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German Pages 290 [292] Year 1985
Manfred Seebode Der Vollzug der Untersuchungshaft
Manfred Seebode
Der Vollzug der Untersuchungshaft
w DE
G 1985 Walter de Gruyter · Berlin · New York
ClP-Kur^titelaufnahme dir Deutschen Btbliothtk
Seebode, Manfred: Der Vollzug der Untersuchungshaft / Manfred Seebode. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1985, ISBN 3-11-010444-X
Copyright 1985 by Walter de Gruyter & Co., 1000 Berlin 30, Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany Satz und Druck: Arthur Collignon GmbH, 1000 Berlin 30 Buchbinderei: Lüderitz & Bauer, Buchgewerbe GmbH, 1000 Berlin 61
Vorwort Untersuchungshaft lernen jährlich etwa ebenso viele Menschen kennen wie Freiheitsstrafe. Über ein Viertel aller Gefängnisinsassen ist nicht verurteilt. Seit mehr als hundert Jahren wird der also das tägliche Leben nicht weniger Menschen bestimmende Untersuchungshaftvollzug immer wieder als unbefriedigend, untragbar f anstößig oder gar inhuman bezeichnet. Doch er fand nie das öffentliche, gesetzgeberische und wissenschaftliche Interesse, das dem anders zu gestaltenden Strafvollzug zuteil wurde, Schon Jahrzehnte vor den Reformen und Lockerungen, die der Strafvollzug, nicht aber die Untersuchungshaft in den letzten Jahren erfuhr, sahen Praktiker, Gefangene und Vollzugswissenschaftler übereinstimmend in der Untersuchungshaft die härteste Form strafrechtlicher Freiheitsentziehung. Nach heute unbestrittener Ansicht erleidet der nur verdächtige und als unschuldig zu behandelnde Verhaftete vielfach ein größeres Übel als der schuldig Gesprochene und zu Strafe Verurteilte. Diese Gegebenheiten bewegten mich, der Frage nachzugehen, welche Regeln das geltende Recht zur Lösung des in der Untersuchungshaft alltäglichen Spannungsverhältnisses zur Verfügung stellt, das zwischen den Interessen des betroffenen Einzelnen und denen der Allgemeinheit an einer funktionstüchtigen, kriminalitätsvorbeugenden, rechts- und sozialstaatlichen Strafrechtspflege naturgemäß besteht. Vorgelegt wird hiermit der Versuch, die die Gestaltung der Untersuchungshaft bestimmenden Rechtsgrundsätze aufzuzeigen und an einigen praktischen Folgerungen zu veranschaulichen. Nicht jede der vielfältigen Einzelfragen konnte angesprochen werden. Insbesondere Sonderfragen, die bestimmte Häftlingsgruppen, z. B. Drogenabhängige und Ausländer betreffen, waren auszulassen, und manche sehr wohl drängende Frage der künftigen gesetzlichen Regelung, z. B. die nach den Kompetenzen von Richter und Anstaltsleitung, ist in der dem geltenden Recht gewidmeten Untersuchung ausgespart. Mein verehrter Lehrer und Habilitationsvater, Professor Dr. Günter Spendel, hat die Arbeit durch ständige Ermutigung, vielfache Anteilnahme und anregende Kritik unermüdlich gefördert. Ihm habe ich sehr zu danken. Würzburg, Ende November 1984 Manfred Seebode
Inhaltsverzeichnis Literaturverzeichnis
XI
I. Einleitung Die Bedeutung des Untersuchungshaftvollzugs 1. Der strafprozessuale Interessenwiderstreit 2. Die kriminalpolitische Aufgäbe 3. Die sozialstaatlichen Einwirkungen 4. Die Häufigkeit der Untersuchungshaft, ihre Dauer und die praktische Bedeutung der Haftgründe , a) Die Zahl der Inhaftierten an Stichtagen b) Jährliche Verhaftungen und Dauer der Untersuchungshaft c) Statistische Angaben zur Bedeutung der Haftgründe . . .
14 15 18 23
II. Rückblick Der Untersuchungshaftvollzug in der bisherigen Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur 1. Die Gesetzgebung 2. Die Praxis 3. Die Lehre
25 26 29 31
III. Die besondere rechtliche, soziale und psychische Situation des Untersuchungsgefangenen, insbesondere im Vergleich 2um Strafgefangenen , ,
36
IV Die aktuellen Reformbestrebungen
43
V, Der Begriff des Untersuchungshaftvollzugs 1. Haft a) Abgrenzungen b) Hausarrest .. 2. Untersuchungshaft a) gesetzliche Zwecke und Mißbräuche b) vorzeitiger Strafantritt c) verwandte Freiheitsentziehungen 3. Untersuchungshaftvollzug 4. Beginn und Ende des Untersuchungshaftvollzugs a) Unterbrechung von Strafhaft zwecks UntersuchungshaftVollzugs
l 2 6 11
54 54 54 56 65 65 79 89 89 92 92
VIII
Inhaltsverzeichnis
b) Unterbrechung von Untersuchungshaft zwecks Strafvollzugs c) Haft nach rechtskräftigem Verfahrensabschluß VI. Grundsätze des Untersuchungshaftvollzugs 1. Die Gestakung des Vollzugs nach dem strafprozessualen Zweck der Haft 2. Die Gestaltung des Vollzugs nach dem Grundsatz möglichster Einschränkung des Sonderopfers a) Inhalt und Herleitung b) Verhältnis zu § 119 Abs. 4 StPO c) Der Angleichungsgrundsatz d) Der Grundsatz, Untersuchungshaft nicht als Strafe erscheinen zu lassen e) Einige praktische Folgerungen aa) Einzelne Regelungen der UVollzO (1) Zellenbeleuchtung (2) Alkoholgenuß (3) Bequemlichkeiten im Rahmen „verständiger Wünsche" (4) Arztwahl (5) Häufigkeit der Besuche (6) Pakete , bb) Bauliche Anlagen der Untersuchungshaftanstalt und Gestaltung der Hafträume (1) Natürliches Licht (2) Visuelle Überwachung („Beobachtungslinsen") (3) Sanitäre Einrichtung (4) Einzel- und Gemeinschaftshaft, Wohngruppen . cc) Der Umgang mit dem anderen Geschlecht (Intimbesuche) 3. Die Gestaltung des Vollzugs unter kriminalpräventiven Gesichtspunkten a) Der Gegensteuerungsgrundsatz aa) Gegensteuerung zur Minderung der Nachteile für den Strafprozeß bb) Gegensteuerung zur Minderung haftbedingter Entsoziaüsation (1) Aufnahme in den Vollzug (Zugang) (2) Außenkontakte (3) Eigenverantwortung b) Behandlungsvollzug aa) Rechtseingriffe ,
95 97 109 111 136 136 141 145 152 158 158 158 159 160 160 164 166 167 171 172 173 174 179 184 186 188 194 194 203 208 211 212
Inhaltsverzeichnis
IX
bb) Angebote sozialstaatlicher und kriminalpräventiver Maßnahmen 215 cc) Persönlichkeitserforschung 219 dd) Junge Gefangene 225 VII. Die Gestaltung der Untersuchungshaft nach dem Erfordernis der „Ordnung in der Vollzugsanstalt" (§ 119 Abs. 3 StPO) . . . 230 1. Konkretisierung a) Unterstützender Zweck, nicht Selbstzweck b) Konkrete Ordnungsgefährdung c) Regelminimum d) Praktische Folgerungen 2. Disziplinarmaßnahrnen
232 233 235 236 238 245
VIII. Ausblick
250
Stichwortverzeichnis
253
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I. Einleitung Die Bedeutung des Untersuchungshaftvollzuges Das Recht des Untersuchungshaftvollzuges ist vor allem aus drei Gründen von Bedeutung, Einmal hat es in dem für eine Staats Verfassung charakteristischen S trafoerfahrensreebt besonderen Rang: Bei der Gestaltung der Untersuchungshaft sind die Interessen und Rechte der staatlichen Strafverfolgung gegen die individuellen des Untersuchungsgefangenen abzuwägen und berechenbar abzugrenzen. Sodann hat der Vollzug der Untersuchungshaft in der praktischen Verbrechensbekämpfung erhebliches Gewicht: Als ein Akt der zunehmend und im Strafvollzug ganz vorrangig auf Besserung der Straftäter und ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft ausgerichteten Strafrechtspflege hat auch er so gestaltet zu sein, daß er den Häftlingen ein straffreies Leben in Freiheit nicht erschwert, vielmehr ihre Befähigung dazu, soweit erforderlich und rechtlich zulässig, fördert. Schließlich veranschaulichen Recht und Praxis der Untersuchungshaft neben der Bedeutung der Rechtsstaats idee den Einfluß des So^ia/staatsgedankens; Die hoheitliche Gewalt hat bei der Gestaltung des Vollzuges nicht nur rechtsstaatlich vorzugehen und dabei das Verbrechen zweckmäßig zu bekämpfen, sondern auch sozialstaatlichen Geboten zu entsprechen. Die Untersuchungshaft ist Eingriff des Staates in Status und Freiheit des Bürgers und begründet zugleich die staatliche Verpflichtung zu sozialer Leistung. Menschliche Hilfen, solche fördernde Einrichtungen und diesen nützliche wie einen sozialen Dienst erleichternde Regelungen mindern die verschiedenen, mit der Haft vom Gefangenen und seinen Angehörigen zu tragenden Belastungen, begegnen den nachteiligen Folgen der Inhaftierung und gestalten die Freiheitsentziehung so erträglich, wie es ihr Zweck zulaßt, um derart eine soziale Strafrechtsordnung zu ergänzen und weitet entwickeln zu helfen. Der Einfluß der Haftgestaltung auf das spätere Legalverhalten des Verdächtigen und das Gebot einer sozialstaatlichen Prägung der Untersuchungshaft sind in der Gesetzgebung, Wissenschaft, Vollzugspraxis und Rechtsprechung weniger berücksichtigt als die erstgenannte, die prozeßrechtliche Pflicht.
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I. Einleitung, Die Bedeutung des Untersuchungshaftvollzugs
Dies fallt um so mehr ins Gewicht, als Untersuchungshaft eine keineswegs seltene Maßnahme ist, vielmehr eine, wie zu zeigen sein wird, häufige und an Bedeutung noch gewinnende strafrechtliche Freiheitsentziehung,
1. Der strafprozessuale Interessen widerstreit Das Strafverfahrens recht regelt den Kampf und sucht den Ausgleich zweier sich widerstreitender Interessen. Der Staat verfolgt 2ur Bekämpfung des Verbrechens seinen Anspruch auf Durchsetzung des sachlichen Strafrechts. Jeder Schuldige soll bestraft werden, keine Straftat ohne die im Gesetz vorgesehene Folge bleiben. Der Beschuldigte verteidigt seine persönlichen Freiheiten oder ficht dafür, sie doch durch die staatliche Strafverfolgung so wenig wie möglich eingeschränkt zu sehen. Der Gegensatz wird nicht dadurch gemildert, daß der Rechtsstaat beide Interessen gleichermaßen berücksichtigen muß. Er hat Gerechtigkeit ohne Selbstgerechtigkeit zu gewährleisten und ist der Freiheitssphäre des Bürgers ebenso verpflichtet wie dem Rechtsschutz und der Ordnung des Gemeinwesens. Hat der Staat deshalb zwar auch gegen seine eigenen Organe dem Einzelnen beizustehen, so wird damit doch nur auf andere Art als durch schiere Konfrontation von Obrigkeit und Individuum ein Ausgleich des alten und unveränderten Konflikts zwischen den Belangen der Allgemeinheit und des Einzelnen gesucht. Im Strafverfahren tritt das „Spannungsverhältnis"1, das zwischen Staatsgewalt und Individualsphare allgemein und wohl unabänderlich besteht, besonders zutage. Die strafprozessualen Zwangsmaßnahmen verdeutlichen es, und die Untersuchungshaft als einschneidendster prozessualer Rechtseingriff spitzt den Konflikt zwischen den Bedürfhissen der Allgemeinheit nach einer wirksamen Strafrechtspflege und den Freiheiten des Einzelnen zu. Stärker als bei der übrigen strafverfahrensrechtlichen Regelung des Interessenwiderstreites wirkt sich für die Vorschriften über die Untersuchungshaft aus, daß der Verfolgte nicht verurteilt, vielmehr nur einer Straftat verdächtig ist, Zugunsten seiner Freiheitsrechte wirkt die selbstverständliche und aus der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 überkommene Unschuldsvermutung: „Jedermann wird als unschuldig angesehen, bis er für schuldig erklärt ist". Seit der deutschen Zustimmung zur Menschenrechtskonvention ist sie bundesrechtlich ähnlich normiert, Art, 6 Abs. 2 MRK. Damit ist der augenfällige Widerspruch zur Haftvoraussetzung des dringenden Tatverdachts, dem Gegenstück einer Unschuldsvermutung 2 , Gesetz. 1
BVcrfGE 19, 343 fft 347; 20, 40 ff, 49; 134 ff, 147. Allerdings schließt die U n schul ds Vermutung eine Verdächtigung keineswegs aus; vielmehr läßt sich der Verdacht geradezu als Basis der Vermutung begreifen, weil sie 2
l, Der strafprozessuale Interessenwiderstreit
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Dem jedenfalls nur Verdächtigen, dessen Unschuld 2u vermuten, zudem aufgegeben ist, wird mit der Haft ein zur Durchsetzung des in seinem Fall noch unsicheren staatlichen Strafanspruchs „notwendiges Übel"3 zugefügt. Schon damit ähnelt die Untersuchungshaft der erst den Schuldigen treffenden Freiheitsstrafe nur 2u sehr. Sie stellt sogar „psychologisch nicht selten ein schwereres Leiden"4 dar und geht heute 5 , da dem Verurteilten anders als dem inhaftierten Verdächtigen Vollzugslockerungen., wie z, B, Urlaub und Freigang gewährt werden können und der Strafvollzug vermehrt Freizeitgestaltungs- und Ausbildungsmöglichkeiten anbietet, auch in der äußeren Ausgestaltung vielfach 6 über das Übel der Strafe hinaus — eine
sonst „eine selbstverständliche und inhaltsleere Aussage wäre" (Sax, Grundsätze der Strafrechtspflege, in: Bettermann u, a., Hrsg., Die Grundrechte, Bd. HI/2, 1959, S. 909 ff, 987; ähnl. R.-J. Kolter, Die Rechts Vermutung der Unschuld, Bonn. Diss. 1979, S. 167, 178). Daraus erklärt sich, daß „die Bedeutung der Unschuldsvermutung mit der Stärke des Tatverdachts nicht ab-, sondern zunimmt" (Krauß, Der Grundsatz der Unschuldsvermutung etc., in: Müller-Dietz, Hrsg., Strafrechtsdogm. u. Kriminalpolitik, 1971, S. 153 ff, 158). J Roh. v. Hippe!, Der deutsche Strafprozeß, 1941, S. 440; Hachenbttrg sprach von der „Qual der Untersuchungshaft" (Lebenserinnerungen, 2. Aufl. 1927, S, 99), das BVerfG von einem „Übel" (BVerfGE 19, 347), Daiivon einer „Tortur" (Hdb. d. Strafverteidigers, 4. Aufl. 1977, Rdn, 250); KitinkntchtlMeytr nennen sie treffend einen „Fall der Aufopferungspfticht gegenüber der Gesellschaft" {StPO-Komm., 36, Aufl. 1983, Rdn. 9 vor § 112); ähnlich z, B. Hörn, System. Komm. z. StGB, Bd. l, 3. Aufl. 1982, § 51, Rdn. 3, und auch schon Htinqt, Das Recht der Untersuchungshaft, 1855, S. 33. 4 v. Lilimthal, Zur Reform der Untersuchungshaft, JW 1925, S. 1448; s. z. B. auch S tat/k, Strafprozeßrecht, 1952, S. 108. 5 S. aber schon Heinle, Untersuchungshaft, 1865, S. 3t; Zucket\ Die Untersuchungshaft, Bd. 3, 1879, S. 2, 7, 11, 127f; zustimmend W. Rosenberg, Die Reform der Untersuchungshaft, ZStW 26. Bd. (1906), 339 ff, 340; ebenso Hoff, Neun Monate in Untersuchungshaft, 1909, S. II, 44. 6 Weitergehend Ruxin, S traf verfahre n s rech t, 17. Aufl. 1982, S. 171: „größeres Übel als die Freiheitsstrafe"; s. auch Kriimpclntann, Akruelle Probleme des Strafrechts in empirischer u. verfahrensrechtlicher Sicht, in: Göppinge r/K aiser (Hrsg.), Kriminologie u. Strafverfahren, 1976, S. 44 ff, 50: „Freiheitsentzug . . . in seiner bed rückend stcn Form"; Eistnhardi, Strafvollzug, 1978, S, 179: „letztlich ist der Vollzug der U-Haft noch härter als der der Strafhaft"; ähnlich z. B, schon Litpmana, Referat auf der 22. Tagung der Dt. Landesgruppe der IKV, MitdKV, NF Bd. 3, 1928, S. 129 ff, 138: „oft viel qualvoller und erschreckender"; Fistber, Das Haftverfahren nach der Strafprozeßnovelle v. 27. 12. 1926, Diss. Jena 1928, S. 9; Bloemt Die Situation der Straferwartung in der Untersuchungshaft, Bl, f Gefängniskunde, 65. Bd., 1934, Sonderheft S. l („stärkere seelische Qual"); Sieveris, Haftpsychologie, in: Hdw. d. Kriminologie, hrsg. v. Sieverts u. Schneider, 2. Aufl., Ergbd, 1979, S. 445 ff, 447 („schwerer erträglich"); die Gefangenen teilen diese Meinung, s. die Erhebung von Jt'hk, Bericht über das 18. Colloquium der Südwestdt. Kriminolog. Instirute, MKrirn 1983, S. 40 ff, 42, und von den Haftberichten z. B. Hoff aaO. (vorige Fn.); Seebode, Hrsg., Mitteilungen einer Untersuchungsgefangenen, 1983, S. 1; s. dagegen noch Schönke-Sthrödtr, StGB-Komm., 14. Aufl. 1969, § 60, Rdn. 13: „U-Haft kann ihrem Wesen nach niemals schwerer sein als eine Freiheitsstrafe"!
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I. Einleitung. Die Bedeutung des Untersuchungshaftvollzugs
häufig festzustellende Tatsache, die dadurch belegt wird, daß in der Schweiz erstaunlich viele Untersuchungshäftlinge von dem nach mehreren kantonalen Prozeßrechten unter gewissen Voraussetzungen möglichen „vorzeitigen Strafantritt" 7 Gebrauch machen8, und die z. B. dem Besucher von Frankfurt-Preungesheim augenfällig ist. Hier steht ein neues, vielfach vergittertes, ausbruchsicheres Betonhochhaus9, einer jener „Bauten, mit den Reihen kleiner vergitterter Fenster, den hohen sie umgebenden Mauern, den verschlossenen Pforten"10, für die als unschuldig zu Behandelnden neben den stets offenen, zweistöckigen, durch Rasenflächen getrennten Gebäuden eines „Freigängerheimes" für die Schuldigen, der offenen Vollzugsanstalt „Gustav-Radbruch-Haus" 11 . Kommt so nicht selten der Untersuchungshaft mehr Strafcharakter zu als der Freiheitsstrafe, bleibt anzufügen, daß die Untersuchungshaft nach ihrer Intensität wie häufig auch nach den mittelbaren Auswirkungen die Geldstrafe als die andere und seit Jahrzehnten weitaus häufigste Hauptstrafe regelmäßig erst recht in den Schatten stellt. Im Recht der Untersuchungshaft erreicht mithin die Gegenläufigkeit der strafverfahrensrechtlich miteinander zu vereinbarenden Interessen ihren Kulminationspunkt. Deshalb sprach Härtung zu Recht von „dem heiklen Rechtsgebiet der Unter7
S, dazu naher z. B. Schult^, Die Strafprozeß reform in der Schweiz, JR 1981, 45 ff, 51; Wolfer, Untersuchungshaft und vorläufige Sanktionen, ZStW 93. Bd. (1981), S. 452 ff, 466, 498ff; und unt. S. 79ff (Kap. V/2b), 8 Zahlenangaben bei Sekubartk, Zur Rechtsnatur des vorläufigen Strafvollzugs, SchweizZStrR 96. Bd., 1979, S, 295 ff, 298 f (bis zu 27% der Insassen einer Strafanstalt, bis zu 44% der in den Strafvollzug Überwiesenen waren Untersuchungshäftlinge), Nach Studer, Die Untersuchungshaft im Kanton Luzern, Diss. Basel 1973, S, 112, waren 1968 im Kanton Luzern bei Urteilsfällung von 47 inhaftierten Angeklagten 44 im „vorläufigen Strafvollzug". Vgl. auch Krümpelmann in: Jescheck/Krümpelmann, Die Untersuchungshaft im dt., ausländ, u. internal. Recht, 1971, S, 635: „Der vorzeitige Strafantritt wird von den Gefangenen relativ häufig beantragt". Es ist allerdings zu bedenken, daß der „vorläufige Strafantritt" auf eine spätere Strafe angerechnet wird, was nach der schweizerischen Praxis zu Art. 69 Schweizer. StGB für die eigentliche Untersuchungshaft bei weitem nicht ausnahmslos gilt; vgl. Entsch. d. schweizer. Bundesgerichts Bd. 102 IV 153; Schult^, Einf. in den Allgem, Teil des Strafrechts, 2, Bd., 1973, S, 67 f! 9 S. Reinhardt, Zwischen Haftbefehl und Urteil, Untersuchungsgefängnisse in Hessen und anderswo, FAZ Nr. 131 v, 19, 6. 1976, insbes, über das Untersuchungsgefängnis Frankfurt-Preungesheim (mit Abb.). 10 Eb. Schmidt, Zuchthäuser und Gefängnisse, I960, S. 4, über Strafanstalten. 11 Vgl. die Beschreibung von Krtbs, Das „Gustav-Radbruch-Haus", Strafanstalt für Männer in Frankfurt am Main-Preungesheim, in: Gedächtnis s chri ft für Gustav Radbruch (hrsg, v, Arth. Kaufmann), 1968, S. 344 ff (mit Grundriß); Meffert, 20 Jahre „offene Strafanstalt" für Männer — Gustav-Radbruch-Haus — in Frankfurt/Main, 1948/1968, in ZfStrVo 1968, S. 29 ff; Eiermann, Der offene, halboffene und geschlossene Vollzug, in: Schwind/Blau, Strafvollzug in der Praxis, 1976, S. 48 ff, 54—65; s. auch Reinke, Aktionsforschung als politische Bewegung, in: Leviathan, Zeitschr. f, Sozialwissenschaft, 1975, S. 15 ff, 20 f
1. Der strafprozessuale Interessen-Widerstreit
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suchungshaft" 12 , konnte Gerland uz das „zweischneidigste Mittel"1·* nennen, Jescheck. sie als „kritischen Punkt des Strafverfahrens" 14 bezeichnen und mahnt Eb, Schmidt, daß „Geist und Charakter eines Strafprozeßrechts ganz wesentlich" vom Haftrecht „abhängig" sind15. Deshalb auch ersieht man die jeweilige Staatsauffassung gernäß dem von Exner geprägten Wort „Anderer Staat — anderes Strafverfahren" 16 nicht nur und erst aus dem Strafprozeßrecht 1 ', erkennt vielmehr wie durch ein Brennglas eher noch an den Vorschriften über die Untersuchungshaft 18 das von diesen exemplarisch und fast seismographisch beschriebene Verhältnis eines Staates zu seinen Bürgern, besser als Verfassungsdeklarationen es zuweilen anzuzeigen vermögen. Wird in solchem Zusammenhang der Blick auf das Haftrecht gelenkt, so am wenigsten auf das Vollzugsrecht15. Das Recht der Untersuchungshaft 12
Flartang, Das Recht der Untersuchungshaft, 1927, S. 4; s. auch Arbeitskreis Strafproqeßreform, Amelxng, Bemmann u. a,, Die Untersuchungshaft, 1983, S. 23: „der neuralgische Punkt des Strafverfahrens", 13 Gerland, Der deutsche Strafprozeß, 1927, S. 255; s. z. B. auch Peterson, Die gesetzlichen Präklusivfristen der Haft etc., GA 30. Bd., 1882, S. 322ff, 339, der in der Untersuchungshaft „den wundesten Punkt in dem organischen Bau des Strafprozesses" sieht; zustimmend z. B, Henscbel, Die Reform der Untersuchungshaft, 1909, S, 35; Lowensttin, Zwangsmittel im Strafverfahren, in: Aschrott, Hrsg., Reform des Strafprozesses, 1906, S. 275; H. v. H tntig, Die Bedeutung der Untersuchungshaft für die Ermittlung des Sachverhalts, MKrim 1932, S. 268; Dabs, Recht und Unrecht der Untersuchungshaft, NJW 1959, S. 505. 14 Jeschtck, Recht und Praxis der Untersuchungshaft in der Bundesrepublik Deutschland, GA 1962, S. 65 ff, 74; s. auch Dabs, Die kleine Strafprozeß reform, NJW 1965, S, 81 ff, 82: „,Schmerzenskind' aller Reformversuche". 15 Eb, Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Straf rech t s pflege, 3. Aufl. 1965, S. 339. 16 Exner, Straf Verfahrens rech t, 1947, S. 7; vgl. auch Aisberg: „Die Geschichte des Strafprozesses ist die Geschichte der politischen Ideen" (Festnahme und Untersuchungshaft, J W 1925, S. 1433 ff, 1438), 17 S. zu diesem Zusammenhang schon Zachariä, Die Gebrechen und die Reform des deutschen Strafverfahrens, 1846, S. 2, und z. B. Peters, Strafprozeß, 3. Aufl. 1981, S. 53 f; Radbruch, Einführung in die Rechtswissenschaft, 12. Aufl. (bes. von Zweigert) 1969, S. 185; Roxin, Straf verfahre n s recht, 17. Aufl. 1982, S. 8 („Strafverfahrensrecht als Seismograph der Staats Verfassung"), 148; Sax, Grundsätze der Strafrechtspflege, in: Bettermann/ Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte, Bd. HI/2, 1959, S. 909 ff, 967; Dahs, Der Haftgrund der Fluchtgefahr, AnwBl 1983, S. 418 („Gradmesser für die Rechtsstaatlichkeit des Gemeinwesens"). 18 So stellt F.-W. Krause fest, daß die Ausgestaltung der Untersuchungshaft mehr noch als die des Norwehrrechts „ein Spiegelbild der jeweiligen Auffassung des Verhältnisses von Staat zum Bürger darstellt und somit ein Politikum ist" (Zur Problematik der Notwehr, Bruns-Festschr., 1978, S, 71 ff, 75). '* S. aber F.-W. Krame (wie vorige Fn.), der ausdrücklich auf die Ausgestaltung der U-Haft abstellt, u, schon Mannhdmt Freiheitsschutz und Wohnungsschutz, in: Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte etc., 1. Bd., 1929, S. 316 ff, 337; Dte^, Über Bau u. Einrichtung der Untersuchungsgefängnisse, Jahrb. d, Gefängnisk., Bd, 6, 1845, S. 224 ff, 264.
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I. Einleitung. Die Bedeutung des Untersuchungshaftvollzugs
gliedert sich in mindestens zwei, bei genauer Systematisierung sogar in drei Teile. Wir haben zum einen die Vorschriften über die Voraussetzungen der Haft (Haftgründe) und über deren Anordnung wie Überprüfung und zum anderen das Recht des Untersuchungshaftvollzuges, Diese Aufteilung läßt sich in grober Parallele 2ur Unterscheidung vom materiellen und formellen Strafrecht einerseits und Strafvollzugs recht andererseits ziehen. Die besondere Bedeutung des Haftrechts kommt der gesamten Regelung der Untersuchungshaft zu. Es sind nicht allein die Anordnung der Haft und deren Voraussetzungen, die über die Rechtsstaatlichkeit eines Strafverfahrens Auskunft geben und den strafprozessualen Interessenwiderstreit vor Augen führen. So gingen mit den politischen Veränderungen verständlicherweise Änderungen der Rechtsstellung der Untersuchungsgefangenen und in der Vollzugspraxis einher. Der totale Staat des Nationalsozialismus sah in dem Häftling mehr ein Objekt des Strafverfahrens 20 , legte ihm z. B. bereits 1938 eine Arbeitspflicht auf21, engte die Beachtung der Grund- und Menschenrechte durch eine „VO zur weiteren Vereinfachung der Strafrechtspflege"22 ein und unterstellte den verhafteten Beschuldigten allein der staatlichen Verwaltungsmacht, Spürbar für den gefangenen Beschuldigten wird die Haftanordnung erst mit ihrem Vollzug23. Von da ab beweist sich die Ausgewogenheit des gesamten Haftrechts an dem Betroffenen selbst, in jeder Minute. Sie zeigt sich in zahllosen Einzelheiten, die für sich betrachtet Nichtigkeiten betreffen mögen, in ihrer Summierung aber bei unausgewogener Regelung manchen inhaftierten Menschen psychisch und auch physisch zermürben, jedenfalls unnötig behindern, bei übertriebener Betonung der Individual rechte gar die Haft wertlos machen können und immer ein Urteil zulassen über die Humanität und den Entwicklungsstand eines Strafverfahrens, ja eines Gemeinwesens.
2. Die kriminalpolitische Aufgabe Das Gewicht der voüzugsrechtlichen Regelung erwächst aber nicht nur aus der Zuspitzung des in so zahlreichen Fallen vielfach zu entscheidenden Konflikts zwischen Individual- und Gemeinschaftsinteressen, sondern auch 20
Vgl, Sehern, Die Rechtsstellung des Untersuchungsgefangenen, JR 1967, S. 448. AV des Reichsjustizministers v. 23, 3.1938, DJ 1938, S. 447. 22 VO v. 13. 8. 1942 (RGB1 I, S. 508), s. Art. 9 § 3; s, dazu Eb. Schmidt, Lehrkomm. StPO, Teil II, 1957, § 116 Rdn. 1. 23 Mannheim, in: Nipperdey, Hrsg., Die Grundrechte etc., 1. Bd. 1929, S, 337, hielt das Recht des Untersuchungshaftvollzugs für „das Kernstück einer jeden gesetzlichen Regelung der Untersuchungshaft". 21
2. Die kriminalpolitische Aufgabe
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aus der dem Haftvollzug Tag für Tag tausendfach gestellten kriminalpolitischen Aufgabe. Wie jeder Akt der Strafrechtspfiege hat auch der Untersuchungshaftvollzug der Verbrechensbekämpfung zu dienen24. Er ist so zu gestalten, daß er einen möglichst großen und effektiven Beitrag zur Erfüllung dieser kriminalpolitischen Aufgabe des Gemeinwesens unter Beachtung aller Rechte des nur als Täter verdächtigen und noch nicht als schuldig verurteilten Häftlings leistet. Die Untersuchungshaft sichert das Strafverfahren, schützt den staatlichen Strafanspruch und ermöglicht die Verwirklichung der mit der Strafe verfolgten Zwecke. Derart stützt sie die generalpräventive Wirkung der Strafdrohung und sichert die spezialpräventive der Strafe, auf die der Freiheitsstrafvollzug vor allem und nach dem vom Gesetzgeber bestimmten Vollzugsziel (§ 2 StVoIlzG; s. auch § 2 AE-StVollzG) in besonderer Art ausgerichtet ist. Dem trägt die rechtliche und praktische Ausgestaltung der Untersuchungshaft, die Grünhut schon vor einem halben Jahrhundert als „Eingangsform strafrechtlicher Freiheitsentziehung" bezeichnete25, noch keine Rechnung. Eher läßt sich das Gegenteil feststellen. Obwohl z. B. in Bayern bis zum Jahre 1970 etwa 4 von 5 Untersuchungshäftüngen in den Freiheitsstrafvollzug überführt wurden, es derzeit etwa 60 v. H. sind26 und dieses Zahlenverhältnis nach neueren Erhebungen in anderen Bundesländern oder in Zukunft kaum wesentlich anders aussehen wird und obwohl die Untersuchungshaft auf die Freiheitsstrafe anzurechnen ist (§ 51 StGB), bereitet die Praxis des Untersuchungshaftvollzugs die im Freiheitsstrafvollzug vorzunehmende Behandlung und Wiedereingliederung des Inhaftierten 24
Treffend z. B. Maihofer, Verbrechensbekämpfung im Wandel (Reden — Ansprachen, 1976, S. 44 ff, 47): „In Wahrheit beginnt schon mit der ersten polizeilichen Vernehmung des Taters jener Prozeß der Resozialisierung (oder aber auch der weiteren D is sozialisierung oder gar Asozialisierung), auf dessen Gelingen für eine moderne Krirninalpolitik alles ankommt." S. aber andererseits Ritß, Prolegomena zu einer Gesamtreform des Strafverfahrensrechts, in: Festschr. f, Karl Schäfer, hrsgg. v, Hassenpflug, 1980, S, 155 ff, 180; u. unten Kap. VI/3, S. 184ff, 211 ff. 25 Grünbut bei Baetzgen, Der Vollzug der Untersuchungshaft, 1932, S, XII. 26 Vgl. die Zahlen aus der bis 1966 geführten bayer, Haftstatistik bei Krümpelmann^ in: Jescheck/Krümpelmann aaO,, S. 88; ders,, Aktuelle Probleme des Haftrechts, aaO., S. 49 f; Carsteasen, Dauer von Untersuchungshaft, 1981, S. 59, hat an Kieler Haftsachen aus dem Jahre 1973 festgestellt, daß von 125 Verfahren 61 mit zu vollstreckender Freiheitsstrafe und 2 mit zu vollstreckender frei hei ts entziehen de r Maßregel endeten (rd. 50% Überführungen in Straf- oder Maßregel Vollzug). In der schweizerischen Justizvoüzugsanstalt „La Stampa" bei Lugano, die gleichzeitig Straf- u. U n tersuchungs Haftanstalt und durchschnittlich zu einem Drittel ihrer Gesamtkapazität mit den Untersuchungshäftlingen des Kantons Tessin belegt ist, die mehr als wenige Tage in Hart sind, hat eine zehnjährige Erfahrung nach Auskunft des Direktors ergeben, daß durchschnittlich über 80 v. H. der Untersuchungsgefangenen, also ebenfalls 4 von 5, in den Strafvollzug (desselben Hauses) überführt werden.
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I, Einleitung, Die Bedeutung des Untersuchungshaftvollzugs
nicht einmal vor, ist die Zeit der Untersuchungshaft „verlorene" oder „tote Zeit"27. Dies ist mit Sicherheit für die Bemühungen des Strafvollzugs, aber womöglich im weiteren Sinne auch für die gesamte Kriminalitätsbekämpfung. Denn das mit der Sicherung des jeweiligen Strafverfahrens für die gesamte Verb rechen s Verfolgung, für die Gemeinschaft und die Wiedereingliederung eines Straftäters Gewonnene könnte durchaus aufgewogen sein durch Nachteile, die mit der bisherigen Durchführung der Untersuchungshaft für die Ermittlung des Tatgeschehens· verbunden sind. Dazu bemerkte bereits Aschaffenburg 28, die Gefahren einer Trübung der Sachverhaltsermittlung durch die Untersuchungshaft seien größer als ihre Vorteile. Diesen stehen außerdem und vor allem die Gefahren gegenüber, die für die soziale und psychische Entwicklung des Inhaftierten und damit letztlich für die allgemeine Kriminalitätsentwicklung festzustellen sind, Die schädlichen Auswirkungen der Haft auf den menschlichen Organismus, die Psyche und die Persönlichkeit sind bekannt29. Besonders der erstmals Verhaftete wird durch den Freiheitsentzug regelmäßig und auf vielfaltige Art, auf die hier noch nicht weiter einzugehen ist, „entsozialisiert"30. Jeder Untersuchungsgefangene ist dem sozialisationsfeindlichen Haftklima unterworfen. Wie die Strafanstalt populär als „Schute des Verbrechens" bezeichnet wird 31 , erkennt man den Untersuchungshaftvollzug zu Recht als „kriminogenen Faktor"32, 21
Vgl, z. B, Rotthaus, Unzulänglichkeiten der heutigen Regelung der Untersuchungshaft, NJW 1973, S. 2269 ff, 2270; Verin, La detention preventive et la cnminologie, Rev. sc, crim., 1969, S. 707 ff, 917 ff, 922 („un temps mort"); A»«« bei J, Meyer, Tagungsbericht, ZStW 82. Bd., 1970, S. 1125 („unter Resozialisierungsgesichtspunkten sinnlos"); Heterli, Gefangenenarbeit, Entlohnung und Sozialisation, 1973, S. 103; Binswanger\Bran· denberger, Zum Problem langdauernder Untersuchungshaft, SchwZStrR 91 (1975), S. 406 ff, 413; Schach in Kaiser/Ketner/Schöch, Strafvollzug, 3. Aufl. 1982, S. 112. 28 ichafj'enburg, Die Bedeutung der Untersuchungshaft für die Ermittlung des Tatbestandes, MKrim 1932, (23. Jg.), S. 257 ff, 268; vgl. auch Hoff, Neun Monate in Untersuchungshaft, 1909, S. 191, 216; Seebode, Hrsg., Mitteilungen einer Untersuchungsgefangenen, 1983, S, 174 ff, 184. 29 Vgl. z, B, Steverif, Die Wirkungen der Freiheitsstrafe und Untersuchungshaft auf die Psyche des Gefangenen, 1929; Ohm, Person! ichkeitswandlung unter Freiheitsentzug, 1964; Ad. Arndt, Umwelt und Recht, NJW 1964, S. 855; Binswangtr\BrandenbtTgtT; SchweizZStrR 91, Bd. (1975), S. 409 ff; Scheu, In Haft, 1983, S. 84 f. M Radbruch, Die Psychologie der Gefangenschaft, ZStW 32. Bd. (1911), S, 339. 31 Als deutliche Stimme aus der Vollzugspraxis z, B. Ruprecht', Die Rechtsstellung des Gefangenen, Tagungsberichte der Strafvollzugskommission, Bd. II, 1968, S, 78 ff, 84: „Die Gefangenen verlassen eher schlechter als besser die Anstalten". S, im übrigen Kerner in: Kaiser/Kerner/Schöch, Strafvollzug, 2. Aufl, 1977, der S. 329 von einer in den Freiheitsstrafvollzug „gleichsam ei n konstruierten Mißerfolgsdynamik" spricht. 32 So ausdrücklich Bou^at-Ptnatd, Traite de droit penal, 2. Aufl. 1970, S. 1217, Nr. 1275 („facteur criminogene"); vgl. weiter BtnstvangerlBrandenberger, SchweizZStrR 91 (1975), S. 406 ff, 415 („kriminogene Tendenz"); Alper, Prisons inside - out, 1974, S. 32 („Any number of persons, especially young persons, become professional auto thieves and
2. Die kriminalpolitische Aufgabe
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Doch die Untersuchungshaft sollte nicht nur vordergründig der Strafrechtspflege dienen, nicht lediglich die Verwirklichung des jeweiligen staatlichen Strafanspruchs und die Bewährung der Rechtsordnung sichern. Sie ist vielmehr so durchzuführen, daß sie den allgemeinen Bemühungen um einen strafrechtlichen Schutz der Rechtsgüter nicht in den Rücken fällt, der Strafrechcspflege keinen Bärendienst erweist und der Ausbreitung der Kriminalität keinen Vorschub leistet. Wegen der mit der Haft, also von der Strafrechtspflege selbst und widersinnig herbeigeführten Sozialisationsschäden und „kriminellen Infektionen*' gerät die strafprozessuale Funktion der Untersuchungshaft, also ihre engere kriminalpolitische Aufgabe, mit dem Strafverfahren die Verwirklichung des sachlichen Strafrechts zu sichern, in Gegensatz zu dem umfassenden kriminalpolitischen Auftrag jeden Aktes der Strafrechtspflege, der Kriminalität entgegenzuwirken. Neben dem erwähnten strafprozessualen Interessenwiderstreit besteht ein kriminalpolitischer. Doch letzterer ist jedenfalls in der bisherigen Schärfe nicht unabänderlich. Ihm kann wenigstens in einem gewissen, noch zu findenden Ausmaß durch Recht und Praxis des Untersuchungshaftvollzuges begegnet werden. Dabei ist allerdings die Verfahrenssichcrung eben wegen der obersten Aufgabe aller Strafrechtspflege nicht zu vernachlässigen. Doch bei der Regelung und Beurteilung des Untersuchungshaftvollzuges ist mehr als bisher dem übergeordneten Ziel, das alle für die Strafrechtspflege gesetzgeberisch, wissenschaftlich und praktisch Tätigen verbindet, Rechnung zu tragen. Aus der Änderung strafrechtlicher Grundauffassungen und der Reform des Strafvollzuges sind für die Durchführung der Untersuchungshaft Folgerungen zu ziehen. Das Recht des Untersuchungshaftvollzuges ist über seine traditionell enge Bindung an das Strafverfahrens recht hinauszuführen und aus seiner prozessualen Isolation zu lösen. Neben den kollidierenden und noch keineswegs hinreichend oder gar berechenbar abgegrenzten Rechten und Interessen der Strafverfolgungsorgane einerseits wie des inhaftierten Beschuldigten andererseits ist die damit wiederum rechtlich vielfach kollidierende und nur schwer zu vereinba-
burglars while they are awaiting trial") mit Beispielsfallen; Hink, Die kriminogene Wirkung der Untersuchungshaft, phil, Diss. Salzburg, 1967; tiers,, Die kriminogene Wirkung der Untersuchungshaft, Kriminalistik 1967, S. 523 ff; Krümpelntann, ZStW 82. Bd. (1970), S. 1053; v. Brücken-Fack, Neue Entwicklungen im Vollzug der Untersuchungshaft in den Niederlanden, ZStW 85. Bd. (1973), S. 523 ff, 543 f; Retthous, NJW 973, S, 2271 r. Sp. ob.; Kaiser, KL Kriminologisches Wörterbuch aao. S. 330: „Untersuchungshaft gestaltet die Resozialisierung im anschließenden Strafvollzug schwieriger. Sie ist im Augenblick die Haftform, die mehr als die Verbüßung der Freiheitsstrafe das Behandlungsziel durchkreuzt."; Schach in Kaiser/Kerner/Schöch, Strafvollzug, 3. Aufl., S. 112: „Für das Vollzugsziel ist die Untersuchungshaft oft nicht nur verlorene, sondern auch verderbliche Zeit".
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I. Einleitung. Die Bedeutung des Untersuchungshaftvollzugs
rende33, wegen der UnschuldsVermutung gar äußerst problematische Aufgabe der Verbrechensverhütung durch Einwirkung auf den nur Verdächtigen in den Vordergrund zu rücken. Andernfalls bliebe es dabei, daß sich beispielsweise der Strafvollzug zu allem Überfluß zunächst den im soeben abgeschlossenen Strafverfahren verursachten oder verstärkten „schwer korrigierbaren SoziaÜsationsdefekten" gegenübergestellt sieht34. Über die möglichst umfassende Ausschaltung schädlicher Einflüsse hinaus hat der Untersuchungshaftvollzug irn Rahmen des rechtlich und praktisch Möglichen einen positiven Beitrag zur Verbrechensvorbeugung zu erbringen. Dafür sollen unabhängig von der sicher nicht zu unterschätzenden rechtlichen Problematik „gegenwärtig keine Chancen bestehen"35. Die düstere Prognose ist aus der Erfahrung gerechtfertigt, daß die Untersuchungshaft an Jugendlichen dem Jahrzehnte alten ausdrücklichen gesetzlichen Gebot (§ 93 Abs. 2 JGG, s. auch § 52 a Abs. l JGG) zuwider bisher bis auf wenige Ausnahmen 36 nicht erzieherisch gestaltet wird. 37 Es werden aber bereits seit einigen Jahren als ermutigend beschriebene Versuche unternommen, einen Sozialdienst und spezialpräventiven Vollzug bereits mit der Verhaf33
Der Konflikt zwischen der Besserung sauf gäbe und den prozessualen Notwendigkeiten ist insbesondere für den Vollzug der Untersuchungshaft an Minderjährigen bereits dem 11. Internationalen Kongreß für Strafrecht und Gefängnis we sen 1935 in Berlin zur Lösung aufgegeben gewesen; s. Frage 2 für die IV. Sektion, in: ZStW 55, Bd. (1936), vor S, 177; die Entschließung, in: BlfGefK 08. Bd. (1937), S. 114 bei Eicbitr und die von Kohlrausch abgegebene „Stellungnahme der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen", ZStW 55. Bd. (1936), S. 335 ff, 336f; vgl. weiter Pfeminger, Die Untersuchungshaft für Jugendliche, ebda., S. 354 ff; Eiehler, Vollzug der Untersuchungshaft an Minderjährigen, BlfGefK 68. Bd, (1937), S. 112 ff. 34 Vgl. Rotthaus, NJW 1974, S. 2271, und z.B. schon Sieverts, Die Wirkungen der Freiheitsstrafe und Untersuchungshaft auf die Psyche der Gefangenen, 1929, S, 44; Dit%, Jahrb. d. Gefängniskunde, Bd. 6, 1845, S. 225. Zu den nachteiligen Wirkungen des U Haft Vollzuges an Minderjährigen s. z.B. Pfenntager, ZStW 55. Bd. (1936), S. 359 ff; Eichler, BlfGefK 1937, S. 115 ff; neuerdings u. a. Peters, Grundprobleme der Kriminalpädagogik, 1960, S. 188; Zirbeck, Die Untersuchungshaft bei jugendlichen und Heranwachsenden, 1973, S. 10 ff, 47; H.J. Schneider, Jugendkriminalität im Sozialprozeß, 1974, S. 43 ff, 94. 35 Kriimpelmetnn, Aktuelle Probleme des Haftrechts, aaO, S. 50, der gar „weitgehende Einigkeit" in dieser Prognose feststellt. 36 Vgl. z. B, Körnschild, Junge Menschen in Untersuchungshaft, Zeitschr. f. Strafvollzug 1973, S, 45 f; Branditr, Bericht über einen Versuch, junge Untersuchungsgefangene erzieherisch zu betreuen, in: Jugendgerichtsbarkeit u. Sozialarbeit (hrsg. v, d. Dt. Vereinigg. für Jugendgerichte u. JugendgerkhtshÜfen e. V.), 1975, S, 180 ff. 37 Sebeeh in Kaiser/Kerner/Schöch, Strafvollzug, 3. Aufl. 1982, S. 112; Sebaffstein, Jugendstrafrecht, 6. Aufl. 1977, S, 153 f; Zirbeck aaO. (ob. Fn. 34); bes. kritisch Eistnhardt, Strafvollzug, 1978, S. 171; s. aus der Praxis z. B. Brandler aaO, (vorige Fn.), S, 181 ( „ . , . sie hatten morgens für 30 Minuten Gelegenheit zu einem Rundgang im Anstaltshof und verbrachten 23 Stunden und 30 Minuten des Tages beschäftigungslos in der Zelle, und zwar sehr häufig ohne jeglichen Außenkontakt für 3 bis 6 Monate".). Zur recht). Problematik erzieherischer Gestaltung der Haft s. Abschn, VI/3b) S. 225ff.
3. Die soziaIstaatlichen Einwirkungen
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tung und nicht erst nach einer Verurteilung mit dem Strafarttritt einsetzen zu lassen38.
3. Die sozialstaatlichen Einwirkungen Die Bundesrepublik Deutschland ist ein sozialer Staat. Die Bekenntnisse der Verfassung für Demokratie, Bundesstaat und Rechtsstaat sind zwar häufiger und deutlicher ausgeprägt als die Sozialstaatserklärung, die ausdrücklich nur zweimal, dabei lediglich in adjektivischer Form, zu finden ist (Art. 20 GG: „sozialer Bundesstaat"; Art. 28 GG: „sozialer Rechtsstaat") und wegen fast unüberwindlicher Schwierigkeiten bei der Auslegung und inhaltlichen Konkretisierung39 als nur „vage Verortung von Utopie"40 gesehen werden kann. Doch neben den erwähnten Fundamentalentscheidungen ist mit der ebenfalls (nach Art. 79 Abs. 3 GG) unabänderlichen Festlegung auf den Sozialstaat „eine der wesentlichsten Aussagen" des Grundgesetzes getroffen41. Damit ist der soziale Staat durch mehr als die Selbstverständlichkeit 42 gekennzeichnet, daß das Individuum in ihm 38
In zahlreichen Anstalten ist man dazu übergegangen, mit der Untersuchungshaft eine mehr oder weniger eingehende fürsorgerische Betreuung zu verbinden (vgl. z. B. Eisenhardt, Strafvollzug, 1978, S. 188, u. für Zürich Htier/i, Gefangene na rbei t etc., S, 237, Fn. 314, und ausführlich Wiesendanger, Neue Formen der Straffälligenhilfe, in: Schweizerisches Nationalkomittee für geistige Gesundheit, Arbeitsgruppe für Kriminologie, Hrsg., Neue Perspektiven in der Kriminologie, 1975, S. 199 ff), die in der Anstalt „La Stamps" bei Lugano (s. ob. Fn. 26) die Sozialarbeiter für Untersuch u ngs- und Strafgefangene bereits seit bald zwei Jahrzehnten gleichermaßen leisten. In den USA werden für Untersuchungsgefangene Diagnose- und Behandlungszentren eingerichtet, vgl. Blau, Kustodiale und antikustodiale Tendenzen in der amerikanischen Kriminalpolitik, G A 1976, S. 33 ff, 37; Dean, Maryland Training School for Boys, hrsg. v. Maryland Department of Health and Mental Hygiene, 1977. Bezüglich der in London 1971 eingerichteten „bail hostels" vgl, Kunert, Bewährungshilfe 1978, S. 29. 39 Herzog, in Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art, 20 Rdn. 148, 150, 165. 40 Reiner Schmidt, Der soziale Auftrag des Grundgesetzes, in: Weyer (Hrsg.), Rechtsstaat — Sozialstaat, 1972, S, 39; s. auch Denninger, Sozialstaat, in: Görlitz (Hrsg.), Handlexikon zur Rechtswissenschaft, 1972 („konkrete Utopie"). 41 Herzog in Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 20, Rdn. 148; s. z. B. auch Scheuner, Die institutionellen Garantien des Grundgesetzes, in: Recht, Staat, Wirtschaft (hrsg. v. Wandersieb), Bd. IV, 1953, S. 98; Hans Peters, Sozialstaat, in: Staatslexikon (hrsg. v. d. Görres-Gesellschaft), 1962, Sp. 394. Maihofer, Rechtsstaat und Sozialstaat, in: Weyer (Hrsg.), Rechtsstaat — Sozialstaat, S. 13, zählt das Sozial Staatsprinzip neben Rechtsstaatsund Demokratieprinzip zu den „drei fundamentalen Prinzipien", die unsere Staatsverfassung kennzeichnen; Herzog stellt sie aaO, Rdn, 149 „gleichberechtigt nebeneinander"; ähnlich z. B. bereits Gerber, Die Sozialstaatsklausel des GG, AöR 81. Bd, (1956), S. l ff, 27, 53. 42 Vgl. Werner Wtber, Die verfassungsrechtlichen Grenzen sozialstaatlicher Forderungen, Der Staat 1965, S. 409 ff, 418; Winktlvoß, Die Verwirklichung des sozialen Rechtsstaats, DRiZ 1966, S. 332 ff, 333.
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I. Einleitung. Die Bedeutung des Untersuchungshaftvollzugs
gemeinschaftsgebunden und gemeinschaftsbezogen 43 lebt44. Vielmehr ist bei aller Unbestimmtheit der Verfassungsaussage inzwischen deutlich und unbestritten, daß im Sozialstaat neben die Eingriffs Verwaltung die Leistungsverwaltung tritt, daß der Staat nicht nur gewährleistet, sondern auch gewährt, weil er soziale Pflichten anerkennt und übernimmt45. Diese Pflichten sind im allgemeinen wegen der Konturenlosigkeit des Begriffes „sozial" und der Schwierigkeit, die zugrundeliegenden ethischen und sittlichen Gebote, den Appell an das Gewissen46, inhaltlich zu beschreiben, für den Rechtsgebrauch derartig schwer zu präzisieren, daß die Sozialstaatsklausel anfänglich als einer „juristischen Auslegung kaum zugänglich"47 gekennzeichnet wurde und auch die Rechtsprechung ihr bisher keine allgemeine Wirkkraft verlieh48. Zweierlei ermögiicht es jedoch nunmehr, und mehrere Überlegungen gebieten im Anschluß daran, sozialstaatlichem Gedankengut wachsenden Einfluß auf verschiedene Regelungsmaterien, so auch auf den Vollzug von Untersuchungshaft einzuräumen 49 . Es besteht heute weitgehend Einigkeit darüber, daß das verfassungsrechtliche Sozialstaatsprinzip nicht nur einen Programmsatz, sondern ein „positivrechtliches Gebot zum sozialen Verhalten"50 enthält, das zwar in erster Linie den Gesetzgeber bindet, aber auch den Verwaltungsbehörden und der Rechtsprechung die Pflicht auferlegt, stets der sozialen Zielsetzung des Staates bei Auslegung und Anwendung der Gesetze zu entsprechen. Im Bereich der Strafrechtspflege hat das Sozialstaatspostulat mit der weltweiten51 Entwicklung zu einem weniger repressiven, auf Sozialisation der Delinquenten ausgerichte43
BVerfGE 4, Iff, 15. So noch E. R, Huber, Rechtsstaat und Sozialstaat in der modernen Industriegesellschaft, in: Huber, Nationalstaat und Verfassungsstaat, 1965, S, 249. 45 S. z. B. Stern, Das Staatsrecht der BRep. Dtld., Bd. I, 2. Aufl. 1984, S, 892, 912; Winkeboß, DRiZ I960, S. 334. 46 Vgl, Wieacker, Das Sozial m o de 11 der klassischen Privatrechtsgesetzbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft, 1953; s. auch Gerber, AöR 81. Bd., S. 39 („sozialethischer Anruf). 47 Herrfahrdt im Bonner Komm, zum GG, 1950, Art. 79, Erl. II, 3. 48 Vgl, Reiner Schmidt, Der soziale Auftrag des GG, aaO. S. 41; Zacher, Das Sozialstaatsprinzip in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, BayVBl 1969, S. 113 ff, 116. Ulrich Weber weist darauf hin, „daß das Sozialstaatsprinzip noch zu wenig präzisiert ist, um daraus fertige Modelle ableiten zu können" (Strafrechtsreform, in: Hdw, d. Kriminologie, hrsgg. v. Sieverts/Schneider, 2. Aufl. Bd. 5, Lfg. l, 1983, S. 40ff, 44). 49 So besonders deutlich Müller-Ditt^, Die Stellung des Beschuldigten im Strafprozeß, ZStW 93. Bd. (1981), S. 1177 ff, 1259; ders., Problematik u. Reform des Vollzugs der Untersuchungshaft, Strafverteidiger 1984, S, 79 ff, 86 f. 50 Düng, Verfassung und Verwaltung im Wohlfahrtsstaat, JZ 1953, S. 193 ff, 197 1. Sp.; s. weiter z. B. Hans Peter:, Sozialstaat, aaO. Sp. 395 („unmittelbar gehendes objektives Recht"); Stein, Staatsrecht, 7. Aufl., 1980, S. 69; s. im übrigen den Überblick über die Rechtsauffassungen bei Denninger, Sozialstaat, aaO. 5! S. die zahlreichen Nachweise bei Jescbeck, S traf rechts reform in Deutschland, Allgemeiner Teil, SchwZStrR 91. Bd. (1975), S. l ff, 4-6. 44
3. Die sozialstaatlichen Einwirkungen
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ten und atn Grundsatz der Humanität orientierten Straf recht und insbesondere einem Strafvollzugsrecht, das auf Eingliederung des Inhaftierten in die Gesellschaft zielt und „unter dem Vorzeichen sozialer Hilfe"52 steht53, Anerkennung gefunden. Am Beispiel des Strafvollzuges hat das Bundesverfassungsgericht 1973 erklärt, daß das „Sozialstaatsprinzip staatliche Vorund Fürsorge für Gruppen der Gesellschaft, die auf Grund persönlicher Schwäche oder Schuld, Unfähigkeit oder gesellschaftlicher Benachteiligung in ihrer persönlichen und sozialen Entfaltung behindert sind"54, verlangt, und ausdrücklich angefügt: „dazu gehören auch die Gefangenen"54. Die Untersuchungsgefangenen haben einen gesteigerten Anspruch auf soziale Betreuung und Hilfe, Denn ihre Lage ist, wie noch auszuführen sein wird55, schwerer zu ertragen als die Strafgefangenschaft; sie bedürfen vielfältiger Fürsorge dringender, Darüber hinaus sind Untersuchungsgefangene als unschuldig zu betrachten. Sie erbringen deshalb zur Sicherung des staatlichen Strafanspruchs ein Sonderopfer56. Dieses verpflichtet die hoheitliche Gewalt besonders zu sozialer Hilfe, nämlich zu psychischem wie materiellem Beistand gegenüber dem Gefangenen wie seinen mittelbar betroffenen Angehörigen, zu allen Schutzmaßnahmen, die ergriffen werden können, um irgendwelche Nachteile, die mit der Verhaftung und der Haft verbunden sind, zu vermeiden, gering zu halten oder auszugleichen57. Den Organen der Strafrechtspflege ist mit der Durchführung und Gestaltung der Untersuchungshaft die Bewältigung vielfältiger und eigenartiger theoretischer wie praktischer Schwierigkeiten aufgegeben. Die Besonderheiten des Untersuchungshaftvollzuges und die hervorragende Stellung, die das gesamte Recht der Untersuchungshaft im Strafprozeß und in jeder Rechtsordnung einnimmt, lassen vor allem die Praxis bewegende Rechtsfragen nicht nur dogmatisch interessant erscheinen. Sie sind gleichzeitig von kriminalpolitischem Gewicht, weil die Kollision von Interessen, Verfassungspositionen und Verfahrens rechten eines Verhafteten mit den Aufgaben, Rechten, organisatorischen Gegebenheiten und Erfordernissen S2
Mälier-Diet^, Strafvollzugsrecht, 2. Aufl. 1978, S. 61. S. z. B. schon Würtenberger·, Reform des Strafvollzuges im sozialen Rechtsstaat, JZ 1967, S. 233 ff; Schühr-Springorum^ Die g rund recht liehe Stellung des Gefangenen, Tagungsberichte der Strafvollzugskommission, Bd. V. 1969, S. 74 ff, 84 f und weiter u. a. Müller- Emm er t, Resozialisierung als Verfassungsauftrag, DRiZ 1976, S. 65 ff; Kaiser in Kaiser/Kerner/Schöch, Strafvollzug, 3. Aufl. 1982, S. 23 f; CattiesijMalier-Diet%, StVollzG-Komm,, 3. Aufl. 1983, Einl. Rdn. 29 ff; s. auch Sttrttt Staatsrecht, Bd. I, 2. Aufl. 1984, S. 9 0 l f m . w. Nachw, 54 BVerfGE35, 202 ff, 236. 55 S. unt. S. 37ff. 56 Kletaktiechtj Meyer sprechen treffend von „Aufopferungspflicht gegenüber der Gesellschaft" (StPO-Komm,, 36. Aufl. 1983, Rdn. 9 vor § 112). 57 Ahnl. Müller-Dtet^, Sozialstaatsprinzip und Strafverfahren, in; Festschr. f, Dünnebier, hrsgg. v. Hanack u. a., 1982, S. 75 ff, 91. 51
14
I, Einleitung, Die Bedeutung des Untersuchungshaftvollzugs
einer sachgerechten Strafverfolgung der Synthese bedarf. Sie hat eine ausgeglichene Rechtslage verläßlich zu bestimmen, die Rechtsstellung des Untersuchungshäftlings zu festigen, sozialstaatlichen Forderungen zu entsprechen 58 und die Straftechtspflege zu fördern, keinesfalls zu hindern. Das Sozialstaatsprinzip und die mit der Strafrechtsreform vorangetriebene Wandlung des materiellen Strafrechts zum Tat/Täterstrafrecht sind am Strafprozeßrecht zu sehr vorübergegangen59. Sie sind ebenso wie humanitäre Forderungen vornehmlich60 in Reght und Praxis des Vollzugs der Untersuchungshaft zu berücksichtigen.
4. Die Häufigkeit der Untersuchungshaft, ihre Dauer und die praktische Bedeutung der Haftgründe Die zu behandelnden Rechtsfragen sind praktisch bedeutsam, weil sie sich alltäglich grundsätzlich und in Einzelheiten bis zu Kleinigkeiten tausendfach stellen. Dabei sind die rechtlich schwierigen Entscheidungen mit der nicht zu unterschätzenden kriminalpädagogischen Aufgabe des Untersuchungshaftvollzuges und mit sozialstaatlichen Forderungen in Einklang zu bringen. Die praktische Bedeutung, die die §§ 112, 112 a StPO und der Untersuchungshaftvollzug im Gemeinwesen, insbesondere im Strafverfahren und im Verhältnis zum Strafvollzug haben, mögen statistische Angaben der beiden letzten Jahrzehnte verdeutlichen61. 58
Die „Anpassung unseres Strafprozesses an die sich aus dem verfassungsrechtlich verankerten Sozialstaatsprinzip ergebenden Forderungen" bezeichnet Rudolphi zu Recht als eine der wohl wichtigsten Aufgaben (Strafprozeß im Umbruch, ZRP 1976, S. 165); s. auch Zipf, Kriminalpolitik, 2. Aufl. 1980, S, 32 ff; dtr$.> Reform des Strafverfahrensrechts, in: Hdw. d. Kriminologie, 2. Aufl., Ergbd. 1979, S. 121 ff, 124, u. U. Weber, ebda,, 5. Bd. 1983, S. 41. 59 Seebode, Neue Entwicklungen im Strafverfahrens- und Polizeirecht, Vortragsreihe des Bundeskriminalamtes, Bd. 26, 1981, S. 101 ff, 114. 60 Roxin sagte 1970, die Verhältnisse seien nach seinen Feststellungen nirgends „so unmenschlich wie in den Untersuchungshaft anstehen" (bei J, Meyer, Tagungsbericht, ZStW 82, Bd., 1970, S. 1125). 61 Auf die ökonomische Seite des Untersuchungshaftvollzugs sei in diesem Zusammenhang nur knapp hingewiesen. In Bayern betrugen die unmittelbaren Staat Säusgaben zur Deckung der lattftndtn Kosten des Straf- und Untersuchungshaftvollzugs (Konsumausgaben) im jähre 1964 (also ohne Berücksichtigung der Ausgaben, deren Nutzung über das Haushaltsjahr hinausging — Investitionsausgaben — , wie z, B, für Baumaßnahmen oder länger als ein Jahr zu nutzende Geräte) nach der Berechnung von GroiofafM, Strafverfolgung und Strafvollzug, Eine Ökonomische Analyse, 1973, S. 99, DM15,43 pro Gefangenen und Tag. Heimut P. Müller, Staatsbürger hinter Gittern, 1966, S, 69, beziffert den Bruttozuschuß Nordrhein-Westfalens für jeden Strafgefangenen und Tag im Jahre 1964 mit DM 16,13, den Nettozuschuß (nach Berücksichtigung der Anstaltsein-
4. Häufigkeit, Dauer; praktische Bedeutung der Haftgründe
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a) Die Zahl der Inhaftierten an Stichtagen Ob die Grenze zwischen den Erfordernissen sachgerechter Strafrechtspflege und der Wahrung von Freiheits rech ten angemessen, klar, deutlich und zuverlässig von der deutschen Rechtsordnung gezogen ist, offenbart sich im Untersuchungshaftvollzug alltäglich an der Gestaltung des Lebens von 11000 bis 16000 Gefangenen. Die Zahl der Untersuchungshäftiinge wird vom Statistischen Bundesamt62 zum jährlichen Stichtag 1. Januar angegeben; zum Vergleich sind auch die Gefangenenzahlen62 herangezogen:
nahmen) mit DM 9,45, Neu, ökonomische Problerne des Strafvollzuges etc., 1971, S. 37, errechnete für die Bundesrepublik einen Durchschnittstagesatz von DM 19,80 im Jahre 1966 und unter Berücksichtigung der Einnahmen (aus Arbeitsleistung Gefangener) einen täglichen Steuerzuschuß pro Gefangenen von im Bundesdurchschnitt DM 13,50, der sich im Jahre 1973 auf DM 33,— erhöht haben soll (Neu, Die finanziellen Auswirkungen des Alternativentwurfs, in: Baumann (Hrsg.), Die Reform des Strafvollzuges, 1974, S, 145 ff, 149); K.-H. Kuriert, Alternativen zum Freiheitsentzug nach deutschem Recht, Bewährungshilfe, 1978, S. 23 ff, 26, behauptet „Kosten für einen Tag Vollzug" von „rund DM 51, — "; s. dazu näher Kerner, in Kaiser/Kerner/Schöch, Strafvollzug, 2. Aufl. 1977, S. 213 f m. weit, Nachw. In Niedersachsen betrug der Steuerzuschuß pro Gefangenen und Tag nach einer Veröffentlichung des nieders. Ministers der Justiz (Strafvollzug in Niedersachsen, o. J.) 1975 DM 46,61 und 1980 DM 71,67, in N ordrhei n-Westfalen 1970 DM 25,05, 1975 DM 51,63, 1980 DM 79,90, 1981 DM 84,39 und 1982 DM 80,08 (Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Hrsg., Justiz in Zählen, 1983); die Deckung der Ausgaben durch die Einnahmen des Vollzugs verminderte sich von 29,2% im Jahre 1970 auf 16,5% im jähre 1980 und 14,8% 1982 (Justizminister NRW aaO,), Jeweils unberücksichtigt sind die privaten Kosten des Inhaftierten (z. B, entgangene Einnahmen), die z. T, zu den sozialen Kosten zu zählen sind (z. B. entgangene Steuer), wie die Aufwendungen det Gemeinschaft für die soziale Betreuung der Angehörigen des Gefangenen (s. Kuntrt aaO.). 62 Statistisches Bundesamt, Wiesbaden: Fachserie A, Bevölkerung und Kultur, Reihe 9/III, Rechtspflege/Strafvollzug, Mainz 1961 ff, ab 1976: Fachserie 10, Rechtspflege, Reihe 4 Strafvollzug; vgl. auch Keraer, Untersuchungshaft und Strafurteil, in: Gedächtnisschr. f. H, Schröder, hrsg. v. Stree u. a., 1978, S, 549 ff, 551 f; Krümpelmann, Statistische Angaben über die Untersuchungshaft in der Bundesrepublik, in: Jescheck/Krümpelmann (Hrsg,), Die Untersuchungshaft im deutschen, ausländischen und internationalen Recht, 1971, S. 82; äers., Aktuelle Probleme des Haftrechts in empirischer und verfahrensrechtlicher Sicht, in: Göppinger/Kaiser, Hrsg., Kriminologie und Strafverfahren, 1976, S, 44 ff, 48, mit dem treffenden Hinweis in Fn. 40, daß die Zahlen am Stichtag t. Januar deutlich reduziert sein dürften, ebenso Kreuzer, Untersuchungshaft bei Jugendlichen u. Heranwachsenden, RdJuB 1978, 337ff, 338; u. Dünkel, in: Dünkel/Rosner, Die Entwicklung des Strafvollzugs in der Bundesrep, Deutschland seit 1970, 2. Aufl. 1982, S. 15, 27, 50, der darauf hinweist, daß der Anteil der Untersuchungsgefangenen an der GesamtpopuJation der Justizvollzugsanstalten an den Stichtagen 31. 12. um 3% höher ist als im Jahresdurchschnitt (S. 50); s. auch Jesebeck, Lehrbuch des Strafrechts, 2. Aufl. 1972, S. 24: 12361 Untersuchungsgefangene am 31. 3. 1970; den,, ebda. 3. Aufl. 1978, S. 30; 15562 Untersuchungsgefangene am 31. 3. 1973. Mit der von Beritt, Anwalt und Strafvollzug, AnwBl 1974, S. 61 herangezogenen, „bekannten Daumenregel", nach der „etwa l%o der Bevölkerung, in der Bundesrepublik jeweils also etwa 50000 bis 60000 Menschen" in
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L Einleitung, Die Bedeutung des Untersuchungshaftvollzugs
Tab. l am 1.1. des Jahres
Untersuchungshäftlinge
Strafgefangene und Verwahrte
1961 1962 1963 1964 1965
14.194 13.940 13.799 13.884 13.313
43.338 43.099 42.797 42.917 43.689
1966 1967 1968 1969 1970
11,301 13.089 13.578 12.158 11.138
40,173 41.794 43.294 42.527 35.288
1971 1972 1973 1974 1975
13.038 14.384 15.501 15.943 15.556
29.861 32.114 34.398 34.579 34.586
1976 1977 1978 1979 1980
14,773 14.181 14.155 13.488 14.470
34.903 35.573 36.852 36,863 36.581
1981 1982 1983
14.929 15.636 16.539
36.960 37.961 40.738
Demnach befinden sich in der Bundesrepublik täglich so viele Menschen in Untersuchungshaft wie eine kleinere Stadt Einwohner hat, und jeder dritte bis vierte Inhaftierte ist Untersuchungsgefangener 63 , Der Anteil Freiheitsentzug sind, „davon ca, 1/3 in Untersuchungshaft", ist nach den amtlichen Statistiken für manche Jahre etwas zu hoch gegriffen. 63 S. auch Mtyer, BT-SondA,, 7. Wahlperiode, Pro t. S. 1724 r. Sp. („etwa 30%"); Kerner, Schröder-Gedächtnisschr,, S. 551 („knapp 1/3 aller Gefangenen"); Dunkel, in: Dünkel/Rosner, Die Entwicklung d. Strafvollzugs etc., 2. Aufl. 1982, S. 27 {„25,2%"); Kaiser in; Kaiser/Kerner/Schöch, Strafvollzug, 3, Aufl. 1982, S. 41 („etwa ein Viertel"), anders aber Kaiser, Strafvollzug im europ. Vergleich, 1983, S, 231, wo unter Berufung auf eine redakt. Mitteilung im KrimBull. 1977, S, 68, für 1977 ohne Stichtagsangabe die erstaunlich niedrige Zahl von 10100 Untersuchungsgefangenen in der Bundesrepublik und die im Vergleich zur amtlichen Stichtagszahl erstaunlich hohe Zahl von 39900 Strafgefangenen mitgeteilt werden, woraus sich der aaO. von Kaiser zitierte Anteil von nur 20% Untersuchungsgefangenen an der Gesamtbelegung der bundesdeutschen Justiz Vollzugsanstalten ergibt. Für Frattkrtuh ist das hier für die Bundesrepublik ermittelte Zahlenverhältnis ebenfalls festgestellt von Grebing, Die Untersuchungshaft in Frankreich, 1974, S. 157, während eine neuere Untersuchung zu einem Anteil von im Jahre
4. Häufigkeit, Dauer; praktische Bedeutung der Haftgründe
17
der jugendlichen (14 bis 18jährigen) Untersuchungsgefangenen betrug am 1. 1.1982 4,8% (752), der der jungen Erwachsenen (18 bis 2 jährigen) 13,7% (214l)64 und entsprach damit ungefähr den Quoten der Vorjahre 65 . Von der strafmündigen westdeutschen Bevölkerung (z. B. 1964 rd. 46 Millionen, 1974 rd. 49 Millionen, 1979 rd. 50,6 Millionen) 66 sind mithin täglich 0,027% (1979) bis 0,03% (1964, 1974) in Untersuchungshaft. Dies bedeutet, daß sich z. B. am 1.1. 1979 von 100000 Strafmündigen 27 in Untersuchungshaft befanden07, während 73 in Strafhaft waren; 15 Jahre zuvor, 1964, kamen auf 100000 Strafmündige ähnlich rd. 28 Untersuchungs-, aber rd. 93 Strafgefangene. Der Untersuchungshaftvollzug hat also im Verhältnis zum Strafvollzug an Bedeutung gewonnen68. Unabhängig davon, daß der Anteil der Unters uchungsgefangenen an der gesamten 1977 42% Untersuchungsgefangenen in französischen Haftanstalten kommt (vgt, Kaiser, Strafvollzug im europ. Vergleich, S. 231), der zum 1.1. 1983 auf 52,5% gestiegen sein soll (Le Monde v. 17. 3. 1983, S. 12; ZfStrVO 1983, S. 175). Im schweizerischen Kanton Tessin, der seine Straf- und Untersuchungsgefangenen in der Anstalt „La Stampa" zusammenfaßt, ist jeder dritte Gefangene ein -Häftling. Nach Baecbtold, Die Aufgabe der S traf recht s pflege und der Strafvollzug in der Schweiz, Krim Bull 1977, S. 40ff, 46, gilt dieses Zahlenverhältnis in der gesamten Schweiz. S. weiter v. Brutkin-Foek, Buchbesprechung, Krim] 1973, S. 231, der berichtet, in den Niederlanden betrage der Anteil von Untersuchungsgefangenen an der Gesamtbelegschaft der Vollzugsanstal ten bereits 50%, In Italien sollen sogar mehr als die Hälfte der Gefangenen (1977: 57%) Untersuchungshäftlinge sein (Kasser, Strafvollzug im europ. Vergleich, S. 231; s. auch den., in: Kaiser/Kerner/Schöch, Strafvollzug, 1982, S. 64; ebenso Krim Bull 1977, S. 69). In Spanien sind „drei von fünf" (60%) Gefangenen Untersuchungshäftlinge (dpa, Frkft, Allg. Ztg. Nr. 224 v. 28.9. 1981, S, 9; Kaiser, Strafvollzug im europ. Vergl., S. 231). In der DDR befanden sich lt. Honecker am 1.11. 1982 vor einer großen Amnestie in Strafhaft 37726 und in Untersuchungshaft 7162 Personen (Frankf, Allg. Ztg. Nr. 23 v. 27,1.1983, S. 3), wonach der Anteil der Untersuchungsgefangenen (16%) entgegen der Vermutung von Kaiser (in: Kaiser/Kerne r/ Schöch, Strafvollzug, 1982, S. 61) nicht über dem in der Bundesrepublik festzustellenden, sondern erheblich darunter liegt. 64 Vgl, Stat. Bundesamt, Fachserie 10 (Rechtspflege), Reihe 4 (Strafvollzug) 1981 (Stuttgartt/Mainz 1982), Tab. 2. 65 Z. B,: 1. 1. 1977: 4,3% / 13,8%; 1. L 1979; 4,9% /14,7%; s. auch Kemert Gedächtnisschr. für Schröder, S. 551 f. 66 Vgl, die Angaben des Stat. Bundesamtes in: Bevölkerung und Kultur, Reihe 9, Rechtspflege, Übersicht F 2; ab 1976 in: Fachserie 10 (Rechtspflege), Reihe l (Ausgewählte Zahlen für die Rechtspflege), Tabelle 6.2! 67 Nicht auf die Zahl der Strafrnündigen, sondern auf die Gesarntbevölkerung bezieht Krümpelmann (Probleme der Untersuchungshaft im dt. u. ausländ. Recht, ZStW 82. Bd., 1970, S. 1052 ff) die Zahl der Untersuchungsgefangenen. Er folgt damit niederländischen Beispielen und ermöglicht so einen Vergleich mit ausländischen Verhaftungsquotienten: Wahrend in der Bundesrepublik 1969 auf 100000 Einwohner 19,5 Untersuchungsgefangene gezählt wurden, waren es zur selben Zeit auf jeweils 100000 Einwohner in Frankreich 25, in Belgien 13,2, in den Niederlanden 10,8 und in England 9,9, 1967 in Schweden 11,4 und in Italien 26,4 (Krümptlmann aaO. S. 1056). 68 So z. B. auch Arbeitskreis Strafpro^eßreform (Amelung u. a.), Die Untersuchungshaft, 1983,5,53,
18
I. Einleitung. Die Bedeutung des Untersuchungshaftvollzugs
Vollzugspopulation an den Stichtagen 1.1. wegen der zu diesen Zeitpunkten durch Weihnachtsamnestien u. ä. verminderten Zahl der Strafgefangenen höher sein dürfte als im Jahresdurchschnitt 69 , scheinen demnach die in der Literatur getroffenen Feststellungen zutreffend zu sein, nach denen die Untersuchungshaft praktisch „in Funktionen hineingewachsen (ist), die man ... der Strafhaft zugedacht hatte"70, und nach denen die Gesamtentwicklung gekennzeichnet ist „durch eine Verschiebung von der Jugendstrafe zur Untersuchungshaft bei jungen Menschen"71.
b) Jährliche Verhaftungen und durchschnittliche Dauer der Untersuchungshaft Es ist unbekannt, wie viele Menschen jährlich in der Bundesrepublik in Untersuchungshaft genommen werden, für wie viele Beschuldigte Recht und Praxis des Untersuchungshaftvollzugs während eines Jahres für Tage, Wochen oder Monate den Alltag bestimmen und die Zukunft beeinflussen. Denn die Haftantritte werden nicht mehr gezählt72. Für die Jahre 1925 — 1929 ergab sich aus der Statistik über die Gefangenenanstalten der Justizverwaltung in Preußen, daß dort jährlich zwischen 80000 bis 116000 Untersuchungshäftlinge untergebracht waren73. Für die heutige Zeit und das Gebiet der Bundesrepublik liegen unterschiedliche Schätzungen vor. Kaiser nennt ohne nähere Angabe die „hohe Zahl von knapp 70 000 Personen jährlicher Untersuchungshäftlinge"74. Ähnlich meint Bohm, „niedrig geschätzt dürften jedes Jahr 60000 Menschen in Untersuchungshaft gelangen"75, und folgert aus den Zahlen, die an den Stichtagen ermittelt wurden, im Hinblick auf eine aus Einzeluntersuchun69
Dünkel in; Dünkel/Rosner, Die Entwicklung des Strafvollzuges etc., S, 50. Kerner, Seh rode r-Gedächtnis« ehr. S. 551; vgl. auch Kaiser, in; Kaiser/Kern er/S chöch, Strafvollzug, 3. Aufl. 1982, S. 72. 71 Kreuzer, RdJuB 1978, S. 342. 72 Anders in Frankreich, wo z. B, 1967 68 429 Verhaftungen erfolgten (Kriimptlmantt, ZStW 82. Bd., 1970, S, 1057; Grebing, Statistische Angaben über die Untersuchungshaft in Frankreich, in: jescheck/Krümpelmann, Hrsg., Die Untersuchungshaft im dt., ausländ. u. internat. Recht, 1971, S. 225 ff, 226), und England/Wales, wo 1968 nach Kriimpilmann (aaO.) 579972 Verhaftungen und vorläufige Festnahmen gezählt wurden. Der Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen veröffentlichte zwar die Zahl der „Personen mit Untersuchungshaft" in seinem Lande (1978: 8156; 1979: 6972; 1980: 7194); aus dem Zusammenhang mit der Aufschlüsselung der erkannten Strafen ergibt sich jedoch, daß es sich nicht um die Zahl der Verhaftungen, sondern der in dem Jahr abgeurteilten Untersuchungsgefangenen handelt (Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Justiz in Zahlen, 1981). 73 Peiers, Untersuchungshaft, in; Elster/Lingemann, Hrsg., Hdw, d. Kriminologie, Bd. 2, 1930, S. 850 ff, 858. 74 Kaiser, Strafvollzug, in: Kaiser u. a., Hrsg., Kleines Kriminologisches Wörterbuch, 1974, S. 322 ff, 330. 75 Böbai, Strafvollzug, 1979, S. 200. 70
4, Häufigkeit, Dauer; praktische Bedeutung der Haftgründe
19
gen sich ergebende durchschnittliche Haftdauer, „daß jährlich über 3000 Jugendliche und mehr als 7000 Heranwachsende in Untersuchungshaft geraten"76. Kermr überträgt diese Schätzung mit Hilfe statistischer Zahlen aus dem Untersuchungshaftvollzug auf alle Altersgruppen und erhält so für 1976 „eine wahrscheinliche Zahl von Haftantritten in Höhe von ca. 42000"77. Die vom Statistischen Bundesamt in der Strafvollzugsstatistik 78 jährlich veröffentlichte Zahl der „Zugänge" im Untersuchungshaftvollzug (1979: 90423) ist irreführend. Denn diese Zahlen enthalten nicht nur die Verhaftungen (Erstaufnahmen), sondern auch die Verlegungen, so daß die ZugangszahJen durchaus doppelte und auch mehrfache Zählungen der Untersuchungsgefangenen wiedergeben; eine doppelte Zählung erfolgt z. B. bereits, wenn ein Untersuchungshäftling vom Gerichtsgefängnis in die Untersuchungshaftanstalt verlegt wird. Die Schätzung, daß durch das „unzweckmäßige Zählverfahren*' die in den Strafvollzugsstatistiken mitgeteilten Zugangszahlen „die tatsächlichen Verhaftungsziffern um mehr als das Doppelte" übersteigen79, ist demnach nicht unrealistisch. Die Zahl der jährlichen Verhaftungen läßt sich allenfalls annähernd ermitteln. Gewisse Rückschlüsse lassen über die Jahre die statistisch erfaßten Zahlen der Untersuchungshaftlinge zu, die jährlich abgeurteilt wurden oder gegen die eine der drei folgenden Entscheidungen erging; Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59 StGB), Aussetzung der Verhängung einer Jugendstrafe (§27 JGG), Absehen von Strafverfolgung (§45 JGG)80. Als Abgeurteilte80 werden die Angeklagten gezählt, deren Strafverfahren nach Eröffnung des Hauptverfahrens durch Urteil (Freispruch, Verurteilung, Einstellung), Strafbefehl oder Einstellungsbeschluß rechtskräftig abgeschlossen wurden. Für das Bundesgebiet81 wird die Zahl der Untersuchungsgefangenen, die abgeurteilt wurden oder gegen die eine der drei genannten Entscheidungen erging, seit 1975 veröffentlicht82. 76
Böbat> Einf, in das Jugendstrafrecht, 1977, S. 88. Kerner, Gedächtnis s ehr. f. Schröder, S. 552. 78 Stat, Bundesamt, Fachserie 10 (Rechtspflege), Reihe 4 (Strafvollzug), 1976 ff, Tab. 2. 79 Krümpelmafm> Statistische Angaben etc., in; Jescheck/Krümpelmann (Hrsg.), Die Untersuchungshaft etc., S. 83, Fn. 4; s, auch Kerner, Gedächtnisschr, f. H, Schröder, 1978, S. 5521 80 Vgl. die Begriffsbestimmungen des Stat. Bundesamtes, Fachserie 10 (Rechtspflege), Reihe 3 (Strafverfolgung), 1976, S. 6! 81 Zuvor lagen entsprechende Zahlen nur für Bayern und Nordrhein-Westfalen, also für knapp die Hälfte der Bundesbevölkerung vor. Sie sind veröffentlicht von Krumptlmann, in Jescheck/Krümpelmann (Hrsg.), Die Untersuchungshaft etc., S. 83 f; Jers., Aktuelle Probleme etc., in: Göppinger/Kaiser (Hrsg.), Kriminologie u. Strafverfahren, S. 48 f. Für die Zeit bis zum StPÄG s. die Zahlenangaben aus der sog. Querschnittsstatistik für 1961 des Bundesjustizministeriums bei Diinnebter, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 21. Aufl., Ergbd,, 1966, Anm. 5 vor § 112, und von Jescbeck, GA 1962, S. 68! 82 Stat. Bundesamt, Fachserie 10 (Rechtspflege), Reihe 3 (Strafverfolgung), 1975 (Stuttgart/Mainz 1977), Tab. l und 13, dass. für 1976 ff (Stuttgart/Mainz 1977 ff), Tab. l und 4. 77
20
I. Einleitung. Die Bedeutung des Untersuchungshaft Vollzugs
Tab. 2
1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982
1 Abgeurteilte83
2 Abgeurteilte83 mit Untersuchungshaft
3 Prozentsatz
779.219 839.679 882,855 917.532 906,232 928.906 952.091 981.083
36.389 42.105 40.004 38.361 35.941 37.401 40,169 42,492
4,67 5,01 4,53 4,18 3,97 4,03 4,22 4,33
Die Zahl der jährlichen Verhaftungen entspricht aus zwei Gründen nicht der jährlich veröffentlichten Zahl derjenigen, die sich in Untersuchungshaft befanden, bevor sie abgeurteilt wurden oder bevor gegen sie eine der drei anderen genannten Entscheidungen erging (Tab, 2, Spalte 2). Erfaßt sind die im Bezugsjahr abgeurteilten, nicht die in diesem Zeitraum verhafteten Personen, und nicht erfaßt sind diejenigen Untersuchungsgefangenen, gegen die das Hauptverfahren nie eröffnet und bei denen auch nicht nach § 45 JGG von der Strafverfolgung abgesehen wird. Zu denken ist hier vornehmlich an die Verfahrenseinstellungen, aber auch an Suicid- und sonstige Todesfälle vor Eröffnung des Haupt Verfahrens. Die Zahl der jährlich rechtskräftig abgeurteilten Untersuchungsgefangenen und derjenigen, die sich bis 2u dieser Aburteilung im Laufe des Verfahrens in Untersuchungshaft befanden (Tab. 2, Spalte 2), gibt deshalb nur einen (auch noch verzerrten) Näherungswert ab für die nicht exakt zu ermittelnde, aber wohl höhere Zahl der jährlichen Verhaftungen, Danach dürften in der Bundesrepublik jährlich 40000 bis 50000 Menschen in Untersuchungshaft geraten. Vergleicht man damit die Zahl der jährlichen Einweisungen zum Antritt einer Kriminalstrafe84, so zeigt sich, daß jährlich annähernd so viele Menschen Untersuchungshaft wie Strafhaft antreten85:
63
Abgeurteilte nach der Begriffsbestimmung des Stat. Bundesamtes (s. ob. Fn. 80) einschl. derjenigen, gegen die eine Entscheidung nach § 59 StGB, f 2 7 JGG oder § 45 JGG erging. M Stat. Bundesamt, Fachserie 10 (Rechtspflege), Reihe l (Ausgewählte Zahlen für die Rechtspflege), 1973 ff. Tab. 4.2, 85 Weitergehend Eisenhardt, Strafvollzug, 1978, S. 194, der davon ausgeht, daß „pro Jahr mehr Jugendliche und Heranwachsende in Untersuchungshaft als in Strafhaft sind", und B'obm, Strafvollzug, 1979, S, 199f, der unter der Annahme von wenigstens 60000 jahrlichen Verhaftungen die Untersuchungshaft „die am häufigsten angewandte und
4, Häufigkeit, Dauer; praktische Bedeutung der Haftgründe
21
Tab. 3 Einweisungen zum Antritt einer Kriminalstrafe
1973 1974 1975 1976 1977
61.578 63.643 63.747 63.380 60.778
1978 1979 1980 1981 1982
56.719 53.642 52.936 54.012 59.383
Der in Tabelle 2, Spalte 3 angegebene Prozentsatz verdeutlicht die Häufigkeit und Bedeutung der Untersuchungshaft im Strafverfahren. 4 bis 5% aller Abgeurteilten 86 geraten im Laufe des Verfahrens in Haft87. Die jeweilige Dauer der Untersuchungshaft und damit auch deren durchschnittliche Dauer werden statistisch nicht exakt festgehalten. Es liegen aber Ergebnisse von einigen wenigen Einzelbeobachtungen in bestimmten Anstalten für abgegrenzte Zeiträume, Erhebungen in einzelnen Gerichtsbezirken und folgende statistische Angaben68 vor. Die Einzeluntersuchungen89 betreffen vornehmlich die Dauer der Haft von 14- bis 21jährigen Untersuchungsgefangenen. Sie erbrachten eine durchschnittliche Dauer der Untersuchungshaft 14- bis 21 jähriger Gefange-
llzogene Haftart" nennt, weil mehr Menschen in Untersuchungshaft gelangen, „als im gleichen Zeitraum in den Erwachsenen- und Jugendstrafvollzug eingewiesen werden". M S. ob. Fn. 83! 87 Nach Mitteilungen von VOM (DRiZ 1983, Anlage I, S. 22 ff, 23 f) und //,-//. Gänttr (ebda. S. 23) ermittelte Hennes, daß 1981 nur 2,7% der Angeklagten in Untersuchungshaft gewesen seien, gegenüber 5,4% im Jahre 1965; ähnlich hat Geißel nach Voss aaO. mitgeteilt, daß in Nordrhein-Westfalen von 1971 bis 1981 die Haftsachen absolut und im Verhältnis zur (gestiegenen) Zahl der Ermittlungsverfahren zurückgegangen sind: 1971 bei l 136000 Ermitdungsverf. 11434 UGef.; 1981: l 598000 Ermittlungsverf. und 7565 UGef. m S tat, Bundesamt, Fachserie 10 (Rechtspflege), Reihe 3 (Strafverfolgung), 1975, Wiesbaden 197, Tab. 13; dass, 1976 ff, Wiesbaden 1977 ff, Tab. 4. Erfaßt sind nur die Untersuchungsgefangenene, die in dem betreffenden Jahr abgeurteilt wurden oder gegen die in diesem Zeitraum Entscheidungen nach §§ 59 StGB, 27 JGG oder 45 JGG ergingen (s, ob. Tab. 2, Sp. 2[). Prozentwerte nach eigener Berechnung. m Krebs, ZfStrVO 1967, S. 82; Hilkettbach, ebda, S. 92; Zirbe(k, Die Untersuchungshaft bei Jugendlichen und Heranwachsenden, 1973, S, 26 ff; Fuck, Hilfe für Untersuchungsgefangene während der Untersuchungshaft und danach, in: Bundeszusammenschluß für Straffälligenhilfe (Hrsg.), Gemeinsam den Rückfäll verhindern, 1975, S. 79 ff, 82, 92; Landtag Baden-Württemberg, Drs. 7/4770 v, 16. 11. 1978; B. Busch, Vollzug der Untersuchungshaft in organisations vergleichender Sicht, in: Kaiser/Forschungsgruppe Kriminologie (Hrsg.), Empirische Kriminologie, 1980, S. 354 ff; Carstensen, Dauer von Untersuchungshaft, 1981.
22
I. Einleitung, Die Bedeutung des Untersuchungshaftvollzugs
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^?5?5etkfKräßtpeimann, Die Untersuchungshaft etc., S. 953 f; Walter, ZStW 93. Bd., 1981, 5,482; zum Mißbrauch der Untersuchungshaft s. auch Hesi/Bräckaer, Vorbeugung des Verbrechens, in: Hdw. d. Kriminologie, 2. Aufl., hrsgg. v. Sieverts u. Schneider, Bd, 4, 1979, S. 404 ff, 430 f. 94 Ges. v, 28. 6. 1935 (RGB1,1, 844), Art. 5: „... wenn es mit Rücksicht auf die Schwere der Tat und durch sie hervorgerufene Erregung der Öffentlichkeit nicht erträglich wäre, den Angeschuldigten in Freiheit zu lassen", 95 Vgl, Badtr, Die Wiederherstellung rechtsstaatlicher Garantien im deutschen Strafprozeß nach 1945, in: Festschr. Pfenninger, 1956, S. l ff, 5f; Peters, Strafprozeß, 1952, S. 328; Heakel, Straf verfahren s rech t, 1953, S. 315 f, Fn. 5. 96 Ges. v. 19, 12. 1964 (BGB1. I, 1067); zu § 112 Abs. 4 a. F. StPO bereits kritisch 2, B. Dahs, Die kleine Strafprozeßreform, NJW 1965, S. 81 ff, 83; Schar», Die Untersuchungshaft nach dem Strafprozeßänderungsgesetz, NJW 1965, S. 841 ff, 842; SfhmidtLtichner, Untersuchungshaft und Grundgesetz, NJW 1966, S. 425 ff; Eb, Schmidt, Lehrkomm. StPO, Bd. II, Nachtr. I, 1967, Rdn. 4 ff vor u. Rdn. 28 ff zu § 112. 92
2. Untersuchungshaft
73
ermöglicht in Übereinstimmung mit den gesetzgeberischen Motiven97 aber Untersuchungshaft unabhängig von einem Haftgrund unter der alleinigen Voraussetzung des dringenden Verdachts bestimmter schwerer Straftäten, und zwar im wesentlichen, weil es einer knappen Mehrheit des Parlaments „unerträglich*' erschien, einen einer schweren Straftat dringend Verdächtigen auf freiem Fuß zu lassen98. Doch „das Bundesverfassungsgericht hat das deutsche Haftrecht vor diesem bedenklichen Haftgrund bewahrt"99, der mit dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und der Unschuldsvermutung unvereinbar ist, Es hat entschieden, daß entgegen dem Wortlaut des § 112 Abs, 4 a. R StPO (§112 Abs. 3 StPO) dringender Tatverdacht allein nicht ausreicht, vielmehr ein Haftgrund gegeben, wenn auch nicht auf bestimmte Tatsachen zu stützen sein muß100. Lehre und Rechtsprechung sind dem jedenfalls insoweit gefolgt, als heute die Unvereinbarkeit des Wortlautes des § 112 Abs. 3 StPO mit der Verfassung unstreitig ist und ein Haftgrund gefordert wird 101 , so daß auch die nach § 112 Abs. 3 StPO angeordnete Haft der Verfahrenssicherung dient. Allerdings wird mit Recht kritisiert, daß nicht die Verfassungswidtigkeit des §112 Abs. 4 a. F. StPO gerichtlich festgestellt, sondern versucht wurde, die Vorschrift verfassungskonform auszulegen102, obwohl dies in Anbetracht des Wortlauts und der Motive nahezu eine Verkehrung ihres Sinns bedeutete103, die zudem noch zu einer schwer erträglichen Unbestimmtheit und letztlich zu einer Verpflichtung des Beschuldigten führt, den vermuteten, nach einem Minderheitsvotum des Bundesverfassungsgerichts104 „gleichsam fingierten" Haftgrund zu widerlegen105. 97
S. BT-Drucks. IV/1020; BT-Prot. IV/6439 u. näher Dimnebier, Untersuchungshaft bei Verbrechen wider das Leben, NJW 1966, S. 231 ff. 98 Dürtnebier aaO. (wie vorige Fn.) S. 233; s. auch Oppe, Der unbenannte Haftgrund des § 112 Abs. 4 StPO, NJW 1966, S. 93 ff; OLG Hamburg, NJW 1965, S. 2116. 99 JescbeckIKrümpelmann, Die Untersuchungshaft etc., S, 953. 100 BVerfGE 19, 342 ff, 350. 101 S. z. B. nur KltinknechtlMeyer, StPO, § 112, Rdn. 26; Boujong, KarlsrKomm., \ 112, Rdn. 40; Dümtebier bei Löwe-Rosenberg, StPO, 23. Aufl., § 112, Rdn. 68; Miiiitr, KMR, 7. Aufl., §112, Rdn, 20; Roxin, S traf verfahre n s recht, 17. Aufl., S. 165; Schlächter, Das Strafverfahren, S. 182; Haberslrob, Voraussetzungen und Vollzug der Untersuchungshaft, Jura 1984, S. 225 ff, 228. ira Schmidi-Lticbmr, NjW 1966, S. 428; diesem zust. Eb, Schmidt, Lehrkomm. StPO, Bd. II, Nach». I, 1967, § 112, Rdn. 28 e; s. auch Gerb. Schmidt bei Jescheck/Krümpelmann, .Die Untersuchungshaft etc., S. 50; Walter, ZStW 93. Bd., 1981, S, 484. 103 Vgl. Dünnebier bei Löwe-Rosenberg, §112, Rdn. 68; ebenso Wendisch ebda., 24. Aufl., Rdn. 52; Arbeitskreis Sira/pro^fßreform, Amtiung u. a., Die Untersuchungshaft, 1983, S. 44; Deckers, Die Vorschrift des § 112 Abs. 3 StPO, sogenannter „Haftgrand der Tatschwere", AnwBl 1983, S. 420 ff, 421 f; Anagnestopoufos, Haftgründe der Tatschwere und der Wiederholungsgefahr, 1984, S. 31. 104 BVerfGE 36, 276 ff, 277. 105 Dünnebier und Wendisch, Jew. aaO., Gerb. Schmidt aaO.; Weiter aaO. S. 483.
