Der Sport des Militärs: Perspektiven aus Forschung, Lehre und Praxis 9783111072128, 9783111082493, 9783111083032

Sport has a special significance for the military in general and in soldiers’ everyday work lives and deployment situati

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German Pages 455 [456] Year 2023

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Einleitung: Sport und Militär. Auf den Spuren einer Beziehung
I. Sport und Militär – Über die Beziehung zweier gesellschaftlicher Institutionen
Sport und Bewegung im Militär. Soziologische Bezüge
Krieg, Spiel, Kriegsspiel – und die Frage nach dem spielerischen (Un-)Ernst
Zur Bedeutung des Sports für die Bundeswehr
»Friendship through Sport«. Inter-Allied Games und Military World Games als transnationale Sportgroßereignisse des Militärs
II. Sport als Dienst – Der Alltag im Militär
Sport- und Trainingskonzepte in der Bundeswehr
Professionalisierung der Ausbildung »Körperliche Leistungsfähigkeit« in der Bundeswehr
Sportmedizin der Bundeswehr
»Das haben wir gelernt: Wie kriege ich mich zu Höchstleistungen.« Katrin Bunkus und Monique Pöge im Interview
III. Spitzensport im Militär
50 Jahre Sportförderung. Eine Geschichte des Spitzensports in der Bundeswehr
Sport und danach? Von der Dualen zur Multiplen Karriere
Spitzensportförderung als Kooperationsaufgabe von Politik, Militär und Hochschule
Spitzenleistung unter Druck. Sport und Militär aus sportpsychologischer Sicht
IV. Historische Facetten des Militärsports
»Schon das Spiel ist Kampf, Krieg im kleinen ...« Sport und Militär von der Antike bis heute
Sportorganisation und militärische Mobilisierung im Ersten Weltkrieg. Die Rolle von Turnern am Beispiel der Hamburger Turnerschaft von 1816
Leistungsfähigkeit im Erschöpfungskrieg. Das Sportfest als Indikator für militärische Organisation, Ausbildung und Leistung im Ersten Weltkrieg
Militärsport. Zur Sportausbildung im Militär der Weimarer Republik
»Es gibt wirklich eine Synthese Soldatentum und Fußballkampf.« Militärsport und Soldatenfußballmannschaften unter dem NS-Regime während des Zweiten Weltkriegs
Kämpfer in Rot-Gelb. Körperertüchtigung und Sport im Dienste der sozialistischen Landesverteidigung der DDR
V. Und anderswo?
»Both in war and peace – it is the football men, that I found my greatest reliance«. Beobachtungen zum American Football und den US-Streitkräften
Militär – Sport – Krieg. Funktionalisierungen von Bewegungspraktiken in Großbritannien und dem Empire um 1900
Sport und Militär in den finnischen Streitkräften
»Diplomaten unseres souveränen sozialistischen Staates im Sportdress«. Zum militärsportpolitischen Engagement der DDR in Afrika
»Keiner ist gemeiner als der Friedrichshainer.« Spiel, Kampf, Identität
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Der Sport des Militärs: Perspektiven aus Forschung, Lehre und Praxis
 9783111072128, 9783111082493, 9783111083032

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Der Sport des Militärs

Beiträge zur Militärgeschichte Begründet vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt Herausgegeben vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr Band 82

Der Sport des Militärs Perspektiven aus Forschung, Lehre und Praxis Im Auftrag des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr herausgegeben von

Martin Elbe und Frank Reichherzer

Redaktion: ZMSBw, Fachbereich Publikationen (0917‐01) Projektkoordination, Lektorat: Michael Thomae Texterfassung, Satz, Cover, Grafiken: Carola Klinke Bildrechte: Esther Geiger Print ISBN 978-3-11-107212-8 Ebook (PDF) ISBN 978-3-11-108249-3 Ebook (EPUB) ISBN 978-3-11-108303-2 Library of Congress Control Number: 2023930478 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. © 2023 Walter de Gruyter GmbH Berlin/Boston Titelbild: Gerd Arntz, Sport, Präzisionsarbeit. Lehrbilder 1931-1938, Blatt 9, Ausschnitt (Bildarchiv Foto Marburg) Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Inhalt Vorwort.......................................................................................................... VIII Einleitung: Sport und Militär. Auf den Spuren einer Beziehung Frank Reichherzer und Martin Elbe............................................................ 1 I. Sport und Militär – Über die Beziehung zweier gesellschaftlicher Institutionen Sport und Bewegung im Militär. Soziologische Bezüge Martin Elbe............................................................................................... 19 Krieg, Spiel, Kriegsspiel – und die Frage nach dem spielerischen (Un-)Ernst Martin Rink.............................................................................................. 45 Zur Bedeutung des Sports für die Bundeswehr Georg Klein und Christian Lützkendorf....................................................... 71 »Friendship through Sport«. Inter-Allied Games und Military World Games als transnationale Sportgroßereignisse des Militärs Jürgen Mittag und Danlin Wu.................................................................... 85 II. Sport als Dienst – Der Alltag im Militär Sport- und Trainingskonzepte in der Bundeswehr Miriam Ködderitzsch-Frank........................................................................ 107 Professionalisierung der Ausbildung »Körperliche Leistungsfähigkeit« in der Bundeswehr Daniela Klix.............................................................................................. 127 Sportmedizin der Bundeswehr Andreas Lison und Christian Lützkendorf.................................................... 141 »Das haben wir gelernt: Wie kriege ich mich zu Höchstleistungen.« Katrin Bunkus und Monique Pöge im Interview Martin Elbe............................................................................................... 159

VI Inhalt

III. Spitzensport im Militär 50 Jahre Sportförderung. Eine Geschichte des Spitzensports in der Bundeswehr Andreas Hahn und Kristin Schönherr.......................................................... 169 Sport und danach? Von der Dualen zur Multiplen Karriere Martin Elbe............................................................................................... 187 Spitzensportförderung als Kooperationsaufgabe von Politik, Militär und Hochschule Jochen Zinner, Daniel Lange und Andreas Mues.......................................... 205 Spitzenleistung unter Druck. Sport und Militär aus sportpsychologischer Sicht Sebastian Brückner..................................................................................... 217 IV. Historische Facetten des Militärsports »Schon das Spiel ist Kampf, Krieg im kleinen ...« Sport und Militär von der Antike bis heute Peter Tauber............................................................................................... 235 Sportorganisation und militärische Mobilisierung im Ersten Weltkrieg. Die Rolle von Turnern am Beispiel der Hamburger Turnerschaft von 1816 Philipp Münch........................................................................................... 247 Leistungsfähigkeit im Erschöpfungskrieg. Das Sportfest als Indikator für militärische Organisation, Ausbildung und Leistung im Ersten Weltkrieg Christoph Nübel......................................................................................... 267 Militärsport. Zur Sportausbildung im Militär der Weimarer Republik Herkules Reimann...................................................................................... 289 »Es gibt wirklich eine Synthese Soldatentum und Fußballkampf.« Militärsport und Soldatenfußballmannschaften unter dem NS-Regime während des Zweiten Weltkriegs Markwart Herzog....................................................................................... 299 Kämpfer in Rot-Gelb. Körperertüchtigung und Sport im Dienste der sozialistischen Landesverteidigung der DDR Rüdiger Wenzke.......................................................................................... 339

Inhalt VII

V. Und anderswo? »Both in war and peace – it is the football men, that I found my greatest reliance.« Beobachtungen zum American Football und den US-Streitkräften Dieter H. Kollmer...................................................................................... 351 Militär – Sport – Krieg. Funktionalisierungen von Bewegungspraktiken in Großbritannien und dem Empire um 1900 Frank Reichherzer...................................................................................... 373 Sport und Militär in den finnischen Streitkräften Antti Seppo................................................................................................ 405 »Diplomaten unseres souveränen sozialistischen Staates im Sportdress«. Zum militärsportpolitischen Engagement der DDR in Afrika Daniel Lange............................................................................................. 417 »Keiner ist gemeiner als der Friedrichshainer.« Spiel, Kampf, Identität Martin Rink.............................................................................................. 431

Vorwort Für das Militär haben Sport und Bewegung eine besondere Bedeutung. Bereits in der Antike wurden körperliche Ertüchtigung und athletisches Training – also das, was wir heute als Sport bezeichnen – als ideale und natürliche Vorbereitung auf die körperlichen Belastungen eines bewaffneten Konflikts betrachtet. Ein guter Krieger war und ist in diesem Verständnis immer auch ein guter Athlet. Körperliche Fitness hat in modernen Streitkräften unverändert einen hohen Stellenwert, aller Motorisierung und Technisierung zum Trotz. Dem Sport wird darüber hinaus eine erzieherische Funktion unterstellt, da das regelmäßige Ertragen körperlicher Belastungen immer auch Selbstdisziplin und Überwindung voraussetzt. Mannschaftssport stärkt zudem Teamfähigkeit und Kameradschaft sowie das taktische Denken – Qualitäten, die im Militär hohe Bedeutung haben. Auch wenn der Duke of Wellington das ihm zugeschriebene Bonmot, die Schlacht von Waterloo sei auf den Sportfeldern von Eton gewonnen worden, vermutlich niemals gesagt hat, so erfasst dieses berühmte Diktum doch sehr präzise die positiven Eigenschaften, die dem Sport in der Erziehung junger Menschen zugeschrieben werden. Sport sollte und soll also nicht nur den Körper, sondern ebenso den (kriegerischen) Geist formen. Die Vorstellung vom Sport als Instrument der Völkerverständigung und des Friedens ist dagegen vergleichbar jung. Die sportlichen Großveranstaltungen des Internationalen Militärsportverbandes (CISM) sowie die Invictus Games für versehrte Soldatinnen und Soldaten, die 2023 erstmals in Deutschland ausgerichtet werden, zeigen aber, dass diese Sichtweise auch im Militär Unterstützung findet. Umso mehr muss erstaunen, dass die zahlreichen Erscheinungsformen des Zusammenhangs zwischen Sport und Militär bisher nicht Gegenstand umfassender Forschung geworden sind. Im März 2020 sollten sie im Rahmen einer zweitägigen Tagung am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) in Potsdam präsentiert und diskutiert werden. Eine Woche vor dem geplanten Termin musste die Tagung jedoch wegen der Corona-Pandemie abgesagt werden. Das ZMSBw hat sich daher entschlossen, die bereits vorbereiteten Beiträge in einem Sammelband zu veröffentlichen, zumal das Thema Sport und Militär interdisziplinär kaum erschlossen zu sein scheint. Mit Blick auf die Breite der bearbeiteten Einzelthemen stellt der Sammelband zum Sport im Militär eine Ausnahme dar. Er sollte nicht nur Sportbegeisterte interessieren, sondern sowohl innerhalb wie auch außerhalb der Bundeswehr Aufmerksamkeit erzielen. Dieser Überblicksband vereint die zentralen Aspekte des Militärsports aus sportwissenschaftlicher, sozialwissenschaftlicher, psychologischer,

Vorwort IX

medizinischer und historischer Sicht. Hinzu kommt mannigfaltiges Praxiswissen, das Einblicke in Konzeption und Alltag des Sports, auch des Spitzensports, in der Bundeswehr gewährt. Den Herausgebern des Bandes, Prof. Dr. Martin Elbe und Dr. Frank Reichherzer, gilt mein Dank für die Realisierung des Vorhabens und die Zusammenstellung der Inhalte. Insbesondere möchte ich den Autorinnen und Autoren danken, dass Sie unser Projekt durch die schwierigen Zeiten hindurch unterstützt und dieses Buch mit Inhalt gefüllt haben. Es freut mich, dass es gelungen ist, mit Herrn Staatssekretär a.D. Dr. Peter Tauber und Herrn Generalmajor Georg Klein wichtige ehemalige Entscheider für den Sportbereich in der Bundeswehr für das Projekt gewonnen zu haben. Ich wünsche dem Buch zum Sport des Militärs viel Erfolg!

Dr. Sven Lange Oberst i.G. und Kommandeur des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr

Redaktionelle Anmerkungen Alle Autorinnen und Autoren dieses Bandes sind sensibel für gendergerechte Sprache. Da unsere Sprache stets im Fluss ist, haben wir uns gegen eine Vereinheitlichung der Schreibweisen entschieden. Interdisziplinarität hat neben vielfältigen Vorteilen auch formale Tücken. So unterscheiden sich Wissenschaftskulturen auch in ihren Zitations- und Belegformen. Wir haben diese weitgehend entlang des sogenannten Harvard-Systems vereinheitlicht. Allerdings sind bei den Texten aus der Geschichtswissenschaft bei der Paraphrase vielfach die entsprechenden Seitenzahlen als zusätzliche Information angegeben, da dieser Nachweis in der Fachkultur wichtig ist.

Frank Reichherzer und Martin Elbe

Einleitung: Sport und Militär. Auf den Spuren einer Beziehung Einordnung Dieser Text der Herausgeber führt in das Themengebiet Sport und Militär aus historischer und sozialwissenschaftlicher Sicht ein. Er erläutert den Bedarf für ein Buch und gibt einen Themenüberblick. Es wird die Breite der möglichen Perspektiven auf das Themengebiet angesprochen und der Aufbau des Bandes zum Sport des Militärs vorgestellt. Autoren Martin Elbe, Prof., Dr. rer. pol., Dipl.-Kfm., Dipl.-Soz., forscht zu Militärsoziologie und Sozialpsychologie am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam. Als früherer Studiengangsleiter Sport- und Freizeit­ manage­ment an der Hochschule für Gesundheit und Sport in Berlin und Haupt­ mann d.R. gilt sein Interesse insbesondere dem Militärsport. Frank Reichherzer, Dr. phil., Historiker, forscht am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam. Gegenwärtig richtet sich sein Interesse auf den Zusammenhang von Militär und Zeitlichkeiten sowie auf militärische Gewaltformen. Mit den Themen Sport und Freizeit hat er sich in Forschung und Lehre auseinandergesetzt und hierzu auch publiziert.

1. The ›Greater Game‹ Kickoff ins Niemandsland! Es ist der 1. Juli 1916. Sieben Tage und Nächte lang hat ein ununterbrochenes, bis dahin unvorstellbares Artilleriefeuer die Erde der Picardie umgepflügt und das Land zwischen den Schützengräben in eine unwirtliche, monströse Welt verwandelt. Am Morgen dieses ersten Tages der allierten Somme-Offensive, genau um 7:27, sprangen Captain Nevill, Chef der B-Company der 8th East Surreys, und sein Stellvertreter Bobby Soames im nördlichen Bereich der Frontlinie aus dem vordersten Graben auf.1 Jeder von ihnen hatte einen Fußball in der Hand und schoss diesen in hohem Bogen ins Niemandsland zwischen die britischen und deutschen Stellungen. Hinter den beiden erhoben sich die Soldaten aus den Gräben und rann1

Private A. Fursey wird gelegentlich als weiterer Kicker beim Anstoß genannt.

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Frank Reichherzer und Martin Elbe

ten den Bällen hinterher, dribbelnd und passend – so sagte man – direkt ins deutsche Abwehrfeuer hinein (Harris 2007; Adams 2020).2 Für Wilfried ›Billie‹ Nevill sollte es sein letzter Anstoß gewesen sein. Denn kurz nach seinem Abschlag zum Auftakt der Schlacht wurde Neville von einer Kugel getroffen. Er starb sofort – als einer von 19 240 britischen Soldaten, die den ersten Tag der Offensive nicht überleben sollten. Fußball war eine der beliebtesten und wichtigsten Beschäftigungen der Surreys, wie die Soldaten aus der gleichnamigen englischen Grafschaft genannt wurden, und in Nevills Kompanie. Fußball diente der Unterhaltung, der Zerstreuung, der Fitness und auch der Gruppenbindung (Adams 2020: 2 f.). Am Abend vor der Schlacht hatte Neville einen Preis für denjenigen Zug ausgerufen, der es als erstes schaffen würde, einen Ball in die deutschen Stellungen zu kicken. Auf den ersten Blick erscheint das recht kurios, wenn nicht gar ›verrückt‹. Doch Nevill nutzte hier den Sport zur Motivation, zur Überwindung von Angst und Nervosität, zur Erzeugung von Gemeinschaft wie auch als Mittel zur Führung (ähnlich auch Adams 2017: 202 f.; Adams 2020: 8). Folgt man dem Bericht des Reporters des »Daily Telegraph«, so spielten die Männer am nächsten Tag die Bälle immer weiter nach vorne durch die Hölle des Niemandslandes »with hoarse cries of encouragement or defiance«.3 Fünf Stunden später hatte die B-Company als eine von wenigen Einheiten ihr erstes Angriffsziel unter immensen Verlusten erreicht. Tatsächlich sollen in deutschen Gräben die Bälle gefunden worden sein, die Nevill am Abend vorher noch mit »The Great European Cup-Tie Final. East Surreys v Bavarians. Kick off at zero« – wobei »zero« im Militärjargon für ›zero hour‹ steht, den genauen Zeitpunkt des Angriffs. Der andere Ball war mit »No Referee« (in Großbuchstaben) beschrieben und deutet das bevorstehende erbarmungslose Gemetzel an.4 Die »Daily Mail« verarbeitete die Ereignisse in Frankreich in einem pathetischen Gedicht unter dem Titel »The Game«.5 Auf Postkarten fand sich schon zeitgenössisch die ›Football-Charge‹6 der East Surreys (Abbildung  1) als bis heute lebendig gehaltene Ikone des scheinbar im Trommelfeuer erschallenden Gleichklangs von ›Sporting Spirit‹ und ›Fighting Spirit‹7 (siehe auch Reichherzer in diesem Band).

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Siehe auch das Kriegstagebuch des Regiments, Eintrag vom 1.  Juli 1916, (letzter Zugriff 23.6.2022). Galant East Surreys. A Charge with Footballs, Daily Telegraph, 12.7.1916. Es lässt sich eine Vielzahl weiterer Medienberichte zu diesem Ereignis finden. Zur Rolle des Fußballs im Ersten Weltkrieg im Rahmen des Militärs auf deutscher Seite siehe Tauber (2008) und Eiben (2016, insbes. Kapitel 7). Die Bälle wurden noch während des Krieges zu musealen Kultobjekten. Ein Ball befindet sich heute im Princess of Wales‘s Royal Regiment Museum, Dover Castle. Der zweite Ball war im Queen’s Royal Surrey Regimental Museum, Clandon Park, Guildford ausgestellt, ist aber bei einem Feuer 2015 verbrannt. Tochstone, »THE GAME: On through the hail of slaughter / Where gallant comrades fall / Where blood is poured like water / They drive the trickling ball / The fear of death before them / Is an but empty name; / True to the land that bore them /The Surreys play the game!«, so die erste Strophe. Daily Mail vom 12.7.1916. Während des Ersten Weltkrieges gab es mehrere solcher ›football-charges‹. Zur Geschichte der Illustrationen und der Rolle der Angriffe mit einem Fußball im Ersten Weltkrieg siehe Adams (2017).



Einleitung: Sport und Militär

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Abbildung 1: Druck nach dem Gemälde »The Surreys Play the Game« von Richard Caton Woodville Jr., 1916.  Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo

Das tragische ›Heldentum‹ dieses Angriffes ist mehr als hundert Jahre später verblasst. Was bleibt, ist allein eine tragische Episode aus dem Großen Krieg, die weniger von Sportsgeist und Kampfgeist berichtet, als von Hilflosigkeit und Ohnmacht der Soldaten gegenüber der Realität des industriellen Massenkrieges. Es zeigt sich, wie Krieg und Kampf als ›Greater Game‹8 in den Referenzrahmen des Sports gepresst und so zumindest in Ansätzen greifbar gemacht wurden. Das gilt sowohl für Captain Nevill, der mit Fußbällen versuchte, dem Sprung aus dem Graben ins Ungewisse Sinn zu geben und dabei auf Solidarität, Loyalität und Überwindung von Ängsten setzte. Das gilt auch für die Berichterstattung und die Be- und Verarbeitung der Ereignisse und des Erleidens des Krieges, die das Unbegreifliche in den Motiven des Sports aussprachen (hierzu etwa James 2006; Fussel 1975). Im Kontext des desaströsen ersten Tages der alliierten Offensive ist auch die Bedeutung des Medialen zu erkennen. Der Angriff im Abschnitt der Surreys war eines der wenigen erfolgreich geführten Gefechte an diesem viele Menschenleben verschlingenden Tag. Trotz der 8

Zum in der Alltagssprache der Zeit verbreiteten Topos des ›Greater Game‹ liefert ein Werbeposter, das sich explizit an Fußballer und andere Sportler mit der Aufforderung »Play the Greater Game!« richtet. Neben der Sport-Analogie, die hier in Wort und Bild wie auch der Kombination aufgegriffen wird, macht der Aufruf, nun (endlich) das größere Spiel zu spielen, auf einen zeitgenössischen Kritikpunkt aufmerksam: die Spannung zwischen Freizeitvergnügen in der Heimat und dem Fronteinsatz der Soldaten im Weltkrieg. Das Poster ist abgedruckt im Beitrag von Reichherzer in diesem Band.

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Frank Reichherzer und Martin Elbe

ungeheuerlichen Verluste stand mit der ›Football-Charge‹ eine Geschichte bereit, die vom Triumph des britischen Charakters, vom Kampfgeist und von Courage des englischen Soldaten und schließlich auch der militärischen Leistungsfähigkeit der Freiwilligenverbände der British Expiditionary Force erzählen konnte (Adams 2020: 10). Wie auch immer die wahnsinnigen Dribblings im Rahmen einer überkommenen Infanterietaktik unter Feuer aus Maschinengewehren, Geschützen und Kanonen irgendwo an der Somme 1916 ausgesehen haben mögen, sie können als eines der vielen Beispiele für die Verbindung von Sport und Militär stehen. Die Gleichung guter Soldat/gute Soldatin = guter Sportler/gute Sportlerin (und andersherum) ist offensichtlich facettenreicher und komplizierter, als man zunächst vermuten würde – was auch die Grafik von Gerd Arnzt auf dem Titel dieses Buches andeutet.9 So sind in der Gleichung (mindestens) noch Variablen und Faktoren des Politischen, Sozialen, Kulturellen, Ökonomischen und nicht zuletzt des Medialen manchmal versteckt, manchmal sichtbar zu finden (hierzu etwa Donaldson 2018 wie auch der Beitrag von Herzog, die beiden Aufsätze von Rink und die Beiträge von Tauber wie auch Reichherzer in diesem Band). Die Spannbreite des Verhältnisses von Militär und Sport reicht von den Surreys, die den Sport in das Kampfgeschehen unmittelbar hineintragen, bis zur Vorstellung von Militarismus und Krieg als »Zuschauersport« (Mann 2000: 43). Wie im Leistungssport wird die Gesellschaft dabei zum Zuschauer: »Sozusagen vom Spielfeldrand feuerte sie ›ihre Jungs‹, die Berufssoldaten,« an (Mann 2000: 43). Dem oft beanspruchten engen Verhältnis von Sport und Militär liegt daher keine Selbstverständlichkeit oder gar ein eingebauter Automatismus zugrunde. Vielmehr sind eine Reihe unterschiedlicher Akteure – nicht nur aus den Feldern Militär und Sport – daran beteiligt, dieses Verhältnis aktiv und permanent herzustellen. Beim Knüpfen dieser Beziehung sind zahlreiche Akteure und Gruppen am Werk, die mitunter verschiedene Interessen haben und aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Feldern – nicht nur aus Militär und Sport – kommen. Die ›Football Charge‹ von 1916 deutet bereits an, weshalb ein Band zum Sport des Militärs vonnöten ist: Die möglichen Facetten des Verhältnisses von Sport und Militär sind nicht nur darzustellen, sondern auch zu hinterfragen. Aus verschiedenen Perspektiven soll das Forschungsfeld erschlossen und interdisziplinär geöffnet werden.

2. Sport und Militär – Bedarf für den Herausgeberband Sport hat für das Militär generell und für die Soldaten und Soldatinnen in ihrem Dienstalltag eine besondere Bedeutung. Zum einen wird körperliche Fitness als Teil der Einsatzfähigkeit konkret kompetenzorientiert gefördert, zum anderen hat sich über die letzten 150 Jahre eine grundsätzliche Sportorientierung in Streitkräften etabliert. Sport und Bewegung sind in zahlreichen Erscheinungsformen wichtig für das Militär und manifestieren sich auch im Bereitstellen entsprechender Ressourcen, bei der Bundeswehr beispielsweise in den Einheiten, an den Truppenschulen und 9

Eine kurze Bildanalyse findet sich bei Virchow (2005): 203.



Einleitung: Sport und Militär

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sonstigen Bildungseinrichtungen (u.a. Sportschule Warendorf und im eigenständigen Sportstudiengang an der Universität der Bundeswehr München). Sport ist Teil des Alltags von Soldatinnen und Soldaten in ihrem Dienst oder sogar Gegenstand des Dienstes im Alltag der Sportsoldaten und -soldatinnen. Die körperliche Fitness wird heute in der Bundeswehr in Leistungstests und Sportwettkämpfen demonstriert und überprüft. Auch in internationalen Vergleichswettkämpfen wird die sportliche Leistungsfähigkeit der Soldatinnen und Soldaten unter Beweis gestellt. Beispielsweise organisiert die Bundeswehr 2022 die 4. World Winter Games des Internationalen Militärsportverbandes (Conseil Internationale du Sport Militaire, CISM; hierzu Mittag/Wu in diesem Band). Zum Dienstsport tritt der ›Gesundheitssport‹, also Bewegungsformen zur Gesundheitsförderung und Prävention hinsichtlich spezifischer Belastungen durch den Arbeitsprozess (vgl. Elbe 2020). Im Rahmen des ›Betrieblichen Gesund­heits­ mana­ge­ments‹/der ›Betrieblichen Gesundheitsförderung‹ stehen damit nicht Leis­ tungs­steigerung oder Wettkampf im Vordergrund. Prinzipiell gilt das auch für den Rehabi­litationssport, der nach Verletzungen und/oder Einschränkungen der Funk­ tio­nalität des Bewegungsapparats die Wiederherstellung der Bewegungsfähigkeit fördern soll. Allerdings zeigt sich innerhalb des Militärs hier wieder die Neigung zum Wettkampf. So messen sich seit 2014 unfallgeschädigte, behinderte oder einsatzbedingt traumatisierte Soldaten und Soldatinnen bei den sogenannten Spielen der Unbesiegten (Invictus Games), die 2023 in Düsseldorf ausgetragen werden sollen. Die Spitze der sportspezifischen Wettkampforientierung in der Bundeswehr bildet zweifellos die Leistungsportförderung in ihren Sportfördergruppen. In der olympischen und sonstigen Spitzensportförderung ist die Bundeswehr einer der wichtigsten Akteure in Deutschland. Diese ›Sportsoldatinnen‹ und ›Sport­soldaten‹ sind aktive Spitzensportler, die in nationalen und internationalen Sport­wett­kämpfen antreten und in diesem spezifischen Status die Gelegenheit erhalten, sich ganz dem Leistungssport zu widmen. In zahlreichen Sportfördergruppen trainieren in ganz Deutschland mehr als 700  Sportlerinnen und Sportler in ca. 70  Sportarten als Soldatinnen und Soldaten für die Teilnahme an nationalen und internationalen Wettkämpfen (vgl. hierzu Hahn/Schönherr in diesem Band sowie – kritisch – Klie 2019). Bei olympischen Spielen werden knapp die Hälfte aller deutschen Medaillen von Bundeswehrangehörigen gewonnen. Damit wird nicht nur das Image der Bundeswehr gefördert, sondern auch der gesellschaftliche Auftrag an den Bund zur Spitzensportförderung erfüllt. Die Bedeutung von Sport im Militär reicht über den Spitzensport hinaus und berührt mit der Förderung der grundlegenden Fitness der Soldatinnen und Soldaten den Kernauftrag der Bundeswehr. Die verschiedenen Anforderungen und Tätigkeitsprofile, die der Dienst in den Streitkräften mit sich bringt – von der Stabsarbeit und der Arbeit an Telearbeitsplätzen über den infanteristischen Kampf bis hin zum Fliegen von Flugzeugen im Überschallbereich – erfordern auf unterschiedliche Weise körperliche Fitness und Ausdauer. Die generelle Mindestanforderung ist (nach dem Soldatengesetz § 17a Abs. 1) der individuelle Erhalt der Gesundheit. Zur Erhaltung der Einsatzfähigkeit bedarf es des körperlichen Trainings.

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Frank Reichherzer und Martin Elbe

Die Sportausbildung im modernen Massenheer war in Deutschland – spätestens seit Anfang des 20.  Jahrhunderts – auf die Rekruten gerichtet und sollte diese an die Belastungen des Militärdienstes anpassen. Die Bundeswehr hat sich hinsichtlich der Sportausbildung zuerst am Breitensport orientiert, inzwischen aber die Einsatzfähigkeit der Soldatinnen und Soldaten in den Fokus gerückt. Zur Sportausbildung in der Bundeswehr macht die entsprechende aktuelle Vorschrift »A1-224/0-1 – Sport und Körperliche Leistungsfähigkeit« (Bundeswehr 2017) deutlich, dass diese sowohl der Erziehung und Ausbildung der Soldatinnen und Soldaten dient, als auch in Verbindung mit dem Sportsystem der Gesellschaft insgesamt steht. Mit dem Sport ist die Bundeswehr an ein wichtiges gesellschaftliches Phänomen der Moderne gebunden; zugleich hat sie Gelegenheit, die eigene Attraktivität als Arbeitgeber zu fördern. Dies nach außen zu dokumentieren und zu kommunizieren, ist eine wichtige Aufgabe der Spitzensportförderung der Bundeswehr ebenso wie aller Soldatinnen und Soldaten. Sowohl die historische Relevanz als auch die Breite des aktuellen Beziehungsgeflechts zwischen Sport und Militär begründen den Bedarf nach einem grundlegenden wissenschaftlichen Überblick zu diesem Thema, den dieses Buch in der Breite der Perspektiven abdecken will. Damit soll dem fachwissenschaftlichen Interesse in Forschung (z.B. in sportwissenschaftlichen Instituten) und Lehre (in sportwissenschaftlichen Studiengängen, in der Sportausbildung in den Streitkräften) sowie für die Praxis (speziell in der Bundeswehr und in sportspezifischen Organisationen) ein kompaktes und kontextualisierendes Informationsangebot gemacht werden.

3. Perspektiven auf Sport und Militär Die Bedeutung des Sports für Militär und Gesellschaft wird in diesem Band aus den Perspektiven von Forschung, Lehre und Praxis analysiert, wobei ein besonderer Fokus auf die sozialwissenschaftliche und die militärgeschichtliche Sicht gelegt wird, die den Forschungsauftrag des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr ausmacht. Der historische Blick zeigt, dass der Zusammenhang zwischen körperlicher Athletik und Kampf schon seit der Antike, etwa mit den Pentathlon-Disziplinen Laufen, Springen, Speer- und Diskurswurf sowie Ringkampf, hergestellt wird (Tauber in diesem Band). Die sozialwissenschaftliche Perspektive findet sich unter anderem in der Interpretation der Bedeutung des Sports im Militär in Bezug auf den gesamtgesellschaftlichen Kontext wie auch in der veränderten Sportpraxis im Alltag der Soldaten, beispielsweise der aktuellen Verschiebung des Gewichts des Dienstsports weg vom (an der Leichtathletik orientierten) Breitensport, hin zu eher einsatzorientiertem Sport in unterschiedlichen Leistungsgruppen. Zugleich wohnt dem Sport oft ein militärischer Bezug inne. Dies wird beim Fußball deutlich, wenn von Angriff, Sturm oder Verteidigung gesprochen wird oder wenn von ›Sportskanonen‹ die Rede ist. Ähnlich wie in der Antike umfasst der Moderne Fünfkampf heute noch militärische Elemente – nur sind dies jetzt Schießen, Fechten, Reiten, Schwimmen und Geländelauf. Auch Biathlon ist eine Disziplin, die als ›Militärpatrouille‹ bei den Olympischen Winterspielen 1924



Einleitung: Sport und Militär

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zunächst als Demonstrationswettkampf von Soldaten ausgetragen wurde und dann Aufnahme in die Liste olympischer Disziplinen fand. Zur weiteren Einordnung dient die Frage: Was ist eigentlich Sport? Zwar liegt dem Sport eine Wettkampfdimension und eine unterstellte eigentliche Zweckfreiheit – ein l’art pour l’art – zugrunde. Doch hat sich dieses an der höfischern Gesellschaft ausgerichtete Ideal, an das auch die Scheidung von ›Amateur‹ und ›Profi‹ gebunden ist, in der Gegenwart überholt. Die verschiedenen, fein ausfifferenzierten Körpertechniken10 (Stichweh 1990) sind heute auf das engste verknüpft. Mindestens mit den Olympischen Spiele der Neuzeit haben sich kategorische Abgrenzungen als wenig trennscharf erwiesen.11 Im 20. Jahrhundert hat sich das Wort ›Sport‹ international zu einem unbestrittenen Obergriff mit vielfältigen Verästelungen entwickelt, das sämtliche Formen der Demostration, Prüfung, Steigerung und Erhaltung körperlicher und mentaler Leistungsfähigkeit (Stichweh 1990) wie Athletik, Gymnastik, Turnen, Leibesübungen, Spiel wie auch Fitness (hierzu Martuschukat 2019), Motor­ sport und vielleicht sogar Computerspiele – e-sports – mit einschließt. Der Sport hat nicht nur eine wichtige wirtschaftliche Bedeutung erlangt und ist ein maßgeblicher Treiber der Veranstaltungs-, Freizeit- und Ausrüstungsindustrie geworden, sondern er ist Teil eines Habitus, der den modernen Menschen – und damit den modernen Soldaten – prägt. Im Sport werden Sinnangebote für den Einzelnen gemacht, die von der eigenen Körpererfahrung über Integration und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben bis hin zur organisationalen Eingebundenheit im Alltag reichen. Sportvereine zählen zu den größten Organisationen des Landes und die Bundeswehr kann zugespitzt als der größte Sportverein in Deutschland bezeichnet werden (Elbe in diesem Band). In diesem Sinn schafft das Militär als Organisation physische Räume für den Sport, es erschafft aber auch Sinnräume sozialen Handelns in der Ausübung von Sport und instrumentalisiert ihn für seine eigenen Zwecke. Alle Autorinnen und Autoren des Bandes zum Sport des Militärs treten mit dem Ziel an, je eine bestimmte Perspektive auf das Verhältnis von Sport und Militär zu vertiefen. Versammelt sind Beiträge aus nahezu allen mit Sport und Militär in Verbindung stehenden Wissenschaftsdisziplinen. Sie werden ergänzt um Beiträge zu Organisation und Praxis des Militärsports. Die Herausgeber verfolgen zusammen mit den Autorinnen und Autoren das Ziel, das Feld von Sport und Militär in seiner Breite und Tiefe abzustecken. Der Sammelband soll informative Grundlagen schaffen, Ansätze versammeln und Bezüge deutlich machen, woraus idealerweise weitere Forschungen entstehen. Dies weist aber auch auf Aspekte des Sports hin, die an den organisationalen Rändern des Militärs liegen, wie vormilitärische Ausbildung oder auch ›Wehrsport‹ (Hinweise bei Tauber in diesem Band).12 Der empirische Fokus 10

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Das rein Körperliche ist zwar der zentrale Bezugspunkt, dieser ist aber um die Dimension des Körperlich-Geistigen zu ergänzen, nur in diesem Zusammenwirken sind sportliches Handeln und Interaktionsordnungen zu verstehen und zu erklären. Zwar hat die ›Reinliche Scheidung‹ – die Trennung von Sport- und Turnvereinen – in den 1920er Jahren im damaligen Deutschen Reich nochmals kurzzeitig ideologische Unterschiede deutlich werden lassen, doch waren diese eher organisatorischer und verbandspolitischer Art (vgl. den Beitrag von Elbe in Sektion I dieses Bandes). Obwohl an der Grenze von Militarisierung und Bellifizierung des Sports angesiedelt, bilden sie bezüglich der Referenzpunkte Militär oder Krieg (Reichherzer 2012) ein interessantes Forschungsfeld.

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Frank Reichherzer und Martin Elbe

des vorliegenden Bandes richtet sich vornehmlich auf Deutschland und die deutschen Streitkräfte. Doch mit dem Blick ›nach anderswo‹ erweitert sich exemplarisch die Perspektive geografisch und inhaltlich. Darüber hinaus sind die Ergebnisse aller Artikel – zumindest als Anregung – offen für Übertragungen und Transfers auf andere Streitkräfte und andere Zeiten.

4. Aufbau des Buches Das Buch zum Sport des Militärs ist in fünf Sektionen untergliedert, die jeweils einem spezifischen Themenfeld gewidmet sind. In Sektion  I werden die grundlegenden Beziehungen von Sport und Militär behandelt. In Sektion  II (Sport als Dienst: Der Alltag im Militär) und Sektion  III (Spitzensport im Militär) werden die aktuellen An- und Herausforderungen des Sports in der Bundeswehr diskutiert. Sektion IV versammelt Beiträge zu historischen Facetten des Militärsports (speziell in Deutschland) und in Sektion V werden weitere Bezüge über die deutsche Sicht und ggf. auch über Militär und Sport im engeren Sinn hinaus angesprochen. Die Sektionen und deren Beiträge sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden, um einen Überblick über das Buch zu geben. Die erste Sektion »Sport und Militär – Über die Beziehung zweier gesellschaftlicher Institutionen« legt die Grundlagen der Betrachtung des Zusammenhangs zwischen den beiden Themenfeldern. Hierzu wird im Beitrag von Martin Elbe »Sport und Bewegung im Militär« die gesellschaftliche Bedeutung des Sports in seiner besonderen Bezogenheit auf das Militär erörtert. Als Interpretationshilfen kommen zwei sozialwissenschaftliche Subdisziplinen besonders in Frage: die Sportsoziologie und die Militärsoziologie. Untersucht wird, wie sich die Verflechtung von Sport und Militär vollzieht und wie Sport und Militär soziale Beziehungen und Strukturen prägen. Im zweiten Beitrag der ersten Sektion erkundet Martin Rink den Zusammenhang zwischen »Krieg, Spiel, Kriegsspiel«. Er macht (durchaus mit historischem Zugriff) deutlich, dass es zahlreiche Zusammenhänge und Überschneidungen gibt, zeigt aber auch den zentralen Unterschied zwischen Spiel und Krieg auf: Das Spiel ist zweckfrei, der Krieg ist es nicht. Das Kriegsspiel schließlich steht zwischen den beiden und veranschaulicht, dass es Grauzonen gibt, die in der Realität immer wieder aufscheinen. Georg Klein und Christian Lützkendorf analysieren den »militärischen Wert des Sports« und kommen zu dem Ergebnis, dass Sport in der Bundeswehr in seinen Erscheinungsformen in hohem Maß mit den Kernaufgaben der Streitkräfte verwoben ist: Soldaten wie Vorgesetzte werden ihrer jeweiligen Verantwortung für das Bestehen im Einsatz und für die Erhaltung der Gesundheit nur gerecht, wenn die körperliche Leistungsfähigkeit hierfür gegeben ist – diese Voraussetzung zu gewährleisten ist, so die Autoren, die Funktion des Sports im Militär. Der abschließende Beitrag der ersten Sektion von Jürgen Mittag und Danlin Wu über »Inter-Allied Games und Military World Games als transnationale Sportgroßereignisse des Militärs« untersucht die Entstehung von transnationalen sportlichen Großereignissen und welche Charakteristika und Entwicklungen diese Sportwettbewerbe im Militär aktuell auszeichnen.



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Die zweite Sektion »Sport als Dienst – Der Alltag im Militär« zeigt die Breite der Herausforderungen, die mit der Planung und Durchführung des alltäglichen Sports im Militär (hier: der Bundeswehr) verbunden sind. Miriam KödderitzschFrank stellt die zentralen »Sport- und Trainingskonzepte in der Bundeswehr« vor und bettet diese in die grundlegenden sportwissenschaftlichen Trainingsprinzipien ein. In ihrem Beitrag gibt die Autorin einen Ausblick auf zukünftige Anforderungen (z.B. in der Lehre und hinsichtlich der Digitalisierung des Sports). Bei allem Fortschritt gilt aber, dass das ›natürliche Training‹ weiterhin seinen Stellenwert behalten wird. Im Beitrag von Daniela Klix steht die »Professionalisierung der Ausbildung Körperlicher Leistungsfähigkeit in der Bundeswehr« im Zentrum der Analyse. Die körperliche Leistungsfähigkeit ist unabdingbare Voraussetzung für die Ausübung des Soldatenberufs und hierfür sind streitkräftegemeinsame Vorgaben für ein systematisches und zielorientiertes Training von der Grundausbildung bis hin zum Training in Leistungsgruppen nötig. Gebraucht werden dementsprechend zunehmend hauptamtliche Ausbilder und Ausbilderinnen für den Sportunterricht in der Bundeswehr. Andreas Lison und Christian Lützkendorf führen exemplarisch durch das Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr in Warendorf und damit in die »Sportmedizin der Bundeswehr« ein. Sie unterstreichen, dass Sportmedizin und Sportwissenschaft zwar unterschiedliche Schwerpunkte setzen, aber beide für die Streitkräfte unverzichtbar sind und erst in der Zusammenarbeit eine leistungsfähige, zukunftsorientierte Arbeit zur Gesunderhaltung und zur Wiederherstellung von Gesundheit möglich wird. Den Dienstalltag im Spitzensport diskutieren Martin Elbe und die beiden ehemaligen Sportsoldatinnen und Olympionikinnen Katrin Bunkus und Monique Pöge. Das Protokoll des so entstandenen Interviews »Das haben wir gelernt: Wie kriege ich mich zu Höchstleistungen« zeigt, dass die Konzentration auf den Spitzensport vielfach erst durch die Tätigkeit bei der Bundeswehr ermöglicht wird und sich dadurch auch neue Wege für Spitzensportler(innen) auftun. Deutlich wird allerdings auch die hohe Belastung multipler Karrieren. Sektion III ist ganz dem »Spitzensport im Militär« gewidmet. Andreas Hahn und Kristin Schönherr zeichnen in »50 Jahre Sportförderung. Eine Geschichte des Spitzensports in der Bundeswehr« die Verbindung der beiden Themenfelder nach. Das Fördersystem der Bundeswehr ist ein zentraler Bestandteil des deutschen Leistungs­ sports und befähigt einerseits den Spitzensport in Deutschland dazu, eine wichtige Stellung im Weltsport einzunehmen. Andererseits eröffnet es der Bundeswehr die Möglichkeit, Trainerinnen und Trainer für die Sportausbildung zu gewinnen. Der Gestaltung der vielfachen Anforderungen hinsichtlich einer dauerhaften Karriere von Sportsoldaten und Sportsoldatinnen widmet sich Martin Elbe in seinem Beitrag »Sport und danach? Von der Dualen zur Multiplen Karriere«, worin er die theoretischen Grundlagen des Problemfeldes analysiert. Die zentrale Herausforderung für die Betroffenen besteht darin, die Integration der verschiedenen Teilsysteme, die ihre Karrieren beeinflussen, insbesondere in Hinblick auf das sportliche Karriereende zu schaffen. Es lassen sich hierbei unterschiedliche Typen der Bewältigung finden. Die konkrete Umsetzung von Spitzensportförderung als eine Kooperationsaufgabe von Politik, Militär und Hochschulen thematisieren Jochen Zinner, Andeas Mues und Daniel Lange im folgenden Beitrag. Um die Anforderungen von Spitzensport und

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Studium, denen sich Sportsoldatinnen und Sportsoldaten ausgesetzt sehen, bewältigen zu können, ist eine intensive Zusammenarbeit der entsprechenden Institutionen notwendig. Die Autoren zeigen dies am Beispiel der Kooperation zwischen der Deutschen Hochschule für Gesundheit und Sport mit der Bundeswehr und dem Olympiastützpunkt Berlin. Am Ende dieser Sektion eröffnet Sebastian Brückner mit seinem Beitrag »Spitzenleistung unter Druck. Sport und Militär aus sportpsychologischer Sicht« eine weitere Perspektive auf die Erbringung von Spitzenleistungen. Die Sportpsychologie hat sich unter anderem auf die Leistungssteigerung im Spitzensport mit Hilfe des Mentalen Trainings konzentriert, es bieten sich aber im Militär vielfach weitere Anwendungsfelder für sportpsychologische Ansätze, die von der Prävention für Einsätze bis hin zur Fokussierung im Gefecht reichen. In der vierten Sektion »Historische Facetten des Militärsports« werden Breite und Kontextgebundenheit des Verhältnisses von Sport und Militär erneut deutlich. In die Thematik führt Peter Tauber ein, der die langen Linien der Berührungspunkte von Sport und Militär aufzeigt und zahlreiche Möglichkeiten zur Einbettung des Themas in Geschichte und Gesellschaft bietet. Die folgenden Beiträge behandeln vor allem das 20. Jahrhundert.13 Bei Philipp Münch und Christoph Nübel rückt der Erste Weltkrieg in den Fokus. Nübel führt körper- und performanztheoretische Ansätze im ›Sportfest‹ als Ermöglichungsraum von Sport zusammen (siehe auch Kollmer in diesem Band). Es gelingt ihm, eine Sichtweise der Organisation des Militärs auf den soldatischen Körper freizulegen, die diesen als gestaltbare Ressource für die Kriegführung (neu) begreift. Die Interessen des Militärs, den Sport für Zwecke der Ausbildung und der Leistungssteigerung wie auch zur Inszenierung und schließlich auch zur Vergewisserung dieser Fähigkeiten zu nutzen, werden so deutlich. Diesem Blick ›von oben‹, beziehungsweise aus dem ›Inneren‹ der Organisation, steht Münchs Perspektive ›von unten‹ zur Seite. Münch begleitet Hamburger Turner auf ihrem Weg durch den Krieg. Die Wirkung der Sporterfahrung und Sportsozialisation im Verein, so zeigt sich, war für die einzelnen Soldaten weniger auf Kriegführung und Kriegshandwerk gerichtet, sondern zeitigte eher Effekte hinsichtlich einer ›mentalen Mobilisierung‹, deren Grundlage nicht die ›große‹ Politik, sondern sozialer Druck und Formen enger Vergemeinschaftungen im Kontext des Vereinslebens bildeten. Herkules Reimann schreibt die Entwicklungen des Sportes in der Reichswehr während der Weimarer Republik fort. Klar wird bei ihm die instrumentelle Dimension des Sportes, die Sport und Leibesübungen von Formen eines ›stumpfen‹ Drills abgrenzt. Die Rolle des Sportes geht dabei über die Förderung körperlicher Leistungsfähigkeit hinaus. Denn gemäß dem zeitgenössischen Idealbild des Soldaten und der Vorstellung von Krieg sollte Sport auch dazu beitragen, ent13

Durch den Überblick von Peter Tauber werden sowohl die langen historischen Linien als auch wesentliche Aspekte der Entwicklung im 20.  Jahrhundert aufgezeigt. Die Bundeswehr wurde in den vorherigen Sektionen intensiv behandelt und auch hier lassen sich zahlreiche historische Bezüge finden (vgl. darüber hinaus Reimann 2015). Das Rechercheportal des Bundesinstituts für Sportwissenschaft SURF ist zudem sehr hilfreich zum Auffinden von geschichtswissenschaftlich relevanter Literatur, von Projekten und mehr: https://www.bisp-surf.de/ (letzter Zugriff 3.12.2020). Wichtige zeitliche Tiefendimesionen zu Sport in der Frühen Neuzeit – auch mit Bezug zum Militärischen – liefern die Beiträge in Mallinckrodt/Schattner (2016).



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scheidungsfreudige, willensstarke Kämpfer und militärische Führer zu formen. Den Zweiten Weltkrieg und mit ihm die Zeit des Nationalsozialismus betrachtet Markwart Herzog. Militärfußballmannschaften sind sein Zugang, mit denen er sowohl die Praxis des Fußballspielens und damit das Verhältnis von Militär und Sport beleuchtet. So werden Initiativen und Handlungsspielräume fußballspielender und fußballbegeisterter Soldaten in der Organisation des Militärs und unter den Bedingungen des Krieges ausgelotet, der Nutzen von Spitzenfußball für die militärische Truppenbetreuung, die NS-Propaganda und die Besatzungspolitik beschrieben, widerstreitende Interessen in der Sportpolitik über die Ausgestaltung der Beziehung zum Militär und zum Krieg offengelegt, die Auswirkungen der jeweiligen militärischen Lage des Deutschen Reiches auf das Verhältnis von Militär und Sport erläutert und schließlich der Fluss militärisch geprägter Ideologeme und deren Persistenz in der Fußballgemeinde verortet. Die bereits in der historischen Entwicklung sichtbar gewordene, allumfassende Nutzung des Sportes findet sich auch in der Nationalen Volksarmee wieder, der sich Rüdiger Wenzke zuwendet. Hier sollte, durch die Nutzung des Sportes für die physische und psychische Kampffähigkeit, eine ›sozialistische Soldatenpersönlichkeit‹ herausgebildet werden. Wenzke macht deutlich, wie in der DDR Dienst- und Freizeitsport ineinanderflossen und dass Sport auch immer ›politisch‹ instrumentalisiert wurde. Im Ganzen wird klar, wie eng Militär, Sport, Politik und Gesellschaft in der DDR miteinander verflochten waren (siehe auch Lange in diesem Band). Die letzte Sektion »Und anderswo?« gibt Impulse zur Erweiterung des Blickes über die innerdeutschen Beziehungen des Militärsports und deren Entwicklung hinaus. Der Betrachtung werden hierbei neue Räume erschlossen, was nicht nur geografisch gemeint ist, sondern sich auch auf andere Bedeutungszusammenhänge bezieht (z.B. Politikfelder oder zivilgesellschaftliche Kontexte). Im ersten Beitrag dieser Sektion schließt Dieter Kollmer mit seinen Überlegungen zum American Football in den US-Streitkräften direkt an die vorhergehenden Beiträge an und festigt den Befund, dass Sport im Militär mehr als nur Bewegung ist. Es wird deutlich, wie stark ein militärischer Tugendkatalog aus Führungsfähigkeiten und Kooperation, aus Hierarchien und strikten Aufgaben- und Rollenzuweisungen als ›Spiegelbild‹ des Militärischen in das Spiel und seine Regeln selbst eingeschrieben ist (siehe hierzu auch Nübel in diesem Band). In der Inszenierung der Spiele von Footballteams der Militärakademien vermag Kollmer jedoch keine gesamtgesellschaftlichen Militarisierungseffekte auszumachen. Vielmehr deutet er das Spektakel der Sportevents als Form der Festschreibung von Männlichkeitsidealen und als wiederkehrende Bestätigung nationaler Identität. Frank Reichherzer blickt auf das vermeintliche Mutterland des Sports: England. Er untersucht die besondere Beziehung von Militär und Sport in Großbritannien und dem Empire in den Jahrzehnten vor und nach der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Dabei arbeitet er die zahlreichen Funktionen der Bewegungspraktiken im Kontext von Krieg und Militär heraus, die auch über die Britischen Inseln, das Empire und die Zeit um 1900 hinaus Bedeutung haben. Daniel Lange verfolgt die außenpolitischen Aktivitäten der DDR in Afrika. Hier bestätigt sich der Befund von Wenzke in diesem Band zur engen Kopplung von Sport, Politik, Militär und Gesellschaft in der DDR. Lange

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zeichnet nach, wie die Armeesportvereine und mit ihnen der Militärsport in eine umfassende außenpolitische Konzeption der DDR in Bezug auf die afrikanischen Staaten eingebunden waren, die Sportler zu Diplomaten werden ließ. Anti Seppo blickt auf Finnland und bettet hier die Wirkung des Sportes in den finnischen Streitkräften ebenfalls in breite gesellschaftliche Kontexte ein. Bei Seppo tritt wieder die Zweckhaftigkeit des Sportes für das Militär in den Vordergrund, doch erstreckt sich dieser Nutzen nicht nur auf körperliche Fitness, mentale Stärken und Werbung für den Dienst in den Streitkräften. Das finnische Beispiel macht Aufgaben deutlich, die dort dem Sport im Militär zugeschrieben werden. So gilt es, während des Militärdienstes Fähigkeiten zu entwickeln, die über die Streitkräfte hinaus in anderen Bereichen des Lebens nutzbar sein sollen. Zudem richtet sich die militärische Sportsozialisation auf gesamtgesellschaftliche Ziele, wie etwa auf das körperliche und geistige Wohlbefinden der gesamten Bevölkerung. Martin Rink widmet sich – im Anschluss an seine grundlegenden Überlegungen zum Spiel (Rink in der ersten Sektion dieses Bandes) – den ›Wasserschlachten‹ auf der Berliner Oberbaumbrücke, die von den Bewohnern der rivalisierenden Stadtteile Friedrichshain und Kreuzberg wie auch mit ›Söldnern‹ aus aller Welt in loser Folge von 1998 bis 2013 ausgetragen wurden. Rink vermisst dieses Ereignis mit Blick auf die Grenzen zwischen Spiel, Spaß und Ernst. Die karnevaleske Hyperironisierung des Kampfes, die in der ›Schlacht‹ selbst, der Inszenierung des Ereignisses wie auch in der medialen Begleitung sichtbar wird, verweist auf die enge symbolische Verschränkung, aber auch auf die Grenzen der Analogie von Sport, Spiel und Spaß einerseits sowie Militär, Krieg und Ernst anderseits. Dies zeigt sich insbesondere im Extrem der Überspitzung dieser Beziehung, in der Offenlegung der Paradoxie dieses Verhältnisses in den Wasserschlachten auf einer Berliner Brücke über die Spree. Die Unterteilung dieses Bandes in Sektionen ebenso wie die Auswahl der Themen sowie der Autorinnen und Autoren veranschaulichen, dass das Beziehungsfeld Sport und Militär umfänglich erschlossen werden soll, wobei sehr unterschiedliche Perspektiven eingenommen werden. Neben wissenschaftliche Analysen aus akademischer Perspektive treten militär- oder auch organisationsspezifische Abhandlungen, die vielfach eine bundeswehrinterne Sicht wiedergeben. Es gibt ebenso kritische Anmerkungen zur Verflechtung von Sport und Militär, die hinsichtlich der historischen Begebenheiten und Konstellationen vielfach in den Beiträgen der Sektion IV angesprochen werden und auch in weiteren Beiträgen werden kritische Positionen thematisiert (bis hin zu fundamentalkritischen Perspektiven, die die Gefahr einer Militarisierung des Sports sehen; vgl. Fischer 2017; Klie 2019; Virchow 2005).

5. Versuch eines Resümees Alle Aufsätze des Bandes machen teils explizit, teils implizit deutlich, wie sehr der Sport des Militärs in der Gesellschaft präsent ist und in welch mannigfaltige Kontexte und Wechselwirkungen mit anderen sozialen Systemen er eingebettet ist. Neben der Vielzahl von Akteuren werden deren Interessen und Sinngebungsmuster erkennbar,



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welche die Verbindung von Sport und Militär nicht nur prägen, sondern auch konstituieren. Deutlich wird vor diesem Hintergrund die Zweckgerichtetheit und ein funktional-instrumentelles Verständnis von Sport im Militär, das die Konzepte und Praxis des Militärsports – im Dienst, wie auch im Spitzensport – durchzieht. Es kommt in diesem Zusammenhang eine für die Ideengeschichte des Westens bedeutende Weisheit zum Tragen: Sport adressiert sowohl den ›Körper‹, den ›Leib‹ und den ›Geist‹ und setzt insbesondere an deren wechselseitiger Bezogenheit an. Zuschreibungen wie Ausdauer, Leistungsfähigkeit, Haltung, Fitness, Widerstandskraft, Belastbarkeit, Stressresistenz, Resilienz, Führungsfähigkeit und weitere Schlagworte, die den jeweils zeitgenössischen Modellsoldaten und die Modellsoldatin konstituieren, beziehen sich auch auf die Schnittstelle von Physis und Psyche. Als Besonderes in dieser Beziehung kommt das Moment der sogenannten Charakterbildung hinzu: Was auch immer unter ›Charakter‹ zu verstehen ist, war bis weit ins 20. Jahrhundert hinein ein zentrales Merkmal für die Rekrutierung vor allem für das Offizierkorps. Gegenüber dem Charakter gewannen Kriterien wie Wissen, Können und Leistung erst langsam an Boden (Donaldson 2018; Riedi 2006; Funck 2004; Geyer 1990). Der Sport – vermittelt und kommuiziert über die Leistung des Körpers – wirkte andererseits als Instrument zur Bestimmung und zur Förderung des für das Militär und für Führungsfunktionen geeigneten ›Charakters‹. Dieser Zirkelschluss weist auf ein weiteres wichtiges Bindeglied der Verknüpfung von Sport, Militär und Krieg hin: den Aspekt von Mimetik, Simulation oder Emulation (Reichherzer 2018/2019). Ausgangspunkt ist die unterstellte Ähnlichkeit – nicht Gleichheit – von sportlichem und kriegerischem Wettkampf (Elias/Dunning 1983; Campbell 2000; Bredekamp 2001). Sport repräsentiert das konkret Nicht-Darstellbare und generiert so einen Rahmen, welcher der militärischen Organisation (scheinbare) Handlungssicherheit in der Ungewissheit – dem ›Chaos der Schlacht‹ und dem ›Nebel des Krieges‹ – und vor allem in der prinzipiellen Unzugänglichkeit des Kämpfens an sich verspricht. Über den Sport lassen sich dadurch klare Ordnungsmuster des Militärischen generieren. Vor allem in der historischen Perspektive wird deutlich, wie sehr der Sport geeignet war und ist, Deutungsmuster für Aspekte des Militärischen bereitzustellen. Umgekehrt zeigt sich aber auch, wie sehr Sportereignisse eine militantkriegerische Ausdeutung erfahren, Stadien zu ›Schlachtfeldern‹, Berichterstattung zur Kriegsreportage werden konnten und immer noch können (Balbier 2007). Die Rolle des Militärs im Sport wird über diese sprachlich-symbolische Ebene hinaus in der Praxis des Sportes mit dem Engagement der Streitkräfte im Spitzensport deutlich. Dieses Ausgreifen des Militärs über seine ›eigentliche‹ Kernaufgabe hinaus, etwa die Landes- und Bündnisverteidigung, kann als ›leise Militarisierung‹ (Begriff bei Fischer 2017; auch kritisch Klie 2019) und im Fall der Bundeswehr zudem als Maßnahme zu ihrer Akzeptanzsteigerung in der Bevölkerung interpretiert (Klie 2019; Fischer 2017; Virchow 2006) werden. Blickt man auf die Entwicklung des Militärs in der Neuzeit, so sind dem Militärischem auch Aufgaben jenseits davon zugeschrieben, Kriege vorzubereiten und zu führen. Neben anderen Funktion, etwa Industrie- und Forschungspolitik, ist das Militär in der europäischen Neuzeit eine

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Institution zur Repräsentation der Souveränität des (National-)Staates.14 Damit ist auf der Ebene staatlicher Selbstdarstellung und Inszenierung die auf den ersten Blick erstaunliche Nähe von Militär und Spitzensport in der Vorbereitung und Teilnahme an modernen Sportspektakel zwar nicht immer klar ersichtlich, aber doch zumindest historisch erklärbar. Anknüpfend an Obrigkeit, Staat und Gouvernementalität, legt das Verhältnis von Sport und Militär auch körper- und biopolitische Regime offen,15 die sich sowohl auf das Individuum (Soldat/Soldatin), auf Gruppen und Organisationen (Militär) als auch auf die Gesellschaft (Bevölkerungen) beziehen. Die ›Grauzone‹, die sich zwischen Sport und Spiel einerseits und Krieg und Ernst andererseits im Kontext des Militärischen ergibt, wird hierbei deutlich. Der Blick auf die Gegenwart und die Geschichte zeigt: Die ›Versportlichung‹ des Militärs (siehe auch Elbe in der ersten Sektion) war keine Einbahnstraße, keine gradlinige Entwicklung und nicht immer eine Erfolgsstory. Und selbstverständlich sind die Rollen des Sportes im Militär sowie des Militärs im Sport und mit ihnen der Sport-Militär-Nexus als Ganzes nicht ohne Kritik geblieben. Widerstände und Reibungspunkte ergeben sich immer wieder neu und zeigen sich gleichermaßen innerhalb des Militärs (exemplarisch in der historischen Dimension bei Mason/Ridie 2010) und in der Gesellschaft (historisch etwa Donaldson 2018; aktuell Klie 2019; Fischer 2017). Die Praxis des Militärsports, die Rolle des Militärs im Sport und auch für die Ausgestaltung des Verhältnisses von Militär und Sport im Allgemeinen, das zeigen die Beiträge in diesem Buch, sind ein Forschungsfeld mit viel Potenzial für ganz unterschiedliche Fragestellungen und Erkenntnisinteressen. Das Feld wird hier skizziert, Anregungen werden gegeben. Nun gilt es, diese komplexen Verhältnisse in Forschung und Lehre eingehender zu erkunden.

