als Kollegin und Forscherin ebenso beleuchtet, wie implizites Feldwissen sichtbar gemacht.
2. Studie
2.1.
Forschungsstrategie
Um Entwicklungen, das Verständnis zum Begriff und seinen Beitrag zu Veränderungen bei VW zu untersuchen, wird der explorative Forschungsansatz eingebettet in den amerikanischen Pragmatismus, der den philosophischen Rahmen der Studie darstellt. Der Begriff »Pragmatismus« hat seinen Ursprung in der griechischen Sprache und bezeichnet grundsätzlich eine Sache oder eine Handlung. Das praktische Handeln bzw. Verhalten und dessen Auswirkung auf unser Denken und Wissen stehen im Zentrum des Interesses. Prägende Protagonisten dieser Richtung der Philosophie sind William James (1842–1919) sowie Charles Saunders Peirce (1839–1914), im 20. Jahrhundert gilt John Dewey (1859–1952) als prominenter Vertreter. Der amerikanische Pragmatismus ist dennoch keine definierte Methode oder Denkschule mit zugeordneten Ansätzen und Prinzipien. Einigkeit besteht jedoch darüber, dass es sich um eine auf Logik aufbauende Forschung handelt, in der soziale Wirklichkeit bzw. Realität als veränderlich und variabel angesehen wird und demnach eine erkenntnistheoretische Haltung vertreten wird. Diese ist explorativempirisch konzipiert, da ausreichende (Vor-)Erkenntnisse fehlen und generiert werden sollen. Deshalb zielt die angewendete Forschungsstrategie darauf ab, neuartige Erkenntnisse zu generieren. Die hypothesenfreie Herangehensweise ermöglicht es in höchstem Maße, feldbezogen und offen vorzugehen, wodurch keine Aspekte das Feld einrahmen und die Erkenntnisse hierarchisieren. Dieses Verständnis basiert auf der Sichtweise, dass Mitarbeitende, Praktiken, Kulturen ebenso wie Prozesse und Strukturen zu jeder Organisation gehören und miteinander interagieren und daher nicht unabhängig voneinander betrachtet werden können. Das Vorgehen ermöglicht diese Offenheit und bestimmt den methodischen Rahmen, um Selbstwahrnehmung, Haltungen, Verhaltensmuster und Interaktionen von Handelnden herauszuarbeiten und ihre Wirksamkeit in Bezug auf Veränderungen sichtbar zu machen. Das Erkennen und Entwickeln neuer, bisher unbekannter Zusammenhänge steht im Zentrum des Interesses dieser Fallstudie.
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Die Einzelfallstudie Fallstudien sind nach Yin (2009) zunächst Untersuchungen von Einzelpersonen, Gruppen oder Gemeinschaften. Er definiert eine Fallstudie als »an empirical inquiry that investigates a contemporary phenomenon in depth and within its real-life context, especially when the boundaries between phenomenon and context are not clearly evident« (2009: 14). Typischerweise werden in explorativen Fallstudien Daten in einer Vielzahl von Situationen gesammelt, wobei verschiedene Methoden unterschiedliche Aspekte herausarbeiten, die häufig Fragestellungen des Wie oder Warum bearbeiten (Yin 1989, 2009; Eisenhardt 1989; Eisenhardt/Graebner 2007). Einzelfallstudien eignen sich laut Dyer und Wilkins (1991), um neuartige Erkenntnisse zu erhalten, da die Qualität des Datenmaterials tiefgreifender, umfangreicher und ganzheitlicher daherkommt, als es bei mehreren Fallstudien möglich wird. Gustafsson (2017) fügt hinzu, dass Forschende in einer Einzelfallstudie mehr Zeit für diese aufwenden, als sie es bei einem Vergleich von mehreren Fallstudien würden. Mein Zugang als Doktorandin schließt vergleichende Fallstudien aus, kennzeichnet aber die Besonderheit dieser Studie. Als Unternehmen zeichnet sich VW durch Größe, Strukturen und Bekanntheit aus und entspricht somit den Kriterien einzigartig und extrem, die Yin (1989: 47) für die Konzeption einer Einzelfallstudie anführt. Die Einzigartigkeit VWs entsteht aus seiner Unternehmensgeschichte, seinem langjährigen Bestehen, dem erfolgreichen Überwinden von Krisen sowie seiner weltweiten Expansion, was seine Position als weltweit führender Automobilhersteller beschreibt. Das Extreme erfolgt zum Zeitpunkt der Studie aus dem allgemeinen Wandel der Automobilindustrie von produzierenden Unternehmen zu Mobilitätsdienstleistern und dem erwähnten Dieselskandal, der im ersten Jahr der Studie öffentlich wird und in seiner Folge unternehmensweite Veränderungen mit sich bringt.
2. Studie
Der Forschungsstil der Grounded Theory Die Studie lehnt sich grundsätzlich an die Grounded Theory an. Das bedeutet, sie wird nicht dogmatisch, sondern rahmengebend verstanden. Der Forschungsstil der qualitativ-interpretierenden Sozialforschung basiert auf dem Grundgedanken, dass sich Erkenntnisse aus dem Datenmaterial heraus entwickeln (Breuer et. al 2018; Muratovski 2015 und 2016). Es geht also generell nicht um die Überprüfung oder Quantifizierung bestehender Theorien, sondern darum, soziale Wirklichkeiten – wie eine Unternehmenspraxis – systemisch und tiefgreifend zu verstehen. Dafür eignen sich quantitative Verfahren nicht. Entwickelt wurde die Grounded Theory von Barney G. Glaser und Anselm L. Strauss (1967). Beide waren der Ansicht, dass Forschende einen Ansatz benötigen, der es ihnen erlaubt, von erhobenen Daten zur Theorie zurückzukehren, um neue, kontextbasierte Theorien und Konzepte zu entwickeln. Ihrer Ansicht nach gilt: »The theory should fit the data, rather than the data fit the theory.« (1967: 261) Damit wenden sie sich von der Sichtweise ab, eine existierende Theorie als Vorgabe für die Passung von Daten und ihrer Analyse zu sehen. Das gilt zumindest für den Anspruch und die Analyse sozialer Wirklichkeiten oder wie Mey et al. es ausdrücken: »Die Entdeckung von neuen Theorien ist mindestens ebenso wichtig wie die Prüfung bereits vorliegender Theorien.« (2011: 15) Ein offenes Herangehen fordert, dass wir »nicht im Voraus alle Kategorien kennen, die für unsere Theorie relevant sind« (Strauss/Corbin 1996: 33). Der Rückgriff und die Reflexion dessen, was im Forschungsfeld entdeckt wurde, erfolgt erst in der Diskussion der Erkenntnisse, die in der Datenanalyse gewonnen werden und dann im Kontext bekannter theoretischer Konzepte verortet und diskutiert werden. Etwaige Vorkenntnisse über das Feld oder theoretische Argumente fließen stetig in die Auswertung ein, bilden vorläufige Konzepte, die schrittweise präzisiert werden. Der Ansatz kennzeichnet eine wechselseitige Abhängigkeit von Datenerhebung und Auswertung, indem ein ausdrückliches Pendeln zwischen Datenerhebung und -analyse dem Gedanken des stetigen Vergleichens folgt. Um während des Vergleiches weiterhin die Offenheit
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als Forschende zu behalten, empfehlen Glaser und Strauss, eine hohe Sensibilität im Umgang mit den Daten zu entwickeln, um neue Einsichten zu gewinnen und den Daten Bedeutung zu verleihen. Dies wird als »Theoretische Sensibilität« bezeichnet (1996: 25). Das meint, eine Deutungshoheit über das Wichtige und Unwichtige zu erhalten und somit durch die Systematisierung Kodierungen, Konzepte und Theoriemodelle zu entwickeln. In dieser qualitativen Studie wird die Grounded Theory rahmengebend verstanden, d.h., relevante Kernelemente prägen die Studie. Glaser und Strauss nennen »fit«, »relevance«, »work« und »modifiability« als Gütekriterien für Studien, die sich an die Grounded Theory anlehnen. Als »fit« beschreiben sie die Passung der entwickelten Erkenntnisse, die sich durch das stetige Pendeln zwischen Datenerhebung und Datenauswertung ergibt. Aus dieser Passung resultiert eine Relevanz als zweites Kriterium. Diese sei laut Glaser und Strauss automatisch gegeben, weil die Theorie aus Daten entwickelt wird, die aus der realen Praxis bei VW entstammen. Die »workability« meint die Reichweite, für die das theoretische Modell oder die einzelnen Kategorien in der Lage sind, den Kern des Handelns in dem Untersuchungsfeld zu identifizieren und zu erklären. Dieses Kriterium in einer Einzelfallstudie zu berücksichtigen ist herausfordernd, da es einerseits wenig Standardisierung, aber sehr unterschiedliche Verständnisse darüber gibt, was als theoretisches Modell verstanden werden kann. Andererseits wirkt die Reichweite von Erkenntnissen, die in einer Einzelfallstudie gewonnen werden, tendenziell geringer als bei vergleichenden Studien und kann sich eher im Nachgang und in der möglichen weiteren Entwicklung des Diskurses zeigen. Der Hauptbeitrag einer Einzelfallstudie liegt darin, eine reale, soziale Wirklichkeit systematisch und umfassend zu untersuchen – und mit diesen neuartigen Erkenntnissen einen Impuls im gegenwärtigen Diskurs zu leisten. Das Gütekriterium der Reichweite ist zugunsten des letztgenannten Ziels vernachlässigt worden. Das vierte Gütekriterium »modifiability« berücksichtig die Flexibilität im Forschungsprozess, um auf Veränderungen bei VW einzugehen. Die übergeordnete Zielsetzung von Forschung im Stil der Grounded Theory ist also ein Beitrag zur
2. Studie
Entwicklung einer Theorie, die »soziale Prozesse erklären und insofern mit Einschränkungen […] auch vorhersagen kann« (Mey et al. 2011: 81). Dieses Ziel erfordert besonders die Anwendbarkeit der aus den Daten heraus entwickelten und verdichteten Theorie für die Lösung praktischer Probleme. Letzte Bewährung ist keine abstrakte Wahrheit oder Richtigkeit, sondern die praktische Anwendbarkeit: »Die Praxis bringt also in gewisser Weise den Test und die Validierung der Theorie.« (Glaser/Strauss 1998: 233) Die Objektivität als Forschende ist in einem qualitativen, interpretativen Verfahren weder umsetzbar noch gewünscht (Mey et al. 2011). Sie ist nicht als Erkenntnisgewinn einer vom Forschenden unabhängig existierenden Realität gemeint. Vielmehr soll jede Erkenntnis unabhängig von subjektiven Einflüssen nachprüfbar sein. Zudem ist die Trennung zwischen demjenigen, der die Erkenntnis herausarbeitet, und der gewonnenen Erkenntnis weder erreichbar noch wünschenswert. Stattdessen soll vielmehr eine Beziehung zwischen Forschendem und Feld entstehen, in die subjektive Vorerfahrungen beider einfließen.
Meine Rolle als Forschende Die Doppelrolle als teilnehmende Beobachterin und als Angestellte bot besondere Einblicke, erforderte aber auch ein stetiges Navigieren zwischen beiden Rollen und das Entwickeln von Strategien zur Reduzierung potenzieller Subjektivität. Um Letzteres zu reduzieren, empfehlen Mey et al. (2011) ein hohes Maß an Selbstreflexion, welches durch das Führen von Forschungstagebüchern, das Bewusstmachen von Vorkenntnissen, das Verfassen von Memos und den Anschluss einer Gruppe von Mitforschenden gefördert werden kann. Diesen Empfehlungen folgte ich: Die Teilnahmen an verschiedenen Fachkonferenzen ermöglichten es mir, auch solche Argumente und Erkenntnisse einfließen zu lassen, die in praxisnahen und akademischen Communities diskutiert werden. Die regelmäßige Beteiligung an unterschiedlichen Doktorandenkolloquien bot ebenfalls die Gelegenheit, Erkenntnisschritte zu diskutieren und zu reflektieren. Das ständige Präsentieren vorläufiger Ergebnisse während des Auswertungsprozes-
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ses auf akademischen und praxisorientierten Konferenzen im In- und Ausland, verknüpft mit dem Ziel, die Evidenz vorläufiger Erkenntnisse zu diskutieren, trug zu einem fortwährenden Reflexionsprozess bei. Darüber hinaus habe ich die Zusammenarbeit mit internationalen Wissenschaftler:innen und Praktiker:innen gesucht, die sich in über zehn gemeinsamen Publikationen ausdrückt, die diese Studie begleiten. Gleiches gilt für diverse Besprechungen bei VW, in denen ich vorläufige Erkenntnisse einbrachte und um Einschätzungen gebeten worden bin. Diese Alltagssituation im Unternehmen haben die Datenerhebung und weitreichende Teile der Auswertung bis Ende März 2018 begleitet und sind in Form von Beobachtungen, Zwischenfazits und aufgeworfenen Fragen in Forschungstagebüchern dokumentiert. Zu ergänzen ist, dass meine Anstellung als Designstrategin in der Zukunftsforschung von VW zwischen 2008 und 2011 als vorbereitende, teilnehmende Beobachtung verstanden werden kann. In diesem Zeitraum hat sich mein Interesse an der Rolle von Design in Organisationen im industriellen Kontext sensibilisiert und meine Motivation für diese Studie wurde geweckt.
2.2.
Methodisches Vorgehen
Zur Beantwortung der leitenden Forschungsfrage werden zwischen März 2015 und Februar 2018 teilnehmende Beobachtungen durchgeführt und 13 Mitarbeitende befragt. Die erhobenen Daten bereichern und ergänzen sich wechselseitig, indem sie sowohl eine Entwicklung über einen längeren Zeitraum erfassen als auch individuelle Sichtweisen zu einem bestimmten Zeitpunkt wiedergeben. Das Verknüpfen fördert das Gütekriterium »workability«, da es den Forschungsgegenstand in verschiedenen Dimensionen erfasst (Glaser/Strauss 1967; Charmaz 2014). Die Interviewtranskripte und die Mitschriften der teilnehmenden Beobachtungen bilden die Grundlage der mehrstufigen Datenanalyse, um Handlungsmuster herauszuarbeiten.
2. Studie
Abb. 2: Datenerhebung und -auswertung
Teilnehmende Beobachtung Ethnografische Methoden, zu denen teilnehmende Beobachtungen zählen, ermöglichen es, Formen nonverbaler Kommunikation, Interaktionsmuster zwischen Handelnden zu erfassen und Informationen über das Feld und seine Eigenlogiken, Umgangsformen, Hierarchisierungen und Werte zu gewinnen (Schmuck 1997; Schensul et al. 1999), die durch Befragungen nicht erhoben werden können. Die teilnehmenden Beobachtungen erfolgten in zwei Zyklen, die als doppelte Grounded-Theory-Schleife verstanden werden können. Ab März 2015 und vor Beginn der Befragung findet die erste Phase der Beobachtungen statt. In dieser beobachtete ich das Feld und seine Handelnden, entwickelte Kenntnisse über die Eigenheiten, den verwendeten Sprachduktus und lernte die Mitarbeitenden kennen, die mit Design Thinking in Berührung kamen. Das ermöglichte mir einen Feldzugang und vermittelte einen Eindruck vom Forschungsfeld, ohne die eine offene Herangehensweise nicht angemessen hätte durchgeführt werden können. Sie ermöglichten dadurch auch die Integration
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von ungeplanten Momenten (Mintzberg 1979) wie eine informelle Ideengenerierung in einem Teammeeting oder das Kennenlernen von Initiativen aus anderen Unternehmensbereichen beim Mittagessen. Über die systematische Reflexion dieser Erkenntnisse wurden das Forschungsvorhaben geschärft und Fragebereiche für den Interviewleitfaden spezifiziert. Konkret lernte ich in den ersten zwölf Monaten den Arbeitsalltag kennen und die verwendete Sprache zu verstehen. Dadurch war es mir möglich, die Interpretation der Ergebnisse der Befragung besser vorzunehmen und das Gesagte einzuordnen. In dieser ersten Phase dienten die Mitschriften der teilnehmen Beobachtungen und ihr stetiges Heranziehen dazu, eine Forschungsfrage zu konkretisieren. Zusätzlich ermöglichte der Zeitraum der ersten Welle, zwischen meiner Doppelrolle zu wechseln und Strategien zur Reflexion zu entwickeln. Ab dem Jahr 2016 fand die zweite Welle statt. In diesem Zeitraum wurden weiterhin teilnehmende Beobachtungen durchgeführt und Mitschriften angefertigt. In diesen verlagern sich die Beobachtungen zu auftretenden Hürden in der Unternehmenspraxis und reflektieren die ersten, vorläufigen Kategorien und Konzepte der Analyse. Um Zugang zu konkreten Besprechungen und Schulungen zu erhalten, war es wichtig, in der ersten Phase das Vertrauen zu Mitarbeitenden aufzubauen, die häufig als Türöffner:innen fungierten. In den Interviews geäußerte Begrifflichkeiten können mit den Erkenntnissen aus der teilnehmenden Beobachtung für den Interpretationsprozess verständlicher nachvollzogen und eingeordnet werden. Überdies können die aus den Interviews gewonnenen Erkenntnisse zusätzlich durch das angereichert werden, was informell beobachtet wurde, aber nicht explizit in den Interviews angesprochen wird. Dies trägt somit dazu bei, einen Forschungsgegenstand besser und umfassender zu verstehen (Marshall/Rossmann 1989; Beckmann/Barry 2007; Dewalt/Dewalt 1998). Zusätzlich stärken solche Beobachtungen die Validität der Studie, indem sie die erhobenen Interviews sättigen. Die teilnehmenden Beobachtungen überspannen damit metaperspektivisch die gesamte Untersuchung und stützen die Offenheit und das iterative Vorgehen.
2. Studie
Expert:inneninterview Befragungen und speziell Expert:inneninterviews gehören zu den etablierten und meistgenutzten Methoden qualitativer Sozialforschung (Flick 2009) und zeichnen sich durch drei Merkmale aus: Befragte müssen Expert:innen für einen bestimmten Gegenstandsbereich sein; im Fokus steht das Wissen der Befragten, nicht die Privatperson und zuletzt ein praxisnaher Ansatz in der Interviewdurchführung. Sie dienen dem Erwerb subjektiver Perspektiven und individueller Sichtweisen (Bogner et al. 2009). Das Führen dieser Interviews gibt somit Einsichten zu vorherrschenden Zusammenhängen, Prozessen und Vorgehensweisen in Organisationen. Da sich die Befragten oftmals der Relevanz ihres Handelns nicht bewusst sind, kann ihr Wissen nicht direkt abgefragt werden, sondern wird aus ihren Äußerungen rekonstruiert. Deswegen gilt das Expert:inneninterview auch als rekonstruktive Untersuchungsmethode. Expert:innen sind demnach Repräsentanten von implizitem Wissen, typischen Problemtheorien, Lösungswegen und Entscheidungsmodellen (Meuser/Nagel 2009). Fachkundige zu befragen, kann laut Bogner (2002) drei Funktionen erfüllen. Einerseits kann es in einem noch wenig bekannten Forschungsfeld Orientierung bieten oder dabei unterstützen, erste Hypothesen zu generieren. Andererseits können Interviews ergänzende Informationen über einen bestimmten Kontext bereitstellen. Letztlich dienen sie dazu, das Wissen der Befragten zu rekonstruieren, um anhand des Gesagten und der Analyse dessen (neue) Muster zu identifizieren, die zu neuen Erkenntnissen beitragen. Für die geführten Interviews treffen alle drei Funktionen zu: Die Erzählungen geben einen Überblick über den Forschungsgegenstand, die Sichtweisen ergänzen die teilnehmenden Beobachtungen und ermöglichen die Rekonstruktion der Auffassungen von Design Thinking in der Unternehmenspraxis. Das Einzelgespräch ermöglicht es, solche Erkenntnisse zu gewinnen, die ohne Verzerrungen oder Interdependenzen innerhalb sozialer Beziehungen im Arbeitsumfeld berichtet werden. Für die Studie ergeben die Interviews somit einen
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umfassenden Einblick in die individuellen Vorstellungen von Mitarbeitenden durch konkrete Erfahrungsberichte. Dazu werden 13 Angestellte ausgewählt, die möglichst unterschiedliche Erfahrungen in der Anwendung von Design Thinking haben, sie kritisch sehen oder von der Einführung in unterschiedlichen Unternehmensbereichen wie Marketing und Vertrieb, der IT, im Bereich des Personalwesens, im Design, in der Zukunftsforschung oder Innovation betroffen sind, zwischen drei und 20 Jahren Arbeitserfahrungen haben und teilweise mit Führungsaufgaben betraut sind. Die multiplen Perspektiven gelten als »qualitätssicherndes und kontrollierendes Verfahren« und leisten einen Beitrag zu den dargestellten Gütekriterien. Die Anzahl der Interviews ergibt sich aus dem Kriterium der »theoretischen Sättigung« (Glaser/Strauss 1967: 61), was bedeutet: Das Erheben von Datenmaterial schreitet fort, bis im Forschungsprozess keine neuartigen Erkenntnisse mehr auszumachen sind – dies war nach 13 geführten Interviews der Fall. Alle Interviews folgten dabei einem teilstrukturierten Leitfaden mit offenen Fragenstellungen (Flick 2009) zu den Themengebieten Design Thinking, Veränderungen und Wandel, Prozesse und Strukturen sowie Führungsverhalten und Management, um ein themenfokussiertes Gespräch zu führen, in dem die Ausführungen der befragten Personen nicht durch vorstrukturierte Fragen unterbunden oder gelenkt werden. Stattdessen handelte es sich um einen offenen kollegialen Dialog, indem Nachfragen dazu eingesetzt wurden, die Beweggründe, Annahmen und Sichtweisen herauszukitzeln. Jedes Interview wurde audioaufgezeichnet, wortwörtlich transkribiert und floss in den kodierenden Auswertungsprozess ein. In der Darstellung der Erkenntnisse aus der Praxis werden die Befragten mit Bx abgekürzt.
Das Kodiervorgehen Das Vorgehen der Datenauswertung entwickelt sich ausgehend von der Leitfrage und kodiert das erhobene Datenmaterial. Kodieren beschreibt zunächst eine Handlung, die bestimmte Satzteile, Sätze oder auch Abschnitte aus Texten und Bildern markiert und mit einer überge-
2. Studie
ordneten, thematisch zusammenfassenden Bezeichnung versieht. Jede Markierung wird als Kode bezeichnet. Das angewendete Analysevorgehen lehnt sich an das Kodiervorgehen der Grounded Theory an und übernimmt die von Glaser und Strauss (1988) verwendeten Begriffe. Die vier Kodierphasen folgen einer iterativen, zyklischen »constant comparative analysis« (Glaser/Strauss 1967: 101), um die intersubjektive Nachvollziehbarkeit des Auswertungsvorgehens herzustellen. In einer ersten Phase werden die Daten durch offenes Kodieren aufgebrochen und in möglichst kleinteilige Sinneinheiten zergliedert mit dem Ziel, einen ersten Überblick über Themen, Ereignisse und Interaktionen zu erhalten. Sie werden dafür Zeile für Zeile gesichtet und wichtig erscheinende Aspekte markiert, verglichen und kategorisiert. Offenes Kodieren entwickelt eine Vielzahl induktiver Kodes, die im Rahmen des Forschungsprozesses immer wieder neu strukturiert werden. Der zweite Durchgang kartiert die chronologische Entwicklung von Design Thinking bei VW und clustert die Schlüsselereignisse. Wichtig ist es, sich bewusst zu machen, dass die Entwicklung keinem Plan folgte. Daher muss im Rahmen der Datenerhebung und -auswertung zunächst die Frage danach, wie sich Design Thinking entwickelt, herausgearbeitet werden. Diese Entwicklung ist bislang bei VW nicht notiert, sondern wird erstmals aus dem erhobenen Datenmaterial rekonstruiert. An dieser Stelle wird die Grounded Theory nur insofern angewendet, als dass weiterhin kodiert wird. Die Kodes markieren die zentralen Entscheidungsmomente, die anschließend auf einem Zeitstrahl verortet werden (Saldana 2015), der wiederum als Grundlage für das Narrativ der Entwicklung dient. Im dritten Durchgang werden die bisherigen Kodierungen durch ein sogenanntes axiales Kodieren zu Kategorien verdichtet. Für die Bildung einer Kategorie werden die Kodierungen aufgrund ihrer Eigenschaften, also Ausprägungen, Merkmale oder Charakteristika, neu kombiniert, um den Forschungsgegenstand näher zu kennzeichnen, sich (strukturell) wechselseitig beeinflussende Faktoren aufzuzeigen oder Aspekte des Kontextes zu beschreiben. Gemäß dem Kodierparadigma nach Strauss und Corbin (1990) dienen die Fragen nach Kontextbindung, Handlungen, Strategien und Konsequenzen dazu, das jeweilige Untersuchungsfeld weiter zu
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explorieren. Hierbei bot es sich zusätzlich an, systematisch W-Fragen an das Material zu stellen und vorläufige Kategorien zu entwickeln, um in der Datenauswertung unbekannte, neuartige Muster und Gemeinsamkeiten zu identifizieren.
Abb. 3: Angewendetes Kodierparadigma nach Strauss und Corbin (1990)
Diese vorläufigen Kategorien werden im vierten Kodierdurchgang erneut segmentiert. Durch ein sogenanntes selektives Kodieren werden polarisierende Kategorien zusammengeführt. Weiterhin ist der Forschungsstil der Grounded Theory rahmengebend, jedoch werden in diesem Kodierschritt keine Konzepte oder eine Kernkategorie identifiziert, da sich dieser Analyseschritt für die Beantwortung der Fragestellung als nicht zielführend zeigte. Stattdessen zeigen sich im Material Kategorien, die sich zu Spannungsfeldern verdichten lassen. Die vier eruierten Spannungsfelder beschreiben innerorganisationale Umsetzungsproblematiken von Design Thinking. Statt eines theoretischen Modells mit begrenzter Reichweite geben die herausgearbeiteten
2. Studie
Spannungsfelder umfassende empirische Einblicke, die eine Möglichkeit bieten, eine neue Perspektive auf die Anwendung von Design Thinking einnehmen zu können. Im weiteren Analyseschritt werden die tatsächlichen Veränderungen herausgestellt, die sich durch die Einführung und Anwendung manifestieren. Die gesamten Erkenntnisse aus der Praxis sind im nun folgenden, dritten Kapitel dargestellt.
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3. Erkenntnisse aus der Praxis
Im Folgenden wird in fünf Erkenntnissträngen dargestellt, wie Design Thinking in der industriellen Unternehmenspraxis von Volkswagen Einzug hält. Dafür wird zunächst die chronologische Entwicklung präsentiert, um den unternehmerischen Kontext mit den darin präsenten Rollen und wirksamen Eigenlogiken vorzustellen, bevor die Auffassungen von und die Sichtweisen über Design Thinking folgen, die von Mitarbeitenden geäußert wurden. Im Anschluss wirft das Kapitel einen Blick auf die innerorganisationalen Umsetzungsproblematiken, die sich in Spannungsfeldern für Anwender:innen zeigen, bevor konkrete Veränderungen konstatiert werden, die sich bei VW durch Design Thinking zeigten. Das Kapitel schließt mit einem Dialog zwischen den Erkenntnissen der Fallstudie und designtheoretischen Fragestellungen.
3.1.
Die Entwicklung von Design Thinking bei Volkswagen
Im Frühjahr 2018 endet die Datenerhebung dieser Studie. Zu diesem Zeitpunkt ist Design Thinking bei VW in unterschiedlichen Unternehmensbereichen, Anwendungskontexten und Ausprägungen präsent. Jedoch ist dies als Ergebnis einer über sechs Jahre währenden Entwicklung zu sehen, die sich seit dem Jahr 2012 stetig voranbewegt und immer weiter manifestiert.
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Design Thinking in der Industrie
Abb. 4: Die Entwicklung von Design Thinking bei Volkswagen
3. Erkenntnisse aus der Praxis
Wie entwickelt sich Design Thinking bei Volkswagen? Dieser Frage wird nachgegangen, indem beschrieben wird, wie sich das Phänomen im Unternehmen zeigt, in welchen Unternehmensbereichen es konkret Anwendung findet und welche Initiativen sich bilden. In diesem Sinne werden die einzelnen anschaulichen Erscheinungen und Ereignisse der Entwicklung chronologisch in vier Phasen dargestellt: • • • •
Design Thinking als Facilitator; Die Diffusion von Design Thinking; Die Aufmerksamkeit des Managements für Design Thinking; Der Aufbau weiterer Ressourcen.
Vorab werden in Form eines kurzen Exkurses Positionen von Designer:innen und Funktionen von Design dargestellt, bevor der Begriff Design Thinking im Unternehmensalltag präsent(-er) wird. Das ist notwendig, um die Ausgangslage zu verstehen, welche Vorkenntnisse und mögliche Annahmen Mitarbeitende haben und welche Eigenlogiken im Unternehmen bereits existieren.
Der Wandel der Automobilindustrie: vom Produzenten zum Mobilitätsanbieter Die Automobilindustrie ist der größte Exportmarkt der deutschen Industrie und hat hier auch in Bezug auf technische Innovation eine führende Rolle inne. Zum Zeitpunkt der Studie befinden sich die meisten produzierenden Unternehmen in einem weitreichenden und grundlegenden Wandel (Beiker et al. 2016; Brandt et al. 2019). Die Kernaufgabe dieser Industrie liegt traditionell darin, Automobile zu produzieren und zu verkaufen. Das Geschäftsmodell ist von Anfang an weitestgehend konstant, der Wirtschaftszweig über die Jahrzehnte solide gewachsen. Doch aufgrund zahlreicher Faktoren – zunehmende internationale Konkurrenz, Klimawandel und sich verändernde Kund:innenbedürfnisse sind hier zentrale Stichworte – gerät dieses Geschäftsmodell aktuell in die Krise. Die Zukunft der deutschen Automobilindustrie wird von vielen in einem Wandel vom
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Hersteller zum Mobilitätsanbieter gesehen. Das Geschäftsmodell eines Mobilitätsdienstleisters besteht darin, Menschen auf intelligente Weise dabei zu unterstützen, mobil zu sein. Er bietet dafür Dienstleistungen an, wie einen Shuttle Service oder Angebote zur kombinierten Nutzung verschiedener Verkehrsmittel, wie Auto, Bahn und Boot. Der Besitz von Fahrzeugen steht nicht mehr im Zentrum. Vielmehr geht es darum, Dienstleistungen anzubieten, über die Kund:innen zeitlich flexibel und situationsabhängig entscheiden können, wie sie ihr Ziel erreichen möchten. Die Digitalisierung bietet in diesem Kontext die Möglichkeit einer Renaissance intensiver Kund:innenbeziehungen und zugleich eine hohe Flexibilisierung der Fortbewegungsformen. Die Gestaltung digitaler Produkte und Dienstleistungen in Form von immateriellen Artefakten fordert jedoch etablierte Kompetenzen, Strukturen und Prinzipien heraus. Daraus ergibt sich die Frage, wie eine Organisation, die in ihren Strukturen und Prozessen, aber auch im Hinblick auf die genuinen Kulturen und Karrierewege für die Produktion von Fahrzeugen gestaltet wurde, mit der Entwicklung von Dienstleistungen und den damit verbundenen Herausforderungen umgeht.
Die Tätigkeitsfelder professioneller Designer:innen Bevor Design Thinking als Begriff im Jahr 2012 bei VW Einzug hält, spielt der Ausdruck Design bereits eine wichtige Rolle. Es gibt dezidierte Designabteilungen, in denen die Fahrzeuge ästhetisch entworfen werden und in denen überwiegend professionell ausgebildete Designer:innen arbeiten. Allerdings verknüpfen nur wenige Mitarbeitende die Tätigkeitsfelder, Praktiken oder Herangehensweisen dieser Designer:innen auch mit Design Thinking oder mit Innovation im weiteren Sinne. Das Interesse wächst erst mit dem Aufkommen. Es gibt somit auch vor dem Auftrieb Funktionsbereiche, in denen professionelle Designer:innen über ein Bewusstsein für den Beitrag von Kreativität in der Entwicklung von zukünftigen Produkten verfügen, diesen aber nicht selbstständig als Design Thinking bezeichnen. Um zu verstehen, welche Funktion die Designdisziplin im Allgemeinen und Designmethoden im Speziellen bei VW einnehmen, ist es
3. Erkenntnisse aus der Praxis
hilfreich zu verstehen, welche Funktion professionelle Designer:innen innehaben, um einordnen zu können, welche Verständnisse von Begriffen wie u.a. Design, Nutzenden und Exploration vorherrschen. Konkret gibt es am Standort Wolfsburg zwei etablierte Designabteilungen: das Automobildesign und das Corporate Design. Eine weitere, weitaus neuere Funktion, die auch professionelle Designer:innen einnehmen, entwickelt sich in technischen Forschungsabteilungen, die weitestgehend für Innovationen im Fahrzeug verantwortlich sind. Bevor sich Design Thinking bei VW entwickelt und die Anwenderschaft im Unternehmen wächst, gibt es also drei verschiedene Tätigkeitsfelder für Designer:innen. Sie arbeiten an klassischen Produktgestaltungen von Automobilen und werden als Automobildesigner:innen bezeichnet. In der Corporate-Design-Abteilung arbeiten sie an Markenauftritt, Geschäftsberichten und weiteren Kommunikationsmitteln. Das dritte Tätigkeitsfeld befindet sich in Forschungsabteilungen. Dort arbeiten Produkt- und Kommunikationsdesigner:innen in interdisziplinären Teams und werden fortan als Designforschende beschrieben. In der Automobilabteilung entwerfen spezialisierte Industriedesigner:innen die ästhetische Form von Automobilen für die Serienproduktion. Innerhalb der Abteilung sind die Verantwortlichkeiten in verschiedene Teilbereiche des Automobils aufgeteilt, wie bspw. Exterieur, Interieur, Scheinwerfer oder Materialien. Strukturell ist der Entwurf von Automobilen in der technischen Entwicklung angesiedelt, die sich im Unternehmensbereich Forschung und Entwicklung befindet. Die Mitarbeitenden der Corporate-Design-Abteilung gestalten vorwiegend die Geschäftsausstattung und den öffentlichen Auftritt des Konzerns, wie Werbekampagnen, Messeauftritte oder den Geschäftsbericht. Der klassische Entwurf des Corporate Designs und die Gestaltung des Geschäftsberichts oder Werbekampagnen werden weitestgehend von externen Designagenturen übernommen. Das Team ist strukturell in der Stabsstelle der Unternehmenskommunikation verortet und gehört zum Unternehmensbereich Marketing und Vertrieb. Designforschende bilden den dritten Funktionsbereich in der Unternehmensstruktur und arbeiten im Bereich der (technischen) Forschung. Als Teil eines interdisziplinären Teams aus Geistes- und
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Design Thinking in der Industrie
Naturwissenschaftler:innen analysieren sie beispielsweise Trends und entwickeln Konzeptstudien zur Zukunft der Mobilität. Sie unterscheiden sich deutlich von den beiden zuvor beschriebenen Rollen: Die Designabteilungen gestalten das Fahrzeug bzw. die Kommunikationsmittel, Designforschende integrieren gesellschaftliche Trends in die technische Automobilentwicklung. Zukünftige (auto-)mobile Szenarien entstehen meist in der Abteilung der Zukunftsforschung. Auf die Entwicklung von Dienstleistungen ist ein zweites Team spezialisiert, in dem auch Designforscher:innen arbeiten. Ziel beider Teams ist es, die Perspektive von Nutzenden frühzeitig in den automobilen Produktentwicklungsprozess zu integrieren. Designerforscher:innen gestalten demnach vorwiegend Konzepte für zukünftige Mobilität, wohingegen sich Automobildesigner:innen als (hoch-)spezialisierte Gestalter:innen (Volkswagen AG 2018) verstehen und in der CorporateDesign-Abteilung vorwiegend mit externen Dienstleistern zusammen gearbeitet wird. Die drei Funktionsbereiche unterscheiden sich dahingehend, wo sie in der Unternehmensstruktur verortet sind: die Designforscher:innen im Bereich von Forschung und Entwicklung, die Automobildesigner:innen in der technischen Entwicklung und das Corporate-Design-Team im Bereich Marketing und Vertrieb. Die Verknüpfung der Tätigkeitsfelder weist darauf hin, wie bisher Design im Unternehmen verstanden und integriert wird. Die strukturelle Trennung wirkt sich auf die Kommunikation zwischen den verschiedenen Organisationseinheiten aus: Zwischen allen drei Bereichen gibt es kaum Austausch oder gemeinsame Projekte. Das verdeutlicht sich anhand der nachfolgenden Aussagen. Eine Marketingmitarbeitende (B5) gibt an: »Ich muss ja gestehen, dass es bislang keinen gezielten Austausch mit der Designabteilung gab.« Ihren Eindruck bestätigt ein Designer (B2): »Das Design ist ja praktisch für sich.« Eine weitere Interviewpartnerin fügt hinzu (B3): »Es wurde auch immer kommuniziert, das Designgebäude sei so ein Hochsicherheitsding, wo nicht jeder reindarf.« Tatsächlich arbeiten die Automobildesigner:innen in einem Gebäude mit reguliertem Zugang und erhöhter Sicherheitsstufe. Sie agieren weitestgehend autark. Im übrigen Unternehmen ist daher wenig bekannt, wie ihre Arbeitsabläufe
3. Erkenntnisse aus der Praxis
aussehen. Dieser Umstand führt dazu, dass viele Meinungen und Einstellungen zur Designpraxis auf Annahmen oder zufälligen Begegnungen beruhen. Im Corporate-Design-Team wird das eigentliche Gestalten an externe Agenturen ausgelagert und daher nicht sichtbar. Designer:innen agieren empfundenermaßen losgelöst vom Rest des Unternehmens und wirken dabei kaum in andere Bereiche hinein. Der Begriff des Designs wird daher vorwiegend mit spezialisierten Abteilungen verbunden und mit Handlungen professioneller Designer:innen assoziiert. Ein Verständnis von Design, das zwischen professionellen Designer:innen und Designpraktiken oder -methoden differenziert, scheint es nicht zu geben. Darüber hinaus gibt es die erst neu etablierte Rolle von Designforschenden in interdisziplinären Teams in der technischen Forschung. Im Vergleich zu den beiden anderen Tätigkeitsfeldern arbeiten sie im Kontext von zukunftsweisenden Innovationen und nutzen häufig Methoden aus dem Kanon professioneller Designer:innen wie etwa Zeichnen, Brainstormen oder Ideen generieren. Da sie häufig Kolleg:innen aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen zu gemeinsamen Workshops einladen, lernen auch andere auf diesem Wege ihre Techniken und Methoden kennen. Die neu gewonnenen Erkenntnisse wenden diese möglicherweise im Nachgang auch in ihrem Arbeitsalltag an. Es deutet sich in diesem kleinen, disparaten Designforschungsbereich erstmals an, wie eine Designpraxis über die klassische Gestaltungsfunktion hinaus Relevanz entwickeln kann. Die technische Forschung ist der Unternehmensbereich, in dem sich frühzeitig ein neues Verständnis für Design, Kreativität und Nutzende andeutet und die Art und Weise, wie mit Design Thinking umgegangen wird, prägt.
Die Ausführung von gestalterischen Aufgaben Wie erwähnt, sind die Tätigkeiten der Designer:innen des Automobildesigns und des Corporate Designs für Mitarbeitende anderer Unternehmensbereiche kaum zugänglich. Wie Mitarbeiter:innen konkret mit gestalterischen Aufgaben umgehen, stellt der folgende Abschnitt dar,
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um zu verstehen, welche Auffassungen, Einstellungen und möglichen Vorbehalte es vor dem Aufkommen des Terminus Design Thinking gibt. Klassische Entwurfsaufgaben liegen bei Automobildesigner:innen oder werden als externe Aufträge an Agenturen vergeben. Designagenturen werden für Konzepte für Messeauftritte, Werbeprodukte oder Werbefilme beauftragt. Kooperationen mit Designhochschulen sind in Bezug auf das Ergebnis offener gestaltet, da hier eher das Visionäre im Vordergrund des Designergebnisses steht. Bereits vor dem Jahr 2008 finden regelmäßig Kooperationsprojekte zwischen der Zukunftsforschungsabteilung und diversen Designhochschulen statt. Sie dauern in der Regel ein Semester und behandeln Themen wie Gender Design, Produktassistenten im Fahrzeug oder Konzepte in Schwellenmärkten wie Afrika. Die Ergebnisse unterstützen die Trendkommunikation. Designforschende agieren dabei als eine Art Übersetzer zwischen den Studierenden und der Unternehmenspraxis. Sie formulieren i.d.R. ein Projektbriefing, welches als Basis für Designstudierende dient, stellen technologische Trends und agieren als Ansprechpartner:innen. Die konkrete Umsetzung eines Konzeptes wird von Mitarbeiter:innen nur punktuell korrigiert. Der eigentliche Entwurfsprozess wird von Professor:innen der Hochschule begleitet. Bevor der Begriff Design Thinking bekannt wurde, wurden gestalterische Aufgaben Designer:innen oder Designagenturen zugeordnet, also ausgebildeten Spezialist:innen. In der Funktion als Projektmanager:in im Corporate-Design-Team lässt sich ein ähnliches Bild zeichnen: Die Gestaltung einer Marke mit Produkten wie Geschäftsberichten, Spots oder Printprodukten obliegt externen Spezialist:innen. Mitarbeitende koordinieren, prüfen und korrigieren, beispielsweise die Einhaltung der Gestaltungsrichtlinien. Sie entwerfen jedoch keine neuen Lösungen, stattdessen bewerten und beauftragen sie externe Stellen und begleiten den Gestaltungsprozess, dessen Rahmen zuvor definiert wurde. Bei Designforschenden und Corporate-Design-Mitarbeitenden dagegen deutet sich ein Unterschied zwischen der internen Funktion und der Funktion an, die im gleichen Tätigkeitsbereich von externen Spezialist:innen übernommen wird. Diese beiden unterscheiden sich insofern, dass die internen Mitar-
3. Erkenntnisse aus der Praxis
beitenden eher orchestrierende, facilitierende und kommunizierende Aufgaben übernehmen. Spezialist:innen in Designagenturen oder Designstudierende übernehmen dagegen Aufgaben eines klassischen Entwurfsprozesses. Zum Zeitpunkt der Studie wird die Designdisziplin mit dem ästhetischen Entwurf von Produkten verknüpft. Häufig wird diese klassische Entwurfspraxis an externe Designagenturen ausgelagert. Interne Designer:innen beauftragen externe Spezialist:innen mit der Gestaltung und übernehmen selbst die Aufgabe der Beurteilung. Die Praktiken und Funktionen unterscheiden sich je nachdem, ob die Position innerhalb oder außerhalb der Unternehmensstrukturen von VW verortet ist. Unternehmensinterne Aufgaben sind tendenziell vermittelnd und bewertend, die der Externen sind ausführend. Designer:innen im Corporate-Design-Team und in der Forschung orchestrieren unterschiedliche Interessensgruppen und verfolgen den gesamten Prozess. Die Automobildesigner:innen agieren kompetitiv und verstehen sich als individuelle Spezialist:innen. Automobildesigner:innen und Corporate Designer:innen arbeiten häufig in kooperativen Arbeitsschritten. Einzig Designforschende zeigen Tendenzen zur Kollaboration, indem sie zwischen unterschiedlichen Unternehmensabteilungen vermitteln.
Abb. 5: Kooperative und kollaborative Zusammenarbeit
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Phase I – Design Thinking als Förderer von Kreativität Seit 2012 erscheint Design Thinking häufiger als zuvor in Präsentationen und Projektbeschreibungen, vorwiegend im Umfeld der Designforschenden – also im Funktionalbereich von Forschung und Entwicklung. Design Thinking ist nicht programmatisch eingeführt worden: Das Aufkommen kann nicht als Ergebnis einer konkreten Strategie verstanden werden, sondern folgt organisch einem Innovationsimpuls. Es sei vorweggenommen, dass im gesamten Untersuchungszeitraum bis Februar 2018 keine Strategie verkündet wurde, wie oder mit welcher Zielsetzung es Anwendung finden soll. Der Begriff fasst in einer Bottom-up-Entwicklung Fuß. Diese Entwicklung kann trotzdem nicht als Zufall, sondern als Ergebnis einer bestimmten unternehmensstrategischen Gemengelage verstanden werden. Das wachsende Interesse lässt sich als Reaktion auf Impulse verstehen, die von außen auf das Unternehmen einwirken. Zu nennen sind insbesondere die Digitalisierung und der damit einhergehende Druck zu Veränderung1 , der wiederum etablierte Arbeitsweisen infrage stellt und den Einzug neuer Strategien und Praktiken fördert. Zudem zeigt sich, dass viele technische Innovationen im Fahrzeug Käufer:innen weder bekannt sind noch benutzt werden. Technische Innovationen allein funktionieren womöglich nicht mehr als Differenzierungsmerkmal, wie in der Einleitung erläutert. Jedoch wird angenommen, dass Produkte und Dienstleistungen zukunftsfähig sind, wenn sie aus Sicht der Nutzenden einen Mehrwert bieten. Neben technischer Machbarkeit und wirtschaftlicher Rentabilität wird künftig das Wecken der Begehrlichkeit zur Maßgabe für erfolgreiche Produktentwicklung, so jedenfalls proklamieren Vertreter wie das HPI die Besonderheit von Design Thinking. Und das sind häufig die ersten
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In der Praxis wird häufig der Begriff »Digitale Transformation« benutzt. Dieser ist jedoch nicht deutlich definiert oder abgegrenzt, sondern wird mit sehr unterschiedlichen Verständnissen und Funktionen als Schlagwort verwendet. Der Begriff wird daher in dieser Arbeit nicht weiterverwendet, ist aber im Glossar erklärt.
3. Erkenntnisse aus der Praxis
Berührungspunkte, die Mitarbeitende mit Design Thinking haben. Folglich wird es mit dem Ziel oder zumindest mit dem Wunsch nach einer höheren Nutzer:innenzentrierung verknüpft. Die strategischen Impulse bieten zunächst ein weiteres Indiz dafür, warum Design Thinking seinen Weg in das Unternehmen nicht über etablierte Designabteilungen fand, sondern im Kontext der Innovationsentwicklungen auftaucht. Dementsprechend verstehen viele Mitarbeitende Design Thinking in der Ausprägung von IDEO & Co. als Hilfsmittel für eine nutzer:innenzentrierte Produktentwicklung. Dieser Kontext formt ihre Sichtweise. In der Unternehmenspraxis verwenden sie dafür häufig Begriffe wie Methode oder Tool. Was sie genau darunter verstehen, ist im nächsten Teilkapitel dargestellt.
Die neue Rolle von Facilitator:innen Die meisten Mitarbeitenden assoziieren Design Thinking mit einem realen Nutzen für potenzielle Kund:innen, fortan als Nutzer:innenzentrierung beschrieben. Gleichzeitig fällt eine erweiterte Wahrnehmung und Verbreitung von Techniken und Methoden aus dem Designkanon auf: Ab dem Jahr 2012 kommen mehr und mehr Mitarbeitende mit ihnen in Berührung. Zukunftsforschende initiieren Workshops mit Mitarbeitenden aus Forschungsabteilungen und anderen Unternehmensbereichen mit dem Ziel, gemeinsam (kreative) Ideen für ein Automobil der Zukunft zu entwickeln. Solche Workshops werden weder zuverlässig mit Design Thinking assoziiert noch wird der Begriff dezidiert in diesem Kontext verwendet – und das, obwohl dem Design Thinking ähnliche Methoden und Prinzipien wie Brainstorming, Prototyping, Rollenspiele oder Personas angewendet werden. Vormals entwickeln Mitarbeitende in der Zukunftsforschung weitestgehend automobile Zukunftsszenarien und Trendstudien und kommunizieren über unterschiedliche Kanäle wie beispielsweise Newsletter, Reporte oder Vorträge. In den Workshops nehmen sie eine moderierende Rolle ein, erarbeiten die Didaktik und den Ablauf eines Workshopkonzepts, entwickeln Arbeitsmaterialien und gestalten die Lernumgebung. Als Teilnehmende bringen sie gestalterische Fähigkeiten ein, wie schnell
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etwas zu visualisieren. Sie sind vertraut mit Kreativmethoden und unterstützen damit andere Teilnehmer:innen. Das zeigt erste Anzeichen für eine sich neu formierende Rolle von Facilitator:innen, die in vielen Design-Thinking-Ansätzen als zentraler Baustein gilt. Ihr individueller Beitrag bleibt unkonkreter als bei Automobildesigner:innen. Diese erstellen einzelne Entwürfe oder Konzepte und bleiben ihr Autor. Anders als bei Design Thinking entstehen die Entwürfe nicht gemeinsam im Team. Daher sind die angewendeten Arbeitsweisen selten kollaborativ, was aber als Kernelement von Design Thinking gilt. Facilitator:innen unterscheiden sich in zwei Punkten: Einerseits entstehen Konzepte mit geteilter Autorenschaft, andererseits bauen Ideen einzelner Teammitglieder aufeinander auf. Dieser Unterschied zeigt nicht zuletzt, dass die Prinzipien von Design Thinking im Kontrast zu Prinzipien stehen, die von Designer:innen angewendet werden. Die neuen Methoden, Techniken und Prinzipien zeigen aber noch etwas anderes: Sie verdeutlichen, wie bisher gearbeitet wurde. Tendenziell scheint in vielen Bereichen des Unternehmens eine kompetitive, kooperative »Hero-Kultur« zu herrschen, wie es einer der Befragten (B8) äußert. Damit ist eine Expert:innenkultur gemeint, in der Mitarbeitende aufgrund ihres besonderen Fachwissens geschätzt werden. In dieser Ausprägung der Unternehmenskultur scheint die individuelle Expertise wichtiger zu sein als Zusammenarbeit. Dies könnte darauf hindeuten, dass eine sehr interaktive, gemeinsame Arbeit wenig bekannt ist. Mitarbeitende fühlten sich bisher indirekt aufgefordert, ihren Projektbeitrag zu kennzeichnen, indem sie beispielsweise in Präsentationen ihren Namen nennen. Das widerspricht einem Design-ThinkingCredo, wonach auf den Ideen anderer aufgebaut wird und Offenheit, Vertrauen und Transparenz Tugenden sind. Die hier beschriebene Rolle von Facilitator:innen agiert integrativ und moderiert die Zusammenarbeit von verschiedenen Teammitgliedern. Festzuhalten bleibt, dass es bei VW bisher eher eine kompetitive Expert:innenkultur gibt. Die Rolle von Facilitator:innen hat Gemeinsamkeiten mit Ermöglichenden. Ob die neue Tätigkeit sich in der vorhandenen Kultur und ihren Werten abbilden lässt oder diese in irgendeiner Form verändert, kann sich erst in weiterer Entwicklung zeigen. Deutlich wird, dass die
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neuen Tätigkeiten nach anderen, bisher wenig bekannten Prinzipien funktionieren.