74
V. Der Begriff des Untersuchungshaft Vollzugs
Untersuchungshaft hat weiter, wie schon § 112 StPO zeigt, auch nicht die Aufgabe, die Allgemeinheit durch Verhaftung des Verdächtigen gem. § 112 StPO vor Straftaten zu schützen, die von ihm erwartet werden106. Eine wegen Wiederholungsgefahr angeordnete Haft (Präventivhaft, § 112 a StPO)107 ist keine Untersuchungs-, sondern eine vorbeugende Haft, die deshalb auch ganz überwiegend und mit Recht als Fremdkörper innerhalb der StPO108 oder doch ihres Haftrechts109 angesehen wird. Alle Versu106
Das ist (entgegen Wendisch, Löwe-Rosenberg, 24, Aufl,, Rdn, 2 vor § 112; ebenso Dünnebier in der Voraufl,) bis auf die Äußerung von Sieger/, „Haftunfähigkeit" von Untersuchungsgefangenen, JW 1925, S. 929 f, 930, unbestritten.! 107 Diese Haft hat in der spätrömischen „eautio de no n offendend o" bereits ein Vorbild (s. z. B, Zucker, Die Reformbedürftigkeit der Untersuchungshaft, 1879, S. 62 ff) und ist in der Carolina (Art. 176) ebenso zu finden (s. dazu Radbrucb, Carolina, Anm. S. 144: „eine sehr tiefgreifende Sicherungsmaßregel!") wie in einigen deutschen Partikulargesetzen (vgl. z, B. C. J. , Mittermaier, Strafverfahren I, S. 457; Heinle, Das Recht der Untersuchungshaft, 1865, S. 9, jew. m. Nachw.; §231 PrCrimO v. 1805 und irn übrigen die Übersicht in Anlage 3 zu den Mot. der StPO bei Hahn-Stegemann, Mat., 1885, S, 410 f) und in ausländischen Strafverfahrensordnungen (s. Jescheck\Krümpelmann, Die Untersuchungshaft etc., S. 950 m. Nachw.); zu ihrer Entwicklung vgl. z, B. die näheren Darstellungen von Zucker, Untersuchungshaft, III, S. 60 ff; Baumann, Neue Haftgründe, JZ 1962, S. 649 ff, 689 f; E. Dietrich, Wiederholungsgefahr, S. 17 ff; Gnam, Wiederholungsgefahr, S. 44 f. 108 So z, B, schon/, W. Planck, Syst, Darstellung des deutschen Strafverfahrens, 1857, S. 264, Fn. 5; Heinle, Das Recht der Untersuchungshaft, 1865, S, 9; Zacbariae, Hdb. , 1868, S, 135, Fn. 1; Zucker, Reformbedürftigkeit etc., 1879, S, 69, 76; Mative z. StPO, Hahn-Stsgemann, Mat., 1885, S. 130; RGSt. 13, S. 44f; Rosenfetd, Reichsstrafprozeß, 4./ 5. Aufl. 1912, S. 191, Fn. 5; Sax, Grundsätze der Strafrechtspflege, aaO. S. 976 mit Fn. 192, S. 980 f; und jetzt zum Haftgrund der Wiederholungsgefahr nach § 112 Abs. 3 StPO a. R, § 112a StPO n. F. z. B./ Baumann, Probleme der Untersuchungshaft, aaO. S, 154; tiers,, JZ 1969, S, 136; Ender, Zur erneuten Reform des Haftrechts — insbesondere zur Vorbeugehaft, NJW 1969, S. 867; Henkel, Strafverfahrensrecht, 2. Aufl. 1968, S. 278; JescheckjKrümpelmann, Untersuchungshaft, S. 952; Klug, Rechtsstaatswidrige Vorbeugehaft, ZRP 1969, S. I f , 2; Müller, in Müller/Sax (KMR), Komm. z. StPO, 6. Aufl. 1966, §112, Anm. 5, S. 401; Nehm, Verbrechensbekämpfung durch Strafverfolgung, aaO. S. 130 f; Eb. Schmidt, Lehrkomm, Nachtr. l, Rdn, 4 vor §112; Schmidt-Leicbner, Vorbeugungshaft, in: Mergen (Hrsg.), Tagungsberichte 1969 u. 1970 (der Deutschen Krirninolog. Gesellschaft), 1971, S. 137 ff, 140, 143; Seebode, Keine Gesetzgebungskompetenz des Bundes für Vorbeugehaft, ZRP 1969, S. 25 ff, 26; Tudemann, Wirtschaftsstrafrecht u. Wirtschaftskriminalität, Bd. 2, Bes. Teil, 1976, S. 180; Zipf, Strafprozeß recht, 1977, S, 121; Anagnostopoulos, Haft gründe der Tatschwere und der Wiederholuagsgefahr, 1984, S. 116ff, 126 ff; BVerfGE 19, S. 342 ff, 349f; 35, S, 185ff, 191. 109 Dahs, Hdb., 1977, Rdn, 260, S. 183; Dallinger, Zur Vereinheitlichung des Strafverfahrens, SjZ 1950, Sp. 732 ff, 737; Dünnebier bei Löwe-Rosen be rg, 22. Aufl., Anm. 6 vor § 112 u. 15 a zu § 112;' 23. Aufl., Rdn. 19 vor § 112; 11 f zu §112 a; den., Reform der Untersuchungshaft?, in: Lüttger (Hrsg.), Probleme der Strafprozeßreform, 1975, S. 32 f; Wendisch, Löwe-Rosenberg, 24. Aufl., § 112a, Rdn. 10; Hengsberger, Untersuchungshaft und Strafprozeßänderungsgesetz, JZ 1966, S, 209; Kitßling, Voraussetzungen der Untersuchungshaft und Handhabung des Haftrechts am Oberlandesgericht, in: Festschrift 100 Jahre Oberlandesgericht Frankfurt am Main, 1979, S. 144 ff, 151; Niese, Vereinheitlichung
2. Untersuchungshaft
75
ehe, die Präventivhaft als „nicht prozeßfremd"m zu charakterisieren, weil sie mit dem allgemeinen Praventionsgedanken des Straf- und Strafprozeßrechts („Verbrechensbekämpfungsrecht")111 in Einklang stehe, der Aufgabe diene, den „sozialen Frieden" wiederherzustellen, prozeßökonomisch sei und auch der Zweispurigkeit des Strafrechts wie einer zeitgemäßen Erweiterung strafrichterlicher Aufgaben entspreche112, verwischen die Grenzen zwischen Polizei- und Prozeßrecht und damit auch die grundgesetzlich festgelegten Gesetzgebungszuständigkeiten. Die verfahrensbezogene Prävention der eigentlichen Untersuchungshaft wird mit der allgemeinen strafrechtlichen vermengt und aus Zweckmäßigkeitsgründen werden konkrete und abstrakte Prävention nicht getrennt. Das führt auf dem Gebiet der Gesetzgebung zu einem ebensolchen Kompetenzwirrwarr113 wie bei der des Strafverfahrens, JdV/DRiZ 1950, S. 73 ff, 76; Oppe, Das BVerfG und der Haftgrund des 112 Abs. 4 StPO, MDR 1966, S. 641 f, 642; ders., Der unbenannte Haftgrund des 5 112 Abs. 4 StPO, NJW 1966, S. 93 ff, 94; Roxia, Strafverfahrensrecht, 17. Aufl. 1982, S. 165; Rudoiphi, Strafprozeß im Umbruch, ZRP 1976, S. 165 ff, 170; Eb. Schmidt, JR 1970, S. 206 1. Sp,; Gerb. Schmidt bei Jescheck/Krümpelmann aaO. S. 61; Rvd. Sebmift, Strafprozessuale Präventivmaßnahmen, JZ 1965, S. 193 ff, 194; Veit, Rechtsstellung des Untersuchungsgefangenen, S. 45; Fn. 59; Weiss, Entscheidung sä n m., NJ 1947, S. 221; Weiter, ZStW 93. Bd. (1981), S. 485; Arbeitskr. Strafpro^tßref. aaO. S. 44, Haberstreb, Jura 1984, S. 226. 110 So Kieiakaeehtj'Meyer, StPO-Komm., 36, Aufl. 1983, § 112 a, Rdn. 3, ebenso KkinknecktlJanischowsiy, Das Recht der Untersuchungshaft, 1977, S. 23, Rdn. 77. Für nicht prozeßfremd halten den Haftgrund der Wiederbolungsgefahr weiter Voß, Über prophylaktische Untersuchungshaft, Der Rechtsgang, Bd. l (1913), S. 220 ff, 223, 235, 244 f; Baumann, JZ 1962, S. 693; E. Dettrick, Wiederholungsgefahr etc., S. 62; Dünnebier bei Löwe-Rosenberg, StPO, 23. Aufl., § 112 a, Rdn. 14; Wendisch ebda., 24. Aufl., Rdn. 11; Gnam, Die Wiederholungsgefahr etc., S. 175 ff, 204; Creifelds, Die Strafprozeßnoveöe 1964, JR 1965, S. 1; Kieitikaeeht, Entscheidungen über Untersuchungshaft, MDR 1965. S. 781 ff, 783; den., Gesetz zur Änderung der StPO und des GVG, JZ 1965, S. 113ff, 117; Schäferei LÖwe-Rosenberg, StPO, 23. Aufl., Einl, Kap. 6, Rdn, 33-35; Eb. Schmidt, Repression und Prävention im Strafprozeß, JR 1970, S. 204 ff, 206 f; Gerb. Schmidt in: Jescheck/Krümpelmann (Hrsg.), Die Untersuchungshaft, S, 45ff, 62; Schult^-Tornax, Haftgrund der tatsächlichen Wiederholung statt Vorbeugehaft auf Verdacht, ZRP 1971, S. 249 ff, 250. 111 E, Dietrich, Wiederholungsgefahr bei Sittlichkeitsverbrechen, S, 60. m Diese Begründungen finden sich mehr oder weniger ausgeprägt bei Kleinknecht, JZ 1965, S. 117; E. Dieirich, Wiedetholungsgefahr bei Sittlichkeitsverbrechen, S. 59-62; Eb. Schmidt, JR 1970, S. 204 ff; Schäfer bei Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., Einl. Kap. 6, Rdn. 34; Dünnebier, ebda. § 112 a, Rdn. 14; Wendisch ebda., 24. Aufl., Rdn, 11; Schult^Tornau, ZRP 1971, S. 250 f; Gnam, Wiederholungsgefahr, S. 170-185; Rjttdi», Die Anrechnung der Untersuchungshaft nach dem Schweizerischen Strafgesetzbuch, Diss. Zürich 1979, S, 30, - Ursprünglich treffend Eb. Sehmidi, Lehrkomm. StPO, Bd. II, Erg. Bd. 1967, § 112, Rdn. 26: „Für ganz vergeblich halte ich den Versuch ..., den reinen Sicherungscharakter dieses Haftgrundes fortzuleugnen". 113 Vgl. Seebodt, Schweigen des Beschuldigten zur Person, MDR 1970, S. 185 ff, 188; den., Strafverfolgung nach Polizeirecht?, MDR 1976, S. 537.
76
V. Der Begriff des Untersuchungshaft Vollzugs
praktischen Verbrechensbekämpfung114. Dabei ist unstreitig, daß akuter und konkreter Gefahr einer Straftat nur die Polizei zu begegnen hat, nicht der Richter oder der Staats an wait. Demgemäß greifen materielles und formelles Strafrecht nicht ein"5. Unstreitig ist auch die Sicherung „sozialen Friedens" letztlich die Aufgabe allen Rechts, und die strafprozessualen Fremdkörper der §§ 111 a und 125 a StPO rechtfertigen keinen prozeßfremden § 112ä StPO. Die prozeßökonomische Duplik, neu eingehende Anzeigen könnten das anhängige Strafverfahren erschweren und verlängern, die Vorbeugehaft verhindere dies und sei deshalb nicht prozeßfremd, sondern auf den Strafprozeß bezogen116, ist an eine gelegentliche und beiläufige Folge der Präventivhaft geklammert, die sie wegen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht zu rechtfertigen vermöchte und ihre eigentliche Aufgabe wie ihr Wesen negiert. Es handelt sich urn ein Verlegenheitsargument, das die grundsätzlichen Bedenken nicht ausräumt und deshalb zu Recht bisher keinen Widerhall gefunden hat117. Über den prinzipiellen Einwand, der Bundesgesetzgeber habe mit Einrichtung der ihrem Wesen nach präventiv-polizeilichen und nicht prozessualen Haft die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder verletzt1ie, hat das 114
Vgl. die Auseinandersetzung zwischen Polizeipräsident Schreiber (Kindesentführungen, Versuch einer Zwischenbilanz anhand des Falles Lohnet aus vorwiegend kriminalpolitischer Sicht) und OStA Sechser (Staatsanwaltschaft und Polizei) in: Kriminalistik 1971, S. 225 ff u. S, 349 aus Anlaß aktueller KriminaItalic in München; s. "weiter zu der Kontroverse u. Kompetenzabgrenzung z, B, Hirsch u, Haesen, Probleme des Polizeieinsatzes durch den Staatsanwalt, ZRP 1971, S. 206 ff, Wehner, Das Aufklärungsmonopol dec Staatsanwaltschaft und die (Krimmal-)PoHzei, Kriminalistik 1971, S, 351 ff; Krey, Der Münchner Schießbefehl — Grenzen des staatsanwaltschaftlichen Weisungsrechts gegenüber der Polizei, ZRP 1973, S, 224 ff; van Ginkel, Zusammenarbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft bei der Verbrechensbekämpfung, insbes, in Konfliktslagen, in; Berufskundliche Hefte 973, S. 78 ff. Zu dem zwischen Justiz- und Innenministerien zustandegekommenen Kompromiß in einer gemeinsamen Bekanntmachung v. 15. 12, 1973 (BayMAB1. 1974, 96) s. Hösl, zit, in Kriminalistik 1974, S. 209 („nicht viel mehr als die eindringliche Bitte ..., sich ein vernehm lieh zu einer Lösung zusammenzufinden"); G, Wolf, Verbrechensbekämpfung und Rollenverteilung auf die damit befaßten Institutionen, Kriminalistik 1975, S. 389ff, 392; „ein Problem, das , , , durch einen fragwürdigen Kompromiß scheinbar ausgeräumt ist". 115 S, den richtigen Ausgagspunkt bei KkinknechtlMeytr, StPQ-Komm,, 36, Aufl. 1983, § 112 a, Rdn. 3: „Akuter Gefahr der Verbrechen s begeh u ng zu begegnen, ist zwar prinzipiell nicht Aufgabe des Strafverfahrens". m Eb. Schmidt, JR 1970, S. 207; Trtchsel, Zur Revision des bernischen Strafverfahrens, ZbJV 111. Jg. (1975), S. 271 ff, 276; Kähne, Strafprozeß l ehre, 2. Aufl. 1982, S. 134, Rdn. 193. 117 Widerspruch hingegen auch bei Wotter, ZStW 93. Bd. (1981), S. 485; Anagnostopoalot, Haftgründe etc., 1984, S. 112; s. auch schon Zucker, Die Reformbedürftigkeit der Untersuchungshaft, 1879, S. 60 ff. m Baumann, JZ 1969, S, 135 m. Anm. 9, 10; Becbtboid, Polizeiliche Tendenzen im S traf prozeß rech t, Ein gesamtdeutsches Problem, in: Deutsch land-Archiv, 3, 1970, S, l ff,
2. Untersuchungshaft
77
Bundesverfassungsgericht trotz zweimaliger Gelegenheit119 bisher weder ausdrücklich noch implizit entschieden, wie Martens 12° die im Hinblick auf die beiden Entscheidungen vertretene Meinung, der Haftgrund sei verfassungskonform 121 , richtig ergänzt. Der Versuch, dem Haftgrund der Wiederholungsgefahr „im Recht der Untersuchungshaft einen legitimen Platz" zuzuerkennen122, verkennt das Prozeßrecht so wie das Wesen der Untersuchungshaft, wenn er beidem nicht „eine grundsätzliche neue Richtung"123 geben will. Deutlich wird dies durch die mißverständlichen Formulierungen, der Begriff „Untersuchungshaft" setzte „bekanntlich auch nach der bisherigen Anwendung nicht voraus, daß noch etwas zu untersuchen sein muß"124, so daß die Haft nach bisheriger Praxis nicht nur angeordnet werde, „wenn" oder „weil" noch Untersuchungen zu führen seien, weswegen es sich bei der Untersuchungshaft lediglich um eine Haft „während" des Untersuchungs Verfahrens handeln soll124, die selbstverständlich auch die Präventivhaft nach § 112 Abs. 3 a. F. StPO, § 112 a StPO ist. Diese Rabulistik spart zunächst die in der Hauptverhandlung gem. § 244 Abs. 2 StPO auch nach dem Abschluß der sorgfältigsten Ermittlungen durchzuführende Untersuchung überraschend aus, übersieht weiter, daß bis zum rechtskräftigen Verfahrensabschluß immer noch Untersuchungen anzustellen sein können, und läßt den für den Begriff wie die Ausgestaltung der
12; Dästner u. a., Kriminalität in der Bundesrepublik, S. 56; Ntbm, Verbrechensbekämpfung durch Strafverfolgung, in: Mergen (Hrsg.), Tagungsberichte, aaO, S, 130; SehmidtLtiantr, Vorbeugehaft, ebda. S, 143; ars., FAZ v. 7, 1.4969 (Nr. 5), S. 2; Ssh»emt Die Abgrenzung des Anwendungsbereichs der Regeln des Straf- u, Ordnungswidrigkeitenverfolgungsrechts von dem des Rechtes der Gefahrenabwehr, VerwArch 1979, S, 114; Seebotfe, ZRP 1969, S. 25 ff; tiers., Neue Entwicklungen im Strafverfahrens- u. Polizeirecht, in: Vortragsreihe des Bundeskriminalamts, Bd. 26, 1981, S. 102, Fn. 3; anders Weiter, ZStW 93. Bd. (1981), S. 488 f. 119 BVerfGE 19, S. 342; 35, S. 185. 120 Martens, Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, JR 1974, S. 454ff, 455. 125 Kleinkneehtt Meyer, StPO-Komm,, 36, Aufl. 1983, § 112 a, Rdn. 2; Spetk, Die Geschichte der Voraussetzungen für die Anwendung der Untersuchungshaft etc., S. 181, Gnam stellt dagegen treffend fest, daß der Beschl. v. 15. 12, 1965 (BVerfGE 19, S. 342 ff) nur von Bedeutung ist „für die Frage, ob eine Präventivhaft wegen Wiederholungsgefahr ais Institution dem Grundgesetz widerspricht" (Wiederholungsgefahr etc., S. 195); s. auch BVerfGE 35, S. 189: „mhaltich mit der Verfassung vereinbar". 122 E. Dietrich, Wiederholungsgefahr etc., S. 84 u. 86; Gnam, Wiederholungsgefahr, etc. S. 195-201. 123 Peters, Strafprozeß, 1981, S. 395; s. auch Schäfer bei Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., Einl. Kap. 6, Rdn. 34. 124 E. DietriebMO. (Fn. 122); s. auch Gnam, S. 199 f; krit. dazu Grtbing, Zur Entwicklung des Untersuchung s ha ft rechts in der Bundesrepublik Deutschland, ZfRV 1975, S. 161 ff, 176, Fn. 61; Dünaebier bei Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., § 112a, Fn. 5; Wendisch ebda., 24. Aufl.
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V. Der Begriff des Untersuchung shaft voll zu g s
Untersuchungshaft wesentlichen Zusammenhang dieser Freiheitsentziehung mit dem gleichzeitig laufenden Verfahren, eben die Funktion der Untersuchungshaft innerhalb des Untersuchungsverfahrens außer acht, wenn nur darauf abgestellt wird, daß die Präventivhaft wie die Untersuchungshaft während des Prozesses besteht, nicht aber darauf, daß sie auch für das Verfahren angeordnet sein müßte, Läßt man dies unberücksichtigt, kann letztlich jeder gleichzeitig mit einem Strafverfahren stattfindende Freiheitsentzug, beispielsweise auch jede Strafhaft eines erneut Beschuldigten, Untersuchungshaft sein. Die Entwicklung hat jedoch angesichts der nicht nur prozeßrechtsfremden, sondern auch rechtsstaatlich bedenklichen und kriminalpolitisch verfehlten gesetzlichen Regelung125 dazu geführt, daß die Präventivhaft trotz des unbestrittenen Unterschiedes zur Untersuchungshaft von der Theorie irn Zusammenhang mit dieser und in der Praxis wie diese behandelt wird. Deshalb soll in der vorliegenden, dem Untersuchungshaftvollzug gewidmeten Schrift das Recht des Vollzugs der Präventivhaft nicht ausgespart werden. Das ist um so wichtiget, als es gerade gilt, aus dem Wesensunterschied rechtliche Folgerungen für den Vollzug zu ziehen126. In Kenntnis dessen wird lediglich der Einfachheit halber im folgenden als Untersuchungshaft auch die nach § 112 a StPO angeordnete Freiheitsentziehung bezeichnet. Ist ein Hausarrest mit staatlicher Bewachung oder mit einer im staatlichen Auftrag ausgeübten verbunden, nach §§ 112 ff StPO angeordnet und mithin dem im Gesetz festgelegten Zwecken zu dienen bestimmt, so erfüllt er, wenn man in ihm, wie hier, eine Haft erkennt, die Merkmale, die eine Freiheitsentziehung zur Untersuchungshaft machen. Weder die historische Entwicklung noch der Sprachgebrauch schließt es aus, diese Form strafprozessualer Haft unter den genannten Voraussetzungen wie die mit Anstaltsunterbringung verbundene als Untersuchungshaft zu sehen. Vielmehr gilt die aus dem Gesetz abgeleitete Definition der Untersuchungs- bzw. Präventivhaft für jede im Strafverfahren richterlich angeordnete Haft, die der Untersuchung einer Straftat dient oder wegen Wiederholungsgefahr verhängt wird. Anders als bei der Freiheitsstrafe, bei der die Anstaltsunter-
125
Wegen der vielfachen Bedenken vgt. z. B, Roxin, Strafverfahrensrecht, 17. Aufl. 1982, S, 165; Klag, Rechtsstaatswidrige Vorbeugehaft, ZRP 1969, S. Iff; Seebode, ZRP 1969, S, 25 ff; Gerb, Schmidt in Jescheck/Krümpelmann, Die Untersuchungshaft, 1971, S. 62ff; Walter, ZStW 93. Bd. (1981), S. 484 f m. weit. Nachw.; Arbeitskreis Sirafproqißreform, AmeltmgM. a., Die Untersuchungshaft, 1983, S. 44ff; Hasseraer, Die Voraussetzungen der Untersuchungshaft, Strafverteidiger 1984, S. 38 ff, 40 ff. 1M Rudelpbi, juS 1976, S. 170, weist treffend darauf hin, daß der „Etikettenschwindel" die Gefahr mit sich bringt, die Vorbeugehaft „nicht hinreichend in der ihr spezifischen Problematik" zu erkennen.
2. Untersuchungshaft
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brmgung zum Minimum der gesetzlichen Definition gehört127, fehlt für die Untersuchungshaft eine solche gesetzliche Festlegung128. Wird eine Haft, die auf §§ 112 ff StPO und nicht auf rechtskräftigem Urteil beruht, mithin der Untersuchung einer Straftat dient, hingegen in einer Anstalt vollzogen, so handelt es sich immer um Untersuchungshaft, selbst dann, wenn die Unterbringung in einer Strafanstalt stattfindet, was wegen § 119 Abs. l StPO die Ausnahme ist, aber doch vorkommt. b) Es bleibt zu erörtern, ob auch der „vorzeitige" oder „vorläufige Strafvollzug" Untersuchungshaft ist129, bei dem Haft vor Verfahrensabschluß in einer Strafanstalt und im wesentlichen wie eine Freiheitsstrafe vollzogen wird. Der „vorläufige Strafvollzug" ist eine Besonderheit zahlreicher schweizerischer Strafprozeß rechte130, unserer Verfahrensordnung und unserer Praxis aber fremd. Die Übernahme des Instituts wird jedoch diskutiert. Deshalb soll hier auf Charakter und Zweckmäßigkeit des „vorläufigen Strafantritts*' eingegangen werden. Er wird in den meisten Kantonen der Schweiz und vielfach bereits seit Jahrzehnten praktiziert, im Kanton Fribourg gewohnheitsrechtlich131, im übrigen kraft kantonal unterschiedlicher gesetzlicher Regelungen132. Gemeinsam ist fast133 allen
127
Zum Begriff der Freiheitsstrafe nach § 21 StGB a. E, Art. 104 GG s, SMtrSpringprurx, Strafvollzug im Übergang, S. 123 f; Seebodt, MDR 1971, S, 99 m. Nachw. Zum heutigen insoweit unveränderten Begriff s. §§1, 139 StVoüzG und E-StVollzG, Begr. S. 45: „..., daß die Freiheitsstrafe in der überkommenen und auch von dem Entwurf übernommenen Form in Anstalten vollzogen wird" (BT-Drucks. 7/918 v. 23.7.1973). 128 Sie ist auch in den bisher vorliegenden Entwürfen eines Gesetzes über den Vollzug der Untersuchungshaft vermieden; vgl. Bettmann, Entw. UVollzG, 1981, S. 20 f; Dösehl u. a,, Entw. UVollzG, 1982, § 1; die Entwürfe stellen zwar klar, daß sie nur den Anstaltsvollzug betreffen, die Formulierungen lassen jedoch wenigstens offen, ob es auch weitere Vollzugsmöglichkciten gibt. 129 So Schult-^, Die Strafprozeßreform in der Schweiz, JR 1981, S. 45ff, 51, Fn. 74; Trecbsti, Zur Revision des bernischen Strafverfahrens, ZBJV 111. Jg. (1975), S. 271 ff, 279, 283; anders Weiter, ZStW 93. Bd. (1981), S. 500. 130 Vgl. Krtimpelmann in Jescheck/Krümpelmann, Die Untersuchungshaft im dt,, ausländ. u, internat. Recht, 1971, S, 634 f; Trtsbseft Die europ. Menschenrechtskonv., ihr Schutz der pers. Freiheit u, die schweizerischen Strafprozeßrechte, 1974, S. 283 ff; Schitbarfk, Zur Rechtsnatur des vorläufigen Strafvollzuges, SchweizZStrR 96. Bd., 1979, S. 295 ff; Walter, Schuldinterlokut und Strafzumessung, GA 1980, S. 81 ff, 104; dtn. ZStW 93. Bd. (1981), S. 498 ff; Schult^, JR 1981, S. 51! 131 Cfere, Gedächtnisschr, für Sir Lionel Fox, 1964, S. 60 f; Krümpelmann aaO. (wie Fn. 130) S. 635; Schxbarth, SchweizZStrR 96 (1979), S. 296, Fn, 13. 132 S, die ausführlichen Nachweise und Gesetzeszitate bei Sfbubartb, SchweizZStrR 96 (1979), S. 296 ff! 133 Zu den Ausnahmen s, ebenfalls Stkubarib aaO. S. 309 (Kantone Aargau und Glarus)! Das Absehen von dem Erfordernis der Freiwilligkeit ist rechtlich unhaltbar, so auch Wlier, ZStW 93. Bd. (1981), S. 498, Fn. 187.
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V. Der Begriff des Untersuchungshaftvolbugs
das Einverständnis des Untersuchungshäftlings mit der Überstellung in den Strafvollzug als zwingende Voraussetzung des „vorläufigen" oder „vorzeitigen Strafantritts", überwiegend wird zudem ausdrücklich richterliche Anordnung verlangt. In Bern sind weitere Voraussetzungen u. a,, daß der Beschuldigte geständig ist, er Gelegenheit hatte, die Frage des „vorläufigen Strafantritts" mit seinem Verteidiger zu besprechen, und die Untersuchung einen Stand erreicht hat, in dem „eine weitere Anhörung des Angeschuldigten nicht mehr notwendig ist" (Art. 123 StPO Bern)134. Wird ein Untersuchungsgefangener mit seinem Einverständnis in den Strafvollzug überstellt und in eine Strafanstalt aufgenommen, so bleibt Zweck der Freiheitsentziehung die Verfahrens Sicherung bzw. im Fall der Präventivhaft die Verhütung von Wiederholungstaten vor Verfahrensabschluß. Dementsprechend sind die Haftzwecke wie im Fall des §122 StVollzG bei der Vollzugsgestaltung zu berücksichtigen. Eine völlige Gleichstellung des im „vorläufigen Strafvollzug" befindlichen Häftlings mit dem Strafgefangenen erscheint ausgeschlossen135. Denn waten z, B. Unterbringung im offenen Vollzug (§ 10 StVollzG}, Freigang und Ausgang (§ 1l StVollzG) zugelassen, wäre am Haftgrund zu zweifeln. Der Gefangene des „vorläufigen Strafvollzugs" verzichtet auf „Vergünstigungen" des Untersuchungsgefangenen, ohne alle Rechte des Strafgefangenen zu erhalten, dessen Pflichten er wiederum und zusätzlich zu den Möglichkeiten der Freiheitsbeschränkungen des Untersuchungsgefangenen übernimmt. Es handelt sich deshalb beim „vorzeitigen Strafantritt" um ein Institut, das zwischen Untersuchungs- und Strafhaft anzusiedeln ist. Entsprechend § 122 StVollzG ließe sich der Gefangene als Strafgefangener bezeichnen, wegen der Gemenglage könnte auch von einem Gefangenen „sui generis" gesprochen werden136, doch wegen der fortdauernden Anwendbarkeit des ihn belastenden Rechts der Untersuchungshaft, dessen Dominanz und der Fortdauer des Haftbefehls wie des Haftzweckes erscheint es sachgerecht, den „vorzeitigen Strafantritt" eines Untersuchungsgefangenen als besondere Modalität des Untersuchungshaftvollzugs anzusehen. Das schweizerische Institut des „vorläufigen Strafvollzugs", von dem lebhaft Gebrauch gemacht wird137, erscheint grundsätzlich begrüßenswert,
134
S, näher Schubartb äaO. (wie vorige Fn.); Stbult^, JR 1981, S. 511 Die Regelung lautet z. B. in Solothurn: „Mit Zustimmung des zuständigen Richters kann der Untersuchungsgefangene auf sein Verlangen in eine Strafanstalt eingewiesen werden. Er bleibt bis zur rechtskräftigen Beurteilung Untersuchungsgefangener, untersteht aber der Hausordnung der Strafanstalt". tis Anders Woitgr, ZStW 93. Bd. (1981), S. 500. )36 So Waiter, wie vorige Fn. 157 Krümptlmann in: Jescheck/Krümpelmann, Die Untersuchungshaft etc., S. 635; Scbubartb, SchweizZStrR 96. Bd., 1979, S, 298-300 m. w. Nachw.; * , ebda. 98, Bd., 1981, S. 247; s. auch ob, S. 4, Fn. 8.
2. Untersuchungshaft
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weil es, worauf Dünnebier aufmerksam gemacht hat, der Tat die Strafe rascher auf dem Fuß folgen läßt, und weil es manchen Nachteilen der üblichen Untersuchungshaft in gewissen Fällen zu begegnen vermag. Mit Recht ist deshalb die Übernahme dieses Instituts in das deutsche Recht bereits mehrfach empfohlen worden138, und von der Jugendstrafvollzugskommission ist vorgeschlagen, jugendliche und heranwachsende Untersuchungsgefangene unter gewissen Voraussetzungen in Jugendstrafanstalten zu überweisen139. Der „vorläufige Strafantritt" verkürzt die Zeit, die bei dem regelmäßigen Vollzug der Untersuchungshaft zutreffend als für Wiedereingliederungsbemühungen „tote Zeit" charakterisiert140 und allgemein als für die Entwicklung der Inhaftierten nachteilig gesehen wird 141 , ja als die Haftform, die „das Behandlungsziel durchkreuzt"142. Anders als dem Untersuchungshaftvollzug ist dem Strafvollzug kraft ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung die soziale Integration des Gefangenen als Aufgabe zugewiesen (§ 2 StVollzG) und damit gleichzeitig als Gestaltungsmaxime für den Vollzug festgelegt143. Tatsächlich ist der Strafvollzug heute144 durch zahlreiche Resozialisierungsbemühungen gekennzeichnet, die im gegenwär-
m
Dünntbm in Lüttger, Hrsg., Probleme der Strafprozeß reform, 1975, S. 49; Welter, GA 1980, S. 104; Jtri., ZStW 93. Bd, (1981), S. 498 ff, 503 f; Kaiser, Festschr. jur. Gesellsch. Berlin, 1984, S. 312; Krtuqer, Untersuchungshaft bei jugendlichen u. Heranwachsenden, RdJuB 1978, S. 337 ff, 349, schlägt die Übernahme zur Abwendung der Untersuchungshaft an jungen Gefangenen vor, die während der Rechts mitte l verfahren vollzogen wird, 135 Schlußbericht der Jugtndstrafvoll^ugskommission^ hrsgg. v. Bundesministerium der Justiz, 1980, S. 62. 140 Virits, Rev. sc. crim. 1969, S. 922; Rottbaus, NJW 1973, S. 2270; s. auch Roxin, zh. bei Meyer, Tagungsbericht, ZStW 82, Bd., 1970, S. 1125! - Da der Gefangene bei „vorzeitigem Strafantritt" bereits länger durch die Vollzugsbehörde beobachtet wird, könnte Urlaub aus der Strafhaft (5 13 StVollzG) früher gewährt, nämlich die „vorläufige" im Strafvollzug verbrachte Zeit in die regelmäßige Wartefrist von 6 Monaten (§13 Abs. 2 StVollzG) eingerechnet werden; vgl. auch Kübling bei Schwind/Böhm, StVollzG, 1983, § 13, Rdn. 7 a. E, 141 Stböcb in: Kaiser/Kerner/Schöch, Strafvollzug, 3. Aufl. 1982, S. 112; Böbm, Strafvollzug, 1979, S. 205. 142 Kaiser in: Kl. krimmolog. Wörterbuch, S, 330. 143 S. z. B. nur Ca/litffjMüller· Diet%, Strafvollzugsgesetz-Komm., 3, Aufl. 983, § 2 Rdn. 1 , § 3 Rdn. 1; BVerfGE 35, 202 ff, 235! Kritisch zum Vollzugsziel z. B. Bemmann, über das Ziel des Strafvollzuges, Festschr. f. Bockelmann, 1979, S. 891 ff; G'typmgr, Kriminologie, 4. Aufl. 1980, S. 379f; Böbm in Schwind/Böhm, StVollzG-Komm., 1983, § 2, Rdn. 2. 144 Eine mit dem „vorläufigen Strafantritt" vergleichbare „vorläufige Vollstreckbarkeit" erstinstanzlicher Urteile wurde vor Jahrzehnten bereits vorgeschlagen (s. z. B. W, Rosenberg, Die Reform der Untersuchungshaft, ZStW 26, Bd., 1906, S. 339 ff, 392), allerdings um der „frivolen Einlegung von Rechtsmitteln" zu begegnen und „übelständen" abzuhelfen, die mit dem Fehlen des Arbeitszwangs in der Untersuchungshaft erklärt wurden.
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V. Der Begriff des Untersuchungshaftvollzugs
tigen Vollzug der Untersuchungshaft unbekannt sind und hier auf verschiedene Schwierigkeiten stoßen. Im Vergleich mit den Gegebenheiten im Untersuchungshaftvollzug sind z, B. die derzeitigen Arbeite- und Freizeitmöglichkeiten, die Fortbildungsmaßnahmen, die Betreuung, die Möglichkeiten zu Kontakten mit der Außenwelt und die therapeutischen Angebote in den Strafanstalten geradezu beispielhaft. Wenn und soweit es der Zweck der Untersuchungshaft zuläßt, ist es deshalb nicht nur zu wünschen, sondern bei Einverständnis des Beschuldigten Prozeßrecht- und sozialstaatlich wie im Interesse nachhaltiger Verbrechensbekämpfung gar geboten, den Vollzug der Untersuchungshaft wie den einer Freiheitsstrafe zu gestalten und den Verdächtigen auch in eine Strafanstalt zu überweisen, solange der Vollzug der Freiheitsentziehung in den Untersuchungsgefängnissen nicht ähnlich individualpräventiv und beispielsweise ohne die so bedrückende Isolierung in der Zeile auszurichten Ist. Will der Inhaftierte auf die in praxi meist kaum genutzten Privilegien des Untersuchungsgefangenen (vornehmlich Freistellung von Arbeit, eigene Kleidung, eigenes Essen) verzichten und das Leben eines Strafgefangenen führen, weil die Untersuchungshaft nach den Reformen im Strafvollzug verständlicherweise wegen des bisherigen Zurückbleibens der hier notwendigen Reformbemühungen vielfach als das größere Übel145, ja „als letzter Hort von Generalprävention und Vergeltung"146 empfunden wird, so ist dem, wenn der Zweck der Haft nicht gefährdet wird, verfahrensrechtlich nachzugeben, nämlich wegen des Grundsatzes, daß dem nur verdächtigen Inhaftierten die Freiheit der Gestaltung seines Lebens so weit zu erhalten ist, wie es die Sicherung des Strafverfahrens und die Ordnung im Vollzug zulassen (§ 119 Abs, 3 StPO). Deshalb erscheint es ausgeschlossen, der Übernahme des schweizerischen Instituts mit der kriminalpolitischen, zwar berechtigten, aber den heutigen Untersuchungsgefangenen rechtswidrig benachteiligenden Überlegung entgegenzutreten, die Einführung des „vorzeitigen Strafantritts" verringere auf Seiten des Staates Anreiz und Notwendigkeit, den gegenwärtigen Untersuchungshaftvollzug zu reformieren147. Vor allem bei Jugendlichen dürfte sich „vorzeitiger Strafantritt" statt der meist nicht erzieherisch gestalteten Regel-Untersuchungshaft empfehlen. Das schweizerische Institut wird hier auch aus der Sicht des Untersuchungsgefangenen besonders attraktiv sein. Denn § 52 a Abs, l Satz 2 JGG gibt dem Jugendrichter die in praxi nicht selten genutzte Möglichkeit, von einer Anrechnung der Untersuchungshaft auf die Strafzeit aus erziehe145
S. schon oben S. 3f f 37 f! Hänni, Ersatzmaß n ah men für Untersuchungshaft, jur. Diss. Zürich 1980, S. 112, bezeichnet den Strafvollzug als „gegenüber der Untersuchungshaft im Gesamten gesehen immerhin die mildere Lösung"! 146 Kaiser in: Kaiser/Schöch/Eidt/Kerner, Strafvollzug, 1974, S. 43, 147 So aber Arbeitskreis Strafpro^eßreform, Amelung u. a. Die Untersuchungshaft, 1983, S, 37 f.
2. Untersuchungshaft
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tischen Gründen abzusehen. Zudem wirkt sich bei unbestimmter Jugendstrafe die Anrechnung nach § 52 a Abs. 2 JGG regelmäßig nur auf das Höchstmaß, also ohne „vorzeitigen Strafantritt" die Untersuchungshaftzeit vielfach gar nicht aus, so daß auch die Einrichtung der unbestimmten Jugendstrafe zum „vorzeitigen Strafantritt" reizt. Bei Heranwachsenden, also jungen Erwachsenen, ermöglichte „vorzeitiger Strafantritt" die in §§93 II, 110 JGG zwingend, aber nach h. M. verfassungswidrig148 vorgeschriebene erzieherische Gestaltung der Untersuchungshaft, Die weitgehend am Strafvollzug orientierte Modalität des Untersuchungshaftvollzugs dürfte am ehesten bei reiner Fluchthaft, bei Präventivhaft, bei Kollusionshaft kaum vor Anklageerhebung, vielfach nach einem Geständnis oder einer erstinstanzlichen Verurteilung 149 möglich sein. Die Unschuidsvermutung des Art. 6 Abs. 2 MRK steht der Überführung von Untersuchungshäftlingen in Strafanstalten unter und wegen der Voraussetzung ihres zweifelsfreien Einverständnisses unbestritten nicht entgegen!SO, obwohl damit ein nur Verdächtiger und als unschuldig zu behandelnder Beschuldigter einem rechtskräftig Verurteilen gleichgestellt151, nämlich nicht besser als ein Strafgefangener behandelt wird. Rechtsgrundlage der dem Strafvollzug entsprechenden Vollzugsmodalität ist nicht die richterliche Zustimmung zum „vorläufigen Strafantritt"152; sie stellt lediglich sicher, daß die Haftzwecke gewahrt bleiben und eine möglichst unbeeinflußte, überlegte Entscheidung des Beschuldigten für diesen Haftvollzug vorliegt. Es ist der ausdrückliche Wille des Inhaftierten, wie ein Strafgefangener behandelt zu werden, der diesen Vollzug rechtfertigt und einen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung verneinen läßt. Die Einwilligung des Beschuldigten schließt aus, daß ihm mit der gewünschten Vollzugsart Unrecht geschieht. Rechtsgrundlage der Freiheitsentziehung bleibt der Haftbefehl153, Rechtsgrundlage der besonderen Vollzugsmodalitäten ist das Einverständnis des Inhaftierten. Fehlt dieses, so darf im Hinblick auf die Unschuldsvermutung eine Verlegung in eine Strafanstalt nicht in Betracht 149
Seebedt, JA 1979, S. 613; Weiter, ZStW 93. Bd, (1981), S. 454; Eisenbirg, JGGKomm., §93, Rdn, 14 m. w. Nachw.; s, auch ob. S. 46, Fn. 28! 149 So generell (bei jedem Haft g rund) J»gendstrafvotl%ugskommijsion, Schlußbericht, 1980, S. 62. 150 Sthubarth, Zur Tragweite des Grundsatzes der Unschulds Vermutung, 1978, S. 30; den., SchweizZStrR 96. Bd., 1979, S. 305 f; s. auch Clere, Festschi:. Fox, S. 60; Tretbsel, Die europ. Menschenrechtskonvention etc., S. 285; Welter, ZStW 93, Bd. (1981), S. 498. 151 Auch deshalb ablehnend Arbeitskreis Strafpro^eßrefarm, Aaielung u.a., Die Untersuchungshaft, 1983, S, 37 f. 152 Schubarth, Zur Tragweite des Grundsatzes der Unschulds Vermutung, S. 30, 153 Deshalb bestehen alle Garantien gegen unrechtmäßige Untersuchungshaft weiter; so auch Schubarlk, SchweizZStrR 96. Bd., 1979, S. 306; vgl. weiter Trtchsei, ZBJV 111. Jg., 1975, S. 383 f!
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V, Dei Begriff des Untersuchungshaftvollzugs
gezogen werden. Dies laßt die Empfehlung der Jugendstrafvollzugskommission154 außer acht, wonach Untersuchungsgefangene, die in erster Instanz zu Jugendstrafe verurteilt worden sind, in die Jugendstrafanstalt verlegt werden sollen. Auch die gesetzliche Aufgabe, den Vollzug der Untersuchungshaft an Jugendlichen und Heranwachsenden erzieherisch zu gestalten (§§ 93, 110 JGG), rechtfertigt es trotz der besseren Voraussetzungen, die in den Jugendstrafanstalten für Erziehung und Wiedereingliederung gegeben sein werden, nicht, sie wie Strafgefangene und mit diesen zusammen unterzubringen und ihnen die aus der Unschuldsvermutung folgenden Rechte ohne ihre Zustimmung mit der Begründung zu nehmen, daß die erzieherische Gestaltung des Vollzugs in der Untersuchungshaftanstalt nicht gegeben oder schwerer zu verwirklichen ist. Im übrigen sind §§93, 110 JGG nicht nur wegen der UnschuldsVermutung keine Grundlagen für Rechtseingriffe, sondern auch weil Tatverdacht und Haftgrund gegenüber jungen Volljährigen wie Minderjährigen kein Erziehungs recht begründen und bei Minderjährigen jedenfalls nicht ohne weiteres einen Eingriff in das eiterliche Erziehungs recht (Art. 6 GG) rechtfertigen155. Die Einwilligung in den „vorzeitigen Strafantritt" bedeutet nur, daß der Verdächtige auf die Rechte aus der Unschuldsvermutung insoweit verzichtet, wie sie den Regelvollzug der Untersuchungshaft gestalten und wie es zur Angleichung des Vollzugs an den der Strafhaft erforderlich ist. Mit der Wahl der von ihm vorgezogenen Vollzugsmodalität, die etwa in der Straf-, nicht aber in der Untersuchungshaftanstalt gewährte Beschäftigungs-, Ausbildungs-, Freizeit- und Betreuungsmöglichkeiten eröffnet, braucht der Untersuchungsgefangene die Behauptung seiner Unschuld nicht aufzugeben, ja zur Unschulds Vermutung gar keine Stellung zu nehmen. Aus dem Verlangen nach „vorzeitigem Strafantritt" sind im Strafverfahren keine belastenden Schlüsse zu ziehen. Mit der freiwilligen Unterstellung unter den durch die Resozialisierungsaufgabe gekennzeichneten Strafvollzug bezeichnet sich der Verdächtige auch nicht zwingend selbst als resozialisierungsbedürftig. Dies und die Erhaltung der Unschuldsvermutung sind sowohl praktisch notwendig wie rechtlich selbstverständlich, auch um mit der Möglichkeit des angenehmeren Vollzugs nicht zur Selbstbelastung zu verführen. Geständnis oder Erstverurteilung mögen dem Verdächtigen insbesondere im Falle der Verbindung von Flucht- und Kollusionshaft wegen fortgeschrittener Tataufklärung einen größeren Frei räum verschaffen 554
155
Schlußbericht der Jugitidstrafvoil^ugskoaimission, 1980, S. 62.
Vgl. ob. S. 46 und AG Zweibrücken, NJW 1979, S. 1557; näher Stebode, Gesetzund Verfassungsmäßigkeit einer Arbeitspflicht für junge Untersuchungsgefangene, JA 1979, S. 611 ff! Die Verfassung s Widrigkeit des § 110 Abs. 2 JGG legt Weiter dar (ZStW 93. Bd., 1981, S. 454, 503); s. weiter Eixnberg, JGG-Komm., 1982, §93, Rdn. l l f f ; MolkeiinlJacobs, Arbeitspflicht jugendl, u. heranwachsender Untersuchungsgefangener aus erziehet. Gründen?, ZfStrVo 1982, S. 335 ff.
2, Untersuchungshaft
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und den „vorzeitigen Strafantritt" mehr an den Strafvollzug angleichen. Notwendige Bedingungen des „vorzeitigen Strafantritts" sind sie nicht156. Dadurch und mit der Aufrechterhaltung der Unschuldsvermutung werden der rechtliche Anwendungsbereich des Instituts des „vorzeitigen Strafantritts" erweitert und ein taktisches wie psychologisches Hemmnis für die Einwilligung des Verdächtigen vermieden. Praktisch wird der Anwendungsbereich weniger erweitert sein, weil bei Fehlen eines Geständnisses oder einer Erstverurteilung die besondere Modalität des Vollzugs der Untersuchungshaft mehr deren Regelvollzug als der Strafhaft anzugleichen ist und deshalb weniger anziehend wirkt. Der Übernahme des schweizerischen Instituts des „vorläufigen Strafantritts" als besondere Form des Untersuchungshaftvollzugs in die deutsche Praxis steht allerdings der Wortlaut des §119 Abs. l StPO entgegen, wonach der Untersuchungsgefangene von Strafgefangenen getrennt zu halten ist und nicht mit anderen Gefangenen in demselben Raum untergebracht werden darf. Die Vorschrift ist jedoch als Ausfluß der Unschuldsvermutung zu sehen, die es gebietet, die Untersuchungshaft von dem Strafvollzug deutlich abzugrenzen157. Es handelt sich um Rechte, die dem Untersuchungsgefangenen im Unterschied zu Strafgefangenen als Vorzüge eingeräumt sind, nicht aber um Bestimmungen, die sich als Grundlage für zusätzliche und unnötige Beschränkungen der dem Untersuchungsgefangenen verbliebenen Freiheiten auswirken sollen158. Der Untersuchungshäftling muß also auf diese Rechte verzichten können mit der Folge, daß §119 Abs. l StPO gegen den Willen des Untersuchungsgefangenen unanwendbar ist; die dort vorgesehenen Maßnahmen sind gegen den Willen des Gefangenen nur nach § 119 Abs. 3 StPO zulässig. § 119 Abs. l StPO wäre eine Ausnahme vom Grundsatz des § 119 Abs. 3 StPO, der „magna charta des Untersuchungsgefangenen", wenn Rechtseingriffe unabhängig davon zulässig wären, ob der Zweck der Haft oder die Ordnung in der Anstalt sie erfordert. Ein solches Verständnis des § 119 Abs. l StPO widerspräche dem verfassungsrechtlichen Übermaßverbot und der Unschuldsvermutung. Denn dem nur Verdächtigen und noch nicht rechtskräftig Verurteilten würden unnötige Beschränkungen auferlegt. Es ergibt sich also, daß letztlich § 119 Abs. l StPO der einverständlichen Überweisung eines Untersuchungsgefangenen in eine Strafanstalt nicht entgegensteht, daß diese Vollzugsmodalität auf Wunsch des Häftlings viel156
Vgl. z. B, die Regelung in Solothurn, ob. Fn. 134, Dimnfbier bei Löwe-Rosenberg, StPO, 23. Aufl., § 119, Rdn. 23; KltinktttthtlMeyer, StPO-Komm., 36. Aufl. 1983, § 119, Rdn. 4. 158 Dies ist verkannt in der Entscheidung OLG Hamburg, NJW 1964, S, 1840, und offenbar auch von KkinknechtlJaniscbowsky, Das Recht der Untersuchungshaft, 1977, Rdn. 399 f, ebenso apodiktisch Prwker, ZfStrVo 1981, S. 135, der sich allerdings für eine Reform des § 119 Abs. l StPO ausspricht. 157
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V. Der Begriff des Untersuchungshaftvollzugs
mehr als das für ihn nach seiner Erklärung geringere Übel anzuordnen ist, wenn der Zweck der Untersuchungshaft es zuläßt159. Um einen etwa mehrfachen Wechsel zwischen Untersuchungshaft- und Strafanstalt zu vermeiden, müßte klargestellt sein, daß der Beschuldigte an sein Einverständnis mit der dem Strafvollzug entsprechenden Durchführung der Untersuchungshaft grundsätzlich gebunden ist, es jedenfalls nicht beliebig widerrufen darf. Wegen dieser und anderer Einzelfragen wäre im Interesse der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit eine gesetzliche Regelung des „vorläufigen Strafantritts" vorzuziehen. Mangels näherer Bestimmungen hat der Richter bei dem nach der derzeitigen Rechtslage als zulässig anzusehenden „vorläufigen Strafantritt" sowohl die rechtliche Möglichkeit, sich die Gestaltung des Untersuchungshaftvollzugs gemäß §119 Abs. 6 StPO im einzelnen vorzubehalten, wenn der Gefangene mit dieser Maßgabe in eine Strafanstalt aufgenommen wurde, als auch die Möglichkeit, den Untersuchungsgefangenen generell der Anstaltsleitung und damit den Regeln des Strafvollzugs mit Ausnahme etwaiger Vorbehalte (Urlaubsgewähning!) zu unterstellen. Lediglich letzteres dürfte praktikabel sein, dem Sinn des „vorläufigen Strafantritts' 1 entsprechen und Unzuträglichkeiten sowohl für den Gefangenen wie die Anstalt vermeiden500, ohne daß es nötig wäre, eine gewisse und grundsätzliche richterliche Einflußnahme völlig auszuschließen161. Aus der Sicht 'der Strafverfolgungsbehörden dürfte die befürwortete übernähme der Einrichtung des „vorläufigen Strafantritts" nur wirklich praktikabel sein, wenn sichergestellt werden kann, daß der Haftzweck nicht gefährdet wird. Trotz alier Praktikabilitätserwägungen von selten des Strafvollzugs wird deshalb eine gesetzliche Regelung dem Richter nicht jede Einflußnahme auf die Gestaltung dieser besonderen Form des Untersuchungshaftvollzuges versagen können. Die Praktikabilitätsgesichtspunkte sollten auch in Anbetracht dessen nicht überbewertet werden, daß der Votlzugspraxis seit langem der in den Status eines Untersuchungsgefangenen wechselnde Strafgefangene (etwa bei bevorstehender Rechtskraft einer gegen Ende des Strafvollzuges ergangenen neuerlichen Verurteilung) bekannt ist und die Praxis die damit verbundenen Erschwernisse der Vollzugsgestaltung ebenso meistert wie die, die im Falle des § 122 StVollzG bei Anordnung von Untersuchungshaft während des Vollzuges von Strafhaft auftreten.
is? Vgl, auch ]ugendstrafvoU\t4gskumm., Schlußbericht, S. 62, 560 Sebubarlh> SchweizZStrR 96. Bd., 1979, S. 310f. 161 Anders Woher, Z St W 93. Bd. (1981), S, 500, der unterschiedliche Haftbedingungen „für .vorläufige und endgültige Gefangene'" wegen „Schwierigkeiten in der praktischen Durchführung des Vollzugs" ablehnt, damit aber eine häufigere Anwendung wie Anwendungsmöglichkeit des „vorläufigen Strafantritts" ausschließen würde.
2. Untersuchungshaft
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Von selten der Inhaftierten würde von dem Angebot, vorzeitig in die Strafanstalt zu wechseln, nach den schweizerischen Erfahrungen nicht selten Gebrauch gemacht werden. Die Häufigkeit dürfte hier allerdings wegen der Anrechnung jeder Art der Untersuchungshaft auf eine Freiheitsstrafe geringer sein als in der Schweiz, wo in praxi nur beim „vorläufigen Strafantritt" die Anrechnung gewährleistet ist. Zudem wird die Häufigkeit von den jeweiligen Umständen abhängen, z. B. von der Entfernung der Strafanstalt zum Sitz des Verteidigers. Dünnebier162 befürchtet, daß mit der unter verschiedenen Gesichtspunkten begrüßenswerten und auch von ihm empfohlenen Einrichtung nur einige Untersuchungsgefangene zu „locken" wären; konsequent schlägt er deshalb vor, „den freiwilligen vorzeitigen Vollzug erhöht anzurechnen, also etwa sechs Monate als acht, wenn nicht als neun Monate Verbüßung von Freiheitsstrafe zu zählen"162. Die gewichtige Anregung ist problematisch, obwohl die schweizerische Praxis nicht unähnlich ist, die nur bei dem „vorläufigen Vollzug" eine Anrechnung der Haftzeit auf eine Freiheitsstrafe gewährleistet, also zusätzlich zu ihm „lockt". Die Bedenken ergeben sich daraus, daß durch Inaussichtstellen einer beachtlichen Vergünstigung auf den Verdächtigen eingewirkt wird, die sachlichen Voraussetzungen der Überstellung zu schaffen, beispielsweise ein Geständnis abzulegen163. Beratung durch den Verteidiger und Verhandlung vor dem erkennenden Gericht lassen die Bedenken entgegen der Ansicht von Walter164 nicht allgemein unbegründet erscheinen*65. Auszuräumen wären sie allerdings dadurch, daß man ein Geständnis nicht zur Voraussetzung des „vorzeitigen Strafantritts" erklärte, was andererseits jedoch den praktischen Anwendungsbereich des Instituts einschränkte. Denn von den Belastungen der U-Haft verblieben viele und von den „Vorzügen" der Strafhaft wenige166. Im übrigen ist zu erwähnen, daß der Vorschlag erhöhter Anrechnung, die aus der Strafrechtsgeschichte bekannte und herkömmlichen Gerechtigkeitsvorstellungen entgegenkommende Praxis, härteren Vollzug höher zu rechnen, also mit ihm die Strafzeit zu verkürzen, umkehrt, da er die als leichter empfundene und deshalb gewählte Vollzugsform statt des überwiegend als bedrückender charakterisierten1*7 tö
Dünaebier in: Probleme der Untersuchungshaft, S. 48 f; ihm folgend Wüller, GA 1980, S. 104; der s., ZStW 93. Bd. (1981), S. 500. m Vgl. die Bedenken von Schult^, Einf. in den Allg. Teil des Strafrechts, 2. Bd., 1973, S. 67, zur schweizerischen Praxis, die Untersuchungshaft nicht regelmäßig anzurechnen. 164 Walter, ZStW aaO. S. 500. 165 Der Arbeitskreis Sirafpre^eßreform, Amelttng u. a. geht sogar von einem „Geständnisdmck" aus (Die Untersuchungshaft, 1983, S. 37), der auch ohne erhöhte Anrechnung bestehen soll, überschätzt damit aber wohl den Reiz, den der Strafvollzug auf den Untersuchungsgefangenen ausübt, 166 Eine gewisse „Anrechnung" konnte deshalb bei der zwangsweise durch Haftrecht beeinflußten Strafhaft im Falle des § 122 StVotlzG in Betracht gezogen werden. S. dazu unten Abschn. V/4, S. 92ff, ' '« S. oh. S. 3, Fn. 3ff; S. 37ff.
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V. Der Begriff des UntersuchungshaftvoUzugs
heute üblichen Untersuchungshaft Vollzugs168 höher anrechnet, was unter Resozialisierungsgesichtspunkten folgerichtig und durchschlagend, aber als gesetzliche Strafmaßregel mit § 46 Abs. l Satz l StGB, dem Grundsatz der Strafzumessung, unvereinbar erscheint. Doch damit sind Grundprobleme berührt, denen hier nicht nachzugehen ist. Das schweizerische Institut des „vorläufigen Strafantritts" ist weder nach dem Wortlaut mancher kantonaler Strafprozeßrechtsbestimmungen169 noch nach der mitgeteilten Praxis auf Untersuchungsgefangene beschränkt170. Ist weder ein rechtskräftiges Strafurteil noch ein Haftbefehl Rechtsgrundlage der Freiheitsentziehung, kommt als solche lediglich ein Gesuch des Beschuldigten in Betracht, so handelt es sich weder um Straf- noch um Untersuchungshaft, sondern um eine freiwillige Freiheitsbeschränkung, die kraft Vereinbarung nach den Regeln des Strafvollzugs durchgeführt wird. In dieser Alternative ist der „vorläufige Strafantritt" eine Freiheitsentziehung sui generis171, für die eine befristete Entscheidung des erkennenden Gerichts zu fordern ist172 und die ihr vergleichbares Gegenstück in § 125 StVollzG (freiwillige Wiederaufnahme in eine soziakherapeutische Anstalt) und in der freiwilligen Fortführung wie freiwilligen Wiederaufnahme des „Strafvollzugs" findet, die im Zuge der Vorarbeiten zum geltenden Strafvollzugsgesetz mit guten Gründen als „Krisenintervention" vorgeschlagen worden waren173, aber leider174 nicht Gesetz wurden. lda
Zur höheren Anrechnung der Untersuchungshaft abl. BGH NjW 1967, S. 164 f (zu § 60 StGB a. F.). 149 Vgl. z. B. § 271 Abs. 4 StPO Basel-Stadt und Art. 122, 123 StPO Bernl S. aber z. B, auch die oben Fn. 134 wiedergegebene Vorschrift aus Solothurn! ITC Vgl. die unveroff. Entscheidung des schweizerischen Bundesgerichts v, 18. 1. 1977, wiedergegeben von Sckttbarth, SchweizZStrR 96. Bd., 1979, S. 302 f (303); s. weiter den, ebda. S. 310; Trechsel, Menschen rechts k on v. S. 2 83 ff; Rutdin, Die Anrechnung der Untersuchungshaft nach dem Schweizerischen Strafgesetzbuch, Diss. Zürich 1979, S. 18 f; Weiter, ZStW 93. Bd. (1981), S. 499; ders. G A 1980, S. 104. 171 Das schweizerische Bundesgericht bezeichnet den „vorläufigen Strafvollzug" — für die hier in Rede stehende Alternative treffend — als „eine Maßnahme auf der Schwelle zwischen Strafverfolgung und Strafvollzug", unveroff. Entsch,, zit, bei Sfhubartb aaO. S. 302; ebenso Welter, ZStW aaO. S. 500, der allerdings jeglichen „vorläufigen Strafantritt" als ein „Institut sui generis" und demzufolge die hier vornehmlich diskutierte Form als ein Surrogat der U-Haft betrachtet, 172 Weiter, ZStW 93. Bd. (1981), S. 499. 173 Dt, Vereinigung für Jugendgerichte u. Jugendgerifbtsbiife, Denkschrift über die Behandlung von kriminell stark gefährdeten jungen Tätern in Volizugsanstaken, 1970, S, 38 f; Strafvoil^ugskommissioa, Tag u ngs be richte Bd. XI, hersgg, v, Bundesministerium der Justiz, 1971, S. 62 ff, 169; dies., Kommissionsentwurf StVollzG, hrsgg. v. Bundesministerium der Justiz, 1971 {§ 68 a); Baumann, Brauneck a. a,, Alternativ-Entw. StVollzG, 1973, S, 136 f (§ 69 AEStVollzG). 174 Vgl. MülUr-Dtet^ Strafvollzugsrecht, 2. Aufl. 1978, S. 123; Kerturt in: Kaiser/ Kerner/Schöch, Strafvollzug, 3. Aufl. 1982, S, 464; Calliess, Strafvollzugsrecht, 2, Aufl. 1981, S. 172 f; Bohm, Strafvollzug, 1979, S. 169; CaUms\MüiltT-Diet^ StVollzG-Komm., 3. Aufl. 1983, § 125, Rdn. 2; JugtnditrafvQÜytgskommhsion, Schlußbericht, 1980, S. 49.
3. Untersuchungshaft Vollzug
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c) Die vorläufige Festnahme (§ 127 StPO}, die einstweilige Unterbringung (§ 126 a StPO), die Sicherungshaft (§ 453 c StPO) und Vorführungen (§§134, 163 a Abs. 3, 230, 236 StPO) bedingen wie Untersuchungshaft strafverfahrensrechtlichen Freiheitsentzug und dienen denselben oder verwandten Zwecken. Die Vorschriften über die Untersuchungshaft sind deshalb entsprechend anzuwenden175, entweder kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung (§ 126a Abs. 2 S. l, §453c Abs. 2 S. 2 StPO) oder, weil sich die Vorschriften über die Untersuchungshaft als Konkretisierung rechtsstaatlicher Grundsätze und formulierte Lösung des mit vorläufigen staatlichen Maßnahmen besonders verbundenen Spannungsverhältnisses von Einzel- und Gemeinschaftsinteressen zur Regelung verwandten Freiheitsentzuges anbieten. Das ist weniger für die Vorführungen bedeutsam, wenn auch derentwegen längere Freiheitsentziehungen und Einsperrungen vorkommen176, als für die vorläufige Festnahme. Denn eine auf das Recht der vorläufigen Festnahme gegründete polizeiliche Haft darf in den meisten Bundesländern bis zu 48 Stunden andauern (Art. 104 Abs. 2 GG, §§ 128, 115 Abs. 2 StPO), in Hessen und Rheinland-Pfalz bis zu 24 Stunden (Art. 19 Abs. 2 S. l Hess.-Verf.; Abs. 2 S. l RhPf.-Verf., Art. 142 GG177), und es ist nicht so selten, sondern eher gängige Praxis, daß die Kriminalpolizei im Hinblick auf die (äußerste) Frist oder gar unter Hinweis darauf von der gesetzlich gebotenen unverzüglichen Vorführung beim Richter etwa im Interesse weiterer Ermittlungen zu Unrecht absieht178. 3, UntersuchungshaftfW/^iig ist die staatliche Durchführung der durch richterlichen Haftbefehl nach §§ 112 ff StPO angeordneten Freiheitsentziehung. 175
Wendisch in Löwe-Rosenberg, 24, Aufl., g 119 Rdn. 12; Scbtd^JBerke-Mittler, StPOKomm,, 7, Aufl. 1977 ff, § 119, Anm. A; Nr. 86 ff UVollzO, 176 Wendisch aaO.; anders für die Vorführung nach Polizeigesetzen Samper, Komm. z. bayer. PAG, 3. Aufl. 1972, Art. 21, Rdn. 1. 177 OVG Koblenz, Amd. Slg. Bd. 2, S. 29 ff, 34 f; Hamenn-Ltn^ GG-Komm., 3. Aufl. 1970, Art. 104, Anm. 39; Seebmie, MDR 1976, S. 538, Fn. 9; Düng in Maunz/Dürig/ Herzog/Scholz, GG, Art. 104, Rdn, 42 (a. E.), der zu Recht bedauert, daß die Strafprozeßliteratur auf die Unterschiedlichkeit der Fristen nicht hinweist. 178 Von einem „weit verbreiteten Mißbrauch der Polizeibehörden" sprach schon L&wensttirs, Entscheidungsanmerkung, JW 1922, S. 1058 f, 1059; und u. a. das OLG Jena (JW 1925, S. 1540 ff) hatte Gelegenheit, ausdrücklich diese „weitverbreitete praktische Übung der Polizeibehörden" (S. 1543) zu mißbilligen. Vgl. weiter z. B. Bding, Dt. Reichsstrafprozeßrecht, 1928, S. 502, Fn. 1; Eb. Schmidt, Lehrkomm. StPO, Bd. II, Nachtr. I, 1967, § 115, Rdn. 7; Dünnebier bei Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., § 115, Rdn. 13f; Wtndiieb ebda., 24. Aufl., Rdn. 9; Lobe-Ahberg, § 128, Anm. 13 m. zahlr. Nachw.; OLG Frankfurt/M., JW 1922, S. 1058; SJZ 1950, Sp. 54f. - Ein Oberstaatsanwalt beharrte erst kürzlich gegenüber dem Verlangen des Verf., einen tags zuvor nach 127 Abs. 2 StPO Festgenommenen unverzüglich dem Richter vorzuführen oder freizulassen, darauf, es sei „bis 23.59 Uhr Zeit, den Verdacht zu erhärten".
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V. Der Begriff des Untersuchungshaftvollzugs
Der Haftvollzug ist von der Vollstreckung eines Haftbefehls so zu unterscheiden wie der Vollzug einer Freiheitsstrafe von der Vollstreckung eines Urteils und einer Strafe. Bereits nach dem Sprachgebrauch wird eine richterliche Entscheidung nur vollstreckt, nicht vollzogen, Das aber, worauf in der Entscheidung erkannt ist, wird hingegen vollzogen. Eine Ausnahme machen nur die Entscheidungsinhalte, bei denen eine Trennung von Vollstreckung und Vollzug nicht möglich ist. Deswegen wird eine Geldstrafe immer nur vollstreckt, Freiheitsentzug aber wird vollzogen179. Demnach ist der Haftbefehl wie das Strafurteil und auch wie die Geldstrafe zu vollstrecken, die Untersuchungshaft hingegen wie die Freiheitsstrafe, der Jugendarrest oder die Sicherungsverwahrung zu vollziehen. Der unterschiedliche Sprachgebrauch ist begründet. Denn „Vollstreckung" bezeichnet einen verfahrensrechtlichen Vorgang, während „Vollzug" ein verwaltungsmäßiges Geschehen meint, nämlich die unmittelbare praktische Verwirklichung180 der zu vollstreckenden Entscheidung. Die Vollstreckung des Haftbefehls obliegt der Staatsanwaltschaft (§ 30 StPO); für den Vollzug ist in erster Linie der Richter zuständig (§119 Abs. 6 StPO)181. Aus dem Begriff des Vollzugs läßt sich weder für sich noch in Verbindung mit dem Begriff der Untersuchungshaft ableiten, daß Anstaitsunterbringung wesensnotwendig zur praktischen Durchführung der auf Freiheitsentziehung lautenden strafprozessualen Anordnung des Richters nach §§ 112 ff StPO gehört. Vielmehr läßt sich ein Haftbefehl unter gewissen Voraussetzungen auch auf andere Art und ohne Gefährdung der mit ihm verfolgten strafprozessualen Zwecke verwirklichen. Dem steht nicht entgegen, daß bei außerhalb einer Anstalt vollzogener Haft ein größerer Teil ihrer Ausgestaltung und der Gestaltung des täglichen 179
Schüler-Springorum, Strafvollzug im Übergang, 1969, S, 125; dtrs,, Strafvollzugsrecht, in Badura u. a. (Hrsg.), Recht, 1971, S. 245 ff, 246; Maurach, Strafrecht Allg. Teil, 4. Aufl. 1971, S. 807; Scbmidbäuser, Einf. in das Strafrecht, 1972, S. 277 f; Schäfer in LöweRosenberg, StPO, 23, Aufl., Rdn. 3 ff vor §449; Raxiti, Strafverfahrensrecht, 17. Aufl. 1982, S. 329; Jesebefk, Lehrfa, d. Strafrechts Aug. Teil, 3.-Aufl. 1978, S. 14; Calliess, Strafvollzugsrecht, 1981, S, 9; Seebode, Das Recht zur Festnahme entwichener Strafgefangener, in Festschr. f. Bruns, 1978, S. 487 ff, 492 f; krit. Kaiser in: Kaiser/Kerner/Schöch, Strafvollzug, 3. Aufl. 1982, S. 2f; ungenau W. Mitiermaier, Gefängniskunde, 1954, S. 219; Da/Hager l Lae/k«ert JGG, 2. Auf), 1965, Rdn. l vor § 82; Metsger, Status des Untersuchungsgefangenen, S, 5, nach denen uneingeschränkt alles, worauf erkannt wird, also auch die Geldstrafe zu vollziehen sein soll. lso Ebenso oder ganz ähnlich außer den bereits in der vorigen Fn. Zitierten auch Satter, Strafvollzug und Vollstreckungsrecht, ZStW 49. Bd. (1929), S. 533ff, 547; Kohlrausch, StPO, 24. Aufl. 1936, Anm. II vor § 449; Roh. i>. Hippei, Strafprozeß, 1941, S. 669; Eb. Schmidt, Lehrkomm. StPO, Bd. II, 1957, Rdn, 1-7 vor §449; Peters, Strafprozeß, 3. Aufl. 1981, S. 654 f; Zipf, Strafprozeßrecht, 2. Aufl. 1977, S, 225; Gössel, Prüfungsgespräch, in: M au räch/Beh rend t (Hrsg.), Strafvollzug, 1973, S. 131. 581 S, im übrigen Nr. 2-10, insbes. Nr. 6 UVollzO.
3. Untersuchungshaftvollzug
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Lebens dem Verhafteten selbst obliegt, also das verwaltungsmäßige Geschehen einen geringeren Einfluß-, Eingriffs- und Wirkungsbereich hat. Vielmehr beschränkt sich gerade hier der Vollzug des Haftbefehls auf das Wesentliche, das strafprozessual unbedingt und aus sich Erforderliche. Der nicht anstaltsgebundene Vollzug kann auf die erst wegen der Anstaltsunterbringung zur Sicherung der Haftzwecke oder zur „Ordnung in der Vollzugsanstalt" (§119 Abs. 3 StPO) notwendig werdenden Verwaltungsmaßnahmen und Rechtseingriffe verzichten. Trotz dieses „Verlustes" an Vollzug handelt es sich noch um die staatliche Durchführung einer richterlich erkannten Haft, § 119 Abs. l und 2 StPO bestimmen zwar, daß der Häftling grundsätzlich alleine in einem Raum unterzubringen ist, und gehen ebenso wie §119 Abs. 3 und 4 StPO erkennbar vom Anstaltsvollzug als der Regel aus; § 119 StPO zwingt aber keineswegs zu der Annahme, daß nach dem Gesetz die Untersuchungshaft in Anstalten vollzogen werden müsse182. Erst recht läßt sich aus der Tatsache, daß das Gesetz andere Formen des Untersuchungshaftvollzuges als die des Anstaltsvollzuges nicht ausdrücklich erwähnt oder zuläßt, nicht schließen, diese seien unzulässig185. Denn damit würde der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit grob verkannt oder mißachtet. Als Ergebnis der hier im Zusammenhang mit dem Begriff des Untersuchungshaftvollzuges diskutierten Frage nach der Zulässigkeit von Hausarrest unter staatlicher Bewachung als besondere Form des Vollzuges der Untersuchungshaft ist demnach entgegen einer verbreiteten, aber kaum je begründeten Meinung184 festzuhalten: Untersuchungshaft kann nach heutigem Recht auch außerhalb von Justizvollzugsanstalten staatlich oder in staatlichem Auftrag, z. B. als Hausarrest mit staatlicher Bewachung gem. richterlichen Anordnungen (§119 Abs. 6 StPO) vollzogen werden185. 182
Anders für den § 119 StPO entsprechenden § 116 a. F. StPO offenbar Lobt lAisberg, Untersuchungshaft, 1927, S. 7. Bezüglich der vorliegenden Gesetzesentwürfe s. ob. Fn. 128. I8i So aber Baet^gen, Vollzug der Untersuchungshaft, 1932, S. \${;Jartßett, Die Stellung des Untersuchungsgefangenen etc., 1956, S, 21 f; s, auch LöbfjAisberg aaO,, OLG für Hessen (Frankfurt), JR 1951, S. 92. 184 Ohne Begründung: Peters, Untersuchungshaft, Hdw. d, Kriminologie aaO., S. 857 i. Sp.; Stock, Strafprozeßrecht, S. 108; Eb. Sccmidi, Lehrkomm. StPO, Bd. 2, 1957, Rdn. l u. 20 vor § 112; Henkel, Strafverfahrens recht, 2. Aufl. 1968, S, 280; Wtaäitch bei LöweRosenberg, 24. Aufl., Rdn. 3 vor § 112; Calliess, StrafvoJIzugsrecht, 1981, S. 182; s. im übrigen die in der vorigen Fn. Zitierten. 185 Ebenso Goldscbmidt, JW 1926, S. 1114; 1927, S. 356; Härtung, Untersuchungshaft, 1927, S. 35; Gerland, Strafprozeß, 1927, S. 261; Günther, Die Rechtsbeziehungen des Untersuchungsgefangenen etc., 1933, S. 3, 53 f; Htnnerkes, Die Grundrechte des Untersuchungsgefangenen, 1966, S. 6; s. im übrigen schon Binding, Grundriß, 1904, S. 71; Zucker, Untersuchungshaft, Bd. III, 1879, S, 459, Fn. 2, und auch AV des PreußJustizMin. v. 18. 12, 1918 (JMB1. S. 526) und v. 15. 6. 1925 (JMB1, S, 235) und oben S. 63 Fn. 43; S. 64, Fn. 50.
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V. Der Begriff des Untersuchungshaftvollzugs
Genügt diese Art des Haftvollzuges den mit dem Haftbefehl verfolgten Zwecken, so ist nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit das mildere Mittel zu wählen und von Anstaltsunterbringung abzusehen. Die Grenze zwischen dieser Form der Untersuchungshaft und einer Maßnahme nach § 116 StPO, z. B. der mit Kontrollen verbundenen richterlichen Weisung, ein bestimmtes Gebiet oder Haus nicht zu verlassen, mag praktisch fließend sein186; entscheidend für die Frage, ob der Haftbefehl außer Vollzug zu setzen und nach §116 StPO zu verfahren oder eine von der Anstaltsunterbringung abweichende Form der Untersuchungshaft nach § 119 Abs. 6 StPO anzuordnen und zu vollziehen ist, ist die faktische Möglichkeit des Verdächtigen, seinen Aufenthalt selbst zu bestimmen oder ohne Bewachung zu sein. 4. Beginn und Ende des Untersuchungshaftvollzuges sind im allgemeinen zweifelsfrei. Das Recht des Untersuchungshaftvollzuges findet von dem Augenblick ab unmittelbare187 Anwendung, in dem eine Verhaftung auf Grund eines Haftbefehls erfolgt; geht die Freiheitsentziehung diesem voraus, so setzt der Untersuchungshaftvollzug erst ein, wenn der Haftbefehl ergangen ist. Freiheitsentzug und Haftbefehl müssen also zeitlich zusammenfällen. Dies ist notwendige, jedoch nicht immer hinreichende Voraussetzung für den Vollzug von Untersuchungshaft. Besonderheiten bringen die drei Fälle mit sich, in denen bereits Freiheitsentzug stattfindet, aber nicht ohne weiteres deutlich oder erst durch ausdrückliche gesetzliche Regelung entschieden ist, ob Untersuchungshaft oder Strafe vollzogen wird. Die Frage stellt sich, wenn gegen einen Strafgefangenen Untersuchungshaftbefehl ergeht, wenn ein Untersuchungsgefangener in anderer Sache Freiheitsstrafe verbüßen soll und schließlich bei stattfindendem Untersuchungshaftvollzug in dem Zeitpunkt, in dem gegen den Häftling in derselben Sache rechtskräftig auf zu vollstreckende Freiheitsstrafe erkannt ist. Die beiden ersten Fälle sind seit 1. 1. 1977 in § 122 StVollzG geregelt; die Antwort auf die mit dem dritten aufgeworfene Frage nach der Art des fortdauernden Freiheitsentzuges ist umstritten. a) Befindet sich der Beschuldigte im Freiheitsstrafvollzug, so wandelt sich die Strafhaft mit Erlaß des Haftbefehls, der in einem neuen Strafverfahren ergeht, keineswegs ohne weiteres in Untersuchungshaft, sondern bleibt Strafhaft, allerdings mit den zusätzlichen Freiheitsbeschränkungen, die der Zweck der Untersuchungshaft erfordert (§ 122 StVollzG). Ist Untersuchungshaft gewollt, so bedarf es einer Unterbrechung des Freiheitsstrafvoltzuges durch die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde (§ 451 StPO),
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Vgl. ob. S. 56, Fn. 8! Über eine entsprechende Anwendung bei vorläufiger Festnahme etc. s. ob. S, 89.
4. Beginn und Ende des Untersuchung s h aft Vollzugs
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Diese Unterbrechung wird durch § 122 StVollzG wohl nicht ausgeschlossen, aber zur Ausnahme188. Sie ist z. B. angebracht, wenn der Strafgefangene zur Vorbereitung der Verteidigung gegen die neue Anklage oder für die Dauer der Hauptverhandlung aus der etwa weiter vom Gerichtsort entfernten Strafanstalt in die näher beim aburteilenden Gericht liegende Untersuchungshaftanstalt überfuhrt wird, § 122 StVollzG schafft eine eindeutige Rechtslage und hilft im übrigen im Vergleich zum vorangegangenen Recht eher, z. B. bei angeordneter Kollusionshaft die Verwirklichung des Haftzwecks zu gewährleisten und ein bisher mögliches, der Strafverfolgung abträgliches Kuriosurn zu vermeiden, das dem Verf. ein Gefangener bei vorliegendem Haftbefehl ungewollt treffend mit der Entschuldigung beschrieb; „Ich muß heute noch Briefe schreiben und will noch Besuch haben. Morgen oder übermorgen kriege ich nämlich die Armbinde189. Beim Pfarrer190 geht die Post glatt und schnell durch!" Der Häftling nutzte eine nicht seltene Verzögerung aus: Die Unterbrechung der Strafhaft ist zuweilen erst einige Zeit nach Erlaß des Haftbefehls möglich, weil skh der nach § 126 StPO zuständige Haftrichter, die zur Vollstreckung des Haftbefehls berufene Staatsanwaltschaft (§ 36 StPO, § 143 GVG, § 7 StVolistrO) und die Vollzugsanstalt an verschiedenen Orten und räumlich weit voneinander entfernt beBnden können. Doch sie war in gewissen Fällen zugunsten des Vollzuges der Untersuchungshaft unerläßlich und nicht durch eine Orientierung des Strafvollzuges an den Zwecken der Untersuchungshaft (vgl. Nr. 93 Abs. 2, Nr. 92 Abs. 2 UVollzO a. F.!) zu ersetzen. Die nunmehr gesetzliche Regelung ist allerdings so problematisch wie die früher mit der UVollzO gegebene Richtlinie. Denn wegen der unterschiedlichen Zielsetzung und entsprechend unterschiedlichen Ausgestaltung von Straf- und Untersuchungshaftvollzug war und ist eine gleichzeitige Wahrnehmung der Aufgaben einer jeden der beiden Arten des Vollzugs von Freiheitsentziehung, wie sie zuvor schon empfohlen wurde191, praktisch nicht ohne weiteres durchführbar. Mit Recht wurde sie nicht selten für unzulässig erachtet192. Der Richter, der wegen seines Haftbefehls bei einem Strafgefangenen sog. überhaft bewirkt, ist erst jetzt befugt, Anordnungen für den Strafvollzug zu treffen (§ 122 Abs. l S. 2 u. 3 StVollzG), etwa wegen Fluchtgefahr den Vollzug einer 5SS
So auch Nr. 93 UVollzO; KltinkaecbtlJanischoa>sky, Das Recht der Untersuchungshaft, 1977, Rdn. 104, S. 3t, 189 In der betreffenden Strafanstalt zur Kennzeichnung der Untersuchungshäftlinge verwandtes und von diesen um den linken Oberarm zu tragendes Stoffband. 1TO In manchen Strafanstalten üben die Geistlichen gelegentlich die Zensur aus. 191 LobelAhberg, Untersuchungshaft, S. 6f; Güntbtr, Die Rechtsbeziehimgen des Untersuchungsgefangenen etc., S. 73 f; Nr. 93 UVollzO. m DimnebUT bei Löwe-Rosenberg, StPO, 22. Aufl., § 114, Anm. 14( S. 690; 23. Aufl. ebda. Rdn. 54; s. auch Härtung, Untersuchungshaft, § 112, Anm. 7; Bendel, SondAProt. 7/2000.
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V. Der Begriff des Untersuchungshaftvollzogs
Freiheitsstrafe z. B. in einer halboffenen Anstalt in bezug auf den Verdächtigen zu ändern oder bei Verdunkelungsgefahr seine zusätzliche, richterliche Brief- und Besuchskontrolle anzuordnen. Denn die Verantwortung für den Vollzug trug bis 1. t. 1977 allein der Anstaltsleiter (Nr. 13 Abs. l DVolIzO). Nach § 119 Abs. 6 StPO war der Richter auch nicht befugt, seine Rechte und Pflichten zur Gestaltung des Untersuchungshaftvollzuges auf die Leitung einer Strafanstalt zu übertragen193. Diese hat ihrerseits, wie nunmehr § 122 Abs. l S, 2 StVollzG klarstellt, noch weniger als die einer Untersuchungshaftanstalt von sich aus das Recht, die Freiheitsentziehung nicht oder nich nur nach den Vorschriften über den Strafvollzug, sondern zusätzlich im Hinblick auf die Sicherung eines neuen Strafverfahrens zu gestalten, mit dem sie im übrigen auch nicht wie der nach § 119 Abs. 6 StPO zuständige Richter vertraut ist193. Die dem Strafgefangenen gesetzlich (§ 4 Abs. 2 StVollzG) nicht genommenen, z. T. ausdrücklich gesetzlich bestätigten Freiheitsrechte, beispielsweise zum und im Verkehr mit der Außenwelt (§§ 23 ff StVollzG) sind etwa bei Verdunkelungsgefahr erheblich einzuschränken. Außenarbeit, Ausgang, Urlaub, Teilnahme an Gemeinschaftprogrammen können entfallen. Dies macht deutlich, daß eine „Verbindungshaft"194 leicht und vornehmlich eine Kumulation von Eingriffsbefugnissen zu Lasten des Gefangenen mit sich bringt, letztlich zu einer erschwerten Strafhaft führt, bei der die jeweiligen „Vergünstigungen", die zwischen Straf- und Untersuchungshaftvollzug und urngekehrt bestehen, verlorengehen igs . Damit hat sich die früher gegen eine zugunsten des Untersuchungshaftvollzuges erfolgende Unterbrechung der Strafhaft angestellte Erwägung196, die „Verbindungshaft" vermeide Härte, nämlich eine Verlängerung der Freiheitsentziehung, nicht nur wegen des gesetzlichen Gebotes der regelmäßigen Anrechnung der Untersuchungshaft auf eine in derselben Sache verhängte Freiheitsstrafe (§ 51 StGB, § 450 StPO) weitgehend erledigt, sondern wegen des Zusammenwirkens dieses Gebots mit der gesetzlichen Regelung des Strafvollzuges geradezu ins Gegenteil verkehrt: Eine „Verbindungshaft" verkürzt den Freiheitsentzug im Ergebnis regelmäßig nicht, aber gestaltet ihn härter, Eben dazu hat sich der Gesetzgeber kurzfristig entschlossen, als er ohne Diskussion 157 die in § 122 StVollzG enthaltene, ursprünglich nicht vorgesehene198 Regelung traf. Danach besteht die Strafhaft nach Erlaß eines Haftbefehls, der wegen einer anderen Sache ergeht m
OLG Hamburg, NJW 908, S. 1641 f (1042); Book/, SondAProt. 7/2000, Günther, Rechtsbeziehungen, S. 74. 155 S, nur GntruHlTitsitr, StVolIzG-Komm., 2. Aufl. 1982, § 122, Rdn. 1; Ca/iüsfj Müller-D tetz, StVollzG, 1983, § 122, Rdn. 1. 196 LobelAisberg, Untersuchungshaft, S. 6; Günther aaO. S, 73; s. auch Pohlmattn, StrVollstrO-Komm., 4. Aufl. 1967, §28 Anm. II., 4. 197 S. SondAProt. 7/1999-2001. 198 Vgl. E-StVoJIzG, BT-Drucks. 7/918; Müller-Ernmert v, Bendel, SondAProt. 7/2000f; GrimattITietler, StVoözG, 2. Aufl. 1982, § 122, Rdn. 1. tw
4. Beginn und Ende des Untersuchungshaftvollzugs
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und nun zu einer „Überhaft" führt, fort, doch unterliegt der Strafgefangene, ohne auch Untersuchungshäftling zu werden, nunmehr zusätzlich „denjenigen Beschränkungen seiner Freiheit, die der Zweck der Untersuchungshaft erfordert" (§ 122 StVollzG)199. Der in Freiheit vom Haftbefehl Betroffene erleidet hingegen „lediglich" die mit der Untersuchungshaft verbundenen Freiheitsbeschränkungen und ist deshalb wegen der Anrechnung der Untersuchungshaft auf eine Freiheitsstrafe regelmäßig im Vorteil. Denn anzurechnen ist nach § 51 StGB nur „wirkliche UHaft"200. Aus der Sozialisadonsaufgabe des Strafvollzuges, aus § 2 StVoltzG, aus dem Auftrag der Verbrechensbekämpfung als dem übergeordneten Ziel jeder strafrechtlichen Maßnahme und aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergibt sich allerdings die Erwägung, eine Strafhaft, die trotz Untersuchungshaftbefehls Wiedereingliederungsbemühungen und -programme zuläßt, möglichst nicht zugunsten einer Untersuchungshaft, bei der die erzieherischen Einflüsse nicht entsprechend fortgesetzt werden könnten, zu unterbrechen201. Die mit der Unterbrechung eines eingeleiteten Behandlungsvollzuges verbundenen Nachteile, die sicherlich bis zur Zerstörung des auf dem Wege der Wiedereingliederung etwa bereits Erreichten durch die Untersuchungshaft gehen können, erlauben oder gebieten gar die „Verbindungshaft" des § 122 StVollzG. Wegen des Gleichheitssatzes, wesentlicher Inhalt der Gerechtigkeit, sollte die mit dem Haftbefehl und den Anordnungen nach § 122 Abs. l S. 2, 3 StPO verbundene Erschwerung bei der Strafzumessung in Anlehnung an §§ 51 StGB, 450 StPO berücksichtigt werden. Findet tatsächlich kein Behandlungsvollzug statt oder wird ein solcher nach §§112 ff StPO, 122 StVollzG unmöglich, sollte die Strafhaft zur Vermeidung von Nachteilen für den Gefangenen und im Interesse eindeutiger Zuständigkeit für die Regelung des Vollzugs der Freiheitsentziehung trotz § 122 StVollzG unterbrochen werden. Dasselbe gilt, wenn die zur Erreichung des Haftzwecks nötigen Maßnahmen Untersuchungshaftvollzug erfordern (Nr. 93, 60 UVollzO). b) Wie Untersuchungshaftvollzug durch Unterbrechung von Strafhaft beginnen kann, kann er umgekehrt auch durch Abbruch oder Unterbrechung zum Zwecke des Strafvollzuges, und diese Unterbrechung ist häufi-
199
Da diese Beschränkungen schon wegen des Zeitpunktes der Anordnung von „Überhaft" meist weitreichend sind, unterscheidet sie sich nicht nur in der rechtlichen Einordnung, sondern auch in der praktischen Ausgestaltung vom im übrigen freiwilligen „vorzeitigen Strafantritt" (s. dazu ob, S. 79). 200 Sirtt bei Schönke/Schröder, StGB, 21. Auf!, 1982, §51 Rdn. 4; BGHSt. 22, 303; OLG Hamm, MDR 1969, S. 407, 201 Die Erwägungen zum sog. vorzeitigen Strafantritt (ob. S, 79) gelten hier insofern entsprechend, als das Recht der Untersuchungshaft bei der Gestaltung des Strafvollzuges nicht derart dominiert, daß sich nur die Rechtseingriffe beider Vollzugsarten zu Lasten des Gefangenen addieren.
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V. Der Begriff des Untersuchungshaftvollzugs
ger202, enden. Aus den erwähnten Gründen war und ist auch hier eine Haftverbindung nicht unproblematisch. Aber es ist nicht mehr ausgeschlossen, sondern durch § 122 StVollzG die Regel, daß die als Überhaft notierte Untersuchungshaft die Gestaltung der Strafhaft beeinflußt203. Wenn der nach § 126 StPO zuständige Richter eine Unterbrechung der Untersuchungshaft zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe bewilligt, was im Grunde eine Art der Aussetzung des Vollzuges, allerdings eine andere als nach § 116 StPO bedeutet, so wird der Gefangene, der eben von da ab lediglich Strafgefangener ist, mit Recht „für die Dauer des Vollzuges der Strafe als Strafgefangener behandelt" (Nr. 92 Abs. 2 S. l UVollzO), aber nicht mehr nur als solcher. Der Untersuchungshaftvollzug ist zwar von dem Augenblick ab unterbrochen, in dem der in der anderen Sache Verurteilte in der Untersuchungshaft amtlich mitgeteilt bekommt, daß auf Ersuchen der Strafvollstreckungsbehörde die Aufnahme des Gefangenen in den Strafvollzug auf Bewilligung des Richters hin verfügt worden ist204. Damit beginnt die Strafhaft, aber endet nicht mehr die Zuständigkeit des Richters nach §§ 119 Abs. 6, 126 StPO für Anordnungen, die nun allerdings solche für den Strafvollzug sind (§ 122 Abs, 2, S, 2 und 3 StVollzG; Nr. 92 Abs, 3 UVollzO). Nr. 92 Abs. 3 UVollzO a. F. sah bereits vor, daß sich der Richter eine gewisse Kompetenz zur Gestaltung des Strafvollzuges für den Fall von Untersuchungshaft als Überhaft dadurch erhielt, daß er die Zustimmung zur Unterbrechung des Untersuchungshaftvollzuges mit entsprechenden Bedingungen versah. Dieser „Richterempfehlung" der UVollzO, einem solchen richterlichen Vorgehen und einer derartigen Haftverbindung fehlte allerdings die gesetzliche Grundlage205. Dies galt auch für die Verwaltungsanweisung in Nr, 92 Abs. 2 S. 2 UVollzO a. F., wonach bei der Durchführung des Strafvollzuges „auf die Sicherung des neuen Strafverfahrens Bedacht zu nehmen" war. Mit § 122 StVollzG ist eine der bisherigen Praxis sehr verwandte Regelung nunmehr „für eine längere Übergangszeit"206 getroffen. Danach unterliegt der Strafgefangene trotz Unterbrechung der Untersuchungshaft noch den Freiheitsbeschränkungen, die ihr Zweck fordert. Da aber keine Untersuchungshaft vollzogen wird, sind Anordnungen nicht unmittelbar auf § 119 StPO zu stützen. 202
Vgl, auch § 28 Abs. l S, 2 StrVollstrO und Dmntbur bei Löwe-Rosenberg, StPO, 23. Aufl., §114, Rdn. 54 f. 203 So schon vor Inkrafttreten des StVollzG Nr, 92 Abs. 2 UVolizO; OLG Düsseldorf, JMB1. NRW 1957, S, 108; OLG Hamm, Rpfleger 1961, S. 354; OLG Hamburg, NJW 1968, S. 1642. 204 Vgl. § 38 Buchst, d StrVollstrO zur Strafzeitberechnung und im übrigen GrtmoK, UVollzO-Komm., 2. Aufl. 1972, Nr. 92, Rdn, 1; vgl. auch PMmann, StrVollstrO-Komm,, § 28, Anm. II., 2. 205 So wohl auch Dünnebier bei Löwe-Rosenberg, StPO, 22. Aufl., §114, Anm. 14; 23. Aufl., Rdn, 54, 206 Beedel, SondAProt. 7/2001.