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Um den Zusammenhang Nation, Staat, Sport, Militär – unter anderem ergänzt um eine körperwissenschaftliche Perspektive – weiterzuführen, liefert immer noch Goltermann (1998) gute An­knüp­fungspunkte. Zum Konzept der ›Bio-Macht‹ beziehungsweise ›Bio-Politik‹ siehe Foucault (2006). Einen Über­ blick liefern Folkers/Lemke (2014).



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I. Sport und Militär – Über die Beziehung zweier gesellschaftlicher Institutionen

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Sport und Bewegung im Militär. Soziologische Bezüge Einordnung Sport und Bewegung im Militär werden hier aus soziologischer Sicht erschlossen. Damit treten die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Strukturen, aber auch die organisationale Einbettung des Sports im Militär sowie Gruppenbezüge und die Sportpraxis im Alltag in den Vordergrund der Betrachtung. Hierbei sind sowohl sozialhistorische Entwicklungslinien als auch der sportsoziologische Blick, die sozialisationstheoretische Perspektive und die militärsoziologische Sicht auf den Zusammenhang zwischen Bewegung und Militär zu berücksichtigen. Die theoretischen Ansätze werden auf spezifische Kontexte des Sports im Militär bezogen. Autor Martin Elbe, Prof. Dr. rer. pol., forscht zu Militärsoziologie und Sozialpsychologie am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam. Als früherer Studiengangsleiter Sport- und Freizeitmanagement an der Hochschule für Gesundheit und Sport in Berlin und Hauptmann d.R. gilt sein Interesse insbesondere dem Militärsport.

1. Einleitung Der Sport des Militärs ist ein gesellschaftliches Phänomen: Die Bundeswehr nimmt eine wichtige Funktion für den Spitzensport in Deutschland ein, es gibt eigenständige Sportwettkämpfe des Militärs und nicht zuletzt ist der Dienstalltag der Soldatinnen und Soldaten von Sport durchdrungen. Sport ist ein wichtiger Teil soldatischer Berufstätigkeit und Lebensführung. Wie kommt es zu dieser engen Verflechtung und wie konkret prägen Sport und Militär soziale Beziehungen und Strukturen? Dieser Frage soll im Folgenden nachgegangen werden. Hierzu wird zunächst die Versportlichung der Gesellschaft als Topos der Moderne untersucht und sowohl in Bezug auf das Militär als auch in seiner Entwicklung analysiert. Der Beitrag wendet sich anschließend der soziologischen Theoriebildung in Bezug auf Sport und Militär zu, es werden sportsoziologische, sozialisations-

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theoretische und militärsoziologische Ansätze diskutiert und dann die konkreten Erscheinungsformen des Sports im Militär dargestellt.

2. Militär und die ›Versportlichung‹ der Gesellschaft Sport und Militär sind spezifische Ausprägungen gesellschaftlicher Differenzierung in der Moderne, wobei das Sportsystem und das militärische System stets auch Verbindungen eingehen (vgl. hierzu den Beitrag von Elbe zu Multiplen Karrieren in diesem Band und die dort angegebene Literatur). Darüber hinaus findet sich ein performativer Anteil in beiden Systemen: einerseits in der Selbstpräsentation (im Sinne Goffmans 2003) der körperlichen Dimension des Soldatischen und andererseits in einer neuen »Religiosität des Körperlichen«,1 die sich nur scheinbar an der Gesundheit (als postuliertem oberstem Gut) festmacht, de facto aber der körper­ lichen Leistungsfähigkeit huldigt (Elbe 2020). Aus soziologischer Sicht stellt körperliche Betätigung zuerst einmal einen spezifischen Beitrag zu Vergemeinschaftung und Vergesellschaftung von Menschen dar und ist dabei in die Sinnstruktur des entsprechenden Interaktionszusammenhangs eingebunden (Cachay/Thiel 2000). Die tägliche Arbeitsleistung bedarf einer jeweils spezifischen körperlichen und geistigen Beteiligung, ebenso wie Lernprozesse, das Familienleben, Freundschaftsbeziehungen oder sonstige soziale Beziehungen. Der jeweilige Handlungskontext verleiht der körperlichen Aktivität ihren Sinn: Wir verstehen die jeweiligen Handlungen auf den Kontext bezogen oder in Übertragung von einem Kontext auf einen anderen. In Bezug auf Sport ist der Handlungskontext komplex, da sich in dem Begriff ebenso wie mit den damit assoziierten Handlungen sowohl unterschiedliche Vorstellungen von der Sinnstruktur des jeweiligen Treibens als auch von der gesellschaftlichen Zulässigkeit dieses Tuns verbinden. Der Sportbegriff zur Bezeichnung spezifischer Bewegungsspiele und von Freizeitaktivitäten wird während der Renaissance in England gesellschaftlich und politisch relevant. Abgeleitet aus dem französischen Begriff desporter (sich vergnügen, unterhalten) erlangt Sport am englischen Hof unter König Henry VIII. eine besondere Bedeutung. Noch heute kann die Tennishalle – das Ballhaus –, in der der junge König Anfang des 16. Jahrhunderts spielte, in Hampton Court Palace besichtigt werden.2 Sportliche Betätigungen wie Ritter- und Reiterspiele, Jagden, Armbrust- und Bogenschießen, aber auch 1

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Gugutzer (2012) deutet den Körperkult der Moderne als Sakralisierung des profanen Körpers, die sich z.B. im Extremsport in der Suche nach Ekstase manifestiert, die sich aber auch als Selbstverwirklichung durch körperbezogene Ästhetik, Diäthetik und Askese äußert. Auch aus der Genderperspektive unterliegt die Körperästhetik in der Moderne einem Wandel: So findet eine Versportlichung und Entmüttlerlichung des weiblichen Körpers in den Idealen der Risikogesellschaft statt (Rose 1997), die zu einer eigenständigen weiblichen Sportlichkeit führt. Ballspielhäuser wurden im 16. und 17. Jahrhundert auch in Deuschland in zahlreichen Städten errichtet (z.B. in Wien, München, Kassel, Klagenfurt, Rostock, Passau, Hannover) und später dann einer neuen Nutzung (häufig als Theater) zugeführt, weil sich die städtische Bevölkerung zunehmend ›zivilisierteren‹ Unterhaltungsformen zuwandte, bei denen man weniger schwitzte oder sich schmutzig machte (Behringer 2012).



Sport und Bewegung im Militär

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Tennis, Bowling oder Schach waren eine beliebte Form der Zerstreuung (Behringer 2012). Der höfische Sport führte also in der Renaissance einerseits Kampf- und Unterhaltungsspiele des Mittelalters fort (Elias/Dunning 2003; vgl. hierzu den entsprechenden Beitrag von Rink in diesem Band), ergänzte diese aber andererseits um zusätzliche, weniger militärisch orientierte Bewegungs- und Unterhaltungsformen. Auch für die breite Bevölkerung waren Bewegungs- und Sportspiele vorgesehen, doch diese sollten sich auf militärische Ertüchtigung richten und nicht auf den losen Wettkampf, wie etwa im Fußballspiel. Elias/Dunning (2003) zitieren hierfür einen Befehl König Edwards III. an die Ordnungshüter von London, der besagte,

»dass jeglicher körperlich taugliche Mann besagter Stadt an Festtagen, wenn er Muße hat, sich in Gebrauch von Pfeil und Bogen, Wurfkugeln und Bolzen üben soll. Es ist ihnen bei Strafe der Einkerkerung verboten, sich am [...] Handball, Fußball [...] oder anderen unnützen, wertlosen Spielen zu beteiligen« (Elias/Dunning 2003: 317).

Diese enge Gebundenheit des Sports an militärische Zwecke wurde im Laufe der Renaissance gelockert, und als im Barock die streng religiöse Bewegung der Puritaner wiederum Sport an freien Tagen verbieten wollte, erließ König James I. eine Deklaration, um den katholischen Adel auf dem Land gegen die Einflüsse der asketischen Puritaner zu stärken.3 Dieser Erlass, das »Book of Sports« von 1617/18 (Smenza 2003), erlaubte explizit körperliche Bewegung und Feiern sowie andere Freizeitbeschäftigung an Sonn- und Feiertagen für die Landbevölkerung. Zugelassene Sportarten waren unter anderem Bogenschießen, Tanzen, Springen und sonstige harmlose Formen der Erholung, wie Maispiele, Pfingst-Ales und MorrisTänze oder das Aufstellen von Maistangen sowie, gemäß traditionellen Bräuchen, das Schmücken der Kirchen durch die Frauen. Neben dem politischen Ziel wurden in der Erklärung explizit der Erholungscharakter des Sports und die Stärkung der Funktion des Körpers in Hinblick auf den Kriegsdienst angesprochen (Smenza 2003: 95). In dieser Entwicklung wird eine Tendenz deutlich, die sich im Zuge der Modernisierung und Rationalisierung der Gesellschaft seit dem Mittelalter (Weber 1980) immer stärker ausgebildet und die Differenzierung in Teilsysteme befördert hat, als Bündelungen von Institutionen, die jeweils eigene und von anderen Teilsystemen abgegrenzte Funktionen haben: die zunehmende formale Regelung gesellschaftlichen Zusammenlebens. Elias (2003b) bezeichnet dies als Versportlichung der Gesellschaft, da es insbesondere dem Sport anheimfiel, diesen Zivilisierungsschub sozialisatorisch auszugestalten, in den Alltag zu bringen und den Menschen selbstverständlich werden zu lassen. Abbildung 1 soll eine Vorstellung von feiertäglichen ›Sportveranstaltungen‹ auf dem Land bieten, worin auch schon die Regeleinübung in einer frühen Form des Cricket zum Ausdruck kommt – es finden sich aber auch andere Vergnügungen.

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Die Puritaner standen damit in einer Tradition christlicher Sport- und Körperfeindlichkeit, die bis auf die Frühkirche zurückreichte und dazu führte, dass neben anderen heidnischen Festen und Kulten auch die Olympischen Spiele im Jahr 394 von Kaiser Theodosius I. verboten wurden (Behringer 2012).

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Martin Elbe Abbildung 1: Bauern spielen eine frühe Form des Cricket. Zeichnung eines unbekannten Künstlers, 16.  Jahrhundert. In: Die Gartenlaube. Illustrirtes Familienblatt. Sammelband, 1908, S. 959.  Bridgeman Images

Das »Book of Sports« wurde von Charles I. im Jahr 1633 nochmals bestätigt, um den Einfluss der asketischen Puritaner zu mindern.4 Sport hatte also bereits seit Beginn der Neuzeit neben der militärischen Ausrichtung auch eine Gesundheits- und Erholungsfunktion, und: Sport wurde für politische Zwecke instrumentalisiert. Die Besonderheit von Sport ist, dass vordergründig der Sinnkontext die Bewegung selbst ist. Ausführung und Exzellenz der Bewegung sind der eigentliche Sinnverweis. Es gibt kein anderes Gut, das hierbei erstellt wird, wie bei der landwirtschaftlichen, handwerklichen oder industriellen Arbeit, und es ist auch keine körpernahe Dienstleistungserbringung (wie z.B. beim Friseur oder der Festnahme eines oder einer Tatverdächtigen durch die Polizei), die Gegenstand und Ziel des Handelns ist, sondern die Bewegung selbst ist Ziel und Gegenstand. Dies gilt für traditionelle Individual- und Mannschaftssportarten ebenso wie für die Sinnsuche im Abenteuer- oder Risikosport (Bette 2011). Diese Sichtweise ist allerdings vordergründig, da es den Wettkampf und Leistungscharakter des Sports nicht berücksichtigt. Wie Elias (2003a) zeigt, handelt es sich bei den meisten Sportarten um Wettkämpfe, also eine spezifische Form des Leistungsvergleichs als Grundlage der sozialen Beziehung. Wettkämpfe stellen eine besondere Form der Konkurrenz als sozialer Beziehung dar, die prinzipiell eine friedliche Austragung durch einen geregelten Kampf bedingt (Weber 1980).5 Diese Beziehung besteht aber nicht nur zwischen den Sportlern und Sportlerinnen, sondern auch in einem weiteren Verhältnis zu den Zusehern, den Sportkonsumenten. Dieses Verhältnis prägt Sportveranstaltungen bereits seit der Antike: So waren Spiele (wie die olympischen) eben nicht nur religiöse Kulthandlung, sondern auch Wettkampf, der vor Zuschauern ausgetragen wurde und für die Sieger in Ehre und Berühmtheit mündete. Für die Besiegten hingegen konnte es manchmal gar den Tod bedeuten (so etwa in der Kampfdisziplin Pankration: Elias 2003c). Friedlich sind sportliche Wettkämpfe nur in dem Sinn, als 4

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»Die Puritaner vertraten demgegenüber ihre entscheidendste Eigenart: das Prinzip asketischer Lebensführung. Denn im Übrigen war die Abneigung des Puritanismus gegen den Sport, selbst bei den Quäkern, keine schlechthin grundsätzliche. Nur musste er einem rationalen Zweck: der für die physische Leistungsfähigkeit erforderlichen Erholung, dienen« (Weber 1986: 184). Weber (1980) nutzt den Begriff des Sports sowohl in einer körperlich-bewegungsorientierten Bedeutung wie auch in seinem ursprünglichen Verweis als Zeitvertreib und Müßiggang.



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dass es ein spezifisches Regelwerk gibt (Elias 2003a), das auch durchgesetzt wird, und dass nur ausgewählte Gruppen oder Einzelne gegeneinander antreten. Der Wettkampf selbst muss hingegen keineswegs friedlich ablaufen und auch die Teilnehmer müssen nicht unbedingt überleben. Dies gilt noch heute für Risikosportarten, die das Risiko als Teil der sportlichen Herausforderung beinhalten und damit ggf. das tödliche Scheitern, wenn der Rennwagen sich überschlägt, der Fallschirm sich nicht öffnet, die Skifahrerin sich überschlägt usw. Für das Publikum ist dies Teil der Freizeitgestaltung: der Kitzel an Leistung, Risiko oder Scheitern von anderen, das empathische Grauen. Das trifft in noch gesteigertem Maß auf Kampfsportarten zu, die per definitionem nicht friedlich in dem Sinn sind, dass andere Menschen dabei nicht verletzt würden, sondern nur dahingehend, dass es feste und verlässliche Regeln gibt.6 Hier unterscheidet sich die zivilisatorische Wirkung des Sports von anderen Mechanismen im Prozess der Zivilisation (Elias 1997), da die Sozialisation hin zur Akzeptanz von Regeln sowohl am Hofe und im Adel erfolgte wie in der einfachen Bevölkerung. Dies kann so für viele Gegenden auf dem europäischen Festland nicht festgestellt werden, da die Obrigkeit mit Verboten entsprechender Bewegungs- und Belustigungsbräuche vielfach erfolgreich war (Cachay/ Thiel 2000). Die Entwicklung von Körperertüchtigung und Freizeitgestaltung im Werden der Moderne in England ist deshalb von herausgehobener Bedeutung, da ein Sinnkontext entstand, der so in anderen Ländern nicht herausgebildet wurde. Dieser Sinnkontext verbreitete sich – zusammen mit dem Begriff des Sports – auf dem europäischen Kontinent und verband sich mit dort entstandenen Bewegungsformen, wie Gymnastik oder Turnen.7 Kampf und Kriegsertüchtigung sind bereits seit der Antike feste Bestandteile dessen, was wir heute Sport nennen. Wie Tauber in diesem Band anmerkt, zeigen sich die Anknüpfungen an das Militärische in vielen sportspezifischen Begrifflichkeiten, so im Fußball, wenn von Angriff, Sturm oder Verteidigung gesprochen wird, aber auch in der Benennung ganzer Sportarten, wie Moderner Fünfkampf, Zehnkampf, Speerwurf usw. Hier scheint die Versportlichung der Gesellschaft mit einer Militari­ sie­rung des Sports einhergegangen zu sein. Dies gilt natürlich insbesondere für Kampfspiele, etwa die mittelalterlichen Rittertourniere und Mannschafts­kampf­ spiele (z.B. Steinschlachten in italienischen Städten) bis hin zu Schützenfesten, 6

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Behringer (2012) weist darauf hin, dass der körperliche Akt noch nicht einmal unbedingt von Menschen ausgeführt werden muss. Pferde- und noch mehr Hunderennen sind beispielsweise Wettkämpfe zwischen Tieren, auf die Menschen nur bedingt im Rahmen des Leistungsvergleichs einwirken – der Sport ergibt sich dabei primär aus der Beobachtungssituation des Publikums. Die Erregung durch die Wette auf den Ausgang der Kämpfe bildet hier den sportlichen Teil des Wettkampfes und das gilt in gesteigertem Maß für »Bloodsports« (Hunde-, Bären- oder Hahnenkämpfe, Stierkämpfe usw.). Solche Sportarten sind heute weitgehend mit einem Tabu belegt und wurden auch schon im »Book of Sports« von James I. explizit verboten (Smenza 2003), bilden aber durchaus einen der Ursprünge des modernen Sports. »Wie an vielen Beispielen gezeigt werden kann, war »Sport« – als gesellschaftliche Erscheinung wie als Begriff – zunächst außerhalb Englands völlig unbekannt. Im Rahmen einer soziologischen Analyse ist es notwendig, den Zeitraum der Verbreitung näher zu bestimmen. Für Deutschland stellte ein adliger Schriftsteller, der England kannte, fest, ›sport‹ sei ebensowenig übersetzbar wie ›gentleman‹« (Elias 2003c: 231, unter Weglassung der anschließenden Fußnote). Vgl. hierzu u.a. auch Digel 2013.

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die hingegen einer zunehmenden »Sportifizierung« (Behringer 2012: 100) unterzogen wurden. Auch die Turnbewegung, die in den deutschen Ländern Anfang des 19. Jahr­hunderts aufkam, sollte als neue Turniertauglichkeit den militärischen Wider­stand gegen die französische Besatzung unter Napoleon Bonaparte ein ertüchtigendes Fundament geben und die Jugend hierfür organisieren. Obwohl die Turner, nach erfolgreicher Vertreibung der Besatzer, weiter eine nationalstaatliche Propaganda betrieben und daraufhin die Bewegung von 1820 bis 1842 verboten wurde, konnte sich das Turnen als deutsche Form der körperlichen Ertüchtigung ab Mitte des 19. Jahrhunderts etablieren und in Vereinen organisieren (Behringer 2012). Diese Bewegung steuerte zwar das Boden- und Geräteturnen zu den modernen olympischen Disziplinen bei, war aber nicht gesellschaftlich sportorientiert wie in der englischen Entwicklung, sondern vereinsorientiert-vergemeinschaftend und zielte auf die Wehrhaftmachung einer gesamten Nation (siehe auch Münch in diesem Band). In Deutschland entwickelten sich ab dem Ende des 19. Jahrhunderts Doppelstrukturen zwischen der ›altdeutschen‹ Turnerschaft und den Vereinen der neuen, ›angelsächsischen‹ Sportbewegung, die sich – insbesondere mit dem neuen Spiel Fußball – immer weiter verbreitete. Die Turnerschaft lehnte beispielsweise die Wettkampforientierung um Medaillen ab8 und leitete ab 1923 eine »reinliche Scheidung« zwischen Turnen und Sport ein. Eine Doppelmitgliedschaft war ab da nicht mehr möglich: Entweder gehörte man zu den Turnern oder zu den Sportlern. Der Konflikt wurde 1930 beigelegt und im Zuge der Gleichschaltung durch die Nationalsozialisten ab 1933 wurden die Doppelstrukturen abgebaut (Becker 1995).

3. Ein Gegenstand – verschiedene Perspektiven 3.1 Sportsoziologie Sport als soziale Gegebenheit des Militärs bedarf aus soziologischer Sicht einer systematischen Forschungsperspektive, die eine Zuordnung hinsichtlich der sozialtheoretischen Erklärung notwendig macht. Hierbei wird jeweils eine dominante Perspektive als geschlossenes Erklärungsmodell zugrunde gelegt, um dem betrachteten Erklärungszusammenhang (Sport und Bewegung) zu veranschaulichen und schließlich in einen Bedeutungszusammenhang einzupassen. Es gilt zu klären, was wie erklärt werden soll? Hier zeigt sich, dass das Was und das Wie der Erklärung einen Zusammenhang bilden. Andere Zusammenhänge werden als irrelevant (oder sogar falsch) ausgeschossen. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten der Kategorisierung, ein systematischer Zugang findet sich bei Elbe (2021), der verstehende, erklärende und normierende Ansätze der Sozialtheorie mit der individualistischen oder holistischen Perspektive kombiniert (Tabelle 1).

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Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass »es im Schweizer Frauenturnen bis 1966 keine Wettkämpfe mit offiziellem Ranking gab« (Behringer 2012: 311), wobei sich hier die Turnertradition wohl mit Geschlechtsdiskriminierung verband.



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Tabelle 1: Sozialtheoretische Zugänge verstehende Sozialtheorie

erklärende Sozialtheorie

normierende Sozialtheorie

holistische Perspektive

Kulturtheorie (Sport als kulturelle Kommunikation nach innen und außen)

Funktionalismus (Sport als relevantes Element zur Systemstabilisierung)

Kritische Theorie (Offenlegung und Bearbeitung von Konflikten im Sport)

individualistische Perspektive

Rollentheorie (Sport als Sozialisationsmuster zur Integration)

Rationalismus (Sport als Beitrag zur Effizienzsteigerung der Organisation)

Nutzentheorie (Nutzenstiftung des Sports, Eingrenzung institutioneller Einbettung)

Anmerkung: in Anlehnung an Elbe 2021.

Vertreter der (Sport-)Soziologie finden sich in allen sozialtheoretischen Richtungen. Während beispielsweise Elias/Dunning (2003) eine kulturtheoretische Perspektive einnehmen, neigen Schimank (1988), Bette (2010, 2011) oder Cachay/ Thiel (2000) dem Funktionalismus in seiner systemtheoretischen Orientierung zu. Heinemann (1990) und Digel (2013) wiederum lassen sich rollentheoretisch verorten. Solche Zuordnungen neigen immer zu einer Engführung, die dem Schaffen der Autoren nur begrenzt gerecht werden. Allerdings sind sie doch hilfreich, weil sie einige Positionen und Argumentationslinien, aber auch Auslassungen verständlich machen. Gemeinsam ist den Autoren der Sportsoziologie, dass sie sich einer soziologischen Sichtweise bedienen, also Handeln und Handlungsunterlassungen im Sport dadurch erklären, dass die handelnden Akteure sich sinnhaft auf andere Menschen beziehen. Regelorientierung und Leistungserbringung sind insofern immer auf andere bezogen, als dass eine Leistungsermittlung nur im sozialen Kontext (wohl kaum aber in eremitischer Isolation), also im Vergleich mit anderen Menschen sinnbehaftet ist. In diesem Sinn ist auch die Regelabweichung, das Foul und der Betrug durch Doping sinnhaft und regelbezogen, weil versucht wird, einen Nachteil oder gar eine Niederlage im Wettkampf zu vermeiden bzw. einen Vorteil, wenn auch unredlich, zu erzielen (Bette 2010). »Eine ›Blutgrätsche von hinten‹ im Fußball wäre ansonsten soziologisch nicht erklärbar, denn sie kommt zum Einsatz, wenn zwei Mannschaften im Wettkampf aufeinandertreffen und um ein knappes Gut, den sportlichen Sieg, kämpfen. Radikaler formuliert: Selbst kriegerische Handlungen sind soziale Handlungen!« (Bette 2010: 71)

Letzteres hatte schon Clausewitz (1990) im frühen 19. Jahrhundert angemerkt, allerdings waren seine Überlegungen zur »körperlichen Anstrengung im Kriege« (Clausewitz 1990: 73) ganz darauf gerichtet, diese sich psychisch zu vergegenwärtigen und dann zu ertragen. Analytisch lassen sich drei sportsoziologische Forschungsebenen unterscheiden: die Interaktionsebene, die Organisationsebene und die gesellschaftliche Ebene (Bette 2011). Auf allen Ebenen ist interessant, dass die Sportsoziologie in Deutschland zwar die historische Verknüpfung von Sport und Kampf bzw. Militär thematisiert, für die Gegenwart wird diese Perspektive aber in der Sportsoziologie nahezu vollständig ausblendet.

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Beeindruckend ignorant hinsichtlich des Bedeutungszusammenhangs zwischen Sport und Militär ist in diesem Kontext die Beschreibung der »Sportentwicklung in der Moderne« (Digel 2013), worin die Strukturen des Sports in Deutschland (einschließlich der öffentlichen Sportverwaltung), die Bedeutung der Vereinsstruktur, die politische Beziehung sowie der Hochleistungssport breit diskutiert werden, das Militär aber nur in Form des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) als verantwortlich für den Sport in der Bundeswehr und als zweitgrößter Einzelhaushalt der Gesamtmittel der Bundesregierung für die Sportförderung erwähnt wird. Der Anteil des BMVg an den Sportausgaben des Bundes zwischen 2006 und 2009 betrug 25 Prozent, der Anteil des Bundesministeriums des Inneren (BMI), das für das Politikfeld Sport zuständig ist, umfasste 67 Prozent, die restlichen 8 Prozent verteilten sich auf die anderen Ministerien.9 Neben einer breiten Analyse des Vereins- und Verbandswesens wird dem Verhältnis zwischen Sport und Gewerkschaft sowie Sport und Kirche10 jeweils breiter Raum eingeräumt; die Bundeswehr als Sportorganisation, als Partner des Sports sowie als wichtiger Akteur in der Spitzensportförderung kommt allerdings kaum vor.11 Nur im internationalen Vergleich werden militärische Fördersysteme für Spitzensportler erwähnt (Digel 2013: 398 f.). Vollkommen ignoriert wird das breite Feld des internationalen Militärsports, dessen Weltverband Conseil International du Sport Militaire (CISM) 140 Nationalstaaten als Mitglieder hat und die Weltmeisterschaften des Militärsports ausrichtet (hierzu auch Mittag und Wu in diesem Band).12 Was hier in Bezug auf das Buch von Digel (2013) im Detail angesprochen wurde, gilt allerdings in der Breite für die sportsoziologische Literatur: Bei Bette (2011) kommt Militär nur an zwei Stellen als gesellschaftliches Teilsystem, das einer anderen Logik folgt, vor und die Bundeswehr wird nur an einer Stelle als Teil des Spitzensportförderungssystems erwähnt. Heinemann (1990) oder Thiel/ Seiberth/Mayer (2013) sprechen Militär oder Bundeswehr nicht an. International ist die Situation differenzierter: Das Routledge Handbook of the Sociology of Sport (Giulianott 2015) widmet zwar dem Thema keinen Beitrag, wohl aber der Band »Sport and Militarism. Contemporary Global Perspective« (Butterworth 2017) mit einem kritischen Beitrag zur Spitzensportförderung der Bundeswehr (Fischer 2017), 9 10

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Eigene Berechnung aufgrund der Tabelle bei Digel (2013: 115). Die breite Diskussion des Verhältnisses von Kirchen- und Sportsystem bei Digel (2013) ist möglicherweise der Konstanz der Grundproblematik in der Beziehung der beiden gesellschaftlichen Teilsysteme geschuldet, die sich hier im folgenden Unterkapitel ausdrückt: »Die Frage der Sonntagsheiligung als Bewährungsprobe für das Verhältnis von Kirche und Sport« (Digel 2013: 142). Die Probleme zu Beginn des 21. Jahrhunderts scheinen teilweise dieselben zu sein wie zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Die Liste der mitgliederstärksten Sportvereine Deutschlands führt der FC Bayern München mit 293 000 Mitgliedern an (wobei es sich hierbei nicht unbedingt um aktive Sportlerinnen und Sportler handelt), gefolgt von der Sektion München des Deutschen Alpenvereins mit 177 794 Mitgliedern, (Zugriff am 1.12.2020). Die Bundeswehr mit aktuell ca. 264 000 uniformierten und zivilen Beschäftigten und umfangreichen Dienst- und Gesundheitssportangeboten ist demgegenüber sicherlich die größte Sportvereinigung Deutschlands, (Zugriff am 1.12.2020). Vgl. hierzu die Internetseiten von CISM, (Zugriff am 21.11.2020).



Sport und Bewegung im Militär

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allerdings sind dies eher kommunikationswissenschaftliche als sportsoziologische Beiträge.

3.2 Sozialisationstheoretische Perspektive Aufgrund der Körperlichkeit und der nicht unbedingt sprachzentrierten Kom­mu­ ni­kation bietet der Sport Sozialisationsgelegenheiten zur »selbsttätig-produktiven Konstitution von Persönlichkeit« (Cachay/Thiel 2000: 188). Die Körperpraxis unter Berücksichtigung sozialer Regeln ermöglicht es Kindern, Jugendlichen und Er­wach­ senen ein Sozialverhalten einzuüben, das Rollendifferenzierung, Situations­defini­ tion, Er­ war­ tungstypisierung, Norm- und Wertorientierung, Handlungs­ mustern und Einstellungen in Hinblick auf die individualisierte Gesellschaft vermit­telt (Bös/ Brehm 2003). Integrationsschwierigkeiten und sozialisatorische Brüche können abgemildert und kompensieren werden, da die im Sport erworbenen Ein­stel­lungen und Kompetenzen (z.B. Fairplay, Toleranz, Teamgeist) sich auch auf andere Lebens­ bereiche übertragen lassen (Elbe et al. 2011). Neben Schulen und Sport­vereinen kam der Bundeswehr als Institution, die ein Großteil der jungen Männer im Rahmen der Wehrpflicht bis 2011 zu durchlaufen hatte, eine besondere sozialisatorische Wirkung zu.13 Die sozialisatorische Vermittlung spezifischer Köperpraxis ist dabei auch Ausdruck von Machtstrukturen in der Gesellschaft: »Die Kontrolle und damit die Ausübung von Macht erfolgt(e) sowohl gegenüber den weiblichen wie auch den männlichen Körpern. Bei letzteren ist es die Kontrolle und Disziplinierung des gelehrigen männlichen Körpers durch Tätigkeiten, die zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten vorgeschrieben wurden. Dies umfasst(e) den ›soldati­schen‹ Körper im Militär, den ›verwahrlosten‹ Körper im Gefängnis und für die industriel­le Arbeit in den Fabriken den ›kasernierten‹ Körper von männlichen Arbeitern« (Hafeneger 2010: 210).

Der soldatische Körper wurde dabei als männlicher Körper gedacht, der sich an antiken Idealen und an Heldenmythen zu orientieren hatte. Wie sehr Körperlichkeit, körperliche Belastung und Sport für Soldatinnen ein Thema darstellt, zeigte bereits der erste Forschungsbericht, der sich mit der Sozialisation von weiblichen Offizieranwärtern in der Bundeswehr beschäftigte (Anker/Lippert/Welker 1993).14 Er verdeutlicht, wie sehr sich tatsächliche körperliche Leistungsunterschiede und so13 14

Vielfach wurde das Militär in Deutschland als »Schule der Nation« (Stübing 2016) bezeichnet, neben den Kirchen, der allgemeinbildenden Schule und der betrieblichen Ausbildung. Es werden zahlreiche Ungleichbehandlungen wahrgenommen. Hier wäre es »aus Sicht der Frauen besser, wenn die Männer ähnlich behandelt würden, damit der aus einer von Frauen wie Männern einseitig wahrgenommenen Vergünstigung herrührende Ärger aus der Welt geschafft würde« (Anker/Lippert/Welker 1993: 80). Dies würde gegebenenfalls zu einer Anpassung der Erwartungshaltung an die Soldatinnen führen: »Es herrscht die Meinung vor, um als Frau in einer männlich geprägten Umwelt bestehen zu können, seien ›hier und da 150 % Leistung‹ nötig« (Anker/Lippert/Welker 1993: 81). Aber auch dies scheint keine dauerhafte Lösung zu bieten: »Da die Frauen beim Praktischen oft nicht mithalten könnten – die Männer haben das Tempo vorgegeben‹ –, habe man auch für die Männer das Niveau gesenkt. Diese Art von ›Gerechtigkeit‹ hätte dazu geführt, dass die Hindernisbahn auch für Männer abgesagt worden sei, nur weil einige Frauen Probleme beim Überwinden einzelner Hindernisse gehabt hätten. Darüber waren wiederum die männlichen Sanitätsoffizieranwärter verärgert« (Anker/Lippert/Welker 1993: 82).

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ziale Erwartungen und Konstruktionen bei allen Beteiligten vermischen. Dies trifft für den Sport generell zu; so weisen Hartmann-Tews et al. (2003) darauf hin, dass auch im Sport Geschlecht eine soziale Konstruktion darstellt. Die Sportausbildung ist Teil des militärischen Dienstes und findet regelmäßig für alle Soldaten statt (vgl. den Beitrag von Klix in diesem Band). Auch hier sollen, neben der körperlichen Fitness, Regel- und Teamorientierung, Leistungsbereitschaft und Durchhaltevermögen sowie Fairness im Umgang miteinander vermittelt werden. Für breite Teile der Wehrpflichtigen hatte die Disziplinierung durch Bewegung während der Militärzeit erhebliche sozialisatorische Wirkung. Seit Ende der Wehrpflicht 2011 gilt dies nur noch für einen kleinen Teil der jeweiligen Jahrgänge, allerdings sind heute Männer wie Frauen Sozialisanden im militärischen System und damit auch des Militärsports. Auch wenn der Militärsport prinzipiell körperliche Leistungsfähigkeit fördern soll, sind damit verbundene Sozialisationsziele im Militär die Fähigkeit und der Wille zu kämpfen sowie die Disziplin, die notwendig ist, um dies im Rahmen des Militärs als Organisation realisieren zu können. Dies wird allerdings primär durch Praktiken der Ausbildung generell und dabei auch der Sportausbildung vermittelt. Steht hinsichtlich der sportlichen Sozialisation in der Schule noch die Wertevermittlung im Vordergrund, sind es im Militär die Praktiken, die dominant sind. Abbildung 2 macht dies deutlich. Abbildung 2: Ziel und Instanzen sportlicher Sozialisation

Sozialisationsziel Pünktlichkeit/ Einordnung

Sozialisationsinstanz Schule

Werte

Sportverein

Leistung/ Regeln Kampf/ Disziplin

Anmerkung: in Anlehnung an Elbe 1997 und Hofstede 1989.

Praktiken

Militär

© ZMSBw

09304-02

Cachay/Thiel (2000) weisen hinsichtlich der sozialisatorischen Funktion des Sports auf die Strukturen des Ein- und Ausschlusses durch das Sportsystem hin, die hier erlebbar und erlebt werden. Schließungsprozesse kommen in sachlicher, zeitlicher und sozialer Weise vor, wobei speziell im Sport Inklusions- und Exklusionsmechanismen einander bedingen. Sport bleibt Wettkampf und Leistung auf körperlicher Basis; hierzu bedarf es Gegnerschaft (um sich vergleichen und den Wettkampf führen zu



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können) wie auch der Kameradschaft (um als Team antreten zu können und die Trainingsinfrastruktur aufrechtzuerhalten). Beide Aspekte werden im Militär durch die besondere Form von Solidarität (als Grundlage sozialer Schließung) aufgrund der Organisationsmitgliedschaft als Soldatin oder Soldat relevant. Genau diesen Aspekt sportlicher Sozialisation kann man kritisch sehen:

»Damit scheint ein Sozialisationspotenzial des Sports hinsichtlich der Entwicklung oder Verstärkung von Solidarität nur beschränkt vorhanden zu sein, wobei sich hier eine Form der Solidarität entfalten kann, die in anderen Daseinsbereichen eher zu einer Verschärfung von sozialen Konflikten zwischen verschiedenen Gruppen und zu einem unangemessenem Ethnozentrismus führen kann und gerade bei sinkender Erfolgswahrscheinlichkeit und in Krisen ihre bindende Kraft verliert – in Situationen also, in denen sich nach landläufiger Vorstellung Solidarität gerade bewähren sollte« (Heinemann 1990: 232).

Eben dies aber haben das Sportsystem und das militärische System gemeinsam: die Gebundenheit an den Erfolg. In diesem Sinn mag die Solidarität nur so lange anhalten, wie der Erfolgszwang besteht – mit Ende der Mitgliedschaft im einen wie im anderen System endet die Gemeinsamkeit –, das heißt aber nicht, dass die sozialisatorische Wirkung verpufft; nur die Solidarität endet.

3.3 Die militärsoziologische Sicht auf den Sport Wie schon bei der Sportsoziologie lassen sich die unterschiedlichen Ansätze der Militärsoziologie einem der Ansätze der Sozialtheorie (verstehend, erklärend oder normierend) sowie der individualistischen oder holistischen Perspektive zuordnen (Elbe 2021). Auch hier rücken unterschiedliche Ausschnitte der sozialen Realität in den Fokus und auch hier fällt auf, dass es zumindest einen blinden Fleck der Militärsoziologie gibt: den Sport. So wie einerseits die Sportsoziologie das Militär als aktuell wichtige Institution für den Sport ignoriert, nimmt auf der anderen Seite die Militärsoziologie in Deutschland Sport offensichtlich sowohl theoretisch als auch empirisch kaum als Forschungsthema wahr. Dies zeigt sich in Lehrbüchern (z.B. Leonhard/Werkner 2012), in Abhandlungen zu Militär und Gesellschaft (Heins/ Warburg 2004) und in klassischen Texten zur Militärsoziologie (Wachtler 1983). Dass das Thema international vereinzelt behandelt wird, wurde bereits hinsichtlich sportsoziologischer Fachbücher angesprochen; dies ließe sich hier um historische Analysen zu Militär und Sport erweitern (z.B. Mason 2013; Mason/Riedi 2011). International finden sich vereinzelt Artikel in Fachzeitschriften (z.B. Armed Forces and Society: Artikel zu Football von Vasquez 2011 und Penn/Berridge 2016). Auch wenn bisher der Sport kein nennenswerter Gegenstand militärsoziologischer Forschung war, so wurden doch die Körperlichkeit des Soldaten, seine Inszenierung, seine Fitness und seine Männlichkeit immer wieder thematisiert (und kritisiert, z.B. Grosswirth Kachtan 2016). Aus der Perspektive einer kritischen Militärsoziologie wurde der homo militaris als Idealtyp beschrieben (Hagen 2012) und die Militarisierung des Sports postuliert (Virchow 2005). Dieser symbolisiert die soldatische Vorstellung von militärischer Härte, Männlichkeit, körperlicher Opfer­ bereitschaft und Kameradschaft – selbst im andauernden Friedensbetrieb. Doch dies hat nur begrenzt etwas mit Sport zu tun. Selbst die Sozialisationstheorie bietet hier

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Abbildung 3: Militärischer Wettkampf auf der Hindernisbahn der Offizierschule des Heeres in Dresden zwischen Rekruten der OSH und der Royal Military Academy Sandhurst, Großbritannien, März 2018.  Bundeswehr/Sebastian Wilke

keinen Ausweg. So finden sich beispielsweise in einem Text von Apelt (2014) zur militärischen Sozialisation keine Anmerkungen zu Sport oder Bewegung, nur an zwei Stellen im Text wird marschiert, gestanden und gegrüßt – jede weitergehende Körperlichkeit wird ignoriert. Das ist insofern verwunderlich, als dass speziell in der ersten militärischen Sozialisationsphase, der Grundausbildung, das Erlernen militärischer Bewegungsformen im Formaldienst wie im Gefecht sowie Sport und der Erwerb einer grundlegenden militärischen Fitness ganz im Vordergrund stehen und zentrale Instrumente der Sozialisation in dieser ersten Phase des soldatischen Lebens darstellen. Abbildung 3 gibt eine Vorstellung von militärischem Sport, der durchaus im Feldanzug, mitunter auch mit Gepäck, und an und an einsatznahen Geräten ausgeübt wird, um den Einsatzbezug zu erhöhen. Weitere Ansätze einer militärsoziologischen Thematisierung des Sports finden sich neben dem vorliegenden Buch in einer gesundheitssoziologischen Perspektive des Militärs (Elbe 2020; Sudom/Krystal 2011), aus der physische und psychische Anforderungen des Soldatenberufes mit Bewegungskonzepten in einen Ausgleich gebracht werden sollen (vgl. hierzu auch Lusch 2020). Darüber hinaus hält mit der Optimierungsvorstellung des Transhumanismus eine veränderte Körperauffassung Einzug ins Militär und damit auch in die Militärsoziologie. Es »werden die Entwicklungen von Exoskeletten, Hirnimplantaten und Kampfrobotern insbesonde-



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re im militärischen Bereich vorangetrieben« (Siegetsleitner 2016: 246). Die Tendenz zur Verschmelzung von Körper und Waffen- oder Informationssystemen verändert die Perspektive vom Soldaten als Mensch-Maschine-System, das im Zusammenspiel mit Waffen interagiert. Die körperliche Leistungsfähigkeit lässt sich so sowohl hinsichtlich der maximalen Belastung als auch der Belastungsdauer deutlich steigern. Aber welche Formen der Fitness werden hierfür gebraucht? Es gibt diesbezüglich noch kein Trainingskonzept, doch setzen sich Sozialwissenschaftler der Bundeswehr mit der Thematik Transhumanismus und Human Enhancement – als Ansatz neuer Formen menschlicher Leistungssteigerung – auseinander (Bundeswehr 2013). Es deutet sich an, dass neben körperlichen Effekten psychosoziale Konsequenzen mit derart veränderten Leistungspotenzialen einhergehen, die der Erforschung bedürfen. Die Autoren kommen zu der Einschätzung, dass zumindest nichtinvasive Formen des Human Enhancement, die dem Schutz der Soldaten und Soldatinnen dienen und sowohl ethisch als auch rechtlich vertretbar sind, durchaus in Betracht gezogen werden müssen (Bundeswehr 2013).

4. Erscheinungsformen des Militärsports 4.1 Dienstsport zwischen Institution und sozialer Praxis In den US-Streitkräften wird das Thema Sport nach innen sowie auch nach außen durch die Abteilung »Armed Forces Sports«15 vertreten. In der Bundeswehr liegt die Verantwortung im Streitkräfteamt.16 Die grundsätzliche Regelung der Sportausübung und des Trainings erfolgt hier in der Zentralvorschrift A1‑224/0‑1 »Sport und Körperliche Leistungsfähigkeit« (Bundeswehr 2017). Begründet wird der im Dienstbetrieb angeordnete und ausgeübte Sport mit der Befähigung der Soldatinnen und Soldaten zum Kampf, wofür sie »ein hohes Maß an physischer und psychischer Robustheit sowie persönlicher Flexibilität benötigen, um den besonderen Anforderungen des Soldatenberufs gerecht zu werden« (Bundeswehr 2017: 4). Gefördert wird die körperliche Leistungsfähigkeit im gemeinsamen Training im Rahmen der angeordneten Sportausbildung, das mehrmals in der Woche im Dienst durchgeführt werden soll und von qualifizierten Männern und Frauen zu leiten ist (Übungsleiter Bw/Fachsportleiter/Sportlehrer). Ziel ist die bewegungsorientierte Ausbildung der Soldatinnen und Soldaten, aber auch des Zivilpersonals der Bundeswehr. Hiermit ist ein Erziehungsanspruch verbunden, der die Absicht verdeutlicht, den Dienstsport als geplante Sozialisationsgestaltung zur körperlichen Anpassung an die einsatzbedingten Anforderungen und zur soldatischen Persönlichkeitsentwicklung durchzuführen. Für die Soldatinnen und Soldaten ist die Teilnahme verpflichtend, für zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist sie optional, wenn der Dienstbetrieb 15 16

Vgl. (letzter Zugriff 26.11.2020). Vgl. (letzter Zu­griff 26.11.2020).

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dies zulässt. Der Dienstsport ist damit zum einen soziale Praxis, die die Körperlichkeit der Ausübenden prägt und dabei eine vergemeinschaftende Wirkung der Soldatinnen und Soldaten in einer organisationalen Einheit hat. Sozialisationsziel ist die kompetente rollenkonforme Kommunikation in einem spezifischen Regelzusammenhang (Digel 2013). Dienstsport stellt damit eine Institution innerhalb des militärischen Alltags dar, wobei Handlungserwartungen und Handlungspraxen erzeugt werden. Dies orientiert sich an informalen und formalen Normen, wobei letztere in Vorschriften gefasst sind und durch Testung (beispielsweise durch den BasisFitness-Test, BFT; Bundeswehr 2017) verdeutlicht werden. Die Sportarten, die im Rahmen des Dienstsports zugelassen sind, umfassen unter anderem Leichtathletik, Schwimmen, Turnen, Fitnesstraining, Orientierungslauf, Selbstverteidigung, Ret­ tungs­schwimmen, Fußball, Handball, Volleyball, Ski Alpin, Skilanglauf, aber auch sund­ heitssport und Behindertensport. Welche Sport­ arten angeboten werden Ge­ dürfen, ist in der Vorschrift »Sport und Körperliche Leistungsfähigkeit« festgelegt (Bundes­wehr 2017). Dass die Sportauffassung der Bundeswehr Leistungsorientierung mit Wett­kampfcharakter zugrunde legt, zeigt das folgende Zitat, mit dem versucht wird, eine Abgrenzung des Sports zu anderen Teilaspekten des soldatischen Dienstes vorzunehmen:

»216. Trainingsmaßnahmen im Rahmen der Waffen- und der Schießausbildung sowie des Gefechtsdienstes gehören auch dann nicht zum Sport, wenn sie in Form von Wettkämpfen stattfinden und eine ›sportliche‹ Note tragen« (Bundeswehr 2017: 9).

In der militärischen Ausbildung wird aus pädagogischen Gründen immer wieder auf Leistungsvergleiche und Wettkämpfe zurückgegriffen, da dadurch Routine und Handlungssicherheit verbessert werden können. Die Abgrenzung zum Sport ist also eine gewollte und willkürliche, da erhebliche Teile der soldatischen Tätigkeit an Körperlichkeit und an Bewegung gebunden sind. Das gilt für den Dienstsport, aber ebenso für Formal- oder Gefechtsdienst (einschließlich Marsch und Bewegung auf dem Gefechtsfeld). Neben der für alle Soldaten verpflichtenden Sportausbildung gibt es die Mög­ lichkeit, freiwillig – auch während des Dienstes – Sport zu treiben.17 Hier kommen spezifische Rollen- und Normstrukturen zum Tragen, die in der sportlichen Sozialisation innerhalb des Militärs oder bereits vor der militärischen Dienstzeit erlernt wurden. Aufgrund der Freiwilligkeit liegt ein gemeinsames Interesse der Sporttreibenden dieser Form des Sports während des Dienstes zugrunde. Dieses Interesse kann durchaus schichtabhängig sein (Heinemann 1990) und vom Familien­ einfluss (z.B. Bildungsniveau, Geschwister) geprägt werden (Thiel/Seiberth/Mayer 2013). Eine besondere Art des Einflusses beim freiwilligen Sport kann von Peer­ gruppen ausgehen, die entweder informell zur Neubildung von Interessengruppen führen können oder sich an bereits etablierten und tradierten Gruppen orientieren, etwa beim Offiziersport. Speziell in diesem Kontext wird soziale Ungleichheit und die Orientierung an Klassen oder Milieus wirksam, die sich auch sportlich in bestimmten Präferenzen als Teil eines Lebensstils manifestieren (Bourdieu 1991, 2008). 17

Darüber hinaus ist es allen Soldatinnen und Soldaten natürlich freigestellt, außerhalb der Dienstzeit Sport zu treiben. Auch hierfür gibt es Regelungen in der zentralen Vorschrift (Bundeswehr 2017).



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4.2 Körperliche Aktivitäten im Rahmen des Fachdienstes Ergänzend zur Basisfitness und zur soldatischen Grundfitness, die im Rahmen des Dienstsports aufzubauen und zu erhalten sind, zielt die tätigkeitsbezogene Funktionsfitness darauf, den körperlichen Anforderungen der individuellen militärischen Verwendung zu entsprechen. Hierzu werden Mindestanforderungen festgelegt, die jeweils durch die Soldatinnen und Soldaten zu erfüllen sind (Bundeswehr 2017: 7). Dieses Training ist nicht individualisiert, sondern findet in Verantwortung der jeweiligen Einheit in Gruppen als Teil des verpflichtenden Dienstsports statt. Wie in der Bundeswehr werden auch in anderen Armeen ähnliche verwendungsspezifische Sportprogramme durchgeführt. Ein Beispiel hierfür bietet Franklin (2018) anhand des Krafttrainings als Grundlage von Einsatzeffektivität für das Marine Corps der US-Streitkräfte. Das Marine Corps ist stolz auf die körperliche Fitness seiner Angehörigen, denen eine ausgesprochene physische Robustheit und Belastbarkeit (im Sinne von Widerstandskraft, Ausdauer und Stärke) zugeschrieben wird. Aus diesen Anforderungen lassen sich Konsequenzen für das Fitnesstraining ableiten, denen – so der Autor – das aktuelle Physical Fitness Programm des Marine Corps mit seiner einseitigen Stärkung von Muskeln sowie des Herz- und Lungen-Kreislaufs nicht gerecht werde. Das körperliche Training müsse stattdessen konsequent auf Robustheit und Belastbarkeit ausgerichtet werden, um die Wirksamkeit des Soldaten im Kampf zu steigern. Noch stärker tritt diese Tendenz zur Härte im Militärkampfsport zutage. Stuart/ Donham (2018) untersuchten Trainingsmethoden und Wettkämpfe der Mixed Martial Arts (MMA), die in den US-Landstreitkräften inzwischen generell praktiziert werden. Wettkämpfe werden üblicherweise auf vier Anforderungsniveaus durchgeführt, wobei sowohl Schlagtechniken als auch Grifftechniken zum Einsatz kommen. Stuart/Donham haben Krankenunterlagen der teilnehmenden Soldaten ausgewertet und analysiert, welche Verletzungen (nach Art und Häufigkeit) diagnostiziert wurden und inwiefern diese zu Dienstunfähigkeit geführt haben. Generell traten Verletzungen bei 14,7  Prozent der Teilnehmer auf, wobei Schlagtechniken häufiger zu Verletzungen führten. Ein signifikanter Unterschied hinsichtlich der Verletzungswahrscheinlichkeit im Vergleich mit anderen Sportarten konnten die beiden Wissenschaftler nicht feststellen. Es gilt, dass die Verletzungswahrscheinlichkeit in der Leistungs- und Wettkampflogik von Sport prinzipiell begründet ist – Kampfsport (bei der Bundeswehr Selbstverteidigung) zeigt dabei kein erhöhtes Risiko. Auch bei der Bundeswehr sind über das Fachtraining zur Steigerung der fitness hinaus weitere einsatznahe Trainingsmaßnahmen zu absolvieFunktions­ ren, die aber nicht Teil der Sportausbildung sind. Hierzu zählen beispielsweise Marschleistungen oder Geländeläufe, die nach der grundlegenden Sportvorschrift (Bundeswehr 2017) explizit nicht zum Dienstsport gehören, sondern dazu beitragen, die physischen Anforderungen, die für Einsatzfähigkeit und Einsatzbereitschaft unabdingbar sind, als Teil der körperlichen Leistungsfähigkeit herauszubilden und aufrechtzuerhalten. Neben der körperlichen Dimension sollen diese Ausbildungsanteile sowohl die Kampfmoral als auch die Kohäsion der gemeinsam trainierenden Solda-

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tinnen und Soldaten stärken (zu diesen gruppensoziologischen Aspekten vgl. Biehl 2010). Die sogenannte kleine Kampfgemeinschaft wird nicht nur im direkten Gefechtsdienst herausgebildet, sondern auch in den gemeinsam erlebten und bewältigten Herausforderungen körperlicher Belastung im einsatznahen Training.

4.3 Gesundheit, Prävention, Rehabilitation, Inklusion Gesundheitssport ist ein zwar eingängiger Begriff, bezeichnet aber einen Widerspruch in sich. Sport ist per definitionem nicht gesundheitsförderlich, sondern aufgrund der Leistungs- und Wettkampforientierung auf übermäßige Belastung ausgerichtet, auf Leistungssteigerung und das Erbringen der eigenen Bestleistung (»am schnellsten«, »am weitesten« usw.). Das ist mit einem unmittelbaren Verletzungrisiko aufgrund von Fehlbe- oder Überlastungen (z.B. Brüche, Muskel- und Bandverletzungen, Dehnungsrisse, Traumata) verbunden sowie mit möglichen Langzeitschäden (Ver­ schleiß­ erscheinungen, degenerative Organerkrankungen usw.). Auf der anderen Seite hat regelmäßige Bewegung einen positiven generellen Einfluss auf die Ge­ sund­heit und eine breitbandige therapeutische Wirkung (Lusch 2020) bei zahl­ reichen Erkrankungen, sodass sowohl rekreative, präventive und rehabilitative Effekte zu verzeichnen sind. Doch ist Sport nun angesichts der dargestellten Begleit­ effekte tatsächlich eine – aus Sicht der Gesundheitsförderung – sinnvolle und vor­teil­hafte Umsetzungsform von Bewegung, wie Lusch (2020) postuliert? Zu­zu­ stimmen ist dem Autor sicherlich dahingehend, dass Gesundheit die notwendige Voraussetzung für Einsatzbereitschaft und Auftragserfüllung im Militär ist und ihre aktive Förderung daher eine elementare Aufgabe der Gesamtorganisation wie auch der einzelnen Vorgesetzten. Allerdings bleibt zu klären, welche Form der Bewegung hierfür zielförderlich ist. Die Frage ist an dieser Stelle nicht, ob Dienstsport und sonstige Maßnahmen zur Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit im Militär die geeigneten Mittel sind, um die Einsatzfähigkeit zu steigern – fraglich ist, ob das gesund ist. Gesundheitssport ist eine der zugelassenen Sportarten innerhalb der Bundeswehr und hierfür gibt es auch eine eigene Fachsportleiter-Qualifikation innerhalb des Militärs (Bundeswehr 2017). Im Rahmen der Agenda Attraktivität hat das Be­ trieb­liche Gesundheitsmanagement (BGM) als eines der Maßnahmenpakete zur Steigerung der Attraktivität des Arbeitgebers Bundeswehr eine herausgehobene Be­deutung für das Militär bekommen. Wie Möckel (2019) feststellt, ist – ebenso wie in der Gesellschaft generell – auch bei der Bundeswehr die Bewegungsarmut in vielen Bereichen eine der zentralen Gesundheitsrisiken. Um diesbezüglich etwas zu ändern, muss einerseits in die Verhältnisprävention investiert werden – hier stehen die Arbeitsplätze, die Arbeitsmittel und die Arbeitsabläufe im Fokus. Anderer­ seits kommt der Verhaltensprävention eine besondere Bedeutung zu: Die Mit­arbeiter und Mitarbeiterinnen müssen ihr Gesundheitsverhalten den monotonen Ar­beits­ bedingungen (z.B. langes Sitzen) anpassen, sind also selbst gefragt, wenn es darum geht, die eigene Gesundheit zu verbessern. Aber auch hier ist der Arbeitgeber in der Verantwortung: »Wenn ich will, dass sich meine Mitarbeiter mehr bewegen, muss ich ihnen dafür auch Zeit einräumen« (Möckel 2019). Soldatinnen und Soldaten



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sowie zivile Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen dürfen wöchentlich während des Dienstes bis zu zwei Stunden für Angebote des Gesundheitssports nutzen. Das Besondere am Gesundheitssport sollte eigentlich sein, dass es sich nicht um Sport, sondern um ein präventives Bewegungsangebot handelt – doch dies scheitert in der Realität häufig an der Leistungsorientierung von Trainern und Teilnehmern. Darüber hinaus ist die Einstufung von Gesundheitssport als eine der Sportarten der Bundeswehr eine Aussage über die integrative Sicht auf das Verhältnis von Sport und körperlicher Leistungsfähigkeit einerseits und Gesundheitssport andererseits. Letztlich wird die Gesundheitsprävention dem Leistungsgedanken untergeordnet. Friedl (2012) macht dies anhand einer Typologie soldatischer Körperlichkeit deutlich, bei der unterschiedliche Ideale verfolgt werden. Während speziell bei den Kampftruppen das Auftreten der Soldatinnen und Soldaten im Vordergrund steht (Schneidigkeit), ist bei den durchschnittlichen Uniformträgern die Einsatzfähig das Ideal. Beide Typen unterschreiten hinsichtlich des Körperfettanteils (KF) die nach nationalen US-amerikanischen Richtlinien vorgesehenen Werte (Tabelle 2). Tabelle 2: Schneidig oder gesund? schneidig

gesund

Ideal der Kampftruppe

durchschnittliche Soldaten

nationale Richtlinien

Auftreten

Einsatzfähigkeit

Gesundheit

KF < 18% (M)

KF < 20% (M)

KF < 26% (M)

KF < 26% (W)

KF < 30% (W)

KF < 26% (W)

Anmerkungen: Die Tabelle (in Anlehnung an Friedl 2012) orientiert sich am US-amerikanischen Militär und gibt Körperfettwerte (KF) unterschieden nach Männern (M) und Frauen (W) für die jeweiligen Typen an (Übersetzung durch den Autor).