Die Anwendung von Designmethoden durch Nichtdesigner:innen Die neue, orchestrierende und facilitierende Rolle im Kontext von Design Thinking nimmt Einfluss auf die Praktiken derer, die vorrangig nichts mit Innovationsentwicklung zu tun haben. Sie werden aufgefordert, Methoden und Techniken anzuwenden, die zuvor mit Design und Kreativität verbunden wurden. Vereinzelt mögen sie mit einem Brainstorming oder Ähnlichem in Berührung gekommen sein, um innovative Ideen prototypisch darzustellen. Das gilt jedoch nur für wenige Unternehmensbereiche. Hier lassen sich erste Anzeichen einer Verbreitung von Methoden und Praktiken erkennen, die zuvor Designer:innen zugeschrieben wurden. Die weitere Entwicklung von Design Thinking treibt voran, dass diese Methoden und Techniken außerhalb klassischer Designabteilungen wirken. Design Thinking erweitert den verfügbaren Methodenkanon speziell um solche, die nicht nur Ideen generieren, sondern physische Modelle hervorbringen: Sie führen eine Tangibilität ein und geben den Ideen dadurch eine neue Qualität. Prototyping als ein Merkmal von Design Thinking ermutigt Mitarbeitende zum schnellen Erstellen von physischen Modellen. Um Produkt- oder Dienstleistungsideen kommunizierbar zu machen, schlägt Design Thinking vor, die Idee in kostengünstigen, simplen Materialien wie Papier, Klebstoff, Draht oder Knete darzustellen. Das Modell ermöglicht es, das Konzept anderen vorzustellen und Feedback zu erhalten, ob die Idee gefällt, ob der angedachte Ablauf praktizierbar ist und vieles mehr. Der Prototyp dient voranging dazu, zeitnahes Feedback zu erhalten. Alle Teammitglieder sind an der Ideenentwicklung und dem Gestalten temporärer Prototypen beteiligt. Durch Prototyping hält das Prinzip des Kollaborierens Einzug in die Arbeitsweisen. Zuvor ist es gängige Praxis, Ideen durch Text und illustrierende Bilder zu beschreiben. Dafür werden verfügbare Officeprogramme wie Word, Excel oder PowerPoint genutzt. Diese Programme sind im Jahr 2012 nur auf dem eigenen Computer nutzbar. In der Praxis entstehen
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dadurch diverse Versionen, die zwischen Kolleg:innen versendet, kommentiert und überprüft werden. Die neue Qualität des Ausprobierens und Testens eröffnet eine Form der Zusammenarbeit, die in einem zweidimensionalen Raum weniger ausgeprägt war. Es scheint so, als wirke das Aufkommen von Design Thinking auf die Praktiken ein, die von Mitarbeitenden auch im Arbeitsalltag angewendet werden.
Der Aufbau eines Design-Thinking-Teams Design Thinking etabliert sich also zunehmend in der Workshoppraxis und differenziert sich zugleich als explizite Ebene der Weiterbildung bei VW aus. Im Jahr 2012 werden in der Forschung die ersten beiden Design Thinker:innen eingestellt, die ebenso für die Studie interviewt wurden. Beide haben den »Design Thinking Basic Track« (HassoPlattner-Institut 2019), ein dreimonatiges Zusatzstudium am HPI, bzw. etwas Vergleichbares in den Niederlanden absolviert. Eine von ihnen ist ausgebildete Produktdesignerin, die andere Betriebswirtin. Letztere wendet also aus dem Design bekannte Methoden und Techniken an, ohne selbst professionelle Designerin zu sein. Ihre Rolle markiert eine organisationale Veränderung im Bereich der Funktionsbereiche und der Aufgabenverteilung. Erstmalig sind auch nicht ausgebildete Designer:innen mit Anwendung und Verbreitung von Designkompetenzen außerhalb der Designabteilungen betraut. Die beiden Design Thinker:innen übernehmen überwiegend eine facilitierende Funktion in Workshops. Aufgrund zunehmender Nachfrage gründet sich im November 2012 ein neues Team, das nach Design-Thinking-Prinzipien arbeitet. Der Sitz des Teams ist auch in Wolfsburg, es gehört strukturell zu 100 Prozent zu einer Tochterfirma und wächst innerhalb der ersten Monate auf sechs Personen an. Es agiert als Profitcenter, was bedeutet, dass es für seine Beratungsleistungen beauftragt und bezahlt wird. Das Team erhält Aufträge, Innovationsprojekte aus anderen Abteilungen eigenständig umzusetzen und somit Abteilungen aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen zu unterstützen, eine Nutzer:innenperspektive zu integrieren. Dort wo Design Thinking noch wenig bekannt ist, halten sie Vorträge und bieten Workshops an.
3. Erkenntnisse aus der Praxis
In der ersten Phase der Entwicklung findet Design Thinking vorwiegend in Workshops Anwendung, um die Kommunikation zwischen Teilnehmenden zu unterstützen und gemeinsame Ideen zu entwickeln. Dadurch wächst auch ein Bewusstsein für die Notwendigkeit moderierender Fähigkeiten. Doch das war nicht immer so, wie eine Designerin (B9) berichtet. Bisher waren die Tätigkeitsbereiche einzelner Abteilungen voneinander abgegrenzt und die Verantwortlichkeiten separiert. Diese Trennung bildet sich in der Unternehmensstruktur ab. Früher hat [anonymisiert] angerufen und uns zur Sau gemacht, warum wir in seinem Leuchtturm [Projekt mit Signalwirkung] rumfummeln. Wenn du sagst, wir wollten nur alle an einen Tisch holen und uns synchronisieren. Wir versuchen da anders zu vernetzen. Aber wenn da einer aus dem Vertrieb mit dabei ist, der wird richtig abgehatet. Und der sitzt dann da allein in der Ecke. Wie die Fronten verhärtet sind, das ist echt Wahnsinn zu sehen. (B9) Die neue, strukturübergreifende Zusammenarbeit vernetzt Mitarbeitende aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen und bringt deren Perspektiven zusammen. Jedoch entstehen auch Sorgen bei denjenigen, die in diesen Strukturen ihre Themenbereiche abgesteckt haben. Sie befürchten, eine Hoheit für gewisse Themenbereiche einzubüßen. Für die vorliegende Studie sind die Gründung und der Funktionsbereich des Design-Thinking-Teams bei der Tochterfirma zentral. Es entsteht eine andere Sichtbarkeit von Design Thinking, das Team baut eine unterstützende Funktion auf und es entsteht eine Form von interner Beratung. Mit der Gründung des Teams entsteht erstmals eine organisationale Veränderung auf einer strukturellen und kulturellen Ebene. Folglich bedeutet das: Das Team markiert in der Entwicklung von Design Thinking ein Schlüsselereignis. Zudem entwickelt es durch seine strukturelle Position bei der Tochterfirma einen Überblick darüber, wie Design Thinking in verschiedenen Unternehmensbereichen angewendet wird, und schafft so neue Verknüpfungen. Zugleich ergibt sich, dass das Team durch seine strukturelle Position einen gewissen Abstand bewahrt, was etwaige Konkurrenzsituationen reduziert. Diese Distanz bietet zudem die nötige Abgrenzungssicherheit, die es braucht,
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um die Prinzipien von Design Thinking umfassend ausreifen und nicht von anderen Ansätzen beeinflussen zu lassen. Mitarbeitenden, die innerhalb der siloartigen Unternehmensstruktur arbeiten, gelingt es weniger, diesen Abstand und Überblick zu erhalten. Sie beklagen immer wieder die Hürden, die sich auftun, wenn sie Design Thinking anwenden möchten – das betrifft solche Momente wie das Beschaffen des Arbeitsmaterials und der Räumlichkeiten sowie nicht gefestigte Kenntnisse und einen grundsätzlichen Workload, aber auch interne Reibereien um Verantwortungsbereiche und Abteilungsgrenzen, die das obere Zitat illustrativ beschreibt. Es scheint, als ob die strukturelle Verortung das Maß an Kontrolle und Freiheit bestimmt, mit dem Design Thinking angewendet werden kann. Der erste Auftritt von Design Thinking zeigt sich also auf drei Ebenen: in den neuen Tätigkeitsprofilen von Facilitator:innen, in der Anwendung von Designmethoden zur allgemeinen Kreativitätsförderung und in der Ideengenerierung.
Phase II – die Ausbreitung von Design Thinking In dieser zweiten Phase diffundiert Design Thinking weiter, taucht in unterschiedlichen Bereichen auf und evoziert eine neue Sichtbarkeit in Fachbereichen, die bisher keine Berührung damit hatten. Ein Interesse wächst vor allem im Unternehmensbereich von Marketing und Vertrieb und der IT. Hier entstehen erste Schulungskonzepte, in denen Mitarbeitende Design Thinking erlernen. Zudem finden u.a. an der Weiterbildungsinstitution vermehrt Veranstaltungen statt, die den Austausch für Innovationsinteressierte verschiedener Unternehmensbereiche und Marken fördern sollen.
Die Artefakte des Wandels: die Umgestaltung von Arbeitsplätzen In Folge der Diffusion werden Besprechungsräume umgestaltet. Zusätzlich zu Einzelbüroarbeitsplätzen, die parallel existieren und benutzt werden, entstehen neue Workshopräume mit Materialien wie Whiteboards und flexiblem Mobiliar, um dem Trend, interaktiver und kollaborativer zu arbeiten, gerecht zu werden. Das erweckt
3. Erkenntnisse aus der Praxis
den Eindruck, dass Design-Thinking-Merkmale physisch Einzug in Besprechungsräume halten, die bisher feste Bestuhlung, zentrierte Konferenztische und einen Beamer haben. Viele Besprechungsräume haben weder Tageslicht noch boten sie bislang die Möglichkeit, etwas zu visualisieren oder flexibel in Kleingruppen zu erarbeiten. Neue Raumgestaltungen zeigen ihre Wirkung, wie eine Marketingmitarbeiterin (B4) im Interview berichtet: Es findet eine allmähliche Veränderung statt. Bisher ist es üblich, dass einer einen Monolog hält, man zwei Stunden lang auf eine PowerPoint-Präsentation starrt und man kritisiert statt diskutiert und dann ist das Meeting vorbei. Es gibt jedoch immer mehr Situationen, wo die Stühle und Tische zur Seite geschoben werden und man sich hinstellt, gemeinsam diskutiert, gemeinsam arbeitet statt einer präsentiert und der andere kritisiert. Einigen Mitarbeitenden gelingt es, die neuen Arbeitsweisen anzuwenden, doch das gilt nicht flächendeckend. Es gibt trotz der räumlichen Umgestaltung traditionelle Vorgehensweisen, die die Wirksamkeit des Neuen einschränken. Zum Beispiel werden die neuen Räume durch die übliche Buchungssoftware reserviert. Mitarbeitende müssen vorab planen, wann und wie lange sie darin arbeiten möchten. Die Besprechungsräume können maximal für ein bis zwei Tage gebucht werden, tendenziell eher stundenweise. Neben der Schwierigkeit, einen Raum langfristiger zu buchen, werden Anfragen des Managements hinsichtlich der Raumvergabe vorgezogen. Das beruht auf strukturellen und kulturellen Faktoren. Diese Umstände hindern Mitarbeitende daran, in ähnlicher Weise zu arbeiten, wie sie es neu kennengelernt haben. An den umgestalteten Räumen zeigen sich Hemmnisse, auf die die angeschobenen Veränderungen in der Unternehmenspraxis treffen. Einrichtungskonzepte für diese Räume zu erstellen, erscheint unkompliziert. Inneneinrichter:innen entwickeln ein Konzept, das neue Mobiliar wird bestellt und der Raum eingerichtet. Organisationale Hindernisse wie die Buchungssoftware oder informelle Abspracheregelungen über Raumnutzungen werden selten bedacht. Für die Anwendung der neuen Arbeitsweisen in der realen Unternehmenspraxis spielen die
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informellen Eigenlogiken eine mögliche Rolle. Andernfalls können die neuen Räumlichkeiten und Arbeitsweisen ohne Veränderungen auf einer informellen und kulturellen Ebene nur eingeschränkt wirken. Das folgende Beispiel vergegenwärtigt nachdrücklich die Rolle von Hierarchie bei VW. Neue Räumlichkeiten haben eine besondere Ausstrahlung. Indem Manager:innen ihre Besprechungen in diesen Räumen stattfinden lassen, zeigen sie indirekt ihre Zustimmung zu neuen Arbeitsweisen. Für jegliche Art von Veränderung scheint die Zustimmung des Managements relevant zu sein. Das wiederum scheint auch Mitarbeitenden bewusst zu sein. Sie haben trotz der Hürden, passende Räumlichkeiten zu finden, ein Bewusstsein dafür, wie wichtig es ist, Manager:innen mit Neuigkeiten wie Räumlichkeiten und Arbeitsweisen vertraut zu machen. Offensichtlich scheint ebenso, dass die Hierarchien strukturell und kulturell wirken und gewisse Privilegien in der Nutzung von Räumlichkeiten erzeugen. Im Jahr 2015 wird innerhalb des IT-Ressorts ein Raum umgebaut und mit flexiblem Mobiliar und Materialien für situatives Arbeiten ausgestattet, nach wenigen Wochen finden dort vermehrt Managementbesprechungen statt. Infolgedessen wird der Raum auch mit Sitzmöglichkeiten und Beamer für frontale Präsentationen eingerichtet. Bastelmaterial und Post-it-Notes liegen im Regal, wenn nicht interaktive Workshops in diesem Raum stattfinden, in denen angesprochenes Arbeitsmaterial gebraucht wird. Ansonsten finden übliche Frontalpräsentationen statt. Der Raum unterstützt zwar auch eine andere Form des Arbeitens, die gängige Praktik frontaler Präsentation wird jedoch nicht ersetzt und existiert weiterhin. Für diesen eben genannten Raum sollte auch ein neuer Name gefunden werden. Nach langen Vorschlagslisten der Mitarbeitenden entscheidet der zuständige Manager und erwählt Denk:Raum. Obwohl das flexible Mobiliar und Arbeitsmaterial die Kreativität fördern sollen, weckt der Name Assoziationen von Stillarbeit und provoziert die Wahrnehmung, dass es einen speziellen Raum für das Denken braucht und außerhalb eher die Atmosphäre des Nichtdenkens herrscht. Der Manager legt außerdem Wert darauf, dass der Raum jederzeit aufgeräumt zurückgelassen wird. Beschriebene Wände und Post-it-Notes passen für ihn nicht in die Arbeitswelt bei VW. Dies raubt
3. Erkenntnisse aus der Praxis
den Teams infolgedessen Möglichkeiten, Arbeitsergebnisse hängen zu lassen und zu einem anderen Zeitpunkt daran weiterzuarbeiten. Die Teams sind nun häufig damit beschäftigt, passende Dokumentationsarten zu finden, oder weichen auf andere Orte aus. Die Vorgehensweise der Namensgebung macht zusätzlich deutlich, wie irritierend der Raum und die neuen Arbeitsweisen wirken und wie mit Unbekanntem umgegangen wird. Design Thinking, einschließlich neuer Arbeitsmaterialien und -räume, wirkt fremd, was auch an der folgenden Situation deutlich wird: Um Teilnehmende zum Workshopraum zu leiten, zeichnet ein Mitarbeiter Pfeile auf Post-it-Notes. Diese Haftnotizen werden zeitnah durch Ausdrucke von Pfeilen auf einer Corporate-Design-PowerPoint-Vorlage ersetzt. Auf Nachfrage antwortet der Manager, Post-it-Notes seien in seinen Augen unangemessen und würden unprofessionell wirken. Diese Beobachtung demonstriert Wertung und Annahmen, die konträr zu Prämissen von Design Thinking stehen – schnell, iterativ oder improvisiert – und zum Hemmnis werden. Ein anderer Workshop im Jahr 2016 zeigt Vergleichbares: Derselbe findet in Räumlichkeiten statt, die Möglichkeiten für interaktive und flexible Gruppenformate bieten. Der zweitägige Workshop besteht jedoch aus frontalen Präsentationen, Vortragende referieren über diverse Themen, die Teilnehmer:innen hören zu. Im Gegensatz dazu steht Erlernen durch Erleben im Vordergrund, wie es in vielen DesignThinking-Schulungen praktiziert wird. Das Workshopkonzept wurde jedoch nicht nach diesem Prinzip konzipiert, sondern findet lediglich in Räumlichkeiten statt, die sich für flexible Arbeitsformate eignen. Die Teilnehmenden sitzen überwiegend auf Europaletten und hören zu. Einige klagen im Nachgang über Rückenschmerzen. Die flexiblen Rollmöbel, wie die genannten Europaletten mit Kissen, eignen sich wenig für langes Sitzen. Die Konzeption des Workshops hat die räumlichen Gegebenheiten und die Sitzsituation nicht berücksichtigt. Daher ergibt sich eine Diskrepanz zwischen frontalen Präsentationen und den Sitzmöbeln im Raum. Allein die Modernisierung von Arbeitsräumen führt nicht zu interaktiven Arbeitsformaten. Vielmehr zeigt sich, dass die Veränderung von Möbeln und Materialien, fortan als
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Artefakte benannt, nicht ausreicht, um kollaborative, interaktive Praktiken und Methoden zur Anwendung zu bringen. Bekannte Artefakte wie Stuhlreihen scheinen bei VW mit Routinen, Verhaltungsweisen und Wertungen verknüpft zu sein. Neue Artefakte wie in diesem Workshopraum erscheinen als Fremdkörper und erhalten erst in der Praxis Zuschreibungen auf eine kulturelle, informelle Weise. Bei VW gelten standardisierte Bestellprozesse für Möbel und Arbeitsmaterial. Auf diesem Wege werden auch die neuen, flexiblen Möbel wie Stehtische oder Whiteboards bestellt. Der Bestellprozess bleibt dabei unverändert. Verändert werden nur die Art des Mobiliars und die Arbeitsmaterialien. Mitarbeitende und ihre individuellen Bedürfnisse sind im Bestellprozess nicht berücksichtigt. Stattdessen werden die Umgestaltungen und Bestellungen von Expert:innen für Büromöbel oder Büromaterial vorgenommen, ohne die späteren Nutzer:innen einzubeziehen. Würden neue, angepasste Sonderprozesse entwickelt und angewendet werden, würde dies sehr viel aufwendiger und zeitintensiver sein. Allerdings würden andere Prozesse und Vorgehensweisen, die Design-Thinking-Prinzipien berücksichtigen, auch Veränderungen in der Raumbuchung oder Ähnliches integrieren können. Bisher scheint es, als ob sich etablierte Prozesse weiterhin durchsetzen, die Berücksichtigung der Nutzenden oder die Veränderung von Bestellprozessen sind nicht feststellbar. Für die Anwendung von Design Thinking sind diese etablierten Prozesse und Vorgehensweisen hinderlich. Ähnlich drückt es ein Designer (B1) im Interview aus. Er kritisiert, dass er Software nicht erhalte, obwohl er sie für seine Aufgaben benötige: »Wir brauchen andere Tools als die vorhandenen, z.B. Photoshop. Dadurch, dass diese Tools aber nicht vorhanden sind, sind unsere Fähigkeiten zu arbeiten limitiert.« Sind neue Möbel oder Materialien angeschafft, gibt es für Mitarbeitende kaum Möglichkeiten der Veränderung oder auch des Durchsetzens gegen unternehmensinterne Gepflogenheiten, wie das Beispiel mit den Hierarchieprivilegien zeigt. Das Aufkommen von Design Thinking macht etablierte Prozesse strukturell und informell-kulturell sichtbar. Es macht eine Tendenz zur Standardisierung sichtbar, die einer Nutzer:innenzentrierung entgegensteht. Neue Arbeitsräume unterstützen das Ausprobieren neuer Arbeitsmaterialien
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und Praktiken. Die Bereitstellung von Arbeitsmaterial tangiert die Arbeitsroutinen jedoch wenig. Das Einrichten eines Arbeitsraumes wird als abgeschlossenes Projekt angesehen. Im Arbeitsalltag wirkt es jedoch irritierend auf Bestehendes. Dennoch wirken die Artefakte des Wandels. Sie geben dem bis dato Unbekannten eine Sichtbarkeit.
Die Entstehung neuer Organisationsformen Neben Arbeitsräumen in Wolfsburg entstehen neue Unternehmensbereiche wie Innovationslabore, sogenannte Labs, in urbanen Zentren wie etwa das Digital Lab in Berlin oder das Data Lab in München (Volkswagen AG 2017), die beide im Jahr 2016 eröffnet wurden. Initiiert von der IT-Abteilung, werden an beiden Orten Methoden wie Agiles Projektmanagement oder Design Thinking für die Softwareentwicklung eingesetzt. »In unseren Labs arbeiten Programmierer, Data Scientists, Design-Thinking-Experten und Cloud-Architekten zusammen«, wird der CIO zitiert (Volkswagen AG 2016). Bewusst getrennt von der Konzernzentrale werden neue Mitarbeitende mit Kenntnissen in u.a. Design Thinking eingestellt. Die Labs agieren als unabhängige Keimzellen mit anderen Regeln in Bezug auf Arbeitsmaterial, Dresscode und Arbeitsweisen – gehören aber weiterhin juristisch zu VW und unterliegen Compliancerichtlinien, Datenschutz oder Regeln für die Beauftragung von Dienstleistern. Es soll somit sichergestellt werden, dass die Schnittfläche zwischen etablierten Bereichen in Wolfsburg und neu geschaffenen Labs nicht zu unterschiedlich ist. Das wirft die Frage auf, ob die Arbeitsweise der Labs auf die Unternehmenspraxis wirkt oder ob eher die etablierten Strukturen, Prozesse und Kulturen das Handeln in den Labs beeinflussen. Wenn Mitarbeitende die Innovationslabore besucht haben, berichten sie im Anschluss anerkennend und beeindruckt von der Andersartigkeit und äußern ihre Bewunderung über die Ausstattung und die beobachteten Arbeitsweisen. Zugleich kritisieren auch einige die fehlende Anschlussfähigkeit. Die Gleichzeitigkeit von traditionellen Arbeitsweisen, Prozessen und Prinzipien im Headquarter und der Anwendung von neuen Methoden, Techniken und Artefakten in
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den Labs fordert Mitarbeitende. Sie berichten, dass unterschiedliche Kenntnisse mit neuen Arbeitsweisen und sprachliche Missverständnisse die Zusammenarbeit erschweren. Ebenso berichten sie, dass die Verantwortlichkeiten zwischen Labs und Headquarter nicht eindeutig scheinen. Häufig werden in den Labs Prototypen entwickelt, die dann von Mitarbeitenden im Headquarter weiterentwickelt werden (sollen). Diese kritisieren wiederum, dass sie mit der Vorarbeit des Labs nicht zurechtkommen. Labmitarbeitende empfinden die Arbeitsweisen und Prozesse des Headquarters als hemmend. Um beide Arbeitsweisen produktiv zu machen, müssen beide Seiten aushandeln, wie sie vorgehen. Das Aushandeln fordert, dass alle die Unterschiedlichkeit aushalten und sich einlassen müssen, um eine Form der Zusammenarbeit zu finden. Angefügt sei an dieser Stelle, dass die Diskrepanz zwischen Lab und Headquarter in akademischen Diskursen als organisationale Ambidextrie2 beschrieben wird, aber in dieser Arbeit nicht weiter ausgeführt wird. Eine weitere Schwierigkeit liegt darin, dass die Innovationslabore auf Initiative einzelner Manager:innen gegründet werden. Die Labs bilden in der Wahrnehmung von Mitarbeitenden die neuen Prestigeobjekte. Sie machen das Neue sichtbar und verankern diese innovativen Elemente auch strukturell. Doch durch die herausfordernde Verknüpfung von alten und neuen Strukturen und Arbeitsweisen bleiben die Labs zu diesem Zeitpunkt ein ausgelagertes Phänomen, das eingeschränkt wirksam wird in Bezug auf organisationale Veränderungen.
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Das zugrunde liegende theoretische Konzept beschreibt den Umstand, zwei unterschiedliche Vorgehensweisen zu vereinen, und stellt die Wichtigkeit der Integration von Exploitation (Ausnutzung von Bestehendem) und Exploration (Erkundung von Neuem) heraus (March 1991; Benner/Tushman 2003; Birkinshaw/Gibson 2004; Birkinshaw et al. 2009; Raisch et al. 2009). Das Konzept wird im Managementdiskurs bereits seit Ende der 1970er-Jahre diskutiert, was jedoch die Herausforderung für Handelnde in der Praxis nicht schmälert.
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Die Lernstrategien für Design Thinking In unterschiedlichen Unternehmensbereichen zeigen sich unterschiedliche Strategien, wie und mit welchem Ziel Design Thinking erlernt wird. In der IT wird im Jahr 2014 ein Schulungskonzept von einer Designagentur durchgeführt. Im Vertrieb nehmen im Frühjahr 2015 15 Mitarbeitende an einer zweimonatigen Schulung am HPI teil, drei von ihnen zählen auch zu den Interviewpartnerinnen. Die Meinungen über das Wie und das Wofür sind allerdings nicht einheitlich. Im Unternehmensbereich Forschung stellt sich Design Thinking laut einer Befragten als »Zaubertrank« (B3) dar, der hilft, in Workshops kreativ zusammen zu arbeiten. Hier wird es vorwiegend als Verknüpfungsglied wahrgenommen, um eine gemeinsame Sprache und neue Interaktionsmuster zu entwickeln. Im Bereich Marketing dagegen lernen viele Mitarbeitende Design Thinking in der Ausprägung von IDEO & Co. kennen, die sie fortan selbstständig in Projekten anwenden. Von der IT scheint Design Thinking als etwas zwischen Oberflächendesign und Nutzer:innenführung verstanden zu werden. Für das Verständnis sind zwei Unterschiede relevant: Im Vertrieb wird Design Thinking als eine für alle erlernbare Methode gesehen und sein Ursprung mit IDEO & Co. assoziiert; in der IT beschreiben Mitarbeitende es als eine Philosophie und eine Designpraktik. Weder Automobildesigner:innen noch das Corporate-Design-Team nehmen zum Zeitpunkt der Studie eine gestaltende Rolle in der Entwicklung von Design Thinking ein. In der Konsequenz stellt es sich so dar, dass weiterhin unklar ist, was es im Kern ausmacht, wo die Stärken liegen und wie es zur Anwendung gebracht wird. Die organische Entwicklung fördert aber auch, dass Mitarbeitende eine eigene Position entwickeln. Möglicherweise verwenden sie aber die gleichen Begrifflichkeiten, ohne sich über unterschiedliche Verständnisse bewusst zu sein, und reden möglicherweise aneinander vorbei. Infolge der ausgeweiteten Anwendung von Design Thinking führt die nicht-programmatische Einführung daher primär zu unterschiedlichen Sichtweisen und Verständnissen.
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Phase III – die Aufmerksamkeit des Managements für Design Thinking Im November 2015 stellt VW erstmals einen Chief Digital Officer ein, kurz CDO. Die Personalie ist zentral in der weiteren Entwicklung von Design Thinking. Er thematisiert Design Thinking – und das sowohl in der Öffentlichkeit als auch unternehmensweit. Er berichtet direkt an den Vorstandsvorsitzenden, also an die hierarchisch höchste Position bei VW, und wirkt damit auf einer anderen Managementebene. Auch strukturell schafft er eine neue Funktion für das Design, indem er globale Teams für digitales Interaktionsdesign aufbaut – in der Praxis auch als User Experience (UX) bezeichnet.
Die Anpassung: Aus Design Thinking wird Human Thinking Bis zum Jahr 2016 gibt es keine strategischen Vorgaben, was konkret unter Design Thinking verstanden werden soll und mit welchen Zielen es angewendet wird. Dieser Umstand unterstützt eine Bottom-upEntwicklung und fördert das Entstehen von unterschiedlichen Auffassungen bei Mitarbeitenden. Das ändert sich mit der Personalie des CDOs. Im Zuge der neu geschaffenen Position wird Design Thinking erstmals Teil des Kommunikationsinhaltes eines Topmanagers. Ein gutes Jahr nach seinem Amtsantritt stellt er im Frühjahr 2017 ein Konzept namens Human Thinking vor, das sich an Design Thinking anlehnt. Wie der Titel andeutet, stellt das Konzept den Menschen ins Zentrum eines Produktentwicklungsprozesses. »Human Thinking beschreibt ein holistisches, vollkommen am Menschen ausgerichtetes Design- und Entwicklungskonzept«, wird er im Handelsblatt zitiert (Jungwirth 2017). Das Konzept benennt acht Erfolgskriterien für eine künftige Produktentwicklung: Emotion, Beauty, Innovation, Intelligence, Integrity, Life, Society und Sustainability. Jedes Kriterium wird um eine Frage ergänzt, die Mitarbeitende dabei unterstützen soll, es zu berücksichtigen. Mit dem Kerngedanken, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, weist das Konzept Parallelen zu Design Thinking auf, indem es menschliche Bedürfnisse in die Entwicklung
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von Produkt- und Dienstleistungen integriert. Aus Jungwirths Sicht (2017) übernimmt das Human-Thinking-Konzept folgende Funktion: Dieses Konzept soll Designer und Entscheidungsträger in Ergänzung bestehender Design-Thinking-Ansätze dabei unterstützen, Human Thinking in der Gestaltung von Produkten, Diensten und Systemen umzusetzen. Er verweist in seinen Vorträgen auf die Nähe zwischen den beiden Ansätzen, kritisiert jedoch, dass Design Thinking keinen »more detailed process flow« (typotalk 2018) habe. Dies sei seine Motivation gewesen, das Human-Thinking-Konzept zu entwickeln. Weitere Gründe, warum er sein Konzept an diesen Modellen anlehnt, sind nicht bekannt. Das von ihm entwickelte Konzept kann dennoch als eine Veränderung im Sinne einer VW-eigenen Weiterentwicklung des Ansatzes von IDEO & Co. verstanden werden: Human Thinking ist also Design Thinking bei VW. Das Konzept macht den Eindruck, als ob es Design-ThinkingPrinzipien um VW-spezifische Aspekte ergänzt und es speziell auf die Produkt- und Dienstleistungsentwicklung formt. Nach der ersten Präsentation des Ansatzes im Jahr 2017 werden jedoch keine weiteren Informationen über eine mögliche Funktion, Einführung, Anwendung oder Evaluierung des Konzeptes kommuniziert. Interne Befürworter von Design Thinking fühlen sich dennoch durch die Konzeptpräsentation bestätigt, dass die Prämissen und Prinzipien von Design Thinking für VW zentral sind. Die Vorstellung des Konzeptes stellt somit einen weiteren Schlüsselmoment dar. Auf den ersten Blick wirkt es, als ob das Konzept sich primär für eine veränderte Herangehensweise in der Produktentwicklung ausspricht. Jungwirth betont jedoch, dass es ebenso kulturelle Veränderungen benötige. Er (2017) spricht sich dafür aus, dass neue Denkweisen – nämlich solche, die sich auf den Menschen fokussieren – wachsen müssten, um zukünftig Produkte zu entwickeln, die Menschen begeistern können: In Unternehmen wird es darum gehen, konsequent auf den Menschen zentrierte Denkweisen zu etablieren. Diese wiederum stellen die
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Weichen für ein neues, revolutionäres Design von Produkten und Diensten, die konsequent den Menschen in den Mittelpunkt stellen und diese begeistern. Das Human-Thinking-Konzept ist also bei Volkswagen das erste Konzept, welches auf einer menschzentrierten Denkweise basiert und sich als Weiterentwicklung der Design-Thinking-Ausprägung beschreibt. Interessant ist ebenso, wie das Konzept entstehen konnte. Es ist deshalb interessant, weil diese Strategien Erkenntnisse über die Funktion von Design Thinking und die Motivation des CDOs für die Vorstellung seines Konzeptes aufzeigen. Anhand des Human-Thinking-Konzepts wird sichtbar, mit welchen Handlungen und Motivationen traditionell Neues wie Arbeitsweisen und Methoden bei VW Einzug erhält. Häufig sind es Topmanager:innen, die neue Themenfelder einbringen und anordnen, wie diese Themen ausgearbeitet werden. Das Aufkommen von Design Thinking bildet hier insofern eine Ausnahme, da es sich nicht programmatisch entwickelt. Erst im Jahr 2017 – fünf Jahre nach dem Aufkommen des Begriffs – wird es seitens eines Topmanagers als relevant und strategisch notwendig benannt. Daher ist die Frage, wie Human Thinking entwickelt wurde, interessant. Die Entwicklung schreibt er sich selbst zu und berichtet im persönlichen Gespräch am 23. Juni 2017 über ein Buchprojekt, das für 2019 geplant ist. Im Juni 2019 verlässt Jungwirth allerdings den Volkswagen Konzern (Vetter 2019). Die Betonung, dass er Human Thinking eigenverantwortlich entwickelt hat und nun plant, diesen Ansatz in eine Buchform übertragen zu lassen, lässt aufmerken. Er verdeutlicht an der Stelle, dass Human Thinking nicht kollaborativ oder im Team entwickelt wurde, sondern von ihm persönlich aus der Taufe gehoben wurde. Das hat auch zur Folge, dass Mitarbeitende das Konzept mehrheitlich erst in Vorträgen kennenlernen. In der Wahrnehmung scheint es sich so darzustellen, dass das Konzept eher nicht iterativ, kollaborativ oder prototypisch entwickelt wurde. Allerdings ist es so, dass die Mitarbeitenden diejenigen sind, die als Nutzer:innen des Konzepts gesehen werden sollten. Das deutet
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wiederum auf eine Inkohärenz zwischen dem proklamierten Prinzip der Menschzentrierung im Konzept und der tatsächlichen Vorgehensweise bei der Entwicklung hin. Es weist zwar auf die Wichtigkeit von menschzentrierten Denkweisen hin und lehnt sich an Design Thinking an, seine Entwicklung selbst scheint anderen, managerial-etablierten Prinzipien zu folgen. Zwischen den ersten Verwendungen des Begriffs Design Thinking und der Vorstellung durch den CDO vergehen fast vier Jahre (Phase I: 2012 bis Phase III: 2016). Seine Fürsprache eröffnet den Dialog über das Prinzip der Nutzer:innenzentrierung im Topmanagement. Das führt wiederum zu Veränderungen auf einer strukturellen Ebene: Automobile Innovationen werden bisher in Forschungsabteilungen entwickelt. Digitale Produkte entstehen stattdessen in unterschiedlichen Keimzellen. Die Forschungsabteilungen sind traditionell zu Beginn des linearen Produktentwicklungsprozesses verantwortlich, automobile Innovationen zu entwickeln. Diverse Keimzellen agieren eher wie Satelliten: Sie befinden sich an anderen Standorten und kreisen um das Headquarter. Der etablierte Produktentwicklungsprozess wird also ein Stück weit verändert und deutet strukturelle Veränderungen an, die in weiterer Folge der Digitalisierung möglicherweise entstehen werden. Das passiert auch durch eine weitere neue Abteilung: Anfang 2016 wird eine neue Stabsstelle Digitalisierungsstrategie gegründet, die vom CDO geleitet wird. Die neue Abteilung verändert strukturell, indem sie gemäß der Zielsetzung einen zweiten Prozess für digitale Produktentwicklung entwickeln soll – der bestehende Prozess für die Fahrzeugentwicklung ist (bisher) nicht integriert. Das HumanThinking-Konzept deutet auf eine veränderte Form der Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitenden und Nutzenden hin. Ohne es explizit zu formulieren, bieten die Fragestellungen Anregungen, Menschen in die Entwicklung von Ideen und Konzepten einzubeziehen.
Die strukturelle Zusammenführung von Themenschwerpunkten Neben seiner Anwaltschaft für neue Arbeitsweisen und einer Zentrierung des Menschen in der (digitalen) Produktentwicklung leitet
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Jungwirth ab Anfang 2016 die erwähnte Stabsstelle Digitalisierungsstrategie, verantwortlich für die digitale Gesamtstrategie des Volkswagen Konzerns. In dieser Abteilung arbeiten rund 100 Mitarbeitende zu den Schwerpunkten Personal, Produktion, autonomes Fahren, Mobilitätsdienstleistungen und Vertrieb. Es werden Themenbereiche gebündelt, die bislang in der Silostruktur getrennt waren. Zusätzlich gehören drei Designzentren mit globalen Standorten zur Stabsstelle, in denen Interaktionsdesigner:innen digitale Produkte entwickeln. Eine Designmanagerin (B10) beschreibt deren Funktion: Wir sind digitaler und stehen deswegen Arbeitsweisen und Prozessen der IT näher als dem Hardware Design. Und die Hardware ist ja nicht so flexibel wie alles Digitale. Aber weil das Digitale letzten Endes auch immer auf einer Hardware läuft, sind wir da so ein Zwitter. Das heißt, ich brauche Menschen mit einer starken, gestalterischen Ausbildung bezogen auf Software und Hardware. Wir [Designer:innen] entwickeln während des Programmierens. Der Gestaltungsprozess ist das Programmieren. Deswegen muss man die Tools kennen und die Fähigkeiten haben, ein digitales Erlebnis zu gestalten. Erstmals entstehen Designabteilungen strukturell im Kontext digitaler Innovation. Die Disziplin Design zeigt sich in einer veränderten Funktion im Vergleich zum Automobil- oder Corporate Design. Als Abteilungen der Stabsstelle verändern sie ihre strukturelle Position und sind fortan hierarchisch höher angesiedelt. Für die Entwicklung gibt es eine neue Organisationseinheit, zu dieser gehören auch spezialisierte Designabteilungen, in der Design Thinking von allen Mitarbeitenden angewendet werden soll. Bisher wurden neue Organisationsformen wie die Innovationslabore oder das Design-Thinking-Team strukturell ausgelagert, innerhalb der siloartigen Stammorganisation gab es eher einzelne Design Thinker:innen. Die neue Stabsstelle kennzeichnet somit die erste strukturübergreifende Veränderung am Standort Wolfsburg, was auf eine mögliche Verbindung zwischen Struktur, Produktentwicklungsprozess und Arbeitsweisen hindeutet. Für die Entwicklung von Design Thinking sind in der dritten Phase also drei Schlüsselereignisse zu nennen, die bisherigen Initiativen mehr
3. Erkenntnisse aus der Praxis
Sichtbarkeit verleihen: die Rolle des CDOs in der Kommunikation über Design Thinking, die Integration von Design Thinking in das Konzept Human Thinking und die Entwicklung des Human-Thinking-Konzeptes ohne ein nutzer:innenzentriertes Vorgehen.
Phase IV – der Aufbau weiterer Design-Thinking-Ressourcen Ab dem Jahr 2017 entstehen im Kontext von Design Thinking neue Funktionen, Strukturen und Räumlichkeiten: Der Vertrieb gründet ein eigenes User-Experience-Team, ein Ko-Kreation-Center in Wolfsburg öffnet seine Türen und interne Netzwerke werden formalisiert, um den marken- und standortübergreifenden Austausch über Themen wie Innovation, Methoden und neue Arbeitsweisen zu fördern. Zudem entsteht ein VW-eigenes Methodenhandbuch, das Tipps und Tricks, Techniken und kokreative Methoden sammelt. Obwohl diese Aspekte und Artefakte in der Entwicklung den Eindruck erwecken können, dass sich einzelne Initiativen verstetigen und sich eine Strategie der Implementierung entwickelt, gibt es auch in der letzten Untersuchungsphase bis Februar 2018 keine systematische, strategische oder flächendeckende Einführung von Design Thinking.
Die Abgrenzung von Design Thinking und Service Design Veränderte Arbeitsweisen öffnen neben Design Thinking die Tür für weitere Ansätze wie Service Design, Lean Management oder Agiles Projektmanagement. Während Lean und Agiles Management einen technischen Ursprung haben, weisen Design Thinking und Service Design einen Designbezug auf. Die Betrachtung der unterschiedlichen Intentionen und Ursprünge beider designnahen Ansätze hilft, um die weitere Entwicklung und ihre Eigenlogik zu verstehen. Wie Design Thinking taucht der Begriff Service Design im Jahr 2012 in Forschungsabteilungen bei VW auf. Während Service Design bereits im Titel den genuinen Zweck und die Zielsetzung beschreibt, nämlich die Gestaltung von Dienstleistungen, eignet sich Design Thinking als Methode für die Entwicklung nutzer:innenzentrierter Produktinnovationen. Design Thinking wirkt ganzheitlicher, aber für Mitarbeitende
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weniger greifbar als Service Design. Für erfahrene Mitarbeitende vertreten beide Ansätze gleiche Prinzipien: Sie stellen Menschen in den Mittelpunkt von Entwicklungsprozessen. Sie sind hingegen daran interessiert, diese Perspektive in Projekte zu integrieren, ohne sich um abgrenzende Definitionen zu kümmern. Oder wie ein Mitarbeiter es ausdrückte: »Läuft doch alles in die gleiche, richtige Richtung« (Notiz Oktober 2017). Doch für Management und Anwendungsunerfahrene bleiben die Unschärfe und gleichsam die Überschneidung herausfordernd. In der bisherigen Unternehmensentwicklung waren die verschiedenen Bereiche mit klaren Zuständigkeiten und Funktionsdefinitionen verbunden. Daher wundert es nicht, dass Ansätze wie Design Thinking und Service Design schon im Jahr 2012 auf zwei Teams aufgeteilt wurden. Das Team der Zukunftsforschung und das DesignThinking-Team der Tochterfirma vertreten und repräsentieren Design Thinking, ein anderes Team entwickelt Dienstleistungsinnovationen und wendet dafür Ansätze, Methoden und Techniken aus dem Service Design an (vgl. Phase 1). Ein ähnliches Vorgehen wiederholt sich: Beim Aufbau der Abteilung für Digitalisierungsstrategien im Jahr 2016 (vgl. Phase 4) treffen zwei Teams aufeinander, die laut ihrer Beschreibung Arbeitsweisen wie Design Thinking bzw. Service Design anwenden. Infolgedessen kommt es zu Gesprächen zwischen den Führungskräften beider Teams. Ziel ist es, ihre Projekte stärker abzugrenzen und zu klären, wo die jeweiligen Zuständigkeiten liegen und wer welche Aufgabenfelder betreut. Laut inhaltlicher Ausrichtung entwickelt das eine Team digitale Mobilitätskonzepte, das andere Team ist für den Aufbau digitaler Kompetenzen bei Mitarbeitenden verantwortlich. Die Themenfelder, für die beide Teams verantwortlich sind, überschneiden sich somit kaum. Doch ebenso wichtig wie diese inhaltliche Separierung ist die Trennung zwischen Design Thinking und Service Design – auch wenn beide Ansätze Nutzende in den Mittelpunkt stellen und sich im Kern gleichen und überwiegend als Methode verstanden werden. Dennoch liegt beiden Manager:innen etwas daran sie voneinander abzugrenzen. Trotz des Hinweises von Mitarbeitenden mit Fachexpertise, dass beide Ansätze auf den gleichen Ursprung zurückgeführt werden können, wird entschieden, eine Trennung zu formalisieren.
3. Erkenntnisse aus der Praxis
Der Schlusssatz des einen Managers unterstreicht das Bestreben: »O.k., dann macht dein Team Design Thinking, und meins macht Service Design.« Die Differenzierung wird aufrechterhalten und strukturell besiegelt. In der Unternehmensorganisation lässt sich nachzeichnen, dass bestimmte Strukturen mit bestimmten Verantwortlichkeiten verknüpft sind. Der Grund für den Aufbau von Strukturen scheint etwas zu sein, das weitreichende Relevanz besitzt. Ein Topmanager (B7) beschreibt: Weder die Aufgabe noch die Leistung hängt an deiner Strukturstelle. Das führt dazu, dass Leute, wenn sie ihre Karriere entwickeln wollen, ihre Struktur ausbauen müssen. Sie müssen nicht eine Aufgabe lösen, sondern ihre Struktur ausbauen. Wenn du jetzt vorschlägst, zu kollaborieren, Leute zu teilen oder silo-übergreifend zu arbeiten, dann ist das ein Direktangriff auf die Struktur und damit auf ihre Karriere. Dies deutet darauf hin, dass der Aus- und Aufbau von Strukturen und die Übernahme von Leitungsverantwortung gegenüber Mitarbeitenden gewichtige Aspekte für den Ausbau der eigenen Karriere zu sein scheinen. Der Umgang der beiden Manager:innen am Beispiel der Abgrenzung von Design Thinking und Service Design deutet auf Vergleichbares hin. Eine klare Trennung von Themenfeldern scheint Übersicht und Arbeitsfähigkeit zu versprechen. Dennoch wächst im Allgemeinen die Bekanntheit von und das Interesse an design- und nutzer:innenzentrierten Ansätzen, auch wenn die Intentionen, Strategien und Anwendungen häufig unterschiedlich sind.
Die Formalisierung von informellen Netzwerken Eine ähnliche Entwicklung wie im oberen Beispiel zeigt sich in Bezug auf das Entwickeln von neuen Interaktionen. Mitarbeitende, die bereits mit Design Thinking arbeiten, kommunizieren strukturübergreifend und überwinden damit Trennlinien zwischen einzelnen Abteilungen oder Unternehmensbereichen. Ihr Handeln nach den Prinzipien des Design Thinking führt dazu, dass sich Mitarbeitende in einen Austausch begeben. Ohne Auftrag durch das Management, stattdessen aufgrund selbstinitiierter Interessenlagen entsteht ein informelles Netzwerk und neue Interaktionsmuster werden ausgestaltet. Der Wunsch
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nach Austausch lässt Neues entstehen. Für die Entwicklung ist es relevant zu sehen, dass formale Strukturen neu entstehen und sich zugleich informelle, strukturübergreifende Kommunikationsbeziehungen herausbilden. Der Übergang zwischen Formalität und Informalität liefert daher Erkenntnisse, welche Eigenlogik bei VW wirkt. Die Weiterbildungsakademie strebt im Jahr 2017 an, informelle Strukturen und Gruppen, wie die Design-Thinking-Community, zu formalisieren. Eine sogenannte formale Community soll laut Verantwortlichen der Weiterbildungsakademie den Austausch erleichtern. Konkret geht es darum, in sogenannten Communities of Practice (kurz CoP) Einsteiger:innen und Expert:innen zu regelmäßigen Treffen einzuladen, um sich auszutauschen und voneinander zu lernen. Als CoP wird also eine Gemeinschaft im Arbeitskontext verstanden, die ähnliche Aufgaben bearbeitet. Bisher haben sich Mitarbeitende informell ausgetauscht; nun möchte das Management der DigitalisierungsstrategieAbteilung diese CoPs formalisieren. Was bisher aus individuellem Antrieb einzelner Mitarbeitender erfolgte, wird Gegenstand eines Auftrags und einer Verantwortlichkeit. So entstehen CoPs zu Themen wie Business 4.0 oder Design Thinking. Verantwortlichkeiten für Treffen, Einladung, Räume und Programm der Communities werden bei einzelnen Mitarbeitenden gesammelt. Der Zugang zur Community erfolgt fortan per Einladung und basiert auf Managementvorgaben, die u.a. eine Berücksichtigung aller Marken und Standorte wünschen. Einzelne Mitarbeitende werden zu Community-Manager:innen, andere Mitarbeitende werden dadurch aufgefordert, teilzunehmen, statt – wie bisher – intrinsisch motiviert dabei zu sein. Der Zugang ist fortan reguliert, was weitergehend zu Bürokratie für Raumbuchung, Einladungsmanagement, Catering und Eventgestaltung führt und den Umstand provoziert, dass die inhaltliche Ausgestaltung aufgrund der operativen Aufgaben in den Hintergrund tritt. Bei informellen Treffen standen operative Aufgaben nicht im Mittelpunkt und die Fokussierung lag auf dem inhaltlichen Austausch. Der Umfang und der zeitliche Aufwand dieser neuen Aufgaben rund um den Aufbau einer Community sind kaum einschätzbar und werden demnach deutlich unterschätzt. Nach den ersten beiden Communitytreffen entscheidet der zuständige
3. Erkenntnisse aus der Praxis
Manager, die Konzeption und Durchführung des nachfolgenden Treffens von einer Innovationsagentur durchführen zu lassen. Die unternehmensinternen (zeitlichen) Ressourcen der Verantwortlichen werden allzu stark strapaziert, um die Treffen im gebotenen Rahmen vorzubereiten. Die Auslagerung der Umsetzung erinnert an Projekte, in denen die Umsetzung an Designagenturen ausgelagert wird. Communities of Practice verändern im Jahr 2017 ihre Gestalt in puncto Freiwilligkeit und entwickeln sich zu Projekten, die mit messbarem Budget, klaren Zielen und Verantwortlichkeiten sowie einer bestimmten Struktur versehen werden. Die Andersartigkeit der Ergebnisse weckt Fragen nach passenden Bewertungsschemata. Das Erkennen, Intensivieren und Aufbauen neuer markenübergreifender Interaktionen als Kernaufgabe lässt sich mit bisherigen Erfolgsfaktoren schwierig zeigen. In diesem Kontext meint das: Eine Community stärkt den informellen Austausch zwischen Mitarbeiter:innen, unterscheidet sich aber wesentlich vom klassischen Projektkontext mit spezifischen Zielvereinbarungen, die sich überwiegend anhand mess- und skalierbarer Ergebnisse ablesen lassen. CoPs werfen ebenso wie Design Thinking den Blick auf informelle Aspekte, die schwierig in der Unternehmenspraxis zu bewahren sind. In beiden Fällen zeigt sich die Tendenz, dass informelle Handlungen, Treffen oder Initiativen nur bis zu einem kritischen Punkt toleriert werden und in weiterer Folge in formale Strukturen und Formate überführt werden. Jedoch ist die Formalisierung auch kritisch zu sehen. Im Moment, wo Informelles sich dahingehend verändert, dass es mit klaren Verantwortlichkeiten und Budgets verknüpft wird, verlieren die Initiativen an Attraktivität für diejenigen, die sie zuvor gestaltet haben. Es scheint, als ob die Formalisierung Momente von Überraschung, Neuigkeiten und einem Voneinanderlernen weniger berücksichtigen kann. Die Tatsache, dass es in der Service-Design-Community seit 2018 keine weiteren Aktivitäten gibt, ist auf eine solche Dynamik zurückzuführen. Dennoch bleiben CoPs institutionell attraktiv: Im Jahr 2018 plant die Weiterbildungsakademie eine formale Design-ThinkingCommunity. Aus internen Unterlagen geht hervor, dass der Aufbau u.a. mit folgenden Zielen vorangetrieben wird:
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Wir möchten einen Ort kreieren, an dem sich Design Thinker:innen aller Disziplinen (UX, Business Innovation, Forschung etc.) treffen und austauschen. Wir möchten dabei die Werte und das Mindset leben, indem wir uns gegenseitig zuhören, helfen und miteinander kooperieren. Ziel ist es, mit- und voneinander zu lernen und gemeinsam Innovation zu fördern. Wir möchten ein gemeinsames Verständnis von Design Thinking bei VW schaffen. (E-Mail intern). Bis zum Ende der Datenerhebung ist nicht bekannt, wie sich dieses Vorhaben weiterentwickelt.