4. Beginn und Ende des UmersuchungshaftvolLzugs
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Die nach dem Zweck der unterbrochenen Untersuchungshaft gebotenen Maßnahmen (nicht auch die, die die Ordnung in der Vollzugsanstalt fordert207, ordnet der nach § 126 StPO zuständige Richter nach §§ 112 f StPO, 122 Abs. l S. 2 StVollzG an, in dringenden Fällen vorläufig „der Staatsanwalt, der Anstaltsleiter oder ein anderer Beamter" (§ 119 Abs. 6, S. 2 StPO), unter dessen Aufsicht der Gefangene steht (§ 122 Abs. l S. 3 StVollzG). Da es mithin auch nach § 122 StVolizG bei Unterbrechung des Untersuchungshaftvollzuges zum Zwecke der Strafvollstreckung keine wirkliche Verbindungshaft gibt, ist festzuhalten, daß jeweils entweder Untersuchungsoder Strafhaft vollzogen wird208, aber die Wirkungen der ersteren nach § 122 StVollzG nicht mehr in vollem Umfange enden, wenn die zweite einsetzt. c) Regelmäßig endet der Untersuchungshaftvollzug mit der Aufhebung des Haftbefehls, mit seiner Außervollzugsetzung oder auf Anordnung der Staatsanwaltschaft (§ 120 Abs. 3 S. 2 StPO), und zwar jeweils unmittelbar209. Äußerst umstritten ist seit Jahrzehnten die Frage, welche Wirkung eine rechtskräftig verhängte und noch zu vollstreckende Freiheitsstrafe auf einen bei Eintritt der Rechtskraft in derselben Sache andauernden Untersuchungshaftvollzug hat. Zu fragen ist nach der Zulässigkeit, und zu bestimmen ist hier möglicherweise die Art der Freiheitsentziehung, die an der Nahtstelle zwischen dem gerichtlichen Hauptverfahren und dem staatsanwaltschaftlichen Strafvollstreckungsverfahren nicht selten fortwährt. Da eine ausdrückliche gesetzliche Regelung fehlt, wird diese Haft teils als Fortsetzung der Untersuchungshaft, teils als Beginn des Strafvollzuges und schließlich auch als eine Haft besonderer Art angesehen, im Hinblick auf ihren einzigen Zweck Vollstreckungshaft genannt. Die Bestimmung des Wesens dieser Haft und Klarheit über ihre gesetzliche Grundlage, rechtliche Regelung wie kriminalpädagogischen Gestaltungsmöglichkeiten sind schon deshalb nicht ohne Bedeutung, weil es sich bei der zwischen Rechtskraft des Urteils und Einleitung der Strafvollstreckung verbrachten Haftzeit „häufig um Zeiträume von Monaten"210 handelt, jedenfalls sich die Bearbeitung durch Gericht und Staatsanwaltschaft „erfahrungsgemäß recht lange"211 hinzieht. Die Frage betrifft nicht 207
Calfassl Müller-Die%t StVollzG, 3. Aufl. 1983, § 122, Rdn. 3. So schon Härtung, Untersuchungshaft, § 112, Anm. 7. 209 Treffend Cnatau, UVollzO-Komm., Nr, 6, Rdn, 2, S. 28, Nr. 17, Rdn. l, S. 49. 210 OLG Braunschweig, MDR 1950, S. 754 ff, 755 r, Sp. unt.; s. dazu auch Uager, ZurProblematik des § 451 StPO über die urkundliche Grundlage der Straf Vollstreckung, Rpfleger 1957, S. 222 ff. 2n Lindwr, Sind Entscheidungen über Haftbefehle noch nach Rechtskraft des Strafurteiis zulässig?, MDR 1948, S, 453; vgl. auch BiaswaagerjBrandtnbtrgcr, SchweizZStrR 91. Bd. (l 975), S. 407, die beiläufig von einem Schweizer Fall berichten, in dem sich die Strafvollstreckung um 123 Tage verzögerte; Carsteasent Dauer von Untersuchungshaft, 208
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V. Der Begriff des Untersuchungshaft Vollzugs
nur das bisher in diesem Zusammenhang ausschließlich erörterte Zuständigkeits- und Rechtswegproblern, das sich aus der Zuständigkeit des Gerichts für die Untersuchungshaft und ihren Vollzug {§ 126 StPO), andererseits der Staatsanwaltschaft als Strafvollstreckungsbehörde für die Vollstreckung des Urteils und schließlich der Anstalt für den Strafvollzug ergibt. Hinzu tritt das Interesse an Klarheit über den Charakter der Freiheitsentziehung. Denn Untersuchungshaft und Strafvollzug räumen dem Gefangenen rechtlich und praktisch unterschiedliche Stellungen ein212, bieten den Anstalten unterschiedliche kriminalpädagogische Einwirkungsmöglichkeiten, unterwerfen die Durchführung der Freiheitsentziehung sowohl jeweils anderen Grundsätzen als auch Einzelregelungen und unterscheiden sich schließlich in der Zielsetzung, da der Strafvollzug die Wiedereingliederung des Verurteilten in die Rechtsgemeinschaft zum Ziel hat, während das Gesetz der Untersuchungshaft kein Ziel setzt, sie vielmehr nur dem Zweck dienen läßt, das Strafverfahren zu sichern. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat zu der Frage nach der Haftart dieses besonderen Verfahrensabschnittes in einer Entscheidung vom 20. 10. 1964213 einen großen Teil der vorliegenden, kontroversen Rechtsprechung und Literatur herangezogen214, aber selbst keine Stellung genommen, Nach einer verbreiteten Meinung wandelt sich die bei Urteilsfällung noch vollzogene Untersuchungshaft in dem Augenblick, da die Rechtskraft einer auf noch zu vollstreckende Freiheitsstrafe (freiheitsentziehende Maßregel) lautenden Entscheidung eintritt, ohne weiteres Zutun in Strafhaft (MaßregelVollzug)215. Danach befindet sich z, B, der aus der Untersu-
1981, S. 17 f, hat bei seinen Kieler Erhebungen festgestellt, daß „die Überweisung von dem Untersuchungshaft- in den Strafhaftvollzug noch beträchtliche Zeit dauern kann"; s. weiter Gritnau, UVollzO-Komm,, Nr. 91, Rdn. l ff, S. 176 ff; Güniher, Rechtsbeziehungen etc., S, 4! 211 Die UVollzO beschreitet in Nr. 91 einen weitgehend pragmatischen, aber in der rechtlichen Begründung unklaren Weg mit der Anordnung, der Gefangene sei ab Rechtskraft des Urreils „als Strafgefangener zu behandeln, soweit sich dies schon vor der Aufnahme zum Strafvollzug durchführen läßt"; ähnlich KltinknttbtlJamsfbowsky, Das Recht der Untersuchungshaft, Rdn. 130. Es bleibt offen, worauf sich die Anweisung der UVollzO stützt; krit. auch Schäfer bei Löwe-Rosenberg, § 450, Rdn. 7. 213 BGHSt20, 64 ff, 214 BGHSt, 20, 65. 215 Ffisenberger, StPO-Komm,, 1926, § 450, Anm. 3; Fuhrmann bei Dakke/Fuhrmann/ Schäfer, Strafrecht und Strafverfahren, 37. Aufl. 1961, § 450 StPO, Anm. 4; Diinntbttr bei Löwe-Rosenberg, StPO, 23. Aufl., § 120, Rdn, 45, 46; § 126 Rdn. 39; s. auch ebda. § 112, Rdn. 15 ff; Müller in Müller/Sax (KMR), StPO, 6. Aufl., §126, Anm, 6; Eh. Schmidt, Lehrk. StPO Bd. II, 1957, § 450, Rdn. 11 (weniger deutlich ebda. § 124, Rdn. 14); Pettrs, Strafprozeß, 1981, S. 409, 395; Kleinknecbtl Meyer, StPO, 36. Aufl. 1981, §120, Rdn. 3; §450, Rdn. 4 (etwas anders Kleinknetbt, SjZ 1950, S. 142; s. um. S, 101, Fn. 225!); Boujong, KK, § 120, Rdn. 22; ähnl. W. Müller, ebda. § 450, Rdn. 10; Wendisch bei Löwe-Rosenberg, 24. Aufl., 120, Rdn. 35 f; § 126, Rdn. 32; OLGe Karlsruhe, RPfl. 1964, S. 145 ff, 146;
4, Beginn und Ende des Untersuchungshaftvollzugs
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chungshaftanstalt zur Haupt Verhandlung Vorgeführte bei entsprechender Entscheidung ohne weiteres und sofort im Strafvollzug oder im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel, wenn er irn Anschluß an die Urteilsverkündung ebenso wie die Anklagebehörde noch im Sitzungssaal auf Rechtsmittel verzichtet. Diese Meinung hat zweierlei zu begründen. Einmal ist darzulegen, wieso die Untersuchungshaft mit der Rechtskraft einer Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden Maßregel endet. Zum anderen bedarf die selbständige Wandlung des Untersuchungshaft Vollzuges in Straf- oder Maßregelvollzug des Beweises. Für die zweite Behauptung wird keine Begründung gegeben; die erste wird weitgehend zu Recht auf den Zweck der Untersuchungshaft gestützt: Die Untersuchungshaft endet ihrem Wesen nach mit der Untersuchung 216 . Nach rechtskräftigem Abschluß des Verfahrens ist nichts mehr zu untersuchen. Deswegen wird „der Haftbefehl durch das rechtskräftige Urteil prozessual und sachlich überholt"217, so daß es seiner ausdrücklichen Aufhebung nicht bedarf; deswegen muß die Zuständigkeit des Richters für Anordnungen, die den Vollzug der Freiheitsentziehung betreffen, mit dem rechtskräftigen Abschluß des strafprozessualen Erkenntnisverfahrens enden218. München, ebda, S. 370; Köln, NJW 1966, S. 1829; s. auch Nr. 91 UVollzO und dazu Baumann, EntwUHaftvollzG, S. 121. 216 Vgl. schon BenneckelBeling, Lb. d. Dt. Reichs-Strafprozeßr, 1900, S. 186; u. s. Dünnebier aaO. § 112, Rdn. 15 (unter Hinweis auf die Ausnahmen: Wiederaufnahmeverfahren, Sicherungshaft nach § 453 c StPO); ebenso Wendisch aaO. § 112, Rdn. 12; Dietrich, Wiederholungsgefahr, S. 86; OLG München, RPfleger 1964, S, 370 ff, 371. 217 BVerfGE 9, 160 ff, 161; OLG Hamburg, MDR 1977, S. 949; OLG Karlsruhe, MDR 1980, S. 598; KltinknecbtlJanischwsky, Das Recht der Untersuchungshaft, Rdn. 130, 213; Kletnktiecht, StPO-Komm., 35. Aufl. 1981, §120, Rdn. 3; Dünnebier aaO. § 120, Rdn. 45; Wendisch aaO. 120, Rdn. 35. !1S Feisenberger, StPO-Komm., 1926, § 124, Anm. 1; Härtung, Untersuchungshaft, § 124, Anm. 2d, S. 101; LobejAisberg, Untersuchungshaft, § 124, Anm. I1I/4, S. 80; Klettiknecht, SJZ 1950, S. 142; Eb. Schmidt, Lehrkomm. Bd. II, 1957, § 124, Rdn. 14; Fuhrmann hei Daicke u. a., Strafrecht u. Strafverfahren, 37. Aufl. 1961, § 124 StPO, Anm. l a. E.; Müller in K M R, 6. Aufl., § 126, Anm. 6; Dünnebier aaO. § 112, Rdn. 15, § 126, Rdn. 39 ff; Wendisch aaO. § 126, Rdn. 34; OLG Dresden, Sachs. Archiv f. Rechtspflege, 10. Jg., 1915, S. 369; 12. Jg., 1917, S. 454; LZ 10, 1916, Sp. 1333; BayObLGSt 7, 421; Zeitschr. f. Rechtspflege in Bayern 1932, S, 396; OLG Nürnberg, SJZ 1950, S. 141 f; OLG Gelle, NJW 1963, S. 2240 f; OLG Karlsruhe, Rpfleger 1964, S, 146; OLG Stuttgart, NJW 1979, S. 884; OLG Karlsruhe, MDR 1980, S. 598; OLG Düsseldorf, MDR 1982, S. 777; a. A.: Weicbert, Über das Wesen der Haft nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils im Strafprozesse, Sachs. Archiv f. Rechtspflege, 1. Jg., 1906, S. 553 ff passim; Melker, Zu §482 StPO, ebda. 2. Jg., 1907, S. 71; Lindner, MDR 1948, S. 453 f; H.W. Schmidt, Untersuchungshaft noch nach Rechtskraft des Urteils?, NJW 1959, S. 1717 f, 1718; Pcblmann, Rpfleger 1964, S. 371; ders., StrVollstrOKomm., 1967, §6, Anm. V, S. 125 f, § 38, Anm. I 3c, S. 360; Schmidt-Mende, Die Rechtskraftbescheinigung im Strafverfahren, Diss. Münster 1965, S. 20ff, 23; Gollivit^er bei Löwe-Rosenberg, StPO, 23. Aufl., g 268 b, Rdn. 3; OLG Düsseldorf, Rhein. Archiv f. Zivil- u. Strafrecht, Bd. 104, 1908, S. 188 f;
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V. Der Begriff des Untersuchungshaftvollzugs
Allerdings schließt das rechtskräftige Urteil nicht das gesamte Strafverfahren ab, wenn man diesem mit der ganz h. M.219 noch die Strafvollstreckung zurechnet, in ihr gar einen von zwei Hauptabschnitten des Strafverfahrens 220 oder die Fortsetzung des Erkenntnisverfahrens221 sieht. Diese Meinungen sind Grundlage der Auffassung, die den Zweck der Untersuchungshaft nicht nur in der Sicherung des Erkenntnis Verfahrens und (lediglich) für dessen Dauer222 auch Jn der Sicherung des etwa erforderlichen Strafantritts sieht, sondern darüber hinaus noch die Vollstreckung der rechtskräftig verhängten Strafe durch die Untersuchungshaft gewährleistet wissen will223. Danach wird aus der Untersuchungshaft bei Rechtskraft eines freiheitsentziehenden Erkenntnisses keine Strafhaft, sondern dauert die Untersuchungshaft nicht trotz, sondern wegen einer in demselben Verfahren rechtskräftig erkannten Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden Maßregel über den Eintritt der Rechtskraft hinaus und bis zur förmlichen
OLG Köln, LZ 10, 1916, Sp. 1510; OLG Frankfurt/M., HESt l, 163f; OLG Braunschweig, MDR 1950, S. 755 f; OLG Hamm, JMB1. NRW 1967, S. 130; 1973, S. 212; 1975, S, 164 f; OLG Frankfurt, NJW 1979, S. 665. 219 Graf%u Dobna, Strafprozeßrecht, 3, Aufl. 1929, S. 214; Koblrauab, StPO, 24. Aufl. 1936, Anm, I vor §449; S. 403; Kern, Buchbesprechung, NJW 1951, S. 186; Steck, Strafprozeßrecht, 1952, S. 197; Eh. Schmidt, Lehrkomm. Bd. II, 1957, Rdn. 6 vor § 449; Peters, Strafprozeß, 1981, S. 654; Zip/, Strafprozeßrecht, S. 216; Sthmidhauser, Einf. in das Strafrecht, 1972, S. 16, 277; Baumann, Grundbegriffe und Verfahrensprinzipien des Strafprozeßrechts, 3, Aufl. 1979, S. 24 f; Roxie, Strafverfahrensrecht, 17. Aufl. 1982, S. 4, 328; BVerfGE 19, 342 ff, 349; OLG Braunschweig, MDR 1950,5. 755; a. A.: Rosenfeld, Reichsstrafprozeß, 4,/5. Aufl. 1912, S. 32f; Henkel, SErafverfahrensrecht, 2. Aufl. 1968, S. 16, 19; s. auch schon BenneckelBeitng, Reichs-Strafprozeßrecht, 1900, S. 613! 220 Beling, Reichsstrafprozeßrecht, 1928, S. 80, Kleinfattcbt, SJZ 1950, S. 142. m Schäfer bei Löwe-Rosenberg, StPO, 23. Aufl., § 453, Rdn. 2. 222 Wer der Untersuchungshaft wie hier die Aufgabe zuweist, „den Antritt einer in diesem Verfahren erkannten Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung zu sichern" (Wendisch aaO, Rdn. l vor § 112; ganz ähnlich Müller in KMR, 7. Aufl., Vorb. 2 vor § 112) oder „die spätere S traf Vollstreckung sicherzustellen" (BVerfGE 19, 349), gleichzeitig aber eine Untersuchungshaft mit der Rechtskraft einer Verurteilung in Strafhaft übergehen läßt (Wendisch aaO, g 120, Rdn. 35; Mittler aaO, § 126, Anm. 6; wohl auch BVerfGE 9, 160 ff, 161), sichert mit der Untersuchungshaft zwar den Strafantritt, jedoch nicht über den Zeitraum des Haupt Verfahrens hinaus. 223 So z.B. v. Kries, Strafprozeß rech t, 1892, S. 312; Weifbert, Sachs. Arch. f. Rechtspflege 1906, S. 554; Schneiderin, NJW 1954, S. 299; Ungcr, Rpfleger 1957, S. 225; //. W. Schmidt, NJW 1959, S. 1718; Poklmann, StrVollstrOKomm., §6 Anm. V, S. 125f; Roxie, Strafverfahrensrecht, 17. Aufl., S. 162; BVerfGE 19, 342; OLG Dresden, LZ 10, 1916, S. 1333; BayObLG, Zeitschr. f. Rechtspfl. in Bayern, 1932, S, 396; OLG Frankfurt/ M., NJW 1979, S. 665; a. A,: z. B. Peters, Strafprozeß, 3. Aufl, 1981, S, 395; Günther, Rechtsbeziehungen etc., S, 7, Fn. 27; zu weitgehend Wolff, Der posthume Haftbefehl, NJW 1954, S. 60 f; diesem zustimmend Dabs, Hdb. d. S traf Verteidigers, 4, Aufl, 1977, Rdn. 629,
4. Beginn und Ende des Untersuchungshaft Vollzugs
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Einleitung der Strafvollstreckung als Untersuchungshaft fort224 oder wandelt nach einer dritten Meinung ihren Charakter entsprechend der eingeschränkten Aufgabe, nur noch die Vollstreckung der rechtskräftig erkannten Strafe zu sichern, derart, daß sie ab Rechtskraft und bis zur förmlichen Strafvollstreckung als „Vollstreckungshaft" weiterbesteht225. Alle drei, jeweils in der Literatur wie Judikatur vertretenen Auffassungen sind weder mit dem Wortlaut noch mit dem Sinn der Vorschriften über die Untersuchungshaft und die Strafvollstreckung vereinbar, geschweige dann gesetzlich geboten. Entgegen gelegentlichen Behauptungen haben sie auch kein praktisches Bedürfnis für sich, führen aber zu verschiedenen Ungereimtheiten, beispielsweise zur rechtlichen Anerkennung einer Kollusionshaft über den rechtskräftigen Abschluß der Untersuchung hinaus oder einer Strafhaft vor Strafvollstreckung! Nach dem Gesetzes Wortlaut wie dem deutlich zum Ausdruck gebrachten Sinn der §§ 112 ff StPO kommt Untersuchungshaft nur gegenüber einem Verdächtigen und mithin nur für die Dauer der strafprozessualen Wahrheitsermittlung, nicht aber gegenüber einem rechtskräftig Verurteilten in Betracht. Der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr zeigt besonders deutlich, daß jedenfalls die darauf gegründete Freiheitsentziehung, die Kollusionshaft, lediglich bei dem noch Verdächtigen anzuwenden sein kann und mit dem rechtskräftigen Abschluß des strafgerichtlichen Erkenntnis Vorgangs ihren Sinn verliert, weil das Strafverfahren von diesem Zeitpunkt ab nicht mehr durch Verdunkelungshandlungen beeinflußt werden kann und deshalb auch vor Beeinträchtigung von Beweismitteln nicht mehr geschützt werden muß, Doch auch die Fluchthaft dient nach allgemeiner Meinung der Unter224
So 2. B. Wttcberi, Sachs. Arch. f. Rechtspflege 1906, S, 553 f; Mttqr ebda. 1905, S. 71; Härtung, Untersuchungshaft, § 124, Anm, 2d, S. 101; Gerland, Strafprozeß, S. 255, 263; Lindner, MDR 1948, S. 453; Erb s, Handkomm. StPO, 1950, § 115, Anm. IV, Henkel, Strafverfahrensrecht, 1953, S. 317, Fn. 8; S. 322; Unger, Rpfkger 1957, S. 225; Saxt Grundsätze der Strafrcchtspflege, aaO. S. 977; H. W. Schmidt, NjW 1959, S. 1718; Schäfer bei Löwe-Rosenberg, StPO, 23. Aufl., § 450, Rdn. l;JoachimskilPfaff, Untersuchungshaft u. Strafvollzug, 1977, S. 126; OLG Dresden, LZ 1916, S. 1333; OLG Frankfurt, HESt I, S. 163; OLG Braunschweig, MDR 1950, S. 775; OLG Hamm, JMB1NRW 1967, S. 130f; 1973, S. 212 f; 1975, S. 164 f, - Roxin, Strafverfahrensrecht, 17. Aufl., S. 163, läßt die Untersuchungshaft „erst mit der Einlieferung in die Vollzugsanstalt" enden und somit jedenfalls in gewissem Umfang die Anstaltsleitungen über die Art der Freiheitsentziehung entscheiden (vgl, dazu z. B. Grmau, U Voll zO-Komm., Anm, 3 zu Nr. 92), ebenso schon Härtung, Untersuchungshaft, § 124, Anm, 2d, S. 101. 225 So Nr. 51, 52 UVollzO v, 19. lt. 1942 (Amtl. Sonderveröff. Nr. 29 der Zeitschr. Deutsche Justiz, 1942); Bennecke geling, Dt. Reichsstrafprozeßrecht, 1900, S. 186 („Sicherungshaft"); Wendisch, Löwe-Rosenberg, 24. Aufl., § 120, Fn. 8; Kltinkntcbt, SJZ 1950, S. 142; OLG Braunschweig, MDR 1950, S. 775; OLG Gelle, NJW 1963, S. 2240 f, 2241; OLG Düsseldorf, MDR 1982, S. 777 (das seine Auffassung als vermittelnde und vordringende bezeichnet); nach OLG Dresden, LZ 1916, S. 1333, und Eb. Schmidt, Lehrk. II, 1957, § 124, Rdn. 14, wandelt der Haftbefehl bei Rechtskraft „.seinen ursprünglichen
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V. Der Begriff des Untersuchungshaftvollzugs
suchung einer Straftat und darf deshalb ebenfalls nach rechtskräftigem Urteil nicht mehr verhängt werden226. Dies ist, soweit ersichtlich, unstreitig227. Auch für die Fluchthaft bringt § 112 Abs. l StPO unmißverständlich zum Ausdruck, daß der Betroffene „verdächtig" sein muß. Das bedeutet, daß Untersuchungshaft immer dann ausscheidet, wenn, aus welchen Gründen auch immer, kein Verdacht (mehr) besteht. Verdacht besteht auch dann nicht mehr, wenn der Beschuldigte unanfechtbar überführt, eben rechtskräftig verurteilt ist. Nach § 112 Abs. l Satz 2 StPO ist als Voraussetzung der Untersuchungshaft eine noch „zu erwartende Strafe" anzusehen; das rechtskräftige Strafurteil, nicht also die Strafvollstreckung soll noch ausstehen. Wegen des Zusammenhangs mit § 112 Abs. l StPO ist der Begriff „Strafverfahren" in § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO für §§ 112 f StPO - im übrigen mag die bereits angesprochene Frage hier dahinstehen — nur der bis zur Rechtskraft des Urteils andauernde Prozeß228. Für die wegen Wiederholungsgefahr angeordnete Haft ist die aus dem Sinn der Untersuchungshaft folgende Begrenzung bis zum rechtskräftigen Abschluß des gerichtlichen Verfahrens vom Gesetzgeber ausdrücklich übernommen. Denn außer bestimmtem Tatverdacht ist ausdrückliche Voraussetzung der Präventivhaft, ohne daß dies aus ihrem Wesen folgt, vielmehr eher im Gegensatz zu ihrem Sinn und Zweck, die Gefahr, daß „vor rechtskräftiger Aburteilung" weitere Straftaten begangen werden (§ 112 a Abs. l StPO). Die Sicherung der Strafvollstreckung ist demgemäß nach §§ 112 f StPO nur als Nebenzweck der Untersuchungshaft in Betracht zu ziehen. Sie ist nie einziger Zweck des Vollzugs von Untersuchungshaft. Da die Hauptzwecke nach rechtskräftigem Verfahrensabschluß nicht mehr zu erfüllen sind, kann die Sicherung des Strafantritts mittels Untersuchungshaftvollzugs nicht über die Rechtskraft der Verurteilung hinaus erfolgen. Aus §§ 450 und 208 b StPO folgt entgegen nicht selten vertretener Meinung229 keineswegs, das Gesetz gehe von der Möglichkeit einer Untersuchungshaft nach rechtskräftigem Abschluß des Verfahrens aus. Denn § 450 StPO Charakter'", indem der „nur noch dem Zweck der Strafvollstreckung dient"; s. aber tiers, ebda. § 450, Rdn. U. W. Mülltr, KK, §450, Rdn. 10, spricht sich für Strafhaft aus, in der der Gefangene jedoch bis zur Einleitung „echter Sträfhaft" „formeil" den „Status eines Untersuchung s gefangenen" haben soli, 226 S, z. B. Sax in KM R, 6, Aufl., § 268 b, Anm. 1. 227 Allerdings wollen Go/i&itqfr (Löwe-Rosenberg, § 268 b, Rdn. 5) und Eh. Schmidt (Lehrkomm. Bd. 2, 1957, §268b, Rdn. 2) einen zugleich mit dem Urteil ergehenden Haftbefehl auch dann zulassen, wenn das Urteil sofort rechtskräftig wird. S. dazu unt, S, 104! 228 Anders offenbar Schneiderin, NJW 1954, S. 298 f, 299 1. Sp. ob. (s. aber auch ebda. S, 299 1. Sp. unt.!) gegen Wolff, NJW 1954, S. 60. 229 v, Kries, Strafprozeßrecht S. 312; Wtithtrt aaO. S. 555; Sax, Grundsätze der Strafrechtspflege aaO. S. 977; H, W. Schmidt, NJW 1959, S. 1718,
4, Beginn und Ende des Untersuchungshaftvollzugs
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betrifft die nach Urteilsverkündung und vor Rechtskraft erlittene Untersuchungshaft. Die Vorschrift erwähnt lediglich die Fälle, in denen der Angeklagte auf Rechtsmittel verzichtet, solche zurückgenommen oder keine Erklärung abgegeben hat. Sie allein führen alle nicht zur Rechtskraft, da dazu auch die Staatsanwaltschaft auf Rechtsmittel verzichten muß, wie sie ihrerseits durch Gebrauch der Rechtsmittel die Rechtskraft einer Entscheidung verhindern kann. Aus § 450 StPO ergibt sich deshalb lediglich, daß das Gesetz die nach relativer (für den Angeklagten eingetretener) Rechtskraft vollzogene Haft zu Recht noch als Untersuchungshaft sieht250. Die herrschende Meinung231 erkennt denn auch als heutige Bedeutung des § 450 StPO, daß diese Vorschrift als lex specialis dem Rechtsmittelgericht die Entscheidung über die Abrechnung einer nach dem ersten Urteil vollzogenen Untersuchungshaft im Falle einer für den Verurteilten bestehenden (relativen) Rechtskraft entzieht. Ähnlich geht § 268 b StPO nur davon aus, daß Untersuchungshaft über den Zeitpunkt einer Urteilsverkündung hinaus andauern kann, und gebietet für diese Falle wie für den, daß das Urteil mangels möglicher Rechtsmittel sofort rechtskräftig wird, gleichermaßen, daß über die Fortdauer der Untersuchungshaft „bei Urteilsfällung ... zugleich" zu entscheiden ist, § 268 b StPO ergänzt mithin auch § 120 StPO. Für den Fall des allein von Gesetzes wegen rechtskräftigen Urteils ist mit ihm die Aufhebung des Haftbefehls zu verkünden (§ 268 b StPO), da mit der Rechtskraft die Untersuchung endet und also „die Voraussetzungen der Untersuchungshaft nicht mehr vorliegen" (§ 120 StPO), die nach den Regeln des materiellen Haftrechts zu beurteilen sind232. Die Tatsache, daß § 268 b StPO den selteneren Fall eines unanfechtbaren Urteils nicht aus nimmt, vielmehr auch für ihn nochmals und § 120 StPO vervollkommnend mahnt, spätestens bei Urteilsfallung die Haftfrage zu entscheiden, zwingt nicht zu der Annahme, das Gesetz bestätige hier entgegen §§ 112, 112 a StPO die Möglichkeit einer Untersuchungshaft nach Rechtskraft. Die Auffassung, mit dem Erlaß des Urteils könne gegen den auf freiem Fuß befindlichen Angeklagten auch dann ein (nicht auf Verdunkelungsgem Ebenso Düanebitr bei Löwe-Rosenberg, 23, Aufl., § 112, Rdn. 16; Wtndiscb ebda.( 24, Aufl., Rdn, 13. 231 Schäfer bei Löwe-Rosenberg, § 450, Rdn. 3; Wulf, Zu den Änderungen des Verfahrens- u. Jugendrechts in den Übergangsvorschriften im 1. StrRG, JZ 1970, S, 160 ff, 161; Dreher, Zweifelsfragen zur Anrechnung der Untersuchungshaft nach Neufassung des § 60 StGB, M DR 1970, S. 965; Dreher ITröndle, StGB, 41. Aufl. 1983, § 51, Rdn, 6; Tröndle in LK, 10. Aufl., § 51, Rdn, 24; S free in Schönke/Schröder, 21. Aufl., §51, Rdn. 2; OLG Gelte, NJW 1970, S. 768; a. A.: Hörn, Syst. Komm., Bd. l, 3, Aufl., § 51, Rdn. 7; DeiKJker, Die Anrechnung der Untersuchungshaft, MDR 1971, S. 627 ff, 630. 232 Gollwitiyr bei Löwe-Rosenberg, \ 268 b, Rdn. 4; Paulus in KMR, 7. Aufl., § 268b, Rdn. 1.
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V. Der Begriff des Untersuchungshaftvollzugs
fahr gestützter) Haftbefehl ergehen, wenn das Urteil sofort rechtskräftig sei233, verträgt sich weder mit dem Wortlaut der §§ 112, H2a StPO noch mit der z. T, von denselben Autoren vertretenen Auffassung, mit Rechtskraft der Entscheidung wandele sich die Untersuchungs- in Strafhaft234. Auch praktischen Bedürfnissen widerspricht das gesetzliche Gebot der ersatzlosen Beendigung jeder Untersuchungshaft durch rechtskräftigen Verfahrensabschluß nicht. Zur Sicherung der Strafvollstreckung muß die Untersuchungshaft nicht über den Eintritt der Rechtskraft einer Verurteilung zu Freiheitsentzug hinaus andauern, und nach Rechtskraft besteht auch kein Bedürfnis mehr für einen Haftbefehl nach §§ 112 ff StPO. Denn das Urteil ist ab Rechtskraft vollstreckbar (§ 449 StPO); die neben der Rechtskraft als materieller Vollstreckbarkeitsvoraussetzung erforderliche formelle der Vollstreckbarkeitsbescheinigung (§ 451 Abs. l StPO) kann, sofern man sie nicht gar als nur technische Sicherung für im Ausnahmefall entbehrlich hält235, in Minuten erteilt werden, und ein Vollstreckungshaftbefehl kann demnach bei Eintritt der Rechtskraft für den Fall der Fluchtgefahr sofort ergehen. Er braucht nach §457 StPO anders als nach §112 StPO in Anbetracht der rechtskräftigen Verurteilung nicht auf bestimmte Tatsachen gestützt zu werden236, hat neben der Fluchtgefahr und der Ladung zum Strafantritt auch keine weiteren Voraussetzungen237 und kann, worauf Dünnebier hingewiesen hat, auch mündlich erlassen werden, was sich daraus ergibt, daß wohl in §114 StPO, nicht aber in §457 StPO Schriftform verlangt wird238, Die sofort bei Eintritt der Rechtskraft einer freiheitsentziehenden Verurteilung erteilte Vollstreckbarkeitsbescheinigung, die Möglichkeit der unverzüglichen (mündlichen) Ladung zum Strafantritt und das Recht, bei Fluchtgefahr gleichzeitig einen Vorführungs- oder Vollstreckungshaftbefehl zu erlassen, vermögen allerdings die Strafvollstreckung immer dann nicht hinreichend zu sichern, wenn sich der Verurteilte bei Eintritt der Rechts-
233
Gollwit^er bei Löwe-Rosenberg, §268b, Rdn. 5 (der sich insofern zu Unrecht auf Müller-Sax, Schneidewin und OLG Hamm beruft); Eb. Schmidt\ Lehrkomm. Bd. 2, 1957, § 268 b, Rdn. 2, 234 Eb. Schmidt aaO. §450, Rdn. 11; s. auch Dünnebier bei Löwe-Rosenberg, § 120, Rdn. 45, 46. 235 So Dünnebier bei Lowe-Rosenberg, 23. Aufl., §112, Rdn. 17; Wtndisch ebda., 24, Aufl., § 112, Rdn. 14; für die h. M. vgl. Sthlütbtcr, Das Strafverfahren, Rdn, 836, S. 929. 236 Müller in KMR, 7. Aufl., § 457, Rdn. 4. 237 Das OLG Frankfurt nimmt entgegen § 457 StPO an, die Erfolglosigkeit der Ladung sei zwingende Voraussetzung des Haftbefehls nach § 457, S. l StPO (NJW 1979, S, 665). 238 Dünnebicrtei Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., § 112, Rdn. 17; Wendisch, ebda., 24. Aufl., § 112, Rdn, 14; anders Sshäftr ebda., 23. Aufl., § 457, Rdn. 5; PohJmattn, Rpfleger 1964, S, 146.
4. Beginn und Ende des Untersuchungshaftvollzugs
105
kraft einer Ladung und der Vorführung entziehen kann, weil der Untersuchungshaftbefehl außet Vollzug gesetzt ist und der Täter sich deshalb auf freiem Fuß befindet. Die Sicherung der Strafvollstreckung, die mit der Anordnung der Untersuchungshaft wegen Fluchtgefahr jedenfalls bis zum rechtskräftigen Verfahrensabschluß auch verfolgt wird, ist im Fall des § 116 StPO anstelle der Inhaftierung mit weniger einschneidenden, aber auch weniger sichernden Maßnahmen, Anweisungen oder Sicherheitsleistung, bezweckt. Da der Verurteilte im Fall des außer Vollzug gesetzten Haftbefehls bei Eintritt der Rechtskraft häufig tatsächlich nicht zum Strafantritt zur Verfügung steht, lassen §§ 123, 124 StPO die nach § 116 Abs. l und 3 StPO getroffenen Anordnungen über den Eintritt der Rechtskraft hinaus andauern und damit aus einsichtigen Gründen auch den zugrundeliegenden Haftbefehl ausnahmsweise trotz Abschlusses des Erkenntnisverfahrens fortwirken239, abet nut als Grundlage der die Inhaftierung und damit die Sicherung der Strafvollstreckung ersetzenden Maßnahmen, die nach § 116 Abs. l und 3 StPO getroffen sind; die nur eine Kollusionshaft ersetzenden Anordnungen nach § 116 Abs. 2 StPO kommen wie diese zur Sicherung der Vollstreckung naturgemäß nicht in Betracht240. Der unter Auflagen außer Vollzug gesetzte und auf Flucht- oder Wiederholungsgefahr gestützte Haftbefehl ist also wegen ausdrücklicher Ausnahmevorschriften bei Eintritt der Rechtskraft weder gegenstandslos noch allein wegen der Rechtskraft aufzuheben, da dies zur möglicherweise verfrühten Aufhebung der auch den staatlichen Vollstreckungsanspruch sichernden Maßnahmen nach 116 StPO, insbesondere zu einem vorzeitigen Freiwerden einer Sicherheitsleistung führen würde. Aus den zweckmäßigen Ausnahme Vorschriften ist aber nicht zu folgern, daß der Untersuchungshaftvollzug und generell der Haftbefehl über eine rechtskräftig erkannte Freiheitsentziehung hinaus fortbestehen241 oder daß gar die „Untersuchung" nicht mit der Rechtskraft, sondern erst „mit dem Beginn des Strafvollzugs" ende242. Untersuchungshaftvollzug muß demnach immer mit rechtskräftigem Verfahrensabschiuß enden und darf auch im Falle rechtskräftig erkannten Freiheitsentzugs weder als selbständig zu Straf- oder Maßregel Vollzug gewandelte Haft noch als Haft eigener Art (Vollstreckungshaft) fortdauern. Untersuchungshaft nach Rechtskraft ist mit dem Haftrecht unvereinbar. Der selbständigen Wandlung in Strafhaft steht § 451 StPO entgegen, der in sog. Vollstreckungshaft, einem Zwitter von Untersuchungs- und Straf239
Kfeinlkntditl Meyer, StPO-Komm., § 123, Rdn. 2. Anders, wenn auch ähnlich OLG Bremen, NJW 1963, S. 1024; OLG Karlsruhe, MDR 1980, S. 598; Wendisch aaO. § 123, Rdn. 6; Müller in KMR, 7, Aufl., § 123, Rdn. 3, die die nach § 116 StPO angeordneten Maßnahmen ohne Haftbefehl, also ohne die Grundlage fortbestehen lassen wollen, 240 Müller in KMR aaO. (vorige Fn.)· 241 So aber H. W. Schmidt, NJW 1959, S. 1718, 2 « OLG Frankfurt, NJW 1979, S. 665 = MDR 1979, S. 75 f.
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V, Der Begriff des Untersuchungshaftvollzugs
haft, fehlt die Rechtsgrundlage. Der Untersuchungsgefangene ist deshalb bei Eintritt der Rechtskraft auch dann unverzüglich zu entlassen, wenn auf noch zu vollstreckenden Freiheitsentzug erkannt ist, falls die für den Strafoder Maßregelvollzug gesetzlich erforderliche Vollstreckbarkeitsbescheinigung nach § 451 StPO nicht bereits vorliegt. Die Kenntnis vom Eintritt der Rechtskraft beispielsweise durch Verwerfung einer Revision sollte im technischen Zeitalter ebenso zügig und problemlos zu vermitteln und zu erlangen sein wie die Vollstreckbarkeitsbescheinigung. Die in der bisherigen Praxis häufig ohne Einleitung der Strafvollstreckung über die Rechtskraft hinaus andauernde Haft ist prozeßordnungswidrig und darf deshalb auch weder als Straf- noch als Untersuchungshaft angesehen und ausgestaltet werden, so daß Nr. 91 UVollzO, wonach der Inhaftierte als Strafgefangener behandelt werden soll, gesetzwidrig ist und zu Unrecht von der Zulässigkeit dieser „Zwischenhaft" ausgeht243. Allerdings ist die nach Rechtskraft und vor Einleitung der Strafvollstreckung prozeßordnungswidrig vollzogene Freiheitsentziehung materiell auf das rechtskräftige und freiheitsentziehende Urteil zu stützen; doch wird man die formelle Grundlage der Strafvollstreckung, die Vollstreckbarkeitsbescheinigung, im Hinblick auf § 451 StPO und die damit gesetzlich angeordnete Prüfung der formellen Vollstreckbar keitsvoraus Setzungen (z. B. des Vorliegens einer schriftlich abgesetzten Urteilsformel244) als „letzten Akt des gerichtlichen Verfahrens"245 oder „förmlichen Abschluß des Erkenntnisverfahrens"240 nicht als gelegentlich oder vorübergehend entbehrliche Formalie ansehen können247. Vielmehr darf die Strafvollstreckung erst eingeleitet werden, wenn die materiellen und formellen Vollstreckungsvoraussetzungen zusammenkommen248, so daß auch eine rechtskräftig erkannte Strafe „nach dem Gesetz" i. S, d. § 345 StGB nicht vollstreckt werden darf, wenn noch keine Vollstreckbarkeitsbescheinigung ausgestellt ist249. Demgemäß kommt eine 24J
Nr. 91 Abs. l Nr. l UVollzO ist für die bisherige Praxis durchaus bedeutsam und keinesfalls „überflüssig", weil es sich um einen der klaren „Fälle der Strafhaft" handele, wie Battmttftn meint (Entw. UHaftvollzG, S. 12). 2+4 Spendet berichtet über einen Fall, in dem diese vergessen wurde (LK 10. Aufl. § 336, Rdn. 129), RGSt. 19, 342. 245 Kleinküche Rpfleger 1952, S. 210; Schäfer bei Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., S 451, Rdn, 34. 246 Müller in KMR, 7. Aufl., § 451, Rdn. 7. 247 So aber Diinnebier bei Löwe-Rosenberg aaO. §112, Rdn, 17; Wendisch ebda., 24. Aufl., Rdn. 14. 248 Sckluihter, Das Strafverfahren, Rdn. 836, S. 929. 249 So deutlich Bockelmann, Strafrecht Bes. Teil 3, 1980, S. 89; s. auch Maimaid, Die Amtsdelikte, JuS 1977, S. 353 ff, 3S9; Lackner, StGB-Komm., 15. Aufl. 1983, S. 345, Anm. 3; DrekerjTröndte, StGB-Komm,, 41. Aufl. 1983, § 345, Rdn. 5.
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Strafbarkeit der mit dem Vollzug der „Zwischenhaft" befaßten oder für die Entlassung des Gefangenen zuständigen Amtsträger wegen Strafvollstreckung gegen Unschuldige nach § 345 StGB in Betracht, wenn die Haft gem, Nr. 91 UVollzO als Strafhaft vor Einleitung der Strafvollstreckung und nach rechtskräftigem Verfahrensabschluß vollzogen wird250. Denn „unschuldig" ist der Gefangene i. S. d. § 345 StGB trotz rechtskräftiger Verurteilung, weil der Straftatbestand darauf abstellt, daß eine Strafe „nach dem Gesetz nicht vollstreckt werden darf1251 und es sich deshalb um ein „Formaldelikt"251 handelt. Nach Bockelmann25Z ist „die unbegründete Hinausschiebung der Verlegung aus der Untersuchungshaft in die Strafhaft" nicht nach § 345 StGB strafbar, weil Untersuchungshaft keine Strafe ist. So hat auch der Bundesgerichtshofentschieden253. Diese Rechtsansicht, die also eine nach Rechtskraft und vor Einleitung der Strafvollstreckung weiterhin als Untersuchungshaft vollzogene Freiheitsentziehung nicht als von § 345 StGB erfaßt ansieht254, ist seit der Neufassung des § 345 StGB durch das Einführungsgesetz zum StGB v. 2. 3. 1974 überholt255. Denn das Gesetz hat die Strafbarkeit zum Zwecke der vom Gesetzgeber erstrebten Einhaltung der Garantien des Art. 104 GG256 mit dem Tatbestandsmerkmal der „behördlichen Verwahrung" ausgeweitet. Darunter fällt auch Untersuchungshaft 257 . Neben der Strafbarkeit nach § 345 StGB kommt eine solche wegen Rechtsbeugung nach § 336 StGB wegen Verletzung des Prozeßrechts (§§ 112 ff, 449 ff StPO) in Betracht, für nichtrichterliche Amtsträger allerdings nur, wenn man auch weisungsgebundene Amtsträger mit der h. M, für taugliche Täter der Rechtsbeugung hält258. Vielfach wird eine Strafbarkeit nach § 336 StGB ausscheiden, weil das Gesetz hier anders als in
250
Vgl. BGHSt. 20, 64 ff, 68. *' Maiwald, JuS 1977, S. 359, 252 Bockelmann, Strafrecht Bes. Teil/3, S, 89. 253 BGHSt. 20, M, 254 So außer den in den beiden vorigen Fn. Genannten auch Cramer in Schönke/ Schröder, StGB, 20. Aufl. 1980, § 345, Rdn. 6 (ohne Stellungnahme: ders. aaO. 21. Aufl., Rdn. 4), 255 So ausdrücklich und mit Recht Mauratkl$chroedert Strafrecht, Bes. Teil, Teilbd. 2, 6. Aufl 1981, S. 197. 256 BT-Drucks. 7/550, S. 280; s. dazu Fran^im, Der rechtswidrige Vollzug der Untersuchungshaft etc., G A 1977, S. 69; MauratblSchroeder aaO. (wie vorige Fn.). 257 Fran^fteim und ManrachlSckroeder> jew, aaO,; Latkiitr aaO. § 345, Anm. 2. Vgl. auch Drtherj Tröndle, die allerdings das Merkmal „Strafe" wohl wegen Nr, 91 UVollzO für erfüllt ansehen: „Hingegen ist Strafe i. S. des § 345 auch eine nicht schon formell in den Strafvollzug übergeleitete UHaft, die für den Verurteilten nach § 450 StPO auf die Strafzeit anzurechnen ist" (aaO., Rdn. 5). 253 Vgl. Spendet, LK, 10. Aufl., 28. Lfg. 1982, § 336, Rdn. 15 m. w. Nachw.; anders SeeboJe, Das Verbrechen der Rechtsbeugung, 1969, S. 58 ff, 66. 2
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V, Der Begriff des Untersuchungshaft Vollzugs
§ 345 StGB259 neben der Rechtsverletzung die Zufügung eines Vor- oder Nachteils verlangt, dem rechtskräftig zu Freiheitsstrafe Verurteilten aber jedenfalls bei der Ausgestaltung der nach §§ 112 ff, 449 ff StPO unzulässigen Haft als Strafhaft (Nr. 91 UVollzO) regelmäßig kein rechtlicher Vor- oder Nachteil entsteht; allerdings sind die rechtlichen Vor- oder Nachteile der einen Haftform nicht mit denen der anderen zu kompensieren260.
259
Cramer setzt für die Strafbarkeit nach § 345 StGB ohne Begr., aber entgegen dem Wortlaut und dem auf die Formalien abstellenden Charakter dieser Strafbestimmung ebenfalls einen Nachteil voraus (Schönke/Schröder aaO., § 345, Rdn. 8). 260 S. näher Sttbodt aaO. S. 96.
VI. Grundsätze des Untersuchungshaftvollzugs Die Grundsätze, die die Gestaltung des Vollzugs der Untersuchungshaft bereits nach geltendem Recht über die in der Generalklausel des § 119 Abs. 3 StPo enthaltenen hinaus ödet die Generalklausel konkretisierend bestimmen und die bei näherer gesetzlicher Regelung des Untersuchungshaftvollzugs ausdrücklich zu normieren und im einzelnen auszufüllen wären, folgen ihrerseits aus Verfassungsgrundsätzen und Rechtsprinzipien, aber auch aus kriminalpoliüschen Entscheidungen und praktischen Notwendigkeiten. Maßgebend sind außer der überwiegend1 strafprozessualen Funktion der Untersuchungshaft (§119 Abs. 3 StPO) das Verhältnismäßigkeitsprinzip und die Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 MRK), also auch der Umstand, daß der Untersuchungsgefangene ein möglichst gering zu haltendes Sonderopfer erbringt. Erheblich beeinflußt werden die Vollzugsgrundsätze weiter durch die bei Gestaltung der Untersuchungshaft wie bei jedem Akt der Strafrechtspflege zu berücksichtigende kriminalpolitische Aufgabe, der Kriminalität vorzubeugen, und durch das Sozialstaatsprinzip (Art. 20, 28 GG). Für die Gestaltung der Untersuchungshaft, die in Anstalten vollzogen witd 2 , sind zusätzlich die Erfordernisse zu beachten, die das Zusammenleben in solchen stellt und in der heutigen Regelung mit der Bezugnahme auf „die Ordnung in der Voilzugsanstalt" berücksichtigt sind. Schließlich ist det Einfluß nicht außer acht zu lassen, den die Begrenztheit staatlicher Mittel ausübt3. Auf die Gestaltung der Untersuchungshaft Minderjähriger wirken das Elternrecht und die Erziehungsbedürftigkeit (Art, 6 GG) grundsätzlich ein. Die verschiedenen, für die Grundsätze der Vollzugsgestaltung bedeutsamen Vorgaben und Aufgaben ergänzen und überschneiden sich nicht nur, 1
S. ob. Abschn. V/2, S. 74ff zum Wesen der Vorbeugehaft nach 51i2a StPO. Wegen der Alternative s. ob. V/tb, S. 56ff; V/2a, S. 78; V/3 S, 90ff. ! S. z.B. Diinmbier in: Lüttger, Hrsg., Probleme der Strafprozeßreform, S. 42; den, bei Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., §119, Rdn. 3; Wtndixh ebda., 24, Aufl.; Baumann bei Sonnemann, Wie frei ist unsere Justiz?, 1969, S. 158; zu weitgehend (vgl. BVerfGE 15, 288 ff, 296!) Bleckmann, DVB1 1984, S. 995: „Wie weit die Grundrechte schon durch die durch das Grundgesetz selbst gestattete Freiheitsbeschränkung eingeschränkt werden, richtet sich also nach der allgemeinen Konzeption über den Vollzug der Freiheitsstrafe und den dafür vorhandenen Mitteln." 2
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VI, Grundsätze des Untersuchungshaft Vollzug s
sondern widersprechen sich auch zu einem guten Teil, So würde beispielsweise dem Anliegen, schädliche Folgen der Untersuchungshaft zu vermeiden, am ehesten mit einer Vollzugsgestaltung genügt, die die strafprozessuale Funktion der Haft außer acht ließe; und der Aufgabe, im Untersuchungshaftvoüzug die Sozialisation der meist Soziaüsationsbedürftigen als Kriminalitätsvorbeugung zu betreiben, widerspricht in weitem Maße die Unschuldsvermutung. Die Begrenztheit der staatlichen Mittel setzt dem Bestreben, das Sonderopfer möglichst gering zu halten, z. B. dadurch Schranken, daß Zahl und Ausmaß zu überwachender Außenkontakte (Besuche, Telefongespräche) vom nicht beliebig zu vermehrenden Personalbestand abhängen. Die Aufgaben sind deshalb nicht isoliert nebeneinander und jeweils gleichermaßen zu erfüllen, sondern gegeneinander abzuwägen und zunächst in den Vollzugsgrundsätzen zum Ausgleich zu bringen, diesen folgend aber auch in den einzelnen Regelungen zur Gestaltung der Untersuchungshaft, Für den Strafvollzug konnte det Versuch unternommen werden, die aus der Antinomie der Strafzwecke entnommene Vielfalt und Unvereinbarkeit der Vollzugsaufgaben4 durch spezifische Auswahl einer Maxime abzulösen, um das jahrzehntelang den Strafvollzug uneinheitlich, willkürlich und widersprüchlich gestaltende5 „elektrische Nebeneinander"6 aller denkbaren Straf- und Strafvollzugszwecke zu beenden. Die Praxis des Strafvollzuges hatte deutlich gemacht, daß sie in der Auseinandersetzung über die Strafzwecke ebenso einer klaren Standortentscheidung bedurfte wie die richterliche Strafzumessung, deren Grundlagen von Theorie und Gesetzgebung auch nicht ohne eine „die Fronten klärende" Festlegung des vorrangig verfolgten Strafzwecks bestimmt werden konnten 7 . Die legislatorischen Grundentscheidungen fielen für die richterliche Strafzumessung und den Strafvollzug nach langen Kontroversen im Abstand einiger Jahre zwar deutlich, aber unterschiedlich aus. Seit 1. 4. 1970 bestimmt das Gesetz; „Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe" (§13 StGB a. F., § 46 StGB). Zum 1. l, 1977 wurden die Rückfallverhütung als vorrangiges Ziel und die darauf gerichtete Behandlung des Verurteilten als vorrangige Aufgabe des Strafvollzuges gesetzlich bestimmt (§ 2 StVollzG). Die Diskrepanz ist offenkundig, vielfach kritisiert und eine Belastung 4
S. Nr. 57 DVollzO; Grmtau DVoilzO-Komm., 1972, Bern, vor Nr. 57, S. 62; Ruprecht, Die Rechtsstellung des Gefangenen, Tagung s be richte der Scrafvollzugskomm., Bd. 2, 1968, S. 78 ff, 86; CatliessjMüller-Diet^, StrVollzG-Komm,, 3. Aufl. 1982, § 2, Rdn. 4. 5 Müller-Diei^ Stand und Entwicklung der Strafvollzugsreform, ZRP 1970, S. 181 ff, 185; Seebode, Schriftverkehr zwischen Strafgefangenem und Anwalt, MDR 1971, S. 98 ff, 101 m. w. Nachw, 6 Eb. Schmidt, Entscheidungsanm., NJW 1967, S, 2024, 7 Spendel, Zur Lehre vorn Strafmaß, 1954, S. 24; Brmst Strafzumessungsrecht, 2. Aufl. 1974, S, 261; s. auch Aiü/ier-D>et%, Strafvollzugsgesetzge.bung und Straf Vollzugs reform, 1970,5. 113.
1. Gestaltung nach dem strafprozessualen Zweck
111
der Vollzugspraxis8. Für den Untersuchungshaftvollzug ist ähnliches ohne weiteres zu vermeiden. Auch die Untersuchungshaft ist zwar nach einem beherrschenden Grundsatz zu gestalten, wenn nicht Rechtsunsicherheit und Willkür durch beliebige Auswahl einer der mit ihr verfolgten Aufgaben ermöglicht werden sollen. Doch der Beeinflussung des Gefangenen mit dem Ziel, der Kriminalität vorzubeugen, kann bei Gestaltung der Untersuchungshaft im Gegensatz zu der des Strafvollzuges keinesfalls Priorität eingeräumt werden. Es besteht denn auch weitgehend Einigkeit darüber, daß der Untersuchungshaftvollzug in erster Linie vom gesetzlichen Zweck der Haft bestimmt wird und die Vollzugsgrundsätze nicht von der meist strafprozessualen Funktion des Freiheitsentzugs zu lösen sind9. Im Rahmen der strafprozessualen Aufgabe der Untersuchungshaft sind jedoch die weiteren Zwecke und Aufträge ähnlich wie bei der Strafzumessung die hinter dem Schuldausgleich zurücktretenden, aber daneben nach der Spielraumtheorie zu berücksichtigenden Strafzwecke mehr als bisher zur Geltung und untereinander wie mit dem vorrangigen Zweck in Einklang zu bringen. Eine der Stellung des Strafvollzugs rechts vergleichbare Verselbständigung des Untersuchungshaftvollzugsrechts und Lösung des Instituts vom Prozeßrecht, die ein eigenes Gesetz über den Vollzug der Untersuchungshaft nahelegen könnte, sollte also ausgeschlossen sein, der prozessuale Zweck der Untersuchungshaft als erste Maxime für die Gestaltung ihres Vollzugs unbestritten bleiben.
1. Die Gestaltung des Vollzugs nach dem Zweck der Haft
strafprozessualen
Der strafprozessuale Zweck der Untersuchungshaft bestimmt ihren Vollzug, zwar nicht ausschließlich und umfassend, aber die zulässigen Rechtseingriffe in zweifacher Hinsicht. Die Untersuchungshaft muß erstens zweckmäßig durchgeführt werden, wenn sie ihre Funktion erfüllen und nicht sinnlos sein soll. Dies bedeutet, daß über die Entziehung der körperlichen Bewegungsfreiheit hinaus die Rechtseingriffe zulässig sind und sein müssen, die der Haftzweck erfordert. §119 Abs. 3 StPO schreibt zweitens vor, daß über die nach dem Zweck der Haft erforderlichen Rechtseingriffe nicht 8
S. 2, B. j4rfh. Kaufmann, Strafrecht und Strafvollzug, in: Die Strafvollzugsreform, hrsg. v. dems,, 1971, S. 35 ff; Grunau, Auf dein Wege von der Strafanstalt zur Sozialklinik, DRiZ 1971, S. 220 ff, 221; Calliess, Theorie der Strafe im demokr. u. sozialen Rechtsstaat, 1974, S. 52 ff. 9 Anders aber z. B. Mey, Gestaltung der Untersuchungshaft, in; Tagungsberichte der Jugendstrafvollzugskommission, 9, Bd., 1979, S. l ff, 4, 6, 22 f.
112
VI. Grundsätze des Untersuchungshaftvollzugs
hinauszugehen ist10. Die general klau seiartige Befugnis enthält damit eine ebensolche grundsätzliche Beschränkung. § 119 Abs. 3 StPO stellt also eine abschließende Regelung11 in dem Sinne dar, daß alle mit der Untersuchungshaft verbundenen und im Vergleich mit der Rechtsstellung des freien Beschuldigten zusätzlichen Rechtseingriffe nur bei Vereinbarkeit mit § 119 Abs. 3 StPO zulässig sind. Dies gebietet nicht nur der Gleichheitssatz, da andernfalls der verhaftete Verdächtige willkürlich schlechter gestellt wäre als der auf freiem Fuß belassene, sondern die Beschränkung folgt auch aus dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Erforderlichkeit. Sie ergibt sich weiter aus dem Gesetzmäßigkeitsprinzip (Art. 2 Abs. l, Art. 20 Abs. 3 GG), das für jeden staatlichen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit, auch für jede strafprozessuale Zwangsmaßnahme, eine gesetzliche Grundlage verlangt. Diesem Grundsatz hat die Strafprozeßordnung von 1877 schon vor seiner allgemeinen Anerkennung als Rechtsstaatsprinzip12 mit der Formulierung Rechnung getragen, daß „nur" die erforderlichen Beschränkungen dem Verhafteten auferlegt werden dürfen (§ 119 Abs. 3, § 116 Abs. 2 a. E). Die ausdrückliche Einengung auf die Befugnis hatte so lange eine rechtsstaatliche Funktion, wie das mit der Untersuchungshaft begründete besondere Gewaltverhältnis als Rechtsgrundlage für dem Haftvollzug nur dienliche Maßnahmen in Betracht gezogen wurde13, ohne allerdings Bedeutung zu erlangen14, eben wegen §119 Abs. 3 StPO. Seit der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit auch den Vollzug strafrechtlicher Freiheitsentziehung beherrscht und die über Jahrzehnte bekämpfte 15 Rechtsfigur des besonderen Gewaltverhältnisses aufgegeben ist16, erscheint die mit der Befugnis in § 119 Abs. 3 StPO ausdrücklich verbundene Begrenzung rechtlich entbehrlich. Sie ist aber klarstellend, so daß die vorliegenden Entwürfe einer 10
Allerdings stellt §119 Abs. 3 weiter auf das Erfordernis der „Ordnung in der Vollzugsanstalt1' ab; dazu s. unt. Abschn. VII, S. 230ff, 11 So z. B. Kkinknecbt, JZ 1961, S. 265 f; Veit, Rechtsstellung, S. 170 ff; Kreier, NJW 1967, S. 2370; M tiller-Diet^, JZ 1973, S. 131; Wendisch, Lowe-Rosenberg, 24. Aufl., § 119, Rdn. 85; anders u. a. K. Meytr, MDR 1964, S. 725. 12 Zur Entwicklung des Grundsatzes s. Wilh. v. Humboldt, Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen, 1851 (Neudr, 1962, S. 99); ö. Bahr, Der Rechtsstaat, 1864 (Neudr. 1961, S. 2, 62 ff); MeyerjAnschuß, Lehrb. d. dt. Staatsrechts, 7. Aufl. 1919, S. 954 m, Fn. 2. Um die Jahrhundertwende hatte G. Meyer, Lehrb. d. dt. Staatsrechts, 5. Aufl. 1899, S. 799, die seinerzeit h, M. noch mit den Worten wiedergeben können: „Die Verwaltung darf nicht bloß dasjenige tun, wozu sie durch Gesetz ausdrücklich ermächtigt, sondere ailcs, was ihr nicht durch Gesetz untersagt ist". 13 S. z. B. BVerfGE 15,288 ff. 293; E. Kaiser, Aufhebung des Haftbefehls u. Haftentlassung, NJW 1967. S. 866 f; K. Meyer, MDR 1964, S. 724 ff, Baetsgert, Der Vollzug der Untersuchungshaft, 1932, S. 6 ff, 10 f. 14 Vgl. z.B. Veit, Die Rechtsstellung des Untersuchungsgefangenen, 1971, S, 103f; Kreuzer, Die Briefkontrolle in der Untersuchungshaft, GA 1968, S. 236 ff, 240. 15 Vgl. Seebade, MDR 1971, S. 102 m. zahlr. Nachw, 16 BVerfGE 23, t ff, 11,
1. Gestaltung nach dem strafprozessualen Zweck
113
umfassenderen gesetzlichen Regelung des Untersuchungshaft Vollzugs mit Recht daran festhatten („nur) 17 , ebenso wie § 4 Abs. 2 Satz 2 StVollzG. Die klarstellende Fassung des Gesetzes ist auch für die Praxis bedeutsam, der immer wieder das jedenfalls im Kern unumstrittene Prinzip zur Verteidigung des Freiheitsanspruchs des noch nicht verurteilten Beschuldigten entgegenzuhalten ist18 und nach wie vor in Einzelfragen erfolglos entgegengehalten wird. So zeugt es von verhältnismäßig geringem Respekt vor dem durchzuführenden Gesetz19 wie vor der grundsätzlichen freien Entscheidung des Häftlings, daß die Vollzugs praxis in Verfolgung der UVollzO ihm einen „Lebensbedarf* vorschreibt, „der einer vernünftigen Lebensweise entspricht" (Nr. 18 Abs. 2 UVollzO)20, was insbesondere die Freiheit seiner Ernährung einschränkt, die sich wie der Konsum von Genußmitteln (Nr. 51 UVollzO) „im Rahmen einer vernünftigen Lebensweise zu halten hat" (Nr. 50 Abs. 2 UVollzO). Kettenrauchen ist sicher unvernünftig. Doch ebenso sicher rechtfertigt es kein Haftzweck21, sich über die freie Willensentschüeßung des Beschuldigten, sich „unvernünftig" zu ernähren oder „unvernünftig" viel zu rauchen, hinwegzusetzen22. Neben dem Gesetzmäßigkeitsprinzip sind Grundlage der Formulierung das Übermaß verbot (Verhältnismäßigkeit und Erforderlichkeit) und die Unschuldsvermutung. Sie führen zu der in § 119 Abs. 3 StPO normierten Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, die mit der Untersuchungshaft einhergehenden Rechtseingriffe oder das Sonderopfer des Verdächtigen im Rahmen dessen, was der Haftzweck erfordert, so gering wie möglich zu halten. Damit sind zwei sich ergänzende, verwandte und miteinander verbundene, in mancher Hinsicht aber auch zu trennende Regeln und staatliche Verpflichtungen in bezug auf die Gestaltung der Untersuchungshaft angesprochen. Die bisher im Vordergrund stehende und in § 119 Abs. 3 StPO deutlich zum Ausdruck kommende hat eine negative, aussondernde oder abwehrende Funktion; sie besagt, daß die mit der Untersuchungshaft
17
Baumann, Entw. UVollzG, §3 Abs. 1; Döscbl u. a. (Anstaltsleiter), EmwUVollzG, § 4 Satz 2. 18 Vgl. z. B. BVerfGE 19, 342 ff, 347, 19 S. Baumann, DRiZ 1959, S. 379, 20 Ebenso z. B. Müller-Diet%, Hdw. d, Kriminologie, 2. Aufl., hrsgg. v. Sieverts/ Schneider, Bd. 5, Lfg. I, 1983, S. 209 r. Sp. unt. 21 Zur Auffechterhaltung der Ordnung in der Anstalt gem. §119 Abs. 3 StPO s. unt. S, 230 ff, 239, bezüglich Zigarettenkonsum A4. Araät, NJW 1964, S. 855; Baumann bei Sonnemann, Wie frei ist unsere Justiz?, S. 258, Anm. 37. 22 Vgl. schon Kern, Schutz des Lebens, der Freiheit und des Heims, in: Neumann u. a., Hrsg., Die Grundrechte, Bd. 2, 1954, S. 54ff, 78; Hennerkes, Die Grundrechte des Untersuchungsgef., S. 129 f; Baumann, EntwUVollzG, Begr. zu §18, S. 45; dirs. bei Sonnemann aaO. (vorige Fn.) S. 161, 163; Arndt\v. Ohhaustn, Grenzen staatl. Zwangsbefugnisse gegenüber Untersuchungshäftlingen, juS 1975, S. 143 ff, 146; Wendistb, LöweRosenberg, StPO, 24. Aufl., § 119, Rdn. 128.
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VI. Grundsätze des Untersuchungshaftvollzugs
verbundene Änderung der Lebensgestaltung des Beschuldigten und Rechtseingriffe auf das zur Erreichung des Haftzwecks Erforderliche zu beschränken sind (status negativus des Untersuchungsgefangenen23). Darauf soll hier zunächst eingegangen werden. Die zweite, in §119 Abs. 3 StPÖ ebenfalls enthaltene, wenn auch weniger deutlich zutagetretende Funktion, im Hinblick auf die Unschuldsvermutung, das Übermaßverbot und das bei jeder strafprozessualen Maßnahme selbstverständlich zu beachtende Gebot, nicht kriminaiitätsfördernd, sondern kriminalitätsbekämpfend auch derart zu wirken, daß ihr Schaden für den betroffenen Einzelnen wie die Gesellschaft gering ist, und nach dem Haftzweck erforderliche Maßnahmen so weit wie möglich zu mildern, kann als positive bezeichnet werden. Denn sie führt zu einer Leistungspflicht (status positivus23 des Untersuchungsgefangenen) der staatlichen Strafrechtspflege mit dem Ziel, aktiv dazu beizutragen, daß sich die Haft möglichst nicht schädigend auswirkt und die mit ihr verbundene Aufopferung des als unschuldig zu betrachtenden Verhafteten so gering wie möglich gehalten wird. Darauf ist nach Erörterung der Abhängigkeit aller mit dem Vollzug der Untersuchungshaft verbundenen Rechtseingriffe vom Haftzweck zurückzukommen. Über den Grundsatz, daß der Haftzweck Art, Zahl und Ausmaß der dem Verdächtigen im Vollzug auferlegten Beschränkungen seiner allgemeinen Handlungsfreiheit bestimmt, besteht Einigkeit. Sie ist jedoch vordergründig. Denn seit bald hundert Jahren ist umstritten, was § 119 (§116 a. F.) StPO mit „Zweck der Untersuchungshaft" meint. Die gesetzliche Formulierung ist mißverständlich. Denn das eigentliche strafprozessuale Institut der Untersuchungshaft verfolgt mehrere, engere und weitere oder primäre und sekundäre Zwecke. Wie jede strafprozessuale Maßnahme dient sie der Wahrheitsflndung und der Verwirklichung des materiellen Straf rechts, letztlich der Gerechtigkeit und den Erfordernissen eines rechtlich geordneten Zusammenlebens. Ihr demgegenüber schon engerer Zweck ist deshalb die Sicherung des Strafverfahrens. Dieser dient sie mit dem primären Zweck, Flucht des Verdächtigen oder Verdunkelungshandlungen zu verhindern. Bezüglich der Präventivhaft nach § 112 a StPO allerdings scheint § 119 Abs. 3 StPO eindeutig zu sein. Denn sie hat keinen anderen Zweck als den, Straftaten des Verdächtigen vorzubeugen und damit die Allgemeinheit vor dem Verdächtigen zu schützen24. Daraus ergibt sich, daß es keinen, auch keinen sekundären gemeinsamen Zweck der traditionellen Untersuchungshaft und der Präventivhaft gibt. Wird die Zulässigkeit von Rechtseingriffen wie in dem von den Anstaltsleitern vorgelegten Entwurf eines In Anlehnung an Geergjellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2, Aufl. 1905, S. 94 ff. 24 S. ob. S. 74 ff zum Wesen der Vorbeugehaft und unten c), S. 117; d), S. 117ff, zum Versuch, auch bei ihr die Zulässigkeit von Rechts ein griffen nicht nut aus ihrem speziellen Zweck zu begründen.
1. Gestaltung nach dein strafprozessualen Zweck
5
Gesetzes über den Vollzug der Untersuchungshaft zwar von dem Haftzweck der Sicherung des Strafverfahrens25, nicht aber auch von dem, Straftaten des Verdächtigen zu hindern26, abhängig gemacht, bleibt eine Regelung des Vollzugs der Vorbeugehaft wenigstens zum Teil ausgespart, es sei denn, man sieht auch in ihr eine das Verfahren sichernde Maßnahme27, Auf welchen Haftzweck §119 Abs. 3 StPO bei Flucht- oder Kollusionshaft abstellt, ob auf den jeweiligen engeren, Flucht oder Verdunkelung zu verhindern, oder auf den umfassenden, das Verfahren zu sichern, ist dem Gesetzeswortlaut allein nicht mit Sicherheit zu entnehmen, wenn auch mit dem Singular („der Zweck der Untersuchungshaft", §119 Abs, 3 StPO) im Zusammenhang mit der Tatsache, daß es keinen gemeinsamen Zweck aller drei Haftarten gibt, bereits deutlich wird, daß auf den jeweiligen abzustellen sein wird und nur die „im konkreten Fall"28 erforderlichen Maßnahmen zulässig sind28. In Rechtsprechung und Lehre werden jeweils mehrere und nicht immer ohne Mühe zu trennende Auffassungen vertreten. Neben die Meinung, der allgemeine Haftzweck Verfahrenssicherung sei entscheidend, treten zwei Interpretationen, die zwar gemeinsam auf den konkreten Zweck der jeweiligen Haft abstellen, darunter jedoch verschiedenes verstehen, einmal lediglich den Zweck, der dem im Haftbefehl benannten Haftgrund entspricht, zum ändern zusätzlich den Zweck, der aus einem im Haftbefehl auch nachträglich nicht genannten Haftgrund folgt, wenn dessen Voraussetzungen sich während des Vollzugs ergeben und zum Zeitpunkt der Vollzugsmaßnahme vorliegen. a) August von Kries hat bereits 1892 gelehrt, der Haftzweck ergebe sich aus dem im Haftbefehl genannten Haftgrund, so daß die Zulässigkeit der dem Verhafteten auferlegten Beschränkung jeweils vom Haftgrund abhinge. Dieselbe Auffassung vertraten u. a. Liepmann, Rosenberg, ausführlich Klee, weiterhin z. B. Lobe und A/sberg29. In neuerer Zeit wird sie z. B. geteilt von
25
Dosfhl u. a., EntwUVoIlzG, § 4 Satz 2. Der die „Aufgaben des Vollzugs" beschreibende § 2 des Gesetzentwurfs der Anstaltsleiter (vorige Fn.) bezieht die Präventivhaft ein. Die aus § 112 a StPO übernommene Formulierung „Gefahr weiterer Straftaten" ist wegen der Unschulds Vermutung hier wie dort wenigstens bei Verhaftungen nach § 112a Abs, l Nr. l StPO mißlich, weil sie ebenso wie die Bezeichnung „Haftgrund der Wiederholungsgefahr" den Eindruck erwecken kann, der nur Verdächtige werde als der „Anlaßtat" bereits überführt angesehen. 21 Baumann hat die Aufgabe der Vorbeugehaft nicht in seinen (durch den Klammerzusatz etwas sibyllinisch geratenen) § 2 eines EntwUVoüzG aufgenommen, wonach die Untersuchungshaft „der Durchführung des Strafverfahrens bei Vorliegen von Haftgründen (§§ 112, 112 a StPO)" dienen soll, oder seine dezidierte Auffassung, die Vorbeugehaft sei prozeßfremd (Bau/vann, JZ 1969, S. 135, 139) aufgegeben. Zum Charakter der Vorbeugehaft und zum Streitstand s. ob. S, 74ff zur Kurnulierung der Haftzwecke unt, S. 131 f, ™ Vgh zum Gesetzeswortlaut BVerfGE 35, 288 ff, 297 unt. 29 A. v. Kries, Lehrb. d. Dt. Strafprozeß rechts, 1892, S. 322; Liepmann, MittIKV NF III (1928), S. 138; Rosenberg, ZStW 26. Dd. (1906), S. 387 f, ders., JW 1925, S. 1447; 26
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VI. Grundsätze des Untersuchungshaftvollzugs
Karl Peters, Rüping, Baumann, Calliess und Müller. Der Arbeitskreis Strafpro^eßreform will sie de lege ferenda präzisiert wissen31. In der Praxis ist sie ohne Bedeutung. b) Eine verbreitete Meinung, die zwei Entscheidungen des Reichsgerichts folgt und die die Praxis beeinflußt, entnimmt den Haftzweck zwar ebenfalls zunächst dem im Haftbefehl genannten Haftgrund, läßt aber zur Zweckbestimmung weiter auch einen Haftgrund genügen, auf den der Haftbefehl nicht gestützt ist, wobei z. T. verlangt wird, daß Tatsachen gegeben sein müssen, die eine Erstreckung des Haftbefehls auf den weiteren Haftgrund zuließen32. Nach anderer Ansicht sollen für eine Verhaftung nicht ausreichende Anhaltspunkte, die im konkreten Fall für eine Gefahr
Kitt, Der Vollzug der Untersuchungshaft, GA 55 (1908), S. 257 ff, 277 f (einschränkend womöglich S. 279); LobtjAhberg, Die Untersuchungshaft, 1927, g 116, Anm. I I , S. 50; Aisberg, Untersuchungshaft — Gesetzentwurf nebst Begründung, Die Justiz I, 1925/26, S. 166 ff, 175; ebenso Zucker, Die Reform bedürftigkeit der Untersuchungshaft, 1879, S. 124f; - , Reform der Untersuchungshaft, 1897, S, 6, 25, 28; Hetspl, Die Untersuchungshaft erc., 1899, S. 36 f, 42; Löwenstein, in: Aschrott, Hrsg., Reform des Strafprozesses, 1906, S, 280 f; Mannheim bei Nipperdey, Hrsg., Die Grundrechte etc., I. Bd. 1929, S. 338; Beetigea, Der Vollzug der Untersuchungshaft, 1932, S, 3, 5, 12, 29 ff, 33. 30 Peiers, Strafprozeß, 3. Aufl. 1981, S. 406; Raping, Theorie und Praxis des Strafverfahrens, 1979, S. 90; 2. Aufl. (Das Strafverfahren) 1983, S. 70; Baumann, EntwUVollzG, 1981, S. 21, Begr. zu § 3 E; S. 47, Begr. zu § 19 E; CalliessIMülier^Diet^, StVollzG-Komm., 3. Aufl. 1983, § 122, Rdn. 3; Müller-Diet^, S traf verteidige r 1984, S. 82, 83; ebenso Fetst) Jwster, AltKommStVollzG, 2, Aufl. 1982, § 122, Rdn. 3; Veit, Die Rechtsstellung etc., 1971, S. 48; ders.t MDR 1973, S, 279; W. Kitin, Rechtsgrundlagen für Grundrechtseinschrä'nkungen etc.; Diss. Münster 1973, S. 10 ff; Hennerkef, Die Grundrechte des Untersuchungsgefangenen, Diss. Freib. I960, S. 80 f, 119 ff; Staber, Rechtl. Probleme der Untersuchungshaft etc., Diss. Münch. 1962, S. 47; Jaaßea, Die Stellung der Untersuchungsgef. etc., Hamb. Diss. 1956, S, 20 f; LG Braunschweig, NJW 1951, S. 326; Nr. l Abs. l UVollzO 1953/1971; s. auch Scbäkr-Springorum, Strafvollzug im Übergang, 1969, S. 257 mit Fn, 61. Dünnebier und Wendisch teilen die Ansicht, daß der Haftbefehl mit dem Haftgrund den Haftzweck festlege, ebenfalls grundsätzlich (Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., § 119, Rdn. 38, 24. Aufl., Rdn. 29), aus noch zu erörternden Gründen jedoch nicht die Folgerung, daß die Rechts eingriffe entsprechend zu differenzieren seien; dazu unten S. 133 f. 31 Arbeitskreis Strafpro^eßreform, Ameiung, Be mmann u, a., Die Untersuchungshaft, 1983, S, 53 ff, dabei läßt die Entwurfsbegründung (S. 54 f) zweifeln, ob die Auffassung bereits de lege lata vertreten wird. S. auch Franke, Tagungsb, JugendStrVollzk., 9. Bd., S. 48. 32 RGSt. 56, 86 f; OLG Bremen, NJW 1962, S. 649; Dännebier und Wendisch aaO. (wie ob. Fn. 30); H. W. Schmidt, SchlHA 1964, S. 274; Sfbora, JR 1967, S, 450; Krohn, Die Regelung des Briefverkehrs in der Untersuchungshaft, Hamb. Diss. 1971, S. 72 f; Müller in KMR, 7. Aufl. 1980, § 119, Rdn. 13; Bwjongin KarlsrK, 1982, § 119, Rdn. 12; KUinhuchtl Jamschowsky, Das Recht der Untersuchungshaft, S. 114, Rdn. 354; Grunau, UVollzOKomm. Rdn, 3 zu N r, l; Deny i, Üb ermaß verbot u. strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, Heidelb. Diss. 1969, S. 128; Bottks, Suizid u. Strafrechc, 1982, S. 221.
l, Gestaltung nach dem strafprozessualen Zweck
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der Verdunkelung, Wiederholung oder Flucht sprechen, den aus dem Haftbefehl ersichtlichen jeweiligen Haftzweck entsprechend erweitern33, c) Die letztgenannte Ansicht stellt zwar theoretisch noch auf konkrete Haftzwecke des Einzelfalls ab, nähert sich aber in der praktischen Anwendung sehr der weiteren Auffassung, die eine Beschränkung der Freiheiten des Untersuchungsgefangenen zuläßt, wenn der Flucht- und Kollusionshaft gemeinsame Zweck der Verfahrenssicherung sie erforderlich erscheinen läßt34. d) Im Ergebnis entspricht auch dem die allerdings weitergehende Meinung, die jeden Rechtseingriff zuläßt, der nach irgendeinem der Haftzwecke erforderlich zu sein scheint, die sich aus den gesetzlichen Haftgründen entnehmen lassen35, und zwar bei jeder Haft, auch bei der Prä'ventivhaft, und ohne daß sich im Einzelfall konkrete Anhaltspunkte für einen der im Haftbefehl nicht benannten Haftgründe ergeben. Denn nach den einzelnen Zwecken wird nicht mehr differenziert36, und es wird auch nicht auf den Zweck der Verfahrenssicherung zurückgegriffen, der die Präventivhaft ohnehin nicht erfaßt. Vielmehr wird davon ausgegangen, genauer: widerlegbar vermutet, jede Untersuchungshaft bringe auch die Haftgründe mit sich, die nicht zu ihrer Anordnung geführt haben37, diene also grundsätzlich allen Haftzwecken, so daß die Kollusionshaft auch immer Fluchtbestrebungen zu begegnen habe, die Fluchthaft auch gleichzeitig Verdunkelungsbemühungen und die Präventivhaft beiden. Diese Auffassung beherrscht die Vollzugs-
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RGSt. 48, 65; Härtung, Wieweit sind Maßnahmen der Gefängnis Verwaltung bei Untersuchungs- und Strafgefangenen der richterlichen Aufsicht zu unterwerfen?, ZStW 55. Bd. (1936), S. 222ff, 228 ff; Dallingtr, Emscheidungsanm., MDR 1951, S. 121; Scblücbter, Das Strafverfahren, 1983, S. 223, Nr. 229. 34 So besonders deutlich Nr. l Abs. l UVoilzO und der Gesetaentwurf der Anstaltsleiter, s. Döschl u. a., EntwUVoliG, 4; s. weiter JeacbimskilPfeff, Untersuchungshaft u. Strafvollzug, S. 109; Eb. Schmidt, Lehrk. StPO, Nachtrag 1967, § 119, Rdn. 20, 6; KG, JR 1967, S. 429 f. 35 Feisenberger bei Aschrott, Hrsg., Reform des Strafprozesses, 1906, S. 222ff; 265; KltmknethtlMeyer, StPO, § 119, Rdn. 12; Metzger, Der Status des Untersuchungsgef., S. 56; Bähm, Strafvollzug, S. 202; Driewer, Die verfassungsrechtl. Bindungen bei der Beschränkung des Post Verkehrs etc., Bochumer Diss. 1969, S. 181; Habtrsfroht Jura 1984, S. 234. x Dies scheint der BGH in einer nach KkinkneebtlJamubowskj (Das Recht der Untersuchungshaft, Rdn. 354, S. 113, Fn. 39) zitierten, unveröffentlichten Entscheidung vom 3. 9. 1975 mit dem Satz ausgesprochen zu haben: „Der Umstand, daß der Haftbefehl gegen den Beschuldigten nicht auch auf Verdunkelungsgefahr gestützt ist, hat mit dem Umfang der nach § 119 Abs, 3 zulässigen Maßnahmen nichts zu tun", 37 Ftisenbtrger bei Aschrott aaO. S. 265; Dünnebier bei Löwe-Rosenbetg, StPO, 23. Aufl., § 119, Rdn. 38; Wendisch ebda., 24. Aufl., Rdn. 29; OLG Hamburg, NJW 1967, S. 1973 f; OLG Stuttgart, MDR 1973, S. 335; s. auch schon v. Holländer//, Sicherungsmaßregeln etc., in: v. Holtzendorff, Hrsg., Hdb. d. deutsch. Strafprozeß rechts, 1879, Bd. l, S. 307ff, 355; u. z. B. § 177 Abs. 2 BadStPO 1864.
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VL Grundsätze des Untersuchungshaftvollzugs
praxis. Sie ist die Grundlage des undifferenzierten, grundsätzlich nicht nach den konkreten Erfordernissen des Einzelfalles gestalteten Vollzugs, wie ihn auch die Untersuchungshaftvollzugsordnung seit eh und je durchgängig vorsieht, obwohl sie i. d. F. vom 12.3.1953 und voml, 3. 1971 bis 31. 12. 1970 die Haftzwecke von den Haftgründen abhängig sah, „soweit diese Grund der Anordnung waren" (Nr. l Abs. l UVollzO a. F.). Die Neufassung der UVollzO vom 15. 12. 1976 stellt mit Wirkung vom l, 1. 1977 mit ihrer Nr. l in weitgehender Anpassung an den übrigen Text und an die Praxis nur noch auf die Zwecke der Verfahrenssicherung und der Vorbeugehaft ab. Mit der Streichung des einschränkenden und zitierten „soweit"-Satzes wird in Umkehrung der zuvor zum Ausdruck gekommenen Rechtsansicht, die wie die oben unter a) dargestellte Auffassung den im Haftbefehl benannten Haftgrund gem. § 119 Abs. ,3 StPO für die Zulässigkeit der Beschränkungen entscheidend sein ließ, nunmehr, nur mit der Möglichkeit einer Abweichung im Einzelfall, allgemein unterstellt, bei Kollusionshaft sei auch einer Fluchtgefahr und bei Fluchthaft einer Kollusionsgefahr zu begegnen, Die Vorbeugehaft wird wie Flucht- und Kollusionshaft vollzogen. So läßt die Praxis z. B. grundsätzlich den Besuch aller Häftlinge überwachen (Nr. 27 Abs. l UVollzO), auch bei Flucht- oder Vorbeugehaft den Besuch gegebenenfalls abbrechen, „wenn ... der Inhalt der Unterredung im Hinblick auf das Strafverfahren ... bedenklich erscheint" (Nr. 27 Abs. 3 UVollzO); sie beschränkt Häufigkeit und Dauer der Besuche generell (Nrn. 24, 25 UVollzO)38, verpflichtet jeden Gefangenen, nur von der Anstalt gestelltes und vermitteltes Briefpapier zu verwenden (Nr. 29 Abs. l S. 5 UVollzO)39, überwacht ein- und ausgehende Schreiben aller Häftlinge gleichermaßen (Nrn. 30 ff UVoüzO) und läßt unabhängig vom konkreten Haftzweck angesichts einer generell unterstellten Gefahr der Verdunkelung oder Fluchtvorbereitung jedes etwa genehmigte Telefongespräch eines jeden Gefangenen mithören (Nr. 38 UVollzO), Mangels grundsätzlicher Differenzierung des Untersuchungshaftvollzugs nach dem jeweiligen Haftgrund bewirkt die Existenz des Haftgrundes der Verdunkelungsgefahr, obwohl er nur verhältnismäßig selten richterlich angewandt wird40, Rechtsbeschränkungen aller deutschen Untersuchungsgefangenen, die dem Vollzug der Länder, in denen Kollusionshaft nicht verhängt wird oder die Ausnahme ist, kaum bekannt sind. Dies belegt, daß bei Fluchthaft ohne sie auszukommen ist, die der Kollusionsgefahr begegnenden Maßnahmen also nicht gleichermaßen zur Verhinderung der Flucht erforderlich sind. So steht den Untersuchungsgefahrenen z, B, im „Metropolitan Cor-
38 w 40
S. näher unt. Abschn. Vl/2 e) aa) (5), S. 164ff. S, Grunatt, UVolizO-Komm., Rdn, l zu Nr. 29, S. 76. S. ob. Abschn. 1/4 c), S. 24.
1. Gestaltung nach dem strafprozessualen Zweck
119
rectional Center" von New York City 41 , das als Untersuchungshaftanstalt, aber auch dem Vollzug kurzer Freiheitsstrafen dient, in den GefangenenAufenthaltsräumen (zugänglich von 6.30 bis 23 Uhr), die jeweils für eine Gruppe von Zellen oder Schlafsälen geschaffen sind („functional units"), Münzfernsprecher zur Verfügung. Im „Spokane County Jail" des USStaates Washington z. B. haben die Zellen der Untersuchungsgefangenen gar eine Anschlußmöglichkeit für bewegliche Telefongeräte. Die Gespräche können aus jeder Anstalt mit jedermann gefuhrt werden und werden hier wie dort ebensowenig mitgehört wie die Gespräche der Gefangenen mit Besuchern42. Brief- und Paketpost wird nur daraufhin kontrolliert, ob verbotene Gegenstände oder Drogen eingeschmuggelt werden sollen. Auch im englischen Untersuchungshaftvollzug wird die Korrespondenz der Gefangenen grundsätzlich nicht kontrolliert43, obwohl das englische Haftrecht entgegen manchen Literaturstimmen44 sehr wohl Kollusionshaft kennt 45 , Diese anglo-amerikanische Vollzugspraxis läßt auch das deutsche Gesetz zu, ja es gebietet sie als Regelforrn in Fällen der Flucht- und der Vorbeugehaft, Es ist also der vertretenen, wenn auch der Praxis widerstreitenden Rechtsansicht zu folgen, die oben unter a) dargestellt ist und die Vollzugsgestaltung an dem aus dem konkreten Haftgrund folgenden Haftzweck ausrichtet, also den Untersuchungshaftvollzug funktional zu differenzieren gebietet, und zwar aus mehreren Gründen. Bereits die Motive zum Entwurf der Strafprozeßordnung bringen zum Ausdruck, daß § 119 StPO eine Gestaltung der Untersuchungshaft nach ihrem jeweiligen Zweck bewirken soll46. Denn dort ist zur Begründung der Regelung die Untersuchungshaft als eine Maßnahme bezeichnet, „welche lediglich die Sicherung der Person des Beschuldigten oder die Verhütung von Kollusionen bezweckt", und angefügt: „Die Rücksicht auf die Erreichung des letzteren Zweckes kann es nötig machen, dem Beschuldigten den Verkehr mit der Außenwelt entweder gänzlich zu untersagen, oder nur in beschränkter Weise zu gestatten."47 41
S. näher Department of Justiit, Nea>. York, N. Y., Metropolitan Correctional Center, 1975; Metropolitan Correctional Center, Guidelines for New York MCC Inmates (o. D., 1978). 42 S. Washington State Jail Commission, Custodial Care Standards for Holding, Detention and Correctional Faculties, 1982, 43 B. Huber, in: Jescheck/Krümpelmänn, Untersuchungshaft etc., 1971, S. 134 ff, 176. 44 Hetyi, Die Untersuchungshaft etc., 1899, S. 23; Dabs, NJW 1959, S. 510; S(bmidtLeiehner, NJW 1961, S. 339; Frhr. v. Stackelberg, Zur Reform des Strafprozeßrechts, juristen-Jahrb, 2, 1961/62, S. 182. 45 Habenscht, Engl, Haftpraxis und Haftgrund der Wiederholungsgefahr, JR 1964, S. 401 ff; B, Huber bei Jeseheck/Krürnpeirnann, Die Untersuchungshaft etc., S, 145, 166. « So z, B. auch Heikel aaO. S. 36; Baet^gt» aaO, S. 12; Bes>i aaO. S. 28; Janßen aaO, S. 21; Klee, GA 55 (1908), S. 278. 47 Hakn-Stegemann, Die ges. Materialien zur StPO, Bd. l, 1885, S. 132; s. auch Hetiaiur, ebda., Bd. 2, 1886, S. 1280.
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VI. Grundsätze des Untersuchimgshaftvolizugs
Das Gebot einer differenzierten, weit zur Sicherung des konkreten Haftzwecks vollzogenen Untersuchungshaft folgt weiter aus dem Zusammenhang der gesetzlichen Regelung des Vollzugs mit dem Recht der Haftanordnung, dem materiellen Haftrecht, Denn dieses ist die Grundlage des Vollzugsrechts. Vollstreckung des Haftbefehls und Vollzug der Haft verwirklichen die richterliche Entscheidung. Ihr Zweck bindet deshalb den Untersuchungshaftvonzug. Während der Zweck der Strafe nicht gesetzlich festgelegt ist und deshalb die sog. Dreisäulen-Theorie4* es ermöglichen konnte, Aufgabe und Gestaltung des Strafvollzugs von den die Strafandrohung und die Verurteilung bestimmenden Zweckgedanken unabhängig zu sehen, legen §§ 112f StPO fest, warum ein Haftbefehl ergeht und welchen Gefahren die Verhaftung begegnen soll. Dabei wäre es verfehlt, auf die allgemeine Gefahr für eine ordnungsgemäße Durchführung des Strafverfahrens oder für die Verwirklichung der Gerechtigkeit abzustellen, und zwar nicht nur, weil damit die besondere Gefahr, der mit dem Haftbefehl nach 5 112 a StPO entgegengewirkt wird, nicht erfaßt wäre, sondern vor allem, weil das Gesetz mit seinen drei unterschiedlichen Haftgründen keine Verhaftung zur allgemeinen Verfahrenssicherung oder allgemein zur Sicherung der Gesellschaft zuläßt, sondern nur, um einzelnen oder bestimmten Gefahren vorzubeugen. Es unterscheidet bereits das materielle Haftrecht den Haftbefehl zur Verhinderung der Flucht, den zur Verhinderung von Verdunkelungshandlungen des Verdächtigen und den zur Verhinderung bestimmter Straftaten. Nur dieser jeweilige Haftbefehl kann vollstreckt werden. Auf ihn gründet sich der Vollzug der Untersuchungshaft, ihm zu genügen ist ihre Aufgabe. Weil der Vollzug die Haftanordnung verwirklicht, knüpft § 119 Abs. 3 StPO an §§ 112 f StPO an und verlangt folgerichtig eine Gestaltung der Haft, die der mit dem Haftbefehl bejahten Gefahr begegnet. Andernfalls müßte die den Vollzug bestimmende Vorschrift, wie es im österreichischen Strafverfahrensrecht der Fall ist45, zum Ausdruck bringen, daß sie den zwingenden Zusammenhang zum Nachteil des Beschuldigten negiert und die bei der Haftanordnung nach dem Gesetz zu treffende Unterscheidung für die Durchführung einer einmal angeordneten Haft mit der Folge aufgibt, daß eine beispielsweise als Fluchthaft angeordnete Freiheitsentziehung auch als Kollusionshaft und jede Untersuchungs48
S, schon M. E, Mayer, Strafrecht, Allg. Teil, 1915, S. 419; u. weiter z. B. Würtenberger, Ziel des Strafvollzuges, int Tagungsber, d. Strafvollzugskommission, 6. Bd,, 1969, S. 72 ff, 76 f; Schüler-Springprum, StrafVollzugsrecht, in: Badura u. a. (Hrsg.), Recht (Fischer-Lexikon), 1971, S, 247; Müller-Diet^ Strafvollzugsrecht, 2. Aufl. 1978, S. 23 f; Böhia, Strafvollzug, 1979, S. 39; Kaiser in Kaiser u. a. (Hrsg.), Strafvollzug, 3. Aufl. 1982, S. 25 f; krit. vor allem Arth. Kaufmann, Die Strafvollzugsreform, 1971, S. 35 ff; Grunäu, DRiZ 1971, S, 221. 49 Vgl. § 184 österr. StPO 1975, g 183 StPO a, F. u. s, dazu schon Zucker, Reformbedürftigkeit, S. 123 ff; Klee, GA 55 (1908), S. 278; s, aber auch die Sonderregelung für Kollusionshaft in §45 Abs. 3 österr. StPO 1975.
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121
haft gleich zu vollziehen wäre, was im Hinblick auf den in diesem Zusammenhang noch zu behandelnden Verfassungsgrundsatz der Erforderlichkeit 50 im übrigen als zusätzlich notwendiges Sonderopfer des Verdächtigen weiterer Begründung bedürfte. Im Gegensatz zu einer solchen Vorschrift ergibt sich aus unserem Haftrecht vielmehr, daß der konkrete, im Haftbefehl benannte Haftgrund den Zweck der Haft bezeichnet und die gesetzliche Regelung einen differenzierten Vollzug fordert. Die aus dem selbstverständlichen Zusammenhang des §119 StPO mit §§ 112, 112 a StPO sich ergebende Auslegung wird dadurch bestätigt, daß das Recht der Untersuchungshaft durchgängig der Unterscheidung nach Haftgründen folgt (§§ 113, 114, 116,122a StPO). Lediglich zwei Vorschriften könnten daran zweifeln lassen. Nach §114b Abs. 2 StPO ist dem Verhafteten unabhängig von der amtlichen Pflicht, einem Angehörigen des Verdächtigen oder einer Person seines Vertrauens Mitteilung von der Verhaftung zu machen (Art. 104 Abs. 4 GG, § 114 b Abs. l StPO}, Gelegenheit zu geben, selbst eine solche Benachrichtigung vorzunehmen, „sofern der Zweck der Untersuchung dadurch nicht gefährdet wird". Die 1926 eingefügte Vorschrift (§114a StPO a. F.) ist zwar seit Inkrafttreten des Grundgesetzes wegen der seitdem bestehenden amtlichen Benachrichtigungspflicht (Art. 104 GG) und angesichts des Rechts eines jeden Gefangenen, jederzeit mit der Außenwelt schriftlich in Kontakt zu treten, von nur noch geringer Bedeutung 51 . Doch könnte aus § 114 b Abs. 2 StPO und der gesetzlichen Formulierung „Zweck der Untersuchung" gefolgert werden, die Rechte des Untersuchungsgefangenen seien, wenn schon der sog. Zugangsbrief wegen einer Gefährdung des Untersuchungszwecks zu unterbleiben habe52 oder nicht an den gewünschten Empfänger gerichtet werden dürfe, erst recht im allgemeinen nur insoweit gegeben, als sie den im Vergleich zürn konkreten Zweck der Untersuchungshaft umfassenderen 53 Zweck der Untersuchung nicht gefährdeten54. Diese Auffassung wäre verfehlt. Denn sie setzte die Formulierung der Special Vorschrift des § 114b Abs. 2 StPO an die Stelle der in §119 Abs. 3 StPO verwandten, die unstreitig einen anderen Inhalt hat und in der allgemeinen Norm zur Regelung des Untersuchungshaftvollzugs 50 51
S. um. S. 123ff.
Wendisch bei Löwe-Rosenberg, 24. Aufl., § 114h, Rdn. 22, Entgegen dem Wortlaut des § 114b Abs. 2 StPO soll dem Verhafteten die Benachrichtigung nach verbreiteter Lehre keinesfalls untersagt werden dürfen {Wendisch aaO. Rdn. 25; Botyoag, KK, § 1Mb, Rdn. 9, Müller, KMR, 7. Aufl., § 114b, Rdn. 5), da die Haft nicht geheimgehalten werden darf. Das verhindern aber bereits Art. 104 GG und § 114 b Abs. l StPO. 53 KleinhiechtIMeyer, StPO, 36. Aufl., §114b, Rdn. 7; Härtung, Untersuchungshaft, § 114 a, Anm. 5. 54 So wohl Datltfiger, MDR 1951, S. 121. 52
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VI. Grundsätze des Untersuchungshaft Vollzugs
enthalten ist. Unabhängig davon, ob man den Sinn des § 114 b Abs. 2 StPO darin sieht, den sog. Zugangsbrief nicht den Beschränkungen des § 119 Abs. 3 StPO zu unterwerfen, sondern ausschließlich solchen, die eine Gefährdung der Untersuchung hindern sollen55, so daß gegen Dritte gerichtete Untersuchungsmaßnahmen (Verhaftung von Komplizen, Durchsuchungen, Beschlagnahmen) nicht durch Warnung vereitelt werden56, oder darin, den Zugangsbrief über § 119 Abs. 3 StPO hinaus zusätzlichen Beschränkungen zu unterwerfen 57 , handelt es sich um eine lediglich die Nachricht von der Verhaftung betreffende Regelung. Für die (kurze) Zeit, da die Verhaftung trotz der amtlichen Benachrichtigungspflicht (Art. 104 Abs. 4 GG, § 114 b Abs. l StPO) bestimmten Personen gegenüber geheimgehalten werden kann, ist die Sonderregelung getroffen, um in dieser Zeit durchzuführende und also unmittelbar an die Verhaftung anschließende kriminalistische Maßnahmen, die sowohl den Inhaftierten wie Dritte betreffen, aber durch die Mitteilung von der Verhaftung vereitelt oder beeinträchtigt werden können, zu sichern. Rückschlüsse auf den in §119 Abs. 3 verwandten Begriff des Zwecks der Untersuchungshaft läßt § 114-b StPO ebenso wenig zu wie eine Einschränkung der Feststellung, daß das Recht der Untersuchungshaft grundsätzlich nach den Haftgründen differenziert ist. § 124 Abs. l StPO läßt eine Kaution, die auch in den Fällen der Kollusions- und der Vorbeugehaft und zur Abwendung des Vollzugs gestellt werden kann (§116 Abs. 2, 3 StPO), an die Staatskasse fallen, „wenn der Beschuldigte sich der Untersuchung ... entzieht". Der vom Wortlaut des Gesetzes erweckte Eindruck, jede Haft diene wenigstens auch dazu, die Anwesenheit des Beschuldigten im Verfahren zu sichern, trügt. Unstreitig ist § 124 Abs. l StPO nur auf die Fluchthaft zugeschnitten58, so daß bezüglich des Verfalls der in den übrigen Fällen geleisteten Sicherheiten wegen der Unterschiedlichkeit der Haftzwecke und -arten folgerichtig eine Regelungslücke59 angenommen wird, die sich daraus erklärt, daß der Gesetzgeber in § 124 StPO an die frühere Regelung angeknüpft hat, die lediglich bei Fluchtgefahr Haftverschonung kannte (§117 StPO a. F.)60. Auch § 124 spricht demnach nicht dagegen, die Abhängigkeit des Haft-
55
Wtndhib aaO, Rdn, 22; ähnl,, aber nicht widerspruchsfrei Viit, Rechtsstellung, S. 43 f; vgl. auch LobtlAisberg, Untersuchungshaft, § 114 a, Anm, III. 56 Veit aaO.; LabejAJsberg aaO. (Jew, vorige Fn.). 57 Härtung aaO, § 114 a, Anm, 5; ebenso wohl auch KkinkfiechtlJattischowsky, Das Recht der Untersuchungshaft, Rdn. 167; KleinkfiechtlMejer aaO. g 114b, Rdn, 7. SB Wenawh aaO. g 124, Rdn, 21; &>e/eag, KK, § 124, Rdn. 5; § 116, Rdn. 19; Kleinkneehtj Janisehwsky aaO. Rdn. 222, 200. 59 Kkinh}Kbt\Janis(howsky aaO,; s, auch Boujong aaO. (Jew, wie vorige Fn.). M OLG Hamburg, NJW I960, S, 1329.
1. Gestaltung nach dem strafprozessualen Zweck
123
zwecks vom jeweiligen Haftgrund dem Zusammenhang der §§ 112ff mit § 119 StPO zu entnehmen. Schließlich folgt aus dem mit Verfassung»rang ausgestatteten Übermaßverbot, das auch das gesamte Recht der Untersuchungshaft beherrscht, daß Zweck der Untersuchungshaft i. d. S. § 119 Abs. 3 nur der jeweilige und konkrete Haftzweck zu sein vermag61. Denn das Übermaßverbot bestimmt nicht nur die durch Entscheidungen der Rechtsprechung oder durch Maßnahmen der Exekutive in Anwendung der Gesetzte bewirkten Eingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit des Einzelnen. Es bindet jedes staatliche Handeln62, also auch den Gesetzgebet63, hat einen „über die einzelne Geset2esnorm hinausreichenden Anspruch auf allgemeine Gültigkeit"64 und beeinflußt derart die Auslegung des Gesetzes65, hier des § 119 Abs, 3 StPO. Als „magna charta des Untersuchungsgefangenen" bedarf §119 Abs. 3 StPO der verfassungskonformen Interpretation66, die nur Restriktion der nach dem Wortlaut möglichen weiten Auslegung 67 bedeuten kann68. Der aus dem Rechtsstaatsprinzip 69 folgende Verfassungssatz gebietet mit seinem Grundsatz der Erforderlichkeit70, den § 119 Abs. 3 insoweit zum Ausdruck
61
So auch Veit, Rechtsstellung, S. 44. S. z. B. Meutt^jZipptiius, Dt. Staatsrecht, 24. Aufl. 1982, S. 88 (§ 12 III 6). « S. z. B. BVerfGE 3, 383 ff, 399; 7, 377 ff; 405; 13, 97 ff, 104; 16, 194 ff, 202; 19, 330 ff, 337; 20, 150 ff, 155, 157; 25, l ff, 17 f; 30, 292 ff, 316; 46, 120 ff, 159; 49, 24 ff, 58; 58, 208ff, 224; 60, 329ff, 339; Stein, Staatsrecht, 7. Aufl. 1980, S. 49 (§ 5 II 3d); Herzog in Maunz/Dürig u.a., GG, Art. 20, 18. Lfg.; 1980, Abschn. VII, Rdn. 51, 71; Lercht, Übermaß u. Verfassung s recht, 1961, S. 250 ff. 64 v. Kraus, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkett etc., 1955, S. 21. « Vgl. z. B. BVerfGE 16, 202. ** Eb. Schmidt, Lehrkomm., Nachtr. I, 1967, § 119, Rdn. 5; Boujong, KK, 982, § 119, Rdn. 10. . 67 Vgl. Dünntbitr bei Löwe-Rosenberg, StPO, 23. Aufl., § 119, Rdn. 13; Wtndisch ebda,, 24. Aufl., Rdn. 10. äe Vgl. Baumann, Die Bedeutung des Art. 2 GG für die Freiheitsbeschränkungen im Strafprozeß, in: Festschr. f. Eb. Schmidt, 1961, S. 525 ff, 533; Krttayr, Die Briefkontrolle in der Untersuchungshaft, G A 1968, S, 236 ff, 242; s. auch Bottke, Suizid u. Strafrecht, 1982, S, 219 unt. 69 Vgl. BVerfGE 19, 342 ff; 348 f; Warda, Dogmatische Grundlagen d. richterl. Ermessens im Strafrecht, 1962, S. 145; Herzog in: Maunz/Dürig u.a., GG, Art. 20 (18. Lfg., 1980), Rdn, VII/72 m. w. Nachw.; s. auch Stern, Staatsrecht, Bd. I, 2. Aufl. 1984, S. 861. 70 Zum Grundsatz der Erforderlichkeit, seiner Abgrenzung vom Verhältnismäßig kei t s prin zip, beider Zusammenfassung im Über maß v erbot und zur uneinheitlichen Terminologie s, v. Kraitss, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 18; Bender, Anm. zu einer Entsch. d. OVG Lüneburg, DVB1. 1957, S. 278 ff, 280; Lereht, Übermaß u. Verfassungsrecht, S. 19 ff; Mam^jDürig, GG, Art. 20 (4. Lfg, 1960), Rdn. 115, Fn. 2; Herzog aaO. (wie vorige Fn.), Rdn. 75, 76; Hase, Grundzüge d. Verfassung s rechts etc., 12. Aufl. 1980, S, 135 (§ 10 II 2a); Stern, Staatsrecht, Bd. I, 2. Aufl. 1984, S. 861 m, w. Nachw, 62
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VI. Grundsätze des Untersuchungshaftvollzugs
bringt, nicht nur die Prüfung, ob die konkrete Freiheitsbeschränkung zur Erreichung des gesetzlichen Zweckes die mildeste aller geeigneten und deshalb erforderlich und zulässig ist; denn diese Prüfung setzt die Erkenntnis des zu erreichenden gesetzlichen Zwecks bereits voraus, kann also die Frage nach dem Zweck i. d.S. § 119 Abs. 3 StPO nicht beantworten. Das dem Übermaß verbot weiterhin immanente Prinzip der Verhältnismäßigkeit, zur Unterscheidung vom Übermaßverbot auch Grundsatz der Verhältnismäßigkeit i. e. S. genannt71, gebietet ebenfalls nicht nur, wie z.B. für die Anwendung des Verwaltungs rechts, aus dem es in das Verfassungsrecht übernommen ist, eine nach dem Grundsatz der Erforderlichkeit zur Erreichung des gesetzlichen Zieles als notwendig erkannte Maßnahme dann zu unterlassen, wenn die mit ihr für den Einzelnen verbundenen Nachteile erkennbar außer Verhältnis zur Bedeutung des im Interesse der Allgemeinheit angestrebten Erfolges stehen; denn das Verhältnismäßigkeitsprinzip setzt bei diesem engeren Verständnis ebenfalls das angestrebte Ziel als feststehendes Vergleichsmaß voraus und gibt derart keine Auskunft darüber, ob die gesetzliche Festlegung des Zwecks der auf ihre Verhältnismäßigkeit zu überprüfenden Maßnahme ihrerseits dem Übermaß verbot widerspricht. Das Übermaß verbot reicht als Verfassungsprinzip weiter, wenn es, was heute unstreitig ist, auch den Gesetzgeber72 binden und er eben nicht über eine Freiheit bei der Bestimmung des Zwecks staatlicher Maßnahmen letztlich doch weitgehend davon freigestellt sein soil73. Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb aus dem Übermaßverbot weitere Grundsätze entwickelt74, nach denen insgesamt deutlich überwiegende Gründe des Gemeinwohls auch einen gesetzgeberischen Eingriff in die Grundrechte des Einzelnen rechtfertigen müssen. Je bedeutsamer das Grundrecht und je empfindlicher dessen Beeinträchtigung ist, desto schwerwiegender müssen die Interessen der Allgemeinheit sein, denen die gesetzliche Regelung mit ihrer entsprechenden Zwecksetzung dient. So hat das Bundesverfassungsgericht in bezug auf die gesetzliche Gestaltung des Strafvollzuges 1972 entschieden, daß Grundrechtsbeschränkungen nur in Betracht kommen, „wenn sie zur Erreichung eines von der Wertordnung des Grundgesetzes gedeckten gemeinschaftsbezogenen Zweckes unerläßlich" sind75. Für
71
S. z. B, Herzog aaO. (wie vorige Fn.) Rdn. 76; and. v. Kr auss aaO, (wie vorige Fn.}, der als Oberbegriff „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit i. w. S," verwendet. 72 So u. a, schon Jerusalem, Die Grundrechte des Bonner Grundgesetzes etc., SJZ 1950, Sp. l ff, 5; v. Krauss, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 1955, S. 42 ff, 51, u. heute z. B. Stern, Staatsrecht, Bd. I, 2. Aufl. 1984, S. 864f m, w. Nachw, 73 S, schon Herzog, Verwaltung u. Verwaltungsrecht in einer freiheitl. Industriegesellschaft, in: Verhandl. d. 48. Dt. Juristentages, Bd. 2, 1970, S. L 5 ff, L 13; den. in: MaunzDürig u. a., GG, Art. 20 (18. Lfg. 1980), Rdn. VII/51 ff. 74 S. nur S fei«, Staatsrecht, 7, Aufl. 1980, S. 49 (§ 5 II 3d). 75 BVerfGE 33, Iff, 11; ähnl. Art. 98 S. 2 Bay Verf.