Auch hier zeigen sich Differenzen zwischen den Geschlechtern, die sich einerseits in unterschiedlichen sportlichen Leistungserwartungen (gemessen in absoluten Werten) und andererseits in den unterschiedlichen Körperschemata zwischen Mann und Frau ausdrücken. Die leistungsorientierte Vereinheitlichung, die sich im Ideal eines sportlichen, schneidigen Auftretens widerspiegelt, prägt im militärischen Alltag die Erwartungshaltung von Vorgesetzten. Aus gesundheitssoziologischer Sicht erscheint der Leistungsgedanke, dem der Sport unterliegt, problematisch (Elbe 2020). Hier wäre es sinnvoller, eine andere Rahmung als den Sport zu suchen und Gesundheit als Gemeingut (Allmende) zu betrachten, deren nachhaltiger Nutzen nur gemeinsam durch eine ressourcenorientierte, salutogenetische Orientierung realisiert werden kann. Das bedeutet, dass die Gesundheit im Militär selbst als sinnstiftend wahrgenommen wird, dies für den Einzelnen und die Gemeinschaft wichtig ist und durch eigenes Handeln beeinflusst werden kann. Nicht unmittelbar vom Gesundheitsmanagement werden der Inklusions- und der Rehabilitationssport erfasst. Diese Bereiche gewinnen auch innerhalb des Militärs

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und der Öffentlichkeit immer mehr an Bedeutung. Der Rehabilitationssport hat sich in der Bundeswehr inzwischen auch aufgrund der Einsatzerfahrung gut etabliert und zeigt nachweisbar Erfolge (vgl. Schubmann/Augstein/Hamuni 2020 sowie Lison/Lützkendorf in diesem Band). Die Rehabilitationsmaßnahmen für Menschen mit physischen oder psychischen Einschränkungen sollen die Wiedereingliederung in den Dienst oder zumindest die Möglichkeit der Teilhabe an der Gesellschaft fördern. Mit ihren breiten Sport- und Bewegungsangeboten finden die Maßnahmen in speziellen Kliniken oder am Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr in Warendorf statt. Der Inklusionssport für Menschen mit Behinderungen in der Bundeswehr hingegen ist zunächst einmal eine Aufgabe der alltäglichen Integration und findet in den Einheiten statt (Bundeswehr 2017); zudem gibt es Lehrgänge für Behindertensport an der Sportschule Warendorf, die vorrangig von Soldaten und Soldatinnen, aber bei freien Kapazitäten auch von zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit entsprechender Behinderung oder Gleichstellung besucht werden können. Für die Gesellschaft sichtbar wurden die Bereiche Rehabilitation und Inklusion mit den Invictus Games. Schubmann (2020) beschreibt den Weg der Betroffenen als Rehabilitation nach dem Auslandseinsatz, die dem Prinzip folgt: Bewegung ist Leben. Die Spiele stehen unter der Schirmherrschaft des ehemaligen britischen Prinzen Harry und sind eine paralympische Sportveranstaltung für behinderte Soldaten. Die Wettkämpfe werden in unterschiedlichen Sportarten, unter anderem Bogenschießen, Indoor-Rudern, Leichtathletik, Rollstuhl-Basketball oder Schwimmen, ausgetragen, wobei die Teilnehmer in Kategorien, je nach Art der Einschränkung, starten (Schubmann 2020). Mit dem Begriff ›Invictus‹ wird die Programmatik der Bewegung deutlich gemacht: sich nach einer Verletzung, Traumatisierung oder Erkrankung wieder zurück ins Leben zu kämpfen und eben dadurch unbesiegbar zu sein. Dies und die Prominenz und der Einsatz des Schirmherrn haben diese Veranstaltung für die Öffentlichkeit interessant gemacht.

4.4 Sportveranstaltungen Sportveranstaltungen18 sind Teil des Dienstsports, die Bundeswehr ist sich dabei aber der Werbewirkung von Sport in der Gesellschaft bewusst, weswegen vorgesehen ist, dass diese subsidiär auf Einheits- oder Verbandsebene und damit nahe an der Lebenswelt der Menschen im Umfeld militärischer Einrichtungen stattfindet (Bundeswehr 2017). Dass dies funktioniert, zeigt der folgende Interviewausschnitt (Haß 2013), in dem sich ein Freiwillig Wehrdienstleistender hinsichtlich Kontakt­ aufnahme mit der Bundeswehr äußert:

»Und ja, ich fand den Bund schon immer interessant, war oft bei Sportveranstaltungen zum Beispiel. Naja, dann kam eins aufs andere mit diesem Freiwilligen Wehrdienst, früher war’s die Wehrpflicht. Und eigentlich gehört das irgendwo dazu als Mann, dass man wenigstens mal mit einer Waffe umgegangen ist, dass man diese körperliche Ertüchtigung mal durchgemacht hat. Und man ist ein anderer Mensch hiernach, ist viel disziplinierter, viel ordentlicher« (zitiert nach Haß 2013: 40).

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Zu Großveranstaltungen vgl. Mittag und Wu in diesem Band.



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Deutlich wird hier die Nähe zur Bundeswehr als Sozialisationsinstanz. Der Inter­ viewte sieht die Männlichkeit, die der sozialen Figur des Soldaten zugeschrieben wird, und teilt offensichtlich auch die Disziplinierungstendenzen, die dem Militär anhaften und in den Sozialisationsprozessen vermittelt werden. Hierzu gehört der Umgang mit einer Waffe, insbesondere aber das Er- und Durchleben der spezifischen körperlichen Ertüchtigung, die Soldaten erfahren. Neben dem genuin Militärischen kommt in dieser kurzen Interviewsequenz zweimal das reine Sportmotiv vor: in der Sportveranstaltung (wobei offen bleibt, ob der Interviewte hier nur Zuschauer war oder selbst teilgenommen hat) wie in dem Begriff der körperlichen Ertüchtigung (der ambivalente Bedeutungsanteile hat). Der Erfolg militärischer Sportveranstaltungen liegt also einerseits in der zulässigen Inszenierung sozialer Konkurrenz in der Öffentlichkeit (Bette 2010), wobei der Wettkampfcharakter in der Zurschaustellung überlegener und unterlegener Leistung liegt und damit den binären Code des Sports, der sich als Sieg vs. Niederlage manifestiert, deutlich vor Augen führt, woran das Publikum sich ergötzen kann – gegebenenfalls auch mit demonstrativer Empörung oder Abwehr. Die Regelhaftigkeit, die durch Schiedsrichter personalisiert wird, macht Sportveranstaltungen zu ausdifferenzierten Interaktionssystemen (Bette 2010), die auf der einen Seite zwischen den Athleten und dem Funktionspersonal stattfinden und zum anderen zwischen den Akteuren des Spektakels und dem Publikum als anwesende Öffentlichkeit. Beide Interaktionssysteme haben ritualisierte Anteile, lassen aber durchaus Platz für die Selbstinszenierung der Einzelnen – das gilt gleichermaßen für Athleten und Funktionspersonal wie für die einzelnen Besucher. Neben den Sportveranstaltungen, die Dienststellen, Einheiten oder Verbände der Bundeswehr organisieren, präsentiert sich das Militär durch die Teilnahme an Veranstaltungen, die von anderen Verbänden oder Organisationen ausgerichtet werden. Teilweise verbinden sich diese Funktionen sogar. Das trifft insbesondere für Großereignissen wie die Invictus Games zu, für die Deutschland sich als Veranstalter für das Jahr 2023 verpflichtet hat, oder die CISM Winter World Games, die 2022 in Berchtesgaden und Ruhpolding hätte stattfinden sollen (zur CISM vgl. auch Klein/Lützkendorf sowie Mittag/Wu in diesem Band). Die Bundeswehr ist als Organisation Mitglied im Conseil International du Sport Militaire und unterstützt das Ziel, Sportler und Repräsentanten des Militärsports aus aller Welt zusammenzubringen. Die Trainingsmaßnahmen zur Vorbereitung auf CISM-Wettkämpfe können im Rahmen der Sportausbildung erfolgen (Bundeswehr 2017). Damit treffen bei CISM Militärsport und Spitzensport aufeinander.

4.5 Spitzensport: Zur Selbstversicherung gesellschaftlicher Leistungsfähigkeit Spitzensport zielt auf den Wettkampf vor Publikum, der eine besondere Leistung der Athletinnen und Athleten erfordert und zugleich der Unterhaltung des Publikums dient. Spitzensport ist also an Sportveranstaltungen gebunden, wobei dies nicht nur eine Selbstinszenierung im Alltag ist (Goffman 2003), sondern eine komplexe Inszenierung, eine geplante Aufführung mit verteilten Rollen vor Publikum, mit

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einem bestimmten Ensemble (Athleten und Funktionspersonal), das sich auf einer Vorderbühne präsentiert; ein Teil des Interaktionssystems findet aber im nichtöffentlichen Teil, auf der Hinterbühne, statt. Nach außen, auf der Vorderbühne, agieren die Athletinnen und Athleten als Helden (Bette 2011), die sich bestimmten Typen zuordnen lassen: Eroberer, Verteidiger, Retter, Rächer, aber auch Märtyrer, tragischer Held oder Antiheld – einschließlich der Selbststilisierung als tapfere Unterlegene. Diese Rollen können innerhalb eines Wettkampfes wechseln (etwa wenn eine Athletin in einer Disziplin gewinnt, in der anderen aber verliert), sie können sich aber ebenso verfestigen und damit die persönliche Entwicklung eines Spitzensportlers zugleich widerspiegeln und beeinflussen. Spitzensportveranstaltungen sind Teil des kulturellen Geschehens der Gesellschaft und mit anderen kulturellen Erscheinungsformen vielfach verflochten, beispielsweise mit der Verwendung von Musik im Rahmen von Sportveranstaltungen, wie es in der Halbzeitshow der Super Bowl, dem Endspiel in der American-FootballProfiliga19, praktiziert wird; der Super Bowl Sunday hat sich im Lauf der Zeit gar zu einem inoffiziellen Feiertag in den USA entwickelt. Zu nennen sind hier auch die Eröffnungsfeiern von Olympischen Spielen und deren Begleitprogramm. Die Inszenierung von Spitzensport dient also der Unterhaltung wie auch dem Aufbau oder der Aktualisierung kollektiver Identität, für Anhänger eines Sportclubs (z.B. des FC Bayern München mit seiner reflexiven Identitätsformel »mia san mia«) oder aber einer Nationalmannschaft. Hier wird nicht nur die Gemeinsamkeit der Fans im Stadion als Identitätserfahrung erlebt; die Leistung der Athletinnen und Athleten der eigenen Mannschaft und – im besten Fall – ihr Sieg über die anderen werden als Ausweis gesellschaftlicher Leistungsfähigkeit stilisiert. Dies gilt generell, wurde aber insbesondere in den sozialistischen Staaten des Ostblocks von der politischen Führung betont und als Nachweis einer vermeintlichen Überlegenheit des Kommunismus gegenüber den kapitalistischen Gesellschaften propagiert (siehe die Beiträge von Wenzke und Lange in diesem Band). Auch für den einzelnen Athleten, die einzelne Athletin bietet der Spitzensport eine besondere soziale Position. Die Förderung und Betreuung, die Nachwuchsathletinnen und -athleten bis hin zu A-Kadern erfahren, zeigen ihnen, dass sie einer spezifischen, sportlichen Elite angehören. Dies drückt sich auch in einem sozialen Aufstieg im Bildungsbereich aus: Spitzensportler erreichen einen deutlich höheren Bildungsabschluss als ihre Väter (Gebauer/Braun 2001: 152). Die Elitenzugehörigkeit ist aber an die sportliche Spitzenleistung (in der jeweiligen Altersgruppe) gebunden. Versagt der Sportler/die Sportlerin dauerhaft in der sportlichen Leistungserbringung, droht der Verlust des Kaderstatus und damit der Förderung und Betreuung. Es handelt sich somit um eine Scheinelite, da sich Eliten letztlich dadurch auszeichnen, dass die Zugehörigkeit soziale Ansprüche begründet und nicht die Leistung. Das gilt auch für die Spitzensportlerinnen und Spitzensportler, die als Angehörige einer der Sportförderkompanien der Bundeswehr als Soldatinnen oder Soldaten Dienst tun und dabei ihre sportliche Karriere weiterverfolgen (vgl. hierzu den Beitrag von 19

Kollmer (in diesem Band) beschäftigt sich insbesondere mit der US-amerikanischen Militärliga im Football.



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Hahn/Schönherr und das Interview mit Bunkus/Pöge in diesem Band). Wie Elbe in seinem Text zu Multiplen Karrieren (in diesem Band) deutlich macht, kommt es für diese Athletinnen und Athleten zu einem weiteren Rollenset als Soldatinnen/ Soldaten, was neben den Rollensets als Sportlerinnen/Sportler und – für die meisten – als Studierende eine Dreiteilung der professionellen Rollenanforderungen bedeutet. Damit verbunden ist eine deutliche Belastung in der Koordination konkurrierender sozialer Ansprüche.20 Für die Bundeswehr zählt Spitzensportförderung zu den ihr übertragenen gesamtstaatlichen Aufgaben. »Das Fördersystem der Bundeswehr ist als fester Bestandteil in das Gesamtsystem des deutschen Leistungssports eingebunden« (Bundeswehr 2017: 19). Hinsichtlich der Ausgaben für Spitzensportförderung nimmt das BMVg, wie bereits erwähnt, den zweiten Platz hinter dem Bundesministerium des Inneren ein; es ist zudem der größte staatliche Einzelförderer von Spitzensportlern. Die För­de­rung findet in Kooperation mit den im Deutschen Olympischen Sportbund organi­sierten Spitzenverbänden statt (für den olympischen, paralympischen und nichtolympischen Sport). Die Sportsoldatinnen und Sportsoldaten werden in Sport­ fördergruppen der Bundeswehr betreut und versehen von hier aus ihren Dienst in der Ausübung ihres Sports (Bundeswehr 2017). Fischer (2017) sieht drei Funktionen im Spitzensportengagement der Bundeswehr: 1. Sportsoldaten und -soldatinnen schaffen ein positives Bild von der deutschen Soldatin und vom deutschen Soldaten im In- und Ausland. 2. Sportsoldaten und -soldatinnen sind ein Werbefaktor für die Nachwuchsgewinnung des Militärs. 3. In Sportwettbewerben – insbesondere unter Beteiligung deutscher Soldatinnen und Soldaten – kann ein positiver Patriotismus angesprochen werden, ohne nationalistische Resentiments zu bedienen. Die Instrumentalisierung des Sports als eine ›staatstragende Institution‹ (Weis 1997: 641) mit hoher institutioneller Verflechtung (z.B. mit Parteien und Kirchen) kann aber auch kritisch gesehen werden (Fischer 2017; Weis 1997). Wie Krüger et al. (2013) ergänzen, könnte über die Nützlichkeitsüberlegungen zur Legitimation, die den Sport auf die Perspektive eines Mittels für andere Zwecke reduziert, hinaus geltend gemacht werden, dass hierdurch die Freude am Sporttreiben gefördert wird – und zwar für die Sporttreibenden und für die Konsumenten. Über die Spitzensportförderung in zivilen Sportarten hinaus werden Soldatinnen und Soldaten in ihrer Sportausübung in Militärsportarten (die von Schießen, Reiten und militärischem Fünfkampf über Mannschaftssportarten bis Golf reichen) gefördert. Dies liegt im unmittelbaren Interesse der Bundeswehr und dient im Leistungssportbereich der Qualifizierung und Teilnahme an den internationalen Militärsportwettkämpfen im Rahmen des CISM. 20

Laut Gebauer/Braun (2001) lösen die Athletinnen und Athleten dieses Problem, indem sie versuchen, die unterschiedlichen Anforderungen auszutarieren, und damit nicht mehr einer reinen Logik folgen, sondern eine gemischte Zielsteuerung aus verschiedenen Systemen (Bildung, Sport, Arbeitgeber) verinnerlichen. Für das Sportsystem werden die Sportlerinnen und Sportler damit weniger kalkulierbar und die Planungen schwieriger.

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5. Zusammenfassung In diesem Beitrag wurde gezeigt, wie sich das Verhältnis von Sport und Militär historisch entwickelt hat, welche Konstanz und welchen Wandel es dabei gegeben hat und welche soziale Bedeutung der Sport für das Militär heute hat und umgekehrt. Dabei wurde deutlich, dass in der Soziologie zwar eine durchaus etablierte Forschungstradition zum Sport existiert, ebenso wie zum Militär, dass die Kombination der beiden Subdisziplinen bisher aber kaum erfolgt ist und dass es in den jeweiligen Perspektiven für den anderen Aspekt geradezu blinde Flecken gibt. Doch lassen sich die breiten Forschungsergebnisse der Sportsoziologie, sie sind sowohl theoretisch als auch empirisch vorhanden, auf das Militär und insbesondere auf die Bundeswehr beziehen. Die Militärsoziologie wiederum kann zu spezifischen Fragen (z.B. der Sozialisation oder der Gruppenkohäsion) Ergänzungen liefern. Darüber hinaus hat Sport in der Bundeswehr eine so große Bedeutung, dass es hinreichend Material der Selbstbeschreibung (z.B. im Internet-Auftritt der Bundeswehr oder in den zugänglichen Vorschriften) gibt, die eine solche Bezugnahme möglich und fruchtbar macht. Dies hat sich in der Analyse der zentralen Aspekte des Sports im Militär (Sportausbildung und Dienstsport, Bedeutung des Sports für militärische Fachtätigkeiten, Gesundheit und Sport, Sportveranstaltungen und Spitzensport) aus soziologischer Sicht bewährt. Diskutiert wurde auch die Frage nach der sozialen Funktion des Sports. Hierauf hat die Soziologie durchaus Antworten, welche die Einordnung und Interpretation aktuellen Geschehens erleichtern. Inwiefern Sport aber tatsächlich wichtig für die Charakterbildung von Soldatinnen und Soldaten ist oder ob er die Sozialisation in den jeweiligen Gruppen positiv beeinflusst, ist nicht hinreichend empirisch untersucht.21 Damit sind die eingangs gestellten Fragen, wie es zur Verflechtung von Sport und Militär kommt und wie Sport und Militär soziale Beziehungen und Strukturen prägen, in einem ersten ›Aufschlag‹ beantwortet worden. Generell gilt aber, dass für die Breite soziologischer Fragestellungen zu Militär und Sport zu wenig empirische Daten vorliegen. Hier ist auch innerhalb der Bundeswehr ein deutlicher Nachholbedarf festzustellen. Dieser Beitrag soll dazu anregen, diesem Bedarf abzuhelfen.

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Vgl. hierzu die generelle Kritik von Krüger et al. (2013: 374) an der (politischen) Kommunikation über Sport.



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Martin Rink

Krieg, Spiel, Kriegsspiel – und die Frage nach dem spielerischen (Un-)Ernst Einordnung Martin Rink wendet sich in seinem Artikel einem konstituierenden Element von Sport zu: dem Spiel und dem Spielen. Er untersucht den Zusammenhang zwischen Krieg, Spiel und Kriegsspiel und dekonstruiert Ähnlichkeitspostulate und Relationierungen in diesem Feld aus historischer wie aus zeitgenössischer Perspektive. Dabei gerät die Simulationsfunktion des Kriegsspielens besonders in den Fokus. Es zeigen sich Tendenzen zur Ver­selbst­ständigung des spielerischen Charakters von Wettkämpfen. Autor Martin Rink, Dr. rer. pol., Historiker sowie Staats- und Sozialwissenschaftler arbeitet im Forschungsbereich Einsatz am Zentrum für Militärgeschichte und Sozial­wissen­ schaften der Bundeswehr in Potsdam. Die Forschungsschwerpunkte des früheren Offiziers der Fallschirmjägertruppe sind unter anderem »Einsatz ohne Krieg« (aktuelles Buch), asymmetrische Gewalt und die Organisationsgeschichte des Militärs.

1. Der spielende Mensch Der Akkord von Krieg, Spiel und Kriegsspiel klingt im frühen 21.  Jahrhundert eher dissonant. Sport und Spiel werden landläufig gewaltfrei gedacht. Doch treten beim Reden über beide oft recht kriegerische Metaphern und mit ihnen Ver­ wandt­schaftsbeziehungen zutage: »Seitdem es Wörter für Kämpfen und Spielen gibt, hat man das Kämpfen gern ein Spielen genannt,« so der niederländische Kultur­ historiker Johan Huizinga im Jahr 1938 in seinem wegweisenden Werk vom spielenden Menschen, dem homo ludens (Huizinga 2017: 101). Zwar mag die »epochale und kulturelle Vielfalt des Spielens« derart breitgefächert scheinen, dass die »Rede vom spielenden Menschen« mehr verdecke als erhelle.1 Doch seinerseits verdeckt der Fokus auf die konkreten, in unterschiedlicher Form institutionalisierten 1

Volker Schürmann, Spiele(n) damals und heute. Von der schönsten Nebensache der Welt, 2.8.2016, (letz­ter Zugriff 10.2.2020).

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Martin Rink

Einzelerscheinungen von Kampf, Krieg und Spiel die Gemeinsamkeiten. Diese allgemeinere Betrachtungsebene wählte Huizinga. Im Folgenden wird versucht, die vordergründig so verschiedenen Sphären von Krieg und Spiel durch die Betrachtung der Brücke zwischen beiden auszuloten: des Kriegsspiels. Jüngere Publikationen betonen den Nutzen, den eine eingehende Erforschung des Kriegsspiels für die Militärgeschichte bieten kann (Wintjes/Pielström 2019: 86‑98; Hilgers 2008: 7‑10, 43‑71; Hohrath 2000; Schmitz 2016).2 Andere verweisen auf die computergestützte Simulation des Krieges im Rahmen militärischer Ausbildung3 und im Freizeitverhalten (nicht nur) jüngerer Männer (Saucier 2005; Allen 2005). Die Geschichte des auf Übungsplätzen, auf dem Spielbrett und am Computer simulierten Krieges verdient zweifellos deshalb Beachtung, weil hier die oft eingeforderte Rolle der Militärgeschichte als Kulturgeschichte der Gewalt aufgezeigt werden kann. Die Geschichte von Strategie, Taktik und militärischer Ausbildung offenbart die ihnen zugrundeliegenden Bilder und Modelle vom Krieg und somit Organisationsvorstellungen und Mentalitäten. Aus historischer Sicht zeigen sich Transformationsprozesse in den Erscheinungsformen des kriegerischen Spiels und des gespielten Krieges – von den Kriegsspielen des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit bis zur militärisch institutionalisierten Übungstätigkeit, die diese überlagerte, dann ablöste, um seit der Jahrtausendwende zunehmend vom computergestützten Kriegsspiel wieder eingeholt zu werden. Sowohl im Krieg als auch im Spiel haben körperliches Leistungsvermögen und Geschicklichkeit eine zentrale Bedeutung. Dies galt für ritterliche Turniere und Wettkämpfe zwischen den Bürgern von Stadtvierteln ebenso, wie es heute für den Modernen Fünfkampf oder das Tennisspiel gilt. Dabei ist der Sport der spielerischen, unernsten Seite zuzurechnen. Auch wenn viele Menschen Sport und sportliche Wettkämpfe sehr ernst nehmen – sie behalten, anders als der Krieg, einen spielerischen Charakter.

2. Krieg, Spiel und Kriegsspiel – zwischen Symmetrie und Asymmetrie Eindringlich schilderte Huizinga (1987, Orig. 1919) den »Herbst des Mittelalters« im niederländisch-burgundischen Raum des 14. und 15. Jahrhunderts – einschließlich der Ritterkultur von Ehre, Krieg und Spiel. Zwei Jahrzehnte nach diesem Werk erschien seine Kulturtheorie über den homo ludens. Auch hier setzte er das agonale Prinzip des regelgeleiteten ›echten‹ Krieges in enge Beziehung zu Kampf, Wettkampf und Spiel (Huizinga 2017: 51 f., 101‑118; direkt darauf bezogen: Kortüm 2010: 33, 260). Obwohl die jüngere Mittelalterforschung – wie auch schon Huizinga selbst 2 3

So auch der Tagungsbericht von Marc Hansen, Arbeitskreis Militärgeschichte, (letzter Zugriff 10.2.2020) Zu Vorhaben an der Führungsakademie der Bundeswehr: Froneberg/Bohnert/Füger/Heukers 2017; Overloop 2017. Vgl. auch German Institute for Cefence and Strategic Studies, Wargaming: Lehrmethode mit Tradition, (letzter Zugriff 10.2.2020).



Krieg, Spiel, Kriegsspiel

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– betont, wie sehr das überkommene Heldenlied von der heroischen Bewährung in Turnier und Krieg von der historischen Wahrheit abweicht (Kortüm 2010: 13‑26; Prietzel 2006: 17‑21), bezieht sich unser medial vermitteltes und auch spielerisch re-aktualisiertes Bild vom Mittelalter oft auf eine ritterliche Stilisierung des Krieges; auch deswegen, weil sich das Mittelalter in seinem ›Anderssein‹ als Fluchtpunkt – spielend oder medial – für eskapistische Projektionen anbietet: vom Ritterspiel als Touristenattraktion4 bis hin zur Fernsehserie »Game of Thrones«.5 Semantisch – das zeigt bereits der schnelle Blick in den Duden – kommen dem Begriff ›Spiel‹ unterschiedliche Bedeutungsebenen zu, die sich teils überlappen. Abgesehen von seinen konkreteren Bedeutungsformen ist Spiel eine »Tätigkeit, die ohne bewussten Zweck zum Vergnügen, zur Entspannung, aus Freude an ihr selbst und an ihrem Resultat ausgeübt wird«.6 Diese Selbstreferenzialität des Spiels drückt sich aus als »Handlungsweise, die etwas, was Ernst erfordert, leichtnimmt«. Gleichzeitig aber wird ein Spiel »nach festgesetzten Regeln durchgeführt«. Das Paradoxon vom Spiel als ernsthafte Befolgung von Spielregeln zum Zweck einer ernstfreien Tätigkeit bildet auch das Leitmotiv von Huizingas Werk über den »spielenden Menschen« (alle Zitate Huizinga 2017: 9‑15, 55 f.). Im historischen Rückblick finden sich zahlreiche Auseinandersetzungen, in denen die Grenze zwischen Sport und Krieg auf einer stufenlosen Skala ritualisierter Auseinandersetzungen verschwimmt: vom Schach zum Rugby oder American Football (Creveld 2017: 47 f.; auch Kollmer in diesem Band) und von dort weiter zum kriegerischen Computerspiel; vom tödlichen Duell zwischen Ehrenmännern (Frevert 1991; Ludwig et al. 2014; Prietzel 2006) über teils tödlich endende ritterliche Turniere und Wettkämpfe zwischen den Bürgern der Stadtviertel (Balestracci 2003: 17‑69; Prietzel 2006: 244‑247; Behringer 2012: 84‑119) bis hin zu den unblutigen, doch professioneller Kriegsvorbereitung dienenden Kriegsspielen, Manövern und militärischen Planübungen. Wenn hier im Folgenden der von Huizinga gelegten Spur von Krieg und Spiel nachgegangen wird, so sind beide Größen weder konzeptionell-normativ noch praktisch identisch. Im Krieg geht es letztlich ums Töten. Trotz tödlicher Unfälle, so des französischen Königs Heinrich II. von Frankreich am 30. Juni 1559 im Rahmen eines Turniers (Behringer 2012: 135 f., 217; Balestracci 2003: 46, 102), ist im Spiel das Töten nicht der Veranstaltungszweck. Der Zweck liegt im Spielen selbst. Huizinga definiert Spiel als »eine freiwillige Handlung oder Beschäftigung, die innerhalb gewisser festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum nach freiwillig angenommenen, aber unbedingt bindenden Regeln verrichtet wird, ihr Ziel in sich selber hat und begleitet wird von einem Gefühl der Spannung und Freude und einem Bewusstsein des ›Andersseins‹ als das ›gewöhnliche Leben‹« (Huizinga 2017: 137).

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Ein »Mittelalterfest für alle Sinne« verspricht das alljährliche Kaltenberger Ritterturnier mit dem Slogan »Lass dich entführen ... in eine fantastische Welt,« (letzter Zugriff 7.2.2020). Vgl. Kurzangaben auf (letzter Zugriff 7.2.2020). Nach: Duden Rechtschreibung, (letzter Zugriff 29.1.2019).

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Mit dem Heraustreten aus dem Normalzustand im Sinne eines ›Andersseins‹ verbindet sich das an anderer Stelle betonte Charakteristikum vom Spiel als Kampf um Ressourcen oder Selbstpräsentation in einer Rolle. Dadurch offenbart sich das Spiel doch als Modell, als verdichtete Repräsentation oder gar als die Reinform dessen, was es darstellt. Freilich ist das Spiel selbstreferenziell: Hier gelten eigene Gesetze, die aber die Welt in ›irgendeiner‹ – sich klarer Definition entziehenden – Art repräsentieren. So betont Huizinga:

»Der Form nach betrachtet, kann man das Spiel also [...] eine freie Handlung nennen, die als ›nicht so gemeint‹ und außerhalb des gewöhnlichen Lebens stehend empfunden wird und trotzdem den Spieler völlig in Beschlag nehmen kann, an die kein materielles Interesse geknüpft ist und mit der kein Nutzen erworben wird, die sich innerhalb einer eigens bestimmten Zeit und eigens bestimmten Raums vollzieht, die nach bestimmten Regeln ordnungsgemäß verläuft und Gemeinschaftsverbände ins Leben ruft« (Huizinga 2017: 22).

Auch der Krieg steht außerhalb des Normallebens. Und die Vorstellung, dass dieser das eigentliche Modell des Lebens insgesamt sei, kennzeichnet die Mythen von Kriegergesellschaften und radikalen bellizistischen Darwinisten ebenso wie die Ideologie von Militaristen. Doch wäre der Krieg das Leben schlechthin, so käme er schnell zum Erliegen: Recht bald fehlte dann den Kriegführenden die wirtschaftlichlogistische Grundlage und die rechtlich-administrativ-staatliche Basis, ohne die keine Gemeinschaft, und sei sie eine kriegerische, auskäme. In einer Minimaldefinition ist Krieg ein Großkonflikt zwischen Akteuren, die mit formaler Legitimität ausgestattet sind: ein »mit Waffengewalt ausgetragener Konflikt zwischen Staaten [oder] Völkern; [eine] größere militärische Auseinandersetzung, die sich über einen längeren Zeitraum erstreckt«.7 Etwas allgemeiner kann Krieg als eine reziprok ausgeübte, kollektive, tödliche Gewalt in nicht privater Absicht für ein höheres Ziel und oberhalb einer gewissen Schwelle an Intensität und Dauer des Konflikts bezeichnet werden (Strachan/Scheipers 2011: 6; vgl. auch Kortüm 2007: 71‑98; Hofbauer 2015: 17‑21).8 In der klassischen, auf die Moderne und Europa bezogenen Militärgeschichtsschreibung wurde die Betrachtung von Krieg eng und teils ausschließlich an die Auseinandersetzung zwischen Staaten und ihren regulären Militärorganisationen gekoppelt. Als Instrument des Staates, dem »kälteste[n] aller kalten Ungeheuer« (Nietzsche 1988: 51), spielt die organisierte, regelgebundene Institution Militär mit ihren in »Ein-Form« (ebd.: 49) auftretenden Soldaten kein Spiel (mehr). Denn: »Befohlenes Spiel ist kein Spiel mehr [... Das Spiel] ist frei, es ist Freiheit« (Huizinga 2017: 16). Auch Max Weber erschien der »individuelle Heldenkampf« des Mittelalters als »Gegenpol gegen das geschäftlich Rationale« der »Disziplin des Massenheers« der Moderne (Weber 1980: 650). Wenn er die moderne Rationalität mit der spielerischen Freiheitlichkeit des ritterlichen, auf Ehre und persönliches Treueverhältnis 7 8

Duden Rechtschreibung, (letzter Zugriff 29.1.2019). Ausführlicher zu dieser Thematik vgl. die Beiträge in Maurer/Rink (Hrsg.) 2021. Zur Definition und weiteren Abgrenzungen: Kortüm 2010: 42‑50. Zu den Spielarten des Krieges allgemein und speziell im Mittelalter ebd.: 44‑74.



Krieg, Spiel, Kriegsspiel

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gestützten Kriegers kontrastiert, wären Spiel und Militär größtmögliche Gegensätze. Schließlich ist das Militär durch seine Organisiertheit geradezu definiert (Elbe/Richter 2012; Rink 2019). Nicht organisierte Kämpfer gelten als keine Angehörige des Militärs, sondern allenfalls als Gewaltgemeinschaften von ›Irregulären‹ (Speitkamp 2013). Und dass diese Kategorie als schwer definierbar erscheint, könnte geradezu als deren Merkmal gelten (Hofbauer/Rink 2022). Feste Formen von Aufbau- und Ablauforganisation kennzeichnen Militär und den von diesem geführten Krieg; alles andere gilt als irreguläre Gewalt, als Verbrechen – oder als Spiel. Damit aber wäre der oben beschriebene Rationalitätscharakter geradezu umgedreht worden: Während das Spiel – ob bei Fußball, Schach oder im Turnier – durch die miteinander wettkämpfenden Menschen und deren individuelle Geschicklichkeit und Spieltaktik den Charakter von Kontingenz bewahrt, ist es beim Idealtyp von Militär die regelgeleitete – und somit tendenziell kontingenzaverse – Befehlserfüllung. Während Huizinga darlegte, dass in verschiedenen Kulturen und auch im vormodernen Europa Streitigkeiten vor Gericht per »Rechtshandel als Wettkampf« (Huizinga 2017: 88) ausgetragen wurden, akzentuierte Weber den Rechtsformalismus des modernen Staates, dessen »technisch rationale Maschine« den »befriedeten Interessenkampf [...] an feste unverbrüchliche ›Spielregeln‹ knüpfte« (Weber 1980: 469). Die Politik sei das Verfahren, die »Spielregeln für den in der Form ›friedlichen‹ Kampf« festzulegen (ebd.: 667; vgl. hierzu auch Huizinga 2017: 66‑101). Das berühmte Diktum Carl von Clausewitz’, wonach »Krieg nicht bloß ein politischer Akt, sondern ein wahres politisches Instrument ist, eine Fortsetzung des politischen Verkehrs, ein Durchführen desselben mit anderen Mitteln« (Clausewitz 1991: 993 f.), bezieht sich nicht nur auf die Instrumentalität des Krieges, sondern auch auf seine Andersartigkeit gegenüber dem bürgerlichen Normalzustand – analog zum Spiel. Schon die Einleitung seines Werkes »Vom Kriege« beginnt mit dem Sprachbild von »zwei Ringende[n]« (ebd.: 191). Der Krieg sei zunächst »nichts als ein erweiterter Zweikampf«, um den Gegner »durch physische Gewalt zur Erfüllung seines Willens zu zwingen« (ebd.: 950). Das Konzept der »wunderlichen Dreifaltigkeit« beschreibt den Krieg erstens als »Gewaltsamkeit«, zweitens als »politische[s] Werkzeug« und drittens als das »Spiel der Wahrscheinlichkeit« (ebd.: 950, 212; vgl. auch HerbergRothe/Son 2018: 85–90). Clausewitz betont,

»wie sehr die objektive Natur des Krieges ihn zu einem Wahrscheinlichkeitskalkül macht; nun bedarf es nur noch eines einzigen Elementes, um ihn zum Spiel zu machen [...]; es ist der Zufall. Es gibt keine menschliche Tätigkeit, welche mit dem Zufall so beständig und so allgemein in Berührung stände als der Krieg [...] Wie durch seine objektive Natur, so wird der Krieg auch durch die subjektive zum Spiel« (Clausewitz 1991: 207).

Angelehnt an die Spielmetapher knüpft Clausewitz seine Absage an die Rationalitäts­ vorstellung des Zeitalters der Aufklärung (Scheipers 2018: 3, 28, 130‑134; grundlegend Herberg-Rothe 2001; Heuser 2005: 55‑69). In diesem Sinne war Clausewitz und seinen Zeitgenossen der Begriff »Kriegskunst« geläufig: als »Kunst [...] sich der gegebenen Mittel im Kampf zu bedienen« (Clausewitz 1991: 270). Noch die Truppenführungsvorschrift der Wehrmacht von 1936 begann mit dem Satz: »Die Kriegführung ist eine Kunst, eine auf wissenschaftlicher Grundlage be-

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ruhende freie, schöpferische Tätigkeit.«9 Auch die Truppenführungsvorschrift der Bundeswehr von 1959 betonte die »Ungewissheit« als »das Element des Krieges [...] Dem eigenen Willen begegnet der unabhängige Wille des Feindes.«10 Und die Folgedokumente von 1962 bis 2017 führen aus:

»Truppenführung ist eine Kunst, eine auf Charakter, Können und geistiger Kraft beruhende [freie] schöpferische Tätigkeit [die auf einer systematischen Vorgehensweise beruht]. Ihre Lehren lassen sich nicht erschöpfend darstellen. Sie verträgt weder Formeln noch starre Regelungen.«11

Trotz der über 55 Jahre fast wörtlich tradierten Kontinuität ist eine bezeichnende Änderung in der Konzeption vom Spiel des Zufalls zu erkennen: Wo das Dokument von 1962 die »freie« Tätigkeit betonte, ergänzte das seit 2017 gültige die »systematische Vorgehensweise«: Im freien Spiel der Kräfte schwinden Freiheitsgrade. Ein Blick in die Führungsvorschriften der Bundeswehr belegt, dass der noch in der Aufstellungsphase gebrauchte Begriff ›Krieg‹ spätestens seit der Jahrtausendwende aus dem Vorschriftenvokabular verschwunden ist (mit ausführlichen Belegen Rink 2021). Gemäß der völkerrechtskonformen Ächtung des Krieges ist dieser ohnehin kaum mehr angemessen als Spiel zu denken. Demgegenüber aber kennzeichnete der israelische Militärhistoriker Martin van Creveld eine hypothetische Welt ganz ohne Krieg – oder genauer: ohne den Drang zum tödlichen Wettstreit – als Alptraum. Die dann vorauszusetzende Regelungsgewalt eines allmächtigen Leviathans würde die Menschen zu »willenlosen Zombies« bar jeder »Verspieltheit« degradieren (Creveld 1998: 323), denn Krieg sei Instrument der Politik, während das Spiel nur um seinetwillen erfolgt. Wenn der Krieg aber auch als politisch induzierter Kampf um die Regeln selbst erfolgt, lässt sich diese Selbstreferenzialität eben doch als zweckfreies Spiel bezeichnen. Freilich könnte diese Kennzeichnung des kriegerischen Spiels auch als eine fragwürdige Verharmlosung oder gar Apologie gewertet werden. Ganz in diesem Ton zelebrierte Friedrich Nietzsches Literaturgestalt des mythischen Weisen Zarathustra um 1884/85 die »Spiele des Schaffens« und des Kriegers (Nietzsche 1988: 48‑50). Dem modernen Soldaten erteilte diese Heldensaga eine verächtliche Abfuhr, indem sie den ritterlich-heroischen Krieger als Spieler feierte. Auch ein Zentraldokument der noch jungen Bundeswehr, das von 1957 bis in die frühen 1970er Jahre verbreitete »Handbuch Innere Führung«, bekannte sich zum Ideal der Ritterlichkeit nach dem »Urbild des abendländischen Soldaten: dem ›Miles Christianus‹« (BMVg 1960: 76). Diesem wurden die »Funktionäre des Tötens« (ebd.: 64) ebenso entgegengestellt wie die Figur des »ewigen Landsknechts« (ebd.: 18  f., 58, 64, 69, 75  f., 91). Der als denkender Mensch und Staatsbürger konzipierte ›politische Soldat‹ ist somit das Gegenteil eines von seiner Obrigkeit wie eine Schachfigur auf das Spielfeld gesetzten Soldaten. Dies war eine inhaltliche Abgrenzung vom Nationalsozialismus, beinhaltete jedoch gleichzeitig die 9 10

11

Heeresdienstvorschrift (HDv) 300/1 Truppenführung (T.F.), Berlin 1936, Einleitung, Ziff. 1, S. 1. HDv 100/1 Truppenführung (TF), Bonn, 25. August 1959, Nr. 4, S. 6, einschließlich des ersten Klammerverweises; fast wörtlich: HDv 100/1 Truppenführung, 25. Oktober 1962, Ziff. 64, S. 30, jedoch ohne den ersten, doch mit dem zweiten Verweis in eckigen Klammern. Bereichsvorschrift C1-160/0-1001 Truppenführung, Berlin, 12.10.2017, Ziff. 302.



Krieg, Spiel, Kriegsspiel

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Kontinuität eines Bekenntnisses zur eigenen Seite im ideologisch ausgetragenen Weltkonflikt.12 Und während diese politische Aufladung das Zeitalter der Weltkriege zur Ära der totalen Kriege machte, mündete die Abkehr von dieser Katastrophenzeit ab 1945 im Bekenntnis zur Befreiung der Welt von der »Geißel des Krieges«.13 Die Existenzberechtigung des Krieges wird damit bestritten. Deshalb kann Krieg kein Spiel (mehr) sein. Echte Symmetrie besteht letztlich nur im Spiel, nicht im Krieg. Krieg erfolgt aber insofern unter Gleichen, als dass hier symmetrische Todesgefahr und Tötungsmacht bestehen. Diese Symmetrie betont auch Huizinga: »Vom Kriege kann man sogar als Kulturfunktion reden, als er innerhalb eines Kreises geführt wird, in dem die einzelnen Glieder einander als gleichberechtigt anerkenne« (Huizinga 2017: 102). Aktivitäten wie »Überfall, Hinterhalt, Raubzüge und Ausrottung können sämtlich nicht als agonale Formen des Kampfes gelten, wenn sie auch einem agonalen Kriege dienstbar gemacht werden können« (ebd.). Vielfach wird im Krieg der ›Andere‹ als nichtebenbürtiger ›Barbar‹ ausgegrenzt. Diesbezüglich äußerte sich Huizinga bereits 1938: »Erst die Theorie des totalen Krieges verzichtet auf den letzten Rest des Spielmäßigen im Krieg und damit zugleich auf Kultur, Recht und Menschlichkeit überhaupt« (ebd.). Nicht zufällig haben Kriegsherrn, Offiziere und Soldaten den Krieg als standesgemäßes Spiel unter Gleichen gekennzeichnet. Die hier postulierte Symmetrie war, genauso wie im rituellen Zweikampf, Ausdruck kriegerischer Ehre – und damit eine soziale Projektion.14 Die oft elenden Lebensbedingungen von Feldzug und Feldlager und die wenig reputierliche Praxis des Beutemachens und der Exzesse gegen die Bevölkerung gehörten auch im Mittelalter zu den normalen, ja überwiegenden Erscheinungsformen des Krieges (Kortüm 2010: 241‑264). Die Kriege dieser Zeit erschöpften sich nicht im symmetrischen Spiel unter Gleichen, sondern kannten somit höchst ›asymmetrische‹ Formen der Gewalt. Zu Recht betont die Kritik an dieser Begrifflichkeit, dass ›symmetrische‹ Konflikte kaum denkbar wären, solange Unterschiede hinsichtlich Anzahl, Ausbildung, Organisation, Taktik und Strategie bestehen (Kortüm 2007: 85; Kortüm 2010: 65‑70; vgl. Feichtinger 2004: 227‑120; Schmidl 2004). Nicht die Praxis, wohl aber das Konzept vom Krieg ist symmetrisch und ähnelt damit dem Spiel. ›Asymmetrisch‹ genannte Kriege müssen deswegen begrifflich undeutlich bleiben – so wie die ›neuen‹ oder ›hybriden‹ Kriege. So findet das Modell für den ›symmetrischen‹ Krieg seinen prägnantesten Ausdruck im ›Nicht-Krieg‹: im Turnier, im Manöver und im Kriegsspiel. Die hier genauso wie im eng verwandten Sport (Behringer 2012: 13‑19) aufgestellten Regeln 12 13

14

Zum Leitbild des Staatsbürgers in Uniform: Nägler 2010: 31‑88. Vgl. Wegner 1997. Charter of the United Nations and Statute of the International Court of Justice, San Francisco, 26.6.1945, Präambel (letzter Zu­griff 12.1.2019). Zur Ehre als handlungsleitendes Motiv: Kortüm 2010: 29–38. Zur Komplexität und letztlich diffus bleibenden Charakter: Pelizaeus 2014;Winkel 2014. Zu den einfachen Söldnern, die sich im die Ehre wahrenden Zweikampf auch als Standesgruppe nach außen abgrenzten: Huntebrinker 2010: 265‑284.

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sind symmetrische Anordnungen. In Analogie zum alltäglichen Leben gewährleisten sie als dessen Modell die Gleichheit der Parteien.

3. Krieg spielen – zwischen Turnier und Schneeballschlacht Die Formen des ritualisierten Zweikampfes im Mittelalter dienten zur kriegerischen Übung, zur Demonstration kriegerischer Geschicklichkeit sowie zum Erringen von Ruhm, Beute und Lösegeld für in diesen Spielen gefangen genommene Gegner. Mit ihnen verbindet sich der Ausdruck Turnier. Dieser ist seit 1125/27 gebräuchlich und fand fortan – genauso wie die Praxis – im lateinischen Europa Verbreitung (Fleckenstein 1985; Cardini et al. 1997: 1113‑1118; Balestracci 2003: 844). Der Begriff des Turniers ist doppeldeutig. Zum einen umfasst er als Oberbegriff alle ›mittelalterlichen‹15 kriegerischen Ritterspiele. Zum anderen bezeichnet er, in der Abstraktionsebene darunter, das große Zweiparteienspiel des ›echten‹ Turniers (auch Turney, engl.: tournament, franz.: tournoi, ital./span.: torneo). Von diesem war der ritterliche Zweikampf des Tjost (auch Gestech, engl.: joust, franz.: joute, ital.: giostra, span.: justa) zu unterscheiden. Eine dritte Form bilden die Kriegsspiele von Patriziern oder des einfachen Volks, die oft den Formen von Turnier und dem Tjost folgten. Das Turnier war eine Schule des Krieges. Im Hochmittelalter wurde es »von zwei Reitergruppen in feldmäßiger Gefechtsart und mit feldmäßiger Bewaffnung ausgeführt (Gamber 1985: 516). Es war somit eine »rituelle Schlacht, keine simulierte Schlacht« (Balestracci 2003: 5‑7, 14‑31),16 bei der wie im Jahr 1493 in Sandricourt in Nordfrankreich über Tausend Streiter zum Einsatz kommen konnten. Als Spielfeld wurde oft ein abwechslungsreiches Gelände ausgesucht, das zusätzlich mit Palisaden und Holzhäusern vorbereitet wurde. Ab dem 13. Jahrhundert erfolgte eine zunehmende Einhegung und Formalisierung, wie anhand der in Umlauf kommenden Turnierbücher deutlich wird. Gleichzeitig wurden die Schau­ kämpfe durch Angehörige des wohlhabenden Bürgertums, speziell in den wirtschaftlich aufstrebenden Regionen Oberitaliens und Flanderns übernommen. Die drei genannten Unterformen wandelten sich damit durch Aneignungs- und Transformationsprozesse. Hier wie dort ging es um die Zurschaustellung von Reichtum, Prestige und politischen Ansprüchen – der Wettstreitendenden selbst, der Veranstalter und der Austragungsorte. Dabei erweiterte sich der Teilnehmerkreis, indem neben adligen Kriegern bald auch Angehörige des städtischen Patriziats und schließlich geworbene Kriegsknechte und einfache Bürger teilnehmen konnten. So deutet die Konstituierung von Turniergesellschaften auf eine adlige Standespolitik 15

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Der sich auf die eintausend Jahre zwischen 500 und 1500 erstreckende Begriff ›Mittelalter‹ bleibt in dieser weiten Form natürlich undeutlich. Dasselbe gilt für die sich von 1500 bis 1800 erstreckende ›Frühe Neuzeit‹ und die anschließende ›Neuzeit‹. Letztlich handelt es sich um eine »aus der Geschichte der Geschichtswissenschaft erwachsene willkürliche Grenzziehung« (Kroener 2013: 1). Deshalb sind die – gerade im Kriegsspiel erkennbaren – Transformationsprozesse zwischen diesen Epochen von Interesse. »battaglia reale, non battaglia simulate” (Balestracci 2003: 16).



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hin, um die Teilnehmerschaft auf Ebenbürtige zu begrenzen. In der gelebten Praxis stand dies offenkundig zunehmend in Frage. Die Kriegsspiele entwickelten sich zu Großveranstaltungen, in deren Rahmen eine Reihe von aufeinanderfolgenden Kämpfen ausgetragen wurde: Auf die jungen folgten die erfahrenen Kämpfer, beim Tjost folgte auf das Lanzenreiten der Fußkampf mit dem Schwert. Dem echten Kampf voraus ging die Herausforderung des Gegners, oft durch rituelles Spotten. Zur Choreografie der Turniere gehörten Herolde als Übersetzter der kriegerischen Zeichensysteme aus Farben, Wappen und Helmzier der Kämpfer sowie im Rahmen eines sich ausdifferenzierenden Schiedsrichterdienstes (Balestracci 2003: 47‑60). Das alles deutet auf ein freies Spiel, das aber nur innerhalb von Regel und Recht erfolgen konnte. Recht als Grundbedingung für Regeleinhaltung zeigt die zentrale Rolle der lokalen Fürsten oder der Stadtobrigkeit. Turnier, Tjost und die städtischen Kampfspiele waren Ausdruck von Eigen-Sinn und eigenem Recht. Die von den und für die städtischen Bürgerschaften, aber auch für den lokalen Adel organisierten Kampfspiele fanden an christlichen Feiertagen und in der Karnevalszeit statt. In den Tagen vor Aschermittwoch konnte allerdings die parodistische Inversion des echten Lebens durch das kämpferische Spiel zu blutigem Ernst mutieren. So geschah es in der französischen Stadt Romans im Dauphiné 1579/80: Dort eskalierten die spielerisch-kriegerischen Aufzüge und Wettspiele der als ›Königreiche‹ firmierenden Spiel- und Sozialformationen erst im Aufstand und endeten dann im Massaker (Le Roy Ladurie 1986: 65). Auch in Italien zeigten sich, allen Ordnungsbemühungen der Obrigkeiten zum Trotz, die »verschwimmenden Grenzen zw[ischen] Spiel und kriegerischen Auseinandersetzungen« (Cardini et al. 1997: 1117). Die Spiele zwischen den Stadtvierteln erfolgten, teils unter Einbeziehung der Landgemeinden, in Form von Reiterwettkämpfen (wie des Palio di Siena), in Form des – in Norddeutschland noch gebräuchlichen – Ringreitens oder von ritualisierten, doch veritablen Straßenschlachten. So wurde in Pisa seit dem 12.  Jahrhundert mazzascudo ausgetragen. Der Name deutet auf die Waffen: Auf die Einleitung des Gefechts mit Steinen folgte das Handgemenge mit Knüppel (mazza) und Schild (scudo). Als Schutzausrüstung dienten Helme und wattierte Körperprotektoren. Die ursprünglich vom 17. Januar bis zum Ende des Karnevals währende Serie von Auseinandersetzungen endete formal 1407, als sie durch die neue Herrschaft der Florentiner unterbunden, dann aber als Ausdruck kommunalen Eigen-Sinns wieder aufgenommen wurden. Am 6.  Februar 1807 bereitete die Regentin des Königreichs Etrurien dem Spiel ein Ende, angeblich mit den Worten: »Für ein Spiel ist es zu viel, für einen Krieg zu wenig.«17 17

»Per gioco è troppo, per guerra è poco.« Den Charakter des Ausspruchs als geflügeltes, doch nicht eindeutig belegtes Wort unterstreichen die zahlreichen Internetauftritte mit touristischer oder kommerzieller Zielsetzung: ; Vendita Scacchi, 18.6.2018, ; Encico Zini, Il Mazzascudo, l’antenato del Gioco del Ponte, 27.5.2016, ; Compagnia di Calci, Il Gioco del Ponte, 22.10.2010, (letzter Zugriff auf die hier genannten Websites 12.2.2020).

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Abbildung 1: Der Gioco del Ponte in Pisa, ein alljährlich am letzten Samstag im Juni veranstaltetes Bückenspiel, bei dem die beiden Stadtquartiere Mezzogiorno und Tramontana gegeneinander kämpften. Kupferstich, 1776, nach Zeichnung von Gaetano Maria Franchi. akg-images/Rabatti & Domingie

Wieder ausgetragen wird seit 1927 der Gioco del Ponte, eine rituelle Schlacht als Brückenspiel in Pisa (Abbildung 1). Es siegt die Mannschaft, die einen großen Wagen über die Arnobrücke auf die gegnerische Seite schiebt (Balestracci 2003: 105‑131; Endrei et al. 1995, zu einem zeitgenössischen Brückenspiel siehe Rink in diesem Band).18 Wie in Pisa oder in Venedig kannten zahlreiche andere Städte in Italien und in Frankreich ähnliche rituelle Steinschlachten zwischen den Stadtvierteln. Auch dort oszillierten die Wettkämpfe zwischen Bürgerstolz, Subversion und obrigkeitlicher Kontrolle. Eine Möglichkeit zur Einhegung bot das kollektive Werfen von Orangen, Zitronen oder Eiern; im Winter gab es Schneeballschlachten. Eine solche trugen drei junge Adlige in Florenz 1464 nachts im Fackelschein ganz in der Form eines ritterlichen Tjostes aus – bis zuletzt die damit umworbene junge Dame die Bälle von ihrem Balkon zurückspielte. Nicht nur hier ging der kämpferische Wettstreit um die Gunst einer Dame (Balestracci 2003: 70‑75, 137‑140). Die im Spiel angelegte Inversion des ›echten‹ Lebens zeigte sich auch 1214 beim Kampf um eine ›Liebesburg‹ in der Stadt Treviso nördlich von Venedig. Während die Frauen das aus Holz errichtete und mit prächtigen Stoffen ausgeschlagene Castello d’Amore mit Datteln, Weinreben, Äpfeln oder Quitten, aber auch mit Rosen, Lilien und Fliedersträußen verteidig18

Hinweise zu Geschichte, Regeln und Organisation, doch ohne Verweis auf das angeführte Zitat: Associazione Amici del Gioco del Ponte (letzter Zugriff 19.2.2020).



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ten, hatten es die Männer mit ebenjenen Waffen zu erobern. So wie das Spiel eine symmetrische Beziehung zwischen Angriff und Abwehr symbolisiert, so offenbart es asymmetrische Geschlechterbeziehungen, in denen die Damen ihre Ehre zu verteidigen hatten. Auch hier eskalierte die Gewalt zum blutigen Straßenkampf unter den auswärtigen Besuchern aus Venedig und Padua. Auch andernorts, so im Florenz um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert, dienten Holzkastelle als Spielobjekt im handfesten Kampf zwischen Männern von Stadt und Land (Szabó 1985: 367; Balestracci 2003: 141‑145). Die skizzierte Entwicklung vom Turnier zum Spektakel, vom Kampf zu dessen Repräsentation zeigt Anpassungs- und Umformungsprozesse, in denen sich die Abgrenzung der Spielgemeinschaften genauso offenbaren wie eine kulturelle Aneignung ritterlicher Lebensformen. In Frankreich schwand die Turnierbegeisterung nach dem Tod Heinrichs II. Stattdessen wurden nun die ungefährlichen Karussells (carrousel: Drehpuppen, gegen die angeritten wurde) als Reiterspektakel mit Musik gepflegt. Auch in Italien wandelte sich das kriegerische Spiel zu »Turnier-Opern«. Den militärischen Funktionsverlust des Turniers zeigt sein Rückgang während des Dreißigjährigen Krieges (Mallinckrodt 2011). Anders als es Hans Delbrück Anfang des 20. Jahrhunderts wirkungsmächtig postuliert hat, setzte um das Jahr 1500 keine völlig neue Epoche der Militärgeschichte ein (Delbrück 2003b: 3‑27), sondern ein stetiger Transformationsprozess der Taktik, die nun gepanzerte Reiter zusammen mit der Langspieß oder Feuerwaffen tragenden Infanterie und Feldartillerie kombinierte. Während bei Kriegsleuten zu Ross und zu Fuß »die zur allgemeinen Elite-Ideologie gewandelten Ritterideale« (Sablonier 1985: 567) fortlebten, musste sich damit das Bild von Taktik, Organisation und Übung des – nun in moderner Diktion entstehenden – Militärs verändern. Gerade die abseits der höfischen – und konzeptionell: höflichen – Sphäre des Hochadels ausgetragenen Wettkämpfe unter dem bürgerlichen Volk oder gar des städtischen Pöbels veranschaulichen eins: Man kann das ›ernsthafte‹ Spiel des Turniers als ›nur gespielt‹ betreiben, doch bleibt die ernsthafte Befolgung der Regeln unverzichtbar. Der Regelbruch führt zu einem neuen Spiel – und sei es ein böses. So verschafften sich französische Soldaten am Morgen des 16.  Februar 1808 Eintritt in die Zitadelle der spanischen Stadt Pamplona, indem sie im dicht gefallenen Neuschnee eine Schneeballschlacht veranstalteten. Die – zu dieser Zeit noch verbündeten – spanischen Soldaten in der Zitadelle forderten sie zum Mitmachen auf. Die willigten ein, öffneten die Tore und spielten mit. Darauf hatten nun die Franzosen mit ihren in den Mänteln versteckten Waffen gewartet und nahmen die Zitadelle in ihren Besitz (Tone 1994: 43  f.).19 Noch bevor im Mai des Jahres die Aufstände in Madrid den Krieg gegen das napoleonische Frankreich einleiteten, war der französische Bündnispartner bereits Besatzungsmacht. Die Aufhebung traditioneller Regeln von Kriegsbrauch und Kriegsrecht führte die Kämpfenden auf 19

Vgl. Javier Sanz, El día que se tomó Pamplona por culpa de una batalla de bolas de nieve, 4.12.2012, ; Guía de Pamplona, Batalla de las bolas de nieve (letzter Zugriff auf beide Websites 10.2.2020).