Die Funktionen und Strategien von Schulungskonzepten Immer mehr Mitarbeitende kommen mit Design Thinking in Berührung. Das liegt daran, dass sie vermehrt an Schulungsmaßnahmen teilnehmen. Dabei ist es aufschlussreich zu sehen, welche Lernstrategien, Konzepte und Ziele vermittelt werden. Der Begriff des Lernens wird mit dem Erwerb von Zertifikaten, Abschlüssen oder Hierarchiestufen verbunden anstatt mit informellem, lebenslangem Lernen. Innerhalb des Unternehmens gibt es zwei etablierte Bildungseinrichtungen: Eine ist thematisch ausgerichtet, die andere zielt auf das Erlernen von Arbeitsweisen, Programmen oder sozialen Fertigkeiten ab. Das Buchen einer Schulung, die dafür notwendigen Vorgänge sowie das Verständnis über die Notwendigkeit einer Teilnahme sind bekannt. Schulungen werden den Angeboten externer Dienstleister aus wirtschaftlichen Gründen vorgezogen und stehen nur Mitarbeitenden zur Verfügung. Das fördert die interne Vernetzung, reduziert jedoch womöglich die Gelegenheit, Erfahrungen mit Handlungsroutinen anderer Unternehmen zu machen. Ähnlich wie bei vorherigen Schulungen zu Computerprogrammen oder sozialen Fähigkeiten wird davon ausgegangen, dass man nach dem Besuch der Schulung besser handelt als zuvor. Diese Vorgehensweise, Prozesse und Annahmen zeigen sich auch bei Design-Thinking-Schulungen. Eine besondere Herausforderung stellt dabei dar, dass es schwierig scheint, nach einer Schulung etwas besser zu können, als es vorher möglich war. Hintergrund ist, dass viele
3. Erkenntnisse aus der Praxis
Arbeitsweisen und Prinzipien von Design Thinking schlicht anders sind als die zuvor bekannten. Abgesehen von wenigen Ausnahmen lernt der überwiegende Teil der Mitarbeitenden dennoch Design Thinking in formalisierten Schulungskonzepten kennen. Da es bei Volkswagen noch kein eigenes Schulungsangebot gibt, besuchen viele mehrtägige Schulungen am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam oder nehmen an Design-ThinkingKennenlernworkshops auf Konferenzen teil. Das Verständnis von Design Thinking, das am Hasso-Plattner-Institut vertreten wird, ist somit die Ausprägung, die viele kennenlernen. Doch die Nachfrage nach Schulungen wächst. Im Jahr 2017 formuliert daher die Weiterbildungsakademie den Bedarf nach einer eigenen Schulung. Die zehntägige Schulung wird im Frühjahr 2018 von einer Innovationsagentur durchgeführt. Die Ausbildung zum Design-Thinking-Experten verfolgt das Ziel, »Mitarbeiter zum Design-Thinking-Experten zu entwickeln, damit sie selbstständig Design Thinking als Methode in ihrem Arbeitsalltag anwenden und ihre Kollegen in konkreten Service- und Produktentwicklungsprojekten als Design-Thinking-Moderatoren unterstützen.« (internes Dokument 2018) Die Schulung formuliert folgende Zielsetzung: »Ein Design-Thinking-Experte im Unternehmen … • • • • • • • •
kann den Prozess aufsetzen, planen und durchführen, kennt den Prozess und kann ihn agil benutzen, weiß, in welcher Phase er – entsprechend der Ausgangslage – ansetzen muss, kennt verschiedene Methoden und Tools und kann diese sicher anwenden, handelt und denkt im Sinne des Nutzers, profiliert sich über kollaboratives statt konkurrierendes Verhalten, schafft in der Rolle als Führungskraft Freiräume und unterstützt den abteilungsübergreifenden Prozess.«
Design Thinking wird hier als Methode bezeichnet und ihr Anwendungskontext auf Produkte bzw. Dienstleistungen bezogen. Die ersten drei Zielsetzungen drehen sich um den Prozess, also um die nor-
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mative Planung. Nachgelagert werden Nutzer:innenzentrierung und Kollaboration als Funktionen erwähnt. Es bleibt dabei unklar, ob die Schulung Facilitator:innen ausbilden möchte, die in weiterer Folge Teams anleiten, oder ob alle Mitarbeitenden zum Anwenden von Design Thinking in ihrem Arbeitsalltag motiviert werden sollen. Laut einer Projektmitarbeiterin sollen sich Teilnehmende im Abschluss »in der Lage fühlen, ihre Projekte mit dieser Methode professionell durchzuführen« (E-Mail vom 3.3.2017). Ihre Beschreibung macht deutlich, dass beide Ausprägungen – Design Thinking für alle oder einzelne DesignThinking-Facilitator:innen – möglich sind. Strukturell würde sich ein Unterschied dahingehend zeigen, ob spezialisierte Coaches ausgebildet werden und eine neue Position einnehmen oder ob angestrebt wird, dass jede:r es im eigenen Tätigkeitsbereich anwenden kann. Es könnte als neue Expert:innenrolle oder auch als Etwas (Ansatz, Methode, Praktik, Technik) für jede:n gesehen werden. Ersichtlich wird, dass für das Erlernen ein standardisiertes Programm angestrebt wird. Die Projektleiterin erwähnt per E-Mail, dass die Teilnahme »eventuell mit der Möglichkeit eines Zertifikatserwerbs in Design Thinking am Ende des Prozesses« bestätigt wird. Diese Vorgehensweise führt bisherige formale Kennzeichen von Schulungen wie Zertifikate und Erfolgskriterien fort. Design Thinking, das gilt es an dieser Stelle festzuhalten, wird als etwas verstanden, das jede:r in Schulungen erlernen kann. In welcher Form die Teilnehmenden es konkret im Anschluss zur Anwendung bringen sollen, scheint offengehalten zu sein. Werden sich Design-Thinking-Schulungen dahingehend konkretisieren, dass sich eine neue Expert:innenrolle entwickelt, deutet das auf eine Erweiterung vorhandener Tätigkeitsprofile hin. In der Ausgestaltung würden sie möglicherweise andere dabei unterstützen, Design Thinking in Projekten zu berücksichtigen. Betrachtet man die Funktion, scheint Design Thinking in erster Linie für das Entwickeln von neuen Produkt- und Servicekonzepten verstanden zu werden, wie es als Ziel in der Ankündigung beschrieben wird, nämlich »Kollegen in konkreten Service- oder Produktentwicklungsprojekten als Design-Thinking-Moderatoren [zu] unterstützen«.
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Die Förderung von neuen Zusammenarbeitsmodellen Der Druck nach neuartigen, innovativen Ideen ist der primäre Grund für die Einführung dieser neuen Arbeitsweisen. Trotz unterschiedlicher Anwendungen in der realen Unternehmenspraxis werden die Ansätze Design Thinking, Service Design, Scrum oder Agilität mit einem kollaborativen Vorgehen verknüpft. Sie plädieren dafür, dass mehrere Menschen zeitgleich und gemeinsam an einer Problemlösung arbeiten. Die Idee des Kollaborierens weicht von üblichen Arbeitsweisen ab, denen implizit ein Konzept des Einzeldenkers als Genie zugrunde liegt. Um die Zusammenarbeit zu fördern, entstehen Räumlichkeiten und Arbeitsmittel, die die neuen Ausgestaltungen der Arbeitsprozesse unterstützen sollen. Dies zeigt sich in CoP, in der Umgestaltung von Arbeitsräumen und in der steigenden Zahl von Facilitator:innen. In der vierten Phase Der Aufbau weiterer Design-Thinking-Ressourcen tauchen weitere Artefakte auf: Dazu zählen ein Methodenhandbuch, die Integration von Nutzer:innen zum gemeinsamen Entwickeln und Testen von Ideen und ein sogenanntes Ko-Kreation-Center in Wolfsburg. Letzteres ist ein öffentlicher Ort in der Stadt, an dem Mitarbeitende mit Bürger:innen gemeinsam Ideen entwickeln. Diese Maßnahmen markieren eine neue Sichtbarkeit und deuten eine Öffnung des Unternehmens an. Das Verständnis von Design Thinking erweitert sich dahingehend, dass es Mitarbeitende aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen mit potenziellen Nutzer:innen zusammenbringt. Mit steigendem Interesse an Design Thinking erscheinen mehr und mehr Ratgeber, populärwissenschaftliche Publikationen und Fachartikel in Management- und Personalzeitschriften rund um das Thema. Bei Unternehmen entstehen Publikationen zu ihren Design-ThinkingAnsätzen. Nach der Telekom, die sehr kommunikationswirksam einen Methodenfächer in Buchform herausgebracht hat (Telekom 2019), entsteht auch bei VW ein Methodenbuch, um Mitarbeitende anzuleiten, in Projekten kollaborativ zu arbeiten. Das Buch präsentiert Beispiele für einen iterativen Projektprozess, Methoden für strukturübergreifende Arbeitsweisen, Hinweise für einen gelingenden Datenaustausch, Zugang zu Nutzer:innen oder zu Kernfragen des Datenschutzes. In der
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Konzeptionsphase dieses Handbuchs scheinen nur wenige der internen Protagonist:innen involviert zu sein. Stattdessen wird eine externe Strategieagentur mit Konzeption und Erstellung beauftragt – erst nach der Fertigstellung wird das Buch ausgewählten Mitarbeitenden zur Verfügung gestellt. Diese werden gebeten, eine mögliche Weiterleitung der PDF-Datei des Buches zu dokumentieren, um zu kontrollieren, wer Zugang zum Methodenhandbuch hat. Eine konkrete Anwendung des Buches ist im Arbeitsalltag kaum wahrzunehmen. Es ist ebenso nicht bekannt, ob es eine Evaluation über die Anwendung der Publikation geben wird, wie ein Designer im Gespräch erwähnt. Das Vorgehen erinnert an die Erstellung des Human-ThinkingKonzeptes durch Jungwirth. Sowohl dieser Fall als auch die Einführung des Handbuches vergegenwärtigen, dass das Bekanntmachen von Neuem wie Design Thinking, Ko-Kreation oder CoPs mit etablierten Strategien vollzogen wird. Es zeigt, dass viele Arbeitsweisen wenig an die veränderten Charakteristika der neuen Arbeitskonzepte angepasst werden. Das Methodenhandbuch folgt einem klassischen Projektplan und integriert potenzielle Nutzende nicht vollumfänglich. Der Plan ist definiert durch einen Anfang, ein Ende und eindeutig eruierbare Meilensteine, für die Erstellung wird eine externe Agentur beauftragt. Die Kommunikation über das Buch, die Verteilung, die Anwendung scheinen in der Erstellung des Buches wenig berücksichtigt zu sein. Die Anwendung des Buches in der Unternehmenspraxis wird ebenso wenig weiterverfolgt. Stattdessen endet das Projekt mit dem Erscheinen des Buches, statt es als ein Baustein von Veränderungen hin zu kokreativen Arbeitsweisen zu verstehen. Ein weiteres Beispiel zeigt sich, als Anfang 2018 in Wolfsburg ein sogenannter PopUp-Space eröffnet wird. In einer ehemaligen Markthalle im Stadtzentrum entstehen Räumlichkeiten, in denen VWProjekte, öffentliche Vorträge oder Workshops mit u.a. Bürger:innen stattfinden sollen. Der Ort präsentiert sich mit flexiblen Möbeln, einem Kühlschrank, gemütlichen Sitzmöglichkeiten, einem Vortragsbereich und flexiblen Arbeitsinseln. Das weckt Assoziationen von kreativen Werbeagenturen oder Co-Working-Büros in urbanen Zentren. Die Räumlichkeiten sind darauf ausgelegt, dass Mitarbeitende und Bür-
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ger:innen gemeinsam arbeiten können. Die Lage der Markthalle ist für Besucher:innen auf unkomplizierten Wegen zu erreichen und ermöglicht einen anderen Umgang mit dem Datenschutz als auf dem Werksgelände. Darüber hinaus ergibt sich eine Flexibilität hinsichtlich der Veranstaltungszeiten: Die vielfältigen Angebote sind in diesem Rahmen auch am Wochenende oder abends möglich. Ein (vorläufiges) Ende findet dieses Projekt nach einer zweimonatigen Pilotphase im Frühjahr 2018. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt ein Projekt im Rahmen einer Messe. Im Juni 2018 werden potenzielle Nutzer:innen gebeten, erste Prototypen von Produktideen zu testen und Feedback zu Mobilitätsservices zu geben. Die beiden letzten Beispiele können als Veränderung hin zu offeneren Prozessen gesehen werden. Informationen dazu, wie mit dem Nutzungsfeedback umgegangen wird, liegen nicht vor.
Abb. 6: Der »10X – Service Design Lab« ist ein Innovationslabor mit digitalem Equipment (Quelle: Volkswagen AG)
In der Digitalisierungsstrategie entsteht ein weiteres Beispiel: Es wird ein Arbeitsraum mit digitalen und analogen Arbeitsmitteln
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und -möglichkeiten eingerichtet, um neue, digitale und kollaborative Arbeitsweisen zu fördern. VW verkündet dazu im Oktober 2017: Ein sogenanntes 10X – Service Design Lab wurde eingerichtet, um »nutzer:innenzentrierte Dienstleistungskonzepte zu gestalten, die sich vollkommen am Menschen orientieren« (Human Thinking; Volkswagen 2017b). Neben Bastelmaterial zum Erstellen von Prototypen ist der Raum mit digitalen Boards und einem Touchscreentisch ausgestattet. Das Lab vereint viele technische Geräte, die digitale, kollaborative Arbeitsweisen unterstützen. Nach einer kommunikationsintensiven Einführungsphase des Raumes fallen zwei Dinge auf: Einerseits verfügt das Innovationslabor über komplexe Geräte, deren Benutzung erst erlernt werden muss. Diese Hürde wird durch zwei Facilitator:innen nivelliert. Andererseits fällt auf, dass kein dezidiertes Ausbildungsprogramm entwickelt wird, um andere Personen darin zu schulen, mit den technischen Geräten umzugehen. Stattdessen übernehmen Mitarbeitende der Tochterfirma diesen Tätigkeitsbereich. Die Rolle von Facilitator:innen ist damit gewissermaßen wieder ausgelagert und wird nicht von VW-Mitarbeitenden übernommen. In der vierten und letzten Phase dieser Studie zeigen viele Initiativen Aspekte von Design Thinking: Es entstehen VW-eigene Schulungskonzepte, ein Konzept für eine Design-Thinking-Community und in immer mehr Besprechungen werden vereinzelt interaktive und kollaborative Arbeitsweisen eingebracht, auch ohne sie als Design Thinking zu benennen. Offenkundig ist, dass zuerst neue Strukturen und Einheiten wie etwa Labs oder die Stabsstelle aufgebaut werden; ob Schulungskonzepte und kollaborative Formate von allen Mitarbeitenden oder nur von einzelnen Spezialist:innen ausgeführt werden, scheint weiterhin ungeklärt. Hinweise gibt es ebenso darauf, dass mit etablierten Strategien vorgegangen wird, wenn es um die Einführung der besagten neuen Arbeitsweisen geht. Die vier Entwicklungsphasen verdeutlichen, dass der strukturelle Aufbau eng verknüpft ist mit personellen, hierarchischen Aufstiegen; inhaltliche Aspekte in Projekten treten dahinter zurück. In Bezug auf Kompetenzen und Erfahrungen zeigt sich, dass viele Entwurfspraktiken – im Sinne des konkreten Umsetzens und Ausgestaltens –
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bislang von Designagenturen übernommen werden. Design Thinking diffundiert in Unternehmensbereiche außerhalb des Designs als etwas Neues und Unbekanntes, ohne mit dem Begriff »Design« oder den Rollen professioneller Designer:innen assoziiert zu werden. Stattdessen entwickelt es sich organisch in verschiedenen Keimzellen im Unternehmen und greift langsam auf Bereiche wie Personal oder Beschaffung über. Dabei überrascht nicht, dass diese Keimzellen zunächst in Abteilungen wie der Zukunftsforschung wachsen, die per se mit der Gestaltung von Zukünften zu tun haben oder einen engen Kundenbezug aufweisen, wie im Bereich von Marketing und Vertrieb, wie B11 ausdrückt: »Die Antizipation von Kund:innenerwartung ist ja eigentlich der Kernauftrag von Marketing.« Die IT dagegen scheint im Selbstverständnis einen großen Schritt zu machen: Ist es bisher der Bereich des Unternehmens, in dem Projekte vorwiegend verwaltet und informationstechnische Architekturen und Systeme entwickelt werden, so entstehen hier viele Initiativen. Die Perspektive von Nutzer:innen stand hier wenig im Vordergrund, sondern wurde als Kernauftrag der neugegründeten Innovationslabore verstanden. Als weiterer Punkt in Bezug auf Veränderungen, die sich auch in der Struktur zeigen, wirkt die Personalie des CDOs. Infolge der neu geschaffenen Position entstehen auch neue Organisationsformen innerhalb und außerhalb Wolfsburgs. Im Unterschied zu den Labs ist die neue Stabsstelle unmittelbarer am selben Standort angesiedelt und kann aufgrund dessen anders wirken. Darüber, inwiefern diese einzelnen Aufkommen das gesamte Unternehmen Volkswagen bewegen können, lassen sich noch keine Tendenzen aus den angestoßenen Entwicklungen ablesen. Auf strategischer Ebene, hier gemeint im Hinblick auf Zielsetzungen für Bonuszahlungen, Erfolgsmessung oder Einstellkriterien, zeigen sich noch keine umgesetzten Veränderungen.
3.2.
Die pluralistischen Auffassungen von Design Thinking
Welche Verständnisse haben Arbeitnehmer:innen von Design Thinking? Dieser Frage wird nachgegangen, um zu verstehen, was Mitarbeitende
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eigentlich meinen, wenn sie von Design Thinking sprechen. Der Blick in die verfügbare Forschungsliteratur offenbart zwei Ausprägungen: Design Thinking als Methode und als Mindset. Um sich der Verknüpfung von Anwendungsform und Funktion zu widmen, ist es notwendig zu verstehen, was Mitarbeitende konkret artikulieren und welche unterschiedlichen Anwendungsfelder sie sehen. Im vorliegenden Fallbeispiel von Volkswagen sind Anwender:innen mit diffusen Beschreibungen und organischen Entwicklungen von Design Thinking konfrontiert. Zugleich werden die Nachwirkungen des Emissionsskandals als Veränderungsdruck spürbar. Infolgedessen herrscht in der Praxis Unsicherheit darüber, was Design Thinking ist und wie es helfen kann, mit den sich stellenden Herausforderungen auf eine neue Art und Weise umzugehen. Ohne strategische Vorgaben des Managements wird also informell verhandelt, welche Bedeutung es bei VW annimmt. Die Sichtweisen der Mitarbeitenden geben Aufschluss darüber, was sie meinen, wenn sie den Begriff verwenden, denn sie sind die Handelnden im Feld und verknüpfen den Begriff mit ihrer Sprache und ihrem Erfahrungswissen. In erhobenen Interviews und Beobachtungen schildern sie ihre multiplen Perspektiven und Geschehnisse. Aus diesen Daten wurden pluralistische Dimensionen herausgearbeitet, die einerseits die Terminologie aufzeigen und andererseits die unterschiedlichen Sichtweisen darstellen. Erst aufbauend auf diesen Kategorien werden implizite Zusammenhänge sichtbar, die Aufschluss über den Beitrag von Design Thinking im Hinblick auf Veränderungen im Unternehmen geben können.
Diverse Sichtweisen und Verständnisse Im ersten Eindruck spiegelt die Praxis das wider, was die theoretischen Vorarbeiten bereits zum Vorschein gebracht haben: Es herrschen diverse Auffassungen darüber, was Design Thinking ist und welche Funktion es einnimmt. Besonders in der zweiten und dritten Entwicklungsphase wird ein Aufwind wahrgenommen, und zwar von denen, die Design Thinking seit Beginn prägen. Auf die Frage, wie sie die Entwicklung zum Zeitpunkt der Befragung im Jahr 2016 begreifen, geben sie ihre
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Sichtweisen wie folgt wieder: Eine Mitarbeiterin (B4) berichtet: »Der Begriff [Design Thinking] ist geflutet und es steckt schon in mehr Dingen, als vielen bewusst ist.« Eine weitere Interviewpartnerin (B3) verweist darauf, dass allerdings noch nicht begriffen wurde, was das Mittel und was der Zweck ist: »Sachen werden völlig arbiträr [willkürlich] und synonym durcheinandergeworfen. Design Thinking, Agile, Scrum und iterativ ist alles eins. Man denkt, es sei eine Zaubersoße, die man wie Feenstaub darüber pustet.« Die wahrnehmbare Ironie, mit der sie ihre Aussage färbt, deutet an, dass sie vermutet, Design Thinking werde nicht ernst genommen und viele Mitarbeitende verstehen es eher rudimentär. Eine Managerin (B10) teilt die vorherige Sichtweise und bestätigt den unkritischen Umgang: »Wir probieren alles aus. Wir wollen alle digital sein. Design Thinking ist für viele Dinge wichtig, aber man muss es nicht überall anwenden. Es gibt viele Problemlösungsmethoden. Es kommt immer darauf an, was ist die Aufgabe und was will man erreichen.« Die Managerin macht deutlich, dass Design Thinking gegenwärtig als eine von vielen Methoden und Arbeitsweisen überall angewendet wird, um dem Veränderungsdruck standzuhalten. Dies geschieht, folgt man den Ausführungen der drei Befragten, ohne Zweck, Funktion oder Anwendungsumgebung zu beachten. Diese Mitarbeitenden haben die Entwicklung über alle Phasen hinweg miterlebt und reflektieren den Verlauf kritisch. Umso relevanter ist es, herauszuarbeiten, welche konkreten Verständnisse es gibt.
Erfahrungswissen und Neuerlernen Innerhalb der Äußerungen von Mitarbeitenden zeigt sich eine Kategorie, anhand derer sich die Ausprägung des Umgangs mit Design Thinking markiert: Erfahrungswissen und Neuerlernen. Design Thinking stellt sich für einige als etwas vollkommen Unbekanntes dar, während andere es als etwas Bekanntes begreifen. Für eine Designmanagerin (B10) ist es im Kontrast zum oberen Beispiel nichts Neues. »Das sind eigentlich alte Prinzipien, wie man Dinge entwickelt.« Für sie werden dazu neue Begriffe verwendet, »aber eigentlich ist es alter Wein in neuen Schläuchen«. Die Sichtweise, dass es sich um altbekannte De-
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signprinzipien handelt, teilt eine andere Managerin (B11): »Bestimmte Tools kenne ich jetzt seit 20 Jahren. Von mir aus packen wir sie jetzt noch mal unter die Überschrift Design Thinking. Es ist ein Hype, unter dem sich ganz viele bekannte Dinge vereinbaren lassen.« Beide Interviewpartnerinnen begreifen es aufgrund ihrer Erfahrung als ein neuartiges Portfolio aus bekannten Methoden und Techniken aus dem Umfeld von Design und Kreativität. Anders liegt die Einschätzung bei Neulingen, die es nicht mit Erfahrungen verknüpfen können. Für sie steht im Vordergrund zu ergründen, was es für sie bedeutet und wie es für sie greifbar wird. Eine andere Marketingmitarbeitende (B5) lernte Design Thinking erst kurz vor der Befragung kennen. In ihrem direkten Arbeitsumfeld werden mithilfe von Design Thinking digitale Mobilitätsassistenten entwickelt, wie beispielsweise eine App zur Parkplatzsuche. Für sie ist es daher eine problemorientierte Herangehensweise, um Lösungen zu designen. Dagegen habe das originäre Design wenig mit dem Lösen von Problemen zu tun: Ich hatte tatsächlich immer eine sehr stark produktgetriebene Sichtweise vom Design. Der klassische Autodesigner gibt dem Fahrzeug die Formen, seinen speziellen Charakter, seinen Auftritt. Wenn ich mir jetzt einen klassischen Designer von Fahrzeugen vorstelle, denke ich nicht an eine sehr problemorientierte Herangehensweise. Es kommt ihm darauf an, eine Ästhetik zu schaffen. Andere Beobachtungen in nicht designaffinen Bereichen deuten darauf hin, dass die Erfahrungen und Assoziationen mit dem Begriff Einfluss nehmen, ob Design Thinking als designorientierter, methodischer Ansatz oder als neue »Problemlösungsmethode« (B10) für nutzer:innenzentrierte Lösungen verstanden wird. Diejenigen, die seit Langem mit designorientierten Methoden arbeiten, verknüpfen ihre Kenntnisse und praktischen Erfahrungen mit den neu aufkommenden Arbeitsweisen, was sich in einem reflektiert-kritischen Umgang ausdrückt. Denjenigen, die bisher unerfahren in der Anwendung sind, gelingt diese Form der Verortung nicht. Sie müssen die neuen Eindrücke, Begrifflichkeiten und deren Unschärfe zunächst für sich einordnen. Eine weitere Hürde wird dadurch sichtbar, dass Design Thinking nicht
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alleinstehend oder in isolierter Form auftaucht, sondern häufig in einem Kanon mit Anglizismen wie New Work, Digitaler Transformation, Agilität und Scrum aufkommt. Diese Begriffe werden mit Aufbruch und Neuem assoziiert, ohne genau zu wissen, was gemeint ist. Volkswagen befindet sich zum Zeitpunkt der Studie in einer Umbruchphase. Die Verwendung der Begrifflichkeiten kann also auch demonstrieren: Man ist dabei, kennt das Neue und ist weiterhin relevant. Diese Beobachtung leitet zu der Frage über, wie Arbeitnehmer:innen überhaupt mit Design Thinking in Berührung kommen. Diejenigen, die es erstmals kennenlernen, berichten von mehrtägigen Workshops. Entweder besuchen sie Schulungen oder arbeiten mit Kolleg:innen zusammen, die solche Schulungsformate besucht haben und die behandelten Inhalte in den Projektalltag einbringen. Vorwiegend haben Mitarbeitende an Schulungen teilgenommen, die direkt am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam stattgefunden haben. Darüber hinaus berichteten viele Mitarbeiter:innen von Vorträgen oder kurzen Workshops auf Konferenzen, in denen HPI-Absolvent:innen die dort erlernte Sichtweise präsentierten. Das HPI gilt in Deutschland als Vorreiter für Design-Thinking-Schulungen und wird auch bei VW als prominentester Anbieter genannt. Erlernte Inhalte stellen somit für viele einen Referenzrahmen dar und prägen ihre Auffassungen. Die eben zitierte Mitarbeiterin (B5) hat selbst nicht an einer Schulung teilgenommen, arbeitet aber mit vielen Schulungsteilnehmenden zusammen, was ihre Aussage illustriert: Ich kenne Design Thinking als Begriff und den groben Prozess. Ich muss allerdings auch gestehen, dass ich immer relativ hands-on arbeite. Also ich habe nicht wirklich dieses sehr tiefgehende Verständnis von Design Thinking, wie es in Schulungen am Hasso-Plattner-Institut vermittelt wird. Aber ich denke, ich habe ein Verständnis, was gar nicht so weit davon entfernt liegt. Die Befragte differenziert zwischen ihrer intuitiven Herangehensweise und dem Verständnis, das aus Schulungskonzepten erwachsen ist. Sie hält Design Thinking zwar grundsätzlich für erlernbar, misst jedoch Schulungskonzepten mehr Autorität bei als ihrer selbstinitiierten Lern-
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strategie. Schulungen scheinen als etabliertes Lernformat verstanden zu werden. Diese Bewertung gilt folglich auch für Schulungen, um Design Thinking kennenzulernen. Die Beobachtungen zeigen, dass viele Schulungskonzepte mit fiktiven Aufgaben- und Fragestellungen, sogenannten Design Challenges, arbeiten. Die Coaches begründen dies damit, dass es Lernbereitschaft und Offenheit fördere, da keine realen Einschränkungen oder zwischenmenschliche Hürden aus der Praxis im Weg stehen. So nachvollziehbar dieses Argument scheint, zeigen die Daten infolgedessen eine andere Hürde: Mitarbeitende beklagen, dass ihnen die Anwendung des Neugelernten im Unternehmensalltag nicht gelingt. Erfahrungswissen hilft dabei, die neuen Begriffe, Praktiken und Techniken zu verorten. Alle anderen sind herausgefordert, die Fülle an Neuem erst einmal zu verstehen, bevor sie es verorten.
Anleitung und kontextuelle Anpassung Wie der vorherige Abschnitt aufzeigt, wird häufig das HPI als institutionelle Referenz für das Verständnis von Design Thinking erwähnt, besonders von denjenigen, die es neu kennenlernen. Es fällt dabei auf, dass erfahrene Arbeitnehmer:innen Design Thinking kritischer begegnen und Unterschiede dahingehend bestehen, ob es mit Design assoziiert wird oder nicht. Trotz dieser Unterschiedlichkeit betiteln sie es überwiegend als Methode. Auffassungen darüber, was eine Methode sei und was sie leisten kann, sind jedoch bei näherer Betrachtung unterschiedlich. Bei VW gilt ein technisches, ingenieursgeprägtes Verständnis, d.h., eine Methode wird vorwiegend mit einer gleichbleibenden Abfolge von Praktiken, Werkzeugen und Techniken im Sinne eines linearen Prozessmodells verstanden. Das fällt in Schulungen auf, in denen nach der Richtigkeit der Anwendung gefragt wird, oder in Alltagssituationen, in denen aufgrund anderer Vorgehensweisen Mitarbeitende kritisieren, dass die ihnen bekannte Phasenabfolge eine andere sei. Der befragte Innovationsexperte (B8) beschreibt das wie folgt: »Bei Volkswagen ist halt immer ganz klar, was nachher rauskommt.« Das technische Verständnis fördert auch die Sichtweise auf eine Methode als standardisierter, wiederholbarer Prozess. Verstehen
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Mitarbeitende Design Thinking als eine solche, erwarten sie auch einen linearen Prozess mit einzelnen Phasen und antizipieren Teilergebnisse. Das steht im Kontrast zu den designorientierten Sichtweisen, die sich von dieser Form der Systematisierung und Wiederholung abgrenzen. Laut dem Befragten B1 folgt ein Designprozess nur in groben Zügen einem Schema und passt sich vielmehr situativ an: Jedes Projekt verläuft im Detail anders. Sinngemäß folgt ein designorientierter Ansatz der Argumentation, dass jede Lösung und jedes Ergebnis unterschiedlich ist. Das steht im Gegensatz zu vielen Managementschulen, in denen Prinzipien der Wiederholbarkeit, Standardisierung und Skalierung gelehrt werden. Eine designorientierte Sichtweise spricht auch von Methoden, begreift diese aber als Orientierung und Handlungsrahmen, den es situativ anzupassen gilt. Die Daten zeigen ähnliche Muster: Die Bezeichnung als Methode allein gibt wenig Auskunft über das eigentliche Verständnis und seine Anwendung. Für die einen ist es weiterhin eine Anleitung für ein garantiertes Ergebnis, andere verstehen darunter eine kreative Herangehensweise für nutzungszentrierte Lösungen. Ob eine Methode als definierte Anwendungsreihenfolge oder adaptive Herangehensweise zur Problemlösung gesehen wird, hängt demnach primär von Erfahrungswissen und disziplinärem Hintergrund ab sowie von einer grundsätzlichen Offenheit. Eine Managerin (B11) bezeichnt es ebenfalls als Methode: Durch ihre Erfahrung im Kontext von Veränderung und Innovation kann sie es aus einer gewissen Distanz betrachten und reflektierter beschreiben als diejenigen, die erstmals mit Design Thinking in Berührung kommen. Sie betont, dass der »Kontext über die Sinnhaftigkeit und Art der Anwendung entscheidet«. Unter Kontext versteht sie den unternehmerischen »Nährboden«, der die VW-Eigenlogik beschreibt. Im weiteren Gespräch berichtet sie, dass die Erfahrung von Mitarbeitenden und die zu lösende Aufgabe gemeinsam betrachtet werden müssen. Erst im Anschluss daran könne beantwortet werden, ob und welche Anwendung von Design Thinking Sinn mache. Für sie haben beide Aspekte einen Einfluss auf die Arbeitsweise, auf Prinzipien und Werte in der Unternehmenspraxis und müssten in die Erkenntnisse einbezogen werden. Sie betont, dass sie diese kritisch-reflektierte
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Perspektive im Hype um »neue Methoden« vermisst. Implizit spricht sie sich dafür aus, Design Thinking nicht als »anwendungsfertige Methode« zu betrachten, sondern als etwas, das sich flexibel dem Umfeld anpasst, um sein Potenzial zu entfalten. Ihr Verständnis ist demnach nah an einem designorientierten Methodenbegriff, welches besagen würde: Design Thinking ist insofern auch eine Methode, als dass sie sich situativ anpasst und nicht per se ein Selbstzweck ist. Die illustrativen Beispiele einer kritisch-ganzheitlichen Sichtweise sollen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch gegenteilige Sichtweisen existieren, wie die eines IT-Topmanagers (B7): Design Thinking ist eine abgekapselte Aktivität. Es ist ein Werkzeug und steht wie ein Buch im Regal. Wenn irgendeiner ein Problem hat, dann ist das ein Werkzeug, mit dem man sich drei Tage einschließt und die entsprechenden Elemente nutzt, wie Produkte basteln oder Interviews mit Kunden oder Stakeholdern. Ich sehe es als geschlossenes Dings, was man anwenden kann, um eine Lösung herbeizuführen. Für ihn ist es ein Werkzeug für das Lösen von Problemen, das unabhängig vom Kontext funktioniert. In einem technikaffinen Umfeld werden Produktionsmaschinen oder Programme wie Excel oder InDesign auch als Werkzeug oder Tool bezeichnet. Ähnlich wie beim Begriff der Methode gibt es aber auch hier unterschiedliche Vorstellungen, die u.a. vom disziplinären Hintergrund geprägt werden. Dem Zitat lässt sich entnehmen, dass sein Verständnis Design Thinking nicht mit Design assoziiert, sondern als Problemlösungswerkzeug begreift. In seiner Beschreibung dagegen ist es ein Werkzeug, das ein positives Ergebnis verspricht – vergleichbar mit einem Schraubenzieher, der eine Schraube löst, oder mit einer Exceltabelle, die Summen addiert. In der Praxis zeigen die Beobachtungen auch, dass die Begriffe Werkzeug, Toolkit oder Methode häufig synonym und nicht trennscharf verwendet werden. Unterschiede zeigen sich vielmehr darin, ob jemand ein isoliertes Verständnis von Design Thinking hat oder ob jemand es bereits in Zusammenhänge mit dem Kontext setzt. Beide Sichtweisen machen den nächsten Aspekt deutlich, in der sich Auffassungen unterscheiden: Auf der einen Seite zeigt sich ein anpassungsfähiges,
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kontextabhängiges Vorgehen, auf der anderen Seite ein vorgefertigtes Werkzeug, das kontextunabhängig ein Problem löst.
Kreativwerkzeug und Umgang mit Unsicherheit Die vorherigen Aspekte zeigen, inwiefern das (nicht) vorhandene Erfahrungswissen das Verständnis von Design Thinking formt und dass die Verständnisse zwischen Werkzeug und Denkweise changieren. Eine technokratische Grundhaltung fördert dabei das Verständnis von Design Thinking als schematischer Anwendungsprozess. Der dritte Aspekt bestätigt die Relevanz der inneren Haltung und Denkweise als Grundlage dafür, wie Mitarbeitende es aufnehmen und begreifen können. Die folgenden Ausführungen einer Design Thinkerin (B3) eröffnen eine neue Sichtweise: Im illustrativen Beispiel hat Design Thinking den Zugang zu Praktiken, Methoden und Werkzeugen verändert. Diese ganzen Kreativtools sind demokratisiert worden. Über Design Thinking hat eine Demokratisierung der Tools und der Designprozesse stattgefunden. Das heißt, man gibt Menschen die Möglichkeit und die Tools, ihre Umgebung zu gestalten. Kollaborieren und keine Hierarchien sind Design-Thinking-Prinzipien. Es geht darum, Experten zusammen zu bringen, die gleichwertig beitragen und ihre kollektive Intelligenz nutzen. Für sie ist Design Thinking eine erlernbare, gestaltende Arbeitsweise für jeden und nicht (nur) eine disziplinäre Arbeitsweise für professionelle Designer:innen. Sie hebt hervor, dass in den Zeiten, bevor die Digitalisierung vermehrt Einzug hielt, es Vorkenntnisse benötigte, um etwa ein komplexes Designprogramm zu bedienen. Heutzutage stehen Programme und Plattformen zur Verfügung, die es ermöglichen, ohne spezielle Vorkenntnisse oder Expertisen ein Logo oder Ähnliches zu gestalten. Im Gespräch vergleicht sie diese Entwicklung mit der in der Musikindustrie oder in der Digitalfotografie. Die Techniken an sich seien es nicht mehr, die exklusiv wären. Vielmehr spiele der Zugang eine Rolle.
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Jedoch weist sie auch darauf hin, dass trotz demokratisierter Zugänge individuelle Unterschiede beim Erlernen und Anwenden auftauchen. Design Thinking stelle zwar Kreativwerkzeuge und Methoden bereit, aber der disziplinäre Hintergrund und das individuelle Erfahrungswissen im Umgang mit Offenheit und Unsicherheit bestimmen die Anwendung. Sie begreift es daher als kreativitätsfördernden Ansatz aus unterschiedlichen Werkzeugen und Methoden, verortet seinen Ursprung jedoch im Design. Während Designer:innen für sie intuitivexplorativ Neues, bisweilen Imaginatives, entwickeln, sind BWLer:innen diejenigen, die Strukturen, Muster und Gemeinsamkeiten im Gegebenen analysieren – jedoch, so die Interviewpartnerin, würden sie nichts darüber hinaus entwickeln. Diese Unterscheidung beobachtet sie in ihrer langjährigen Tätigkeit im Kontext digitaler Innovationen: Klassische Managementleute bei VW und Designer haben eine fundamental andere Art zu denken und an Probleme heranzugehen. Der Designer macht auf, und der BWLer macht zu. Das ist im Studium trainiert worden. Am Anfang vom Designstudium sind die Leute in der Lage in fünf Minuten zehn Ideen zu entwickeln, und am Ende des Studiums können sie in den fünf Minuten 100 Ideen entwickeln. Als BWLer denke ich immer analytisch und suche nach Mustern. Sie betont, dass Menschen unterschiedliche Sichtweisen entwickeln, trotz gleicher Zugänge zu Büchern, Artikeln und Schulungen. Sie ergänzt, dass kreatives, divergentes Denken zu Prozessbeginn notwendig sei, was Designer:innen leichter gelinge. Eine andere erfahrene Design Thinkerin (B4) berichtet von ähnlichen Erfahrungen: »Wir haben eigentlich alle dieselben Dinge gelernt und trotzdem funktioniert es bei manchen und sie haben einen natürlichen Zugang dazu und bei manchen halt nicht.« Ein anderer Designer (B1) ergänzt, dass »der Unterschied darin besteht, ob du ein Bewusstsein darüber hast, was Design im Tiefen kann und wirklich ein Vertrauen hast in diese Philosophie«. Er macht auf die unterschiedliche Durchdringung aufmerksam. Erfahrene Design Thinker:innen haben ein umfangreiches Erfahrungswissen erworben und eine ausgeprägte Intuition im Umgang mit Unsicherheit und Offenheit in Gestaltungsprozessen. Andere
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konnten diese Erfahrungen noch nicht machen und neigen daher eher dazu, verunsichert zu reagieren, wenn das Team keine Entscheidung findet, die Ideen noch nicht zum Ausgangsproblem passend oder zu zukunftsorientiert erscheinen. Die Unsicherheit auszuhalten, fällt ihnen schwer, da Vertrauen dahingehend fehlt, dass das Projektergebnis sich entwickeln wird. Um seine Position zu verdeutlichen, vergegenwärtigt die nachfolgende Aussage, wie er die Zusammenarbeit mit jemandem beschreibt, der wenige Berührungspunkte mit Design Thinking hat: Der VW-Kollege hat diesen klassischen Projektmanagementansatz. Das heißt, Projekte werden ganz dezidiert strukturiert. Bei Design Thinking ist das mehr eine Gefühlssache. Der Kollege ist sehr offen, lässt sich vollkommen darauf ein und lässt sich führen und bringt auch eine gute Struktur rein. Aber sein Designverständnis ist noch das des ausführenden Designs und des graphischen Gestaltens als HauptDesignkompetenz. Wobei unser Designverständnis ist viel weiter. Wir sehen das Visuelle als einen gleichberechtigten Teil neben anderen. Wo wir einen methodischen Ansatz sehen, sieht er einen Toolansatz. Er macht deutlich, dass es Vertrauen im Umgang mit Designansätzen benötigt, um eine offene und imaginative Sichtweise einzunehmen. Fehlt diese, zweifelt er an, dass Design Thinking ganzheitlich verstanden werden kann. Er bestätigt damit die Tendenz, dass es als Methode oder Tool bezeichnet wird, da eine ganzheitlichere Auffassung mit individuellen Erfahrungen und Kenntnissen zusammenhängt. Trotz ihrer unterschiedlichen disziplinären Hintergründe betonen die Befragten die Relevanz von Sozialisation und Persönlichkeit, die Einfluss darauf nehmen, ob eine Affinität zum Gestalten vorliegt. Diese Grundaffinität sei gegeben und forme, wie Design Thinking auf subjektiver Ebene verstanden wird. Der Aspekt macht somit auf die große Diskrepanz zwischen den Mitarbeitenden aufmerksam, die einerseits Erfahrung mit explorativen Ansätzen haben und andererseits solchen, die bisher kaum Berührungspunkte haben. Es gibt unter den Befragten jedoch nur wenige mit diesem offenen Zugang, viele langjährige Mitarbeitende vertreten eher eine technokratische Sichtweise. Ohne weitere Unter-
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stützung in ihrem Arbeitsalltag tendieren sie dazu, Design Thinking als schematisch-methodische Anleitung zu begreifen. Die Notwendigkeit, die subjektiven Haltungen zu berücksichtigen und zu adressieren, scheint bei Design Thinking aufgrund seiner Andersartigkeit besonders aufzutreten. Bei VW wirken die neuen Prinzipien konträr zu den etablierten und führen zu innerorganisationalen Umsetzungsproblematiken für Mitarbeitende, was sich in den Unterschiedlichkeiten zeigt.
Erwartungen an den Anwendungskontext Die systematisierten Erwartungen in diesem Teilkapitel ergänzen die vorherigen Sichtweisen und stellen ein umfassenderes, ganzheitliches Bild auf den Forschungsgegenstand dar. Als Anwendungszweck wird der verstanden, den die Befragten in der Unternehmenspraxis artikulieren, da es keine strategische Vorgabe dazu gibt, was bei VW von Design Thinking erwartet wird. Die Leitfrage für diesen Abschnitt lautet demnach: Was soll Design Thinking eigentlich bewirken? Im Hinblick auf diese Frage lassen sich in den Daten unterschiedliche Beschreibungen finden.
Nutzer:innen- und Technikzentrierung In Bezug auf die Erwartungen, die Mitarbeitende an die Anwendung formulieren, drückt sich die erste Polarität darin aus, dass einige die Fokussierung auf potenzielle Nutzende und ihre Bedürfnisse als einen wertvollen Beitrag sehen, den Design Thinking leisten kann. Andere wiederum empfinden diese Menschzentrierung als herausfordernd für ein Unternehmen, das bislang durch technischen Vorsprung erfolgreich ist. Die folgenden Kernzitate repräsentieren daher die explizierten Erwartungen. Eine Marketingmitarbeiterin (B4) verknüpft jede Form von Design mit Nutzer:innen: »Design hat immer etwas mit dem Nutzer zu tun. Für mich ist Design etwas, was die Nutzung eines Service gestaltet, so dass es einfach konsumierbar oder nutzbar ist.« Ihre Aussage zeigt, dass sie die Aufgabe von Design Thinking darin sieht, etwas zu gestalten, das eine Begehrlichkeit weckt. Für sie leistet
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die Anwendung einen Beitrag zur Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen. Damit schreibt sie Design Thinking eine originäre Funktion der Designdisziplin zu: die Nutzer:innenzentrierung. Im Gespräch führt sie weiter aus, dass eine veränderte Nutzer:innenrolle demnach auch auf bestehende Prozesse, Vorgehensweisen und Interaktionen wirke. Bisher ist eine Nutzer:innenperspektive überwiegend in indirekter Form durch quantitative, soziodemografische Daten in Marktforschungsstudien präsent. Kund:innenpräferenzen werden dort in Onlinebefragungen, ermittelt. Diese etablierte Vorgehensweise gibt Einschätzungen zu vordefinierten Fragen, Präferenzskalen oder Produkteigenschaften. Für eine Abfrage realer Bedürfnisse eignet sich das Vorgehen weniger. Design Thinking, so die überwiegende Meinung der Befragten, beobachtet reale Kund:innen dabei, wie sie sich verhalten. Es geht darum, die Probleme im Alltag, etwa bei Besorgungen, Haushaltstätigkeiten wie Kochen oder Waschen, oder auch Services rund um das Fahrzeug wie Tanken oder Parken zu verstehen und Lösungen dafür zu entwickeln, die begehrlich sind. Häufig werden dafür Menschen befragt oder beobachtet. In dieser Feldforschung verändern Nutzer:innen ihre Präsenz dahingehend, dass sie real und handelnd werden. Im Vergleich dazu besteht eine Onlinebefragung aus Zahlen, die eine Präferenzverteilung angeben, die für Befragte und ihre Probleme aber nicht erlebbar sind. Der Umgang mit Erkenntnissen, die in einer Beobachtungsstudie gewonnen werden, ist bisher wenig genutzt worden und stellt damit für viele Mitarbeitende eine Neuigkeit dar. Sie lernen qualitative Befragungen und Beobachtungen erstmals in einer Schulung kennen. Die möglichen Vorteile, die weitreichendere Kenntnisse über Nutzende und ihre Lebenswelt für das Verstehen ihrer Bedürfnisse mit sich bringen würden, werden argumentativ von vielen verstanden, so eine Marketingmitarbeiterin (B4): Die Leute wenden bestimmte Elemente an, ohne dass sie wissen, was Design Thinking ist. Sie haben verstanden, dass sie kundenorientierter denken müssen und versuchen näher an Kunden ranzukommen.
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Für erfahrene Design Thinker:innen wie die Befragten B1, B3 oder B10 bleibt die Nutzer:innenzentrierung eine originäre Designfunktion. Warum diese im industriellen Kontext bei VW – verpackt als Design Thinking – neuartig und attraktiv erscheint, beschreibt eine Designmanagerin (B10): Das sind alte Prinzipien, wie man Dinge entwickelt: mit Research und Kundenbedürfnissen beginnen. Über die Jahre hat man nicht mehr den Nutzer in den Mittelpunkt gestellt, sondern das Businessmodell. Das wichtige im Design Thinking ist, der Kunde oder der Mensch steht im Mittelpunkt. Wenn ich mich darauf konzentriere, dass ein Benefit für den Nutzer entsteht, dann ist auch ein Businessmodell gegeben. Sie kritisiert, dass dieser Fokus in der Vergangenheit zugunsten des Geschäftsmodells verändert wurde. Infolgedessen seien Nutzer:innen und ihre Bedürfnisse nicht gleichwertig zu technischen Innovationen und ökonomischer Realisierbarkeit im (automobilen) Designprozess berücksichtigt worden. Sie traut Design Thinking jedoch eine Rückbesinnung auf die ursprüngliche Designfunktion zu, indem es den Menschen wieder in den Mittelpunkt von Entwürfen in Produktentwicklungsprozessen stellt. Zugleich macht sie (B10) deutlich, dass sie nicht glaubt, dass aus der Anwendung per se nutzer:innenzentrierte Produkte entstehen: »Also ich kann Design Thinking machen ohne Ende, wenn ich das nicht verinnerlicht habe, nützt mir diese ganze Vorgehensweise nichts.« Die methodisierte, prozessartige Ausprägung von Design Thinking bei VW greift ihr nicht weit genug, um einen relevanten Beitrag im gegenwärtigen Wandel zu leisten. Sie glaubt, dass es ein tiefgreifendes Designverständnis brauche, damit die Funktion nach Nutzer:innenzentrierung eingelöst werden könne. Das wiederholte Anwenden von Design Thinking im Sinne einer Anleitung wird ihrer Meinung nach nicht dazu führen, nutzer:innenzentrierte Produkte zu entwickeln. Dennoch scheint das Credo der Hinwendung zu den Nutzenden entscheidend zum Auftrieb von Design Thinking beizutragen. Denn nicht nur Mitarbeitende mit einem systemischen Design-ThinkingVerständnis propagieren die Nutzer:innenzentrierung. Die Notwen-
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digkeit erkennen auch diejenigen, die in technisch-funktionalen Bereichen wie der IT arbeiten. Ein Topmanager (B7) beschreibt: »Ich sehe jetzt nicht irgendetwas, was mit Produkt, Produktvision und Produktbeschreibung zu tun hat und man nicht mit Design Thinking regeln könnte.« Er verortet Design Thinking im Kontext der (digitalen) Produktentwicklung, ohne explizit eine:n Nutzer:in zu erwähnen. Ähnlich sieht es ein weiterer Manager (B13): Design Thinking ist eine radikale Kundenperspektivierung, um den tatsächlichen und vielleicht auch unbewussten Kundenwunsch und den realen Kundennutzen herauszuziehen. Also zu helfen, einen Nutzerfokus anstelle eines technischen Avantgardefokus zu setzen. Wir müssen aufhören, Sachen in unseren Autos zu verbauen, die Ingenieure toll finden, die der Kunde aber weder bemerkt noch einen Nutzen davon hat. (B13) Er erlebt die neuaufkommende Nutzer:innenzentrierung als Gegengewicht zur bisherigen Technikzentrierung bei VW. Für ihn kann Design Thinking als Hilfsmittel dienen, um kund:innenrelevante Produkte zu entwickeln. Die vorangegangenen Beiträge zeigen, dass das Argument pro Nutzer:innenzentrierung auf allen Managementebenen verwendet wird. Trotzdem stellt sich die Frage, inwiefern diese Erkenntnisse dazu beitragen, dass auch Veränderungen auf einer strukturellen, personellen oder kulturellen Ebene angestrebt werden? Darüber hinaus ist es relevant zu betrachten, was die Befragten genau meinen, wenn sie für eine Nutzer:innenzentrierung plädieren. Erst dann kann es gelingen, das verwendete Argument auch zu verstehen. Denn obwohl der Personalmanager (B13) die Vorteile und Notwendigkeiten sieht, schränkt er die Anwendung von Design Thinking auf die digitale Produktentwicklung ein: Ich sehe Design Thinking als Methode für relativ kleine softwarebasierte Produkte in direkter Endkundenanwendung. Oder tatsächlich für Fragen der Gestaltung und des Designs als solches, aber Design Thinking ist keine Universalmethode.
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Er begreift den Anwendungskontext in der Produktentwicklung als eine App-Entwicklung für Kund:innen. Damit sieht er die Anwendung in Bereichen, die nicht im Kern die automobile Produktion betreffen, sondern bei solchen digitalen Produkten wie einer App, die nun zusätzlich entwickelt werden. In technisch dominierten Bereichen wie der Motorenentwicklung sieht er (B13) keinen Sinn in der Anwendung: Wie soll bitte ein Entwicklungsteam, was die Abgasanlage nach Euronorm 6 und den kalifornischen Zulassungsregeln 2027 entwickelt, mit Design Thinking weiterkommen? Es ist eine Form von wissenschaftlicher Ableitungsarbeit, wo ich jetzt keine Anwendung von Design Thinking sehe. Große Teile des Produkts sind dem Kunden verborgen. Er sieht sie nicht, weiß auch nicht, wie sie funktionieren. Das Beispiel zeigt einerseits, wie gering die Vorstellungskraft ist, dass Design Thinking eine Veränderung in etablierten Entwicklungsprozessen leisten kann. Er argumentiert, dass Nutzer:innen die technische Funktionsweise von Motoren nicht verstehen und diese daher auch nicht nutzer:innenzentriert entwickelt werden muss. Seine Aussage verdeutlicht zwar, dass er Design Thinking für die Ideengenerierung digitaler Apps anwenden würde und das Prinzip der Nutzer:innenzentrierung grundsätzlich als sinnvoll erachtet. Allerdings rüttelt er nicht an der Hierarchie von Technik- über Nutzer:innenperspektive, die bei VW gelebt wird. Diese bestätigt auch eine Managerin (B6): Ich kenne niemanden, der sich im Rahmen des Fahrzeugbaus oder der Komponentenfertigung derzeit Gedanken über Design Thinking als Tool oder als Ansatz macht. Ich erlebe aber die gesamte Organisation in Veränderung befindlich. Wir gehen solche Prozesse immer von den technischen Notwendigkeiten an. Für so ein technologiegetriebenes Unternehmen ist das auch völlig richtig. Angenommen, ich wäre verantwortlich, Design Thinking stärker zu verankern, würde ich immer versuchen über diese Technologiegetriebenheit des Unternehmens und über die Notwendigkeit der Veränderung Ansätze zu finden und mich in die einzelnen Fachbereiche hinein zu verankern.