1. Gestaltung nach dem strafprozessualen Zweck
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Anordnung und Vollzug der Untersuchungshaft 76 hat das Bundesverfassungsgericht schon 1965 deutlich gemacht77, daß in dem „Spannungsverhältnis zwischen dem in Art, 2 Abs. 2 und Art. 104 GG gewährleisteten Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit und den unabweisbaren Bedürfnissen einer wirksamen Strafverfolgung" Untersuchungshaft auch wegen der U nschuldsVermutung 78 „nur in streng begrenzten Ausnahmefällen zulässig sein" kann und „den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlich und zweckmäßig erscheinenden Freiheitsbeschränkungen ständig der Freiheitsanspruch des noch nicht verurteilten Beschuldigten als Korrektiv entgegengehalten" werden muß. Danach ist die Zweckbestimmung des § 119 Abs. 3 eng, nämlich im Hinblick auf das Übermaßverbot im Zusammenhang mit §§ 112, 112 a StPO auszulegen. Je konkreter der „Zweck der Haft" (§119 Abs. 3 StPO) gefaßt wird, um so weniger Rechtseingriffe kommen als erforderlich i. d. S. §119 Abs. 3 StPO in Betracht. Nach dem Prinzip des minimalsten Rechtseingriffs, wegen der hohen Bedeutung des Grundrechts der allgemeinen Handlungsfreiheit und im Hinblick auf den Verfassungsauftrag, die Freiheitsrechte so weit wie möglich zu verwirklichen79, sind insbesondere dem als unschuldig zu behandelnden Verhafteten schon vom Gesetz nur die angesichts „unabweisbarer Bedürfnisse"80 wirksamer Strafverfolgung unerläßlichen Freiheitsbeschränkungen aufzuerlegen; sein Sonderopfer ist so gering wie möglich zu halten, und seine Rechtsstellung hat sich auch im Interesse seiner Verteidigungsmöglichkeiten nicht mehr als unbedingt notwendig von der des auf freiem Fuß belassenen Verdächtigen zu entfernen. § 119 Abs. 3 StPO wäre eine allzu weite und zu unbestimmte Befugnis-Generalklausel, wenn der Zweck der Haft nicht mittels des Haftgrundes konkretisiert wäre und derart nicht die Rechtseingriffe eingegrenzt würden, die erforderlich werden können. Sowohl dem Übermaßverbot wie dem Bestimmtheitsgebot tragt § 119 Abs. 3 StPO erst durch seinen Zusammenhang mit §§112, 112 a StPO Rechnung, Derart ist verfassungskonform gesetzlich zum Ausdruck gebracht, daß z. B. dem Beschuldigten, dem nur wegen Flucht- oder Wiederholungsgefahr die Bewegungsfreiheit genommen ist, keine Beschränkungen aufzuerlegen sind, die einer selten völlig auszuschließenden Gefahr von Kollusionen entgegenwirken, wenn der Haftvollzug nicht über das mit dem Haftbefehl allein als notwendig Erkannte hinausgehen will. Denn ist 76
Ähnlich bezüglich aller strafprozessualen Maßnahmen zuvor Sax, Grundsätze der Strafrechtspflege, in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner, Hrsg., Die Grundrechte, Bd. Ill/ 2, 1959, S. 970. 77 BVerfGE 19, 342 ff, 347; ähnl. BVerfGE 20, 45 ff, 49; 144 ff, 147; 35, 185 ff, 190; 36, 264 ff, 269 f; 53, 152 ff, 158. 78 Vgl, Sax, Grundsätze der Strafrechtspflege aaO. S. 971. 79 Herzog in Maunz/Dürig u. a., GG, Art. 20 (1980), Rdn. VI1/52. » S. Fn. 77
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VI. Grundsätze des Untersuchungshaftvollzugs
der Haftbefehl z. B. auf Fluchtgefahr gestützt und Verdunkelungsgefahr richterlich nicht bejaht, so ist letztere entweder nicht gegeben, also eine Kollusionen entgegenwirkende Vollzugsgestaltung wenigstens zur Zeit der Haftanotdnung nicht erforderlich und deshalb eine dem Übermaßverbot widersprechende Freiheitsbeschränkung, oder die Kollusionsgefahr ist nicht mit bestimmten Tatsachen als dringende begründbar, wie es §112 StPO voraussetzt, um einen Haftbefehl auf den Haftgrund Verdunkelungsgefahr stützen zu können; in diesem Fall verlangt das Übermaß verbot für Vollzugsmaßnahmen gleichermaßen, daß die bloße Vermutung einer Gefahr, eine mittelbare Gefahrdung oder die allgemeine Möglichkeit einer Gefahr, die die Rechtsprechung in verschiedenen Vollzugsfragen zuweilen als für Freiheitsbeschränkungen ausreichend angesehen hat81, im Gegensatz zu einer realen Gefahr, einer auf konkrete Tatsachen des Einzelfalls gestützten Wahrscheinlichkeit noch keine Rechtseingriffe zuläßt82. Auch oder gerade hier zeigt sich die Bedeutung des Übermaßverbots für die generalkiauselartige gesetzliche Gestaltung des Untersuchungshaftvollzugs 83 . Denn das am Übermaßverbot zu orientierende Verständnis des §.119 Abs. 3 StPO gibt erste Auskunft über die Zulässigkeit der zahlreichen, den Häftling belastenden Einzeimaßnahmen, die wenigstens in ihrer Kumulierung den Vollzugsalltag schwer erträglich machen. Von der UVollzO werden aber Rechtseingriffe — entgegen dem Übermaß verbot und entgegen der auch daraus folgenden Bindung der nach § 119 Abs. 3 i. V. m. §§ 112, 112 a StPO zulässigen Maßnahmen an die Voraussetzung unmittelbarer und realer Gefährdung im Einzelfall — schon bei nicht näher beschriebener „Gefährdung" oder gar bereits dann zugelassen, wenn etwas „bedenklich" erscheint. Schon Lesestoff, „dessen Inhalt eine Gefährdung des Zwecks der H a f t . . . befürchten läßt", wird dem Verdächtigen vorenthalten (Nr. 45 Abs. 4 UVollzO); der einen Besuch überwachende Beamte greift (wie erwähnt, bei jeder Art Haft) bereits ein, „wenn ihm der Inhalt der Unterredung im Hinblick auf 81
OLG Hamburg, NJW 1962, S. 1633 („Rundfunksendungen ... können ... die Durchführung eines Strafverfahrens erschweren ... Die Überwachung des Rundfunkempfanges ist daher ... zulässig".); OLG Gelle, NJW 1968, S. 1342f (Briefverkchr); OLG Hamm, MDR 1969, S. 780 (Briefmarken au s wähl send u n gen würden „möglicherweise sogar den Zweck der Untersuchungshaft gefährden"); OLG Kobienz, G A 1973, S. 157 (Ausführungen); OLG Karlsruhe, Die Justiz 1981, S. 87 (Verkleben des sog, Zellenspions als Gefährdung des Haftzwecks); s. auch Kleinknecbt, JZ 1961, S, 266. 82 LG Braunschweig, NJW 1951, S. 326; OLG Hamm, MDR 1968, S. 515; OLG Hamburg, MDR 1969, S. 328 f; OLG Gelle, MDR 1981, S. 515; OLG Karlsruhe, Die Justiz 1981, S. 21; OLG Düsseldorf, MDR 1982, S. 1041; OLG Karlsruhe, Die Justiz 1983, S. 57 f; BVerfGE 15, 288 ff, 297; 35, 5 ff, 10; 42, 234 ff, 236; 57,170 ff, 177; Boujotsg, KK, § 119, Rdn. 10; Kltinkntcht\Jän'uchowsky, Das Recht der Untersuchungshaft, Rdn. 357; Kkinkaeebt, StPO 35. Aufl., § 119, Rdn. 11; Müller, KMR, 7. Aufl., § 119, Rdn. 12; Gntaax, JR 1983, S. 437. 83 S. z. B. BVerfGE 19, 347; Veit, Rechtsstellung, S. 60 ff.
!, Gestaltung nach dem serafprozessualen Zweck
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das Strafverfahren ... bedenklich erscheint" (Nr. 27 Abs. 3 UVollzO), und dem Inhaftierten in einem Paket zugesandte Gegenstände, deren Aushändigung an den Gefangenen „bedenklich erscheint", werden zurückgehalten (Nr. 39 Abs. 3 UVollzO). Derartig weite Regelungen sind mit dem am Übermaßverbot orientierten Verständnis des § 119 Abs. 3 StPO unvereinbar. Denn sie stellen weder auf eine reale Gefahr, die sich im Einzelfali aus konkreten Tatsachen ergibt, ab, noch auf den konkreten Haftzweck, dessen Sicherung gefährdet sein müßte. Ist aber beispielsweise die Kollusionshaft nach der Entscheidung des Gesetzgebers zur Sicherung des Verfahrens, weil der Haftgrund Kollusionsgefahr z. B, im konkreten Fall nicht auf Tatsachen zu stützen ist, nicht erforderlich und unzulässig, ist der Vollzug nicht so zu gestalten, als ob er Kollusionen vorzubeugen hätte. Andernfalls könnte die auf einen anderen Haftgrund gestützte Untersuchungshaft unter Umgehung der vom Gesetz aufgestellten Voraussetzungen mißbraucht werden, um dem Beschuldigten Rechtsbeschränkungen aufzuerlegen, die über das nach dem Gesetz und dem Haftbefehl Erforderliche hinausgehen. Die vom Gesetz mit seinen Haftgründen vorgenommene Konkretisierung und Differenzierung der im Interesse der Allgemeinheit und einer wirksamen Strafrechtspflege vom Verdächtigen als erforderlich hinzunehmenden Freiheitsbeschränkungen wäre zwar bei der Haftanordnung beachtet, im Vollzug, also bei ihrer Verwirklichung, aber hinfällig, wenn nur ein Haftbefehl, mit welchem Haftgrund auch immer, einmal ergangen wäre. Der Differenzierung der Haftgtünde für die Frage der Haftanordnung Bedeutung beizumessen, für deren Vollzug sie aber abzulehnen, ist nicht nur wenig folgerichtig, nicht nur eine Lösung der Folge von ihren Voraussetzungen, sondern auch eine Mißachtung des Verfassungsgebots, das nur die konkret und tatsächlich erforderlichen, d, h. wenigstens anhand bestimmter Gegebenheiten des Einzelfalles als erforderlich anzusehenden Eingriffe Jn die individuelle Handlungsfreiheit zuläßt. Ginge aus den Motiven zu § 119 StPO84 das Gegenteil dessen hervor, was sie tatsächlich zum Ausdruck bringen, oder Jegte der Wortlaut des § 119 Abs. 3 StPO nahe, unter dem Zweck der Untersuchungshaft einen allgemeinen zu verstehen, wie den, der Gerechtigkeit zu dienen oder der Verfahrenssicherung (so § 183 a. F. österr. StPO) oder allen gesetzlichen Haftzwecken gleichermaßen (so § 184 österr. StPO 1975), so führte eine am Übermaß verbot orientierte und gebotene verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift zu der Verpflichtung, dem verhafteten Tatverdächtigen nicht mehr als die Beschränkungen aufzuerlegen, die nach dem konkreten Zweck der Haft erforderlich sind, und eine an Art. t Abs. l GG anschließende ebenfalls zum Gebot, den Vollzug der Untersuchungshaft individualisierend zu gestalten85. 84 B5
Habn\Sttgeman» aaO. S. 132, s. ob. S. 119, Henntrkes, Die Grundrechte des Untersuchungsgefangenen, S. 63 ff.
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VI. Grundsätze des Untersuchungshaftvollzugs
Ein „der Erreichung der Haftzwecke dienen" (so § 184 österr. StPO) wäre wegen des Übermaßverbots zunächst als „zur Erreichung der Haftzwecke erforderlich" zu verstehen, weitergehend aber noch als „zur Erreichung des konkreten Haftzwecks erforderlich", und darunter ist im Vollzug wie bei Erlaß des Haftbefehls die Erforderlichkeit an einer realen, aus bestimmten Tatsachen sich ergebenden Gefahr zu messen, der Verdächtige werde sich dem Strafverfahren durch Flucht entziehen, Verdunkelungshandlungen oder in § 112 a StPO genannte Straftaten begehen. Die Konkretisierung des Haftzwecks i, S. d. % 112, 112 a. StPO schließt es beispielsweise aus, die Regelungen der UVollzO, die dem Untersuchungsgefangenen lediglich einen Lebensbedarfoder den Konsum von Genußmitrein gewähren, „der einer vernünftigen Lebensweise entspricht" (Nr. 18, 50, 51 UVollzO}, mit der verfehlten Begründung zu rechtfertigen, die Erhaltung der Gesundheit, der Haft- und Verhandlungsfähigkeit oder des Lebens des Beschuldigten sei Zweck der Haft86. Sie habe allgemein sicherzustellen, daß der Verdächtige für das Strafverfahren und eine etwaige Strafvollstreckung zur Verfügung stehe, so daß er gesund zu erhalten sei87. So wie ein Haftbefehl wegen des Gesetzeswortlauts („Fluchtgefahr", § 112 StPO) und wegen der verfassungsrechtlich gebotenen engen Auslegung der §§ 112 ff StPO nach richtiger Ansicht nicht auf den Haftgrund Fluchtgefahr zu stützen ist, wenn der Verdächtige sich durch äußerst unvernünftige Lebensweise sowohl seiner Gesundheit wie seiner Haft- und Verhandlungsfähigkeit beraubt88, so wie Fiuchthaft nur bei drohender räumlicher 86
Detius, Zwangsweise Ernährung Gefangener, LZ 1914, S. 161 ff, 162; Günther, Rechtsbeziehungen, S. 61; Linck, Zwangsernährung von Untersuchungsgefangenen, NJW 1975, S. 18 ff, 20; dtrs., Rechts p robleme der Zwangsernährung, MDR 1975, S. 714fr, 716. 67 KG, JR 1958, S, 470 (Versagung einer Schreibmaschine wegen der „Gefahr gesundheitsschädigender Kräftebeanspruchung"); dazu krit. Eb, Schmidt, Lehrkomrn. II, Nachtr, 1967, §119, Rdn. 25; Ostendorf, Das Recht zum Hungerstreik, 1983, S. 163, 88 Die Gefahr eines Ortswechsels oder sonstigen Sich verbergen s verlangen z. B. A, v, Kries, Lb, d, dt, Strafprozeßrechts, 1892, S. 313; Härtung, Das Recht der Untersuchungshaft, 1927, §112, Anm. 5b, S. 36; Gerland, Der dt. Strafprozeß, 1927, S. 256 („nicht auffindbar"); Koblrausch, StPO, 24. Auf], 1936, 112, Anm. 7 („für die Organe der Strafrechtspflege unerreichbar"); Roh, v. Hipptl, Der dt. Strafprozeß, 1941, S, 443; Arndt\ v. Ohhausen, JuS 1975, S. 144; Kähne, Strafprozeßlehre, 2. Aufl. 1982, S. 132 f; Boftke, Suizid u. Strafrecht, 1982, S. 222; Kramer, Grundbegriffe des Strafverfahrensrechts, 1984, S. 51, Im Gegensatz zu dieser herkömmlichen und sich auch in den Materialien zur StPO spiegelnden Auffassung (vgl. Schwarte in; Hahn/Stegemann, Die ges. Materialien z. StPO, Bd, l, 1885, S. 656) läßt die neuerdings h, M. trotz der Möglichkeit einer Hauptverhandlung nach § 231 a StPO auch die Gefahr „geistiger Abwesenheit" genügen (KG, JR 1974, S. 165 f m. krit., aber insges. zust. Anm. Kohlhaas; Kkinknecht, StPO, 35. Aufl., § 112, Rdn. 11; Khinknecht] Meyer ebda. 36. Aufl., Rdn, 12; Kltinknechtljaniscbovsky, Das Recht d. Untersuchungshaft, Rdn, 30; Joaehimskt\Pfeff, Untersuchungshaft u. Strafvollzug, S. 21; Eoujong, KK, § 112, Rdn. 17; Dünnebier bei Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., § 112, Rdn. 46; WendtMb ebda., 24. Aufl., §112, Rdn. 35; ScMücbter, Das Strafverfahren, S. 208 ff,
1. Gestaltung nach dem strafprozessualen Zweck
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Veränderung des Verdächtigen oder drohendem Sichverbergen, nicht aber bei drohender Flucht in eine Krankheit oder in den Tod zulässig ist, nahezu unstreitig nicht auf Selbstmordgefahr gestützt werden darf89, so wenig ist es Zweck der Haft, unvernünftiger Lebensweise, Verhandlungsunfahigkeit oder auch einem Suizid entgegenzuwirken 90 . Es kann demnach den Auffassungen nicht gefolgt werden, die als Zweck der Untersuchungshaft i. S.d. § 119 Abst. 3 StPO einen allgemeinen oder auch nur einen verschiedene konkrete Haftzwecke umfassenden Zweck sehen. Weiterhin sind auch die Auffassungen abzulehnen, die zwar in erster Linie die Zulässigkeit von Rechtseingriffen nach dem konkreten, aus dem jeweiligen Haftgrund ersichtlichen Haftzweck beurteilen wollen, aber letztlich auch solche Beschränkungen zulassen, die Gefahren vorbeugen sollen, für deren Vorliegen zwar Anhaltspunkte gegeben sind, aber lediglich solche, die keinen Haftgrund abgäben (oben b mit Fn. 32 f). Ebenso ist der Auffassung zu widersprechen, die der hier vertretenen am nächsten kommt und die den Zweck der Untersuchungshaft nicht nur nach dem im Haftbefehl benannten Haftgrund bestimmt, sondern auch nach einem nicht genannten, wenn dessen Voraussetzungen tatsächlich vorliegen und der Haftbefehl entsprechend ergänzt werden könnte. Diese Ansicht lost ebenfalls den Haftvollzug von seiner Grundlage und gibt in praxi (s. auch § 119 Abs. 6 S, 2 StPO) der Vollzugsverwaltung die Möglichkeit, den Haftzweck in einem formlosen Verfahren statt des Richters festzulegen, der ihn aktenkundig zu machen und mit Tatsachen zu begründen hat, von beidem aber entgegen § 114 Abs. 2 Nr. 3 u, 4 StPO ebenfalls entbunden wäre, wenn er nach § 119 Abs. 6 StPO eine rechtsbeschränkende Vollzugsmaßnahme anordnete oder genehmigte, die nicht zur Verfolgung des Haftzwecks erforderlich wäre, der sich aus dem im Haftbefehl benannten Haftgrund ergibt. Dies ermöglichte zwar eine sich ändernden GegebenRdn, 210 ff; Raping, Theorie u. Praxis d. Strafverf., S. 86, Rdn. 189; Seei^en, Zur Verhandlungs(un)fähigkeit, DRiZ 1974, S, 259 ff, 261); unentschieden Rexin, Strafverfahrensrecht, 17. Aufl., S. 164; und jetzt wohl auch Raping, Das Strafverfahren, 2. Aufl. 1983, S. 67. 89 Bader, JZ 1956, S, 375; Ei>. Schmidt, Lehrkomm. H, Nachtrag 1967, § 112, Rdn. 17; Mülltr, KMR, 7. Aufl., § 2, Rdn. 7; Dünnbier bei Löwe-Rosen be rg, 23. Aufl., § 112, Rdn. 51 f; Wendisch ebda., 24. Aufl., § 112, Rdn. 40; Boujong, KK, § 112, Rdn. 17; Arndt\ v. Olshausen, JuS 1975, S. 144; Kleinkaecbil Meyer, StPO, 36. Aufl., § 112, Rdn. 17; Raping, Das Strafverfahren, S. 67; Wagner, Selbstmord u. Selbstmordverhinderung, 1975, S. 148; OLG Oldenburg, NJ W 1961, S, 1984; a. A.: OLG Bremen, JZ 1956, S, 375; joachimsktl Pfaff, Untersuchungshaft etc., S. 21 f. 90 Dünnebier bei Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., § 119, Rdn. 168; Wendisch, ebda., 24. Aufl., § 119, Rdn. 178; Eh. Schmidt, Lehrk. II, Nachtrag 1967, § 119, Rdn. 40; Hennerkes, Die Grundrechte d. Untersuchungsgefangenen, S, 129 ff; Wagner aaO, (wie vocige Fn.) S. 145 ff; Arndt\v. Qlshaustn, JuS 1975, S. 146; Geißl, Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge etc., Diss. München 1980, S. 356 f; Bottfet, Suizid u. Strafrecht, 1982, S. 222 ff; Osiendorf, Das Recht zum Hungerstreik, 1983, S. 162f; LG München I, NJ W 1968, S. 2303.
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VI. Grundsätze des Untersuchungshaftvollzugs
heiten spontan anpassende Volhugsgestaltung, bedeutete jedoch nicht nur Rechtsunsicherheit, sondern wäre auch mit der gesetzlichen Formstrenge (§ 114 StPO) und der Tatsache des Zusammenhangs der §§ 112 f mit 5 119 StPO unvereinbar. Da lediglich der Haftbefehl Grundlage des Vollzugs und aller seiner Maßnahmen ist, der Untersuchungshaftvollzug nur die Verwirklichung des Haftbefehls darstellt, kann die Auffassung nicht geteilt werden, die besagt, § 119 Abs. 3 StPO meine den tatsächlich zu rechtfertigenden Zweck der Untersuchungshaft, unabhängig von dem durch den Haftbefehl auch formell gerechtfertigten. Da der Haftbefehl auch m der Begründung jederzeit den Gegebenheiten anzupassen ist91 oder jedenfalls angepaßt werden kann92, spricht auch keine praktische Notwendigkeit für die hier abgelehnte Rechtsansicht. Vielmehr nötigt die Abhängigkeit der Vollzugsgestaltung vom Haftgrund des Haftbefehls, das mit § 114 StPO verfolgte gesetzgeberische Ziel in praxi zu verwirklichen, nach dem die Vorschrift der Selbstkontrolle des Richters dient, einer Überprüfbarkeit seiner Entscheidung und der klaren Unterrichtung des Beschuldigten93. Diese Ziele und der Begründungszwang sind, wie bereits Veit dargelegt hat, für Vollzugseingriffe nicht weniger bedeutsam als für die Frage der Haftanordnung 94 . Jedoch könnten zwei Bedenken geltend gemacht werden, die deshalb nachstehend zu verdeutlichen und zu überprüfen sind. Leicht zurückzuweisen ist der mögliche Einwand, ein nach dem im Haftbefehl benannten Haftgrund zu gestaltender Vollzug der Haft sei in Fällen eines nach § 112 Abs. 3 StPO ergangenen Haftbefehls ausgeschlossen. Bereits oben95 wurde jedoch darauf hingewiesen, daß der sog. Haftgrund der Tatschwere nicht eigenständig ist und entgegen dem Gesetzes Wortlaut ein Haftgrund i. S. d. §112 Abs. 2 StPO, also Flucht- oder Verdunkelungsgefahr gegeben sein muß96, wenn auch die Umstände unter erleichterten Voraussetzungen anzunehmen sind und nicht mit bestimmten Tatsachen belegt werden müssen, die die Gefahr der Flucht oder Verdunkelung begründen97. Der dringende 51
KUinkitefbt, Entscheidungen über die Untersuchungshaft, MDR 1965, S. 781 ff, 784; Bmjang, KK, 1982, S. 114, Rdn. 9; Mülltr, KMR, 7. Aufl. 1980, §114, Rdn. 8; Veit, Rechtsstellung, S. 48. 92 Wendisch, Lowe-Rosenberg, 24. Aufl., § 114, Rdn. 58; Klttnknttht\Jani$cbwiky, Das Recht der Untersuchungshaft, Rdn. 142. 93 Creifelds, Die Begründung des Haftbefehls nach dem Strafprozeß-Änderungsge setz, NJW 1965, S. 946; Kleittkuechi, MDR 1965, S. 784; Htngsbergr, Untersuchungshaft und Strafprozeßänderungsgesetz, JZ 1966, S. 209 ff, 212; Boujong, KK, §114, Rdn. 4; Kitin· kntebi\Meyer, StPO-Komm., 36. Aufl., § 114, Rdn. 2; enger: Wendisch (wie vorige Fn.) Rdn. 18; OLG Frankfurt, NJW 1965, S. 1342. * Veit, Rechtsstellung, S. 48. » Kap. V/2, S. 72 f. * BVerfGE 19, 342 ff, 350; KkinknetbtlMsytr, StPO, § 112, Rdn. 26; Boujong, KarlsrKomm., § 112, Rdn. 40; Müller, KMR, 7. Aufl., § 112, Rdn. 20. »7 BVerfGE 19, 350; krit. Eb. Schmidt, Lehr komm. StPO, Bd. II, Nachtr. I, 1967, § 112, Rdn. 28 e; Wtndhch bei Löwe-Rosenberg, StPO, 24. Aufl., § 112, Rdn. 52; Walter,
l, Gestaltung nach dem strafprozessualen Zweck
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Tatverdacht, sei es auch der einer schweren Straftat i. S. d. 5 112 Abs. 3 StPO, als alleinige Voraussetzung der Untersuchungshaft ließe diese zur vorweggenommenen Strafe werden und wäre sowohl mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wie mit der Unschuldsvermutung unvereinbar. Dies ist seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts v. 15. 12. 196598 in der Lehre unstreitig99. Die bei Verdacht einer schweren Straftat häufige Praxis, einen Haftbefehl lediglich mit dem Hinweis auf § 112 Abs. 3 StPO zu begründen, trägt dem keine Rechnung und widerspricht auch, was nahezu unstreitig ist, § 114 StPO100. Es ist vielmehr zu fordern, daß zusätzlich ein Haftgrund benannt wird. Eine verfassungskonforme Anwendung des § 112 Abs. 3 StPO führt also dazu, daß auch in den seltenen101 Fällen, in denen die Haft nach dieser Vorschrift angeordnet wird, der Vollzug nach dem Haftbefehl und dem Haftzweck zu gestalten ist. Praktisch bedeutsamer wäre das Bedenken, gegen die Gestaltung der Untersuchungshaft nach dem aus dem Haftbefehl ersichtlichen Haftzweck spreche § 112 a Abs. 2 StPO. Nach dieser Regelung ist die Präventivhaft (§ 112 a StPO} gegenüber der eigentlichen Untersuchungshaft (§112 StPO} subsidiär. Dies bedeutet, daß ein Haftbefehl trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 112 a Abs. l StPO dann nicht mit tatsächlich gegebener Wiederholungsgefahr begründet werden darf, wenn Flucht- ödet Verdunkelungsgefahr bejaht wird102. Selbst eine hilfsweise Begründung nach 112 a StPO ist ausge103 schlossen . Wahrend die klassischen Haftgründe kumuliert werden dürfen, ist dies also für den Haftgrund der Wiederholungsgefahr gesetzlich ausdrücklich ausgeschlossen. Die gesetzliche Regelung hat bei der gebotenen Differenzierung der Vollzugsmaßnahmen nach dem im Haftbefehl benannZStW 93. Bd. (1981}, S. 483 f; Gerh. Schmidt bei Jescheck/Krümpelmann, Die Untersuchungshaft etc., S. 50; Rieß, Festschr. K. Schäfer, S. 206; Müller-Ditt^ in: Hdw. d. Kriminologie, 2. Aufl., Bd. 5, Lfg. l, 1983, S. 201. 58 BVerfGE 19, 342 ff. 99 S. z. B. Roxiit, Strafverfahrensrecht, 17. Aufl., S. 165; Peien, Strafprozeß, 3. Aufl., S. 398; Sebfahter, Das Strafverfahren, S. 206 f; Eb. Schmidt, Lehrkomm. StPO, Bd. II, Nach«. 1967, §112, Rdn. 28c-e; Gössel, Straf Verfahrens recht, S. 72; Boujong, KarlsrKomm., § 112, Rdn. 40; KUmkaecbtl Meyer, StPO, § 112, Rdn. 27. 100 S. z.B. KieinkueebtlMeyer, StPO, §114, Rdn, 12; Botgong, KarlsrKomm., §114, Rdn. 13; Müller, KMR, 7, Aufl., §114, Rdn. 4; anders Crtifeläs, Die Begründung des Haftbefehls etc., NJW 1965, S. 946 ff, 950; Eb. Schmidt aaO. {vorige Fn.), g 114, Rdn. 8; zur verfehlten Praxis s. Decken, AnwBl 1983, S. 422 m. Nachw. 101 S. Kerner, Schröder-Gedächtnisschr., S. 559; Weiter, ZStW 93. Bd., 1981, S, 482, u. ob. Abschn. I/4c, S. 24. 102 Nach Untersuchungen von Parigger, Tendenzen im Haftrecht in der Rechts Wirklichkeit, AnwBl 1983, S. 423, verfährt die Praxis zuweilen anders. 103 KUinknecbtj Meyer, StPO, § 112 a, Rdn. 23; Dütmebier bei Löwe-Rosen be rg, 23. Aufl., 112a, Rdn. 76; Wendisch, ebda,, 24. Aufl., § 112a, Rdn. 62 (h. M.}.
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VI. Grundsätze des Untersuchungshaft Vollzugs
ten Haftgrund die allerdings nicht ganz unbedenkliche Folge, daß im praktischen Fall des Zusammentreffens von Flucht- und Wiederholungsgefahr letzterer nicht besonders und durch gezielte Vollzugsgestaltung begegnet werden darf. Dies erklärt sich aus der gesetzgeberischen Entscheidung, den Anwendungsbereich des vielfach bedenklichen104 und außergewöhnlichen Haftgrundes dft Wiederholungsgefahr zu beschränken, und aus der zutreffenden Annahme, daß Vorbeugehaft neben Kollusionshaft, aber im Regelfall auch neben Fluchthaft nicht erforderlich ist105. Die Konsequenz, nach der eine nicht angeordnete Haft auch nicht zu vollziehen ist, kann im AusnahmefalJ bedeuten, daß einer Wiederholungsgefahr nicht hinreichend begegnet wird, stellt aber eine Beschränkung der Untersuchungshaft auf ihren prozessualen Zweck dar und gibt alleine dem Kumulierungsverbot einen Sinn. Denn wäre jede Haft gleich zu gestalten, begegnete also eine Fluchthaft der Wiederholungsgefahr so, wie eine Vorbeugehaft dies vermag, so wäre eine Kumulierung der beiden Haftgründe so bedeutungslos wie ihr Verbot. Die Gestaltung des Untersuchungshaft Vollzuges nach dem Haftzweck, der sich jeweils aus dem im Haftbefehl genannten Haftgrund ergibt, und die Abhängigkeit nicht nur der Freiheitsentziehung als solcher, sondern aller sie erschwerenden Maßnahmen vom Haftbefehl führen nicht etwa dazu, daß Vollzugsbedienstete und Richter sehenden Auges Verdun kelungshandlungen eines wegen Flucht- oder Wiederholungsgefahr Inhaftierten zu dulden haben106. Denn der Haftbefehl kann neuen Erkenntnissen angepaßt werden. Allerdings läßt es §119 Abs. 3 StPO nicht zu, bereits höchst vorsorglich zu Lasten eines jeden Gefangenen die nach jeder der Haftarten erforderlichen Rechtsbeschränkungen kumulativ vorzunehmen, in der Vermutung, daß die bei Erlaß des Haftbefehls für die Annahme eines weiteren Haftgrundes noch fehlenden Tatsachen mit der Verhaftung eintreten, geradezu durch sie herbeigeführt werden. Dieser in der Vollzugsordnung und der ihr folgenden Praxis zum Ausdruck kommenden Ansicht und der für alle Inhaftierten grundsätzlich einheitlichen und die Rechtseingriffe kumulierenden Vollzugsgestaltung, die mit Recht von Werner Rosenberg als der „Kardinalfehler" des im argen liegenden Untersuchungshaftvollzugs bezeichnet wurde 107 , ist einmal mehr zu widersprechen. Sie ist rechtlich unhaltbar und auch von praktischen Erwägungen oder Notwendigkeiten nicht gefordert; es läßt sich im Gegenteil sagen, daß ein nach dem jeweiligen 104
S. z, B, nur Roxin, Strafverfahrensiecht, 17- Aufl., S. 165; Amgnostopouhs, Haftgründe etc., 1984, S. 41 ff, 86ff; Weiter, ZStW 93. Bd., 1981, S. 484 f u, ob. Kap. V/ 2, S. 74 ff, 78. 105 S, BT-Drucks. VI/3248, Begr. S. 4 und Anlage 2, S. 7. m So aber Dämiebitr, Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., § 119, Rdn. 38, und Wendisch, ebda., 24. Aufl., Rdn. 29. 107 Rosenberg, ZStW 26. Bd. (1906), S. 387,
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Haftgrund differenzierter Vollzug die Kräfte auf das Notwendige konzentriert, also die sinnlose Kontrolle der Außenkontakte der lediglich zur Verfügung des Gerichts zu hältenden Fluchtverdächtigen, die massenhafte Briefkontrolle der wegen Flucht- oder Wiederholungsgefahr Inhaftierten spart und Zeit schafft für die aufmerksame Prüfung der Außenkontakte Ko 11 usionsverdächtiger108. Mögen auch die mit der Verhaftung eintretenden psychischen Belastungen, die vielfältigen Einschränkungen der Freiheit eigener Lebensgestaitung und insgesamt die Last der der möglichen Strafe praktisch sehr verwandten Freiheitsentziehung das Bestreben, dem Verfahren und der Strafe durch Flucht oder Verdunkelung zu entgehen, fördern, so sind die Aussichten, die Vorhaben in die Tat umzusetzen, hinter Mauern doch in jedem Fall und auch ohne sonderlich präventive Vollzugsgestaltung unvergleichlich geringer als in Freiheit. Damir ist auch dem Einwand zu begegnen, das Gesetz setze in §119 Abs. 3 StPO wohl den nach Haftgründen differenzierten Vollzug voraus, doch komme es darauf nicht an, weil jede Fluchthaft auch zu den bei Kollusionshaft erforderlichen Maßnahmen nötige, damit der Beschuldigte keine Fluchtanstalten treffen könne109. In der Literatur wurde bereits vielfach darauf verwiesen, daß es in den Haftanstalten verläßlichere Mittel gibt, der Flucht vorzubeugen, als die „pedantische Überwachung der Korrespondenz und des Verkehrs des Gefangenen mit der Außenwelt"110. Die bereits erwähnte US-amerikanische Praxis des Untersuchungshaftvollzugs bestätigt dies. Denn sie verbindet die Fluchthaft ohne Schaden nicht mit den bei uns üblichen und von der UVollzO allgemein vorgesehenen Sicherungsmaßnahmen z. B. des Mithörens der Gespräche, die Inhaftierte mit Besuchern oder am Fernsprecher führen, und im Gegensatz zur in unseren Untersuchung s haftanstal ten gegenüber jedem Gefangenen durchgängig angewandten Praxis wird auch kein Gespräch untersagt oder abgebrochen, das den Tatvorwurf berührt. Hier zeigt sich auch, daß der Einwand Dünnebiers, es komme nicht darauf an, daß §119 Abs. 3 die 108
Vgl, schon Härtung, ZStW 55. Bd. (1930), S. 229 f; zum Erfordernis aufmerksamer und eingehender Kontrolle in bestimmten Fällen s, z, B, Voiimt Der sicherste Platz zur Durchführung von Straftaten: Die Zelle einer Justiz v erw ah ran stak?, Kriminalistik 1975, S. 447ff; Herren, Lb. d. Kriminologie, Bd. l, 3. Aufl. 1982, S. 69; Seebode, Hrsg., Mitteilungen einer Untersuchungsgefangenen, S. 195. 109 Dünnebier, Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., 5 119, Rdn, 38; Wendisch, ebda., 24. Aufl., § 119, Rdn. 29; anders OLG Frankfurt, Strafverteidiger 1983, S, 465. 110 Zucker, Reformbedürftigkeit, 1879, S. 125; ähnl. Lövenstein bei Aschrott (Hrsg.), Reform des Strafprozesses, 1906, S. 281: „Denn bei der Sicherheit unserer modernen Gefängnisse wird man die Ansicht . . . , daß eine Überwachung des Briefwechsels auch zur Verhinderung von Fluchtversuchen allgemein nötig erscheine, abgesehen von wenigen Ausnahmefällen, nicht ernst nehmen dürfen", Vgl. weiter z. B. Boy, Reform der Untersuchungshaft, 1897, S. 30f; Jattßen, Stellung des Untersuchungsgefangenen, Diss. 1956, S. 51; Veit, Rechtsstellung, S. 128; anders wohl Vollmutb, Kriminalistik 1975, S, 447 ff.
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VI. Grundsätze des Untersuchung shaft Vollzug s
Voilzugsmaßnahmen an den konkreten Haftanlaß binde, als wenigstens zu allgemein nicht zu überzeugen vermag. Denn bei Fluchthaft sind das allgemeine Verbot, mit Besuchern nicht über die Tat zu sprechen, und die allgemeine Praxis, andernfalls den Besuch abzubrechen, weder mit dem konkreten Haftzweck noch mit dem Anliegen, Fluchtanstalten vorsorglich zu verhindern, zu rechtfertigen. Andererseits sind der Wunsch und das Bedürfnis des Inhaftierten wie des Besuchers, z. B. eines Familienangehörigen, gerade über den Tatvorwurf gemeinsam zu sprechen, besonders verständlich und im Hinblick auf die Erhaltung der familiären Bindungen wie sonstiger Kontakte zu Außenstehenden besonders bedeutsam111. Der wegen Fluchtgefahr inhaftierte Verdächtige sollte deshalb insoweit keineswegs schlechter gestellt sein als der der Tat ebenso Verdächtige, bei dem Fluchtgefahr nicht bejaht wird. Werden bei der Fluchthaft und auch bei der Vorbeugehaft also keineswegs die bei der Kollusionshaft zur Verhinderung von Verdunkelungshandlungen erforderlichen Maßnahmen mit der Begründung als zulässig anzusehen sein, eben dieselben Rechtsbeschränkungen seien zur Verhinderung von Fluchtanstalten allgemein unerläßlich, so ist noch umgekehrt zu fragen, ob nicht die Kollusionshaft neben den zur Verwirklichung ihres besonderen Zwecks erforderlichen Vorkehrungen auch alle Rechtsbeschränkungen mit sich zu bringen hat, die der Fluchthaft eigen sein müssen. Zwar ist die Fluchtgefahr, die die aus bestimmten Tatsachen sich ergebende und naheliegende Möglichkeit bedeutet, der Beschuldigte werde sich dem Verfahren entziehen, selbstverständlich zu unterscheiden von der nur möglichen oder zu vermutenden Gefahr, der Inhaftierte könnte entweichen, sich also der Bewachung, was noch nicht bedeutet: dem Verfahren zu entziehen versuchen. Andernfalls wäre jede Untersuchungshaft wenigstens auch Fluchthaft, sogar ohne daß bestimmte Tatsachen die Gefahr der Entweichung nahelegten. Doch für die Gestaltung der Kollusionshaft kommt es auf die Unterscheidung von der Fluchthaft tatsächlich nicht an. Denn die zur Verhinderung von Verdunkelungshandlungen nach § 119 Abs. 3 StPO erforderlichen und zulässigen Rechtseingriffe wirken ebenso der Flucht vor dem Verfahren wie dem Entweichen entgegen. Es bleibt zu untersuchen, ob es sich mit der Haft anders verhält, die bezweckt, eine mutmaßliche Fortsetzung oder Wiederholung der angelasteten Tat zu verhindern. Sie ist auch bezüglich ihrer Ausgestaltung wohl von der Fluchthaft zu unterscheiden und fordert nach § 119 Abs. 3 StPO einen grundsätzlich anderen, eigenständigen, nämlich vom Vollzug der Fluchtund erst recht der Kollusionshaft sich absetzenden Vollzug. Unter Berufung auf den Haftzweck sind regelmäßig weder die Rechtseingriffe zulässig, die Kollusionen hindern, noch jene, die einer Flucht vor dem Verfahren 111
Das OLG Frankfurt hat jüngst mangels Kollusionsgefahr den unüberwachten Besuch der Ehefrau eines Untersuchungsgefangenen zugelassen (Strafverteidiger 1983, S, 465),
1. Gestaltung nach dem strafprozessualen Zweck
135
begegnen. Allerdings ist die Zulässigkeit von Eingriffsmaßnahmen im Hinblick auf den Zweck der Vorbeugehaft nicht einheitlich zu beurteilen, vielmehr davon abhängig, welchen Straftaten mit der Haft vorgebeugt werden soll. So wird die nach § 112 a StPO wegen eines Verdachts des Rauschgifthandels oder Betrugs und der Gefahr zukünftiger erheblicher Straftaten gleicher Art angeordnete Haft ähnlich der Kollusionshaft gestaltet werden können und damit anders als eine Haft nach § 112a Abs. l Nr. l StPO, die Sittlichkeitsdelikten zu begegnen hat. Letzterenfalls wird Postkontroüe regelmäßig zu entfallen haben, nicht aber bei der Gefahr, daß Rauschgifthandel oder Betrug fortgesetzt oder wiederholt werden. Immer jedoch sind die zur Sicherung der angeordneten Vorbeugehaft notwendigen, gegen Entweichung gerichteten Rechtseingriffe zulässig, allerdings nicht nach § 119 Abs. 3 StPO, wenn Haft und deren Zweck nicht identische Begriffe sein sollen. Die gegen Entweichungen gerichteten Maßnahmen rechtfertigen sich lediglich daraus, daß die Haft, weil nach §§112, 112 a StPO mit richterlichem Haftbefehl angeordnet, aufrechtzuerhalten ist, Die Zulässigkeit der zum Zwecke der Freiheitsentziehung und ihrer Sicherung getroffenen Rechtsbeschränkungen bemißt sich bei der Vorbeugehaft wie bei jeder Untersuchungshaft zwar nicht nach § 119 Abs. 3 StPO, aber unter Anwendung der anderen Rechtsgrundlage letztlich gleichermaßen im Einzelfail nach dem Grundsatz der Erforderlichkeit, Die Unterschiedlichkeit der Rechtsgrundlagen ist für die klassischen Haftarten Flucht- und Kollusionshaft ohne Bedeutung, da die einer Flucht vor dem Verfahren entgegenwirkenden Rechtseingriffe (§119 Abs. 3 StPO) auch das Entweichen hindern und die Kollusionen vorbeugenden Maßnahmen beiden verwandten Fluchtgefahren begegnen. Bezüglich der Vorbeugehaft hingegen könnte sich das die Zulässigkeit von Rechtseingriffen einschränkende Wort „nur" des § 119 Abs. 3 StPO irreführend auswirken. Im Ergebnis besteht jedoch wegen der Zulässigkeit der Haft und deren Sicherung kein praktischer Unterschied in der Rechtmäßigkeit von Vorkehrungen gegen Entweichen. Es stellt sich also praktisch, wenn auch nicht dogmatisch, jede Haft als Fluchthaft dar. Jede ist wie diese auszugestalten. Lediglich die rechtlichen Begründungen weichen voneinander ab. Im übrigen ist auch in praxi die Gestaltung des Vollzuges der Untersuchungshaft von dem Haftzweck abhängig, der sich aus dem im Haftbefehl benannten Haftgrund ergibt. Dies bedeutet zunächst, daß sich Kollusionsund Vorbeugehaft von der Fluchthaft und untereinander durch jeweils andere Beschränkungen unterscheiden, die im Einzelfall erforderlich sind und über die zur Verhinderung der Flucht angeordneten hinausgehen. Dies bedeutet weiter, daß die Fluchthaft regelmäßig die wenigsten Rechtseingriffe notwendig machen wird112, die Präventivhaft besondere, auch vom m
Vgl. Franke, in: Tagungsberichte der Jugendstrafvollzugskomm,, 9. Bd. 1979, S. 45, der deshalb energisch für einen nach Haftgründen differenzierten Volkug eintritt.
136
VI. Grundsätze des Untersuchungshaft Vollzugs
Typus des Delikts abhängige, dessen Begehung vorgebeugt werden soll, und die Kollusionshaft wird sich grundsätzlich als die Haftart erweisen, die die meisten Beschränkunen kumulieren muß. Die funktionale Differenzierung des Vollzugs, die nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und nach §119 Abs. 3 StPO geboten ist, wird nicht nur aus verwaltungstechnischen Praktikabilitätserwägungen eine Trennung der Gefangenen nach den Haftarten entsprechend dem jeweiligen Haftzweck erfordern. Die Trennung ist auch aus rechtlichen Gründen geboten. So ist insbesondere der kollusionsverdächtige Beschuldigte von den anderen getrennt zu haken, da andernfalls die bei Kollusionshaft notwendig werdenden Beschränkungen auf die Fluchthaft zu erstrecken wären, um sie nicht durch Mittlertätigkeiten derjenigen Inhaftierten umgehen zu lassen, bei denen mangels Kollusionsgefahr keine entsprechenden Vorkehrungen getroffen sind. Dieser Gefahr ist nur durch Trennung der Inhaftierten 115 nach Haftarten zu begegnen, nicht etwa dadurch, daß der wegen Flucht- oder Wiederholungsgefahr inhaftierte Beschuldigte allgemein den bei Verdunkelungsgefahr erforderlichen Beschränkungen unterworfen wird. So wie nur gegen einen kollusionsverdächtigen Beschuldigten, nicht aber gegen einen Dritten, der ihm bei der Verdunkelung oder mit einer solchen zu Hilfe kommen will, Haftbefehl ergehen darf, so darf der in fremder Sache kollusionsverdächtige Inhaftierte nach § 119 Abs. 3 StPO nicht den Beschränkungen unterworfen werden, die gegen einen in eigener Sache kollusionsverdächtigen Beschuldigten erforderlich und deshalb zulässig sein können; erst recht sind die nach dem Haftzweck unzulässigen Beschränkungen, die die Unterstützung fremder Kollusionen hindern sollen, nicht schon wegen der generellen Möglichkeit, daß die Hilfe geleistet wird, zulässig.
2. Die Gestaltung des Vollzugs nach dem Grundsatz möglichster Einschränkung des Sonderopfers („Minimalisi erungsgebot") a) Inhalt und Herleitung Der als unschuldig geltende Verdächtige erbringt im Falle seiner Verhaftung mit dem Erleiden der Untersuchungshaft der Allgemeinheit in deren Interesse ein Sonderopfer114. Untersuchungshaft wird zu Recht als „ein Fall 113
Die Trennung muß selbstverständlich umfassend und durchgängig gewährleistet sein, also beispielsweise auch ein Zusammentreffen im Besucherzimmer ausschließen; vgl. VaUmuth, Kriminalistik 1975, S. 448. "o Dsinnebter bei Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., Rdn. 4 vor § 112; § 119 Rdn. 43, 128; Wendisch ebda., 24. Aufl., Rdn. 4 vor § 112; § 119, Rdn. 33, 111; Boujong, KK, Rdn. 12
2, Gestaltung nach dem Grundsatz möglichst geringen Sonderopfers
137
der Aufopferungspflicht gegenüber der Gesellschaft"115 bezeichnet. Dreher sieht in ihr ein „Übel, das der vermutlich Unschuldige im Interesse der Rechtspflege in ähnlicher Weise zu dulden hat wie ein epidemischer Krankheit Verdächtiger die Quarantäne" 1IS . Untersuchungshaft ist heute wie eh und je, so von Riscb schon vor mehr als einem Jahrhundert erkannt, „ein von den sozialen Interessen geforderter, innerlich aber nicht gerechtfertigter Eingriff in die persönliche Freiheit"117. Art und Ausmaß der Aufopferung sind hier nicht erneut zu beschreiben. Kurz in Erinnerung gerufen soll aber doch werden, daß der verhaftete Verdächtige anders als der Unverdächtige, der nicht dringend Verdächtige und der dringend Verdächtige, bei dem kein Haftgrund bejaht wird, selbstverständlich nicht nur seine körperliche Bewegungsfreiheit (Art. 2 Abs. 2, Satz 2, Art. 11 GG) einbüßt, sondern auch zahlreiche andere Freiheiten (Art. 2 Abs. l, Art. 4 Abs. 2, Art. 5 Abs. l, Art. 6 Abs. 2, Art. 8 Abs. l, Art. 9 Abs. l, Art. 12 GG) wie seine mitmenschÜchen Kontakte einschließlich der familiären und beruflichen erheblich eingeschränkt werden, insgesamt die Freiheit seiner Lebensgestaltung dem Haftzweck, den Anstaltszwängen und der Eintönigkeit unterworfen wird, seine Verteidigungsmögiichkeiten im Vergleich zu denen aller anderen Beschuldigten nicht unerheblich ungünstiger sind, er eine ungleich größere Einbuße an Ehre und Ansehen durch die Inhaftierung erleidet und mit dem „Zustand unnatürlicher Lebensbedingungen"118 auch psychische Belastungen in höherem Maße zu ertragen hat, die jedenfalls bei längerer Haft zu psychischen Störungen115 erheblichen Ausmaßes führen (Sinnestäuschungen, schwere
vor § 112; vgl. z. B. auch Peters, Strafprozeß, 3, Aufl., S. 410; Hennerkes, Grundrechte, S, 81; Schröder, JR 1971, S. 28; Müller-Diet^, ZStW 93. Bd, (1981), S. 1206, 1224, 1257; Bottke, Suizid und Strafrecht, 1982, S. 220; Hautmtr, Strafverteidiger 1984, S. 40; Habersfroh, Jura 1984, S, 232. 115 KleinknechtlMeyer, StPO-Komm., 36. Aufl., Rdn. 9 vor § 1 2; s. z. B. auch Ham, Syst. Komm. StGB,"3. Aufl., § 51, Rdn. 3, 116 Dreher, Zweifelsfragen zur Anwendung der Untersuchungshaft nach der Neufassung des § 60 StGB, MDR 1970, S. 965 ff, 968, 117 Risehs Das Gesetz, die Einführung des Strafgesetzbuches u. des Polizeistrafgesetzbuches für das Kgr. Bayern v, 10. Nov. 1861, betreffend, in: v, Dollmann, Hrsg., Die Gesetzgebung des Kgr. Bayern seit Maximilian II., 3. Theil, 3. Bd., 1862, S. 3 ff, 203. 118 Birnbaum, Die psychopathischen Verbrecher, 2, Aufl. 1926, S. 159; ebenso Sieverts, Haftpsychologie, in; Hdw, der Kriminologie, 2. Aufl., hrsgg. v. Sieverts/Schneider, Bd, 4, Ergbd., 1979, S. 445 ff, 446. 1f9 S. schon ob. Abschn. III, S. 38ff; V/2, S. 67 und aus der neueren Literatur z.B. nur Ohm, Persönlichkeitswandlung unter Freiheitsentzug, 1964, S. 20 ff; GritaitergtrjSluga, „Funktionelles Psychosyndrom" bei Freiheitsentzug, Wien, Med, Wochenschr. 1968, S. 962 ff; BinwangerlBrandenberger, SchweizZStrR 91. Bd., 1975, S. 409 ff, die die vorgefundenen Verhältnisse vom medizinischen Standpunkt aus als „unhaltbar" bezeichnen; Sieverts aaO, (vorige Fn.) S, 447 ff; Sehest, In Haft, S. 5t ff.
138
VI. Grundsätze des Untersuchungshaft Vollzugs
Angstzustände, Konzentrationsschwäche120, Beeinttächigung der Denkprozesse121, Infantilismus122) und ebenso als Sonderopfer hinzunehmen sind wie körperliche Schädigungen123 (reversible Veränderung der Augen durch begrenzte Sicht124). Schon wegen der Unschuldsvermutung hat der lediglich 2ur ratio des § 51 StGB erhobene Einwand, der spater als schuldig verurteilte Häftling sei keinem Sonderopfer ausgesetzt gewesen125, jedenfalls für die Frage nach der Gestaltung der Untersuchungshaft keine Bedeutung. Dasselbe gilt für die jüngst getroffene Feststellung, die Bezeichnung der Untersuchungshaft als Sonderopfer treffe „die Sache freilich nicht im Kern"126, weil sie durch einen Tatverdacht veranlaßt sei und nur den Tatverdächtigen treffen könne. Für die Dauer der Haft stellt sich diese immer als Sonderopfer dar, weil so lange die Fragen offen bleiben, ob eine rechtskräftige Verurteilung erfolgt, auf welche Strafart gegebenenfalls erkannt wird und wie hoch eine Strafe sein wird. Die Betrachtung ex ante, die vor Abschluß des Erkenntnisverfahrens auf Tatverdacht und Haftgründe abstellt, vermag Untersuchungshaft als unverzichtbar erscheinen zu lassen, nicht aber den Verhafteten als „ein bißchen schuldig"127, so daß die Beschränkung der Untersuchungshaft auf Tatverdächtige nichts an dem Wesen dieses Freiheitsentzugs als Sonderopfer ändert128. Eine Betrachtung ex post, aus der Sicht nach Verfahrensabschluß, kann in Ausnahmefallen (Provokation der Haft urn der Anrechnung willen, böswillige Verfahrens Verschleppung) zur Versagung der Anrechnung nach § 51 Abs. l Satz 2 StGB führen139, ist aber während des Vollzugs weder möglich noch als hypothetische zulässig, 120
Radbrueh, ZStW 32. Bd., 1911, S. 345, sprach von „idecnflüchtiger Konzentrationsunfähigkeit" und „Gedachtnisschwächung1"; s. auch Birnbaum (ob. Fn. 118) S. 166; Btoem, BlfGefK 65. Bd. (1934), Suppl, H., S. 30; H, Marx, Vjschr. f. gerkhtl. Medizin, 47. Bd. (1914), 1, Suppl. H., S. 261 („Trägheit des Gedankenablaufs"). '21 Binswanger\Brande»fargr, SchwZStrR 1975, S. 410; Radbrucb, ZStW 32. Bd., S. 346; s. aber auch ebda. S, 342, und Auer> Psychologie der Gefangenschaft, 1905, S. 23, 51, 62, 84. 122 S. z, B. Treu, Der Bankrott des modernen Strafvollzuges, 1904, S. 73; Ohm, Persönlichkeitswandlung, S, 29. 123 Ohm, Persönlichkeitswandlung, S. 27, 54; Sieveris, Die Wirkungen der Freiheitsstrafe etc., S. 46; Aschaffenburg, MKrirn,, 23. Jg. 1932, S, 262; Birnbaum, Die psychopath. Verbrecher, S. 162, 165. !2 < Scheu, In Haft, S. 84 f; e. H tntig, Die Strafe, Bd. II, 1955, S. 233; Ohm (wie vorige Fn.) S. 91. 125 BGHZ 60, 304; zust. z. B. Trötidle, LK, 10. Aufl., 5 51 Rdn. 13. 126 Hassemer, Strafverteidiger 1984, S, 40. 127 So auch Hassemer aaO. (vorige Fn,). 128 Wolter, ZStW 93. Bd. (1981), S. 486. 129 Dreher, MDR 1970, S. 970; Demker, Die Anrechnung der Untersuchungshaft, MDR 1971, S. 627 ff, 628 f; S tree bei Schenke/Schröder, StGB, 23. Aufl., § 51, Rdn. 18; Lackner, StGB-Komm., 15. Aufl., §51, Anm. l f bb); s. auch § 63 AE-StGB.
2. Gestaltung nach dem Grundsatz möglichst geringen Sonderopfers
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Wegen der UnschuktsVermutung ist vor rechtskräftiger Verurteilung nicht festzustellen, daß der Beschuldigte mit der Straftat eine Voraussetzung seiner Verhaftung geschaffen hat. Auch die Ausnahme, daß der Verhaftete bewußt, aber zu Unrecht dringenden Tatverdacht auf sich selbst gelenkt und damit die Haft schuldhaft verursacht hat, kann naturgemäß erst entdeckt werden, wenn Haft bereits vollzogen ist, und beachtet werden, wenn sie mangels Tatverdachts aufzuheben ist, ihre Gestaltung also nicht beeinflussen, wohl aber die Entschädigungsfrage130. Die Tatsachen, die einen der im Interesse der Rechspflege geschaffenen Haftgründe ergeben, schließen es nie aus, die Untersuchungshaft ex ante als Sonderopfer zu sehen. Das versteht sich von selbst für die Umstände, die der Beschuldigte nicht geschaffen oder nicht zu verantworten hat, aus denen aber auf Flucht- oder Verdunkelungsgefahr geschlossen werden kann131. Aber auch in Fällen, in denen der Verhaftete die zur Bejahung eines Haftgrundes führenden Tatsachen eigenverantwortlich herbeigeführt hat, beispielsweise durch Flucht, Fluchtvorbereitungen, Verborgenhalten oder Verdun kelungsversuche die Verhaftung sich selbst zuzuschreiben hat, bleibt die Untersuchungshaft ein der Allgemeinheit erbrachtes Sonderopfer. Denn zum einen ist die Untersuchungshaft auch in diesen Fällen die einem (noch) Unschuldigen zugefügte „Freiheitsentziehung, die durch Umstände notwendig wird, die ein Strafverfahren mit sich bringt"132, ohne daß dem, der als unschuldig gilt, ein unzulässiges oder gar strafrechtlich relevantes Verhalten anzulasten wäre. Untersuchungshaft ist keine „Lügenstrafe" und auch keine Sanktionierung der Selbstbegünstigung133, Zum ändern können die Umstände, die bereits Voraussetzung der Haft sind, selbst gegen eine zum Ausgleich des zugefügten Übels vorzunehmende Anrechnung der Untersuchungshaft auf eine Strafe nicht angeführt werden134. Es sind also die im Zusammenhang mit § 51 StGB und dem Entschädigungsrecht gegen die Charakterisierung der Untersuchungshaft als Sonderopfer eines Verdächtigen in Ausnahmefallen zu erhebenden Einwände erst nach Verfahrensabschluß von Bedeutung. So beeinflußt die Tatsache, daß der Untersuchungshäftling zugunsten der Allgemeinheit mit der Entziehung seiner Freiheit eine in mehrfacher Hinsicht außergewöhnliche, nämlich besondere, weil keineswegs alle treffende und dazu schwere Leistung
130
S. § 6 StrEG und dazu Schätzer, StrEG-Komm., 2. Aufl. 1982, § 6, Rdn. 6. Vgl. Schröder, JR 1971, S, 28, 112 Strte aaO. (ob. Fn. 129). m Vgl. Gailas, Niederschr. Gr. Strafrechtskomm., Bd. 4, S. 284; Dreher, MDR 1970, S, 971; Schröder, JR 1971, S, 28. 114 S. statt vieler z. B. Dreher, MDR 1970, S. 970; Dencker, MDR 1971, S. 628 („gesetzeslogisch"); BGHSt. 23, 307; Tröndle, Leipz. Komm., 10. Aufl., §51, Rdn, 47 ff; Horn, Syst. Komm., 3. Aufl., § 51, Rdn. 15. 131
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VL Grundsätze des Untersuchungshaftvollzugs
zu erbringen hat, in jedem Falle die Gestaltung der Untersuchungshaft grundsätzlich: Als Sonderopfer ist nur das Unerläßliche zu fordern, und aus seinem Wesen folgt, daß der es abverlangende Staat alles zu unternehmen hat, es gering zu haken, also dem Untersuchungsgefangenen seine Lage erleichtern muß135. Der Entzug der Bewegungsfreiheit bringt zahlreiche Einschränkungen anderer Freihehstechte mit sich, ohne daß diese Beeinträchtigungen nach irgendeinem gesetzlichen Zweck einer Untersuchungshaft oder zur Aufrechterhaltung der Ordnung in der Anstalt überhaupt oder in dem eintretenden Ausmaß erforderlich sind. Deshalb erwächst aus der Rechtsbeschränkung (z, B. Einsperrung hindert Kontakte zu Außenstehenden) selbst ein Leistungsanspruch (z, B. auf Vermittlung von Haftzweck und Ordnung nicht beeinträchtigenden Kontakten), dessen Versagung wiederum eine unzulässige Beschränkung darstellen kann 136 . Umfassender wird danach zu Recht eine der Verhaftung folgende Fürsorgepflicht aller „mit dem Vollzug befaßten Behörden (Ministerium, Vollzugsanstalt, Richter)" bejaht, die es gebietet, dem Verhafteten „das bereitzustellen, was er zu Hause zur Verfügung hatte"137, mit dem Ziel, die Haft so zu vollziehen, „daß die bisherige Lebensführung des Verhafteten so wenig als möglich beeinträchtigt wird"138. Das ergibt sich auch aus § 119 Abs. 3 StPO, weil die Vorschrift nur die erforderlichen Beschränkungen der allgemeinen Handlungsfreiheit des Verdächtigen zuläßt, somit nur die mildesten der effektiven gestattet und also die Freiheit der Lebensgestaltung des Gefangenen und seine bisherige Lebensführung so weit unangetastet sehen will, wie dies nach dem Haftzweck und im Hinblick auf die erforderliche Ordnung in der Anstalt möglich ist. Eine Leistungspflicht139 der Vollzugsverwaltung ergibt sich aus § 119 Abs. 3 StPO insofern, als unerläßliche Eingriffe wie z. B, der weitgehende Entzug der Bewegungsfreiheit durch Einsperrung in einer Vollzugsanstalt gleichzeitig durch mögliche „Gegenmaßnahmen" oder Kompensationen zu mildern sind.
135
S. z.B. schon Hennerkes, Grundrechte, S. 8t; Marx, Reform der Untersuchungshaft, in; Strafvollzug in Preußen, hrsgg. v, Preuß. Justizministerium, 1928, S. 92. 136 Vgl. Veit, Rechtsstellung, S. 42, 67. 137 Dünneb'ier hei Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., § 119, Rdn. 44; wörtl, ebenso Wtndwb in der Neuaufl. (24.), Rdn. 34, tjs Dünnebier aaO. Rdn. 43; s. auch Rdn, 3 vor § 112; Wendisch bei Löwe-Rosenberg, 24. Aufl., § 119, Rdn. 33; ähnlich z. B. bereits Riseb bei v. Dollmann, Hrsg., Die Gesetzgebung des Königr. Bayern etc,, 3. Theil, 3. Bd., 1862, S. 203; Die%, Jahrb. d. Gefängniskunde, Bd. 6, 1845, S. 234. 139 Diese wurde wenigstens ansatzweise bereits von dem Bruchsaler Anstaltsleiter Die%, Jahrb. d. Gefängniskunde, Bd. 6, 1845, S. 243 den Rechtsgrundsätzen des Untersuchungshaftvollzugs entnommen („allgemeine Verpflichtung, diesen", nämlich den Untersuchungsgefangenen, „die Haft so erträglich wie immer möglich zu machen").
2, Gestaltung nach dem Grundsatz möglichst geringen Sonderopfers
Hl
Die Verpflichtung, alle mit der Untersuchungshaft verbundenen Beschränkungen so gering wie möglich zu halten und deshalb unerläßliche noch zu mildern, ist Inhalt der prozessualen Fürsorgepflicht140 und entspricht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dem Rechtsprinzip, das auch das gesamte Recht der Untersuchungshaft beherrscht. Das Gebot stützt sich zudem auf den Charakter der Untersuchungshaft als strafprozessuale Einrichtung und folgt deshalb dem Grundsatz des „fair trial"141 (Art. 6 Abs. l MRK). Bei Gestaltung der Untersuchungshaft ist nicht nur ihr engerer Zweck, die Sicherung des Verfahrens vor Flucht und Kollusionen, als Grenze zulässiger Beschränkungen, sondern auch die Stellung des Verhafteten als Verfahrens beteiligter im Auge zu behalten. Die Haft beeinträchtigt sie142. Die Freiheitsentziehung nimmt dem Verdächtigen nicht nur tatsächliche Möglichkeiten der Verteidigung und Verteidigungsvorbereitung. Sie beeinträchtigt vielfach auch seine physische und psychische Verteidigungsfähigkeit und -bereitschaft, Durch eine Minimalisierung der mit der Haft verbundenen Belastungen, d. h. Vermeidung aller nicht konkret unerläßlichen Eingriffe und Gewährung aller vertretbaren Leistungen, ist dafür zu sorgen, daß seine Stellung als Prozeßsubjekt und seine Möglichkeiten, am Strafverfahren aktiv teilzunehmen, denen des auf freiem Fuß belassenen Verdächtigen angenähert bleiben oder werden, wenn die Untersuchungshaft nicht einerseits dem Verfahren dienen, ihm damit aber gleichzeitig uneingeschränkt soll Abbruch tun dürfen durch Erschwerung der Wahrheitsfindung und faktische Änderung der prozeßordnungsgemäßen Rolle eines Verfahrensbeteüigten.
h) Verhältnis yt § 119 Abs. 4 StPO Der Grundsatz, die mit der Untersuchungshaft einhergehenden Eingriffe in die Freiheiten des Verdächtigen von vornherein so gering zu halten, wie es nach dem Zweck der Haft und im Hinblick auf die Ordnung in der Anstalt möglich ist, und zudem durch Leistungsgewährungen zu mildern, könnte durch § 119 Abs. 4 StPO teilweise, nämlich hinsichtlich der Gewährungen, in Frage gestellt sein. Zwar garantiert § 119 Abs. 4 einen „bequemen" Vollzug der Untersuchungshaft143, wird die Vorschrift im wesentlichen als eine Klarstellung oder Verdeutlichung des § 119 Abs. 3 StPO 140
S. statt vieler zur in neuerer Zeit betonten Fürsorgepflicht des Gerichts Sax, KMR, 7. Aufl. 1980, Einl. XII, Rdn. 10, 141 S. dazu statt vieler z. B. Roxta, Strafverfahrensrecht, 17. Aufl. 1982, S. 56f. 142 S. ob. Abschn. 1/2, S. 8; III, S. 38 m. Fn. 4; V/2, S. 67; vgl. auch Seebode, Hrsg., Mitteilungen einer Untersuchungsgefangenen, S. 174ff, 182ff; Hoff, Neun Monate in Untersuchungshaft, S. 191, 216. 143 Dünntbier bei Löwe- R o sen be rg, 23. Aufl., § 119, Rdn. 119, 43; in der 24. Aufl. Rdn. 103, 33.
142
VI. Grundsätze des Untersuchungshaftvollzugs
verstanden144, die sich wohl aus der Bedeutung des in den Absätzen 3 und 4 des § 119 StPO zum Ausdruck gebrachten Prinzips rechtfertigt, aber im Grunde als entbehrlich 145 betrachtet, wenn sie auch als zur Konkretisierung hilfreich146 angesehen werden kann 147 . Denn die Versagung einer Bequemlichkeit ist eine Beschränkung, und auch „die gesetzliche Garantie einer bequemen Untersuchungshaft"1"8 ist in §119 Abs. 3 StPO enthalten149, Doch die Bedeutung des § 119 Abs. 4 StPO geht, und darüber kann wegen des klaren Wortlauts kaum Meinungsverschiedenheit bestehen, über die hilfreiche Verdeutlichung der den Vollzug der Untersuchungshaft beherrschenden Grundregel hinaus, Die im Grundsatz auch in die vorliegenden Entwürfe eines Gesetzes über den Vollzug der Untersuchungshaft150 übernommene Vorschrift verdeutlicht nicht nur die Gebote, die Haft so wenig belastend und so individuell wie möglich zu gestalten, sondern bringt daneben dreierlei zum Ausdruck. Es sollen zunächst von den in § 119 Abs. 3 StPO behandelten Rechtseingriffen (status negaüvus des Untersuchungsgefangenen) die Gewährungen (status positivus) unterschieden werden } die Bequemlichkeiten betreffen. Dies ist doppelt problematisch, Denn Entzug und Versagung einer Bequemlichkeit sind Beschränkungen im Sinne des § 119 Abs. 3 StPO, und zudem läßt sich kaum abgrenzen, was allgemein oder individuell eine Bequemlichkeit darstellt151. Weiterhin legt § 119 Abs. 4 StPO fest, daß die Einrichtung von Bequemlichkeiten nicht von seiten der Anstalt zu erfolgen braucht, die Verschaffung vielmehr m
KleinknechtlMeyer, 36. Aufl., § 119, Rdn. 37; KleinkfiethtlJaniscbowsky, Das Recht der Untersuchungshaft, S. 111, Rdn. 347; Boujong, KarlsrKomm,, § 119, Rdn. 65; Grtmau, JR 1983,5.437. MS Veit, Rechtsstellung, S. 69. 146 Ygj_ Dünmbitr bei Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., § 119, Rdn, 121, der die Bequemlichkeitsgarantie gar für „auslegungsbestimmend" hält; ebenso Wendisch in der 24, Aufl. dess. Komm., §119, S. 105. 147 Lediglich darauf ist wohl die Aufnahme des §119 Abs. 4 StPO in das Gesetz zurückzuführen, der in der Regierungsvorlage nicht enthalten war und von der Reichstags (commission auf Anrrag des Abg. Hauck, den er nicht begründete, ohne Diskussion übernommen wurde (s, HaknjSiegemantt, Die ges, Mat. zur StPO, 2. Aufl., Bd. l, 1885, S. 17, 132, 668ff; Bd. 2, 1886, S, 1280f, 1837ff, 2089, 2190). UB Däanebitr aaO. Rdn. 119 (ähnl. Rdn. 43, 121); Wendisch aaO. Rdn, 103 (ähnl. Rdn. 33, 105). 149 Anders womöglich Düaaebier aaO, Rdn. 119; Wendisch aaO. Rdn. 103. 150 Döschl u. a. (Anstaltsleiter), § 3 Abs. 3 EntwUVollzG, Baumann, § 4 Abs. 2 EntwUVolizG. 151 Veit, Rechtsstellung, S. 69 („unglückliche Formulierung des Abs. 4"); Dünmbkr bei Löwe-Rosenberg, 23, Aufl., §119, Rdn. 121; BWwfAebda., 24. Aufl., § 119, Rdn. 105. Unterschiedliche Umschreibungen bereits des Begriffs „Bequemlichkeiten" finden sich bei Müller, KMR, 7, Aufl., § 119, Rdn. 35 (zust. Boujsng, KarisrKomm., § 119, Rdn. 65); Gwnati, UVollzO, Nr. 18, Rdn. 3, S. 54, und Diitmebitr aaO. Rdn, 117, 121 (diesem zust. Vtit aaO; Wendisch aaO. S. 102; s, auch Schock bei Kaiser u.a., Strafvollzug, 3. Aufl., S. 113).
2. Gestaltung nach dem Grundsatz möglichst geringen Sonderopfers
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der Initiative und dem Belieben des Gefangenen überlassen ist. Schließlich regelt die Vorschrift die Kostentragungspflicht, und zwar zu Lasten des Verhafteten, Dies ist wohl, wie zuerst Veit152 betont hat, die wesentlichste Aussage des § 119 Abs. 4 StPO153, die allerdings bei der Gesetzesberatung nicht zum Ausdruck gekommen ist154. Der Begriff „Bequemlichkeiten" ist entscheidend für die Frage, ob und inwieweit § 119 Abs. 4 StPO die unter a) dargelegte Pflicht der Justiz berührt, das dem Untersuchungsgefangenen abverlangte Sonderopfer nicht nur durch Begrenzung der Rechts«'egr/#f? auf das Notwendige gering 2u halten, sondern auch durch Gewährung von Erleichterungen, die der staatlichen Fürsorgepflicht, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der Unschuldsvermutung und der strafprozessualen Aufgabe Rechnung tragen, die Mitwirkungsfähigkeit des Beschuldigten im Strafverfahren nicht zu beeinträchtigen. Bequemlichkeiten i. S.d. § 119 Abs. 3 StPO sind, wie Dütinebier nachgewiesen hat, Gegenstände, die sich der Verhaftete zusätzlich oder statt zur Verfügung gestellter beschafft155. Da das Gesetz also einen Sachbegriff und keine Zustandsbeschreibung verwendet155, ist die Bequemlichkeit des Untersuchungshaft Vollzugs durch Bewachung in der eigenen Wohnung156 keine solche des §119 Abs. 4 StPO157, wenn auch der Garantie einer bequemen Untersuchungshaft entsprechend. Auch die bauliche Anlage der Untersuchungshaftanstalt, die Große des Haftraums oder des Fensters und die Sichtmöglichkeit sind beispielsweise von der Vorschrift nicht erfaßt. Welche Gegenstände aber dem Beschuldigten zur Erleichterung der Haft von Amts wegen gewährt werden und welche er zu seiner Bequemlichkeit unter den näheren Voraussetzungen des 119 Abs. 4 StPO (Haftzweck, Ordnung) selbst nach seinem Belieben und dann auf eigene Kosten anzuschaffen hat, ist dem Wortlaut des Gesetzes nicht zu entnehmen. Ob ein Gegenstand der Bequemlichkeit dient, entscheidet sich nach Zeit und Person unterschiedlichen Auffassungen 158 und ist in bezug auf § 119 Abs. 4 StPO nur im Zusammenhang mit Abs. 3 derselben Vorschrift zu beurteilen159. Dies bedeutet» daß die Justiz wegen der den Vollzug der Untersu152
Veit aaö. S. 69; s. auch Kleinknecht l Meyer aaO. S. 37, Anders Dünmbier aaO, Rdn. 119; Wendisch aaO, S. 103; unentsch. Schlächter, Das Strafverfahren, S. 222, Fn. 201. 153
ts4
155
S. ob. Fn. 147.
Dünnebitr bei Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., § 119, Rdn. tt6f; zust. Wendisch ebda., 24. Aufl., §119, Rdn. 102; Schock aaO. S. 113; ährtl. Grunau, UVollzO, Nr. 18, Rdn. 3 („Dinge"), and. Müller, KMR, 7, Aufl., 119, Rdn. 35, 154 S. ob. Abschn, V, S. 56 ff, 90 ff. 157 Anders wohl Müller, KMR aaO. Rdn. 35, da er die Ausführung zu den Bequemlichkeiten zählt, 158 Vgl. Veit, Rechtsstellung, S. 69 f; Grunatt, UVollzO, Nr. 18, Rdn. 3, S. 54. 159 Dünnebkr zzO. Rdn. 121; Wtnduch aaO. Rdn. 105; s. auch Boy, Reform der Untersuchungshaft, 1897, S. 24, 39.
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VI. Grundsätze des UntersuchungshaftvoJlzugs
chungshaft beherrschenden und auch in § 119 Abs, 3 StPO zum Ausdruck kommenden Rechtsprinzipien keineswegs aus ihrer Verpflichtung entlassen ist, dem als unschuldig zu betrachtenden Untersuchungsgefangenen seine bisherige Lebensführung so weit zu erhalten, wie es nach dem Haftzweck und im Hinblick auf die Ordnung in der Anstalt möglich ist, sie vielmehr sich um mögliche Erleichterungen der Haft bemühen muß. Die Pflicht zur Gewährung von Gegenständen, die das Leid der Haft erträglicher machen, findet ihre Grenze jedoch in Bequemlichkeiten oder Behaglichkeiten160, die der Beschuldigte sich auch in Freiheit auf eigene Kosten zu verschaffen hätte und die nicht durch die Verhaftung veranlaßt sind, so z. B, eigene Kleidung, eigenes Essen und Trinken, Tabakwaren, Zeitschriften, Bücher, eigene Schreibmaschine, Trockenrasierapparat161. Wenn demgegenüber Bequemlichkeiten i. S.d. §119 Abs. 4 StPO als „Dinge" definiert werden, „welche die Kargheit und Eintönigkeit der Zelle und ihres Inventars mildern"162, so wird wie mit der Definition als „Vergünstigungen gegenüber der nach der Anstaltsordnung generell vorgesehenen Lebenshaltung"163 das in der jeweiligen Anstalt Gegebene als Maßstab gewählt. Der jeweilige Standard muß aber weder dem allgemeinen Lebensstandard entsprechen noch dem individuellen des Verhafteten noch der Tatsache, daß die Verhaftung keine Befugnis gibt, über ihren Zweck und das Erfordernis der Ordnung in der Anstalt hinaus die Lebensführung des Verdächtigen auf einen Mindeststandard zu senken oder von Amts wegen nur nach einem gewissen und für alle Inhaftierten einheitlichen Niveau zu bestimmen. Der oben dargelegten übergeordneten Gestaltungsgrundsätze wegen ist der Begriff „Bequemlichkeiten" nicht an einem „normalen Vollzug"164, also einem unbestimmten, falls nicht den jeweiligen Zustand festschreibenden, zu orientieren, aus denselben Gründen auch nicht an einer „normalen Lebensführung"165. § 119 Abs. 4 StPO engt die Verpflichtung, von Amts wegen die äußeren Bedingungen der bisherigen Lebensführung des Beschuldigten durch Vollzugsleistungen zu erhalten, die mit dem Haftzweck und der Ordnung in der Anstalt vereinbar sind, nur insofern ein, als der Verdächtige keine auf Staatskosten zu erbringenden Hafterleichterungen beanspruchen kann, die er als Annehmlichkeiten seines Lebens außerhalb 160
Dünnebier aaO. Rdn, 116 f; Wendisch aaO. Rdn, 101 f. So z. B, auch KkinknecbtUanitchowsky, Das Recht der Untersuchungshaft, S. ill, Rdn. 347; Baujong, KadsrKomm,, 119, Rdn. 65; Dünnebier aaO. Rdn. 117, 148 f; den. bei Lüttger, Hrsg., Probleme der Strafprozeß reform, S, 42; Wendisch, Löwe-Rosenberg, 24, Aufl., § 119, Rdn. 102, 127f. 1(52 Grunau, UVollzO, S. 54, von Veit, Rechtsstellung, S. 69, Fn. 171, mit Recht als „viel zu eng" abgelehnt. 165 Malier, KMR, 7. Aufl., § 119, Rdn. 34; zust. Boujong, KarlsrKomm., § 119, Rdn. 65. 1M Veit aaO. S. 69. ws Düttnebier bei Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., 5 119, Rdn. 121; Wendisch ebda., 24. Aufl., §119, Rdn, 105. lfil
2. Gestaltung nach dem Grundsatz möglichst geringen Sonderopfers
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der Haft selbst sich verschaffen und finanziell tragen oder ausschließen würde. Danach ist z. B, ein etwa gewünschtes Zeitungsabonnement vom Inhaftierten selbst und auf seine Kosten zu bestellen, es sei denn, es steht zuhause seiner Familie und ihm zur Verfügung und ist deshalb als zusätzliches und durch das Sonderopfer der Haft bedingt von ihm nicht noch einmal zu bezahlen166. c) Der
Angleichungsgrundsafy
Das Gebot, den Vollzug det Untersuchungshaft so zu gestalten, daß sie dem Gefangenen möglichst wenig von seiner bisherigen Lebensgestaltung nimmt und den Lebensbedingungen, die in Freiheit bestehen, geringstmöglichen Abbruch tut167, entspricht zum Teil dem sog, Angleichungsgrundsatz, der für den heutigen 168 Strafvollzug gesetzlich normiert ist: „Das Leben im Vollzug soll den allgemeinen Lebens Verhältnissen soweit als möglich angeglichen werden" (§ 3 Abs. l StVollzG). Es bestehen jedoch einige, nicht unbedeutende Unterschiede, auf die einzugehen ist, weil die wortwörtliche Übernahme des strafvollzugsgesetzlichen Angleichungsgrundsatzes in ein Gesetz über den Vollzug der Untersuchungshaft vorgeschlagen wird169 und auch zu diskutieren ist, ob eine von Jürgen Baumann empfohlene, für die Untersuchungshaft modifizierte Fassung170 dem Wesen dieser Haft und der Rechtsstellung des Untersuchungsgefangenen hinreichend Rechnung trägt. Im Kern und im Ergebnis muß das strafvollzugsrechtliche Gestaltungsprinzip, das aus dem für die Untersuchungshaft wegen der Unschuldsvermutung abzulehnenden Ziel des Strafvollzugs folgt, den Verurteilten zu einem straffreien Leben in sozialer Verantwortung zu befähigen (§ 2 StVollzG)171, erst recht gelten, wenn auch aus einem anderen Grunde, von einem anderen Ansatz her und in erweiterter Fassung. aa) Gegenüber dem nur verdächtigen Gefangenen fehlt schon jede Befugnis, über § 119 Abs. 3 StPO hinaus die in Freiheit gegebenen Lebensbedingungen zu ändern. Dies bedeutet zunächst, daß die Gestaltung der Untersuchungshaft von vornherein und grundsätzlich an den in Freiheit herrschenden Lebens-
1W
Diamtbitr aaO, Rdn. 44; Wendisch aaO, Rdn, 34, Dünnfbier und Wendisch, jew, aaO. Rdn, 3 vor § 112. 1fte Postuliert z, B, bereits von Radbrucb, ZStW 32. Bd., 1911, S. 353. w Descbl u. a. (Anstaltsleiter), EntwUVoIlzG, 1982, 3 Abs, 1. 170 Battmana, EntwUVoIlzG, 1981, §3 Abs. 2 S. 2: „Das Leben im Vollzug soll den allgemeinen Lebensverhältnissen und den Verhältnissen des Gefangenen soweit als möglich angeglichen werden". 171 S, nur Müütr-Diet^, Strafvollzugsrecht, 2. Aufl. 1978, S. 83, u, schon Radbnch, ZStW32. Bd., 1911, S. 353. 167
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VI. Grundsätze des Untersuchungshaftvollzugs
Verhältnissen auszurichten ist, was nicht für jeden172 Strafvollzug wesensnotwendig oder gar zwingend ist, und markiert zwei Unterschiede, einen in der Begründung, den ändern im Geltungsanspruch des Angleichungsgrund satzes im Straf- und Untersuchungshaftvollzug. Für die Untersuchungshaft ist der Grundsatz von einem anderen, eher entgegengesetzten Ansatz her begründet als für die Strafhaft. Während der Freiheitsstrafe die Angleichung ihres Vollzuges an die allgemeinen Lebensverhältnisse nicht immanent ist, aber dem Verurteilten in einem sozialstaatlichen Strafvollzug in Verfolgung des aufgegebenen Behandlungszieis gewährt wird, hat jede Untersuchungshaft sich nicht eigentlich an die allgemeinen Lebensverhältnisse anzugleichen, sondern diese weitgehend zu bewahren, nämlich nach der UnschuldsVermutung und vom Zweck der Haft her nicht mehr als erforderlich umzugestalten. Der Angleichungsgrundsatz stellt sich also für den Vollzug der Untersuchungshaft eher als das Gebot dar, die allgemeinen Lebensverhältnisse auch in der Haft zu erhalten und nicht mehr als nötig zu verändern; wenn diese andersartige Ableitung und Fassung am Ergebnis auch nicht viel ändern, so entspricht es der Rechtsstellung des Untersuchungsgefangenen doch eher, hier den sog. Angleichungsgrundsatz überwiegend als „Erhaltungsgrundsatz" zu verstehen. bb) Praktisch bedeutsamer ist der zweite Unterschied, der im Gekungsanspruch. Mit den Grundsätzen des Strafvollzugsrechts und dem Wesen der Freiheitsstrafe durchaus vereinbar ist der Angleichungsgrundsatz für den Strafvollzug gesetzlich als Gestaltungsmaxime in Form nur eines Programmsatzes'73 gefaßt. § 3 Abs. l StVollzG ist entgegen den Entwürfen 174 , die eine Muß Vorschrift vorgesehen hatten, auf Vorschlag des Bundesrates175 als Soll-Vorschrift gefaßt, um deutlich zu machen, daß Gefangene aas ihr keine Rechtsansprüche herzuleiten vermögen, und um den Vollzugsbehörden einen Ermessensspielraum einzuräumen176. Bereits das geltende Recht der Untersuchungshaft räumt dem nur Verdächtigen eine bessere Stellung ein. Er hat einen Rechtsanspruch darauf, daß die allgemeinen Lebensverhältnisse nur dann eingeschränkt werden, wenn dies 172
Der sozialstaatliche Strafvollzug ist allerdings als Resozialisierungsvollzug zu gestalten (BVerfGE 35, 202 ff, 235 f u. z. B. Schach bei Kaiser/Kerner/Schoch, Strafvollzug, 3. Aufl. 1982, S, 24; Sihüler-Springoram, Strafvollzug im Übergang, S. 261), so daß der strafvollzugsgesetzliche Angleichsgrundsatz letztlich im Sozialstaatsprinzip wurzelt, 173 Schach aaO. (vorige Fn.), S. 110; BT-SondAussch. f. dt« Strafrechtsreform, BTDrucks. 7/3998, S. 6. 174 5 3 Abs. 2 KE, Entwurf eines Gesetzes über den Vollzug der Freiheitsstrafen etc., beschlossen von der Strafvollzugskornmission, hrsgg, v. Bundesmin. d, Justiz, 1971; §3 Abs. l Regierungsemwurf, BT-Drucks. 7/918; §5 Abs. 2 Alternativ-Entw. StVollzG, bearb. v. Baumann u. a., 1973. "5 BT-Drucks. 7/918, S, 108. 176 BT-SondAussch. f. d. Strafrechtsref., Prot. 7/1768 u. Bericht, BT-Drucks. 7/3998, S, 6; s. auch Mülltr-Die^ Straf Vollzug s recht, 1978, S. 83; Sehhk aaO. (ob. Fn. 172).
2. Gestaltung nach dem Grundsatz möglichst geringen Sonderopfers
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i. S.d, §119 Abs. 3 StPO erforderlich ist, und nur insoweit. Soll ein zukünftiges Gesetz über den Vollzug der Untersuchungshaft nicht den Eindruck erwecken, es schränke die gegenwärtige, aus der Unschuldsvermutung, der (strafprozessualen) Funktion der Untersuchungshaft und dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit abzuleitende Rechtsstellung des Untersuchungshäftlings ein, so ist der Angleichungsgrundsatz entgegen den bisherigen Vorschlägen177 für die Untersuchungshaft als Mußvorschrift zu fassen. In dieser Form ist er bereits geltendes Recht, cc) Dabei ist sein Inhalt zudem trotz der etwa jeweils wortgleichen Einschränkung, die Angleichung habe nur „soweit als möglich"177 zu erfolgen, für die Untersuchungshaft sowohl ein teilweise anderer als auch ein rechtsstaatlich bestimmterer. Der strafvollzugsrechtliche Programmsatz ist, soweit die schwer bestimmbare178 Einschränkung „soweit als möglich" ausgefüllt werden kann, im Hinblick auf Ziel und Zweck des Strafvollzuges zu verstehen. Dies bedeutet, daß die Angleichung im Hinblick auf die konkurrierenden Aufträge des § 2 StVollzG (Behandlung und Sicherung) begrenzt ist179; es bleibt zudem die Frage wenigstens offen, ob nicht darüber hinaus auch das Wesen der Strafe, die Übelszufügung zwecks Schuldausgleichs, und ihr generalpräventiver Zweck in begrenztem Ausmaß der Wiedereingliederung bezweckenden Angleichung Schranken setzen180, da das Strafvollzugsgesetz trotz eindeutigen Bekenntnisses zum Vorrang des Behandlungsvollzugs angesichts der Antinomie der Strafzwecke und des Postulats der Einheit der Strafrechtsordnung die „Unlösbarkeit der Konfliktsfrage"181 anerkannte und dem Strafvollzug lediglich einen anderen Schwerpunkt setzte als der Strafgesetzgebung und der richterlichen Anwendung des Strafgesetzes182, so daß im Strafvollzug eine 177
Dösckl u.a. (Anstaltsleiter), EntwUVoilzG, §3 Abs. 1; Baumann, EntwUVollzG, § 3 Abs. l S. 2. 178 Auf seine Frage, „welche Bedeutung die Worte .soweit als möglich' hätten, erhielt der Abg, Brandt im Sonderausschuß für die Straf rechts reform keine Antwort, vgl. Prot. 7/1768 f. m CaliiesslMä!ler-Dietz, St Voll zG-Komm., 3. Aufl. 1983, § 3, Rdn. 3, 4; Böhm bei Schwind/Böhm, StVollzG, 1983, § 3 Rdn. 2 a. E.; BT-SondA, BT-Drucks. 7/3998, S. 6. 180 S. zu der Kontroverse z. B. einerseits S(bötb bei Kaiser/Kerner/Schöch, Strafvollzug, 3. Aufl. 1982, S. 92 ff; Caüiea, Strafvollzugsrecht, 2. Aufl. 1981, S. 21; AfiiJltrDtefy Schuldschwere und Urlaub aus der Haft, JR 1984, S. 353 ff; andererseits Böbm, Strafvollzug, 1979, S. 29 f; den. bei Schwind/Böhm aaO, (vorige Fn.) §2, Rdn. 2, 4; GrunaulTiesler, StVollzG-Komm., 2. Aufl. 1982, Ein!. Rdn. 6; §3, Rdn. t; BVerfGE 64, 261 ff mit Sondervotum Mahrenbol^, S. 285 ff; OLG Stuttgart, NStZ 1984, 525 f m. abl. Anm. Müller-Diet^, 181 Scheck aaO. (vorige Fn.) S. 93; s, z. B. auch Haffkt> Wird das mat. Strafrecht von dem geplanten Strafvollzugsgesetz unterlaufen?, MKrim 1975, S. 40 ff, 54f. 182 Sfböfh aaö. S. 93, 97; Kaiser ebda. S, 26; Müller-Diet^, Strafvollzugsrecht, 1978, S. 69; Weber, S traf rechts reform, in Hdw. d, Kriminologie, hrsgg. v. Sieverts/Schneider, 2, Aufl., Bd. 5, Lfg. l, 1983, S. 40 ff, 46.
148
VI. Grundsätze des Untersuchungshaftvollzugs
Berücksichtigung der übrigen, wenn auch zurücktretenden Strafzwecke nicht von vornherein völlig ausgeschlossen erscheint183. Die aus der Dtsfunktionalität des Strafrechtssystems184, den unterschiedlichen Vollzugsaufgaben des § 2 StVollzG und aus den einschränkenden Worten „soweit als möglich" folgende Unbestimmtheit und herabgesetzte Bedeutung185 des strafvollzugsgesetzlichen Programmsatzes von der Angleichung der Vollzugsverhältnisse an die allgemeinen Lebens Verhältnisse bleibt der entsprechenden strafprozessualen Mußvorschrift und der Untersuchungshaft angesichts deren konturierter Zweckbestimmung weitgehend erspart. Die Einschränkung „soweit als möglich" hat hier einen anderen Inhalt. Der Unterschied ergibt sich aus der Unterschiedlichkeit der Haftzwecke. Nicht ein Behandlungsziel, Schuldausgleich oder generalpräventive Überlegungen setzen der Angleichung der Untersuchungshaft an die allgemeinen Lebensverhältnisse Grenzen. Neben der Ordnung in der Anstalt ist es vielmehr nur der konkrete Zweck der jeweiligen Untersuchungshaft. dd) Dasselbe Prinzip nötigt zu der bereits von Jürgen Baumann™ gezogenen Konsequenz, den Angleichungsgrundsatz des Strafvollzugsrechts für den Vollzug der Untersuchungshaft dahin abzuwandeln, daß die Haft außer an den allgemeinen in Freiheit bestehenden Lebensbedingungen auch an den individuellen Lebens Verhältnissen oder persönlichen Bedürfnissen und Wünschen des Gefangenen zu orientieren ist. Sie sind insoweit zu erhalten oder zu berücksichtigen, als § 119 Abs. 3 StPO nicht die Befugnis gibt, sie zu ändern. Der Vollzug der Untersuchungshaft ist also individuell zu gestalten. Davon geht auch § 119 StPO in seinen Abs. 4 und 6 aus. Der Verhaftete darf seine bisherige Lebensführung grundsätzlich fortsetzen187. Er bedarf dazu weder generell noch im einzelnen der richterlichen Genehmigung. Die verbreitete Praxis, die bisherige Lebensführung grundsätzlich an die jeweiligen Anstaltsverhältnisse anzupassen, erst im Wege von Genehmigungen auf Initiativen des Gefangenen hin teilweise wiederherzustellen188 183
Vgl. Böhai, Strafvollzug, S. 29 f; Wtbsr aaO, (vorige Fn.) S. 46 r. Sp, ob. Vgl. z. B. Hassemtf, Strafzumessung, Strafvollzug und die „Gesamte Strafrechtswissenschaft", in: Kaufmann, Hrsg., Die Strafvollzugsreform, 1971, S. 53 ff, 54; MülltrDiet- , Strafzwecke und Vollzugsziel, 1973, S. 21; Haffke, MKrim 1975, S. 54; Böhat, Strafvollzug, 1979, S. 29; Schach aaO. S. 96. 185 Vgl. B'ohm bei Schwind/Böhm, StVollzG, § 3, Rdn. 3, 4, 10. 186 Baumann, EntwUVollzG, § 3 Abs. l S, 2, de lege ferenda und Dünnebier bei LöweRosenberg, 23. Aufl., § 119, Rdn, 31; Wendisch ebda,, 24, Aufl., § 119, Rdn. 23, de lege lata. 187 Dünnebitr und Wtndistk, Jew. bei Löse-Rosenberg aaO. (vorige Fn,), 188 Die UVollzO geht von dieser Praxis aus und verfestigt sie nicht nur mit generellen Verboten, die Ausnahmen zulassen (Nr. 2 Abs. 2 S. l UVollzO), sondern auch dadurch, daß sie gewisse, ausgewählte Freiheiten (im Prinzip unnötig) bestätigt (z. B. Nr. 40 Abs. 2 UVollzO: „Einzelempfang durch ein eigenes Hörfunkgerät ist ... gestattet".) und damit nahelegt, nicht erwähnte seien von einer Genehmigung abhängig. Die Rechtsprechung 184
2. Gestaltung nach dem Grundsatz möglichst geringen Sonderopfers
149
und dafür zuweilen noch ein besonderes Bedürfnis zu verlangen'89, verkehrt den Grandsatz, daß dem nur Verdächtigen die allgemeinen und individuellen Lebensverhältnisse zu belassen, nur einzelne Eingriffe vorzunehmen und diese auf das nach § 119 Abs. 3 StPO im öffentlichen Interesse konkret Erforderliche zu begrenzen sind. Das generelle, den gesamten Vollzug betreffende „Verbot mit Erlaubnisvorbehalt" ist unvereinbar mit § 119 Abs. 3 StPO, dem Wesen der Untersuchungshaft, der Unschuldsvermutung, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem für die Untersuchungshaft, wie gezeigt, als „Erhaltungsgrundsatz" zu verstehenden Angleichungsgrundsatz150. Dies bedeutet nicht, daß eine einmal gegenüber einem Gefangenen angeordnete Beschränkung (z. B. die Versagung des Bezugs einer bestimmten Zeitschrift) nicht in besonderen Fällen Ausnahmen zuließe, ein insofern also auch generelles Verbot nicht unter Erlaubnis vorbehält stehen könnte 191 . Der Individualisierung des Untersuchungshaftvollzugs wirkt in praxi nicht nur entgegen, daß die UVolizO durch eine entgegengesetzte Tendenz gekennzeichnet und der einzelne Gefangene genötigt ist, zur Durchsetzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gegen generalisierende Maßnahmen initiativ zu werden, sondern nicht selten auch eine Berufung auf Art. 3 GG192. Der in manchen Untersuchungshaftanstalten sogar dominierende Gleichheitssatz193 ist jedoch keine eigenständige Gestaltungsmaxime, vielmehr mit
bestätigt die Praxis der allgemeinen Rechtsbeschränkung mit Eriaubnisvorbehalt für den Einzelfall, wenn sie nicht durchgängig nur Eingriffe oder Freiheitsbeschränkungen auf §119 Abs. 3 StPO stützt (so z. B. OLG Saarbrücken, NjW 1974, S. 1101; BayObLG, MDR 1974, S. 59; OLG Frankfurt, ZfStrVo 1981, S. 384; OLG Karlsruhe, Die Justiz 1981, S. 87; OLG Stuttgart, MDR 1981, S. 515; OLG Düsseldorf MDR 1982, S. 1041), sondern irreführend auch „Genehmigungen" versagt oder erteilt (so z. B. OLG Karlsruhe, Die Justiz 1974, S. 134; OLG Stuttgart, MDR 1975, S. 164; OLG Zweibrücken, MDR 1975, S. 332; HansÖLG Hamburg, MDR 1976, S. 1038; OLG Düsseldorf, GA 1977, S. 119; OLG Karlsruhe, Die Justiz 1981, S. 21; OLG Hamm, MDR 198t, S. 249; OLG Düsseldorf, ebda.), 189 Dagegen z. B. BVerfGE 35, 5 ff, 9 (Benutzung einer eigenen Schreibmaschine), 190 Kritisch auch Dünnebier bei Löwe-Rose n be rg, 23., §119, Rdn. 10, 34; Wendisch ebda., 24. Aufl., Rdn. 5, 26. 191 Vgl. den Fall KG, NJW 1979, S. 175 f, u. Dünnebier aaO, (vorige Fn.), Rdn. 34; Wendisch aaO. Rdn. 26, 192 Aus der Rechtsprechung vgl. z. B. OLG Karlsruhe, Die Justiz 1981, S. 21; OLG Stuttgart, MDR 1981, S. 780; OLG Hamm, NStZ 1982, S. 134 f, die auf das Erfordernis einer Gleichbehandlung der Untersuchungsgefangenen abstellen; s. demgegenüber z. B. schon die treffenden Ausführungen des Anstaltsdirektors ) ( , Jb. d. Gefangniskunde 1845, S. 234 f, zürn Gebot des differenzierten Untersuchungshaftvollzugs, m Vgl. Mitteilungen einer Untersuchungsgefangenen, hrsgg. v. SeeMe, 1983, S, 133, 187.
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VI. Grundsätze des Untersuchungshaftvollzugs
dem Gebot der Individualisierung unvereinbar194 und nur insoweit von Bedeutung, als seine Beachtung zur Abwehr konkreter Gefahren für den Haftzweck155 oder die Ordnung in der Anstalt unerläßlich ist. Dies bedeutet beispielsweise, daß jedem Gefangenen, erst recht etwa einem Journalisten der Bezug oder Weiterbezug zahlreicher Zeitschriften und Informationsmaterialien weder mit der Begründung zu versagen ist, der Bezug von zwei oder drei Zeitschriften entspreche den allgemeinen Lebensverhältnissen, noch mit dem Hinweis darauf, andere Untersuchungs gefangene hielten weniger Abonnements oder allen sei im Interesse der Gleichbehandlung nur der Bezug von bis zu drei Zeitungen gestattet196. Dem bemittelten Untersuchungsgefangenen ist der Einkauf197 in dem in der Anstalt geführten Geschäft nicht mit der Begründung zu begrenzen, weniger begüterte oder unbemittelte Häftlinge unterlägen auch einer Beschränkung oder die Unterschiede in den Einkaufsmöglichkeiten seien zur Vermeidung größerer Ungleichheiten gering zu halten. Es besteht keine Befugnis zur Nivellierung wirtschaftlicher Unterschiede198, vielmehr das Gebot, auch ihre Auswirkungen unberührt zu lassen, es sei denn, es ergäbe sich eine reale Gefahr für die Ordnung in der Anstalt oder die Verwirklichung des Haftzwecks. Ein Fernsehgerät ist einem Untersuchungsgefangenen nicht mit der Begründung zu versagen, andere Untersuchungshaftgefangene hätten für dessen Anschaffung oder zur Begleichung der Gebühren nicht die Mittel199. Zwar mögen es die Mithäftlinge, die kein Fernsehgerät erwerben können und denen es von der Anstalt auch nicht nach Art. 3 GG zu gewähren ist, weil es anderen bewilligt wurde200, als „Benachteiligung ihrer Person ansehen"201, daß sie in der Zelle über kein Fernsehgerät verfügen; doch dies ist von ihnen in Haft wie in Freiheit hinzunehmen, soll nicht die Untersuchungshaft dem Angleichungsgrundsatz wie dem Verhaltnismäßigkeitspriniw
S. z, B. BVerfGE 15, 288 ff, 296; OLG Koblenz, NStZ 1983, S. 331 f, 332; Boujong, Entscheidungsanmerkung, NScZ 1983, S, 333 f, 334. m S, z, B. den Fall BayObLG, MDR 1974, S. 59 (Mißbrauch zu geheimdienstlicher Tätigkeit — Verdunkelungsgefahr). 156 S. auch Nr. 45 Abs. 2 UVollzO und andererseits BVerfG, NStZ 1982, S. 132; vgl. auch Seebode (Hrsg.), Mitteilungen einer Untersuchungsgefangenen, S. 15. 197 S. zu dessen Einschränkung durch Festsetzung eines Höchstbetrages: Seebade, Hrsg., Mitteilungen einer Untersuchungsgefangenen, S. 39 ff; Grumtu, UVollzO, Nr. 51, Rdn. 2, S. 118, und den Fall OLG Oldenburg, NJW 1979, S. 731. m Buujmg, NStZ 1983, S. 334; Gnmau, JR 1983, S. 438. 199 S. BVerfGE 15, 296 (bezüglich Rundfunkgerät); OLG Koblenz (2. Strafsenat), NStZ 1983, S. 331 f; Bettjoag, NStZ 1983, S. 334; anders OLG Koblenz (1. Strafsenat), NStZ 1983, S. 332 f, 333. 200 BVerfGE 15, 296. 201 OLG Koblenz (1. Strafsenat), NStZ 1983, S. 333; ähnlich bereits dasselbe, GA 1974, S. 157; NStZ 1982, S. 46; s. z. B. auch schon HansOLG Hamburg, MDR 1970, S. 1038; Rupprscbf, Verfassungsrechtsprechung zur Untersuchungshaft, NJW 1973, S. 1633 ff, 1635.