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ein neues Spielfeld: Im spanischen Krieg standen der französischen Armee ab 1809 irreguläre spanische Gruppierungen gegenüber, die einen neuen ›kleinen Krieg‹ (Guerilla) führten. Der Regelbruch im nun nicht mehr spielerischen Handgemenge steht für einen größeren Gesamtzusammenhang: Einerseits ist dies in das falsche Spiel Napoleons auf dem diplomatischen Parkett eingebettet, das die Besetzung eines verbündeten Landes und den dortigen Widerstand einleitete. Andererseits aber war die von Napoleon übernommene Revolutionsarmee nicht zuletzt infolge einer systematisierten Ausbildung zur leistungsstärksten ihrer Zeit avanciert. Paradigmatisch erfolgte dies im »Laboratorium der Grande Armee« (Gainot 2018: 584), dem Übungslager von Boulogne von 1803 bis 1805 (ebd.: 581‑584). Diesem Modell folgte alsbald die preußische Armeereform nach ihrer katastrophalen Niederlage bei Jena und Auerstedt am 14. Oktober 1806. Das Verhältnis von Krieg, Spiel und auch Sport trat in eine neue Phase.

4. Krieg üben – Revue, Manöver, Kriegsspiel Kriegsspiele simulierten den Krieg. Als ihre Rolle als militärische Übungspraxis zurückging, waren sie auch selbst ein Mittel der Politik – als höfisches Festspiel genauso wie als Ausdruck kommunaler Identität. Die sprichwörtliche ›Soldatenspielerei‹ des späten 18. Jahrhunderts zeigte sich insbesondere im Exerzierdrill und den Manövern der altpreußischen Armee. Die Überlagerung des Zwecks kriegerischer Übung mit dem der Repräsentation kennzeichnete noch die Manöver im preußisch-deutschen Heer des 20. Jahrhunderts. Wie im Kriegsspiel stellte sich in der Truppenausbildung die Frage nach der Modellierbarkeit des Krieges: zwischen fester Regel und Freiheit der Form, zwischen Soldaten und ihren Offizieren. Letztere traten nun aus der Rolle der reinen Spielfiguren heraus, um selbst mitzuspielen. Als militärisches Exerzieren gilt die »Ausbildung im Gebrauch der Waffen und in den Elementarbewegungen« (Hahlweg 1987: 30). Die seit dem späten 16. Jahr­ hundert vermehrt publizierten Traktate bekundeten das systematisierte Interesse, unter Rückgriff auf antike Autoren anwendbare Regeln abzuleiten. Unabhängig von der schriftlichen Konzeptionalisierung erfolgten militärische Lern- und Inno­va­tions­ prozesse über die Grenzen der jeweiligen Heere hinweg (Wilson 2018: 108‑114). Zunehmend aber etablierten die fürstlichen Kriegsherren zentrale Regelwerke und Institutionen. In diesem Rahmen war die Oranische Heeresreform ab den 1590er Jahren in den protestantischen Territorien Deutschlands und den Niederlanden zwar nicht einzigartig, aber doch beispielgebend. In Fortführung dieses Musters unterwarf Leopold von Anhalt-Dessau die preußische Armee jenem Drill, der die Basis für das Herrschaftsparadigma seines Dienstherrn Friedrich Wilhelm I. bildete. Dieser wandelte die Form der absolutistischen Repräsentation der Macht: vom höfischen Gepränge hin zur militärischen Übungstätigkeit (Rohrschneider 2008: 52  f., 58, 62; Baumgart 2008a: 3  f., 7). Friedrich der Große erweiterte diese zu großen Zweiparteienübungen. Wenn man »das Repräsentieren als den eigentlichen ›Beruf‹ des Fürsten in der Frühen Neuzeit bezeichnen« will (Roeck/Tönnesmann



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2005: 147), so erfolgte es über das Medium der Soldatenspielerei als einer durchaus zweckmäßigen Veranstaltung (Papke 1983: 176‑180). Das 19. Jahrhundert dachte darüber anders. Die Kriegshistoriker des preußischen Großen Generalstabes nahmen zwar den ›großen König‹ von ihrer Kritik aus, verurteilten aber das »Schauspiel« der »reglementarischen Gleichmäßigkeit« nach Art der »Revuetaktik«. Sie sei »der gefährlichste Feind der scharfen Taktik« (Malachowski 1892: 2 f.). Ähnlich scharf tadelte der Heeresreformer Hermann von Boyen die altpreußische »Schlendrianstaktik«, die »auf dem Exerzierplatz und bei den Revuen« dargeboten werde. Deren »Ideal von mechanischer Evolutionsfertigkeit« erinnerte ihn an wohlgeschorene Gartenhecken, wodurch der »Krieg in eine höflichst auszuspielende Schachpartie« verwandelt worden sei (alle Zitate Boyen/Schmidt 1990: 266, 61 f., 298). Auch Clausewitz mokierte sich 1823/24 über den damaligen »exakte[n] Schlendrian.« Noch das »Handbuch Innere Führung« der Bundeswehr tadelte ganz in dieser Sichtweise den »Paradesoldaten« (BMVg 1960: 18  f., 58). Schon 1797 vermittelte der aufgeklärte Militärschriftsteller Georg Heinrich von Berenhorst, der es als ehemaliger Flügeladjutant Friedrichs des Großen und natürlicher Sohn des Alten Dessauers wissen konnte, ein kritisches Bild der altpreußischen Armee. Er schilderte die alljährlichen Revuen ihrer Regimenter im Frühjahr und Sommer und die Großmanöver im Herbst:

»Der Monat September war die Epoche dieser Spiele [...] An den drey Tagen von Potsdam [...] befanden sich die Truppen [...] in zwey gegen einander ziehende Haufen geteilt. Einen derselben führte der König, den anderen der jedesmalige Guvernör von Berlin [...] natürlicherweise mischte sich zuweilen Hofkunst in die Kriegskunst. Seitdem die Welt Waffen getragen, hat sie nichts Schöneres, nichts Künstlicheres, nichts dem Kriege Aehnlicheres gesehen, als diese Herbstmanöver auf der potsdammischen Insel« (Berenhorst 1798: 326 f.).

Waren diese Manöver vor dem Siebenjährigen Krieg noch als geheime Truppen­ übungen abgehalten worden, wurden sie in den Jahrzehnten danach von der militärisch interessierten Welt rege besucht – von preußischen Offizieren bis hin zu Gästen aus ganz Europa. Für ihre Teilnehmer selbst waren diese Manöver oft unerfreulich. Fehler konnten Karrieren schnell beenden und Regimenter in Ungnade fallen lassen. Die »heilige Scheu« vor der Revue (Jany 1967: 99 f.) zeigte, dass diese Art der Übung aus Sicht der zu Spielfiguren degradierten Soldaten eben kein Spiel mehr war. Wenn die vom Zeitalter der Aufklärung durchdrungenen Militärschriftsteller wie auch später die Militärreformer die friederizianischen Manöver als Spielerei abtaten, bekundeten sie trotzdem den Wert der institutionalisierten Militärübungen. Wie der kritische Gewährsmann Berenhorst nicht verleugnete, erfüllten sie durchaus einen militärischen Zweck. Sie stellten Bilder von Gefechtsabläufen und reaktualisierten die Bindung des Königs an seine Armee (Rink 1998; Duffy 1974: 147‑149). Die eingeübten taktischen Verfahren wiesen eine beachtliche Bandbreite auf. Denn neben der Lineartaktik wurden auch die aufgelockerten Gefechtsformen des sogenannten kleinen Krieges eingeübt. Erschien um die Mitte des 18. Jahrhunderts diese ›irreguläre Form‹ des Krieges noch als regelfrei, so zeigen die Übungen drei Jahrzehnte später deren taktische Konzeptionierungsprozesse. Zwar wurden in den Großmanövern »nur Absicht und Zweck angenommen [und] die gegenseitige[n] Bewegungen

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gaben die Lösung« (Berenhorst 1798: 327). Doch blieben sie stets kritikwürdige Übungskünstlichkeiten. Auch Scharnhorst tadelte Ende des 18.  Jahrhunderts die Rückwärtsgewandtheit deutscher Militärs in Taktikfragen (Rink 1999: 214). Das Problem, Modell und Realität darzustellen, die Frage also, wie die komplexe Realität in einem angemessenen Modell zum Ausdruck gelangen sollte, mündete in den Forderungen, die Friktion des Krieges bereits in die Gestaltung der Übungen einzubauen. Scharnhorsts 1794 zuerst veröffentlichtes »Militärisches Taschenbuch zum Gebrauch im Felde« bot ein didaktisches Konzept als Mischung von Dienstanweisung, Nachschlagewerk und Ausbildungsleitfaden. Anhand historischer Exempel entwickelte er Regeln und anhand fiktiver Beispiele Ausbildungslagen, die sich im Gelände nachspielen ließen (Scharnhorst 1980; ausführlich hierzu Rink 1999). Die Einführung der Wehrpflicht ab 1813/14 machte das preußische Heer, wie zuvor das französische, zur Ausbildungsarmee. Damit beschleunigte sich der Institutionalisierungsprozess der Lehre an der Kriegsakademie für Generalstabsoffiziere, an den Kriegsschulen für Offiziere und an den seit 1825 bestehenden Unteroffizierschulen (Messerschmidt 1976: 103‑121).20 Neben formalisierten Zugangsbedingungen und den durch Prüfungen zertifizierten Ausbildungsgängen wurde die Truppenausbildung fortentwickelt und durch Kriegsspiele ergänzt. Das Problem, den Krieg der Zukunft zu simulieren, ohne ihn zu kennen, mündete hier in der Aufgabenstellung, anwendbare Spielregeln vorzugeben, gleichzeitig aber die Freiheit des Spielbetriebs zuzulassen. Schon im Barockzeitalter – und beim Schachspiel selbstverständlich lange zuvor – existierten Spiele, die Kampf, Macht und Krieg auf dem Spielbrett simulierten. Mit der Spätaufklärung trat der Zweck militärtaktischer Ausbildung zunehmend hervor, um dann im frühen 19. Jahrhundert »ein paradigmatisches Element des militärischen Denkens zu werden« (Hohrath 2000: 139 f.). Im Jahr 1783 kennzeichnete Johann Mehler in Prag sein Kriegsspiel als eine »neue Art des edlen Schachspiels«. Kurz zuvor hatte der herzoglich braunschweigische Pagenhofmeister Christian Ludewig Hellwig die »Regeln der Kriegskunst in einem unterhaltenden Spiel (Mehler 1783; Hellwig 1803) veranschaulicht, dessen Spielanleitung er aber erst zwei Jahrzehnte später veröffentlichte. Ebenfalls in Braunschweig legte der Ingenieuroffizier und hochproduktive Militärautor Georg Venturini 1797 die Beschreibung seines Kriegsspiels vor, das gleichermaßen »Nutzen und Vergnügen« versprach und mehrere Neuauflagen erfuhr. Ein weiteres, von Johann Ferdinand Opiz entwickeltes Kriegsspiel erschien posthum 1806 (Venturini 1797, 1803; Opiz 1806). Nachdem die altfriderzianische Taktik im selben Jahr so katastrophal gescheitert war,21 verband sich die Suche nach einer neuen mit der Simulation des Krieges. In diesem Sinne unterrichtete Clausewitz 1810 und 1811 die königlichen Prinzen, also die späteren Könige Friedrich Wilhelm IV. und Wilhelm I., über den kleinen Krieg (Clausewitz 1966: 208‑598; hierzu Rink 1999: 383‑386; Scheipers 2018: 37‑51; Hilgers 2008: 53‑58). Gleichzeitig trat ein vom Kriegsrat George Leopold von Reiswitz (oder Reißwitz, Reisswitz, Reisewitz) entworfenes Kriegsspiel auf den Plan. Das am Geländesandkasten zu spielende 20 21

Bemerkenswerterweise ohne Erwähnung der Unteroffizierschulen. Freilich sind frühere Auffassungen von einer angeblichen völligen Innovationsfeindlichkeit in der altpreußischen Armee zu einseitig. Vgl. Rink 2009.



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Spiel hatte schon 1809 die Aufmerksamkeit des verabschiedeten Offiziers und Schriftstellers Heinrich von Kleist gefunden. Über den Sohn des Spielerfinders, den preußischen Leutnant Georg Heinrich Rudolf Johann von Reiswitz22, gelangte das Kriegsspiel seinem Divisionskommandeur Prinz Wilhelm (I.) zur Kenntnis (Wintjes/Pielström 2019: 87‑90; Hilgers 2008: 58‑71); und 1824 wurde es vom Chef des Generalstabs Karl Müffling im Militärwochenblatt dem militärischen Publikum anempfohlen:

»Merkwürdig genug ist es, daß bisher sich nur Männer aus anderen Ständen als dem Soldatenstande mit dieser Erfindung beschäftigten [...] Wer die Kriegführung in allen ihren Beziehungen versteht, kann unbedenklich die Rolle eines Führers, größerer oder kleinerer Truppen-Massen bei diesem Spiel übernehmen, selbst wenn er es gar nicht kennt« (Müffling 1824: 2973; vgl. Hilgers 2008: 44 f., 58‑67; Reisswitz 1824).

Dieses Kriegsspiel führte zur Gründung militärischer Kriegsspielclubs, deren Angehörige die Spielanleitungen weiterentwickelten und veröffentlichten. Von 1846 bis 1870 erschienen aktualisierte Fassungen, die die jeweils veränderte Waffenentwicklung berücksichtigten (Tschischwitz 1867; Trotha 1870).23 Die Erfahrung des echten Krieges von 1870/71 änderte nichts am Interesse, den Krieg im Frieden zu üben, im Gegenteil. Der an der Kriegsschule Hannover wirkende preußische Premierleutnant Jakob Meckel betonte 1873 die »hohe Bedeutung dieser Uebung für die Ausbildung des Offiziers in der Truppenführung« (Meckel 1875: 3). Ziel seines Spiels war es, Theorie und »Kunst« zu vereinen, letztere verstanden als Praxistauglichkeit: »Während die erste Periode unserer Militärliteratur die wissenschaftliche Seite des Krieges vertritt, sucht die heutige Zeit der künstlerischen Seite desselben gerecht zu werden. In einer thatenreichen Zeit wird nur das Können gefordert [...] Es gilt also hier eine bedeutende Lücke auszufüllen. Es handelt sich darum, auch dem von seiner praktischen Berufsthätigkeit ganz in Anspruch genommenen Truppen-Offizier die Gelegenheit zu bieten, ohne großen Aufwand von Zeit und Mühe, durch geistige Bearbeitung kriegerischer Situationen und Lösung der verschiedenartigsten Gefechtsaufgaben sich für seinen Beruf weiter auszubilden. Das einzige und zugleich vorzügliche Mittel, diesen Zweck zu erreichen, ist das Kriegsspiel« (Meckel 1875: 6–8).

Auch im preußisch-deutschen Heer des Kaiserreichs ergänzten Kriegsspiele die Ausbildung an den Militärschulen. Der spätere preußische Kriegsminister Julius von Verdy du Vernois entwarf schon als Lehrer an der Kriegsakademie Kriegsspiele und unterschied dabei drei Formen: erstens das strategische Kriegsspiel; zweitens jenes, das in »der durch die erschienenen Bücher mit ihren Regeln, Würfel- und Verlust-Tabellen bedingten gründlichen Weise« existiere; drittens das »abgekürzte Verfahren, unter Benutzung der bisherigen Kriegsspiel-Pläne und Truppenzeichen, jedoch ohne Anwendung der Regeln, Würfel- und Verlust-Tabellen«. Die Art des Spielens überließ er der jeweiligen »Vereinigung von Offizieren« (alle Zitate Verdy du Vernois 1881: VIII), doch bleibe ein Problem: »Es ist Niemand da, der sie zu leiten 22 23

Zu Vater und Sohn Poten 1889: 153 f., (letzter Zugriff 25.2.2020). Vgl. die Vorworte in: Anleitung zur Darstellung militairischer Manöver mit dem Apparat des Kriegs-Spiels, Berlin 1846: III f.

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Abbildung 2: Der Deutsche Kaiser inspiziert an der Kriegsakademie in Berlin ein neues Kriegsspiel, um 1900. ullstein bild/Liszt Collection

versteht« (ebd.: V). Bis Anfang des 20. Jahrhunderts folgten zahlreiche Anleitungen für Kriegsspiele. Unter der Ägide des langjährigen Chefs des Großen Generalstabs Helmuth von Moltke des Älteren dienten Kriegsspiele zur Fortschreibung der Operationsplanungen; so wandelten sie sich vom Würfelspiel zur Ausbildungsmethode (Naumann 1877; Souheur 1886). Die Kriegsspiele als Manöver auf der Karte konnten als »Winke und Rathschläge für die Leitung des Regiments-Kriegsspiels« im Sinne einer Übungsanlage abgehalten werden. Dass sich mit dem Kriegsspiel ein nunmehr formalisierter Ausbildungs- und Prüfbetrieb verband, veranschaulichen die seit den 1890er Jahren herausgegebenen »Taktischen Unterrichtsbriefe zur Vorbereitung für das Kriegsakademie-Examen«. Übungsritte, Kriegsspiel und Manöver gehörten zusammen (Griepenkerl 1890; Griepenkerl 1893; Griepenkerl 1909; Zimmermann 1901). Ab­bil­dung 2 zeigt preußische Offiziere beim Kriegsspiel. Parallel entwickelte sich die für die preußisch-deutschen Heere fortan kennzeichnende Auftragstaktik. Auch hier ging es um die Lösung der auch im Spiel hervortretenden Paradoxie: So wie der Krieg selbst bedurften militärische Führungspraxis und Ausbildung eines Leitkonzepts, das zwar ohne starre Regeln auskam, aber dennoch Regelmäßigkeiten beinhaltete, die man üben konnte. Über ein Dreivierteljahrhundert hinweg erstreckte sich der Konzeptionsprozess zur – erst später so genannten – Auftragstaktik. Die Lösung der taktischen Probleme lag nun innerhalb der Verantwortungsbereiche in den jeweiligen Gefechtsstreifen, innerhalb derer die eigenständige Entscheidung der militärischen Führer greifen sollte

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(Leistenschneider 2002: 59‑136). Dementsprechend forderte das Reglement von 1906 statt »mechanischer Zusammenarbeit zwischen den Hierarchieebenen« nun das beständige »geistige Zusammenwirken« im Sinne einer »aktiven Disziplin« der Unterführer ein (Leistenschneider 2001: 186  f.). Kriegsspiele spielten den Krieg nur, wurden aber von den Teilnehmern sehr ernst genommen. So heißt es in der Schlussbesprechung von 1905:

»Es ist eine Kunst für den Oberbefehlshaber, seine Ideen und seine Absichten den Unterführern verständlich zu machen, und es ist eine Kunst der Unterführer, die allgemeine Kriegslage zu erfassen, die Absichten des Oberbefehlshabers zu verstehen und in zweckmäßiger Weise in die Tat zu übersetzen. Diese Künste müssen erlernt werden. Ein Mittel dazu bieten [...] Kriegsspiele [... Hier] sind Verdrießlichkeiten und Ärger kaum zu vermeiden [...] Dabei ist es gleichgültig, ob der eine oder der andere der Herren als Sieger hervorgeht, wichtiger ist es, daß er vor möglichst viele schwierige und entscheidende Entschlüsse gestellt wird.«24

Offenbar bestand ein konkreter Anlass, den im ernsten Spiel entstandenen Ärger zu dämpfen. Diese Einlassungen der Manöverkritik zeigen gleichfalls, wie wichtig der Ausbildungsaspekt nun geworden war: Ziel des Spiels war nicht der Sieg. Nicht die um ihrer selbst willen gespielte Partie stand im Zentrum der Bewertung, sondern die Einübung von Verfahren im Führungsprozess. Gleichwohl blieben Würfelbasierte Kriegsspiele nach wie vor gebräuchlich (Wintjes/Pielström 2019: 92). Auf einer anderen Ebene blieb die von Berenhorst getadelte Verbindung von Hofkunst und Kriegskunst noch unter Kaiser Wilhelm II. aktuell. Die alljährlich veranstalteten Kaisermanöver blieben die einzige Gelegenheit für die Kommandierenden Generale, ihre Armeekorps im Frieden zu führen. Doch entsprach es der Konstellation der Dinge, wer zu gewinnen hatte: der eine der Manöverparteien selbst befehligende Oberste Kriegsherr. Nach dem Ersten Weltkrieg gingen die Kriegsspiele weiter. Sie nahmen nun immer größere Dimensionen an, sodass sie über die operativ-taktische Ebene hinauswiesen. Der Chef der Heeresleitung Hans von Seeckt forderte von den Offizieren des von ihm konzipierten Führerheers der Reichswehr einen beständigen Wechsel in der Funktion als Leitende und als eingeteilte Führer von Truppenkörpern. Dabei wurde eine Ebene oberhalb der tatsächlich ausgeübten Funktion gespielt. Auch ›asymmetrische‹ Konflikte wurden im Kriegsspiel durchgeübt, etwa ein bürgerkriegsähnlicher Ausnahmezustand, in der die prekäre Lage der Weimarer Republik um 1923/24 fortgeschrieben und Ende 1932 gewissermaßen in Echtzeit weitergespielt wurde (Hilgers 2008: 76‑89, 107‑109). Auch in der Wehrmacht dienten Planübungen zur militärischen Führerausbildung und Lehr- und Versuchsübungen zum Nachweis militärischer Innovation. So erfolgten im Sommer 1935 groß angelegte Übungen zur Überprüfung – oder besser: zur Legitimation der Existenz – der neu aufgestellten Panzertruppe (Guderian 2016: 210‑212). 24

Bundesarchiv (BArch), PH 3/646, Kriegsspiel November/Dezember 1905. Diesen Hinweis verdanke ich Christian Stachelbeck, dessen demnächst erscheinende Studie Wissen und Krieg. Taktisches Lernen im deutschen Heer 1871‑1945, wertvolle Einblicke in die Thematik geben wird.

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Zweieinhalb Jahrzehnte später bezogen sich ähnliche Veranstaltungen der Bundeswehr direkt darauf: Auch die vom 15. bis 26. September 1958 auf dem Trup­ pen­übungsplatz Bergen-Hohne abgehaltene »Lehr- und Versuchsübung  58«, kurz LV 58, verfolgte die Absicht, die neuen – oder so dargestellten – Konzepte des gepanzerten Großverbands vor Politik und Öffentlichkeit zu legitimieren. Freilich beruhte der Übergang in eine neue Heeresstruktur auf bereits im Zweiten Weltkrieg entstandenen Vorstellungen, die im Grundsatz bis in die 1990er Jahre bestehen blieben (Rink 2006: 446 f.).25 Wie einer der Teilnehmer, der spätere Generalinspekteur Ulrich de Maizière, seinem Tagebuch anvertraute, verfolgte die Übung sowohl einen »praktischen als auch pol[itischen] Zweck«.26 Und sie sollte den bundeswehrinternen Kritikern der dargebotenen Modellstruktur den Wind aus den Segeln nehmen. Diese unkten, dass »die Umgliederung vor der Erprobung beschlossen« und die »Vorschusslorbeeren« bereits »mit einem Riesenpresserummel gepflückt« worden waren.27 Auch die Bundeswehr, die sich dezidiert als das Gegenbild einer Armee von Paradesoldaten verstand, kam nicht ohne Schauübungen aus. Spätestens seit der Errichtung der großen Schieß- und Truppenübungsplätze im 19. Jahrhundert wurden die deutschen Landstreitkräfte überwiegend abseits der Öffentlichkeit militärisch ausgebildet. Doch verknüpfte sich auch die dortige Übungstätigkeit mit der Anforderung, ›Bilder‹ zu stellen und einzuüben; für die Truppe genauso wie für die Dienstaufsicht höherer Vorgesetzter, für Öffentlichkeit und Politik. Somit war der Krieg der Übungsplätze eben auch ein ›gespielter Krieg‹, bisweilen auch »Theater« (Neitzel 2020: 323). Entsprechend wurde bis 1990 ein erheblicher Teil der Fläche in beiden deutschen Staaten als militärische Übungsfläche genutzt. Trotz der zivilen Rekonversionen nach dem Ende des Kalten Krieges wird nach wie vor militärisch geübt. Nicht als Kriegsspiel, sondern als »Leistungsschau« wird die Informationslehrübung Landoperationen (ILÜ) am Ausbildungszentrum der Panzertruppen der Bundeswehr in Munster bezeichnet. Die auf einer regengeschützten Tribüne versammelten Zuschauer erhalten Bilder von Gefechtsausschnitten, die kommunizieren sollen: »So wird es in der Realität gemacht« (PIZ Heer 2019: 38). Das lässt jedoch offen, welche Realität damit gemeint ist. Schließlich ließe sich auf dem begrenzten Sichtfeld zwischen Bühne, Übungsraum und Zielgebiet auch schwerlich etwas anders darstellen als die Realität einer Übung: eine Simulation. Freilich hatten die Übungen im Atomzeitalter mit dem Problem zu kämpfen, dass sich der zu übende Krieg kaum mehr aus historischen Beispielen ableiten ließ, sondern nur über Planübungen und dann auch Computersimulationen darstellbar war (Hausrath 1971: 45; allgemeiner Überblick: Heuser/Heier/Lasconjarias 2018: 325, 342). Obwohl die Neustrukturierung des westdeutschen Heeres von 1958/59 ebenfalls dazu diente, es zum taktischen Nuklearkrieg zu befähigen, betraf diese Frage vor allem die Bündnisstrategie und die Luftwaffe als Trägerin weit reichender nuklearer Einsatzmittel. Somit wurde die Simulation zum zentralen Element 25 26 27

BArch, BH 1/10932, Fü H II 3, Tgb.Nr. 1588/58, Befehl Nr. 1 für die Lehr- und Versuchsübung 58, Bonn, 28.5.1958. BArch, N 673/v. 24, Diensttagebuch de Maizière, Eintrag 23./26.6.1958 und 25./26.9.1958. BArch, BH 1/1943, S. 2, Fü B III, BG Cord v. Hobe an den Generalinspekteur, Bonn, 15.9.1958.



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des Kalten Krieges; oder sie wurde sogar »vielleicht das Spiel schlechthin« (Erickson 2011: 259). Die hier zum Tragen kommende mathematisch-computergestützte Spieltheorie verdeutlichte jedoch bald die Grenzen des Rational-choice-Ansatzes (ebd.: 261, 275). Auch das Durchspielen des nuklearen Schlagabtausches offenbarte Übungskünstlichkeiten, die sich der Planbarkeit entzogen. Da die Nuklearstrategie keine Zurschaustellung echter Gefechtsauschnitte erlaubte, blieben die öffentliche Präsentation und Repräsentation auf das Vorzeigen der Waffensysteme, so bei Flugplatzschauen, beschränkt. Währenddessen vollzogen sich die ›War Games‹ als Planübungen abseits der Öffentlichkeit. Die großen Fallex- und später die Wintex-Stabsrahmenübungen im Atom­bunker verstanden sich immer als politische Zeichen an die Gegenseite, liefen aber Gefahr, an den Kontrahenten falsche Signale auszusenden (Heuser 2018: 336‑338) oder in eine Selbstabschreckung der eigenen Bevölkerung zu münden, sobald die enormen Zerstörungen und Todesopfer der durchgespielten Szenarien bekannt wurden (Ahlers 1962; vgl. Rink 2015: 36  f., 180‑205). Auch Simu­la­ tionsverfahren, die sich auf Operations Research stützten, drohten Bedingungen vorauszusetzen, die dann zu selbsterfüllenden Prophezeiungen geraten konnten. Kritische Stimmen bewerteten diese »mechanistische Methode« als »realitätsfern, unmenschlich und wertlos« (Lemke 2006: 454, auch 457‑466). Während die allherbstlichen Großmanöver der Landstreitkräfte nur den konventionellen Teilaspekt der Strategie darstellen konnten, zeigte sich die Schwierigkeit, das nukleare Szenario per Simulation durchzuspielen (Lemke 2013; Gablik 2007; als Beispiel für eine Übungsanlage: Brugmann 2004). Der Begriff »Kriegs­spiel« war somit inadäquat. Bereits die Truppenführungsvorschrift von 1936 hatte die »Leere des Schlachtfeldes«28 betont. Und schon frühneuzeitliche Schlachten waren aufgrund der Komplexität der dort miteinander verwobenen Handlungsstränge und Einzelperspektiven kaum anders darstellbar als im Modell. Schlachtengemälde wie historische Beschreibungen und die Übungen selbst widerspiegel(te)n deskriptive – und normativ überhöhte – Idealbilder des eigentlich Nichtdarstellbaren. Dass »in modernen Medienkriegen die medial konstruierte Wirklichkeit des Kampfes zunehmend absichtsvoll die Evidenz tatsächlicher Kämpfe nicht mehr vermittelt, sondern sie geradezu ersetzt« (Füssel/Sikora 2014: 15‑19, 24), war bereits die Aufgabe von Kriegsspielen: Das eigentlich Nichtdarstellbare wird hier zur Darstellung des Nichteigentlichen: als Manöver, als Computersimulation – oder als Kampfspiel zwischen echten Menschen.

5. Resümee: Ernst und Unernst Der Zusammenhang zwischen Krieg und Spiel offenbart einen janusköpfigen Charakter: Während das Spiel grundsätzlich Unernst im Wettkampf erfordert, zugleich aber so viel Ernst abverlangt, dass es ein Kampf bleibt, haftet dem Krieg nichts Spielerisches an: Soldaten sind keineswegs »ein-förmige« Spielsteine in der Hand 28

HDv 300/1 Truppenführung T.F., Berlin 1936, Einleitung, Ziff. 10, S. 3.

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des kalten Staatsungeheuers: Mit Soldaten spielt man nicht. Doch nach wie vor spielt man Krieg. Insbesondere wird der Krieg geübt und simuliert. Damit sinkt der Ernst und die spielerischen Elemente laufen Gefahr, sich zu verselbstständigen. Spiel und Sport sind in diesem Sinn durch grundsätzlichen Unernst gekennzeichnet – Krieg hingegen durch grundsätzlichen Ernst. Das bedeutet natürlich nicht, dass die Kontrahenten in einer Partie Schach diese nicht ernst nähmen oder dass die Akteure in militärischen Planübungen keinen spielerischen Impetus hätten. Die militärisch verregelten Kriegsspiele tragen diesen Namen nicht mehr. Als laufbahn- und beurteilungsrelevante Ausbildungs- und Übungstätigkeit erfolgen sie im Dienst; in jenem vorschriftskonformen Rahmen also, der schon den Vergleich zwischen diesen Aktivitäten und der Berliner Wasserschlacht (siehe Rink in diesem Band) als fragwürdig erscheinen lässt. Dass sich sowohl das Militär als auch die Angehörigen der Berliner Spaßguerillas jede Gleichsetzung verbitten würden, verdeutlicht aber, wie sehr die jeweilige Spielart des simulierten Krieges unterschiedliche Spielfelder und damit auch die jeweilige Vergemeinschaftung geradezu konstituiert. Beiden gemeinsam ist die Simulation des jeweils nur gespielten Krieges.

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Tschischwitz, Wilhelm von [1862] (1867): Anleitung zum Kriegsspiel. 2., verb. Aufl. Neisse: Graveur. Venturini, Georg [1797] (1798): Beschreibung und Regeln eines neuen Krieges-Spiels zum Nutzen und Vergnügen, besonders aber zum Gebrauch in Militair-Schulen. 2. Aufl. Schleswig: Röhß. Venturini, Georg (1803): Georg Venturini’s vormaligem Herzogl. Braunschw. Ingenieur-Hauptmanns Vervollkomnete Darstellung des von ihm erfundenen Kriegs­spiels: Nach des Verstorbenen Tode aus dessen hinterlassenen Papieren herausgegeben. Braunschweig et. al: Kabisch. Verdy du Vernois, Julius Adrian Friedrich Wilhelm von [1876] (1881): Beitrag zum Kriegsspiel. 2. Aufl. Berlin: Mittler. Weber, Max [1921] (1980): Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. 5., rev. Aufl. Tübingen: Mohr. Wegner, Bernd (1997): Hitlers politische Soldaten. Die Waffen-SS 1933‑1945. Leitbild, Struktur und Funktion einer nationalsozialistischen Elite. 5. Aufl. Pader­born: Schöningh. Wilson, Peter (2018): Lützen. Oxford: Oxford University Press. Wilson, Peter (2010): Europe’s Tragedy. A New History of the Thirty Years War. London: Penguin. Winkel, Carmen (2014): Zwischen adliger Reputation und militärischer Sub­ordi­nation. Normative Ehr­vorstellungen und soziale Praxis im preußischen Offi­zier­korps. In: Ludwig et al. (Hrsg.) 2014, 111‑126. Wintjes, Jorit/Pielström, Steffen (2019): Preußisches Kriegsspiel. Ein Projekt an der Julius-MaximiliansUniversität Würzburg. In: Militärgeschichtliche Zeitschrift, 78: 1, 86‑98. Zimmermann, Carl von (1901): Winke und Rathschläge für die Leitung des Regiments-Kriegsspiels. Berlin: Mittler.

Georg Klein und Christian Lützkendorf

Zur Bedeutung des Sports für die Bundeswehr Einordnung Dieser Beitrag gibt die organisationsinterne Sicht auf die Bedeutung des Sports für das Militär – hier die Bundeswehr – wieder. Die beiden Autoren diskutieren, welchen militärischen Nutzen Sport eigentlich hat, wie er den soldatischen Alltag mitgestaltet und inwieweit er zur Gesunderhaltung der Soldaten und Soldatinnen und auch zur Wiederherstellung ihrer Gesundheit beiträgt. Darüber hinaus wird die Rolle des (internationalen) Militärsports und des Spitzensports im Kontext der Bundeswehr angesprochen. Autoren Georg Klein, Generalmajor, Dipl.-Kaufmann, ist stellvertretender Kommandierender General des NATO Rapid Deployable Corps France und war zuvor als Abteilungsleiter Ausbildung Streitkräfte für die Konzeption der Sportausbildung ebenso verantwortlich wie für den Spitzensport in der Bundeswehr und die fachliche Führung der Sportschule der Bundeswehr. Christian Lützkendorf, Oberstleutnant, Dipl.-Sportwissenschaftler, ist Sachgebiets­ leiter Internationaler Militärsport/CISM im Streitkräfteamt in Bonn. Zuvor war er Referent für Betriebliches Gesundheitsmanagement im Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr sowie Inspektionschef an der Sportschule der Bundeswehr. Er ist aktiver Ausdauerathlet.

1. Vom militärischen Nutzen des Sports und der körperlichen Leistungsfähigkeit »Es ist unendlich wichtig, daß der Soldat, hoch oder niedrig, auf welcher Stufe er auch stehe, diejenigen Erscheinungen des Krieges, die ihn beim erstenmal in Verwunderung und Verlegenheit setzen, nicht erst im Kriege zum erstenmal sehe; sind sie ihm früher nur ein einziges Mal vorgekommen, so ist er schon halb damit vertraut. Das bezieht sich selbst auf körperliche Anstrengungen. Sie müssen geübt werden, weniger, daß sich die Natur, als daß sich der Verstand daran gewöhne« (Clausewitz 1990: 80).

Mit diesen Worten beschrieb Carl von Clausewitz, preußischer General und Militärtheoretiker, bereits 1832 die Bedeutung der körperlichen Leistungsfähigkeit in seinem bis heute gültigen Standardwerk »Vom Kriege«. Das bald 200 Jahre alte

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Zitat verdeutlicht, dass zwischen körperlicher Leistungsfähigkeit und Militär seit jeher eine untrennbare Verbindung besteht, die nichts an Bedeutung eingebüßt hat. Die Facetten des Sports und der körperlichen Leistungsfähigkeit in modernen deutschen Streitkräften sind zwischenzeitlich deutlich vielfältiger geworden. Sie reichen von der Gesunderhaltung aller Bundeswehrangehörigen, der Unterstützung bei der Rehabilitation nach Verletzung und Verwundung über die Spitzensportförderung durch die Bundeswehr und die Völkerverbindung im Rahmen des internationalen Militärsports bis hin zum Schwerpunkt der Herstellung und des Erhalts des Kampfund Einsatzwertes der Soldatinnen und Soldaten im gesamten Aufgabenspektrum der Bundeswehr. Um einsatzfähige Streitkräfte bereitzustellen, gilt es, das Spannungsfeld zwischen militärischem Kernauftrag und Zeit- und Ressourceneinsatz für die körperliche Leistungsfähigkeit sowie der Motivation des Einzelnen bestmöglich aufzulösen. Systematische Sportausbildung ist das Mittel der Streitkräfte zur Herstellung und zum Erhalt der körperlichen Leistungsfähigkeit. Aufbauend auf der Notwendigkeit körperlicher Fitness und der Darstellung ihrer konzeptionellen Grundlagen in der Bundeswehr sowie deren Umsetzung im Alltag wird im Folgenden die Weiterentwicklung des Ausbildungsteilgebiets Sport und militärisches Fitnesstraining umrissen. Ziel ist es zu verdeutlichen, dass die Förderung der Fitness systematisch sowie kontinuierlich erfolgen muss und daher eine weitere Aufwertung dieses Ausbildungsteilgebietes erforderlich ist.

1.1 Warum müssen Soldatinnen und Soldaten körperlich leistungsfähig sein? Die beste Ausrüstung und Bewaffnung nutzen nichts, wenn die Menschen, die sie einsetzen, nicht auch in belastenden Situationen fähig und in der Lage sind, diese zielgerichtet einzusetzen. Um den Geist frei zu haben und sich nicht mit dem Körper beschäftigen zu müssen, bedarf es einer ausgeprägten körperlichen Leistungs- und Widerstandsfähigkeit, die ein elementares Kernelement des Soldatenberufs darstellt. Offensichtlich ist dies insbesondere bei der Kampftruppe. Infanteristen und die sie begleitenden Einsatzunterstützer ohne ausgeprägte körperliche Belastbarkeit bestehen nicht lange im Gefecht. Ein Mangel an körperlicher Leistungsfähigkeit wirkt sich hier unmittelbar negativ auf den Einsatzwert aus und gefährdet nicht nur die Auftragserfüllung, sondern auch das Leben des Einzelnen und aller anderen. Doch auch abseits dieser Gruppe von Soldatinnen und Soldaten spielt körperliche Leistungsfähigkeit eine Rolle: Sei es eine Rettungssanitäterin im Tagesdienst auf einem Rettungswagen der Bundeswehr oder im Rahmen einer Großübung auf einem Truppenübungsplatz, ein Pilot im Eurofighter 30 000 Fuß über dem Boden oder eine Marinesoldatin, eingesetzt an Deck einer Fregatte – sie alle brauchen ausgeprägte körperliche Fähigkeiten und Fertigkeiten, um ihre Aufgaben adäquat und durchhaltefähig erfüllen zu können. Auch Soldatinnen und Soldaten, die überwiegend an computergebundenen Arbeitsplätzen eingesetzt sind, müssen durch Bewegung Ausgleich schaffen, um ihre Leistungsfähigkeit zu erhalten. Schließlich gilt für alle gleichermaßen: Soldatische Grundfertigkeiten müssen verlässlich vorhanden sein. Jede Soldatin und jeder Soldat, unabhängig vom Tätigkeitsfeld, muss



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über ein Mindestmaß an körperlicher Leistungsfähigkeit verfügen und dazu in der Lage sein, den Feuerkampf zu führen, Kameradinnen und Kameraden zu retten, längere Strecken auch mit Gepäck zu marschieren oder zu schwimmen. Sportausbildung in den Streitkräften soll dazu befähigen und bildet über vielfältige, militärisch relevante Inhalte ein breites Spektrum ab. Hierzu gehören das Erlebnis eines Gemeinschaftsgefühls, das Kennenlernen eigener Stärken und Schwächen sowie das Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit. Darüber hinaus lernen die Vorgesetzten ihre Soldatinnen und Soldaten bei der gemeinsamen Sportausbildung besser kennen und wissen deren körperliche Belastbarkeit einzuschätzen. Gute Sportausbildung schafft und erhält die konditionellen Fähigkeiten Kraft, Ausdauer und Schnelligkeit, und sie verbessert koordinative und taktische Fähigkeiten. Sie stärkt die psychische Durchhaltefähigkeit und Belastbarkeit für Grundbetrieb und Einsatz und setzt damit an der wichtigsten, aber auch verletzlichsten Ressource an, die Streitkräfte zur Erfüllung ihres Auftrages zur Verfügung haben: Sie stärkt die Gemeinschaft und formt den Menschen, der seinen Dienst in der Bundeswehr leistet.

1.2 Konzeptionelle Grundlagen des Sports in der Bundeswehr Soldatische Grundfertigkeiten setzen eine fundierte Fitness voraus, die geschaffen und erhalten werden muss. Sport ist daher bewusst als Bestandteil der Individuellen Grundfertigkeiten (IGF) seit jeher fest in den Alltag der Bundeswehr integriert. Grundsätzlich ist es befohlen, dass sich jede Soldatin und jeder Soldat mindestens viermal 45  Minuten pro Woche mit der eigenen körperlichen Leistungsfähigkeit im Rahmen des Dienstes beschäftigt (ZV A1-224/0-1, Nr. 304). Bei einer 41-StundenWoche sind somit gut sieben Prozent der Arbeitszeit für den Erhalt und die Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit vorgesehen (ZV A-1420/34, Nr.  201). Dieser beachtliche Anteil an der Dienstzeit ist ein deutliches Zeichen des Stellenwertes körperlicher Fähigkeiten für den Soldatenberuf. Die Relevanz der körperlichen Fitness findet sich auch an prominenter Stelle in Beurteilungen und folglich in Personalauswahlverfahren wieder (ZV A-1340/78, Nr. 309). Dauerhaft mangelhafte körperliche Leistungsfähigkeit kann durchaus zum Karrierehemmnis werden. Es ist angestrebt, dies noch mehr als bisher in der Förderung und Personalauswahl zu reflektieren.

1.3 Bisherige Umsetzung im Truppenalltag Trotz dieser eindeutigen konzeptionellen Vorgaben hinsichtlich der Bedeutung des Sports und der Fitness zeigt der Alltag in der Truppe aber allzu oft ein anderes Bild. Sportausbildung ist häufig das Erste, was bei knappem zeitlichem Rahmen zugunsten anderer dienstlicher Verpflichtungen ausfällt. »Im Notfall kann Sport ja auch nach dem Dienst getrieben werden«, ist dabei eine weit verbreitete Auffassung. Im Gegensatz zur ebenfalls obligatorischen, jährlich abzulegenden ABC-Abwehrausbildung als Teil der IGF, die mutmaßlich niemand außerhalb der Dienstzeit praktiziert, gehört Sport für sehr viele Soldatinnen und Soldaten ganz selbstverständlich zur Freizeitgestaltung. Auch ohne externe Motivation durch

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Vorgesetzte treiben Soldatinnen und Soldaten aller Uniformträgerbereiche, Altersund Dienstgradgruppen intrinsisch motiviert Sport. Die irrige Annahme, dass durch Bereitstellung von Infrastruktur und Sportgerät bereits ausreichende Unterstützung seitens des Dienstherrn gewährt würde, hält sich deswegen hartnäckig. Sie stellt Vorgesetzte jedoch keineswegs davon frei, sich nicht auch aktiv mit der körperlichen Leistungsfähigkeit ihres unterstellten Bereichs auseinanderzusetzen. Ebenso wenig, wie kein Vorgesetzter es der persönlichen Motivation des Einzelnen überlässt, sich selbst adäquat für den eigenen Dienstposten auszubilden, darf dies für die körperliche Leistungsfähigkeit gelten. Die Stärkung des Sports und der körperlichen Leistungsfähigkeit als Ausbildungsgebiet ist vielmehr eines der Kerngestaltungsfelder und eine der vorrangigen Pflichten aller Vorgesetzten im grundlegendsten und wichtigsten Auftrag jeder militärischen Einheit: dem Herstellen und Erhalt der Einsatzbereitschaft. Körperliche Leistungsfähigkeit ist keine Option! Sie darf auch nicht auf die Funktion eines Wettbewerbsvorteils bei der förderlichen Personalauswahl reduziert werden. Körperliche Leistungsfähigkeit ist zwingende Voraussetzung, um den fordernden Dienst im Grundbetrieb und insbesondere im Einsatz adäquat zu bewältigen. Nur wenn sie tatsächlich ausgeprägt ist, kann der oder die Einzelne in den Extremsituationen des Gefechts bestehen, für die wir als Streitkräfte ausbilden müssen. Sie entspringt daher der Fürsorgeverpflichtung für den Einzelnen wie auch für die Gruppe. Zudem sind alle Vorgesetzten gefordert, durch ihr eigenes Verhalten Vorbild zu geben.

1.4 Weiterentwicklung der Sportausbildung in der Bundeswehr Um den Anforderungen gerecht zu werden, muss Sport zielgerichtet und auf die Aufgaben im Dienst angepasst geplant und durchgeführt werden. Das setzt ein hohes Maß an Qualität der Ausbildung, eine geeignete Infrastruktur, zeitgemäßes Material und qualifiziertes Personal voraus. Um diese Qualität für die Truppe erlebbar zu steigern, sind mehrere Maßnahmen vorgesehen: Mit der Überarbeitung der Raumausstattungssätze für die Sportstätten in der Bundeswehr wird Sportmaterial zur Verfügung gestellt, das auf Höhe von sportwissenschaftlicher Forschung Training ermöglicht und insbesondere Konditions- und Fitnessräume attraktiver gestaltet. Das Training im Auslandseinsatz wie auch in den einsatzgleichen Verpflichtungen wird durch hochwertiges und funktionelles, aber gleichsam auch einsatztaugliches Trainingsgerät kontinuierlich verbessert. Spezielle Trainingscontainer mit einer Vielzahl an Trainingsmöglichkeiten werden dazu bereits in den Einsätzen genutzt und sollen künftig systematisch in allen Einsätzen, weitgehend von Beginn an, verfügbar sein. Dem Grundsatz folgend: »Train as you fight«, sollen die Trainierenden nicht erst im Einsatz erstmals auf dieses Material treffen, sondern bereits in ihren Heimatstandorten damit trainieren. Deswegen ist auch die flächendeckende Einführung dieser Container in Einsatzverbänden im Inland geplant. In Bezug auf die jahrzehntelang praktizierte Nebenamtlichkeit in der Sport­aus­ bildung stehen ebenfalls große Veränderungen an. Eine Abstützung auf nebenamtliche Übungsleiter kommt im Truppenalltag oft an ihre Grenze. Gerade die Vielzahl



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an Hauptaufgaben im Zusammenhang mit knappem Zeitbudget lässt einer adäquaten Vorbereitung und Durchführung der Sportausbildung in Nebenfunktion nicht viel Raum. Da insbesondere am Beginn der militärischen Karriere, in der allgemeinen Grundausbildung, Grundlagen der körperlichen Leistungsfähigkeit geschaffen werden müssen, wurde diese Ausbildungsphase ausgewählt, um hauptamtliche Sportausbilder fest zu implementieren. In den Grundausbildungseinheiten in der Fläche werden seitdem Sportausbilder eingesetzt, die die militärischen Vorgesetzten bei der Planung von Sportausbildung beraten. Schwerpunkt des Einsatzes hauptamtlicher Sportausbilder ist aber vor allem die qualitativ hochwertige und systematische Durchführung der Ausbildung. Mit diesen und weiteren Maßnahmen soll Sportausbildung die ihr angemessene Verbesserung erfahren. Letztlich zieht die Bundeswehr mit diesen Maßnahmen auch mit Partnern und Verbündeten gleich, die derartige Veränderungen ihrer Sportausbildung bereits erfolgreich durchlaufen haben.

1.5 Sportliche Vorbereitung militärischer Tätigkeiten Die Sportausbildung findet ihren Nutzen nicht nur in der Verbesserung der körperlichen Fähigkeiten. Militärische Ausbildung ist heutzutage in ihrer Gesamtheit sehr aufwändig geworden. Von der Planung über die Raum- und Materialanforderung, die Einhaltung von Sicherheits- und Umweltbestimmungen bis hin zum knappen Ausbildungspersonal bedarf es eines erheblichen Aufwands, um gute Ausbildung zu organisieren. Umso problematischer ist es, wenn es im Rahmen von Ausbildung dazu kommt, dass einfache Aufgaben nicht im Vorfeld erfüllt wurden und wertvolle Ausbildungszeit verloren geht. So kennen viele in der Grund­ausbildung eingesetzte Ausbilderinnen und Ausbilder die Problematik des ersten Gefechtsschießens, das oftmals wegen mangelnder Kommunikation der Auszu­bildenden untereinander, Desorientierung im Gelände und fehlendem taktischem Verständnis nicht die gewünschten Ergebnisse und den Ausbildungserfolg liefert. Kommunikationsverhalten in Gruppen, räumliche Orientierung und taktische Koordination in komplexen Situationen lassen sich schon deutlich früher und aufwandsarm in der Sportausbildung zumindest grundlegend erlernen und üben. Ob bei Mannschaftssportarten, in denen taktische Positionen verteilt werden und aktive Kommunikation innerhalb des Teams unerlässlich ist, oder bei einem Orientierungs­lauf, der die Arbeit mit Karten und das Orientieren im unbekannten Gelände vermittelt: Vielfach lassen sich sportliche Entsprechungen von militärischen Fähigkeiten vergleichsweise aufwandsarm praktizieren. Hier ist das Spektrum größer als die oft praktizierte Fokussierung auf Fußball und Volleyball! Auch Robustheit muss nicht ausschließlich im Gefechtsdienst gefordert und geübt werden. Sie kann abseits von Truppenübungsplätzen bereits im Sport verbessert werden. Ein Beispiel ist das funktionelle Krafttraining mit und ohne Gerät, das sich im zivilen Sport durchgesetzt hat und geeignet ist, die Kraftausdauer zu entwickeln, die für militärische Robustheit von besonderer Relevanz ist.

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1.6 Militärisches Fitnesstraining als Brücke zum soldatischen Alltag Sport allein ist nicht ausreichend, um körperliche Leistungsfähigkeit im soldatischen Kontext zu steigern. Zu groß ist beispielsweise die Lücke zwischen dem auf Bestleistung orientierten leichtathletischen Weitsprung und dem Sprung im Gefecht hinter eine Deckung, von wo aus anschließend noch der Feuerkampf geführt werden muss. Hier zeigt sich nachvollziehbar eine unzureichende Verbindung zwischen zivil geprägter Sportausbildung und militärischem Handwerk. Mit der seit ca. zehn Jahren andauernden sukzessiven Einführung des militärischen Fitnesstrainings als ein dem Sport gleichwertiges Ausbildungsteilgebiet wird diese inhaltliche Verbindung hergestellt. Die Übertragung von im Dienstsport erlernten und trainierten Fähigkeiten in soldatische und darauf aufbauend dienstpostenspezifische Fertig­ keiten ist Schwerpunkt dieses Ausbildungsteilgebietes. Sichtbares Kennzeichen ist dabei das Tragen des Feldanzuges, die Nutzung von Waffenattrappen, das Mitführen des Kampfrucksacks und von weiterem militärischem Material. Die Inhalte des militärischen Fitnesstrainings sind beispielsweise Bewegungsformen im Gelände, das Überwinden von Hindernissen, das Heben und Tragen von Lasten und die Kombination von konditioneller Belastung und Schießen bzw. Werfen. Zusammengefasst geht es um Bewegungsmuster, die im soldatischen Auf­gaben­ bereich eine Rolle spielen. Der systematischen und detaillierten Analyse eines Anforderungsprofils allgemeinsoldatischer Fähigkeiten für die konkreten Erfordernisse auf dem Dienstposten kommt in diesem Zusammenhang eine herausragende Rolle zu. Die Ableitung der konkreten Ausbildungsinhalte von den Dienstpostenerfordernissen stärkt das Verständ­nis bei Vorgesetzten dafür, dass hier Ausbildung und Training genauso vonnöten sind wie in anderen Ausbildungsteilgebieten. Die wachsende Erfahrung zeigt, dass das Konzept der militärischen Fitness in der Truppe ankommt. Auch wird in diesem Zusammenhang der klassische Dienstsport weniger als Entspannungs-, Zerstreuungs- und Freizeitmaßnahme angesehen, sondern als wichtiges Mittel akzeptiert, um in einem ersten Schritt die notwendigen körperlichen Voraussetzungen zur Teilnahme am militärischen Fitnesstraining zu schaffen. Auf den im Dienstsport geschaffenen Grundlagen kann die militärische Fitness dann die bislang fehlende Brücke zur optimalen Einsatzfähigkeit schlagen. Das ist ein echter Mehrwert für die Bundeswehr und begründungsstiftend für die systematische Förderung der körperlichen Leistungsfähigkeit in unseren Streitkräften.

2. Gesunderhaltung und Gesundheitswiederherstellung durch Sport Sport als Mittel zur Resilienzsteigerung und Gesundheitsförderung ist gesellschaftlich akzeptiert und erfreut sich allgemein großer Beliebtheit. Dieser Wirkung körperlicher Aktivität bedient sich die Bundeswehr in einem vielschichtigen Ansatz. Sowohl mit dem Ziel der Prävention von Erkrankungen, als Mittel zur Kompensation von belastenden Rahmenbedingungen im Auslandseinsatz und als Element einer ganz-



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heitlichen Rehabilitation nach Einsatzschädigungen spielt Sport eine bedeutsame Rolle.

2.1 Demografische Entwicklung und Digitalisierung Die demografische Entwicklung geht auch an Streitkräften nicht spurlos vorbei: Die Lebenserwartung steigt im Allgemeinen an, und gleichzeitig sinkt die Geburtenrate. Dadurch wird die ohnehin wichtigste Ressource der Streitkräfte, der Mensch, noch knapper und wertvoller. Die deutlich längeren Verpflichtungszeiten von Mannschaften, die Einführung des Berufssoldatenstatus für Unteroffiziere ohne Portepee und die Erhöhung des Ruhestandseintrittsalters von Berufssoldaten haben sichtbare Auswirkungen auf den Altersdurchschnitt in der Bundeswehr. Aber nicht nur bei den Soldatinnen und Soldaten steigt das Durchschnittsalter, auch das Zivilpersonal der Bundeswehr wird älter. Man muss kein Mediziner sein, um zu wissen, dass sich ein höheres Durchschnittsalter nicht nur tendenziell negativ auf die körperliche Leistungsfähigkeit, sondern ebenso auf den allgemeinen Gesundheitszustand der Bundeswehrangehörigen auswirkt. Ein weiterer anhaltender Wandel vollzieht sich, für die Streitkräfte insgesamt wie auch für jeden Einzelnen, durch die Digitalisierung und in deren Folge den zunehmend bewegungsarmen Berufsalltag. Hier gilt es, durch eine aktive Bewegungsförderung entgegenzuwirken und alle in der Bundeswehr im Bemühen um einen gesunden Lebensstil zu unterstützen. Die Erscheinungsformen dieser Bewegungsförderung sind vielfältig: Sei es die Gesundheitssportgruppe im Rahmen des Dienstsports, der Aquafitnesskurs im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements oder die Be­triebs­sportgruppe – zweckmäßig ist, was dem Ziel der Bewegungs- und damit Gesundheitsförderung zuträglich ist. Organisationsbereichsübergreifend lässt sich Sport als Mittel zur Gesunderhaltung und als erlebbare statusgruppenunabhängige Fürsorgemaßnahme verstehen.

2.2 Sport im Auslandseinsatz und in der einsatzgleichen Verpflichtung Sport zeigt jedoch nicht nur im Inland eine der Gesundheit förderliche Wirkung. Im Auslandseinsatz und in der einsatzgleichen Verpflichtung ist seine kompensatorische Wirkung ungleich wichtiger als im Grundbetrieb, denn für Soldatinnen und Soldaten stellt Sport hier den Ausgleich zu einem fordernden und weitgehend auf den Dienst beschränkten Alltag dar. Er ist häufig der Höhepunkt des Tages, vermittelt Normalität sowie Ablenkung von einer belastenden Situation weit entfernt von Familie und Heimat und fördert dadurch die physische und psychische Resilienz – kaum vorstellbar, würde der Sport als Aktivität nicht zur Verfügung stehen. Sport ist damit eine wesentliche Säule der Fürsorge und Betreuung durch den Dienstherrn im Auslandseinsatz.

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2.3 Sport als Teil der Rehabilitation von Einsatzgeschädigten Der Eid verlangt von Soldaten und Soldatinnen, treu und tapfer zu dienen und dabei Gefahren für Leib und Leben in Kauf zu nehmen. Nach Rückkehr aus dem Einsatz finden physisch oder psychisch durch ihren Einsatz geschädigte Kameradinnen und Kameraden in der Sporttherapie Unterstützung in einem langfristigen, ganzheitlichen und zielgerichteten Rehabilitationskonzept. Wenngleich zunächst medizinische Therapie im Vordergrund stehen muss, ist Sport doch Teil des Wegs zurück zu einem aktiven Leben und zu einer größtmöglichen Dienstfähigkeit und gesellschaftlichen Teilhabe. Anfänglich um Fähigkeiten und Fertigkeiten zurückzugewinnen, Spätfolgen zu verhindern oder abzumildern und den familiären und dienstlichen Alltag zu bewältigen, hilft Sport im weiteren Verlauf außerhalb des medizinischtherapeutischen Kontextes zurück zu Normalität im Leben. Den Fokus darauf zu richten, was man noch kann, statt sich auf das zu fixieren, was Schädigungen verhindern, ist Leitgedanke des Sportkonzeptes im Rahmen der modularen Rehabilitation. Mit Gründung einer Gruppe zur Sporttherapie nach Einsatzschädigung an der Sportschule der Bundeswehr in Warendorf ist der Dienstherr seiner Verantwortung gerecht geworden und geht gleichzeitig deutlich über das hinaus, was Gesetze fordern. Schließlich sind es zumeist junge Frauen und Männer mit Familien und Zielen, die im Dienst für die Gemeinschaft ihre körperliche und seelische Unversehrtheit und Gesundheit geopfert haben. Werden die Rehabilitationsziele erreicht, ist der Besuch von Sportsonderveranstaltungen, wie etwa den Invictus Games, möglich. Die Bundeswehr unterstützt dieses herausragende sportliche Ereignis durch die Teilnahme von Mannschaften und wird 2023 selbst Austragender der Spiele sein. Die erste Zielsetzung ist der Ausdruck der Wertschätzung gegenüber den Teilnehmenden für den unbesiegbaren Willen zurück in ein teilhabeorientiertes Leben. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl an weiteren Veranstaltungen für die Zielgruppe der verwundeten, verunfallten, erkrankten und traumatisierten Soldatinnen und Soldaten. Diese Veranstaltungen haben alle eines gemeinsam: Es geht nicht primär um die sportliche Höchstleistung, sondern darum, über das Mittel des Sports Gemeinschaft zu bilden, Anerkennung für das gesundheitliche Opfer, aber mehr noch für das Nicht-Aufgeben zu zollen und vor allen Dingen Gesundheit wiederherzustellen.