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Für sie bleibt der technische Fokus die Grundlage, auf der DesignThinking-Ansätze und -Prozesse aufbauen sollten. Sie empfindet es jedoch als Hindernis, dass Design Thinking bisher ohne Berücksichtigung der technischen Eigenlogik eingeführt ist. Für sie kann eine Nutzer:innenzentrierung nur dann erfolgreich sein, wenn die etablierten Prinzipien, Strategien und Vorgehensweisen berücksichtigt werden. Es geht ihr darum, nicht nur den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, sondern Design Thinking an die organisationalen Umstände anzupassen. Auch sie relativiert damit die Nutzer:innenzentrierung. Ihre Äußerung unterscheidet sich dennoch von der des zuvor gehörten Managers (B13). Er traut Design Thinking die Reduzierung des technischen Fokus zu, sie (B6) fordert, diesen zu erhalten und zu integrieren. Innerhalb des Personalbereichs scheint es keine gleichgerichtete Sichtweise auf dieses Thema zu geben. Die Managerin (B6) ergänzt die Funktion um einen weiteren Aspekt: die Adaption an den Kontext und zugleich den prägenden Einfluss des Kontextes auf das, was unter Design Thinking verstanden wird. In Ansätzen wurde von einer anderen Managerin (B11) aufgeworfen, dass sie eine situative Anpassung von Design Thinking als notwendig erachtet. Aus dem Festhalten an dieser Hierarchie spricht offenbar das Verständnis eines produzierenden Unternehmens. Die industrialisierungsgeprägte Haltung im Unternehmen veranschaulicht die bisherige Eigenlogik, deren Erfolg B13 auf eine »wissenschaftliche Ableitungsarbeit« zurückführt. Design Thinking folgt anderen Prinzipien. So sinnvoll und einfach zugänglich die Nutzer:innenzentrierung für alle scheint, entwickeln viele bis dato Unerfahrene eine Sichtweise, dass eine punktuell stattfindende Anwendung von Design Thinking wie in Schulungsworkshops ausreicht und es ohne Kontextualisierung angewendet werden kann. Andere dagegen, wie B6 im letzten Beispiel, kritisieren genau diese allzu geringe Orientierung am Existierenden. Eine Nutzer:innenzentrierung wird bejaht, aber die Vorstellungen der Mitarbeitenden variieren zwischen Technik- und Kontextzentrierung.
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Produkt- und Organisationszentrierung Obwohl der zuvor zitierte Manager (B13) sich zunächst für den Einsatz von Design Thinking bei Kund:innenprodukten ausspricht, sieht er zugleich Anwendungsgebiete innerhalb VWs und bezeichnet dies als »internes Design Thinking«. Letztes Jahr hatten wir ein internes Design-Thinking-Projekt in der Produktion. Ich bin überzeugt, dass die wenigsten Anlagen hier so bedient werden, wie die Konstrukteure das gedacht haben. Die Mitarbeiter haben eigene Wege, manchmal besser, manchmal schlechter. Die Idee war, mittels Design Thinking zu gucken, what users really need. Damit kommen wir in ein arbeitssoziologisches Feld, um Maschinen und Abläufe stärker an die Nutzungspraxis anzulehnen als aus der tayloristischen Schablone heraus, aus der es geplant ist. Seine Aussage zeigt, dass er sich ein Anwendungsgebiet für Design Thinking innerhalb der Produktion in Form einer verbesserten Bedienbarkeit von Maschinen für Produktionsmitarbeitende vorstellen kann. Seine Sichtweise darüber, was Design Thinking leisten kann, ist also konsistent. Für ihn fördert es eine nutzer:innenzentrierte Produktentwicklung. Doch sieht er diese Vorteile nicht im Bereich disruptiver Innovationen, sondern in der Verbesserung von Existierendem. Das vorherige Beispiel ist keine Haltung eines Einzelnen. Vorwiegend wird der Beitrag von Design Thinking in der Produktentwicklung gesehen. Es gibt jedoch auch Stimmen, die unter Nutzer:innen nicht (nur) die Kund:innen, sondern auch Mitarbeitende begreifen. Um nutzer:innenorientierte Produkte zu entwickeln, muss auch in der Organisation nutzer:innenzentriert gedacht und gehandelt werden. Eine Forderung, die nicht nur der CDO vertritt, sondern auch von Design-ThinkingVerfechter:innen starkgemacht wird (B4). Um das Unternehmen Volkswagen sozusagen nutzer:innenzentrierter auszurichten, gibt es bisher weder Prozesse noch Prinzipien: Wir wollen als Organisation nutzerzentrierter werden. Aber wie kann ich für den Kunden nutzerzentrierter sein, ohne dass wir es auch innen tun? Es ist glaubwürdiger, wenn wir das innen auch spüren können.
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Die Ansicht, u.a. die Produkte, die Mitarbeitende nutzen – Formulare, Intranet, Einstellprozesse oder Weiterbildungsprogramme –, nach solchen Prinzipien zu gestalten, die Menschen in den Mittelpunkt stellen, teilt die Designmanagerin (B10): Das geht ja eigentlich mit den Mitarbeitern los. Wir nennen es zwar User Experience, aber das ist unglaubwürdig, weil ich intern keine Experience feststelle. Zum Beispiel die Suchmaschine im Intranet: da sind wir weit entfernt von User Experience. Wir behaupten zwar, wir machen das für den Kunden. Aber das ist nicht möglich. Eigentlich müssten alle Mitarbeiter sagen, solche Seiten benutzen wir nicht mehr, wie der Kunde das auch macht. Wir bei VW gehen diesen Leidensweg und sagen nichts, aber wollen User Experience entwickeln. Das wird nicht funktionieren. Design Thinking wird vorwiegend mit der Integration der Kund:innenperspektive bei der Produktentwicklung verbunden. Dennoch gibt es Tendenzen dazu, es auch für interne Prozesse, Produkte und Services anzuwenden. Einige Zitate zeigen, dass die bisherige Trennung zwischen einem Innerhalb und einem Außerhalb des Unternehmens die Einführung der Nutzer:innenzentrierung hemmt. Wie B10 hinzufügt, sei deren Erleben mit Blick auf interne Prozesse kaum möglich. Die Befragte im folgenden Beispiel verdeutlich noch einmal, wie die Ausrichtung innerhalb VWs sich auswirkt: Sie spricht sich für die Anwendung von Design Thinking mit Blick auf eine menschzentrierte Perspektive innerhalb der Organisation aus. Während es zuvor vorwiegend um eine Anwendung in der Produktentwicklung ging, sieht die Managerin (B11) im Unternehmen selbst eine weitreichendere Rolle. Für sie kann es für Themen funktionieren, die »ein bisschen softer sind und in Richtung Führung, Beteiligung und Kommunikation gehen«. Eine andere Managerin (B6) stellt innerhalb dieser Themen den Mehrwert für die Zusammenarbeit und ein gemeinsames Tätigwerden dar. Ihrer Meinung nach trägt es positiv zur Veränderung bei: »Wir haben uns eine breitere enthierarchisierte, ergebnisoffene, ideenfördernde Kultur auf allen Ebenen vorgenommen. Und da können diese Ansätze eine Rolle spielen.« Während sich vorherige Funktionen von Design Thinking auf
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die Nutzer:innenzentrierung fokussieren, wird Design Thinking hier ein Veränderungspotenzial in der Unternehmenskultur zugeschrieben. Doch für die Managerin (B11) gibt es Einschränkungen: »Themen wie unsere strategische Ausrichtung, Budgetplanungseffizienz und Zielwerte werden gerade in aktuellen Zeiten nach wie vor hierarchisch gelöst.« Ihre Aussage zeigt eine Parallele zu den Einschränkungen, die andere Befragte im Bereich der Produktentwicklung sehen. Sobald es technisch oder strategisch wird, erscheint die Anwendung von Design Thinking nicht mehr sinnvoll. Im Fall der Befragten B6 und B13 meint die Umschreibung technisch nicht nur spezifische Bauteile wie einen Motor oder eine Maschine, sondern die übergeordnete, abstrakte Organisation – sprich, den strategischen Bereich. Die Managerin (B6) sieht die Anwendung in Bereichen, in denen Mitarbeitende involviert sind, wie in Zusammenarbeitsmodellen und Umgangsformen, die als Aspekte in der Entwicklung einer neuen Unternehmenskultur wirken. In Bereichen der zentralen Steuerung und Planung des Unternehmens hat die Anwendung für sie dagegen keinen Mehrwert. Design Thinking proklamiert außerdem, dass ein diverses Team vom Verstehen der Problemstellung bis hin zur Lösungsfindung gemeinsam arbeitet. Das war in der bisherigen Aufgabengestaltung anders. Viele Projekte lassen beides vermissen: ein heterogenes Team und eine kollaborative Arbeitsweise. Es gibt selten silo- oder abteilungsübergreifende Projektteams, sondern jeder Abteilung sind Zuständigkeits- und Verantwortungsbereiche zugeordnet. In vielen Abteilungen arbeiten Mitarbeitende mit ähnlichem disziplinären Hintergrund. Das erschwert es, heterogene Teams bilden zu können. Zudem sind die Verantwortlichkeiten für einzelne Projekte häufig zwischen den Teammitgliedern verteilt. Viele Mitarbeitende übernehmen daher eher die Funktion von Projektmanager:innen, die punktuell externe Expert:innen hinzuziehen oder die Projektumsetzung auslagern. Innerhalb eines Teams wird daher selten kollaborativ gearbeitet: Einzelne Teammitglieder berichten an ihre Führungskraft und verantworten Projekte. Ein Team, das nach Design-Thinking-Prinzipien arbeitet, würde wie ein interaktives Netzwerk mit vielen Interaktionskanälen funktionieren. Viele Teams arbeiten momentan jedoch nach einem
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Sternprinzip, was bedeutet, dass die Interaktion zwischen den Teammitgliedern und ihrem Vorgesetzten stattfindet, wie in der folgenden Abbildung gegenübergestellt. Letzteres heißt nicht, dass die Teammitglieder nicht informell miteinander kommunizieren. Es beschreibt eher, dass Projekte durch eine Person verantwortet werden und diese in Teambesprechungen über den Stand des Arbeitsprozesses berichtet. Der Nachteil dieser Arbeitsweise liegt darin, dass jedes Teammitglied sich in erster Linie für das eigene Projekt verantwortlich fühlt. Abb. 7: Formen der Zusammenarbeit von Teams in der Studie
In diesem Zusammenhang ist die Aussage einer Marketingmitarbeiterin (B5) zu sehen, die eine positive Funktion von Design Thinking im Gestalten neuer Interaktionsmuster sieht: Ich hatte das Gefühl, Design Thinking bringt Leute zusammen. Das ist zwar ganz schön, wirklich frei seine Gedanken auszutauschen und ein erstes Konzept zu entwickeln. Aktuell beobachte ich in meiner Abteilung aber, dass sich dieses Zusammensein wieder löst und jeder in seine eigenen Themen und Denkstrukturen zurückfällt. Bei VW konnte sich eine strukturübergreifende Zusammenarbeit von Mitarbeiter:innen bislang nicht durchsetzen, sondern findet eher punktuell statt.
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Um Handelnde wirklich zu verstehen, ist es förderlich, weiter ins Detail zu schauen. Dafür wurde die Zusammenarbeit in Teams weiter beobachtet. Wie oben dargestellt, lässt sich in den Beobachtungen grob zwischen zwei Teamstrukturen unterscheiden. Die meisten Teams am Standort Wolfsburg arbeiten in einer Sternstruktur. Einzig in den neuen Innovationslaboren konnten Teams beobachtet werden, die netzwerkartig zusammenarbeiten. In diesen arbeiten die Teammitglieder an einem gemeinsamen Projektziel und bringen ihre unterschiedlichen Perspektiven und Fähigkeiten ein. Innerhalb dieser Netzwerkstruktur gibt es keine definierten Verantwortungsbereiche oder hierarchische Entscheidungspositionen. Die Beobachtungen zeigten stattdessen, dass die Teammitglieder an einem Strang zogen und gemeinsam daran arbeiteten, das bestmögliche Ergebnis zu erreichen. Auffällig erschien, dass trotz Umgang mit neuen Formen von Zusammenarbeit etc. nicht bei allen Mitarbeitenden die eigene Situation kritisch reflektiert werden konnte. Beobachtungen zeigen auch, dass viele Mitarbeitende in den klassischen Organisationsbereichen bei Volkswagen wenig Erfahrung in anderen Strukturen erworben haben, sondern häufig seit ihrem Berufseinstieg im Volkswagen Konzern tätig sind. Neue Formen von Zusammenarbeit werden zwar angestrebt, sind aber in bisherigen Strukturen und Prozessen schwierig umzusetzen. Ein leitender Manager der IT (B7) erläutert im Gespräch die Funktion von Struktur im Wandel: Das ist immer wieder dasselbe Problem, es geht schlicht um die Zusammenarbeit. Alle schreien nach einem Zusammenarbeitsmodell mit neuen Leistungsmerkmalen, aber unter der Bedingung, nichts anders zu machen. Im Wesentlichen ist nicht wichtig, ob das Design Thinking ist oder agile Arbeitsmethoden aus Scrum, sondern es geht schlicht um eine bereichsübergreifende Zusammenarbeit. Er verortet Design Thinking im Bereich zur Verbesserung der Zusammenarbeit und kann sich künftig unterschiedliche Arbeitsweisen und -modelle nebeneinander vorstellen. Im weiteren Verlauf spricht er sich dafür aus, dass zukunftsweisende Organisationsstrukturen adaptiv reagieren sollten:
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Wir müssen drei, vier oder fünf Organisationsmodelle und Arbeitsweisen zur Verfügung stellen und dann die Teams entsprechend ihren Reifen oder ihrer Befähigung das Modell wählen lassen. Das ist mein Zukunftsbild. Er weicht damit von der vorherrschenden Standardisierung eines Arbeitsmodells ab und schreibt Design Thinking (wenn auch implizit) eine übergreifende Rolle auf Ebene der Organisationsstruktur zu. Eine Managerin im Bereich Marketing (B11) sagt im Kontext neuer Formen der Zusammenarbeit über den Einfluss von Manager:innen und ihrer hierarchischen Position aus: »Wenn Entscheider der Meinung sind, dass ein Tool oder eine Methode hilfreich ist und andere dieses bereits erfolgreich anwenden, dann können sie als Katalysator für eine neue Form des Zusammenarbeitens wirken.« Erfolgreiche Beispiele von anderen, sogenannte Best Practices, erhöhen die Glaubhaftigkeit und scheinen den managerialen Mut zu stärken, etwas auszuprobieren. Sie sieht den Beitrag darin, dass diese Beispiele Sicherheit vermitteln und unsichere Entscheidungen (vermeintlich) absichern. Sie findet es weniger wichtig, was einzelne Manager:innen unter Design Thinking verstehen, sondern betont ihre Funktion als Katalysator. Der zuvor zitierte IT-Manager (B7) bestätigt, dass Manager:innen das Neue schützen sollten, damit es sich entwickeln kann: »Wenn es einen Stakeholder gibt, der mächtig genug ist, etwas Neues zu schützen und dem Neuen Freiheitsgrade gibt, dann kriegst du plötzlich auch andere Strukturen, die du heute nicht kennst.« Neues zu schützen, heißt in Bezug auf die Zusammenarbeit vor allem, Mitarbeitende eigene Erfahrungen machen zu lassen und Modelle der Zusammenarbeit als Prototypen zu begreifen. Als schützenswert gelten auch besonders neue Ideen, wie ein Mobilitätsservice, der am Standort Berlin entwickelt wird. Die Projektleiterin (B4) berichtet: Ich glaube, dass wir gerade zu Anfang das Neue relativ gut schützen müssen vor der Einflussnahme der starken Strukturen der großen Organisation. Wir mussten dafür die Brücken lösen, wir mussten sogar einen Graben bauen. Bestimmte Strukturen hemmen uns, verlangsamen Prozesse und machen Dinge kompliziert. – Richtlinien wie
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Beschaffungsprozesse, Datenschutzsysteme töten das Kunden- oder Menschenorientierte und am Ende will niemand, noch nicht mal man selbst, das Produkt nutzen […]. Um Neues schützen zu können, scheint es bedeutsam zu sein, dass die Führungskraft eine (ausreichend) hohe Position in der Hierarchie einnimmt. Diese jeweilige Einstellung zu Design Thinking verortet es in einer experimentellen Schutzzone oder einem Reallabor für neue Arbeitsweisen. Von diesen können Impulse ausgehen, um die Organisation zu verändern. Der Mitarbeiter (B7) sieht in den Innovationslaboren oder Pilotprojekten neue Experimentierräume, in denen Arbeitsweisen in der Charakterisierung nach Design Thinking angewendet werden. Richtet man den Blick nicht nur auf die Ergebnisse dieser Labs und Projekte, seien aus seiner Sicht auch Erkenntnisse über neue Arbeitsweisen zu erhalten. Die Sichtweise des Befragten (B7) beschreibt jedoch einen bestimmten Unternehmensbereich, von diesem viele Veränderungsimpulse ausgehen. Er räumt ein, dass dies noch nicht in allen Unternehmensbereichen gleichermaßen zu finden ist. Bisher demonstrieren die genannten Beispiele übergreifende Zusammenarbeit. In Gesprächen und Beobachtungen von neuen Formen der Zusammenarbeit lässt sich auch eine gewisse Angst vor Veränderung nachzeichnen. Aus der Erzählung einer Mitarbeiterin (B9) wird das deutlich. Sie selbst entwickelt und facilitiert Workshops, in denen nutzer:innenzentrierte Ideen für Dienstleistungen zu einem zukunftsweisenden Thema entwickelt werden. Sie betont, dass es in der Themenauswahl notwendig sei, eine konkrete Zielsetzung zu definieren. Sofern dies zu vage oder offen formuliert sei, entstünden Irritationen bei Mitarbeitenden. Es bestehen Bedenken, ob ein Themengebiet nicht bereits in der Verantwortung eines bestimmten Fachbereichs läge. Die Bedenken könnten ihren Ursprung darin haben, dass Mitarbeitende mit diesem Fachbereich (nicht) zusammenarbeiten möchten oder sich Bedenken ergeben, dass ein Thema bereits bearbeitet wird und eine Konkurrenz- oder Dopplungssituation entstehen könnte. An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass zukunftsweisende Themen das Potenzial für Sichtbarkeit haben. Diese Aufmerksamkeit kann
3. Erkenntnisse aus der Praxis
kulturell mit Relevanz gleichgesetzt sein, daher ist das manageriale Interesse an solchen Themenfeldern hoch. Die Design Thinkerin reagiere auf die Irritationen. Sie adressiere, dass es die Aufgabe der Abteilung sei, Mitarbeitende zu Themen zusammenzubringen und, unterstützt durch Design Thinking, gemeinsam Ideen zu entwickeln. Sie betont, dass es darum gehen müsse, Lösungen zu entwickeln, und nicht darum, Verantwortlichkeiten zu verändern: »Ich habe in den Workshops immer zu verstehen gegeben, dass wir niemandem etwas wegnehmen wollen.« Das Beispiel zeigt, dass neue Interaktionen, wie z.B. strukturübergreifende Zusammenarbeit, Widerstände hervorrufen können. Erkenntnisreich ist, dass Design Thinking positive Effekte in silo- und hierarchieübergreifender Zusammenarbeit zugeschrieben werden. Gleichzeitig bemängeln einige der Befragten, dass sie bei diesem Ansatz ein klares Rollenmodell vermissen (B6, B13). Unter einem Rollenmodell verstehen sie eine Beschreibung von Verantwortlichkeiten, Fähigkeiten und Entscheidungsräume, die jede Rolle innehat. Das Konzept von Design Thinking von IDEO & Co. (d.school 2019) erwähnt kein Rollenmodell, sondern proklamiert die Zusammenarbeit in heterogenen Teams, die von Facilitator:innen in Workshops oder Projektarbeit unterstützt werden. Diese unterstützen das Team dabei, das gemeinsam gesetzte Ziel zu erreichen. Ob die Funktion von Facilitator:innen von einem Teammitglied übernommen wird, im Team rotiert oder von jemandem eingenommen wird, der inhaltlich nicht involviert ist, wird in der Literatur unterschiedlich ausgelegt. Die Entscheidung darüber, welche Form für den situativen Kontext passend ist, wird jedoch in den meisten Fällen von den Teammitgliedern getroffen. Ursprünglich in der IT etabliert und damit technisch verortet, basiert Scrum dagegen auf klaren Rollenzuschreibungen. Einige der Befragten führen den Vergleich zwischen Scrum und Design Thinking in diesem Punkt an. In ihren Aussagen und Anwendungsbeispielen unterscheiden sie bei Scrum zwischen einem/r Scrum Master:in, einer/m Product Owner:in und den Developer:innen. Alle gemeinsam bilden das Scrum-Team. Im Aspekt der Rollenbeschreibungen ist Scrum damit präzisier als Design Thinking. Da beide Konzepte bei VW
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angewendet werden, vergleichen die Befragten sie miteinander. Das hat zur Folge, dass einige der Befragten sich auf die Rollenbeschreibungen berufen, wenn es um die Zusammenarbeit geht, wie der Befragte B13 ausdrückt: »Design Thinking kann sicherlich Zusammenarbeit entbürokratisieren. Diese ganzen Teambuildingaspekte sehe ich aber methodisch eher bei Scrum.« Da es bei VW bisher für Mitarbeitende definierte Rollenbeschreibungen gibt, scheint das Scrum-Konzept eine gewisse Nähe zur bisherigen Eigenlogik aufzuweisen. Eine Managerin im Bereich Personal (B6) bestätigt, dass sie in dieser detaillierten Rollenbeschreibung von Scrum Vorteile sieht gegenüber Design Thinking. Im Gespräch ergänzt sie, dass derzeitige Karrierewege, Tarifstufen und Bonifizierungen auf detaillierten Rollenbeschreibungen basieren: Scrum hat ja eine sehr strikte und regulierte Form von Rollen und Umgang. Das fand ich angenehm und auch zentral für VW. Unser Zugang zu Scrum und ähnlichen Methoden ist aufgrund dieser ITNähe und dem technischen Fokus etwas einfacher. Aufgrund der erhobenen Daten könnte die Differenz in Bezug auf das Rollenmodell wie folgt beschrieben werden: Für die Anwendungskontexte von Design Thinking liegen Entscheidungen in der Verantwortung des Teams, bei Scrum hingegen gibt es ein Rahmenwerk, das als Anleitung verstanden wird. Design Thinking fordert Mitarbeitende dazu auf, situationsabhängig zu entscheiden: Letzteres würde bedeuten, dass es eine Veränderung fordert, wie Karrierewege, Bonuszahlungen oder Ähnliches entwickelt werden, wenn diese nicht auf dem Erfüllen von Rollen beruhen.
Kreativitätsförderung und Organisationswandel Eine weitere Funktion für den unternehmensinternen Anwendungskontext von Design Thinking liefert die Kategorie Kreativitätsförderung und Organisationswandel. In der Anwendung zeigt sich, dass Design Thinking vorwiegend als Kreativitätsförderer verstanden wird. Eine Befragte (B5) aus dem Marketing reduziert den Einsatz sogar darauf:
3. Erkenntnisse aus der Praxis
Design Thinking wurde als Methode genutzt, um die Kreativität und das Brainstorming zu strukturieren und zu kanalisieren. Diese Projekte sind allerdings nie in eine Implementierungsphase oder in eine Prototypenphase übergegangen, irgendwann war der Cut. Tatsächlich scheint die Anwendung einen engen Fokus zu haben. Die Personalmanagerin (B6) bestätigt diese Ansicht für ihren Bereich: »Wir nutzen Design Thinking als Ideengenerierungsbasis. Die Frage nach einem konsequenten sozusagen Implementieren habe ich in der Form nicht.« Beide Aussagen verdeutlichen die Verwendung der Ansätze im Alltag. Jedoch auch, dass in erster Linie das Ziel verfolgt wird, Ideen zu entwickeln. Ansatzweise hat sich der Kanon aus gängigen Methoden dahingehend verändert, dass das Aufkommen von Design Thinking die realen Nutzer:innen aus einer lebensnäheren Perspektive beobachtet und befragt. Um diese Interaktionen mit Nutzer:innen jedoch im Unternehmensalltag anwenden zu können, würden Veränderungen in Bezug auf den Umgang mit Datenschutz und eine Akzeptanz solcher qualitativen Methoden notwendig sein. Es wären neue Regelwerke erforderlich, die Nutzer:innenbefragungen möglich machen und qualitative Methoden etablieren. Ein weiteres Beispiel zeigt illustrativ die Hürden bei Nutzer:innenbefragungen. Eine Befragte (B9) berichtet von Hindernissen in der Researchphase: Bei Volkswagen können sie nicht »einfach los und Leute fragen«. Man brauche im Vorwege diverse Genehmigungen und »irgendwo funktioniert das alles so nicht«. Sie beklagt, dass selbst bei internen Befragungen die Prozesse des Datenschutzes eigentlich verhindern, reale Eindrücke von tatsächlichen Problemstellungen zu erhalten. In Anlehnung daran erzählt sie von einem Projekt Meisterbasisqualifizierung. Das Projektteam hatte bereits diverse Stakeholder interviewt, als ihre Unterstützung angefragt wurde: »Die haben vorgearbeitet, ihre Recherche gemacht, waren fleißig und haben präsentiert, dass sie zwei Monate lang über 30 Interviews mit diversen Stakeholdern und Kunden geführt haben. Aber nicht mit einem Meister.« Als sie daraufhin vorschlug, auch Meister:innen zu interviewen, »gingen die Probleme los«. Diese werden laut der Befragten in der Regel von Vorgesetzten
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ausgesucht. Sie ergänzte, dass einige Projektmitarbeiter:innen Bedenken hatten, ob die Meister:innen wüssten, was sie zukünftig benötigen würden und ob sie überhaupt Interesse an einer Befragung hätten. Das niedrigschwellige Vorhaben der Befragten – gemäß der Haltung »geh dahin und unterhalte mich mit denen« – ist so nicht umsetzbar. Die Anwendung von Nutzer:inneninterviews scheint also auch innerhalb Volkswagens herausfordernd zu sein. Die geäußerten Zweifel beziehen sich auf die Kompetenzen, solche Befragungen durchzuführen, und auf das Vertrauen, dass diese Vorgehensweise sinnvoll ist. Es scheint daher nicht verwunderlich, dass Nutzer:innenforschung immer häufiger an Agenturen ausgelagert wird, wie B5 zu berichten weiß: »Sobald es darum geht, externe Lebenswelten zu beobachten, läuft der Prozess immer über externe Unternehmen oder Agenturen.« Doch neben den skizzierten Hürden in der Anwendung und über die Funktion von Nutzer:innenbefragungen scheint es auch eine konträre Sichtweise zu geben. Die Anwendung von Design Thinking befähige Mitarbeitende, ihren Handlungsbereich zu gestalten. Diese anders gelagerte Dimension erwähnt eine Managerin (B3). Für sie hat es etwas Empowerndes, d.h., man stattet Menschen mit Tools aus, die es ermöglichen, dass sie ihre Umgebung gestalten. Die erwähnte Demokratisierung von Designprozessen, Methoden und Werkzeugen führt ihrer Meinung nach dazu, dass Mitarbeitende einen größeren Anteil ihrer Arbeitswelt gestalten können. Im Gegensatz zu den Schilderungen der Expertin (B6) aus dem vorangegangenen Abschnitt ist ihren Aussagen zu entnehmen, dass die Rolle von Design Thinking für sie nicht auf einen dezidierten Moment der Organisationstransformation beschränkt ist. Vielmehr sieht sie es als grundsätzliche Haltung, mit der potenziell jede:r die Arbeit – und damit die Organisation – gestalten kann. Überwiegend wird Design Thinking jedoch als Katalysator für eine kreative Ideengenerierung begriffen.
3. Erkenntnisse aus der Praxis
3.3.
Die Spannungsfelder für Anwender:innen in der Unternehmenspraxis
Der Auftrieb von Design Thinking in der Automobilindustrie und besonders im untersuchten Unternehmen geht einher mit einem Wunsch nach Veränderung. Wie deutlich wurde, integriert sich Design Thinking nicht ohne Weiteres in die etablierte Unternehmenspraxis. Die Aufgabenstellung, die sich hinter der Implementierung verbirgt, ist diffus, was dazu führt, dass es im Unternehmensalltag aus Sicht der Mitarbeitenden hakt und knirscht. Diese aufspürbaren Reibungen sind zunächst eine Reaktion von Anwender:innen auf das, was sie in der Unternehmenspraxis erleben. Die Reaktionen können allerdings implizite Hinweise auf Hürden in der Umsetzung sein, die es zu verstehen gilt. Sie können zusätzlich ein Indiz für mögliche, noch unbewusste Veränderungen sein und sind die Grundlage der eruierten Spannungsfelder, die sich während der Analyse formierten. Die Spannungsfelder sind solche, in denen sich Anwender:innen in der Praxis bewegen und Einblicke in die innerorganisationale Umsetzungsproblematik geben. Veränderungen an sich sind in Unternehmen kein neues Phänomen. Immer wieder neu sind allerdings die Formen, in denen Veränderungen stattfinden, und die Treiber, die solche anregen oder notwendig werden lassen. Dennoch gibt es nahezu keine Veränderung ohne Widerstand. Veränderungen in Unternehmen gehen für Mitarbeitende mit dem Verlassen von gewohntem Handeln einher (Junginger 2009; Buchanan 2015). Etablierte Handlungen haben einen bekannten Nutzen und sind daher im Sinne von bekannt oft bequem, da der Nutzen mit dem Aufwand verknüpft werden kann. Veränderungen dagegen haben selten routinierte Handlungen, sondern bieten viel Unbekanntes. Das Bekannte aufzugeben kann also (vermeintliche) Nachteile mit sich führen, bedeutet Aufwand und bringt mögliche Beeinträchtigungen mit sich. Hält man sich diesen Zusammenhang vor Augen, ist es nicht verwunderlich, dass das Aufkommen von Design Thinking Reaktionen weckt. Diese Widerstände treten in unterschiedlichen Formen auf: verdeckt, indirekt bis offen. Das können Bedenken, Befürchtungen oder
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Ängste sein – sie zu vermeiden oder zu unterbinden, scheint nicht möglich oder abwendbar zu sein. Die Symptome für Widerstände sind divers, aber häufig eine Mischung aus verschiedenen Emotionen. Sie finden meist auf einer impliziten, unbewussten und latenten Ebene statt. Das macht es so schwierig, sie zu erkennen und zu verstehen und infolgedessen Lösungen für die Probleme zu gestalten. Um zu verstehen, warum es knirscht, scheint es wesentlich, Widerstände als Reaktionen auf mögliche Veränderungen zu erkennen und zu analysieren. In den folgenden Ausführungen geht es konkret um die herausgearbeiteten vier Spannungsfelder, in denen sich innerorganisationale Umsetzungsproblematiken explizieren, um darauf aufbauend den möglichen Beitrag zu organisationalem Wandel herauszuarbeiten.
Exkurs: die Unternehmenssituation Sicher ist es hilfreich, sich zu vergegenwärtigen, dass sich das ganze Unternehmen zum Zeitpunkt der Studie in einer besonderen Phase der Veränderung befindet: Der Emissionsskandal und seine Folgen wirken als Treiber für Wandel, der als gegebener Umstand im Hinterkopf behalten werden muss. Es hilft auch, sich zu vergegenwärtigen, dass sich VW seit seiner Gründung im Jahr 1937 durch einen kontinuierlichen Anstieg des Umsatzes und der Anzahl der Marken, die zum Konzern gehören, zum größten europäischen Automobilhersteller entwickelt hat und diese Erfolgsgeschichte sich im Selbstverständnis spiegelt (Volkswagen 2019). Der aktuelle Wandel ist insofern einflussreich, da er etablierte Erfolgsstrategien hinterfragt und ein simultanes Verständnis als Automobilhersteller und Mobilitätsanbieter fordert. Es zeigt sich, dass die Ansichten, Werte und Prinzipien, die sich bei VW mit dem Selbstverständnis als Automobilhersteller entwickelt haben, zur bisherigen Erfolgsgeschichte gehören, aber zugleich umso schwieriger loszulassen sind. Sie lasten besonders schwer in Bezug auf die Wandelfähigkeit der Organisation. Die Faktoren, die den Erfolg von VW lange bestimmt haben, sind es jetzt, die einem Wandel zum digitalen Mobilitätsdienstleister im Wege stehen. Auftretende
3. Erkenntnisse aus der Praxis
Konflikte und Widerstände der Mitarbeitenden richten sich folglich nicht gegen Design Thinking als wahrnehmbare Manifestation eines größeren Umbruchs, sondern entstehen durch die Unsicherheit der Veränderungen. Denn, wie ein Manager (B13) festhält, »… stellt die Perspektive großer Veränderung hier bei Volkswagen für viele Leute was Beunruhigendes dar.« Hinzu kommet, dass es inmitten der Transformation darum geht, mit einer Gleichzeitigkeit umzugehen. In der Vergangenheit gab es die Herausforderung nicht, dass zeitgleich zwei vermeintlich unterschiedliche Selbstverständnisse existieren. In der gegenwärtigen Transformation walten daher Unsicherheiten darüber, was denn zukünftig zählt und wohin sich Volkswagen als Unternehmen entwickelt. Wie unterschiedlich nicht nur die beiden Selbstverständnisse als Automobilhersteller und Mobilitätsdienstleister wirken, sondern wie die Sichtweise und Verständnisse von Mitarbeitenden in der gegenwärtigen Situation differieren, zeigen die folgenden Beispiele: Eine erfahrene Design Thinkerin (B3) bestätigt, dass in Bezug auf DesignThinking-Prinzipien konträre Meinungen aufeinandertreffen. Dabei ginge es keineswegs um Projektdetails oder darum, wie neue Formate der Zusammenarbeit konkret aussehen sollen. Vielmehr nimmt sie eine Diskrepanz in Sichtweisen wahr: »Wenn du in Wolfsburg auf diese Welt des Industrieparadigmas triffst, sind die Probleme nicht die Artefakte oder wie gestalte ich ein Meeting. Sondern das Problem sind tatsächlich wirklich fundamental andere Annahmen darüber, wie die Welt funktioniert.« Design Thinking führt aus ihrer Sicht auf einer grundsätzlichen Ebene zu Konflikten und Widerständen bei Mitarbeitenden. Sie versteht die gegenwärtigen Veränderungen als Ursprung und Umstand dieser Spannungen. Eine andere Managerin (B11) schildert ihren Eindruck über die Reaktionen: Ich sehe im Moment zwei Ströme. Einerseits gibt es viel Unruhe, Verunsicherung und wahrgenommene Richtungslosigkeit, so dass ich bei vielen Menschen gerade ein Stagnieren und auch eine Desillusionierung wahrnehme. Bei anderen wiederum eher einen Aktionismus, um Teil einer Bewegung zu sein, den Zug jetzt nicht verpassen zu
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wollen und unbedingt sofort etwas verändern zu wollen. Das sind zwei ganz unterschiedliche Dynamiken. In ihrer Wahrnehmung teilen sich Mitarbeitende in zwei Lager: solche, die durch die neuen Anforderungen des Wandels verunsichert sind und abwarten, und solche, die in dieser Situation aktiv werden. Letztere begreifen die aktuelle Situation als einen Freiraum, den es zu gestalten gilt. Im Verlauf des Gesprächs beschreibt sie diese Polaritäten als Dynamik, die es zeitgleich zu orchestrieren gilt. Ähnlich sieht es ein Designer (B2), der die Angst vor dem Verlust von Relevanz als Treiber für die Einführung von Design Thinking und letztlich des Wandels sieht: Also, Wandel gibt es definitiv, neue Strategien, neue Abteilungen, aber nicht aus der Intention heraus: ›Wir wollen es gerne‹, sondern eigentlich eher nur aus dem: ›Oh Scheiße, wir müssen unseren Arsch retten!‹ Es wird sichtbar, dass erst die Notwendigkeit des Wandels die Bereitschaft formt, sich mit neuen Arbeitsweisen wie Design Thinking zu beschäftigen. Innerhalb dieses Wandels reagieren Mitarbeitende unterschiedlich. Diesen Eindruck gewann eine weitere Mitarbeiterin (B4), die viele Workshops moderiert: Designer haben sich mit Design Thinking in ihrer Ausbildung noch einmal aus einer anderen Perspektive beschäftigt. Es fällt ihnen grundsätzlich leichter so zu denken. Personen, die einen anderen Background haben und mit einem stärkeren Businesskontext erzogen wurden, fällt es immer wieder schwer. Ich erlebe, dass Nicht-Designer immer mal wieder rausfallen, wie eine Kugel aus der Kegelbahn. Für sie lassen sich professionelle Designer:innen flexibler auf diese Arbeitsweisen ein als Mitarbeitende mit einem betriebswirtschaftlichen Hintergrund. Exploratives Denken, das Entwickeln neuer Ideen und das Einnehmen anderer Perspektiven, das Design Thinking fordert, scheint bei Designer:innen ausgeprägter. Ihnen gelänge es eher, mit dem sich eröffnenden Gestaltungsraum umzugehen. Anderen wieder-
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um gelinge ein Aushalten dieser Unsicherheit nur temporär, bevor sie in etablierte, rationale und analytische Verhaltensmuster zurückfallen. Das Aufkommen von Design Thinking ist also per se als Treiber von Veränderung zu verstehen, deren Zielhafen unbekannt ist. Darin gibt es konträre Sichtweisen über die Logik einer Problemlösung und unterschiedliche Erfahrungen und Kompetenzen im Umgang mit einer explorativen Offenheit.
Das Spannungsfeld Analysieren versus Umsetzen Mit dem Aufkommen von Design Thinking entwickeln sich viele neue Arbeitsweisen. Dazu gehören beispielsweise das Führen qualitativer Interviews, ethnografische Beobachtungen und ein schnelles Erstellen temporärer Prototypen, um Nutzer:innen und ihre Bedürfnisse besser verstehen zu lernen. Viele dieser Praktiken wendeten bisher professionelle Designer:innen in Innovationsteams an. Allen anderen Mitarbeitenden sind sie unbekannt, sie beherrschen sie nicht oder nur in höchst fragmentierter Form. Auch sie verfügen über Praktiken und Prinzipien – allerdings solche, die sich von Design Thinking unterscheiden. Daher stellt sich die Frage, zu welchen Widerständen die neue Arbeitsweisen führen. Ein Beispiel zeigt sich in einem Innovationsprojekt, in dem Mitarbeitende Daten und Fakten recherchierten, bevor sie von drei Design Thinker:innen unterstützt wurden. Einer von ihnen (B1) berichtet, wie er den Stand des Projektes zu Beginn wahrnahm: Das Team hatte mit einer Agentur eine große User Journey von einem klassischen Wolfsburger Nutzerumfeld gemacht, um der Frage nachzugehen, wie die digitalen Produkte von Volkswagen miteinander interagieren können. Sie hatten versucht, das Thema visuell mit einer externen Agentur umzusetzen und hatten relativ viel recherchiert. Der bisherige Fokus lag auf dem Zusammentragen von Daten in einer Exceltabelle. Anhand dieses Projektes seien dem zitierten Designer zwei Dinge aufgefallen. Es gelang ihnen, die Informationen zu sammeln und zu analysieren, jedoch nicht einzuschätzen, wann
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die Recherchephase als gesättigt und abgeschlossen betrachtet werden kann. Es gelang ihnen nicht, eigenständig die Stagnation der Analyse aufzulösen und das Projekt in eine Umsetzungsphase zu überführen. Als die Design Thinker das Projektteam ergänzten, veränderten sie die Arbeitspraktiken. Das Team arbeitete fortan hands-on, destillierte gemeinsam wichtigste Informationen aus den gesammelten Daten und notierte sie in analoger Form, wie B1 berichtet: Wir haben alles auf einem Blatt runtergeschrieben und erhielten sechs DIN A3 Seiten aus diesen 500 User Stories aus der ExcelListe. Vieles ist weggefallen, aber die wichtigsten Sachen haben wir gescribbelt. Dafür haben wir einfach Tische zusammengestellt und angefangen mit Post-ist an den Wänden zu arbeiten. Die Rechercheergebnisse wurden konsolidiert, priorisiert und von der Exceltabelle auf Post-it-Notes übertragen und für alle verfügbar gemacht. Das Projektteam arbeitete gemeinsam im Stehen anstatt einzeln vor Bildschirmen und verknüpfte damit die Kopfarbeit mit einer Art von Handarbeit. Es gelang ihnen durch visuelles und kollaboratives Arbeiten, beide Phasen – Analyse und Umsetzung – zu verbinden. Das Beispiel beschreibt einen konkreten Beitrag der Anwendung von Design Thinking. Die Verknüpfung von Analyse und Umsetzung führt zum Entstehen eines ersten Spannungsfeldes. Beides ist in bisherigen Strukturen und Tätigkeitsprofilen getrennt: Bestimmte Unternehmensbereiche analysieren vorwiegend Sachverhalte, andere entwickeln Ideen, Konzepte und Prototypen. Die zuletzt genannten Bereiche bei VW sind diejenigen, in denen Mitarbeitende bereits Design-Thinking-Prinzipien integrieren. Bislang wird versucht, den Gegensatz zwischen Analyse und Umsetzung durch eine strukturelle Trennung aufzulösen. Design Thinking dagegen proklamiert ein iteratives Vorgehen mit divergenten und konvergenten Phasen. Das führt zu Widerständen, die wiederum Hinweise auf Veränderungen liefern.
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Strukturelles Handeln Das vorausgegangene Beispiel zeigt, dass die Anwendung von Design Thinking Spannungen auf verschiedenen Ebenen hervorruft. Ein Aspekt drückt sich durch die Kategorie Strukturelles Handeln aus. In dieser sind solche Aussagen aus den Daten vereint, die entwerfende Handlungen mit der hierarchischen Position in der Organisationsstruktur des Unternehmens verknüpfen. Einerseits werden durch die Anwendung von Design Thinking neue Begrifflichkeiten, Arbeitsmittel und Methoden eingeführt. Andererseits macht diese Einführung etablierte, aber verborgene Strukturen, Handlungen und Kompetenzen sichtbar, wie ein Manager (B13) berichtet: Ein Vorstand hat sich in seiner Endphase sehr für exponentielle Technologie, Singularity3 , Agilität, neue Arbeitsformen und Silicon Valley interessiert und das auch theoretisch aufgearbeitet und in den Konzern reingetragen. Er war aber aufgrund seines Naturells nicht in der Lage aus dieser Analyse ein Doing abzuleiten. Also er hat nicht gesagt: wir gründen jetzt agile Zentren, sondern er hat das analysiert. Der Befragte betont, dass die Position in der Hierarchie darüber entscheidet, ob Menschen eher einen analysierenden oder umsetzungsorientierten Ansatz verfolgen. Die Trennung zwischen Analyse und Umsetzung wird als üblich angesehen. Neue Themen werden auf Relevanz geprüft, aber ohne konkrete Lösungsvorschläge zu entwickeln. Diese Lösungsvorschläge werden nachfolgend durch andere Mitarbeitende oder Dienstleistende entwickelt. Eine Personalmanagerin (B6) ergänzt, dass sie ihre Aufgabe darin begreift, sich neuen Themen durch ein theoretisches Aneignen und Analysieren zu nähern, ohne konkrete Lösungskonzepte zu entwickeln, und verdeutlicht: »Wir haben uns für den Personalvorstand eine Reihe von Ansätzen wie Design Thinking angeschaut und die Frage gestellt, wie wir Ansätze aus Design und IT in die wesentlich formalistischere, in ihren Prozessen verzahnte 3
Größtenteils ist damit ein Zeitpunkt gemeint, an dem sich Maschinen mittels künstlicher Intelligenz verbessern und damit den technischen Fortschritt beschleunigen, so dass die Zukunft der Menschheit nicht mehr vorhersehbar ist.
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und mit einem langsameren Tempo ausgestattete VW-Welt übertragen können.« Sie verneint die Frage danach, ob sie selbst schon einmal Design Thinking angewendet habe. Stattdessen verweist sie auf viele Publikationen zum Thema, um ihren Wissensstand zu demonstrieren. Wie in ihrem Fall lernen viele Mitarbeitende Design Thinking durch Lektüre kennen, wenden es aber nicht an. Dies weist wiederholt auf einen Wissenszugang hin, der im Fall von Design Thinking das Learningby-Doing-Prinzip verhindert. Beide Beispiele zeigen, dass sich besonders im Management bisher vorwiegend Praktiken des Vordenkens, aber nicht solche des Umsetzens etabliert haben. Ein tatsächliches Anwenden von Design Thinking scheint mit ansteigender Verortung in der Unternehmenshierarchie abzunehmen. Stattdessen ist es eher üblich, einzelne Aufgaben an Mitarbeitende zu delegieren und ihnen die konkrete Umsetzung zu überlassen. Die Ausarbeitung eines Konzepts mit konkreten Lösungen gehört nicht zu den primären Tätigkeiten von Führungskräften – weder in ihrer Wahrnehmung noch in der Erwartungshaltung anderer. Ein Problem dieser Trennung zeigt sich u.a. in der Prozessunterbrechung: Es ist ein Wissensverlust bei der Integration der Erkenntnisse aus der Analyse in die Umsetzung zu beobachten. Implizites Wissen, das in der Analyse generiert wird, kann häufig nur unzureichend artikuliert werden. Es tritt bspw. da auf, wo qualitative Methoden wie ein Beobachten oder Befragen von Nutzer:innen herangezogen werden. Dieses Wissen kann nicht in die Umsetzung einfließen, wenn diese von anderen übernommen wird. Zudem gibt es eine Hierarchisierung zwischen analysierenden und umsetzenden Organisationsbereichen. Eine Abteilung entwickelt Leitplanken für eine unternehmerische Zukunft und ist tendenziell zu Beginn eines Prozesses, also in der Phase der Analyse, involviert, während andere dieselbe nach diesen Vorgaben mit Leben füllen. Design Thinking hingegen funktioniert explorativ und geht erforschend, erkundend oder untersuchend vor. Es geht darum, ein Problem oder ein Interessensfeld zunächst aus den Perspektiven aller Beteiligter zu betrachten und in weiterer Folge Lösungen entwickeln zu können.
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Dieser ganzheitliche Anspruch kann bei einer Teilung von Analyse und Umsetzung nur eingeschränkt erfüllt werden. Wie zuvor erwähnt, proklamiert Design Thinking das Erstellen temporärer Prototypen als einen Lernschritt – es schafft in dieser Weise etwas zum Anfassen, um Feedback zu erhalten, und plädiert nebenbei für die enge Verknüpfung von Kopf - und Handarbeit. Ergebnisse, die in vielen Abteilungen entstehen und als strategisch beschrieben werden, sind papierbasiert und daher nicht anfassbar oder erlebbar. Daher ist es häufig nicht möglich, solche strategischen Konzepte zu testen. Design Thinking würde dem entgegenhalten, »strategyze nicht rum, sondern produziere schnell was Anfaßbares, um Feedback zu bekommen«, wie die Befragte B3 es ausdrückt. Unter strategyzen werden Konzepte verstanden, die strategischer Natur sind. Die damit verbundenen Tätigkeiten, die von B3 als »strategyzen« bezeichnet werden, sind solche, die analysierend und häufig auf einer konzeptionellen Ebene liegen, aber nicht umsetzungsgetrieben sind. Design Thinking dagegen proklamiert, den Problemraum zu untersuchen, um Nutzende durch Beobachten, Befragen oder weitere qualitative Methoden zu verstehen. Im Gegensatz dazu limitieren sich Strategiepapiere auf rationale Analysen und auf Konzepte, die auf Annahmen basieren und die nicht in einem Aushandlungsprozess mit Nutzer:innen entwickelt oder erprobt werden. Für organisationale Veränderungen zeigt das, inwiefern die etablierten Strukturen Handlungen prägen.