2. Gestaltung nach dem Grundsatz möglichst geringen Sonderopfers
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zip und § 119 Abs. 3 StPO zuwider über das Erforderliche hinaus in die Rechte und Lebensverhältnisse des Gefangenen eingreifen und einen dem allgemeinen Leben widersprechenden einheitlichen und zudem besonders niedrigen Standard haben. Es ist deshalb auch die Aufgabe der Vollzugs Verwaltung, aus Ungleichheiten unter den Gefangenen sich ergebenden Spannungen und Gefahren für die Anstaltsordnung nicht in erster Linie durch Nivellierung entgegenzuwirken 202 . Nivellierung statt Individualisierung wird auch damit erreicht und begründet, daß einem Gefangenen die Fortführung seiner bisherigen Lebensgestaltung in bestimmter Hinsicht untersagt wird, weil sonst weitere Gefangene ähnliches beanspruchten, dann aber die Sicherung des jeweiligen Haftzwecks und der Ordnung in der Anstalt nicht mehr zu gewährleisten seien. So ist einem wegen Fluchtgefahr inhaftierten Steuerberater untersagt worden, für einen Kollegen Akten zu bearbeiten, u. a. mit der Begründung, andernfalls wären alsbald ähnliche Anträge von Untersuchungsgefangenen anderer Berufszweige zu erwarten, denen dann stattzugeben wäre; dies würde aber die notwendigen Kontrollen in unverhältnismäßiger Weise erschweren203. Die Begründung erweckt, abgesehen davon, daß nicht dargetan ist, welchen realen Gefahren begegnet werden sollte, Bedenken. Denn dem einzelnen Gefangenen wird eine Beschränkung auferlegt, die jedenfalls in seinem Fall nicht auf § 119 Abs. 3 StPO gestützt werden kann, da etwaigen Gefahren für die Sicherung des Haftzwecks und die Ordnung in der Anstalt im konkreten Einzelfall entgegengewirkt werden konnte. Selbst wenn man die Handlungsfreiheit des Untersuchungsgefangenen, im erwähnten Fall die Freiheit seiner Berufsausübung und seiner in der Haft besonders notwendigen und sinnvollen Selbstbeschäftigung, nur nach Maßgabe dessen erhält, was an Verwaltungseinrichtungen vorhanden und an Kontrollen nach Zahl und Zeit der Bediensteten möglich ist204, so ist doch eine Orientierung an hypothetischen, zwar für die Zukunft nicht auszuschließenden, aber andererseits auch in ihrem Ausmaß nicht zu überschätzenden205 Entwicklungen lediglich eine vorsorgliche Abwehr von Belastungen der Vollzugsverwaltung, Sie ist mit § 119 Abs. 3 StPO unvereinbar. Denn es handelt sich um einen vorverlegten Schutz des Haftzwecks 202
So auch OLG Koblenz (2. Strafsenat), NStZ 1983, S. 332. HartsOLG Hamburg, MD R 1976, S. 1038; zust. KltinktKfhtlJamsthovski, Das Recht der Untersuchungshaft, S. 112, Rdn, 350; Boujong, KarlsrKomm., $ 119, Rdn. 70; Wtn4ixbt Löwe-Rosenberg, 24. Aufl., § 119, Rdn. 112. 204 Dagegen grundsätzlich und mit Recht BVerfGE 15, 2%; zust. z. B, Dünnebitr bei LÖwe-Rosenberg, § 119, Rdn. 35, der allerdings darauf hinweist, daß „die Haushahslage nicht völlig außer Betracht gesetzt werden kann"; ebenso Wendisch, Löwe-Rosenberg, 24. Aufl., §U9, Rdn. 27. 205 In dem erwähnten Fall hat das HansOLG (MDR 1976, S, 1038) festgestellt, daß „gewiß nur wenige Steuerberater" in Untersuchungshaft einsitzen, aber nicht dargetan, von welchen anderen Gefangenen ähnliche Anträge zu erwarten gewesen wären. 203
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VI. Grundsätze des Untersuchungshaftvollzugs
und der Ordnung in der Anstalt. Dessen Zulässigkeit folgt auch nicht zwingend aus Art. 3 GG. Bei der zukünftigen Frage nach der Rechtmäßigkeit von Beschränkungen anderer Gefangener kann eine andere Lage gegeben, nämlich aktuell die Belastungsgrenze der Vollzugsverwaltung durch die bereits zuvor notwendig gewordenen und womöglich in dem vorangegangenen Fall noch erfolgenden Kontrollen erreicht sein. ee) Im Strafvollzug tragt der Angieichungsgrundsatz dazu bei, die Vollzugsbedingungen auf das Ziel des Strafvollzugs, das Resozialisierungsziel, auszurichten. Mit dem Behandlungsvollzug begründet auch der ihm verpflichtete Angieichungsgrundsatz nicht nur Ansprüche des Strafgefangenen, sondern rechtfertigt „unter Umständen auch grundrechtsbeschränkende Maßnahmen . .., die erforderlich sind, um die inneren Voraussetzungen für eine spätere straffreie Lebensführung des Gefangenen zu fördern"206. Für den Vollzug der Untersuchungshaft ist hingegen festzuhalten, daß der hier anders begründete und auf die Erhaltung der bisherigen Lebensumstände gerichtete Grundsatz keinerlei Grundlage für Rechtseingriffe abgibt und § 119 Abs. 3 StPO nicht zu modifizieren oder zu ergänzen vermag. So darf vom Untersuchungs gefangenen z. B. auch mit der Begründung, in Freiheit halte jedermann seine Wohnung sauber oder eine entsprechende Leistung sei in allen Gemein Schafts Unterkünften üblich, entgegen dem Gesetzesvorschlag Beumanns2®1 > nicht etwa die Reinigung seiner Zelle und somit Arbeit verlangt werden208. d) Der Grundsat^, Untersuchungshaft nicht als Strafe erscheinen %u lassen Der für die Untersuchungshaft geltende Angieichungsgrundsatz, also der vom strafvoilzugsrechtlichen zu unterscheidende, umfaßt auch das Gebot, den Vollzug der Untersuchungshaft so zu gestalten, daß die Haft weder zur Strafe wird noch auch nur als Strafe erscheint, Es ist die gleichsam negative Formulierung einer Teilaussage des Angleichungsgrundsatzes, aber praktisch, wie noch zu zeigen sein wird, von eigener und besonderer Bedeutung, und es ergibt sich auch eigenständig aus der 2M
BVerfGE 40, 276 ff, 284 f mit zust. Bespr. Malier-Diet^, JuS 1976, S. 88 ff, 90 f; Württnberger, Freiheit und Zwang im Strafvollzug, NJW 1969, S. 1747 ff, 750 "; vgt. auch Sebiiler-Springorum, Die grundrechtliche Stellung des Gefangenen, in: Tagungsberichte der Strafvollzugs (commission, Bd. V, 1969, S. 74 ff, 86 f. w Baumatm, EntwUVollzG, § 15 Abs. 2. m Dünnebier bei Löwe-Rosenberg, 23, Aufl., §119, Rdn. 128; Wendisch, ebda,, 24. Aufl., § 119, Rdn. 111; Hennerkss, Die Grundrechte des Untersuchungsgefangenen, S, 117; anders Nr. 54 Abs. l UVoltzO; Eb, Schmidt, Lehrkomm. Bd. 2, Nachtr. 1967, § 119, Rdn, 37; Günther, Rechtsbeziehungen, S. 63; Janßen, Stellung des Untersuchungsgef., S. 87; vgl. auch Seebode, Hrsg., Mitteilungen einer Untersuchungsgefangenen, S. 78; Hoff, Neun Monate in Untersuchungshaft, S. 41, 58, 109, 158.
2. Gestakung nach dem Grundsatz möglichst geringen Sonderopfers
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Unschuldsvermutung. Das Gebot bezweckt nicht nur, eine mögliche Strafe mit der Untersuchungshaft nicht vorwegzunehmen und die Untersuchungshaft ihrem anderen Zweck entsprechend anders als die Strafhaft zu gestalten, sondern auch, gegenüber jedem Unbeteügten zugunsten des Verhafteten, seiner und seiner Familie Ehre und zur Erhaltung seiner gesellschaftlichen Stellung den seit altersher verbreiteten Eindruck zu vermeiden, er büße bereits wegen einer so gut wie nachgewiesenen Straftat, wenn nicht legaliter, so doch nach der Überlieferung und praeter legem nicht zu Unrecht209. Die erhebliche praktische Bedeutung der Pflicht, dem verfehlten Eindruck und dei verfehlten Neigung zur Angleichung der Untersuchungshaft an die Freiheitsstrafe, entgegenzuwirken, ergibt sich nicht nur daraus, daß Untersuchungshaft- und Strafvollzug die Freiheitsentziehung gemeinsam ist. Diese Übereinstimmung ist vielmehr Grundlage der ständigen Gefahr, die wesensverschiedene Untersuchungshaft darüber hinaus an die Freiheitsstrafe anzugleichen, weil das Bestreben allgemein ist, einer Tat die Strafe auf dem Fuße folgen zu lassen. Auch deshalb wird nicht selten und wenigstens in Einzelheiten versucht, der mit der rechtlichen Regelung des Strafverfahrens verzögerten Feststellung von Wahrheit und Schuld vorzugreifen. Mehrere Umstände begünstigen die dem Recht widersprechende Neigung, in der Untersuchungshaft „unter der Hand" doch eine „antizipierte Strafe"210 zu sehen211: Nur der dringend Tat verdächtige vermag in Untersuchungshaft zu geraten, nicht aber der Unverdächtige, der z. B. als Freund oder Verwandter des Beschuldigten durch Beeinträchtigung von Beweismitteln oder z, B, als Zeuge durch Abwesenheit während des Verfahrens die Wahrheitsfindung ebenfalls und womöglich gar stärker erschweren kann. Außer dem dringenden und bereits richterlichen bejahten Tatverdacht lassen die Erfahrungstatsachen, daß mehr als 9 von 10 Untersuchungsgefangenen rechtskräftig verurteilt werden212 und daß bei über der Hälfte der 209
S. z. B. Hink, Kriminalistik 1967, S. 523 („Gilt dieser Mensch den Strafverfolgungsbehörden als .Verdächtiger', ist er unserer Auffassung nach in der Öffentlichkeit schon ein Schuldiger1"), dessen Untersuchung eine mögliche kriminogene Wirkung der Untersuchungshaft auf den verfehlten öffentlichen Eindruck auch im Palt nachfolgenden Freispruchs zurückführt. 21U RGSt 29, 75 ff verwendet den Ausdruck ablehnend; Diinnebier bei Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., Rdn, 19 vor § 112, bezeichnet die Vorbeugehaft als „eindeutig vorweggenommene Urteilsvollstreckung"; ebenso Wendisch in der 24. Aufl. dieses Komm. {Rdn, 18 vor §119). 211 Vgl. Dünnebier bei Löwe-Rosenberg, 22. Aufl., Anm. 5 vor § 112: „Mit der Anwendung der Untersuchungshaft ist von Rsehts wegen kein Vorwurf verbunden" (Hervorhebung nur hier), 212 In Preußen endeten 1925 12,4% der Strafverfahren gegen Untersuchungsgefangene ohne Verurteilung (DRiZ 1926, S, 367), in der Bundesrepublik 1961 nach einer Quer-
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VI. Grundsätze des Untersuchungshaftvollzugs
Untersuchungsgefangenen auf vollstreckbare Freiheitssrrafe erkannt wird, hingegen bei nicht verhafteten Beschuldigten nur in etwas über 3% der ; Fälle213, Untersuchungshaft in den Augen nicht weniger sich der Strafhaft im Grunde doch zu Recht nähern214, insbesondere in den Fällen, da die : Schuld des Inhaftierten nahezu jedem infolge erdrückender Beweise, eines Geständnisses oder einer bereits erfolgten Verurteilung erwiesen und das noch abzuwartende rechtskräftige Urteil manchem nur noch als Formalie erscheint. Weiter wird fälschlich aus der Verpflichtung, die Untersuchungshaft auf eine später erkannte Strafe anzurechnen, geschlossen, sie dürfe der Strafhaft nicht unähnlich sein, weil ansonsten derjenige, der sich in Untersuchungshaft befunden habe und dessen Strafhaft dadurch verkürzt werde, gegenüber demjenigen einen ungerechtfertigten Vorteil erlange, der die gesamte Strafe als solche verbüßen müsse215. Dabei wird dreierlei verkannt, sowohl die besondere Belastung, die mit der Untersuchungshaft verbunden und oft schwerer zu ertragen ist als die der Strafhaft216, als auch § 51 StGB, der davon ausgeht, daß allein die mit der Untersuchungshaft verbundene Freiheitsentziehung und die mit ihr notwendig einhergehenden Rechtseingriffe ein Übel darstellen, das dem der Freiheitsstrafe entspricht217, ohne Schnittsstatistik des Bundesmin, d. Justiz 9,8% (Dmmbier bei Löwe-Rosenberg, 21. Aufl., Ergbd., 1966, Anm. 5 vor § 112 ff); in Bayern endeten 1964 mit Freispruch oder Einstellung 2,5%, 1965 2,9% und 1966 2,1% der gegen Unters uch u n gs gefangene abhängigen Verfahren (Kr&mptlmann, ZStW 82, Bd., 1970, S. 1067; ders. bei Jescheck/Krümpelmann, Die Untersuchungshaft etc., 1971, S, 88). In der Bundesrepublik wurden in den Jahren 1976 — 1979 jeweils über 97% der abgeurteilten Untersuchungshäftlinge verurteilt: 1976 97,1%; 1977 97,2%; 1978 97,4%, 1979 97,6% (Ktmer, Seh rodet- Gedacht n isschr., 1978, S. 555, bezügl. 1976; Abenhauseti, Stat, u. empir. Untersuchungen zur Untersuchungshaft, in: Jung/Müller-Dietz, Hrsg., Reform der Untersuchungshaft, 1983, S, 99 ff, 135), In Niedersachsen wurden 1981 von 2730 abgeurteilten Untersuchungsgefangenen (nicht erfaßt sind die Einstellungen im Ermittlungsverfahren) 2705 (99,1%) verurteilt (Nieders. Mm. a. Justiz, ZfStrVo 1983, S. 239). 213 Kerner, Sc h rode r-Gedächtn isschr., 1978, S. 554 f; Abtnhauien bei Jung/M Üller-Dietz, Reform der Untersuchungshaft, 1983, S, 136f; s, auch oben Abschn. 1/2, S. 7. 214 Vgl. auch Dünnebier bei Löwe-Rosenberg, 21. Aufl., Ergbd., 1966, Anm. 6 vor §5 112ff: „Der Untersuchungsgefangene gilt, da er noch nicht verurteilt ist, als unschuldig (Art. o Abs. 2 MRK); zuweilen, wenn auch selten, ist er es.11; ähnl. den., ebda., 22. Aufl., Bd. l, 1971, Anm. 5 vor § 112. Kury, Untersuchungshaft — vorweggenommene Jugendstrafe?, in: Die jugendrichterl. Entscheidungen — Anspruch u. Wirklichkeit, hrsgg. v. Dt, Vereinigg, für Jugendgerichte u. Jugendgerichtshilfen e. V., 1981, S. 421 ff, fordert durchgängig „Resozialisierungsbemühungen für Untersuchungshäftlinge" (S. 424) und geht trotz rechtsstaatl. Bedenken (S. 425 f) von einem „straffälligen Verhalten" der „Probanden" (S. 436) aus. Auch Richter sehen Untersuchungshaft nicht selten als angebrachte Strafe, s. Sfhul^ ebda. S. 399 ff, 215 S. näher Günther, Rechtsbeziehungen etc., S. 12f; s. auch Be/ing, JW 1925, S. 59, der die Anrechnung der Untersuchungshaft darin begründet sah, daß sie ein „sträfähnliches Übel" sei, u. RGSt 75, 279 ff; 282. 216 S. ob. Abschn. 1/1, S. 3; Abschn. III, S. 37f. w Vgi. z. B. Tröndle, LK, 10. Aufl., § 51, Rdn. 13 a. E.
2. Gestaltung nach dem Grundsatz möglichst geringen Sonderopfers
155
dasselbe sein zu müssen und ohne daß es zusätzlich mit strafähnlichen Beschränkungen verschärft werden müßte, um eine Anrechnung auf eine später erkannte Strafe zu rechtfertigen. Schließlich wird das Wesen der Untersuchungshaft grundsätzlich verkannt, wenn man meint, sie wegen § 51 StGB und der dieser Vorschrift zugrundeliegenden pragmatischen Billigkeitserwägung218 oder Aufopferungsgedanken 219 strafähnlich gestalten zu sollen. Denn keine Untersuchungshaft hat „vorweggenommene Strafe" zu sein220, auch die Vorbeugehaft nicht221; sie hat immer nur das Strafverfahren zu sichern oder im Fall des § 112 a StPO die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten. Schließlich begünstigen die Überlieferung und die seit mehr als einem Jahrtausend verwurzelte Praxis, Untersuchungshaft als vorweggenommene Strafe aufzufassen und zu gestalten, die noch immer unnötig weitgehende Ähnlichkeit der Untersuchungshaft mit der Freiheitsstrafe. Wie der bekannte, als bruchstückhafte Regelung des Haftvollzugs anzusehende und von Justinian in die Digesten aufgenommene Satz Ulpians „Career enim ad continendos homines, non ad puniendos haberi debet" (Dig. 48, 19, 9) und dessen Übernahme in die ein Jahrtausend später erlassene Peinliche Gerichtsordnung Karls V. von 1532 („ist da bei sonderlich zumerken, daß die gefengknuß zu behaltung, und nit zu schwerer geverlicher peinigung der Gefangen sollen gemacht und zugericht sein", Art. 11 CCC) belegen, wurde Untersuchungshaft bereits zur Peinigung des Verdächtigen mißbraucht222, als Freiheitsentziehung noch keine oder nur sehr selten legale Strafe war. Die unmenschlichen Verhältnisse und die menschenunwürdige Behandlung in den mittelalterlichen Gefängnissen und in denen der frühen Neuzeit, die bis ins 17. Jahrhundert vornehmlich als Untersuchungsgefangnisse dienten223, sind vielfach beschrieben224. Nach -^ RGSt 38, 182 ff, 183; 75, 279 ff, 282; BGHSt. 4, 325 ff, 326; Tröndlt aaö. Rdn. 13. Hont, Syst. Komm., 3. Aufl., § 5t, Rdn. 3; Dencktr, MDR 1971, S. 627. 220 Hörn (wie vorige Fn.) betont denn auch im Anschloß an Dreher (MDR 1970, S, 967 f) und RGSt 29, 75 f; 52, 191 ff, 192, daß Untersuchungshaft trotz Anrechnung mit „vorweggenommener Strafe nichts zu tun hat". 221 Drebtr aaO., anders Dünnebier bei Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., Rdn. 19 vor § 112; Wendisch ebda., 24. Aufl., Rdn, 18 vor § 112 („vorweggenommene Urteilsvollstreckung"). 222 S, auch Art. 218 CCC: „So werden auch an vilen peinlichen Gerichten und der selben mancherley mißbreuch erfunden, als daß die gefengknuß nit zu der verwarung sonder mer peinigung der gefangen und eingelegten zugericht"; Frtde bemerkt zu Art. 11 CCC: „Aber das blieb auf dem Papier stehen". (Hdw. d, Kriminologie, 2. Aufl., hrsgg. v. Sieverts/Schneider, Bd. 3, 1975, S. 255); Rob. v. Hippti stellt fest: „Das Verbot der Caroiina blieb erfolglos" (bei Bumke, Dt. Gefängnis we sen, 1928, S, 9). Ulpians Gebot kehrt im 17. Jh. auch bei Cetrp^ov wieder (Practicae Novae Itnperialis Saxonicae Rerum Criminalium, Pars III, 8. Aufl. 1684, Quaest. CXI, Rdn. 63, S. 101). 223 S. statt vieler nur Roh. v. Hippe/, Dt. Strafrecht, Bd. l, 1925 (Neudr. 1971), S. 137, 198 m. Fn. 7, 240 f. 224 Carp^ov, Practicae aaO. (ob. Fn. 222), Rdn. 2, S. 95: „Quum vero career sit mala mansio, ac forturae species; inorti comparetur propter squalorem inediam, frigus, tene219
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VI. Grundsätze des Untersuchungshaft Vollzugs
Entwicklung der Freiheitsstrafe und auch in unserem Jahrhundert ist die Ähnlichkeit des Untersuchungshaftvollzugs mit dem der Strafe immer wieder bedauert worden225, ohne daß die Appelle, die Haftarten ihrem Wesen und Zwecken entsprechend im Vollzug weiter zu differenzieren226, Entscheidendes227 bewirkt hatten. Das Gebot, Untersuchungshaft nicht als Strafe erscheinen zu lassen, hat weiterhin Berechtigung, ja, es ist angesichts der Entwicklung des Strafvollzugs zu bekräftigen und zu ergänzen: Untersuchungshaft sollte so ausgestaltet sein und durchgeführt werden, daß sie nicht vielfach härter ist als Strafhaft, sondern leichter zu ertragen, Jürgen Baumann schlägt also zu Recht vor, in ein Gesetz über den Vollzug der Untersuchungshaft neben dem Angleichungsgrundsatz als für die Praxis bedeutsame Verpflichtungen aufzunehmen: „Jeder Anschein einer Strafe sowie jede Vermutung einer Schuld ist unzulässig. Die Behandlung der Gefangenen hat dem Rechnung zu tragen."228 Allerdings wäre heute angesichts der Reformen, die der Strafvollzug erlebt hat, eine Orientierung des Untersüchungshaftvollzugs an der Regelform der Strafhaft, dem offenen Vollzug (§10 StVollzG)229, mit dem Zweck der Untersuchungshaft unvereinbar. Dasselbe gilt für Ausgang und Urlaub bras"; AVwW, Lb. d. Gefängniskunde, 1889, S. 10 f mit beispielhafter Beschreibung des „Nürnberger Lochgefängnisses", das bis ins 19. Jh. als Untersuchungsgefängnis diente; Marx bei Bumke, Dt. Gefängniswesen, 1928, S. 456; v. Heutig, Die Strafe, Bd. II, 1955, S. 163 ff. 225 Heeaell, System der Gefängniskunde, 1866, S. 155 ff; Zucker·, Reformbedürftigkeit der Untersuchungshaft, 1879, S. 10, 129; Krobee, Lb. d, Gefängniskunde, 1889, S. 314 f; Marx in: Strafvollzug in Preußen, hrsgg. v, Preuß, Justizmin., 1928, S. 92; Mannheim, Freiheitsschutz u, Wohnungsschutz, in: Nipperdey, Hrsg., Die Grundrechte, Bd. I, 1929, S. 316 ff, 337 f; Sieverts, Die Wirkungen der Freiheitsstrafe u. Untersuchungshaft etc., 1929, S. 45; Baetsgtn, Vollzug der Untersuchungshaft, 1932, S. 23; Günther, Rechtsbeziehungen etc., 1933, S. 49; Abenbawen, in: Jung/Müller-Dietz, Reform der Untersuchungshaft, 1983, S. 160, 190. 226 S. z. B. Zucker, Marx, Batiken, Günther jew. aaO. (vorige Fn.). 227 Immerhin sind aber z. B. die Regelungen des Straf- und Untersuchungshaft-Vollzugs inzwischen getrennt und nicht mehr wie in früheren Dienst- u. Vollzugsordnungen (s. ob. Abschn. II/2, S. 29 und z.B. §221 bayerDVO 1924) und wie heute noch in den USA (s. z, B. Washington State Custodial Care Standards, 1981, WAC 289-22) grundsätzlich (d. h. mit Abweichungen für Untersuchungshaft, z. B. WAC 289-22-110 (3)) einheitlich getroffen. 223 Baumann, EntwUVollzG, 1981, 3 Abs. 2; vgl. auch Nr, l Abs. 3 S. 2 UVollzO, 229 Den offenen Vollzug bezeichnen als gesetzliche Regelform z, B, CaliiessIMällerDitfy StVollzG, 3. Aufl. 1983, § 10, Rdn. 1; Schoeh bei Kaiser u. a., Strafvollzug, 3. Aufl. 1982, S. 132; Kaiser ebda, S. 223; Qwnstl, AltKomm. StVollzG, 2. Aufl. 1982, g 10, Rdn. 10; ///i/bei Schwind/Böhm, StVollzG, 1983, § 10, Rdn. 2; s. auch schon Beektlmams, Bemerkungen zur Reform des Strafvollzugs etc., 1972, S, 27; anders Bobm> Strafvollzug 1979, S. 73. Zur Häufigkeit des offenen Vollzugs s. Dünkel in; Dünkel/Rosner, Die Entwicklung des Strafvollzugs etc., 2. Aufl. 1982, S. 44 ff, der zeigt, daß der offene Vollzug „noch keineswegs die dominierende Vollzugsform" (S. 47) ist.
2. Gestaltung nach dem Grundsatz möglichst geringen Sonderopfers
157
als Lockerungen auch des geschlossenen Strafvollzugs. Untersuchungshaft, die generell oder im Einzelfa.ll offen vollzogen werden könnte oder z. B. Urlaub zuließe, wäre gesetzwidrig, und im konkreten Fall wäre der Haftbefehl wenigstens außer Vollzug zu setzen, wenn nicht mangels Haftgrundes aufzuheben230. Das Gebot, bei Gestaltung der Untersuchungshaft bereits den Anschein einer Strafe zu vermeiden, richtet sich denn auch gegen die traditionelle Ähnlichkeit der Untersuchungshaft mit der belastendsten Gestaltung der Freiheitsstrafe, dem geschlossenen Strafvollzug ohne Lockerungen. Die Praxis des seit Ende der sechziger Jahre deutlich ausgeweiteten offenen Strafvollzugs, aus dem in Hamburg über die Hälfte und in Nordrhein-Westfalen immerhin fast ein Drittel der Gefangenen entlassen wird231, und die zunehmend232 gewährten Lockerungen des Strafvollzugs (Ausgang, Freigang, Urlaub) gebieten es jedoch, die Maxime, Untersuchungshaft nicht den Anschein von Strafhaft zu geben, auch das Postulat einschließen zu lassen, daß Untersuchungshaft ebenso Erleichterungen erfährt, wenn auch ihrem Zweck entsprechend andere. Es genügt demnach keineswegs, von den heutigen Lockerungen des Strafvollzugs nur jene für den Vollzug der Untersuchungshaft zu übernehmen oder vermehrt zu praktizieren, die der jeweilige Haftzweck zuläßt, wie z. B. die Außenarbeit unter Aufsicht oder die Ausführung233. Soll die Inhaftierung den als unschuldig zu behandelnden Verdächtigen nicht härter treffen als den schuldigen und zur Strafe Verurteilten, so sind über die wenigen und praktisch kaum bedeutsamen234 „Vergünstigungen"235 hinaus, die der Untersuchungsgefangene im Vergleich zum Strafgefangenen erfährt (keine Arbeitspflicht, Möglichkeiten eigener Verpflegung236, eigener Kleidung237 und größeren
m
Granau, UVollzO, S. 104, Rdn. 6 zu Nr. 41; Wendisch bei Löwe-Rosenberg, 24. Aufl., § 119, Rdn. 107; Müller, KMR, 7. Aufl., § 119, Rdn. 37; Schlächter; Das Strafverfahren, S. 222, Rdn. 226; s. auch RG bei Kloeppel, JW 1915, S. 721 Nr. 14, und Nr. 41 Abs. 3 UVollzO. Dem Gebot: „Endlich muß dem Definierten alles das geleistet werden, was dem Strafgefangenen zu gewähren ist" (Hotaeii, Gefängniskunde, 1866, S, 155), kann deshalb heute nicht mehr entsprochen werden. ™ Dünkel aaO. (ob. Fn. 229) S. 48; Bundesdurchschnitt 1980: 19,7%, S. 69. ^ Dunkelt. S. 99, 103, 120. 233 Beides ist vorgesehen von Döschl u. a. (Anstaltsleiter), EntwUVollzG, § 12; Baitmann, EntwUVollzG, § 9. Entgegen Nr. 41 Abs. 2 UVollzO; Wtnditck bei Löwe-Rosenberg, 24. Aufl., § 119, Rdn. 106; Joachim fkil Pf äff, Untersuchungshaft und Strafvollzug, S. 131 f, sind Ausführungen nach geltendem Recht nicht nur zur Erledigung wichtiger oder unaufschiebbarer Angelegenheiten zulässig. 234 $. z, B. Hoff, Neun Monate in Untersuchungshaft, S. 58. 235 Das übliche Wort kennzeichnet die schiefe Sicht des Verhältnisses von Untersuchungs- und Strafhaft; es geht von deren grundsätzlicher Gleichheit aus. ** Wendisch bei Löwe-Rosenberg, 24, Aufl., § 119, Rdn. 127 („sehr selten"). 237 Vgl. Setbodt·„ Hrsg., Mitteilungen einer Untersuchungsgefangenen, S. 31 ff („nicht erlebt, daß eine U-Inhaftierte eigene Kleidung trug").
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VI. Grundsätze des Untersuchungshaftvollzugs
Einkaufs), statt der dem Wesen und Zweck der Untersuchungshaft widersprechenden Lockerungen des Strafvollzugs alle nach § 119 Abs. 3 StPO denkbaren zu gewähren und die unerläßlichen Beschränkungen des Untersuchungsgefangenen durch sie begleitende Leistungen zu mildern, also Spezifika des Untersuchungshaftvollzugs zu entwickeln und zu praktizieren, die ihn insgesamt als weniger belastend charakterisieren als die Strafe und doch seinem Zweck keinen Abbruch tun. Gelänge dies nicht, wäre dem überlieferten Eindruck, es handele sich entgegen der Unschuldsvermutung um eine vorweggenommene Strafe oder eine diese an Härte noch übertreffende Einrichtung238, heute angesichts der Entwicklung des Strafvollzugs weniger 2u begegnen denn je. e) Praktische Folgerungen Die vorstehend dargelegten Vollzugsgrundsätze legen es nahe, beispielhaft einige praktische Folgerungen für den Alltag der Untersuchungshaft zu ziehen. aa) Einzelne Regelungen der UVoll^O, die den Maximen widersprechen, die bisherige Lebensweise des Beschuldigten in der Haft möglichst zu bewahren und das Sonderopfer des inhaftierten Verdächtigen nicht als Strafe erscheinen zu lassen, vielmehr so gering zu halten, wie es der Haftzweck und die Ordnung in der Anstalt zulassen, mögen für sich genommen Kleinigkeiten betreffen. Ihre Summe, die Alltäglichkeit der Maßnahmen, Entbehrungen und Erschwernisse und die außergewöhnliche psychische Situation des Untersuchungsgefangenen sind es jedoch, die „sich zu einem Gesämtschaden zusammenballen" und die ohnehin nur schwer zu ertragende Einsperrung noch unerträglicher gestalten, gar zur Qual werden lassen können239. (1) Zellen Beleuchtung Deshalb sei vermerkt, daß Zeit und Dauer der Zellenbeleuchtung im Belieben des Gefangenen zu stehen haben. Die Praxis, das Licht in den Zellen zu bestimmen, oft auch zu erheblich differierenden Zeiten von Amts wegen ein- und auszuschalten240, und Nr. 54 Abs. 2 UVollzO, wonach der Anstaltsleiter nach seinem Ermessen, wenn auch unter Berücksichtigung der Bedürfnisse des Gefangenen241, gestattet, ob und wie lange der Haft236
S. 2. B. Roxin, Strafverfahrensrecht, 17, Aufl., S. 17t; Mitteilungen einer Untersuchungsgef. (vorige Fn.), S. 1; u, ob. S. 3 mit Fn, 3 — 6. 239 Ascbaffenburg, MKrim 1932, S. 261. 2«o Ygi Seebode, Hrsg., Mitteilungen einer Untersuchungsgefangenen, S, 73, 83, 92. 241 Grunant UVollzO, Nr. 54, Rdn. 3, S. 122; Dünmbter bei Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., § ?19, Rdn. 138; Wendisch ebda., 24. Aufl., Rdn. 119.
2, Gestaltung nach dem Grundsatz möglichst geringen Sonderopfers
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räum über die vorgeschriebene Zeit hinaus beleuchtet wird, entmündigen den Verdächtigen ohne Rechtsgrundlage. Die Regelung erleichtert wohl den Vollzugsdienst, wenn das Licht nur außerhalb der Zelle zu schalten ist242, belastet243 aber den Gefangenen allen Grundsätzen zuwider244 unnötig. Lediglich für Gemeinschaftszellen ist die Beleuchtung obrigkeitlich im Einzelfall zu regeln, wenn die Ordnung nicht anders aufrechtzuerhalten tst245. (2) Alkoholgenuß Nr. 51 Abs. 3 UVollzO untersagt den Genuß alkoholischer Getränke ohne Einschränkung246. Dies laßt sich weder mit einem der Haftzwecke noch generell mit dem Erfordernis der Ordnung rechtfertigen, widerspricht aber dem Gesetz, die allgemeinen und individuellen Lebensformen in der Haft so weit wie möglich zu erhalten. Dabei kann es weder darauf ankommen, ob Alkohol in Deutschland zur täglichen Nahrung gehört247, noch darauf, ob sein Genuß erfahrungsgemäß geeignet ist, zu Störungen in der Anstalt zu führen247. Denn die Lebensführung des Untersuchungsgefangenen auf das in Freiheit Übliche zu begrenzen, fehlt die Befugnis, und die Erfahrung, daß Alkoholgenuß zu Störungen in der Anstalt führen kann24*, begründet nicht in jedem Einzelfall eine entsprechende tatsächliche Gefahr, deren Annahme sich auf konkrete Anhaltspunkte stützen kann, wie es
242 yg[ Cranau aaO, (vorige Fn.), der darauf verweist, daß die Nachtdienstbeamten die entsprechenden Lästigkeiten hinzunehmen haben, Radbrwh führt für den Strafvollzug mit Recht solche „engherzige Regelung" wie die „unangebrachte Beieuchtungsersparnis" auf den „alten quäkerischen Standpunkt" zurück (ZStW 32, Bd., 1911, S, 351), 243 Gritnau vermerkt aaO., daß erstmals Inhaftierte „oft stark irritiert" sind, weil sie die Beleuchtung nicht selbst bestimmen können. w Dimntbttr bei Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., §119, Rdn. 138, und Wendisch ebda., 24. Aufl., Rdn. 119, haken Nr. 54 Abs. 2 UVollzO für „rechtlich bedenklich", und Baitmann stellt treffend fest, daß sie „sich nicht an der Grundnorm des § 119 StPO orientiert" (bei Sonnemann, Hrsg., Wie frei ist unsere Justiz?, 1969, S. 164); s. auch Hcttntrkcs, Grundrechte des Untersuchungsgefangenen, S, 137, 245 S. auch Htamrkes aaO, S. 137, der allerdings für Gemeinschaftszellen generell um 22 Ohr die Beleuchtung abgeschaltet wissen will. 246 Zustimmend Dünnebier aaO. Rdn. 150; Wendisch aaO. Rdn. 129; einschr. Hennerkei aaO. S. 131; Peters, Hdw. d. Kriminologie, Bd. 2, 1936, S. 857; ablehnend Bavmann aaO. (ob. Fn. 244). 247 So aber Dünnebier und Wendisch, jew. wie vorige Fn, 248 Hoff, Neun Monate in Untersuchungshaft, S, 63, ISO, berichtet, daß sich 1900 weibliche Untersuchungsgefangene in Preußen Bier kaufen durften, offenbar auch in größerer Menge („zehn Flaschen", S. 150). §87 der Hausordnung für die bayerischen Strafanstalten von 1907 gewährte täglich einen halben Liter Bier, S, weiter Die%, Jb. d. Gefängnisk, 1845, S. 243 f; „jedenfalls aber muß den Gefangenen wenigstens gestattet werden, Wein, Bier und selbst Branntwein auf eigene Kosten sich zu verschaffen".
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VL Grundsätze des Untersuchungshaftvollzugs
rechtlich erforderlich ist249. Im Gegenteil wird regelmäßig davon auszugehen sein, daß ein Glas Bier oder Wein keine reale Gefährdung der in § 119 Abs. 3 genannten öffentlichen Interessen bewirkt, und nicht unberücksichtigt bleiben können, daß bei manchen Untersuchungsgefangenen der Alkoholentzug sich somatisch und psychisch störend auswirkt 250 . (3) Bequemlichkeiten im Rahmen verständiger Wünsche Nr. 18 Abs. 3 UVollzO engt die nach § 119 StPO ausdrücklich zulässigen Bequemlichkeiten über die gesetzlich festgelegten Schranken (Zweck der Haft und Ordnung in der Anstalt) hinaus durch gesetzwidrige Hinzufügung einer dritten ein. Nur „verständige Wünsche" sollen nach der UVollzO im Rahmen des § 119 Abs. 4 StPO zu erfüllen sein251. Die Regelung252 wurde auch 1976 bei der Neufassung der UVollzO beibehalten, obwohl sie eklatant der Rechtsstellung des Untersuchungsgefangenen widerspricht und Jürgen Baumann darauf bereits 1969 deutlich und eindringlich hingewiesen, ja sogar angeregt hat, Untersuchungsgefangene sollten Strafanzeige wegen Nötigung erstatten, wenn ihnen Bequemlichkeiten als nicht „verständige Wünsche" abgelehnt würden253. Die Vorschrift verdeutlicht, daß Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr und die Untersuchungshaft nach wie vor mißverstanden und mißbraucht werden, um einen nur Verdächtigen strafähnlich zu einer Lebensweise zu zwingen oder zu erziehen, die Anstaltsleitung oder Haftrichter für „vernünftig" (Nr. 18 Abs. 2 UVolizO) oder „verständigen" Vorstellungen entsprechend halten. Schon 1928 hat Marx festgestellt, daß die Unschuldsvermutung und die Grundregel des § 119 Abs. 3 StPO „nur einen schönen Klang" haben254. (4) Arztwahl Nach Nr. 50 Abs. 2 UVollzO wird der Gefangene ausschließlich „vom Anstaltsarzt gesundheitlich betreut". Einen anderen Arzt darf der Untersuchungsgefangene (auf seine Kosten) nur ausnahmsweise und nur zur Bera-
24S
Wendisch bei Löwe-Rosen be rg, 24. Aufl., § 119, Rdn. 26; BVerfGE 35, 321. Hennerkes, Grundrechte, S. 131, läßt die allgemeine Gefahr der OrdnungsStörung durch ungeregelten Alkoholgenuß genügen. 250 Sieverts, Die Wirkungen der Freiheitsstrafe und Untersuchungshaft etc., 1929, S. 46. 251 Dementsprechend soll nach Grunau z. B. nur „ein Sessel bescheidenen Formats" und nur „ein kleiner Teppich" in Betracht kommen; zur „schmückenden Kosmetik" einer Gefangenen und zur Beschränkung der Verwendung des eigenen Geldes (Einkauf) s. Mitteilungen einer Untersuchungsgefangenen, hrsgg, v. Seebede, S. 17f, u, ob. S, 150, 252 Vgl, auch N t. 18 Abs. 2, 50 Abs. 2,51 Abs. l UVollzO („vernünftige Lebensweise") u. dazu ob. S, 128f. 25i Battmann bei Sonnemann, Wie frei ist unsere Justiz, S. 160 f. 254 Marx in: Strafvollzug in Preußen, hrsgg. v. Preuß. Justizministerium, S. 93.
2. Gestaltung nach dem Grundsatz möglichst geringen Sonderopfers
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tung2S5 des Anstaltsarztes in Anspruch nehmen. Die Regelung, die sich von der im Strafvollzug praktizierten nicht unterscheidet256, verpflichtet den inhaftierten Verdächtigen, den Arzt, der ihn womöglich zuvor behandelte, zu wechseln, auf die Behandlung durch Fachärzte zu verzichten, und sich durch einen Arzt behandeln zu lassent zu dem meistens von vornherein kein Vertrauensverhältnis entsteht, dem als Anstaltsarzt gar viele Untersuchungsgefangene ablehnend oder mißtrauisch gegenüberstehen. Die Aufhebung der freien Arztwahl, die nicht nur den Untersuchungsgefangenen belastet, sondern auch den Anstaltsarzt, dessen Arbeit damit erschwert wird, kann nicht mit der Pflicht des Staates zur ärztlichen Fürsorge im Untersuchungshaftvollzug gerechtfertigt werden. Denn die Verweigerung der freien Arztwahl vermag die Heilbehandlung zu erschweren. Dies ergibt sich unabhängig von der fachlichen Qualifikation der Anstaltsärzte und unabhängig von der quantitativen ärztlichen Unterbesetzung257 der Justizvollzugsanstalten schon aus der Verpflichtung, mit der Inhaftierung den behandelnden Arzt zu wechseln, und erst recht aus dem in der Haft häufigen Mangel258 des für jede ärztliche Betreuung bedeutsamen, meist sogar unerläßlichen Vertrauens zum Arzt2S?. Das Verhältnis des Arztes zum Patienten ist belastet, weil der Arzt zum Anstaltspersonal gehört, für die Anstalt Kontrollaufgaben wahrnimmt und weil es nicht freiwillig zu dem Arzt hergestellt wird250. So kann sich die unbestritten261 mit der Verhaftung
255
Anders: Mitteilungen einer Untersuchungsgefangenen, hrsgg. v. Seebödt, S. 22, 26. Boujong (KarlsrKomm., § 119, Rdn, 76) und KleinknechtlJamsfhowsky (Das Recht der Untersuchungshaft, S, 135, Rdn. 417) weisen treffend daraufhin, daß der Richter abweichend von Nr. 56 UVollzO auch die Behandlung durch einen anstaltsfremden Arzt erlauben kann. 256 Die freie Arztwahl ist dem Strafgefangenen nach Rspr. (s, z, B. KG, ZfStrVo SH 1979, S. 65) und Lit. (s. z. B. Rümkapj'bei Schwind/Böhm, StVollzG-Komm., 1983, § 56, Rdn. 14, m. weit. Nachw,) durch §§ 56 ff StVollzG verwehrt; die Verwaltungsvorschriften zum StVollzG lassen in Ausnahmefä'JIen die Zuziehung eines anstaltsfremden und lediglich beratenden Arztes zu (W 3 zu § 58 StVollzG, dbgedr. z. B. bei R&mkopf »&Q. vor Rdn. l zu § 58), s. auch CaliiesslMüUer-Ditt%, StVollzG-Kornm., 3, Aufl., § 58, Rdn. 3. 257 Vgl. Zettel, Anstaltsarzt und ärztl. Versorgung, in: Schwind/Blau, Hrsg., Strafvollzug in der Praxis, 1976, S. 181; Qmnsel, AltKommStVollzG, 2, Aufl. 1982, Rdn. 7 vor § 56; Calliessl Müller-Diet%, StVollzG, 3, Aufl., § 56, Rdn. 5; Calliest^ Straf Vollzugs recht, 2. Aufl., S. 43, 139; Kerner bei Kaiser u. a., Strafvollzug, 3. Aufl., S. 406 f. 258 Zettel sieht „die Gefahr der Markierung des Vollzugsarztes aus der Sicht des kranken Gefangenen als .Erfüllungsgehilfe der Justiz'" (aaO. S. 182); s. weiter Romkopf bei Schwind/Böhm, StVoüzG, § 56, Rdn. 2; Scheu, In Haft, S. 17. 259 Vgi. jtfo/fa/i«, Untersuchungshaft und freie Arztwahl, ZfStrVo 1981, S. 136 ff, 137; s. auch Quenstl aaO. vor 56, Rdn. 8 a. E., Htnntrktf, Grundrechte, S, 132. 2fio Vgi. Qutnsd aaO. Rdn. 8 vor § 56; Kerner bei Kaiser u. a., Strafvollzug, 3. Aufl., S. 406 ob. 261 S. näher Htnntrkts, Grundrechte des Unters u chu n gs gefangenen, S. 131; Boujong, KarlsrKomm, § 119, Rdn. 76; Queniel, AltKommStVoIlzG, Rdn. 3 vor § 56.
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VI. Grundsätze des Untersuchungshäftvoüzugs
zugunsten des Gefangenen eintretende Pflicht des Staates zur Gesundheitsfürsorge262 in ihr Gegenteil verkehren, weil dem Gefangenen das Recht zur freien Wahl des Arztes strikt genommen ist und damit die Haftgründe zu einem Rechtseingriff führen, der mit keinem Zweck einer Untersuchungshaft zu rechtfertigen ist263. Das Recht der Untersuchungshaft wird auch verkannt, wenn in praxi die zur Beratung des Anstaltsarztes ausnahmsweise erfolgende Zuziehung eines anstaltsfremden Arztes abhängig gemacht wird von der Entbindung der im Interesse einer wirksamen Gesundheitsfürsorge bestehenden und gesetzlich mehrfach geschützten (§§ 203 StGB, 53, 97 StPO) ärztlichen Schweigepflicht264. Der Untersuchungsgefangene, dessen Freiheiten möglichst zu erhalten sind und dessen Persönlichkeitsrecht zu achten ist, wird ohne Rechtsgrundlage265 vof die Wahl zwischen zwei Übeln gestellt, entweder keinen Arzt seines Vertrauens zuzuziehen oder der Justiz Auskunft über sehr persönliche Umstände zu geben, Anders als im Strafvollzug, für den man den generellen Ausschluß der freien Arztwahl im Hinblick auf die Gesetz gebungsgeschichte unbestritten den §§ 56 ff StVollzG entnimmt 264 , fehlt dafür im Untersuchungshaftvollzug eine Rechtsgrundlage. Denn Flucht, Kollusion oder die Wiederholung einer Straftat (§ 112 a StPO) mögen im Einzel- und Ausnahmefall durch freie Arztwahl begünstigt werden. Dies rechtfertigt aber keinesfalls ihren allgemeinen Ausschluß; und auch im Einzelfall, in dem ein Haftzweck tatsächlich auf Grund gegebener Anhaltspunkte gefährdet erscheint, läßt sich der Gefährdung und Mißbräuchen vielfach mit Vorkehrungen begegnen, die die Arztwahl erhalten oder jedenfalls nicht völlig aufheben. Nr. 56 UVollzO findet denn auch in der Literatur mehr Kritik 2 ^ 7 als Zustimmung208, und Baumann hat in seinem Vorteile der öffentlich-rechtlichen Gesundheitsfürsorge durch Anstaltsärzte und Anstahssanitäter beschreibt Zitfetbei Schwind/Blau aaO, S. 192; diesem zustimmend Rom köpf bei Schwind/Böhm aaO,, § 56, Rdn. 2 a, E.; s. aber auch Crnmmentrl, Krank — Haft, Strafverteidiger 1981, S. 147 f. 243 So z. B. auch Hnm-rkes, Grundrechte, S. 132; Molktiin, ZfStrVo 1981, S, 138. 264 S. KkinkntcbtlJaniscbeatfkj, Das Recht der Untersuchungshaft, Rdn, 418, S. 135f; Molkttin, ZfStrVo 1981, S. 138. Diese Praxis entspricht der in der Strafhaft geübten, vgh W Nr. 3 Satz 2 zu § 58 StVollzG, abgedr. z. B. bei CalliessIMsilUr-Diet^ StVollzG, 3. Aufl., Anh. I, S. 534. 265 Entgegen einer Entscheidung des OLG Zweibrücken (zit. bei Klfinknefhtjjanisfbowsky aaO. (vorige Fn.) S, 136, Fn, 85, läßt sich die Forderung nach Entbindung von der Schweigepflicht nicht auf § 81 a StPO stützen, da die Vorschrift nur körperliche Untersuchungen zuläßt, nicht aber aktives Mitwirken des Beschuldigten (Entbindung von der Schweigepflicht) zu deren Erübrigung fordert, 266 CallitssIMülltr-Dittz, StVollzG, 3. Aufl., § 56, Rdn. 3; g 58, Rdn. 3; Romk.r>t>f bei Schwind/Böhm, StVollzG, Rdn. 2 vor § 56; Rdn. 14 zu § 56; GrunaujTiesler, St\'t.llzG, 2. Aufl., § 58, Rdn. 2; Qwtisei, A 1t Komm StVollzG, 2, Aufl., Rdn. 2 vor § 56; Schock bei Kaiser/Kerner/Schöch, Strafvollzug, 3. Aufl., S. 170; KG ZfStrVo SH 1979, S. 65. 267 Dünmbier bezeichnet N r, 56 UVoltzO seit langem als „zu eng" (bei Löwe-Rosenberg, 21. Aufl., Ergbd. I960, § 119, Anm. IV. 7.; 23. Aufl., Rdn. 152); zust. Eb, Schmidt,
2. Gestaltung nach dem Grundsatz möglichst geringen Sonderopfers
163
Entwurf eines Untersuchungshaft Vollzugsgesetzes im Gegensatz zu dem von den Anstaltsleitern vorgelegten269 keine entsprechende Regelung aufgenommen. Sie wäre mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz unvereinbar, in dem Spann ungsVerhältnis zwischen den grundgesetzlich garantierten Freiheiten des Einzelnen und den Erfordernissen einer wirksamen Strafrechtspflege die Beschränkungen des Untersuchungsgefangenen auf das strafprozessuai Erforderliche zu begrenzen270. Zur Klarstellung erscheint es vielmehr angebracht, dem Untersuchungshäftling ausdrücklich zu garantieren, daß er „auf eigene Kosten einen Arzt seiner Wahl in Anspruch nehmen"271 darf, und damit zu gewähren, was längst bereits für den Strafvollzug vorgesehen272 und den Untersuchungsgefangenen vor Inkrafttreten der StPO gewährt war273, Einschränkungen dieses Rechts will Baumann de lege ferenda nur zur Verhütung von Kollusionen und nur durch richterliche Anordnung zulassen, nicht aber zur Erhaltung der Sicherheit in der Anstak, die durch anderweitige Vorkehrungen gewährleistet werden soll274. Damit wird der besonderen Bedeutung freier Arztwahl für die Gesundheitsfürsorge Rechnung getragen. In besonders gelagerten Ausnahmefällen und wenn Sicherheitsvorkehrungen als mildere Maßnahmen nicht ausreichen, wird In Anbetracht der jüngsten Erkenntnisse über konspiratives Zusammenwirken insbesondere nach § 129 a StGB Verdächtiger mit
Lehrkoinm. StPQ, Teil II, Nachtr. I, 1967, §119, Rdn, 39, und heute MalierHdw. d. Kriminologie, 2. Aufl., hrsgg. v. Sieverts/Schneider, Bd. 5, Lfg. 1( 1983, S. 210; Wendisch bei Löwe-Rosenberg, 24. Aufl., § 119, Rdn. 130. Rosenberg bei Löwe-Rosenberg, 17. Aufl. 1927, § 116, Anrn. 3c, und Kletßscb, Zur Reform der Untersuchungshaft, JW 1925, S. 1449 ff, 1450, wollten freie Arztwahl schon vor Jahrzehnten grundsätzlich zulassen; zust. ßaet^gsn, Rechtsbeziehungen etc., 1933, S. 61; als gesetzwidrig erkennen Nr. 56 UVollzO z. B. Hennerkes, Grundrechte, S. 132; . Oiskatutit, juS 1975, S. 145; Molkettn, ZfStrVo 1981, S. 138. 268 Kkinkntchtljanucbowsky, Das Recht der Untersuchungshaft, Rdn,417f, S. 135f; Botyong, KarlsrKomm., § 1 9, Rdn. 76; Grünen, UVollzO, Nr. 56, Rdn. 7. 269 Dtstbl u, a., EntwUVollzG, § 45. 270 S, z. B. BVerfGE 19, 347; 53, 158, u. näher ob. Abschn, Vl/1, S. 113, 123. 271 So Battmann, EntwUVollzG, § 37 Abs. 2. 272 S. schon 98 Amtl. EntwStVollzG 1927; diesem zust. z. B. Gent%, Die praktische Ausgestaltung des Strafvollzugs, in: Frede/Grünhut, Hrsg., Reform des Strafvollzugs, 1927, S. 55 ff, 86; s. weiter § 106 Abs. 3 AE-StVollzG, bearb. v. Bauraann, Braunetk u. a., 1973; wesentlich weniger einschränkend als Nr. 56 UVollzO auch § 53 Abs. 2 StVollzGE der Bundesregierung, BT-Drucks. 7/918 v. 23. 7. 1973, und Fachausschuß „Strafrechc u, Strafvollzug" des Bundeszusammenschl. f, Straffalligenhilfe, Vorschläge zum Entw. eines StVollzG, 2. Aufl., hrsgg, v. JmgjMütter-Dtet%, 1974, S. 126 (§ 66 Abs. 2); anders hingegen Bundestags-Sonderaussch. f. d. S traf rechts reform, Bericht u. Antng v. 29. 8. 1975, BTDrucks. 7/3998, S. 25 f. 273 S. z. B. § 180 StPO für das Großherzogtum Baden v. 18. 3. 1864; § 71 Revidirte StPO für das Königreich Hannover v. 5, 4, 1859; ebenso dies, v, 1850, § 64. 274 Baumann, EntwUVollzG, S. 83, Begr. zu § 37 E.
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VI. Grundsätze des Untersuchungshaft Vollzugs
Außenstehenden auf die Möglichkeit, die freie Arztwahl zu versagen, nicht gänzlich verzichtet werden können275. (5) Häufigkeit der Besuche Nr, 25 UVolIzO sieht vor, daß in der Regel „mindestens alle zwei Wochen ein Besuch" zugelassen wird, und zwar nach Nr. 24 UVollzO ein solcher „von dreißig Minuten Dauer" innerhalb der vom Anstaltsleiter festgesetzten Besuchszeiten an einem der ebenfalls festgesetzten „regelmäßigen Besuchstage". Im übrigen sollen Besuche zugelassen werden, wenn sie unaufschiebbaren Angelegenheiten dienen, die nicht schriftlich oder durch Dritte erledigt werden können (Nr. 25 UVollzO). Die Regelung entspricht der in § 24 StVollzG für den Strafvollzug getroffenen genau, allerdings mit der Ausnahme, daß hier, den Strafgefangenen letztlich begünstigend, nach § 24 Abs. 2 StVollzG zusätzlich Besuche zugelassen werden sollen, „wenn sie die Behandlung oder Eingliederung des Gefangenen fördern"276. Die kleinliche und tatsächlich jedenfalls in manchen Anstalten auch so praktizierte277 Regelung widerspricht allen Rechtsprinzipien278, die den Vollzug der Untersuchungshaft bestimmen sollten, Sie ist aus dem Personalmangel entstanden, also letztlich aus fiskalischen Gründen getroffen und insoweit auch dadurch bedingt, daß die UVollzO und die Vollzugspraxis die Untersuchungshaft nicht individuell und entgegen § 119 Abs. 3 StPO auch nicht nach dem jeweiligen Haftzweck gestalten, vielmehr die Beschränkungen generalisieren und dabei davon ausgehen, jeder Untersuchungshäftling sei in hohem Maße sowohl flucht- wie kollusionsverdachtig. Da mithin gesetzwidrig und unnötig jeder Besuch und jedes Gespräch eines Untersuchungsgefangenen mit einem Besucher individuell überwacht werden, also grundsätzlich die Zahl der Besucher zu keiner Zeit die Zahl der zur Gesprächsüberwachung verfügbaren Bediensteten übersteigen darf, werden die Besuche nach Zahl und Dauer im Hinblick auf die Personalsituation
275
So auch Molkttin, ZfStrVo 1981, S. 138; weitergehend wohl Maller-Ditt^, Strafverteidiger 1984, S, 84. 276 Eine vergleichbare, aber mit der Unschuldsvermutung zu vereinbarende Formulierung, die in der UVollzO-Fassung v. 15, 12. 1976 enthalten war, weil zusätzliche Besuche zugelassen werden sollten, wenn sie des Untersuchungsgefangenen „späteres Fortkommen betreffen" (Nr. 25 UVollzO a. F.), wurde mit Wirkung v. 1. 1. 1978 gestrichen. Dem folgt Baumarin, EntwUVotlzG, § 20 Abs. 2 mit Begr. S. 49. 277 Vgl. Seebfidt, Hrsg., Mitteilungen einer Untersuchung s gefangenen, S. 48; s. auch JoächimskilPfaff, Untersuchungshaft u. Strafvollzug, S, 146 f. 278 Gegen die Regelung als mit dem Recht unvereinbar nachdrücklich z. B. Hennerkest Grundrechte, S. 119 ff; Baumann, DRiZ 1959, S. 380, Fn. 8; den. bei Sonnemann, Wie frei ist unsere Justiz?, S, 161; anders z. B. KleitikatehtlJantHhotviky, Das Recht der Untersuchungshaft, Rdn. 368, S. 118; Boujong, KarlsrKomm,, § 119, Rdn. 25; Dünnebier bei LöweRosenberg, 23. Aufl., §119, Rdn. 53, Wendisch ebda,, 24. Aufl., Rdn. 42.
2, Gestaltung nach dem Grundsatz möglichst geringen Sonderopfers
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erheblich eingeschränkt279. Differenzierte man nach Haftzwecken, ließe sich für die hohe Zahl der lediglich wegen Fluchtgefahr Inhaftierten die bisher gründliche Überwachung ihrer Besuche regelmäßig erheblich lockern, d, h, mit Ausnahme der Fälle hohen Fluchtrisikos und eine Kontrolle der Besucher auf mitgebrachte Gegenstände vorausgesetzt. US-amerikanische Untersuchungsgefangene (bei denen keiner Verdunkelungsgefahr zu begegnen ist) dürfen z. B. in New York City (Manhattan) täglich (einschl. samstags, sonn- u. feiertags) und dabei in der Woche bis zu drei Besuche von je einer Stunde Dauer empfangen280, haben also gegenüber der in der UVoüzO281 getroffenen Regelung das Zwölffache zulässiger Besuchszeit282. Die Vereinbarkeit der generell in Nrn. 24 und 25 UVollzO getroffenen Einschränkungen der Freiheit eines Untersuchungsgefangenen, Besuche zu empfangen283, mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, § 119 Abs. 3 StPO und den weiteren Gestaltungsmaximen des Untersuchungshaftvollzugs ist deshalb nicht auf der Grundlage des derzeit undifferenzterten Vollzugs284 und nach dem heutigen Personalbestand zu beurteilen. Zwar bringen der Freiheitsentzug, die Unterbringung in einer Vollzugsanstalt und die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Anstalt Rechtseingriffe mit sich, die „als natürliche Folge des Freiheitsentzugs" hinzunehmen sind285, weil sie sich „mit Notwendigkeit, gewissermaßen aus der ,Natur der Sache' heraus, ergeben"285. Doch den Freiheitsbeschränkungen, die im Vollzug der Untersuchungshaft „vom Standpunkt einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege aus erforderlich sind"286, ist „ständig der Freiheitsanspruch des noch nicht verurteilten Beschuldigten als Korrektiv" entgegenzuhalten287, und dabei 279
Vg\,]oafhimskilPfajf, Untersuchungshaft etc., S, 146 („personalaufwendige Durchführung der Besuche . , . läßt eine Verkürzung der zweiwöchigen Besuchsfrist nur in dringenden Fällen zu"); Hasstmer, ZRP 1984, S. 293. 280 Department of Justice^ Guidelines for New York MCC Inmates, New York o, j. (1978), S. 4. 281 Ebenso Descbl u. a. (Anstaltsleiter), EntwUVollzG, § 20 Abs. l S. 2 („mindestens eine Stunde im Monat"). 282 Enger Baumann, EntwUVollzG, § 20 Abs. l (mindestens eine Stunde wöchentlich). 283 Zur verfehlten Fassung von Nr. 24 Abs, l S. l UVollzO s. Htnnerhts, Grundrechte, S. 119; Dmttebier bei Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., § 119, Rdn. 50, Fn. 6; Wendiseb ebda., 24. Aufl., Rdn. 39, Fn. 11. 284 Auf die Notwendigkeit der nach Haftgründen differenzierenden Vollzugsgestaltung (s. ob. Abschn. VI/1, S. 111 ff, 135f) insbes. bezüglich der Außenkontakte weisen z.B. Hennerkei, Grundrechte, S. 119, 122; Baumann aaO, (vorige Fn.) S. 47 unt. hin, 285 BVerfGE 42, 95 ff, 100; s. auch Kltinkneektljanucbowsky, Das Recht der Untersuchungshaft, Rdn. 361, S. 116. 286 Mit Recht krit. zu Grundrechtseinschränkungen durch „Funktionsgesichtspunkte", insbes. zur „Funktionsfa'higkeh" des Vollzuges z, B. H.-P. Stbnttder^ Vereinigungsfreiheit im Strafvollzug, Festschr. f. U. Klug, 1983, Bd. 2, S, 597 ff, 614 (Berücksichtigung nur konkreter „Funktionsfgefahrdung" bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung). 287 BVerfGE 19, 342 ff, 347; 35, 185 ff, 190; 53, 152 ff, 158.
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VI, Grundsätze des Untersuchung shaft Vollzugs
ist vor allem zu betonen, daß Grundrechte „nicht nur nach Maßgabe dessen" bestehen, „was an Verwaltungseinrichtungen üblicherweise vorhanden oder an Verwaltungsbrauch , vorgegeben* ist"288. Die zitierte Regelung der UVollzO ist danach mit dem Verhältnismäßig keitsprinzip und der Unschuldsvermutung unvereinbar. Sie läßt sich in ihrer Allgerneinheit nicht mit der Sicherung der Haftzwecke oder der notwendigen Ordnung (§ 119 Abs. 3 StPO) und selbst im Einzelfall wegen ihrer Enge (l Stunde Besuch im Monat) nicht mit dem Erfordernis, die Ordnung in der Anstalt zu erhalten, begründen. Die Vorschrift bewirkt eine Ausgliederung des Verdächtigen aus seinen gesellschaftlichen, insbesondere auch familiären Bindungen (Art. 6 GG)2S9, „entsozialisiert"290 ihn, statt ihm seine bisherigen Kontakte möglichst weitgehend zu erhalten291, und sie bewirkt, daß der Untersuchungshaftvollzug in der Besuchsregelung einschneidender ist als der Strafvollzug, anstatt umgekehrt den nur Verdächtigen besser zu stellen als den Verurteilten. (6) Pakete Für Inhalt und Zahl der Pakete, die ein Untersuchungsgefangener empfangen darf, gilt nach Nr, 39 UVollzO die für den Strafvollzug getroffene Regelung, d. h. auch ein Untersuchungshäftling darf nur „dreimal jährlich in angemessenen Abständen ein Paket mit Nahrungs- und Genußmitteln empfangen" (§33 Abs. l S. l StVollzG)292. So verfehlt wie die Bezugnahme auf das StVollzG zur Regelung des Vollzugs der Untersuchungshaft grundsätzlich ist, so rechtswidrig293 ist die Beschränkung, die die Bequemlich288
BVerfGE 15, 288 ff, 296; ähnl, z. B, KG JR 1959, S. 308 („Chronischer Mangel an Bewachungspersonal darf nicht zur Ablehnung berechtigter Ausführungsanträge von Untersuchungsgefangenen führen"); OLG Frankfurt, NJW 1967, 166 f; für den Strafvollzug: OLG Hamm, MDR 1970, S. 948. 289 Wegweisend BVerfGE 42, 100, wonach die Ablehnung eines Besuchs des Ehepartners oder von Familienangehörigen schwerwiegender Gründe bedarf und bei weiter Anreise solcher Besucher es auch geboten sein kann, Besuche außerhalb der Besuchstage und -Zeiten zuzulassen; dem zust, z. B, Wtndisch bei Löwe-Rosenberg, 24. Aufl., § 119, Rdn. 42 a. E. ™ Radbruch, ZStW 32. Bd. (1911), S. 339. 291 Zur Förderung sozialer Kontakte als Suizidprophylaxe s. z. B, nur Kürschner, Suicide Inhaftierter etc., S. 90. Zur extrem hohen Suizidrate in U-Haft s. ob. Kap. III, S. 39ff. 292 Zur weiter einengenden Praxis s. die ausführlichen VerwaltungsVorschriften zu §33 StVollzG (z. B. bei CaUitssIMülltr-Dut^, StVollzG, 3. Aufl., Anh. l, S. 524ff; je ein Paket bis 5 kg zu Weihnachten und bis zu 3 kg an Ostern und zu einem vom Gefangenen zu wählenden Zeitpunkt, z. B. Geburtstag); Joachimski\Pfajf, Untersuchungshaft etc., S, 154, 163 f; Seebode (Hrsg.), Mitteilungen einer Untersuchungs gefangene n, S. 13 f. 293 Ebenso Dünnebier bei Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., § 119, Rdn. 58; Wendisch ebda,, 24. Aufl., §119, Rdn. 47; s. auch Henmrkts, Grundrechte, S, 127; Baumann bei Sonnemann, Wie frei ist unsere Justiz?, S. 163. Anders z.B. Boujong, KarlsrKomm, §119, Rdn. 57; Kkmk»tcbt\Mtytr, StPO, § 119, Rdn. 19 ff.
2. Gestaltung nach dem Grundsatz möglichst geringen Sonderopfers
167
keitsgarantte negiert. Gegen sie sprechen sämtliche Erwägungen, die bereits gegen die Besuchsregelung angeführt wurden. Der Einwand, der Untersuchungsgefangene könne auf die Einkaufsmöglichkeiten in der Anstalt verwiesen werden, um die Anstaltsbediensteten nicht übermäßig mit der Kontrolle von Paketen zu belasten294, der womöglich dazu geführt hat, den Empfang von Nahrungsmittelpaketen in einem Entwurf eines Untersuchungshaftvollzugsgesetzes wie in der früheren Fassung der UVollzO gänzlich auszuschließen295, überzeugt aus drei Gründen nicht: Das von der Anstalt vermittelte Angebot von Nahrungs- und Genuß mittein ist begrenzt. Der Betrag, für den ein Untersuchungsgefangener nach heutiger, allerdings rechtswidriger296 Praxis einkaufen darf, ist ebenfalls begrenzt, jedenfalls können seine Mittel tatsächlich begrenzt sein und sind es meistens. Schließlich erhält und fördert der Paketempfang soziale Bindungen, insbesondere, worauf Dunnebter mit Recht nachdrücklich hinweist, wird die Verbindung zur Familie „durch ein liebevoll gepacktes Paket oft inniger aufrechterhalten als durch Briefe"297. Deshalb ist hier erneut und besonders daraufhinzuweisen, daß die Grundrechte auch des Untersuchungsgefangenen nicht nur nach Maßgabe dessen bestehen, was an Verwaltungseinrichtungen vorhanden ist298. Dem geltenden Recht entspricht es deshalb unter Berücksichtigung dessen, daß das Anstaltspersonal nicht beliebig vermehrt werden kann, „mindestens ein Paket wöchentlich"299 und den Paketempfang grundsätzlich nach Maßgabe des § 119 Abs. 3 StPO zuzulassen299. bb) Bauliche Anlage der Untersuchungshaftansialten und Gestaltung der Hafträume
Die räumlichen Gegebenheiten, unter denen Untersuchungshaft vollzogen wird, unterscheiden sich heute traditionsgemäß nicht von denen des herkömmlichen Strafvollzugs, wohl aber zuungunsten des Untersuchungsgefangenen von den allerdings nicht dominierenden, wenn auch zahl-
294 295
BVerfGE 34, 369 ff, 384,
Däsch/u. a. (Anstaltsleiter), EntwUVollzG, § 29 (unter Beschränkung des Einkaufs, 5 19 E, und den Richter bzw. die Anstalt bindend). Gegen völligen Ausschluß nach Nr. 39 a, F, UVollzO z. B. mit Nachdruck Hennerkes, Grundrechte, S. 127; Baumann bei Sonnemann aaO. S. 163; krit. Mülitr-Diet^, Emscheidungsanm., JZ 1974, S, 99ff, 100f; s. auch schon Wagner, JW 1929, S. 2965 ob. 296 S. ob. Abschn. VI/1 S. 113; 2c) dd), S. 150 und e) aa) (3), S. 160. 297 Dünnebier bei Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., §119, Rdn. 55, 58 (ebenso Wendisch ebda., 24. Aufl., § 119, Rdn. 44, 47); zust. Müiltr-Dut^, JZ 1974, S. 100· s. auch Boujong, KarlsrKomm. § 119, Rdn. 57. 298 BVerfGE 15, 296; s. auch Dünxebicr und Afiil/er-Ditf- , jew. aaO. (vorige Fn.); LG Essen, MDR 1973, S. 692. m Baitmana, EntwUVollzG, 28.
168
VI. Grundsätze des Untersuchungshaftvollzugs
reichen300 Strafanstalten mit offenem Vollzug301. Kommt ein solcher für die Untersuchungshaft auch nicht in Betracht und sind Untersuchungsgefängnisse wie Strafanstalten des geschlossenen Vollzugs mit Sicherheitsvorkehrungen gegen Entweichungen zu versehen, so widerspricht die in der baulichen Gestaltung der Anstalten und Zellen für Untersuchungsgefangene zum Ausdruck kommende Gleich- oder Schlechterstellung der nur verdächtigen Inhaftierten gegenüber den Verurteilten doch ersichtlich dem unbestrittenen, oben dargestellten und auch in Nr. l Abs. 3 UVollzO302 zum Ausdruck kommenden Grundsatz, Untersuchungshaft nicht als Strafe erscheinen zu lassen303. Das verbreitete Vorurteil, der Untersuchungsgefangene sei ein Straftäter und büße bereits, stützt sich nicht nur auf die richterliche Annahme dringenden Tatverdachts und die Erfahrung, daß die ganz überwiegende Mehrheit der Untersuchungshäftlinge als schuldig verurteilt wird, sondern erhält zusätzliche Nahrung dadurch, daß der Untersuchungsgefangene wie der einer schweren Straftat Überführte untergebracht wird304. Eine Unterbringung der Untersuchungsgefangenen, die mit der von Verurteilten im geschlossenen Strafvollzug übereinstimmt und in Häusern und Zellen erfolgt, die dem Strafvollzug dienen oder wie für diesen angelegt sind, ist nicht nur mit der Unschuldsvermutung unvereinbar305, sondern vor allem unvereinbar mit dem Grundsatz, das Sonderopfer auf das Notwendige zu beschränken, weil sie nur das unterste Niveau einhält und dem Verdächtigen in der Unterkunft lediglich das Einfachste zur Verfügung stellt306, und 300
S. Kaiser bei Kaiser u. a., Strafvollzug, 3. Aufl. 1982, S. 226, vgl. auch Rosner, Die Entwicklung des Strafvollzugs etc., 2, Aufl. 1982, S. 405. 301 S. ob. Abschn. I/I, S. 4. 302 N r, l Abs. 3 S. 2 UVollzO stellt allerdings dem Wortlaut nach nur auf den „Umgang" mit dem Gefangenen ab. 303 Krit. bereits Bb. Schmidt, Lehrkomm. StPO, Teil II, Nachtr. 1967, § 119, Rdn. 7 a. E., und jüngst Arbeitskreis S trafpro^eßreform, Ameittng u. a., Die Untersuchungshaft, 1983,5.53. 304 Auch die sachlich sicher zutreffende neuere Einheitsbezeichnung „Justizvollzugsanstalt1' für Straf- und Untersuchungshaftanstalten, wegen der tatsächlichen gleichen baulichen Gestaltung und der weitgehend einheitlichen Haftdurchführung nur zu verständlich, ist verfänglich und für den Untersuchungsgefangenen nachteilig, weil sie ebenso wie „Gefängnis" vereinheitlicht, was nach der Unterschiedlichkeit in Rechtsstellung und Haftdurchführung zu differenzieren ist, „Untersuchungshaftanstalt" (oder „Prozeßhaftanstalt", s. ob. Abschn. V/2, S. 65 m, Fn. 54) wäre vorzuziehen. Vgl. auch Klee, G A 55. Bd. (1908), S. 261. ·"'' Krohne, Lb. der Gefängniskußde, S. 315, bemerkte schon 1889, daß die Unterbringung nur Verdächtiger im Strafhaus dem Urteil des Richters vorgreift. S. z, B. auch Sax> Grundsätze der Straf recht spflege, in: Bettermann u.a., Hrsg., Die Grundrechte, Bd. Ill/ 2, 1959, S, 977, der betont, daß die Untersuchungshaft wegen der Unschuldsvermutung in ihren Wirkungen den noch ausstehenden Schuldspruch nicht vorwegnehmen darf. 306 Granati spricht von der „Kargheit und Eintönigkeit der Zelle und ihres Inventars" (UvollzOKomm., Nr. 18, Rdn. 3, S. 54) und konstatiert weiter, daß die Zellen für
2. Gestaltung nach dem Grundsat2 möglichst geringen Sonderopfers
169
auch den Ärmsten wie dem, der in Freiheit äußerst bescheiden oder karg eingerichter ist und beengt wohnt, noch ein Opfer abverlangt, ja ihn demütigt. Die Einsperrung in einer kalten und nüchternen Zelle, deren Ausstattung auf das Notwendigste begrenzt und von einer wohnlichen weit entfernt ist, und die Beschränkung auf einen sowohl engen, vielfach noch mit anderen Gefangenen zu teilenden307, als auch mit den allgemeinen oder auch nur ungünstigsten Lebens- und Wohnverhältnissen nicht mehr zu vergleichenden Lebensraum sind weder nach § 119 Abs. 3 StPO noch mit der Begrenztheit staatlicher Mittel zu rechtfertigen. Die Unterbringung der Untersuchungsgefangenen ist nur historisch und mit der gemeinhin unausgesprochenen, weil rechtlich unhaltbaren, aber doch virulenten Einstellung zu erklären, die meisten Untersuchungsgefangenen treffe die Härte der ja auch auf die Strafe anzurechnenden Haft als von vornherein Schuldige im Ergebnis nicht zu Unrecht, und die wenigen letztlich als unschuldig erkannten müßten die gegebenen Verhältnisse und die daraus erwachsende Steigerung des in Wahrheit nur bei ihnen gegebenen Sonderopfers ebenso wie die mit der Einweisung in ein Gefängnis erhöhte präventive Wirkung der Untersuchungshaft 308 angesichts ihrer geringen Zahl und zu gewährender Entschädigung309 hinnehmen. Nur deshalb verwundert es nicht, daß die Untersuchungsgefangene meistens weder großer noch besser ausgestattet sind als die der Strafgefangenen (aaO. Rdn, l zu Nr, 54, S. 122); s. auch Hoff, Neun Monate in Untersuchungshaft, S. 38 ff; Marx in: Strafvollzug in Preußen, S. 93; Borcbert, Gefangenenberkht, in: Rollmann, Hrsg., Strafvollzug in Deutschland, 1967, S. 19; Böbm, Strafvollzug, S. 90; Seebode, Hrsg., Mitteilungen einer Untersuchungsgefangenen, 1983, S, 5 ff. 507 Nach den Mitteilungen einer Untersuchungsgefangenen, hrsgg. v. Seebode, S. 9, 26 q m für vier Gefangene; s. auch Binswangerl Brandenburger, SchwZStrR 91. Bd. (1975), S, 409. Nach Umnhardt, Strafvollzug (1978) S. 169, werden die Untersuchungshaftanstalten „nicht mit der chronischen Überbelegung fertig", ähnl. schon Zitfker, Reform bedürftig k e it (1879), S. 129: „ Überfüll u ng mit Häftlingen geradezu permanent"; Eb. Schmidt, Entscheidungsanm., NJW 1967, S. 2024. Die Überbelegung ist nicht nur historisch permanent, sondern offenbar auch international zu beklagen; für die USA vgl. bezügl. der 1975 eröffneten Haftanstalt in Manhattan (Metropolitan Correctional Center) Biackmore, An Architect's Sampler of U.S. Prisons, in: Corrections Magazine 1978, S. 48 ff, 50: „Originally designed for 360 inmates, the population in recent months has consistently ranged from 500 to 550", s. auch dpa, FAZ Nr. 269, 19. 11. 1983, S. 10. WB Zur generalpräventiven Wirkung der Untersuchungshaft s. z. B. Krümpelmenn, in; Kriminolog. Gegenwartsfragen, H, 12, S. 45; Schach bei Kaiser u. a., Strafvollzug, 3, Aufl. 1982, S. 113; Rdn. 31; Abenhausen bei Jung/Müller-Dietz, Reform der Untersuchungshaft, S, 160 f; zum Bestreben, sie wegen ihrer Härte als „Einstieg für eine längerfristige spezialpräventive Behandlung" zu nutzen, Walter, Untersuchungshaft u. Erziehung bei jungen Gefangenen, MKrim 1978, S. 337 ff, 342. Peters stellte bereits 1936 fest, daß statt der gesetzlichen Haftgrunde „tatsächlich Sicherungs-, generalpräventive oder Vergeltungserwägungen das Maßgebliche sind" (Hdw. d. Kriminologie, Bd. 2, 1936, S. 862). 509 Die Efitschädigungsregelung ist unvollkommen und insbesondere bezüglich des immateriellen Schadens (10 DM pro Hafttag, § 7 Abs. 3 StrEG) unzureichend, s. näher Baumann, Krit. Bemerkungen zum StrEG, Pestschr. f. Heinitz, 1972, S, 705 ff, Stebode, Verzicht auf Haftentschädigung?, NStZ 1982, S. 144 m, w. N.
170
VI. Grundsätze des Untersuchungshaft Vollzugs
ebenso alten wie wegen der Rechtsstellung des Untersuchungsgefangenen selbstverständlichen Forderungen, die Untersuchungshaft ausschließlich in besonderen, von den Strafanstalten gerrennten und in der baulichen Gestaltung sich abhebenden Häusern zu vollziehen310 und sie insbesondere durch bessere Unterbringung der Gefangenen von der Strafhaft deutlich zu unterscheiden311, bisher erfolglos waren, trotz aller Eindringlichkeit, mit der sie 2. B. gerade von einem Anstaltsleiter, Rud. Marx, vertreten wurden312. Es wurde vielmehr im Gegenteil aus der UVollzO die noch zurückhaltend formulierte Vorschrift der Nr. 54 Abs. l a. R (1971) mit Wirkung vom 1.1, 1978 gestrichen, wonach Untersuchungsgefangene „nach Möglichkeit in Hafträumen" unterzubringen waren, „die größer und besser ausgestattet sind als die Hafträume der Strafgefangenen"313. Zu einer Zeit, da für den Strafvollzug im Hinblick auf dessen gesetzlich festgelegtes Ziel und wegen des strafvollzugsrechtlichen Angleichungsgrundsatzes konsequent eine „den allgemeinen Lebens Verhältnissen angepaßte Form des Wohn ens und Haushaltens"314 gefordert wird, der Alternativentwurf eines Strafvollzugsgesetzes dem Strafgefangenen einen Rechtsanspruch einzuräumen vorschlägt auf einen Haftraum, der nach den Richtwerten für die bauliche Gestaltung von Studentenwohnheimen des deutschen Studentenwerkes zu bemessen und einzurichten ist315, und § 144 StVollzG gebietet, die Hafträume „wohnlich" auszugestalten, sind die alten Forderungen nach größeren und besseren Räumen für den Vollzug der Untersuchungshaft mit Nachdruck als de lege lata begründet zu erneuern. An Reformbemühungen, die zwischen den beiden Weltkriegen z. B. daraufgerichtet waren, Untersuchungsgefangenen durch Verbindung zweier alter Zellen eine „Doppelzelle", also „einen Wohn- und einen Schlafraum" zur Verfügung zu stel-
i!0
So z. B. schon Zachartee, Handb. d, dt. Strafprozesses, 2, Bd., 1868, S. 152; u. auch Krohne, Lb. d. Gefangniskunde, 1889, 'S. 315; Brueks, Die innere Organisation der Gefangenenanstalten in Deutschland, in: Bumke, Hrsg., Dt, Gefängniswesen, 1928, S. 98 ff, 100; v. Hentig, MKrim 1932, S. 278; Jenßtn, Stellung des Untersuchungsgef,, 1956, S. 44; Arbeitskreis Strafpro^eßref. aaO., 1983, S. 53 f. 311 Dte%, Jahrb. d. Gefangniskunde, Bd. 6, 1845, S. 226; Zucker, Reform bedürftig keit, 1879, S, 129 f; Beefigen, Vollzug der Untersuchungshaft, 1932, S. 26; Günther, Rechtsbeziehungen, 1933, S, 50; Janßen aaO, (wie vorige Fn,}, S, 46 f, 312 Marx in: Strafvollzug in Preußen, hrsgg. v. Preuß, Justizministerium, S. 93 ff; einschr, Die% aaO. (vorige Fn.) S. 229. 313 So schon 1845 Die%, Jahrb. d. Gefängniskunde, Bd. 6, S. 256 („Die Größe der Zellen muß für Untersuchungsgefangene beträchtlicher sein, als für die Strafgefangenen", und zugunsten der ersteren „ist für einen gewissen Grad von Comfort zu sorgen"); 1972 ist Nr. 54 a. F. UVollzO nach Grmau, UVollzO-Komm., Nr. 54, Rdn. l, ein meistens unerfüllter „Wunsch", 314 Fast in: AltKommStVollzG, 2. Aufl. 1982, Rdn. 7 vor g 17; s. auch Diet%, StVolIzG-Komm., 3. Aufl. 1983, § 144, Rdn. 1. 315 Baumann, Brauneck u. a., AE-StVollzG, 1973, § 10 mit Begr. S. 67.
2, Gestaltung nach dem Grundsatz möglichst geringen Sonderopfers
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len316, ist anzuknüpfen. Die Gebote, die Unterbringung der Untersuchungsgefangenen so zu gestalten, daß die bisherigen Lebensverhältnisse so weit wie möglich, wenn auch ohne Beeinträchtigung des Haftzwecks erhalten bleiben, und die Verhaftung nicht als Strafe erscheinen zu lassen, bedeuten, daß über die Notwendigkeit gesonderter Untersuchungshaftanstalten und größerer Hafträume hinaus eine wohnliche äußere Form der Untersuchungshaft zeitlich keinesfalls später als die für die Strafhaft vorgeschriebene und über die in dieser zu erreichenden hinaus zu schaffen ist. Zwar ist „wohnlich" ein „dehnbarer Begriff'317, doch ergibt sich aus ihm für die Hafträume im Untersuchungshaft Vollzug unter Berücksichtigung der Gestaltungsgrundsätze für die Unterbringung im Strafvollzug, die ebenfalls keine zusätzliche Ubelszufügung darstellen darf318, im einzelnen u. a. wenigstens folgendes: (1) Natürliches Licht, Sicht Der Untersuchungsgefangene sollte, wie es auch für den Strafvollzug vorgeschrieben ist319, so viel Tageslicht haben, daß er zum Lesen keiner künstlichen Beleuchtung bedarf, Lage und Beschaffenheit des Fensters sind für die wohnliche Wirkung eines Raumes entscheidend320. Man muß die (mit Gardinen zu versehenden) Fenster zur Belüftung öffnen können321, und sie müssen einen Blick ins Freie gestatten319. Ein Untersuchungshaftvollzug, der noch Sichtblenden oder Milchglas und nur Oberfenster kennt, die den Gefangenen verführen, (verbotswidrig) auf Tisch und Stuhl zu klettern, um einen Blick nach draußen werfen zu können322, bleibt nicht nur hinter dem für den Strafvollzug Vorgeschriebenen zurück, sondern ist inhuman, führt zu Schädigungen der Augen323 und verstärkt die nachteiligen psychischen Auswirkungen der Haft, ohne daß er nach § 119 Abs. 3 St PO gerechtfertigt wäre. Im Falle einer Haft, die Verdunkelungsgefahr vorzubeugen hat, bei konkreten Anhaltspunkten für Fluchtgefahr oder bei zu befürchtenden Belästigungen Außenstehender können Hafträume
1:6
Marx in: Preuß. Justizmin., Hrsg., Strafvollzug in Preußen, S. 94 f, Böbm bei Schwind/Böhm, StVolIzG, 1983, § 144, Rdn. 2. 316 StVoilzGEntw. d. Bundesreg., BT-Drucks. 7/918, S. 93, Begr. zu § 131; s. statt vieler weiter z, B. Ca/HessfMüller-Dief^, StVolizG., 3. Aufl. 1983, § 144, Rdn. 1. 319 Calliesi Müller-Dtft%, StVolizG, l Aufl. 1983, § 144, Rdn, 1; Böhm aaO, (wie vorige Fn.) Rdn. 3; s.toiaiJugendstrafvol}%Hgskofftm.,Schlußbericht, 1980, S, 24. 320 /. Arnät, Straf Vollzugs bau, 1980, S. 135. 317
321
Mindestgrundsätze für die Behandlung von Gefangenen (Minima), Europ, Fassung v. 19. 1. 1973, Nr. 10 (abgedr. z. B. bei GrtmevITitsiir, StVolizG, 2. Aufl. 1982, S. 420). 322
Böhm, Strafvollzug, 1979, S. 9l;/. Arndt, Straf Vollzugs bau, S. 135; Mitteilungen einer Untersuchungsgefangenen, hrsgg. v. Seeb&de, \ 983, S. 6; s. auch schon Autr, Psychologie der Gefangenschaft, 1905, S, 78. 323 Scheu, In Haft, S. 84 f.
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VI. Grundsätze des Ontersuchungshaftvollzugs
zugewiesen werden, deren Fenster kein Hinauswerfen von Gegenständen (Maschendraht) oder keine Kontakte zulassen, also z. B. zum Innenhof weisen oder elektronisch überwacht werden. Eine solche Sicherung, die das Metropolitan Correctional Center in New York seit Jahren ohne Nachteile praktiziert, sollte gerade bei Untersuchungshaftanstalten die Stahlgitter ersetzen, da die Vergitterung nicht den allgemeinen Lebensverhältnissen entspricht und weder Entweichungen hindert noch angesichts neuer Technik als die „angenehmste Sicherung"324 angesehen werden kann. (2) Visuelle Überwachung („Beobachtungslinsen") Der jeder Vollzugsanstalt eigentümliche „Verlust an Privatheit"325 wird u. a. nicht nur durch karge und nüchterne Zellen, sondern auch durch die in den Zellentüren angebrachten „Sichtspione" erheblich gesteigert, die nahezu jeder Gefangene als sehr irritierend und als empfindlichen Rechtseingriff empfindet. Die ständige Möglichkeit einer Beobachtung, erst recht einer unbemerkten, berührt nicht lediglich den Bereich der menschlichen Persönlichkeit, der aus Schamgefühl vor fremder Betrachtung gemeinhin geschützt wird, sondern wie der im amerikanischen Recht entwickelte Begriff des „right of privacy" deutlich macht, auch das menschliche Bedürfnis, eine abgeschiedene, häusliche, eigene, intime Sphäre zu haben, und das Recht, von Beobachtung frei zu sein. Benda hat zu Recht betont, daß diesen mit Verletzungen der Privatsphäre gegebenen Gefährdungen der Menschenwürde zu begegnen ist326, deren Schutz der Vollzug der Untersuchungshaft ebenso verpflichtet ist327 wie das gesamte Strafverfahren328 und alle staatliche Gewalt. Die generelle Beobachtungsmöglichkeit, die mit der Einrichtung eines „Türspions" vom Gefangenen als durchgehende Bedrohung und Beeinträchtigung seiner ureigensten Privatsphäre empfunden werden muß, geht über das Erforderliche hinaus und ist mit § 119 Abs. 3 StPO, der eine reale Gefährdung der dort benannten öffentlichen Interessen im Einzelfall voraussetzt, unvereinbar. Auch kann ein Raum, dessen Beobachtung durch einen „Türspion" jederzeit und vollständig329 324
Böhm, Strafvollzug, S. 91; s. näher/. Arndt, Strafvollzugsbau, 5,136, Radbruch forderte bereits 1932 für Strafanstalten „möglichste Unsichtbarmachung der Freiheitsbeschränkung, keine Festun g s mauern und keine Gitterfenster" (Der ErziehungsgedarLke im Strafwesen, JW 1932, S, 3037 ff, 3039; ebenso; Radbruch, Einf. in die Rechtswissenschaft, 9. Aufl., besorgt von Zweigert, 1958, S. 134), 325 Baumann u. a., AE-StVollzG, S. 67 2« § 10 E, 32i Benda, Gefahrdungen der Menschenwürde, 1975, S, 21; s. z. B. auch Dürig in Maunz/Dürig u. a., GG, Art. l, Rdn, 37; BVerfGE 6, 32ff, 41; 27, l ff, 7. 327 Vgl. Nr. l Abs, 3 Satz l UVoOzO u. z, B. Hennerkes, Grundrechte, S. 63 ff. 28 S. z. B. nur Saxt Grundsätze der Straf rechts pflege, in: Bettermann u. a,, Die Grundrechte, Bd. HI/2, S. 970. 329 Vgl. Böba bei Schwind/Böhm, StVollzG, 1983, § 144, Rdn. 2 („jede Ecke des Haftraums").
2. Gestaltung nach dem Grundsatz möglichst geringen Sonderopfers
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möglich ist, nicht wohnlich sein330. Das Verhängen oder Zukleben vorhandener „Beobachtungslinsen" ist deshalb im Untersuchungshaftvollzug wie im Strafvollzug , in dem sie keine durchgängige Verwendung mehr finden332, bis auf Ausnahmefalle, in denen sie unter Sicherheitsgesichtspunkten erforderlich sind, zulässig333. (3) Sanitäre Einrichtung Für eine wohnliche und damit der Rechtsstellung des Untersuchungsgefangenen entsprechende Gestaltung des Haftraums ist die Abtrennung der Toilette unerläßlich334. Für Gemeinschaftzellen33S dürfte es sich erst recht von elbst verstehen, daß ein Vorhang oder eine „Schamwand", die lediglich die optische Wahrnehmung der Verrichtung von Bedürfnissen der Mitgefangenen hindern, nicht aber die akustische und Gerüche, völlig unzureichend sind336. Zumal in den Zellen auch die Speisen eingenommen werden, ist jedoch auch für den Haftraum, der der Einzelunterbringung dient, eine geschlossene „Naßzelle" erforderlich, die für den Strafvollzug ebenfalls als geboten angesehen wird337. Mag man hier im übrigen unschlüssig sein, ob das Gesetz nur eine einfache Ausgestaltung des Haftraumes338 oder in Verfolgung des Anglekhungssatzes doch eine „den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit als möglich" (§ 3 Abs. l StVollzG) entsprechende, also nicht unterdurchschnittliche Ausgestaltung und mithin womöglich auch eine Dusche in der abgesonderten Sanitärzelle vorsieht339, so dürfte eine 330
Schumann, AltKommScVollzG, 2, Aufl. 1982, § 144, Rdn, 9;J. Arndt, Strafvollzugs S. 138. 331 Vgl. Schumann aaO, (vorige Fn.) Rdn, 9; Fttst ebda., § 19, Rdn, 5;Jugtndstrafvoll%ug$komm., Schlußbericht, 1980, S. 24; OLG Zweibrücken, Vollzugsdienst/BlStV 1982, H. l, S. 5; Bohm bei Schwind/Böhm, StVollzG, § 144, Rdn. 2, der auch ebda. § 18, Rdn. l betont, der Gefangene müsse „einen Rest von Pcivatsphäre behalten"; anders OLG Frankfurt, ZfStrVo SH 1977, S. 43. 332 Feett, AltKommStVollzG, 2. Aufl. 1982, § 19, Rdn, 5;/. Arndt, Strafvollzugsbau, S. 138; vg], auch Bohm, Gedanken zur Rückfallprävention durch Strafvollzug, in: Schwind/Berckhauer/Steinhilper (Hrsg.), Präventive Kriminalpolitik, 1980, S. 91 ff, 99. 533 Anders OLG Karlsruhe, Die Justiz 1981, S, 87, ohne auf eine konkrete Gefährdung des Haftzwecks oder der Ordnung abzustellen. 334 So z. B. /. Arndt, Strafvollzugsbau, S, 134; Callhss\MülleT-Ditt\, StVollzG, 1983, § 144, Rdn. 1; Böhm bei Schwind/Böhm, StVollzG, § 144, Rdn. 2, für den Strafvollzug. 335 Vg]. OLG Hamm, NJW 1967, S. 2024 f. 336 Eb. Schmidt, Entscheidungsanm., NJW 1967, S. 2024; Böhm aaO.; Schumann, AhKommStVolIzG, § 144, Rdn. 10. 337 Schumann (wie vorige Fn.); J. Arndt, Strafvollzugs bau, S. 134; Jttgendstrefvolispigj' komm., Schlußbericht, S. 23 f; CalliessIMülltr-Dittz aaO. §144, Rdn, 1; Baumann u.a., AE-StVolIzG, § 10 Abs. 3 (weitergehend als Baumam, EntwUVollzG, § 15), ™ GrmtaujTits/er, StVollzG, 2. Aufl. 1982, § 144, Rdn. 1; Müller-Ditt^, StrafvoJlzugsrecht, 1978, S. 266. 339 J. Arndt, Strafvollzugsbau, S. 134, der meint, mit einer Dusche würde das Niveau einer einfachen Ausstattung verlassen. Im New Yorker Metropolitan Correctional Center ist an jeden Haftraum eine Dusche angeschlossen.
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VI. Grundsätze des Untersuchungshaftvollzugs
solche für die Ausgestaltung von Untersuchungshafträumen zweifelsfrei vorzusehen sein, da deren Einfachheit nicht mit § 119 Abs. 3 StPO zu begründen ist, vielmehr den Geboten widerspricht, den Untersuchungsgefangenen nicht unnötig zu belasten, ihm die allgemeinen Lebensbedingungen zu erhalten und seine Haft gunstiger zu gestalten als Strafhaft. Die Möglichkeit, nur einmal in der Woche (mit mehreren gemeinsam) zu duschen340, entspricht, erst recht, wenn keine Badegelegenheit besteht, weder den allgemeinen Lebensverhältnissen noch den verbreiteten hygienischen Bedürfnissen. (4) Einzel- und Gemeinschaftshaft, Wohngruppen Die gesetzlich gebotene Differenzierung des Untersuchungshaftvollzuges nach den Haftgründen läßt es zu, dem Bedürfnis des grundsätzlich Tag und Nacht in seiner Zelle isolierten und nur ausnahmsweise mit anderen Untersuchungsgefangenen zusammentreffenden (Hof- und Kirchgang z. B.) Untersuchungsgefangenen nach Abwechslung und (zeitweiliger) Gemeinschaft mit anderen innerhalb der großen und abzusondernden341 Gruppe der ausschließlich wegen Fluchtverdachts Inhaftierten durch das auch in traditionellen Anstalten mögliche Angebot täglichen „Umschlusses" entgegenzukommen. Dabei werden wie im Strafvollzug342 zwei, drei oder mehr Insassen auf ihren Wunsch (§119 Abs. 2 StPO) in dem Haftraum eines von ihnen eingeschlossen, um gemeinsam z. B. arbeiten oder Karten spielen343 zu können. Es ist die Aufgabe des Untersuchungshaftvollzugs, den Belastungen und negativen Auswirkungen, die mit Einzelhaft, im Untersuchungshaftvollzug die gesetzliche Regelform (§ 119 Abs. l StPO)344, ver540
Mitteilungen einer Untersuchung s gefangenen, hrsg. v. Setbode, S. 33 f. "i So ob. Abschn. VI/1, S. 136. M S. nur Bobm bei Seh wind/B öh m, StVolIzG, § 17, Rdn. 4; Feest, AltKommStVollzG, 2. Aufl., § 17, Rdn. 3. 345 Das Verbot, in Untersuchungshaft Karten zu spielen (vgl. Baumann, Festschr. f. Eb. Schmidt, 1961, S. 547, u. auch Grunau, UVollzO-Komm., Nr. 46, Rdn. 2, S. 112), ist zu Recht als mit § 119 Abs. 3 StPO unvereinbar erkannt (Dünnebier bei Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., § 119, Rdn, 135). 144 Der Begriff „Einzelhaft" wurde und wird nicht einheitlich gebraucht (s. schon K.J. Miiteraiaier, Ge fang n is verbesse rung, 1858, S. 10 f); er kann bedeuten, daß der Gefangene unausgesetzt von anderen gesondert gehalten wird, und zwar auch in der Kirche, beim Hofgang, beim Unterricht usw., oder auch, daß er zwar Tag und Nacht in der Einzelzelle ist, bei gewissen Gelegenheiten aber mit anderen Gefangenen zusammentrifft („Zellenhaft"). Dementsprechend wurde § 22 StGB a. F. unterschiedlich verstanden, vgl. z. B. im ersten Sinne Allfeld, Lb. d. Dt. Strafrechts AT, 9, Aufl. 1934, S. 254; Jagusfb, LeipzKornm., 8. Aufl., Bd. l, 1957. § 22, Anm. 2; anders Binding, Handb. d. Dt. Strafrechts, Bd, l, 1885, S. 297 und wohl auch Sehönke\SthrMtr, StGB, 10. Aufl. 1961, 5 22, Anm. II. Die Einzelhaft des Untersuchungshaftvolizugs ist nicht die strenge, vgl. Nr. 23 Abs, 2 UVollzO, sondern eher die „Zellenhaft"; zu deren Begriff s. z. B. Starkt> Die Behandlung der Gefangenen, in: Bumke, Dt. Gefangniswesen, 1928, S. 147 ff, 150; anders aber Roh. v, Htppti, Dt. Strafrecht, Bd. l, 1925, S. 375, Fn. 5.