3. Internationaler Militärsport und Sportveranstaltungen Internationale Kooperation und Zusammenarbeit gehört fest zur DNA der Bun­ des­ wehr. Von militärischer Ausbildungshilfe über bilaterale Jahresprogramme, multilaterale Übungen bis hin zum gemeinsamen Auslandseinsatz sind deutsche Streitkräfte heute ohne internationale Vernetzung kaum vorstellbar. Die Kontakte im Rahmen der Teilnahme an Militärsportveranstaltungen und deren Ausrichtung in Deutschland ermöglichen Begegnungen und schaffen Vertrauen zu anderen Streitkräften. Damit leistet das Engagement der Bundeswehr im internationalen Militärsport einen wichtigen und sichtbaren Beitrag zur präventiven, umfassenden und multilateralen deutschen Außen- und Sicherheitspolitik.



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3.1 Die Bundeswehr im CISM Im Jahr 1948 von Belgien, den Niederlanden, Luxemburg, Dänemark und Frankreich gegründet, bildet der Conseil International du Sport Militaire (CISM) das militärische Äquivalent zum Internationalen Olympi­schen Komitee (IOC). Seit der Gründung ist die Zahl der Mitgliedsstaaten stetig gestiegen; der CISM umfasst aktuell 140 Nationen. Mit jährlich über 20 Militär­weltmeisterschaften und den alle vier Jahre stattfindenden Militärweltspielen – diese entsprechen olympischen Sommer- und getrennt davon Winterspielen für Soldatinnen und Soldaten – verfügt er über einen beachtlichen Wettkampfkalender. Am Beispiel der zurückliegenden 7.  CISM Military World Games 2019 in Wuhan (China) wird allein anhand der Zahlen schon deutlich, dass es bei CISM-Ver­an­stal­tungen durchaus zur Versammlung von über 9000 Soldatinnen und Soldaten aus 110 Mitgliedsnationen kommen kann. Seit 1959 ist die Bundeswehr Mitglied im CISM. Sie beteiligt sich an dessen Aktivitäten sehr aktiv mit der Ausrichtung von Sportveranstaltungen und mit der Teilnahme von Bundeswehrmannschaften an Wettkämpfen. Aktuell verfügt die Bundeswehr über 27 sportartspezifische Teams, die rund um den Erdball an Wettbewerben teilnehmen. Bei den deutschen Teamangehörigen handelt es sich, in Abhängigkeit von der Sportart, um eine Mischung aus Spitzensportlerinnen und Spitzensportlern der Sportfördergruppen und um ambitionierte Soldatinnen und Soldaten aus der Truppe. Insbesondere für letztgenannte Gruppe stellt die Teilnahme an Veranstaltungen wie den Militärweltmeisterschaften einen Höhepunkt ihrer sportlichen Karriere dar, für den es sich lohnt, trotz anstrengendem Truppenalltag zielgerichtet zu trainieren. Die Erfolge deutscher Teams sind beachtlich, platzieren sie sich doch regelmäßig weit vorne im Feld der Wettbewerber.

3.2 CISM-Sportveranstaltungen in Deutschland Bei der Ausrichtung internationaler Militärsportveranstaltungen wird Qualität »Made in Germany« geschätzt und gewürdigt. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Präsidenten der CISM-Sportartkommissionen regelmäßig und frühzeitig darum ersuchen, ihre jährlichen Weltmeisterschaften in Deutschland durchführen zu dürfen. Die Liste der bisher ausgerichteten Militärweltmeisterschaften ist lang. Standard und Eigenanspruch der deutschen Delegation im CISM ist die Ausrichtung einer Militärweltmeisterschaft pro Jahr und von bis zu zehn weiteren kleinen Regionalturnieren.

3.3 CISM World Winter Games 2022 in Deutschland Mit der Planung der 4. CISM World Winter Games im Raum Ruhpolding und Berchtes­gaden hat sich die Bundeswehr auf eine neue, ambitioniertere Ebene der Or­ga­nisation von Sportveranstaltungen begeben. Wenngleich die im vierjährigen Rhythmus ausgetragene Winterausgabe der Militärweltspiele im Umfang deut­ lich kleiner ist als die Sommerspiele, wurde doch erstmals für ein militärisches

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Multisportevent in Deutschland geplant. Mit mehr als 1000 erwarteten Teilnehmern aus über 40 Nationen war ein Programm in neun Sportarten inklusive der Integration von psychisch und physisch geschädigten Soldatinnen und Soldaten aufgestellt worden. Um auch Nationen einbeziehen zu können, die durch ihre geografische Lage kaum oder gar keine klassischen Wintersportarten betreiben, war es vorgesehen, die Wettkämpfe der Sportarten Crosslauf und Klettern im Rahmen der Winterspiele erstmals zu integrieren. Unter dem Motto »United by Friendship« und verbunden durch das symbolische Band der Freundschaft, sollten es Spiele mit Herz werden, die Gäste aus der ganzen Welt im März 2022 nach Deutschland hätten kommen lassen, doch die Spiele mussten aufgrund der Covid-19-Pandemielage abgesagt werden.

3.4 Invictus Games 2023 – A Home for Respect Mit den Invictus Games 2023 werden die auf Initiative der britischen Königs­ familie etablierten, exklusiven Spiele der verwundeten, verunfallten, erkrankten und traumatisierten Soldatinnen und Soldaten nach Düsseldorf kommen. Mit den bisherigen Spielen in London, Orlando, Toronto, Sydney und Den Haag wurden und werden hohe Erwartungen in die Schaffung eines Veranstaltungserlebnisses gesetzt, die Deutschland nicht unterbieten will. In vielfältigen Sportarten, die insbesondere für körperlich eingeschränkte Personen geeignet sind, wie beispielsweise Rollstuhlbasketball, Sitzvolleyball, Bogenschießen, leichtathletische (Rollstuhl-) Disziplinen, Schwimmen und, erstmals ausgetragen, Tischtennis werden sich Militärangehörige aus über 20 Nationen begegnen. Ziel ist auch hier nicht die Höchstleistung, sondern zu zeigen, dass man, trotz gesundheitlicher Einschränkungen, »invictus« – unbesiegt – ist und sich entgegen vieler Widerstände zurück ins Leben kämpft. Nicht der Sieg ist das Ziel; jeder, der sich bis hierher zurückgekämpft hat, ist bereits Sieger. Den Umgang mit Behinderung und Einschränkung zu zeigen, ohne dabei Mitleid erfahren zu müssen, sondern Respekt und Wertschätzung entgegengebracht zu bekommen, ist die Grundidee dieser Veranstaltung. Erstmals werden auf Initiative Deutschlands auch zivile Einsatzkräfte aus »Blaulichtorganisationen«, also etwa aus Bundespolizei, Landespolizei oder Feuerwehren, dabei sein. Folglich ist es unter dem Leitspruch »A Home for Respect« bei Weitem nicht nur Anliegen, tolle Sportwettkämpfe und eine einzigartige Atmosphäre für die Kameradinnen und Kameraden der zivilen Einsatzkräfte sowie für deren Angehörige zu schaffen. Es geht vor allen Dingen auch darum, in der Öffentlichkeit ein klares Bekenntnis abzugeben, dass Deutschland zu den im Dienst zu Schaden gekommenen militärischen und zivilen Einsatzkräften steht, sie wahrnimmt und anerkennt.

3.5 Militärsport als Forum der Begegnung und des Austauschs Unabhängig von diesen ganz großen Veranstaltungen und den vielen kleineren Sportveranstaltungen hat die Bundeswehr aber als eine der wenigen Nationen noch ein anderes Betätigungsfeld im Kontext des internationalen Militärsports: den sport­lichen Erfahrungsaustausch mit anderen Nationen in Form von gemeinsamen Trainings­lagern oder im Rahmen der Ausbildung von Trainern. So ergab es sich



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beispielsweise 2018, 2019 und 2022, dass erfahrene Soldaten, die die deutschen CISM-Boxteams, -Volleyballteams und -Basketballteams trainieren, auf Bitten der tansanischen Streitkräfte in Tansania halfen, in den beiden Sportarten Trainer ausund weiterzubilden. Dabei stand neben dem sportfachlichen natürlich der interkulturelle Austausch auf dem Programm. Freundschaften wurden geschlossen, die die Maßnahme selbst überdauern. Diese sehr intensive Zusammenarbeit war zum beiderseitigen Gewinn und verkörperte erlebbar das Motto von CISM: »Friendship through Sport«. Die Vielfältigkeit des internationalen Militärsports bietet im Rahmen von Sportveranstaltungen oder im bilateralen Austausch niederschwellig die Möglichkeit, Streitkräfte anderer Nationen besser kennenzulernen. Den Bundeswehrangehörigen ermöglichen die Maßnahmen einen Blick über den Tellerrand der üblichen befreundeten und verbündeten Streitkräfte hinaus, und sie erlauben es ihnen, diese Erfahrung als Multiplikatoren in der Bundeswehr zu teilen. Wo haben Bundeswehrangehörige sonst die Gelegenheit, Soldatinnen und Soldaten aus Ländern wie Botswana, Surinam oder Nordkorea zu begegnen? Im Rahmen der Sportveranstaltungen des internationalen Militärsports unter dem Schirm des Internationalen Militärsportrates bietet sich diese seltene Möglichkeit. Die Funktion des Sports als unverfänglicher Türöffner und Gesprächskanal zu Staaten, deren Werte oder (sicherheits-)politische Zielsetzungen nicht mit den deutschen Vorstellungen vereinbar sind, ist nicht zu unterschätzen. Da, wo es kaum Berührungspunkte gibt oder es sich verbietet, militärisch zu kooperieren, kann der Sport als Brücke dienen. Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt formulierte im Rahmen einer handelspolitischen Auseinandersetzung in den 1970er Jahren den Satz: »Wer Handel miteinander treibt, schießt nicht aufeinander« (Schmale 2019). Als ehemaliger Verteidigungsminister, Förderer und Unterstützer der Bundeswehr hätte Schmidt sicherlich nichts gegen eine Adaption seines Zitats an den internationalen Militärsport: Wer miteinander Sport treibt, schießt nicht aufeinander!

4. Förderung des Spitzensports als gesamtstaatliche Aufgabe Deutschland ist ein sportbegeistertes Land. Kaum eine Nachrichtensendung kann auf die neuesten Ergebnisse von Sportveranstaltungen verzichten. Doch es sind sehr wenige Sportarten, wie Herrenfußball und die Formel 1, welche die Aufmerksamkeit und damit die Sponsorengelder auf sich ziehen. Abseits dieser herausragenden Sportarten und abgesehen von ein paar weiteren Ausnahmen, gestaltet sich die private Förderung für die meisten Sportlerinnen und Sportler deutlich schwieriger. Obwohl sich Sportarten wie etwa Leichtathletik und Skilanglauf ebenso hoher Beliebtheit erfreuen, ermöglichen Sponsoren- und Preisgelder längst nicht immer ein Auskommen, um vom Hochleistungssport zu leben. Höchstleistung braucht aber eine verlässliche und fundierte Basis, um einerseits auskömmlich und abgesichert leben zu können und andererseits trotz leistungssportlicher Ambitionen das berufliche Fortkommen nach der Leistungssportkarriere vorzubereiten.

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4.1 Spitzensportförderung der Bundeswehr Diese Basis wird, neben Bundespolizei und Zoll als weiteren staatlichen Trägern, seit über 50 Jahren durch die Bundeswehr bereitgestellt. Dazu verfügt sie über 850 Dienstposten für Athletinnen und Athleten sowie Trainerinnen und Trainern in 15 Sport­fördergruppen. Neben einem sicheren Gehalt stehen in diesen auf leistungssportliche Belange hin optimierten Sportfördergruppen umfangreiche Bildungsund Berufsförderungschancen sowie in Zusammenarbeit mit dem Zentralen Sanitätsdienst eine hervorragende sportmedizinische Betreuung bereit. Nicht nur olympische Sportarten können von dieser Förderung profitieren. Auch nichtolympische Sportarten, militärische Sportarten und paralympische Sportarten werden unter dem Dach der Spitzensportförderung der Bundeswehr streitkräftegemeinsam gefördert. Mit diesem Leistungsspektrum nimmt die Bundeswehr die Funktion als größter staatlicher Förderer des Spitzensports in Deutschland wahr und trägt in Zusammenarbeit mit den Spitzenverbänden und weiteren Akteuren ganz wesentlich zur Erfüllung dieser gesamtstaatlichen Aufgabe bei.

4.2 Sportförderung als Gewinn für die Bundeswehr Die Streitkräfte profitieren von dieser Förderung des Leistungssports. So nehmen die Sportsoldatinnen und -soldaten als »Botschafter in Uniform« eine wichtige Rolle in der Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr wahr. Als Sympathieträger mit hohem Wiedererkennungswert tragen sie erheblich zu einer positiven Darstellung der Bundeswehr nach Innen und Außen bei und betreiben Werbung für die Bundeswehr als attraktiver Arbeitgeber. Mit der erst kürzlich geschaffenen Möglichkeit, nach dem leistungssportlichen Karriereende als Kompetenz- und Erfahrungsträger in der Funktion eines hauptamtlichen Sportausbilders in den Streitkräften zu verbleiben, wird der beiderseitige Nutzen zusätzlich gestärkt.

5. Sport in der Bundeswehr – ein Fazit Sport in der Bundeswehr ist in seinen Erscheinungsformen vielfältig und tiefer mit den Kernaufgaben von Streitkräften verwoben, als man beim ersten Blick vermuten würde. Als bundeswehrgemeinsame Aufgabe ist der Sport an entscheidenden Stellen in der Streitkräftebasis zentralisiert. Sein Facettenreichtum reicht vom Spitzensport als Mittel der Kommunikation in die Gesellschaft über seine Funktion als streitkräfteverbindende Brücke zu anderen Nationen bis hin zu seiner Aufgabe, Menschen in der Bundeswehr gesund zu erhalten oder deren Gesundheit wiederherzustellen. Durch Sport gelingt es, Werte zu transportieren und Wertschätzung auszudrücken. Seine Hauptfunktion in unseren Streitkräften ist es indes, einen entscheidenden Beitrag zu einsatzbereiten Kräften durch zielgerichtete Ausbildung zu leisten. Die Zuordnung zur Abteilung Ausbildung Streitkräfte im Streitkräfteamt ist daher konsequent und folgerichtig. Sportausbildung und militärisches Fitnesstraining unterliegen einem ständigen Wandel, müssen Neuerungen gegenüber offen sein und wei-



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terentwickelt werden. Der eingeschlagene Weg mit vielen Verbesserungsmaßnahmen soll dazu führen, dass dem Sport in der Bundeswehr nicht mehr nur konzeptionell, sondern endlich auch in der Realität der Stellenwert beigemessen wird, der ihm gebührt. Dementsprechend soll er weder belächelt noch als unwichtiges Nebenthema beiseitegeschoben werden. Im Gegenteil werden Soldaten wie Vorgesetzte ihrer individuellen Verantwortung für die Gesundheit und das Bestehen im Einsatz nur gerecht, wenn die körperliche Leistungsfähigkeit wieder mehr in den Fokus rückt. Sport macht Spaß und das ist auch gut so. Er soll immer auch zum Ausgleich dienen und zur geistigen Entspannung und Abwechslung beitragen. Sport in den Streitkräften ist aber kein Selbstzweck! Trotz aller sonstigen, beabsichtigten Gemeinsamkeiten mit dem Sport in der Gesellschaft ist die konsequente Ausrichtung des Dienstsports auf körperlich leistungsfähige Soldatinnen und Soldaten das maßgebliche Argument für seine Existenz. Nur diese Zweckbestimmung des Sports berechtigt die Bundeswehr dazu, erhebliche infrastrukturelle, personelle und damit finanzielle Ressourcen in einen Lebensbereich zu investieren, der für viele andere Freizeit darstellt. Wird diese Zielorientierung vergessen, steht nicht primär die Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeber, sondern vielmehr der Verteidigungswert der deutschen Soldatinnen und Soldaten zur Disposition.

Literatur BMVg (2017): Zentralvorschrift A1-224/0-1. Sport und Körperliche Leistungs­fähigkeit (2. Änderung). Berlin: BMVg. BMVg (2018): Zentrale Dienstvorschrift A-1420/34. Anwendung der Verordnung über die Arbeitszeit der Soldatinnen und Soldaten. Berlin: BMVg. BMVg (2020): Zentrale Dienstvorschrift A-1340/78. Katalog bundeswehrgemeinsamer Bedarfsträger­ forderungen für militärische Auswahl- und Verwendungs­ planungsverfahren im Rahmen des Personalmanagements. Berlin: BMVg. Clausewitz, C. v. (1990): Vom Kriege: Ungekürzter Text. Augsburg: Weltbild Verlag. Schmale, H. (4.1.2019): Wer Handel treibt, schießt nicht aufeinander. In: Frankfurter Rundschau. URL: (letzter Zugriff 26.8.2020.

Jürgen Mittag und Danlin Wu

»Friendship through Sport«. Inter-Allied Games und Military World Games als transnationale Sportgroßereignisse des Militärs Einordnung Jürgen Mittag und Danlin Wu analysieren in ihrem Artikel große, transnationale Sportevents im Kontext des Militärs. Sie skizzieren die Entwicklung eines Militärsports, der in Wettkämpfen zwischen Armeeangehörigen verschiedener Nationen seit Ende des Ersten Weltkriegs eine eigene leistungssportliche Dimension entwickelt hat. Nach dem Zweiten Weltkrieg weitete sich die Bewegung aus und profes­ sionalisierte sich, bis hin zur Organisation von sportlichen Großveranstaltungen. Autoren Jürgen Mittag, Prof. Dr., ist Universitätsprofessor für Politik, Geschichte und Sportentwicklung an der Deutschen Sporthochschule Köln (DSH). Er ist JeanMonnet-Professor und leitet das Institut für Europäische Sportentwicklung und Freizeit­forschung an der DSH. Danlin Wu M.A. forscht als Doktorandin am Institut für Europäische Sportent­ wicklung und Freizeitforschung der Deutschen Sporthochschule Köln.

1. Transnationale Sportgroßveranstaltungen des Militärs: Sportevents als Forschungsdesiderate 9308 Athletinnen und Athleten aus 110 Nationen, die an 329 Wettbewerben in 27  Sportarten teilnahmen – die Parameter der siebten Sommer-Militärweltspiele, die vom 18. bis 27. Oktober 2019 im chinesischen Wuhan stattfanden, bewegten sich in Größenordnungen, die ansonsten nur die Olympischen Spiele erreichen. Berücksichtigt man, dass elf Jahre zuvor an den Olympischen Sommerspielen 2008 in Peking 11 126 Sportlerinnen und Sportler in 302 Wettbewerben und 28 Sportarten angetreten waren, lassen sich zumindest in quantitativer Hinsicht Analogien zum berühmtesten Sportgroßereignis der Neuzeit ziehen. Anders als die Olympischen Spiele sind die transnationalen Militärweltspiele in der deutschen Öffentlichkeit jedoch kaum bekannt und auch die wissenschaftliche Forschung hat sich bislang noch nicht eingehender mit diesem Sportereignis befasst.

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Mit Blick auf diese Ausgangsbeobachtungen präsentiert dieser Beitrag einen Überblick zur Entwicklung transnationaler Sportgroßereignisse im Militärsport. Im Mittelpunkt stehen die Militärweltspiele bzw. die CISM Military World Games, wie sie offiziell bezeichnet werden. Neben dem wichtigsten transnationalen ›Vorläufer‹, den Inter-Allied Games des Jahres 1919, wird auch die ausrichtende Organisation, der Conseil International du Sport Militaire (CISM), sowie dessen Evolution im Zuge der Konzeption von Sportgroßereignissen näher beleuchtet, um schließlich auf die jüngsten Militärweltspiele 2019 in Wuhan einzugehen. Zugrunde liegt dieser Bestandsaufnahme die Frage, welche Kräfte und Interessen maßgeblich zur Herausbildung von transnationalen Großereignissen des Militärs im Sport beigetragen haben und was diese Sportwettbewerbe kennzeichnet. Im Spektrum sportpolitischer Aktivitäten kommt Sportgroßveranstaltungen eine besondere Rolle zu (Horne 2007, 2017). Herausragende Sportgroßveranstaltungen wie Fußballweltmeisterschaften und Olympische Spiele, aber auch der Super Bowl der National Football League in den USA und die Tour de France wecken beträchtliches, vor allem mediales Interesse. Sie dienen als »globale Bühne« (Mittag/Nieland 2012), die von den unterschiedlichsten Akteuren für ihre jeweils spezifischen Interessen in Anspruch genommen wird. Während die ökonomische Bedeutung von Sportgroßereignissen bereits seit längerem im Blickfeld der Wissenschaft steht (Preuß 1999; Preuß/Andreff/Weitzmann 2019), ist ihrer politisch-medialen Dimensionen erst in jüngster Zeit verstärkte Aufmerksamkeit gewidmet worden (Büch/Maenning/ Schulke 2011; Hebbel-Seeger/Horky/Schulke 2016). Die Beachtung, die Sportgroßereignisse erfahren, ist indes keine Entwicklung der letzten Dekaden. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts, mit der Herausbildung moderner Arbeits- und Freizeitstrukturen, mit dem Einzug des Sports in die Alltagskultur und der immer umfassenderen Berichterstattung der Medien rückten solche Events immer mehr in das öffentliche Bewusstsein. In den 1980er Jahren, einhergehend mit verstärkter Kommerzialisierung und Medialisierung, hat der Spitzensport dann die Spitzenplätze des öffentlichen Interesses erobert (Horne/ Manzenreiter 2006, 2007). Für den Bereich des Militärsports gilt diese Beobachtung indes nur mit Einschränkungen. Bis zu den Militärweltspielen in Wuhan im Jahr 2019 bewegten sich entsprechende Aktivitäten zumeist unterhalb des Radars einer breiteren medialen und öffentlichen Wahrnehmung. Infolgedessen kann sich diese Skizze zu weiten Teilen auch nur auf Quellen und Materialien stützen, die von den Beteiligten selbst erstellt und veröffentlicht wurden. Dazu gehören vor allem die Druckerzeugnisse des CISM wie dessen Jahrbücher und Magazine. Erst für die jüngsten transnationalen Sportgroßereignisse des Militärs kann auch auf eine umfassendere Presseberichterstattung zurückgegriffen werden.

2. Nach dem Ersten Weltkrieg: Die Interalliierten Spiele 1919 Während die Bedeutung des Sports im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert für militärische Zwecke im Sinne der körperlichen Ertüchtigung, aber auch zur Schulung des Teamgeists bereits eingehender herausgearbeitet wurde (Eisenberg



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1999; Mason/Riedi 2010; Mason 2011; Terret/Mangan 2012), sind von militärischen Einheiten ausgetragene transnationale Sportwettkämpfe erst in Ansätzen beachtet worden (Waquet/Vinent 2011und Nübel in diesem Band). Eine Ausnahme markieren die gelegentlich auch als Militärolympiade bezeichneten Interalliierten Spiele, die vom 22. Juni bis 6. Juli 1919 in Paris ausgetragen wurden. In den vorliegenden Darstellungen und Forschungsarbeiten werden die Interalliierten Spiele sowohl im Kontext der Olympischen Bewegung (Terret 2002, 2006) als auch in der US-amerikanischen Militärgeschichte (Johnson/Brown 1919; Hanson 1919; Wakefield 1997) verortet. Den Anlass zur Organisation dieses Sportgroßereignisses bot die spezifische Situation beim Waffenstillstand am Ende des Ersten Weltkriegs. Die USA, die bei Kriegseintritt nur über eine relativ kleine Berufsarmee verfügt hatten, vermochten durch umfassende Mobilisierungsanstrengungen annähernd zwei Millionen Soldaten zu rekrutieren, von denen rund 1,2  Millionen im November 1918 an der Westfront stationiert waren. Die Transportkapazitäten reichten nicht aus, um alle Soldaten im Zuge der Demobilisierung zeitnah wieder in die USA zu verschiffen; zudem wollte man angesichts der politischen Lage zunächst noch ein größeres Truppenkontingent in Europa belassen. Für diese Soldaten sollten im Gefolge der Einstellung der Kriegshandlungen sinnvolle Angebote entwickelt werden. Im Zuge einer Kooperation zwischen den American Expeditionary Forces (AEF) und der US-Sektion der Young Men’s Christian Association (YMCA) wurde die Idee entwickelt, Sportwettbewerbe auszutragen. Diese Idee war zum einen von den Olympischen Spielen inspiriert, die letztmalig 1912 in Stockholm ausgetragen worden waren, während die für 1916 in Berlin geplanten Spiele dem Krieg zum Opfer fallen mussten. Zum anderen kommt in diesem Zusammenhang den Aktivitäten des Sportorganisators Elwood S. Brown besondere Bedeutung zu. Brown, der seine berufliche Karriere beim YMCA in den USA begann, hatte sich seit 1910 als ›Physical Director‹ des YMCA in Manila für den Aufbau von Sportstrukturen auf den Philippinen eingesetzt (Huebner 2013). Diese Aktivitäten sahen auch eine Beteiligung an länderübergreifenden Sportveranstaltungen vor, aus denen schließlich 1913 die »Far Eastern Olympic Games« bzw. die »Far Eastern Championship Games« hervorgingen. Bei dieser Sportveranstaltung wurde im Kern Pierre de Coubertins Olympiakonzept für den ostasiatischen Raum adaptiert (Huebner 2016: 17–54). Der beträchtliche Erfolg dieser Aktivitäten führte dazu, dass Brown einige Jahre später die Stellung eines Direktors des Department of Athletics des YMCA im Rahmen der American Expeditionary Forces in Europa übernahm. Hier bestand seine Aufgabe darin, die sportbezogenen Kontakte zwischen YMCA und amerikanischen Streitkräften in Europa auszubauen. Zurückzuführen war das Engagement des amerikanischen YMCA vor allem auf die Zielsetzung, sich die Wirkung des Sports bei der Kontrolle der männlichen Sexualität zunutze zu machen und eine bestimmte Form von christlicher Männlichkeit nicht nur zu vermitteln, sondern auch zu fördern. Für diese Ziele war man bereit, erhebliche finanzielle Mittel zu investieren. In seiner neuen Funktion entwickelte Elwood S. Brown ab 1917 umfassendere Programmaktivitäten für die sportlichen Aktivitäten der US-amerikanischen Streitkräfte (AEF) in Europa. Er rekrutierte zudem im Laufe des Jahres 1918 über

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300  Trainer und Sportler aus den USA, die dazu beitrugen, dass vor allem nach dem Waffenstillstand der Sport unter den Soldaten einen immer höheren Stellenwert erhielt und regelmäßige Sport- und Spieleinheiten ermöglicht wurden. Die Wett­ bewerbe wurden nicht nur mit einer erheblichen Teilnehmerzahl an Athleten, sondern auch vor einer größeren Zahl von Zuschauern durchgeführt. Einer offiziellen Aufstellung der Veranstalter zufolge (Johnson/Brown 1919: 35 f.) haben zwischen August 1918 und März 1919 rund 24 Millionen Zuschauer die Wettbewerbe verfolgt. Im Oktober 1918 stellte Brown dann unter der Bezeichnung »Proposed Athletic Program for Demobilization Period« ein Gesamtkonzept vor, das neben Meisterschaften der amerikanischen Truppen auch einen großen interalliierten Wettbewerb im olympiaähnlichen Format vorsah. Die General Order No. 241 der AEF, die am 29. Dezember 1918 veröffentlicht wurde, erklärte dieses umfassende Programm, das als Gemeinschaftsaktion von Armee und YMCA durchgeführt werden sollte, zur verbindlichen Agenda. Mit erheblichem Aufwand wurden in den folgenden Monaten zunächst in zahlreichen Disziplinen Meisterschaften der USStreitkräfte ausgerichtet. Browns Pendant in den Streitkräften als Chief Athletic Officer, Colonel Wait C. Johnson, erläuterte den Charakter dieser Meisterschaften mit den Worten: »Athletics were made an integral part of training, and soldiers participating in games were excused from other duties. The importance of encouraging the competitive spirit was recognized. The American soldier, conforming to a natural trait, likes to beat somebody, whether it be in battle or a 100-yard dash. Building upon this attribute, provision was made for a series of championship events, embracing the widest possible range of athletic activity, beginning with platoons and progressing through the company, battalion, regiment, division, corps and army up to the finals for the A.E.F. championship« (Johnson/ Brown 1919: 9).

Durchgeführt wurden in den folgenden Monaten Wettkämpfe der US-Truppen im Football, im Basketball, im Boxen und Wrestling, in der Leichtathletik, im Schießen, Tennis, Golf, Fußball und Schwimmen. Bei der Konzeption der Wettkämpfe verfolgten die Amerikaner über den körperlichen Fitness- und Sublimierungsgedanken hinaus auch eine gewisse Demons­ tra­tionsperspektive, die auf die demokratisierende und egalisierende Wirkung des Sports zielte. In der offiziellen Darstellung der Aktivitäten wird hinsichtlich dieser Zielsetzung herausgestellt:

»Not a man was barred because of his color, his rank or anything whatsoever to do with his statue in military or civil life. Officers competed against privates in almost every branch of sport, with practically no exception except boxing and wrestling. Colored men found their way to army championships. The winners in the shooting contests at Le Mans happened to be all privates, although officers competed« (Johnson/Brown 1919: 127).

Mit unverhohlenem pädagogischen Impetus wird hinsichtlich der erzielten Erfolge resümiert:

»It was demonstrated that everybody can play; that everybody ought to play; that sports should be within the range of the common people. Europeans saw, marvel[l]ed, and eventually copied« (Johnson/Brown 1919: 127)



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Die Interalliierten Spiele waren im Rahmen der sportlichen Gesamtkonzeption von Brown als Höhepunkt konzipiert, bereiteten aber auch organisatorische Schwierigkeiten. Zunächst hatte man einen früheren Termin dieses Ereignisses im Blick gehabt; es zeigte sich aber bald, dass angesichts der geplanten Größenordnung umfassendere Vorbereitungen notwendig waren. Diese waren sowohl diplomatischer Natur, da zwischen den USA und Frankeich angesichts der vorgesehenen Austragung in Paris längere Verhandlungen notwendig waren, zumal das in der Einladung der Amerikaner noch ins Auge gefasste Colombes-Stadion im Nordwesten von Paris, der Austragungsort der Olympischen Spiele 1924, nicht in Frage kam. Aber auch das Internationale Olympische Komitee (IOC) musste eingebunden werden, obwohl man sorgfältig darauf bedacht war, die Bezeichnung »Olympische Spiele« zu vermeiden. In wenigen Monaten wurde bei Joinville le Point im Bois de Vincennes, dem Stadtwald von Paris, ein Stadion neu errichtet, das zu Ehren des Oberbefehlshabers der AEF, General John J. Pershing, den Namen »Pershing-Stadion« erhielt. Der im Wesentlichen von der YMCA finanzierte Austragungsort der Spiele lag damit in unmittelbarer Nähe der Wettkampfstätten, auf denen ein Großteil der Olympischen Spiele von Paris im Jahre 1900 stattgefunden hatte. Dass die Olympischen Spiele bei der Planung der Wettbewerbe Pate gestanden hatten, dokumentierten auch die rund 20 Sportarten mit insgesamt 76 Disziplinen, die nur einige militärbezogene Besonderheiten wie das Granatwerfen aufwiesen. Bei dieser Veranstaltung zählte die geworfene Distanz. Die Siegerweite von 245  Fuß und 11  Zoll, die der amerikanische Militärseelsorger Fred Thomson erzielte, wurde zum neuen Weltrekord erklärt. Teilnehmer der Spiele waren ausschließlich männliche Soldaten der alliierten Streitkräfte. Zugelassen waren – wie schon zuvor bei den AEF-Spielen – nur ehemalige oder aktive Soldaten, die weiterhin ihre Uniformen trugen und in den Kasernen in bzw. um Paris untergebracht wurden. Im Juni und Juli 1919 nahmen rund 1500 Soldaten aus insgesamt 18 Staaten an den Interalliierten Spielen teil, darunter neben Australien, Belgien, Kanada, Frankreich, Griechenland, Italien, Großbritannien und den USA auch Staaten wie Jugoslawien, die Tschechoslowakei und das kurzlebige arabische Königreich Hedschas, die zu Beginn des Krieges noch gar nicht als unabhängige Staaten existiert hatten. Zehn Staaten sagten hingegen ihre Teilnahme ab, darunter China, Siam, Brasilien und Japan aufgrund der Distanz, aber auch die Sowjetunion, deren kriegerische Auseinandersetzungen sich mit dem nunmehr unabhängigen Polen seit März 1919 verschärft hatten. Unter den Teilnehmern fanden sich zahlreiche Athleten, die wie die US-Amerikaner Norman Ross im Schwimmen, Charley Paddock im Sprint oder Eddie Eagan im Boxen der Mittelgewichtsklasse im Folgejahr bei den Olympischen Sommerspielen in Antwerpen 1920 eine Goldmedaille gewinnen sollten, oder wie Richard Byrd im Diskuswerfen bei den Spielen in Stockholm 1912 bereits eine Medaille gewonnen hatten. Auch berühmte Tennisspieler, wie die einstigen oder künftigen Wimbledon-Sieger Andre Gobert (Frankreich), Randolph Lycett (Australien) und Pat O’Hara Wood (Australien) traten bei den Interalliierten Spielen an. Statistiken der Veranstalter dokumentieren, dass insgesamt fast 400 000 Zuschauer während der zweiwöchigen Spiele anwesend waren; zahlreiche Interessenten sol-

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len wegen Platzmangels nicht mehr auf das Gelände gekommen sein. Die beiden besucherstärksten Tage waren – auch wegen des aufwändigen Begleitprogramms – der Eröffnungstag am 22.  Juni und das Sonderprogramm am amerikanischen Nationalfeiertag am 4. Juli, bei dem am Abend rund 70 000 Besucher mit einem Feuerwerk und einer Parade beleuchteter Festwagen unterhalten wurden. Die Interalliierten Spiele 1919 endeten am Sonntag, dem 6. Juli, mit der Schlussfeier. Um diese durchzuführen, war das Baseballspiel zwischen den USA und Kanada beim Stand von 12:1 vorzeitig abgebrochen worden. Von Thierry Terret (2002) ist aus kulturhistorischer Perspektive die spezifische Bedeutung von Männlichkeit bei diesen Spielen herausgearbeitet worden, die sich nicht nur in Disziplinen wie Boxen, Rugby und Schießen widerspiegelt, sondern auch im Verzicht auf das Turnen. Zudem wurden nach längeren Kontroversen die Regeln zugrunde gelegt. Allerdings wurde kein Wettbewerb im American Football ausgetragen. Seitens der Amerikaner selbst sind jedoch andere Aspekte betont worden, etwa die völkerverbindende und gemeinschaftsstiftende Rolle des Sports: »they came to know and understand each other as no other set of circumstances could have made possible« (Johnson/Brown: 219). Darüber hinaus wurde die zentrale Rolle des Sports für die gesellschaftliche Entwicklung und das entsprechende Potenzial der Interalliierten Spiele herausgestellt:

»The real significance of the Inter-Allied Games, however, lies in the seeds that have been sown – seeds of conviction that athletics and play, ›play for everybody‹, is not only a natural, wholesome diversion, but a constructive force for good citizenship – seeds of determination to introduce in the various countries concerned games and sports as an off-set to the certain reaction toward slothful physical ease that history shows has been the inevitable tendency after every great war. Seeds of belief have been sown that the day has now come to put the world at play during its leisure time« (Johnson/Brown: 219).

Insgesamt betrachtet gelten die Interralliierten Spiele als eine Erfolgsgeschichte, da sie die unterschiedlichsten Interessen bedienten: Die USA hatten ihre Soldaten beschäftigt und fitgehalten und zudem amerikanische Ideale nach Europa getragen; der YMCA seine christliche Botschaft vermittelt; das IOC, das zunächst die Konkurrenz bei der Wiederbelebung der Olympischen Spiele nach dem Krieg befürchtete, sah die Spiele als nützliche Erfahrung für die Organisation der Spiele in Antwerpen 1920. Frankreich, das in den Besitz einer neuen Sportstätte in politisch spannungsreichen Zeiten gekommen war, hatte die Kooperation mit den USA untermauert (gerade bei den Debatten über die Pariser Vorortverträge hatten sich deutliche Interessengegensätze zwischen Frankreich und den beiden angelsächsischen Mächten gezeigt), was auch dadurch symbolträchtig zum Ausdruck gebracht wurde, dass zum Abschluss der Spiele »The Star-Sprangled Banner« und die »Marseillaise« intoniert wurden. Was die Interalliierten Spiele jedoch nicht leisteten, war der Brückenschlag zum ehemaligen Kriegsgegner. Soldaten aus den Staaten der Mittelmächte waren zu den Spielen nicht zugelassen worden. Die Überwindung der Gegensätze des Weltkriegs wurde damit noch nicht – wie bei späteren sportdiplomatischen Ansätzen – mit der Parole vom Sport als Botschafter des Friedens verknüpft. Vielmehr bewegte man sich in den Bahnen der Pariser Vorortverträge, die den ehemaligen Kriegsgegner von



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einer Mitwirkung ausschlossen und zumindest in Deutschland als unverhältnismäßig hart empfundene und auf Ausgrenzung zielende Friedensbedingungen diktierten. Die Interalliierten Spiele erlebten keine unmittelbare Nachfolgeveranstaltung, doch wurden in den folgenden Jahren weitere transnationale Sportwettbewerbe der Streitkräfte veranstaltet, während zuvor zumeist nur Wettbewerbe innerhalb der Streitkräfte eines Landes ausgetragen worden waren. Der älteste bis heute ausgetragene transnationale Wettbewerb ist der ›Kentish Cup‹. Er wurde erstmals 1921 mit dem Ziel ausgespielt, die Beziehungen zwischen den Streitkräften verschiedener europäischer Armeen durch einen Fußballwettbewerb zu fördern. Das erste Turnier fand zwischen Soldaten der britischen, der französischen und der belgischen Armee statt; die folgenden Turniere wurden in dieser Konstellation bis 1986 ausgetragen.

3. Nach dem Zweiten Weltkrieg: Inter-Allied Games und CISM Military Games Bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg besann man sich erneut der gemeinschaftsstiftenden Wirkung des Sports. Am 23. September 1945 wurde im Berliner Olympiastadion ein »Inter-Allied Athletic Meeting« ausgerichtet, über das sich heute nur noch spärliche Hinweise finden lassen.1 Die drei westlichen Besatzungsmächte trugen vor einem fast ausschließlich aus Soldaten bestehendem Publikum Wettbewerbe in der Leichtathletik aus, die am Ende zu einer Nationenwertung zusammengeführt wurden: Es gewann das Team der USA vor Großbritannien und Frankreich. Den ein Jahr später ausgerichteten Interalliierten Spielen wurde hingegen eine umfassendere Berichterstattung zuteil. Sie gingen zurück auf die Aktivitäten des Franzosen Henri Debrus und des Belgiers Raoul Mollet, die im Nachgang zu einem Treffen von Repräsentanten von zwölf alliierten Streitkräften am 6. Februar 1946 in Frankfurt am Main den Oberkommandierenden der United States Army Europe und Militärgouverneur der amerikanischen Besatzungszone in Deutschland General Joseph T. McNarney bewegt hatten, den Allied Forces Sports Council (AFSC) zuzulassen. Dieser sollte die sportlichen Aktivitäten unter den alliierten Streitkräften systematischer fördern. Einbezogen in die Aktivitäten wurden auch Staaten des sich formierenden Ostblocks, wie die Sowjetunion, Polen und die Tschechoslowakei. Der AFSC organisierte am 7. und 8. September 1946 eine offiziell als »2. InterAllied Games« ausgewiesene Sportgroßveranstaltung in Berlin. Hinzu kamen Meisterschaften in einzelnen Sportarten, die u.a. in Nürnberg, Hannover, BadenBaden, Brüssel und Ostende stattfanden. Austragungsort der interalliierten Wett­ kämpfe waren große Stadien, die im Krieg nicht zerstört worden waren. Ähnlich wie beim Berliner Inter-Allied Athletic Meeting 1945 stand auch bei den 2. InterAllied Games die Leichtathletik im Mittelpunkt; anders als 1945 war bei den Wettbewerben 1946 aber nicht nur Soldaten der Eintritt in die Stadien erlaubt, 1

Einige Hinweise liefert die Ausstellung »Fair Play: Allied Sporting History in Berlin«, die von Juli 2012 bis Januar 2013 in Berlin gezeigt wurde: (letzter Zugriff 20.11.2020).

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sondern auch der Stadtbevölkerung, die damit in einigen Fällen erstmals nach dem Krieg wieder Gelegenheit erhielt, einer Sportgroßveranstaltung beizuwohnen. Sogar auf Plakaten in deutscher Sprache wurde für das »Sporttreffen der Vereinigten Streitkräfte« geworben. Dass die olympische Idee einmal mehr Pate stand, wird nicht nur durch die Gestaltung des Plakates mit Insignien wie dem Lorbeerkranz dokumentiert, sondern auch durch Elemente wie den Einmarsch der Delegationen und das Entzünden eines Feuers. Wie schon bei den transnationalen Inter-Allied Games 1919 diente der Wettbewerb nicht allein dem sportlichen Kräftemessen, sondern auch der nationenübergreifenden Verständigung. Den Soldaten eröffnete der Sport eine willkommene Abwechslung, die vom Kasernenalltag ablenkte, aber auch Gelegenheit bot, kulturelle und sprachliche Barrieren zu überwinden. Trotz dieser Errungenschaften litt der AFSC sowohl unter politisch-ideologischen als auch organisatorischen Schwierigkeiten. Infolge der Demobilisierung besaßen die neu eingerichteten Strukturen nur eine begrenzte Dauerhaftigkeit; der sich immer deutlicher abzeichnende Kalte Krieg tat sein Übriges, um die politischen Konflikte auch auf den Militärsport zu übertragen. Als die Sowjetunion, die Tschechoslowakei und Polen, aber auch die USA 1947 aus dem AFSC austraten, fehlte zunächst der politische Wille, die Organisation weiterzuführen. Ein Jahr später kamen die verbliebenen fünf Mitgliedstaaten des AFSC am Rande eines Fechtturniers in Nizza zusammen, um am 18. Februar 1948 eine neue Organisation aus der Taufe zu heben. Zu den Gründungsstaaten des neu ins Leben gerufenen Conseil International du Sport Militaire – auf Englisch International Military Sports Council (IMSC), im deutschen Sprachraum Internationaler Militärsportverband – zählten Belgien, Dänemark, Frankreich, Luxemburg und die Niederlande, mithin nur westeuropäische Staaten. Treibende Kraft war der französische Lieutenant-Colonel Henri Debrus, der als Persönlichkeit für jene Kontinuität zum AFSC stand, die auch Emblem und Flagge des neuen CISM widerspiegelten (Vanmeerbeek 2010: 76  f.). Debrus, der eine Politik der ›offenen Tür‹ verfolgte, gelang es, den Kreis der Mitgliedstaaten rasch um Schweden, Italien und die Türkei zu erweitern. 1950 traten Argentinien und Ägypten, 1951 erneut die Vereinigten Staaten und 1952 der Irak, der Libanon, Pakistan und Syrien als Mitglieder bei, 1954 folgte dann Brasilien. Der geografischen Zusammensetzung trug auch der Sitz der CISM-Organe Rechnung: Das Sekretariat mit dem zweiten wesentlichen Initiator der Organisation Raoul Mollet an der Spitze wurde in Brüssel angesiedelt und in Rio de Janeiro später ein Untersekretariat eingerichtet, das sich um die administrativen Belange auf dem amerikanischen Kontinent kümmerte. Mit der Bundesrepublik Deutschland, die im Gefolge des Beitritts zum Brüsseler Pakt und zur NATO sowie der Verabschiedung der Pariser Verträge 1955 die Bundeswehr gegründet hatte, waren 1957 Verhandlungen aufgenommen worden. Nach der Befürwortung des damaligen Verteidigungsministers Franz Josef Strauß und der Zustimmung der CISM-Mitglieder wurde die Bundesrepublik auf der Generalversammlung 1959 im pakistanischen Lahore als 23. Mitgliedstaat in den Internationalen Militär­sport­ verband aufgenommen (Uhl 1984: 406). Der Kalte Krieg und die sich verschärfende Auseinandersetzung der Blöcke setzte den Ausweitungsbestrebungen eine deutliche Grenze, denn Staaten des Warschauer



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Paktes traten dem CISM nicht bei. Als 1958 in Moskau das Sportivnyj Komitet Družestvennych Armij (SKDA), das Sportkomitee der befreundeten Armeen, gegründet wurde, bestanden zwei unabhängige Militärsportorganisationen nebeneinander, die zwar ähnliche Zielsetzungen verfolgten, aber auf unterschiedlichen ideologischen Fundamenten basierten (Riordan 1988). Gründerstaaten des SKDA waren neben der UdSSR die elf Staaten Albanien, Bulgarien, China, DDR, Mongolei, Nordkorea, Polen, Rumänien, Tschechoslowakei, Ungarn und Vietnam. Neben der Ausweitung der Mitgliedschaft verfolgte die Leitung des CISM als zweite zentrale Aufgabe das Ziel, internationale Militärsportveranstaltungen auszurichten. Angesichts finanzieller Grenzen beschränkte man sich zu Beginn auf sieben Veranstaltungen im Jahr; mit den neuen Mitgliedern war die Anzahl der Veranstaltungen bis 1953 aber bereits auf 16 Wettbewerbe angewachsen. Neben den klassischen olympischen Sportarten kam dabei denjenigen Wettkämpfen herausgehobene Bedeutung zu, die originär militärischen Bezug hatten, so etwa der 1947 von Debrus konzipierte Militärische Fünfkampf, bestehend aus Schießen mit Armeewaffen, Hindernislauf, Handgranatenwurf, Hindernisschwimmen und 800-Meter-Geländelauf. 1948 kam ein Fünfkampf der Luftstreitkräfte, 1952 ein Maritimer Fünfkampf hinzu (Uhl 1984: 405). Der CISM begann in den 1950er Jahren seine Aktivitäten auszuweiten und wissenschaftliche Fachtagungen auszurichten. Einhergehend mit der Professionalisierung des Sports und der Sportmedizin tauschten sich Stabsärzte und Forscher über Fortschritte im Trainings- und Gesundheitsbereich aus. Den Höhenpunkt dieser Entwicklung markierte 1959 die Gründung einer eigenen CISM-Akademie (Uhl 1984: 406). Das ebenfalls in diesem Jahr erstmals herausgegebene »CISM Magazine« diente nicht nur dem Informationsaustausch, sondern enthielt auch fachwissenschaftliche Beiträge. Unter anderem veröffentlichte die Zeitschrift 1965 einen Artikel des US-amerikanischen Sportmediziners und Majors der U.S. Air Force Kenneth Cooper über Aerobic; diesem Beitrag wurde vorbildhafte Bedeutung für die Entwicklung des vorbeugenden Gesundheitssports zugeschrieben. Raoul Mollet, der bereits zu den Gründervätern des AFSC gehört hatte und im CISM über Jahrzehnte als Generalsekretär fungierte, trug wesentlich zur Weiterentwicklung der Organisation bei (Vanmeerbeek 2009: 86  f.). Er etablierte weitere Einrichtungen und Organisationen wie das »House of CISM« als eine Non-Profit-Organisation belgischen Rechts, den »CISM-Club«, und die »CISMStiftung«, deren Aufgabe es war, Gelder zu sammeln, um Soldaten aus finanziell schwächeren Mitgliedsländern zu unterstützen. Auf Mollets Betreiben war es ebenfalls zurückzuführen, dass die Wettbewerbe für weibliche Militärangehörige geöffnet wurden. Die Ausweitung der Aktivitäten fand in der Statutenänderung des Jahres 1968 ihren Niederschlag. Der CISM verankerte neue Leitbilder und Satzungsziele, zu denen Solidarität, die Unterstützung der Jugend und die Förderung des Friedens in der gesamten Welt zählten. In den 1970er Jahren kamen weitere symbolische Elemente wie eine CISM-Hymne und ein CISM-Marsch hinzu. Anlässlich des 25-jährigen Jubiläums des Conseil International du Sport Militaire im Jahr 1973 wurde das bis heute gültige Motto »Freundschaft durch Sport« eingeführt.

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Die wichtigsten und sichtbarsten Aktivitäten des CISM blieben aber die Sportwettbewerbe, die unter der Bezeichnung »Internationale Militärmeisterschaften« firmierten. In den 1970er Jahren nahm die Anzahl der Wettkämpfe beständig zu, wozu auch die wachsende Zahl von Mitgliedern beitrug. Seitens der Bundesrepublik Deutschland wurden erstmals 1960 Internationale Militär­ meister­schaften im Schwimmen in Sonthofen, am damaligen Sitz der Sportschule der Bundeswehr, ausgerichtet; 1962 folgten dann Skilaufmeisterschaften in Mittenwald (Uhl 1984: 410). 1965 stand Boxen in München auf der Agenda und 1966 der Moderne Fünfkampf in Warendorf, wo später die neue Sportschule der Bundeswehr errichtet wurde. Trotz seiner ursprünglichen Anlehnung an die olympische Idee hatte der CISM mit dem Konzept dezentraler und jährlich stattfindender Militärmeisterschaften eine deutliche Abgrenzung zu den Olympischen Spielen vorgenommen. Diese Ausrichtung war nicht zuletzt den finanziellen und organisatorischen Rahmenbedingungen geschuldet. Die finanziellen Belastungen für den Ausrichter blieben bei der Konzentration auf eine Disziplin überschaubar, zudem verteilten sich die Kosten auf eine größere Anzahl von Ländern. Mit dem Verzicht auf ein einzelnes Sportgroßereignis ging jedoch eine Begrenzung der öffentlichen Sichtbarkeit und Wahrnehmung der Militärmeisterschaften einher. Während in Staaten, in denen dem Militär traditionell eine zentrale Rolle zukam, eine eingehendere Berichterstattung erfolgte, weckten die Militärmeisterschaften in anderen Staaten kaum Interesse. So reichte etwa in der Bundesrepublik Deutschland die Berichterstattung vielfach kaum über die Lokalpresse am Veranstaltungsort hinaus. Anders sah es in den sozialistischen Ländern aus, wo man auf eine andere Strategie gesetzt hatte. Das Sportkomitee der befreundeten Armeen trug – beginnend mit Leipzig 1958 (Geissler 1959) – alle vier Jahre Militär-Spartakiaden aus, die auf größeres Publikumsinteresse stießen und seitens der publizistischen Staatsorgane auch entsprechend beworben wurden. Zu einer verstärkten Wahrnehmung der Aktivitäten des CISM kam es hingegen erst, als er im Zuge des Endes der Blockauseinandersetzung seine Mitgliedschaft erheblich ausweiten konnte. Anlässlich der 7. Spartakiade des SKDA 1989 in Sofia waren auch Vertreter des CISM nach Bulgarien eingeladen worden. Die von den Offiziellen beider Organisationen bekundete Absicht, künftig enger zu kooperieren, wurde dann aber von den Ereignissen überholt. 1991 löste sich das SKDA auf. Als eine der letzten Handlungen erklärte man, den CISM als einzigen internationalen Militärsportverband anzuerkennen. Damit einhergehend forderte man die bisherigen SKDA-Mitgliedsländer auf, sich dem CISM anzuschließen. Diesem Aufruf folgten 31 Staaten, die nun Mitglieder des Conseil International du Sport Militaire wurden. Dessen Monopolstellung führte unter den Präsidenten Jean Duguet (19861994, Frankreich) und Arthur Zechner (1994‑1998, Österreich) zu einer anhaltenden Ausweitung der Mitgliedschaft. Als das Internationale Olympische Komitee 1998 den CISM offiziell anerkannte, zählte der Militärsportverband bereits 116 Mitglieder. Nachdem der CISM sein Leitbild und seine Statuten zum Ende der 1990er Jahre erneut angepasst hatte und nunmehr seine neutrale Ausrichtung und die Förderung des Weltfriedens besonders hervorhob, wurde er 2007 auch von den Vereinten Nationen formell anerkannt. Am Ende der Präsidentschaft von Gianni



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Gola (1998‑2010, Italien) zählte der CISM 133 Mitglieder. Diese konnten sich mittlerweile an einem erneut erweiterten Spektrum an Aktivitäten beteiligen, zu denen u.a. der CISM Futsal Cup und der CISM Day Run, aber auch Para-SportWettbewerbe für das Militär zählten.

4. Von Rom bis Mungyeong: Die Military World Games als neues Sportgroßereignis Noch wichtiger als die Ausweitung der Mitgliedszahlen erwies sich für die Wahrnehmung des CISM in der Öffentlichkeit jedoch die Idee, Militärweltspiele im olympischen Stil als Großveranstaltung auszurichten. Diese Idee war bereits in den 1970er und 1980er Jahren wiederholt erörtert worden, hatte angesichts des damit verbundenen beträchtlichen Aufwandes aber keine Zustimmung gefunden. Angesichts der nun veränderten Rahmenbedingungen beschloss der CISM auf seiner 48. Generalversammlung im bulgarischen Varna im Jahr 1994 jedoch, im kommenden Jahr, 50 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, »World Military Games« auszurichten. Einen wesentlichen Impuls zu dieser Entscheidung hatten die Unterstützungszusagen der italienischen Streitkräfte und des Italienischen Olympischen Komitees geliefert, die es dem CISM nunmehr erlaubten, die Spiele organisatorisch und finanziell zu stemmen. Mit 4017  Athleten aus 93  Ländern wurden die World Military Games erstmals vom 4. bis 16.  September 1995 in Rom durchgeführt. Von den bekanntesten (Militär-)Sportnationen fehlten nur das Vereinigte Königreich und Australien, beide Staaten hatten sich zuvor auch schon nicht am CISM beteiligt. Die Anzahl von 179 Wettbewerben in 17 Sportarten lag zwar unterhalb der Größenordnung der Olympischen Spiele, bedeutete jedoch mit Blick auf die Teilnehmerzahlen, dass die Military World Games neben Kontinentalveranstaltungen wie den Afrikaspielen oder den Südostasienspielen zu den größten Sportevents des Jahres 1995 avancierten. Die Veranstalter sahen sich bei der Durchführung der Spiele zu einer erheblichen Kraftanstrengung veranlasst, was vor allem in Italien für eine größere öffentliche Aufmerksamkeit sorgte. Das staatliche Fernsehen übertrug die Eröffnungsfeier live und berichtete in den folgenden Tagen rund 20 Stunden über die Sportwettbewerbe. Seitens des CISM wurden vor Ort rund 500 000 Zuschauer gezählt. Mit 62 Goldmedaillen führte Russland mit deutlichem Abstand vor Italien den Medaillenspiegel dieser Spiele an. Die vier Jahre später vom 8. bis 17. August 1999 in Zagreb ausgetragenen zweiten Military World Games bewegten sich in einer ähnlichen Größenordnung, was die Anzahl der Wettbewerbe betraf, die Teilnehmerzahl allerdings hatte sich nochmals auf 6734 Teilnehmende erhöht. Vor Ort hingegen gelang es nur 250 000 Zuschauer zu mobilisieren. Für die dritten Military World Games hatte zunächst Madrid den Zuschlag erhalten. Im Juni 2003 musste die spanische Kapitale aber kurzfristig absagen. Die italienische Stadt Catania erklärte sich nach Vermittlung des italienischen CISM-Präsidenten Gianni Gola bereit, kurzfristig als Austragungsort einzuspringen, war aber Ende August gezwungen, angesichts der Kürze der Vorbereitungszeit um eine Verlegung des ursprünglich für Mitte September geplanten Termins zu er-

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suchen. Infolgedessen fanden die dritten Military World Games erst vom 4. bis 11. Dezember 2003 statt; sie mobilisierten ›nur‹ rund 2800 Athleten für 120 Wettbewerbe in elf Sportarten. Der Zuschauerzuspruch in Sizilien blieb bescheiden. Deutsche Athleten nahmen nicht teil, da sich die meisten deutschen Sportsoldaten bereits im Trainingslager für die Olympischen Spiele in Athen befanden. Im Jahr 2007 wurden die Military World Games erstmals außerhalb von Europa ausgetragen. Damit zeichnete sich auch im Militärsport eine Tendenz ab, die bei anderen Sportgroßereignissen ebenfalls zum Tragen kam. Seit Beginn des 21. Jahr­ hunderts finden Sportgroßereignisse immer öfter in den sogenannten BRICSStaaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) statt (Mittag 2020). Beispielhaft hierfür stehen Sport-Megaevents in Brasilien (Fußballweltmeisterschaft 2014, Olympische Sommerspiele 2016), in Russland (Olympische Winterspiele 2014, Weltmeisterschaft 2018), in China (Olympische Sommerspiele 2008, Olympische Winterspiele 2022) und in Südafrika (Fußballweltmeisterschaft 2010) (Cornelissen 2010; Grix/Lee 2013). Zurückgeführt wird diese Verlagerung unter den Ausrichterstaaten zum einen darauf, dass OECD-Staaten mittlerweile als weitgehend erschlossene bzw. gesättigte Sportmärkte gelten, während den BRICS-Staaten, aber auch weiteren Schwellenländern in Asien und Afrika erhebliches Wachstumspotenzial zugeschrieben wird. Vor diesem Hintergrund kann es nicht überraschen, dass bei jüngeren Entscheidungen über Sportgroßereignisse vor allem Ausrichterstaaten berücksichtigt wurden, deren Märkte noch sportökonomisches Wachstumspotenzial versprechen. Zum anderen haben sich die ökonomisch aufstrebenden BRICS-Staaten selbst in verstärktem Maße um die Ausrichtung von Sportgroßereignissen beworben, da diese eine herausragende Projektionsfläche für die eigene Leistungsschau bieten. Neben den angeführten herausragenden Sportgroßveranstaltungen, die als Events erster Kategorie bezeichnet werden, können weitere Sportgroßveranstaltungen, die nicht die gleiche globale Aufmerksamkeit auf sich ziehen und als ›second-order‹ oder ›tier 2‹ Mega-Events klassifiziert werden, ebenfalls der eigenen Leistungsschau dienen (Black 2007, 2008). Die Military World Games lassen sich in diese Kategorie einstufen. Die im indischen Hyderabad vom 14. bis 21.  Oktober 2007 ausgetragenen vierten World Military Games brachten 4738 Athleten in 15 Sportarten und 157 Wettbewerben zusammen. Nach der Verlegenheitslösung in Catania erreichte man damit wieder das Ausgangsniveau. Die Veranstalter in Indien nutzten die Spiele, die am Austragungsort der »Afro-Asian Games« von 2003 in Hyderabad stattfanden, nicht nur als Testlauf für die Commonwealth Games drei Jahre später, sondern auch, um für den Militärsport zu werben. Die Veranstalter hatten für eine aufwändige Eröffnungszeremonie gesorgt, an der rund 25 000 Zuschauer teilnahmen, darunter zahlreiche Kinder. Neben dem nationalen Fernsehen berichteten vermehrt auch die internationalen Medien. Der Aufschwung der Military World Games hielt an, als die fünfte Auflage der Spiele vom 16. bis 24. Juli 2011 im brasilianischen Rio de Janeiro ausgetragen wurde. Mit Rio erhielt wieder eine Stadt den Zuschlag, die bereits zuvor ein Großevent ausgetragen hatte, in diesem Fall die Panamerikanischen Spiele des Jahres 2007, und die mit der Fußballweltmeisterschaft 2014 und den Olympischen Spielen 2016 weitere Großevents in Planung hatte. In



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Rio nahmen rund 4000 Athleten teil, die Anzahl der Sportarten wird mit 20 beziffert, die der Wettbewerbe mit 195. Erneut gab es eine aufwändige Eröffnungsfeier, der 35 000 Zuschauer, darunter die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff, beiwohnten und die auch live übertragen wurde. In Brasilien hat der Sender TV Globo eingehender auf die Military Games eingestimmt. Den Höhepunkt der Eröffnungsfeier markierte das Entzünden des Feuers durch Pelé, der selbst 1959, beim Finale der Südamerikameisterschaften der Streitkräfte im Fußball, ein Tor erzielt hatte. Dominierte bei der Eröffnungszeremonie der militärische Charakter, so wurde die Abschlussfeier im zivilen Format als eine große Party der teilnehmenden Athleten ausgerichtet, die nunmehr im Trainingsanzug mit dem Publikum in Sambalaune feierten. Dass der gesamte Ablauf der Military Games sich immer stärker den Olympischen Spielen annäherte, dokumentiert auch die Unterbringung der Teilnehmenden: Für die Delegationen wurden drei Athletendörfer errichtet. Ob der im Vorfeld der Spiele erhobene Anspruch, die World Military Games in Rio de Janeiro zu einem Wendepunkt in der Geschichte des Wettbewerbs zu machen, sie zu einer weltweiten Attraktion aufzuwerten und fest im internationalen Sportkalender zu etablieren, eingelöst wurde, lässt sich anhand der zur Verfügung stehenden Quellen feststellen. Medienberichten zufolge waren es die sechsten Military World Games im südkoreanischen Mungyeong, die einen Professionalisierungsschub erkennen ließen. An diesen Spielen nahmen vom 2. bis 11.  Oktober 2015 rund 8.700 Athleten teil, die in 24 Sportarten 248 Wettbewerbe austrugen. Erstmals traten auch ParaAthleten bei den Wettbewerben an. Hinzu kamen 600 Sportfunktionäre, 100 offizielle Repräsentanten der Teilnehmerstaaten bzw. des CISM sowie 700 akkreditierte Journalisten und Medienvertreter. Die Sportwettbewerbe fanden nicht nur auf dem Areal des Sportzentrums der südkoreanischen Militärsportorganisation Korea Armed Forces Athletic Corps (KAFAC) in Mungyeong statt, das neu errichtet worden war, sondern auch in weiteren Städten der Region. Seitens der Athleten wurde die aufwändige Eröffnungsfeier, aber auch die perfekte Organisation des Events gelobt. Den Wettbewerben wurde zudem ein durchgehend hohes Niveau attestiert, während die Medienberichterstattung nochmals erheblich an Umfang zugenommen hatte.