Unbekannte Kompetenzen Im ersten Spannungsfeld bedeutet die Hierarchisierung, dass Mitarbeitende in hierarchisch hoch verorteter Position vermehrt analytische Tätigkeiten ausführen. Sie wenden demnach weniger Tätigkeiten an, die in ihrem Ergebnis etwas konkret umsetzen oder Anfassbares, Sichtbares erschaffen. Daher ist es relevant zu untersuchen, welche Methoden Mitarbeitende in dieser Analysephase bisher anwenden. Betrachtet man die Aussagen, zeigt sich deutlich, dass auch innerhalb dieser tendenziell analysierenden Tätigkeiten nur punktuell qualitative Methoden angewendet werden. Überwiegend werden quan-
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titative Ansätze zum Analysieren von Daten, Studien etc. eingesetzt. Die Haptik, der Einsatz aller Sinne und das Visuelle, allesamt typische Prinzipien von Design Thinking und notwendig für das Umsetzen eines dreidimensionalen Prototyps, sind vielen Mitarbeitenden unbekannt. Explorative, qualitative und nutzer:inneneinbeziehende Methoden finden keine Anwendung, um ein Problem zu verstehen, bevor es gelöst wird. Infolgedessen fehlen Mitarbeitenden Möglichkeiten und Fähigkeiten, Design Thinking überhaupt anzuwenden. Eine Befragte aus dem Marketing (B5) beschreibt das bekannte Vorgehen wie folgt: Ich habe das Gefühl, sobald es tatsächlich darum geht, externe Lebenswelten zu beobachten, ist das ein Prozess, der immer über externe Unternehmen oder Agenturen läuft. Die Auslagerung an Agenturen ist ein Grund, weshalb viele Mitarbeitende bislang kaum Einblick die realen Lebenswelten von Nutzer:innen haben. Daher sind sie selbst oft unsicher, wenn sie mit diesen neuen Techniken und Methoden arbeiten sollen. Diese Unsicherheit führt dazu, dass manche anzweifeln, ob ein Erlernen überhaupt notwendig sei. Dies drückte ein Schulungsteilnehmer wie folgt aus: »Warum machen wir eigentlich Design Thinking, sollten das nicht eigentlich unsere Dienstleister machen?« Die Unsicherheit zeigt sich auch in den nicht vorhandenen Kompetenzen und wenig routinierten Handlungen, die die Anwendung von Design Thinking benötigt. Das zeigt das folgende Beispiel. Eine Mitarbeiterin berichtet von mehreren Projekten, in denen sie miterlebt hat, dass Design Thinking in Form von Ideenworkshops zu Beginn von Projekten angewendet wurde. Im weiteren Verlauf beklagt sie jedoch, dass die Projekte nicht weiterverfolgt wurden. Sie (B5) berichtet, dass sie häufig in der Analyse- und Konzeptphase verharren: Es fehlt jedes Mal dieser Schritt, etwas in die reale Welt außerhalb Volkswagens zu bringen, also wirklich Themen umsetzen und greifbar zu machen. Daran sind alle coolen, heißen Themen in den letzten Jahren gescheitert. Sie beschreibt, dass viele Mitarbeitende im Entwicklungsprozess stecken bleiben und ihre Ideen und Konzepte nicht in der realen Welt
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testen (können). Das hat zur Folge, dass es schwierig wird, ein prototypisches Ausprobieren allein umzusetzen, und weiterhin Projekte an Dienstleister:innen ausgelagert werden, da schlicht das Können fehlt. Neben den bereits im vorigen Kapitel erwähnten strukturellen und prozessualen Widerständen liegt das nach Aussage Einiger am Mangel entsprechender Fähigkeiten. Ein Topmanager (B7) bestätigt das: »Die Leute, die in der alten Welt ihre Lastenhefte4 von externen Dienstleistern haben machen lassen, sind mit der Aufgabe des Doings jetzt zum Großteil einfach überfordert.« Die Einbeziehung von Design Thinking in Analyse und Umsetzung irritiert, weil die Mitarbeitenden den Wert und die Qualität dieser Neuausrichtung nicht einordnen können. Das zeigt sich in der unterschiedlichen Wertschätzung von Analyse und Umsetzung. Mitarbeitenden und Manager:innen fehlen entsprechende Kompetenzen oder sie trauen sich nicht zu, diese einzusetzen. Daher sträuben sich viele von ihnen gegen neue Arbeitsweisen – wofür Design Thinking stellvertretend steht. Die folgende Beschreibung demonstriert einen weiteren Aspekt im Hinblick auf notwendige Kompetenzen: Der Informatiker arbeitet zum Erhebungszeitpunkt seit knapp fünf Jahren als Projektmanager in der Volkswagen-IT. Einen überwiegenden Teil seines Tages verbringt er damit, via E-Mail zu kommunizieren. Im Anschluss an den Workshop wird ihm die Eingeschränktheit seiner Praktiken bewusst, sodass er im vertrauten Gespräch resümiert: »Ich habe Angst, meine Programmier-Skills zu verlernen. Ich schubse seit vier Jahren Emails.« Es berichtet, dass er das Programmieren im Studium erlernt hat, diese Fähigkeit aber bei VW kaum anwenden konnte. In einem mehrtägigen Design-Thinking-Workshop im November 2017
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Lastenhefte sind vergleichbar mit Anforderungskatalogen, die in der Regel vom Auftraggeber eines Projektes formuliert werden, um den Projektauftrag zu präzisieren. Im Lastenheft werden alle Anforderungen beschrieben, die der Auftraggeber an die Erreichung des Projektzieles stellt.
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führte er nun erstmals Nutzer:inneninterviews, beobachtete das reale Mobilitätsverhalten von Menschen, spielte Rollenspiele und baute Prototypen. Der IT-Mitarbeiter kommt aus einem Fachbereich, der grundsätzlich umsetzungsgetrieben denkt. In den ersten vier Jahren seines Berufslebens wendete er diese Fähigkeiten jedoch wenig an. Stattdessen war er in hohem Maße damit befasst, per E-Mail Prozesse zu koordinieren und zu kommunizieren. Die Formulierung »Emails schubsen« deutet darauf hin, dass er dies als minderwertig begreift. Das Kennenlernen von Design Thinking weckt bei ihm ein Reflektieren über seinen Tätigkeitsbereich. Das Beispiel zeigt, dass einige Mitarbeitende erst im Anwenden ein Bewusstsein entwickeln, welchen Tätigkeiten sie bislang nachgehen. Viele Tätigkeitsprofile sind so angelegt, dass sie von der eigentlichen Expertise entfremdete Tätigkeiten fordern, die wiederum eher delegieren und aus der Ferne lenken, anstatt in die konkrete Umsetzung zu kommen. Design Thinking führt nun Handlungen ein, die sie darüber nachdenken lässt, welchen Aufgaben sie sonst nachgehen.
Zufriedenstellende Bewertungskriterien Dazu ergänzend wird ein weiterer Aspekt in der Anwendung von Design Thinking deutlich. Eine erfahrene Managerin aus dem Marketing (B11) ist der Meinung, dass es für die Umsetzung nicht nur andere Kompetenzen benötigt, sondern passende Bewertungskriterien, und sagt: »Da fehlt uns manchmal der Mut zur eigenen Courage und zu sagen: Das ziehen wir jetzt auch durch und geben dem Ganzen die Chance, sich zu entwickeln, zu gestalten und messen es nicht an unseren üblichen Parametern.« Der Ansatz, ein Konzept in einer temporären Qualität zu entwickeln, wie einen Prototyp oder ein Testmodell, und es nicht als etwas Fertiges zu begreifen, ist unüblich. Die bisherigen Qualitätskriterien passen nicht zu den Prämissen von Design Thinking. Diese begreifen einen Prototyp als einen Konkretisierungsgrad in einem Entwicklungsprozess, der es ermöglicht, neue Erkenntnisse durch Feedback weiterzuentwickeln. Die Beispiele zeigen, dass eine Verbindung von
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Analyse und Umsetzung andere Kompetenzen, Gewohnheiten und Wertschätzungen benötigt. Das letzte Beispiel leitet zu der Frage über, wie neue Arbeitsweisen bewertet werden. Erfahrene Design Thinker:innen und Mitarbeitende finden es befriedigend, analysierende und umsetzende Tätigkeiten auszuführen. Sie kritisieren die Übergabe einer eigenen Idee an andere, da sie nicht wissen, wie diese das Konzept fortführen. Sie können jedoch durch die Arbeitsteilung der Organisation ein Projekt selten ganzheitlich gestalten. Gleiches gilt, wenn sie aus einer Analyse ein Konzept entwickeln sollen. Hier müssen sie nicht etwas Unfertiges abgeben, sondern an etwas Vorgegebenem weiterarbeiten. In beiden Fällen bringen sie ihre Expertise nur partiell ein, was zu Frustrationen führt. Eine Designerin (B9) beklagt, dass Automobildesigner:innen von Analyseaufgaben und den verbundenen Vorentscheidungen abgeschnitten seien: Die Automobildesigner kriegen immer so fertige Sachen von den Forschern. Das ist ziemlich schade, weil die Designer nie von Anfang an dabei sind. Haben die Designer noch weitere Ideen, antworten die Forscher: Nee, geht nicht, ist alles fix. Wenn du nur so einen Brocken da über den Zaun geworfen kriegst, kannst du nicht zusammenarbeiten. Hier mach mal schön. Die Designer können ja auch denken. Die mangelnde Zufriedenstellung rührt daher, dass bei diesem kooperativen Vorgehen – im Gegensatz zum kollaborativen Ansatz – bestimmte Projektbausteine unveränderbar sind. Im weiteren Verlauf des Gesprächs bestätigt sie, dass ihre Aufgaben in der Konzeptphase enden. Wenn sie als Facilitatorin in Workshops agiert, vermisst sie ebenso die Entwicklung realer Prototypen: Es ist alles nicht wirklich anfaßbar. Es sind immer irgendwelche Workshops und Projekte. Man ist am Anfang dabei. Wenn es dann an die Umsetzung geht, gibt man es an eine andere Abteilung ab. Das tut mir ein bisschen leid. Sie macht deutlich, dass dies ihre Befriedung und Motivation reduziert. Als ausgebildete Designerin ist sie es gewohnt, ein Projekt von Beginn
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bis Ende zu gestalten. Dies ist in Struktur und Verantwortlichkeiten kaum vorgesehen. Die Verantwortlichkeiten von Unternehmensbereichen und Abteilungen sind entlang des Entwicklungsprozesses für Fahrzeuge ausgerichtet. Ähnlich unbefriedigend empfindet sie (B9) es, in Meetings mit reinem Reportcharakter zu sitzen. Sie berichtet darüber, dass in ihrer Abteilung eine Hierarchieebene aufgelöst wurde und es innerhalb einer ca. 18-köpfigen Abteilung nur noch eine:n Vorgesetzte:n und Mitarbeitende gibt. Zuvor wurden die Mitarbeiter:innen von zwei Teamleiter:innen geführt. Jedes Team hatte regelmäßige Teambesprechungen, um Projektfortschritte zu präsentieren und Informationen der Leitungsebene zu erhalten. Diese Treffen haben keinen Charakter im Sinne des Machens, sondern beschränken sich auf die Weitergabe von Informationen. Mitarbeitende, die aufgrund ihrer Fähigkeiten und Erfahrungen an konkreten Umsetzungen interessiert sind, empfinden diese Besprechungen als Zeitverschwendung, wie am folgenden Beispiel deutlich wird: »Ich habe keine Zeit, anderthalb Stunden jede Woche rumzulabern. Die waren halt Chefs.« Sie räumt dennoch ihr Verständnis für Führungskräfte ein, die bisher ihre Aufgabe darin gesehen haben zu delegieren und über den Verlust dieser Aufgaben verunsichert sind. Ein weiterer Aspekt dieser Kategorie zeigt sich bei denjenigen, die Kompetenzen im Hinblick auf Design Thinking haben. Sie entwickeln digitale Produkte, scheitern dabei jedoch an etablierten Kulturen, wie der Designer (B1) bilanziert: Wir wollen ein Ziel erreichen. Wir wollen unsere Arbeit gut machen. Wir wollen aber nicht den vorgeschriebenen Prozessweg gehen, weil wir wissen, dass der nicht funktioniert. Er ist dafür da, Autos zu bauen, aber wir bauen keine Autos. Und deswegen rennen wir immer dagegen. Und da tut es weh, diese Frustration, dass du halt weißt, es geht auch anders. Er beschreibt seine Frustration über vorgeschriebene Prozesswege, die seine Handlungen einschränken. Für das Entwickeln digitaler Produkte, was seine Aufgabe ist, gibt es bislang keine Prozesse. Daher
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gilt weiterhin der Produktentwicklungsprozess, dessen Zeitvorgaben, Berichtswege und Dynamik nicht zu digitalen Produkten passen. Er empfindet eine Einschränkung in der Qualität, in der er seine Arbeit erledigen kann, da seine Arbeitsweise nicht mit den etablierten Vorgehensweisen harmoniert. Dessen ist er sich bewusst. Dennoch strengt dieser Spagat an, frustriert und kostet Energie. Die Einführung von Design Thinking verschiebt bisherige Grenzen, die zwischen Analysieren und Umsetzen und zwischen Hierarchien bestehen. In diesem Fall wird sichtbar, dass es Tätigkeitsbeschreibungen und Positionen gibt, die sich eher durch die Weitergabe von Informationen kennzeichnen statt durch ein konkretes Umsetzen, ein dezidiertes Machen.
Das Spannungsfeld Erfüllen von Vorgegebenem versus Gestalten Das zweite Spannungsfeld verdeutlicht, dass Design Thinking Mitarbeitende zugleich fordert und fördert, Neues zu gestalten und sich in einer veränderten Form einzubringen. Natürlich haben sie auch bisher Neues entwickelt. Jedoch entwickelten die Mitarbeitenden diese zumeist in einem definierten Rahmen. Dieser verschiebt sich derzeit hin zu einem neuen, flexiblen Gestaltungsraum. Design Thinking steht somit auch für einen Wechsel innerhalb der Umsetzung: von ausführenden Anweisungen hin zu gestaltenden Tätigkeiten.
Hierarchisches Gestalten Bisher ist bei VW die Entwicklung von Innovationen an einzelne Tätigkeitsprofile und Organisationseinheiten geknüpft. Beispielsweise ist es Aufgabe der Ingenieur:innen, in Forschungsabteilungen technische Innovationen zu entwickeln. Die Automobildesigner:innen entwerfen das Exterieur und Interieur von Fahrzeugen. Innovationsteams dagegen haben ein nutzer:innenzentriertes Verständnis, das den Prinzipien von Design Thinking nahesteht. Letztere verfügen über ein hohes Maß an Kreativität und Vorstellungskraft sowie die Motivation, zukunftsweisende Konzepte zu entwickeln. Resümieren kann man hier, dass sie qua Funktion gestalten.
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Design Thinking fördert Mitarbeitende dahingehend zu gestalten. Jedoch führt die Verbreiterung – oder Demokratisierung – von Kreativmethoden zu Widerständen. Eine Befragte (B5) beschreibt die Veränderung und die Verlustängste, die eintreten, wenn jeder Fachbereich eigene Ideen und Konzepte entwickelt: Alles was innovativ ist, wurde ja bislang von Ingenieuren in der konzerneigenen Forschung und Entwicklung entwickelt. Es ist mit Schmerz verbunden plötzlich zu sehen: jetzt gibt es Business Architects, Business Designer und Business Engineers oder Software Engineers, die neue Themen hereintragen. Und auch zu begreifen, dass wir diese Themen in der konzerneigenen Forschung nicht beherrschen, weil uns die Kompetenz fehlt. Das Beispiel demonstriert auch die Widerstände auf Ebene der Organisationskultur und -struktur. In dieser war es bisher vorgesehen, dass (technische) Innovationen in einem dezidierten Unternehmensbereich entwickelt werden und dann in anderen Unternehmensbereichen weiterbearbeitet werden, bis ein Fahrzeug fertig ist. Die Verbreitung von neuen Arbeitsweisen und Tätigkeitsprofilen führt nun dazu, dass neben dieser Struktur eine andere, noch informelle Vorgehensweise hinzukommt. Während einige den Gestaltungsraum begrüßen, gelingt es anderen nicht, diese Umbrüche bejahend anzunehmen. Weil sie es gewohnt sind, vorgegebene Aufgaben auszuführen, und dies präferieren, stellt der neue Gestaltungsraum für sie eine Last dar. Mit Blick auf die Industrialisierungsgeschichte und tayloristische Arbeitsteilungen klingt es zunächst nachvollziehbar und widerspruchsfrei, dass innerhalb einer Organisation wie VW einige Mitarbeitende gestalten und andere Anweisungen ausführen. Die Anwendung von Design Thinking verdeutlicht in diesem Zusammenhang einen Aspekt: Mitarbeitende, die in ihren Tätigkeiten einen Gestaltungsfreiraum wahrnehmen, beschreiben das als erfüllend. Oder wie B7 sagt: Es gibt Leute, die in ihren Persönlichkeiten und in ihrer Bewusstseinsebene einen Vorwärtsschub haben, der vielleicht nicht direkt
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vom Verändern der Arbeitsweise abhängig ist, aber erst dadurch ermöglicht wurde. Sie entwickeln ihren eigenen Stolz und empfinden durch das Gestalten Befriedigung und Verbundenheit mit dem Ergebnis. Der Grad des eigenen Schaffensfreiraums führt also dazu, dass Mitarbeitende mehr Zufriedenheit erfahren. B2 dagegen gibt zu bedenken, dass es auch seitens der Mitarbeitenden eine Anpassung an ein Unternehmen gibt: »Also muss man ja auch sagen, man orientiert sich irgendwann zwangsläufig um. Wenn man keine Hoffnung sieht in einem Unternehmen, dann überlegt man sich halt: Ist es das wert?« Das zeige sich besonders bei der Rekrutierung neuer Mitarbeitender. Der Gestaltungsspielraum innerhalb des Tätigkeitsprofils sei zunehmend entscheidend für Bewerbende, äußert ein Manager (B13) verwundert: Ich lerne auch, dass in bestimmten Welten Volkswagen kein interessantes Label ist. Leute sortieren weniger, bei welchen Firmen sie waren, sondern was für Projekte sie machen konnten und welchen Gestaltungsspielraum sie hatten. Dieser Freiraum wirke sich auf die Arbeitgeberattraktivität aus. Das nimmt eine Personalmanagerin (B6) wahr: »Ich erlebe bei Volkswagen jüngere Kollegen sehr offen für ganz neue Formen von Gestaltung.« Bisher ist dieser Gestaltungsraum an Hierarchie geknüpft. Je höher eine Position strukturell verortet ist, desto umfangreicher ist der Entscheidungsraum. Entscheiden, vorgeben und initiieren gleicht einem breiten Gestaltungsverständnis. Lange Karrierewege bis zum Management limitieren den Freiraum von Arbeitnehmenden, berichtet ein Manager (B13): Für diese Generation von hochqualifizierten Entrepreneuren, Designern und IT-Leuten ist die Starrheit der Organisation, bis man verantwortliche Positionen bekommt, deutlich zu lange. Wir können das in unseren Karrierewegen nicht abbilden. Im Silicon Valley gibt es Leute, die es mit Mitte 30 bis nach ganz oben geschafft haben. Das würde dieses Team hier gar nicht zulassen. Also die Zuschreibung von
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Verantwortung und auch von Sichtbarkeit ist sozusagen unsichtbar an Dienstalter gekoppelt. Aus seiner Sicht haben Mitarbeitende über einen langen Zeitraum einen geringen Gestaltungsfreiraum. Das mindert die Arbeitgeberattraktivität für bestimmte Personengruppen. Sofern Design Thinking also Gestaltungsarbeit demokratisiert, zeigt sich die Wirkmacht von Hierarchien ebenso in der Schutzbedürftigkeit von Neuem. Das zu gestalten, bedeute auch, Neues ausreichend vor der Organisation zu schützen. Das geht einher mit einer gewissen Hierarchiestufe, die es erst ermöglicht, diese Schutzfunktion einnehmen zu können. Er führt weiter aus: »Es scheint eine Regel zu geben, dass die Bewusstseinsebene einer Organisation nie grösser sein kann als die Bewusstseinsebene des Leiters dieser Organisation.« Für ihn (B7) gestalten Manager:innen, indem sie neuartige Projekte, Teams oder Initiativen gründen und diese dann strukturell geschützt wachsen lassen. Das deutet auf eine Kultur hin, in der sich etwas Neues aufgrund seiner Andersartigkeit per se nur schwer entwickeln kann. Im weiteren Gespräch ergänzt er dazu: »Wir bei VW denken ja immer, wir brauchen einen Vorstandsbeschluss, nur um irgendetwas zu machen. Aber das ist gar nicht wahr. Du kannst mit ganz anderen Methoden Veränderungen herbeiführen.« Er plädiert indirekt dafür, auch Hierarchien zu unterwandern, um etwas zu gestalten. Es gäbe mehr Freiräume, als von vielen wahrgenommen werden, und deutet darauf hin, dass es an vielen Stellen auch ohne formalisierten Vorgang möglich wäre zu handeln. Bisher scheinen formell wenig Gestaltungsräume und -kompetenzen wahrgenommen zu werden. Ein Manager (B13) merkt an, dass »… von ca. 1.100 IT-Leuten können ja nur 600 programmieren. Der Rest verwaltet ja Projektaufträge.« Aus seiner Sicht gehören die meisten ITMitarbeitenden damit schon jetzt nicht mehr zum »innersten Circle der Wertschöpfung«. Sie gestalten demnach nichts Neues. Ihre Tätigkeiten bewegen sich stattdessen in einem definierten Rahmen und wiederholen sich. Jedoch wächst das Bewusstsein, dass die bisherige Planung in der Projektarbeit zurückgeht und zunehmend ein höheres Maß an Flexibilität gefordert wird. Eine Managerin (B11) benennt dies: »Es ist
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meine persönliche Überzeugung, dass wir zukünftig gar nicht mehr so stark nach Plan arbeiten können, sondern eine Kompetenz entwickeln müssen, mit Veränderung agil umzugehen.« Während viele Mitarbeitende bisher vorwiegend repetitiv arbeiten, wächst die Notwendigkeit, situativ zu handeln. Das weckt Fragen danach, mit welcher Strategie dies getan werden kann, und macht zugleich sichtbar, wie, wo und durch wen bisher gestaltet wurde. Diese Standards werden u.a. durch die Einführung neuer Arbeitsweisen wie Design Thinking sichtbar und hinterfragbar. Den Prinzipien von Design Thinking ist immanent, dass möglichst viele Mitarbeitende zu Gestaltenden werden. Diese Prinzipien stoßen auf Widerstände – sowohl aufgrund von mangelndem Gestaltungsknowhow bzw. aufgrund von Gestaltungsantipathie als auch durch hierarchische Strukturen und die allgemeine Veränderungsresistenz in der Organisation. Dennoch gibt es tendenziell ein wachsendes Bewusstsein für die Notwendigkeit oder zumindest die Nützlichkeit von Veränderungen hin zu flexibel organisierten und gestaltenden Tätigkeiten. Darüber, wie die Widerstände überwunden werden können, gibt es im Wesentlichen zwei verschiedene – und verschieden optimistische – Haltungen.
Adaptives Lernen Der erwähnte Generationswechsel wird von Befragten häufig als Treiber für Veränderungen angeführt. Es scheint angenommen zu werden, dass Mitarbeitende mit einer sehr langen Betriebszugehörigkeit sich kaum ändern können, wie ein Topmanager (B7) bestätigt: In absehbarer Zeit kommt ein Generationswechsel, mit dem ganze Städte bei uns einstürzen werden – die Hoffnung habe ich zumindest. Dann wird komplett etwas Neues entstehen. Das ist der Wandel, auf den wir warten und den wir brauchen. Dieser Wandel wird nicht durch eine Veränderung an einzelnen Personen oder durch einen neuen Reifeprozess stattfinden. Er begrüßt diesen notwendigen Wandel im Bereich der IT, wo er ein Durchschnittsalter von über 50 Jahren nennt – das Festhalten
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an bestimmten Arbeitsweisen sieht der Befragte in enger Verbindung zu bestimmten Generationen. Im Hinblick auf die Einführung neuer Arbeitsweisen deutet seine Einschätzung an, dass einzelne Projekte oder Initiativen kaum für Veränderungen sorgen. Indirekt stellt er damit die Frage nach der Sinnhaftigkeit von Weiterbildung und dem Erlernen von Neuem, also einem adaptiven Lernverhalten. Zwischen der Form, wie er Wandel vorantreiben möchte, und dem dezentralen Aufbau der Innovationslabore zeigen sich Parallelen. Innovationslabore sind neue Organisationsformen mit neuen Tätigkeitsprofilen. In diesen Laboren mussten per se keine Dinge verändert werden. Entweder wurden neue Mitarbeitende eingestellt oder es haben sich auf die Positionen in den Innovationslaboren solche VW-Mitarbeitende beworben, die eine Motivation für neue, flexiblere Arbeitsweisen hatten. In Laboren wurde etwas Neues aufgebaut, das damit einer höheren Flexibilität unterliegt als festgefahrene Vorgehensweisen im Headquarter, die seit langen Jahren erfolgreich angewendet werden. Der befragte Manager (B13) kritisiert diese Dezentralisierung: Diese Labs entstehen als ein Unglaube an die Fähigkeit, dass die bestehende Organisation wirklich zeitgemäß arbeitet. Man folgt so einer Hipness. Alle Konzerne haben jetzt diese Labs irgendwo und es ist erstmal eine einfache Lösung schnell zu Andersartigkeit zu kommen. Aber in letzter Konsequenz kann man es ja nur als Misstrauenserklärung an die bestehende Organisation deuten, da es auch ausdrückt: Es gibt jetzt neue Anforderungen und Aufgaben, von denen ich glaube, die Belegschaft an den bestehenden Orten kann das nicht erbringen. Andererseits gibt er zu: Unser Hauptproblem ist, dass wir als diejenigen, die hier Bildung, Personalentwicklung, Ausbildung machen, gar nicht wissen, was sind jetzt eigentlich die Kompetenzen der Zukunft. Das macht es schon mal schwierig. Das dargestellte Vorgehen im ersten Abschnitt greift seinen Worten nach nicht mehr. In Bezug auf den Kanon an Kompetenzen und seine
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flexible Erweiterung macht er auf einen weiteren Punkt aufmerksam. Für ihn sind Mitarbeitende nicht in der Lage, Kompetenzen neu zu erlernen. Mit dieser Sichtweise begreift er Mitarbeitende als Menschen, die mit einem Kompetenzprofil ins Unternehmen eintreten, aber dieses Profil nicht um neue Kompetenzen erweitern. Das würde in weiterer Folge bedeuten, dass auch die Neueinstellung von Menschen mit bestimmten und notwendigen Kompetenzen – wie in den Innovationslaboren – bei einem »technischen Richtungswechsel« ihre Relevanz verlieren. Er führt weiter aus: Die Volkswagenphilosophie würde sagen: das sind zentrale neue Kernkompetenzen und die müssen wir insourcen. Wir müssen in der Lage sein, alle Bereiche aus eigenem technischen Vergnügen heraus zu beherrschen. Das würde einen massiven Kompetenzaufbau innerhalb der Stammbelegschaft der IT bedeuten. Wenn wir das jetzt machen, dann haben wir Leute auf dem jetzigen Stand der Technologie. Gibt es einen technischen Richtungswechsel, stellt sich die Frage, wieviel Prozent davon noch mitkommen. Haben wir nicht in zehn Jahren das Problem, dass wir ein paar tausend Leute haben, die nicht mehr im innersten Circle der Wertschöpfung dabei sind? Zudem zeigen seine Äußerungen auch eine Kritik an der Konzernorganisation insofern, dass er der Ansicht ist, dass die Personen außerhalb der VW-Strukturen viel eher up to date sind als Mitarbeitende. Stattdessen versteht er Mitarbeitende als Spezialisten eines bestimmten Bereiches. In seiner Sichtweise scheint Lernen nicht adaptiv und dauerhaft zu sein. Es deutet eher auf ein defizitäres Lernen hin, sprich Wissensdefizite durch Schulungen auszugleichen. Dies wirft die Frage auf, ob die Zukunft nicht Probleme bereithält, die kontinuierlich ein Entwickeln neuer, unbekannter Lösungswege benötigt. Eine erfahrene Design Thinkerin (B3) beschreibt ihre Tätigkeiten als etwas, das sie nie erlernt hat – prototypisch für ein lebenslanges Lernen: Ich arbeite in einem Bereich, den ich offiziell nie gelernt habe. Das kann ich nur, weil ich das Internet habe und mich mit Leuten
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austauschen kann, mir Tools rausziehen kann und natürlich auch Bücher lese. Aber das lebt von dieser Community. Design Thinking begreift jede Person als lernendes Individuum. Durch kollaborative Teamarbeit ist jede:r konstant mit unterschiedlichen Gruppendynamiken, Themen und Arbeitsweisen konfrontiert. Diese flexible Arbeitsweise fordert sie, stetig dazuzulernen, auszuprobieren und situativ zu agieren. Die Abwechslung ermöglicht kontinuierliches Lernen, was in der durch B13 skizzierten Form nicht vorhanden wäre. Ein Mitarbeiter (B8) beschreibt: Das ist halt nicht das übliche Karrieremodell. Bei Volkswagen ist immer ganz klar, was nachher rauskommt. Du hast einen bestimmten Meilenstein und definierst damit, was du dann bekommst und nicht irgendwas Anderes. Das ist eine große Schwierigkeit, um diese agilen Prozesse wirklich umzusetzen. Die letzte Kategorie stößt letztendlich Gedanken des Lernens in einer Organisation an, die Veränderung traditionell über Personalaustausch bzw. Generationenwechsel bewerkstelligt. Beide Kategorien in diesem Spannungsfeld zeigen, wie weitreichend ein Gestalten und das Verändern bisheriger Gestaltungsparadigmen in der Struktur, aber auch in Haltungen und Wertungen sind. Beide Beispiele erläutern den Aspekt der Konsequenz dieser Kultur und den Stellenwert des Lernens. Der Gedanke der gestaltenden Veränderung hat kaum einen Stellenwert in der bisherigen Unternehmenskultur. Diejenigen, die Design Thinking schon zu Beginn des Aufkommens im Jahr 2012 anwenden und in diesem Rahmen viel Aufklärungsarbeit geleistet haben, ziehen sich zurück. Frühe Verfechter:innen des Design-Thinking-Ansatzes berichten davon, dass sie es nicht (mehr) als ihre Verantwortung betrachten, den Wandel explizit zu fördern. Stattdessen ziehen sie sich zurück, um sich wieder auf ihre Projekte zu fokussieren. B4 drückt diese Tatsache sehr deutlich aus: »Ich sehe jetzt unsere Aufgaben nicht darin, die Organisation zu erziehen. Das war meine Rolle vielleicht mal vor diesen Workshops.« Eine andere erfahrene Design Thinkerin (B3) stimmt ihr zu, indem sie sagt: »Wir hatten am Anfang das totale
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Bedürfnis die Kultur zu ändern und aus Volkswagen eine lernende Organisation zu machen. Jetzt sind wir an einem Punkt, wo wir geile Produkte machen wollen. Wir sind ein Business-Innovation-Team und nicht das Change-Management.« Es zeigt sich, dass Mitarbeitende mit einer ausgeprägten Gestaltungskompetenz ihre Freiräume wieder in der Projektarbeit suchen und sich aus unternehmensinternen und strukturübergreifenden Veränderungen bewusst zurückziehen. Die Gestaltung einer lernenden Organisation5 (vgl. Senge) ist ein Ideal, das an der Beharrlichkeit bestehender Haltungen und Strukturen zu scheitern scheint.
Das Spannungsfeld Standardisierung versus Informalität Ein weiteres Spannungsfeld kann anhand einer mehrtägigen, internen Design-Thinking-Schulung, die 2017 in Berlin stattfand, aufgezeigt werden. An dem Training nahmen Mitarbeitende aus Wolfsburg und einem neu gegründeten Innovationslabor in Berlin teil. Die Spannungen zeigten sich in der Begegnung der Teilnehmenden. In den durch mehrere Coaches angeleiteten Schulungen arbeiteten sie gemeinsam an zukünftigen Mobilitätsdienstleistungen. Jede Kleingruppe bestand aus Mitarbeitenden aus Wolfsburg und Berlin. Die Berliner:innen haben neue Methoden wie u.a. Design Thinking erlernt, indem sie mit externen Coaches in ihrem Arbeitsalltag zusammenarbeiten. Diese Form des Lernens findet in Wolfsburg nur punktuell statt. Den Labmitarbeitenden fällt der Umgang mit vermeintlich kreativem Chaos leichter. Sie kommunizieren intensiver innerhalb ihrer Kleingruppen und bringen ihre Erfahrungen ein. Diesen Vorsprung demonstrieren sie, indem sie den Coach unterstützen und zugleich auf neue Aufgaben 5
Senge formuliert eine lernende Organisation als solche, »in denen die Menschen kontinuierlich die Fähigkeiten entfalten, ihre wahren Ziele zu verwirklichen, in denen neue Denkformen gefördert und gemeinsame Hoffnungen freigesetzt werden und in denen Menschen lernen, miteinander zu lernen«. Es geht also um lernfähige soziale Systeme, die offen, dynamisch sowie selbstorganisierend sind und auf äußere und innere Reize reagieren können, um sich weiterzuentwickeln und damit zukunftsfähig zu sein.
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schnell(er) reagieren. Dadurch nehmen sie unerfahreneren Kollegen den Raum, sich einzubringen. Diese reagieren verunsichert und fühlen sich unterlegen. Es scheint, als würden die unterschiedlichen Erfahrungen im Umgang mit Design Thinking diese Reaktionen herbeiführen.
Individualisierte Entfaltung Die Labmitarbeitenden präsentieren sich als neue VW-Generation und demonstrieren einen anders gearteten Habitus. In ihrer Wortwahl, im Kleidungsstil und ihrer Form der Selbstpräsentation manifestieren sie ihre Andersartigkeit. Besonders drei Kollegen haben sich seit ihrem Wechsel vom Headquarter ins Innovationslabor sehr verändert. Aus Sicht ihrer ehemaligen Kolleg:innen haben der Umzug nach Berlin und ihr neuer Tätigkeitsbereich diese Veränderung gefördert. Sie haben ihren Kleidungsstil urbanen Codes unterworfen, tragen längere Haare, Birkenstocks und kurze Hosen, kaum auffindbar in der formalisierten Krawattenkultur, die sich in Wolfsburg weiterhin hält. Treffen sie auf frühere Kolleg:innen, die diesen Wandel nicht oder indirekt erlebt haben, fallen die Unterschiede ins Gewicht. Während die einen auf formellen Strukturen und Vorgaben beharren, demonstrieren die anderen urbane Lässigkeit. Es treffen unterschiedliche Mentalitäten aufeinander: Informalität trifft auf Formalität. Im Interview berichtet ein Mitarbeiter (B1), dass es »keine Nachnamen im Lab« gibt, stattdessen sprechen sich alle mit Vornamen an, unabhängig von Alter, Berufserfahrung oder möglichem akademischen Titel. Im Headquarter herrscht vorwiegend eine formalistische Kultur, in der vieles strukturiert und definiert ist – das gilt z.B. für Berichtswege, Karrierepfade, Bonusvergütungen und formt wiederum Handlungen. Die übliche Arbeitsweise im Lab ist eher informell, kollaborativ und interaktiv. Hier gibt es auch Hierarchien, jedoch sind diese weniger ausgeprägt. Mitarbeitende arbeiten stattdessen in wechselnden Teamkonstellationen miteinander, Ideen und Kritik werden geäußert, aufgenommen, weiterentwickelt und hinterfragt. Die Autorenschaft einer Idee teilt sich zwischen allen Teammitgliedern auf. Diese Form des Kollaborierens kann als Informalität, hier als eine
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ungeregelte Autorenschaft, verstanden werden. Dieser Unterschied folgt der Intention, die Innovationslabore dezentral zu gründen und Neues zu schützen. Aus Gesprächen im Rahmen meiner teilnehmenden Tätigkeiten konnte ich die Erkenntnis gewinnen, dass die Labmitarbeitenden in den Workshops Wert darauf legen, einen neuen, unbekannten Typus von Mitarbeitenden bei VW zu demonstrieren. Sie betonten immer wieder, wie groß sie die Unterschiede zwischen ihren früheren Tätigkeiten und ihren jetzigen Handlungsfreiräumen im Lab begreifen. Mitarbeitende aus Wolfsburg beobachten diesen Typus kritisch. In Pausen finden Gespräche statt, in denen sie ihre Ängste äußern, dass dieser neue Typus in den angestrebten Veränderungen und der Digitalisierung von nun an relevant ist. Äußerungen von Mitarbeitenden im Headquarter vermitteln den Eindruck, dass sie sich unter Druck gesetzt fühlen. Möglicherweise haben sie den Eindruck, von ihnen würde indirekt eine (unfreiwillige) Veränderung oder Anpassung gefordert. Einige sehen sich in ihrer eigenen Identität hinterfragt und verspüren eine Unsicherheit aufgrund der eigenen Passfähigkeit. Im Innovationslabor hat eine andere Form von Veränderung stattgefunden: Im Lab wurden viele neue Mitarbeitende eingestellt oder wechselten (freiwillig) dorthin, um mit neuen Arbeitsweisen digitale Produkte zu entwickeln. Ein befragter Designer (B1) teilt seine Eindrücke über die Personen, die vom Headquarter ins Lab wechseln: »Grundsätzlich sind es Personen, die nicht in Volkswagenstrukturen arbeiten wollten und dann wechseln. Deswegen waren sie, glaub ich, eher vorher Fremdkörper. Die assimilieren sich ganz gut im Lab.« Beim Aufeinandertreffen der Teilnehmenden zeigen sich beide Gruppen irritiert. Die Möglichkeit, im Workshop gemeinsam zu arbeiten und die unterschiedlichen Werte, Perspektiven und Erfahrungen produktiv einzubringen, gelingt kaum. Stattdessen reagieren beide Parteien eher ablehnend und versuchen, ihre eigene Position in einer kompetitiv wirkenden Atmosphäre zu überhöhen. Die Form der sichtbaren Codes, mit denen sie gekleidet sind, sich äußern oder Interaktionen beginnen, sind unterschiedlich, und der Wunsch nach einer Formalisierung dieser Codes scheint auf beiden Seiten ähnlich. Die Unsicherheit darüber, welche Werte, Prinzipien und Verhaltens-
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weisen angebracht sind, wird versucht zu überspielen. Die Anleitung der Coaches forderte die Teilnehmer:innen auf, die unterschiedlichen Sichtbarkeiten zu ignorieren und stattdessen informell zu kommunizieren. Ziel sollte es sein, die Andersartigkeit und Heterogenität der Teilnehmenden und ihrer Beiträge eher wertzuschätzen und als Bereicherung zu verstehen. Mithilfe von Methoden und Techniken soll eine Toleranz geschaffen und damit eine Erweiterung der akzeptierten Codes gestärkt werden. Das geübte Kollaborieren setzt eine gewisse Informalität voraus und kann als Zeichen im Wandel gesehen werden. Das Beispiel dieses Workshops zeigt Reaktionen, die vermutlich aus Unsicherheit zustande kommen. Für die Fragestellung zu Widerständen in der Anwendung von Design Thinking zeigt dieser Workshop, wie Mitarbeitende aus unterschiedlichen Konzernkontexten in der Praxis einer Aufgabenstellung (aufeinander) reagieren. Dabei geht es weniger um die angeleiteten Methoden und Techniken per se, sondern um die Art und Weise des Verhaltens und der Handlungen. Doch auch hier sind es nicht die Unterschiedlichkeiten, die zu Spannungen führen. Vielmehr versuchen erfahrene und unerfahrene Handelnde, eine Hierarchisierung zu manifestieren und die Reaktionen und Äußerungen einzuschätzen. Ein Akzeptieren oder Tolerieren gegenüber der Andersartigkeit fällt schwer. Es gelingt ihnen kaum einzuschätzen, welche Äußerungen und Handlungen als richtig, angemessen, falsch oder herausragend verstanden werden, da ihnen die Beurteilungsschablone unbekannt ist. Dieser Aspekt verdeutlicht, dass Design Thinking besonders in Bezug auf Kommunikation und vermeintliche Offenheit zu Irritationen führt. Dennoch scheint eine weitreichende Irritation über angemessen oder nicht angemessen, der eigentliche Grund für die Widerstände zu sein, die sich unmittelbar an der Workshopkonstellation ablesen ließen. Wie fremdartig diese neue Informalitätskultur der Labs in bestehenden Strukturen und Kulturen wirkt, zeigen die Hemmungen, Widerstände und Unsicherheiten von Mitarbeitenden. Eine Managerin (B11) berichtet über eine junge Mitarbeiterin, die sich gegen einen Jobwechsel ins Lab entschieden hatte – dieser Mitarbeiterin schien diese berufliche Station zu unsicher, da sich dieselbe nicht im Karrieremodell abbilden ließ. Dass sich diese Tätigkeit eventuell
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negativ auf den linearen Karriereweg auswirken könnte, prägte ihre Entscheidung, so formulierte es die Managerin. Dennoch räumt sie (B11) ein, dass die etablierte Uniformität aufgelöst werden muss, und plädiert für eine höhere Varianz, ohne konkrete Lösungsvorschläge zu haben: Wir brauchen unterschiedliche Geschwindigkeiten auf den verschiedenen Themen. Aber wir brauchen auch eine Übersetzung von New Business auf das, was uns im Moment noch den Arsch rettet. Ein Topmanager (B7) erklärt im Gespräch die vorherrschende Abhängigkeit zwischen einem informellen, individuellen Entwicklungsraum und einem formalen, organisationalen Kontext und die aus seiner Sicht zugrunde liegenden Ursachen: Das Kernproblem ist, dass du Status, persönliche Entwicklung, entsprechende Monetarisierung an eine Organisation bindest und damit die Leute zwingst, wenn sie davon etwas haben möchten, dass sie sich organisatorisch entsprechend aufstellen. Seine Aussage weist noch einmal auf die häufig wenig sichtbaren, aber vorhandenen Abhängigkeiten zwischen Handlungen und Struktur des Kontextes hin. Es scheint, als wären die Organisation und ihre Kulturen, Regeln und Prinzipien prägend für individuelle Handlungen, und setzten den Rahmen für die Entfaltung von Mitarbeitenden.
Die Standardisierungsfalle Bei VW gilt bislang das Prinzip der »Gleichheit« (B10). Strukturen, Prozesse und Karrierewege unterliegen einer Standardisierung – alles gleich gestaltet, wiederhol- und vergleichbar, was sich mit dem Paradigma der Industrialisierung begründen lässt. Design-ThinkingPrämissen dagegen proklamieren eine Toleranz der Unterschiedlichkeit, um komplexe Probleme durch das Zusammenbringen unterschiedlicher Expertisen zu lösen – dies führt zu Spannungen. Im Unternehmen herrsche eine homogene Kultur, bestätigt ein Designer (B1). Sie verfestige sich dadurch, dass sich für VW tendenziell Menschen interessierten, die sich für Stabilität, Planungssicherheit und Formali-
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täten aussprechen, da sie sich Arbeitgeber aussuchen, die hinsichtlich der Werthaltungen zu ihren eigenen passen: »Von diesem klassischen Bild eines Autokonzerns wird auch eine klassische Art von Personen angezogen.« Diesen Mitarbeitenden das Einbringen und die Entfaltung ihrer Individualität und den Mehrwert von Andersartigkeit nahezubringen, stellt per se eine Herausforderung dar. Eine Designmanagerin (B10) verweist auf das subjektive Potenzial von Menschen, wenn man deren Individualität stärken würde: Wir haben bei uns [in der Designabteilung] gesagt, Corporate Identity und Corporate Design sind wichtig, aber mehr nach außen als nach innen. Da, wo es nicht nötig ist, müssen wir mehr Individualität zulassen. Tun wir aber nicht. Wir packen Menschen in fachliche Kisten, aus denen sie nicht rausdürfen. Diese Individualität, die persönliche Kreativität und Kompetenzen nutzen wir überhaupt nicht. Weil wir nicht zulassen, dass jemand aus der Kiste rausgeht, der vielleicht Interesse hat, sich irgendwo anders zu engagieren oder etwas Anderes zu machen. Und das können wir uns jetzt gar nicht vorstellen, wenn wir aus einer riesigen Organisation kommen, die alles durcheinanderhaut, und wir immer sofort an Gleichheit denken. Die bisherigen Beispiele zeichnen das Bild eines homogenen, standardisierten und wenig diversen Unternehmens. Eine Managerin (B6) trägt zu diesem Bild Folgendes bei: »Wir haben eine ganz vielfältige Mannschaft in allen Unternehmensbereichen. Aber wir müssen diesen Erfahrungsschatz stärker heben. An der Stelle würde ich mir wünschen, dass wir das konsequenter tun.« Sie nimmt durchaus eine Vielfalt wahr, sieht aber, dass ihr Potenzial häufig ungenutzt bleibt. Ein Manager (B13) teilt ihre Sichtweise. Er sieht informelle Prozesse als potenzielle Treiber für Kreativität und Wandel. Bisher sind diese wenig thematisiert und kaum sichtbar, das drückt er wie folgt aus:
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Also, insofern bin ich fest davon überzeugt, dass dieses Unternehmen eigentlich von subkutanen6 Prozessen lebt und dass der Versuch, die stärker zum Standard für die offizielle Prozessgestaltung zu machen, sehr wichtig wäre. Wie weit jetzt die Toleranz dafür gewachsen ist, da gibt es irgendwie auseinanderlaufende Pole. Eine Fraktion sagt: Das ist alles nicht so wichtig. Und eine andere, die sagt: Jetzt erst recht. Für ihn sind die existierenden Prozesse mit dem Ziel behaftet, ihren informellen Zustand in einen Standard zu überführen. Diese Ansicht teilt er nicht, sondern plädiert dafür, ein informelles Vorgehen wertzuschätzen, um einen Beitrag zu organisationalen Veränderungen zu leisten. In seiner Sichtweise werden solche Vorgehensweisen von Mitarbeitenden dann entwickelt, wenn sie die etablierten Standardprozesse nicht mehr als passend empfinden. Sie zeigen damit auch ein Problembewusstsein und entwickeln bereits Lösungen, die bisher nur wenig Anerkennung erhalten. Die von ihm beschriebene Ungeregeltheit kann als gegenteiliges Prinzip zur Standardisierung verstanden werden. Die Informalität wird derzeitig jedoch von einer Standardisierung erstickt. Im Moment gäbe es auf solche Versuche, die das Informelle stärken wollen, unterschiedliche Reaktionen: Es lassen sich Befürworter:innen unterschiedlicher Vorgehensweisen genauso identifizieren wie Gegner:innen, die Angst vor Chaos und Komplexität hegen. Anders als seine Vorrednerin (B10) bezieht sich Manager B13 weitestgehend auf Prozesse, während sich die Befragte B10 über die Kulturen, eine Verknüpfung aus dem Handeln der Mitarbeitenden, ihren Prinzipien und den Strukturen und Prozessen äußert. Bisher gelten Kriterien wie Titel und Hierarchie für viele Mitarbeitende als erstrebenswert. Sie empfinden eine (vermeintliche) Wertschätzung für einen höheren Grad der Ausbildung, gefördert durch eine höhere Bezahlung und die vorhandene Expert:innenkultur. Welche Vorbehalte gegenüber einer Andersartigkeit im Allgemeinen
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Der Begriff »subkutan« wird hier verwendet, um auf eine Subkultur, eine abweichende Arbeitskultur zu verweisen. Er wird ansonsten eher im medizinischen Kontext verwendet und meint ein Unter-die-Haut-Gehen.
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und unterschiedlichen Bildungsabschlüssen im Speziellen bestehen, wird in einem anderen Lab deutlich. Hier arbeiten Menschen mit zwei Hintergründen. Zum einen sind viele Mitarbeitende promovierte Wissenschaftler:innen mit einem Schwerpunkt Daten und Technologie. Zum anderen gibt es einen deutlich geringeren Teil, der einen betriebswirtschaftlichen Hintergrund mitbringt. Während die Forschenden ihre Aufgabe darin sehen, zukunftsträchtige Innovationen zu entwickeln, liegt es in der Verantwortung der Projektmanager:innen, wirtschaftlich zu handeln. Im Interview äußert sich eine Projektmanagerin (B12) abwertend: Bei uns arbeiten zu 80 Prozent diese Akademia-Leute. Die restlichen 20 Prozent halten den Laden wirtschaftlich am Laufen. Wir haben nur zwei Kollegen, die keinen Doktortitel haben. Also habe ich mich zu Anfang so ein bisschen intellektuell unterlegen gefühlt. Aber langsam denk ich, man braucht auch Leute, die wissen, wie der Laden funktioniert und die Stränge zusammenhalten können. Das wissen dafür die Promovierten nicht. Aber gut, es kommt jetzt gerade gut an, in den Labs promoviert zu sein. Sie zeigt im weiteren Verlauf des Gesprächs ihre Geringschätzung für Bildungshintergrund und Fachdisziplin. Grundsätzlich zeigen die Daten, dass Organisationsbereiche wie die Forschung, die mit einem höheren und vor allem für andere weniger greifbaren Freiheitsgrad verbunden werden, häufig negativ beurteilt werden. An diesem Beispiel zeigt sich auch eine eher kompetitive Haltung zwischen einzelnen Fachbereichen. Mehr noch, sofern es die Möglichkeit von Unterschiedlichkeit gibt, wird sie abgewertet, anstatt als Potenzial verstanden zu werden. Sie lässt einen Mangel an Toleranz für Unterschiedlichkeiten erkennen, wie dies bereits für Kultur und Informalität sichtbar geworden ist. Die Struktur definiert Handlungsweisen: Innerhalb dieser Struktur gelten Bildungsabschlüsse als positive, messbare Wertung. Sie folgen einer Hierarchisierung. Das Fordern von Toleranz für Informalität, wie es das Stärken informeller Prozesse tun würde, führt zum Zusammenbruch dieser Hierarchien und der Wertungen von Titeln.
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Die Hierarchisierung von Bildungsabschlüssen manifestiert sich in einer klaren »Hero-Kultur« (B8). Der Befragte beschreibt spezialisierte Menschen, die auf sich allein gestellt arbeiten, nach dieser Auffassung tun sie sich schwer, mit anderen zu kollaborieren. Ihnen ist die Expert:innenrolle vertraut, in der sie um Einschätzungen gebeten werden. Bislang herrscht auch eine Monokultur im Management. Viele Mitarbeitende haben dadurch den Umgang mit Unterschiedlichkeit nicht erfahren. Ein Designer (B2) drückt es wie folgt aus: Du hast super, super viele smarte Köpfe, die wahnsinnig ausspezialisiert sind in ihren einzelnen Bereichen. Das führt dazu, dass sie sich nur auf einen Bereich konzentrieren. Sie denken in Scheuklappen. Der Rest ist nicht arbeitsrelevant und behindert sie eigentlich nur. Wenn nicht die Möglichkeit zum interdisziplinären Austausch besteht, führt das dazu, dass Leute nicht ganzheitlich denken. Sie sehen nur einen Teilbereich des Prozesses. Das lässt in komplexen Prozessen sehr starke Probleme entstehen. Du brauchst ja am Ende immer jemanden, der herausfinden muss, warum der Prozess nicht funktioniert. Daher verwundert der Hinweis eines Managers (B13) nicht, der sich persönlich mit den formalisierten Strukturen zu identifizieren scheint. Ihm fällt eine positive Bewertung der Rolle von Facilitator:innen schwer: »Diejenigen, die diese Freiheitsgrade so verabsolutierten und zum Nonplusultra erklärten, sind jetzt nicht die Bestperformer in meinem Team.« Er räumt Design Thinker:innen nicht den gleichen Stellenwert ein wie sogenannten Rebellen in der Organisation. Rebell:innen haben für ihn einen tendenziell auffälligen Charakter, deren Auftritt in Besprechungen oder Teilnahme in Projekten einer Intervention gleicht. Sie personifizieren eine Form der Provokation und fallen durch ihre Andersartigkeit auf. Diese Rebell:innen zeigen Gemeinsamkeiten mit der Funktion von Expert:innen, indem sie weniger integrativ oder kollaborativ im Team agieren, sondern für Irritation sorgen. Das unterscheidet sie von Design Thinker:innen. Diese streben eher danach, andere zu empowern und enablen, anstatt ihre eigene Expertise zu überhöhen. Rebell:innen verfolgen Prinzipien einer Expert:innenkultur, was per se gegen ein Kollaborieren spricht. Sie zeigen aber auch keine Be-
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strebungen, die Struktur oder etablierte Vorgehensweise zu verändern, sondern wirken innerhalb dieser Strukturen durch Andersartigkeit. Design Thinking dagegen macht bisherige Strukturen sichtbar und will diese aufweichen. Damit ist die Intention eine andere als die, mit der Expert:innen agieren. Der geäußerte Wunsch nach dezentralisierten Standorten und neuen Organisationsformen erscheint als eine innovative Idee, die durch Heterogenität wirkt. Ein Topmanager weist darauf hin, Neues sei ausreichend zu schützen, um nicht von dem Vorhandenen zerstört zu werden. Dies zeigt den Einfluss des Etablierten im Wandel. Die Öffnung gegenüber einem Mehr an Toleranz scheint an neuen Standorten einfacher umzusetzen, da sie geringeren Formalitäten unterworfen sind. Zugleich haben Mitarbeitende in Labs dadurch die Möglichkeit, Impulse aufzunehmen. Das Business-Innovation-Team, das 2013 als Beratungsteam der Tochterfirma gegründet wurde, zieht im Jahr 2016 nach Berlin und pendelt projektbezogen nach Wolfsburg. Die Leiterin dieses Teams (B3) beschreibt den Umzug als Erfolg: Unser Umzug nach Berlin hat auf der einen Seite dazu geführt, dass wir viel, viel mehr in der Lage sind, von außen Input zu bekommen und wirklich zu kollaborieren. Dass du halt nicht so in deiner eigenen Suppe schwimmst. Das ist auch der größte Unterschied: du kannst Innovation nicht in Wolfsburg machen. Die Dezentralisierung der Labs ist angestrebt worden, damit Neues entstehen kann. Die Labs ermöglichen eine Unterschiedlichkeit auf einer strukturellen Ebene, eine Art Spielwiese zum Experimentieren. Die Dezentralisierung kann daher als eine Strategie gesehen werden, um die formalen Strukturen aufzubrechen, um den vorhandenen Kanon der Organisationsformen zu erweitern. Diese wird jedoch kritisch beäugt, und zwar von denen, die im Management etabliert sind, was beispielsweise auf einen befragten Personalmanager zutrifft. Er (B13) erklärt dies so: Weil wir ein produzierendes Industrieunternehmen sind, ist klar, dass die Nähe von Entwicklung und Fertigung wahnsinnige Vorteile
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hat im Hinblick auf die Erkennung von Fehlern. Das aufzugeben würde bedeuten, dass wir über eine komplett andere Firma reden. Und die würde wahrscheinlich irgendwann ihre klassischen Assets [Vermögenswerte] so geringschätzen, dass sie gegen die Wand fährt. Aus seiner Sicht ist VW ein Automobilunternehmen. Die Entwicklung von digitalen Produkten und Plattformen würde nicht die gleichen Produktionsstätten benötigen wie eine Fahrzeugproduktion. Demnach würde eine Dezentralisierung anders beurteilt als aus Sicht eines Automobilunternehmens. Er traut dem Unternehmen diesen Shift nicht wirklich zu, für ihn ist und wird VW kein Mobilitätsanbieter. Er plädiert damit auch für mehr Nähe, Kollaboration und Diversität zwischen beiden Unternehmensausrichtungen. Aufgrund der aktuellen Prinzipien und Werte sorgt die Diversifizierung der Organisationsformen für Spannungen auf einer strukturellen Ebene, bei Verantwortlichkeiten und in Bezug auf die Relevanz bestimmter Unternehmensbereiche. Eine Marketingmanagerin (B11) macht ihren Unmut über die Neugründung eines Labs in Berlin deutlich. Es entstand auf Initiative des Leiters des IT-Ressorts und sie merkt an: »Als ich gelesen habe, dass wir ein IT-Lab in Berlin gründen, habe ich mich gefragt, ob wir jetzt neue Silo-Labs gründen?« Sie drückt ihren Wunsch nach der Gründung von siloübergreifenden Organisationsformen aus und merkt dabei an, dass sie eine Umsetzung dessen in der momentanen Struktur des Unternehmens für unrealistisch hält. Bisherige Strukturen seien aus ihrer Sicht kaum mit neuen Anforderungen kompatibel. Ihre Ausführungen machen deutlich, dass auf einer formalen Ebene Organisationsbereiche, Budgets oder Verantwortlichkeiten separiert sind. In dieser Struktur entstehen Schnittstellen. Diese führen laut einer Personalmanagerin (B6) zu Spannungen: Der Rückfluss der Erkenntnisse aus den Labs ins Unternehmen ist zurzeit noch sehr gering. Das ist aufgrund dieser Entfernung und dieser sehr anderen Formen von Zusammenarbeit auch wirklich schwierig. Die Rückmeldung, die ich von Besuchern erhalte, ist, dass sie das faszinierend, interessant und innovativ fanden, aber der Transfer in unsere hiesige Arbeitswelt wird kaum vollzogen.