2. Gestaltung nach dem Grundsatz möglichst geringen Sonderopfers
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Bünden sind, unter Beachtung des Haftzwecks auch mit der Möglichkeit von Kontakten der Untersuchungsgefangenen untereinander zu begegnen. Heute brauchen keine Worte mehr darüber verloren zu werden, daß die Einzelhaft die härteste Form der Freiheitsstrafe ist345. § 22 Abs. 2 a. F. StGB hatte sie deshalb auf höchstens drei Jahre begrenzt. Ihr wird die größte AbschreckungsWirkung beigemessen346, und sie muß als „markantester Ausdruck des Tatvergeltungsstrafrechts"347 angesehen werden. Strafvollzugskunde und -gesetzgebung haben den über ein Jahrhundert lebhaft geführten Streit um die Vorzüge und Nachteile verschiedener Formen der Einzel- und Gemeinschaftshaft348 längst überwunden. Im Strafvollzug ist die vor Jahrzehnten vielfach gelobte349 oder doch vorgezogene350 Einzel- ebenso wie die Gemeinschaftshaft wegen der von Raabrucb mit dem Wort „Die Gemeinschaftshaft macht schlechter — die Einzelhaft macht schwächer"351 charakterisierten Nachteile beider ersetzt durch einen Vollzug, der die Gefangenen (im Grunde nach frühen historischen Vorbildern352) des nachts trennt (Ruhezeit; % 18 StVollzG353) und am Tage zusammenführt (Arbeit, Fortbildung, Freizeit; § 17 StVollzG353), Doch der Vollzug der Untersuchungshaft beharrt auf dem Grundsatz der Einzelhaft, obwohl die zugunsten der Einzelhaft ins Feld geführten Erwägungen oder die sie stützenden Motive der Vergeltung, Abschreckung und Besserung (Einkehr, Buße)354 für die Untersuchungseinzelhaft keinerlei Geltung W S. nur Krohne, Lb. d. Gefängnis künde, 1889, S. 248 ff; M. E. Mayer, Der AT d. dt. Strafrechts, 1923, S. 462; Frede bei Frede/Grünhut, Reform d. Strafvollzuges, 1927, S. 122. w
Vgi. Mittermeier, Gefängnißfrage, 1860, S. 79 f. Eb. Schmidt, Zuchthäuser und Gefangnisse, o. J. (1960), S. 42. 148 Vgi. z . B . K.J. Mittermaier, Gefängnißfrage, 1860, S. 74 ff, und die historischen Darstellungen von W. Mittermaier, Gefängniskunde, 1954, S. 25 f; Scbs>irtd bei Schwind/ Blau, Strafvollzug in der Praxis, 1976, S. 9f; Schöch in: Kaiser u. a., Strafvollzug, 3. Aufl. 1982, S, 52. 547
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S. 2, B. K.J. Mitttrmaitr, Gefängnißfrage, I860, S, 78ff, 90ff; Krokne, Lb. d. Gefangniskunde, 1889, S, 247 ff; Aliftld, Lb. d. Dt. Strafrechts, AT, 1934, S. 255. J5£) So 2. B. in der Theorie Haenett, System der Gefängnis künde, 1866, S. 86 ff, 115, u, auch Radbrueh, ZStW 32. Bd., 1911, S. 351, Fn. 23; den Siegeszug des EinzeJhaftsystems in der Praxis des 19. Jh. konstatiert z, B. Merger, Strafrecht, 3, Aufl. 1949, S, 491. i* Radbwb, ZStW 32. Bd., 1911, S. 352; zust. z.B. Eb. Schmidt, Zuchthäuser u. Gefangnisse (1960), S. 42; Sehiiler-Springorum, Strafvollzug im Übergang, 1969, S. 209, 352 Über die Amsterdamer Zuchthäuser ab Ende des 16. Jh. und das (neue) Genter Zuchthaus von 1775 s. Rob. v. Hippel, Dt, Strafrecht, Bd. l, 1925, S. 242ff, 335f. 3si Zur vorangegangenen, entsprechenden Praxis s. Gtnt^ bei Frede/Grünhut, Reform des Strafvollzuges, 1927, S. 72; Nr. 64ff. DVollzO i. d. F. v. 1. 12. 1971; aber auch SthültrSpringorumt Strafvoll2ug im Übergang, S. 209. 3W S. z. B. K.J. Mittermaier, Gefängnißfrage, 1860, S. 8t ff; äers., Gefängnißverbesserung, 1858, S. 73 ff; Krohne, Lb. d. Gefangniskunde, 1889, S. 248 ff; zur Bedeutung der Quäker und ihrer Geisteshaltung für das Einzelhaftsystem u, a. Fr. v. Lis^i, Aufsätze u. Vortrage, 1. Bd., 1905, S. 327; vgl. auch Eb. Schmidt, Zuchthäuser u. Gefängnisse, S. 23, 42.
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VI, Grundsätze des UntersuchungshaftVollzugs
beanspruchen können, obwohl die Einzelhaft als die härteste Form der Freiheitsentziehung die Untersuchungshaft allen Grundsätzen und Intentionen zuwider schwerer erträglich sein läßt als die über diese Vollzugsform hinweggegangene Strafhaft und obwohl die mit ihr heute wie ehedem verbundenen wesentlichen Nachteile unbestritten sind. Die Einzelhaft vergewaltigt die Natur des Menschen, seine „organische Angelegtheit zum Gemeinschaftsleben"355., macht ihn „lebensuntüchtig"356 und „immer egozentrischer"357, sie „erzieht zahlreich eingebildete Kranke und eingebildete Justizopfer, Hypochonder und Querulanten"358, „ist für trübe Gedanken ein fruchtbarer Nährboden, auf dem selbstmörderische Gedanken schnell zur Reife gelangen können"359, und „auch bei den Untersuchungsgefangenen, die gegenüber der Zermürbung der Isolierhaft die Waffen nicht strecken, wird oft die Klarheit ihrer Verteidigung unter den Einflüssen der Einzelhaft leiden"360. Die Untersuchungsgefangenen vielfach angebotene und häufig von ihnen genutzte Arbeitsmöglichkeit ist jedenfalls in Form der vorherrschenden eintönigen, primitiven und stumpfsinnigen Zellenarbeit361, ein „Schreckbild"362 des früheren Strafvollzugs, eher bedrückend363 als geeignet, den Gefangenen anzuregen, gar seine Gedanken zu fesseln, dem „Gefühl erschütterten Eigenwerts"363 zu begegnen und die „Gefahr der Steigerung der Eigengrübeleien bis in die Regionen des Krankhaften namentlich bei einer längeren Untersuchungshaft" tatsächlich zu bannen363, Wenn trotz aller erwähnten Nachteile der Einzelhaft, entgegen allen vollzugskundlichen Erfahrungen und im Gegensatz zur Entwicklung im Strafvollzug die Untersuchungshaft vom Grundsatz der Einzel Unterbringung beherrscht wird und also Untersuchungsgefangene lediglich mit gewissen Unterbrechungen wie gemeinsamem Hofgang, Einkauf, Kitchbesuchen, Freizeitveranstaltungen, Verhören, Anwaltsbesprechungen, Haftprü355
Radbruch, ZStW 32. Bd., 1911, S. 339; s. auch RegierungsEntwStVollzG, BTDrucks. 7/918 (1973), S. 55 („wird dem allgemein menschl. Bedürfnis Rechnung getragen, sich in Gemeinschaft mit anderen aufhalten zu können"), 35 Radbruch aaO. S. 343; s. z. B. auch Bähm bei Schwind/Böhm, StVollzG, Rdn. 1. 357 RaJbruch aaO, S. 349; s. z. B. auch Sieneris, Die Wirkungen der Freiheitsstrafe etc., 1929, S. 107 f. 358 Radbruch aaO. S. 345; zur Entstehung von somalischen und psychischen Störungen durch Einzelhaft s. schon HaenM, Gefängniskunde, 1866, S, 109f, u. ob. S. 137f mit Fn. 119ff; S. 171. Kg Marx bei Bumke, Dt. Gefängniswesen, 1928, S. 457. 360 Siewrts, Die Wirkungen der Freiheitsstrafe und Untersuchungshaft etc., 1929, S. 38. 361 Beispiele heutiger Zellenarbeit im Untersuchungshaftvollzug bei Seehode, JA 1979, S. 611; s, auch Mitteilungen einer Untersuchungsgefangenen, hrsg, v. Seebode, 1983, S. 28 f. 362 Böhm bei Schwind/Böhm, StVollzG, § 17, Rdn. 3; s. auch Regierungs-EntwStVollzG, BT-Drucks. 7/918, S. 65. 363 Sieverts, Die Wirkungen der Freiheitsstrafe u. Untersuchungshaft, S. 47.
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fangen, Arzt-, Pfarrer- oder Sozialarbeiter-Besuchen, Tag und Nacht über Wochen und Monate oder länger sich in ihrer Zelle mit abstumpfender Arbeit überlassen bleiben, obwohl die für strafweise Einzelhaft angeführten Gründe von vornherein keine Geltung beanspruchen können, so ist dies weder mit §119 Abs. 3 StPO noch mit dem gesetzlichen Vorrang der Einzelunterbringung (§119 Abs. 2 StPO) zu rechtfertigen, aber mit der Überlieferung und teilweise mit der ihr entsprechenden, vielfach auf Einzelhaft ausgerichteten baulichen Anlage der Justiz Vollzugsanstalten zu erklären. § 119 StPO hindert nicht, die heutige Freiheitsstrafe, deren historisches Vorbild zum guten Teil die Untersuchungshaft war364, nunmehr in vielem und auch hier zum Vorbild der Untersuchungshaft werden zu lassen. Die Fortschritte der Strafvollzugskunde und die Erleichterungen im Strafvollzug nötigen vielmehr dazu, die dort gewonnenen Erkenntnisse und dort durchgeführten Änderungen auf den Vollzug der Untersuchungshaft unter Beachtung ihrer Eigenart zu übertragen, da ihre Gestaltung hinter der reformierten des Strafvollzugs unter Mißachtung der den Vollzug der Untersuchungshaft bestimmenden Rechtsgrundsätze zurückgeblieben ist. § 119 Abs. 3 gebietet einen nach Haftzwecken differenzierten Vollzug, der eine Trennung der wegen Flucht- und Wiederholungsgefahr Inhaftierten von den Koliusionsverdächtigen voraussetzt365. Er ermöglicht damit innerhalb der ersten, weitaus größten Gruppe die für den Strafvollzug wie für die Untersuchungshaft seit langem als notwendig erkannte „Assoziierung der Gefangenen miteinander"356, die der Strafvollzug bereits untertags verwirklicht (§17 StVollzG) oder verwirklichen soll367 und die im Vollzug der Untersuchungshaft für das Gros der Gefangenen verwirklicht werden kann, ohne den Zweck der Fluchtverhinderung zu gefährden. In seiner besonderen, im Verhältnis zum Strafgefangenen noch schwierigeren psychischen Situation bedarf vor allem der Untersuchungsgefangene der Aussprache. Anstaksbedienstete und Verteidiger können diesem Bedürfnis nicht allein und nicht ausreichend entsprechen368. Dem Mitgefangenen und Leidensgenossen öffnet sich der Untersuchungsgefangene am ehesten und liebsten3*59, und er erreicht damit eine psychische Entspannung, die der Vollzug nicht verwehren sollte. Auch die bisherige, keineswegs seltene Praxis, Unntersuchungsgefangene zu mehreren in einer Zelle unterzubrin364
S. ob. Abschn. 11/3, S. 32. S. ob. Abschn. VI/1, S. 136. 366 Radbrucb, ZStW 32. Bd., 1911, S, 352; für den Untersuchungshaftvollzug s. Sitverts, Die Wirkungen der Freiheitsstrafe u. Untersuchungshaft etc., S. 46 f, und auch Ascbafßnburg, MKrim 1932, S. 260. 367 S, 5201 StVollzG u. Bobm bei Schwind/Böhm, StVoilzG, §17, Rdn. 2; den., Strafvollzug, 1979, S. 89. 30 S. z. B. nur Rotthaus, NJW 1973, S. 2271. '*' Sieverts, Die Wirkungen der Freiheitsstrafe u. Untersuchungshaft etc., S. 46 f; s. auch Mitteilungen einer Untersuchungsgefangenen, hrsgg, v. Stebodc, 1983, S. 64, 185 f. TO
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VI. Grundsätze des Untersuchungshaft Vollzugs
gen, nicht nur zur Suizid-Verhütung oder im Interesse des Untersuchungshäftlings, sondern auch zur Verwaltungsentlastung geübt370, zeigt die Vereinbarkeit einer Zusammenführung von Gruppen Untersuchungs gefangener mit § 119 Abs. 3 StPO. § 119 Abs. 2 StPO läßt sie zu. Allerdings ist die durchgehende, also auf Tag und Nacht erstreckte Gemeinschaftshaft für den Vollzug der Untersuchungshaft ebenso abzulehnen wie für den Strafvollzug, der nach dem Gesetz mit Recht371 über diese Vollzugsform hinweggegangen ist (§ 18 StVollzG). Radbruch sprach treffend von der „Tyrannei der Kameradschaft"372, die Wahl zwischen 24 Stunden Gemeinschafts- oder ebensolcher Einzelhaft ist für den Gefangenen373, aber auch für den Gesetzgeber, die Vollzugspraxis oder -theorie die zwischen Skylla und Chary bdis374. Jede widerspricht der menschlichen Natur, die sowohl die Möglichkeit des Sichzurückziehens, die Privatheit, als auch die Gemeinschaft braucht, und jede widerspricht dem Grundsatz, die Haftverhältnisse den allgemeinen Lebensverhältnissen möglichst anzugleichen. Es ist deshalb die Regelform der Einzelhaft für den Untersuchungshaftvollzug nicht umzukehren, Gemeinschaftshaft nicht als Regel an ihre Stelle zu setzen375 und so dem Gefangenen nur die Wahl zwischen zwei Übeln zuzugestehen, sondern die Untersuchungsgefangenen sind ähnlich wie im Strafvollzug grundsätzlich einzeln, aber so unterzubringen, daß sie die Möglichkeit und das Recht haben, und diese Wahlfreiheit geht über die strafvollzugsgesetzliche Regelung (§17 StVollzG) hinaus376, in Gemeinschaft mir anderen zu treten377, sofern der Haftzweck nicht entgegensteht. Dem wird am ehesten eine Unterbringung der ohnehin abzusondernden Häftlinge, denen wegen Fluchtgefahr die Freiheit entzogen ist, in sog. Wohngruppen (§ 7 StVollzG) oder kleinen Einheiten378 gerecht. 370
Baamann, EntwUVollzG, 1981, S. 37, Begr. zu § 12; Mitteilungen einer Untersuchung sgefangenen (wie vorige Fn,), S. 4 f. 37! Zur Bewertung der Gemein schafts h aft s, z, B. nur HatnM> Syst. d. Gefängniskunde, 1866, S. 71 ff; Eb. Schmidt, Zuchthäuser u. Gefängnisse (I960), S. 29 f; BSbm, Strafvollzug, 1979, S. 89 f. 372 Radbruch, ZStW 32. Bd., 1911, S. 340. 373 Vgl. Mitteilungen einer Untersuchungsgefangenen, hrsgg. v. Stebode, S. 175 f, 181. 374 Eb, Schmidt, Zuchthäuser und Gefängnisse, S. 42; zust. Sebiikr-Springorum, Strafvollzug im Übergang, S. 209; s. auch v. Heutig, Die Strafe, Bd. II, 1955, S. 219: „Es gibt außer Qual des Alleinseins eine Qual des Zusammenseins!" 375 So aber Baumann, EnrwUVolkG, 1981, § 12 mit Begr. S. 37. m S. schon Asthaffenburg, MKrim 1932, S. 263 („Wie kommt der Staat dazu, ihm zuzumuten, mit Menschen zusammen zu leben, von denen ihm — da er sich unschuldig weiß ~ eine unüberbrückbare Kluft scheidet?"). 377 Vgl. v. Heutig, Die Strafe, Bd. II, 1955, S. 291: „Menschen wollen fast stets Geselligkeit, aber sie wollen wählen, mit anderen Menschen ebenso beginnen wie aufhören können". 378 Vgl. Baxmann u.a., AE-StVollzG, 1973, §§ 9, 11 mit Begr. S. 65 i\]ugtn4strafvoli^ttgs· komm,, Schlußbericht, 1980, S. 23 f; Kerner bei Kaiser u. a., Strafvollzug, 3. Aufl. 1982,
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Diese Vollzugsform wird im New Yorker Untersuchungshaftvollzug seit Jahren praktiziert 379 und ermöglicht sowohl die gebotene weitere Differenzierung380 (nach Alter, Vorstrafen^, Tatverdacht, Vorleben, Interessen) wie das Zusammentreffen im Gruppenraum bei gleichzeitiger Möglichkeit, sich in den Einzelhaftraum zurückzuziehen (§ 119 Abs. 2 Satz l StPO), der deshalb von innen gegenüber anderen Gefangenen verschließbar sein muß, ohne dem Vollzugspersonal den Zutritt zu verwehren382. Die Einrichtung eines Gruppenraumes und einer Wohngruppe bedeutet nicht, daß damit das Zusammentreffen eines Gefangenen mit nicht zu seiner Gruppe gehörenden Untersuchungshäftlingen ausgeschlossen ist383, es bleibt vielmehr bei Sport, Fortbildungsveranstaltungen, Hofgang usw. möglich, Dieser Unterbringung steht das geltende Recht in bezug auf die weitaus meisten Untersuchungsgefangenen nicht entgegen; sie ist vielmehr die gebotene Folgerung aus ihrer Rechtsstellung. ff)
Der Umgang mit dem anderen Geschlecht (Intimbesuche)
Dem Thema „sexuelle Not der Gefangenen" widmet die wissenschaftliche Literatur, sofern sie nicht darüber überhaupt hinweggeht384, nur geringe und auch dann nur unzureichende Aufmerksamkeit384, wenn man die sicher zutreffende Auffassung Asckaffenburgs teilt, daß „die Verhinderung des Geschlechtsverkehrs in ihrer Bedeutung nicht übertrieben werden" darf385. Als „ein furchtbares Übel" wird man die erzwungene geschlechtliche Enthaltsamkeit, W. Mittermaier folgend, „nur in Ausnahmefallen" bezeichnen, doch mit ihm „ruhig von einer Sexualnot sprechen" können386. Für S, 261; Böhm bei Schwind/Böhm, StVollzG, §143, Rdn. 4; ders., Festschrift Dünnebicr, S. 688; km, /v«/, AltKommStVollzG, 2. Aufl., Rdn. 12 vor § 17; Franke, in: Tagungsberichte der Jugendstrafvollzugskommission, 9. Bd., S. 48, 37 ' S, ob. Abschn. VI/1, S. 119. m Dünntbhr in Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., § 119, Rdn. 29; Wendisch ebda., 24. Aufl., § 119, Rdn. 21; s. auch Rottbaus, NJW 1973, S. 2271 f. 381 Vgl. Nr. 22 Abs. 5 UVollzO. 382 Ebenso Baumann, EntwUVollzG, §15 Abs. l mit Begr. S, 41; s. im übrigen dort §13, S. 38. 383 Nach Blaekmore, Corrections Magazine 1978, S. 50, wurde 1977 in New York richterlich entschieden, daß die absolute Beschränkung des Gefangenen auf seine Wohngruppe verfassungswidrig sei und zentrale Einrichtungen vorhanden sein müßten, 184 Dazu kritisch bereits Sieverts, Die Wirkungen der Freiheitsstrafe etc., 1929, S. 125; s. auch v. Heutig, Die Strafe, Bd, II, 1955, S. 284, 28o; Sutfinger, Sexualprobleme und Freiheitsentzug, in: Rollmann (Hrsg.), Strafvollzug in Deutschland, 1967, S, 108. 385 Ascba/ßnburg, MKrim 1932, S, 261. 386 W. Mitiermaier, Gefängniskunde, 1954, S. 115, Von der „Sexualnot" Gefangener geht die Vollzugsliteratur heute allenthalben aus; vgl. z. B, Tifdtmann, Die Rechtsstellung des Strafgefangenen etc., 1963, S. 168; Schültr-Spriftgorum, Strafvollzug im Übergang, 1969, S. 194 f („quälende Beigabe"); Tb. Hofmann, Jugend im Gefängnis, 1967, S. 94, 141; Bockflmann, Bemerkungen zur Reform des Strafvollzugs etc., 1972, S. 35; Alper,
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VI. Grundsätze des Untersuchungshaftvollzugs
den Vollzug der Untersuchungshaft ist das Thema teils gewichtiger, teils weniger gewichtig als für den Strafvollzug, für den es, soweit ersichtlich, nahezu ausschließlich diskutiert wird. Die teils geringere Bedeutung erklärt sich leicht aus der vielfach kurzen Dauer der Untersuchungshaft387. Sie ist durchschnittlich kürzer ais die nur ausnahmsweise zu verhängende kurze Freiheitsstrafe von sechs Monaten (§ 47 StGB)388. Über die Hälfte der Untersuchungsgefangenen ist weniger als drei Monate in Haft. Für die geringere Zahl der mehrere Monate, nicht selten auch ein Jahr und darüber hinaus in Untersuchungshaft befindlichen Verdächtigen ist die Frage nach der Zulässigkeit und Möglichkeit intimer Kontakte aus zwei Gründen gewichtiger als als für Strafgefangene, Im Strafvollzug haben die Urlaubsund Ausgangsmöglichkeiten389 die „Problematik heute grundsätzlich entschärft"390. Im Vollzug der Untersuchungshaft aber stehen diese Lockerungen nicht zur Verfügung und können nicht zur Verfügung gestellt werdenW!. Zudem ist die psychische Situation des Untersuchungsgefangenen392, auf die die erzwungene sexuelle Abstinenz ebenso negativ einwirkt393, wie die in Gefangenenverhältnissen sehr häufige394 Ersätzbefriedigung,
Prisons Inside — Out, 1974, S. 73; Suttinger bei ScbwindlBlau, Hrsg., Strafvollzug in der Praxis, 1976, S. 263; Kerner bei Kaiser u. a., Strafvollzug, 3. Aufl. 1982, S. 343; anders Bal^jNabnsen\PadtltlRautenbtrg, Ernpir. Untersuchung über die Einstellung männlicher Strafgefangener zu Problemen der Sozialarbeit, MKrini 1971, S. 394 ff, 399. 387 S. ob. Abschn. 1/4 b, S. 21 ff. 388 Zum tatsächlichen Anteil der „Kurzstrafer" an der Vollzugspopulation s. Dänkell Rosaer, Die Entwicklung des Strafvollzugs etc., 2. Aufl. 1982, S. 394 ff: voraussichtl. Vollzugsdauer (tatsächliche Strafzeit) bis 6 Monate 1980 bei erw. Männern 19%, erw. Frauen 26%, 385 §§13, 11 Abs, l Nr. 2 StVollzG; Urlaub regelmäßig erst nach sechsmonatigem Vollzug (§ 13 Abs. 2 StVollzG), Ausgang unabhängig von der Vollzugsdauer (s, Ublsgl nan ßurenjjoesfer, AKStVollzG, 2. Aufl. 1982, § 13, Rdn. 32). m Schwind bei Schwind/Böhm, StVollzG, §24, Rdn. 12; ähnl. Böhm, Strafvollzug, 1979, S. 115; s. auch/ßi-rnsr, AKStVollzG, 1982, § 24, Rdn. 21; LippeameterjStfffett, Erfahrungen als Wohngruppenleiter, in: Rasch (Hrsg.), Forensische Sozialtherapie, 1977, S, 89 ff, 102, und andererseits noch Gent^, Das Sexualproblem im Strafvollzug, ZStW 50. Bd. (1930), S. 406 ff, 416 ff. 391 S. ob. Abschn. V/2b, S. 80; VI/2d, S. 156f; vgl. auch VV Nr. 5 zu § StVollzG (bei ScbwindlBöhm, StVollzG, 1983, S,'70). 392 S. ob. Abschn. Ill, S. 39; VI/2a, S. 137. M3 Vgl. Gentz, ZStW 50, Bd, (1930), S. 412 f; W. Mittermaier, Gefängnis künde, S, 115; Rfint, Die Eingeschlossenen und ihre Sexualprobleme, ZfStrVo 1974, S, 94 f; Suttinger bei Schwind/Blau, Hrsg,, Strafvollzug in der Praxis, 1976, S, 258 f; Harbordt, Die Subkultur der Gefängnisse, 1972, S. 72, 394 Krobnt, Lb. d. Gefängniskunde, 1889, S, 253; Swtrts, Die Wirkungen der Freiheitsstrafe etc., 1929, S. 125 ff; W. Mittermaier, Gefängnis künde, 1954, S. 115; Suttinger bei Rollmann, Hrsg., Strafvollzug in Deutschland, 1967, S. 109; Th. Hof'mann, Jugend im Gefängnis, 1967, S. 94,141 ff; Lippenmeier l S teffen bei Rasch, Hrsg., Forens. Sozialtherapie, 1977,5.102.
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vornehmlich Onanie, regelmäßig ungünstiger als die des Strafgefangenen. Die Steigerung der mit der Untersuchungshaft ohnehin verbundenen psychischen Belastung durch naturwidrig auf gezwungenen Verzicht auf intime Kontakte, die daraus folgende erhöhte Reizbarkeit vieler Gefangener395, die damit einhergehende und sehr viele Häftlinge quälende Sorge um die Treue des freien Ehepartners oder um den Bestand sonstiger Liebesbeziehungen396, die sexuellen Perversionen im Vollzug397, der letztlich auch den nicht verhafteten Ehe- oder sonstigen Sexualpartner treffende Eingriff in eine menschliche Elementarbeziehung398 und die Belastung vieler Ehen (Art. 6 GG)399 müssen mit der Untersuchungshaft immer dann nicht verbunden sein, wenn Intimkontakte den Haftzweck tatsächlich nicht gefährden. Es ist nach Wegen zu suchen, die es ermöglichen, auch hier den Vollzug der Untersuchungshaft unter Berücksichtigung menschlicher Bedürfnisse und nach den für ihn geltenden Rechtsprinzipien zu gestalten, also die bisherige Lebensführung des Untersuchungsgefangenen weitestmögüch zu erhalten, das Leben im Vollzug dem in Freiheit anzugleichen und den als unschuldig zu behandelnden, nur verdächtigen Gefangenen wenigstens nicht schlechter zu stellen als den schuldigen und verurteilten. Deshalb mag die Strafvollzugspraxis nicht weniger Staaten, die Ausgang und Urlaub aus der Haft nicht kennen oder z. T. nur selten gewähren, aber intime Kontakte ihren Strafgefangenen ermöglichen, für die Durchführung der Untersuchungshaft um so eher Anregungen zu geben, als häufig jahrzehntelange Erfahrungen vorliegen und zudem die Übernahme der
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Schüler-Spritigor um, Strafvollzug im Übergang, 1969, S. 195; »* , ZStW 50. Bd. (1930), S. 412. m Gen% (vorige Fn.) S. 414; Scheu, In Haft, S. 45 ff, 60; Marx, Vjschr, f. gerichtl. Medizin, 47. Bd, (19 4), 1. Suppl. H. S. 259. 397 Krohnt, Lb. d. Gefängniskunde, 1889, S. 245; f. Hentig, Die Strafe, Bd. II, 1955, S, 273, 277 ff; 283; Th. Hof mann, Jugend im Gefängnis, S. 141 ff; Harbordt, Subkultur, S. 68 ff; Sitttinger bei Schwind/Blau, Hrsg., Strafvollzug etc., 1976, S. 261, 263; Scheu, In Haft, S. 56 ff, 62 ff, 85 f; Treu, Der Bankrott des rnod, Strafvollzugs etc., S. 74 f. 398 VgL die eindringliche und feinfühlige Abhandlung von Verborgen, Freiheitsstrafvoüzug und ehelicher Umgang, M Krim 1963, S. 202 ff, und die eher drastisch begründete Bitte einer Ehefrau om Hafturlaub für ihren Mann bei Kropp, Zum Sexualleben des Gefangenen, BlfGefK 63. Bd., 1932, S. 474 ff, 481 f. 399 Gent% aaO. S, 414; Verborgen (vorige Fn.) S, 203 f; Schüler-Springorum, Strafvollzug im Übergang, S. 195; Boektlmann, Bemerkungen zur Reform d. Strafvollzugs etc., 1972, S. 35; Alper, Prisons Inside - Out, 1974, S. 75; Scheu, In Haft, S. 61. Vgl. auch Hilde Kaufmann, Kriminologie III, 1977, S. 48, die darauf hinweist, daß nach US-amerikanischen Untersuchungen „der rnännl. Gefangene in seinem Eigenwengefühl bedrückt" und „in seiner Männlichkeit verunsichert" werde, was „zu erheblichen Ängsten in bezug auf die Aufrechterhahung dieser Männlichkeit führe"; ähnl. Hohmeier, Die soziale Situation des Strafgefangenen: Deprivationen der Haft u, ihre Folgen, MKrim 1969, S. 292ff, 297; Weis bei Schwind/Blau, Strafvollzug in der Praxis, 1976, S. 243 ff, 248.
382
VI. Grundsätze des Untersuchungshaftvollzugs
ausländischen Regelungen bereits für die Strafgefangenen vorgeschlagen wird400, die weder Ausgang noch Urlaub erhalten. Da die Sowjetunion (bei zwei Arten ihrer verschiedenen Freiheitsstrafen)401 und zahlreiche mittel- und südamerikanische Staaten402 seit vielen Jahrzehnten (Mexico bereits seit 1924403) ihren Gefangenen404 ohne Nachteil für Sicherheit und Ordnung des Vollzuges gestatten, unüberwachten und intime Kontakte ermöglichenden Besuch in ihrer Zelle, in dafür bestimmten Anstaltsräumen oder besonderen Gebäuden z, T. auch über Nacht zu empfangen, dem sowohl Kanada405, wie manche Staaten der USA406, Japan407, Schweden408 und eine Anstalt in England409 gefolgt sind und z. B. die Strafanstalt San Quentin (State Prison) bei San Francisco/Californien nach 1968 begonnenen, erfolgreichen Versuchen in anderen kalifornischen 400
Vgl. Tiedemann, Die Rechtsstellung des Strafgefangenen etc., 1963, S. 168; Verborgen, MKritn 1963, S, 216 f; Harbordt, Subkultur, 1972, S, 73; Baumann u.a., AE-StVollzG, 1973, § 13 m. Begr. S, 71; K. Meyer, Der Regierungsentwurf eines Strafvollzugsgesetzes u. seine Kritiker, in: Ehrhardt/Göppinger (Hrsg.), Straf- u. Maßregel Vollzug etc., 1974, S. 22 ff, 25 („kleinere Apartments für einen längeren Aufenthalt mit der gesamten Familie"); Rolinski, Außenkontakte der Insassen, in: Baumann (Hrsg.)j Die Reform des Strafvollzuges, 1974, S. 77 ff, 90; Rehn, ZfStrVo 1974, S. 100; Hoffmeyer, Grundrechte im Strafvollzug, 1979, S. 205 ff; Kerntr in; Kaiser u. a., Strafvollzug, 3. Aufl. 1982, S. 343, s. aber auch S. 443; Schumann, AltKommStVollzG, 2. Aufl. 1982, § 144, Rdn. 12; s. auch schon Boektlmann (Fn, 399); krit. Bohm, Strafvollzug, 1979, S. 115; Suttinger bei Schwind/ Blau, Strafvollzug in der Praxis, 1976, S. 264; v. Hentig, Die Strafe, Bd. II, S. 288; abl. Ernst, Der Verkehr d. Strafgef. mit der Außenwelt, 1972, S. 177 ff. 401 S. schon Gent^, ZStW 50. Bd. (1930), S. 416; weiter z. B. v. Hentig, Die Strafe, Bd, II, 1955, S, 274; Verborgen, MKrim 1963, S, 214; Mauracb, Der sowjetische Freiheitsstrafvollzug, ROW 1966, S. 189 ff, 191, 192; Harbordt, Die Subkultur des Gefängnisses, 1972, S. 73. 402 „Visita conyugal" in Argentinien, Bolivien, Brasilien, Costa Rica, Guatemala, Honduras, Kolumbien, Mexico, El Salvador, Venezuela; vgl. Verborgen, MKrim 1963, S, 206 ff; Tiedemann, Rechtsstellung d. Strafgef. etc., 1963, S. 168; Suttinger bei Rollmann, Strafvollzug in Deutschland, 1967, S. 118. 403 Titdemann aaO. (vorige Fn.}. 404 Die A us land s be richte betreffen im aligemeinen den jeweiligen Strafvollzug; lediglich Verborgen berichtet, daß es in Bolivien auch Untersuchungsgefangenen möglich ist, „eheliche Besuche in Sonderzellen für einige Stunden ohne Aufsicht zu empfangen" (MKrim 1963, S. 207 f). 405 Verborgen, MKrim 1963, S. 210. 406 S. bezüglich der Staaten Mississippi u. Californien Verborgen, MKrim 1963, S. 215; Alper, Prisons Inside - Out, 1974, S. 73; Suttinger bei Rollmann aaO, S, 118; Calif. Department of Corrections, Health and Welfare Agency, Family Visiting in California Prisons, 1976; Schumann, AltKomm. StVollzG, 2. Aufl. 1982, § 144, Rdn. 12 m. w. Nachw. 407 Verbergen, MKrim 1963, S. 210. 408 H.J. Schneider, Entwicklungstendenzen ausland, u. intemat. Kriminologie, JZ 1966, S. 369 ff, 374; B/au, Der offene Vollzug im Ausland, in: Tagungs be richte d. Strafvollzugs komm., Bd. 7, 1969, S. 53 ff, 61; Schüler- Springorum, Strafvollzug im Übergang, S. 194; Bockelmann, Bemerkungen zur Reform d. Strafvollzuges etc., 1972, S, 34 f. w Alper, Prisons Inside - Out, 1974, S. 74.
2, Gestaltung nach dem Grundsatz möglichst geringen Sonderopfers
183
Gefangnissen („conjugal visiting"}410 seit 1976 im Anstaltsgelände Wohnwagen und ehemalige Wohnungen Anstaltsbediensteter für Familienbesuche („family visiting") zur Verfügung stellt411, sollten in der Bundesrepublik insbesondere für den Untersuchungshaftvollzug die verständlichen Bedenken412 gegen entsprechende Einrichtungen zurückgestellt werden können, um in erster Linie gebotenen humanen Erwägungen Rechnung zu tragen und vor aliem dem Untersuchungsgefangenen wie seiner Familie auch insoweit Belastungen zu ersparen, die § 119 Abs. 3 StPO nicht fordert und die im Strafvollzug durch Urlaub und Ausgang bereits erheblich gemildert sind. Das naheliegende Bedenken, Herrichtung und Benutzung der für intime Kontakte bestimmten Anstaltsräume seien entwürdigend413, sollte angesichts der ausländischen Erfahrungen um so eher zurücktreten, als der Gebrauch der Einrichtungen dem Inhaftierten und seinem Geschlechtspartner freigestellt ist, die gänzliche Absperrung vom Partner jedwedem Konzept der Ehe noch minder entspricht414 und die Gefangenen auf ungestörtes Beisammensein und Aussprachemöglichkeiten nicht weniger Wert legen als auf den intimen Verkehr415, so daß der Umgang mit dem anderen Geschlecht nicht lediglich wegen des sexuellen Kontakts ein „zentrales Hilfsmittel zum Aufrechterhalten der sozialen Bezüge"415 darstellt. Die Tatsache, daß der sexuellen Not derjenigen Gefangenen nicht zu begegnen ist, die weder verheiratet sind noch eine feste Bindung haben417, vermag es nicht auszuschließen, wenigstens bei allen anderen418 Inhaftierten der menschlichen Natur Rechnung zu tragen, mitmenschlichen Erwägungen, der Unschuldsvermutung, dem Angleichungsgrundsatz und der Aufgabe, das unvermeidbare Übei der Untersuchungshaft zu erleichtern. Den Notwendigkeiten, die Verwirklichung des jeweiligen Haftzwecks und die Ordnung in der Anstalt nicht zu gefährden, ist im Rahmen des § 119 Abs. 3 StPO zu entsprechen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß Untersuchungshaft 410
Calif. Departm, of Corrections etc. aaO. (ob. Fn. 406). S. außer voriger Fn. auch Schumann, AltKommStVollzG, 2. Aufl., § 144, Rdn, 12, und bezügl. einer Anstalt in Massachusetts /per, Prisons Inside — Out, S. 73. 412 Vgl. für den Strafvollzug schon Gtnt%, ZStW 50 (1930), S. 417 f; diesem zust. Kröpp, BlfGefK 1932, S. 485; s, weiter z, B. v. Heniig, Die Strafe, Bd. II, S. 274; Alper, Prisons Inside — Out, S. 73; Boskelmann, Bemerkungen etc., S. 35; Sutüngtr bei RoHmann, Strafvollzug in Deutschland, S, 119; Böbm, Strafvollzug, S. 115. 41i Geats^ aaO,; Alper aaO.; Böhm aaO. (Jew. wie vorige Fn.); Ernst, Der Verkehr des Strafgefangenen mit der Außenwelt, 1972, S. 178; anders z.B. Verborgen, MKrim 1963, S. 217; Rebn, ZfStrVo 1974, S. 96 f; s. auch Boektlmann aaO. (vorige Fn,). 414 Schüler-Sprtngorum, Strafvollzug im Übergang, S. 196; Hoffmeyer, Grundrechte im Strafvollzug, S. 204. 415 Scbükr-Springorttm aaO. (vorige Fn.). 4 " Kerner, in: Kaiser u. a,, Strafvollzug, 3. Aufl., S. 443; ähnL z. B. Satttnger bei Schwind/Blau, Hrsg., Strafvollzug in der Praxis, S, 264; Alper aaO. S. 75, 417 Bockelmann, Bemerkungen zur Reform des Strafvollzuges etc., S, 35. 418 So auch Alper, Prisons Inside — Out, S. 75. 411
184
VI. Grundsätze des Untersuchungshaftvollzugs
in der Regel (Fluchthaft) unüberw achte419 und auch intime Besuche nicht weniger zuläßt als der Strafvollzug420, das Recht des Untersuchungshaftvollzuges die Zulassung aber gebietet, wenn keine konkreten Gefahren für die in § 119 Abs. 3 StPO genannten öffentlichen Interessen drohen. Demgemäß wird in dem allerdings selteneren Fall der Kollusionshaft unüberwachter Besuch seltene Ausnahme sein; bei der Vorbeugehaft ist auf die Art der Straftat, der vorgebeugt werden soll, abzustellen. Nicht übersehen werden sollte die Erfahrung, von der das Vollzugspersonal des San Quentin State Prison übereinstimmend berichtet, daß die sog. Intim- oder die Familien besuche, ja allein deren Möglichkeit, sich äußerst günstig auf das Verhalten der Gefangenen und die Disziplin in der Anstalt auswirken.
3. Die Gestaltung des Vollzugs unter kriminalpräventiven Gesichtspunkten Das Strafrecht und jede strafrechtliche Maßnahme dienen unstreitig wenigstens auch der Verbrechensverhütung421. Da „die Strafe nicht die Aufgabe hat, Schuldausgleich um ihrer selbst willen zu üben, sondern nur gerechtfertigt ist, wenn sie sich zugleich als notwendiges Mittel zur Erfüllung der präventiven Schutzaufgabe des Strafrechts erweist"422, ist nicht nur ihrem Vollzug die Präventionsfunktion eigen, für den sie gesetzlich mit einer besonderen Form der Spezialp rävention („BehandlungsvoJlzug") in den Vordergrund gerückt ist (§ 2 StVollzG), sondern unstreitig auch dem materiellen Strafrecht (s, z. B. § 46 Abs. l Satz 2 StGB) und demzufolge ebenfalls dem Strafprozeßrecht423. Denn das Strafverfahrensrecht dient der 419
Das OLG Frankfurt/M. hat einem nicht kollusionsverdächtigen Untersuchungsgefangenen den unüberwächten Besuch seiner Ehefrau gestattet (Strafverteidiger 1983, S. 465). 420 Für Zulässigkeit im Strafvollzug auch Grunau\Ti€sler, StVollzG, 2. Aufl. 1982, § 24, Rdn. 2 („unüblich .. . geschehen ist es aber schon"); s. auch Rebn^ ZfStrVo 1974, S. 96, über eine Hamburger Anstalt; Schach bei Kaiser u. a., Strafvollzug, 3. Aufl. 1982, S. 147 („Das StVollzG äußert sich dazu nicht, schließt aber die Möglichkeit nicht aus"). 421 S. 2. B. BGHSt. 6, 125 ff, 126 f; 7, 214 ff, 216; 19, 201 ff, 206; 24, 40 ff, 42; BVerfGE 21, 391 ff, 404; 32, 98ff, 109; 39, Iff, 57; 45, 187ff, 252, 253ff, u. statt vieler z.B. Baumann\Weber, Strafrecht AT, 8. Aufl. 1977, S. 20; jescbtfk, Lb. d. Strafrechts AT, 3. Aufl. 1978, S, 3; Bocktlmann, Strafrecht AT, 3. Aufl. 1979, S. 6, 9f; S tree in Schönke/Schröder, StGB, 21. Auf!, 1982, Rdn. 2 vor §38; Spendtl, Grundfragen jeder Straf rech tsreform, Rittler-Festschr,, 1957, S. 52 („die in ihr", der Strafe, „liegenden sekundären Besserungsund Sicherungsfunktionen"; ähnl, RGSt. 58, 106 ff, 109). «z BGHSt. 24, 42. 423 So z. B, auch Lenckner, Der Strafprozeß im Dienst der (Re-)Sozialisierung, JuS 1983, S. 340ff, bes. S. 341; Mäller-Diel^, ZStW 93. Bd. (1981), S. 1204; Wassermann, Präventive Kriminalpolitik im Strafverfahren, in: Schwind/Berckhauer/Steinhilper (Hrsg.), Präventive Kriminalpolitik, 1980, S, 71 ff; Z'tpft Kriminalpolitik, 2. Aufl. 1980,
3. Gestaltung unter kriminalpräventiven Gesichtspunkten
185
Durchset2ung des materiellen Strafrechts und des staatlichen Strafanspruchs, kann also letztlich nur deren Funktionen teilen424. Als strafprozessuales Institut hat also die Untersuchungshaft, wie bereits bemerkt425, grundsätzlich auch Kriminalprävention zu leisten. Mittelbar erfüllt sie diese Aufgabe, weil sie die Verwirklichung eines möglichen und in den weitaus meisten Fällen426 auch tatsächlich bestehenden Strafanspruchs sichert und zudem den spezialpräventiv zu gestaltenden Vollzug einer durchschnittlich an jede zweite427 Untersuchungshaft sich anschließenden Freiheitsstrafe gewährleistet. Unmittelbar bewirkt sie, ohne daß dies ihre gesetzlichen Aufgaben sind, im Falle der Verurteilung als nach §§51 StGB, 450 StPO anzurechnender Freiheitsentzug Schuldausgleich und in jedem Falle als härteste strafprozessuale Zwangsmaßnahme eine Steigerung der general-, aber auch der spezialpräventiven Wirkung, die ohnehin bereits mit der Belastung eines Beschuldigten durch ein Strafverfahren verbunden ist. Die mit dem Recht der Untersuchungshaft praeter legem durch Abschreckung erzielbare oder bei Anordnung von Untersuchungshaft erzielte Prävention ist durch §§ 112 ff, 116 StPO und bezüglich der Voilzugsgestaltung durch §119 Abs, 3 StPO begrenzt. Wegen ihres alleinigen Zwecks, das Verfahren oder im Ausnahmefall die Aligemeinheit vor bestimmten Straftaten zu sichern, darf die Untersuchungshaft auch wegen der UnS, 145, sieht in der „Sozialisadonsaufgabe des Strafverfahrens" (Rexin, Strafverfahrensrecht, 15. Aufl. 1979, S. 11; in den folgenden Auflagen des Studienbuchs ist auf diese Formulierung verzichtet) den „Zentralpunkt" der künftigen Entwicklung des Strafprozeßrechts; ähnl. z. B, Mathoßr, Reden — Ansprachen, 1976, S. 46 f; Aehenbach, Kriminalpolitische Tendenzen in den jüngeren Reformen des Besonderen Strafrechts und des Strafprozeßrechts, JuS 1980, S. 81 ff, 87: „Akzentverlagerung auf intensivere Sozialisationsbemühungen"; S fern, Staatsrecht, Bd. I, 2. Aufl. 1984, S. 901 f. Wegen der Unschuldsvermutung ist ein aus der alig. kriminalpräventiven Aufgabe gefolgerter und umfassender Resozialisierungsauftrag des Strafverfahrens jedoch seit langem umstritten und fragwürdig, Einigkeit wohl nur insoweit festzustellen, als dissozialisierenden Wirkungen des Strafverfahrens zu begegnen ist. So weist Roxin wohl daraufhin, daß das Sozialstaatsprinzip auch im Verfahren „Sozial isationshilfe" erheischt, meint aber andererseits, es würde sich der um seinen Freispruch käinpfende Angeklagte „noch so wohlmeinende therapeutische Gespräche mit Recht verbitten" (Recht u, soziale Wirklichkeit im Strafverfahren, in; Göppinger/Kaiser, Hrsg., Kriminologie u. Strafverfahren, 1976, S. 9 ff, 24); nach Rieß ist das Strafverfahren „nicht dazu bestimmt" und „überhaupt nicht in der Lage, ... bereits Resozialisterung in Angriff zu nehmen" (Festschr. f. Karl Schäfer, 1980, S. 180); ähnl. Kraußt Das Prinzip der materiellen Wahrheit im Strafprozeß, in; Festschr. f. Schaffstein, 1975, S. 424; Walter, GA 1980, S. 88; s. auch schon Wimmer, Unschuldsvermutung - Verdacht - Freispruch, ZStW 80. Bd. (1968), S. 369 ff, 374 f. 424
S. auch Arbeitskreis Strafpro%eßreformt Bemmätin, Grünwald u. a., Die Verteidigung, 1979, S. 28; Malier-Diets^ aaO. (vorige Fn.). 425 4M 427
S. ob. Abschn, 1/2, S. 7 f. S. ob. Abschn. VI/2d, S. 153f m. Fn. 212f. S. ob. Abschn. 1/2, S. 7 m. Fn. 26.
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VI, Grundsätze des Untersuchungshaftvollzugs
Schuldsvermutung nicht allgemein oder in bezug auf den Verhafteten auf Abschreckung ausgerichtet, muß diese sich zwangsläufig ergebende Prävention auf das Unvermeidbare beschränkt sein. Dies ist theoretisch so selbstverständlich und unbestritten428 wie praktisch ungesichert429. Umgekehrt verhält es sich mit den krirninalpräventiven Bemühungen, schädliche und kriminalitätsfördernde Wirkungen der Untersuchungshaft zu vermeiden oder doch zu mildern. Entsprechende Vollzugsgestaltungen sind rechtlich zulässig, ja geboten, doch praktisch ungesichert und gering. Dasselbe gilt für die datüber hinausgehende Spezialprävention, die sich für den Vollzug der Untersuchungshaft als bessernde Einwirkung auf den inhaftierten Verdächtigen anbietet, wenn auch die rechtliche Zulässig keit eines „Behandlungsvollzugs" der Untersuchungshaft wegen der Unschuldsvermutung besonderer Diskussion bedarf (unten sub b), und zwar auch bezüglich jugendlicher Untersuchungsgefangener, für die der Vollzug nach § 93 Abs. 2 JGG erzieherisch gestaltet werden soll.
a) Der „Gegenstemrungsgrundsat^' Das Gebot des § 3 Abs. 2 StVollzG, „schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges ist entgegenzuwirken", stellt nach Böbm das in der Strafvollzugspraxis „wichtigste Prinzip"430 dar. Wegen der bekannten schädlichen und vielfach kriminogenen Wirkungen431, die die Untersuchungshaft nicht weniger zeitigt als die Strafhaft, in mancher Hinsicht mangels der strafvollzugsgesetzlichen Reformen und Lockerungen gar ausgeprägter432 oder wegen des erstmaligen Kontakts mit hafterfahrenen Gefangenen in womöglich einmaliger Schicksalsgemeinschaft auch bedrohlicher433, spricht Nr. l 428
S. ob. Abschn. V/2a, S. 70f. S. z. B. die Aussagen Münchener Jugendrichter über ihre Motive bei Anordnung von Untersuchungshaft, zit. bei Sthul^., in: Die jugendrichterl. Entscheidungen — Anspruch u. Wirklichkeit, hrsgg. v. d. Dt. Vereinigg. für Jugendgerichte etc., 1981, S. 403 ff (S, 405; „kurze Vollstreckung als Warnung"; „Natürlich gibt's den ungeschriebenen U-Haft-Grund: nämlich den, daß man sagt,... du sollst einmal den Ernst des Lebens sehen, Ich würde sogar meinen, daß das sogar zu 90% der Fäll ist ..., um dem schon mal klarzumachen: Du mußt auch für das einstehen. Das blutet dann nach ... Die Überlegung ist sicher legitim, auch sinnvoll. Da steh1 ich also auch dahinter. Ich meine, inwieweit sie mit dem Gesetz in Einklang zu bringen ist, das ist eine andere Frage."), s. auch ob. Abschn, V/2a, S. 71 mit Fn. 86f; VI/2d, S. 152ff, u. Schul^O. S. 411 f; Böbm, Festschr, Dünnebier, S. 681 f; Hasseaier, Strafverteidiger 1984, S, 39. 430 Böbm bei Schwind/Bohm, StVollzG, 1983, § 3, Rdn. 11, 431 S. ob. Abschn. 1/2, S. 8 m. Nachw. «2 vgl. Fetst, AltKommStVolJzG, 2. Aufl. 1982, § 3, Rdn. 14, zu „Anstalten, die dem Typ der ,totalen Institution* entsprechen". 433 S. z. B. nur Rotthaus, NJW 1973, S. 2271 r. Sp. ob. Nach Frank», in: Tagungsberichte der JugendstrafvoHzugs Kommission, 9. Bd., 1979, S. 27 ff, 34, sind 57% der jungen Untersuchungsgefangenen erstmals inhaftiert. 4W
3, Gestaltung unter kriminalpräventiven Gesichtspunkten
187
Abs. 2 UVollzO die Maxime bereits wie § 3 StVollzG und mit denselben Worten aus, und es ist mehrfach vorgeschlagen, sie in eine nähere gesetzliche Regelung des Vollzugs der Untersuchungshaft zu übernehmen434. Folgt sie für den Strafvollzug aus dessen gesetzlich festgelegtem Ziel, so ergibt sie sich für den Vollzug der Untersuchungshaft zwar ebenfalls aus dem Sozialstaatsprinzip435, in bezug auf die Interessen des Gemeinwesens aber vor allem aus der umfassenden Aufgabe der gesamten Strafrechtspflege, der Kriminalität entgegenzuwirken und deswegen erst recht entsozialisierenden und kriminalitätsfördernden Nebenwirkungen der Strafrechtspflege selbst436, also auch und besonders denen einet straiprozessualen Maßnahme wie der Untersuchungshaft, die der Strafrechtspflege nicht nur dient, sondern deren übergeordneten Aufgabe eben auch zuwiderläuft. Aus der Sicht des verhafteten Verdächtigen und in bezug auf seine Interessen leitet sich die Geltung des Gegensteuerungsgrundsatzes im Recht des Untersuchungshaftvollzugs aus dem Minimalisierungsgebot437 und dem ihm zugrundeliegenden Prinzipien437 her, also aus der Verpflichtung der Strafrechtspflegeorgane, alle mit der Untersuchungshaft für den Verdächtigen verbundenen Nachteile, und dazu gehören außer den soeben erwähnten auch negative psychische und physische Auswirkungen des Freiheitsentzugs, so gering wie möglich zu halten. Dies macht deutlich, daß erstens der Gegensteuerungsgrundsatz für den Vollzug der Untersuchungshaft umfassender ist, auch nicht nur der Kriminalprävention dient und weiterreichende Bedeutung hat als im Strafvollzug und daß zweitens es sich hier nicht nur wie im Strafvollzugsrecht um einen Programmsatz438 und einen gesetzlichen Auftrag für die Vollzugsverwaltung439 handelt, vielmehr der Untersuchungsgefangene einen Anspruch auf all die Maßnahmen hat, die mit den in § 119 Abs. 3 StPO genannten öffentlichen Interessen vereinbar sind und für ihn nachteiligen Wirkungen der Haft begegnen. Neben der persönlichen Zuwendung und Betreuung, die zur Minderung der ungewöhnlichen psychischen Belastung eines Untersuchungsgefangenen unerläßlich ist, und neben den Angeboten, die zur Vermeidung physi-
™ Baamann, EntwUVollzG, 1981, §3 Abs. 4; Dösehl u.a. (Anstaltsleiter), EntwUVollzG, 1982, § 3 Abs. 2; Arbeitskreis Strafpro^ißreßrat, Amtlung u. a., Die Untersuchungshaft, 1983, §4 Abs. l, Satz 3 des Entw. 435 Vgl. zum Einfluß des Sozialstaatsgedankens auf das Strafverfahren z. B. Stern, Staatsrecht, Bd. I, 2. Aufl. 1984, S. 901 f m. weit, Nachw. 436 Müiltr-Diet%, ZStW 93. Bd. (1981), S, 1257, 437 S. ob. Abschn. VI/2, S. 136ff. 438 So z. B. Schach in: Kaiser u. a., Strafvollzug, 3, Aufl. 1982, S. 110, 439 Ca/iiersIMäiitr-Dietz, StVollzG, 3. Aufl. 1983, § 3, Rdn. 2; GrimaitjTiesifr, StVollzG, 2. Aufl. 1982, § 3, Rdn. 2 a. E.; BT-SondA. f. d. Strafrtcbtsrtform, Bericht u. Antrag, BTDrucks. 7/3998 (1975), S. 6.
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VI. Grundsätze des Untersuchungshaftvollzugs
scher Beschwerden und Veränderungen, der typischen Gefangnisleiden440, z. B, durch mehr Aufenthaltsmöglichkeiten im Freien441 oder Bewegungsmöglichkeiten in einer Sporthalle angebracht erscheinen, sind Gegensteuerungen vonnöten, um vor allem zwei Komplexen spezifischer Nachteile zu begegnen. aa) Gegensteuerung %ur Minderung der Nachteile für den Strafprozeß Weiterreichend ist der Gegensteuerungsgrundsatz im Untersuchungshaftvollzug, weil er hier nicht nur, wenn auch in erster Linie auf Kriminalprävention ausgerichtet ist, also beispielsweise die Verpflichtungen enthält, der „Entsozialisation" und einer „kriminellen Infektion" des Verdächtigen entgegenzuwirken. Zu vermeiden oder zu mildern sind auch die Nachteile, die mit der Haft unmittelbar für den Strafprozeß entstehen. Untersuchungshaft vermag die Ermittlung des SachVerhalts nicht nur ihrem gesetzlichen Auftrag entspechend zu sichern, z. B. durch den Ausschluß von Kollusionen, ödet über ihren gesetzlichen Zweck hinaus zu erleichtern, z. B. durch die faktische Förderung der Geständnisbereitschaft442, sondern auch zu 440
Vgl. z. B. nur H. Marx, Vjschr, für gerichtl. Medizin, 3, Folge, 47. Bd. (1914), 1. Suppl.-Heft, S. 259 f („Symptomenkomplex": „schmerzhaftes Druckgefühl auf der Brust", „Inaktivitätsschmerzen"; „Verlangsamung der Darmtätigkeit", „Schlaflosigkeit"; „Ernährungsstörungen": „gedunsen und aufgeschwemmt", „Bildung überflüssiger Fettdepots, während die Aktivität des Gewebes zweifellos herabgesetzt ist"); s. auch v. Henttg, M Krim 1932, S. 279 („fades carcerarta"); u. oben Abschn. VI/2a, S. 137f m. Nachw. 441 Nach Nr. 55 UVollzO „soll" dem Untersuchungsgefangenen täglich mindestens eine Stunde Aufenthalt im Freien ermöglicht werden, wenn" (!) „die Witterung dies zu der festgesetzten Zeit" (!) „zuläßt". Danich entfällt die Möglichkeit des Aufenthalts im Freien ebenso wie die Bewegungsmöglichkeit nicht selten. Baumartn schlägt deshalb mit Recht eine Mußvorschrift vor, nach der Aufenthalt im Freien für mindestens eine Stunde täglich „unabhängig von der Witterung" zu ermöglichen und entspr. Nr. 20 Minima keine Bindung an eine festgesetzte Zeit vorgesehen ist (EntwUVollzG, § 40 mit Begr. S, 85); s. auch schon § 104 Abs, 5 AE-StVollzG, bearb. v. Baumann, Braimeck u. a., 1973, m. Begr. S. 167, u. 56 EntwStVollzG i.d. F. des SondA f. d. Strafrechtsreform, BTDrucks. 7/3998 (1975), S. 80, m. Begr. S. 28 („soll der Aufenthalt im Freien nicht mehr von der Witterung abhängen"). Hingegen will der EntwUVollzG der Anstaltsleiter die Regelung der Nr. 55 UVollzO unverändert übernommen wissen (Döscbl u. a., EntwUVollzG, 1982, §46), die §64 StVollzG entspricht; s. dazu krit. CaiüessjMäi/er-Diet^, StVollzG, 3. Aufl. 1983, § 64, Rdn. 2; Quensel, AltKomrnStVolIzG, 2. Aufl. 1982, § 64, Rdn. 2; Romkopf bei Schwind/Böhm, StVollzG, 1983, §64, Rdn. l, 5f, die mit Recht darauf hinweisen, daß der strafvollzugsgesetzliche Anspruch auf Aufenthalt im Freien nicht auf die warme Jahreszeit und Schönwetterperioden begrenzt ist, vielmehr nur bei extremen Witterungs lagen entfallt. Auch im Vollzug der Untersuchungshaft sollten PraktikabJlitätsgesichtspunkte und finanzielle Erwägungen (Schlechtwettcr-Kleidung, Persona l kosten) hinter dem Interesse an der Gesundheit der Gefangenen zurücktreten; zur Notwendigkeit des tägl. Aufenthalts im Freien für die Gesundheit Gefangener s. vorige Fn. u. z. B. nur Romkopf aaO. Rdn, l, 4 f m, weit. Nachw. 442 S, z. B. nur Peters, Hdw. d. Krim., Bd. 2, 1936, S. 859; Dahs, Handb. d. Strafverteidigers, 4, Aufl. 1977, Rdn, 255; Blaem, BlfGefK 65. Bd. (1934), Nachtr. S, 17 f; u. ob. Abschn. V/2, S. 66ff.
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erschweren, z. B. durch die gesteigerte Gefahr falscher Geständnisse442 und die durch Behinderung der Verteidigung, insbesondere durch eine Minderung der Mitwirkungsfähigkeit oder Verteidigungsbereitschaft des Beschuldigten443, und Haft kann die Wahrheitsfindung gar ausschließen. So ist der eingeschlossene Beschuldigte beispielsweise be- oder auch gehindert, Zeugen, Gegenzeugen oder sonstige Beweismittel zu finden444, etwa einen ihm nicht namentlich, wohl aber von Angesicht bekannten Alibizeugen ausfindig zu machen, den der nicht verhaftete Verdächtige in einem bestimmten Stadtteil an ihm bekannten Orten, z. B. zu gewissen Tageszeiten in gewissen Gaststätten, Spiel- oder Waschsalons, zu suchen und zu finden vermag. Der Gegensteuerungsgrundsatz, zudem die Maxime, das Sonderopfer des Verhafteten möglichst gering zu halten, auch der Grundsatz des fairen Verfahrens und das strafprozessuale Gebot, die Wahrheit zu ermitteln, erfordern in einem solchen Fall die Ausführung des Untersuchungsgefangenen zwecks Ermittlung des Zeugen oder zur Auffindung eines sonstigen Beweismittels, konkrete Anhaltspunkte sowohl für die Möglichkeit eines Erfolges als auch für die Erfolglosigkeit der entsprechenden Bemühungen anderer vorausgesetzt. Die durch die psychischen und physischen Wirkungen längerer Haft gesteigerte Unbeholfenheit nicht weniger Angeklagter vor Gericht445, ihre häufig begrenzte und durch die Haft weiter verminderte Fähigkeit, der Verhandlung konzentriert zu folgen, Sprache und Fragen im Gerichtssaal zu verstehen und an der Hauptverhandlung aktiv teilzunehmen446, ihre 443
Grundlegend Aschaffinburg, MKrim 1932, S. 257 ff und neuerdings z. B. Arndt, NJW 1964, S. 855; Müller-Ditt^ ZStW 93. Bd. (1981), S. 1246. Vgl. auch § 140 Abs. \ Nr. 5 StPO u. dazu die Begr. im EmwEGStGB, BT-Drucks. 7/550 (1973), S. 296 („durch die Freiheitsentziehung entstehende Verteidigungsbeschränkung"). 444 Dünmbier bei Lowe-Rosenberg, 23. Aufl., § 140, Rdn. 8; s. auch Hoff, Neun Monare in Untersuchungshaft, S. 216. 445 S, z. B. Peters, Strafprozeß, 3. Aufl. 1981, S. 199: „Der Beschuldigte ist oft prozeßungewandt"; ders., Fehlerquellen im Strafprozeß, Bd. 2, 1972, S. 34: „auffallende Tatsache, wie schwer der Beschuldigte häufig mit der Prozeß situation fertig wird"; Pfeiffer, KarlsrKomm., Einl. Rdn. 20; Müller-Ditt^, ZStW 93. Bd. (1981), S. 1232f, 1254f; Altavilla, Forens. Psychologie, Bd. 2, 1956, S. 58; zu den durch Untersuchungshaft gesteigerten Schwierigkeiten s. z.B. v. Heutig, MKrim 1932, S. 276: „Zu .., sachgemäßen Angaben sind eine Reihe von Beschuldigten in der Untersuchungshaft noch weniger imstande als in der Freiheit". 446 S. z. B. Schlücbter, Das Strafverfahren, 1983, S. 33 („Verstehensdefizit"}; Wassermann bei Schwind u. a. (Hrsg.), Präventive Kriminalpolitik, 1980, S. 82; Giehring, Rechte des Beschuldigten, Handlungskompetenz u. kompensatorische Strafverfolgung, in: Hassemer/Lüderssen, Hrsg., Sozial Wissenschaften u, Studium des Rechts, Bd. 3, 1978, S. 181 ff, 191, 206; Maisch, Kommunikationsprobleme im Prozeß gemeinschaftlicher Entscheidungsfindung, in: Dt. Vereinigg. f. Jugendgerichte etc., Hrsg., Jugendgerichtsbarkeit u. Sozialarbeit, 1975, S. 86 ff, 91 f; Mro^ynski, Einstellung u. Wahrnehmung in der
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VI, Grundsätze des Untersuchungshaftvollzugs
Unsicherheit vor Gericht447, ihre Angst, ihre aus der Unkenntnis auch des äußeren Ablaufs einer Verhandlung erwachsende und in der Abgeschiedenheit mit Grübeln gesteigerte psychische Belastung, schließlich ihr Unverständnis wie ihr Mißtrauen gegenüber dem Gericht und sonstigen Verfahrensbeteiligten448 und aus Fehlinformationen anderer Gefangener entstandene Fehl vor Stellungen vom Verhalten der Richter und Staatsanwälte waren durch Belehrungen und Beratungen449 zu mildern oder zu beheben, vor allem durch Ausführungen in Gerichtsverhandlungen. Der auf freiem Fuß befindliche Angeklagte vermag sich durch den Besuch von Hauptverhandlungen einen Eindruck vom Kernstück des Strafprozesses zu verschaffen, wie es ihm von der Verteidigung auch zu raten ist450, um Ungeschicklichkeiten, Nervosität und Unsicherheit vorzubeugen, insbesondere kann er sich auch durch Teilnahme an fremden Hauptverhandlungen ein Bild von dem für seine Aburteilung zuständigen Gericht machen450. Es ist gebotene „kompensatorische Rechtspflege" intra legem451, vielfach auch „sozialkompensatorische"451, dem Untersuchungsgefangenen die Möglichkeit des Besuchs von Strafgerichtsverhandlungen immer dann zu eröffnen, wenn keine konkreten Anhaltspunkte für eine reale Gefährdung des jeweiligen Haftzwecks oder der Ordnung in der Anstalt entgegenstehen, um ihn u. a. so in seiner Stellung als Verfahrens beteiligter und Prozeßsubjekt auch im Interesse der Strafrechtspflege zu stärken, die zudem wegen ihrer Präventionsaufgabe darauf bedacht sein muß, den Beschuldigten nicht in eine passive Rolle geraten zu lassen452. Der Gegensteuerungsgrundsatz Strafgerichtsbarkeit, MKrim 1974, S. 48 ff, 49; Peters, Fehlerquellen, aaO. (vorige Fn.); zu den durch die Untersuchungshaft wachsenden Schwierigkeiten s. Mitteilungen einer Untersuchungsgefangenen, hrsgg. v. Seebode, 1983, S. 177 ff (S. 80: „Ich war bei der Urteilsverkündung so weit, daß ich es gar nicht mehr aufnehmen konnte"), 184; Bloem, BIfGefK 65. Bd. (1934), Nichtragsh. S. 12ff. 447 Vg]. 2. B. Rimpl, Einschüchterung im Gerichtsverfahren, 1980, S, 35 f, 40 f, 64f; Dähs, Handb. d. Straf Verteidigers, 4. Aufl. 1977, Rdn. 367. **8 Zum Mißtrauen selbst gegenüber dem Verteidiger s. Seebode, Hrsg., Mitteilungen einer Untersuchungsgef., S. 185 f; zu Angst und Mißtrauen des Untersuchungsgef. s. im übrigen vor allem Btaem, BIfGefK 65 (1934), Suppl.-H. S. 19 ff, 22 ff mit der Wiedergabe zahlr, Äußerungen verhafteter Verdächtiger, H. Marx, Vjschr. f, gerichd. Medizin, 47, Bd, (1914), l, Suppl. H., S. 259, berichtet aus der Praxis im Berliner Untersuchungsgefängnis, von den Gefangenen „werden die Behörden, der Staatsanwalt, die Gefängnisbeamten beschuldigt, daß sie den Gefangenen nur festgehalten haben, um mit seiner Liebsten huren zu können"; vgl. auch Müller-Ditt^, Z St W 93. Bd. (1981), S. 1219. 449 Baumann, EntwUVoIlzG, 1981, S. 23, fordert wie schon für den Ontersuchungshaftvollzug an Jugendlichen die Jugtndstrafvott^ugskoramission, Schlußbericht, 1980, S. 63, für den Vollzug der Untersuchungshaft allgemein und mit Recht „problemorientierte Beratung" und „Rechtskundekurse". 45(1 Dahs, Hdb. d. Strafverteidigers, Rdn. 307. 451 Vgl. Wassermann, Möglichkeiten u. Grenzen , sozial k o mpe n sä t arischer' Justiz, Recht und Politik 1974, S. 162 ff, 165; s. auch Müller-Diet^, ZStW 93. Bd. (1981), S. 1256 f. 452 Wassermann bei Schwind u. a. (Hrsg.), Präventive Kriminalpolitik, 1980, S. 82.
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dient, soweit er dazu führt, die Behinderungen bei der Verteidigung des Untersuchungsgefangenen 2u kompensieren, auch dazu, der prozessualen Fürsorgepflicht zu genügen, Denn sie „gebietet, nachteilige Auswirkungen bestimmter gerichtlicher Handlungen ... zu verhindern"453. Er entspricht damit weiter den Geboten, die sog. Waffengleichheit im Strafprozeß zu wahren und ein faires Verfahren (Art. 6 Abs. l MRK) einzuhalten, Die beiden letzteren Grundsätze hat sowohl die Europäische Menschenrechtskommission454 bestätigt als auch das Bundesverfassungsgericht455 als Essentiale des Rechtsstaats erkannt. In der Literatur456 sind sie weitgehend unbestritten. Wenn sie auch als der „konkretisierenden Ausarbeitung"457 bedürftig erkannt sind, so ergibt sich aus ihnen doch, daß dem Beschuldigten „die Chance" gesichert sein soll, „sich gegenüber der ihm an Mitteln überlegenen Anklagebehörde bestmöglich zu verteidigen"458. Mit dem vollzugsrechtlichen Gegensteuerungsgrundsatz und den strafprozessualen Geboten der gerichtlichen Fürsorge, der grundsätzlichen „Waffengleichheit" und des „fair trial" ist beispielsweise ein Vollzug der Untersuchungshaft schlechterdings unvereinbar, der dem als suizidverdächtig angesehenen Verhafteten Gemeinschaftshaft aufzwingt, um der vermuteten Selbsttötungsabsicht vorzubeugen, ihm damit aber die nötige Ruhe zur Vorbereitung seiner Verteidigung nimmt459. Den aus der Fürsorgepflicht bei Suizidgefahr eines Verhafteten dem Vollzug erwachsenden besonderen Aufgaben ist so zu genügen, daß nicht die allgemeine Aufgabe, die Chancen einer aktiven Beteiligung des Beschuldigten am Verfahren und seiner effektiven Verteidigung zu gewährleisten, mehr als unvermeidbar beeinträchtigt wird. 453
Sax, KMR, 7. Aufl. 1980, Einl. XII, Rdn. 10; ähnl, z. B. Scbäftr bei LÖweRosenberg, 23. Aufl., Einl. Kap. 6, Rdn. 21 („Pflicht, die nachteiligen Folgen eines unvermeidbaren Eingriffs in die Rechtssphäre nach Möglichkeit herabzumindern"), 454 EuKommMR, NJW 1963, S. 2247; s. z, B. auch EuGMRE I, S. 43 (Fall Neumeister); 2, S. 171, 194 (Fall Delcourt). tiagt AltKommStVolJzG, 2. Aufl., § 72, Rdn. 4; H. Kaufmann, Kriminologie III, S. 48; Calliess, Strafvollzugsrecht, 2. Aufl. 1981, S. 74 f. 488 Vgl. Goffman, Asyle, 1971, S. 25, 27,. 33, 54, 70; Hobmtier, MKrim 1969, S, 294; Harberdt, Subkultur, S. 10 f; s. auch Ktrner in: Kaiser u. a., Strafvollzug, 3. Aufl. S. 315; Weis bei Schwind/Blau, Strafvollzug in der Praxis, 1976, S. 243 ff, 247,256; H.J. Sdmeiaer, JR 1970, S. 284 f; Brandt\Httchüng, AItKommStVollzG, 2. Aufl., §72, Rdn. 4; Qutnsel, ebda., § 5, Rdn. 5; Maller-Diet^, Strafvollzuggsrecht, 2. Aufl. 1978, S. 96; bezügl. „Degradierungszeremonie" s. allg, Garßnkel, Bedingungen für den Erfolg von Degradierungszeremonien, in: Lüderssen/Sack, Hrsg., Abweichendes Verhalten III, Die gesellschaftliche Reaktion auf Kriminalität, Bd. 2, Strafprozeß u. Strafvollzug, 1976, S. 31 ff. 489 Vgl. Hbobmeier, MKrirn 1969, S. 294; Qxensel aaO. (wie vorige Fn.).
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Funktion haben kann, „den Kontakt nach rückwärts, mit der bisherigen Umwelt, abzubrechen"490, die dem Verhafteten als Demütigung und Degradierungsverfahren erscheint und die den Eindruck verstärkt, zum Objekt der Sträfrechtspflege geworden zu sein. Es sind die nüchterne oder auch kalte Atmosphäre des Vorgangs, die Ungewißheit über die tatsächliche und rechtliche Situation in der Vollzugsanstalr und das Bewußtsein, in einer ungewöhnlich schweren Lage von nun ab allein und durch Einsperrung vielfach behindert der Staatsmacht gegenüberzustehen, Der plötzliche Übergang von der Freiheit in die Unfreiheit ist so unvermeidbar wie das Aufnahmeverfahren491, in dem die Aufnahmevoraussetzungen wie die Notwendigkeiten gesundheitlicher und sonstiger Fürsorge zu prüfen und z. B. mittels Durchsuchung sowohl Vorkehrungen gegen Entweichungen als auch für einen ordnungsmäßigen und dem Haftzweck entsprechenden Vollzug zu treffen sind492. Vermeidbar aber ist das abrupte Unterbrechen aller Kontakte, Wie es bei der Einlieferung in andere Anstalten, z, B. in Kranken- oder Entziehungsanstalten, möglich und üblich ist, so ist es auch bei der Aufnahme in eine Untersuchungshaftanstalt rechtlich zulässig und kann es praktisch möglich und üblich werden, daß auf Wunsch des Eingelieferten ein Angehöriger oder eine ändere Person seines Vertrauens bei der Aufnahme zugegen ist, wenn der konkrete Haftzweck dadurch nicht realiter gefährdet wird. Ist dies der Fall, also vornehmlich bei der seltenen Kollusionshaft, besteht wie bei allen Verhaftungen nach 119 Abs, 3 StPO jedenfalls die Möglichkeit, einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen 493 . Die Anwesenheit eines Außenstehenden während des Aufnahmeverfahrens macht dieses zu einer Übergangsphase, kann die Erregung des Verhafteten mindern und so Aggressionen wie Suizidgedanken entgegenwirken. Sie ermöglicht die Anteilnahme, Trost und den Zuspruch494 eines nicht unmittelbar Beteiligten, schafft ein Bindeglied zwischen der Außen- und der Gefä'ngniswelt, stärkt den Außenkontakt des Gefangenen, gibt ihm das Bewußtsein, daß ein Angehöriger oder sonstiger Dritter über seine Situation näher unterrichtet ist, und nimmt ihm vor allem das Gefühl, allein, verloren, hilflos und ausgestoßen zu sein. Die Hinzuziehung einer Vertrauensperson zur Aufnahme erleichtert «° Hohmeier, MKrim 1969, S. 294; vgl. auch Goffman, Asyle, S. 27. 491 S. z. B. Kerner in: Kaiser u. a., Strafvollzug, 3. Aufl., S. 314f. 492 Insbes. zur Notwendigkeit der Durchsuchung vgl. Gr«nauf UVollzO-Komm., Nr. 16, Run. 8. 493 Dies ist auch für die Aufnahme in präventivpolizeilichen Gewahrsam vorgeschlagen vom Arbeitskreis Poli^eirecht·, Dennitsgtr u. a,, AEPolG, 1979, §22 Abs. 2 in. Begr. S, 83, und ausdrücklich gesetzlich bestimmt in §17 Abs. 2 BremPolG v. 21.3.1983; anders Ittnenmintsterksrtferen^, MEPoIG, 1977, § 15 (s. HeistjRitgtl, Musterentwurf etc., 2. Aufl. 1978, S. 67), u. z. B. Art. 18 BayPAG v. 24. 8. 1978, § 18 NdsSOG v. 17, 11. 1981. 494 S. zu den Wirkungen mangelnden Zuspruchs und fehlender Anteilnahme z. B. Aschaffenburg, MKrim 1932, S. 259 f.
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mithin dem Verhafteten den schwierigen Übergang in die Unfreiheit und wirkt dem mit ihr verbundenen Prozeß der Entsozialisation entgegen. Der Dritte vermag dem von dem Schock seiner Verhaftung betroffenen und in der Erregung weniger rational handlungsfähigen495 Beschuldigten Beistand zu sein und der Anstalt während des Aufnahmeverfahrens Hinweise auf Notwendigkeiten einer individuellen Vollzugs gestaltun g zu geben. Bei der Aufnahme Minderjähriger sollte die Möglichkeit der Anwesenheit eines Erziehungsberechtigten unabhängig von einem ausdrücklichen Wunsch des Verhafteten zwingend sein, Vereinbarkeit mit dem Haftzweck auch hier vorausgesetzt. Bei konkreter Gefährdung des ordnungsgemäßen Aufnahmeverfahrens durch die Anwesenheit des Dritten oder sonstiger von ihm ausgehender realer Gefahr für die Ordnung in der Anstalt gibt § 119 Abs. 3 StPO die Möglichkeit, ihn auszuschließen. Der entsozialisierenden Wirkung des Aufnahmeverfahrens ist des weiteren und zu einem guten Teil durch Änderung der Begleitumstände und atmosphärische Verbesserungen zu begegnen, mit denen dem Verhafteten deutlich wird, daß er nicht als Verurteilter in eine Strafanstalt eingeliefert, sondern als unschuldig geltender Verdächtiger behandelt wird. Schon wegen der Unschuldsvermutung, aber auch im kriminalpräventiven Interesse sind alle Verhaltensweisen und Umstände zu vermeiden, die den Verhafteten in den Kreis Krimineller einbeziehen oder nur bei dem Verdächtigen den Eindruck erwecken müssen, er werde von der Aufnahme in die Vollzugsanstalt ab mit dem erst der Strafe eigenen Tadel und Ausdruck ethischer Mißbilligung versehen496. Die Aufnahme hat demnach bei Untersuchungsgefangenen noch weniger als bei Verurteilten in einem „Milieu des persönlichen Scheiterns"497, sondern auch zur Vermeidung entsozialisierender Haftwirkungen so stattzufinden, daß das Selbstwertgefühl des Verhafteten möglichst unbeeinträchtigt bleibt und in ihm nicht der Eindruck erweckt oder verstärkt wird, als minderwertig durch den Einschluß charakterisiert und ausgestoßen zu sein. Grunau hat deshalb mit Recht betont, daß der Verhaftete es in der Aufnahmesituation mit Personal zu tun haben sollte, „das sich so sachlich, verständnisvoll und behutsam wie nur möglich verhalt"498. Dies bedeutet selbstverständlich, daß Mitgefangene vom Auf495
Zur bei Verhaftung und Aufnahme in die Vollzugsanstalt häufigen Erregung und deren Wirkung auf die Rationalität der Handlungen s. z. B. Sieveris, Wirkungen etc., S. 28 ff („Sie können keinen klaren, eindeutigen Gedanken fassen . . , meist bis zur Verbringung des Arrestanten in die Zelle", S. 29); Ohm, Persönlichkeitswandlung etc., S. 7,21 f („Zustände völliger Aufgelöstheit, in denen die Ausdrucksfähigkeit menschlicher Worte versagt", S. 21); Seebode, Hrsg., Mitteilungen einer Untersuchungsgefängenen, S. 174; zur Einlieferung in Strafhaft s, Sebtu, In Haft, S. 18, 4% Vgl. zu den kriminogenen Wirkungen dieses Eindrucks z. B, Hink, Kriminalistik 1967, S. 523. 497 Goffmaa, Asyle, S. 70, 498 Grunau, UVollzO-Komm., Nr. 16, Rdn. 5.
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nahmevorgang und den dabei aufgenommenen Informationen über den Zugang auszuschließen sind455, aber auch, daß auf die völlige und am ehesten entwürdigende Entkleidung nach Möglichkeit500 zu verzichten, sie vielmehr nur dann als unerläßlich gem. §119 Abs. 3 StPO zu verlangen ist501, wenn Anhaltspunkte dafür gegeben sind, daß ohne sie und ohne eine Inspektion des Körpers der konkrete Haftzweck oder die Ordnung in der Anstalt gefährdet ist. Um die Aufnahme in die Anstalt und den Vollzug so wenig entsozialisierend wie möglich durchzuführen, in das Selbstwertgefühl, die Individualität und Selbständigkeit des nur verdächtigen Inhaftierten so wenig wie möglich einzugreifen und um sowohl den Übergang in die Unfreiheit als auch den späteren aus der Unfreiheit in die Freiheit leichter und keineswegs jeweils krass zu gestalten, ist es geboten, dem Verhafteten nicht nur seine Kleidung502, sondern auch möglichst viel von seinem Besitz zu belassen503. Das entspricht zudem dem Angleichungs499
Ebenso Baumann, EntwUVoltzG, §5 Abs. 2 m. Begr. S. 27; s. auch Gruaa», UVollzO-Komm., Nr. 16, Rdn. 9, u, bezügl. der Aufnahme in den Strafvollzug § 5 Abs. l StVoltzG; /ixbei Schwind/Böhm, StVollzG, § 5, Rdn. 4,10; CaliiessjAiaJitr-Die^StVolhG, 3. Aufl., §5, Rdn. 1; Böhm, Strafvollzug, 1979, S. 85. 500 Vgf. dazu Hennerkes, Grundrechte, S. 138, 501 Ähnlich bezgl. Entkleidung bei körperlicher Durchsuchung nach Polizeirecht Arbtitskrtis Peliqsirecht, Dennitsger u. a., AEPolG, § 24 Abs. 3 m. Begr. S. 87; § 19 Abs. 2 S. 2 BremPolG 1983. 502 Das Tragen eigener Kleidung wird heute den Strafgefangenen in nicht wenigen Anstalten gestattet (vgl. § 20 Abs. 2 S, 2 StVollzG} und grundsätzlich befürwortet, so z. B. Baumann, Sicherheit u. pädagogische Unordnung, in: Baumann, Hrsg., Die Reform des Strafvollzuges, 1974, S. 101 ff, 110; Böhm bei Schwind/Böhm, StVollzG, § 20, Rdn. l, 4; Jugendstmfvolfyugskommission, Schlußbericht, S. 39; hingegen Bedenken bei Grunaiij Tiesier, StVollzG, 2, Aufl., § 20, Rdn. 3, Das unbestrittene Recht des Untersuchungsgefangenen, seine eigene Kleidung zu tragen, wird in praxi vielfach nicht genutzt, weil der Inhaftierte „nicht in der Lage ist, für regelmäßigen Wechsel und für Reinigung der eigenen Sachen zu sorgen", und die UVollzO ihn deshalb „verpflichtet, Anstaltssachen zu tragen" (Nr, 52 Abs. 2 UVollzO; s. auch Seebodet Hrsg., Mitteilungen einer Untersuchungsgefangenen, S, 31 f). Zur Erhaltung des Selbstwertgefühls und der Eigenverantwortlichkeit der Untersuchungsgefangenen, erste Voraussetzungen zur Vermeidung einer Entsozia l is ation durch Haft, sollte das Recht auf eigene Kleidung, deren Wegnahme deprivierend ist (//. Kaufmann, Kriminologie III, S. 48; Goffmati, Asyle, S. 30; Hobmeier, MKrim 1969, S. 295; Böhm bei Schwind/Böhm, StVollzG, § 20, Rdn. 1), praktikabel sein; die Wahrnehmung des Rechts ist mithin von der Anstalt nicht zu hindern, sondern bei den Gefangenen anzuregen und zu fördern, z. B. dadurch, daß es „getrost ihnen überlassen" bleibt, „wie oft sie ihre Wäsche wechseln" (so für den Strafvollzug Böhm bei Schwind u. a,. Hrsg., Präventive Kriminalpolitik, S. 100), daß der Wäschetausch erleichtert oder von der Anstalt besorgt wird, oder daß eine Wohngruppe eine Waschmaschine benutzt (Böhm aaO.). 503 Für den Strafvollzug verlangen dies z. B. BrandtjHuchting, AltKommStVollzG, 2. Aufl., § 72, Rdn. 7, Für eine großzügige Überlassung eigener Habe im Strafvollzug u. a. auch KüM'mg bei Schwind/Böhm, StVollzG, § 83, Rdn. 2; StVollzG, 3. Aufl., 83, Rdn. l, OLG Frankfurt, ZfStrVo SH 1979, S. 187.
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grundsatz, der Verpflichtung, den Vollzug der Untersuchungshaft individuell zu gestalten, und §119 Abs. 3 StPO. Nr. S3 UVollzO, wonach der Anstaltsleiter „dem Gefangenen Stücke der persönlichen Habe überlassen" „darf, „die sich zum persönlichen Gebrauch oder zur Ausschmückung des Haftraumes eignen", geht über § 119 Abs. 3 StPO hinaus. Persönliche Habe, die weder den Haftzweck noch die Anstaltsordnung konkret gefährdet, „darf der Anstaltsleiter dem Untersuchungsgefangenen nicht nur belassen; er muß es nach § 119 Abs. 3 StPO, und er sollte es im Hinblick auf die Erhaltung der Eigenverantwortlichkeit des Inhaftierten und zur Vermeidung von Deprivation und Seibstwertkränkung504. Dies gilt für jegliche persönliche Habe, auch für sog. Kostbarkeiten und Wertsachen505, erst recht für Uhren, die den Untersuchungsgefangenen, nicht nur „grundsätzlich" (Nr. 53 Abs. 2 UVollzO), sondern wie Ehe- und Verlobungsringe506 und wie jeder Besitz zu gestatten sind, der weder den Haftzweck noch die Ordnung in der Anstalt tatsächlich gefährdet. Denn der Wert einer Person ist in der Gesellschaft, aus der der Gefangene kommt, vielfach mit seinem persönlichen Besitz verknüft, an ihn lehnen sich seine Individualität und Selbsteinschätzung an, er kann „ihm das Gefühl geben, ein ,wer' zu sein"507, während ihm Besitz- und Mittellosigkeit Versagen und Fehlverhalten und deren Bestätigung durch die Anstalt anzeigen508, Die Bedenken, die wegen der Möglichkeit des Tauschhandels oder sonstiger allgemeiner und möglicher Gefährdungen der Ordnung oder des Haftzweckes bestehen509, schaffen keine Rechtsgrundlage für den generellen Ausschluß persönlichen Besitzes. Auch Tauschhandel ist nach § 119 Abs. 3 StPO nicht grundsätzlich zu untersagen510. Der einer Straftat nur verdächtigte Inhaftierte ist weder durch prinzipielle Besitzlosigkeit noch durch allgemeine Verbote, von einem anderen Gefangenen etwas anzunehmen oder einem anderen etwas zu überlassen, zu entmündigen. Eine andere Auffassung trägt weder seiner Rechtsstellung511 noch dem Gebot Rech504
Vgl. für den Strafvollzug Böbra bei Schwind/Böhm, StVollzG, §19 Rdn. 1; §20, Rdn. 1; Buttmann u.a., AEStVollzG, 1973, Begr. zu §124 AE, S. 187f; Roiinski bei Baumann (Hrsg.), Die Reform des Strafvollzuges, 1974, S. 96. 505 Anders Nr. 53 Abs. 2 UVollzO; Baumann, EntwUVollzG, 1981, § 15 Abs. 3; noch weitergehender Döschl u, a. (Anstaltsleiter), EntwUVollzG, 1982, § 60. 506 So auch Baumann, EotwUotlzG, S. 41. 507 //. Kaufmann, Kriminologie 111, S. 48; s. u. a. auch Guff man, Asyle, S. 29, 505 Hohmeier, MKnm 1969, S. 295; Harbordt, Subkultur, S. 12. 509 Gntnaa, UVollzOKomm., Nr. 53, Rdn, l f; OLG Hamm, MDR 1969, S, 780 (Briefmarkenauswahlsendung); wohl auch Baumann, EntwUVollzG, S. 41, 510 Für den Strafvollzug wollen Baumann u, a,, AEStVollzG, § 124 Abs. 2 m. Begr. S, 189, Tauschhandel grundsätzlich zulassen, ebenso Baumann in: ders,, Hrsg., Reform des Strafvollzuges, S, 110 f. 511 Vgl. bezüglich des Eigentums Hennerkes, Grundrechte, S. 117, u. auch Veit, Rechtsstellung, S. 203. Der Einwand, die Gegenstände könnten abhanden kommen, der Verlust
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nung, ihn dem Leben in Freiheit zur Aufrechterhaltung seiner Sozialisation so wenig wie möglich zu entfremden. Die Anstatt hat mithin nur das Recht, den Haftzweck oder die Ordnung konkret gefährdende Habe wegzunehmen, sich im übrigen auf das Angebot zu beschränken, mitgebrachte und ihr übergebene Gegenstände des Verhafteten auf seinen Wunsch sicher zu verwahren, alle übrigen Sachen aber der Verfügungsbefugnis des Inhaftierten und ausschließlich seiner Verantwortung zu belassen. Dem mit dem üblichen Einliefer ungs vor gang verstärkten Eindruck des Verhafteten, staatlicher Übermacht ausgeliefert und auch ohne Schuldnachweis ein Bürger minderen Rechts zu sein, ist durch Hilfestellung und Rat zu begegnen, die ihm auch die Unsicherheit in der neuen Situation nehmen und so allen die Aggressionen ersparen können, die aus der Ungewißheit und dem Gefühl der Unterlegenheit nicht selten erwachsen512. Nicht nur für das weitere Verhalten im Vollzug, sondern auch für die gesamte Einstellung gegenüber der Justiz, ja gegenüber dem Staat und seinen Organen und damit für das spätere Verhalten des Verhafteten in der Gesellschaft kann die Art entscheidend sein, in der die Staatsgewalt, die den Verhafteten womöglich erstmals bedroht und der Freiheit beraubt, ihm in der Aufnahmephase des Justizvollzugs gegenübertritt513. Zu Recht wird der Aufnahmevorgang des Strafvollzugs als „einer der wichtigsten Ansatzpunkte für die Anwendung und Bewährung" des Gegensteuerungsgrundsatzes gesehen514, für die Aufnahme in die Untersuchungshaft gilt erst recht, daß sie den vielfältigen Gefahren der sog. Prtsonisierung zu begegnen vermag. Gibt das Personal zu erkennen, daß es den Verhafteten als nur verdächtigen, als unschuldig zu betrachtenden Bürger sieht, seine Rechte nicht nur theoretisch anerkennt, sondern ihn von sich aus sowohl darüber fair belehrt wie ihm die Möglichkeit ihrer Wahrnehmung einräumt, und zeigt es mit praktischen Erläuterungen und Hinweisen zu Notwendigkeiten des Vollzugsalltags Verständnis für eine aus Ungewißheit entstandene Unsicherheit in der bedrückenden Situation, werden mithin eigene Handlungsmöglichkeiten dem Verhafteten aufgezeigt und gewährt, mitmenschliche Hilfen und Erleichterungen geboten, so ist ihm deutlich, daß er nicht zum Objekt der Strafrechtspflege werden, sondern eigenverantwortliches Rechtssubjekt bleiben soll, der Vollzug nicht nur in seine Rechte und Lebensgewohnheiten eingrift, sondern sich auch beidem verpflichtet fühlt. Der Anstaltsseelsorger
unberechtigten Verdacht auslösen, insbesondere alle Schlüsselinhaber in Verdacht bringen (OLG Hamm aaO,; ihm folgend Grtmau, UVollzO-Komm. aaO. und wohl auch Dünntbitr bei Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., §119, Rdn. 139; Wendisch ebda., 24. Aufl., §119, Rdn. 120), spricht für die Abschaffung des Eigentums an beweglichen Sachen. 512 S. 2. B, Mey bei Schwind/Böhm, StVoIlzG, 1983, § 5, Rdn, 7, 513 Ygj fy f den Strafvollzug z. B. Einstig, Die Behandlung im Strafvollzug, in: Tagungsberichte der Strafvollzugskomm., Bd. 3, 1968, S. 39 ff, 48. 514 Böha, Strafvollzug, 1979, S. 84.
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VI. Grundsätze des Untersuchungshaftvollzugs
Anton Haber hat dargestellt, welches Bedürfnis im Strafvollzug nach einet Zugangsbelehrung besteht515 und was sie an Entsozialisation zu vermeiden vermag, wenn sie nicht auf die Aushändigung der Hausordnung oder den Hinweis auf einen Aushang der Vorschriften beschränkt ist516, sondern das Anstaltsleben vorstellt, Hinweise auf mögliche Hilfen gibt, den Verhafteten in seine neue Lage einführt und eine Bezugsperson nennt, die ihm mit Verständnis begegnet, die vielfältigen Fragen517 zu den Gegebenheiten der Anstalt beantwortet und helfend zur Seite steht. Bei der Aufnahme in die Untersuchungshaft sollten deshalb wie bereits im Strafvollzug518 eine allgemeine, aber auch auf die Person des Verhafteten ausgerichtete Zugangsbelehrung und intensive Zugangsbetreuung mit Hilfsangeboten stattfinden519, so daß der Gefangene eine positive Beziehung zum Vollzugspersonal entwickelt und nicht auf Informationen, Hilfen und persönliche Zuwendung Mitgefangener520 angewiesen ist, die ihn in die Insassenkultur eingliedern, verzerrte, selektierte und vorurteilsbeladene Nachrichten mit sich bringen und entsoziaüsierende Verhaltensweisen fördern. Wenn für das Aufnahme verfahren des Strafvollzugs zur Minderung der vielfältigen Schwierigkeiten des eingelieferten Gefangenen, zur Minderung seiner Entsozialisation aus menschlichen und sozialstaatlichen Erwägungen gefordert wird, daß ein „fester Partner", z. B. ein Mitglied des sozialen Dienstes der 515
Häher bei Schwind/Blau, Strafvollzug in der Praxis 1976, S. 205 f; zum Bedürfnis des Untersuchungsgefangenen nach einem person!. Gespräch s, z, B. schon die Ausführungen des Anstaltsgeistlichen Kretschmar, BlfGefK 69. Bd. (1938), S. 201; zum Strafvoltzug s. z. B. Queitsel, AltKommStVolLzG, 2. Aufl., § 5, Rdn. 6 ff. 516 Dagegen z. B. auch Mey bei Schwmd/Böhm, StVollzG, § 5, Rdn, 7; Quensti aaO, (vorige Fn.). 517 Mty aaO. (vorige Fn.) Rdn. 6, spricht zu Recht von einem „natürlichem Informationsbedürfnis", Böhm (Strafvollzug, 1979, S. 82) von der „beobachteten Neigung, den jeweiligen Insassen . , , über das Geschehen und die Anstaltsorganisation im unklaren zu lassen". 518 Vgl. Huber bei Schwind/Blau, Strafvollzug in der Praxis, S. 206; Quensel, AUKommStVollzG, 2. Aufl., §5, Rdn. 8; Ktrmr bei Kaiser u.a., Strafvollzug, 3, Aufl., S. 316; Preuiker, ZfStrVo 1981, S. 135. 519 Vgl. z. B. Fuck, in: Bundeszusammenschluß für Straffälligenhilfe (Hrsg.), Gemeinsam den Rückfall verhindern, 1975, S. 86 f; Rotthaw, NJW 1973, S. 2271; Presuker, ZfStrVo 1981, S. 135; u. für jugendliche Untersuchungsgefangene G. Sfbüty, Jugendliche und Heranwachsende in Untersuchungshaft, MKrim 1980, S. 148 ff; 152; Böhm, Festschr, Dünnebier, S. 688. 520 Vgl. Seebode, Hrsg., Mitteilungen einer Untersuchungsgefangenen, S. 175; Schälet, MKrim 1980, S. 151; allg. zur Hilfsbereitschaft unter Strafgefangenen z, B, Weis bei Schwind/Blau, Strafvollzug in der Praxis, S, 251; Harbordt, Subkultur, S. 24, 83 („was er aber an Bestätigung und Anerkennung, an stützenden menschlichen Beziehungen braucht — soziale Nestwärme gleichsam — , das findet er nur auf der Insassenseite"), Eine Untersuchung von Opp (Zu den Wirkungen des Strafvollzugs auf die „Resozialisierung" der Insassen, MKrim 1976, S. 321 ff, 330) bestätigt, daß den Strafgefangenen die Mit Häftlinge sympathischer sind als das Personal.
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Anstalt „ihn im gesamten Aufnahmevetfahren begleitet", um ihm Halt und die Möglichkeit zu geben, neue Eindrücke „sofort mit einet festen Bezugsperson zu besprechen*'521, so ist dies für die schwierigere Situation des Untersuchungsgefangenen und in Anbetracht des Sonderopfers, das er erbringt, erst recht zu befürworten. Eine solche Betreuung wäre eine der möglichen Maßnahmen, der mit der Untersuchungshaft unbeabsichtigt verbundenen und vor allem mit dem Aufnahmeverfahren bewirkten Ausgliederung des als unschuldig zu betrachtenden Beschuldigten aus der Gesellschaft im Rahmen des Möglichen frühzeitig zu begegnen, (2) Außenkontakte Die zur Sicherung des Strafverfahrens angeordnete und durchgeführte Freiheitsentziehung ist ebenso wie die Strafhaft nicht nur Ein Sperrung, vielmehr auch Ab Sperrung von der übrigen Gesellschaft. Diese Tatsache allein bewirkt bereits eine physische Ausgliederung des Inhaftierten aus der Gesellschaft. Sie beeinträchtigt sein Ansehen und seine gesellschaftliche Stellung derart, daß er sich häufig als ausgestoßen und abgelehnt sieht, Schon der Eindruck des Betroffenen, seit der Einlieferung in die Justizvollzugsanstalt gesellschaftlich abgelehnt zu werden, gar geächtet zu sein, und erst recht die Tatsache einer solchen Ablehnung522, z. B. des Zurückziehens bisheriger Freunde, bewirken neben der physischen eine psychische Abkapselung von der bisherigen Welt. Die Eingliederung des Verhafteten in die Gefängnisgesellschaft fördert dies noch. Denn sie erschwert den Umgang mit Außenstehenden weit über die äußerlichen Kontaktschwierigkeiten hinaus, weil die Welten zu verschieden sind. Jeder Gefangene wird den allgemeinen Lebensverhältnissen entfremdet. Ihm „verblassen die Realitäten des Lebens in Freiheit"523. Eine mit der Dauer der Haft sich verbreiternde Kluft entsteht in allen persönlichen Beziehungen, auch in denen zu nahen Angehörigen, Sie „werden z. B. wesentlich unproblematischer gesehen, als sie sind"523, denn Wunschdenken ersetzt die Realität. Was derart für die Freiheitsstrafe vielfach festgestellt ist, von der Radbruch sagte, daß sie „das Leben verstümmelt"524 und ,,ein Stück Tod mitten im Leben"524 sei, gilt heute mehr für die Untersuchungshaft, Denn der von Radbruch beschriebenen EntsozJalisation des Gefangenen, die „ihn lebensuntüchtig macht"525 521
BrandtlHttckting, AltKommStVolIzG, 2. Aufl., § 72, Rdn. 7. 522 Ygj auch Hink, Die kriminogene Wirkung der Untersuchungshaft, Kriminalistik 1967, S, 523, der ausführt, das Hinausdrängen aus dem gesellschaftlichen und beruflichen Leben könne den unschuldig Verhafteten zum Delinquenten werden lassen. S, auch Kaiser, Festschr. Jur. Gesellschaft, 1984, S. 307, 5Z3 Bohm, Strafvollzug, 1979, S, 82; bezügl, der Untersuchungshaft s. Fmk, in; Bundeszusammenschluß für Straffäüigenhilfe (Hrsg.), Gemeinsam den Rückfall verhindern, 1975, S. 89. ™ Radbruch, ZStW 32. Bd. (1911), S. 353. 525 Radbruch aaO. S. 343.
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VI. Grundsätze des Untersuchungshaftvollzugs
und die sowohl auf verringerten Kontakten zur Außenweit wie darauf beruht, daß der totalen Versorgung und Reglementierung viel, der Eigenverantwortung und -initiative des Verhafteten hingegen kaum Raum gewährt wird, wirkt der Strafvollzug in Verfolgung seines gesetzliches Zieles (§ 2 StVolizG) entgegen, nicht aber der Untersuchungshaftvollzug. In ihm ist dem für den Strafvollzug heute selbstverständlichen Gebot, mit möglichen Vollzugslockerungen die sozialen Beziehungen des Gefangenen zu erhalten526, noch nicht Rechnung getragen. Aus gang, Frei gang und Urtaub527 sind mit der Untersuchungshaft zwar unvereinbar, die ebenfalls strafvollzugsgesetzlich gebotene Förderung der Außenkontakte, die durch Ausführung, Besuch, Außenarbeit, Schrift- und Fernsprechverkehr entstehen (§ 23 Satz 2 StVolizG), aber ist es nicht. Für den Vollzug der Untersuchungshaft ist die Pflicht zur Förderung des Verkehrs mit der Außenwelt anders als im Strafvollzug selbstverständlich nicht die Konsequenz aus der nur diesem gestellten Aufgabe, den Gefangenen zu einem straffreien Leben in sozialer Verantwortung zu befähigen528; sie ergibt sich jedoch bereits de lege lata aus dem Gebot, schädlichen Folgen der Untersuchungshaft entgegenzuwirken, in bezug auf Angehörige zudem aus Art. 6 GG. Demzufolge sind z. B. Besuche nicht nur insofern zuzulassen, als der konkrete Haftzweck und die Ordnung in der Anstalt nicht tatsächlich gefährdet werden529, sondern es ist auch aktiv darauf hinzuwirken, namentlich, wenn auch nicht ausschließlich, durch den Sozialdienst530, daß Besuche stattfinden, wenn dadurch Kontakte aufrechterhalten oder entwickelt werden, die schädlichen Folgen der Untersuchungshaft entgegenwirken531. Dasselbe gilt für den Schriftverkehr, Paketsendungen und Ferngespräche. Denn die Förderung der Außenkontakte trägt nicht nur dem elementaren Kontaktbedürfnis des Menschen532, sondern auch dem Gegensteuerungsgrundsatz s26
S. z. B. nur Schock, in: Kaiser u. a., Strafvollzug, 3. Aufl., S, 111, 146; Kerner, ebda. S. 438 f; .SniwHK/bei Schwind/Böhm, StVolizG, Rdn. l vor § 23; Bähm, Strafvollzug, 1979, S. 107 f; Ftesf, AltKommStVolizG, 2. Aufl., § 3, Rdn. 18. 527 Im Jahre 1980 entfielen im Bundesgebiet auf 100 Strafgefangene 271 Ausgänge, 34 Zulassungen zum Frei gang und 284 Beurlaubungen, vgl. Dünkel in: Dünkel/Rosner, Die Entwicklung des Strafvollzugs etc., 2. Aufl. 1982, S. 89, 98, 102, 427, 435, 444. 52S Vgl. zum Zusammenhang der §§ 2 u. 23 StVolizG z. B. Cai/ifssjMä//er-Ditt^t StVolizG, 3. Aufl., § 23, Rdn. 2; Roiinski, in: Baumann (Hrsg.), Die Reform des Strafvollzuges, 1974, S. 80. 5K S. ob. Abschn. VI/1, S. 126 f, unt. VII/1, S, 235 f. 530 S. Joesttr, AltKommStVollzG, 2. Aufl., § 23, Rdn. 6; und für den Untersuchungshaftvollzug Fuck, in: Bundeszusammenschluß etc. (Hrsg.), Gemeinsam den Rückfall verhindern, S. 88 f. 531 Vgl. für den Strafvollzug z.B. Ca/lmsjMüiftr-Diet%, StVollzG, 3. Aufl., §23, Rdn. 2-tSchawd\xi Schwind/Böhm, StVolizG, 1983, § 23, Rdn. 3f; für die Untersuchungshaft s. Baumann, EntwUVollzG, 1981, S, 47; Wendisch bei Löwe-Rosenberg, 24. Aufl., §119, Rdn, 44. s32 S. dazu 2, B, Roliftski bei Baumann (Hrsg.), Die Reform des Strafvollzuges, S. 78 f.