5. Wuhan 2019: Die Military World Games in neuen Dimensionen Als im Mai 2015 die Vergabe der siebten Military World Games anstand, erhielt mit dem chinesischen Wuhan2 abermals eine Stadt aus einem BRICS-Staat den Zuschlag. 2

Wuhan, eine Stadt mit über 8 Millionen Einwohnern, erlangte weltweite Aufmerksamkeit, als hier die ersten Fälle eines neuen Coronavirus (SARS-CoV-2) auftraten und die Stadt am 23. Januar 2020 unter Quarantäne gestellt wurde. Die anschließend sich weltweit ausbreitende COVID-19Pan­demie kostete Millionen Menschen das Leben und führte u.a. dazu, dass in den folgenden Jahren zahlreiche Sportgroßveranstaltungen verschoben oder abgesagt werden mussten. So wurden auch die 4th CISM World Winter Games, die im März 2021 in Berchtesgaden und Ruhpolding

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China setzte mit der Bewerbung um die Military Games seine Politik der Ausrichtung von Sportgroßereignissen fort, die auch Großveranstaltungen zweiter oder dritter Kategorie wie Universiaden, Jugendwettbewerbe oder Asienspiele einschloss. Mit der Berücksichtigung der in der Provinz Hubei gelegenen Metropole Wuhan trug China dabei auch dezentralen Konzepten Rechnung, um das Reich der Mitte in seinen gesamten Ausmaßen zu berücksichtigen. In offiziellen Verlautbarungen wurde die Ausrichtung der Military World Games als wichtigstes Sportereignis nach den Olympischen Spielen 2008 in Peking verkündet (Chen/Wang 2018). Dass man die Military World Games im sportdiplomatischen Sinn auch zum Nation Branding nutzen wollte (Nauright 2013; Gripsrud/Nes/Olsson 2016; Kobierecki/ Strożek 2017), dokumentieren verschiedene Stellungnahmen der Verantwortlichen. Qiliang Xu, Vorsitzender des Organisationskomitees der Military Games, Mitglied des Politbüros des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas und stellvertretender Vorsitzender der Zentralen Militärkommission erklärte: »It is an important window showing the great achievements of national development, interpreting China’s path of peaceful development, showing a new face of reform and strengthening the army, and promoting the excellent culture of the Chinese nation« (Leo 2019).

Darüber hinaus wurden die Military World Games als Ausgangspunkt für die Stadtentwicklung Wuhans gesehen, wie unter anderem von Shenshun Wang, stellvertretender Generalsekretär des Exekutivkomitees und Direktor des Wuhan Sports Bureau, in verschiedenen Stellungnahmen betont wurde (Chen/Wang 2018). Mit den Military World Games in Wuhan waren zahlreiche Neuerungen verbunden (Wang 2019). Bereits im Vorfeld hatte man beschlossen, dass die einzelnen Wettbewerbe ausnahmslos für die Öffentlichkeit frei zugänglich sein sollten. Zudem sah man vor, weitere Sportarten neu aufzunehmen, darunter erstmals Badminton, Tischtennis, Tennis und Männerturnwettbewerbe, sodass in Wuhan auch die bislang größte Anzahl von Sportarten bei Military World Games ausgetragen werden sollte. Des Weiteren legte man fest, alle Wettbewerbe ausschließlich in Wuhan und damit nur in einer Stadt auszurichten. Um die Kosten im Rahmen zu halten, wurden lediglich 13 der 35 für die Spiele benötigten Sportstätten neu gebaut; 17 Austragungsorte wurden hingegen renoviert und fünf Sportstätten temporär errichtet. Schließlich sollte Wuhan auch die ersten Military World Games markieren, die in einem vollständig neu errichteten Athletendorf stattfanden. Während die baulichen Vorbereitungen bereits 2015 begannen, wurde das Organisationskomitee für die Spiele in Wuhan offiziell am 5. Juli 2017 im Rahmen einer Rede von Liangchao Jiang, Sekretär des Parteikomitees der Provinz Hubei, bestellt. Im August des Jahres wurden die Vorbereitungsarbeiten mit dem Slogan »Fighting 800-Days« weiter forciert. Gemäß dem offiziellen, von der CISM veröffentlichten Einladungsschreiben war das Organisationskomitee (SUMOC) für die Vorbereitung und Organisation der Spiele in Wuhan verantwortlich. Operativ tätig war hingegen ein Exekutivkomitee, das für die lokale Durchführung der Organisation (Bayern/Deutschland) stattfinden sollten, verschoben, (letzter Zu­ griff 5.2.2020).



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verantwortlich zeichnete. In diesem Komitee nahmen die Spitze der Stadtverwaltung und der nationalen Militärorganisation den Vorsitz ein. Die Rolle des CISM blieb bei der eigentlichen Durchführung des Events begrenzt; anders als bei Olympischen Spielen bzw. dem IOC werden den Gastgeberstädten keine technischen Auflagen gemacht, die Ausrichtung und Durchführung bis in das kleinste Detail regeln. Im Fall von Wuhan waren es die Ausrichter selbst, die sich an den Standards der zuvor in China ausgetragenen Sportgroßereignisse orientierten. So machte man sich vor allem bei der allgemeinen Organisation und beim Einsatz von Volunteers die Expertise von Funktionären zunutze, die bei den Olympischen Spielen 2008, den Olympischen Jugend-Sommerspielen 2014 und den Nationalen Spielen 2017 in der Verantwortung gestanden hatten. Am 19. April 2018 wurde der »Arbeitsplan für die Wuhan-Spiele 2018-2019« veröffentlicht, der 88 zentrale Aufgaben und 605 Projekte in 29 Bereichen anführte, darunter Maßnahmen in den Feldern Stadtentwicklung und Umweltschutz, Management des Athletendorfs, Bau und Management der Veranstaltungsorte, Eröffnungs- und Abschlusszeremonie, Fackellauf, Doping-Kon­ trollen, Lebensmittelversorgung, Medienbetrieb, Franchising, Volunteering und Sicher­heit. Angesichts der Kritik an der fehlenden Nachnutzung von Sportgroß­ver­an­stal­ tungen, die seit der Jahrtausendwende immer lauter geworden war, äußerten sich die Organisatoren proaktiv zu diesem Problemkomplex und warben mit der Formel »Green, Shared, Open, and Clean«. Auf der Pressekonferenz am 27.  November 2017 erklärte Vizebürgermeister Yingzi Liu, dass die künftige Nutzung der Veranstaltungsorte bei der Planung bereits berücksichtigt worden sei (Zhang 2017). Den Universitäten in Wuhan kamen die Sportstätten dabei in besonderem Maße zugute: Von den renovierten Austragungsorten gehörte das Gros bereits Univer­ si­täten und Militär, elf der 13 neu errichteten Austragungsorte wurden nach den Spielen zusätzlich an Universitäten übergeben. Einige der Stätten sollten zudem der Öffentlichkeit für Fitnessaktivitäten zur Verfügung gestellt werden. Zu den weiteren Plänen zählte, das Medienzentrum nach den Spielen in ein öffentliches Hallenstadion für Eissportarten umzubauen und den Veranstaltungsort am Donghu zu einem Segelsportzentrum auszubauen (Zhang 2017). Die COVID-19-Krise führte im Laufe des Jahres 2020 zu einer kurzfristigen Umnutzung einiger Sportstätten, wie etwa des Hongshan-Stadions zum Zwecke der Pandemiebekämpfung. An den vom 18. bis 27.  Oktober 2019 ausgerichteten siebten Military World Games nahmen 9308 Athleten aus 110 Ländern teil, womit ein neuerlicher Teil­neh­ mer­rekord aufgestellt wurde. 329 Wettbewerbe in 27 Sportarten untermauerten die quantitativen Ausmaße der Spiele, 82 neu aufgestellte Rekorde auch deren sportliche Qualität (Xinhuanet 2019a). Für die Military World Games gelang es, rund 230 000 Freiwillige zu rekrutieren. Die Anzahl der akkreditierten Medienvertreter markierte ebenfalls ein Allzeithoch in der Geschichte der Spiele: Insgesamt 4130 Medienmitarbeiter aus 58 Ländern und fünf Kontinenten, die 1632 Sendeanstalten vertraten, reisten nach Wuhan (Xinhuanet 2019b). Vor Ort wurden annähend 1,2 Millionen Tickets verkauft, darunter 120 000 Eintrittskarten für die Eröffnungsund die Abschlussfeier. Wettbewerbe wie Frauen-Volleyball, Männer-Basketball

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und Schwimmen meldeten ausverkaufte Sportstätten (Xinhuanet 2019a). Selbst aus Vermarktungsaktivitäten konnte Wuhan nennenswerte Einnahmen generieren. In der Zusammenschau kann den siebten Military World Games in Wuhan die Einlösung der bereits für Rio de Janeiro erhobenen Zielsetzung zugesprochen werden, dieses Sportgroßereignis auf ein neues Level gehoben und für dessen verstärkte Wahrnehmung gesorgt zu haben. Mit den organisatorischen und finanziellen Möglichkeiten eines Staates wie China, der auf umfassende Erfahrungen bei der Ausrichtung von Sportgroßereignissen zurückgreifen konnte, vermochten die Ausrichter alle Register zu ziehen und die Spiele für die teilnehmenden Athleten, für China selbst als auch für Wuhan zu einem Erfolgserlebnis zu machen. Die Hauptstadt der Provinz Hubei sah sich angesichts der Zuschreibung, der Ort des mutmaßlichen Ausbruchs der Pandemie zu sein, bald mit erheblichen Reputationsverlusten konfrontiert. Der Militärsport und der Conseil International du Sport Militaire profitierten ebenfalls von den siebten Military World Games, allerdings in geringerem Ausmaß. Da China den militärischen Lebenswelten vor allem beim Marketing weniger Platz einräumte als die früheren Ausrichter, dominierten in der Berichterstattung jenseits der Eröffnungs- und Schlussfeier eher die Trainingsanzüge als die Uniformen. Es bleibt abzuwarten welche Richtung die kommenden Ausrichter den Spielen geben. Eine wichtige Rolle sollte in diesem Zusammenhang auch Deutschland zukommen. Die Bundesrepublik war ausersehen, die Winter Military Games 2022 in Berchtesgaden und Ruhpolding zu organisieren. Seit 2010, beginnend mit dem Aosta-Tal und über die Stationen Annecy (2013) und Sotchi (2017), werden auch militärische Winterspiele ausgerichtet, die zwar in kleinerem Umfang als ihre sommerlichen Pendants stattfinden, sich aber auch noch auf dem Weg der Profilbildung befinden. Wegen der Pandemie wurden die Winterspiele 2022 in Deutschland ersatzlos gestrichen.

6. Transnationale Sportgroßereignisse des Militärs: Entwicklungslinien, Chancen und Grenzen Die hier vorgenommene überblicksartige Skizze zur Genese von transnationalen Sportgroßereignissen des Militärs erlaubt einige grundlegende Schlussfolgerungen. Die wohl wichtigste besteht darin, das unter anderem von Cardenas (2016), Coalter (2006), Guilianotti (2011), Sugden und Tomlison (2017) in den vergangenen beiden Dekaden herausgearbeitete Potenzial des Sports als Instrument für Frieden und Versöhnung um eine komplementäre Dimension zu ergänzen. Vor allem am Ende von entgrenzten militärischen Auseinandersetzungen wie dem Ersten und Zweiten Weltkrieg bot der Sport eine Plattform, um für größere Truppenkontingente eine sowohl gesundheitsfördernde und entlastende als auch verständnisfördernde Wirkung zu entfalten. Gerade Sportgroßereignisse schufen einen Rahmen, Menschen aus unterschiedlichen Ländern und mit verschiedenen kulturellen Hintergründen in Begeg­ nungen zusammenzuführen, die dann gemeinschaftliche Aktivitäten, Er­fah­rungs­ austausch und ggf. sogar eine Stärkung des gegenseitigen Verständnisses zur Folge hatten. In einem so sensiblen und konfliktträchtigen Feld wie dem Militärwesen



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ist diese grenzüberschreitende Förderung von freundschaftlichen Beziehungen der Streitkräfte nicht zu überschätzen. Die vom Conseil International du Sport Militaire adaptierte Parole »Friendship through Sport« hat vor diesem Hintergrund durchaus ihre Relevanz. Es wäre indes falsch, die Erwartungshaltungen an den Sport zu überhöhen. Sowohl die Inter-Allied Games als auch die Aktivitäten des Allied Forces Sports Council haben gezeigt, dass die Gelegenheitsfenster für derartige Aktivitäten nicht unbegrenzt vorhanden waren. Nach der Demobilisierung größerer Teile der Streitkräfte erwies es sich für den CISM als weitaus schwieriger, im Rahmen des Militärs weiterhin transnationale sportbezogene Aktivitäten zu realisieren. Erst nachdem es sowohl in den internationalen Beziehungen als auch bei Sportgroßereignissen zu grundsätzlichen Veränderungen gekommen war, bestand die Möglichkeit, transnationale Sportgroßereignisse in einem umfassenderen, fast olympiaähnlichen Format durchzuführen. Der Werdegang der Military World Games, den die wissenschaftliche Forschung noch im Detail systematisch aufarbeiten muss, verlief langsam und beschwerlich und war nicht frei von Rückschlägen. Oftmals standen die Military World Games auch in einem Spannungsverhältnis zur weiteren Trainings- und Wettkampfplanung der Sportsoldaten mit zivilen Weltcupturnieren, Kontinentalund Weltmeisterschaften. Auf der anderen Seite boten sie Nachwuchsathleten eine willkommene Gelegenheit, Erfahrungen auf dem internationalen Parkett zu sammeln. Erst mit der Ausrichtung in den BRICS-Staaten gewann die Ausgestaltung der Wettbewerbe an Dynamik – bis hin zum vorläufigen Höhepunkt der siebten Military World Games in Wuhan, die das Event in neuen Größenordnungen katapultierte. Aus Sicht des CISM ging mit dieser Ausweitung aber eine Reduzierung der originären militärpolitischen Perspektive einher. Die nächsten Spiele, die in Bogota stattfinden sollen, werden eine Einschätzung erlauben, ob Wuhan nur eine Zwischenetappe oder bereits der Höhepunkt in der Ausgestaltung des Events war. Zu berücksichtigen gilt es dabei auch, dass der internationale Hochleistungssport erkennbar droht, an seine Grenzen zu stoßen. Mittlerweile finden in weit über 100 Sportarten transnationale Kontinental- und Weltmeisterschaften statt. Hinzu kommen transnationale Wettbewerbe mit Athleten unterschiedlicher Altersklassen: von Kindern und Jugendlichen bis hin zu Senioren. Schließlich beanspruchen auch noch auf bestimmte gesellschaftliche Gruppen spezialisierte transnationale Wettbewerbe wie Universiaden, Paralympics und Special Olympics, aber auch Events wie World Games, World Combat Games oder X-Games ihren Platz. Ob in diesem Reigen von Sportgroßereignissen die Military World Games weiterhin ihren Platz behaupten oder sogar noch ausbauen können, dahinter ist zumindest ein Fragezeichen zu setzen. Diese zurückhaltenden Prognosen sollten aber nicht den Blick auf die nicht nur militär-, sondern auch kulturgeschichtlich bedeutsamen Errungenschaften des transnationalen Militärsports versperren, deren Aufarbeitung noch am Anfang steht.

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II. Sport als Dienst – Der Alltag im Militär

Miriam Ködderitzsch-Frank

Sport- und Trainingskonzepte in der Bundeswehr Einordnung Im folgenden Text werden Sport- und Trainingskonzepte in der Bundeswehr aus sportwissenschaftlich-konzeptioneller Sicht beschrieben. Die Autorin rekuriert dabei immer wieder auf ihre Erfahrung als Leiterin des Sportbereichs an der Führungs­ akademie der Bundeswehr in Hamburg. Ausgehend von grundlegenden Sport- und Trainingskonzepten werden militärspezifische Konzepte vorgestellt und anschließend aktuelle Entwicklungstendenzen in der Bundeswehr im Generellen und an der Führungsakademie der Bundeswehr im Speziellen diskutiert. Autorin Miriam Ködderitzsch-Frank, Dipl.-Sportwissenschaftlerin, leitet das Fachzentrum Sport an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. Als ehemalige wissen­ schaftliche Mitarbeiterin an der Universität der Bundeswehr München, Leistungs­ sportlerin und Bundeswehroffizier verbindet sie Theorie und Praxis des Militärsports.

1. Wandel der Sport- und Trainingskonzepte in der Bundeswehr Seit Gründung der Bundeswehr ist Sport und Training zur Erhöhung der körperlichen Leistungsfähigkeit Teil des Ausbildungsprogramms der Soldatinnen und Soldaten. Allerdings hat es immer wieder Kritik an deren Trainingszustand sowie an den Trainingskonzepten in der Bundeswehr gegeben. So werden im Fachmagazin der Sportschule Warendorf aus dem Jahr 1999 unter anderem Mangel an Motivation, fehlende Dienstaufsicht, geringe bis keine Vorbereitung für Leistungstests oder der Ausfall zahlreicher Sportstunden kritisiert (Neisberger/Moggert/Hedrich 1999). Diese Kritik an der Sportpraxis in der Bundeswehr wirkt heute noch aktuell. Trotz der Pflicht zur Gesunderhaltung aller Soldatinnen und Soldaten und der konstatierten Bedeutung der körperlichen Leistungsfähigkeit für den Soldatenberuf gibt es in diesem Bereich Probleme, die auch vom Wehrbeauftragten immer wieder dokumentiert und bemängelt werden. Zahlreiche Konzepte und Programme der letzten Jahrzehnte, wie etwa das Programm 6 BX (six basic exercises), das Trainingsprogramm Grundausbildung, GAT (Gemeinsames Ausdauertraining), SSW (Soldatensportwettkämpfe), MilKo (Militärisches Konditionstraining) und AMiLA (Allgemeines Militärisches Aus­dauer­training) hatten zwar die Steigerung der kör-

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perlichen Leistungsfähigkeit und damit die Erhöhung der Belastbarkeit im Einsatz zum Ziel, begeisterten die Be­trof­fenen aber kaum oder konnten aufgrund anderer, höher priorisierter Aufgaben ihre Wirkung nicht entfalten. Sie wurden abgelöst durch die überarbeiteten Konzepte »Körperliche Leistungsfähigkeit« (KLF) und »Military Fitness«. Dieser Beitrag diskutiert vor dem genannten Hintergrund grundlegende Trainingskonzepte, die aktuellen Schwerpunkte der Sportausbildung und der Trainingsprogramme und er gibt einen Ausblick über die mögliche Weiterentwicklung des Sports in der Bundeswehr.

2. Sport und Trainingskonzepte in der Bundeswehr – heute Das Ziel der physiologischen Leistungsverbesserung besteht weiterhin darin, zuerst Grundlagenfitness aufzubauen, die Konzentrationsfähigkeit zu fördern und anschließend den Soldaten oder die Soldatin einsatznah vorzubereiten und körperlich zu fördern. Dazu werden die speziellen Fähigkeiten konkretisiert und geschult. Um die aktuellen Trainingskonzepte besser einordnen zu können, werden im Folgenden einige grundsätzliche Trainingsziele genannt, auf die physiologische und psychologische Verbesserungen abzielen: 1. Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit unter Berücksichtigung von Alterungsprozessen; 2. Resilienz als ressourcenschonende physische und psychische Eigenschaft, das eigene Leistungsvermögen zu bewahren; 3. Resistenz gegenüber widrigen Bedingungen und Einflüssen (z.B. Drogen, dauerhafter psychischer Druck, anhaltendes Stressempfinden); 4. Förderung eines positiven Sozialverhaltens (Teambuilding, zwischenmenschliche Kontakte, Kommunikation). Training bedeutet also nicht nur den Erhalt und die Verbesserung physiologischer, sondern auch psychologischer Parameter, wie beispielsweise gesteigerte Lebens­ qualität, Achtsamkeit, Lebensfreude durch Gesundheit, Fitness und positives Körpererleben. Durch Formen der Leistungsdiagnostik, persönliche Befra­gungen zum Gesundheitszustand und des Wohlbefindens oder durch Fitness-Scores (unter Berücksichtigung mehrerer Kriterien) lassen sich Trainingserfolge messen und für sich selbst wie auch im Leistungsvergleich verdeutlichen. Dies gilt generell für alle Soldatinnen und Soldaten, um das individuelle oder gruppenspezifische Leistungsvermögen festzustellen und auf dieser Grundlage ein spezifisches Trainingsprogramm zu entwickeln, das die grundsätzlichen Trainingsziele zu erfüllen hilft. Zur konkreten Umsetzung dieser prinzipiellen Forderungen werden in der aktuellen Zentralvorschrift A1-224/0-1 »Sport und Körperliche Leistungsfähigkeit« (BMVg 2017) als Minimum zweimal 90 Minuten Allgemeine Sportausbildung pro Woche für alle Soldaten vorgegeben, wobei die Steigerung bzw. der Erhalt der Körperlichen Leistungsfähigkeit sowie die Erfüllung der Leistungsnormen zur Überprüfung der Körperlichen Leistungsfähigkeit im Vordergrund stehen. Ein Abweichen von diesen Vorgaben ist nur aus zwingenden dienstlichen Gründen gestattet. In der



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Praxis erscheinen zahlreiche dienstliche Gründe als wichtig und begründen im jeweiligen Einzelfall ein Abweichen von den vorgegebenen Sportzeiten. Mag das in der Einsatzvorbereitung oder im Einsatz zutreffen, in der normalen Tagesroutine (Grundbetrieb) – insbesondere in Ämtern und Kommandobehörden – sollte der alltägliche Dienstbetrieb sportliche Betätigung angemessen berücksichtigen. Aus sportwissenschaftlicher Sicht gilt: Training ist ein Prozess, der von Regelmäßigkeit lebt!

2.1. Grundlegende Trainingsprinzipien Das Prinzip des langfristigen Trainingsaufbaus wird im Dienstalltag vielfach nicht gewährleistet. Beispielsweise werden bei den Zentren für Nachwuchsgewinnung nur die Trainierbarkeit des Teilnehmers festgestellt. Ob dieser dann wirklich vermehrt Sport treibt und auch ein gezieltes Training durchläuft, wird derzeit nicht umfassend erfasst. Die Durchführung des Sports und möglicher Trainings obliegt den einzelnen Einheiten. Die Teilnahme- und Bestehensquoten des Basis-Fitness-Tests (BFT) müssen zwar regelmäßig gemeldet werden, aus den Meldungen resultierende Maßnahmen werden jedoch selten angeordnet. Die querschnittliche Teilnehmerquote am BFT in der Bundeswehr beträgt, so der Eindruck aus Gesprächen mit den Soldaten und bei Sportlehrertagungen an der Sportschule in Warendorf, bestenfalls ca. 60  Prozent, obwohl jeder Soldat ohne Probleme diesen ablegen können müsste. Es zeigt sich, dass für den BFT nicht angemessen trainiert wird, er ist lediglich einmal jährlich zu absolvieren. Das Ziel der Zentralvorschrift, die Körperliche Leistungsfähigkeit zu steigern, wird also selten umgesetzt. Das Ablegen und Erfüllen der Leistungen des Deutschen Sportabzeichens ist in der Bundeswehr nicht mehr bindend. Somit entfällt ein Mittel der Messbarkeit der Körperlichen Leistungsfähigkeit bzw. möglicher Trainingsbedarfe. Gemäß den Rückmeldungen der Truppenärzte erfolgen gehäuft Ermüdungsbrüche nach langen Märschen, da die Teilnehmenden nicht mehr richtig darauf vorbereitet werden. Dies gehört zur Individuellen Grundfertigkeit (IGF)/ Leistung und wird in den meisten Fällen ohne Training und Vorbereitung durchgeführt. Es gibt aktuell noch zwei Kriterien, bei denen physiologische Leistungsfähigkeit (BFT) und psychologisches Wohlbefinden (z.B. durch das Verfahren AIGScreen) objektiv messbare Verfahren darstellen. Grundsätzlich können Koordination und Beweglichkeit durch Training enorm verbessert werden. Dies ist für nahezu alle Tätigkeiten von großer Bedeutung, aber auch hinsichtlich zunehmender Schreibtischtätigkeiten in der Bundeswehr steigt das sportspezifische Trainingsbedürfnis als ein wichtiger Anteil zum Erhalt der Körperlichen Leistungsfähigkeit, um eintönige Bewegungen mit geringer körperlicher Beanspruchung auszugleichen. Der steigende Bedarf an sportlichem Ausgleich in diesem Bereich drückt sich zum Beispiel in den Kategorien »Fit am Arbeitsplatz« sowie »Tipps und Tricks« für sitzende Tätigkeiten aus, welche die Ausführungen zu Sport und Gesundheit in der Bundeswehr im Internet anführen (https://www.bun deswehr.de/de/aktuelles/schwerpunkte/sport-gesundheit-bundeswehr vom 8.2.2021). Für Soldatinnen und Soldaten sind darüber hinaus die Verkürzung von Reaktionszeiten sowie allgemein verfeinerte koordinative Fähigkeiten und eine Verbesserung der Bewegungsamplitude wichtige Kriterien, um einsatzfähig zu bleiben.

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Darauf aufbauend lässt sich ein ganzheitliches Training formen, bei dem auch eine entsprechende Technik- und Taktikschulung durchgeführt wird, um Verletzungen möglichst gering zu halten. So wirkt sich ein reines Krafttraining zur Stabilisation, ohne jedoch die Beweglichkeit zu trainieren, nicht förderlich auf eine funktionale Ausbildung der Muskulatur und hohe koordinative Leistungen aus. Dehnung wird oft vernachlässigt, der Kraftanteil aber stetig erhöht. Es sollte weniger auf Masse trainiert werden, sondern das Gleichgewicht zwischen athletischer funktionaler Muskulatur und Körpergewicht sollte stimmig sein. Die folgende Übersicht (Tabelle 1) systematisiert zur Veranschaulichung einige Trainingsprinzipien, sortiert nach Anpassungsauslösung, Anpassungssicherung und Anpassungssteuerung. Tabelle 1: Trainingsprinzipien und ihre Wirkung Prinzip des trainingswirksamen Reizes Prinzip der progressiven Belastung; allmählich, sprunghaft Prinzip der Variation der Trainingsbelastung Prinzip der wechselnden Belastung

Anpassungsauslösung

Prinzip der optimalen Gestaltung von Belastung und Erholung Prinzip des langfristigen Trainingsaufbaus Prinzip der Wiederholung und Kontinuität Prinzip der Periodisierung und Zyklisierung

Anpassungssicherung

Prinzip der Individualität und Altersgemäßheit Prinzip der zunehmenden Spezialisierung Prinzip der regulierenden Wechselwirkung einzelner Trainingselemente

Anpassungssteuerung

Anmerkung: in Anlehnung an Bleeke (2011).

Hinsichtlich der Anpassungsauslösung kann der trainingsspezifische Reiz nur dann wirken, wenn das Training ca. alle drei Wochen so umgestaltet wird, dass Anpassung und Reiz sich immer wieder gegenseitig bedingen. Erhöhung der Dichte, der Dauer oder des Umfangs (Stärke und Häufigkeit), aber auch des Schwierigkeitsgrades von Training helfen eine Variation herbeizuführen und den Körper immer wieder neu zu fordern. Für das Prinzip der Kontinuität (als Teil der Anpassungssicherung) lässt sich als Beispiel das Anti-Air-Sickness Training für Jetpiloten anführen. Die entsprechenden Spacecurl-Geräte in Königsbrück dienen der Leistungsfeststellung (Zentrifuge), aber auch dem spezifischen Training (z.B. Überschlagsschaukel/ Spacecurl). Der Athlet – in dem Fall der Pilot – hat aber durchschnittlich zu wenig Flugstunden oder die Möglichkeit eines gezielten Trainings im Spacecurl, sodass sich sein Gleichgewichtsapparat kaum den Umständen entsprechend anpassen kann.1 Die Reize sind zu hoch und zu lange voneinander getaktet. Aufgrund von Einsparungsmaßnahmen ist ein angemessenes Training oft nicht möglich. Den 1

Würde ein Kunstturner nur zweimal im Jahr einen Doppelsalto springen, dann hätte er in der Luft keinerlei Orientierung.



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Zusammenhang zwischen Trainingsreiz und Anpassungsverhalten, wie er anhand dieses Beispiels verdeutlicht wurde, systematisiert Tabelle 2. Tabelle 2: Zusammenhang zwischen Reiz und Anpassung Reizart

Anpassung

Praxis

unterschwellig (zu niedrig) spezifisch richtig (passend) überschwellig (zu hoch)

Unteranpassung (zu geringe Belastung) optimale Anpassung (wirksame Belastung) Überanpassung (zu hohe Belastung)

hoher Trainingsumfang bei geringer Intensität Trainingsumfang, Intensität und Pausen sind abgestimmt hoher Trainingsumfang und Intensität, zu geringe Pausen

Anmerkung: in Anlehnung an Lüttecken (2020).

Die Reizart (im Beispiel des Jetpiloten die Irritation des Gleichgewichtsinns) ist in Abhängigkeit von der angestrebten Anpassung zu beurteilen. Der Reiz kann zu niedrig angesetzt sein (unterschwellig), dann führt das Anpassungsverhalten, trotz hohen Trainingsumfangs, zu einer Unteranpassung – das angestrebte Ziel wird nicht erreicht. Umgekehrt ist bei zu hoher Reizexposition eine Überanpassung zu erwarten, die zu Ermüdung oder Überlastung führt. Nur im Bereich förderlicher Reizdarbietung sind Trainingsumfang, Intensität und Pausen so aufeinander abgestimmt, dass es zu einer wirksamen Belastung und damit zur optimalen Anpassung kommt. Hier wirkt das Training am besten. Grundlage eines optimierten Trainings sollte ein geeignetes Diagnosemodell sein, das zumindest eine Bioimpedanzanalyse2 beinhaltet, einen Test für sämtliche konditionelle Faktoren wie beispielsweise einen Motoriktest, Koordination und Beweglichkeit. Diese werden momentan kaum in der Sportpraxis der Bundeswehr ermittelt. Kraft, Schnelligkeit und Ausdauer werden annähernd (jedoch nicht umfassend) vom BFT abgefragt. Training umfasst in diesem Sinn einen Ist- und Soll-Zustand, aber auch eine angemessene (z.B. statistische) Erhebung der Veränderung, denn sonst lässt es sich nicht verbessern oder für den Teilnehmer optimieren. Abgesehen von äußeren physischen Faktoren ist es aber wichtig, die Soldatinnen und Soldaten da abzuholen, wo sie wirklich stehen, und dabei kommt es auch auf das psychische Befinden und den Anspruch des Individuums an sich selbst an. Es ist zu klären, ob der Sport der Gesunderhaltung oder der Steigerung der Einsatzfähigkeit dient, ob er einen persönlichen Ausgleich darstellt oder wettkampforientiert ist. Zur Verbesserung des Leistungsaufbaus durch einen Trainingsreiz hat sich insbesondere das Konzept der Superkompensation durchgesetzt: Um eine ideale Anpassung der Erholungszeit im Sinne eines größtmöglichen Trainingserfolges (vgl. Olivier/Marschall/Büsch 2008) zu erhalten, sollte der Trainingsplan so strukturiert sein, dass mindestens drei- bis viermal pro Woche effektiv trainiert wird. Dabei sollten die Themen des Trainings hinsichtlich Belastung und Entspannung richtig aufeinander abgestimmt sein. Die Zusammensetzung eines umfassenden Trainings 2

Bei der Bioimpedanzanalyse werden Zellvitalität und Körperzusammensetzung gemessen.

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nach den entsprechenden Trainingskomponenten in Verbindung mit entsprechenden Methodenbeispielen zeigt Tabelle 3. Tabelle 3: Trainingskomponenten Trainingskomponenten

Methodenbeispiele

Ausdauer

Dauermethode (kontinuierlich vs. variabel) Intervallmethode (extensiv/intensiv/wiederholend) Wettkampfmethode Kontrollmethode

Kraft und Koordination

Muskelaufbau Koordination Schnellkraft Kraftausdauer

Schnelligkeit

Wiederholdungsmethode Intenisve Intervallmethode

Technik und Taktik

Ideometrische Methode Bewegungslernen

Anmerkung: in Anlehnung an Lüttecken (2020).

Eine weitere Trainingsmethode sieht vor, isoliert zu trainieren und dafür täglich, beispielsweise Beintraining an einem Tag, Armtraining am nächsten Tag. Dennoch sollte ein Ganzkörpertraining nicht vernachlässigt werden, um Agonist und Antagonist gleichermaßen zu schulen, Funktionszusammenhänge zu trainieren und Haltungsschäden vorzubeugen. Einzelne Trainingseinheiten gliedern sich nach Lüttecken (2020) dabei jeweils in einen einleitenden Teil, einen Hauptteil und den Schlussteil (Ausklang). Die Einleitung (Aufwärmen) dient der mentalen Einstimmung, der Muskelerwärmung und der Stoffwechselanpassung durch grundlegende Gymnastikübungen oder Spielformen. Der Hauptteil soll den bisher erreichten Trainingszustand stabilisieren oder weiterentwickeln, wobei die angesprochenen Trainingskomponenten (Tabelle 2) zu berücksichtigen sind. Der Ausklang soll die Regenerationsvorgänge einleiten und zum generellen Funktionszustand zurückführen (kleine Spiele, Auslaufen, Nachdehnen usw.). Generell gilt, dass bei einem konstanten Training über einen definierten Zeitraum hinweg beeindruckende Trainingsergebnisse hinsichtlich einer prozentualen Leistungssteigerung erreicht werden (Bertina/van Djk 1999: 12): – Aerobe Fitness 20‑30 % – Muskelkraft 30‑40 % – Muskelausdauer 50 % und mehr. Wie adaptiv ein Athlet ist, ob er oder sie geeignet ist (oder in jemandem gar »ein Talent« schlummert) und mit welchem Alter regelmäßiger Sport begonnen wurde, sind ebenfalls wichtige Einflussfaktoren. Ernährung, ausreichender Schlaf und



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Bewegungsfreude sind trainingsbeeinflussende Verhaltensweisen und Rahmen­ bedingungen. Sie sollten bei der Erstellung individueller Trainingspläne nicht außer Acht gelassen werden. Darüber hinaus kommt der Vorbildfunktion von Vorgesetzten für einen zielgerichteten Trainingsprozess erhebliche Bedeutung zu. So soll der oder die Vorgesetzte im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) im jeweils unterstellten Bereich als selbst motivierte/r Sporttreibende/r immer auch Vorbild der Soldatinnen und zivilen Mitarbeiter sein. Im Führungskräftetraining an der Führungsakademie der Bundeswehr ist besonders darauf zu achten, dass die Teilnehmenden im zweijährigem Lehrgang auch körperlich so fit wie möglich werden, denn in dieser Zeit haben sie die Möglichkeit, gezielt Trainingskenntnisse aufzubauen, um diese später als Vorgesetzte in ihrem unterstellten Bereich weiterzugeben.

2.2. Das Stufenmodell der Körperlichen Leistungsfähigkeit Die Motive, warum ein Mensch Sport treibt und ein Training durchläuft, sind einerseits altersspezifisch und andererseits von ästhetisch-wertenden Komponenten abhängig (die sich als Neigung ausdrücken, bestimmte Sportarten auszuüben). Wenn die Bewerber zur Bundeswehr kommen, sind die für die Ausprägung bestimmter sportmotorischer Leistungsfaktoren günstigen Entwicklungsabschnitte (die sogenannten sensiblen Phasen: Lüttecken 2020) schon weitestgehend abgeschlossen. Eine Verhaltensänderung zu erzeugen und mehr Sport zu treiben, ist zwar eine große Herausforderung, aber nicht unmöglich. Bei Personen über 40 Jahre spielt die Gesundheit eine immer größere Rolle, obwohl präventiv eigentlich schon im Alter von 30 Jahren mit einem gesundheitsförderlichen Training begonnen werden sollte. Damit der Athlet sich durch Training optimal entfalten kann, sind natürlich auch die Rahmenbedingungen wichtig: Motivation, Familie, Trainer, Trainingsbedingungen, Arbeitsumfeld usw. Die Entwicklung der Körperlichen Leistungsfähigkeit (KLF) in der Bundeswehr sowie für Sport und Militärische Fitness folgt den Vorgaben der Zentralvorschrift A1-224/0-1 (BMVg 2017). Die KLF wird über drei Stufen entwickelt: Basisfitness (Kraft, Ausdauer, Koordination), Soldatengrundfitness und Funktionsfitness. Man unterscheidet die eher grundlagen- und fähigkeitsorientiert ausgerichtete »Allge­ meine Sportausbildung« sowie das »Militärische Fitnesstraining«. Bei der Militäri­ schen Fitness geht es um spezifische militärische Anforderungen, wie etwa das Überwinden schwieriger Hindernisse in unwegsamem Gelände, das entsprechend trainiert wird. Die Trainerausbildungen der Bundeswehr sind daher entsprechend unterteilt (Weseloh 2016). Unterrichtet wird dies unter anderem durch die Fach­ sportleiter KLF oder durch Soldaten der Sportfördergruppe. Generell sollte sich das Training immer in Grundlagentraining, einsatzspezifisches Training und stabilisierendes oder Ausgleichstraining aufteilen. Hinsichtlich des Grundlagentrainings wurde seit 2019 der Zeitansatz für Sport und Körperliche Leistungsfähigkeit im Heer (als größter Organisationseinheit der Bundeswehr) von 70 auf etwa 110  Stunden erhöht. Nach einem Eingangstest zu

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Beginn der Grundausbildung erfolgt eine Einteilung der Rekruten in drei Leistungs­ gruppen, in denen fortan individuell die körperliche Leistungsfähigkeit trainiert und erhöht wird (Möckel 2019). Damit reagierte das Heer auf die zunehmende Differenz zwischen Sportlichkeit der Bewerber und Anforderungen des militärischen Dienstes. So erhöhte sich im Konzept »Infanterist der Zukunft« die Tragelast eines einzelnen Soldaten auf über 50 Kilogramm. Umso wichtiger sind daher hohe körperliche Fitness, die Ausdauer, Kraft und Stabilität schafft.

3. Besondere Sport- und Trainingskonzepte Im Folgenden sollen einige besondere Trainingskonzepte kurz erläutert werden. Es handelt sich hierbei um eine Auswahl, die unterschiedliche Anforderungen an Trainingskonzepte verdeutlicht.

3.1 Military Fitness Das Konzept »Military Fitness« (MilFit) hat zum Ziel, die soldatischen Fähigkeiten im Rahmen der Körperlichen Leistungsfähigkeit zu trainieren. Der wesentliche Unterschied zur Sportausbildung besteht darin, dass während des Trainings Uniform getragen wird, das ist im Allgemeinen der Feldanzug. Des Weiteren werden »soldatentypische Tätigkeiten« trainiert, so das Tragen von schweren Gegenständen, der Transport von verletzten Kameraden, das Überwinden von Hindernissen. Hierdurch wird nicht nur die Körperliche Leistungsfähigkeit an sich, sondern auch die einsatznahe Bewegung und Belastung trainiert. Das Training erfolgt durch speziell ausgebildetes Personal, die entsprechenden Lehrgänge werden an der Sportschule der Bundeswehr in Warendorf durchgeführt. Folgende Disziplinen sind Teil des Military-Fitness-Eingangstests und hintereinander mit maximal 60 Sekunden Pausen zu absolvieren: 800-Meter-Lauf, Munitionsstemmen, Bewegung auf dem Gefechts­feld. Das MilFit-Training unterscheidet sich von den hier dargestellten anderen Trainingsformen durch die Entwicklung der Problemlösungsfähigkeit. So simuliert der 800-Meter-Lauf im Sporttest das rasche Überqueren einer mittleren Distanz auf einem Gefechtsfeld. Um ein einheitliches Auswerten der Ergebnisse zu gewährleisten, findet die Zeitmessung auf einer genormten Laufbahn oder einer geraden Strecke statt. Zur Entwicklung der Problemlösungsfähigkeit sind insbesondere Bewegungsökonomie und Verletzungsprophylaxe von zentraler Bedeutung: Trainiert wird ein ressourcenschonendes und die körperliche Widerstandsfähigkeit förderndes Bewegungshandeln. Handlungszuverlässigkeit spielt hierbei eine große Rolle und ist nicht nur für militärischen Spitzensport (z.B. Fallschirmzielspringen), sondern grundsätzlich für die Militärische Fitness von Bedeutung (Kunkel/Elbe 2012). Es bedarf sowohl einer mentalen Repräsentation der Bewegungsanforderungen (z.B. auf dem Gefechtsfeld) als auch der Bewegungsabläufe, wobei Antriebs-, Ausführungsund Zustandsregulation die körperlich und mental leistungsbestimmenden Faktoren sind. Für den mobilen Einsatz gibt es zur Trainingsunterstützung reichlich mit Equipment ausgestattete Fitnesscontainer (Abbildung 1).



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Abbildung 1: Prototyp einer mobilen Trainingsstation für Soldatinnen und Soldaten während der Erprobungsphase an der Universität der Bundeswehr München, Dezember 2015.  Bundeswehr

Mobile Fitnesscontainer kommen insbesondere im Auslandseinsatz zur Anwen­ dung. Dort zielen Sportprogramme auf den Erhalt der erforderlichen Fähigkeiten ab, die von den Soldaten in ihren jeweiligen Funktionen verlangt werden. Neben der Military Fitness spielen die jeweiligen Einsatzbedingungen eine besondere Rolle. Somit sind die Sportprogramme für die jeweiligen Einsätze individuell anzupassen bzw. festzulegen. Digitales oder online basiertes Training sind in manchen Regionen möglich, jedoch (aus Sicherheitsgründen) nicht in allen. Die Verbindung zu anderen Nationen im Einsatz und der sportliche Austausch prägen dabei das Kohärenzgefühl und helfen, mental stark zu bleiben.

3.2 Sport für fliegendes Personal Fliegendes Personal ist grundsätzlich sehr hohen Belastungsspitzen ausgesetzt. Der personelle Umfang für das Training des fliegenden Personals ist daher am größten: Fliegerarzt, Psychologe, Physiotherapeut und Sportwissenschaftler dienen zur Betreuung einer einzigen Person. Da die Ausbildung von Piloten sehr umfassend ist und hohe Kosten verursacht, unternimmt der Arbeitgeber Bundeswehr für die Betreuung und das Training speziell dieser Personengruppe sehr viel. Intern unterscheidet sich die Intensivbetreuung jedoch noch einmal, und zwar existiert bei den Piloten eine Art Betreuungshierarchie: Ganz oben in dieser Hierarchie stehen Jetpiloten, gefolgt von Hubschrauberpiloten, erst dann kommen alle anderen Piloten (z.B. Flugbereitschaft, Seefernaufklärer). Mithilfe von Diagnos Med erhalten die Piloten ein Training für die Rumpf- und Halsstabilisation. Dieses Training setzt sich aus zwölf Einzelübungen in unterschiedlichen Ebenen zusammen. Am Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin wird die grundlegende Leistungsdiagnostik durch-

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geführt. Hier wurden bisher Maximalkraft und Kraftausdauer ermittelt. Anhand einer Datenbank können dann Aussagen bei Erstbewerbern und Anwärtern des fliegerischen Dienstes getätigt werden, die über den aktuellen Leistungszustand der Haltemuskulatur informieren. Ebenfalls stellt dies ein Kriterium für Bestehen oder Nichtbestehen dar. Um diese etwas veraltete Messmethodik zu verbessern, werden immer wieder neue Verfahren überprüft, die kürzer und aussagekräftiger sind. Auf Grundlage des Konzeptes der »Human Performance Enhancement im Fliegerischen Dienst der Bundeswehr« aus dem Jahr 2012 erweitern vor allem Sport­ wissenschaftler und Physiotherapeuten mit ihrer fachlichen Kompetenz die Fähig­ keiten im Team Flugmedizin. Im Verbund mit Fliegerarzt, Flugmedizinischem Assistenten und Fliegerpsychologe entsteht so eine fachkompetente Teileinheit, deren Auftrag darin besteht, durch ganzheitliche Betreuung den Aufbau sowie den langfristigen Erhalt von Gesundheit und Leistungsfähigkeit des fliegenden Personals sicherzustellen (Redaktion »Der Kranich« 2020). In jedem Verband erfolgt seitdem jährlich ein ganztägiger Eingangstest, bei dem fliegerärztliche, sportwissenschaftliche und physiotherapeutische Tests durchgeführt und personenbezogen interpretiert werden. Im Patientengespräch werden die Ergebnisse besprochen sowie ein ganzheitlicher Therapie- und Trainingsplan entwickelt. Koordinationstraining, Funktionelles Ausgleichstraining, Krafttraining, Wirbelsäulen- und Ausdauertraining sowie Manuelle Therapie, Massagen, Elektrotherapie, Krankengymnastik und Mobilitätstherapie sind dabei verordnete und empfohlene Maßnahmen, die eine Verbesserung der heit und Leistungsfähigkeit hervorrufen sollen. Die Umsetzung solcher Gesund­ Maß­nahmen erfolgt durch Einzelbehandlungen des Physiotherapeuten sowie durch individuelle Kleingruppentrainings durch den Sportwissenschaftler, welche in den Dienst­ plan integriert werden und mindestens zweimal täglich stattfinden. Der Schwerpunkt liegt auf dem Funktionellen Training mit eigenem Körpergewicht und Kleingeräten. Aber auch Gehirnfitness, Entspannungs- und Konzentrationstrainings, Gewichtsoptimierung oder Gesundheitserziehung sind wesentliche Themen der Gesundheitsfürsorge. Wenn der Körper aufgrund äußerer Einflüsse nicht mehr in der Lage ist zu reagieren, dann wird dadurch auch die Hirnfunktion beeinträchtigt und damit zugleich Handlungssicherheit sowie Kommunikation (z.B. Befehlsgebung). Ein Beispiel dafür wären Jetpiloten unter extremen Beschleunigungsbelastungen. Hauptaugenmerk wird deshalb auf ein ausgewogenes Verhältnis von Wirbelsäulenund Rumpfmuskulatur, aber auch von Koordination und Gleichgewicht gelegt. Darüber hinaus wird eine individuelle Trainingsplanung und Ernährungsberatung angeboten, um Kenntnisse aus den Bereichen Sportmedizin zu vermitteln. Hierzu sollen jährlich spezielle Workshops angeboten werden, die neben dem fliegenden Personal auch andere Soldaten des Verbandes erreichen sollen. Moderne Trainingsund Therapiemethoden, insbesondere aus den Bereichen Functional Training, High Intensive Training (HIT), Flyers Coordination, Core-, Gleichgewichts- und Faszientraining, werden so zielorientiert und innovativ umgesetzt.



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3.3 Sport an Bord seegehender Einheiten Die Deutsche Marine mit den seegehenden Einheiten stellt einen »sportlichen Sonderfall« dar. Liegt die Einheit im Hafen, können die regulären Sportanlagen und -einrichtungen des Stützpunktes genutzt werden. Ist die Einheit auf See, müssen die Soldaten ebenfalls die Möglichkeit bekommen, ihre körperliche Leistungsfähigkeit aufrecht zu erhalten. Auf den größeren Einheiten können die Soldaten in Sporträumen mit entsprechenden Sportgeräten ihre körperliche Leistungsfähigkeit trainieren. Die Flugdecks der Korvetten, Fregatten und Einsatzgruppenversorger stellen eine, für die Bedingungen auf See, gute Laufmöglichkeit dar. Gerade der Einsatzgruppenversorger bietet sich für Lauftrainings an, entspricht doch eine Runde über das Oberdeck mit ca. 400 m einer normalen Sportrunde. Dass dabei der eine oder andere Höhenmeter zurückgelegt werden muss, weil der Weg nicht auf der gleichen Ebene verläuft, unterscheidet das Schiff vom Sportplatz an Land. Auch auf kleineren Einheiten existiert eine eingeschränkte Auswahl an Sportgeräten, hier muss der Sport im Schwerpunkt mit einfachen, platzsparenden Mitteln durchgeführt werden. Wo dies nicht möglich ist, ist entweder Kreativität gefragt oder die priorisierte Durchführung von Sport während der Hafenliegezeiten erforderlich. Neben den zum Teil beschränkten Platzverhältnissen an Bord stellt der Seegang eine besondere Herausforderung dar. Die an Bord vorhandenen Sportgeräte sind in ihrer Nutzung ebenso von den Witterungsbedingungen abhängig wie die Sportprogramme – ab einer gewissen Wellenhöhe bzw. aufgrund der infolge des Seegangs erzeugten Bewegung des Schiffes ist die Durchführung des Sports aus Sicherheitsgründen nicht möglich. So bleibt in gewissen Seegebieten und zu bestimmten Jahreszeiten nur die Möglichkeit, im Hafen Sport zu treiben. Nebenamtliche Sportoffiziere sind an Bord der seegehenden Einheiten für die Koordination und Organisation des Dienstsports zuständig. Sie werden durch sportaffine Soldatinnen und Soldaten bei dieser Aufgabe, ebenfalls nebenamtlich, unterstützt.

3.4 Sport für Truppen mit besonderer Anforderung Für Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK), Kampfschwimmer und Minentaucher sind die körperlichen Anforderungen aufgrund ihres Auftrags und ihrer Arbeitsweise extrem hoch. Sie müssen in allen Bereichen der körperlichen und auch psychischen Leistungsfähigkeit exellent trainiert sein. Die Trainingsprogramme orientieren sich an den geforderten Fähigkeiten, sodass die Soldaten ihre Aufgaben erfüllen können. Hier gibt es entsprechende Leistungstabellen, wie lange ein Athlet beispielsweise die Luft anhalten können sollte, Trainings zur Orientierung unter Wasser, Arbeitsprozesse unter Wasser und mit künstlich erzeugtem Stress. Streckentauchen und Tieftauchen, aber auch Übungen wie Gewichte schleppen unter Wasser stehen auf dem Trainingsplan. Die Tauchgänge sind zeitlich und in ihrer Abfolge begrenzt, aber ohne vorherige Konditionierung des Organismus schwierig. Daher muss ein langfristiger Trainingsaufbau erreicht werden, um, wie bei den Piloten, den Soldaten an die Bewegungsvariablen (Luft und Wasser) anzupassen. Besonderen Herausforderungen sehen sich auch die Ge-

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birgs­ jäger im Sommer- und Winterkampf im Gebirge ausgesetzt, insbesondere wenn beispielsweise bei einer Militärpatrouille im Schnee die Fortbewegung auf Skiern notwendig ist oder ein Verwundetentransport mit Rettungsschlitten durchgeführt werden muss. Für alle Truppengattungen mit besonderen Anforderungen sind auch Nahkampftechniken mit erhöhter Intensität zu trainieren. Das gilt insbesondere für die Feldjägertruppe, wobei zwischen Grundtechniken und speziellen Einsatztechniken zu unterscheiden ist, die mittels Trainingsprogrammen aus dem Kampfsport angesprochen werden. Die Sportstätten für diese besondere Klientel werden ständig angepasst und modernisiert. Neue Trendsportarten und verbessertes Equipment ergänzen das Trainingsprogramm. Auch die Digitalisierung im Sport mit Serious Games schreitet hier immer mehr voran.

3.5 Sport in der Prävention, Therapie und Rehabilitation Innerhalb der Bundeswehr gibt es zahlreiche Programme zur Prävention, Therapie und Rehabilitation. Dies gilt hinsichtlich der Verhaltensprävention im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements in allen Bereichen, aber auch für Programme zur Therapie spezifischer Krankheitsbilder oder zur Wiedereingliederung von Soldatinnen und Soldaten (Rehabilitation). Dies soll anhand von zwei Beispielen demonstriert werden: – Das Adipositasprogramm der Bundeswehr (AiPBw) wurde zuerst an der Sportschule in Warendorf durchgeführt und dann ans Zentrum für Luft- und Raum­ fahrtmedizin verlagert. Im Rahmen dieses Programms wurde zuerst eine initiale Risikoeinschätzung und Anamnese durchgeführt, auf deren Grundlage die Adipositasintervention mit ernährungs- und sportmedizinischen Anteilen erfolgte. Ziel waren die Reduzierung von Risikofaktoren (z.B. Hypertonus, Diabetes mellitus  II) und des Körpergewichts sowie die Erhöhung der körperlichen Leistungsfähigkeit. Das Programm wurde ambulant und lehrgangsgebunden mit einer Dauer von 18 bis 24 Monaten angeboten und ermöglichte, nach erfolgreicher Gewichtsreduktion, eine Stabilisierung des Körpergewichtes (Sammito 2012). Während der Corona-Pandemie wurde das Programm nicht angeboten. – Sportspezifische Präventions-, Therapie- und Rehamaßnahmen finden auch am Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr in Zusammenarbeit mit Sportwissenschaftlern der Sportschule der Bundeswehr Warendorf statt. Hier werden sowohl physische als auch psychische Beeinträchtigungen behandelt, wobei die »Umgebung der Sportschule mit ihren hervorragenden Sportstätten [und] die Integration behinderter Patienten in einer gemeinsamen Therapiegruppe mit Soldaten der Spezialkräfte oder mit Spitzensportlern helfen, die Behinderung nicht nur zu ertragen, sondern neue Wege zu gehen und damit ein Leben in Autonomie und Würde als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft wiederzugewinnen« (Bundeswehr 2020).