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Die Schnittstellen zur Stammorganisation in Wolfsburg sind seit der Gründung der Innovationslabore nicht gestaltet worden. Stattdessen entstehen Spannungen, weil eine etablierte Standardisierung auf eine neue Informalität der Labs trifft. Es fällt beiden Seiten schwer, Toleranz für die Unterschiedlichkeit aufzubringen. Ganzheitlich betrachtet, sind es genau diese Schnittstellen, die den Wandel hindern und einem Design-Thinking-Ansatz widersprechen.
Fehlende Akzeptanz von Andersartigkeit Informalität ist etwas, das nicht sofort und für alle greifbar oder artikulierbar, aber dennoch wahrnehmbar ist. Formalität dagegen bedeutet, dass bisher eine Kultur vorherrscht, die explizit, beschreibbar und festgesetzt ist. Eine Toleranz gegenüber Informalität bedeutet, damit umzugehen, dass nicht alle Prozesse vorgegeben sind, sondern individuell und situativ gestaltet werden. Die Widerstände im Umgang mit unbekannter Unterschiedlichkeit zeigen, wie mit Diversität innerhalb der Belegschaft umgegangen wird. Eine langjährige Designmanagerin empfindet es nicht als Hürde, Mitarbeitende einzustellen, die andere Qualifikationen oder Verhaltensweisen mitbringen, als bisher bei VW gefordert wurden. Sie verlassen das Unternehmen nach kurzer Zeit von selbst wieder. Sie beschreibt die Kultur wie folgt: Unsere Kultur ist so, dass Leute, die nicht in unsere Kultur passen, auch nicht ins System passen. Das System spuckt sie nach zwei bis drei Jahren wieder aus. Daran glaubt man auch, aber das ist auch eine Sicherheit nach dem Motto: Die Leute werden wir wieder los, die bringen hier nichts durcheinander. Das von ihr beschriebene ausspucken bedeutet, dass trotz unbefristeter Arbeitsverträge manche Mitarbeitende kündigen. Sie begründet diese Tatsache damit, dass diese Mitarbeitenden ein Gefühl entwickeln, die Kulturen, Prinzipien und Arbeitsweisen würden nicht zu ihnen passen. Sie beschreibt weiter, dass es für sie ein Problem sei, diese Mitarbeitenden zu halten. Daran zeigt sich, dass es schwer ist, eine Form der Diversität in einen Kontext einzubringen, der nach Prinzipien der Standardisierung strebt.
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Außerhalb der Labs hat sich die Vielfalt in letzter Zeit nicht durch Neueinstellungen erweitert. Stattdessen erlernen Mitarbeitende neue Arbeitsweisen wie Design Thinking in Schulungen. Mit Blick auf das Management bestätigt eine Befragte, dass Leitungspositionen selten von unterschiedlichen Typen von Mitarbeitenden besetzt wurden. Sie berichtet weiter: »Wenn ich gucke, wie divers wir im Topmanagement und im Vorstand aufgestellt sind, dann glaube ich, da geht noch was, um das auch glaubwürdig nach außen zu spielen.« Sie beschreibt eine vorherrschende Uniformität, mit der es schwerfalle, eine Heterogenität authentisch vorzuleben. Eine andere Expertin gibt jedoch zu bedenken, dass auch einzelne Topmanager:innen nicht für Wandel sorgen, obwohl sie aufgrund ihrer Sichtbarkeit als Vorbild funktionieren könnten. Sie befürchtet, dass vereinzelte Neueinstellungen von Expert:innen in hohen Managementpositionen Gefahr laufen, in eine sogenannte Exotenfalle zu tappen – d.h., durch Andersartigkeit aufzufallen, aber nicht für nachhaltigen Wandel sorgen zu können. Sie macht diese Bedenken konkret im Fall des CDOs7 . Er kenne das Unternehmen nicht ausreichend und seine Einstellung sei mit der Intention versehen worden, Wandel herbeizuführen. Zugleich wird ihm ein fehlender Stallgeruch (ein vielverwendeter Ausdruck im Forschungsfeld) vorgeworfen, der seine Wirkung auf den Wandel beeinflusst. Dennoch, so führt sie weiter aus, kann er durch seinen andersartigen Erfahrungshintergrund Impulse setzen, als Vorbild fungieren und den Wandel fördern – eher intervenierend als nachhaltig. Aus den Beschreibungen wird eine Notwendigkeit für mehr Vielfalt im Sinne der Profile deutlich, zugleich wird ersichtlich, dass es dafür auf einer kulturellen Ebene noch einen Mangel an Akzeptanz und Offenheit gibt. Die Standardisierung als Gestaltungsprinzip innerhalb VWs zeigt sich auch in der Auswahl der Handelnden.
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Der Chief Digital Officer verlässt seinen Posten im Juni 2018. Im Juni 2019 wird bekannt, dass er VW verlässt.
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Das Spannungsfeld Präzision versus Experimentieren Die drei bisherigen Spannungsfelder zeigen, dass das Aufkommen von Design Thinking auch eine neue Qualität des Ausprobierens mit sich bringt. Experimentieren widerspricht nicht dem Anspruch, ein präzises – das bestmögliche – Ergebnis zu erhalten. Es entwickelt stattdessen individuelle Qualitätskriterien, überprüft und hinterfragt sie. Statt vordefinierter Prozessschritte und Qualitätskriterien werden diese im Vorgehen entwickelt. Dieses flexiblere, prozessuale Vorgehen entspricht nicht den bisherigen Vorgehensweisen und Handlungen, die sich nach detaillierten Prozessplänen richten. Dabei sind einzelne Schritte mit konkreten Zielen versehen, die als Meilensteine erreicht werden. Design Thinking in der Ausprägung von IDEO & Co. schlägt ein iteratives Vorgehen vor, das sich dadurch auszeichnet, dass es ständiges Pendeln zwischen einzelnen Projektphasen zulässt, wenn die Ergebnisse das Projektteam nicht zufriedenstellen oder zielführend erscheinen. Etablierte Vorgehensweisen bei VW dagegen folgen einem Wasserfallmodell. Diese verfolgen den Gedanken, Entwicklungsvorhaben zu unterteilen, zu optimieren und zu kontrollieren. Treffen diese beiden unterschiedlichen Herangehensweisen in der Praxis aufeinander, treten Widerstände auf.
Erlebte Zweisprachigkeit Im Vertrieb wird in einem Projekt nach Design-Thinking-Prinzipien gearbeitet, indem unter anderem Personas zum Einsatz kommen. Personas sind fiktive Charaktere, die basierend auf Bedürfnissen entwickelt werden, um unterschiedliche Nutzungstypen zu illustrieren. In diesem Projekt dienen Personas dazu, die einzelnen Fahrzeugmodelle voneinander zu unterscheiden bzw. die Positionierung einzelner Fahrzeugmodelle zu unterstützen. Die Sinnhaftigkeit und den Erfolg dieses Ansatzes beschreibt B4 wie folgt: Es kommt in Besprechungsrunden immer die Frage auf, ob neue Fahrzeuge bestehende Modelle substituieren oder sich von diesen genug differenzieren. Oft sind 1-2 Mitarbeiter in diesem Meeting,
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die an den Workshops teilgenommen haben und antworten: »Das ist doch ganz klar, das ist Lisa und das ist Stefanie. Ich habe das Gefühl, dass diese Geschichten zumindest bei den Teilnehmern sehr stark im Fokus sind. Ich glaube daran, wenn diese Leute weiter an diesen Fahrzeugkonzepten arbeiten, dass sie diese Geschichten im Kopf haben. Ein Problem ergibt sich in dem Moment, wo dieses Denken und dieser Sprachgebrauch den Workshopkontext bzw. den Kreis der Eingeweihten verlassen. Vor allem dann, wenn die Ergebnisse nach außen kommuniziert werden. B4 gibt zu bedenken: Im Workshop haben wir unterschiedliche Lebenswelten entwickelt. Wir haben das bewusst auf einer Arbeitsebene gehalten und das Management im Nachgang über die Erkenntnisse informiert. Wir haben uns wirklich gefragt, wie können wir jetzt die Ergebnisse dokumentieren und diese Storys runter schreiben. Die wirken aber auf dem Blatt Papier alle ein bisschen läppisch. Wir haben sie trotzdem präsentiert, wohlwissend, dass das reine Lesen dieser Lebenswelten nicht den gleichen Impact hat wie eine Teilnahme am Workshop. Ihre Ausführungen vergegenwärtigen einen divergierenden Zugang zur Problemstellung: Manager:innen haben nicht die gleichen Erfahrungen im Entwicklungsprozess machen können wie die Teilnehmenden – ihnen sind Lisa und Stefanie als fiktive Charaktere schlicht unbekannt. Die Befragte (B4) beschreibt eine weitere Diskrepanz, die in der Form der Ergebnispräsentation sichtbar wird. Im Workshop entstehen andere Ergebnisse als in Projekten im Arbeitsalltag. Diese durch neuartige Arbeitsweisen gewonnenen Ergebnisse treffen auf einen unveränderten Kontext, der durch traditionelle Managementbesprechungen markiert wird. Diejenigen, die mit Design Thinking arbeiten, werden daher aufgefordert, ihre Ergebnisse in eine verständliche Sprache (rück-)zuüberführen. Dabei ist nicht primär die Sprache ein Problem, sondern vielmehr die Art und Weise der Deutung und Übersetzung im Entstehungsprozess, der viel lebendiger und mehrdeutiger ist, als die Papierform widerspiegeln kann. Teilnehmer:innen haben reale Lebens-
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welten nachgezeichnet, Geschichten und Bedürfnisse nachempfunden und müssen dies nun in rational greifbare Argumente einbetten. In diesem Kontext wirken Personas und Narrative »läppisch«, wie B4 es nennt. Das liegt vermutlich daran, dass sie im Vergleich zu alten Prinzipien unpräzise, ohne Qualitätskriterien und Nachprüfbarkeit daherkommen, was diejenigen irritiert, die an dem Entstehungsprozess nicht beteiligt waren und nun auf das Ergebnis referenzieren. Das Präzisieren bestimmter Aspekte und das Überzeugen von Meinungen als Entscheidungsvorlage geschieht durch Umsatzsteigerung – das Erzählen von Geschichten wird (bislang) wenig verwendet. Im vorherigen Beispiel haben die Teilnehmenden die Zweisprachigkeit im Nachgang zum Workshop als herausfordernd empfunden. Die erhobenen Daten zeigen jedoch auch solche Ablehnungen, die direkt im Workshop geäußert wurden. Laut B4 versuchen sie, Unsicherheiten zu verdecken: »Wenn Menschen mit Designpraktiken in Berührung kommen und diese Unsicherheit und Offenheit nicht kennen und mögen, reagieren sie mit Erhabenheit und Arroganz, frei nach dem Motto: ›Wenn du das jetzt so unklar definierst, dann kann ich auch nicht drauf antworten.‹« Nur Definiertes und Präzises ist für diese Mitarbeitenden zulässig, andere Formen entbehren einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Diskussionsgegenstand. Eine ähnliche Unsicherheit im Umgang mit Design Thinking beschreibt ein Designer (B2) aus seiner Zusammenarbeit mit Ingenieur:innen: Ein Ingenieur kann dir super Prozesse optimieren, die Serienfertigung machen von vorne bis hinten – weil es einfach um das Mittel selbst geht. […] Dafür brauchst du kein großes psychologisches Einfühlungsvermögen in einen Nutzer. Wenn du Dienstleistungen kreieren musst, die weltweit oder zumindest deutschlandweit überall funktionieren, brauchst du Einfühlungsvermögen, um kulturelle Regeln, Informationsprinzipien, Nutzungsdauer etc. zu verstehen. Ingenieur:innen seien exzellent darin, Prozesse rund um den Automobilbau zu optimieren, technische Fehler zu entdecken und diese zu lösen. Das Entwickeln disruptiver, nutzer:innenzentrierter und digi-
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taler Innovationen benötige andere Kompetenzen. Besonders gefragt seien solche wie Empathie, Perspektivwechsel und Vorstellungskraft. Die Stärken vieler Ingenieur:innen erschweren ihnen das explorative Entwickeln von Neuem, da die prägenden Prinzipien unterschiedlich und widersprüchlich sind. Die Daten zeigen Beispiele dafür, dass die neue Andersartigkeit Widerstände weckt. Sie weckt Unsicherheiten, denen mit Reaktionen des Überspielens oder Erhöhens begegnet wird. Letztlich sprechen diese Reaktionen dafür, dass es nur eine reduzierte Form der Offenheit gegenüber Neuem gibt. Design Thinking proklamiert ein ständiges (Dazu-)Lernen durch Ausprobieren, ein iteratives Vorgehen in der Produktentwicklung, das einerseits eine Offenheit während des gesamten Prozesses ermöglicht und andererseits eine ganzheitliche Sichtweise schafft, die immer wieder hinterfragt, ob der Weg noch passend ist. Dabei geht es nicht nur um Empathie für Nutzende, sondern ums Iterieren. Ein Manager (B13) stellt die Frage nach der Umsetzung: Es geht um das Iterative, aber da ist natürlich der Punkt, wie iterativ können wir sein? Fail early but often ist ja beim Programmieren einer App, wo ich nach drei Wochen feststelle, das wird so alles nichts, was anderes, als wenn man feststellt, dass ein Motorenprojekt scheitert. Neben seiner Aussage bestätigen die Daten, dass viele Befragte tendenziell rudimentäre Kenntnisse und Erfahrungen mit Design Thinking haben. Das zeigt sich daran, dass versucht wird, einzelne Methoden, Techniken oder Credosätze wie eine Schablone zu verwenden. Fail early but often bedeutet im übertragenen Sinne, dass ein frühes Scheitern positiv sei, um daraus zu lernen. Der Schwerpunkt liegt darauf, eine Form von Fehlerkultur wertzuschätzen und somit Fehlern nicht mit Scham oder Bestrafung zu begegnen, sondern zu reflektieren, was aus dem Vorkommen gelernt werden kann. Viele Mitarbeitende tun sich schwer mit dieser Haltung. Stattdessen tendieren sie dazu, Design Thinking auf Allgemeingültigkeit hin zu überprüfen. Häufig sind ihre Ablehnungen damit verknüpft, dass sie sich nicht vorstellen können, wie eine Veränderung sich zeigen wird.
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Bei der Entwicklung digitaler Produkte werden Prototypen entwickelt, mit Nutzer:innen getestet und die gewonnenen Erkenntnisse fließen in den nächsten Entwicklungsschritt ein. Jeder dieser Prototypen wird verändert – bei digitalen Produkten setzt sich dieser Prozess in jedem Update fort. Um iterativ zu gestalten, wie es Design Thinking fordert, benötigen Mitarbeitende jedoch eine kritische Offenheit und Bereitschaft, die Funktion oder die Benutzung zu verändern – und ihre Vorannahmen und damit verbundenen eigenen Lösungswege zurückzustellen. Der vorherrschende Perfektionismus der Ingenieursdominanz behindert ein iteratives Herangehen. Daher scheint es verständlich, dass die Einführung von Design Thinking zu Spannungen führt. Eine weitere Managerin (B6) stimmt zu: Es sprießen derzeit eine Reihe von Firmen mit sehr geringen Mitarbeiterzahlen, die Elektrofahrzeuge auf die Straße bringen, und die eine gewisse Innovationskraft haben. Gleichzeitig zeigen sie an ganz vielen Stellen eine Fehleranfälligkeit oder eine Risikobereitschaft, die wir uns nicht erlauben könnten als Volumenhersteller und als Vertrauensgarant für unsere Kunden. Trotzdem müssen wir sozusagen diese Impulse integrieren. An ihrer Aussage wird der Balanceakt zwischen den etablierten Werten und solchen, die mit den neuen Arbeitsweisen und Methoden Einzug erhalten, deutlich. Der Automobilhersteller Volkswagen repräsentiert im Selbstverständnis deutsche Ingenieurskunst und steht für Fahrzeuge mit technischer Zuverlässigkeit auf höchstem Niveau. Die Erfolgsgeschichte des Unternehmens hat ein Selbstverständnis geprägt, das Sachlichkeit, Messbarkeit und Zuverlässigkeit wertschätzt. Diese Werte werden wenig mit Ausprobieren verbunden. Die Managerin gibt zu bedenken, dass für sie eine experimentierfreudigere Kultur nicht die Prinzipien und Werte transportiert, die das Unternehmen erfolgreich gemacht haben. Design Thinking erzeugt Spannungen durch seine Prämissen, die etablierte Prozesse, Prinzipien und Werte hinterfragen. Die gegenwärtige Gleichzeitigkeit sorgt für Widerstände und Irritationen bei Mitarbeitenden, die sich zum Zeitpunkt der Studie nicht auflösen.
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Produktzentriertes Ausprobieren Der in den Daten beschriebene Perfektionismus beschränkt sich nicht auf das Endergebnis. Er kann innerhalb eines Prozesses als gesamtheitlicher Qualitätsanspruch wirken oder sich in der Wertschätzung von bestimmten Werten und Prinzipien zeigen. In der Fahrzeugproduktion drückt er sich in einer planbaren, detailgenauen und technischen Berechenbarkeit zwischen richtig und falsch aus. Ein Fahrzeug verspricht Sicherheit und Langlebigkeit durch technische Präzision. Um dies zu garantieren, wird der Produktionsprozess stetig optimiert. Mit der Gestaltung digitaler Produkte sind dem Automobilbau immanente Prinzipien nicht gleichzusetzen. Diese Hürde zeigt sich auch in der Führungskultur: B8 kritisiert, dass die Ingenieursdominanz auch im Führungsstil sichtbar ist: Das Topmanagement sollte sich nicht damit beschäftigen, welche Features sie reinnehmen, sondern verdammt noch mal helfen, dass eben ein Produkt launchen kann. Oftmals reden wir bis ins letzte Detail, anstatt die wichtigen Sachen zu unblocken. Der Drang nach Perfektionismus greift weiter als die Produktion von Fahrzeugen und manifestiert sich in den Unternehmenskulturen, wodurch Managementprinzipien des Handelns und Bewertens geformt werden. Eine Design Thinkerin (B3) beschreibt ihre Erfahrung aus einem Projekt: Als wir in 2012 dieses Vorstandsprojekt gemacht haben, war eines der ganz, ganz großen Probleme, dass wir ganz, ganz häufig Dokumente zurückbekommen haben, weil ein Fehler drin war, so Charts mit Rechtschreibung, weil sie nicht perfekt waren. Das Prinzip der Präzision zeigt sich in Form korrekter Rechtschreibung. Ohne dies grundsätzlich zu kritisieren, zeigt sich ein Streben nach richtig bereits in Entwürfen (Prototypen) von Dokumenten, was die Wahrnehmung aufkeimen lässt, dass der Anspruch an eine korrekte Rechtschreibung den Inhalt untergräbt. In vorläufigen Versionen wird bereits der Anspruch erhoben, fehlerfrei und korrekt zu sein – auch außerhalb einer technischen Produktion. Ein Umgang mit dem Un-
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vollkommenen entspricht nicht der Arbeitsweise in vielen Bereichen. Auch im Designprozess sind Designer:innen mit Präzision vertraut. So berichtet eine Designerin (B9) davon, dass es bisher kein schnelles Ausprobieren gab: »Quick und dirty, sowas ist im Konzern nicht wirklich vertreten.« Laut B9 hat Perfektionismus auch Einzug in den Designprozess von Automobilen gehalten: Auch Designer neigen zum Perfektionismus, wenn sie ein geiles Rendering sehen. Im Design hast Du zumeist eine Skizze, die eigentlich nur ein Entwurf ist, damit man möglichst schnell in den Modellbau kommt. Aber im Modellbau hast Du dann erstmalig 1:1-Modelle und denkst so: Ist total scheiße, da stößt du dir ja die Knie und sitzt viel zu tief. Möglichst schnell ein simples Modell zu bauen, um etwas ergonomisch zu erproben, um es dann weiterzuentwickeln, ist eigentlich ganz klassisch Design. Das ist in der Zwischenzeit verloren gegangen. Besonders in der Autoindustrie hat man versucht diese perfekten, zeichnerischen Illustrationen zu machen. Dann hat man diese super perfekten Modelle gebaut, die aussehen, wie richtige Autos, die auch so funktionieren, aber nur Modelle sind. Sie weist darauf hin, dass Perfektionismus im originären Designprozess auf zwei Arten vorherrscht: in der ästhetischen, zweidimensionalen Darstellung und im Modellbau. Sie kritisiert, dass heutzutage viele der Entwürfe von Fahrzeugen überwiegend digital entstehen. Skizzen und Zeichnungen geben zwar einen realgetreuen Eindruck. Gemäß ihrer Auffassung reichen diese Zeichnungen jedoch nicht aus, um zu erkennen, ob Nutzer:innen sich wohlfühlen und ob ein Entwurf ergonomisch ist. Im Gesprächsverlauf erklärt sie, dass Prototypen im Fahrzeugbau erst erstellt werden, um das Modell zu präsentieren, nicht um Erkenntnisse über seine Nutzung zu erhalten. Die realgetreuen Zeichnungen, auch Renderings genannt, werden erst zu einem späteren Zeitpunkt von haptischen Modellen abgelöst. Hier sieht sie einen weiteren Moment der Präzision: Wenn es im Modellbau nicht möglich ist, etwas darzustellen, wird es vom Management auch nicht abgenommen. Da muss sich in der
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Kultur etwas verändern, nach dem Motto: stellt euch vor, es wäre möglich. In ihrer Zusammenarbeit mit Automobildesigner:innen lernt sie, dass die Darstellbarkeit im Modellbau ausschlaggebend dafür ist, ob das Fahrzeug weiterentwickelt wird. Der Modellbau eines Fahrzeugs wird abgenommen, d.h., er muss gewissen Qualitätskriterien genügen. Zu diesen gehört, dass das Ergebnis im Modellbau keinerlei Fehler aufweist. Obwohl der eigentliche Produktionsprozess unabhängig vom Modellbau geschieht, ist ein perfektes 1:1-Modell eines Fahrzeugs ein Nadelöhr. Hieran wird sichtbar, wie sich Präzision bei VW zeigt: Fehler stoppen den Entwicklungsprozess. In Schulungen wird Mitarbeitenden dagegen Feedback auf Fehlerhaftes als positiver Erkenntnisgewinn kommuniziert. Der Prozess im Automobildesign unterliegt ähnlich linearen Strukturen und gleicht dem der Ingenieur:innen. Eine perfektionistische Denk- und Herangehensweise hat sich auf alle Prinzipien des Handelns übertragen. So wird Design Thinking von Mitarbeitenden angewendet, deren Werte, Prinzipien und Präferenzen von mannigfaltigen Formen der Präzision geprägt sind. Während sie Design Thinking anwenden, erleben sie etwas, das konträr zu ihrer Vorstellung liegt: das Ausprobieren. Ein Mitarbeiter (B8) mit umfangreichen Erfahrungen in Innovationsprojekten beschreibt diese Diskrepanz wie folgt: Wir haben sicher nicht 100 Prozent Design Thinking gemacht, aber wir haben auch Prototypen entwickelt und Wire Framing gemacht. Wir waren damals noch im Präsentationsmodus und sind noch nicht so tief in den User Research gegangen. Er spricht über ein Projekt, von dem er und sein Team gedacht haben, sie würden bereits richtig nach Design-Thinking-Prinzipien arbeiten. Mit mehr Erfahrung räumt er ein, dass in seinem Team der Wert des »User Researchs« (Nutzer:innenforschung) zugunsten des Präsentierens gewichen sei. Als »Präsentationsmodus« ist in der Unternehmenspraxis häufig eine perfekt vorbereitete, positiv argumentierte und ergebnisorientierte PowerPoint-Präsentation gemeint, um Vorgesetzte zu überzeugen, weiteres Budget für ein spezielles
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Projekt oder Personalstellen bereitzustellen. Die angeführten Argumente müssen überzeugen – die Kausalität berücksichtigt statt der Nutzenden die Umsätze. Die (geforderte) Präzision drückt sich darin aus, dass sie ein Schema für Präsentationen und deren Argumentation vorgibt. Das wiederum hindert Teams daran, offen auszuprobieren, welcher Weg sich als geeignet erweist. Die Verwendung von Storytelling in Präsentationen scheint bislang noch kein gleichwertiges Argument für eine Projektfortsetzung zu sein, da die Qualitätskriterien weiterhin unklar sind. Die Unterschiede der Argumente (Story versus Umsatz) erzeugen diese Reaktionen, dennoch muss noch eine Übersetzungsleistung stattfinden, die als zusätzliche Hürde empfunden wird.
3.4.
Die Veränderungen durch Design Thinking
Die vorausgehenden Kapitel zeichnen die chronologische Entwicklung von Design Thinking im Konzern nach, stellen die unterschiedlichen Auffassungen und Sichtweisen von Mitarbeitenden heraus und eruieren die vier Spannungsfelder, die sich für Anwender:innen in der Praxis auftun. Dieses Kapitel bündelt die gewonnenen Erkenntnisse und stellt solche Veränderungen dar, die bei VW auftauchen. Mit organisationalen Veränderungen sind Arten von Veränderungen auf personeller, struktureller und kultureller Ebene gemeint. Jungingers Modell (2016), auf dem die Fragestellung dieser Arbeit basiert, unterscheidet zwischen Design Thinking angewendet als Technik, Methode oder gestaltendes Denken und Handeln (Strategic Art). Um zu weitreichenden Veränderungen zu gelangen, müsse es als Strategic Art angewendet werden. Die Untersuchung des Falls VW hat gezeigt, dass es im Zeitraum der Studie nicht für strategische Fragestellungen angewendet wird, sondern zwischen Technik und Methode changiert. Das heißt, Design Thinking wird in abgeschlossenen Formaten unabhängig vom organisationalen Kontext und seinen Werten, Prinzipien und Kulturen angewendet. Und tatsächlich hat Design Thinking das Unternehmen Volkswagen sicherlich nicht grundlegend verändert – was das Modell von Junginger (2016) zunächst zu bestätigen
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scheint. Die E-Mail einer Topmanagerin an mich im Oktober 2018 unterstreicht den Eindruck: »Design Thinking lebt weiterhin, aber einen Durchbruch gab es noch nicht.« Die Entwicklung kann somit auf den ersten Blick als eine Geschichte des Scheiterns gesehen werden. Betrachtet man die Erkenntnisse jedoch genauer, so zeigen sich entgegen dieser Einschätzung durchaus Veränderungen, die mittelfristig an den Strukturen, Prozessen und Kulturen rütteln können. Vor allem auf individueller Ebene zeigt sich, dass auch die Anwendungsform als Technik und Methode latent etwas anstoßen kann, das in weiterer Folge einen (positiven) Beitrag zu organisationalen Veränderungen leisten kann. Deren Wirksamkeit lässt sich in fünf Leitsätzen beschreiben: • • • • •
Design Thinking erweitert die Arbeitsweisen. Design Thinking regt zur Reflexion an. Design Thinking bildet Vermittler:innen aus. Design Thinking schafft Freiraum zum Gestalten. Design Thinking sensibilisiert für den Fokus Mensch.
Design Thinking erweitert die Arbeitsweisen Wie die für diese Studie erhobenen Daten zeigen, hat die Einführung von Design Thinking bei VW den Kanon der Praktiken erweitert, die Mitarbeitenden im Arbeitsalltag zur Verfügung stehen. »Es gibt immer mehr Situationen, wo die Stühle und Tische zur Seite geschoben werden und wo man sich hinstellt, gemeinsam diskutiert und arbeitet statt einer präsentiert und der andere kritisiert«, bestätigt eine Befragte (B4). Das heißt, saßen viele Mitarbeitende zuvor primär am Bildschirm oder in Besprechungen, fordert Design Thinking sie dazu auf, im gemeinsamen Gestalten von Lösungen alle Sinne anzuwenden. Die Techniken und Methoden benutzen Kopf, Bauch und Hand gleichzeitig, um etwas anfassbar, sichtbar und erlebbar zu machen. Erinnert sei an das Beispiel eines Projektteams, das in der Konzeptfalle feststeckt und erst mithilfe von hands-on-Arbeitsweisen wie visuellen Moodboards das Projekt weiterführen konnte. Schnelle Visualisierungen von Produktideen oder Prozessabläufen finden mehr und mehr Nachfrage
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und können auch von immer mehr Mitarbeitenden bedient werden. Besonders in komplexen Abläufen steigt die Nachfrage nach Visualisierungen aus den Fachbereichen für eine bessere Verständlichkeit. Statt schriftlicher Beschreibungen sind es Zeichnungen, die Abläufe und Zusammenhänge verständlich(-er) machen. Mit den neuen Arbeitsweisen eröffnet Design Thinking Menschen also Möglichkeiten, gestaltend zu denken und zu handeln, und erweitert etablierte Arbeitsweisen. Das zeigt sich nicht zuletzt darin, dass Design Thinking – wie im Spannungsfeld Analysieren versus Umsetzen dargestellt – Tätigkeiten verknüpft, die bisher häufig von unterschiedlichen Mitarbeitenden ausgeführt wurden. Zu diesen Methoden und Praktiken gehören jedoch auch solche, die nach wie vor an Designagenturen ausgelagert werden, wie z.B. die Nutzer:innenforschung. Viele Mitarbeitende gehen außerhalb von Schulungen selbst nicht ins Lebensumfeld potenzieller Nutzer:innen, sondern arbeiten weiterhin an ihrem Schreibtisch. Das liegt nicht zuletzt an organisationalen Umständen und Vorgaben des Datenschutzes, die bisher Feldzugänge oder das Führen von Nutzer:inneninterviews – auch operativ – erschweren. Sogar innerhalb der Organisation bleibt Feldforschung eine Herausforderung, was besonders an den hierarchischen Kommunikationswegen liegt. Hier zeigt sich, dass die bestehenden Strukturen und Verhaltenskulturen die von Design Thinking propagierten Praktiken und Prämissen an vielen Stellen weiterhin einschränken, eher als die Praktiken Einfluss auf die Struktur nehmen. Wo es jedoch gelingt, mit Design Thinking neue, kollaborative Arbeitsweisen einzuführen, ist ein weiterer Effekt zu beobachten: Viele empfinden den erhöhten Interaktionspegel, der in der Zusammenarbeit von mehreren Personen entsteht, als anstrengend(-er), da sie es nicht gewohnt sind, beispielsweise auf den Ideen anderer aufzubauen und ein Ergebnis zu entwickeln, das nicht durch die Addition von Positionen oder das Editieren von schriftlichen Beiträgen, sondern durch Multiperspektivität entsteht. Wie bedeutsam ein solcher Effekt sein kann, zeigen die Bedenken eines Managers: Er hatte sein Team voller Respekt und Stolz dabei beobachtet, wie intensiv, kommunikativ und begeistert
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es sogenannte Design Sprints absolvierte (näher im Glossar erklärt). Er erlebte sie im regen Austausch, diskutierend, gestaltend, reflektierend und engagiert. Sie standen um einen Stehtisch herum, hatten Bilder und Zeichnungen an eine Art Pinnwand gehängt, auf der anderen Pinnwand wurden Zahlen, Berechnungen und Zitate aus Gesprächen mit Kund:innen gesammelt. Auffällig war, dass alle Teammitglieder aktiv diskutierten und sich immer wieder zwischen den beiden Pinnwänden bewegten, auf einzelne Aspekte zeigten und sogar hin- und wieder ein Lachen zu vernehmen war. In seiner Verantwortung als Manager fragte er mich besorgt, ob ich einschätzen könne, wie viel Regenerationszeit sein Team nach solchen Arbeitsphasen benötige. Ich antwortete, dass ich ihm nur empfehlen könne, diese Frage ans Team zu stellen – schließlich sei es dessen Aufgabe, gemeinsam dafür zu sorgen, dass die Motivation und die Belastbarkeit jedes Teammitglieds ebenso berücksichtigt werden wie die Projektziele. Das Beispiel verdeutlicht, dass neue Kollaborationen auch andere Interaktionen einfordern, mit denen sich die Fragen nach Arbeitszeiten, Belastbarkeitsgrenzen, Verantwortung und kommunikativen Hierarchien neu stellen. So rütteln die neuen Praktiken an vermeintlich selbstverständlichen Strukturen oder machen zumindest deren einschränkende Wirkung sichtbar. Das Beispiel verdeutlicht aber auch, dass die Arbeitsweisen von Design Thinking ihren direktesten Effekt auf individueller Ebene haben. Auch wenn nicht jeder für die neuen Praktiken offen ist, zeigt sich, dass sie »Menschen auf Trab bringen«, wie ein Befragter (B8) es ausdrückte. Viele, die sich zunächst zurückhaltend zeigen, finden im Nachgang Gefallen – ein für VW durchaus typisches Verhalten, wie er berichtet: »Das ist immer so, am Anfang machen sie sich darüber lustig und dann kommen sie davon nicht mehr weg. Sie haben Spaß daran Dinge auszuprobieren.« Die neuen Praktiken scheinen auf viele eine einladende, vermittelnde und auch überzeugende Wirkung zu haben, was ihren positiven Beitrag zu Veränderungen kennzeichnet.
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Design Thinking regt zur Reflexion an Indem Design Thinking Mitarbeitenden neue Arbeitsweisen, Methoden und Techniken zugänglich macht, mit denen sie explorativ gestalten können, hält es ihnen zugleich den Spiegel vor. Mitarbeitende berichten, dass sie ihre Arbeit aus einem neuen Blickwinkel betrachten konnten und nun etablierte Parameter, Werte und Erfolgsfaktoren besser begreifen. Die neue Art und Weise zu arbeiten – kollaborativ, interaktiv, explorativ, menschenzentriert – ermöglichte ihnen diesen Perspektivwechsel. Der Beitrag auf einer individuellen Ebene liegt also auch darin, Mitarbeitende aufzurütteln und ihnen einen neuen handwerklichen Reflexionsraum zu eröffnen. Das Besondere an diesem Raum ist, dass er außerhalb der bestehenden Organisationsstruktur funktioniert, in der Reflexion meist auf eine rein kognitive Tätigkeit beschränkt bleibt. Die erwähnten Schulungen und Workshops ermutigen Mitarbeitende dazu, ihre Ideen und Konzepte visuell darzustellen. Es entstehen simple, zweidimensionale Zeichnungen oder dreidimensionale Prototypen aus Materialien wie Papier, Knete oder Holz. Der visuelle Zugang und die Haptik unterstützen Mitarbeitende darin, eine Idee oder ein Konzept besser zu verstehen und ihre eigenen Gedanken anderen gegenüber besser verständlich zu machen. Die Prototypen oder Zeichnungen ergänzen also die Verbalisierung einer Idee. Dadurch läutet Design Thinking ein Zusammenspiel von Kognition und Intuition ein. Die Haptik und der handwerkliche Charakter bieten für die meisten Mitarbeitenden eine neue Ebene, sich auszudrücken und zu reflektieren. Ein Arbeiten in diesem neuen Raum führt also zum einen dazu, dass ihnen beim Machen Ideen kommen, die ihnen beim reinen Nachdenken kaum gekommen wären. Zum anderen führt das Erleben dazu, dass Mitarbeitende ihre aktuelle Arbeitsweise und mögliche Alternativen dazu reflektieren. Design Thinking regt an zu fragen: Wie arbeite ich bzw. wie würde ich gerne arbeiten? Wie das Spannungsfeld Standardisierung versus Informalität aufzeigt, empfinden manche Mitarbeitende bisher viele Aspekte ihrer Arbeit – wie Aufgaben, Abläufe und Vorgaben – als kaum gestaltbar. Formale Regeln wirken auf sie wie ein »Korsett« (B10), wie z.B. ein
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maximal zehnstündiger Arbeitstag mit festen Kernarbeitszeiten. Auch wenn solche Regeln zum Schutz von Arbeitnehmenden gelten, ist der oder die Einzelne kaum in die Entscheidung involviert. Ähnliches gilt für verfügbare Software und die Beschränkung von Arbeitsmitteln, wie viele Befragte kritisieren. Es wird – vereinfacht – von anderen festgelegt, was zu einer persönlichen Standardausrüstung an Arbeitsmaterialien zählt. Indem es außerhalb solch formalisierter Vorgaben operiert, macht Design Thinking bisherige Tätigkeitsrahmen bewusst und stellt sie zumindest punktuell zur Disposition. Festzuhalten bleibt jedoch, dass nicht jede:r Mitarbeiter:in ein Bedürfnis nach Reflexion verspürt und diesen Anstoß annehmen möchte. Für einige ist die Gestaltung ihrer Arbeitsumgebung passend. Sie empfinden die bisherigen Prozesse und Arbeitsweisen als angemessen und fügen sich gern in diese ein. Sie befürchten nun möglicherweise, dass sie ihre Form der Arbeit langfristig nicht aufrechterhalten können. Andererseits kann genau diese Überlegung als Reflektieren über individuelle Präferenzen verstanden werden, die erst durch Design Thinking angestoßen wird und als Veränderung auf individueller Ebene bezeichnet werden kann.
Design Thinking bildet Vermittler:innen aus Ein weiterer organisationaler Effekt von Design Thinking hat nicht zuletzt mit seiner dezentralen Einführung zu tun, die nicht entlang der üblichen organisationalen, hierarchischen Logik des Unternehmens erfolgte. Diese gliedert Mitarbeitende grundsätzlich in Teams, Abteilungen und Unternehmensbereiche, was zumindest dem Prinzip nach einer Arbeitsteilung entlang klarer Grenzen folgt. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Organisationsebene definiert den Grad der Verantwortung analog zur Hierarchiestufe und damit auch den individuellen Beitrag zu Abteilungs- oder Bereichszielen. Diese Strukturen sind es nun, die Einführung und Anwendung von Design Thinking um neue, informelle Interaktionsmuster ergänzen. Mitarbeitende kommunizieren neuerdings vermehrt über Silostrukturen und Hierarchien hinweg.
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Sie nutzen also den kollaborativen, multiperspektivischen Ansatz und gestalten dadurch neue Interaktionsebenen und -wege. Wurden Mitarbeitende bislang häufig als Expert:innen für einen bestimmten Sachverhalt angesehen, steht Design Thinking für ein kollaboratives Arbeiten in heterogenen Teams, um zu neuartigen Ideen und Konzepten zu kommen. Die Multiperspektivität entsteht, indem jede:r individuelle Stärken, Kompetenzen und Talente einbringt. Das geht einher mit der Sichtweise, dass durch eine individuelle Fachexpertise keine adäquate Lösung entwickelt werden kann, sondern die Probleme in ihrer Komplexität disziplinäre Grenzen übersteigen (Augsten/ Freigang 2016). Design Thinking konfrontiert Mitarbeitende demnach im Erleben mit Attributen wie Interdisziplinarität, Dekonstruktion von Struktur und Multiperspektivität. Die Attribute betonen, wie wichtig diese Unterschiedlichkeit für das Entstehen von Neuem ist (Peukert/ Vilsmaier 2019). Design Thinking unterstützt somit die Notwendigkeit von Transdisziplinarität für das Lösen von komplexen Problemen statt einer Expert:innenkultur, die arbeitsteilig Lösungen entwickelt und ihre Limitierung zeigt, wenn es um das Entwickeln von Neuem geht. Design Thinking fordert ein Kollaborieren statt Kooperieren. Facilitator:innen unterstützen Teams verstärkt dabei, es zu lernen. Dies tun sie entweder durch eine moderative Unterstützung, das Anwenden gemeinsamer Praktiken wie Prototyping oder auch durch das gezielte Stellen von Fragen, um mögliche fachspezifische Hürden zu überwinden und damit Teammitglieder trotz Fachtermini einander zu verstehen. Nichtdesigner:innen lernen in Schulungen ein neues, häufig anglizismenreiches Vokabular kennen – dazu gehören Wörter wie Point of View, Synthesis, Facilitaten, Prototypen oder Iterieren. Damit ergibt sich noch eine weitere positive Dimension: Design Thinking vermittelt auf einer verbalen Ebene. Neue Begrifflichkeiten haben den Vorteil, den Vermittler:innen neutrale Begriffe und Ausdrücke zur Hand zu geben. Da sie mit keinem bestimmten Unternehmensbereich assoziiert sind und strukturübergreifend Verwendung finden, eröffnen sie auch auf der Sprachebene einen neuen Möglichkeitsraum. Nutzer:innen bauen durch ihre Übersetzungsleistung Kommunikationshürden ab, die in der
3. Erkenntnisse aus der Praxis
Organisationsstruktur angelegt sind. Die neue Rolle ergibt sich eher durch Ad-hoc-Zuschreibungen als durch formalisierte Mandate. Darüber hinaus entstehen auch Verknüpfungs- und Vermittlungsinstanzen, die durchaus das Ergebnis organisationaler Entscheidungen sind: Die chronologische Entwicklung von Design Thinking zu Beginn des dritten Kapitels schließt auch die Gründung von Innovationslaboren ein. Die artikulierte Intention für die Gründung ist die Entwicklung neuer, digitaler Produkte. Als Reallabore am Rande der silostrukturierten Organisation können sie aber auch als verknüpfende Einheiten fungieren. Sie haben das Potenzial, abteilungsübergreifend zu agieren und denjenigen einen Raum zu bieten, die sich austauschen möchten. Mit Design Thinking erscheinen also neue Organisationsformen im Konzern, die sich dadurch auszeichnen, dass sie die bestehenden Strukturen nicht verändern. Vielmehr entstehen sie getrennt von diesen als strukturelles Add-on. Das heißt, einerseits wirken sie als Vermittler:innen über organisationale Grenzen hinweg; andererseits verdeutlichen sie auch, dass Neues innerhalb der etablierten Strukturen, Prozesse und Kulturen nur schwer entworfen werden kann und womöglich vom Althergebrachten und Etablierten abgestoßen wird. Neuen Gestaltungsfreiraum schafft Design Thinking also gerade nicht, indem es die bestehenden formalen Entscheidungsebenen verändert, sondern nur indem es diese um eine neue Organisationsform erweitert.
Design Thinking schafft Freiraum zum Gestalten Vor allem eine jüngere Generation von Mitarbeitenden scheint Freiräume in ihrem Jobprofil zu fordern. Diese möchten sich entfalten, statt »in Boxen [funktionale Jobbeschreibungen] gesteckt zu werden und nicht mehr rauszukommen«, so das Plädoyer einer Befragten (B10). Sie hadern mit den aktuellen Standardprozessen sowie dem fehlenden Gestaltungsfreiraum. Als gestaltend gelten solche Handlungen, in denen Mitarbeitende denken und handeln, wenn sie Vorgaben situativ abändern. Das scheint Einfluss auf ihre Zufriedenheit zu haben, was sich bereits im Spannungsfeld Perfektionieren versus Experimentieren andeutete. Ein mögliches Anpassen von Situationen an eigene Prä-
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ferenzen wirkt sinnstiftend. Kurz: Die Mitarbeitendenzufriedenheit hängt unter anderem mit der Möglichkeit zum Gestalten zusammen. Design Thinking fordert Gestaltungsfreiheit. Es bringt damit auch Dinge hervor, »die zuvor nicht planbar erscheinen. Wenn du den Leuten den Raum gibst und ihnen quasi erlaubst, selbst über ihre Struktur nachzudenken und Vorschläge zu machen, kommen mitunter ganz interessante Ergebnisse raus«, so ein Topmanager (B7). Das Zulassen erfordert ein gewisses Umdenken im Unternehmen, erwähnt B10: Es geht darum, Leuten den Freiraum zu geben, innerhalb der Arbeitszeit etwas zu entwickeln, ohne vorher sagen zu können, ob das Unternehmen das nutzen kann, sondern einfach zuzulassen, dass jemand das machen möchte. Das Entdecken und Gestalten von Freiräumen scheint nicht zuletzt ein Stellhebel für die Wandelfähigkeit eines Unternehmens zu sein.8 So überrascht es nicht, dass erste Ansätze für strukturelle Veränderungen gerade in der Dezentralisierung der Innovationsentwicklung zu erkennen sind. Bislang gab es in der Organisationsstruktur zwei Bereiche, die für Innovationsentwicklung verantwortlich sind. In der Forschung entwickelten überwiegend Ingenieur:innen technische Ideen, der Unternehmensbereich Marketing stellt sicher, dass die Produktansprache zur Zielgruppe passt und Umsatz einbringt. Während diese beiden Unternehmensbereiche ihre Rollen wie gehabt weiterführen, führt Design Thinking eine neue Ebene der Innovationsentwicklung im Unternehmen ein und verankert die Aufgabe somit in weitaus mehr Bereichen der Organisation. Die Entwicklung neuer Ideen verknüpft demnach Organisationsbereiche, die aufgrund des Credos der Arbeitsteilung zuvor separiert agierten. Das Aufkommen von Design Thinking weist darauf hin, wie wichtig ein gewisser Gestaltungsfreiraum bei Mitarbeitenden in Bezug auf
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Ausführlich geht der Soziologie Stefan Kühl in seinem Buch Brauchbare Illegalität. Vom Nutzen des Regelbruchs in Organisationen (2021) auf die Entstehung, Durchsetzung und Regulierung von Regelabweichungen sowie deren Management ein.
3. Erkenntnisse aus der Praxis
Innovationsentwicklung sein kann. Zugleich macht das Aufkommen auch deutlich, wie wenig dieser Gestaltungsfreiraum mancher Tätigkeitsprofile in den aktuellen Strukturen, Prozessen und Kulturen ausgeprägt ist.
Design Thinking sensibilisiert für den Fokus Mensch Design Thinking, vor allem wie es am HPI propagiert wird, verknüpft die wirtschaftliche und die technische Perspektive mit einer bedürfnisorientierten – d.h. mit einem Fokus auf Nutzer:innen. Wie erwähnt, lernen Mitarbeitende bei VW Design Thinking meist in mehrtägigen Schulungen kennen, wo sie kreativitätsfördernde Techniken und Methoden ausprobieren, um gemeinsam ungewöhnliche Ideen zu entwickeln. Dabei geht es vorwiegend um Produkte oder Dienstleistungen rund um Mobilität, die eine potenzielle Kundschaft attraktiv findet, nutzen und erwerben will. Auch dort, wo Design Thinking bei VW systematisch eingeführt wird – also vor allem in den Innovationslaboren –, liegt der Fokus hauptsächlich darauf, (digitale) Mobilitätsprodukte zu entwickeln. Im Allgemeinen fördert die Nutzer:innenforschung ein Verstehen, wer die eigentlichen Benutzenden sind, in welchem Kontext sie ein Produkt nutzen und wie sie das Produkt beurteilen. Das Ziel der Nutzer:innenforschung besteht also darin, ein besseres Verständnis von Kund:innenbedürfnissen zu gewinnen, um potenzielle Erfolgsaussichten eines neuen Angebotes frühzeitig zu prüfen und teure Fehlentwicklungen zu vermeiden. Dementsprechend erweitert Design Thinking auch bei VW zumindest ansatzweise den Fokus von Mitarbeitenden, indem es das Bewusstsein für die Bedürfnisse von Kund:innen stärkt. Doch beim Aspekt des Nutzendenfokus zeigt sich, dass Design Thinking bei VW kaum dazu dient, organisationale Veränderungen direkt zu adressieren. Im Zeitraum der Studie erscheinen Begriff oder Anwendung von Design Thinking nicht in strategischen Bereichen wie beispielsweise dem Entwurf neuer Organisationsstrukturen, Zusammenarbeitsmodellen oder Vergütungssystemen. Es wird also nicht als strategisches Mittel zur kulturellen Veränderung eingesetzt. Als Reak-
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tion auf die Kund:innenzentrierung treten dennoch latent organisationale Veränderungen auf. Denn die Entwicklung neuer Ideen verknüpft Organisationsbereiche, die zuvor separiert agierten. Dadurch greift Design Thinking in bestehende Strukturen ein und verändert punktuell Zielsetzungen und Erfolgskriterien Einzelner: Es verschiebt den Fokus der Arbeit von definierten Zuständigkeiten hin zu den Bedürfnissen von Kund:innen. Für viele Mitarbeitende wurde dadurch die Sinnhaftigkeit einer nutzer:innenzentrierten Herangehensweise überhaupt erst verständlich gemacht (B10). Eine Befragte (B3) wies darauf hin, dass besonders jüngere Manager:innen schon mit einer nutzer:innenzentrierten Herangehensweise vertraut sind und häufig als Türöffner fungieren – sie vermitteln zwischen Generationen und Perspektiven. Die erfahrene Design Thinkerin sagt: »Je mehr Leute in unserem Alter in Managementpositionen kommen, desto besser funktioniert die Kommunikation auch.« Sich allein auf diese Veränderungspotenziale bei Mitarbeitenden zu verlassen, reicht jedoch kaum für eine organisationale Neuausrichtung aus. Zunächst werden diese Potenziale nicht wirksam, wenn Mitarbeitende nur punktuell Techniken und Methoden anwenden und dies mit Design Thinking assoziieren. Potenziale können nur in verstetigter Form wirksam werden. Und selbst dann bedarf es der Unterstützung seitens der Organisation, um ein gestaltendes Denken und Handeln bei Mitarbeitenden nachhaltig zu fördern und damit Veränderungen in der Unternehmensstruktur und -kultur zu erreichen.