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Rechnung und ist vor allem geeignet, familiäre Bindungen zu erhalten533. Es ist deshalb dem Votschlag von Jürgen Baumann zuzustimmen, in ein künftiges Gesetz über den Vollzug der Untersuchungshaft eine im wesentlichen § 23 Satz 2 StVollzG entsprechende Vorschrift aufzunehmen534. Der Auftrag zur Förderung von Außenkontakten Untersuchungsgefangener kennt selbstverständlich Grenzen, und zwar zwei; Dem Wesen der Untersuchungshaft widerspricht es bereits, einen Besuch oder sonstigen Verkehr mit der Außenwelt zuzulassen, der mit den in § 119 Abs. 3 StPO genannten öffentlichen Interessen unvereinbar ist, also z. B. einen Ausbruch oder Verdunkelungshandlungen konkret zu begünstigen droht. Um so mehr verbietet es sich, entsprechende535 Außenkontakte zu fördern, ja bezüglich der aktiven Unterstützung des Verkehrs mit der Außenwelt kann die Grenze sogar enger gezogen werden als für die Zulassung eines beantragten Besuchs, der nur bei realer Gefahrdung des Haftzwecks oder der Ordnung in der Anstalt zu versagen ist. Eine Förderung bestimmter Außenkontakte kann auch bei einer nicht auf konkrete Anhaltspunkte gestützten Gefahr des Mißbrauchs unterbleiben, keinesfalls aber bezüglich vertrauenswürdiger Außenstehender und wegen des hohen Werts und besonderen Schutzes familiärer Beziehungen (Art. 6 GG) bei Angehörigen nur auf Grund konkreter Gefahren. Die zweite Grenze der Verpflichtung, grundsätzlich den Verkehr des Untersuchungsgefangenen mit Außenstehenden zu fördern, ergibt sich aus dem Gegensteuerungsgrundsatz selbst und aus der allgemeinen Pflicht der Strafrechtspflege, kriminalpräventiv zu witken. Wenn auch die Beziehungen zu Außenstehenden im allgemeinen wertvoller sind als die unter Gefangenen536 und die Kontaktpersonen außerhalb der Anstalt bei den Inhaftierten „die höchsten Sympathie werte haben"537, so ermöglicht der Gegensteuerungsgrundsatz es doch, bei der Förderung von Außenkontakten eine Auswahl zu treffen. Denn es ist schädlichen Foigen der Untersuchungshaft entgegenzuwirken, nicht aber Aufgabe der Strafrechtspflegeorgane, die Verstrickung in ein kriminelles Milieu aktiv zu erhalten oder zu fördern und beispielsweise den Kontakt 533
Zur Bedeutung eines von der Familie zugesandten Pakets für die Aufrechterhaltung der familiären Bindung eindringlich Dmntbitr bei Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., § 119, Rdn. 55; Wendisch aaO. 534 Bastmann, EntwUVollzG, 1981, § 19, Abs. l E mit Begr. S. 47. Der Entwurf der Anstaltsleiter (Doschlu.. a., EntwUVollzG, 1982) enthält keinen entsprechenden Vorschlag und bleibt damit hinter dem geltenden Recht, z. T. gar hinter der Praxis (s. bezügl. Lebeosmittelpaketen § 29 Abs. l E, Nr. 39 UVollzO u. OLG Frankfurt, NJW 1967, S. 166 f; Botijong, KarlsrKomm,, 119, Rdn. 57; Wendisch bei Löwe-Rosenberg, 24. Aufl., § 119, Rdn. 43 ff; anders nach OLG Karlsruhe, NJW 1970, S. 290 f) und der auch dem Gesetzgeber gebotenen Beachtung des Übermaß Verbotes zurück. 535 So Baumamn aaO. (vorige Fn.) § 19 i.V. m. § 3 E und Begr. S. 47, 21 f. 536 Off, MKrim 1974, S. 330, 333; zust. Böbat, Strafvollzug, 1979, S. 108. 537 Off, MKrim 1974, S. 330.
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VI, Grundsätze des Untersuchungshaftvollzugs
eines Beschuldigten zu etwaigen, ebenfalls dringend tatverdächtigen, aber mangels Haftgrundes auf freiem Fuß befindlichen Bandenmitgliedern zu aktivieren. Es sind also nicht alle Besuche oder sonstige Außenkontakte, die nach §119 Abs. 3 StPO zuzulassen sind, deshalb auch zu fördern. So wie im Strafvollzug Besucher oder Korrespondenzpartner, die nicht Angehörige538 des Gefangenen sind, zurückgewiesen werden können, wenn zu befürchten ist, daß von ihnen ein schädlicher Einfluß ausgeht (§§ 25 Nr. 2, 28 Abs. 2 StVollzG), so wie derartige Beziehungen also erst recht nach dem StVollzG nicht zu unterstützen sind539, so kann im Untersuchungshaftvollzug, wenn auch mit anderer, nicht auf ein VoJlzugsziel (§ 2 StVollzG) zu stützender Begründung die Förderung der Besuche und anderer Außenbeziehungen nicht geboten sein, die kriminogene Verhaltensweisen anregen. Für den Vollzug der Untersuchungshaft an Jugendlichen folgt dies auch aus § 93 Abs. 2 JGG. Zwar gewährt dieser gesetzliche Erziehungsauftrag schon wegen des Vorrangs des Elternrechts (Art. 6 Abs. 2 GG), wegen der Unschuldsvermutung und wegen der für eine Ermächtigung viel zu unbestimmten Formulierung keine über § 119 Abs. 3 StPO hinausgehenden Befugnisse, in Freiheitsrechte einzugreifen540, ist vielmehr vornehmlich eine Forderung an die Vollzugsbehörde, für erzieherische Angebote zu sorgen541, und entsprechend auch für den Untersuchungshaft Vollzug an Heranwachsenden (§ 110 JGG) zu verstehen542, obwohl diese selbstverständlich als Volljährige keinerlei Erziehungsrecht mehr unterliegen. Deshalb bedeutet 538
Wegen des besonderen Gewichts der Beziehungen zu Familienangehörigen und des verfassungsrechtlichen Schutzes von Ehe und Familie (Art, 6 GG; s. auch BVerfGE 35, 35 ff, 40; 42, 234 ff, 236 f) sind schädliche Einflüsse vom StVollzG in Kauf genommen (vgl, z. B, S f hoch bei Kaiser u. a., Strafvollzug, 3. Aufl., S. 146, 148) u. auch bei der Frage nach der Förderung der familiären Bindungen Untersuchungsgefangener nachrangig. 5 » Vgl. StVollzG-Entw,, BT-Drucks. 7/918 v. 23. 7. 1973, Begr. S. 57 („Beziehungen des Gefangenen zu fördern, die die Vollzugsaufgaben unterstützen"); wenigstens zweifelnd aber Rolinski, in: Baumann (Hrsg.), Die Reform des Strafvollzuges, S. 83 f; Bökmt Strafvollzug, 1979, S. 107f, die allerdings mit Recht nach Kontakten mit Angehörigen und sonstigen Außenstehenden ebenso wie §| 25, 28 StVollzG differenzieren, 540 Kippes, Arbeitspflicht für jugendl. Untersuchungsgefangene?, RdJ 1967, S. 243 f, 244; Seekode, JA 1979, S. 614; Böhm, Festschr. Dünnebier, S. 687; AG Zweibrücken, NJW 1979, S. 1557; anders Essenberg, JGG, 5 93, Rdn. 7; Da/iingerjLackner, JGG, 2. Aufl. 1965, § 93, Rdn, 9, 33; Brunner, JGG, 6. Aufl. 1981, § 93, Rdn. 5; Zirbeck, Die Untersuchungshaft bei jugendlichen u. Heranwachsenden, 1973, S. 44 ff; OLG Stuttgart, NJW 1974, S. 759 m. abl. Anm. E. Schneider, NJW 1974, S. 1207, MJ Böhm, Festschr. Dünnebier, S. 687; Seebad, JA 1979, S. 613, 615; Walter, MKrim 1978, S. 339, Fn. 10. 542 Böhm, Einf. in das Jugendstrafrecht, 1977, S. 92; 4er*., Festschr. Dünnebier, S. 688; Seebede, JA 1979, S. 613; Waiter, MKrim 1978, S. 339; Kreuzer, RdJ 1978, S. 351; anders Sprenger, NJW 1976, S. 663; IPW/w.ZStW 93. Bd. (1981), S. 454; unentschieden Eisenberg, JGG, § 93, Rdn. 14.
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der gesetzliche Auftrag, auch die Untersuchungshaft an jungen Erwachsenen erzieherisch zu gestalten (§§ 93, 110 JGG), daß ohne zusätzliche Rechtseingriffe eine „jugendgemäße Gestaltung"5*3 zu erfolgen hat. § 93 Abs. 2 JGG ist demnach weder gegenüber Heranwachsenden noch gegenüber Minderjährigen im Untersuchungshaftvoilzug eine Rechtsgrundlage für Maßnahmen, die den Verkehr des Inhaftierten nicht nach § 119 Abs. 3 StPO, sondern lediglich unterbinden, um schädliche Einflüsse auszuschließen544. Eine aktive Förderung solcher nachteiligen Beziehungen ist jedoch mit §5 93 Abs. 2, 110 JGG unvereinbar. 543
Diese von Böhm, Einf. in das Jugendstrafrecht, 1977, S. 92, Fn. 18, vorgeschlagene Formulierung bringt am ehesten zum Ausdruck, was mit der verfassungskonformen Auslegung der §§110 Abs. 2, 93 Abs. 2 JGG gemeint ist, gegen die sich Wolter, ZStW 93. Bd. (1981), S. 454, Fn. , wendet, während Baumann de lege ferenda an einer erzieherischen Gestaltung der Untersuchungshaft an jungen Erwachsenen ausdrücklich aber unter der Voraussetzung festhalten will, daß die Gefangenen zustimmen (EntwUVollzG, 1981, §67 Abs. l m. Begr. S. 125). 544 Anders Nr. 83 Abs. l UVollzO; Eutnixrg, JGG, § 93 Rdn. 7; DallingtrlLackier, JGG, 2. Aufl. 1965, § 93, Rdn. 33; zweifelnd Böhm, Festschr. Dünnebiet, S. 687. Die Erkenntnis, daß erzieherische Zwangsmaßnahmen während des Untersuchungshaftvollzugs nicht auf §93 JGG zu stützen sind (s. ob. S. 206 m. Fn. 540 ff), bedeutet keineswegs, daß wahrend der Untersuchungshaft erzieherische Freiheitsbeschränkungen Jugendlicher entgegen Art. 6 Abs. 2 GG unzulässig sind (s. näher Set\>ods, JA 1979, S. 614 f; Böhm, Festschr. Diinnebier, S. 687 f), wohl aber, daß die ohne Absprache mit den Eltern lediglich für diese von der Anstalt getroffen werden dürfen, also als vorläufige und unaufschiebbare Maßnahmen, die erforderlich sind, um der ununterbrochen fortbestehenden Erziehungspflicht und -bedürftigkeit auch in der Zeit zu genügen, da die Erziehungsberechtigten wegen der haftbedingten Umstände ihr Recht und ihre Pflicht nicht wahrnehmen können oder nicht wahrnehmen (bezügl. Freizeitgestaltung das Elternrecht einschränkend: Banmoan, EntUVollzG, 1981, § 68 Abs. 3 m. Begr. S. 127; in „Recht und Staat", H. 506/507, 1981: §114 Abs. 3 E), Die allgemeinen und vorbehaltlosen Regelungen in Nr. 80—83 UVollzO, die sowohl in die Rechte der Erziehungsberechtigten wie des minderjährigen Gefangenen weitergehend eingreifen, als es nach § 119 Abs. 3 StPO zulässig ist, gehen über die beschriebene Befugnis hinaus. Dies gilt insbesondere für die in Nr. 80 Abs. 2 Satz l UVollzO bejahte, allerdings nicht mehr in allen Anstalten praktizierte Arbeitspflicht junger Untersuchungsgefangener (diese abl. auch Ktppes, RdJ 1967, S. 243 f; Mro^ymki, RdJ 1973, S, 329; Seihode, JA 1979, S. 614 f; Baumann, Entw UVoitzG, 1981, S. 127; Bobmt Festschr. Dünnebier, S. 687; Eisenberg, JGG, § 93, Rdn, 18; MolkeiinlJokobs, ZfStrVo 1982, S. 336 ff; Raping, Das Strafverfahren, 2. Aufl. 1983, S. 70; AG Zweibrücken, NJW 1979, S, 1557; s. auch Kreuzer, RdJ 1978, S. 352; Woher, ZStW 93. Bd., 1981, S. 454, die verfassungsrechtl. Bedenken äußern; anders z. B. Kkmkntcbt\Mtyer, StPO, 36. Aufl., §119, Rdn, 38; Schlechter, Das Strafverfahren, 2. Aufl. 1983, S. 222, Fn. 202; Bottjong, KarlsrKomm., §119, Rdn. 71; Grimm, UVollzO-Komm., 1972, Nr. 80, Rdn. 1; Zirbtck, Die Untersuchungshaft bei Jugendlichen etc., S. 58; Schach, in: Kaiser u. a. Strafvollzug, 3, Aufl., S. 114; BVerfG, Beschl. v. 3. 10. 1972; OLG Bamberg, Beschl. v. 17. 7. 1974, jew. bei Seehede, JA 1979, S. 612), aber z. B. auch für das Verbot der Selbstbeköstigung, das nach Nr. 81 Abs. 2 UVollzO ausgesprochen wird (s. dazu Bobm, Einf, in das Jugendstrafrecht, 1977, S. 91), und für die Verpflichtung, arn Aufenthalt im Freien teilzunehmen (Nr. 82 UVollzO).
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VI, Grundsätze des Untersuchungshaft Vollzugs
Andrerseits gebietet der gesetzliche Erziehungsauftrag im übrigen wie der Gegensteuerungsgrundsatz, förderliche soziale Beziehungen und vor allem familiäre Bindungen zu erhalten und zu stützen545, was sich bezüglich des Verkehrs mit den Erziehungsberechtigten auch daraus erklärt, daß diese ihre Rechte und Pflichten nicht dadurch verlieren, daß der Minderjährige in Untersuchungshaft gerät546. Der mit der Haft einhergehenden faktischen Erschwerung547 der Ausübung des verfassungsrechtlich gewährleisteten und lediglich nach § 119 Abs. 3 StPO während der Haft einschränkbaren Erziehungsrechts (Art. 6 Abs. 2 Satz l GG) ist durch Erleichterungen und sonstige Förderung des Verkehrs der Erziehungsberechtigten mit dem Jugendlichen zu begegnen, um es so weit wie möglich ausüben zu lassen und damit auch die Grundlage und die Information zu schaffen für die im übrigen gebotene548 Absprache der Anstalt mit den Erziehungsberechtigten über Fragen der Erziehung des minderjährigen Verhafteten. (3) Eigenverantwortung Der mit der Einlieferung in eine Justizvollzugsanstalt beginnende Prozeß der Prisonisierung549 und Akkulturation550, der Eingliederung in die Gefängniswelt, ist nicht nur durch mehr oder weniger weitreichende Übernahme und Anwendung der Regeln einer Gefangenengesellschaft551 bei M5
Eitenberg und Da//>ngerjLa(Jkner jew. aaO, (vorige Fn.). Mej, Gestaltung der Untersuchungshaft, in; Tagungs berichte der Jugendstrafvollzugskommission, 9. Bd., 1979, S. l , 13, weist treffend darauf hin, daß Betreuung und Behandlung junger Untersuchungsgefangener die Mitwirkung der Eltern und der Familie erfordern. ™- So schon DaMagerjLadiner, JGG, 2. Aufl. 1965, § 93, Rdn. 33; s. weiter Liack, ZRP 1971, S. 59; Mreyasü, RdJ 1973, S. 328 f; Seebede, JA 1979, S. 614; Böhm, Festschr. Dünnebier, S. 687 f; Molkttin]Jakobs, ZfStrVo 1982, S. 337 f; Giemttllal Barton, Die Untersuchungshaft bei Jugendlichen u. Heranwachsenden aus verfassungsrechtlicher Sicht, RdJ 1982, S. 289 ff, 292. w S. 2. B. Daliinger\Lackner aaO. (vorige Fn.) Rdn, 11; Seebode, JA 1979, S. 614; Böbm Festschr, Dünnebier, S. 687. 548 Eisenbtrg, JGG, § 93, Rdn. 13; Seebode, JA 1979, S. 614; GiemuiiajBarton, RdJ 1982, S. 292; Böbm, Festschr. Dünnebier, S. 688; Kreuzer, RdJ 1978, S. 351; Baumann, EntwUVollzG, 1981, S. 127. Die Verpflichtung zu derartigen Absprachen mit den Erziehungsberechtigten sollte ein künftiges Gesetz über den Vollzug der Untersuchungshaft ausdrücklich auferlegen. 549 Zur Herleitung der Bezeichnung aus dem von Clemmer 1948 erstmals gebrauchten Begriff „prisonization" s, z. B. Kerner in: Kaiser u. a., Strafvollzug, 3. Aufl., S. 351. 550 S. dazu z. B. Harbordt, Die Subkultur des Gefängnisses, 1972, S. 10 ff; Goffman, Asyle, 1981, S, 24, spricht darüber hinausgehend von „Diskulturation" und meint damit den „Verlern-Prozeß, der den Betreffenden zeitweilig unfähig macht, mit bestimmten Gegebenheiten der Außenwelt fertig zu werden, wenn und falls er hinausgelangt". 5M S. z. B. nur Weis bei Schwind/Blau, Strafvollzug in der Praxis, S. 251 ff; H. Kaufmann, Kriminologie III, S. 27 ff; HoodjSparks, Kriminalität, S. 233 ff; Gäppinger, Kriminologie, 4. Aufl., 1980, S. 393ff; Kerntr, in: Kaiser u. a,, Strafvollzug, 3. Aufl. 1982,
3. Gestaltung unter kriminalpräventiven Gesichtspunkten
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gleichzeitig weitgehender Beschränkung der Außenkontakte gekennzeichnet, sondern auch durch einen ganz erheblichen Verlust des Gefangenen an Selbstbestimmung und damit durch geringe Eigenverantwortung und geringes Selbstwertgefühl. Der verhaftete Beschuldigte wird unter ständiger Aufsteht vollständig versorgt, und sein Leben wird bis in die Einzelheiten reglementiert. Vorgeschrieben oder vorgegeben sind ihm außer dem Aufenthaltort in praxi u. a. die Zelleneinrichtung, die Kost, die Zeiten des Aufstehens, der Ruhe und der Mahlzeiten, die Mitgefangenen in Gemeinschaftshaft, die Zeiten der Zellenbeleuchtung, die Möglichkeiten eigener Tätigkeit, der Arzt, der Besitz eigener Gegenstände, Zeiten und Häufigkeit der Außen kontakte, des Hofgangs, des Duschens und des Einkaufs, die Einkaufsmöglichkeiten und die Kleidung oder der Kleiderwechsel. Schon für geringfügige Abweichungen und Nebensächlichkeiten hat er um Erlaubnis zu bitten. Die totale und durchorganisierte Versorgung, die Überreglementierung mit z. T. „schikanösen Ordnungsvorschriften"552 und die in Untersuchungs- wie Strafhaft ständig bestehende Neigung zu einem „schematischen und die Individualität des einzelnen Gefangenen nivellierenden, d, h. entpersönlichendem Vorgehen"553 sind von doppeltem Nachteil. Sie bewirken, da der Gefangene wie ein Unmündiger behandelt wird554, einerseits die dem entsprechende Haltung, also Unselbständigkeit, Hilflosigkeit, Passivität, Trägheit und auch Bequemlichkeit555, andererseits durch die Bevormundung, aus dem Gefühl der Ohnmacht556 und aus Unlust entstehende Aggression557, aber auch Resignation558 und ein MinderS. 351 ff, u. beispielsweise zur „Knastsprache" Woblgemutb bei Schwind/Blau aaO. S. 350 ff, zu Nachrichtentechniken s. Herren, Lb. der Kriminologie, Bd. l, Die Verbrechens wirk lichkeit, 3. Aufl. 1982, S. 60ff, fättiSeeboiie, Hrsg., Mitteilungen einer Untersuchungsgefangenen, S. 195. 552 Bai»», Strafvollzug, 1979, S. 82. 553 So zum Untersuchungshaft Vollzug Fuek, in: Bundeszusammenschluß für Straffalligenhilfe (Hrsg.), Gemeinsam den Rückfall verhindern, 1975, S. 80; Rottbaust NJW 1973, S. 2270: „Gefahr einer dem gesetzlichen Grundprinzip widersprechenden Gleichmacherei"; vgl. auch Wendisch bei Löwe-Rosenberg, 24. Aufl., §119, Rdn. 4, und für den Strafvollzug: Böbm, Strafvollzug, S. 82. ss * RaMmtb, ZStW 32. Bd. (1911), S. 349; Böbm aaO. (wie vorige Fn.); H. Kaufmann, Kriminologie III, S. 48; Scbötb, in; Kaiser u. a., Strafvollzug, 3. Aufl., S. 112. 555 Böhm aaö. S. 82; Harhordt> Die Subkultur des Gefängnisses, S. 13 f; Hohmeier, MKrim 1969, S. 294 f, 297; v. Brücken-Foek, ZStW 85. Bd. (1973), S. 543; s. auch schon Radbruch aaO. (vorige Fn.) S. 348 f: „Wer jahrelang nur zu wollen braucht, was die Strafanstahsordnung oder der Befehl des Strafanstaltsbeamten für ihn will, muß das Wollen verlernen". 556 S. z. B. Sievtrts, Hdw. d, Kriminologie, 2. Aufl., 4. Bd. 1979, S. 449. 557 Hobmeter aaO. (vorige Fn.) S. 297; Ftick, in: Bundeszusammenschluß für Straffäll· genhilfe (Hrsg.), Gemeinsam den Rückfall verhindern, S. 90; Seebodt (Hrsg.), Mitteilungen einer Untersuchungsgefangenen, S. 134, 171 f. ssg Vgi, Mitteilungen einer Untersuchungsgefangenen (wie vorige Fn.), S. 32, 38, 45 f, 66,129, 151 f, 180, u. z. B, Harbordt, Subkultur, S. 13: „Über die detaillierten Vorschriften
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VI. Grundsätze des Untersuchungshaft Vollzugs
Wertigkeitsgefühl 559 . Bei aller Einigkeit darüber, daß diese Erscheinungen wenigstens bei längerer Untersuchungshaft in nicht un beachtlichem Ausmaß auftreten, daß es sich um nachteilige Folgen der Haft handelt, weil ein geschwächter, an Versorgung und Autonomieverlust gewöhnter, Aktivität, Initiative und Eigenverantwortung entwöhnter und dazu verunsicherter Entlassener weniger in der Lage ist, sich ihm stellende Aufgaben zu lösen als derjenige, der dies geübt und Zutrauen zu sich selbst gewonnen hat, bei aller Einigkeit auch darüber, daß Gegensteuerung geboten ist, um die Zeit der Untersuchungshaft nicht „verderbliche Zeit"560 mit „kriminogener Tendenz"561 bleiben zu lassen, ist die Gestaltung der Untersuchungshaft von der Minderung schädlicher Folgen des Gefängnisaufenthaltes weiter entfernt als der heutige Strafvollzug. Dabei sind nicht wenige die Eigenverantwortung des Inhaftierten beeinträchtigende und entsozialisierende Maßnahmen der Praxis des Untersuchungshaft Vollzugs bereits nach § 119 Abs. 3 StPO nicht gerechtfertigt und gegensteuernde auch wegen des Gebots, das Sonderopfer des Untersuchungsgefangenen gering zu halten, unerläßlich. Die den verhafteten Beschuldigten überwältigende Organisation der Anstalt und der noch ganz vorherrschende Charakter des Untersuchungshaftvollzugs als „Verwahrvollzug"562 müssen dem Inhaftierten auch zur Minderung haftbedingter Entsozialisation einen Freiraum zu eigenverantwortlicher Gestaltung des Haftalltags belassen und dürfen insgesamt nicht dazu führen, daß es ihm unmöglich wird, „die Zeit der UHaft mit Sinn und Inhalt"563 zu füllen. Vielmehr sind hier Anregungen zu geben und Eigeninitiativen zu fördern, um die Untersuchungsgefangenen aus ihrer Passivität zu lokken564. Dies bedeutet, Selbstbeschäftigungen zu aktivieren und auszuweiten, Diskussions- und Interessengruppen (Sport, Schach, Tischtennis usw.) nicht nur zuzulassen, sondern zu bilden, außenstehende Personen zur Betreuung von einzelnen Gefangenen und Gefangenengruppen zu gewinnen und vor allem, den Gefangenen möglichst viele Entscheidungen selbst treffen zu
und Anordnungen der Anstalt gibt es keine Diskussion, auch wenn sie unverständlich erscheinen mögen". 559 H. Kaufmann, Kriminologie III, S, 48; Behm bei Seh wind /Böhm, StVoJlzG, § 3, Rdn. 12 („Verlust von Selbstwertgefühl"), Hobmtier, MKrim 1969, S. 297 („Begrohung für das Selbstbewußtsein"); Sieverts, Die Wirkungen etc., S. 47 („Gefühl erschütterten Eigenwerts"); H.J. Schneider, JR 1970, S. 284 („Rudimente des Selbstvertrauens"), 540 Schock, in: Kaiser/Kerner/Schöch, Strafvollzug, 3. Aufl. 1982, S. 112. 561 Bin$wanger\Brandenberger, SchweizZStrR 91, Bd. (1975), S. 415; s. z.B. auch v. Bracken-Fach, ZStW 85. Bd. (1973), S. 543 („kriminogene Wirkung"); Kaiser, Festschr. Jur. Gesellsch, Berlin, 1984, S. 300 f. 502 So z. B, Fuck, in: Bundeszusammenschluß für Straffälligenhilfe (Hrsg.), Gemeinsam den Rückfall verhindern, S. 80f, u. auch Eisenhardtt Strafvollzug, 1978, S. 169; Kaiser aaO, (vorige Fn.) S, 306. 563 Rottbam, NJW 1973, S. 2271; ähnl. z. B. Mutier-Diet^, Strafverteidiger 1984, S. 85. 564 Vgl. z, B. Fuck aaO. S, 91, 94.
3. Gestaltung unter kriminalpräventiven Gesichtspunkten
211
lassen565. Er muß selbst bestimmen können, ob und wann er mit anderen Gefangenen zusammenkommt und, wie bei der Unterbringung in Wohngruppen56i, eine Rückzugsmöglichkeit 567 haben. Gegensteuerung verlangt, wie besonders Böbm betont, Eigenverantwortung des Gefangenen z. B. für Versorgung und Pflege der eigenen Person und der eigenen Sachen, Kleiderpflege und Wechsel der Wäsche568.Nur er hat zu entscheiden, wann er seine Zelle beleuchtet, zu Bett geht oder aufsteht, ob er Alkohol trinkt, ob Selbstbeköstigung oder Zusatznahrung einer vernünftigen Lebensweise entsprechen, ob und von wem er sich ärztlich untersuchen oder behandeln lassen will, wieviel er einkauft, ob er aus dem Fenster sieht, ob er seine Zelle mit zusätzlichen oder anderen Einrichtungsgegenständen versieht, ob er eine Uhr trägt und auch, ob er pornographische Zeitschriften569 lesen will. b)
Behandlungsvoll^fig
Anders als dem Strafvollzug, der nach § 2 StVollzG die gesetzliche Aufgabe hat, den Gefangenen zu befähigen, „künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (Vollzugsziel)", ist dem Vollzug der Untersuchungshaft mit Recht kein derartiges oder sonstiges Ziel gesetzt. Kriminalpräventiver Einwirkung auf den Gefangenen setzt die Unschuldsvermutung, an der der Vollzug der Untersuchungshaft als strafprozessuales Institut unstreitig auszurichten ist570, beachtliche Schranken. Prinzipiell 545
Vgl. für die Untersuchungshaft Fuck aaO. S. 91, 94 f; zum Strafvollzug z. B. Böbm bei Schwind/Böhm, StVollzG, § 3, Rdn. 4, 12; H.]. Schneider, JR 1970, S. 285f. 566 S. schon ob. Kap, VI/2e, S. 174, u. zum Zusammenhang mit einer nicht entsozialisierenden Haftgestaltung Bbhm, Festschr. Dünnebier, S. 687 f; Feest, AltKommStVollzG, 2. Aufl., § 3, Rdn. 19, 567 B&hm bei Schwind/Böhm, StVollzG, § 3, Rdn. 12; TrSndle, JR 1983, S. 483. 508 B'ohm aaO. (wie vorige Fn.). S. zum folgenden auch ob. Abschn. VI/2e, S, 158ff. 569 Anders OLG Stuttgart, NJW 1974, S. 759; dagegen wie hier OLG Hamburg, NJW 1976, S. 985; Dütmtbier bei Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., § 119, Rdn. 132; Wendhtb ebda., 24. Aufl., § 119, Rdn. 115; Boujong, KartsrKomm., § 119, Rdn. 46 (alle ohne rechtl. Begr. zweifelnd bezügl. junger Erwachsener); Böhm, Einf. in das Jugendstrafrecht, S. 92; Baumann, EntwUVollzG, S. 127; E. Schneider, NJW 1974, S. 1207. Bei minderjährigen Untersuchungsgefangenen kann unter Beachtung des ekerl. Erziehungsrechts anderes gelten, vgl. Boujong aaO., u. ob. S, 207 m. Fn. 544, weshalb darauf hinzuweisen ist, daß der erw. Beschluß des OLG Stuttgart aaO. einen 21jährigen Untersuchungsgefangenen betraf und am 14. 12. 1973, also vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des Volljährigkeitsalters (1. 1. 1975) erging. OLG Hamm, NStZ 1981, S. 320, versagte einem U-Gef. den Bezug einer pornogr. Zeitschr, u, a,, weil er sie an Strafgefangene weitergeben konnte, und berücksichtigte so wegen der vom U-Gef, nicht zu verantwortenden Art der Unterbringung zu seinen Lasten und zu Unrecht das Ziel des Strafvollzugs. 570 So allgem. für den Strafprozeß eindringlich Wimmer, ZStW 80. Bd. (1968), S. 375; Sax, in: Die Grundrechte, hrsgg. v. Bettermann u.a., Bd. HI/2, 1959, S. 987 ff, 991: „Verfahrensstrukturprinzip".
2 2
VI, Grundsätze des Untersuchungshaftvoltzugs
ermöglicht erst der bindende Schuldspruch die Verfolgung von Strafzwekken571, also auch die des Resozialisier ungsgedankens. Wenn daraus wegen der ebenfalls grundsätzlichen kriminalpräventiven Aufgabe jedes Aktes der Strafrechtspflege und im Hinblick auf das Sozialstaatsprinzip auch nicht folgt, daß keinerlei kriminalpräventive Gestaltung der Untersuchungshaft zulässig ist, so ergibt sich doch ein unaufhebbares572 Dilemma: Die grundsätzliche Unzulässigkeit einer individualpräventiven Behandlung meist Behandlungsbedürftiger573 und die „faktische Überlagerung der Strafe durch die Untersuchungshaft"574, so daß letztere praktisch die durch § 47 StGB zurückgedrängte und resozialisierungsfeindliche kurze Freiheitsstrafe weitgehend ersetzt575 und einem sich anschließenden, behandlungsorientierten Strafvollzug nicht zuträglich ist576, ihm vielmehr wegen ihrer Anrechnung auf die Strafe Behandlungszeit und -möglichkehen nimmt577. aa)
Recktseingriffe
Zweifelsfrei braucht der Untersuchungsgefangene, erschiene er auch noch so resozialisierungsbedürftig, wegen der Unschuldsvermutung keinerlei Wiedereingliederungs- oder Behandlungsmaßnahmen zu dulden, die einen Rechtseingriff darstellen578. Dringender Tatverdacht und Haftgrund 571
S. z. B. Dreher, MDR 1970, S. 968; Krauß, Der Grundsatz der UnschuidsVermutung im Strafverfahren, in: Müller-Dietz, Hrsg., Strafrechtsdogmatik u. Kriminalpolitik, 1971, S. 152 ff, 161; Walter, MKrim 1978, S. 341; Walter, ZStW 93. Bd. {1981} S, 454 f, 495; u. ob. Abschn. VI/2d, S. 152ff. 572 Walter aaO. (vorige Fn.) S. 455. 573 ^J7cit über 90% der Untersuchungsgefangenen werden verurteilt (s, ob. VI/2d, S. 153, u. z.B. Abenhausen bei jung/Müller-Dietz, Hrsg., Reform der Untersuchungshaft, 1983, S. 135), für mehr als die Hälfte schließt sich Strafvollzug an (s. ob. Abschn, 1/2, S. 7, u. 2, B. Schach, in: Kaiser u.a., Strafvollzug, 3. Aufl., S. 112). 574 Schach äaO. (wie vorige Fn.). 575 Kerner, Schröder-Gedächtnis seh r,, S. 551; Woher, ZStW 93. Bd. (1981), S. 455; Kmayir, RdJ 1978, S. 342. 576 Kaiser, in: Kl. kriminolog, Wörterbuch, hrsg. v. Kaiser u. a., 1974, S, 330; Rotthaus, NJW 1973, S. 2270; Baumann, EntwUVollzG, 1981, S. 12; Srandkr, in: Dt. Vereinigung f, Jugendgerichtsbarkeit etc., Hrsg., Jugendgerichtsbarkeit u. Sozialarbeit, 1975, S. 181. 577 Schach, in: Kaiser u.a., Strafvollzug, 3. Aufl., S. 112; Kemer ebda, S. 312; Böhm, Zum Problem des Vollzugs kurzzeitiger Jugendstrafen, in: Schaff s tein-Festschr., 1975, S. 303 ff, 306 ff; Kaiser, Festschr. Jur. Gesellschaft Berlin, 1984, S. 308. 578 Anders könnte allenfalls Cure, Reflexions sur la detention preventive, in: Festschr. f. Sir Lionel Fox, hrsg. v. Lopez-Rey/Germain, 1964, S. 50 ff, 63 f, verstanden werden (s. Krümpelmann, ZStW 82. Bd., 1970, S, 1053, Fn. 3; Walter, ZStW 93. Bd., 1981, S. 455, Fn. 11), der in Anpassung an eine von ihm behauptete Realität von der Geltung der Unschuids Vermutung zugunsten s pezial präventiver Behandlung der Untersuchungsgefangenen absehen will, andererseits aber betont, der Gefangene müsse innerhalb der Vollzugsanstalt so leben dürfen, als ob er in seiner Wohnung eingesperrt sei (aaO. S. 51), also die Handlungsfreiheit beschränkende Behandlungsmaßnahmen wohl von einer Zustimmung abhängig macht.
3. Gestaltung unter kriminalpräventiven Gesichtspunkten
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ändern insofern seine Rechtsstellung gegenüber der des auf freiem Fuß belassenen und ebenfalls dringend tatverdächtigen Beschuldigten nicht im geringsten. So ist es im Untersuchungshaftvollzug unzulässig, einen Besuch oder eine Korrespondenz wegen eines möglichen schädlichen Einflusses auf den Gefangenen zu untersagen, was der behandlungsorientierte Strafvollzug durchaus ermöglicht (§§25, 28 StVollzG)579. Die Einschränkung der Kontakte eines Untersuchungsgefangenen ist wie jeder andere Rechtseingriff lediglich nach §119 Abs. 3 StPO zu beurteilen, also nur bei konkreter Gefährdung der dort genannten öffentlichen Interessen im Einzelfall zulässig. Den Literaturstimmen, die sich zu einem Sozialisationsauftrag des Strafverfahrens580 und insbesondere der Untersuchungshaft 581 kritisch oder ablehnend äußern, ist also insofern beizupflichten, als auch das Sozialstaatsprinzip nur für den Strafvollzug, nicht aber im Strafprozeß „grundrechtsbeschränkende Maßnahmen rechtfertigen" kann, „die erforderlich sind, um die inneren Voraussetzungen für eine spätere straffreie Lebensführung des Gefangenen zu fördern"582. Obwohl auch der Strafgefangene nicht gesetzlich verpflichtet ist, aktiv an seiner Behandlung mitzuwirken 583 , das Strafvollzugsgesetz vielmehr trotz des auch eine andere Auslegung ermöglichenden Wortlauts seines § 4 Abs. l Satz l („Der Gefangene wirkt an der Gestaltung seiner Behandlung und an der Erreichung des Vollzugsziels mit") vorschreibt, das Vollzugsziel mit freiwilliger und vertrauensvoller Mitarbeit des Betroffenen zu erreichen584, bestehen zur Untersuchungshaft weitere, über die Unzulässigkeit grundrechtsbeschränkender Behandlungsmaßnahmen hinausgehende Unterschiede.
579
Für die Untersuchungshaft Minderjähriger s. ob. S. 207 m. Fn. 544, u. unten S. 226ff, Krauß, in: Müller-Dietz, Hrsg., Strafrechtsdogmatik u. Kriminalpolitik, 1971, S. 161; den., Schaffstein-Festschr,, 1975, S. 424; Rextrt, in: Göppinger/Kaiser, Hrsg., Kriminologie u. Strafverfahren, 1976, S. 24; Rieß, Karl Schä'fer-Festschr., 1980, S. 180; Weiter, GA 1980, S. 88. 581 Krümpelmann, in: Müller-Dietz, Hrsg., Strafrechtsdogmatik etc., S. 50; den., ZStW 82. Bd. (1970), S. 1053; KkinbieektUattistbaysky, Das Recht der Untersuchungshaft, 1977, S. 107, Fn. 2; Welter, ZStW 93. Bd. (t 981), S. 495; Arbeitskreis Sirafpro^eßreform, Amtlttng u, a., Die Untersuchungshaft, 1983, S. 54. 582 BVerfGE 40, S. 276 ff, 284 f; s. auch BVerfGE 35, S. 202 ff, 235. 583 Vgl. näher z. B. Cailiess, Strafvollzugsrecht, 2. Aufl. 1981, S, 50; CalliesslMalierDtetz, StVollzG, 3. Aufl. 1983, §4, Rdn. 3; GrtmaujTitsier, StVoIlzG, 2. Aufl. 1982, §4, Rdn. 1; Böbm bei Schwind/Böhm, StVollzG, §4, Rdn. 4; Bericht u. Antrag des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform zum StVollzG-Entw., BT-Drucks. 7/3998 v, 29. 8. 975, S. 6; OLG Gelle, ZfStrVo 1980, S, 184. 584 Vgl. z. B. M aller-Die f%, S traf Vollzugs recht, 2. Aufl. 1978, S. 87, 256 f; Hoffmeyer, Grundrechte im Strafvollzug, 1979, S, 182 f. Gegen die „modische Idee", „Behandlung sei nur mit Zustimmung des zu Behandelnden auf der Ebene der Freiwilligkeit möglich", Böhm aaO. (vorige Fn.) Rdct. 5. 580
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VI. Grundsätze des Untersuchungshaftvollzugs
Für den Strafvollzug wird die Ansicht vertreten, die Mitwirkung des Gefangenen an Präventions- und Wiedereingliederungsmaßnahmen, 2. B. an Fortbildungskursen oder gruppentherapeutischen Gesprächs kreisen, dürfte ihm gegenüber Resozialisierungsunwilligen bei anderen Vollzugsentscheidungen Vorzüge ein bringen, etwa die begehrte Zugehörigkeit zu einer Freizeitgruppe mit begrenzter Teilnehmerzahl oder eine beliebte Arbeit585. Dies kann im Strafvollzug im Hinblick auf § 2 Satz l, § 4 Satz l StVollzG angebracht und vertretbar sein. Für den Vollzug der Untersuchungshaft aber ist an der uneingeschränkten Entscheidungsfreiheit des Inhaftierten, an Förderungsmaßnahmen teilzunehmen oder nicht, festzuhalten und auch jeder über die Vollzugsgestaltung ausübbare mittelbare Zwang auszuschließen. Allerdings vermag der inhaftierte Beschuldigte ähnlich dem in Freiheit befindlichen und anders als der bereits verurteilte Strafgefangene einem gewissen Zwang, therapeutische Angebote anzunehmen, zu unterliegen, weil § 46 Abs. 2 StGB dem Verhalten eines Täters nach der Tat Einfluß auf das Maß einer zu erkennenden Strafe einräumt. So kann sich z. B. der einer Körperverletzung, als Alkoholtäter oder Autodieb Verdächtige einem gesetzlichen „Kooperationszwang"586 ausgesetzt sehen, wenn in der Untersuchungshaftanstah verhaltenstherapeutische Kurse angeboten werden587, in denen zu lernen ist, wie zu Schlägerei, Alkoholmißbrauch oder Autodiebstahl verführende Situationen zu bestehen sind588; denn die Teilnahme an dem Kurs ist ein Verhalten nach der Tat, das mit ihr in Zusammenhang steht, auf ihre Ablehnung, auf Besserungsbemühungen und geringere Gefährlichkeit schließen laßt und deswegen bei der Strafzumessung zu berücksichtigen ist589.
585
Vgl. Böhai bei Schwind/Böhm, StVollzG, § 4, Rdti. 8; Schach, in: Kaiser u. a., Strafvollzug, 3, Aufl., S. 110;_/#«g, Das Strafvollzugsgesetz u. die „Öffnung des Vollzugs", ZfStrVo 1977, S. Soff, 88f; krit. Grttnau, Über den Regelurlaub des Strafgefangenen, DRiZ 1978, S. 111 ff, 112, 586 Jtrng, ZfStrVo 1977, S. 88. 597 Vgl. Kury, Behandlungsnotwendigkeit und -möglichkeit bei dissozialen Jugendlichen, in: Pselmaier, Hrsg., Training sozialer Verhaltensweisen, 1980, S. 23 ff, 35 ff; Wet^stein, Einf. in das Training sozialer Verhaltensweisen bei dissozialen Jugendlichen, ebda. S. 53 ff; ß/umettbfrg,' Jugendliche in der Untersuchungshaft, ZfStrVo 1978, S. 139 ff, 144; s. auch AfarfiJHJBeyer, Arbeitstherapie in einer Untersuchungshaftanstalt, ZfStrVo 1979, S, 169f. 58S Vgl. Pi(lmauT\Wet^_stem\BlumtnbtTg\Kttry, Die Trainingseinheiten, bei Pielmaier aaO. (vorige Fn.), S, 72 ff, 100 ff, 112 ff, 116 ff, 168 ff. 585 Vgl. z. B. Sptndel, Die Begründung des richterlichen Strafmaßes, NJW 1964, S. 1758 ff, 1764; Herstkotte, Die Vorschriften des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafrechts über die Strafbemessung, JZ 1970, S, 122 ff, 125; Heri%, Das Verhalten des Täters nach der Tat, 1973, S. 120 f; Bruns, Strafzumessungsrecht, 2. Aufl. 1974, S. 572, 577 f; Stree, in; Schönke/Schröder, StGB, 21. Aufl. 1982, § 46, Rdn. 39; RG JW 1926, S, 820; BGHSt l, S. 105 ff, 106.
3. Gestaltung unter kriminalpräventiven Gesichtspunkten
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Der Unschuldsvermutung widerstritte ebenfalls eine gesetzliche Regelung, mit der die Notwendigkeit einer Mitwirkung des Inhaftierten im Behandlungsprozeß entsprechend § 4 StVollzG590 zum Ausdruck gebracht würde, und auch die dem Strafgefangenen auferlegte Pflicht, Behandlungsmaßnahmen, wenn schon nicht aktiv zu unterstützen, so doch zu dulden591. Der Untersuchungsgefangene hat das Recht, sich resozialisierenden Maßnahmen im Vollzug zu entziehen und in Ruhe gelassen zu werden592, und seine Stellung im Strafprozeß ermöglicht es nicht nur, sondern kann es in seinem Kampf um einen Freispruch gradezu gebieten, selbst die wohlmeinendsten therapeutischen Ratschläge entschieden als unangebracht zurüc kzu weisen553. bb) Angebote so^ialstaailicber und kriminalpräventmr Maßnahmen
Dies führt zu der Frage, ob im Hinblick auf die Unschuldsvermutung im Vollzug der Untersuchungshaft dem Beschuldigten solche, unstreitig als angebracht und notwendig angesehenen Angebote unterbreitet werden dürfen, die über Maßnahmen zur Freizeitgestaltung und Hafterleichterung hinausgehend darauf gerichtet sind, einer Dissozialität zu begegnen und den Inhaftierten zu behandeln, also seine Fähigkeiten und seinen Willen zu stärken, in Freiheit ein Leben ohne Straftaten und in sozialer Verantwortung zu führen. In Betracht kommen Aus- und Weiterbildungsmaßnahrnen, allgemeine Hilfsangebote, Entlassungsvorbereitungen, Gesprächs- und Gruppentherapien, aber auch medizinische Behandlungen. Obwohl mit solchen Angeboten entgegen der Unschuldsvermutung wenigstens zum Ausdruck gebracht werden kann, der nur Beschuldigte sei bereits behandlungs- und resozialisierungsbedürftig594, wird die Frage zunehmend be590
Vgl, CaitiessjMal/er-Dietz, StVollzG, 3. Aufl., § 4, Rdn. 5. S. zum Strafvollzug Böbm bei Schwind/Böhin, StVbilzG, § 4, Rdn. 4 f; Afey, ebda., §6, Rdn. 2; CaüitsslMüller~Diet%, StVollzG, 3. Aufl., §6, Rdn. 1; EntwStVollzG, BTDrucks. 7/918 v, 23. 7, 1973, Begr. S, 48; s. aber auch CailieajMiiiitr-Diei^ aaO., § 4, Rdn. 4, S. 42 f, 592 Anders für den Strafvollzug Höhnt bei Schwind/Böhm, StVollzG, § 4, Rdn. 4; den., Strafvollzug, 1979, S. 22; abw. wohl Caiiitss, Strafvollzugsrecht, 2. Aufl., S. 51; zum Untersuchungshaftvollzug wie hier Mütttr-Diet^, Strafverteidiger 1984, S. 83. 593 S. Roxiii) in: Göppinger/Kaiser, Hrsg., Kriminologie u. Strafverfahren, 1976, S. 24; vgl. auch v. Holt^endorjf, Hdb, d. dt. Strafprozeßrechts, 1879, S, 355. Abwegig Mty, Gestaltung der Untersuchungshaft, in: Tagungsberichte det Jugendstrafvollzugskomrn., 9. Bd., 1979, S. l ff, 4, 6, 23 („Die UnschuldsVermutung ist eine praktisch bedeutungslose Hypothese"). 594 Krauß, in: Müller-Dietz, Strafrechtsdograatik und Kriminalpolitik, S. 156, betont wie schon Wimmer, ZStW 80. Bd. (1908), S, 375, der Richter habe „alles zu unterlassen, was den Anschein erwecken könnte, man habe es nicht (mehr) mit einem bloß Verdächtigen zu tun". Dies gilt im Vollzug der Untersuchungshaft als strafprozessualer Maßnahme nicht nur für die nach § 119 Abs. 6 StPO richterlich getroffenen Anordnungen, sondern entsprechend für von der Vollzugsbehörde unterbreitete Angebote. 591
216
VI. Grundsätze des Untersuchungshaftvollzugs
jaht 595 , wenn auch zuweilen nur zurückhaltend 596 , Doch die Frage stellt sich für den Regelfall gar nicht, hat demnach bereits theoretisch schon keineswegs die Bedeutung, die anzunehmen die umfängliche Diskussion nahelegt, und ist angesichts der bestehenden praktischen Möglichkeiten597, die im Vollzug der Untersuchungshaft weitgehend nicht einmal in Angriff genommen, geschweige denn ausgenutzt sind558, erst recht nahezu bedeutungslos. Denn der Ausdruck einer Schuldvermutung ist tatsächlich mit den meisten der möglichen Hilfsangebote nicht verbunden oder braucht jedenfalls nicht mit ihnen verbunden zu werden, weil die besondere psychische und soziale Notlage vieler Untersuchungsgefangener unabhängig von dem Tatverdacht vielfältige Hilfen und menschliche Zuwendung dringend verlangt. Diese sind sozialstaatlich und unabhängig von einem umstrittenen Resozialisierungsauftrag des Strafverfahrens auch als kriminalitätsvorbeugende Maßnahmen geboten oder angebracht, zudem vielfach erforderlich, um entsozialisierenden Wirkungen des Freiheitsentzugs zu begegnen und somit dem Gegensteuerungsgrundsatz zu genügen. Ohne Verletzung der Unschuldsvermutung sind beispielsweise nicht nur Angebote sinnvoller Freizeitgestaltung zu unterbreiten, sondern auch hilfreiche Aus- und Fortbildungs-, Beschäftigungs- und vor allem Arbeitsmöglichkeiten599, die der Zeit in Untersuchungshaft „Sinn und Inhalt"600 595
So z. B. Roitbaus, NJW 1973, S. 2272; Schock, in: Kaiser u. a., Strafvollzug, 3. Aufl., S. 113; Baumann, EntwUVollzG, S. 12 f, 23 f; Dünkel, in: Dünkel/Rosner, Die Entwicklung des Strafvollzuges etc., 2. Aufl., S. 29; Böhm, Strafvollzug, S. 205; Preusker, ZfStrVo 1981, S. 136; Müller-Diet%, Festscht, Dünnebier, S. 91 f; Heiler, Anordnung u. Vollzug der Untersuchungshaft unter verfassungsrechtlichen Aspekten, in: Jung/Müller-Dietz, Hrsg., Reform der Untersuchungshaft, 1983, S. 47 ff, 72 f; Marti/njBeyer, ZfStrVo 1979, S. 169; Mäller-Diet^, Strafverteidiger 1984, S. 85 f; Kaiser, Festschr. Jur. Gesellsch. Berlin, 1984, S. 311 f. 5% Woher, ZStW 93. Bd. (1981), S. 495; Arbeitskreis Strafpro%eßreform, Amelung u. a., Die Untersuchungshaft, S. 54. Ausdrückliche Ablehnung erfahrt die Meinung, die Resozialisierungsbemühungen auf freiwilliger Grundlage zuläßt, soweit ersichtlich, nicht; s. aber ob. S. 184 mit Fn. 423. 597 Pessimistisch beurteilt die bestehenden praktischen Möglichkeiten einer spezialpräventiven Gestaltung der Untersuchungshaft z. B. Krümpelmenn, in: Göppinger/Kaiser, Hrsg., Kriminologie u. Strafverfahren, 1976, S. 50; s. weiter Müller-Diet^, Festschr. Dünnebier, 1982, S. 91. 598 S. 2, B, Baumann, EntwUVollzG, S. 12f; Arbeitskreis $trafpro%eßreform, Amelung u. a., Die Untersuchungshaft, S. 53 f; Rottbaas, NJW 1973, S, 2271. 5W Die Forderung nach Angeboten sinnvoller Arbeit im Untersuchungshaftvollzug ist so alt und so einhellig (vgl. z. B. Krohne, Lb. d. Gefängnis künde, 1889, S. 499; Kieet GA 55. Bd. (1908), S. 263; Rotthaus, NJW 1973, S. 2270; Fuck, in: Bundeszusammenschluß für Straffälligenhilfe, Hrsg., Gemeinsam den Rückfall verhindern, 1975, S. 90 f; Martijn] Beyer, ZfStrVo 1979, S. 169f; Preusker, ZfStrVo 1981, S. 135; Baumann, EntwUVollzG, 1981, S. 25; Arbeitskreis Strafpro^eßreßrm, Amelung u.a. Die Untersuchungshaft, 1983, S. 54) wie die Schwierigkeit beachtlich ist, für Untersuchungshaftanstalten sinnvolle Arbeitsangebote zu finden (s. z. B. Böhm, Strafvollzug, 1979, S. 204; Wetidisck bei Löwe-
3, Gestaltung unter kriminalpräventiven Gesichtspunkten
217
geben können, einzuräumen. Ebenso wird das vielfach notwendige Angebot, Schulden der Inhaftierten im einzelnen festzustellen und bei deren Regulierung nach Möglichkeit behilflich zu sein601, so wie die unerläßliche Entlassungsvorbereitung602 oder das Angebot von allgemeinbildenden Lehrgängen603 regelmäßig nicht mit einem Tatvorwurf in Zusammenhang gebracht werden können. Selbst das Angebot von Trainings kursen604, in denen die Bewältigung alltäglicher Konflikt- und Problemsituationen gelehrt wird, ist wie das Kursprogramm einer Volkshochschule, das der Bevölkerung unterbreitet wird, jedenfalls dann nicht mit einem Schuldvorwurf versehen, wenn es allgemein an die Inhaftierten einer Vollzugsanstalt gerichtet, also nicht konkret auf einzelne Beschuldigte und deren aus dem Tatvorwurf etwa abgeleitete, besondere Defizite bezogen ist. Es mag eingewandt werden, die humanitären Hilfen und die den schädlichen Haftwirkungen begegnenden Betreuungs- und Förderungsprogramme seien wie solche kriminalitätsvorbeugenden Maßnahmen, die ebenfalls keinen Resozialisierungsanspruch voraussetzen, kaum je von Eingliederungsmaßnahmen zu trennen, die auf der der Unschuldsvermutung widerstreitenden Annahme einer aus dem Tatverdacht gefolgerten Resozialisierungsbedürftigkeit beruhen. Diese Annahme, die also mit den erwähnten Angeboten verbunden sein oder als verbunden gesehen werden kann, aber nicht muß, ist jedoch, sofern sie nicht an dem Fall des einzelnen Beschuldigten konkretisiert und betont wird, eine allgemeine. Als solche tritt sie bei den weitaus meisten der in der Diskussion befindlichen Angebote m den Hintergrund, weil diese wenigstens vornehmlich schon aus dem Sozial-
Rosenberg, 24. Aufl., § 119, Rdn. 110; Müller-Diet^, Strafverteidiger, 1984, S. 86; anders wohl Krohae aaO., der die Behauptung, es gebe keine Arbeit für Untersuchungsgefangene, als einen Vorwand bezeichnete). Die vielfach de lege ferenda erhobene Forderung, dem Untersuchungsgefangenen ein Recht auf Arbeit einzuräumen (s, schon Krohne und K/ee, jew, aaO.; u. z. B. Jugtndstrafvoll%ugikommisuii, Schlußbericht, 1980, S. 64; Prtuskcr aaO,; Baumann, EntwUVollzG, S. 22, 25, diesem wohl zust. Mülkr-Diet^ Festschr, Dünnebier, S. 92), ist die folgerichtige Konkretisierung sozialstaatlicher Verpflichtung. 600 Rations, NJW 1973, S. 2271. S. auch Arbeitskreis Strafpre^sßreform, Amtlmg u, a., Die Untersuchungshaft, S. 54, der ebenfalls feststellt, daß diese Angebote die Unschuldsvermutung nicht berühren. 601 Zur hohen Verschuldung vieler Untersuchungsgefangener s. Fmk aaO. (S. ob, Fn. 599), S. 89 f; vgl. weiter Baitmann, Entw UVollzG, S. 32 f, 91; ]mg\" Malier-Diet%, Reform der Untersuchungshaft, S, 21; Mülkr-Diet^, Strafverteidiger 1984, S. 86; u. näher Setbodt, Verbrechensverhütung durch staatl. Hilfe bei der Schul den reg u lie rung Straffälliger, ZRP 1983, S. 174 ff. 402 S. z.B. nur Behm, Feschr. Dünnebier, S, 689f; Pnusker, ZfStrVo 1981, S. 135; Fuck aaO. (Fn, 599), S. 92.ff; Geppert, ebda. S. 112f; Baumann aaO. (vorige Fn.); Döschl u. a, (Anstaltsleiter), EntwUVotlzG, §§ 56 f, 603 S. z. B. Knörnsckild, ZfStrVo 1973, S. 45 f; Battmarm, EntwUVoilzG, S. 23, 604 Vgl. Pielmaier, Training sozialer Verhaltensweisen, 1980; Battmann aaO. (vorige f* n Oi Jxgftidstraß/6ll%ugskßnimission, Schlußbericht, S. 63.
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VI. Grundsätze des Untersuchungshaftvollzugs
Staatsgedanken und dem Gegensteuerungsgrundsatz zu entwickeln sind, Dies muß dazu führen, die mit den zur freiwilligen Annahme gestellten allgemeinen Hilfs- und Sozialisationsangeboten allenfalls noch anklingende Verletzung der UnschuldsVermutung zurücktreten zu lassen hinter der sozialstaatlichen Verpflichtung, Gefangenen Hilfen anzubieten, die den Haftalltag erleichtern, die Haftzeit keine verlorene oder gar schädliche sein lassen und der Kompensation persönlicher und sozialer Defizite dienen. Wohl kann das Prinzip der Unschuldsmutung »theoretisch in ungetrübter Konsequenz entwickelt werden"605, doch angesichts „der harten Wirklichkeit des praktischen Lebens"*05 im Untersuchungshaftvollzug, die zur sozialen Förderung des Inhaftierten und zu Integrationshilfen herausfordert, sind das Sozialstaatsgebot und die Notwendigkeit kriminalpräventiver Haftgestaltung nicht zu übersehen. Die Rechtsvermutung der Unschuld verbietet es demnach nicht, sowohl einem „sozialstaatsfeindlichen"606 Mißverständnis des Haftrechts als auch dem in praxi zu verzeichnenden „sozialstaatlichen Defizit des heutigen Untersuchungshaftvollzuges"607 mit der Einführung oder dem Ausbau von allgemeinen sozialen Hilfs-, FÖrderungsund Eingliederungsangeboten ein Ende zu bereiten. Für spezielle Angebote an einzelne Gefangene kann anderes gelten. Denn im Ausnahmefall vermag ein Schuldverdacht mit einem Hilfs- oder Sozialisationsangebot auch derart zum Ausdruck zu kommen und in den Vordergrund zu treten, daß das Angebot mit der Rechtsstellung des lediglich beschuldigten Inhaftierten unvereinbar ist, die Annahme des Angebots gar als Geständnis verstanden werden könnte und einem Bemühen um Freispruch zuwiderliefe. Dies ist, wie bereits angedeutet, der Fall, wenn die Maßnahme einer aus der angelasteten Tat hergeleiteten besonderen Gelegenheit kriminalpräventiv begegnen soll und deshalb gerade dem einzeln Verdächtigen vorgeschlagen wird, So ist einem wegen des Verdachts eines Sexualdelikts Verhaftetens eben weil aus dem Tatvorwurf sexuelle Abartigkeit herleitbar ist, aber auch nur aus ihm und nicht aus einer Verurteilung, in der Untersuchungshaft keine Behandlung vorzuschlagen, die der Veranlagung entgegenwirkt. Das Recht des Beschuldigten, das Angebot beispielsweise einer Androcur-Therapie608 abzulehnen, nimmt dem Vorschlag nicht die in ihm entgegen der Unschuldsvermutung enthaltene und zum Ausdruck kommende Annahme, er sei ein zu behandelnder Sexualtäter. Entsprechend ist der wegen des Verdachts mehrerer gefa'hrli605
Vgl, Sax, in: Die Grundrechte, hrsg. v. Bettermann u. a., Bd, HI/2, S. 991, der mit diesen Worten in bezug auf die Unschuldsvermutung den Kompromiß als unvermeidlich beschreibt, den das deutsche Strafverfahren mit seinem Amtsprozeß eingeht. 506 Woittr, ZStW 93, Bd, (1981), S. 452. 607 Mülhr-Diet^ Festschr. Dünnebiet, S. 92; den., Strafverteidiger 1984, S. 85. 608 Vgl. H.J. Hörn, Der derzeitige Stand der Androcur-Behandlung, in: Göppinger/ Bresser, Hrsg., Sozialtherapie etc., 1982, S. 119 ff.
3. Gestaltung unter kritninalpräventiven Gesichtspunkten
219
eher oder schwerer Körperverletzungen Inhaftierte nicht gezielt auf die Teilnahme an verhaltenstherapeutischen Kursen anzusprechen, in denen Konfliktsituationen von der Art nachgestellt werden, denen er nach dem Tatvorwurf zum Opfer fiel. cc)
Pfrsönliebkeiiserforscbang
Die Erforschung der Persönlichkeit des Untersuchungsgefangenen ist von dreifachem Wert. Sie kann eine individuelle Haftgestaltung begünstigen, hat Gewicht für die richterliche Entscheidungsfindung im laufenden Strafverfahren und vermag eine Grundlage zu schaffen für Behandlungsmaßnahmen, die bereits im Vollzug der Untersuchungshaft anzubieten, vor allem aber im nicht selten sich anschließenden Vollzug einer Freiheitsstrafe durchzuführen sind. Es wird deshalb vielfach bedauert, daß während der Untersuchungshaft, insbesondere in der an jungen (minderjährigen und erwachsenen) Gefangenen, derzeit keine oder nur eine sehr unzulängliche Erforschung der Persönlichkeit des Inhaftierten stattfindet609, und Jürgen Baumann schlägt in bezug auf junge Untersuchungsgefangene de lege ferenda „eine gegenüber dem Erwachsenenvollzug intensivierte Beobachtung und Persönlichkeitserforschung" vor610, Die besondere und vielfältige Bedeutung, die die Erforschung der Persönlichkeit des Beschuldigten wie des Verurteilten für die Anwendung allen Strafrechts gewonnen hat und die z. T. bereits gesetzlich zum Ausdruck kommt (§ 160 Abs. 3 StPO, §§ 38, 43, 50 Abs. 3, 73 JGG, § 6 StVotlzG), ist nur zu betonen611 und nicht zu bestreiten612. Doch erhebliche Bedenken 609
Vgt, Würlersberger, Die Beurteilung der Persönlichkeit des Rechtsbrechers vor dem richterlichen Urteil, NJW 1952, S. 249 ff; Grunau, U Voll zO-Komm., 2, Aufl., Bern, zu Nr. 79, S. 164; Fuck, in: BundeszusammenschJuß f, Straffälligenhilfe, Hrsg., Gemeinsam den Rückfall verhindern, S, 87; Oberthür, Kriminologie in der Strafrechtspraxis, 1976, S. 58 ff; Kreuzer, RdJ 1978, S. 349 f; Böhm, Einf. in das. Jugendstrafr., S. 89; Eisenbardt, Strafvollzug, S. 175 ff; Brunner, JGG, 7, Aufl., §38, Rdn. 11; Baumann, EntwUVollzG, S. 129. 610 Baumann aaO. (wie vorige Fn.); nach §70 seines Entw. (§116 des in der Reihe „Recht und Staat", H. 506/507, veröff. Entw.) haben „der Anstaltsleiter und die von ihm beauftragten Beamten . . . den Gefangenen zu beobachten, seine Persönlichkeit zu erforschen . , . und alle zur Beurteilung wichtigen Ergebnisse schriftlich festzuhalten". S, auch Nr. 79 UVolIzO. 611 Vgl. z. B. Peters, Strafprozeß, 3. Aufl., S. 177 ff, 271, 568; ders., Kriminalpädagogik, S. 240; Zipf, Reform des Strafverfahrens rechts, in: Hdw. d, Kriminologie, 2. Aufl., hrsgg. v. Sieverts/Schneider, Bd. 4, 1979, S, 121 ff, 125; Stöcke!, Der Sozialdienst in der Justiz, Bruns-Festschr., 1978, S. 299 ff, 302 f; Eottke, Bemerkungen zur Gerichtshilfe für Erwachsene, MKrim 1981, S. 62 ff, 64 f; Eisenbtrg, JGG, §38, Rdn, 12; CarliessIMüllcrDkt^, StVoüzG, 3. Aufl., § 6, Rdn, 2; Grossmann, Die Persöntichkeitserforschung des inhaftierten Rechtsbrechers, 1972, S. 1; Rabn, Gerichtshilfe für Erwachsene — eine vordringliche Aufgabe, NJW 1973, S. 1357 ff; Seebode, BKA-Vortragsreihe, Bd. 26, S. 114f. 612 Berechtigte Skepsis äußert aber wegen „der bestehenden Probleme einer sicheren
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VL Grundsätze des Untersuchungshaftvollzugs
bestehen gegen eine mit dem Vollzug der Untersuchungshaft verbundene Persönlichkeitserforschung1513, die über die Ermittlungen hinausgeht, die zur Person eines in Freiheit befindlichen Beschuldigten möglich und zulässig sind. Die Bedenken leiten sich im wesentlichen daraus her, daß erstens die Untersuchungshaft eben kein „kriminalpädagogisches Instrument"614 ist oder werden darf615, sondern der Unschuldsvermutung untersteht und nur die Rechtseingriffe zuläßt, die die in § 119 Abs. 3 StPO genannten öffentlichen Interessen erfordern, daß zweitens die Ergebnisse der Persönlichkeitsermittiungen sich für den Beschuldigten jedenfalls aus seiner Sicht keineswegs nur günstig auszuwirken brauchen und daß sie schließlich der Staatsanwaltschaft übermittelt werden616 und dem in der Sache «kennenden Gericht zugänglich sind617 oder jedenfalls zur Verfügung gestellt werden sollen. Nicht zuletzt setzen Art. 2 Abs. l i. V. m. Art. l GG, das allgemeine Persönlichkeitsrecht und der notwendige Schutz der Privatsphäre jeder Persönlichkeitserforschung Grenzen618. Der Unschuldsvermutung widerstreitet es, dem Vollzug der Untersuchungshaft auch nur beiläufig die Aufgabe zu stellen, zur Vorbereitung des Vollzugs einer doch nur möglichen Strafe die Persönlichkeit des Verdächtigen zu erforschen. Dasselbe gilt für die Begründung, der Vollzug sei für Erkenntnisse zur Person des Inhaftierten zu nutzen, um die doch noch keineswegs sichere Rechtsfolgenentscheidung des Gerichts auf eine breitere Tatsachengrundlage zu stellen619. Weil die Erkenntnisse der Persönlichkeitserforschung sich sowohl im etwaigen Strafvollzug wie auch im Strafprozeß für den Beschuldigten nachteilig auswirken können (Vollzugslockerungen; Strafart und -maß, Strafaussetzung zur Bewährung, Gefahrüchkeitsprognose bezügl. Maßregelverhängung), stellte die zusätzliche Vollzugsaufgabe den verhafteten Verdächtigen im Vergleich zu dem auf freiem Fuß befindlichen ohne sachlichen Grund, ungerechtfertigt und dem Wesen der Untersuchungshaft zuwider schlechter (Art. 3 Abs. l GG). Dies wäre um so unerträglicher und Persönlichkeits beurteil ung" Kaiser, in: Kaiser u. a., Strafvollzug, 3. Aufl., S. 208; s. auch B'öhm, Strafvollzug, S, 88; Mro^ynsfd, Jugendhilfe u. Jugendstraf recht, 1980, S. 235. 613 Allgemeine Bedenken macht Rottbam, NJW 1973, S. 2272 f, u. in bezug auf die Unschuldsvermutung Walter, ZStW 93. Bd., 1981, S. 495 f, geltend. 614 So wohl Kreuzer, RdJ 1978, S. 350; s. auch Preusker, ZfStrVo 198t, S. 136, u. dazu schon Mülkr-Diet^, Strafverteidiger 1984, S. 83. 615 S. ob. Abschn. V/2 a), S. 65 ff. 616 S. § 160 Abs. 3 StPO, §38 JGG; Nr. 7 UVollzO u. Rahrt, NJW 1973, S. 1358; Eisenberg, JGG, § 93, Rdn, 16; Brstnner, JGG, 7. Aufl., § 93, Rdn. 7. 617 Umstritten ist lediglich,, wie die Erkenntnisse zur Persönlichkeit des Beschuldigten in die Hauptverhandlung eingeführt werden; vgl. z. B, R. Maller, KarlsrKornm., § 160, Rdn. 36 ff; Peters, Strafprozeß, 3. Aufl., S. 181, 569 f; Eisenberg, JGG, § 38, Rdn. 49, 618 S. statt vieler z. B. nur Peters, Strafprozeß, 3. Aufl., S. 505; Eistaberg, JGG, § 43, Rdn. \lv,W. Schmidt, Die bedrohte Entscheidungsfreiheit, JZ 1974, S. 241 ff; BVerfGE 34, S. 238 ff, 245; BVerfG, NJW 1984, S. 419 ff, 421. 419 Ebenso Wolter, ZStW 93. Bd., 1981, S. 495 f.
3. Gestaltung unter kriminalpräventiven Gesichtspunkten
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unverständlicher, als Einigkeit darüber besteht, daß die Untersuchungshaft nicht zur Tataufklärung mißbraucht, etwa auf Erlangung von Geständnissen angelegt werden darf620, die Ermittlungen zur Persönlichkeit aber keineswegs immer oder von vornherein von solchen zur Tat und zur Schuld zu trennen621 und im übrigen wegen ihres Gewichts622 für die Strafzumessung und die nach dem materiellen Strafrecht vielfach zu treffenden Prognosen denen zum Tathergang oft wenigstens gleichzustellen sind. Unstreitig darf der Untersuchungsgefangene nicht mit anderen Personen zusammengelegt werden, „um ihn über einen Sachverhalt auszuforschen" (Nr. 9 Abs. 2 UVollzO)623, Entsprechend darf kein Anstaltspsychologe oder Mitarbeiter des sozialen Dienstes die Aufgabe haben, den Gefangenen in seiner Zelle aufzusuchen, um mit der so notwendigen und erwarteten Betreuung und sozialen Hilfe in der psychischen und sozialen Ausnahmesituation des Inhaftierten eine gerichtlich verwertbare Erforschung seiner Persönlichkeit ohne seinen Willen zu verbinden. Dies belastet die gebotene Betreuung nicht nur erheblich624, sondern ist auch mit einem fairen Prozeß unvereinbar625. Bei Untersuchungshäftlingen hat demnach Persönlichkeitserforschung grundsätzlich nicht anders stattzufinden als bei freien Beschuldigten. Der verhaftete Verdächtige wäre sonst zusätzlich betastet, beispielsweise zu Heuchelei, zu verstelltem Verhalten, zu ständigem Mißtrauen gegenüber dem Vollzugspersonal und zu Fehlreaktionen auf Hilfsangebote veranlaßt626. Dies bedeutet, daß die Ermittlungen zur Persönlichkeit des Beschuldigten auch während seiner Zeit in Untersuchungshaft der Gerichtsund Jugendgerichtshitfe obliegen627. Anderes kann nur gelten, wenn der 620
S. ob. Abschn. V/2a, S. 66 u. Nr. 9 UVollzO. Vgl. z. B. Rottbaui, NJW 1973, S. 2272; Bottke, MKrim 1981, S. 75; Meytr-Goßiur bei Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., § 160, Rdn, 24, Man denke nur an die Geständnisse, die in vertrauensvoller Atmosphäre abgelegt werden. 022 Vgl. Ptters, Der neue Strafprozeß, 1975, S. 114 („außerordentliche Tragweite, die die Feststellung persönlicher Umstände hat"), 623 S. z.B. Boejoag, KarlsrKornm., §136 a, Rdn. 27; Ptttrs, Strafprozeß, 3. Aufl., S. 280; GmaaH, UVollzO-Komm.; Bern, zu Nr. 9, S. 33 f. 624 In der Justiz Vollzugsanstalt Oelzen wird deshalb von einer Persönlichkeitserforschung durch die Betreuer abgesehen, vgl. Brandler, in: Dt. Vereinigung f. Jugendgerichte etc., Hrsg., Jugendgerichtsbarkeit u. Soziatarbeh, S. 184; s, auch Matiig, Rolle u. Rollenkonflikte des Jugendgerichtshelfers, ebda. S. 102 ff; Möller zu dems. Thema, ebda. S. 113 ff; Grossmann, Die PersÖnlichkettserforschung etc., S. 4; Eisetsberg, JGG §38, Rdn, 37; Bottke, Das Jugendamt als ermittelnde Jugendgerichtshilfe — ein Unding?, ZBIJugR 1980, S. 12 ff, 14 f; Kreuzer, RdJ 1978, S. 350, hält den Rollenkonftikt für „pädagogisch lösbar". 6a Bottke, MKrim 1981, S. 71. 626 Vgl. zu den entsprechenden Schwierigkeiten einer Persönlichkeitserforschung im Vollzug z. B. Grossmann, Die Persönlichkeitserforschung etc., S. 13 f, 60, 74 f; Jugendhilfe u. Jugendstrafrecht, S. 235. 627 So auch Brandler aaO. (ob. Fn, 624). 621
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VI. Grundsätze des Untersuchungshaft Vollzugs
Untersuchungsgefangene wünscht, daß der Anstaltspsychologe, ein Mitglied des sozialen Dienstes oder ein sonstiger Angehöriger des Vollzugsstabes die Aufgabe übernimmt628, Die erforderliche Freiwilligkeit erscheint damit jedoch noch nicht ausreichend gesichert. Denn der Untersuchungsgefangene befindet sich in einer psychischen und sozialen Ausnahmesituation, in der er noch weniger als der auf freiem Fuß befindliche Beschuldigte erkennt, wie „risikobeladen"629 für ihn wenigstens vordergründig als Hilfen erscheinende Gespräche sein können, und in der er zudem besonders „ansprechbar und zur Mitarbeit bereit"630 ist, ohne gleichzeitig unter den Hafteinflüssen entsprechend verteidigungsfahig zu sein631. Wegen der Bedeutung der Persönlichkeitserforschung für die richterliche Entscheidung ist deshalb, insbesondere, wenn dem Explorateur kein Zeugnis verweigerungsrecht zusteht oder gesetzlich eingeräumt wird652, davon auszugehen, daß er in analoger Anwendung der §§ 163 a Abs. 3 S. 2, 163 a Abs. 4 S. 2, 136 Abs. l S. 2 StPO jedenfalls den Verhafteten Beschuldigten darüber zu belehren hat, daß eine Persönlichkeitserforschung stattfindet und es ihm freisteht033, daran mitzuwirken634.
628
Vgl. Breadkr aaO.; Rottbau, NJW 1973, S. 2272f. *» Bettkt, MKnm 1981, S. 70, 630 Gerpert, in; Bundeszusammenschluß f. Straffälligenhilfe, Hrsg., Gemeinsam den Rückfall verhindern, S. 109 f; Brunner, JGG, 7. Aufl., §93, Rdn. 7. Ehenberg, ]GG, §93, Rdn. 16, äußert gerade wegen dieses Umstandes „erhebliche Bedenken" gegen die PersÖnÜchkeitserforschung, 01 S. ob. Abschti. V/2 a, S. 67; VI/3a, S, 189. «2 S. dazu z. B. Kleitthiechtj Meyer, StPO, 36, Aufl., §53, Rdn, 15f; Eisenberg, JGG, § 38, Rdn. 30, Jew. m. w, Nachw.; Peters, Strafprozeß, 3, Aufl., S. 569; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte im geltenden und künftigen Strafverfahren, 1979, S. 154 ff m, w. Nachw.; Rotthaus, NJW 1973, S. 2272; Bottke, ZBIJugR 1980, S. 16 f. 6i3 Das Erfordernis der Freiwilligkeit betont jüngst Mittler-Diet^, S traf verteidige r 1984, S, 83, der darauf hinweist, daß auch Ablehnung oder Annahme des Angebots einer Persönlichkeitserforschung keinen Einfluß auf das Strafverfahren gewinnen dürfen (S. 86), wegen der Aussagefreiheit zu Recht. 634 Das Gebot analoger Anwendung des § 136 Abs. l S. 2 StPO ist naher begründet von ßoiike, MrCrirrt 1981, S. 71 f; dtrs., Das Jugendamt als ermittelnde Jugendgerichtshilfe etc., ZBIJugR 1980, S. 17 ff (zust. Mro^ynski, jugendhitfe u. Jugendstrafrecht, 1980, S. 226), und zwar unabhängig von der Frage, ob die Persönlichkeitserforschung unter Freiheitsentzug stattfindet. Schon Pelers, Der neue Strafprozeß, 1975, S. 114, hat betont, daß für die Feststellung der persönlichen Urnstände dieselben rechtsstaatlichen Garantien gelten müssen wie für die Tatermittlung; s. auch Rotibaus, NJW 1973, S. 2272. Gegen, eine Belehrungspflicht z. B, Meyer-Goßner bei Löwe-Roscnberg, 23. Aufl., § 160, Rdn. 43, der sich allerdings dafür ausspricht, daß der Hinweis erfolgt. Ein Hinweis auf die Freiwilligkeit der Mitwirkung bei der Persöniichkeitsermittlung und auf die Möglichkeit einer Verwertung ihrer Ergebnisse im Strafverfahren ist im übrigen nicht nur rechtsstaatlich, sondern bei gleichzeitiger Betreuung auch zur Erhaltung deren Effektivität und des notwendigen Vertrauensverhältnisses geboten; vgl. Räkn, NJW 1973, S, 1358; Bottkt, ZBIJugR 1980, S. 17 f.
3. Gestaltung unter kriminalpräventiven Gesichtspunkten
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Wird die Erforschung der Persönlichkeit des verhafteten Beschuldigten nicht von der anstaltsexternen Gerichtshilfe, sondern der Unschuldsvermutung und der Aufgabe der Untersuchungshaft zuwider vom Anstaltspersonai betrieben, so bietet es sich an, mit einer möglichst durchgehenden Beobachtung des verdächtigen Inhaftierten und der schriftlichen Fixierung der gewonnenen Erkenntnisse ein Bild seiner Persönlichkeit unter Ausnutzung der Tatsache zu gewinnen, daß der Beschuldigte infolge seiner Verhaftung für eine Beobachtung ständig zur Verfügung steht, Grossmann hält es für „ratsam, von jedem Gefängnisinsassen einen VerhaltensbeobachtungsBogen anzulegen, der in allen Abteilungen der Vollzugsanstalt kursiert und einer möglichst lückenlosen Aufzeichnung des gesamten sichtbaren Verhaltens dient"635. Bereits die gelegentliche Aufzeichnung von Einzelbeobachtungen, die für sich genommen jeweils unbedenklich sein mag, erlangt durch Zusammenfügung den Charakter eines beachtlichen Eingriffs in die Privatsphäre und das Persönlichkeitsrecht eines Menschen. Die nahezu lückenlose Beobachtung eines verdächtigen Inhaftierten, z. B. seines Verhaltens zum Personal, seines Arbeits- und Leistungsverhaltens, seiner Körperpflege, des Verhaltens zu Mitgefangenen, sei es in der Zelle, beim Hofgang oder bei Gemeinschaftsveranstaltungen, seines Verhaltens gegenüber Kontaktpersonen, der Ordnung in seiner Zelle, der Häufigkeit und Dauer seiner Besuche, der Art seiner Besucher oder Korrespondenzpartner636, und das schriftliche Festhalten der Beobachtungsergebnisse stellen einen Eingriff in die grundgesetzlich geschützten Freiheits- und Persönlichkeitsrechte (Art. l, 2 GG) dar. Dies entspricht der heute gefestigten und im Polizei- und Datenschutzrecht anläßlich polizeilicher Personenbeobachtungen637 wie allgemein zum Schutz der Privatsphäre und Selbstbestimmung des Menschen638 entwickelten Ansicht639. Die Observation, die Sammlung einer Vielzahl von Einzelinformationen und deren Zusammenfügen zu einem „Persönlichkeitsprofil"640 treffen zum 655
Grossmaan, Die Persönlichkeitserforschung etc., S. 69; s. auch ßaumann^ EntwUVolizG, S. 128 f; Nr. 79 Abs. 2 S. 2, 3 UVollzO. 614 S. näher z.B. Grossmann aaO. (vorige Fn.), S. 70 ff, 113 ff; Oberthür, Kriminologie in der Strafrechtspraxis, S. 67. 637 Bisher als „beobachtende Fahndung" bezeichnet, s, dazu und zur Mißverständlichkeit des Begriffs Herold, in: BKA-Vortragsreihe, Bd, 25, 1980, S. 73. 6M Vgl. 2. B, nur W. Schmidt, Die bedrohte Entscheidungsfreiheit, JZ 1974, S. 241 ff, 244ff; BVerfG, NJW 1984, S. 419ff, 421f, 6J * S. z. B. Hoff mann-Riem, Abbau von Rechts Staatlichkeit durch Neubau des Polizeirechts?, J/ 1978, S. 335 ff, 336; Bull, in: BKA-Vortragsreihe, Bd. 25, 1980, S. 75; Schwan, ebda. S. 76; Riegel, Polizei- und Ordnungsrecht in der Bundesrepublik Deutschland, 1981, S. 157; ders., Probleme der polizeilichen Beobachtung und Observation, JZ 1980, S. 224 ff, 225; Seebode, in: BKA-Vortragsreihe, Bd. 26, 1981, S. 108 m. w, Nachw.; s. auch Eisenberg, JGG, 543, Rdn. 17 a. "^ Vgl. z. B. Bull, 3. Tätigkeitsbericht des Bundes beauftragten für den Datenschutz, BT-Drucks. 9/93 v. 9. 1, 1981, S. 25, u. Grossmattn, Die Persönlichkeitserforschung etc., S. 114f: „Verhaltensprofil".
224
VI, Grundsätze des Untersuchungshaftvollzugs
einen das Recht, von der Gesellschaft oder Beobachtung anderer getrennt oder frei zu sein, das nach Benda „überhaupt keiner Begründung bedarf"641, und zum ändern die grundrechtliche Freiheit vor staatlicher Inforrnationssammlung"2. Dieses Recht auf „Privatheit" steht im Rahmen des § 119 Abs. 3 StPO auch dem inhaftierten Verdächtigen zu. Die dem Zweck einer Persönlichkeitsermittlung dienende Beobachtung des Untersuchungsgefangenen und das schriftliche Festhalten ihrer Ergebnisse sind Rechtseingriffe, die der gesetzlichen Grundlage entbehren, weil sie weder auf § 119 StPO noch auf eine andere Befugnisnorm zu stützen sind. §§ 160 Abs, 3 StPO und 38 Abs. 2 JGG richten sich lediglich an die Gerichtshelfer, also an einen anstaltsexternen Sozialdienst, und dabei ist wie für §§ 163, 160 Abs. l, 2 StPO als den entsprechenden Vorschriften über die Ermittlung des Tathergangs jedenfalls für § 160 Abs, 3 StPO und wohl auch für § 38 JGG davon auszugehen, daß diese Bestimmungen nach der Systematik der Strafprozeßordnung lediglich Aufgaben zuweisen, aber schon angesichts ihrer mangelnden Bestimmtheit keine Befugnisse zu Rechtseingriffen gewähren643. Die Übermittlung der durch Observation gewonnenen und durch schriftliche Aufzeichnungen fixierten Erkenntnisse des Anstaltspersonals greift in das Recht eines jeden und mithin auch eines Untersuchungsgefangenen ein, „grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden"644. Die Weitergabe der „Persönlichkeitsprofile" oder „Verhaltensprotlle" in einem Bericht der Vollzugsanstalt an die Staatsanwaltschaft oder an eine Strafanstalt bedürfte deshalb als Einschränkung des aus Art. 2 Abs. l i. V. m. Art. l GG hergeleiteten Rechts auf „informationelle Selbstbestimmung"645 ebenfalls „einer (verfassungsmäßigen) gesetzlichen Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergeben und die damit dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entspricht"546. Eine solche gesetzliche Grundlage fehlt für Berichte der Anstalt über die Persönlichkeit eines Verdächtigen und ist 641
Benda, Gefährdungen der Menschenwürde, 1975, S, 20. S, i. B. Hoff mann-Riem, JZ 1978, S. 336; Dtnniisger, Der Schutz der Verfassung, in: Benda/Maihofer/Vogei, Hrsg., Hdb. des Verfassungsrechts, 1983, S. 1291 ff; 1325; BVerfGE 54, S. 148 ff, 155; BVerfG, NJW 1984, S. 419 ff, 421 f. M3 Vgl. zu § 160 StPO 2. B. Roxin, Strafverfahrensrecht, 17. Aufl., S. 210, u. zu § 163 StPO z.B. Meyer-Goßner bei Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., §163, Rdn.l; Setbode, BKAVortragsreihe, Bd. 26, S. 109, jew. m. w, Nachw.; Seelmattn, Zur materieHrechtl. Problematik des V-Marmes, ZStW 95. Bd. (1983), S, 798 ff, 809. 644 BVerfG, NJW 1984, S. 421, MS BVerfG, NJW 1984, S. 419 ff; u. zuvor in der Sache z. B. schon W. Sibmidt, JZ 1974, S. 244, m. Nachw. aus der engtischsprachl. Literatur; wörtlich z, B. bereits Dennittger, Die Trennung von Verfassungsschutz u. Polizei u. das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, ZRP 1981, S, 231 ff. f·*6 BVerfG, NJW 1984, S. 422. M2
3, Gestaltung unter kriminalpräventiven Gesichtspunkten
225
im übrigen für die Mitteilungen der Gerichtshelfer wegen der geringen Bestimmtheit der §§ 160 Abs. 3, 38 JGG und wegen deren fraglichen Beschränkungen auf die unerläßlichen64* Informationen zweifelhaft. ad) Junge Gefangene
Die Untersuchungshaft junger Verdächtiger wird nicht zu Unrecht als die heute „härteste Haft" in der Bundesrepublik angesehen647. Diese Praxis erklärt sich daraus, daß die nach § 119 StPO angeordneten Freiheitsbeschränkungen mit solchen kumuliert werden, die sich aus dem gesetzlichen Auftrag herleiten lassen sollen, die Untersuchungshaft Minderjähriger und junger Erwachsener (Heranwachsender) erzieherisch zu gestalten (§§93, 110 JGG).648 Für den Vollzug der Untersuchungshaft an Heranwachsenden setzt sich nach der seit 1.1. 1975 wirksamen Herabsetzung des Volljä'hrigkeitsaltets in der Lehre und allmählich auch in der Praxis die sich aufdrängende Erkenntnis durch649, daß junge wie altere Erwachsene auch als Untersuchungsgefangene keinem Erziehungsrecht unterliegen650. §§ 110, 93 JGG sind deshalb verfassungskonform nur so zu verstehen, daß die Untersuchungshaft Heranwachsender „jugendgemäß" zu gestalten ist651, dabei aber keinerlei nach § 119 Abs. 3 StPO unnötige Rechtseingriffe zulässig sind652. Dies bedeutet, daß der Vollzug und die in ihm zu unterbreitenden Hilfsund Betreuungsangebote bei jungen Erwachsenen im Rahmen des § 119 StPO auf deren altersbedingte Situation und besonderen Bedürfnisse auszurichten sind, was sich wenigstens weitgehend bereits aus den Verpflichtungen zur individuellen Haftgestaltung, zur Vermeidung schädlicher Hafteinflüsse, zur Angleichung des Haftalltags an die anstaltsexternen Lebensverhältnisse und zur Kriminalprävention ergibt. Vorschläge spezifischer Hilfen und Leistungsangebote, die die besondere Situation des jungen Untersuchungsgefangenen erfordert, Hegen vor653, sind allerdings bisher 447
Eisenbarat, Strafvollzug, S. 179. *** Eisenberg, JGG, § 93, Rdn. 15. S. auch Knttyr, RdJ 1978, S. 350 f; Waiter, MKrim 1978, S, 342. 649 Diese Beurteilung findet sich auch bei Eisenberg, JGG, § 93, Rdn. 14. m S. schon Lintk, ZRP 1971, S. 59; Sprenger, NJW 1976, S. 663; u, z. B. Stehest, JA 1979, S. 613; Mro^ynski, Jugendhilfe u. Jugendstrafrecht, 1980, S. 234; Walter, ZStW 93, Bd. (1981), S. 454; Giemuttaj Barton, RdJ 1982, S. 291; anders wohl Brmmr, JGG, 7. Aufl., §93, Rdn. 12, und auch Baitmann, EntwUVollzG, 1981, §68 Abs. 3; ätrs. in: Recht und Staat, H. 506/507, 1981, S. 55 (§ 114 Abs. 3 Entw.). 651 Bohm, Einf. in das Jugendstrafrecht, 1977, S. 92; ahnl. Jstngl Müller-Diei^, Reform der Untersuchungshaft, 1983, S. 30 („alfersentsprechende Sozia l isations angebe te"); s. auch Walter, MKrim 1978, S. 339, Fn. 10; Krtu^tr, RdJ 1978, S. 351; Blumenbtrg, ZfStrVo 1978, S. 142; Seebode, JA 1979, S. 613; Böhm, Dünnebier-Festschr., S. 688. «2 S, schon ob. S. 206f. 653 S. z. B. Kreuzer, RdJ 1978, S. 352, der u. a. treffend darauf hinweist, daß bei Gefangenen ohne Verdunkelungsgefahr die Besuchsgelegenheiten auch im Interesse
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VI. Grundsätze des Untersuchungshaftvollzugs
nur z, T. und nur ausnahmsweise verwirklicht654. Es bedarf keiner näheren Darlegung, daß bei jungen Gefangenen die Aufrechterhaltung der Beziehungen zur Familie und anderer nahestehender Personen besonderer Förderung ebenso bedarf wie die trotz der in Untersuchungshaft typischen Schwierigkeiten (Fluktuation, unbestimmte u. kurze Haftzeiten, Fixierung mancher Gefangener auf das Strafverfahren) zu unterbreitenden Angebote altersgemäßer Freizeitgestaltung, Arbeit, schulischer uns sonstiger Ausbildungsprogramme. Die Änderung der Anstaltsatmosphäre, die Mitwirkung ehrenamtlicher, externer Helfer, die Betreuung vor allem in der Aufnahmephase und die Aufteilung in Wohngruppen sind, um nur einige Beispiele zu nennen, bei jungen Untersuchungsgefangenen noch dringender als im allgemeinen655. Dringender Tatverdacht und ein Haftgrund begründen auch bei Minderjährigen, wie ebenfalls bereits dargelegt656, kein staatliches Erziehungsrecht. Folglich ist die erzieherische Gestaltung der Untersuchungshaft Minderjähriger grundsätzlich nur im Einvernehmen mit den Erziehungsberechtigten zulässig657, auch wenn die Absprache nicht immer leicht praktizierbar ist658.
unüberwachter Gespräche mit den Eltern ausgeweitet werden können; Kempt (Über die Effizienz kurzfristiger Lernangebote bei jugendl. Untersuchung s gefangenen, ZfStrVo 1973, S. 136 ff) berichtet über das in Teilnehmer- und Besuchszahlen zum Ausdruck gebrachte Interesse an in einer Umersuchungshaftanstalt durchgeführten Volkshochschulkursen (Sozialkunde, Deutsch, Literatur, Französisch, techn. Zeichen etc.), das jedenfalls an Rechts- und Sozialkunde erheblich war (S. 138); ebenso stellte Böhm fest (SchaffsteinFestschr., S. 307), daß die Jugendlichen in Untersuchungshaft „oft bereit" sind, „sinnvolle Hilfen anzunehmen", und daß auch bei kurzen Haftzeiten (s. ob. Abschn, 1/4b, S, 21) verschiedene Hilfsangebote zu entwickeln und zu verwirklichen sind (aaO. S. 311 ff, 3tS, 322); darüber näher u. a, Eberle, Überlegungen zum Unterricht für Jugendliche in der Untersuchungshaftanstalt, ZfStrVo 1978, S. 74 ff; Blumenberg, ebda., S. 143 ff; Walter, MKrim 1978, S. 341; Pie/waier, Hrsg., Training sozialer Verhaltensweisen, 1980; Jagenditrafvolfyugskommisssott, Schlußbericht,, 1980, S. töi;Jung\Mütier-Diet^, Reform der Untersuchungshaft, 1983, S. 34 f; s. auch Mtj, in: Tagungsberichte der Jugendstrafvollzugskomm., 9. Bd., 1979, S. 5, 7ff, 12f. 654 S. z.B. Lust, Sinnvolle Freizeitgestaltung?, ZfStrVo 1972, S. 43 ff; Knörnickild, ZfStrVo 1973, S. 45 f; Kempt, ebda., S. 136 ff; Brandler, in: Dt. Vereinigung f. Jugendgerichte etc., Hrsg., Jugendgerichtsbarkeit u. Sozialarbeit, 1975, S. 180ff; MartynjBtyer, ZfStrVo 1979, S. 169 f. 655 Vgl. statt vieler z. B. nur Böhm, Festschr, Dünnebier, S, 688 f, u. ob. Abschn. VI/ 2e, S. 174; VI/3a, S, 194. 656 Ob. S. 206 m. Fn. 540, S. 207 m. Fn. 544. 657 Linek, ZRP 1971, S. 58 f; Kreier, RdJ 1978, S, 351; Seebode, JA 1979, S. 614; Böhm, Festschr. Dünnebier, S. 688; Eisenberg, JGG, § 93, Rdn. 13; Baumann, EntwUVollzG, S. 125 ff; zu weitgehend Mro^ynski, Rdj 1973, S, 329, der meint, in aller Regel scheitere die erzieherische Gestaltung am Elternrecht; im Ergebnis ebenso Mty, in: Tagungsbcr. d. Jugendstrafvollzugskomm., 9. Bd., 1979, S. 3, wegen der Unschuldsvermutung, wenn man diese nicht (wie Mej) „nur als rechtsstaatlichen Schnörkel" sehe.
3. Gestaltung unter knminalpräventiven Gesichtspunkten
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Das Recht der Erziehungsberechtigten wird durch die Verhaftung des Kindes allerdings vielfach tatsächlich und im Interesse sowohl des mit der Haft verfolgten Zwecks wie der Ordnung in der Anstalt auch rechtlich (§ 119 Abs. 3 StPO) eingeschränkt659, in beiderlei Hinsicht jedoch keineswegs immer gleichermaßen, vielmehr nach den jeweiligen Umständen (Entfernung der Erziehungsberechtigten vom Haftort, Mitwirkungsmöglichkeiten, Gefahr der Beeinträchtigung des konkreten Haftzwecks) unterschiedlich. Die allgemeinen Regelungen in Nrn. 80 ff UVollzO setzen sich über das Recht der Erziehungsberechtigten auch mangels Differenzierung nach den ihnen verbleibenden Erziehungsmöglichkeiten hinweg. Dasselbe gilt für den Vorschlag, bezüglich der Freizeitgestaltung, des Buch- und Zeitschriftenbezugs und des Besitzes von Gegenständen der Freizeitbeschäftigung das Erziehungs recht der Eltern aus Praktikabühätsgninden und weil sie die aus der Haftsituation entstehenden Probleme nicht übersehen konnten, generell auszuschließen660. Auch hier werden vielfach Absprachen praktisch möglich sein, und mit den Haftproblemen sollten die Erziehungsberechtigten dabei so weit wie möglich vertraut gemacht werden661. Die praktischen Schwierigkeiten, das Erziehungsrecht auszuüben, 'und dessen rechtliche Beschränkung nach § 119 Abs. 3 StPO bewirken jedoch angesichts dessen, daß Untersuchungshaft keinen Jugendlichen von Erziehung freistellt, vielmehr der Erziehungsanspruch des Minderjährigen und die diesem entsprechende Erziehungspflicht fortbestehen662, die Notwendigkeit einer erzieherischen Gestaltung der Haft durch die Anstalt, soweit dies wegen der faktischen und rechtlichen Verhinderung der Erziehungsberechtigten und zur Gewährleistung einer Erziehung erforderlich ist. § 93 JGG trägt also der erzieherischen Verantwortung des Staates Rechnung, die dadurch entsteht, daß er selbst mit der Verhaftung des Jugendlichen die Ausübung der elterlichen Erziehungsrechte erschwert und zudem besondere erzieherische, haftbedingte Gefahren verursacht063. Der Erziehungsauftrag ist deswegen auch eine Folgerung aus dem Gegensteuerungsgrundsatz, im übrigen als Hinweis auf eine notwendige Vertretung der Erziehungsberechtigten, also zunächst als Verpflichtung zu einer Haftgestaltung zu verstehen,
646
Kreuzer hält die Erziehung für „praktisch undurchführbar", wenn sie mit den Eltern „vollinhaltlich abzusstimmen" sei (RdJ 1978, S. 35t), und Baumann ist der Meinung, eine jeweilige Absprache sei „unpraktisch" (EntwUVoIlzG, S. 127). 6W S. z. B. DallingerlLackner, JGG, 2. Aufl., § 93, Rdn. 11; Seihode, JA 1979, S. 614; Bohm, Festschr, Dünne hier, S, 687. Die rechtl. Beschränkung verneinen zu Unrecht GtemullalBarten, RdJ 1982, S. 292, 660 So Baxmann, EntwUVoIlzG, S, 127. M1 S. schon ob. S. 208. Mi Dallingerl Lackier, JGG, 2. Aufl., §93, Rdn. 33; S abode, JA 1979, S. 614; Pettn, Strafprozeß, 3. Aufl., S. 408. 663 Vgl, Eistnberg, JGG, § 93, Rdn. 12.