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3.6 Freizeitsport und Sport in Neigungsgruppen Das Sportangebot innerhalb der Bundeswehr soll für alle Militärangehörigen attraktiv sein. Nach der Zentralvorschrift A1-224/0-1 »Sport und Körperliche Leistungsfähigkeit« (BMVg 2017) sind Freizeitsport und Sport in Neigungsgruppen zu fördern. Das bedeutet, dass freiwilliger Sport außerhalb der Allgemeinen Sport­ ausbildung zusätzlich durchgeführt werden kann, sowohl innerhalb der Rahmen­ dienstzeit als auch außerhalb des Dienstes, wobei es in beiden Fällen der vorherigen schriftlichen Genehmigung des Disziplinarvorgesetzten bedarf, wenn der Sport innerhalb der militärischen Anlagen oder während des Dienstes ausgeübt wird. Ausschlaggebend sind in diesem Zusammenhang die jeweilige Sportneigung des Soldaten oder der Soldatin und die Wahlangebote im Rahmen des Dienstsports (manche Sportarten und -angebote bedürfen schlicht einer besonderen personellen/materiellen Ausstattung, die nicht oder nicht überall geboten werden kann). Attraktivität heißt, dass alle Sportarten unterstützt werden, die kein übermäßiges Verletzungsrisiko aufweisen. Dies gilt auch für Trendsportarten; Risikosportarten sollten allerdings gemieden werden. Somit ist dem Soldaten ein sehr vielfältiges Training über die Neigungsgruppen vor Ort und die Zusatzangebote möglich. Der Sport­förderverein an den Universitäten bietet ein zusätzliches Spektrum ausgewählter Sportarten, wie beispielsweise Reiten, Segeln, Tauchen oder Fechten, um nur einige zu nennen, deren Ausrüstung und Erstanschaffung sehr teuer sind, die jedoch aufgrund der Vereinsstruktur zusätzliche Unterstützungsmöglichkeiten für Teil­ nehmende bieten.

3.7 Spitzensport (Sportfördergruppen) Dem Spitzensport in der Bundeswehr ist ein eigenes Kapitel in diesem Band gewidmet (Hahn/Schönherr 2021), hierauf muss nicht weiter eingegangen werden. An dieser Stelle sei aber darauf hingewiesen, dass im Rahmen des Programms zur Professionalisierung der Sportausbildung (eingehend dazu Klix in diesem Band) angestrebt wird, die in den Sportfördergruppen vorhandene Expertise auch nach der Zeit des Hochleistungssports in der Bundeswehr einzusetzen und die sportliche Betreuung der Soldaten damit zu verbessern (Möckl 2019). Damit kann sowohl die sportliche Expertise, als auch die authentische Erfahrung individueller Exzellenz in den Dienstalltag im Rahmen des Sports integriert werden. Dies gilt partiell bereits für Lehrgänge, bei denen Soldatinnen und Soldaten, die zu Übungsleitern weitergebildet werden, Trainingseinheiten gemeinsam mit Sportsoldaten der Sport­ för­der­gruppen absolvieren. Ein weiteres Feld der Integration von Spitzensport und anderen Bereichen des dienstlichen Sportes (hier Rehasport nach Verletzung oder Traumatisierung) findet sich im Rahmen der Invictus-Bewegung und des paralympischen Sports.

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4. Sport und Trainingskonzepte – ein Blick in die Zukunft 4.1 Generelle Tendenzen Aktuell genutzte Sportkonzepte der Bundeswehr streben nach Professionalisierung und Leistungssteigerung. Darüber hinaus wird versucht, eine weitgehende Speziali­ sierung körperlicher und geistiger Leistungsfähigkeit zu fördern. Im Folgen­den seien einige Programme angeführt, die künftige Entwicklungen mitbestimmen werden. – Human Enhancement: Unter diesem Begriff werden Ansätze zur Verbesserung des Menschen zusammengefasst. Ziel ist die deutliche Erhöhung seiner physischen und psychischen Leistungsfähigkeit. Dies betrifft sowohl biochemische Ansätze wie auch ernährungsbasierte Leistungssteigerung, genetische Leistungssteigerung (»Gendoping«), elektronische oder magnetische Hirnstimulation, Exoskelette (Außenskelet als Stützstruktur und Leistungsverstärkung), Human-Biomo­ni­to­ ring (Überwachung körperlich-physikalischer Parameter, z.B. von Blut, Harn, Haaren), Augmented Reality (computergestützte Erweiterung der Realitäts­ wahr­nehmung) usw. (Vergin et al. 2013). Viele dieser Ansätze sind aus dem jeweiligen Einsatzgebiet heraus zu beurteilen. So kann ernährungsbasierte Leistungssteigerung nach einer Krankheit sinnvoll sein, im Spitzensport trifft dies allerdings auf die Normvorstellung des Dopingverbots. – Human Performance Enhancement and Optimisation: Hierbei handelt es sich um ein von Deutschland geleitetes Projekt (Führungsakademie der Bundeswehr und German Institute for Defence and Strategic Studies, GIDS), das durch den Einsatz von Technologie, durch Pharmakologie, synthetische Biologie und durch die körperliche sowie geistige Optimierung von Soldaten und Soldatinnen die Leistungsfähigkeit verbessern soll (Westkirchner 2019). – Beim Medical Modular Approaches Employment wird unter Leitung der Tschechi­ schen Republik untersucht, wie sich die medizinische Einsatzversorgung standardisieren und optimieren lässt (Westkirchner 2019). – Das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) bedarf der Weiterentwicklung der drei Säulen des BGM (Betriebliche Gesundheitsförderung, Arbeits- und Gesund­heitsschutz sowie Führung und Organisation). Die technischen Entwicklungen, insbesondere aber die Digitalisierung führen dazu, dass die Menschen heute immer weniger Bewegungsanforderungen ausgesetzt sind, die sie – wenn sie motorische und gesundheitliche Einschränkungen vermeiden wollen – durch zusätzliche Bewegung ausgleichen müssen. Wir müssen trainieren, sonst bauen wir ab. Das gilt für uns alle, je weiter wir uns aber in unseren Anforderungen von der natürlichen Umgebung und Belastung entfernen, desto mehr. Ein besonderes Beispiel beschreibt der Astronaut Alexander Gerst in einem Interview: »Muskeln und Knochenmasse bauen sich im Weltall ab. Man hat eine beschleunigte Osteoporose, die aber zum Glück reversibel ist. Wenn wir da oben keinen Sport treiben würden, wäre der Wiedereintritt in die Atmosphäre wohl nicht zu überleben. Der Körper wäre so geschwächt, dass er die Erdgravitation nicht aushalten würde. Deshalb ist Sport auf der Raumstation ganz wichtig – jeden Tag zwei Stunden. Es gibt Laufbänder und



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Radfahrinstrumente, auf denen man sich anschnallt – und auch ein neuartiges Gerät mit verschiedenen Zugbändern.«3

4.2 Sportkonzepte der Zukunft an der FüAkBw Die Führungsakademie der Bundeswehr (FüAkBw) ist die höchste militärische Aus- und Weiterbildungseinrichtung der Bundeswehr, insbesondere für Stabs- und Generalsstabsoffiziere. An der FüAkBw werden angehende Kommandeure und Stabsoffiziere auch hinsichtlich der Bedeutung des Sports in der Bundeswehr geschult. Im Rahmen des zukünftigen Sportkonzepts an der Führungsakademie gewinnen Public Health und Gesundheitsförderung sowie die Digitalisierung des Sports an Bedeutung. Sport und Public Health in der Bundeswehr (PHBw) beschreibt die Gesamtheit von Gesundheitsschutz und Gesundheitsförderung in der Bundeswehr. Im Rahmen der Gesundheitsversorgung der Bundeswehr sind dies alle sanitätsdienstlichen Fähigkeiten und Kapazitäten, die darauf ausgerichtet sind, die körperliche, psychische und soziale Gesundheit aller Angehörigen der Bundeswehr gemäß dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik zu schützen, zu erhalten und zu fördern. Die Aufgabenwahrnehmung erfolgt fachgebietsübergreifend und multidisziplinär im gesamten Aufgabenspektrum der Streitkräfte (Bundeswehr 2018). Für die verhaltensbedingten Gesundheitsrisiken sind psychische Faktoren (beruflicher Stress, Fehlbelastung, Trennung von der Familie usw.), physische Faktoren (Bewegungsmangel, Fehlbelastung, Fehlernährung, Schlafmangel usw.), die persönliche Disposition auf beiden Ebenen, arbeitsplatzbezogene Gesundheitsrisiken (z.B. Lärm, Schadstoffe, Heben/Tragen, weitere ergonomische Belastungen, Arbeitsprozess und -organisation) relevant. Generell ist das Verhältnis von Belastung und Erholung (ähnlich wie bei den grundlegenden Trainingsprinzipien) für den Erhalt der Leistungsfähigkeit ausschlaggebend. Präventionsstrategien lassen sich sowohl aus zeitlicher Perspektive (primäre Prävention: Krankheitsvermeidung; sekundäre Prävention: Früherkennung; tertiäre Prävention: Folgeabmilderung) als auch nach der Handlungsausrichtung (Verhaltensprävention, die an der Person ansetzt vs. Verhältnisprävention, die die Umstände in den Blick nimmt) differenzieren. All diese Maßnahmen dienen der Gefähr­dungsreduktion in Dienst- oder Arbeitsumgebungen. Dies ist eingebettet in Maßnahmen zur Erhöhung der Arbeitssicherheit. Damit umfasst der Arbeits- und Gesundheitsschutz alle Tätigkeiten, Verhaltensweisen, Vorkehrungen und Maßnahmen zur menschengerechten Gestaltung der Arbeitsumwelt und -mittel (Bundeswehr 2018). Für Lehrgangsteilnehmer an der FüAkBw bedeutet dies, sich Gedanken zu machen hinsichtlich der folgenden Parameter der Sportausbildung in den Bereichen, in denen sie künftig Verantwortung tragen werden: 1. Formulierung der individuellen Ziele und Verbesserung der physiologischen und psychologischen Fitness; 2. objetkive Erfassung physiologisch-leistungsrelevanter Parameter; 3

(letzter Zugriff 22.10.2020).

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Miriam Ködderitzsch-Frank

3. Evalution von Leistungserhalt und Leistungssteigerung; 4. Intervention durch persönliche Gespräche, Trainingspläne, Ernährungspläne, Leistungsdiagnostik; 5. Optimierung gesundheitsrelevanter Strukturen. Die Sportausbildung erfolgt nach aktuellen sportwissenschaftlichen Kriterien und soll dazu befähigen, diese sowie die Konzeption zum Gesundheitsschutz und zur Public Health in der Bundeswehr integriert zu erleben und in der Praxis umzusetzen. Das gilt für Planung, Leitung und Durchführung von Sport in der Truppe unter Berücksichtigung der Anforderungsprofile der Soldatinnen und Soldaten, der Anforderungen des Militärischen Fitnesstrainings, der Ernährung und auch für Sportveranstaltungen in der Truppe. Um die individuelle Leistungsfähigkeit zu erhalten und wenn möglich sogar zu steigern, werden im Fachzentrum Sport an der Führungsakademie der Bundeswehr die folgenden Sportarten angeboten (Tabelle 4). Tabelle 4: Sportkonzept/Sportangebot an der Führungsakademie der Bundeswehr Kondition

Prävention

IGF, BFT, DSA

Neigungsgruppen

Ausdauer Kraft Schnelligkeit Beweglichkeit Koordination

Rückenfitness Pilates Yoga Walking TRX Spinning

Leistungsabnahme Leichtathletik Turnen

X-Lethiks Segeln Aquafitness Apnoetauchen Reiten

Spielsportarten

HIT

Rettungsschwimmen

Exotensportarten

Fußball Volleyball Basketball Tischtennis Handball Tennis Badminton

CrossFit Stationstraining Military Fitness Hindernisparcours Staffelspiele Laufschule

Leistungsabnahme Techniktraining Schwimmtraining Tauchen

Indiaka Klettergarten Beachvolleyball Escaperoom

Anmerkung: Trendsportarten werden jährlich gemäß Lehrplan überarbeitet.

Bei der Auswahl der Sportarten wird auf Qualitätskriterien und auf ein breitensportliches Angebot geachtet, damit die Lehrgangsteilnehmenden vielfältige Bewegungserfahrungen sammeln können. Digitale Sportausbildung: Die Digitale Sportausbildung rückt immer mehr in den Vordergrund. Eine Möglichkeit besteht in der Vernetzung unterschiedlicher Endgeräte, vom mobilen privaten bis zum dienstlichen Endgerät, dem gängigen Dienstrechner bis hin zu Tablets und Laptops. Gemäß der Digitalen Sportausbildung werden online Sportarten angeboten, die nur mit Eigenkörpergewicht und möglichst ruhig durchgeführt werden. Ein Grund hierfür sind der Zeitversatz und die unter-



Sport- und Trainingskonzepte in der Bundeswehr

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schiedlichen Übertragungsgeschwindigkeiten in der Online-Nutzung. In Zeiten von Homeoffice und Telearbeit ist es wichtig, ein breites Portfolio zu generieren, das alle Teilnehmenden motiviert und eine Bindungsstruktur hat. Einfache Handhabung und maximale individuelle Unterstützung stehen dabei im Vordergrund. Von besonderer Bedeutung ist der Gaming-Ansatz, bei dem die Teilnehmenden die reale Welt mit der virtuellen Welt vermischen und mit einem Fitnessavartar an einem Sportspiel teilnehmen. Sowohl der Avartar als auch der aktive Teilnehmer verändern sich im Laufe des Spiels, und zwar im Verhältnis zu den persönlichen Zielen, die in der Anamnese definiert wurden. Die Spieler und Spielerinnen können Fitnesspunkte aufgrund absolvierter Übungen erzielen, die sie in der Realität ausführen und mit denen ihre Avatare in Wettkampf miteinander treten, z.B. maximale Wiederholungszahlen einer Übung in einer vorgegebenen Zeit. Dabei kommt es nicht darauf an, wie gut die körperliche Leistungsfähigkeit am Anfang war, sondern wie fleißig ein Teilnehmer trainiert hat, um seine definierten Ziele zu erreichen. Jeder Teilnehmer hat einen persönlichen virtuellen Coach als Ansprechpartner, der tatsächlich aber aus mehreren Personen/Fachpersonal (Sportwissenschaftler, Ernährungsberater, Psychologe, Vorgesetzter) besteht. Es ist entscheidend, dass die Teilnehmenden bestmöglich unterstützt werden, Informationen von ihnen selbst definiert und freigegeben werden und der Schutz der persönlichen Daten gewährleistet ist. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollen sich mit folgenden Fragen auseinandersetzen (Tabelle 5): Tabelle 5: Vorschlag zur Teilnehmerbefragung Anfang

Mitte

Ende

Wie schätzen Sie Ihre KLF aktuell ein? Welche konditionellen Faktoren möchten Sie gerne verbessern?

Wie empfinden Sie folgende Faktoren: 1. Anzahl der Sportstunden 2. Schwierigkeitsgrad

Wie wichtig ist Ihnen Ihre Gesundheit?

3. Inhalte der Sportstunden (Methodik und Didaktik)

Konnten Sie Ihre KLF 1. erhalten, 2. verbessern? Konnten Sie Ihre konditionellen Faktoren verbessern, wenn ja wie? Hat sich während des Lehrgangs Ihre Gesundheit physisch oder psychisch verändert?

bewerten Sie die Haben Sie BGM im Dienstalltag Wie Ressourcen während des bisher genutzt? Sportunterrichts?

Wie empfanden Sie Prävention im Unterricht?

Kompetenzen Wie würden Sie zukünftig in Was bedeutet für Sie gesundes Welche konnten Sie durch den der Bundeswehr KLF und das Führen? Sportunterricht verbessern? Gesundheitsverhalten verbessern? AIGScreen und Fitnessscore

Fitnessscore

AIGScreen und Fitnessscore

IGF

DSA und Rettungsschwimmer freiwillig

IGF

Anmerkung: Die Teilnehmerbefragung soll im Rahmen der Qualitätssicherung für Lehrgänge mit mind. einem Jahr Dauer erfolgen (FüAkBw).

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Miriam Ködderitzsch-Frank

Um eine Leistungssteigerung herbeizuführen, ist eine selbstlernende Software nötig. Nach ca. drei Wochen sollte der trainingsspezifische Reiz wieder angepasst werden. Die Software ist speziell von Nutzen für Personen (Soldatinnen/Soldaten und ziviles Personal), die – strukturiert trainieren möchten, – eine persönliche Trainingsanalyse durchführen, – objektive Daten dazu nutzen, – in Interaktion treten möchten mit anderen, auch in speziellen Situationen (Covid), – Freude an Serious Games haben und sich persönlich gerne weiterentwickeln, – nachhaltiges Gesundheitsverhalten erlernen und im beruflichen und privaten Alltag anwenden. Die Lehrgangsteilnehmenden sollen die Möglichkeiten des digitalen Sports und des trainingsplanunterstützenden Feedbacks nutzen, um über einen definierten Zeitraum hinweg ein strukturiertes Training durchzuführen und ortsunabhängig trainieren zu können. Dabei ist es wichtig, nicht allein da zu trainieren, sondern eine Orientierung zu haben, was das sportliche Anforderungsprofil beinhaltet, welche berufsrelevanten Gesundheitsmerkmale zu berücksichtigen sind und wie sich die Leistung entwickelt – insgesamt also die eigene Körperliche Leistungsfähigkeit in einen sozialen, militärischen Kontext zu stellen.

5. Neue Sport- und Trainingskonzepte in der Bundeswehr? Aufgrund der unterschiedlichen Erfordernisse an die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr existieren zahlreiche unterschiedliche Sportkonzepte, die sowohl den grundlegenden Dienstsport als auch spezielle Einsatzerfordernisse sowie den Gesundheits- und Freizeitbereich abdecken sollen. Die Bundeswehr hat eine umfassende sportliche und sportmedizinische Ausstattung, die den Erhalt und die Steigerung körperlicher Leistungsfähig ermöglicht. Auch Trainingsprogramme hierfür liegen vor und werden ständig weiterentwickelt. Allerdings gehen die neuen, technikgestützten Ansätze in eine Richtung, für die es nur wenig Erfahrungswerte gibt. Sollten wirklich Möglichkeiten genutzt werden, das Training künftig so zu gestalten, dass menschliche Defizite durch Technologie und computerunterstützte Programme ausgeglichen werden können, so stellt sich nicht mehr die Frage nach hauptsächlich physiologischem Training, sondern dann überwiegen neuronale Prozesse für die Steuerung der maschinellen Gliedmaßen. Teilweise sind Sportler bei den Paralympics jetzt schon leistungsfähiger als Athletinnen und Athleten ohne Handicap. Der Einsatz von Technik mag uns Arbeit abnehmen oder sogar die Erledigung bestimmter Aufgaben überhaupt erst ermöglichen – es entsteht aber immer ein Kompen­ sationsbedarf, der unsere physische und psychische Ausstattung mit den veränderten Anforderungen wieder in Einklang bringt. Dem müssen die Trainingsprogramme der Zukunft standhalten. Obwohl manchen »Manipulationen«, wie beispielsweise



Sport- und Trainingskonzepte in der Bundeswehr

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mit CRISPR (Muskelwachstum durch Gendoping), Grenzen gesetzt werden und diese gemäß Ethikkomission nicht genehmigt und auch bei der Bundeswehr nicht zugelassen sind, so ist doch eine generelle Forderung aufzustellen: Das Training auf ›natürliche‹ Weise sollte weiterhin Vorrang haben.

Literatur Bleeke, Vera (2011): Die Trainingsprinzipien und ihre Anwendung im Triathlon – Teil 1, (letzter Zugriff 12.10.2020). BMVg (2017): Zentralvorschrift A1-224/0-1 Sport und Körperliche Leistungsfähigkeit (2. Änderung). Berlin. BMVg (2018): Stellungnahme des Bundesministeriums der Verteidigung zum Jahresbericht 2017 des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages. Berlin. Bundeswehr (2018): Gesundheitsschutz und Gesundheitsförderung/Public Health in der Bundeswehr. K1-9000/4015. Koblenz: Kdo SanDstBw VI. Bundeswehr (2020): Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr. Gesundheit fördern, Belastbarkeit optimieren, Leistung steigern, Teilhabe ermöglichen, (letzter Zugriff 22.10.2020). Kunke, Torsten/Elbe, Martin (2012): Handlungszuverlässigkeit im fallschirmsportlichen Zielspringen. In: Zeitschrift für Gesundheit und Sport 2/2012, 44‑65. Lüttecken, Manfred (2020): Allgemeine Grundlagen der Trainingslehre, (letzter Zugriff 19.10.2020). Möckel, Alexandra (2019): Neues Konzept Sportausbildung wird professionalisiert. In: Bundeswehr Sport-Magazin 04/2019, (letzter Zugriff 21.10.2020). Neisberger, Hans/Moggert, Uwe/Hedrich, Volker (seit 1996 ab Ausgabe 1): Fachmagazin der Sport­ schule der Bundeswehr, Herausgeber: Gruppe Ausbildung. Olivier, Norbert/Marschall, Franz/Büsch, Dirk (2008): Grundlagen der Trainingswissenschaft und -lehre. Schorndorf: Hofmann. Redaktion »Der Kranich« (2020): HPE-Human Performance Enhancement. In: Der Kranich. Geschwaderzeitung Taktisches Luftwaffengeschwader 73 »Steinhoff«, (letzter Zugriff 22.10.2020). Sammito, Stefan (2012): Evaluation des Adipositas-Interventionprogramms am Sportmedizinischen Institut der Bundeswehr. In: Wehrmedizinische Monatsschrift 2‑3/2012, . Vergin, Anna/John, Marcus/Wellbrink, Jörg/Heuer, Wolfgang (2013): Future Topic: Human Enhancement. Eine neue Herausforderung für Streitkräfte? Berlin: Planungsamt der Bundeswehr, (letzter Zugriff 30.8.2022). Weseloh, Christiane (2016): Sport und Fitness bei der Bundeswehr, (letzter Zugriff 21.10.2020). Westenkirchner, Peter (2019): MCDC. Die Plattform für multinationale Fähigkeitsentwicklung. In: wt – Wehrtechnik, 6/2019, 82.

Daniela Klix

Professionalisierung der Ausbildung »Körperliche Leistungsfähigkeit« in der Bundeswehr Einordnung Daniela Klix diskutiert die Professionalisierung des Ausbildungsgebiets »Körperliche Leistungsfähigkeit« in der Bundeswehr. Sie greift dabei auf die konzeptionellen Grundlagen zurück, die in den letzten Jahren angepasst wurden, und leitet daraus ein Konzept für die Professionalisierung der verantwortlichen Trainer für die Sportausbildung in der Zukunft ab, das in einem Pilotprojekt umgesetzt wird (Stand 2019). Autorin Daniela Klix, Prof. Dr., ist Dezernentin für Sport und Körperliche Leistungsfähigkeit im Streitkräfteamt in Bonn und Professorin für Trainings- und Bewegungswissenschaft an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement. Sie hat als Offizier Sportwissenschaften studiert.

1. Grundlagen der Perspektiventwicklung Für die erfolgreiche Ausübung des Soldatenberufes ist ein hohes Maß an physischer und psychischer Leistungsfähigkeit unabdingbare Voraussetzung. Steigende Anforderungen durch Einsätze, einsatzgleiche Verpflichtungen und die Gleich­ge­ wichtung von Landes- und Bündnisverteidigung auf der einen Seite sowie negative gesamtgesellschaftliche Entwicklungen im Bereich der Körperlichen Leistungsfähigkeit (KLF) auf der anderen Seite erfordern umfassende und differenzierte Maßnahmen, die mit einer Professionalisierung des Ausbildungsgebietes der KLF einhergehen müssen. Dem Wissen, dass ein strukturiertes und zielorientiertes Training der KLF für das Erreichen und Halten der Einsatzfähigkeit und Einsatzbereitschaft unabdingbar ist, um den gewachsenen physischen und psychischen Anforderungen in den unterschiedlichen Verwendungen in der Bundeswehr gerecht zu werden, wurde 2017 mit der Neuveröffentlichung der Zentralvorschrift (ZV) A1-224/0-1 »Sport und Körperliche Leistungsfähigkeit« Rechnung getragen. Entgegen der ehemaligen Zentralen Dienstvorschrift (ZDv) 3/10 »Sport in der Bundeswehr« ist Sport in der Bundeswehr nun nicht mehr »nur« in erster Linie Breitensport (ZDv 3/10: 102),

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Daniela Klix

sondern er dient der Verbesserung der trainierbaren konditionellen und koordinativen Fähigkeiten, der sportspezifischen Fertigkeiten und der positiven Beein­flus­sung des Sozialverhaltens (gemäß ZV A1-224/0-1, Nr. 214). Im Fokus des Aus­bildungs­ gebietes der KLF stehen daher die beiden Ausbildungsteilgebiete »All­ ge­ mei­ ne Sport­ausbildung« und »Militärisches Fitnesstraining« (Abbildung  1). Erstere zielt primär auf eine Verbesserung der konditionellen Fähigkeiten sowie grundlegender motorischer Bewegungshandlungen, während sich das Militärische Fitnesstraining am Anforderungsprofil des jeweiligen militärischen Dienstpostens (DP) orientiert und spezifische Trainingsakzentuierungen gemäß den individuellen Bedürfnissen, Stärken und Defiziten von Soldatinnen und Soldaten setzt. Abbildung 1: Gliederung KLF in der Bundeswehr Körperliche Leistungsfähigkeit in der Bundeswehr Sport – Militärische Fitness

Allgemeine Sportausbildung Besondere Sportausbildung Freiwilliger Sport CISM

Militärisches Fitnesstraining Freiwilliges Militärisches Fitnesstraining

Sportveranstaltungen / KLFG-Mindestforderungen und Leistungsnachweise Anmerkung: Darstellung gemäß ZV A1-224/0-1, Nr. 301 (BMVg 2017b: 11).

© ZMSBw

09312-01

Diese Differenzierung zwischen den zwei Ausbildungsteilgebieten bildet nicht nur das Fundament für eine bedarfsgerechte KLF, die wiederum als »Ausprägungsgrad wesentlicher physischer Leistungsparameter im Bereich allgemeiner und spezieller konditioneller Grundlagen und koordinativer Fertigkeiten« (ZV A1-224/0-1, Nr. 201) definiert wird, sondern steht zugleich für einen Paradigmenwechsel im Sport bei der Bundeswehr. Es wurde und es wird zunehmend erkannt, dass das Ausbildungsgebiet der KLF eine Investition in die immens wichtige Human Resource zur militärischen Auftragsbewältigung darstellt und daher grundlegender Bestandteil sowohl der streitkräftegemeinsamen Ausbildung als auch der spezifischen Ausbildung der militärischen Organisationsbereiche sein muss. Damit die Ausbildung der KLF die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Soldatinnen und Soldaten nicht ungünstig beeinträchtigt, muss der verpflichtende Dienstsport einer trainingswissenschaftlichen Systematik bzw. Trainings­steue­rung folgen. Dies bedeutet nicht nur, dass geeignete Trainingsformen und Belastungs­ komponenten bedarfsorientiert und individuell geplant werden müssen, sondern auch, dass der Dienstsport noch zielgerichteter in das komplexe System der mili-



Professionalisierung der Ausbildung »Körperliche Leistungsfähigkeit«

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tärischen Ausbildung (Jahresausbildungsplanung einer Einheit/Dienststelle) integriert werden muss. Infolgedessen wurden grundlegende trainingswissenschaftliche Erkenntnisse bzw. Prinzipien des leistungsorientierten Trainings für das Training der KLF der Soldatinnen und Soldaten bei der Neukonzeption der ZV A1-224/0-1 berücksichtigt und für das Training der KLF in der Bundeswehr adaptiert. Im Fokus des Leistungssports steht die Entwicklung und Stabilisierung der sportlichen Leistungsfähigkeit auf einem individuell optimalen Niveau. Die sportliche Leistungsfähigkeit wird von vielen Faktoren – etwa dem Trainings­zustand, der physiologischen Veranlagung oder auch der Ernährungs-, Regenerations- und Sozialsituation – beeinflusst. Nach Olivier et al. (2008: 55) ist die »Leistungssteuerung die kurz-, mittel- und langfristige Ab­stimmung aller Maßnahmen für die Planung, Durchführung, Kontrolle, Aus­wer­tung und Korrektur sportlichen Trainings«. Die Entwicklung sportlicher Höchst­leistung ist demnach ein systematischer Prozess, der im Kontext mannigfaltiger Ein­flussfaktoren zielführend geplant und gesteuert werden muss. Alle beabsichtigten Trainingsmaßnahmen müssen zeitlich strukturiert, d.h. periodisiert werden, um die optimale Leistungsfähigkeit zum Wett­ kampf­zeitpunkt – also dann, wenn es darauf ankommt – abrufen zu können. Die systematische Steuerung des Trainings im Leistungssport repräsentiert daher das Kern­gerüst der Trainingssystematik. Im Leistungs­sport verfolgt die Leistungs- und Trainings­steuerung die Primärziele einer Opti­mierung der Leistungsfähigkeit, einer Konservierung und Stabilisierung der optimalen Leistungsfähigkeit sowie der Vermeidung von Überlastungen im Sinne einer Verletzungsprophylaxe. Ähnlich verhält es sich bei der KLF aller Soldatinnen und Soldaten. Die Konzeption der Bundeswehr schreibt die Befähigung zum Kampf als oberstes Ziel der Ausbildung fest – dies muss Maßstab eines zielgerichteten Trainings der KLF sein. Das Stufenmodell des Trainings der KLF Bundeswehr (Abbildung  2: ZV A1224/0-1, Nr. 203) verfolgt mit seinen drei Ausprägungsstufen und seiner zyklischen Betrachtungsweise in Bezug auf die Einsatzbereitschaft der Soldatinnen und Soldaten vergleichbare Primärziele, welche sowohl in der Steigerung der KLF, im Erhalt der KLF, in der Vermeidung von Überlastung und in der Förderung der Regeneration artikuliert werden.

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Daniela Klix

Abbildung 2: Stufenmodell des Trainings der KLF in der Bundeswehr

Einsatz OrgBer spezifisch

Einsatzvorbereitung

Soldatenfitness

SK gemeinsam

Betrieb Inland

Funktionsfitness

Basisfitness

Einsatznachbereitung

Anmerkung: nach BMVg (2017b: 6)

© ZMSBw 09311-02

Die KLF ist in einem Training zielgerichtet über drei Stufen zu entwickeln: Bei allen Soldatinnen und Soldaten ist im Rahmen der Allgemeinen Sportausbildung eine grundlagen- und fähigkeitsorientierte konditionelle Basisfitness zu schaffen. Das Messinstrument hierfür ist der Basis-Fitness-Test (BFT). Der BFT mit seinen Einzelübungen – dem Klimmhang, dem Pendellauf und dem Dauerlauf – überprüft die konditionellen Fähigkeiten Kraft, Schnelligkeit sowie Ausdauer und ist für alle Soldaten unabhängig vom Status, Alter oder Geschlecht einmal jährlich obligatorisch zu erfüllen. Darauf aufbauend gilt es, im Rahmen der Allgemeinen Sportausbildung und des Militärischen Fitnesstrainings, eine qualitativ nachhaltige sowie höherwertige und fertigkeitsorientierte Soldatengrundfitness herzustellen. Mit ihr werden die streitkräftegemeinsamen Grundlagen für die weiterführende Stufe der Funktionsfitness geschaffen. Die tätigkeitsbezogene Funktionsfitness orientiert sich an den besonderen körperlichen Anforderungen des entsprechenden militärischen Dienstpostens bzw. der entsprechenden Verwendung. Die Festlegung von Mindestanforderungen hierzu sowie das dazugehörige Training liegen in der Verantwortung der jeweiligen militärischen Organisationsbereiche, welche eigens für die Ausgestaltung der sportfachlichen Vorgaben über einen Referenten oder eine Referentin, einen Dezernenten oder eine Dezernentin für Sport/KLF verfügen oder vielmehr verfügen sollten. Das Messinstrument für die Soldatengrundfitness ist das Soldaten-Grundfitness-Tool (SGT), das auf Basis von Tätigkeitsanalysen in der Einsatzausbildung sowie durch die Auswertung von Einsatzerfahrungen durch das Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr entwickelt wurde. Das SGT repräsentiert eine fähigkeitsorientierte Erfassung relevanter allgemeinmilitärischer Belastungs-



Professionalisierung der Ausbildung »Körperliche Leistungsfähigkeit«

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und Beanspruchungsformen, wie unter anderem dynamische Bewegungen mit (Schutz-)Ausrüstung (Handweisung SGT 2019). Die Einführung des SGT steht somit nicht nur repräsentativ für den bereits erwähnten Paradigmenwechsel, sondern auch für einen weiteren Schritt in Richtung einer fortlaufenden Professionalisierung des Ausbildungsgebietes der KLF, indem ein Tool zur bedarfsorientierten Erhebung militärisch relevanter motorischer Grundfertigkeiten, wie beispielsweise das Heben, Tragen und Ziehen von Lasten oder das Laufen im Gelände mit persönlicher Schutzausrüstung, konzipiert und der Truppe bereitgestellt wurde. Diese Perspektivänderung hin zu einem bedarfsträgerorientierten Training der KLF spiegelt sich in der Weisung des Generalinspekteurs zur »Flexibilisierung der Sportausbildung in der Truppe« aus dem Jahr 2019 wider. Neben einer stärker an militärischen Belastungs-Beanspruchungs-Situationen orientierten Ausbildung der nebenamtlichen Sportausbilder (m/w)1 durch die Sportschule der Bundeswehr (SportSBw) sowie der Sportlehrer Bundeswehr Truppe (SportLhrBw Tr, m/w), wurde ebenso vom ranghöchsten Soldaten der Bundeswehr angewiesen, dass das Deutsche Sportabzeichen (DSA) des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), welches jahrzehntelang als Leistungsnachweis für eine überdurchschnittliche und vielseitige körperliche Leistungsfähigkeit in der Bundeswehr galt, im Verantwortungsbereich der Bundeswehr in den freiwilligen Sport zu verlagern und somit nicht mehr durch jeden Soldaten/jede Soldatin abzulegen ist. Gerade der zweitgenannte Punkt, der Wegfall des jährlich verpflichtenden Ablegens des DSA durch alle Soldaten und Soldatinnen, symbolisiert nicht nur nach »innen«, sondern sportpolitisch auch nach »außen« einen Richtungswechsel im Ausbildungsgebiet der KLF in der Bundeswehr. Dieser Schritt folgt einer konsequenten und etappenweisen Fokussierung und Neuausrichtung des Ausbildungsgebiets der KLF auf die militärischen Anforderungen.

2. Reflexion und konzeptuelle Elaboration 2.1 Umsetzung der Sportausbildung bis heute Zum Zweck einer systematischen und zielorientierten Ausbildung der KLF gemäß dem Stufenmodell der Bundeswehr (ZV A1-224/0-1, Nr.  203) werden seit Gründung der Bundeswehr im Jahr 1955 Offiziere und Unteroffiziere im Nebenamt zu Sportausbildern und Sportausbilderinnen ausgebildet und eingesetzt. Diese leiten die Sportausbildung nebenamtlich im Auftrag der jeweiligen Disziplinarvorgesetzten und sind für die zielführende und systematische Planung, Durchführung und Nachbereitung sowie Organisation des angeordneten und befohlenen Dienstsportes zuständig (ZV A1-224/0-1, Nr.  349). Auf der Grundlage einer mehrwöchigen Ausbildung (zum Übungsleiter/zur Übungsleiterin) und ggf. einer vertiefenden Fortbildung (zum Fachsportleiter/zur Fachsportleiterin) tragen die nebenamtlichen Sportausbilder und Sportausbilderinnen die Verantwortung für die bedarfsgerechte und individuell passgenaue Wahl geeigneter Trainingsformen 1

So die formal korrekte Genderung in der Bundeswehr.

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Daniela Klix

und Belastungskomponenten, um die Primärziele des Erhalts als auch der Steigerung der KLF zu erreichen. Darüber hinaus beraten diese sportfachlich die jeweiligen Disziplinarvorgesetzten hinsichtlich der Integration des Dienstsportes in das komplexe System der militärischen Ausbildung (Jahresausbildungsplanung der Einheit/Dienststelle). Infolgedessen tragen nebenamtliche Sportausbilder und Sportausbilderinnen die Durchführungsverantwortung und damit die Verantwortung nicht nur für die Entwicklung, sondern auch für die Gesundheit der ihm bzw. ihr anvertrauten Soldaten und Soldatinnen (ZV A1-224/0-1, Nr. 402). Dies wiederum bedeutet, dass – unter Berücksichtigung des sportfachlichen Anspruchs an eine systematische Steuerung des Trainings der KLF und gemäß den Vorgaben der gültigen Weisungslage für den Sport und die KLF in der Bundeswehr– die nebenamtlichen Sportausbilder und Sportausbilderinnen unter anderem die folgenden Aufgaben erfüllen können müssen: – die Ergebnisse einer Leistungsanalyse, bspw. der neuromuskulären, konditionellen und metabolischen Leistungskomponenten der jeweiligen Teileinheit/Ein­ heit, bis hin zum Verband auswerten; – eine individuelle Testung (Ermittlung des aktuellen sportmotorischen Leistungs­ zustandes) durchführen und in Bezug auf funktionelle Bewegungsmuster im Kontext des dienstpostenspezifischen Anforderungsprofils beurteilen; – eine individuelle Trainingsempfehlung (Zielsetzung) auf Basis der Leistungsanalyse und sportmotorischen Testung geben; – eine individuelle Trainingsplanung gemäß der Zielsetzung (z.B. Erhöhung der Einsatzbereitschaft) erarbeiten; – einen adäquaten Trainingsvollzug ohne Über- bzw. Unterforderung anzuleiten und durchführen sowie – eine Trainingskontrolle und ggf. Modifikation des Trainingsplanes aufgrund einer beobachteten und analysierten Trainingswirkung vornehmen. Diese unverhältnismäßige und bewusst kontrovers formulierte Erwartungshaltung an die nebenamtlichen Sportausbilder und Sportausbilderinnen soll die bestehende Diskrepanz zwischen der Ausbildungshöhe einer für den Breitensport erworbenen Qualifikation und den methodisch-didaktischen Erwartungen an die erworbene Fachkompetenz durch die gültige Weisungslage verdeutlichen. Diese Herausforderung greift unter anderem die Agenda Ausbildung seit dem Jahr 2018 auf – mit dem Ziel der Schaffung einer neuen militärischen Ausbildungskultur. Insgesamt soll durch unterschiedlichste Maßnahmen, die auch das Ausbildungsgebiet der KLF tangieren, die Ausbildung individueller, flexibler, praxisnäher und wertschätzender werden (BMVg 2018b). Auch das Ausbildungsgebiet der KLF – als ein Element der streitkräftegemeinsamen Ausbildung – ist integraler Bestandteil der Agenda Ausbildung. Da an die KLF sowohl gegenwärtig als auch künftig komplexe Herausforderungen gestellt werden, bedarf es – wie in weiten Teilen der streitkräftegemeinsamen Ausbildung – innovativer Maßnahmen, die innerhalb der Agenda Ausbildung subsummiert werden. So ist die eigenbedarfsorientierte Neuausrichtung der Grundausbildung mit einem erhöhten Anteil an Allgemeiner Sportausbildung sowie einem zielgerichteten und leistungsdifferenzierten Training der KLF ein geeignetes Mittel, um den notwendigen Abholpunkt für eine weiterführende militäri-



Professionalisierung der Ausbildung »Körperliche Leistungsfähigkeit«

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sche Ausbildung zu legen. Darüber hinaus wird solcherart ein Eindruck des neuen Arbeitgebers bzw. des Dienstherrn vermittelt. Nach der Grundausbildung müssen, im Grundbetrieb ebenso wie im Einsatz (z.B. im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung), zum Herstellen und Halten der personellen Einsatzfähigkeit und -bereitschaft der Streitkräfte die psychosomatischen Voraussetzungen durch ein zielorientiertes, systematisches und planvolles Training der KLF energisch sichergestellt werden. Auch hier galt es – im Rahmen der Agenda Ausbildung – neue Wege zu gehen und beispielsweise den Einsatz hauptamtlicher Sportfachkräfte bis auf Verbandsebene zu erproben, zu evaluieren und gegebenenfalls zu implementieren. Das im Jahr 2018 initiierte Erprobungsprojekt zur »Professionalisierung der Sportausbildung in der Truppe durch die Bindung von ehemaligen Spitzensportlern und Spitzensportlerinnen der Bundeswehr als Trainer und Trainerinnen Sport/KLF« verkörpert daher nicht nur einen Meilenstein eines ministeriell gebilligten Maß­nah­ men­pakets zur Weiterentwicklung der Spitzensportförderung in der Bundeswehr, sondern ist zugleich integraler Bestandteil der Agenda Ausbildung. Mit der Erprobung des militärischen Dienstpostens »Trainer/-in Sport/KLF« (Arbeitsbegriff) soll die Ausbildung der KLF – ähnlich wie dies bereits im Auslandseinsatz oder im Rahmen von Spezialverwendungen (Kommando Spezialkräfte, fliegendes Personal usw.) geschieht – durch hauptamtliche Sportausbilder und Sportaus­bil­derinnen geplant, organisiert und durchgeführt werden. Mit der Pilotierung einer hauptamtlichen Sportfachstruktur bis auf Durchführungsebene wird so nicht nur ehemaligen Spitzensportlern und Spitzensportlerinnen der Bundeswehr nach Beendigung ihrer aktiven Karriere als »Trainer/-in Sport/KLF« weiterhin ein berufliches Handlungs­ feld beim Arbeitgeber Bundeswehr geboten, sondern es wird auch eine Möglichkeit zur Behebung der Diskrepanz zwischen der Ausbildungshöhe einer nebenamtlichen Qualifikation und dem – nicht nur weisungsgebundenen – Anspruch an ein systematisches und zielorientiertes Training der KLF aufgezeigt.

2.2 Pilotprojekt zur Neuausrichtung Das Ziel des Pilotprojekts ist die Erprobung und Evaluierung einer konzeptionellen Neuausrichtung der Organisation und Durchführung des Ausbildungsgebietes der KLF auf Durchführungsebene. Hierzu wurden und werden im Rahmen eines zweijährigen Truppenversuches unter anderem Daten für eine Personalbedarfsermittlung erhoben. Auf Basis der Tätigkeitserfassungen der eingesetzten Trainer und Traine­ rinnen Sport/KLF können dadurch etwa Arbeitszeiten für die Allgemeine Sport­ ausbildung und das Militärische Fitnesstraining auf den unterschiedlichen Stufen (Basis-, Soldatengrund- und Funktionsfitness) objektiv nachgehalten; sie dienen so im Weiteren der Erfassung einer zu quantifizierenden Aufgabe für die Personalbedarfsermittlung. Die Personalbedarfsermittlung bildet das Fundament für die Berechnung der benötigten Dienstposten einer personellen Professionalisierung des Ausbildungsgebietes der KLF. Neben der Tätigkeitserfassung werden weitere zu berücksichtigende Variablen für die Berechnung des benötigten Dienstpostenumfangs, wie die Sollzahl der militärischen Dienstposten (ohne Reservistendienst Leistende) und

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Daniela Klix

die Jahresarbeitstage, benötigt. Auf Grundlage dieser Variablen können objektive und haushalterisch begründbare Personalumfänge für beispielsweise eine schwerpunktbezogene (Einsatz/Grundausbildung, GA) oder flächendeckende (Streitkräfte) Ausbringung der neuen Dienstposten »Trainer*In Sport/KLF« berechnet werden. Im Frühjahr 2020 wurde die Abteilung Ausbildung Streitkräfte (Abt AusbSK) als fachlich zuständige Stelle in allen Belangen des Sports in der Bundeswehr mit der Erarbeitung der erforderlichen Grundlagen für eine »bruchfreie« Ausbildung von hauptamtlichen Sportausbildern und Sportausbilderinnen auf Durchführungsebene beauftragt. Basierend auf den bisherigen Erkenntnissen aus dem Erprobungsprojekt sowie daraus abgeleiteten Auflagen, wie unter anderem einer militärischen Schärfung des Arbeitsbegriffes »Trainer*In Sport/KLF« oder einer truppendienstlich nahen Verortung des neu zu konzipierenden Dienstpostens, galt es ein sowohl sportfachlich als auch haushalterisch begründbares Konzept für die Durchführung der laufenden Erprobung zu erarbeiten. Die bisherige Elaboration des beauftragten Konzepts zur Einführung konkretisiert in einem ersten Schritt den derzeit verwendeten Arbeitsbegriff »Trainer*In Sport/KLF«. Zu diesem Zweck wurden sowohl die bisherigen Erkenntnisse aus der Tätigkeitserfassung der eingesetzten Trainer und Trainerinnen Sport/KLF ausgewertet als auch nach vergleichbaren und bereits vorhandenen Dienstposten in der Bundeswehr gesucht. Der »Ausb/Lehr Fw KLF« (Arbeitsbegriff) orientiert sich an der Dienstpostenbeschreibung des »Ausb/Lehr Fw SK« und soll künftig befähigt sein, Ausbildungsmaßnahmen im Ausbildungsgebiet KLF sowie Leistungsüberprüfungen (BFT/SGT) – unter Berücksichtigung der Jahresvorhaben der Dienststellen bzw. Dienststellensegmente (DSt/DStSegm) und Standorte (StO) im zugewiesenen Verantwortungsbereich – systematisch und zielorientiert zu planen. Auf der Mikro­ ebene sollen die so ausgebildeten Feldwebel für die Vor- und Nachbereitung sowie zur Durchführung von sportpraktischen Trainingseinheiten bzw. Maßnahmen sowie zur Durchführung von Ausbildungstätigkeit im Ausbildungsgebiet KLF befähigt werden. Darüber hinaus sollen sie Ergebnisse von Leistungsüberprüfungen im Rahmen des Trainingssteuerungsprozesses für ein systematisches und zielorientiertes Training der KLF nutzen können. Mit ihrer fundierten Fachkenntnis sollen sie außerdem in der Lage sein, die Dienststellenleiter und -leiterinnen adäquat in allen Belangen des Ausbildungsgebietes der KLF zu beraten. In einem zweiten Schritt galt und gilt es, ebenfalls auf Grundlage der Tätig­keits­ erfassung der Trainer und Trainerinnen Sport/KLF aus der laufenden Erprobung als auch auf Basis von Expertenwissen (Referent/Dezernent Sport/KLF MilOrgBer) für den Sport und die KLF aus den militärischen Organisations­bereichen, einen Aufgabenkatalog für den Dienstposten »Ausb/Lehr Fw KLF« zu erarbeiten. Der derzeitige Entwurf für einen Aufgabenkatalog für den neu zu implementierenden Dienstposten sieht drei sogenannte Hauptaufgaben vor: die Durchführung von Maßnahmen im Ausbildungsgebiet KLF, die Beratung und Diagnostik der Dienststellen/Einheiten/Teileinheiten sowie das Mitwirken bei Lehrtätigkeiten im Rahmen des Ausbildungsgebietes KLF. Diese drei Hauptaufgaben wurden wiederum in sogenannte Teil- und Unteraufgaben differenziert, was eine Festlegung der Arbeitsmenge und Bearbeitungszeit für die Ermittlung des gesamten Arbeits­



Professionalisierung der Ausbildung »Körperliche Leistungsfähigkeit«

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zeit­bedarfs ermöglichte. Dieser dezidierte Aufgabenkatalog bildet seinerseits den Ausgangspunkt für die Arbeitszeitberechnung und diese mündet schließlich in eine solide Personalbedarfsermittlung. Für die Ermittlung der Personalumfänge wurden und werden zudem unterschiedliche Möglichkeiten der Implementierung des konzipierten Dienstpostens »Ausb/Lehr Fw KLF« betrachtet und in die Berechnung miteinbezogen. Im Erprobungsprojekt sind zum Beispiel die hauptamtlichen Sportausbilder und Sportausbilderinnen standortgebunden im Einsatz. Das bedeutet, dass sie für alle Dienststellen am Standort und deren Sportausbildung verantwortlich zeichnen. Darüber hinaus bestünde aber auch die Möglichkeit einer dienststellen- bzw. dienststellensegmentbezogenen Ausbringung, bei der die künftigen hauptamtlichen Sportausbilder und Sportausbilderinnen ausschließlich für eine Dienststelle verantwortlich wären, nämlich ihre eigene. Neben der soeben dargestellten truppendienstlichen Verortung galt und gilt es zu klären, welche Soldaten und Soldatinnen künftig von einer professionell durchgeführten Ausbildung der KLF profitieren sollen. Auch hier können mindestens zwei Möglichkeiten des Handelns skizziert werden. Eine Möglichkeit würde lediglich Verbände mit direktem Bezug zum Kernauftrag der Bundeswehr, nämlich Landesund Bündnisverteidigung, berücksichtigen; die andere Möglichkeit würde eine flächendeckende Implementierung des neuen Dienstpostens bedeuten. Die bisherige konzeptionelle Erarbeitung berücksichtigt sowohl eine Ausbringung auf Ebene der DSt/DStSegm bzw. StO als auch einen »schwerpunktbezogenen« (Einsatz/GA) sowie »flächendeckenden« (SK) Einsatz. Der aus sportfachlicher Sicht und haushalterisch begründbare Dienstpostenumfang für eine hauptamtliche Sportfachstruktur bis auf Durchführungsebene würde sich bei einer dienststellen- und schwerpunktbezogenen Ausbringung auf ca. 1226 Dienstposten belaufen. Demgegenüber würde eine standortgebundene und schwerpunktbezogene Ausbringung des Dienst­postens »Ausb/ Lehr Fw KLF« lediglich 1136 Dienstposten erforderlich machen (Abbildung 3). Eine standortbezogene Ausbringung würde somit zu einem 7  % geringeren Dienstpostenbedarf im Vergleich zur dienststellenbezogenen Ausbringung führen. Neben dem dargestellten schwerpunktbezogenen Einsatz wurde – zum Vergleich sowie zum ggf. erforderlichen gegenseitigen Abwägen der Möglichkeiten – in einem weiteren Schritt auch eine flächendeckende Ausbringung des Dienstpostens »Ausb/ Lehr Fw KLF« ermittelt. Im Vergleich zu einer ausschließlich »schwerpunktbezogenen« und vom militärischen Organisationsbereich abhängigen Ausbringung auf Verbände mit Einsatzoder Grundausbildungsauftrag würden bei einer flächendeckenden Implementierung insgesamt 219 Dienststellen/Dienststellensegmente der Bundeswehr zusätzlich von dem neu einzuführenden Dienstposten »Ausb/Lehr Fw KLF« profitieren. Eine flächendeckende Ausbringung des Dienstpostens »Ausb/Lehr Fw KLF« würde so im Vergleich zu einer ausschließlichen Ausbringung auf Einsatz- und Grundausbildungsverbände (n  =  1226 DP) 706 Dienstposten zusätzlich bedeuten. Insgesamt wären dadurch 1932 Dienstposten erforderlich. Diese Berechnung basiert auf einer Soll-Stärke von 206 719 Soldaten und Soldatinnen, welche von einer Professiona­li­ sierung des Ausbildungsgebiets der KLF profitieren würden. Dies wiederum würde nicht nur nachhaltig zur Einsatzbereitschaft der Bundeswehr insgesamt beitragen,

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Abbildung 3: Gegenüberstellung schwerpunktbezogener Dienstposten-Rollout Absolute Anzahl Ausb/Lehr Fw KLF Einsatz und Grundausbildung 2500

2000

1500

1000

1226

Ausb/Lehr Fw KLF 1136

500 0

Dienststellen/Dienststellensegmente

Standorte

Anmerkung: Anzahl Dienstposten »Ausb/Lehr Fw KLF« bei einem schwerpunktbezogenen Rollout.

© ZMSBw

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sondern auch den Soldatinnen und Soldaten, die im Rahmen einer Einzelabstellung in einen Einsatz verlegen müssen, die Möglichkeit eines professionellen Trainings der KLF eröffnen und zudem einer subjektiven Benachteiligung der Soldaten und Soldatinnen gegenüber zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entgegenwirken und diesen Personenkreis damit ständig für eine mögliche Einzelabstellung körperlich leistungsfähig halten. Diese Möglichkeit einer flächendeckenden Ausbringung könnte sowohl auf Ebene der Dienststellen/Dienststellensegmente (abhängig vom jeweiligen Organisationsbereich) oder der Standorte (territorial) implementiert werden (vgl. Abbildung 4). Ähnlich wie bei der Möglichkeit einer ausschließlichen Ausbringung auf Verbände mit Einsatz- oder Grundausbildungsauftrag wird deutlich, dass die Option einer standortbezogenen Ausbringung 177 DP »Ausb/Lehr Fw KLF« weniger benötigen würde, als bei einer Dienststelle/Dienststellensegment-Ausbringung. Aller­ dings würden bei einer flächendeckenden und standortbezogenen Ausbringung des neuen Dienstpostens insgesamt 187 Standorte von einer Professionalisierung des Ausbildungsgebiets der KLF profitieren und es entstünde so ein Mehrbedarf von 619 Dienstposten in diesem Bereich gegenüber der schwerpunktbezogenen Ausbringung. Bezogen auf die Möglichkeit einer DSt/DStSegm-Ausbringung wäre mit einem Mehrbedarf von 706 Dienstposten zu rechnen. Die aufgezeigte flächendeckende Ausbringung des Dienstpostens »Ausb/ LehrFw KLF« würde im Verhältnis zur Sollstärke der Bundeswehr nicht einmal ein Prozent des Dienstpostenumfangs ausmachen und böte zudem eine langfristige Bin­dungs­möglichkeit von ehemaligen Spitzensportlern und Spitzensportlerinnen der Bun­des­wehr, welche wiederum ihre gesammelten Erfahrungen aus dem Hoch­ leistungssport und das erlernte trainingswissenschaftliche Fachwissen effizient, d.h.



Professionalisierung der Ausbildung »Körperliche Leistungsfähigkeit«

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Abbildung 4: Gegenüberstellung flächendeckender Dienstposten-Rollout Absolute Anzahl Ausb/Lehr Fw KLF Streitkräfte 2500

2000

1932 1755

1500 Ausb/Lehr Fw KLF

1000 500 0

Dienststellen/Dienststellensegmente

Standorte

Anmerkung: Anzahl Dienstposten »Ausb/Lehr Fw KLF« bei einem flächendeckenden Rollout.

© ZMSBw

09310-02

systematisch, leistungsdifferenziert und zielgerichtet, der Truppe zugänglich machen könnten. Von den »Besten« zu profitieren und professionell im Ausbildungsgebiet KLF auszubilden, würde so auf der einen Seite Chancen zur Gestaltung eines neuen Karrieremodells in Form einer Fachverwendung sowie die Erschließung einer neuen Zielgruppe für den Arbeitgeber Bundeswehr und auf der anderen Seite das Erreichen einer demografiefesten, anpassungsfähigen als auch nachhaltigen Einsatzbereitschaft der Bundeswehr ermöglichen.

3. Schlussbemerkung und Ausblick Die Befähigung zum Kampf stellt höchste Ansprüche an Personal, Material und Ausbildung und ist nicht nur Maßstab für die Einsatzbereitschaft der Truppe, sondern auch Wegweiser für eine Professionalisierung des Ausbildungsgebietes der KLF. Das abzuleitende Fähigkeitsprofil verlangt eben nicht nur fachlich qualifiziertes, sondern auch physisch sowie psychisch robustes Personal. Eine bedarfsorientierte KLF ist daher unabdingbare Voraussetzung für die Wahrnehmung und Ausübung des Soldatenberufs mit seinem mannigfaltigen Aufgabenportfolio. Die voranschreitende Professionalisierung im Ausbildungsgebiet der KLF, welche exemplarisch durch die zunehmende Umsetzung der weisungsgebundenen und streitkräftegemeinsamen Vorgaben an ein systematisches und zielorientiertes Training der KLF in der Grundausbildung oder durch eine am Bedarfsträger orientierten Ausbildung der nebenamtlichen Sportausbilder und Sportausbilderinnen aufgezeigt wurde, bedingt langfristig nicht nur ein neues prozentuales Verhältnis an nebenamtlichen Sportausbildern und Sportausbilderinnen zur Größe der jewei-

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Daniela Klix

ligen Ausbildungsgruppe, um ein systematisches und zielorientiertes Training der KLF, beispielsweise in Leistungsgruppen, umsetzen und gewährleisten zu können, sondern es bedarf auch einer neuen personellen Ressource, die den Ansprüchen einer professionellen und individualisierten Ausbildung gerecht werden kann. Die neu zu implementierenden Dienstposten »Ausb/Lehr Fw KLF« würden eine Investition in das komplexeste, aber auch wichtigste Waffensystem der Bundeswehr, die Soldatinnen und Soldaten, bedeuten und so nachhaltig die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr sicherstellen. Die Abteilung Ausbildung Streitkräfte leistet hierfür federführend die konzeptionelle Grundlagenarbeit für das streitkräftegemeinsame Ausbildungsgebiet der Körperlichen Leistungsfähigkeit in der Bundeswehr, die Verantwortung für die Umsetzung und Durchführung der Sportausbildung vor Ort obliegt aber den Disziplinarvorgesetzten. Die Umsetzung der skizzierten und geltenden Weisungslage ZV A1-224/0-1 ist Führungsaufgabe. Um die Einheitsführer (m/w) bei dieser Aufgabe zu unterstützen, sollte perspektivisch an der Bildung eines Netzwerkes zur professionellen Trainingsbetreuung der Soldaten und Soldatinnen gearbeitet werden, wie es beispielsweise im Rahmen des psychosozialen Netzwerkes der Bundeswehr bereits der Fall ist (Abbildung 5). Abbildung 5: Netzwerk professioneller Betreuung Einheitsführer

hauptamtliche Sportfachkraft

Truppenarzt

Optimierung der sportmotorischen Belastbarkeit

Soldat/-in (Einheit)

Ernährungsberater

Optimierung der Basisund Einsatzernährung

medizinische und therapeutische Belastung

Truppenpsychologe

Körperliche Leistungsfähigkeit

Anmerkung: Abbildung modifiziert nach Eifler 2016: 36.

psychologische Betreuung und Coaching © ZMSBw

09308-01

Die Abbildung zeigt die Einbindung des Soldaten/der Soldatin in ein Netzwerk professioneller Betreuung, wobei die hauptamtliche Sportkraft ein Akteur unter mehreren im Betreuungsnetzwerk ist. Dies wiederum impliziert nicht nur ein interdisziplinäres Handlungskonzept in Bezug auf den Erhalt und die Steigerung der KLF der Soldaten und Soldatinnen bzw. der »Schlüsselressource«, wenn es um die langfristige Einsatzbereitschaft der Bundeswehr geht, sondern es setzt zum Ersten den Willen der Bedarfsträger zur Umsetzung einer professionellen und über die gesamte Dienstzeit



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andauernde Ausbildung der KLF und zum Zweiten die Alimentierung des aufgezeigten und benötigten Personalumfangs für eine hauptamtliche Sportfachstruktur bis auf Durchführungsebene voraus.