3.5.
Der Fall VW und die Design(-Thinking-)Theorie
Bisherige Erkenntnisse beschreiben die konkreten Veränderungen bei Volkswagen durch die Anwendung von Design Thinking. Ferner gibt es unterschiedliche Diskurse, die sich Fragen zur Theoretisierung von Design (Thinking) in Organisationen widmen. Basierend auf den Diskursen aus dem ersten Kapitel, erweist es sich als durchaus interessant, die theoretischen Fragestellungen und die Geschehnisse in der Unternehmenspraxis gemeinsam zu betrachten und daraus resultierende
3. Erkenntnisse aus der Praxis
Erkenntnisse als Impulse zu beschreiben. Der Dialog zwischen Theorie und Anwendung bildet somit den Kapitelabschluss und geht der Frage nach: Was passiert im Fall VW im Rückgriff auf theoretische Fragestellungen?
Design Thinking als Technik und Methode Zu den theoretischen Konzeptualisierungen von Design Thinking in Organisationen, für die der Fall VW spannend ist, zählt Jungingers (2017) Unterscheidung von Design Thinking angewendet als Technik, Methode und Strategic Art. Als Technik angewendet, löst es spezifische und isolierte Probleme, wie beispielsweise ein originalgetreues Abzeichnen eines Gegenstandes. Als Methode angewendet, wird es durch einen fachlichen, intellektuellen und wissenschaftlichen Rahmen geprägt, in dem es wirkt. Die dritte Anwendungsform als gestaltendes Denken und Handeln – Strategic Art – umfasst die Kombination von verschiedenen Methoden und Techniken. Nur in dieser Form leistet Design Thinking laut Junginger einen Beitrag zu organisationalen Veränderungen im Sinne einer strategischen Ausrichtung, einer kollaborativen Zusammenarbeit oder von Projektzielen. Mit der Unterscheidung weist sie auf die Abhängigkeit zwischen der Anwendungsform von Design Thinking und der damit verbundenen Erwartung in Bezug auf Veränderungen in Organisationen hin. Sie liefert damit ein Schema, um die Interdependenzen zwischen der Form und ihrer organisationalen Funktion zu betrachten. Wenn Veränderungen also auf einer strategischen Ebene im Unternehmen erwünscht sind, müsse Design (Thinking) als ein gestaltendes Denken und Handeln angewendet werden, argumentiert Junginger. Mit Blick auf die Praxis führt das zunächst zu der Frage, wie Design Thinking bei VW im Sinne dieser Terminologie angewendet wird: Mitarbeitende betiteln es überwiegend als kreativitätsfördernde Methode zur nutzer:innenzentrierten Produktentwicklung und folgen damit dem Sprachgebrauch des Managementdiskurses. Bei näherer Betrachtung fällt allerdings auf, dass viele Initiativen Design Thinking als Label für Brainstorming, Prototyping, eine visuelle Agenda oder das Zeichnen von Ideen unter Zeitdruck verwenden, um auszudrücken,
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dass sie zeitgemäß arbeiten. Jungingers Terminologie würde das als Technik begreifen. Methodisch findet Design Thinking im Unternehmensalltag nur in wenigen Fällen Anwendung, wie beispielsweise im mittelfristigen Aufbau von strukturübergreifenden Netzwerken. Stattdessen zeigen die Daten Versuche und Strategien auf, solche Netzwerke zu bilden, und demonstrieren zugleich die Hürden bei einer Verstetigung. Es gab bei VW dennoch den Ansatz, Design Thinking auch strategisch einzusetzen, als der ehemalige CDO das Konzept Human Thinking entwickelte, um Nutzer:innen in den Fokus künftiger Produktentwicklungen zu stellen. Durch weitere Entwicklungsschritte hätte das Konzept zu einer strategischen Anwendungsform im Sinne Jungingers führen können. Aufgrund seines Weggangs wurde es jedoch nicht weiterverfolgt. Damit changiert die beobachtete Anwendungsform von Design Thinking bei Volkswagen zwischen Technik und Methode. Der Blick in die Praxis bestätigt somit, dass es angewendet als Technik oder Methode tatsächlich hinter dem Anspruch zurückbleibt, strategischen Fragen mit einer gestalterischen Herangehensweise zu begegnen und so auf die Organisationsentwicklung einzuwirken. Zugleich tritt jedoch ein neuer Aspekt in Erscheinung: Latent leistet Design Thinking auch als Technik oder Methode einen Beitrag zu organisationalen Veränderungen, und zwar auf einer individuellen Ebene, indem Mitarbeitende unter anderem ein Bewusstsein für ihre bisherigen Praktiken und ihren Gestaltungsfreiraum entwickeln, wie die Veränderungen verdeutlichten.
Design Thinking zwischen Expert:innendomäne und gestalterischem Denken und Handeln Eine weitere Theoriedebatte betrifft die Rolle von Design Thinking im Verhältnis zum Design9 als Expert:innendomäne in Organisationen, 9
An dieser Stelle hilft der Einschub, dass der Begriff »Design« im deutschsprachigen Raum häufig als Ergebnis von Gestaltung – das Design – verstanden wird und Assoziationen mit Produkten wie Automobilen, Kleidung oder Mö-
3. Erkenntnisse aus der Praxis
für die der Fall Volkswagen Erkenntnisse liefert. In designtheoretischen Diskursen gibt es Stimmen, die Design Thinking und die damit verbundene Demokratisierung von kreativen Praktiken eher als Profanisierung der Gestaltungskunst wahrnehmen und dadurch die Rolle von Designer:innen als Expert:innen bedroht sehen. Die existierende Designtheorie tendiert bisher dazu, die Funktion und Wirkweisen von professionellen Designer:innen in unterschiedlichen organisationalen Umgebungen zu betrachten (u.a. Yee et al. 2017; Minder/Lassen 2018; Kimbell 2011a, 2001b; Cross 1982). Im Gegensatz dazu sprechen Gorb und Dumas (2011) von Silent Designern als Menschen, die gestalten, aber ihre Tätigkeit, Rolle oder Funktion nicht als solche bezeichnen würden – eine Sichtweise, die im deutschsprachigen Diskurs wenig Einzug erhalten hat. Dahinter stecken unterschiedliche Ansichten darüber, ob gestaltendes Denken und Handeln erlernbar und in verschiedenen Kontexten einsetzbar ist oder vielmehr eine handwerkliche, ästhetische und disziplinäre Spezialausbildung voraussetzt. Die indirekte Fragestellung ist, welchen Einfluss die Einführung von Design Thinking auf die Rolle des Designs innerhalb von Unternehmen nimmt. Zur Erinnerung: Vor dem Aufschwung von Design Thinking arbeiteten bei VW professionelle Designer:innen in spezialisierten Abteilungen. Die Entwicklung von Design Thinking findet dagegen in anderen Unternehmensbereichen statt. Es waren also nicht die Designabteilungen, die als Keimzellen von nutzer:innenzentrierten Innovationen in Erscheinung traten. Stattdessen wurde gestalterisches Denken und Handeln dank Design Thinking breiter in der Organisation gestreut, zumindest temporär. Durch die Streuung entstehen neue Jobprofile und Anwendungsfelder für professionelle Designer:innen und die Anzahl an Aufträgen für Designagenturen erhöht sich. Die Zunahme dieser Dienstleitungsbeziehungen vermehrt damit die Einfallstore für designorientierte Arbeitsweisen und verändert die Rolle des Designs
beln weckt. Diese Arbeit versteht Design als Tätigkeit – designing –, also als gestalterisches Denken und Handeln. Demnach handeln alle Mitarbeitenden gestaltend und verändern durch ihr Handeln die Organisation in unterschiedlichsten Aspekten.
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auch bei VW. Design Thinking gestaltet also neue Interaktionswege innerhalb und über Organisationsgrenzen hinweg und sorgt damit latent für ein neues Verständnis von Design. Die Einführung von Design Thinking bei Volkswagen markiert also eine entsprechende Erweiterung der Rolle, die Design im Unternehmen einnimmt. Die veränderte Rolle hat auch damit zu tun, wie Design Thinking in das Unternehmen getragen und dort kommuniziert wird. Die Idee von Design als demokratisierte Kreativmethode findet mit Design Thinking ein Label, das letztendlich das Bedürfnis vieler Manager:innen trifft. Ein Grund dafür liegt in der Darstellung, die auf Nichtkreative einen ansprechenden und systematisierten Eindruck macht. Manager:innen und Nichtkreative schätzen den niederschwelligen Anwendungszugang. Die visuelle Erscheinung folgt der Tendenz, sich in einzelne Techniken, Methoden und Arbeitsmaterialien sezieren zu lassen, um die Aufmerksamkeit einer technokratisch denkenden Unternehmenswelt zu erhalten. Demnach hielt Design Thinking in eine produzierende Organisation Einzug, nachdem es in eine manageriale, technokratische Passform überführt wurde. Die Kommunikationsmaßnahmen richteten sich in erster Linie an Manager:innen, deren Interesse, Mut und Vertrauen es galt zu erhalten, um das Potenzial von Design Thinking als kreativitätsfördernde Methode mit Effizienz und Wiederholbarkeit zu verknüpfen und somit als sinnvoll zu beurteilen. Die Kommunikationsformen und -kanäle wurden auf deren Bedürfnisse und Kenntnisse abgestimmt. Dies rückt die Frage danach, wer innerhalb von Organisationen gestaltet, in ein neues Licht. Der Fall Volkswagen deutet darauf hin, dass die Rolle professioneller Designer:innen in ihrem Schaffensprozess immer weniger der Realität in einem Industrieunternehmen entspricht, sondern diese zunehmend mit anderen Disziplinen kollaborieren (Augsten/Gekeler 2018a, 2018b). Das neue Verständnis von Design in der Organisation zeichnet sich dadurch aus, dass es vermehrt heterogene Gruppen befähigt, gestalterische Arbeitsweisen, Methoden und Techniken anzuwenden, um den Anforderungen der digitalen Produktentwicklung gerecht zu werden. Die ursprüngliche Frage danach, ob die Demokratisierung von designorientierten Arbeitsweisen die Relevanz von professionellen De-
3. Erkenntnisse aus der Praxis
signer:innen verändert, muss hier verneint werden. Bei VW profitieren vielmehr alle davon, wenn gestalterisches Denken und Handeln auf breiter(-er) Ebene im Unternehmen an Autorität hinzugewinnt und eine neue Anschlussfähigkeit für Designspezialist:innen bildet.
Design Thinking erkundet das Gestaltungsnarrativ einer Organisation Fortführend zur skizzierten Gemengelage darüber, was Design Thinking konkret ist und leistet, stellt sich theoretisch die Frage, welche Rolle ihm in der Organisation zukommt. Zur Konzeptualisierung von Rolle und Funktion, die Organisationen den gestaltenden Denkund Handlungsweisen zuschreiben, schlagen Junginger und Bailey (2017) das Modell des organisationalen Gestaltungsnarrativs vor, das sie im Englischen als organisational design narrative bezeichnen. Es gibt Auskunft darüber, wie Mitarbeitende in der Vergangenheit (»pre-text«) und in der Gegenwart (»con-text«) gestalten. Es folgt der Ansicht, dass jede Organisation eigene Kulturen, Prozesse, Strukturen und Handlungsmuster entwickelt: ihr Gestaltungsnarrativ. Es beschreibt demnach das sogenannte Gestaltungsvermächtnis (design legacy) einer Organisation, was wiederum prägend dafür ist, wie Design Thinking von Mitarbeitenden aufgenommen, verstanden und angewendet werden kann. Junginger und Bailey gehen davon aus, dass die Art und Weise, wie Menschen in einer Organisation bislang gestaltend denken und handeln, bestimmt, wie sie zukünftige Veränderungen entwerfen. Das Narrativ gibt dementsprechend Auskunft, welche Rolle Design in der Organisation bislang zukommt. Für die Anwendung von Design Thinking fordern Junginger und Bailey, das jeweilige organisationale Gestaltungsnarrativ zu berücksichtigen, um eine passende Anwendungsform zu finden. Damit widersprechen sie der schematischen Interpretation von Design Thinking. Das Konzept des Gestaltungsnarrativs widmet sich also weniger der Anwendung Design Thinkings an sich, sondern stellt die Frage, welche Rolle Design in der Organisation zukommt. Die resultierende Fragestellung aus Sicht der Designtheorie bleibt jedoch, inwiefern es
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Mitarbeitenden gelingt, Design Thinking als Technik oder Methode an das häufig wenig bewusste, aber vorhandene Gestaltungsnarrativ einer Organisation anzupassen. Junginger und Bailey machen dabei deutlich, dass sie Design als etwas begreifen, was das tägliche Handeln prägt, und nicht als etwas, das beispielsweise Manager:innen oder professionelle Designer:innen in speziellen Abteilungen oder Bereichen einer Organisation praktizieren. Der Blick auf den Fall VW zeigt, dass die Motivation überwiegt, mit Design Thinking nutzer:innenzentrierte Produktinnovationen zu entwickeln, um einem möglichen Verlust der Marktposition entgegenzuwirken. Der Wunsch nach einem systemischen Organisationswandel zugunsten einer höheren Menschenzentrierung ist nicht erkennbar. Stattdessen wird Design Thinking weitestgehend mit vorgegebenen, linearen Prozessschritten, Arbeitsanweisungen und Übungen angewendet, ohne die bisherige Rolle von Design zu beachten. In der Logik der Einführung von Design Thinking fehlt ein Bewusstsein für das Gestaltungsnarrativ. Akteur:innen – auch auf Managementebene – verorten Design Thinking nicht in diesem Kontext. Dabei erweist sich gerade das Konzept des Gestaltungsnarrativs als hilfreich, um das Schicksal von Design Thinking zu beschreiben. Changierend zwischen Technik und Methode, leistet es einen anders gearteten Beitrag zu Veränderungen: Mitarbeitende erleben das Gestaltungsnarrativ VWs. Für sie wird das Narrativ erst im Handeln durch Widerstände sichtbar. So erfahren sie, wie bisher Veränderungen, Neues oder Unbekanntes bei VW gestaltet wurden. Auch als Technik und Methode zeigt Design Thinking demnach Potenzial, das implizite Gestaltungsnarrativ zu erkunden. Anhand des Falls VW wird jedoch auch deutlich, dass die Anpassung an die Gegebenheiten der Unternehmenspraxis nicht von allein passiert. Das eigentliche Hindernis ist die Transferleistung, um Design Thinking erlernt als Technik oder Methode an die Gegebenheiten vor Ort anzupassen. Die Notwendigkeit, eine Form zu entwickeln, die zum Unternehmen passt, ist latent bei erfahrenen Mitarbeitenden vorhanden. Sie fordern zwar strukturelle, kulturelle und personelle Anpassungen, um Erwartungen wie eine höhere Nutzer:innenzentrierung oder eine
3. Erkenntnisse aus der Praxis
höhere Menschzentrierung im Unternehmen zu erfüllen. Jedoch fehlen auch ihnen positive Lösungsbeispiele, in denen sie organisationale Hürden selbstständig überwinden konnten. Häufiger zeigt sich, dass diejenigen, die Design Thinking von Beginn an geprägt haben, sich zurückziehen in Projektarbeit oder das Unternehmen verlassen. Wiederholt zeigt sich, dass eine unklare Erwartungshaltung an Design Thinking die Anwendung von gestalterischem Denken und Handeln erschwert, die für die angestrebte digitale Transformation notwendig wäre. Das Aufdecken der innerorganisationalen Spannungsfelder zeigt die Diskrepanzen zwischen dem aktuellen Narrativ und den Prinzipien, die in der Anwendung von Design Thinking verankert sind. Die Daten eröffnen Anknüpfungspunkte für Veränderungen und können damit Diskurse anregen. Das Ausprobieren und Anwenden von Techniken und Methoden aus dem Designkanon ist jedoch das eigentliche Reallabor, aus dem neue Erkenntnisse in Bezug auf das angeführte Gestaltungsnarrativ gewonnen werden könn(t)en. Das heißt, wenn Mitarbeitende Design Thinking anwenden, können sie implizites Erfahrungswissen und kognitives Wissen als Erkenntnis zum Gestaltungsnarrativ vereinen. Das wiederum stärkt ihr Bewusstsein für einen systemischen Wandel, der über die Anwendung von weiteren Techniken und Methoden hinausgeht.
Kund:innenfokus statt Menschzentrierung im Unternehmen Design Thinking hat neue qualitative Methoden und damit menschzentrierte Denk- und Handlungsweisen eingeführt. Kund:innen traten zuvor fast ausschließlich in der Marktforschung in Form von soziodemografischen Daten auf. Verglichen mit solchen zahlenbasierten Beschreibungen, eröffnen reale Lebenswelten, Befragungen oder ethnografische Ansätze einen neuen Zugang zur Kund:innenperspektive und erlauben ein ganzheitlicheres Bild. Es wird wiederum in der Designtheorie kritisch diskutiert, dass sich Design Thinking auf ein höchst formalisiertes Regelwerk reduziere und damit Aspekte der Ganzheitlichkeit einbüße. Einige Kritiker:innen sind der Meinung, dass Design Thinking seinem eigenen Anspruch eines Human-Centered-Design-
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Ansatzes nicht gerecht werde und stattdessen nur einen User-CenteredDesign-Ansatz verfolge. Das heißt: Die Praxis konzentriere sich auf die lineare Beziehung zwischen Unternehmen und Kund:innen, wohingegen der Anspruch eines Human-Centered-Design-Ansatzes alle beteiligten Akteur:innen einbeziehen würde. Bei Volkswagen erscheint Design Thinking tatsächlich meist in systematisierter Form, d.h., auch das Kernelement, die Empathie für Anwendende, wird übergangen. Die Frage danach, wer die Templates, Prozesse und Techniken eigentlich anwendet und welche Ausgangslage diejenigen mitbringen, tritt in den Hintergrund. Als Nutzende werden Kund:innen außerhalb des Unternehmens verstanden. Nur wenige, sehr erfahrene Designer:innen erachten diese Sichtweise als problematisch: »Wir wollen als Organisation ja mehr user-centric [nutzer:innenzentriert] werden. Aber wie kann das nach außen strahlen, ohne, dass wir es auch nach innen tun?« (B10) Design Thinking gestaltet also die Beziehung zwischen VW und potenziellen Kund:innen neu, nicht aber die Beziehung zu Mitarbeitenden. Diese werden nicht als Akteuer:innen verstanden. Wie bereits oben gezeigt, wird es damit als ein User-Centered-Design-Ansatz angewendet. Ein Human-CenteredDesign-Ansatz hätte Mitarbeitende gleichermaßen wie Kund:innen, Lieferant:innen und auch andere Akteuer:innen wie Städte oder Kommunen integriert. Der Fall VW zeigt, dass Design Thinking sein eigentliches Kernargument eines systemischen Ansatzes zugunsten eines portierbaren, vermeintlich leicht zu erlernenden und überprüfbaren Instruments zur Steigerung der Innovationsfähigkeit verliert. Als Einfallstor für systemischen Wandel kann Design Thinking in Form von Technik und Methode nur unzureichend für eine Neuausrichtung der Organisation sorgen, die Menschen in den Mittelpunkt stellt. Zusätzlich zeigt sich, dass Aspekte wie die Imagination und die situative Anpassung bei VW nicht angesprochen werden. Stattdessen deutet die Diskrepanz zwischen Mitarbeiter- und Kund:innenorientierung darauf hin, dass es einem technokratisch geprägten Unternehmen wie VW schwerfällt, systemische Ansätze zu integrieren. Die durch Design Thinking angeregten Veränderungen zeigen die Verständniskluft, die in vielen
3. Erkenntnisse aus der Praxis
Unternehmen vorherrscht: dass eben Design Thinking nur Relevanz erhält, wenn die Beziehung zwischen Organisation und Kund:innen neugestaltet werden soll. Übersehen werden dabei jedwede Akteuer:innen, die einen systemischen Wandel (mit-)gestalten würden. Die mentale Grenze zwischen der Organisation innen und außen begünstigt, dass Design Thinking als formalisiertes Regelwerk Anklang findet. Die Einführung eines gestaltenden, menschzentrierten Ansatzes offenbart also die Gestaltungsmuster eines Unternehmens. Verborgene Problemfelder bieten wiederum Anknüpfungspunkte, wenn der Wandel von einem produzierenden Industrieunternehmen hin zu einer Organisation mit menschzentrierter Ausrichtung – bei VW zum Mobilitätsdienstleister – angestrebt wird. Aspekte wie Visualisierung, Kollaboration und Multiperspektivität machen Implizites transparent und liefern Erlebnisse über die Kulturen innerhalb der Organisation oder, wie es eine Befragte (B3) ausdrückt: »Natürlich hatten wir auch vorher eine Kultur bei Volkswagen, aber jetzt dürfen wir darüber reden.« Die Anwendung von Design Thinking bei VW begünstigt mögliche weitere Veränderungen insofern, als Mitarbeitende motiviert und unterstützt werden, unbewusste und informelle Aspekte ihrer Handlungen und solche, die im Unternehmen üblich sind, zu erkennen. Die Sichtbarkeit wirkt als Auftakt für ein neues Bewusstsein, das wiederum einen (positiven) Beitrag zum weiteren Wandel liefern kann. Dafür brauchte es allerdings erst einmal diese neue Perspektive auf das Geschehen, um darauf aufbauend gestaltend zu denken und zu handeln.
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4. Handlungsempfehlungen
Bei der Untersuchung eines Fallbeispiels liegt es nahe, nach Erkenntnissen für die Unternehmenspraxis zu fragen. Im Sinne des methodischen Rahmens der Grounded Theory liefern die Beobachtungen jedoch auch Impulse für die Designtheorie, d.h. für die Konzeptualisierung von Design Thinking und für seine Vermittlung an den einschlägigen Institutionen. Nach der systematischen Beschreibung und Analyse der Unternehmenspraxis geht es in diesem abschließenden Kapitel also um die Frage: Was sollen wir tun?
4.1.
Für die Unternehmenspraxis
Verlässt man die Ebene des konkreten Fallbeispiels bei Volkswagen, stellt sich die Frage, was sich in Unternehmen ändern müsste, damit Design Thinking sein volles Potenzial in Bezug auf organisationale Veränderungen entfalten kann. Insbesondere zeigt die Praxis, dass es bislang kaum als strategisches Instrument der Organisationsentwicklung wahrgenommen oder genutzt wird. Was muss also passieren, damit Design Thinking als Strategic Art in einer Organisation ankommt? Aus Sicht der Designtheorie lässt sich eine Organisation wie VW als Produkt auffassen. Das bedeutet, jedes Unternehmen wird gestaltet, und zugehörige Strukturen, Kulturen und Narrative sind als Ergebnis eines fortwährenden Entwurfsprozesses zu verstehen. Folglich ist jedes Unternehmen unterschiedlich: Es handelt, kommuniziert, produziert und organisiert individuell. Das bedeutet nicht, dass nicht ähnliche,
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in jedem Fall aber nicht identische Muster auftreten können. Grundsätzlich bietet eine designtheoretische Sichtweise jedoch die Offenheit, eine Organisation als Ganzes zu betrachten und wechselseitige Abhängigkeiten zwischen einzelnen Aspekten ebenso einzubeziehen wie informelle Handlungen, Strukturen und Prozesse. Entsprechend dem Ansatz dieser Arbeit ist das Ziel also nicht, ein Patentrezept für die erfolgreiche Etablierung von Design Thinking in einem Unternehmen zu liefern. Vielmehr geht es darum, aus designtheoretischer Perspektive einen Blick in die Praxis zu werfen und diese Beobachtungen zu systematisieren und verständlich zu machen. Ausgehend von diesem Verständnis sind allgemeine Handlungsabfolgen kaum zielführend. Dennoch zeigen sich zwei Lernfelder, die Gestaltenden helfen, Design Thinking als Strategic Art anzuwenden und in ihrem Unternehmen nutzbar zu machen. Sie sind als Denkansätze zu verstehen, die Ansatzpunkte für Veränderungspotenziale aufzeigen. Demzufolge ist das Ziel, Lesenden Eindrücke zu verschaffen, um mögliche Parallelen oder Abweichungen zu ihren Erfahrungen zu erkennen und damit anstelle einer Anleitung Ansatzpunkte für die Veränderung des eigenen Umfelds mit seinen spezifischen Gegebenheiten zu bieten.
Unternehmensnarrativ der Gestaltung einbeziehen statt One-size-fits-all-Ansatz Design Thinking wurde bei VW analog zur schematischen Ausprägung von IDEO & Co. überwiegend in Form von Schulungen eingeführt, stockte allerdings beim Transfer in den Unternehmensalltag. Es traten unterschiedliche Hürden auf, die zwar häufig beklagt wurden, aber in den wenigsten Fällen gelöst und überwunden werden konnten. Das in Kapitel 3.5 eingeführte Gestaltungsnarrativ (vgl. Junginger und Bailey 2017) zeigte die Eigenlogiken, Kulturen, Werte und Außenwirkung des Unternehmens auf. Beispielhaft für Vorstellungen und Designpraktiken ist der Dialog mit einem besorgten Manager anzuführen, der sich nach einem mehrtägigen Projektworkshop seines Teams, in dem sehr interaktiv gemeinsam diskutiert, entworfen, verworfen und revidiert wurde, fragte, ob diese Form der Kommunikationsbelastung zumutbar
4. Handlungsempfehlungen
ist. Auffällig sind dabei zwei Punkte: Zum einen empfindet er die interaktive Arbeitsweise als anstrengender und zum anderen stellt er diese Frage lieber mir (in dem Fall in der Rolle als Expertin) als seinen Mitarbeitenden in dem beobachteten Team. Auch dieses Beispiel zeigt, wie bisher Praktiken im Gestaltungsnarrativ bewertet werden: Teamarbeit ist anstrengender als Individualarbeit und Expert:innenrat hat Vorrang vor Teamverantwortung. Ich erinnere mich zudem an einen Dialog mit einem Kollegen, der verwundert fragte, als ich von meiner Studie berichtete: »Ist Design Thinking nicht schon wieder vorbei, jetzt kommt doch Service Design?« Ein anderer Kollege schmunzelte: »Ach, ich freu mich schon auf die nächste Sau, die durchs Dorf getrieben wird.« Die Beispiele zeigen, dass Design Thinking von einigen nicht ernst genommen und von anderen nicht umfänglich verstanden wurde. In diesem Verständnis folgte es vorangegangen Trends der Managementforschung und es werden (vermutlich) weitere folgen. Für die Implementierung von Design Thinking als Strategic Art, d.h., um menschzentriertes, gestaltendes Denken und Handeln in einem Unternehmen für einen systemischen Wandel anzuwenden, müssen diese Vorstellungen überwunden werden. Aus Sicht der Designtheorie entwickelt jedes Unternehmen eine individuelle Vorgehensweise, durch wen, wie genau und wo Veränderungen entworfen werden. Ein Gestaltungsnarrativ beschreibt also die Art und Weise, wie gestaltet wird. Jedes Unternehmen hat (s)ein Gestaltungsnarrativ, häufig ist es den Handelnden nicht bewusst und das Narrativ existiert eher implizit. Mitarbeitende müssen jedoch eine Idee von den Eigenlogiken, Kulturen, Werten und der Außenwirkung des Unternehmens entwickeln, um Design Thinking als Strategic Art überhaupt erfolgreich in den Unternehmensalltag zu übertragen. Die Frage nach einer passenden Einführung ergibt sich also auch aus der Antwort auf die Frage: Inwiefern ist Mitarbeitenden das vorhandene Gestaltungsnarrativ des Unternehmens bewusst? Sofern Mitarbeitende weder ein Bewusstsein für das aktuelle noch für das wünschenswerte, zukünftige Gestaltungsnarrativ haben, wächst die Wahrscheinlichkeit, dass Design Thinking analog zu den oberen Beispielen verschwindet, ohne organisationale Veränderungen nachhaltig anzustoßen. Das Ziel, gestaltendes Denken und Handeln in
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einem Unternehmen zu stärken, benötigt also ein Bewusstsein für das vorhandene Gestaltungsnarrativ, um es ggf. zu verändern. In Bezug auf Design Thinking als Strategic Art berührt die wohl schwerwiegendste, aber notwendige Veränderung das Verständnis davon, wer in einem Unternehmen gestaltend denkt und handelt: Während bislang entweder spezialisierte Unternehmensbereiche wie das Automobildesign, die Innovationseinheiten oder auch vereinzelte Positionen im Topmanagement mit einem Gestalten von Zukünftigem assoziiert wurden, weisen die bisherigen Ausführungen darauf hin, dass ein Gestaltungsnarrativ nicht einzelnen Funktionen oder Hierarchien in einem Unternehmen vorbehalten sein sollte, besonders nicht, wenn Unternehmen oder Branchen unter einem gewissen Wandlungsdruck stehen. Ein Gestaltungsnarrativ vereint die Historie und Gegenwart einer Organisation: Jede Organisation hat ihre eigene Designgeschichte, in der sie eigene Praktiken entwickelt hat, wie gestaltet wurde. Alle neuen Designbemühungen finden vor diesem historischen Hintergrund statt. Ein Gestaltungsnarrativ ist somit vorstellbar als kombinierte Geschichte bisheriger Designaktivitäten, historischer Designentscheidungen und früherer Designansätze, die aktuelle Designpraktiken innerhalb einer Organisation bestimmen. Ein organisationales Gestaltungsnarrativ beschreibt somit die aktuelle Designumgebung einer Organisation, nicht nur den Zweck, das Mandat oder die Vision, sondern auch das Netzwerk von Akteuren, die von Designprozessen und Designentscheidungen betroffen sind. Um Design Thinking als Strategic Art auf strategischer, taktischer und operativer Ebene anzuwenden, muss es die historischen und gegenwärtigen Narrative des Gestaltens kennen und berücksichtigen. Design Thinking als Strategic Art nutzbar zu machen, bedeutet also, es nicht nur als Methode oder Toolkit innerhalb einer bestehenden Unternehmenslogik produktiv zu machen, sondern es zur Basis eines neuen Gestaltungsnarrativs zu machen. Dennoch scheint es wenig realistisch, davon auszugehen, dass sich ein Unternehmen mit seinen Strukturen, Prozessen, Kulturen und Mindsets von jetzt auf gleich verändert oder dies tun sollte. Wie die Spannungsfelder gezeigt haben, basiert das bisherige Lernverständnis bei VW auf formalen Strukturen: Informelle Initiativen, die durch die
4. Handlungsempfehlungen
intrinsische Motivation und den impliziten Bedarf von Mitarbeitenden gestartet wurden, unterliegen nach einer gewissen Zeit – sofern sie sich überhaupt als relevant erweisen – einem Druck, sich zu verstetigen, zu formalen Netzwerken ausgebaut zu werden und die Eigenlogiken der Organisation anzunehmen. Das nimmt ihnen wiederum den Charakter, der sie für Innovator:innen interessant gemacht hat. Anhand dieses Beispiels zeigt sich auch, dass es kulturell schwerfällt, Freiräume zu erhalten. Vielmehr werden diese nach einem gewissen Reifegrad in etablierte, mechanische Strukturen überführt. Gelänge es Unternehmen stattdessen, diesen Prozess bewusst als Lernphase (vgl. Senge 1990) aufzufassen, könnten die gewonnenen Erkenntnisse dazu beitragen, mehr über die jeweilige Organisation zu erfahren und basierend darauf eine passende Form von Design Thinking als Strategic Art zu entwickeln. Solange Design Thinking jedoch tendenziell weniger mit einer Lernkultur assoziiert wird, sondern technokratisch nach seiner Passung bewertet wird, gelingt die kontextuelle Anpassung kaum. Werden die auftretenden Störungen dagegen als erkenntnisgewinnend betrachtet, können sie das Lernverständnis eines Unternehmen, wie hier von VW, erweitern. Sofern die Implementierung von Design Thinking als Strategic Art einschließlich des damit einhergehenden Paradigmenwechsels unrealistisch ist, weil die Gefahr besteht, dass es auf wenig Resonanz unter Mitarbeitenden stößt, bietet es sich an, diese aktiv in die Gestaltung des Implementierungsprozesses einzubeziehen. Besonders solche mit einem hohen Gestaltungsdrang sind häufig auch intrinsisch motiviert, den neuen Gestaltungsraum anzunehmen. Unterstützen Manager:innen diese Mitarbeitenden, indem sie Ideen anhören, auffordern zu gestalten und zugleich selbst verstehen, dass sie in ihrer Rolle Freiräume gestalten können, legen sie eine Grundlage dafür, dass sich Design Thinking als Strategic Art weiterentwickeln kann. Diese Freiräume als Lernräume zu begreifen, in denen ein Ausprobieren und daraus reflektierend ein Lernen anstelle eines Delegierens und Ausführens vordefinierter Aufgaben und Ziele gefördert wird, ermöglicht eine neue Qualität gestalterischen Denkens und Handelns.
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Sofern der mit der Einführung von Design Thinking als Strategic Art einhergehende Paradigmenwechsel realistisch ist, bietet sich in Bezug auf eine Adaption an die jeweilige Organisation an, sowohl formale als auch informelle Logiken, Werte und Strukturen in den Blick zu nehmen, um zu verstehen, wie der »pre-text« der Organisation gestaltet wurde. Durch die frühe Verzahnung von Historie und Gegenwart in Form von Geschichten kann die Organisation als ein Produkt verstanden werden, das auch Mitarbeitende unter Anwendung von Design Thinking als Strategic Art mitgestalten können. Das kann helfen, passende Formen zu entwickeln. Den Austausch darüber unter Mitarbeitenden zu fördern, würde wiederum auf die Etablierung einer Kultur der Kooperation, Iteration und bedürfnisorientierten Produktentwicklung einzahlen. Gebraucht wird also ein Umdenken beim Lernverständnis der Organisation, um aus Erkenntnissen zu lernen, die bislang noch wenig produktiv genutzt werden.
Schnittstellen statt Innovationsinseln gestalten Wie bei VW zeigen sich auch in vielen anderen Unternehmen sogenannte Innovationslabore und andere neu gegründete Organisationsformen, in deren Zielsetzung die digitale Produktentwicklung durch moderne Arbeitsweisen steht. Diese Labore entstehen häufig als Keimzellen an der organisationalen Peripherie – d.h. an anderen, meist urbanen Standorten und mit einer losen Anbindung an die übrige Unternehmenskultur. Das führt meist dazu, dass Handelnde auf einer Arbeitsebene an der Schnittstelle zwischen Labor und Unternehmenszentrale Konflikte lösen müssen, die daher rühren, dass Schnittstellen nicht systemisch mitgestaltet wurden. Auf dem Organigramm werden solche Labs zwar gern als strukturell-prozessuale Veränderungen sichtbar gemacht, tatsächlich agieren sie häufig wie erwähnt als Satelliten mit eigenen Kulturen und Narrativen. Die Nachvollziehbarkeit für diese strukturelle Abkoppelung ergibt sich aus dem Schutz des Neuen. Jedoch treffen Mitarbeitende aus Lab und Zentrale aufeinander und es entstehen Spannungsfelder, da beide formal zum selben Unternehmen gehören. Das heißt, selbst wenn es einzelnen Keimzellen gelingt, eigene
4. Handlungsempfehlungen
Kulturen zu gestalten, sind sie zugleich an teilweise widersprüchliche Regeln, Logiken oder Kulturen der Zentrale gebunden, beispielsweise bei Karriereentwicklung, Arbeitszeitregelung, Complianceregeln, Vertragsmodalitäten oder der Zusammenarbeit mit Dienstleistenden. Die Erweiterung der Organisationslandschaft zu einem System, bestehend aus unterschiedlichen Organisationsformen, ermöglicht zwar grundsätzlich ein Voneinanderlernen. Das Ausleben dessen ist für Mitarbeitende jedoch herausfordernd, was besonders in den beobachteten Workshops deutlich wurde, an denen Mitarbeitende aus Lab und Zentrale teilnahmen. Die einzelnen Keimzellen als Teil eines Systems zu begreifen, bietet Potenzial für eine gemeinsame Entwicklung, ein Lernfeld und systemische organisationale Veränderungen. Auch durch gezielte Tandemprojekte oder Wissenstransferformate kann der Austausch zwischen unterschiedlichen Organisationsformen gefördert werden. Die Integration von Innovationslaboren in den Unternehmensalltag schafft Synergien und erhöht die gegenseitige Akzeptanz. Die somit indirekt gestalteten Schnittstellen sind es, die Design Thinking als Strategic Art zur Anwendung bringen könnten – ob es nun so benannt wird oder nicht, spielt eine nachgeordnete Rolle. Beispielhaft für die Forderung nach einem Systemansatz nannten Mitarbeitende auch das Vakuum zwischen Schulungen und Alltagsanwendungen. Wie dargestellt, sind Schulungen für die meisten Mitarbeitenden ein erster Berührungspunkt mit der neuen Materie. Neben den Kritiken, dass eine Schulung das Credo des Machens verfolgt und keine theoretischen Grundlagen zu Design Thinking liefert, gelingt es Teilnehmenden nur unzureichend, das Neuerlernte in ihrem Arbeitsalltag anzuwenden. Die Daten zeigen, dass das Lernformat der Schulung nicht weit genug greift, um sie dabei zu unterstützen, etablierte Handlungen, Prozesse und Strukturen in ihrem direkten Alltag dahingehend anzupassen. Um ein System zu fördern, lohnt sich auch der Wissenstransfer, damit Menschen ausprobieren, Fehler machen, lernen und darüber offen kommunizieren können. Eine gestaltende, lernende Kultur, die im gemeinsamen Handeln entstehen kann, sollte daher gefördert werden, beispielsweise als Communities of Practice, als individuelle Austauschformate oder schlicht als Eigeninitiativen, die
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nicht vorab geplant oder budgetiert werden, um Freiräume für Ungeplantes entstehen zu lassen. Wenn Schulungen als Einstiegsformat für Design Thinking fungieren, muss daher umso nachdrücklicher der Transfer in den Alltag gelingen, da sonst selbst Design Thinking als Technik oder Methode verpufft und eine Etablierung als Strategic Art in weite Ferne rückt. Angewendet als Strategic Art verknüpft Design Thinking hingegen diese Interdependenzen durch einen ganzheitlichen Denk- und Handlungsansatz.
4.2.
Für die Designdisziplin
Mit Blick auf die Designdisziplin betrifft die Frage Was sollen wir tun? zwei Aspekte: die Konzeptualisierung von Design Thinking und seine Vermittlung in Schulungen und Institutionen. Dafür ist es zunächst hilfreich, sich noch einmal die neuesten Tendenzen in der Design-Thinking-Theorie zu vergegenwärtigen: Besonders angelsächsische Designdiskurse argumentieren zunehmend für ein Verständnis von Design Thinking als gestaltendes Denken und Handeln, das weit mehr umfasst als die methodische Entwurfsarbeit für konkrete Produkte und Dienstleistungen. Für sie ist (und bleibt) Design Thinking eine umfängliche Denk- und Handlungsweise zur Gestaltung von Systemen, die sich folglich auch für die Aufgaben der Organisationsentwicklung selbst empfiehlt. In dieser Linie argumentiert auch Junginger für Design Thinking als Strategic Art: als Eintrittstor für einen systemischen Wandel in Organisationen, die Menschen als Akteure im Zentrum strategischer Entscheidungsprozesse und zukunftsweisender Ausrichtungen sieht. Die Entwicklungen in der Unternehmenspraxis bei VW zeigten allerdings auch, dass diese Anwendung nur begrenzt in der Praxis ankommt. Stattdessen verstehen Mitarbeitende es überwiegend als Toolkit, mit dem Kund:innenbedürfnisse nutzbar gemacht werden, um die Begehrlichkeit von Produkten zu erhöhen in der Hoffnung, so dem Innovationsdruck standzuhalten. Sie lernen es überwiegend in Workshopformaten kennen, die es ihnen nicht ermöglichen, ein systemisch-
4. Handlungsempfehlungen
ganzheitliches Verständnis von Design Thinking zu entwickeln. Ihr Verständnis folgt damit einem gewissen Pragmatismus und verspricht erfolgreiche Produktentwicklungen. Das heißt: Trotz des Erfolgs finden offenbar theoretische Vorstellungen und Überlegungen von Design Thinking als gestaltendes Denken und Handeln (noch) keinen Weg in die Unternehmenspraxis. Warum? Ausgehend von dieser Frage ist es möglich, Überlegungen anzustellen, wie das Konzept in einem Unternehmen tatsächlich als Strategic Art Fuß fasst. Dafür müssen zunächst die Wege verstanden werden, auf denen Design Thinking ins Unternehmen Einzug erhält, um die Schnittstellen zwischen Theorie und Praxis zu erkennen, die es zu gestalten gilt, um es als Strategic Art zur Anwendung zu bringen. Bei VW zeigen sich drei Arten, wie Auffassungen von Design Thinking ins Unternehmen gelangen: zum einen solche, die in Schulungen entwickelt werden, zum anderen diejenigen, die neu eingestellte Expert:innen mit langjähriger Erfahrung einbringen, und drittens das Verständnis von Manager:innen.
Design Thinking mitgestalten Die meisten Mitarbeitenden bei VW lernen Design Thinking in Schulungen kennen, die es im Sinne einer Fortbildung gezielt vermitteln sollen. Dem Format entsprechend liegt der Fokus dabei auf dem How to?, ähnlich einer Computerschulung, die Teilnehmende befähigt, ein neues Programm anzuwenden. Coaches greifen dafür auf Methodenkarten oder Templates zurück, um ein schrittweises Erlernen zu ermöglichen. Der Workshopcharakter der Schulungen stellt das Erleben in den Vordergrund. Häufig wird dabei auf eine Erklärung von theoretischen Ursprüngen zugunsten von einfach mal Machen verzichtet, um rational-logische Gedankenmuster nicht anzuregen, die Teilnehmer:innen verleiten könnten, in gewohnte Denkstrukturen zu verfallen. Das heißt, schon allein aufgrund des etablierten Formats lernen die Mitarbeitenden Design Thinking – in Jungingers Terminologie – nur als Technik oder Methode kennen und nicht als Strategic Art.
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Eine erste Frage lautet, inwiefern etablierte Schulungskonzepte in einem Unternehmen wie VW überhaupt verändert werden könnten, um Design Thinking als Strategic Art in die Praxis zu tragen. Bisher liegen dazu nur designtheoretische Überlegungen in Form von Fachartikeln vor, didaktische Konzepte sind kaum zu finden. Daraus ergibt sich für Vermittelnde die Aufgabe der Aufbereitung und Übersetzung von Fachartikeln in eine Didaktik, die das Erleben als Strategic Art fördert. Vermittelnde in der akademischen Ausbildung sind gefordert, auch theoretische Inhalte interaktiv oder projektbasiert zu vermitteln – im Gegensatz zum bisherigen Textstudium. Allerdings findet die Entwurfslehre in der Designdisziplin von jeher projektbasiert statt und kann als Vorreiterin des erlebnisbasierten Lernens angesehen werden. Anknüpfend daran kann innerhalb von Designhochschulen weiter experimentiert werden, inwiefern die Didaktik theoretischer Grundlagen (um-)gestaltet werden kann. Ferner bietet es sich an, den Vermittlungsfokus vom Wie geht Design Thinking? um das Warum soll es eigentlich angewendet werden? zu erweitern. So haben Anwender:innen die Möglichkeit, ein Selbstverständnis zu entwickeln, das weit über das Lösen eines spezifischen Nutzer:innenproblems hinausreicht. Im Verständnis als Strategic Art bietet sich Design Thinking für neuartige Themengebiete wie Zusammenarbeitsmodelle, Entscheidungswege oder Gehaltsstrukturen an, also für weitaus komplexere Systeme als beispielsweise Produktinnovationen im automobilen Innenraum. Übungen, Techniken, Methoden oder Rollenspiele, die sich um Haltungen, Einstellungen und Perspektivwechsel der Anwendenden drehen, sind bislang selten in der Praxis angekommen. Einen zweiten Weg findet Design Thinking über neu eingestellte Expert:innen ins Unternehmen, häufig Absolvent:innen von Institutionen wie dem HPI oder Designhochschulen. Sie werden zum Zeitpunkt der Studie eingestellt, um Design Thinking zu vermitteln oder in einem Team Produkte zur Zukunft der Mobilität zu entwickeln. Mit ihnen schafft es die Idee von Design Thinking als Strategic Art also tatsächlich ins Unternehmen, da sie ihnen nicht nur vertraut ist, sondern sogar einen expliziten Antrieb für ihre Arbeit darstellt.
4. Handlungsempfehlungen
Trotz ihrer intrinsischen Motivation erkennen die Expert:innen schnell nach ihrem Einstieg ins Unternehmen, dass das Gestalten von Strukturen bestimmten Positionen in der Hierarchie vorbehalten ist – und diese Posten haben Personen inne, die nicht über fundierte Kenntnisse von Design Thinking verfügen, weder als Technik oder Methode noch als Strategic Art. Das Gestalten und Verändern von Strukturen bleibt Manager:innen vorbehalten, die hierarchischstrukturell in einem Unternehmen wie VW höher angesiedelt sind. Für die Expert:innen bedeutet das entsprechend: Da sie (noch) keine Managementposition einnehmen, gestalten sie auch keine Strukturen – zumindest nicht qua Mandat. Stattdessen erleben sie, dass ihre Versuche, den Beitrag von Design Thinking für transformative Veränderungen anzuwenden, zurückgewiesen werden und ihre Bemühungen verpuffen. Sie scheitern an Strukturen und Prozessen und am Mangel von Mitspieler:innen im Management. Demnach bleibt es für sie nahezu unmöglich, für solche Veränderungen Gehör zu finden. Erfahrene Design Thinker:innen sind frustriert, da sie bemerken, dass sie in ihrer Position bestehende Strukturen nicht verändern können – diese aber als Hürden für ihre Arbeiten wirken. Exemplarisch sei an dieser Stelle an die Schilderungen von zwei erfahrenen Design Thinker:innen erinnert: »Früher wollten wir das Unternehmen verändern, jetzt machen wir geile Projekte. Wir sind doch nicht das Change Management.« Sie drücken damit eine (Re-)Verschiebung ihres Beitrags vom systemischen Kulturwandel zum Entwickeln von Produktinnovationen aus, was innerhalb des Unternehmens weitaus mehr Ansehen erhält. Letzteres integriert sich zusätzlich auf natürliche Art und Weise in bisherige Strukturen, erfüllt vordefinierte Zielsetzungen und überrascht durch andersartige Ergebnisse. Die Frage nach der Rolle von Design Thinking innerhalb des organisationalen Wandels tritt in den Hintergrund und damit auch das Verständnis als Strategic Art. Zusätzlich fällt die kleine Anzahl dieser Expert:innen im Vergleich zu denjenigen auf, die Design Thinking in Schulungen erlernten. So herausfordernd die Rekrutierung solcher Expert:innen ist, so schwierig scheint es, sie mittel- bis langfristig im Unternehmen zu halten. Auch sechs der insgesamt 13 Interviewpartner:innen für diese Studie, dar-
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unter überwiegend solche mit ausgewiesenen Kenntnissen in Design Thinking, haben das Unternehmen bis Ende 2021 verlassen. Was bedeutet dies nun für die Designtheorie und die Vermittlung von Design Thinking als Strategic Art? Für ein Wirken im industriellen Kontext scheint es relevant, die interdisziplinären Stärken und Erfahrungen von Absolvent:innen um solche zu ergänzen, die sie auf eine Unternehmensrealität vorbereitet – besonders da sich diese deutlich von der Ausbildung unterscheidet und weit mehr umfasst, als Design Thinking mitsamt seinen Ursprüngen und Entwicklungen anzuwenden. Stattdessen scheint es immer wichtiger zu werden, Studierenden einen (industriellen) Anwendungskontext nahezubringen, um sie darauf vorzubereiten, ihre Kenntnisse gleichermaßen einzubringen und zugleich die Logik der Organisation zu berücksichtigen. Dies scheint Voraussetzung für Veränderungen dahingehend zu sein, dass Design Thinking als Strategic Art weiter Fuß fasst. Obgleich sie qua ihrer Talente eine hohe Empathie und Erfahrungswissen in interdisziplinärer Zusammenarbeit haben, wird in einem Unternehmen wie VW ihre Resilienz gefordert. Grund dafür ist die stetige Frustration darüber, die starren und begrenzenden Rahmenbedingungen des Systems zu spüren, oder wie es ein Designer (B1) auf den Punkt bringt: Naja, eigentlich sind wir bei einem Unternehmen, was grundsätzlich nicht zu uns passt. So von unserer grundsätzlichen Art an Sachen heranzugehen, zu arbeiten. Erfahrene Design Thinker:innen haben also keine Möglichkeit, ihr gelerntes Idealbild von Design Thinking anzuwenden, sondern sind gefordert, die Organisation mit ihren Kulturen und Veränderungsmechanismen zu verstehen, um ihre Vorstellungen dahingehend zu adaptieren und zugleich andere positiv zu beeinflussen. Ihre Designausbildung war weitestgehend auf ein »Machen« ausgelegt, was jedoch dafür nicht ausreichend ist. Sofern Design Thinking auf institutioneller Ebene noch in den Kinderschuhen steckt, werden sie von der Realität im Unternehmen als eine Art Prediger, Verkündiger, Vorredner oder Ähnliches angesehen. Es wird erwartet, dass sie ihre Kenntnisse dahingehend einbringen, was Design Thinking einem einzelnen
4. Handlungsempfehlungen
Manager oder dem Unternehmen im Allgemeinen bringen kann, und zwar argumentativ. Die dafür notwendige Sprachlogik entspricht nicht der gleichen, die sie als Design Thinker:innen mitbringen. Stattdessen müssen sie verstehen, welche Argumente für Manager:innen valide sind und worin sie konkret deren Aufgaben verstehen. Für die Vermittelnden heißt das, sich bewusst zu werden, dass sie zusätzlich zur Anwendung und Vermittlung von Design Thinking auch Themengebiete wie Communities of Practice, Managementtheorie, Wissenstransfer oder Organisationsentwicklung kennen sollten, um ihre duale Rolle zwischen Expert:in und Vermittler:in mit Resilienz auszufüllen, ohne zu resignieren. Die Ausbildung der eigenen Haltung muss daher über die eigene künstlerische Handschrift hinausgehen. Der Aufschwung von Design Thinking in der Praxis hat folglich Auswirkungen auf die Designausbildung: Gestaltendes Denken und Handeln wird zu etwas Methodischem, d.h., es muss erklärbar und verständlich sein, um das Vertrauen anderer Disziplinen zu gewinnen. Zugleich geht das einher mit der Herausforderung, eine Akzeptanz für implizites Wissen einzubringen und das gegenüber Denkschulen zu argumentieren, deren Wissensverständnis auf rein expliziten Aspekten beruht. Das erhöht den Druck auf Lehrende, Lernende dabei zu unterstützen, ihre Handlungen, Methoden und Techniken vorab zu erklären, während sie ihr Tun bislang mit dem abstrakten Nimbus der »Kreativität« legitimieren konnten. Für die Vermittlung von Design Thinking als Strategic Art ist die Rhetorik für eine Rolle im Kontext von Innovationsentwicklung in Industrieunternehmen nützlich oder, wie es der Designtheoretiker René Spitz (2021) treffend formuliert: »Design ist nun mal Teil jener industriellen Systeme, die aktuell zu großen Problemen führen. Deshalb können wir uns nicht einfach zurücklehnen.« Die Befähigung zur Mitgestaltung solcher Systeme ist Aufgabe der Designtheorie in ihrer Vermittlung. Ein weiterer Aspekt betrifft eine strukturelle Herausforderung der Interdisziplinarität, wie auch der Professor Stefan Bufler (Kirst 2021) fordert: »Wir müssen raus aus der Designblase und mit mehr NichtDesigner:innen zusammenarbeiten.« Interdisziplinarität könnte durch Zusammenarbeiten mit anderen Fachbereichen und Institutionen und
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speziellen Kursen zu Themen wie Ko-Kreation und Facilitation erlebt werden, bedarf aber häufig noch der intrinsischen Motivation der Lehrenden. Damit würde gestalterisches Denken und Handeln gefördert und besonders die Fähigkeit, analytisch zu argumentieren, ausgebaut werden. Interessant ist es auch, die neue Ausrichtung in das Evaluierungssystem für Studierende zu integrieren, die bisher primär anhand haptischer Endprodukte beurteilt werden. Gleiches gilt für Anreizsysteme für Lehrende, um vermehrt fachübergreifende Projekte zu fördern. Tandemprojekte zwischen Vermittelnden und Vertreter:innen aus der Praxis könnten helfen, einander besser zu verstehen. So würde es Absolvent:innen leichter fallen, gemeinsam mit anderen Disziplinen ein Design-Thinking-Verständnis als Strategic Art zu gestalten und die Kritik in Veränderungen umzuwandeln. Die dritte Gruppe, über die Vorstellungen von Design Thinking ihren Weg zu VW finden, ist das Management. Ihr begegnet es überwiegend in Fachliteratur oder journalistischen Artikeln, weitaus seltener in der konkreten Anwendung. Dadurch entwickeln sich ihre Vorstellungen gegenläufig zu denen der Mitarbeitenden, die Design Thinking im learning by doing-Modus erleben. Manager:innen lesen stattdessen in einschlägiger Managementliteratur, in der Design Thinking als Methode zur Entwicklung von Produktinnovationen beschrieben wird und somit weitgehend der Ausprägung folgt, die IDEO und Co. vertreten. Die Popularität rührt daher, dass es dieser Ausprägung gelungen ist, Designpraktiken in einer Systematisierung zugänglich zu machen, die auf alle, ob Manager:innen oder Mitarbeitende, verständlich und attraktiv wirkt. Design Thinking in dieser Form ist eine gezielte Vermarktung von Designknowhow, das für jede:n in Schulungen erwerbbar ist. Sein Erfolg ist also nicht zuletzt einer durchdachten Kommunikation zu verdanken. Das heißt: Gezielt auf Entscheidungsträger und ihre Bedarfe zugeschnittene Kommunikation führt dazu, dass Manager:innen Design Thinking in diesem Verständnis protegieren. Sie erwerben also genau die Vorstellung von Design Thinking, die von vornherein auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist – dementsprechend ist das Ergebnis eben Methode und Tool statt Strategic Art.