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VI, Grundsätze des Untersuchungshaft Vollzugs
die schädlichen Einflüssen entgegenwirkt, dem Alter entsprechend ist („jugendgemäß"), die „erziehungswidrige Struktur der Untersuchungshaft"664 zu mildern sucht, Hilfen gewährt und erzieherische Angebote (Freizeitgestaltung, Arbeit, Beratung, Kurse zur Auf- oder Nachbesserung schulischen Wissens und beruflichen Könnens)665 bereithält. Darüber hinaus sind wegen des fortbestehenden Erziehungsrechts und der mit ihm korrespondierenden Erziehungspflicht (Art. 6 Abs. 2 GG), aber auch wegen zu vermutender Zustimmung der durch die Haft des Kindes an der Ausübung ihrer Rechte gehinderten Eltern, alle die unaufschiebbaren Weisungen und erzieherischen Maßnahmen zulässig, die dem Lebensalter des Verhafteten entsprechend üblicherweise zu treffen und wenigstens weitgehend unumstritten sind (z. B. Rauch- und Alkoholverbot, Ausschluß pornographischer Lektüre). Erst bei Desinteresse oder völliger Verhinderung der Erziehungsberechtigten sind auch alle die Anordnungen, aber auch nur die richterlich zu treffen, die erforderlich sind, um eine normale Erziehung sicherzustellen (Ausschluß schädlicher Kontakte, Verpflichtung zur Teilnahme an Ausbildungsmaßnahmen und an zur Auflockerung des eintönigen Haftalltags durchgeführter Freizeitprogrammen, Teilnahme am Hofgang). Dazu zählt beispielsweise nicht die Verpflichtung zur Arbeit, erst recht nicht zu stumpfsinniger666, nicht eine Persönlichkeitserforschung durch das Vollzugspersonal, erst recht keine, die Mitwirkung des Betroffenen verlangt oder durch fortwährende Observation des Verhaltens in Rechte des Jugendlichen eingreift667, und auch nicht die Verpflichtung, einen Lebenslauf zu schreiben, die Nr. 79 Abs. 2 S. 4 UVollzO gegen den Grundsatz der Mitwirkungsfreiheit des Verdächtigen668 zu statuieren sucht66'. Eine erzieherische Gestaltung der Untersuchungshaft Jugendlicher ist also ohne Zustimmung der Erziehungsberechtigter nur eingeschränkt zulässig, eine Absprache mit ihnen nach richtiger und inzwischen wohl vorherrschender Ansicht wenigstens in allen wesentlichen Erziehungsfragen
664
Walter, MKrim 1978, S. 341. S. ob. S. 225. «* VgL Stefod«, JA 1979, S. 611 ff, u. ob. S. 207, Fn. 544. 667 S. ob. S. 223f. 568 S. z. B. K. Mej/er\*i Löwe-Rosenberg, 23, Aufl., § 136, Rdn. 23; Sptaäei, Wahrheitsfindung im Strafprozeß, JuS 1964, S, 465 ff, 470; Regall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 54 ff; Seebodt, Über die Freiheit, die eigene Strafverfolgung zu unterstützen, JA 1980, S, 493 ff, 496 f m, w. Nachw, 665 Grttnau, UVollzO-Komm., 2. Aufl., Bern, zu Nr. 79, S, 163, weist richtig daraufhin, daß das Schreiben des .Lebenslaufs nicht erzwingbar ist, bestätigt aber die gesetzwidrige Formulierung der UVollzO mit den Worten, daß den Lebenslauf „jeder junge Gefangene schreiben muß"; ahnl. Brunner, JGG, 7. Aufl., § 93, Rdn. 7, Die Vorschrift ist insbes. auch wegen der Mitteilungspflichten des Anstaltsleiters gegenüber Gericht und Staatsanwaltschaft (Nr. 8 UVollzO) zu streichen. 665
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erforderlich670 und wegen der Unschuldsvermutung weiterhin unerläßlich671 für alle Behandlungsmaß nahmen, die nicht überwiegend auch erzieherisch sind, wie Persönlichkeitserforschung und Therapien, die aus dem Tatvorwurf hergeleiteten Defiziten gezielt begegnen sollen672.
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Vgl. Eisenberg, JGG, §93, Rdn. 13; Kreuzer, Rdj 1978, S. 351; SteMe, JA 1979, S. 614; Bäkm, Festscht, Dünnebier, S. 688; Gkmui/ajßartoa, Rdj 1982, S, 293; Baamann, EntwUVoIlzG, S. 125 f; anders Brmner, JGG, 7, Aufl., § 93, Rdn. 5f, 8. 671 Basimann aaO. (vorige Fn.), S. 126, weist zu Recht daraufhin, daß die Zustimmung der Eltern unter gewissen Voraussetzungen durch die eines verständigen Jugendlichen ersetzt werden kann. 672 S. ob. S. 218, 221, u. W«lttrt MKrim 1978, S, 341, dem ebenfalls die Folgerungen „unter dem Blickwinkel der Unschulds Vermutung ... anstößig erscheinen", die der Erzieher zieht, wenn er Verhaltensdefizite des Beschuldigten angehe.
VII. Die Gestaltung der Untersuchungshaft nach dem Erfordernis der „Ordnung in der Voilzugsanstalt" (§119 Abs. 3 StPO) Die Generalklausei des § 119 Abs. 3 StPO läßt neben den Beschränkungen der allgemeinen Handlungsfreiheit des verdächtigen Inhaftierten, die zur Sicherung des jeweiligen Haftzwecks erforderlich sind, noch jene zu, die die „Ordnung in der Voilzugsanstalt" nötig macht. Diese zweite Alternative des §119 Abs. 3 StPO ist in der Vollzugspraxis erstrangig1. Denn die „diffuse Formel"2 bietet seit jeher 3 „ein vielfach benutztes Einfallstor"4 für Rechtseingriffe, „die keineswegs notwendig"4 sind. Der Gesetzgeber hat wohl „den ehrlichen Versuch"5 unternommen, mit § 119 Abs. 3 (§ 116 Abs. 2 a. F.) StPO „dazu beizutragen, daß dem Untersuchungsgefangenen das Leben nicht schwerer gemacht wird, als durchaus erforderlich ist"5. Aber die Bestimmung ist „dehnbar"6. Ihre eben daraus erwachsene 1
Veit, Die Rechtsstellung des Untersuchungsgefangenen etc., 1971, S. 51, legt unter Anführung von Beispielen dar, daß die „vom Zweck gebotenen Beschränkungen weit in den Hintergrund" treten. 2 Mulier-Dtetz, JZ 1982, S. 223. 3 Vgl. Föhring, Die Reform u. der heutige Stand des Gefängnißwesens etc., 1883, S. 39; Zucker, Die Reformbedürftigkeit der Untersuchungshaft, 1879, S. 125 ff; Rosenberg, ZStW 26. Bd. (1906), S. 391. 4 Müller-Die^, Strafvollzugsrecht, 2. Aufl. 1978, S. 346; ähnl, den., JZ 1982, S. 223; zust. Calliess. Strafvollzugsrecht, 2. Aufl. 1981, S. 183; Kühne, Strafprozeßlehre, 1982, S. 147, Vgl. weiter 2. B. K. Meyer, Gefangenenbriefe mit strafbarem Inhalt, MDR 1964, S. 724ff, 725 („läßt sich praktisch jedes gewünschte Ergebnis begründen"); Veit, Die Rechtsstellung etc., S. 55, 154 („Reservoir zur Entscheidung aller für den Richter .unzumutbarer' Fälle"). 5 p. Litimthal, JW 1925, S. 1448; zust. Aisberg, Die Justiz I, 1925/26, S. 175. 6 v, Lilietttbal u. Aisberg, Jew. aaO. (vorige Fn.); ähnl. z. B, schon v. Höli^endorff, in: Hdb, d, dt. Strafprozeßrechts, hrsgg. v. v. Holtzendorff, Bd. l, 1879, S. 354 („Dem administrativen Ermessen bleibt somit ein weiter Spielraum in der Bestimmung dessen, was als ,Ordnung' gelten soll"); Zucker, Die Reformbedürftigkeit, S. 125 („Bedingungen so elastischer Natur lassen eine so ungemessene Auslegung zu") u. heute z. B. Arbeitskreii Sfrafpro^eßreferm, Amelung tt. a., Die Untersuchungshaft, 1983, S. 55 („zu vage"); Hassemert ZRP 1984, S. 295; s. auch Görtther, Die Rechtsbeziehungen des Untersuchungsgefangenen etc., 1933, S. 45, der allerdings meint, der Gesetzgeber habe „Dehnbares, Unbe-
VII. Das Erfordernis der „Ordnung in der Vollzugsanstalt"
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praktische Bedeutung steht in einem rechtsstaatlich kaum erträglichen Widersptuch dazu, daß der „blankettartige Begriff' 7 unbestritten „nur schwer zu präzisieren"8 ist9, Die Gesetzesmaterialien10 bewirkten lediglich eine von Anfang an11 und auch heute' 2 bestehende Einigkeit darüber, daß § 119 StPO mit der Ordnung in der Anstalt nicht die Haus- oder Gefängnisordnung meint13, die eine Vollzugsanstalt durch die Justizverwaltung oder die Anstaltsleitung erhält (Nr. 18 Abs. 4 UVollzO) und die den Richter bei der ihm nach §119 Abs. 6 StPO aufgegebenen individuellen Vollzugsgestaltung selbstverständlich nicht zu binden, allenfalls ihm Anhaltspunkte 14 zur Bestimmung der nach dem Gesetz erforderlichen Ordnung zu geben vermag15. srimmtes" gewählt, „damit den Bedürfnissen des einzelnen Falles Rechnung" getragen werden könnte; ähnl. Grmau, UVolIzO-Komm., 1972, Einl. Rdn. 20; abwegig Jaußen, Die Stellung des Untersuehungsgefangenen etc., Hamb. Diss. 1956, S. 26, der in der Vorschrift „nicht nur eine genügend deutliche Regelung, sondern eine besonders scharfe Umreißung von Pflichten und Rechten" sieht. 7 Boujong, KarlsrKomm., § 119, Rdn. 13. 8 Boujong aaO, (vorige Fn,); s, z. B, auch Veit, Die Rechtsstellung etc., S. 145: „Das Problem gründet in dem schwer faßbaren Ordnungsbegriff". 9 Gegen die Genera l k lausei sind nach BVerfGE 35, 311 ff, 316, „durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken nicht zu erheben"; zur rechtsstaatlich unerläßlichen Bestimmtheit gesetzlicher Eingriffsbefugnisse s. jedoch z. B. nur jüngst BVerfGE 65, l ff, 44 {„Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergeben und die damit dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entspricht"); auf die unzureichende Bestimmtheit des § 119 Abs. 3 StPO gründen sich denn auch zu Recht die überaus zahlreichen Forderungen nach näherer gesetzlicher Regelung, s, ob. Abschn. IV, S. 48. 10 S. Hahn\Slegemann, Die ges. Mat. zur StPO, 2. Aufl., Bd. l, 1885, S. 668ff, Bd. 2, 1886, S. 1280 f. " Vgl. von Holt^endßrff, Hdb. d. dt. Strafprozeß rechts, 1879, S. 354; Rosenberg, ZStW 20. Bd. (1906), S. 386; tiers., in: Löwe-Rosen berg, 17. Aufl. 1927, § 116, Anm. 1; Kite, GA 55. Bd. (1908), S. 258; Rosenfeld, Der Reichs-Strafprozeß, 1912, S. 194; RGSt. 31f 128 ff, 129. 12 In der Zeit des Nationalsozialismus wandelte sich die Meinung; vgl. Hagemann, Der Richter u. die VO über die Durchführung der Untersuchungshaft etc., G A Bd. 86 (1942), S. 46 ff, 50; S dauerst, StPO, 9. Aufl. 1940, §116, Anm. l, sah die Gefängnisordnungen durch § 116 StPO als nur durchbrochen; vgl. weiter Vfti, Die Rechtsstellung etc., 1971, S. 50. 13 Wtnaistb bei Löwe-Rosenberg, 24. Aufl., § 119, Rdn. 30; Veit, Die Rechtsstellung, S. 50, jew. m. weit. Nachw,; nicht eindeutig Kleinknechtl Meyer, StPO, 36. Aufl., § 119, Rdn. 13; anders wohl Sfbtt>ar^jKtei»kfietb^ StPO, 25. Aufl. 1965, 27. Aufl. 1967, jew. § 119, Anm. 4 (s. dazu Vtit aaO. S. 50, u. andererseits Eb. Schmidt, Lehrk. Bd. II, Nachtr, I, 1967, §119, Rdn. 21). 14 Eb. Schmidi aaO. (vorige Fn.); Grtmau, UVollzO-Komm,, Nr. l, Rdn. 5; s. auch schon RGSt 31, 129. 15 Baumann stellt zwar übereinstimmend fest, es sei Aufgabe des Gesetzgebers, die Beschränkungen des Untersuchungsgefangenen festzulegen, und „nicht seine Aufgabe, jede zweckdienliche Beschränkung zu legalisieren" (EntwUVollzG, S. 23); nach § 4 Abs. l
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VII. Das Erfordernis der „Ordnung in der Vollzugsanstalt"
Sie ist mithin ein Rechtsbegriff16, nach dem sich die Ordnung in den Vollzugsanstalten zu richten hat, nicht umgekehrt ein gesetzlicher Hinweis auf die in einer Anstalt eingeführte Ordnung17. Der Begriff bedarf bereits aus Praktikabilitätsgründen wenigstens einer gewissen inhaltlichen Präzisierung, wenn er seine erwähnte Funktion erfüllen soll, die Ordnung in der Justizvollzugsanstalt zu bestimmen. Unstreitig ist er zudem näher zu konkretisieren18, um rechtsstaatlichen Erfordernissen zu genügen, nicht beliebige Rechtseingriffe zu ermöglichen, sondern vielmehr den verfassungs- und prozeßrechtlich geschützten Freiheitsbereich des Untersuchungsgefangenen sowohl zu wahren als auch erkennbar sein zu lassen. Bei aller Schwierigkeit einer Präzisierung ist diese doch anhand der geschichtlichen Entwicklung, der gewonnenen Erfahrungen, praktischer Notwendigkeiten und vor allern mit Hilfe der Grundsätze, die den Vollzug der Untersuchungshaft bestimmen, zu versuchen.
1. Konkretisierung Eine Konkretisierung der in jeder Untersuchungshaftanstalt erforderlichen Ordnung ist demnach aus dem Zweck der Anstalten, dem Bedürfnis nach Ordnung in jeder Gemeinschaft, der Unschuldsvermutung, dem Verhältnismäßigkeitsprinzip und den Geboten zu entwickeln, das Sonderopfer der Verhafteten so gering wie möglich zu halten, die Haft individuell zu gestalten, sie an die externen Lebensverhältnisse anzugleichen, Bequemlichkeiten zuzulassen, schädlichen Einflüssen entgegenzuwirken und Untersuchungshaft nicht als Strafe erscheinen zu lassen. Bei der gebotenen Abwägung der zum Teil widerstreitenden Prinzipien können weder utopische Idealvorstellungen hinsichtlich des Vollzuges noch seine praktischen Un-
seines Gesetzgebungsvorschlags (aaO. S. 22) soll der Gefangene jedoch „an Hausordnung . . . in der Anstalt gebunden" sein, und lediglich „im übrigen" würden seine Rechte durch das Gesetz beschränkt. Eine solche Regelung könnte als überraschende, unbestimmte und neuartige Ermächtigung zur Rechtssetzung durch An stales vorstände verstanden werden und dürfte jedenfalls dazu führen, daß die bisher unbestrittene und vom Gesetzgeber beabsichtigte Unverbindlichkeit der Hausordnungen für Richter in Zukunft zu bezweifeln wäre. Für Hausordnungen sollte de lege ferenda das (richterliche) Verfahren genügen, das heute die Gefangenen auf die Einhaltung der UVollzO verpflichtet, 1S modisch bei Löwe-Rosenberg, 24. Aufl., § 119, Rdn. 30; BVerfGE 35, 311 ff, 317. 17 S, z. B. nur Wendisch aaO. (wie vorige Fn.); Bäumann bei Sonnemann, Hrsg., Wie frei ist unsere Justiz?, S. 158f; s. auch BVerfGE 15, 288 ff, 290. 78 Roxi», Strafverfahrensrecht, 17, Aufl., S, 170; üust. Mittler-Diet^, in: Hdw. d. Kriminologie, 2, Aufl., hrsg. v. Sieverts/Schneider, 5. Bd., S. 208; s. auch schon Eb. Schmidt, Lehrkomm., Bd. l, Nachtrag I, 1967, § 119, Rdn. 5: „§119 Abs. 3 bedarf der verfassungskonformen Auslegung".
1. Konkretisierung
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zulänglichkeiten bestimmend sein". Danach ist auch die in manchem Einzelfall heikle Frage zu entscheiden, ob und inwieweit die Ordnung von den jeweiligen tatsächlichen Verhältnissen (bauliche Gegebenheiten, Personalbestand) bestimmt wird. Allgemein läßt sich nicht mehr sn^cn, als daß sie weder ausschlaggebend20 sein noch völlig unberücksichtigt bleiben dürfen21. Denn der Rechtsbegriff „Ordnung in der Vollzugsanstalt" und die Grundrechte „bestehen nicht nur nach Maßgabe dessen, was an Verwaltungseinrichtungen üblicherweise vorhanden" ist22, da sie sonst in das Belieben der Exekutive gestellt wären. Andrerseits ist in Justiz vollzugsanstalten wie allerorten mit beschränkten sachlichen Mitteln und begrenzten finanziellen Möglichkeiten auszukommen23. Sie sind jedoch so zu bemessen, daß dem Angleichungsgrundsatz Rechnung getragen werden kann, daß die bisherige Lebensführung des als unschuldig zu behandelnden Inhaftierten möglichst wenig beeinträchtigt wird 24 und das Sonderopfer des Untersuchungsgefangenen nach den äußeren Bedingungen jedenfalls weniger belastend ist als die Strafhaft, Der Ordnungsbegriff erweist sich damit durchaus als zeitbedingt wandelbar25. l
a) Unterstützender Zweck, nicht Selbstzweck Der in § 119 Abs. 3 und 4 StPO verwandte Rechtsbegriff „Ordnung in der Vollzugsanstalt" läßt Rechtsbeschränkungen zu und begrenzt sie zugleich. Die Befugnis ist wie ihre Begrenzung zunächst von der Funktion des strafprozessualen Instituts der Untersuchungshaft abhängig. Das Erfordernis der Ordnung, von dem das Gesetz in § 119 StPO ausgeht, ist lediglich auf die Untersuchungshaft in Form der Anstaltsunterbringung bezogen, also an den „Zweckbegriff einer Anstalt"26, der Untersuchungshaftanstalt, gebunden27. Dies bedeutet, daß Ordnung i. S. d. § 119 StPO, 1?
Vgi. Peters, Strafprozeß, 3. Aufl., S. 406 f; Dünnebier bei Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., §119, Rdn. 41. 20 So wohl noch Dünntbier bei Löwe-Rosenberg, 22. Aufl., §1 9, Anm. I, l, der meinte, die Ordnung in der Anstalt sei „ein Begriff, der sich aus der tatsächlichen Einrichtung ergibt", nach „Zahl und Güte des Aufsichtspersonals" bestimmt; ebenso H. W, Schmidt, Schi H A 1964, S. 274 („aus ihren tatsächlichen Einrichtungen"). ! So konnten aber Battmann (inr Sonnemann, Hrsg., Wie frei ist unsere Justiz?, S, 159) und Veit (Die Rechtsstellung etc., S, 53) verstanden werden. 22 BVerfGE 15, 288 ff, 296. 23 Wendisch bei Löwe-Rosenberg, 24. Auf!,, § 119, Rda. 3, 33; BVerfGE 42, 95 ff, 100 f. 24 Vgl. Wendisch aaO., Rdn. 33; enger womöglich Müller-Dit^ Strafverteidiger 1984, S. 83 („personelle und sachliche Ausstattung müssen sich danach richten, was zu einem menschenwürdigen Vollzug erforderlich ist"). 25 Vgl, Peters, Strafprozeß, 3. Aufl., S. 407 („internationale Maßstäbe unserer Kulturweit"); Wendisch aaO., Rdn. 33, 26 Wendisch aaO. (wie vorige Fn.J. 27 Wendisch aaO.; Veit, Die Rechtsstellung etc., S, 52 f.
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VII. Das Erfordernis der „Ordnung in der Vollzugsanstalt"
was der Wortlaut der Vorschrift nicht deutlich macht, kein als solcher zu verfolgender, vielfach als nützlich anerkannter und allgemeiner Wert, erst recht kein Selbstzweck ist28, sondern mit Rechtseingriffen nur insoweit verwirklicht werden darf, wie es der jeweilige Haftzweck, die Funktionsfähigkeit der zur Durchführung von Untersuchungshaft eingerichteten Anstalten und die Rechte anderer (der Mithäftlinge wie der in der Anstalt Tatigen) erfordern, Weitergehende Ordnungsvorstellungen, nach denen etwa das Bettzeug von den Untersuchungsgefangenen akkurat zu richten wäre oder der Gefangene sich zu erheben und eine ordentliche Haltung einzunehmen hatte, wenn ein Vollzugsbediensteter die Zelle betritt, lösten den Ordnungsbegriff aus dem Zusammenhang der Regelung der Untersuchungshaft. Sie ließen ebenso wie solche, die auf die Bequemlichkeit des Personals29 statt auf den Zweck der Anstalt ausgerichtet wären, den Zwangseingriff der Untersuchungshaft über das für sie Erforderliche und damit über das Rechtsmäßige hinausgehen. Die Ordnung in der Untersuchungshaftanstalt hat also zu einem guten Teil eine unmittelbar die Sicherung der Haftzwecke unterstützende Funktion. Sie wäre insoweit bereits mit den Maßnahmen zu erreichen, die der Zweck der Untersuchungshaft zuläßt. Im übrigen hat die Ordnung mittelbar eine unterstützende Funktion, weil sie insgesamt auf eine zweckgerichtete Anstaltsunterbringung ausgerichtet sein muß. Da unzumutbare Störungen der Mitgefangenen oder des Personals, beispielsweise durch laute Radiomusik oder nächtliches Schreibmaschinengeklapper ebenso wie in Freiheit, z, B. in einem Mietshaus, so auch in Untersuchungshaft die Rechte anderer verletzen, sich also ohne Rückgriff auf eine allgemeine Ordnungsvorschrift unterbinden lassen, und Beleidigungen wie Tätlichkeiten unter Strafdrohung stehen, reduziert sich die eigentliche Bedeutung des Ordnungsbegriffs in § 119 StPO. Er hat die Funktion, Rechtseingriffe zuzulassen, die einmal der zweckgerichtete Betrieb einer Untersuchungshaftanstalt notwendig macht, und zweitens solche, die wegen besonderer Gegebenheiten lediglich vorbeugend erforderlich sind, um ein erträgliches Zusammenleben in der Zwangsgemeinschaft zu gewährleisten. Letzteres schließt Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz von Personen und Sachen ein30.
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Banmarsri, Sicherheit u. Ordnung in der Anstalt, in: Festschr. f. Maurach, hrsgg. v, Schroeder u. Zipf, 1972, S. 561 ff, 564; 4ers., Sicherheit u. Ordnung in Vollzugsanstalten?, 1972, S. 5; Müller-Ditt%t Entscheidungsanrnerkung, JZ 1973, S. 129 if, 132 („dienende Funktion"); S(böcht in: Kaiser u. a,, Strafvollzug, 3, Aufl., S, 180; Cailie^lMülltr-Ditt^ StVollzG, 3. Aufl., § 81, Rdn. 4; Hassemtr, ZRP 1984, S. 295. 29 Vgl. dazu Eb. Schmidt, Lehrkomm., Bd. II, 1957, § 116, Rdn, 13; Veit aaO., S. 53, 30 Der Begriff der Ordnung umfaßt hier den der Sicherheit; so Kkinkneckt\'Meyer, StPO, 36. Aufl., §119, Rdn. 13; Veit, Die Rechtsstellung, S. 57; Dunmbier bei LöweRosenberg, 23. Aufl., g 119, Rdn. 41, 45; Wendisch ebda., 24. Aufl., §119, Rdn. 31, 35; Müller-Diet^, in: Hdw. d. Kriminologie, Bd. 5, S. 208; OLG Frankfurt, MDR 1970,
1. Konkretisierung
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Bereits de lege lata läßt demnach der Ordnungsbegriff des § 119 StPO nur solche Beschränkungen zu, die „die Sicherheit der Vollzugsanstalt oder das Zusammenleben in dieser erfordert"31, wenn man mit letzterem auch die Funktionsfähigkeit der Haftanstalt erfaßt32. Der danach mögliche und u. a. von Baumann^ de lege ferenda geforderte Verzicht auf den vagen Ordnungsbegriff eliminiert dessen Aussage nicht, wie Tröndle befürchtet34, sondern konkretisiert sie, ohne daß dadurch die „sensibleren Gefangenen"34 mehr als bisher „Unbill"34 oder dem „Terror rücksichtsloser und stärkerer Mitgefangener ausgesetzt"34 waren. Eher kann durch die ausdrückliche Hervorhebung der Sicherheit, deren Einbeziehung in den Otdnungs begriff zweifelhaft erscheinen mag, weil Polizei- und Strafvollzugsrecht die Sicherheit neben der Ordnung, also wohl als aliud erwähnen35 und die UVoüzO nicht mehr darauf abstellt36, ein erhöhter Schutz der schwächeren Gefangenen und des Personals37 gegeben sein. b) Konkrete Ordnungsgejährdung Entgegen früheren Auffassungen38 ist heute unstreitig, daß § 119 Abs. 3 StPO rechtsbeschränkende Maßnahmen zur Aufrechterhahung der Ordnung in der Anstalt nicht bereits bei mittelbaren, möglichen oder nicht ausschließbaren Ordnungsgefahrdungen zuläßt. Vielmehr ist wie bei Maßnahmen zur Sicherung des Haftzwecks39 und aus denselben Gründen39 Voraussetzung des Eingriffs eine nach konkreten Anhaltspunkten im einzelnen Fall bestehende reale Gefährdung40. Weit gefaßte Vorschriften der S. 67; BVerfGE 35, 3t I f f , 317. Böhm versteht Ordnung als „eine Art Vorstufe der Sicherheit" (Strafvollzug, 1979, S. 142). 31 Baumann, EntUVollzG, §3 Abs, m. Begr. S. 21. 32 Treffender deshalb Müller-Diet^, S traf verteidige r 1984, S. 83. 33 Baumann, EntwUVollzG, S. 13, 21; Müller-Diet^, Strafveneidiger 1984, S. 83, 84; Arbeitskreis Strafpro^eßreform, Amelung, Bemmann u. a.. Die Untersuchungshaft, S. 53 ff; anders Döscbiu, a, (Anstaltsleiter), EntwUVollzG, § 3 Abs, 2, §4, § 16 u. passim. 34 Trundle, Buchbesprechung, JR 1983, S. 483. 35 S. z. B. Art. 2 Bay PAG; §§ 4 Abs. 2, 81 StVoilzG; s. weiter auch § 116 Abs. l StPO a. R (1942, RGB1. I, S. 508). 36 S, näher Veil, Die Rechtsstellung etc., S. 56 f. 37 Zu Gefährdungen des Personals s. z. B. Grtm&stlTieiltr, StVoilzG, 2. Aufl., § 81, Rdn. 5 m, Fn. 5. 38 Kleinhiecht, JZ 1953, S. 533; KUinkxtcbtlMülltr\Reitbergtr, StPO (KM R-Komm.), 3. Aufl. 1954, § 116, Anm. 3b; OLG Celle, MDR 1964, S. 253 f; s. aber auch noch OLG Karlsruhe, Die Justiz 1981, S. 87, wonach das Verkleben des sog, Zellenspions wegen allgemeiner Sicherheitsbedenken einen Ordnungsverstoß darstellt und eine Disziplinarmaßnahme zur Folge hat, 39 S. ob. Abschn. VI/1, S. 120f m. Nachw. 40 BVerfGE 15, 288 ff, 296 f; 35, 5 ff, 10; 42, 234 ff, 236; Dimnefaer bei Lowe-Rosenberg, 23. Aufl., § 119, Rdn. 35; Wendisch ebda., 24. Aufl., § 119, Rdn. 26, 35; Boujong, KarlsrKomrn., § 119, Rdn. 10; Müller, KMR 7. Aufl., § 119, Rdn. 12; KleinkxechtlMeyer, StPO,
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Untersuchungshaftvollzugsordnung, wie die, nach der der Anstaltsleiter „im Interesse der Ordnung" dafür sorgt, „daß nicht zu viele Schreiben im Gewahrsam des Gefangenen sind"41, setzen sich über die aus dem Übermaßverbot folgende Eingrenzung der Ordnungsbefugnis hinweg, c) Regelminimum Die Formel von der „Ordnung in der Vollzugsanstalt" wird zu Recht nicht nur als vage, sondern auch als zu weit42 charakterisiert, Die UnschuldsVermutung, der Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs, die Würdigung der Untersuchungshaft als Sonderopfer des Verdächtigen, der Angleichungsgrundsatz, das Individualisierungsgebot und die Verpflichtung, insbesondere die Eigen Verantwortung des Inhaftierten zur Vermeidung nachteiliger Haftwirkungen zu erhalten oder zu fördern, gebieten, die Ordnung in der Anstalt auf das Minimum zu beschränken, das zur Wahrung der Rechte anderer, eines menschenwürdigen Zusammenlebens und der Funktionsfähigkeit der Untersuchungshaftanstalt unerläßlich ist43. Dies bedeutet, daß nur Ordnungsverstöße von einigem Gewicht in Betracht kommen, zumal der Untersuchungsgefangene auch über die Ordnungsvorschrift nicht mehr zu belasten ist als der Strafgefangene, dem entsprechende Beschränkungen lediglich zur Vermeidung einer „schwerwiegenden Störung der Ordnung" (§4 Abs. 2 StVollzG) auferlegt werden dürfen 44 . Geringfügige Ordnungsverstöße sind hinzunehmen 45 ; Kleinigkeiten sind vom 36. Aufl., § 119, Rdn. 11 (s. aber auch Rdn. 13, wonach eine „potentielle Gefahr" genügen soll); OLG Karlsruhe, Die Justiz 1981, S. 21; OLG Düsseldorf, MDR 1982, S, 1041. BVerfGE 35, 311 ff hat das vom Bundesverfassungsgericht in früheren und späteren Entscheidungen immer wieder betonte Erfordernis einer im konkreten Fall realen Gefährdung ausnahmsweise außer acht gelassen (S. 316 ff), was vier Senatsmitglieder in einer abweichenden Meinung zu Recht kritisieren (S. 321 ff); s. auch Hassemer, ZRP 1984, S. 295; Wtntisch aaO, Rdn. 91. 41 Nr. 31 Abs. 3 S. 2 UVoIlzO; s. z. B. auch Nr. 34 Abs. l sub 3; Nr. 45 Abs. 4 S. 3 UVolizO. 42 So z. B. Baumann, EntwUVollzG, S. 13; Arbeitskreis Strafpro^eßreform, Ameitmg u. a., Die Untersuchungshaft, S. 55. ^ So oder ähnlich z. B. Veit, Die Rechtsstellung etc., S. 53; Baitmann bei Sonnemann, Hrsg., Wie frei ist unsere Justiz?, 1969, S, 159 („Mimmalordnung"); Dünnebier bei LöweRosenberg, 23. Aufl., § 119, Rdn. 42 („Regelmini m u m"); ebenso Wendisch ebda., 24. Aufl., § 119, Rdn, 32; Wimmer, G A 1983, S. 148; Arbeitskreis Strafpro^eßreförm aaO (wie vorige Fn.); Mutier-D tet^, S traf verteidige r 1984, S. 83 („auf den Elementarbereich begrenzt"); Hassemer, ZRP 1984, S. 295; anders KleinknecbtIMtyer, StPO, 36. Aufl., Rdn, 13 („nicht nur ein Mindestmaß"); Boujong, KarlsrKomm,, § 119, Rdn. 13. 44 Vgl, dazu CallitsslMiiiltr-Diet%, StVollzG, 3. Aufl., § 4, Rdn. 17; § 31, Rdn, 2; g 81, Rdn. 4; Böbm bei Schwind/Böhm, StVotlzG, §4, Rdn. 23; Ki&ling, ebda., §81, Rdn. 7; vgl, auch für den Strafvollzug BVerfGE 33, Iff, t5f, und zur Untersuchungshaft BVerfGE 35, 311, 318 f, 323. S. weiter DöseM u. a. (Anstaltsleiter), EntwUVollzG, §4 („schwerwiegende Störung der Ordnung der Anstalt"). 45 Baumaan, Sicherheit u, Ordnung in Vollzugsansialten?, S. 6.
1. Konkretisierung
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Ordnungsbegriff des § 119 StPO nicht erfaßt46; nicht jede Unbotmäßigkeit ist ein Ordnungsverstoß47; die Funktionstüchtigkeit der Anstalt ist nur in bezug auf ihre „zentralen Handlungszusammenhänge" geschützt47. Die Ordnungsbefugnis ist also auf das Unvermeidbare begrenzt45, und die von ihr ausgehenden Haftbeschränkungen sind als sekundäre49 an dem Grundgedanken des § 119 StPO zu messen, den Untersuchungsgefangenen möglichst nur zur Sicherung des Haftzwecks einzuengen50. Die Einengung der mit Rechtseingriffen in der Anstalt durchsetzbaren Ordnung auf das unerläßliche Minimum folgt der vorherrschenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Recht der Untersuchungshaft. Das Gericht hat mehrfach betont, daß dem als unschuldig zu behandelnden Verhafteten nur die angesichts „unabweisbarer Bedürfnisse" einer wirksamen Strafverfolgung „unerläßlichen" Freiheitsbeschränkungen auferlegt werden dürfen 51 . Damit ist für die Untersuchungshaft der für alle hoheitlichen Maßnahmen geltende Grundsatz des geringstmögÜchen Eingriffs 52 herausgestellt, der im rechtsstaatlichen Übermaßverbot enthalten ist. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht auch entschieden, es bestehe „kein Grund, den Rechtsbegriff,Ordnung in der Vollzugsanstalt' eng auszulegen und darunter nur ein Mindestmaß an Ordnung zu verstehen"". Diese nicht selten zustimmend zitierte54 Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16. 5. 1973, die den erkennenden Senat in der Frage spaltete55, ob ein die Justiz beleidigender und an den Terroristen Horst Mahler gerichteter Brief nach § 119 Abs. 3 StPO zum Schutz der Ordnung angehalten werden durfte, ist mit den vom Bundesverfassungsgericht ent46
Dünnebier bei Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., § 119, Rdn. 41; Wendisch ebda., 24. Aufl., Rdn. 31. 47 CalliessIMüUer-Diefy StVollzG, 3. Aufl., § 4, Rdn. 17; §81, Rdn. 4. 46 So 2. B. Kleinknecktl Meyer, StPO, 36. Aufl., §119, Rdn. 8; Boujong, KarlsrKomm., §119, Rdn. 10; Mutter-Diets^, in: Hdw. d. Kriminologie, 2. Aufl. hrsgg. v. Sieverts/ Schneider, Bd. 5, S. 208. 45 Malier-Diet^, S traf verteidige r 1984, S. 83. 50 Baumann bei Sonnemann aaO. S. 159. 51 BVerfGE 19, 342 Ff, 347; 55, 185 ff, 190; 53, 152 ff, 158; s. naher ob. Abschn. VI/ l, S. 124ff m. w. Nachw. " Vgl. z. B. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrep. Deutschld., Bd. 1,2. Aufl. 1984, S. 861 ff, 866 m. w. Nachw.; Veit, Die Rechtsstellung etc., S. 52, 57 ff. 53 BVerfGE 35, 3t l ff, 317. Die mißverständliche weitere Formulierung, die zuständigen Richter dürften die Genera i k lau sei n „voll ausschöpfen" (BVerfGE 35, 316; 42, 95 ff, 100), entbindet noch nicht von den durch die Grundrechte und dem Verhähnismäßigkeitsprinzip gezogenen Grenzen; vgl, z, B. Müller, KMR 7. Aufl., 5 119, Rdn. 12; Kltinkaechlj Jartiicho&sky, Das Recht der Untersuchungshaft, S. 115, M KkinkxcthtlMeyer, StPO, 36. Aufl., §119, Rdn, 13; Boujong, KarlsrKomm., §119, Rdn. 13; $(blii(hter. Das Strafverfahren, 2. Aufl. 1983, S. 224; KlemtottehtljMisfbowkf, Das Recht der Untersuchungshaft, 1977, S. 114, 55 S. BVerfGE 35, 320 ff (abw, Meinung).
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VII. Das Erfordernis der „Ordnung in der Vollzugsanstalt"
wickelten Grundsätzen zur Rechtsstellung des Untersuchungsgefangenen und mit dem Übermaß verbot jedoch nicht zu vereinbaren. Die abweichende Meinung von vier Senatsmitgliedern stellt dies mit Recht fest56 und fügt treffend an, daß die Entscheidung im Vergleich zum Ordnungsbegriff des Strafvollzugs rechts „merkwürdig" anmutet. Die enge Auslegung des in § 119 StPO verwandten Ordnungsbegriffs ist im übrigen geboten, um die individuelle Haftgestaltung und eine möglichst weitgehende Eigen Verantwortung der Inhaftierten zu sichern. Ist die Ordnungsbefugnis darauf begrenzt, das Minimum an Regeln durchzusetzen, das für ein menschenwürdiges Zusammenleben in einer Haftanstalt und deren Funktion unerläßlich ist, dürfte die Gefahr, daß die Bequemlichkeitsgarantie des § 119 Abs. 4 StPO weiterhin „praktisch unterlaufen"57 wird, so gebannt sein wie die anhaltende Tendenz eines nivellierenden Vorgehens58 oder einer gleichförmigen „Modellbehandlung"59. Wie im Strafvollzug von einer „Subsidiarität von Ordnungsvorschriften gegenüber Behandlungsvorschriften"60 auszugehen ist61, sollte im Vollzug der Untersuchungshaft die Individualisierung Vorrang haben62 vor einer Betonung verzichtbarer Ordnungsvorstellungen.
d) Praktische Folgerungen Das Erfordernis der Ordnung in der Anstalt verbietet mit Sicherheit Lärm, erst recht aufhetzende Rufe 63 , auch z. B. die „Sprengung" von Gemeinschafts Veranstaltungen64, und die Ordnungsbefugnis läßt es unstreitig zu, der allgemeinen Handlungsfreiheit und der grundsätzlich gebotenen 56
BVerfGE 35, 320, 322; zust. Dünnebier bei Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., §119, Rdn, 105; Hasstmer, ZRP 1984, S. 295. Der Begrenzung der erforderlichen Ordnung auf eine Minimalordnung könnte nur insoweit widersprochen werden, als Ordnungsverstöße die Rechte anderer verletzten; denn der im Hinblick auf das Sonderopfer des Verdächtigen bei Bestimmung der notwendigen Ordnung rechtsstaatlich zu beachtende Grundsatz: in dubio pro libertate (vgl. für den Strafvollzug; Ca//iessjMatter-Diet%, StVollzG, 3. Aufl., §4, Rdn, 18) vermag zur Bestimmung der Rechte des einen Gefangenen im Verhältnis zu denen des anderen nichts beizutragen. Geringfügige Ordnung s verletz u n gen haben allerdings auch die Mitgefangenen hinzunehmen; ebenso Baumatin, Sicherheit u. Ordnung in Vollzugsanstaiten, S. 6. 57 Müller-Ditt^, Strafvollzugsrecht, 1978, S, 346. Die Bequemlichkeitsgarantie betont im Hinblick auf die Ordnung vor allem und mit Recht Diinnebier bei Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., § 119, Rdn. 42 f; ebenso Wendisch, ebda,, 24. Aufl., Rdn. 33, 103. 58 Fttiki in; Bundeszusammenschluß für Straffälligenhilfe, Hrsg., Gemeinsam den Rückfall verhindern, S. 80; Reftiaus, NJW 1973, S. 2270 1. Sp. unt. 59 Veit, Die Rechtsstellung etc., S. 54. 60 Baumann, Sicherheit u. Ordnung in Vollzugsanstalten?, S. 6. 61 CailietsjMä/ier-Dietz, StVollzG, 3, Aufl., § 81, Rdn, 1. 62 Veit, Die Rechtsstellung, S. 54. 63 Vgl, GrunaufTiesler, StVollzG, 2. Aufl., § 81, Rdn, 2. M CalliessIMMler-Dietz, StVollzG, 3. Aufl., § 4, Rdn. 17.
l, Konkretisierung
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Individualisierung durch Festsetzen von bestimmten Zeiten z. B. für Besuche, Ausgabe des Essens, für Einkäufe in der Anstalt, für den Hofgang oder für Gemeinschafts Veranstaltungen Grenzen zu setzen, allerdings (vor allem bei den Besuchszeiten) unter Beachtung des Freiheitsanspruchs der nur verdächtigen Inhaftierten, nicht unter Betonung von Organisationsbedürfnissen, des Gleichheitssatzes oder des Interesses des Personals an Arbeitserleichterung, und auch nicht ohne jede Ausnahmemöglichkeit. Wie sehr der Ordnungsbegriff strapaziert und der Wert familiärer Beziehungen verkannt werden kann, zeigt eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, der es bedurfte, um einer berufstätigen Ehefrau, die 325 km von der Haftanstalt entfernt wohnte, Besuche ihres seit über einem Jahr inhaftierten Ehemannes an den dafür außer den Urlaubstagen nur in Betracht kommenden Samstagen zu ermöglichen65. Mit dem Verbot, „tagsüber auf dem Bett zu liegen"66, wird verkannt, daß der Ordnungsbegriff des § 119 Abs. 3 StPO nicht dazu dienen darf, allgemeine Ordnungsvorstellungen oder solche von einer ordentlichen Lebensweise durchzusetzen, sondern auf den Zweck der Untersuchungshaft ausgerichtet ist. Dasselbe gilt für alle Beschränkungen, die eine „vernünftige Lebensweise" der inhaftierten Beschuldigten durchzusetzen suchen67. Entsprechend ist das Rauchen auch in Gemeinschaftszellen und -räumen nicht generell68, sondern, abgesehen von besonderer Feuersgefahr (Bastelräume}69, nur zu untersagen, wenn Dritte die Verletzung ihrer Rechte begründet geltend machen70. Selbst die Ordnung im Haftraum und die Übersichtlichkeit der Zelle sind nicht nach allgemeinen und üblichen Ordnungsmaßstäben durchsetzbar 71 . Falls die Unordnung nicht die Funktionstüchtigkeit der Haftanstalt konkret und ernstlich gefährdet oder die Rechte Dritter verletzt, etwa die Hygiene in der Anstalt beeinträchtigt oder in einer Gemeinschaftszelle ein für die Mitgefangenen unzumutbares Ausmaß erreicht, ist ihr nur im Hinblick auf eine konkrete Gefährdung des jeweiligen Haftzwecks (Verstekken von Ausbruchswerkzeugen oder Kassibern) zu begegnen. Nr. 20 Satz « BVerfGE 42, 95 ff; s. auch Nr. 24 Abs. 2 S. 2 UVolkO. M Vgi. OLG Köln, JZ 1952, S. 90; OLG Hamm, MDR 1969, S. 408 (Bestätigung einer Disziplinarstrafe, weil der Untersuchungsgefangene „tagsüber auf dem Bett gelegen hat"). 67 S. Nr. 18 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 2; Nr. 50 Abs. 2 S. 2; Nr. 51 Abs. l UVollzO u. dazu ob. VI/1, S, 113; VI/2e, S. 160. 68 Anders für den Strafvollzug GrunaulTiesler, StVollzG, 2. Aufl., §81f Rdn. 4. " Vgf. CrfMäitjTieiler a a O. (vorige Fn.). 70 Baumann, Sicherheit u. Ordnung in Vollzugsanstalten?, S. 6, weist richtig darauf hin, daß kleinliche Gängelei Sklaven erzeugt u. nicht die Selbstverantwortung fördert. 71 Anders OLG Frankfurt, ZfStrVo 1979, S, 190 f; zust. Boujong, KarlsrKomm., § 119, Rdn. 61.
240
VII. Das Erfordernis der „Ordnung in der Vollzugsanstalt"
2 UVotlzO betrifft die Verwahrung von Schriftstücken, deren der inhaftierte Beschuldigte zu seiner Verteidigung bedarf, und stellt ebenso generell wie unzulässig die (wünschenswerte) Ordnung in der Zelle gar über das Interesse an der Verteidigung. Denn es soll zulässig sein, zur Übersichtlichkeit des Haftraums und damit „den Anstaltsbediensteten zuverlässige Zellenrevisionen ... nicht erschwert werden"72, die Menge der Unterlägen zu beschränken und nur jeweils im Tausch wieder zur Verfügung zu stellen72. Das Anhalten des Briefes eines Untersuchungsgefangenen an das Zentralarchiv in Potsdam, das mit dem Brief um Auskünfte über die Vergangenheit bundesdeutscher Richter gebeten wurde, läßt sich wie das Anhalten eines die Justiz beleidigenden Briefes, nur dann auf das Erfordernis der Ordnung in der Anstalt stützen, wenn mit der Korrespondenz eine sowohl erhebliche wie vor allem auch reale Ordnungsgefahrdung verbunden ist73. Ebenso ist der Besitz eines „Braunbuches" über „Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik und West-Berlin" einem Untersuchungsgefangenen nicht mit der Begründung zu versagen, andernfalls sei „eine Störung der Ordnung in der Vollzugsanstalt zu gewärtigen"74, weil „es sich aufdrängt, daß das Buch zur Stimmungsmache gegen Justiz- und Vollzugsbehörden benutzt werden soll"74. Die Erfordernisse einer nicht unerheblichen und realen Gefahr düng der Ordnung im konkreten Fall sind für die vieldiskutierte75 und die Rechtsprechung76 häufig beschäftigende Frage nach der Befugnis zum 12
Gniaaii, UVollzO-Komm., 2. Aufl., Nr. 20, Rdn, 2. Anders OLG Celle, MDR 1964, S. 253 f, das zu Unrecht annahm und genügen ließ, die briefliche Anfrage sei „für sich geeignet, die Auf rechte rhaltung der Anstaltsordnung zu gefährden" und eine „Erregung der Öffentlichkeit" zu bewirken, „die immer nachteilig für die Ordnung in der Anstalt" sei; abl. schon Erdsitk, Beförderung von Briefen Untersuchungsgefangener mit politisch unerwünschtem Inhalt, N J W 1964, S. 1118 f, der treffend ergänzt, es müsse schon der Anschein vermieden werden, der Schutz von Richtern erhielte Vorrang vor den Frei hei es rechte n eines Untersuchungsgefangenen. 74 OLG Karlsruhe, Die Justiz 1973, S. 287. Die Hilfsbegründung, der Untersuchungsgefangene habe „keinen überzeugenden Grund für seinen Wunsch, das Braunbuch zu besitzen", verkennt, daß nicht der Verhaftete die „Erleichterungen, sondern die Behörde die ihm aufzuerlegenden Beschränkungen zu begründen hat" (so schon Klee, GA 55. Bd. (1908), S. 274; zust. 1942 Hagemann, GA 86. Bd., S. 49); die weitere Begr. des OLG Karlsruhe (aaO.), das „Braunbuch" beeinträchtige die „im Interesse der Strafrechtspflege gebotene Sachlichkeit im Verhältnis zwischen den Beteiligten des Strafverfahrens", stützt sich auf einen unbekannten Haftzweck. 75 S. z. B. Baumann, DRiZ 1959, S. 379 f; K. Peters, JR 1974, S, 120 ff; Kretayr, GA 1968, S. 236 ff; Veit, Rechtsstellung, S. 154 ff; Malter-Diet^, JZ 1973, S. 129 ff; Boujong, KarlsrKomrrL, §119, Rdn. 37; K. Wimmer, GA 1983, S. 145 ff; Wendisch bei LöweRosenberg, 24. Aufl., § 119, Rdn. 83 ff (alle mit zahlr. weit. Nachw.). 76 S. z. B. BVerfGE 35, 35 ff; 311 ff; 42, 234 ff; 57, 170ff; BGH, JZ 1973, S. 127 ff; OLG Stuttgart, MDR 1973, S. 1036; OLG Hamburg, JR 1974, S. 119; 1975, S. 74; OLG Koblenz, MDR 1977, S. 68; OLG Frankfurt, DRiZ 1977, S. 341; OLG Bremen, JZ 1981, S, 105. 71
l. Konkretisierung
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Anhalten beleidigender Briefe aus der Untersuchungshaft von letztlich entscheidender Bedeutung. Diese Auffassung setzt sich als Ergebnis der vielfaltigen und bereits Jahrzehnte andauernden Kontroverse mit Recht durch 77 . Denn als gesetzliche Eingriffsgrundlage kommt nur § 119 Abs. 3 StPO in Betracht78. Erwägungen, das leidige Problem mit anderen Normen oder Grundsätzen zu lösen, kann vor allem deshalb nicht gefolgt werden, weil § 119 Abs. 3 StPO eine abschließende Regelung trifft79, derart, daß alle im Verhältnis zum freien Verdächtigen zusätzlichen Freiheitsbeschränkungen des Gefangenen mit dessen Magna Carta libertatum zu vereinbaren sein müssen. Andernfalls könnte die Untersuchungshaft ihrem Zweck und dem Gleichheitssatz zuwider genutzt werden80. Eine Berufung des Zensors auf Notwehr oder Nothilfe81 mißversteht82 zudem die §§32 StGB, 227 BGB als öffentlichrechtliche Befugnisnormen. Die weitere Meinung, dem kontrollierenden Richter sei es materiellstrafrechtlich verboten, beleidigende Post passieren zu lassen, weil er sich
77
Vgl. z. B. Aradt, NJW 1964, S. 855; Veit, Rechtsstellung, S. 156f; MüUtr-Dutt^ JZ 1973, S. 129, 131; Dünnebier bei Löwe-Rosenberg, 21. Aufl., Ergbd., 1966, § 119, Anm. 6, S. 205; 23. Aufl., § 119, Rdn. 99; Wendisch ebda., 24. Aufl., § 119, Rdn, 85;JOWwfai«*// Janischosvsky, Das Recht der Untersuchungshaft, 1977, S. 121, Rdn. 376; Beujong, KarslrKomm., § 119, Rdn, 37; Rüptng, Das Strafverfahren, 1983, S, 70; Roxi», Strafprozeß recht, 10. Aufl. 1984, S. 68; Hassemer, ZRP 1984, S. 295; BVerfGE 42, 236; OLG Bremen, JZ 1981, S. 105; s. auch BVerfGE 35, 39 f; 315 ff; 57, 177 ff. 78 So z. B. Dünnebier und Wendisch, anders u. a. BoMJong (alle wie vorige Fn.}, fiabtrstroh, Jura 1984, S. 235. 751 So z. B. Kleinknecht, JZ 1961, S. 265 f; Kreuzer, NJW 1967, S. 2370; Veit, Rechtsstellung, S, 170 ff; Müller-Ditt^, JZ 1973, S. 131 r. Sp.; Wendisch aaO.; anders Kreier, NJW 1973, S. 1262; Peters, JR 1974, S, 121; Wimmer, GA 1983, S. 152 ff. 80 K. Meyer, MDR 1964, S. 725, sieht darin „eine durchaus erfreuliche Nebenwirkung". 81 Pawl'ik, Entscheidungsanmerkung, NJW 1967, S. 167 f, 168; Seher», JR 1967, S, 451; Urtier, GA 1968, S. 241 f; ders., NJW 1973, S. 1262; K. Peters, JR 1972, S. 492; den., Strafprozeß, 3, Aufl. 1981, S. 407; Grunait, UVollzO-Komm., 1972, Nr. 34, Rdn. 3, S. 87; Spende!, LeipzKomm., 10. Aufl., g 32, Rdn, 178; K. Wimmer, GA 1983, S. 151 ff; BGH, JZ 1973, S. 128; OLG Gelle, NJW 1968, S. 1342 (and. dass., NJW 1973, S. 1659); OLG Hamburg, JR 1974, S. 120. 82 Seebode, BKA-Vortragsr., Bd, 26, 1981, S. 104 m. Nachw. in Fn. 20; ders., Polizeiliche Notwehr und Einheit der Rechtsordnung, Klug-Festschr., 1983, Bd. II, S. 359 ff m. weit. Nachw. in Fn. 62; H.-L. Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, 1983, S. 372 m, weit. Nachw, S. 5f, Fn. 19, 25; anders z. B, Spendet mO. (vorige Fn.) Rdn. 273 ff; Wimmer, G A 1983, S. 152 ff (beide mit weit. Nachw.}. Unabhängig von der äußerst kontrovers beantworteten Frage, ob die Notwehrvorschriften hoheitl. Befugnisse verleihen, im vorst. Zusammenhang gegen deren Anwendung auch Wendisch bei Löwe-Rosenberg, 24. Aufl., § 119, Rdn, 86 ff, wie in der Vorauf!, schon Dünnebier, Rdn. 100 ff; Veit, Rechtsstellung, S. 172 ff; Mülltr-Ditt^, JZ 1973, S. 131; Boujong, KarlsrKomm., § 119, Rdn. 37.
242
Vll, Das Erfordernis der „Ordnung in der Vollzugsanstalt"
mit der Weiterleitung an einer Straftat beteilige83, ist unabhängig davon, ob in dem Verhalten des Richters eine Beihilfe durch Unterlassen oder aktives Tun gesehen wird, doch wieder auf § 119 Abs. 3 StPO verwiesen84 und bereits mehrfach mit dem Hinweis widerlegt, daß eine vom Haftrecht gebotene Weiterleitung nicht strafbar sein kann85. Wer darauf abstellt, die Weiterleitung eines beleidigenden oder obszönen Schreibens sei dem Richter nicht zumutbar und verletze seine Menschenwürde 86 , bleibt sowohl den Nachweis einer Befugnisnorm als auch eine Begründung dafür schuldig, daß der verhaftete Beschuldigte, nicht aber der auf freiem Fuß belassene Rechtsbeschränkungen durch eine besondere „Ehrenschutzbehörde" 87 ausgesetzt wäre, die den allen Beleidigten gleichermaßen zur Verfügung stehenden zivil- und strafrechtlichen Ehrenschutz ergänzte, auf den auch hier zu verweisen ist88. Beleidigende Schreiben Untersuchungsgefangener finden sich in der generellen Postkontrolle (Nr. 30 UVollzO) des auch insoweit weder funktional noch nach der Person des Verdächtigen differenzierten Vollzugs, der der umstrittenen Rechtsfrage ihre Brisanz nehmen und die Praxis entlasten würde89, vor allem wegen der besonderen psychischen Situation des eingesperrten Beschuldigten. Deshalb ist der Appell, die schriftlichen Äußerungen Untersuchungsgefangener mit Verständnis für ihre Lage zu werten und ihnen möglichst mit Gelassenheit und Großzügigkeif zu begegnen90, berechtigt; zur Beurteilung der Wahrscheinlichkeit einer Ordnungsgefährdung durch Weiterleitung beleidigender Schreiben Untersuchungsgefange83
K, Meyer, MDR 1964, S. 724; s. auch Paa>likt NJW 1967, S. 168; OLG Celle, NJW 1968, S. 1342. 84 S. statt vieler nur Müller-Diet^, JZ 1973, S. 130. 85 Veil, Rechtsstellung, S. 169; Müikr-Diet^t JZ 1973, S. 130; Dmnebier bei LöweRosenberg, 21. Aufl., Ergbd,, § 119, Anm. 6, S. 205; dtrs. ebda., 23. Aufl., § 119, Rdn. 99; Wendtseb ebda., 24. Aufl., §119, Rdn. 85; K. Wimmer, GA 1983, S. 151 (obwohl Wimmer aaO. meint, § 119 StPO werde durch Notwehrbefugnisse ergänzt); abl. auch Schorn, JR 1967, S. 451; Kreuzer, GA 1968, S. 241; Boujong, KarlsrKornm., § 119, Rdn. 37. 86 K. Peters, JR 1974, S, 121; ders,, JR 1975, S. 75; ders., Strafprozeß, 3. Aufl., S. 407; Boujong, KarlsrKornm., § 119, Rdn. 37; OLG Hamburg, JR 1974, S. 120; JR 1975, S. 74f; OLG Bremen, JZ 1961, S. 265; abl. u. a. Kleinknecht, JZ 1961, S. 266; Krexyr, GA 1968, S. 238; Veit, Rechtsstellung, S. 102, 166; Müller-Diet^, JZ 1973, S. 130; Düanebier, LöweRosenberg, 23. Aufl., § 119, Rdn. 132; Wendisch ebda,, 24. Aufl., § 119, Rdn. 115 mit Fn. 45; K. Uftmaer, GA 1983, S. 149 f. 67 S, dagegen insbes. Baumann, DRiZ 1959, S. 380; ihm zust, Kreuzer, NJW 1967, S, 2369; Dimnebitr aaO. (vorige Fn.) Rdn, 99; Wtndiith aaO (vor. Fn.) Rdn. 85. e8 Vgl. statt vieler z. B, nur BVerfGE 35, 323. 8i> Vgl. Kreter, NJW 1973, S, 1261; s. auch OLG Bremen, MDR 1951, S. 121. 90 So Dailinger, MDR 1951, S. 122; v. Eagtlbrtebtttt, DRiZ 1959, S, 239; Arndt, NJW 1964, S. 855; Eb. Schmidt, Lehrkomm. StPO, Bd. II, Nach«. I, 1967, §119, Rdn. 28; Hassemer, ZRP 1984, S, 295; OLG Köln, MDR 1953, S. 570; OLG Bremen, JZ 1961, S. 265; S. auch BVerfGE 35, 40, und Nr. 34 Abs. 2 n. F. UVollzO, wonach nur bei groben Beleidigungen eine Ordnungsgefährdung in Betracht kommt.
1. Konkretisierung
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net sind mehr die Haftatmosphäre und die Gefängnissprache zu berücksichtigen, als das Empfinden und die Reaktion der Justiz auf Äußerungen, die diese selbst oder auch Dritte herabsetzen, Doch sind Schreiben Gefangenet keineswegs selten, die die Rechtsprechung, Staatsanwaltschaft oder Polizei mit überaus starken Worten oder unerträglichen Vergleichen herabwürdigen und unflätig beschimpfen oder einzelne Amtsträger gröblich beleidigen. Selten91 aber wird mit konkreten Anhaltspunkten prognostizierbar sein, daß die Weiterleitung (z. B. durch ihr Bekanntwerden oder Diskussion unter den Gefangenen) die Ordnung in der Anstalt tatsächlich erheblich gefährdet und also die einzige rechtliche92 Möglichkeit gegeben ist, das Schreiben eines Untersuchungsgefangenen wegen in ihm enthaltener Beleidigungen von der Beförderung auszuschließen. Der Besitz einer Schreibmaschine ist nicht unter Berufung auf die notwendige Ordnung lediglich mit der Begründung zu versagen, daß sie als Versteck für ordnungsgefährdende Gegenstände verwendet werden könne93. Auch hier ist eine Versagung nur zulässig, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine nicht unwesentliche und reale Mißbrauchsgefahr gegeben sind. Der 1. Strafsenat des OLG Koblenz hat demgegenüber jüngst seine mit Nr. 40 Abs. 2 UVollzO übereinstimmende Entscheidung, ein Untersuchungsgefangener habe grundsätzlich keinen Anspruch auf die Überlassung eines eigenen Fernsehgerätes in seinem Haftraum, u, a. mit det allgemeinen Gefahr begründet, „daß Fernsehempfänger als nur schwer überwachbare Verstecke für anstaltsfremde kleinere Gegenstände und Mitteilungen benutzt werden"94. Diese Begründung wird dem Erfordernis einer konkreten Gefahr so wenig gerecht wie die weitere, der Besitz von Fernsehgeräten führe zu „Unruhen und Spannungen in der Anstalt", die die „Anstaltsord91
K. Meyer (MDR 1964, S. 725), Pawiik (NjW 1967, S. 167), K. Peterf (Strafprozeß, 3. Aufl., S, 407), K. Wimmtr {GA 1983, S. 149, 151) und Roxin (Strafprozeßrecht, 10. Aufl., S. 68) stellen zu Recht fest, daß die Weiterleitung beleidigender Briefe die in § 119 Abs. 3 StPO genannter öffentlichen Interessen in aller Regel nicht gefährdet; s, auch OLG Hamburg, MDR 1965, S. 597; BVerfGE 33, 16. 92 Da beleidigende Schreiben der Häftlinge vielfach Ausdruck ihrer seelischen Anspannung, ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Hilflosigkeit und des Eindrucks ungerechter Behandlung sind, werden in diesen Fällen Betreuung und menschliche Zuwendung regelmäßig besonders geboten sein; ein die Ursachen klärendes und den Beschuldigten besänftigendes Gespräch (z, B. durch ein Mitglied des Sozialdienstes) kann die Spannungen mindern, Ordnungsgefahrdungen vorbeugen, den Inhaftierten sowohl im eigenen Interesse (Gefahr der Strafverfolgung) als auch im Interesse des Rechtsschutzes Dritter auf die Beförderung des Schreibens verzichten lassen und die Wiederholung strafbaren Verhaltens vermeiden helfen. 93 Zutreffend OLG Düsseldorf, MDR 19B2, S. 1041 f, im Anschluß an BVerfGE 35, 5 ff, 10; zust. z. B. Bsujong, KarlsrKornm., § 119, Rdn. 62. 94 OLG Koblenz, NStZ 1983, S. 332 f, 333.
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VII. Das Erfordernis der „Ordnung in der Vollzugsanstalt"
nung gefährden"94, weil er nur einer Minderheit der Gefangenen finanziell möglich sei95. Auch die Begründung, ein Fernsehgerät in der Zelle bedeute wegen der dafür benötigten Hochspannung und wegen leicht möglicher Veränderungen „eine ständige ernsthafte Bedrohung der Anstaitsordnung"96 oder eine „Gefährdung von Leib und Leben von Aufsichtspersonen oder Mithäftlingen"97, stellt auf eine abstrakte statt auf eine konkrete Gefahr ab, die sich aus der Person des einzelnen Gefangenen ergeben könnte (technische Fertigkeiten, Gewalttätigkeit)98. Wie gering die abstrakte Gefahr tatsächlich ist, zeigen die vom 2. Strafsenat des OLG Koblenz referierten Erfahrungen, die über zehn Jahre in einer großen Untersuchungshaftanstalt mit der Zulassung von Einzelfernsehempfang gesammelt wurden99. Es ist deshalb von der grundsätzlichen Zulässigkeit des Betriebs eines eigenen Fernsehgeräts und der Möglichkeit der Versagung im Ausnahmefall, nämlich bei konkreten Anhaltspunkten für eine reale Gefahr, auszugehen, also von der Umkehrung der in Nr. 40 Abs. 2 UVollzO aufgestellten Empfehlung100. De lege ferenda schlägt Baumann vor, jedem Untersuchungsgefangenen auf dessen Kosten den Betrieb eines Fernsehgerätes im Haftraum gesetzlich zu gestatten, das zu durchsuchen, dessen UKW-Teil zu entfernen und dessen Verwendung als Sender unmöglich gemacht ist101, Der Entwurf differenziert insoweit weder nach Haftzwecken noch danach, ob im Einzelfall eine konkrete Gefahr für die Sicherung des Haftzwecks oder die Ordnung besteht, doch er hat eine Praktikabilität und eine Rechtsklarheit für sich, die mit der heutigen Generalklausel102 nicht zu erreichen ist.
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Beide Begründungen verwirft wie hier Boujong, NStZ 1983, S. 333 f. — Den „Spannungen" könnte bei einem Vollzug in Wohngruppen wie in der New Yorker Untersuchungshaftanstalt dadurch begegnet werden, daß den Gruppen Fernsehgeräte zur Verfügung gestellt würden. w OLG Karlsruhe, Die Justiz 1981, S. 21; ähni. OLG Koblenz, NStZ 1983, S. 332. 97 OLG Koblenz, aaO. (vorige Fn.). 98 Vgl. BoHjong, NStZ 1983, S. 334 m. w, Nachw. w OLG Koblenz (2. Sen.), NStZ 1983, S. 331 f, 332. 100 Ebenso z, B. OLG München, Strafverteidiger 1981, S, 183 f; OLG Koblenz, NStZ 1983, S, 331 f; Baußng, KarlsrKomm., § 119, Rdn. 54; Dünntbitr bei Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., § 119, Rdn. 144; Wendisch ebda., 24. Aufl., § 119, Rdn. 124; SfblSebter, Das Strafverfahren, 2. Aufl., S, 223 f, alle m. w. Nachw.; s. auch BVerfG, MDR 1974, S. 204f. Anders z. B. OLG Frankfurt, MDR 1970, S. 67; OLG Karlsruhe, NJW 1970, S. 291; dass., Die Justiz 1981, S. 21; OLG Koblenz, NStZ 1982, S. 46; 1983, S. 332 f; Kltinktecht\ Janisehowsky\ Das Recht der Untersuchungshaft, S. 130f m. w. Nachw. 501 Baamann, EntwUVollzG, 1981, §30 Abs. l m. Begr. S. 67; zust. Boujeng, NStZ 1983,5.334. 102 Ihr folgt auch bezügl. des Fernsehempfangs der Entwurf der Anstaltsleiter {Döscbl u. a., EntwUVollzG, 1982, §§ 51 Abs. 3, 52 Abs. 2 Nr. 2).
2. Diszipltnarmaßnahmen
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2. Disziplinarmaßnahmen Die von der Untersuchungshaftvollzugsordnung in einem nicht abschließenden Dekalog103 vorgesehenen und alltäglich praktizierten Disziplinarmaßnahmen sind bei aller Einigkeit darüber, daß ohne eine Disziplinarbefugnis die erforderliche Ordnung in den Untersuchungshaftanstalten nicht durchzusetzen ist, grundsätzlich und im einzelnen umstritten104. Dies hat im wesentlichen zwei Gründe. Zum einen macht sich hier der Mangel einer näheren gesetzlichen Regelung oder die Notwendigkeit, auch die Disziplinärmaßnahmen lediglich auf die Generalklausel des § 119 Abs. 3 StPO zu stützen, besonders bemerkbar. Zum ändern besteht keine hinreichende Klarheit über die Funktion und damit über das Wesen der Disziplinarmaßnahmen. Sie lassen sich lediglich als Mittel verstehen, die gegen konkrete Gefährdungen der unerläßlichen Voraussetzungen eines geregelten Zusammenlebens in einer Zwangsgemeinschaft gegeben sind, zum Schütze sowohl der Rechte aller in dieser Gemeinschaft Befindlichen als auch der Funktionstüchtigkeit einer Untersuchungshaftanstalt. Sieht man in ihnen hingegen, wie die vielfache Bezeichnung als „Ordnungsstrafen", „Disziplinarstrafen" oder „Hausstrafen4'105 nahelegt106, Möglichkeiten, Ordnungsverstoße zu ahnden, zu vergelten, Renitenz „heimzuzahlen" und allen Mithäftlingen exemplarisch und für alle Fälle vorsorglich vor Augen zu führen, daß die Ordnung, „wenn es nottut auch mit Gewalt, aufrechterhalten wird"107, so
103
Nr. 68 UVolizO. Die häufigsten Disziplinarmaßnahmen sind „Einkaufssperre" (Nr. 68 Abs. l Ziff. 2, 2. Alt.) und Arrest. Die „Einkaufssperre" ist bei manchen Untersuchungshäftlingen nicht minder gefürchtet als der Arrest; vgl. zur „Einkaufssperre": Mitteilungen einer Untersuchungsgefangenen, hrsgg, v, Setbodt, S. 44: „Kein Inhaftierter riskiert das, sondern erfüllt lieber die Vorschriften und lebt mit ihnen"; s. auch Grunau, UVoilzO-Komm., 2, Aufl., Nr. 68, Rdn. 7, S. 148. 104 S. nur einerseits Dünnebier bei Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., § 119, Rdn. 60 (diesem folgend Wendirch, ebda., 24. Aufl., § 119, Rdn. 49), u, andrerseits Boujong, KarhrKomm., §119, Rdn. 86 ff. 105 Vgl. z, B. KltinkaeebtlMeyer, StPO, 36. Aufl., § 119, Rdn. 30; Dümtbttr, in: Lüttger, Hrsg., Probleme der Strafprozeßreform, 1975, S. 44 f; den. bei Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., 5 119, Rdn. 60; Achter, Die Hausstrafe in der Untersuchungshaft, NJW 1970, S. 268 ff; AG Krefeld, MDR 1965, S. 759 f, 760; Härtung, Der Vollzug der Untersuchungshaft, § 116, Anm. 3; Baet^gen, Der Vollzug etc., S. 64; Günther, Die Rechts be Ziehungen etc., S. 65 ff, 91 f. 106 Dsinaebter bei Löwe-Rosenberg aaO. (vorige Fn.); Wendisch, Löwe-Rosenberg, 24. Aufl., § 119, Rdn. 49 („mehr als eine Beschränkung"); s. auch Müller, KMR, 7. Aufl., § 119, Rdn. 29 („Ahndungsmaßnahme"); Jaaßea, Die Stellung etc., S. 114 („Sühne- und Erziehungscharakter"). 107 Dünmbitr bei Löwe-Rosenberg, aaO., Rdn, 62; Wtndistb aaO. (vorige Fn.) Rdn, 50; s. auch Boujong, KarlsrKomm,, § 119, Rdn. 86, OLG Braunschweig, MDR 1965, S. 1007; OLG Kamm, MDR 1969, S. 408.
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VII. Das Erfordernis der „Ordnung in der Vollzugsanstalt"
ist der von Dünnebier und Wendisch vertretenen Ansicht zuzustimmen, nach der die Disziplinarmaßnahmen mangels gesetzlicher Grundlage rechtswidrig sind108. § 119 Abs. 3 StPO verleiht keinerlei Strafgewalt; die Verhängung von Disziplinarmaßnahmen poenalen Charakters nach §§ 112 ff StPO wäre mit Art. 103 Abs. 2 GG offensichtlich unvereinbar109. Dem poenalen Charakter der Disziplinarmaßnahme, einem sich wenigstens in praxi anbietenden „Etikettenschwindel" und auch ihrem Mißbrauch als in Untersuchungshaft unzulässiges Erziehungszwangsmittel ist nur mit einer strikten Beschränkung der Disziplinarmaßnahmen auf die nötige Abwehr erheblicher und vor allem konkreter Gefahren für die zuvor beschriebene Minimalordnung zu begegnen. Nur unter dieser Voraussetzung ist der vornehmlich von Dimnebier und Wendisch vertretenen Auffassung von der Unzulässigkeit aller Disziplinarmaßnahmen in der Untersuchungshaft zu widersprechen und in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung1'0 in § 119 Abs. 3 StPO eine noch ausreichende gesetzliche Grundlage für Disziplinarmaßnahmen gegen Untersuchungsgefangene zu sehen. Dazu genügt es nicht, die Disziplinarmaßnahmen lediglich, wie üblich111, als „Ordnungsmittel" zu bezeichnen. Denn mittelbar oder im weiteren Sinne dient selbstverständlich auch die Disziplinarmaßnahme der Ordnung, die dem Betroffenen oder Mitgefangenen lediglich die Unverbrüchlichkeit der bestehenden Regelungen demonstrieren soll (positive Generalprävenrion112), oder wegen für die Zukunft nicht auszuschließender ähnlicher Ordnungs gefahrdun gen deutlich zu machen sucht, daß Störungen nachteilige Folgen haben. Die Verhängung von Maßnahmen nach ausschließlich general- und spezialpräventiven Gesichtspunkten macht zwar Art. 103 Abs. 2 GG nach überwiegender Meinung unanwendbar113, für Disziplinarmaßnahmen in Untersuch ungshaftan11)8
Düfinebier, in: Lüttger, Hrsg., Probleme etc., S, 45; atrs, bei Löwe-Rosenberg, 23, Aufl., § 119, Rdn. 60; Wendisch ebda., 24. Aufl., § 119, Rdn. 49; Janßen, Die Stellung des Untersuchung s gefangenen etc., S. 112 ff. 109 Afhttr, NJW 1970, S. 269; Jaitßea aaO. (vorige Fn,), S. 114 f; AG Krefeld, MDR 1965, S. 760. Roxin, Strafverfahrensrecht, 17. Aufl., S. 171, äußert im Hinblick auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit „ernste Bedenken gegen die Zulässigkeit von Hausstrafen, mit denen repressive Zwecke verfolgt werden"; zust. Bnumann bei Sonnemann, Hrsg., Wie frei ist unsere Justiz?, S. 259, Anm. 47, !i ° KkinknecbtlMyer, StPO, 36, Aufl., § 119, Rdn, 30; Bottjottg, KarlsrKomm, §119, Rdn. 86; Müller, KMR, 7. Aufl., § 19, Rdn. 29; Eb. Schmidt, Lehrk., 1957, § 116, Rdn. 15; Grunaa, UVollzO-Kornm., 2. Auf],, Nr. 67, Rdn. l ff; Veit, Die Rechtsstellung etc., S. 66 m. w, N ach w. 111 KleinknechtlMeyer und Boujong, jew, aaO. (vorige Fn.); Diianebier bei Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., § 119, Rdn. 62; Wendisch ebda,, 24. Aufl., Rdn. 50; Grüne» aaO. (vorige Fn.), Nr, 68, Rdn, 2; OLG Hamm, MDR 1969, S, 408, 112 Vgl. z. B.Ja&obf, Strafrecht Allgemeiner Teil, 1983, S. 4 ff; BGHSt. 24, 40 ff, 44 f. 113 Vgl. z. B. Därig, in; Maunz/Dürig u. a., GG, Art, 103, Rdn. 117; Lacbur, StGB, 15. Aufl., \ t, Anm, 2; s, auch Sax, in: Bettermann u, a., Hrsg., Die Grundrechte, Bd. Ill/ 2, S. 1000 m. w. Nachw.
2. Disziplinarmaßnahmen
247
stalten ist diese Einengung wegen § 119 Abs. 3 StPO jedoch noch nicht ausreichend. Denn die Vorschrift läßt, heute unbestritten, nur Beschränkungen zur Abweht konkreter Gefahren für die in ihr genannten öffentlichen Interessen zu. Dabei erfordert das Übermaßverbot, die mildeste der noch wirksamen Maßnahmen zu wählen und nach Möglichkeit auf rechtsbeschränkende Disziplinierungen zu verzichten, also einem „Randalierer" beispielsweise nicht in jedem Fall mit Disziplinarmaßnahmen zu begegnen, sondern bei Aussicht auf Erfolg auch irn Hinblick auf das Gebot, humanitäre und soziale Hilfen zu leisten, mit beruhigendem Verständnis (vor allem beim sog. Knastkoller) Erklärungen und menschlicher Zuwendung entgegenzukommen und derart weitere Störungen zu vermeiden. Disziplinarmaßnahmen sind demnach auf § 119 Abs. 3 StPO zu stützen, wenn nur sie einer aus konkreten Anhaltspunkten sich ergebenden realen Gefahr begegnen, eine erhebliche Störung werde so oder ähnlich von dem betreffenden Inhaftierten fortgesetzt oder wiederholt oder von anderen Untersuchungsgefangenen (in Nachahmung eines reaktionslos gebliebenen Ordnungsverstoßes) begangen. Diese Maßnahmen stellen sich noch als Beschränkungen i. S. d. § 119 Abs. 3 dar114, die wie alle anderen des Untersuchungshaftvollzugs dem Einwand ausgesetzt sind, die Generalklausel sei keine rechtsstaatlich hinreichend bestimmte gesetzliche Eingriffsgrundlage. Gegen einzelne der in der Untersuchungshaftvollzugsordnung vorgesehenen Disziplinarmaßnahmen sind mit Recht erhebliche Bedenken geäußert worden. Der „Entzug des täglichen Aufenthalts im Freien bis zu einer Woche" (Nr. 68 Ziff. 7 UVollzO}115 ist im Hinblick auf die mit der Haft verbundenen und durch Bewegung im Freien wenigstens teilweise vermeidbaren physischen Schädigungen110 und erst recht wegen der mit der Maßnahme verbundenen Beeinträchtigungen der Verteidigungsfähigkeit zu bedenklich. Da sie neben den anderen nicht erforderlich ist, muß deshalb auf sie verzichtet werden117.
114
Zur weitergehenden h, M. vgl. die ob. S, 246 Fn. 110 Genannten u. z. B. Hennerkes, Die Grundrechte des Untersuchungsgefangencn, S, 147; Eb. Schmidt, Lehrk., Nachtr, 1967, § 119, Rdn. 42; anders Dünnebier bei Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., § 119, Rdn, 60; Wendisch ebda., 24. Aufl., Rdn. 49. 515 Nach Grunau, UVollzO-Komm., 2. Aufl., Nr. 68, Rdn, 4 „ziemlich oft verhängt". 116 S. ob. Abschn. VI/2a, S. 138; VI/3a, S, 188, 117 Ebenso z. B. Hennerkes, Die Grundrechte etc., S, 149f; Diinaebitr bei Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., § 119, Rdn. 69; s. auch Boujong, KarisrKomm,, § 119, Rdn. 88. Wtnd'mb (bei Löwe-Rosenberg, 24. Aufl., § 119, Rdn. 56) hat keine Bedenken, da die Bewegung im Freien nach Nr. 68 n. F. UVollzO anders als nach Nr. 68 a. F. „nicht mehr beschränkt" werden dürfe; tatsächlich kann sie jedoch nach Nr. 68 Ziff. 7 n, F. UVollzO völlig entfallen.
248
VII. Das Erfordernis der „Ordnung in der Vollzugsanstalt"
Die „Beschränkung des Verkehrs mit Personen außerhalb der Anstalt auf dringende Fälle bis zu drei Monaten" (Nr. 68 Ziff. 9 UVollzO), die Besuchs- wie Korrespondenzsperre bedeutet, verkennt die Bedeutung und den vielfachen Wert der Außenkontakte118, die ohnehin erheblich begrenzt sind, und ist weder mit dem Gegensteuerungsgrundsatz noch mit einem sozialstaatlichen Untersuchungshaftvollzug in Einklang zu bringen. Diese Disziplinarmaßnahme ist deshalb als solche unverhältnismäßig und zudem wegen gegebener anderer Mittel, die übergeordneten Gesichtspunkten weniger widerstreiten, nicht erforderlich, also unzulässig119. De lege ferenda ist in den heute einhelligen Chor der zahllosen und z. T. schon älteren120 Stimmen einzutreten, die vor allem für die Disziplinarmaßnahmen im Untersuchungshaftvollzug eine eigenständige gesetzliche Regelung fordern121. Diese hat sowohl den Katalog der Disziplinarmaßnahmen zu beschränken122 als auch bei und durch Einführung neuer Maßnahmen123 einerseits dem unbestreitbaren Bedürfnis und andererseits der Eigenart der Untersuchungshaft Rechnung zu tragen124, d. h. vornehmlich der psychischen Ausnahmesituation der Verhafteten, dem Charakter der Untersuchungshaft als Sonderopfer, der Unterscheidung von der Strafhaft und der prozessualen Fürsorgepflicht, die es gebietet, die Verteidigungsfähigkeit und -möglichkeiten des verdächtigen Inhaftierten keineswegs zu beeinträchtigen. 118
S, ob, Abschn. VI/2e, S. 166; VI/3a, S. 203ff. Ebenso Htnnerkes, Grundrechte, S. 149; Dünnebier bei Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., § 119, Rdn. 69 (Wendisch ebda., 24, Aufl., § 119, Rdn. 56, scheint den auch im Hinblick auf die Kapitelüberschrift vor Nr. 24 UVollzO eindeutigen Wortlaut der Nr. 68 Ziff. 9 UVollzO m i ßz u verstehen und die Praxis ebenso wie den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz außer acht zu lassen, wenn er meint, die Beschränkung des Briefverkehrs sei vor der anderer Außenkontakte bereits als Disziplinarmaßnahme entfallen); s. auch Baumann, EntwUVollzG, S. 113: „Die Außenkontakte sind zu wertvoll, als daß sie disziplinarisch unterbrochen werden dürften". 120 Klee, GA 55. Bd. (1908) S. 271; Baet^gea, Der Vollzug der Untersuchungshaft, 1932,5,66, 121 Zur Forderung nach einem Gesetz über den Vollzug der Untersuchungshaft s. die ob. Abschn, IV, S. 48, Fn. 41, Genannten; zur Forderung besonders wegen der Disziplinarmaßnahmen s. z, B, Janßtn, Die Stellung des Unters u chungsgef., 1956, S, 115; Kieinknefbt, JZ 1953, S, 534; Htnnerkti, Grundrechte, S. 147; Dünne hier bei Lüttger, Hrsg., Probleme der Strafprozeßreform, S. 45; ders. bei Löwe-Rosenberg, 21. Aufl., Ergbd., § 119, Anm. 9; Wtndistk ebda., 24, Aufl., § 119, Rdn. 49; Vtit, Die Rechtsstellung etc., S. 75. 122 Vgl. die Gesetzentwürfe von Baumann (§ 62; Recht u. Staat: § 92) und den Anstaltsleitern (Döichl u. a., § 79). 123 Baumann schlägt Geldbuße und Einbehaltung der halben Arbeitsentlohnung vor (EntwUVollzG, § 62), der Entwurf der Anstaltsleiter (Döschlu.. a.) ebenfalls eine Geldbuße {§ 79 Abs. l Nr. 8). 124 Sie schließt einen Verweis auf die strafvollzugsgesetzliche Regelung (§§ 102 ff StVollzG) aus. 119
2. Disziplinarmaßnahmen
249
Zu der seit einem Jahrhundert und auch heute kontrovers diskutierten Frage, wie die Zuständigkeiten für im Untersuchungshaftvollzug zu treffende Entscheidungen auf Anstaltsleiter, Staatsanwalt und Richter de lege ferenda zu verteilen sind125, wird hier nicht Stellung genommen. Da aber die beiden vorliegenden Entwürfe eines Gesetzes über den Voltzug der Untersuchungshaft vorsehen, die Disziplinargewalt der Anstaltsleitung anzuvertrauen 126 , sei zu der allseits für unverzichtbar gehaltenen Disziplinarmaßnahme des Arrests angemerkt, daß er nicht nur eine im Vergleich zum Regelvollzug härtere Freiheitsentziehung darstellt, sondern durch zusätzliche Einengung der Bewegungsfreiheit auch eine „weitere Freiheitsentziehung"127 sein kann und regelmäßig sein wird128, weil er die völlige und „unausgesetzte Absonderung des Gefangenen von anderen Gefangenen" (Nr. 71 UVollzO) bedeutet (Ausschluß aus der Wohngruppe, vom „Umschluß", von Gemeinschaftsveranstaltungen etc.). Als „weitere Freiheitsentziehung" ist der Arrest aber de lege ferenda nach Art. 104 Abs. 2 GG wie de lege lata (§ 119 Abs. 3 u. 6 StPO) nur richterlich zu verhängen.
125
v. Holtqiadorff, Hdb. d. dt. Strafprozeßrechts, 1879, S. 354; Klee, G A 55, Bd. (1908), S. 27; Marx bei Bumke, Dt. Gefängnis we sen, 1928, S. 463 f. Härtung, ZStW 55. Bd, (1936), S, 232 ff; Preusker, ZfStrVo 1981, S. 132 ff; Bwmann, EntwUVollzG, S. 14 ff; Döschl u, a., EntwUVollzG, Vorwort; Müller-Diet^, S traf verteidig er 1984, S. 86 f. m Baumann, EntwUVollzG, §61 m. Begr. S. 111; Döschl u. a., EntwUVollzG, §78. 127 Dürig, in: Maunz/Dürig u. a., GG, Art. 104, Rdn. 8. 128 Weitergehend Achter, NJW 1970, S. 269.
VIII. Ausblick Recht und Praxis des Untersuchungshaftvollzugs sind mit der Feststellung eines Praktikers, Rotthaus, treffend beschrieben: Die gesetzlichen Regelungen „vermitteln eine Vorstellung von Freiheit, die der Wirklichkeit nicht entspricht"1. Die Ausführungen mögen gezeigt haben, daß der „ehrliche Versuch" des Gesetzgebers mißlungen ist, mit einer General klausei (§119 Abs. 3 StPO) „dazu beizutragen, daß dem Untersuchungs gefangenen das Leben nicht schwerer gemacht wird, als durchaus erforderlich ist"2. Der Haftalltag ist von einem solchen Versuch zu weit entfernt, obwohl das geltende Recht, wie deutlich geworden sein dürfte, eine den Vorstellungen des Gesetzgebers entsprechende Haftgestaltung nicht nur nicht ausschließt, sondern für jeden der täglich etwa 15000 Einzelfälle vorschreibt. Sie ist vornehmlich durch die gebotene Differenzierung des Vollzugs nach dem jeweiligen Haftzweck zu erreichen, durch die gesetzlich geforderte Individualisierung und durch Beschränkung aller Freiheitseinbußen auf das zur Abwehr konkreter Gefahren Unerläßliche. Über die gesetzgeberischen Vorstellungen des vorigen Jahrhunderts und die strafprozessuale Regelung hinaus ist der Vollzug de lege lata mit sozialstaatlichen Hilfen und kriminalpräventiv wirkenden Förderungsangeboten als staatlichen Leistungen zu verbinden, um die in Untersuchungshaft verbrachte Zeit mit Sinn und Inhalt zu füllen, sie nicht verlorene oder gar schädliche, sondern nach Möglichkeit eine sinnvolle sein zu lassen. Entgegen der beschriebenen Rechtslage wendet die über Jahrzehnte wenig veränderte, im wesentlichen vielmehr verfestigte Praxis die Generalklausel des § 119 Abs. 3 StPO so an, daß in der Untersuchungshaft Verhältnisse vorgefunden werden, die nicht selten „unmenschlich"3 sind, jedenfalls „erheblich zu wünschen übrig lassen"4. Die Wirklichkeit der Untersuchungshaft ist mehr von der rechtlich bedeutungslosen Tatsache beeinflußt,
1
Rotthaus, NJW 1973, S. 2270. v, Lilienthal, JW 1925, S, 1448. 3 Roxiti bei Meyer, ZStW 82. Bd. (1970), S. 1125. 4 MäiJtr-Diet%, Hdw. d. Kriminologie, 2. Aufl., hrsg. v. Sieverts/Schneider, 5. Bd., 1983, S. 215. 2
VIII. Ausblick
251
daß die weitaus meisten Untersuchungsgefangenen schließlich als Straftäter verurteilt werden, als von der Rechtsvermutung der Unschuld und dem Gebot, das dem Verdächtigen abverlangte Sonderopfer gering zu halten. Da zudem die Vollzugsreform sich auf die Strafhaft beschränkte, ist diese so viel erträglicher und sinnvoller, daß daraus Folgerungen für die Gestaltung der Untersuchungshaft zu ziehen sind und vorläufiger Strafantritt gegenüber Untersuchungshaft nicht länger ein Vorzug zu sein vermag, der Verdächtigen auf Antrag bereits de lege lata zu gewähren ist. Ein Gesetz über den Vollzug der Untersuchungshaft ist demnach nicht nur einer rechtsstaatlichen Bestimmtheit der strafprozessualen Zwangsmaßnahme wegen wünschenswert, sondern auch erforderlich, um den alten gesetzgeberischen Willen mit Einzel regelungen durchzusetzen und mitmenschliche Hilfen vorzusehen, die zugleich der Allgemeinheit dienen. Dabei ist nicht verkannt, daß es letztlich der Geist, der die Anstalten beseelt, und die Grundhaltung, die gegenüber verdächtigen Gefangenen eingenommen wird, sind, die ebenso wie sächliche Mittel, bauliche Einrichtungen und Personalausstattung die Haftwirklichkeit mehr beeinflussen als Gesetzgebungsakte.
Stichwortverzeichnis Akkulturation 208 Alkoholgenuß 159 f, 211, 228 Androcu r-Therapie 218 Angleichungsgrundsatz 145 ff, i 52, 199, 225, 233, 236 Anrechnung der U Haft 36, 57, 82, 87 f, 138f, 154f, 169, 185, 212 Anstaltsunterbringung 56, 63, 64, 65, 78, 90 f, 233 antizipierte Strafe 36, 153, 155 Arbeit 6, 44, 45 (Fn. 22), 58, 81 (Fn. 144), 82, 84 (Fn.155), 152, 157, 174, 175, 176f, 204, 207, 214 (Fn. 587), 216, 223, 226, 228 Arrest 249 Arztwahl 160 ff, 209 Aufenthalt im Freien 188, 207 (Fn. 544), 247 Aufnahme in den Vollzug 194 ff, 226 Ausbüdungsmöglichkeiten 3, 31, 84, 190 (Fn. 449), 215, 216, 228 Ausführung 126 (Fn. 81), 157, 166 (Fn. 288), 189, 190, 192 Ausgang 80, 156, 180, 182 Aufienarbek 157, 204 Außenkontakte 39, 82, 110, 119, 121, 133, 134, 140, 165, 182, 197, 203 ff, 209, 248 Bauliche Anlagen 143,167 ff, 177, 233, 251 Behandlungsangebote 31, 44, 186, 211, 219 Behandlungsvollzug 154 (Fn. 214), 184ff, 211 ff beleidigende Briefe 39, 237 f, 240ff Benachrichtigungspflicht 121f Beobachtung des Gefangenen 219ff, 223f Beobachtungslinsen 126 (Fn. 81), 172f Bequemlichkeiten 141 ff, 160, 166, 232, 238 Berufsausübung 60, 63, 151, 192 (Fn. 465) Besonderes G e wait Verhältnis 49, 50, 112 Besuche 110, 118f, 126, 133, 134, 136 (Fn. 113), 104ff, 107, 179ff, I82ff, 204ff, 225 (Fn. 653), 239, 248
Bewährungshelfer 61 (Fn. 36), 64 (Fn. 49) Bierkonsum 159 (Fn. 248), 160 Briefverkehr 118f, 133, 167, 204, 237f, 240 ff DauerderUHaft21ff, 180 Degradierung des Gefangenen 196 ff Disziplinarmaßnahmen 245 ff Drogen 64 (Fn. 49), 71, 119, 135 Duschen 173f Ehepartner 60, 71,134 (Fn. 111), 18t, 183, 239 Eigenverantwortung des Gefangenen 200f. 208ff, 236, 238 Einkauf 150, 158, 167, 209, 211, 239, 245 (Fn. 103) Einlieferung 195 ff, 203 Einstweilige Unterbringung 89 Einzelhaft 66, 174 ff, 191 Elternrecht 84, 109, 206, 207 (Fn. 544), 226 f Entkleidung 196, 199 Entlassungsvorbereitung 215, 217 Entschädigung 61 (Fn. 38), 139, 169 (Fn. 309) Entsqzialisation 8, 166, 194 ff, 198, 202 f, 210, 216 Erforderlichkeit 1l3f, 123ff, 135 Erlaubnisvorbehalt 148f Ernährung 113, 128, 144, 157, 166f, 173 Erzieherische Gestaltung 10, 29, 46, 47, 49, 84, 186, 206 f, 225 ff, 246 fair trial 141, 189, 191, 193 f, 221 Familie 38, 60, 63, 64, 134, 137, 153, 166, 167, 183f, 204 ff, 208, 226, 239 Ferngespräche 110, 118f, 133, 204 Fernsehen 50 (Fn. 49), 150, 243f Freizeit 3, 31, 39, 45 (Fn. 17), 175, 207 (Fn. 544), 214, 215 f, 226 f, 228 Fürsorgepflicht 140f, 143, 161, 191, 197, 248
254
Stichwortverzeichnis
funktionale Differenzierung 11 Iff, 119, 136,242 Funktiomwandel 18, 71 Gefängnisordnung 29 f, 231 Gegensteuerungsgrundsatz 186ff, 194 ff, 201, 204 f, 210, 218, 227, 248 Gemeinschaftshaft 66, 173, 174ff, 191 Generalprävention 71, 82, 169, 185, 246 Genußmittel 113, 128, 166, 167 Gerichtshilfe 221 ff, 224, 225 geringstmöglicher Eingriff 140f, 237, 247 Geschlechtsverkehr 179ff Gesprächstherapie 215 Geständnis 66 ff, 87, 154, 188f, 218, 221 Gesundheit 128f, 160ff, 188 (Fa. 441), 197 Gieichheitssatz 62, 149 f, 239, 241 Gruppentherapie 215 Haftfrequenz 16 ff, 56 (Fn. 10) Haftgrund/Haftgründe und Differenzierung des Vollzugs 115ff — Häufigkeit der Verwendung 23f Kumulierung 24 (Fn. 102), 70, 131 f der Persönlichkeitsheurteilung 72 der Tatschwere 24, 73, 130f Haftkosten 14 (Fn. 61), 36 (Fn. 1), 60 f Haftmemoiren 38, 39, 43 Haftpsychose 38 (Fn, 4), 69 Haftraum 143, 167 ff Ausschmückung 200 und Bequemlichkeit 160, 170 (Fn. 13) Fenster 171 Größe 170f Ordnung 239f und Tageslicht 171 Haftverschonung 60, 62, 122 Häufigkeit der UHaft 14 ff Hausarrest 55 ff, 78 f, 90 ff Haushaltstage 109,110,151 (Fn. 204), 169, 233, 151 Hausordnung 202, 231 f Hausstrafen 245 ff Heranwachsende 46, 83, 84, 206, 225 ff Individualisierung 45, 63, 148 ff, 198, 200, 209, 219,225, 232, 236, 250 Informationelle Selbstbestimmung 224 Intimbesuche 179 ff
Jugendgerichtshilfe 221 f Jugendliche 10, 17, 23, 28, 29, 37, 46, 47, 49, 57, 81, 82, 84, 186, 202 (Fn. 519), 206, 225 ff junge Gefangene 46 f, 70 (Fn. 85), 83, 225ff Kaution 62, 65, 105, 122 Kleidung 144, 157, 199, 209, 211 Knastsprache 208 (Fn, 551), 243 kompensatorische Rechtspflege 190 Komplizen 122, 206 Kontaktsperre 28 (Fn. 15) Konzentrationsschwäche 69, 138 Kriminalitätsvorbeugung 109, 111, 217 kriminelle Infektion 9, 188 kriminogene Wirkung 8f, 63, 186, 194, 198 (Fn. 496), 203 {Fn. 522), 206, 210 Krisenintervention 71, 88 Lebensbedarf 113, 128 Lebensstandard 144, 151 Lebensweise 113, 128f, 160, 171, 211, 239 Lehrgänge 217 Leistungspflicht der Vollzugs Verwaltung l, 12, 13, 140ff, 158, 225 Minderjährige 84,109,198,207,219,225 ff Minimalisierungsgebot 125, 136ff, 237 Mitteilung von der Verhaftung 121 f Mitwirkungsfreiheit 213 f, 228 Mutter und Kind 60 Nahrungsmittel 166f, 211 Nationalsozialismus 27, 30, 72, 231 (Fn. 12), 240 natürliches Licht 171 Notwehr 241 notwendige Verteidigung 193f Observation 219 ff, 223 f obszöne Schreiben 242 offener Vollzug 80, 157, 168 Ordnung in der Anstalt 109, 230ff Ordnungsstrafen 245ff Pakete 119, 127, 166f, 204 Partikularrechte 58 f, 61 Persönliche Habe 196, 199 ff Persönlichkeitsermittlung 71 f, 219ff, 229 Persönlichkeitsprofil 223 f
Stichwortverzeichnis Personalbestand 47, 110, 164f, 167, 233, 251 Pfarrer 38 (Fn. 4), 93, 117 physische Schädigungen 6, 70, 138, 188, 247 Polizeihaft 89, 197 (Fn. 493) pornographische Lektüre 211, 228 Präventivhaft 74ff, 83, 114, 117, 131, 135, 155 Prisonisierung 201, 208 Privatsphäre 172 f, 178, 220, 223, 224 psychische Belastungen 6, 38, 39, 67, 68 f, 70, 137f, 171, 177, 180f, 187, 189, 192f, 242f Rauchen 113, 228, 239 Rauschgift (s. a. Drogen) 135 Rechtsemgriffe 48 (Fn, 39), 84, 85, 91, 111 ff, 114,117,125 f, 129, 132, 134,135, 142, 152, 162, 165, 172, 212ff, 220, 224, 225, 232, 234, 236 Rechtskraft des Urteils 97 ff Reformbestrebungen 43 ff Rege l minimum 236 ff Reinigung der Zelle 152 Rundfunkempfang 126 (Fn. 81), 148 (Fn. 188), 150 (Fn. 199) Sanitäre Einrichtung 173f Schädliche Folgen 8, 10, 13, 45 (Fn. 22), 110,114,137f, 171,186, 204, 205ff, 210, 217, 225, 228, 232 Schreibmaschine 128 (Fn. 87), 144, 149 (Fn. 189), 234, 243 Schuldenregulierung 61 (Fn. 33), 217 Schwangerschaft 60 {Fn. 31) Selbstbeschäftigung 151, 210 Selbstmord, s. Suizid Sexuelle Not 179 ff Sicherheit der Vollzugsanstalt 113 (Fn. 110), 235 Sicherheitsleistung 62, 65, 105, 122 Sicherungshaft 65 (Fn. 54), 75 (Fn. 112), 89 Sicht 143, 171 Sichtblenden 171 Sonderopfer 13, 109, 110, 113, 121, 125, 136 ff, 158, 168, 169, 203, 210, 232, 236, 248 Sozialarbeiter 39 (Fn, 6), 61, 64, 177 Sozialdienst 10, 60, 202, 204, 221, 222, 224, 243 (Fn. 92)
255
Sozialisation 12, 110, 184 (Fn. 423), 201, 213, 218 sozialkompensatorische Rechtspflege 190 Sozialstaat l, 11 ff, 47, 49, 65, 82, 146 (Fn. 172), 187, 194, 202, 212, 213, 215 ff, 217 f, 248, 250 Spezialprävention 71, 169 (Fn, 308), 184 f, 186, 246 Sport 188, 210 Staatliche Mittel 109, 110, 169, 233 status negadvus/positivus des Gefangenen 114, 142 Strafcharakter 3 fs 152 ff Strafvollstreckung, Einleitung 97 Strafzumessung 110, 214, 220f Suizid 39 ff, 67, 129, 166 (Fn. 291), 176, 178, 191 f, 193, 195, 197 Tataufklärung 65ff, 221 Tauschhandel 200 Telefongespräche 110, 118f, 133, 204 Trainingskurse 214, 217 Trennung der Gefangenen 44, 46, 85, 136, 175, 179 Türspion 125 (Fn. 81), 172f Überbelegung 45, 59, 169 (Fn. 307) Überhaft 93, 96 Umschluß 174, 249 Unbeholfenheit vor Gericht 189f Unschuldsvermutung 2, 10, 83, 84f, 109, 113, 114, 125, 131, 138, 139, 143, 145, 146, 153, 160, 166, 168, 184 (Fn.423), 185f, 198, 206, 211, 212, 215, 217f, 220, 226 (Fn. 657), 229, 232, 236, 251 Unterbrechung von Strafhaft 92 ff von Untersuchungshaft 95 ff Urlaub 3, 157, 180, 182 UVoltzO 30f, 50ff Verbindungshaft 94, 97 Verbrechensbekämpfung l, 2, 7, 10, 63, 82, 184 Vergeltung 71, 82, 169 (Fn. 308), 175 Vergünstigungen 80, 157 Verhaltensprofil 223f Vernehmungen 67 ff, 192 ff Verteidigung 60, 67, 68, 125, 137, 141, 176, 189ff, 192ff, 240, 247f notwendige 193f
256
Stichwortverzeichnis
Vertrauensperson 121, 197, 226 Vollstreckbarkeitsbescheinigung 104, 106 Volistreckung des Haftbefehls 90 Vollstreckungshaft 97, 101, 105 Vollstreckungshaftbefehl 104 Vorbeugehaft 27 (Fn. 14), 74ff, 83, 114, 117, 118, 119,132,135, 155 Vorführung 89 vorläufige Festnahme 89 vorläufiger/vorzeitiger Strafantritt 4, 79flf, 251 Wertsachen 200 f Wiedereingliederung l, 7, 8, 63, 84, 98, 147, 212, 214 Wohngruppen 178 f, 211, 226, 249
Zahl der Inhaftierten 15 ff Zeitschriften 144, 145, 151, 211, 227 Zelle (s.a. Haftraum) 144, 167ff, 211, 223 Doppelzelle 170f sanitäre Einrichtung 173 Übersichtlichkeit 239 Zellenarbeit 176 Zellenbeleuchtung 158, 171, 209, 211 Zellenbelüftung 171 Zellenhaft 174 (Fn. 344) Zellenspion 126 (Fn. 81), 172f, 235 (Fn. 38) Zugang 194 ff Zugangsbelehrung 202 Zugangsbrief 121f Zwischenhaft lOof