4. Handlungsempfehlungen
Bislang bemessen Manager:innen ihren Erfolg bei VW hauptsächlich über kurzfristig prognostizierbare und messbare Ziele – also ein Gestalten eines zuvor bekannten Ergebnisses. Das Eintrittstor für Design Thinking bei Manager:innen öffnet sich auch, weil die Kommunikation verspricht, ihre beruflichen Ziele »besser« zu erreichen. Sie haben damit qua ihrer Rolle Interessen, die Design Thinking als Technik und Methode bedient. Als Strategic Art dagegen begegnet es ihnen nur selten und dann in Form eines vagen Versprechens, dass Design Thinking sich positiv auf eine moderne Arbeitskultur auswirke. Beispielhaft deutlich wird die Art und Weise, wie Manager:innen Design Thinking verstehen, an der Umgestaltung von Besprechungsräumen. Sicherlich ist der Aspekt der Arbeitsumgebung einer, der prominent neben Prozessmodell und Multiperspektivität erwähnt wird. Dennoch fällt auf, dass die Umgestaltung von Räumen häufig als Erstes angestoßen wird, da sie nach etablierten Bestellprozessen verläuft. Das heißt, Dienstleistende werden beauftragt, Einrichtungsvorschläge zu machen, das Management wählt den Favoriten und in weiterer Folge werden Räume mit Whiteboards und Stehtischen bestückt. Die Veränderung liegt im Mobiliar, also in sichtbaren Artefakten, die ohne Rückgriff auf Design Thinking als Arbeitsweise bereitgestellt werden. Auch wenn diese Artefakte positiv auf den Strukturwandel einzahlen, verdeutlichen sie zunächst, wie wenig sich die Prozesse ändern. Über die Artefakte hinaus wird Design Thinking auch als Arbeitsweise eingeführt, dann aber meist als Prozessmodell, das als standardisiertes Vorgehen aufgefasst wird. In der Interpretation des HPIs umfasst der Prozess fünf bis sechs Schritte, die in Schulungen linear durchlaufen werden. Auch wenn die kreisähnliche Darstellung ein iteratives – d.h. jederzeit flexibel sich vor- und zurückzubewegen im Prozess – Vorgehen proklamiert, erinnern die Prozessphasen an ein lineares Vorgehen, das sich in Planungs- und Zeitmanagementvorgaben integriert. Das Modell verspricht also Qualität unter Zeitdruck, trotz kreativer, bunter und interaktiver Arbeitsweisen. Die Entwicklung zeigt, dass ein Interesse geweckt wird, wenn es etwas Neuem – hier Design Thinking – gelingt, etablierte Formate, Wege, Prozesse oder
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Strukturen zu nutzen, und zusätzlich etwas mitbringt, was sich in der VW-Kultur positiv für Manager:innen auswirkt. Anders als im vorherigen Fall, wo Expert:innen an Unternehmensstrukturen scheitern und ihnen bewusst wird, dass sie keinerlei Befugnisse zur Veränderung haben, verändern Manager:innen mit dem beschriebenen Vorgehen trotz ihrer Befugnisse keine Prozesse oder Strukturen. Sie nehmen Design Thinking an, wie es zu ihren Bedürfnissen passt und sich in bestehende Strukturen integriert. Ihre Vorstellungen gewinnen sie weitestgehend aus Artikeln, die es als Technik oder Methode beschreiben, weshalb ihnen ohne Anwendung eine Idee davon fehlt, dass es überhaupt ein Verständnis als Strategic Art geben könnte. Die Systematisierung im Sinne eines Toolkits für seine erfolgreiche Distribution im Management macht es für das ganzheitliche Verständnis als Strategic Art schwierig, sich in einem Industrieunternehmen wie VW zu entfalten. Gestaltendes Denken und Handeln für jede:n fordert jedoch ein systemisches Mitdenken von allen – was bisher gar nicht vorgesehen war und zudem keinen messbaren, schnellen Erfolg verspricht. Auch hier bietet der Perspektivwechsel an, darüber nachzudenken, inwiefern Design Thinking als Strategic Art die Rolle von Manager:innen gestalten kann – und damit auch den Weg bereitet, dass Designer:innen ihre Kenntnisse in Managementpositionen einbringen können: Naheliegend erscheint es, das gestaltende Denken und Handeln in die Managementausbildung zu integrieren. Es scheint erforderlich, um innerhalb eines Industrieunternehmens neue Denkund Handlungslogiken einzuläuten. Die Beobachtungen haben gezeigt, inwiefern sich die bestehenden Strukturen und Verhaltensweisen bislang an den durch Design Thinking propagierten Prämissen reiben. Design Thinking als Strategic Art zu verbreiten und durch begleitendes Lernen Manager:innen zu helfen, ihre Rollen zu wandeln, kommt nahezu revolutionär daher – führt aber möglicherweise nachhaltiger zu Veränderungen in Kulturen, Strukturen und Prozessen in einem Unternehmen. Die Rolle des Managements verändert sich dann vom Kontrollieren zum Gestalten. Die Beobachtungen weisen auch darauf hin, dass dies nur langfristig angelegt sein und kurzfristige, messbare
4. Handlungsempfehlungen
Erfolge nur im geringen Maße zulassen kann. Die Tendenz zeigt auch, dass es als Strategic Art womöglich eher in Institutionen wie einem Start-up Fuß fassen wird, indem Strukturen und Prozesse grundsätzlich neu gestaltet werden und Erfolgskriterien entsprechend einer Menschzentrierung aufgebaut werden können. In diesem Fall ist die Chance schlicht höher, dass Manager:innen Design Thinking als Strategic Art nicht nur erlernen, sondern auch in ihrer Organisation anwenden können. Die Expert:innen sind es also, die aktuell und qua ihrer Kenntnisse Design Thinking als Strategic Art in Unternehmen einbringen können. Das wird jedoch nur gelingen können, wenn sie eine Empathie für den Kontext und das Designnarrativ eines Industrieunternehmens entwickeln. Sie sind gefordert, die manageriale Rolle von Verwaltung, Kontrolle und Gestaltung zu begreifen und sie als Ausgangspunkt und Grundlage ihres Handelns zu verstehen. Die Wege verdeutlichen, wie und warum unterschiedliche Vorstellungen von Design Thinking bei VW Einzug gehalten haben. Alle drei Varianten zeigen, dass die Transformation einer Organisation, die in den vergangenen Jahrzehnten ein erfolgreiches Gestalten von Veränderungen ausgebildet hat, die eigentliche Herausforderung darstellt. Ein System, dessen Grundlage für den Erfolg das Prinzip der Arbeitsteilung verinnerlicht hat und seine Strukturen danach aufgebaut hat, etwas (um-)zugestalten, indem ganzheitlich und langfristig entschieden wird, macht ersichtlich, welche Pole aufeinander einwirken. Dennoch verdeutlichten die Spannungsfelder im dritten Kapitel ebenso die Aspekte, die für ein mögliches Umkrempeln angegangen werden sollten.
Interdependenzen von Designtheorie und -praxis Nach den Überlegungen, wie Studierende und Professionals darauf vorbereitet werden könnten, dass Design Thinking zukünftig als Strategic Art Fuß fassen kann, wird abschließend noch ein Blick auf den designtheoretischen Diskurs um Design Thinking gewor-
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fen. Laut Jungingers Modell kann Design Thinking auf drei Arten angewendet werden: als Technik, Methode oder als Strategic Art. Die Anwendungsarten unterscheiden sich hinsichtlich ihres Beitrags zu organisationalen Veränderungen. Sie argumentiert, dass Design Thinking als gestaltendes Denken und Handeln einen transformativen Charakter auf Ebene der Organisationsentwicklung zeigt. Angewendet als Technik und Methode, gelingt es jedoch nicht, es für organisationale Veränderungen nutzbar zu machen. Vergleicht man nun das Modell mit den Erkenntnissen aus den Beobachtungen bei VW, zeigen sich zwei Dinge: Einerseits wird ersichtlich, dass so kategorisch, wie die Theorie im Allgemeinen und das Modell Jungingers zur Anwendung im Speziellen Design Thinking beschreibt, die Beobachtungen in der Praxis natürlich nicht sind. Grundsätzlich ist das weder problematisch noch ungewöhnlich, da die Aufgabe theoretischer Modelle nicht darin liegt, eine reale soziale Wirklichkeit genau abzubilden, sondern tendenziell Denkschemata bereitzuhalten, um Realitäten zu systematisieren. Andererseits zeigt sich, dass das hier als Klassifizierung der Anwendung von Design Thinking herangezogene Modell von Junginger durch die Erkenntnisse der Studie erweitert werden kann: Wie gesehen, trägt die systematisierte Anwendung in der Praxis nur mittelbar zum systemischen Wandel eines Unternehmens bei, indem sie eine latente Wirkung erzielt. Design Thinking erscheint überwiegend als eine Art Toolkit – nach Junginger changierend zwischen Technik und Methode. Sie argumentierte, dass beides keine Auswirkungen auf einen systemischen Wandel hat. Am Fallbeispiel VW zeigte sich jedoch, dass auch diese Formen der Anwendung auf individueller Ebene latent einen Anstoß zum Wandel geben – was wiederum in gewisser Diskrepanz zum erwähnten Modell steht. Das Modell könnte insofern erweitert werden, als dass Design Thinking auch als Technik oder Methode latent einen Wandel unterstützen kann, allerdings nur auf einer individuellen Ebene. Die mögliche Ergänzung eines Ebenenmodells könnte Anklang finden, da es eine weitere Konkretisierung bereithält.
4. Handlungsempfehlungen
4.3.
Das Potenzial von Design Thinking als Strategic Art
Die vorherigen Kapitel präsentierten bereits den disruptiven Charakter von Design Thinking bei VW in unterschiedlichen Anwendungsfällen: Neue Arbeitsweisen weckten Neugier, führten Multiperspektivität und Kollaboration ein und erweiterten Analysepraktiken um haptische Prototypen, die etwas entstehen ließen, das Verbales oder vage Konzeptbeschreibungen konkretisierte. Dennoch schafft Design Thinking es nur unterschwellig, seinen Beitrag zu organisationalen Veränderungen im Unternehmen verständlich zu machen. Sein Potenzial für strategische Veränderungen, besonders auf Ebene von Prozessoder Strukturveränderungen, kommt kaum an. Stattdessen verstehen besonders Manager:innen den Beitrag primär im Entwickeln von nutzer:innenzentrierten, automobilen Produktinnovationen. Einige zeigen sich zwar offen für Design Thinking, vorwiegend, um ihre Sichtbarkeit und Zukunftsfähigkeit zu stärken. Treten jedoch Notwendigkeiten für neue Prozesswege oder strukturübergreifende Zusammenarbeitsmodelle auf, reagieren sie zurückhaltend. Ein Bewusstsein für den Beitrag von Design Thinking als systemisches gestaltendes Denken und Handeln kommt somit nur dort an, wo Strukturen und Prozesse keine Hürde für Veränderungen darstellen. Nach den vorherigen Überlegungen, wie Design Thinking als Strategic Art in der Praxis verankert und in der Theorie vermittelt werden könnte, skizziert der abschließende Ausblick nun potenzielle Wege und zukunftsweisende Positionen, die sich an diese Arbeit anschließen könnten.
Organisation als Ökosystem verstehen Der Fall Volkswagen zeigt, wie sich ein Industrieunternehmen aufgrund seiner inneren Logik als eine Organisation begreift, die durch Strukturen und Prozesse beschrieben werden kann. Viele Aspekte mit Relevanz für die Gestaltung von Organisationen, wie wechselseitige Abhängigkeiten, Kommunikationsverhalten oder Entscheidungsfindungen, sind dabei selten zu finden. Kennzahlen wurden stattdessen separiert betrachtet, wie beispielsweise psychologische Faktoren als
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Auswahlkriterien für die Einstellung und Beförderung von Mitarbeitenden oder Organigramme als Strukturelement für Berichtswege und Hierarchien. Häufig wurde versucht, Kulturen im Unternehmen und die damit verbundene Mitarbeitendenzufriedenheit durch quantitative Messverfahren zu prüfen. Daraus entstehen (vermeintlich) dezidierte Ergebnisse, die Präferenzen oder Kritik von Mitarbeitenden ordnen – jedoch ohne ein Bewusstsein dafür, dass die Erkenntnisse kaum über bereits Bekanntes hinausgehen können, wenn Mitarbeitende sich zwischen vorgegebenen Antworten entscheiden. Wie Laloux (2015) bemerkte, drückt jede Organisationsform die dominierende Weltanschauung ihrer Zeit aus. Bei VW zeigt sich, dass sich die Organisation entsprechend ihrem tayloristischen Grundgedanken offenbar nur so begreifen kann, wie sie seit 1937 ihre Produkte begreift: als Maschine. Wie es ein Befragter (B8) ausdrückte: »Bei Volkswagen wissen wir immer vorher, was hinten rauskommt.« Eine Maschine funktioniert als ein Ganzes und produziert eine bestimmte Art von Ergebnis – bei Volkswagen das Auto. Wird etwas verändert, passiert dies vorwiegend durch die Optimierung von Einzelteilen. Strukturell wird diese Optimierung von Manager:innen angeordnet und von Mitarbeitenden ausgeführt, also hieratisch von oben nach unten delegiert. Es ist daher wenig verwunderlich, dass die Einführung von Design Thinking in der Maschine VW für Störungen sorgt. Diese zeigen sich beispielsweise darin, dass Manager:innen ohne umfangreiche Kenntnisse von Design Thinking nicht ersichtlich wird, welches Einzelteil der Maschine defekt ist. Stattdessen wird ihr progressives Interesse, Design Thinking anzuwenden, damit belohnt, dass es auf unterschiedlichen Ebenen der Maschine knirscht. Die vier eruierten Spannungsfelder zeigen viele solcher Situationen, die nicht mit bisherigen Lösungsmustern anzugehen sind. Umso mehr bietet es sich an, Design Thinking als Strategic Art so anzuwenden, dass es einen systemischen Wandel von Unternehmen wie Volkswagen bei der Transformation unterstützt. Denn im Gegensatz zum Maschinenmodell hält es einen systemischen Ansatz vor, der eine Organisation als Ganzes begreift und seine Akteur:innen in den
4. Handlungsempfehlungen
Mittelpunkt stellt. Organisationen als gestaltete Objekte zu verstehen (Junginger 2008) heißt, ein Unternehmen wie Volkswagen als Ergebnis eines Entwurfsproduktes mit Strukturen, Prozessen, Vision, Mission zu begreifen – ebenso wie ein Auto, ein Haus oder eine Kaffeetasse. Das erwähnte Knirschen resultiert also aus der Betrachtung einer Organisation, die ein produzierendes Unternehmen wie Volkswagen als Maschine begreift. Bei VW lässt sich jedoch bereits ein erstes Umdenken beobachten. Die Einführung von Design Thinking wirkt als Trojanisches Pferd für Strukturveränderung, indem es die Revolution tarnt, die es mit sich bringt. Der anhaltende Innovationsdruck öffnete das Tor Trojas und brachte neue Arbeitsweisen herein, deren Anwendung die auftretenden Spannungsfelder nicht intendierte. Das heißt: Manager:innen, die die Anwendung von Design Thinking in einem System fördern, ohne dies per se verändern zu wollen, kaufen sich durch die mittelbaren Effekte mehr Störungen ein, als erwartet oder erwünscht. Design Thinking gelingt es also auch in der Anwendung als Technik und Methode, latente Veränderungen auf individueller Ebene anzustoßen und, von dem ausgehend, ein gestaltendes Denken und Handeln auch außerhalb des Managements anzuregen. Diese unerwarteten Erkenntnisse müssen sich jedoch gegen das Bild von VW als Maschine behaupten, auch wenn einige Design Thinking auch dahingehend als »Wunderwaffe« (B3) bezeichnen, die in Ansätzen strukturverändernd wirkt. Dennoch fällt es Manager:innen sichtlich schwer zu begreifen, dass die Spannungen bereits als Beginn einer Demokratisierung eines gestaltenden Denkens und Handelns im gesamten Unternehmen zu verstehen sind. Design Thinking proklamiert nachdrücklich, dass ein Gestalten sich nicht auf Positionen oder Hierarchien beschränkt, sondern als Teil einer zukunftsorientierten Veränderungskultur Einzug halten muss. Um eine Gestaltungskompetenz in Form des aktiven systemischen Mitdenkens zuzulassen, müssen Mitarbeitende zu Design Thinker:innen werden bzw. gestaltendes Denken und Handeln innerhalb VWs anwenden. Der Innovationsdruck geht zwar einher mit dem Bedarf eines Paradigmenwechsels innerhalb der Organisation, der jedoch nicht allein durch ein Anstoßen individueller Veränderungspotenziale pas-
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sieren wird. Mitarbeitende verstehen nur sukzessive, dass die entstandenen Spannungsfelder bereits symptomatisch für Veränderung stehen. Umso mehr bietet es sich an, Design Thinking als Strategic Art anzuwenden, so dass es einen systemischen Wandel von Unternehmen bei der Transformation unterstützt. Denn im Gegensatz zum Maschinenmodell hält es einen systemischen Ansatz vor, der eine Organisation als Ganzes begreift und seine Akteur:innen in den Mittelpunkt stellt. Design Thinking als Strategic Art bietet durch seine Ganzheitlichkeit ein neues Paradigma, das einen positiven Beitrag zur Resilienz der Organisation leistet und es als Ökosystem versteht – zumindest, sofern man theoretischen Denkansätzen und Verständnissen von Design Thinking als Strategic Art glaubt. Ein Ökosystem besteht aus Interdependenzen, die unter ständiger Abhängigkeit immerzu zur Disposition stehen. Eine Maschine dagegen besteht aus Einzelteilen, die so zusammengefügt werden, dass die Maschine funktioniert. Zwar kann eine Maschine ebenso wie ein Ökosystem als ein gestaltetes Objekt verstanden werden. Ein Ökosystem repräsentiert jedoch ein Netzwerk von Beziehungen, indem die wechselseitige Abhängigkeit im Zentrum steht. In einem Ökosystem findet Design Thinking als Strategic Art überall statt und würde sich nicht auf dezidierte Unternehmensbereiche beschränken. Anders ausgedrückt: In einem Ökosystem sind zwischenmenschliche Beziehungen zentral und Schnittstellen werden mitgestaltet. Verstehen Mitarbeitende jedoch eine Organisation als Maschine, beschreiben sie diese häufig durch Strukturen, Prozesse und Kennzahlen. Das tayloristische Prinzip der Arbeitsteilung drückt sich in Form von Silos und Abteilungen aus, die Hierarchien zeigen den Grad der Verantwortlichkeit. Zum Zeitpunkt der Studie unterstreichen die beiden Metaphern Maschine und Ökosystem den gegenwärtigen Paradigmenwechsel. Der andauernde Wandel vom Automobilhersteller zum Mobilitätsdienstleister kommt diesem gleich, da im Zeitraum der Studie sowohl Automobile produziert als auch Design Thinking im Bereich von Produktund Dienstleistungsinnovationen angewendet wird. Die erwähnten Störungen resultieren daraus, dass in einem Paradigmenwechsel etwas Bisheriges und etwas Neues zeitgleich stattfinden, ohne zu wissen,
4. Handlungsempfehlungen
wann und ob diese Paradessenz endet. Auch dafür braucht es die erwähnte Resilienz, um diesen Übergangsmodus als Gestaltungsraum zu verstehen.
Komplexität braucht gestaltendes Denken und Handeln Wann immer Menschen die Art und Weise verändern, wie sie über Probleme und Zeitgeschichte nachdenken, entstehen neue Formen von Organisationen. In den letzten Jahren sind vermehrt Start-ups, neue Formen von Führungsmodellen und Eigentumsmodellen diskutiert worden. Im Jahr 2017 wurde sogar dazu die ISO-Norm 27501:2017-08 mit dem Titel Die menschzentrierte Organisation – Anleitung für Führungskräfte formuliert. Die Entwicklung einer ISO-Norm kann ebenso als Indiz für die wachsende Relevanz für menschzentrierte Sichtweisen in Unternehmen verstanden werden. Zugleich gibt es Industrieunternehmen wie Volkswagen, das seit seiner Gründung im Jahr 1937 fortwährend gestaltet wurde und sich demnach seit fast einem Jahrhundert einem stetigen Wandel unterzieht. Doch auch andere Großunternehmen erleben die gegenwärtige Komplexität der Herausforderungen in Bezug auf Fachkräftemangel, Karrierewege und Digitalisierung, um nur einige Aspekte zu nennen. Grundsätzlich gibt es also Anzeichen, die darauf hindeuten, dass sich die Landschaft der Organisationsformen gegenwärtig verändert und neue Fragestellungen aufwirft. Nach dem Kennenlernen von Design Thinking wünschten sich einige Mitarbeitende neue, gestalterische Freiheitsgrade in ihrem Unternehmensalltag. Ihr neues Bewusstsein für eigene Bedürfnisse geht einher mit der sich im digitalen Wandel befindlichen Arbeitswelt. Statt als Arbeitnehmer:in lebenslang in einem Unternehmen zu verweilen, werden Flexibilität und Gestaltungsfreiraum zu Aspekten der Arbeitgeberattraktivität bei Wissensarbeitenden. Auch wenn die Arbeit zeigte, wie herausfordernd der Wechsel von einem produzierenden Unternehmen und seinen Narrativen zu einem Dienstleistungsverständnis ist. Daher verwundert es nicht, dass eine Welt im Umbruch zunehmend den Wert von Gestaltung für umfangreiche Erneuerungsprozesse erkennt. Mögliche Treiber sind dabei die interdisziplinären und kollaborativen
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Denk- und Vorgehensweisen, die als zielführend und vielversprechend angesehen werden, um komplexe Aufgaben in Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zu lösen – nämlich multiperspektivisch statt disziplinär und individuell. Innerhalb dieses Umbruchs gewann das Konzept um Design Thinking an Aufmerksamkeit und ein erweitertes Designverständnis wandelte sich zu einer zentralen Herangehensweise, um Zukunft zu gestalten. Für ein produzierendes Wirtschaftsunternehmen eröffnen menschenzentrierte und gestaltende Arbeitsweisen wie Design Thinking die Chance, über die Bedürfnisse, Wünsche und Ängste zu reflektieren und möglicherweise die Ausrichtung des Unternehmens zu verändern. Dennoch greift ein reiner Human-Centered-Design-Ansatz nicht mehr weit genug, um verantwortlich zu transformieren. Vielmehr zeigen erste Arbeiten (vgl. Peukert 2022) ein Einläuten von posthumanen Konzepten, in denen Mensch und Umwelt als Kontext der Handelnden gleichwertig relevant werden.
Interdisziplinäre Öffnung der Designlehre Während bei VW das Design als Disziplin zu Beginn der Studie überwiegend mit der Gestaltung von Automobilen oder dem Geschäftsbericht assoziiert wird, läutet Design Thinking ein Verständnis ein, das weit über die Produktgestaltung hinauswirken kann. Der Paradigmenwechsel, für den Design Thinking als Strategic Art steht, betrifft daher nicht nur (Industrie-)Unternehmen, sondern auch die Designdisziplin in ihrem Selbstverständnis, ihrer Vermittlung und ihrer Funktion in Organisationen und darüber hinaus. Die Designtheorie bietet dafür ein ganzheitliches Verständnis von Design Thinking, das sich jedoch in der Praxis gegen das etablierte Gestaltungsnarrativ einer Maschine behaupten muss. Erinnert sei an das Trojanische Pferd: Design Thinking hielt nicht Einzug, um die Organisation zu wandeln, sondern mit dem impliziten Anspruch die Innovationsfähigkeit zu steigern. Diese Sichtweise von Organisationen als Ökosystem bietet zwar einen ganzheitlichen Ansatz, findet jedoch in der deutschsprachigen Designforschung noch wenig Beachtung. Der Ursprung der Designdis-
4. Handlungsempfehlungen
ziplin geht auf den konkreten Entwurf, die unmittelbare Skizze zurück und wird auch durch den Erfolg und die Bekanntheit von Strömungen wie dem Bauhaus oder der Ulmer Schule häufig mit den entstandenen Artefakten assoziiert. Der Entwurfsprozess verbindet zwar von jeher Kopf und Hand, deren Zusammenspiel sich im Entwurfsergebnis zeigt. Gestaltung wird demnach immer schon als eine erfahrende Weltaneignung und Problemerkennung beschrieben. Dennoch zeigt die Designdisziplin noch Nachholbedarf, auch ein erweitertes Verständnis anzunehmen. Das Verständnis von der Organisation als gestaltetes Produkt steckt noch in den Anfängen, ebenso wie ein Bewusstsein dafür, dass Design Thinking als Strategic Art eine paradigmatische Funktion beansprucht, die sich gegen die Popularisierung von Design als spezialisierte Ausbildung behaupten muss. Design Thinking beschreibt einen Entstehungsprozess, der die Analyse zur Problemerkennung nicht von der Lösung trennt, sondern beides iterativ vereint. Im Vergleich zur erwähnten tayloristischen Gestaltung, die durch Aspekte der industriellen Arbeitsteilung eine erfolgreiche mechanische Herangehensweise darstellte, gilt es gegenwärtig, ein Problem zunächst explorativ und ganzheitlich zu erfassen. Der Forderung nach Ganzheitlichkeit kann nicht nachgekommen werden, wenn nur eine Disziplin oder eine Person etwas, analysiert und versucht zu lösen – ganz unabhängig von exzellenten Fähigkeiten eines Einzelnen. Vielmehr bewegt sich die Tendenz dahin, dass die Komplexität von Problemen zunimmt, die erst durch das Zusammenspiel von unterschiedlichen Perspektiven verstanden und gelöst werden können. Design Thinking im Verständnis als Strategic Art bietet eine Denkund Handlungsart, die es Menschen ermöglicht, ihre unterschiedlichen Perspektiven zu vereinen. Die Öffnung hin zu mehr Interdisziplinarität fordert es jedoch auch ein, die Balance zwischen Skalierung und Adaption neu zu prüfen. Eine Skalierung bedeutet hier, etwas sehr gut Funktionierendes in einem anderen Kontext in gleicher Form anzuwenden – häufig ein Bestreben zur Effizienzsteigerung mit dem Grundgedanken, dass etwas wie eine Art Schablone repetitiv in einen anderen Kontext transferierbar ist. Kritisch und auch widersprüchlich zu einem ganzheitlichen
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Designansatz, der Organisationen als Ergebnis eines individuellen Entwurfsprozesses versteht, wird ohne ausreichende Rücksicht auf mögliche Kontextunterschiede und erforderliche Anpassungen skaliert, was wiederum den Erfolg von Projekten oder Vorhaben schmälert. Durch die Hintertür rüttelt Design Thinking als Strategic Art also auch an etablierten Narrativen anderer Denkschulen, wie hier der wirtschaftlichen Skalierung nach Wachstum, und sensibilisiert für eine Beachtung der kontextuellen Adaptionsmöglichkeiten. Design Thinking als gestaltendes Denken und Handeln zu verstehen, steht allerdings nicht im Gegensatz zu Fragen nach der Autonomie und der Deutungshoheit des Gestaltenden. Jedoch erhält das erweiterte Verständnis von Design durch die Zukunftsorientierung, die Konkretisierung im iterativen Entwurfsprozess und die Haptik eine neue interdisziplinäre Aufmerksamkeit. Daher könnte die Frage nach der Relevanz der Designtheorie im 21. Jahrhundert lauten: Will die Designdisziplin weiterhin primär mit dem Gestalten von immer neuen Produkten assoziiert werden? Oder: Wie kann es gelingen, Designqualitäten so zu kommunizieren, dass Design als eine Herangehensweise verstanden wird, die sich nicht auf eine spezialisierte Ausbildung beschränkt und mit der Ästhetik von (digitalen) Produkten oder Kommunikationsmitteln beschäftigt? Designtheoretische Diskurse und ihre Vermittlung nähern sich dieser postmateriellen Sichtweise an, stecken allerdings noch in ihren Anfängen. Dennoch deuten Entwicklungen auf die Frage hin, ob es in diesem Zuge gelingen kann, designing als eine gleichwertig forschende und handwerkliche Handlungsweise anzunehmen.
5. Anhang
5.1.
Dank
Die Publikation basiert auf meiner Promotion (Augsten 2021), deren Verfassen ohne die dreijährigen Beobachtungen des Zusammenspiels von Anwender:innen mit Design Thinking in der Unternehmenspraxis der Volkswagen Aktiengesellschaft unmöglich gewesen wäre. Für diese Möglichkeit und die Unterstützung des Volkswagen Konzerns sowie den persönlichen Einsatz von Anika Paul, Dr. Ralf Brunken und Thorsten Jankowski möchte ich mich bedanken. In kritischen Dialogen ermutigte mich Prof. Dr. Sabine Junginger, diese Arbeit zu verfassen und einem erweiterten Verständnis der Rolle des Designs in Organisationen nachzugehen. Ihre Forschung öffnete mir Zugang zu einem systemischen Designverständnis und erweckte die Arbeit maßgeblich zum Leben. Ihr gilt mein Respekt und großer Dank für eine nachhaltige Betreuung. Hannes Schaser gilt mein außerordentlicher Dank. Er hat mir dabei geholfen, meinen Gedanken eine sprachliche Ausdrucksform zu verleihen. Dr. Bettina Fackelmann, Prof. Dr. Arjan Kozica, Dr. Sylke Lützenkirchen, Prof. Dr. Caroline Ruiner und Dr. Franziska Ewert danke ich für ihre Denkanstöße in vielen reflektierenden Gesprächen. Bedanken möchte ich mich ebenfalls bei Lisa Kammermeier und dem Coconat-Team – sie haben es mir ermöglicht, neben den vielen Stunden des Schreibens gedankliche und physische Ausflüge zuzulassen. Die Gründung von design:transfer mit Dr. Daniela Peukert hat die Arbeit von Beginn an flankiert und ihre Ausgestaltung erst in
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dieser Form ermöglicht. Unser Bestreben, Designforschende zu Fragen der Transformation miteinander zu verknüpfen, über den disziplinären Tellerrand zu schauen und den deutschsprachigen Designdiskurs kritisch zu reflektieren, wäre ohne Daniela, ihre Geduld und ihren Überblick nicht möglich gewesen. Mein Dank gilt ebenso Svenja Bickert-Appleby, Dr. Moritz Gekeler, Prof. Dr. Lorenz Herfurth, Anna Keilbach, Dr. Eva Köppen, Dr. Ingo Rauth, Prof. Dr. Katja Thoring und Dr. Angelika Trübswetter für ihre stetigen Einladungen, über deutschsprachige, disziplinäre Grenzlinien zu blicken und mich an mein Vorhaben zu erinnern, an der Schnittstelle von Wissenschaft und Wirtschaft zu forschen und den Anspruch zu verfolgen, die Welten miteinander zu verknüpfen. Für ein dauerhaftes Zuhören, die aufbauenden Worte, den stetigen Optimismus, die leisen Umarmungen, die klirrenden Gläser und den immer spürbaren Rückenwind danke ich von Herzen: Claudia Aryus, Dr. Nicole Baron, Frederike Beha, Dr. Sirkka Freigang, Dr. Anna Folwaczny, Angela Haas, Dr. Titta Jylkäs, Matthias Hajek, Ines Köhler, Jesco Loewel, Dr. Judith Mühlenhoff, Angela Pasch, Ansgar Raible, Prof. Dr. Laura Popplow, Dr. Linus Schaaf, Dr. Hannah Schatte, Sonja Schnass, Dr. Simon Sinsel, Katja Vedder und Ann-Sophie Winter. Ihr seid die wunderbarsten Freund:innen, die ich mir wünschen könnte. Der größte Dank gebührt meiner Familie, ohne deren unermüdliche Unterstützung diese Arbeit nicht möglich gewesen wäre. Sie war es, die mich stetig ermuntert hat, die Promotionsreise zu beginnen. Zugleich war sie es auch, die mich wachgerüttelt hat, wenn ich mit dem Kopf zu sehr in der Arbeit gefangen war. Diese Unterstützung ist für mich nicht selbstverständlich – ihr könnt euch nicht vorstellen, wie wichtig dieser Rückhalt für mich ist. A goal is not always meant to be reached, it often serves simply as something to aim at. (Bruce Lee)
5. Anhang
5.2.
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5.3.
Glossar
Adhocracy | Adhokratie: Eine Organisationsform, die in hohem Maße auf Eigeninitiative und Selbstorganisation setzt. Damit bildet sie einen Gegensatz zur Bürokratie. Den Begriff der Adhokratie, der auf das lateinische ad hoc (aus dem Augenblick heraus) zurückgeht, hat der Zukunftsforscher Alvin Toffler eingeführt. Später wurde er in der Managementlehre von Henry Mintzberg weiterentwickelt. Häufig werden Onlineorganisationen als Adhokratien definiert. Agilität: Bezogen auf Organisationen bezeichnet Agilität die Fähigkeit, sich proaktiv auf sich verändernde Marktbedingungen und Kund:innenanforderungen einzustellen. Im Unterschied zur Flexibilität bedeutet agil sein, dass die Veränderung der Form bleibend bzw. nachhaltig ist, die Organisation also nicht zur Ausgangsform zurückkehrt. Agiles Projektmanagement: Ursprünglich aus der Softwareentwicklung stammend, kommt agiles Projektmanagement mittlerweile in vielen anderen Branchen zum Einsatz. Es geht um eine neue Art der Zusammenarbeit, die auf einen fixen Plan verzichtet: Man verständigt sich auf ein gewünschtes Ergebnis und justiert die Umsetzung kontinuierlich nach. Methodisch basiert dieses Vorgehen auf den im Agilen Manifest von 2001 definierten agilen Werten und Prinzipien. Balanced Scorecard: Die Balanced Scorecard ergänzt die klassische Sicht auf die finanziellen Kennzahlen des Unternehmens durch
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weitere Perspektiven: auf Kund:innen, die internen Prozesse und den Bereich Lernen und Entwicklung. Das Konzept der Balanced Scorecard geht auf die Forschungen von Robert Kaplan und David Norton zurück. Chief Digital Officer: Der Titel der Person, die in der obersten Führungsebene eines Unternehmens für die Umsetzung der Digitalisierungsstrategie verantwortlich ist. Bislang ist diese Position in nur wenigen deutschen mittelständischen Unternehmen und Konzernen eingerichtet worden. Die Abkürzung CDO wird z.T. auch für den Chief Design Officer verwendet. Community: In der Unternehmenswelt wird unter Community eine Gemeinschaft von Menschen verstanden, die sich über ein Thema oder mehrere zusammenhängende Themen austauscht. Die Community organisiert sich über interne und externe Unternehmensgrenzen hinweg. Community of Practice: Die Community of Practice bezeichnet eine Gemeinschaft von Personen, die in einem bestimmten Praxisfeld durch regelmäßigen Austausch voneinander lernen wollen. Die Gruppe organisiert sich im Regelfall selbst. Das Konzept der Community of Practice (CoP) geht auf die Sozialforscher Jean Lave und Étienne Wenger zurück. Compliance: Compliance meint die Einhaltung von gesetzlichen Bestimmungen und internen Richtlinien (z.B. ethische Standards) durch eine Organisation und ihre Mitglieder. Ziel ist das Vermeiden von Strafzahlungen und anderen negativen Sanktionen und Folgen für das Unternehmen. Viele Unternehmen haben ein ComplianceManagement etabliert, das die Bedingungen und Maßnahmen für regelkonformes Verhalten definiert, umsetzt und kontrolliert. Design Challenge: Die Design Challenge bezeichnet in DesignThinking-Prozessen die Aufgabe, die es zu lösen gilt. Diese Aufgabe definiert den Rahmen und die Richtung des Prozesses. Sie sollte offen genug formuliert sein, um das Finden und die Auswahl möglicher Lösungen nicht unnötig einzuschränken. Design Sprint: Ein systematisches Format der Zusammenarbeit, bei dem ein Team unter einer festen Zeitvorgabe ein zuvor definiertes
5. Anhang
Problem löst. Üblich ist meistens eine fünftägige Dauer des Sprints. Das Team ist dabei heterogen und interdisziplinär zusammengesetzt, beim Vorgehen greift es auf Elemente des Design Thinking zurück. Digitalisierung | Digitale Transformation: Hiermit ist üblicherweise der Wandel von Industrie, Medien und weiterer Bereiche der Gesellschaft durch die Ausbreitung digitaler Technologien gemeint. Oftmals wird in diesem Zusammenhang auch von der dritten Revolution gesprochen, die noch tiefgreifender unser Leben und Arbeiten verändern werde als die zweite (industrielle) Revolution. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts verbindet man die Digitalisierung immer öfter mit sogenannten disruptiven Technologien und Geschäftsmodellen, die unter anderem den rasanten Aufstieg der großen Technologiekonzerne wie Google, Apple oder Facebook begründeten. Divergentes Denken: Die ergebnisoffene, unsystematische und experimentierfreudige Auseinandersetzung mit einem Thema oder Problem. Damit bildet das divergente Denken das Gegenstück zum konvergenten Denken (siehe unten). Bei Letzterem stehen Linearität, Rationalität und Logik im Vordergrund. Explizites Wissen: Explizites Wissen meint verschriftlichtes bzw. versprachlichtes Wissen – z.B. in Form von Handbüchern, Anleitungen oder Dokumentationen. Es besteht aus Regeln und Fakten, ist durch Sprache und Schrift eindeutig kodiert und damit leicht kommunizierbar, was im Gegensatz zum impliziten Wissen steht (siehe unten). Facilitation: Gemeint ist damit eine besondere Form der Unterstützung in Workshops, Projekten und Veränderungsprozessen. Die Beteiligten können offen und frei ihr Wissen einbringen, Themen diskutieren, Lösungen entwickeln, Umsetzungsschritte einleiten und so ihre Ziele eigenständig erreichen. Die Rolle des Facilitators ist neutral und überparteiisch. Anders als ein:e Moderator:in verzichtet ein:e Facilitator:in auf Einflussnahme und Beurteilungen. Er/sie sorgt für eine methodische, räumliche und zeitliche Struktur, die einen sicheren Rahmen für die Teilnehmenden schafft.
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Headquarter: Als Headquarter wird der Hauptsitz bzw. die Führungszentrale einer Organisation bezeichnet. Implizites Wissen: Implizites Wissen basiert auf Erfahrungen und Erinnerungen. Im Gegensatz zum expliziten Wissen (siehe oben) ist dieses subjektive Erfahrungswissen nicht formal speicherbar, sondern ausschließlich in den Köpfen der Mitglieder vorhanden. Wenn ein Organisationsmitglied kompetent handelt, greift es in der Regel auf sein implizites Wissen zurück. Informalität: In der Organisationsforschung wird zwischen formalen und informalen Strukturen unterschieden. Informalität bezeichnet all jene Erwartungen in der Organisation, die sich nicht auf die formalen, also schriftlich oder anderweitig klar definierten Mitgliedschaftsregeln beziehen. Informale Erwartungen sind für Außenstehende nicht sichtbar, werden im Organisationsalltag vermittelt und widersprechen mitunter den formalen Regeln. Ein Beispiel hierfür wäre die informale Erwartung, dass Mitarbeitende unbezahlte Mehrarbeit leisten, obwohl formal ein Überstundenausgleich vorgesehen ist. Iteratives Vorgehen: Das iterative Vorgehen ist ein Grundprinzip des Design Thinking, bei dem ein bestimmter Vorgang oder Prozessschritt mehrmals wiederholt und dadurch schrittweise optimiert wird. Das Ziel dieses Lernprozesses ist eine besonders nutzungszentrierte Lösung. Ko-Kreation: Bei Ko-Kreation geht es darum, die Kundschaft (Unternehmens- oder Endkund:innen) in die Entwicklung und Gestaltung eines Produkts einzubeziehen. Von einer solchen Einbindung erhofft man sich wertvolle Impulse und Erkenntnisse, die zu einer besonders kund:innenspezifischen und nutzungsfreundlichen Lösung führen. Kollaboration: Kollaboration kennzeichnet die Zusammenarbeit zwischen mehreren Personen oder Gruppen. Beim kollaborativen Arbeiten entwickeln mehrere Personen gemeinsam eine Lösung. Dieses Vorgehen erfordert eine Selbstorganisation der Beteiligten und zugleich eine hohe Koordinationsleistung untereinander. Digitale
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Werkzeuge helfen, diese moderne Form der Gruppenarbeit effizient zu realisieren. Konvergentes Denken: Im Gegensatz zum divergenten Denken (siehe oben) wird hier linear, rational und logisch in eine bestimmte Lösungsrichtung gedacht. Es geht um das Zusammenführen verschiedener Denkansätze und die Analyse im Rahmen des Kreativprozesses. Lean Management: Der Begriff des Lean Managements kam Anfang der 1990er-Jahre auf und war zunächst bezogen auf die Automobilproduktion. Vorbild war hier die »schlanke Produktionsweise« (lean production) bei Toyota, die als besonders effizient angesehen wurde. Beim Lean Management geht es um eine prozessorientierte Unternehmensführung, die ein Höchstmaß an Effizienz erzielt. Kund:innenorientierung und Kostensenkung sind von zentraler Bedeutung. Lernende Organisation: Unter einer lernenden Organisation versteht man eine Organisation, die sich kontinuierlich an sich wandelnde äußere und innere Bedingungen anzupassen vermag. Pioniere des organisationalen Lernens sind die beiden Organisationsforscher Chris Argyris und Donald Schön. Sie haben die Vorstellung geprägt, dass nicht nur die einzelnen Mitglieder lernen, sondern auch die Organisation als Ganzes lernen kann, wenn bestimmte Bedingungen gegeben sind. Mindset: Das individuelle Denk- und Verhaltensmuster einer Person oder Gruppe wird als Mindset bezeichnet. Meist wird der Begriff analog für die deutschen Begriffe Mentalität, Denkweise oder Haltung verwendet. New Work: Im Zeitalter von Digitalisierung und Globalisierung muss sich die Arbeitswelt dramatisch wandeln. Das neue Arbeiten setzt auf mehr Selbstständigkeit, Handlungsfreiheit und Kooperation – so lautet, vereinfacht gesagt, die Essenz des New-Work-Ansatzes. Der Begriff der neuen Arbeit geht auf den Sozialphilosophen Frithjof Bergmann zurück. Nutzer:innenzentrierung: Die systematische Entwicklung von Produkten und Services, die optimal auf die möglichen Benutzer:innen
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(Kundschaft oder Belegschaft) zugeschnitten sind. Basis hierfür sind solide Informationen über deren Verhalten, Gewohnheiten, Bedürfnisse etc. Während des Entwicklungsprozesses wird kontinuierlich Nutzer:innenfeedback eingeholt, um die Lösung schrittweise zu optimieren. PopUp-Space: Als PopUp-Space wird eine Veranstaltungsfläche bezeichnet, die temporär und provisorisch betrieben wird. In der Regel befindet sich eine solche Fläche in einem leerstehenden Gebäude oder auf einem zuvor anders genutzten Bereich eines Museums, Kaufhauses oder einer anderen Einrichtung. Prototyping: Im Service Design wie auch im Produktdesign wird Prototyping genutzt, um eine neue Idee relativ schnell zu visualisieren bzw. haptisch erlebbar zu machen. Der entwickelte Prototyp wird getestet und auf Basis von Nutzer:innenfeedbacks verbessert. Beim Prototypen kann es sich zum einen um ein kostengünstig produziertes Erklärmodell, aber auch um eine vollwertige Produktversion handeln. Service Design: Beim Service Design geht es um das ganzheitliche Gestalten von Dienstleistungen. Ziel ist es, eine möglichst hohe Nutzer:innen- und Marktorientierung zu erreichen. Hierfür wird der gesamte Prozess des zu entwickelnden Services betrachtet. Service Design als Disziplin entstand Anfang der 1990er-Jahre in Großbritannien unter der Ägide des British Design Council. Service Innovation: Als Service Innovation wird das Resultat der Suche nach innovativen Dienstleistungsideen bezeichnet, aber auch der Prozess der Suche und der Auswahl selbst wird oft Service Innovation genannt. Man unterscheidet zwischen kontinuierlichen Innovationen, bei denen ein Service stetig, aber jeweils nur geringfügig optimiert wird, und diskontinuierlichen Innovationen, die eine radikale Veränderung eines bekannten Services bedeuten. Stakeholder: Ein Stakeholder ist eine Person oder Personengruppe, die hinsichtlich eines Projektes oder Prozesses ein bestimmtes Interesse bzw. einen bestimmten Anspruch (»stake«) hat. Dabei kann es sich im Falle eines Unternehmensprojekts um Entscheidungsträger aus dem Management, aber auch um andere Betroffene handeln;
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das können z.B. der Betriebsrat, externe Kooperationspartner:innen oder Nutzer:innen sein. Wire Framing: Wire Framing bezeichnet eine stark vereinfachte Visualisierung der geplanten Gestaltung einer Website. Der Begriff Wireframe (»Drahtgestell«) bezieht sich dabei auf die grobe, gerüstartige Darstellung des Seitenaufbaus. Häufig wird ein Prototyp aus Papier erstellt, um die Funktionsweise zu testen.
5.4. Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4: Abb. 5: Abb. 6:
Abbildungsverzeichnis
Anwendungsformen von Design Thinking nach Junginger (2016) Datenerhebung und -auswertung Angewendetes Kodierparadigma nach Strauss & Corbin (1990) Die Entwicklung von Design Thinking bei Volkswagen Kooperative und Kollaborative Zusammenarbeit Der »10X-Service Design Lab« ist ein Innovationslabor mit digitalem Equipment (Quelle: Volkswagen AG) Abb. 7: Formen der Zusammenarbeit von Teams in der Studie
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Architektur und Design Daniel Hornuff
Die Neue Rechte und ihr Design Vom ästhetischen Angriff auf die offene Gesellschaft 2019, 142 S., kart., 17 SW-Abbildungen 19,99 € (DE), 978-3-8376-4978-9 E-Book: PDF: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4978-3
Bianca Herlo, Daniel Irrgang, Gesche Joost, Andreas Unteidig (eds.)
Practicing Sovereignty Digital Involvement in Times of Crises January 2022, 430 p., pb., col. ill. 35,00 € (DE), 978-3-8376-5760-9 E-Book: available as free open access publication PDF: ISBN 978-3-8394-5760-3
Christoph Rodatz, Pierre Smolarski (Hg.)
Wie können wir den Schaden maximieren? Gestaltung trotz Komplexität. Beiträge zu einem Public Interest Design 2021, 234 S., kart. 29,00 € (DE), 978-3-8376-5784-5 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-5784-9
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Architektur und Design Tim Kammasch (Hg.)
Betrachtungen der Architektur Versuche in Ekphrasis 2020, 326 S., kart., 63 SW-Abbildungen 30,00 € (DE), 978-3-8376-4994-9 E-Book: PDF: 29,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4994-3
Christophe Barlieb, Lidia Gasperoni (Hg.)
Media Agency – Neue Ansätze zur Medialität in der Architektur 2020, 224 S., Klappbroschur, 67 SW-Abbildungen 29,99 € (DE), 978-3-8376-4874-4 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-4874-8
Thomas Hecken, Moritz Baßler, Elena Beregow, Robin Curtis, Heinz Drügh, Mascha Jacobs, Annekathrin Kohout, Nicolas Pethes, Miriam Zeh (Hg.)
POP Kultur und Kritik (Jg. 10, 2/2021) 2021, 176 S., kart. 16,80 € (DE), 978-3-8376-5394-6 E-Book: PDF: 16,80 € (DE), ISBN 978-3-8394-5394-0
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de