Literatur BMI & BVA (2018): Handbuch für Organisationsuntersuchungen und Personalbedarfsermittlung. Berlin: BMI. BMVg (2018): Konzeption der Bundeswehr. Berlin, . BMVg (2018): Neue militärische Ausbildungskultur. Berlin, . BMVg (2017b): Zentralvorschrift A1-224/0-1. Sport und Körperliche Leistungsfähigkeit (2. Än­de­ rung). Berlin. BMVg (2017c): Zentralvorschrift A1-224/0-6. Spitzensportförderung in der Bundeswehr. Berlin. BMVg (2016a): Zentrale Dienstvorschrift A-540/1. Personalbedarfsermittlung in der Bundeswehr. Berlin. BMVg (2016b): Personalstrategie der Bundeswehr. Berlin, . BMVg (2011): Verteidigungspolitische Richtlinien. Nationale Interessen wahren – Internationale Ver­ ant­wortung übernehmen – Sicherheit gemeinsam gestalten. Bonn: Köln. Bundesregierung (2016): Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr. Pader­ born: Bonifatius. Eifler, Christoph (2016): Lehrbrief: Athletiktrainer. Saarbrücken: DHfPG-BSA. KdoSKB AusbSK TrSK Sport (2020a): Regelung zur Erprobung der Professionalisierung der Sportausbildung in der Truppe durch die Bindung von Spitzensportlern der Bundeswehr als Trainer Sport/KLF Bw (1. Änderung). Bonn: unveröff. Dokument. KdoSKB AusbSK TrSK Sport (2020b): Zwischenbericht zur Erprobung der Professionalisierung der Sportausbildung in der Truppe durch die Bindung von Spitzensportlerinnen/Spitzensportler der Bw als Trainer. Bonn: unveröff. Dokument Abt AusbSK. KdoSKB InspAusb SKB (2019a): Jahresbericht 2018/2019 des Inspizienten für die Ausbildung in der Streitkräftebasis. Bonn: KdoSKB. Olivier, Norbert/Marschall, Franz/Büsch, Dirk (2008): Grundlagen der Trainingswissenschaft und -lehre. Schorndorf: Hofmann. Schnabel, Günter/Harre, Dietrich/Borde, Alfred (Hrsg.) (1997): Trainingswissenschaft. Leistung Training – Wettkampf. Berlin: SVB.

Andreas Lison und Christian Lützkendorf

Sportmedizin der Bundeswehr Einordnung Andreas Lison und Christian Lützkendorf geben einen Überblick über die Sport­ medizin der Bundeswehr. Ausgehend von einer Einordnung als medizinische Subdisziplin, verdeutlichen sie anhand eines »Rundgangs« durch das Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr in Warendorf den Stellenwert und die einzelnen Fachgebiete der Sportmedizin im Militär in Deutschland. Diese umfassen sowohl die medizinische Versorgung des Spitzensports in der Bundeswehr als auch sportorthopädische Angebote (nicht nur für Sportler) bis hin zum breiten Feld der sportmedizinischen Rehabilitation. Hierbei klären die Autoren auch das Verhältnis von Sportmedizin und Sportwissenschaft in der Bundeswehr. Autoren Andreas Lison, Dr. med., Oberstarzt, ist Facharzt für Orthopädie und als Leiter des Zentrums für Sportmedizin in Warendorf verantwortlich für die zentrale Unter­ suchungs-, Beratungs-, Behandlungs- und Ausbildungsstelle auf dem Gebiet der Sportmedizin (einschließlich Prävention und Rehabilitation). Christian Lützkendorf, Oberstleutnant, Dipl.-Sportwissenschaftler, ist Sachgebietsleiter Inter­nationaler Militärsport/CISM im Streitkräfteamt in Bonn. Zuvor war er Referent für Betriebliches Gesundheitsmanagement im Kommando Sanitätsdienst der Bun­des­wehr sowie Inspektionschef an der Sportschule der Bundeswehr. Er ist aktiver Ausdauerathlet (Ironman).

1. Organisatorische Entwicklung Anhand einer Luftaufnahme, die vor vielen Jahren während einer Ballonfahrt über der Georg-Leber-Kaserne in Warendorf entstanden ist, wird sichtbar, welchen Stellenwert die damaligen Gründer, Architekten und Konstrukteure der »Sportmedizin« einräumten: Im Lichte der Abendsonne umfassen die imposanten Sporthallen mit ihren für die 1970er Jahre typischen warmen Brauntönen hufeisenförmig ein strahlend weißes, quadratisches, dreistöckiges Gebäude, wo die damalige »Sportmedizinische Abteilung der Sportschule der Bundeswehr« untergebracht war. Die internationalen Erfolge der DDR im Spitzensport hatten die Bundesregierung bewogen, das System der Spitzensportförderung in West­deutsch­land zu überarbeiten. Mit der Einrichtung

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Andreas Lison und Christian Lützkendorf

von Sportfördergruppen für Spitzen­ sportler und Spitzensportlerinnen, die in der Bundeswehr »marschierten und trainierten«, wurde durch Entscheidung des Bundesministeriums des Inneren und des Bundesministeriums der Verteidigung ein wesentlicher Aspekt der neuen Spitzensportförderung etabliert. Für die Ausrichtung der neuen »Abteilung Sport­medizin« auf den Spitzensport nutzte Oberstarzt Prof. Dr. Gerrit Simon seine Verbindungen zur Universität nach Freiburg und begründete damit die Sportmedizin in der Bundeswehr. Aus einer Abteilung der Sportschule wurde nach dem tragischen Unfalltod ihres Begründers 2001 das »Sportmedizinische Institut der Bundeswehr« unter der Leitung von Oberstarzt Dr. Johann Hutsteiner. Die unter seinem Vorgänger bereits eingeführten präventivmedizinischen Angebote wurden erheblich erweitert und die Dienststelle wurde jetzt dem Zentralen Sanitätsdienst der Bundeswehr zugeordnet. Statt einer Sportmedizin in der Bundeswehr war es schlichtweg eine Überlebensfrage der Dienststelle, den Fokus auf eine Sportmedizin für die Bundeswehr auszurichten. Doch im Rückblick war es noch mehr: Mit der Entscheidung, neben der truppenärztlichen Versorgung der Sportschule überregionale Sprechstunden in den Bereichen Innere Medizin, Allgemein- und Präventivmedizin sowie Orthopädie für alle Soldaten und Soldatinnen einzurichten, wurde der Grundstein für ein verändertes Verständnis des Fachs Sportmedizin in den Streitkräften gelegt. Untersuchungs-, Beratungs-, und Behandlungsprogramme nicht nur für Spitzensportler und -sportlerinnen, sondern für Spezialkräfte, militärische Führungskräfte sowie Patienten und Patientinnen mit chronischen Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, des Stoffwechsels und des Bewegungsapparats entstanden. Eine hoch spezialisierte Physiotherapeutische Abteilung wurde etabliert, verbunden mit der Idee, all diese Fähigkeiten in einem integrativen Gesamtansatz für sportmedizinische Fragestellungen anzuwenden. Heute gehört die Dienststelle mit der Bezeichnung »Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr« (ZSportMedBw) zum Kommando Regionale Sanitätsdienstliche Unterstützung. Unter dem Motto »Leistung steigern, Belastbarkeit optimieren, Gesundheit fördern, Teilhabe ermöglichen« stellt das Zentrum mit seinen vier Abteilungen nicht nur eine kurative Einrichtung dar, sondern sie bildet aus und führt Leistungsdiagnostik sowie wissenschaftliche Untersuchungen durch. Die Einrichtung einer Abteilung »Interdisziplinäre Rehabilitation« war der vorerst letzte Schritt, das gesamte Spektrum der modernen Sportmedizin unter einem Dach abzubilden. Dadurch ist die Verantwortung der Dienststelle für den Spitzensport in der Bundeswehr erheblich gewachsen. Seit Januar 2019 betreut die Abteilung A des Zentrums zentral alle ca. 900 Spitzensportler und Spitzensportlerinnen der Sport­ fördergruppen aus dem gesamten Bundesgebiet. Man würde meinen, aus der Sportmedizin für die Bundeswehr ist mittlerweile eine Sportmedizin der Bundeswehr geworden, hoch spezialisiert, leistungsfähig, die Fragestellungen einer modernen Armee aufgreifend. Doch welches Bild haben Militärs von einer Sportmedizin, die in den Streitkräften wirkt, für alle Soldaten und Soldatinnen Beiträge leistet und dabei Alleinstellungsmerkmale entwickelt, die in der zivilen Sportmedizin nicht abgebildet werden können? Leitet sich die Notwendigkeit einer militärischen Sportmedizin aus der Tatsache ab, dass unsere Soldaten und Soldatinnen Sport treiben und sich verletzen? Was wissen Truppenärzte, Vorgesetzte



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und Politik von der Bedeutung sportmedizinischer Expertise für die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte? Reicht es, ein Team von nicht einmal 30 Spezialisten, davon sechs weibliche und männliche Fachärzte, in Warendorf in einer Dienststelle zu konzentrieren? Welchen Bedarf an sportmedizinischen Untersuchungen, Beratungen, Behandlungen, Ausbildung, Wissenstransfer und Forschung hat die Bundeswehr? Und wie grenzen sich Sportmedizin und Sportwissenschaft ab, nutzen sie doch zum Teil ähnliches Denken und Handeln? Diese Fragen sollen im Folgenden bearbeitet werden, wozu zuerst einmal eine Einordnung der Sportmedizin als medizinische Subdisziplin erfolgt und anschließend der Stellenwert und die einzelnen Fachgebiete der Sportmedizin im Militär in Deutschland dargestellt werden. Angesprochen werden die medizinische Versorgung des Spitzensports in der Bundeswehr, die sportorthopädischen Angebote sowie das breite Feld der sportmedizinischen Rehabilitation. Schließlich wird das Verhältnis von Sportmedizin und Sportwissenschaft in der Bundeswehr diskutiert.

2. Sportmedizin – Was ist das eigentlich? Um die Bedeutung der Sportmedizin für die Bundeswehr abschätzen zu können, lohnt es sich, die Sportmedizin umfassend in den Blick zu nehmen. Die mediale Berichterstattung im Leistungssport prägt allzu oft das Bild des »Sportarztes« als besonders spezialisierter sportbegeisterter Mediziner (»Athlet mit Approbation«), der in der Lage ist, durch außergewöhnliche Methoden Heilung zu erzielen und Hochleistung zu unterstützen. Doch Sportmedizin ist vielmehr ein breites Querschnittsfach und keineswegs gleichzusetzen mit der Spitzensportmedizin, die letztlich nur einen kleinen, wenngleich vielbeachteten Teil der Sportmedizin darstellt. Der Weltverband der Sportmedizin (Fédération Internationale de Médecine du Sport, FIMS) übernahm 1977 die bereits 1958 von Prof. Wildor Hollmann formulierte umfassende Definition des Fachgebiets:

»Sportmedizin beinhaltet diejenige theoretische und praktische Medizin, welche den Einfluss von Bewegung, Training und Sport sowie von Bewegungsmangel auf den gesunden und kranken Menschen jeder Altersstufe untersucht, um die Befunde der Prävention, Therapie und Rehabilitation sowie dem Sportler dienlich zu machen« (Hollman/Tittel 2008: 7).

Die aus dem Deutschen Sportärztebund hervorgegangene Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (DGSP) beschreibt auf Ihrer Internetseite treffend, dass das Querschnittsfach Sportmedizin mit seinen präventiven, kurativen und rehabilitativen Ansätzen zwar traditionell Sport treibende Menschen aller Leistungsklassen fokussiere, in einer bewegungsarmen Gesellschaft hingegen präventive und therapeutische Aspekte eine immer größere Rolle spielen würden. Bereits im Leitbild der DGSP, die mit ca. 8000 Mitgliedern zu den größten wissenschaftlichen Organisationen in Deutschland gehört, steht geschrieben, es sei Ziel, »Bewegung und Sport als integralen Bestandteil der Gesundheitsförderung in Prävention, Rehabilitation und Therapie in der Gesellschaft zu etablieren« (DGSP 2020a). Folgt man der Definition der Sportmedizin und den Leitlinien der Fachgesellschaft, wei-

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Andreas Lison und Christian Lützkendorf

tet sich der Blick, und auch der medizinische Laie ahnt, welche Bedeutung sportmedizinische Expertise für den Gesundheitszustand einer ganzen Bevölkerung jetzt und besonders in Zukunft haben wird. Sport bedeutet Begegnung und Miteinander. Mit Sport wird Geld verdient, mit Sport werden technische Entwicklungen forciert und nationale Gefühle ausgedrückt. Sport kann gesund, aber auch sehr krank machen. Dazu gehören nicht nur Sportverletzungen und Überlastungsschäden am Bewegungsapparat. Hohe Trainings- und Wettkampfbelastungen schädigen das Hormon- und das Immunsystem sowie den Zellstoffwechsel und können zu chronischen Erkrankungen führen. Das Wissen um den Nutzen und Schaden von Sport bedarf einer ganzheitlichen, interdisziplinären Herangehensweise – ein Umstand, der allzu oft in der modernen Medizin vernachlässigt und zugunsten von Spezialisierung aufgegeben wird. Wer es sich zum Ziel macht, die Gesamtheit sportmedizinischen Wissens auf den Einzelfall anzuwenden, unterschätzt die Tragweite dieses Anspruchs. Sportmedizinisches Wissen kann durch nahezu jede medizinische Disziplin bereichert werden oder gefordert sein. Innere Medizin, Kardiologie, Allgemeinmedizin, Orthopädie/Unfallchirurgie, Frauen- und Kinderheilkunde, Alters- und Umweltmedizin, Ernährungs- und Stress­ medizin, Rehabilitationsmedizin und Neurologie, Pharmakologie und Urologie, Augenheilkunde – die Liste ließe sich fortführen. Diese geforderte querschnittliche Herangehensweise von Sportmedizinern bedarf deshalb, ausgehend vom eigenen Fachgebiet, mindestens der Kenntnisse in anderen Fachdisziplinen, um beispielsweise präventiv oder rehabilitativ zu beraten. Was bedeutet dies für die Sportmedizin in der Bundeswehr? Einerseits sind Soldatinnen und Soldaten auch in gesundheitlicher Hinsicht in ihrem jeweiligen Altersband ein Spiegel der Gesellschaft. Sie können ebenso Bandscheibenvorfälle, Bluthochdruck oder Herzinfarkte erleiden, Übergewicht haben, ungesund essen und Stress ausgesetzt sein. Nicht alle bewegen sich ausreichend, andere hingegen nahezu ohne Unterlass. Sie sitzen an Schreibtischen, springen aber auch aus Flugzeugen und tauchen unter Wasser. Sie bewegen sich in großer Kälte und Hitze, können von posttraumatischen Belastungsstörungen, Amputationen und Lähmungen heimgesucht werden oder Krebs bekommen. Was sie andererseits von vielen Menschen in Deutschland unterscheidet, ist: Sie stehen mit ihrer Gesundheit und ihrem Leben für unsere freiheitlich demokratische Grundordnung ein. Ihr Eid zieht Pflichten und Rechte nach sich, so die Pflicht zur Gesunderhaltung. Demgegenüber steht eine spezifische Fürsorgepflicht des Dienstherrn. Auftrag des Sanitätsdienstes ist es, die Gesundheit der Soldatinnen und Soldaten im In- und Ausland zu schützen, zu erhalten und wiederherzustellen (Bundeswehr 2020). Damit leistet er einen wesentlichen Beitrag zur Aufrechterhaltung der Einsatzbereitschaft der gesamten Bundeswehr und er tut dies unter einem besonderen moralischen Anspruch: »der Menschlichkeit verpflichtet«. Es liegt daher in der Natur der Sache, dass sich eine Sportmedizin in der Bundeswehr zu einer Sportmedizin der Bundeswehr weiterentwickelt hat. Und es ist kein Zufall, dass das ZSportMedBw als sanitätsdientliches Zentrum eingerichtet wurde und mit seinen vier Abteilungen die Breite der Sportmedizin in einem fachübergreifenden Ansatz abbildet: präventiv, kurativ und rehabilitativ. Im sanitätsdienstlichen Curriculum für die Ausbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin



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wurde die Zusatzweiterbildung Sportmedizin als wünschenswerte Ausbildung priorisiert. Alltag in der täglichen Sprechstunde einer regionalen Sanitätseinrichtung bedeutet, in Prävention, Kuration und Rehabilitation, bei vielen im Dienstsport entstandenen Verletzungen und Überlastungsschäden, in Ernährungsfragen, bei der Trainingsberatung, ja sogar in der Anti-Doping-Beratung Wissen mit sportmedizinischem Bezug anzuwenden. Junge Truppenärzte und Truppenärztinnen profitieren von einer interdisziplinären Betrachtung und dem Wissen um die gesundheitlichen Vor- und Nachteile sportlichen Trainings für Körper und Seele. In diesem Kontext findet die Sportmedizin der Bundeswehr ihren Platz nicht nur in Warendorf, sondern im gesamten Sanitätsdienst. Machen wir uns nun auf den Weg durch die Abteilungen der zentralen Unter­ suchungs-, Beratungs-, Behandlungs- und Ausbildungsstelle der Bundeswehr im Bereich der Sportmedizin, Prävention und Rehabilitation am ZSportMedBw und werfen wir dabei immer wieder einen Blick auf die Herausforderungen und Be­son­ der­heiten der Sportmedizin der Bundeswehr.

3. Spitzensportmedizin: Von Wunderheilern und Dopingsündern Die Bundeswehr fördert mit Beschluss des Bundestages seit 1968 Spitzensportler und Spitzensportlerinnen als Teil einer gesamtstaatlichen Aufgabe. Die Spitzen­ sportförderung gehört aber nicht zu ihrem Kernauftrag. Teil der Förderung ist die gesundheitliche Versorgung im Rahmen der unentgeltlichen truppenärztlichen Versorgung für Soldatinnen und Soldaten. Die in insgesamt 15 Sportfördergruppen zusammengefassten Sportsoldaten und -soldatinnen befinden sich überwiegend im »Heimtraining« und sind über das gesamte Bundesgebiet verteilt. Deren unmittelbare ärztliche Betreuung erfolgt daher bis heute primär über Verbands- und Hausärzte vor Ort. 2018 kam es aufgrund immer wieder auftretender Probleme bei der sanitätsdienstlichen Betreuung zu der ministeriellen Entscheidung, diese zentral an das ZSportMedBw in Warendorf zu verlagern. Ziel war eine professionelle, verzugslose Sicherstellung aller Leistungen der unentgeltlichen truppenärztlichen Versorgung. Seit dem 1. Januar 2019 befinden sich nun alle Gesundheitsunterlagen der Sportsoldaten und -soldatinnen im Zentrum für Sportmedizin. Betritt man das 40  Quadratmeter große »Spitzensport-Büro«, befindet man sich in der »Schaltzentrale« einer hochprofessionellen Gesundheitsversorgung von ungefähr 900  Athletinnen und Athleten aus den unterschiedlichsten Disziplinen. Zwei erfahrene Zivilangestellte, ein Sanitätsunteroffzier und zwei freiwillig länger dienende Mannschaftsdienstgrade lesen Mails, nehmen Anrufe entgegen, telefonieren mit Gesundheitseinrichtungen und Therapeuten, beachten und erinnern an die Regeln für die unentgeltliche truppenärztliche Versorgung (utV), sprechen Trost zu, machen Hoffnung, ordnen Akten und dokumentieren eingehende Befunde. Über allem stehen ein Facharzt und ein Assistenzarzt, die eingehende Berichte bewerten, Verbindung mit Verbandsärzten und -ärztinnen aufnehmen, gemeinsam Diagnostik und Therapie abstimmen, Netzwerke knüpfen und versuchen zu informieren.

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Andreas Lison und Christian Lützkendorf

Spitzensportbetreuung ist in dieser Form einmalig in Deutschland und sie funktioniert offenbar. Seit Übernahme dieser Aufgabe durch das ZSportMedBw in Warendorf kam es zu keinen Klagen mehr seitens des Spitzensports und auch die Zusammenarbeit mit den Verbandsärzten wächst. Dies funktioniert insbesondere deshalb, weil am ZSportMedBw Menschen aus Leidenschaft tätig sind und es ist gerade diese Leidenschaft, die Sportler und Sportlerinnen spüren und sich deshalb dem Personal vor Ort anvertrauen und Beratung suchen. Sie ist es, die den Blick auf das lenkt, was Spitzensportler tagtäglich bewältigen, an körperlichen und seelischen Belastungen, unter welchem Druck sie stehen und wie weitreichend die Folgen einer gemeinhin als Bagatelle bewerteten Erkrankung in diesem Kontext sind. Es ist das, was Sanitätsoffiziere mit Pflichtbewusstsein und Begeisterung für eine umfassende Sportmedizin darüber nachdenken lässt, ob Spitzenathletinnen und -athleten durch die Professionalisierung in Warendorf wirklich die bestmögliche Versorgung erhalten, um deren Gesundheit nicht nur zu erhalten und wiederherzustellen, sondern sie auch zu schützen. Es handelt sich hierbei um Fragen, die schlichtweg die ethischen Grenzlinien der Spitzensportmedizin berühren. Spitzensport ist kein Gesundheitssport. Die Semantik, die sich in vielen For­ mu­lierungen und Darstellungen im Spitzensport verbirgt, weist Parallelitäten zum militärischen Kontext auf. Körperliche Leistungsfähigkeit, sich zu überwinden und, dem Auftrag folgend, im Zweifelsfall seine Gesundheit zu opfern, um ein höherwertiges Ziel zu erreichen, gehören zum Berufsbild von Soldatinnen und Soldaten; sie beweisen es tagtäglich und nicht zuletzt in Auslandseinsätzen. Das Wissen und die Erfahrung einer hoch spezialisierten Spitzensportmedizin trägt dazu bei, dies auf die Betreuung körperlich hoch belasteter Soldatinnen und Soldaten etwa bei den Spezialkräften zu übertragen. Das macht Spitzensportmedizin, auch wenn sie nicht dem Kernauftrag der Streitkräfte entspricht, wertvoll. Genauso wertvoll ist die Übertragung von Wissen und Erfahrung aus der querschnittlichen Sportmedizin (mit ihren Bereichen Prävention und Rehabilitation) auf Spitzenathleten und -athletinnen. Dies entspricht sehr wohl dem Kernauftrag des Sanitätsdienstes, der – sich der Menschlichkeit verpflichtend – keinen Unterschied in der Wertigkeit sanitätsdienstlicher Versorgung verschiedener Verwendungsreihen in der Bundeswehr macht. Für den im Spitzensport tätigen Sanitätsoffizier sind diese Menschen nicht primär Superhelden und Spitzenathleten, sondern Soldatinnen und Soldaten, denen er sich in seinem Wirken ebenso verpflichtet fühlt wie allen anderen, die ihm anvertraut werden. Im Oktober 2018 hat der Vorstand des Sportärztebundes Nordrhein für die DGSP einen sportmedizinischen Ethikkodex erarbeitet, basierend auf dem Statement der FIMS (DGSP 2020b). Hiernach stellt der Respekt vor der Patientenautonomie ein grundlegendes medizinethisches Prinzip dar, dessen zentrale Komponente das Wissen darstelle. »Ohne informierte Einwilligung des Sportlers liegt eine Missachtung der Athletenautonomie vor. Versäumt der Sportarzt, dem Sportler die notwendigen Informationen zur Verfügung zu stellen, verletzt dies ebenso das Recht des Sportlers, seine eigenen Entscheidungen zu fällen.« Und weiter: Es sei ein vorrangiges ethisches Anliegen, »dem Patienten nach besten Fähigkeiten alle Informationen



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zur Verfügung zu stellen, die erforderlich sind, um ihm zu ermöglichen, selbstständig zu entscheiden und zu handeln« (DGSP 2020b). Es mag zunächst überraschen, dass dieses in der modernen Medizin längst anerkannte Modell der Patientenautonomie und der partizipativen Entscheidungsfindung als Ethikkodex formuliert werden muss. Doch zu häufig werden diese Prinzipien im kommerzialisierten Spitzensport mit Einwilligung aller Beteiligten missachtet. Nicht nur Dopingskandale sind Ausdruck einer primär an Leistung und Erfolg ausgerichteten gesellschaftlich gestützten Anerkennungskultur. Für den Sanitätsdienst und das dort eingesetzte Personal stehen hingegen persönliche Betreuung, interdisziplinäre Beratung für Prävention, Kuration und Rehabilitation, eine professionelle Auswertung von Gesundheitsdaten sowie Wissenstransfer und fachliche Vernetzung an erster Stelle. Um dies leisten zu können, bedarf es einer grundlegenden, informierten Entscheidung der Politik und einer wachsenden Erkenntnis, dass die Einhaltung ethischer Richtlinien in der Spitzensportmedizin der Fürsorgepflicht und dem Auftrag der Bundeswehr nicht nur in seiner Rolle als Sportförderer entspricht. Gehen wir weiter auf unserem virtuellen Rundgang durch das ZSportMedBw.

4. Leistungsmedizin: Medizin für alle, die etwas leisten? Wir sind nun im Herz-Kreislauf-Labor angekommen. Dominiert von einem hoch belastbaren Laufband, ist der Raum angefüllt mit Medizintechnik, verschiedenen Fahrrad­ ergometern, EKGs und einem Notfallwagen. Topathleten können auch eine Spezialkonstruktion nutzen, in der das eigene Hochleistungsrennrad eingespannt werden kann, um eine möglichst wirklichkeitsnahe Untersuchungssituation zu gewährleisten. Für Menschen mit Beeinträchtigungen der unteren Extremitäten steht ein Handkurbelergometer ebenso bereit wie eine barrierefreie behindertengerechte Sanitäreinrichtung. Unmittelbar angegliedert findet sich das zentrumseigene Labor, in dem vollautomatisiert binnen kürzester Zeit eine Vielzahl von Blut- und Urinparamteren untersucht und Laktatleistungskurven bestimmt werden. In der Nähe befinden sich der Body-Plethysmograph, der bis heute die umfassendste Bestimmung der Lungenfunktionen ermöglicht, und ein hochmodernes Ultraschallgerät, mit dem alle Organe, einschließlich des Herzens und der Gefäße, untersucht werden können. Die Atmosphäre hier scheint das abzubilden, was viele sich wünschen: eine systematische Erfassung von Trainingsparametern, um Training zu steuern und die eigene Leistung zu optimieren. Allein 2019 wurden hier mehr als 160 Kaderuntersuchungen durchgeführt und die dabei anfallenden Laktatkurven und spiroergometrischen Parameter den Spitzenathletinnen und -athleten für die Trainingssteuerung mitgegeben. Die Diagnostik dient nicht nur der Leistungssteigerung, sondern auch der Gesundheitsfeststellung. Es ist Teil des originären militärischen Auftrags des Zentrums, diese Untersuchungen nicht nur bei den Angehörigen der Sportfördergruppen, sondern auch bei zivilen Kadersportlern und Kadersportlerinnen durchzuführen. Die Dienststelle zählt damit zu den insgesamt 26  Sportmedizinischen Untersuchungszentren des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), die überwiegend universitär an-

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gebunden sind. Oftmals wird allerdings übersehen, dass die in Form und Inhalt vorgeschriebenen Untersuchungen der Kaderathleten und -athletinnen nicht primär der Trainingssteuerung dienen. Es wird angenommen, dass die Bestimmung von Laktatwerten und der maximalen Sauerstoffkapazität Überlastungen vermeiden würden und hierdurch Gesundheitsschutz entstehe. Vielmehr stellt die alljährliche verpflichtende Kaderuntersuchung eine gezielte präventivmedizinische Maßnahme dar, um die Gesundheit von Topathletinnen und -athleten zu schützen oder wiederherzustellen. Die Bundeswehr konkurriert als Arbeitgeber um junge Menschen und wirbt mit einer Vielzahl von positiven Herausforderungen und interessanten Möglichkeiten. Im Kontext des demographischen Wandels stellt dies eine besondere Herausforderung dar, werden doch je nach Verwendung bestmögliche körperliche und mentale Belastbarkeit der Soldaten und Soldatinnen gewünscht – und dies nicht nur im Rahmen der Auslandseinsätze. Eine Vielzahl wissenschaftlicher Untersuchungen in Deutschland, aber auch weltweit zeigen eine Zunahme des Bewegungsmangels und der damit verbundenen Erkrankungen, zum Teil bereits im Kindes- und Jugendalter. Dies hat Folgen für das Bewerberpotenzial und die Belastungsfähigkeit junger Soldatinnen und Soldaten (Sammito/Müller-Schilling 2019). Auch die hohe Krankheitslast in Deutschland, die durch chronische Erkrankungen des Stoffwechsels und des Herz-Kreislauf-Systems entsteht, kann sich direkt auf die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr auswirken. Leistungsmedizinische Untersuchungen sind daher nicht primär leistungssteigernd orientiert, sondern Teil einer umfassenden Erhebung der Gesundheitsvorgeschichte im Rahmen der Anamnese, einer sportmedizinisch ausgerichteten körperlichen Untersuchung, der Bestimmung von Laborwerten und im Zweifelsfall weiterer diagnostischer Maßnahmen. Gerade die Spiroergometrie, die in der öffentlichen Wahrnehmung die »bestmögliche« Form der Trainingssteuerung und Grundlage einer gezielten Trainingsplanung darstellt, ist ein hochkomplexes diagnostisches Mittel, um Erkrankungen der Lunge und des Herzens in Kombination mit anderen medizinischen Maßnahmen zu entdecken. Leistungsdiagnostische Unter­suchungen, die nicht von hierzu ausgebildeten Medizinern durchgeführt werden, mögen zu einer gewünschten Leistungssteigerung beitragen, ob sie zu einer gesundheitlichen Risikosenkung führen, erscheint hingegen gerade im ambitionierten Hobbysport mehr als fraglich. Es empfiehlt sich daher für Neu- oder Wieder­ einsteiger, sich sportmedizinisch, zumindest jedoch allgemeinmedizinisch untersuchen zu lassen. Dies stellt (fachlich gesehen) die Grundvoraussetzung dar, die positiven Seiten des Sports zu nutzen und die Risiken gering zu halten. Ganz besonders trifft dies für Menschen mit hohen körperlichen und mentalen Belastungen oder mit chronischen Erkrankungen zu. Es ist daher kein Zufall, dass die leistungsmedizinisch-internistische Abteilung des ZSportMedBw eine präventivmedizinisch spezialisierte Sprechstunde für körperlich hoch belastete Soldatinnen und Soldaten, militärische Führungskräfte und chronisch Erkrankte bereitstellt. Leistungsmedizinische Untersuchungen dienen hierbei der Diagnostik und Therapie. Sie werden ergänzt von ernährungs- und stressmedizinischen Untersuchungen und Beratungen.



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5. Sportorthopädie – Hilfe statt Pech gehabt! Wir betreten jetzt die dritte Etage des ZSportMedBw. Hier befindet sich die orthopädische Abteilung mit ihren Arztzimmern und der »Physio« (wie der Bereich von vielen Patienten genannt wird). Im physiotherapeutischen Bereich arbeiten drei Physiotherapeuten und ein Masseur: hoch intensiv, mit ihnen persönlich fest zugeteilten Patienten, mehrere Stunden täglich und im ständigen Austausch mit den Fachärzten des Zentrums. Sie hören zu, beobachten, berühren, spiegeln, bauen auf, halten, leiten. Sie nutzen technische Diagnostik, rehabilitative Assessments, Geräte, komplexe Methoden, vor allem aber erfahrungs- und wissensbasierte menschliche Kommunikation und Emotion. Und: Sie bleiben dran – fordern, fördern und bremsen. Denn sie wissen, dass die erlittene Verletzung oder die durchgeführte Operation in den Fällen, die am Zentrum behandelt werden, nur der Beginn eines sehr langen, vielfach lebensbestimmenden Weges ist. Der Zulauf in der konservativ ausgerichteten, ambulanten sportorthopädischen Sprechstunde übersteigt die Kapazitäten der Abteilung bei Weitem. Der vor vielen Jahren vollzogene fachliche Zusammenschluss von Unfallchirurgie und Orthopädie in einer gemeinsamen Facharztausbildung durch die Weiterbildungsordnung der Bundesärztekammer hat auch im Sanitätsdienst dazu geführt, dass das Interesse an konservativem orthopädischen Tätigkeiten stetig abnahm. Dabei steht die Begrifflichkeit »konservativ« nicht per se für Stillstand oder Durchschnittsqualität. Es ist eher die nachvollziehbare Faszination für das Operieren, die junge Ärzte und Ärztinnen bewegt, eine Facharztausbildung in einem chirurgischen Fach anzustreben – ein schwieriger und langer Weg. Nicht operative Therapiemöglichkeiten treten im Zuge der Ausbildung stark in den Hintergrund. Und doch macht es den guten Chirurgen aus, wenn er weiß, wann eine Operation nicht nötig oder gar schädlich ist. Dazu benötigt er alternatives Wissen, besonders dann, wenn operative Verfahren nicht erfolgreich waren oder Komplikationen bleibende Schäden nach sich zogen. Es erscheint paradox, aber mit steigender Qualität und Quantität von Opera­tionen am Bewegungsapparat wuchs in den letzten Jahren der Bedarf an nicht operativem, rehabilitativem, orthopädischem und sportorthopädischem Wissen und Beratungen ebenso wie die Skepsis von Patientinnen und Patienten, ob eine Operation immer die wirksamste Lösung ist. Die »Reinkarnation« der konservativen Orthopädie steht dabei offenbar erst an ihrem Anfang. Die Wiederausrichtung der Bundeswehr auf die Landes- und Bündnisverteidigung, die hierfür entwickelten Szenarien und Modelle und die hiermit verbundenen (theoretischen) Verwun­detenzahlen, die Auslandseinsätze, aber auch die Erfahrungen anderer NATO-Partner belegen die Notwendigkeit einer konservativ orthopädischen, rehabilitativ ausgerichteten Eigenkompetenz in Verbindung mit einer wissensbasierten Kooperation mit dem zivilen Bereich. Die sportmedizinisch ausgerichtete konservative Orthopädie in der Bundeswehr stellt dabei aufgrund ihres interdisziplinären, präventivmedizinischen und rehabilitativen Ansatzes in idealer Weise den »missing link« zu den hochspezialisierten Kliniken des zivilen Bereichs dar. Sportorthopädie bedeutet mehr als »Orthopädie für Sportler«. Dies trifft insbesondere auf die große Zahl nicht operationsfähiger orthopädischer Krankheitsbilder

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zu, deren führendes Symptom der häufig wiederkehrende oder dauerhafte Schmerz ist. Wer sich der konservativen Sportorthopädie in diesem Bereich verschreibt, erweitert sein Wissen um die Möglichkeiten und Grenzen operativer Verfahren, um Binde­ gewebs- und Schmerzphysiologie, Ernährungs- und Stressmedizin sowie Neuro­physio­logie. Er oder sie ist bereit, wo immer möglich mit Internisten, All­ gemeinmedizinern, Physiotherapeuten und Orthopädietechnikern zusammenzuarbeiten. Vor allem aber: Konservative Sportorthopäden können körperlich gut unter­suchen und den Patientinnen und Patienten genau zuhören, sie gezielt be­ fragen, auch nach Dingen, die auf den ersten Blick gar nicht zum orthopädischen Fachgebiet zu gehören scheinen. Konservativ tätige Orthopäden kennen die Inhalte und Möglichkeiten von Heil- und Hilfsmitteln und arbeiten im Team. Die ortho­ pädische Abteilung des ZSportMedBw hat im Auftrag der vorgesetzten Kom­ mando­behörden die Verordnungshilfe Physiotherapie erarbeitet und aktualisiert, als Handreichung für die truppenärztliche Praxis. In der bisherigen Version wurde die zivil gültige Heilmittelverordnung von 2014 auf ihre Brauchbarkeit für die spezifischen Belange der Soldaten und Soldatinnen überprüft, die Fachterminologie übernommen und Physiotherapie mit ihren Teilbereichen systematisch erläutert. Für die Überarbeitung zeigte sich, dass die im Oktober 2020 in Kraft getretene Neuauflage der zivilen Heilmittelverordnung an mehreren Stellen Änderungen vorgenommen hatte, die bereits in der sanitätsdienstlichen Verordnungshilfe, abweichend von den damaligen zivilen Regelungen, mit dem Ziel einer qualitativ hochwertigen Versorgungsmöglichkeit festgelegt worden waren. Dieser Ausdruck einer Eigenkompetenz des Sanitätsdienstes ist im zivilen Bereich völlig unbekannt, was die Frage aufwirft, ob die Sichtbarkeit der konservativen Orthopädie im Sanitätsdienst nicht weiter verbessert werden sollte. mittel­ ver­ Ähnliches zeigt sich bei hoch individuellen und komplexen Hilfs­ sor­ gungen, beispielsweise mit Rollstühlen oder Prothesen der oberen und unteren Extre­mitäten. Die weitaus überwiegende Zahl von Amputationen wird in Deutsch­land aufgrund von Durchblutungs- und Ernährungsstörungen der unteren Extremitäten bei Diabetes und Gefäßverengung nach Rauchen und damit bei älteren Menschen mit sinkendem Funktionsanspruch durchgeführt (Greitemann 2002: 29). Weltweit stellt sich dies für Streitkräfte aber gänzlich anders dar, hier sind meist junge Menschen betroffen, deren Amputationen traumatisch bedingt sind, sei es durch Unfälle, Verwundungen oder Verletzungen im Dienst. Es sind Menschen, die aus voller Gesundheit und guter Leistungsfähigkeit heraus Teile ihres Körpers verloren haben. Entsprechend hoch sind ihre Hoffnungen und Erwartungen an prothetische Versorgungen. Zwar hat die technische Entwicklung der letzten Jahre Funktionalitäten eröffnet, die eine nie dagewesene Alltags- und Sporttauglichkeit ermöglichen; unter Nutzung hochkomplexer Algorithmen in elektronischen Gelenken mittels künstlicher Intelligenz wird dies auch weiter so bleiben. Dies führt aber gleichzeitig dazu, dass die Anforderungen an eine hochfunktionale, dem Stand der Technik und dem Patientenanspruch genügende Individualversorgung erheblich gestiegen sind und sich weiter erhöhen. Es ist ein Glücksfall, dass die Zahl von Amputationsverletzungen in der Bundeswehr – im Vergleich zu anderen NATOPartnern wie beispielsweise den USA oder Großbritannien – verschwindend gering



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ist. In Hinblick auf ein Szenario im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung ist es aufgrund der damit verbundenen mangelnden Erfahrung notwendig, sich auf den zivilen Bereich abzustützen, der ursachen- und häufigkeitsbedingt ebenfalls nicht über die Expertise ausländischer Sanitätsdienste mit hohen Verwundetenzahlen verfügt. Aktuell stehen ein fundiertes Wissen und Erfahrungen in einer interdisziplinären Komplex- und Langzeitversorgung Amputationsverletzter in der Bundeswehr nur am ZSportMedBw zur Verfügung. Hier arbeiten Orthopäden, Allgemeinmediziner, Sozialdienst, speziell ausgebildete Physiotherapeuten (Passteiltrainer) und erfahrene zivile Orthopädietechniker in einer – im zivilen Bereich strukturbedingt nicht umsetzbaren – Intensität und Vernetzung zusammen. Dabei verbindet alle das Ziel, die medizinischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass amputationsverletzte Soldaten und Soldatinnen ihren Platz als belastbare Angehörige in der Bundeswehr behalten oder neu finden. Die Aufgabe der konservativen Sportorthopädie muss es sein, dieses Wissen weiterzuentwickeln und dabei nicht nur Schritt zu halten, sondern den Maßstab für unsere spezielle Patientenklientel neu zu setzen und hierbei mit dem zivilen Bereich wie auch ausländischen Sanitätsdiensten zu kooperieren. Auch hier heißt es: sich auf den Ernstfall durch Eigenkompetenz vorzubereiten und dies sichtbar zu machen.

6. Rehabilitation: Krankengymnastik auf Dauer? Auf unserem Weg sind wir in der Abteilung »Interdisziplinäre Rehabilitation« angekommen. Um zu verstehen, warum das ZSportMedBw als »Kompetenzzentrum Somatische Rehabilitation« durch das Konzept »Medi­zi­ni­sche Rehabilitation« den Auftrag erhalten hat, wesentliche Impulse für die Weiter­ent­wicklung der Rehabilitation im Sanitätsdienst zu setzen und in sehr komplexen Fällen die medizinisch dienstlich orientierte Rehabilitation (MDOR) durchzuführen (Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr 2020: 8), reicht es nicht aus, sich an die internationale Definition der Sportmedizin mit ihrem rehabilitativen Anteil zu erinnern. Und es genügt nicht, Sport als »Allheilmittel« für Menschen mit Beeinträchtigungen zu bewerten und hierdurch die Verbindung zur Sportmedizin abzuleiten. Es ist vielmehr nötig, das Wesen von Rehabilitation zu begreifen. Rehabilitation hat zum Ziel, verlorengegangene Funktionen, Aktivitäten und Partizipation wiederzuerlangen. Das lateinische Wort »rehabilitatio« (Wieder­her­stel­ lung) verdeutlicht bereits einen hohen Anspruch und verweist auf die Kom­plexi­ tät rehabilitativer Maßnahmen, sodass Rehabilitation oftmals eher mit Wieder­ein­ gliederung verbunden wird, ist es doch gerade bei schweren Beein­träch­ti­gungen der körperlichen, geistigen und seelischen Funktionen kaum möglich, eine vollständige Wiederherstellung zu erreichen. Die Folge ist diesen Fällen oftmals eine Behinderung. Der moderne Behinderungsbegriff ist jedoch nicht defizitorientiert und damit auch nicht diagnosebezogen, er orientiert sich vielmehr am Ausmaß der Einschränkung der Teilhabe am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben einer Person. So kann die gleiche funktionale Beeinträchtigung (z.B. die Amputation einer Gliedmaße) zu ganz unterschiedlichen Teilhabestörungen führen, abhängig von exis-

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tierenden Barrieren oder Förderfaktoren. Diese können beispielsweise die berufliche Ausbildung, das soziale Umfeld, Einschränkungen des Zugangs zum Sport und zur Kultur oder das Fehlen eines geeigneten Transportmittels sein. Barrieren sind somit mehr als die fehlende Absenkung eines Bordsteins für Rollstuhlfahrer. Sie sind versteckt und kompliziert, oftmals gesellschaftlich akzeptiert und immer individuell. Wer bei schweren Beeinträchtigungen in Rehabilitation (vulgo »Reha«) geht, kämpft um das Zurückkommen in ein meist neues Leben und dabei nicht selten auch um seine wirtschaftliche Existenz, um seine persönliche Würde – als Soldat oder Soldatin, Partner, Elternteil, Sportlerin oder Künstler. Reha ist weit mehr als langfristige Behandlung, es ist keine Kur, manchmal endet sie nie. Reha verläuft in Phasen, ihr Ergebnis ist offen. Reha ist hart, sie bereitet Schmerzen und Rückschläge, sie verläuft selten geradlinig. Als Rehabilitand ist man abhängig von anderen, von Medizinern und anderen Therapeuten, von Vorgesetzten, Regeln, Paragrafen, Diensten. Reha wird dabei vielfach als Kontrollverlust erlebt. Dies betrifft alle Lebensbereiche und besonders die nahen Angehörigen, die mitarbeiten, mitleiden und auch selbst leiden. Bis heute ist es nicht vollumfänglich möglich, Reha-Erfolg objektiv zu messen. Zu vielfältig sind die Ursachen von drohender oder bleibender Behinderung, zu zahlreich die Faktoren, die im einen Fall Behinderung verringern, sie im anderen aber verstärken. Die beste medizinische Rehabilitation bleibt in beruflicher Hinsicht erfolglos, wenn kein adäquater Dienstposten bereitgestellt werden kann, wenn eine Ausbildung fehlt oder ein Fahrzeug nicht optimal angepasst ist. Und doch kennt die Wissenschaft Faktoren, die den funktionellen und partizipativen Outcome medizinischer Rehabilitationsmaßnahmen positiv beeinflussen und die beispielsweise im Qualitätsmanagement spezialisierter Rehabilitationseinrichtungen gut beschrieben sind. Eine hochwertige Struktur- und Prozessqualität bildet die Basis guter medizinischer Ergebnisse, die in der modernen Rehabilitationsmedizin mittels Assessmentverfahren objektiviert werden. Zentrale Bedeutung hat allerdings das sogenannte Sozialkapital innerhalb der Rehabilitationseinrichtung. Immer dann, wenn berufsgruppenübergreifend in einem gemeinsamen Verständnis, im Rahmen einer übergeordneten Organisationsstruktur und mit systematischer Partizipation der Rehabilitanden, also im Team mit klaren Verantwortlichkeiten, gehandelt wird, verbessert sich die Reha-Prognose für die Betroffenen. Der Sanitätsdienst der Bundeswehr hat über Jahrzehnte rehabilitative Leistungen auf dem zivilen Markt eingekauft, ohne eigenkompetent beurteilen zu können, ob eine gute Qualität geboten wurde. Unter dem Eindruck von Verwundung an Leib und Seele durch die Auslandseinsätze begann sich dies zu ändern. Die Wiederausrichtung der Bundeswehr auf die Landes- und Bündnisverteidigung hat diese Entwicklung nun entscheidend beschleunigt. Die begonnene Kooperation mit den Kliniken der Berufsgenossenschaften und die Ausbringung von Reha-Schwerpunkten an zunächst fünf Facharztzentren im regionalen Sanitätsdienst sind hierbei erst der Anfang. Es zeigt sich, dass moderne, am militärischen Bedarf ausgerichtete Rehabilitationsangebote einen wichtigen Beitrag zur Einsatzbereitschaft der Bundeswehr darstellen und dem Auftrag des Sanitätsdienstes sowie der Fürsorgeverpflichtung des Dienstherrn entsprechen. Das Konzept »Medizinische Rehabilitation« formuliert einen klaren Anspruch an die Qualität rehabilitativen Denkens und Handelns im Sanitätsdienst



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und betont eine teilhabeorientierte und nicht diagnosebezogene Vorgehensweise sowie die Forderung, dass die Qualität medizinischer Rehabilitation sich nicht danach richtet, ob Einsatz, Dienst im Inland oder wehrdienstunabhängige Verletzungen oder Erkrankungen der Anlass für die medizinische Reha waren (Kommando Sanitäts­ dienst der Bundeswehr 2020: 3). Mit ihrem fachübergreifenden bewegungs- und sportorientierten Ansatz war die Sportmedizin von Beginn an Teil medizinischer Rehabilitation. Mit Gründung des »Sportmedizinischen Instituts der Bundeswehr« wurde die Rehabilitation im zentralen Auftrag der Dienststelle verankert. Heute leistet die Sportmedizin der wehr einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der Rehabilitation Bundes­ im Sanitätsdienst, auch durch Beratung und Ausbildung für die regionalen Sanitätseinrichtungen und durch wissenschaftliche Untersuchungen im Verbund mit sanitätsdienstlichen und zivilen Partnern. Die Einrichtung der Abteilung D »Inter­ disziplinäre Rehabilitation« zum 1.  Januar 2017 bildete die Grundlage einer integrativen Vorgehensweise. Wenngleich ressourcenbedingt lediglich durch eine Fachärztin für Allgemeinmedizin und einen Feldwebeldienstgrad abgebildet, veränderte dies die Qualität der medizinischen Rehabilitation im ZSportMedBw, die zuvor lediglich aus intensivierten Physiotherapiemaßnahmen bestand, entscheidend. In einer abteilungsübergreifenden Teamleistung richtete sich das Zentrum nun nach den zivilen Standards aus, wie sie beispielsweise von der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation beschrieben werden (BAR 2019), spezifizierte diese aber, unter Nutzung der vorhandenen Erfahrungen interdisziplinären Arbeitens und sportmedizinischer Expertise, für den Bedarf der Bundeswehr. Heute werden Soldatinnen und Soldaten in sehr komplexen Fällen behandelt, wenn sie im Einsatz, im Dienst oder im Privatleben schwer verwundet bzw. verletzt wurden oder nach schwerer Erkrankung weitreichende Funktionsstörungen am Bewegungsapparat aufweisen. Nach ausdrücklicher Empfehlung durch Wehrpsychiater werden unter bestimmten Voraussetzungen auch Soldaten und Soldatinnen betreut, die eine einsatzbedingte psychische Erkrankung erlitten haben und unter körperlichen Symptomatiken, wie starker Leistungsminderung und/oder Schmerzen am Bewegungsapparat, leiden. Die medizinisch dienstlich orientierte Rehabilitation am ZSportMedBw bedient sich der gesamten am Zentrum bereitstehenden Diagnostik, moderner Assessments und interprofessioneller Verfahren zur Steuerung des Rehabilitationsprozesses. Ortho­ pä­ die, Allgemein-, Ernährungs-, Stressmedizin, supportive psychotherapeutische Begleitung, hoch intensive Physiotherapie sowie komplexe Orthopädietechnik werden aufgrund eines individualisierten Rehabilitationsplans in dreiwöchigen teilstationären oder ambulanten Settings angewendet. Besonderen Stellenwert nimmt hierbei die sozialdienstliche Betreuung der Rehabilitanden ein, die durch die dauerhafte Abstellung eines Sozialarbeiters des Bundeswehrdienstleistungszentrums in Münster ermöglicht wird. Die Sportschule der Bundeswehr führt zudem sporttherapeutische Trainings durch, für die das ZSportMedBw die Indikation stellt und ein Pre- und Postassessment vornimmt. Das Ziel der medizinisch dienstlich orientierten Rehabilitation in der Bundeswehr (MDORBw) ist die bestmögliche Wiederherstellung der Dienst-

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und Verwendungsfähigkeit; nur in Fällen, wo dies nicht möglich ist, geht es um die Vorbereitung auf das zivile Leben, gegebenenfalls bis hin zur Pflege. Den Weg dorthin ebnet die interprofessionelle Zusammenarbeit der Medizinberufe mit dem Sozialdienst der Bundeswehr und der Personalführung. Es wird sich zeigen, wie gut dieses Prinzip in der Fläche der regionalen sanitätsdienstlichen Versorgung greift. Klar ist, dass die Bundeswehr, anders als andere Arbeitgeber in Deutschland, Rehabilitation aus einer Hand bieten kann, durch einen eigenen medizinischen und sozialen Dienst, durch eine eigene Kostenträgerschaft (freie Heilfürsorge) und eine übergeordnete Personalführung. Dies wird durch die Außenwahrnehmung, die immer wieder in Gesprächen mit Vertretern ziviler, in der Rehabilitation tätiger Spezialisten geäußert wurde, bestätigt – bis hin zu der Überlegung, dass der Sanitätsdienst für die Rehabilitationsmedizin in Deutschland mit seinen Erfahrungen eine Vorreiterrolle spielen könne. Unabhängig davon ist aber sicherzustellen, dass junge Menschen, die vor der Entscheidung stehen, Soldatinnen oder Soldaten zu werden und für die freiheitlich demokratische Grundordnung im Notfall ihre Gesundheit zu opfern, wissen, dass ihnen die bestmögliche medizinische Versorgung zuteil wird. Professionelle Rehabilitation beginnt daher bereits im Einsatz und stellt ein zentrales Attraktivitätsmerkmal für die Bundeswehr dar. Die Sportmedizin der Bundeswehr hat hieran einen wachsenden Anteil. Der Rundgang durch das ZSportMedBw ist damit abgeschlossen. Im Folgenden soll das Verhältnis von Sportmedizin und Sportwissenschaft genauer in den Blick genommen werden.

7. Zum Verhältnis von Sportmedizin und Sportwissenschaft Sportmedizin und Sportwissenschaft sind im Vergleich zu vielen anderen Wissen­ schaften mit der Etablierung erst im 20. Jahrhundert zwei recht junge Wissen­schafts­ gebiete. Da beide Wissenschaftsdisziplinen das Wort »Sport« im Namen tragen, ist es offensichtlich, dass sich in ihren Betrachtungen Über­schneidungen ergeben. Das muss auch kein Problem sein, doch wird die alleinige Deutungshoheit in den thematischen Schnittmengen auf beiden Seiten noch zu oft betont. Wechselweise und je nach konkretem Anwendungsfeld kann die jeweils andere Disziplin im Extremfall als reine Hilfswissenschaft wahrgenommen werden. Im leistungssportlichen Kontext wird die Sportmedizin gern als Erfüllungsgehilfe der Sport- und Trainings­wissen­ schaft verstanden. Im Fall der Einbindung von Sport in Primär­präven­tion und Rehabilitation ist das Verhältnis umgekehrt. Doch es gibt durchaus Thematiken, wo beide Wissenschaftszweige mehr voneinander profitieren können und dies auch tun sollten – gerade in der Bundeswehr, wo beide Disziplinen mit dem Ziel zusammenwirken, einsatzbereite, gesunde Streitkräfte zur Verfügung zu haben. Während die medizinische Diagnostik und Therapie im Sanitätsdienst vergleichsweise schnell und konsequent den Stand von Forschung und Wissenschaft für die Patienten erlebbar anpasst und zu deren Vorteil weiterentwickelt, dauert dies für die sportwissenschaftlichen Angebote der Bundeswehr vielfach länger. So ist es beispiels-



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weise noch immer nicht selbstverständlich, leistungsdifferenziertes Ausdauertraining in der Truppe mit zur Belastungssteuerung geeigneten Pulsmessern durchzuführen, obwohl dieses Verfahren zur Trainingssteuerung seit Jahrzehnten eingesetzt wird. Sinnbildlich gesprochen würde niemand auf die Idee kommen, ärztliches Personal nach einer Fraktur von Gliedmaßen ohne Röntgenbild, also ohne fundierte und zeitgemäße Diagnostik, eine Therapie planen zu lassen. Von in der Sportausbildung eingesetztem Personal wird allerdings erwartet, anhand von an der Halsschlagader mit den Fingern gemessenen Pulswerten Aussagen über den Trainingszustand und die weitere Trainingsplanung zu treffen. Das reine Abstützen auf Feldtests und improvisierte Messmethoden erschwert der Sportwissenschaft in der Bundeswehr eine adäquate Wahrnehmung als angewandte Wissenschaft anstelle bloßer Trainingsheuristiken. Hier ist argumentative Schützenhilfe zur Qualitätssteigerung der Sportausbildung vonseiten der Sportmedizin, die aufgrund der Zugehörigkeit zur Medizin über jahrzehntelange diagnostische Erfahrung in der Fläche verfügt, durchaus wünschenswert. Das ausgeprägte, historisch gewachsene Breitensportsystem in Deutschland, vor allem mit seiner ehrenamtlich geprägten Sportvereins- und Sportfreizeitkultur, macht es der Sportwissenschaft des 21. Jahrhunderts hinsichtlich der Professionalisierung des Feldes nicht einfach. Dies ist auch in der Bundeswehr zu spüren. Denkweisen wie »Sport kann ja jeder machen, denn im Verein ist es ja auch so« und »Wer sportlich und durchtrainiert aussieht, kann das doch auch anderen beibringen« sind, etwas überspitzt dargestellt, häufig anzutreffen und erschweren es, Qualität in der Sport­ ausbildung zu etablieren. Sport treiben viele Menschen in der Bundeswehr gern. Sie tun dies aber eher eigenmotiviert, selbstständig und interessenorientiert, statt organisiert und auf den Ausgleich von Defiziten gerichtet. Das hohe Maß an Eigenmotivation der Soldatinnen und Soldaten zum Sport­ treiben ist zwar grundsätzlich ein Segen, kann aber bei unqualifizierter Sportausübung oder unqualifizierter Anleitung auch kontraproduktiv sein und zu Verletzungen führen, die dann ein Fall für die rehabilitative Sportmedizin werden. Training ist als wirksame Heilmethode in der Medizin längst und immer mehr anerkannt. Dass aber Heilmittel neben hilfreichen, positiven Hauptwirkungen auch unerwünschte, negative Nebenwirkungen haben können, wird beim Sport manchmal vergessen oder ausgeblendet. Ebenso wenig wie Sportmediziner nicht leichtfertig Medikamente verschreiben und vom Nichtqualifizierten aushändigen lassen, sollte die Bundeswehr das »Medikament Sport« nicht eigenmächtig dosiert und unqualifiziert verabreicht in ihrem Verantwortungsbereich zulassen. Die verstetigte Hauptamtlichkeit der Sportausbilder in den Grundausbildungseinheiten stellt hier den folgerichtigen, wichtigen Schritt am Beginn einer jeden Karriere in der Bundeswehr dar und kann hoffentlich zu einer spürbaren Verbesserung führen. Aber auch in diesem Projekt ist eine argumentative Verstärkung durch die Sportmedizin willkommen, denn sie würde die gemeinsamen Anstrengungen für einsatzfähige Menschen in den Streitkräften herausstellen. In umgekehrter Richtung gibt es aber auch für eine gut entwickelte Sportmedizin in der Bundeswehr Potenziale, die sie durch die und mit der Sportwissenschaft der Bundeswehr erst entwickeln kann. Allzu oft endet das truppenärztliche Patienten­

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gespräch im Rahmen der Therapieplanung noch mit der allgemeinen Empfehlung, mehr Sport zu treiben oder sich zumindest mehr im Alltag zu bewegen. Maximal wird noch eine Empfehlung für eine Sportart gegeben. Doch beispielsweise dem adipösen Patienten neben einer Sportart auch Informationen über Häufigkeit der Sportausübung, Umfänge und Trainingsintensitäten zur Gewichtsreduktion mitzugeben, unterbleibt meist. Hier endet auch – vorwurfsfrei – die Kompetenz der meisten Mediziner. Genau an dieser Stelle ergeben sich Ansatz- und Kopplungspunkte für eine fundierte sportwissenschaftliche Intervention. Sportmedizin hat ihre Stärke in der patientenzentrierten Betrachtung und Behandlung des Einzelfalls. Massenberatung und detaillierte Beratung außerhalb der medizinischen Kompetenzen kann sie, schon aus Kapazitätsgründen, nicht leisten. Hier ist sie auf Multiplikatoren angewiesen, die sie in der Sportwissenschaft der Bundeswehr finden kann. Sportwissenschaft und Sportausbildung in der Bundeswehr sind von jeher darauf ausgerichtet viele Menschen zu betreuen und zu unterstützen. Insbesondere in einem bundeswehreigenen Gesundheitssystem, das den enormen Vorteil bietet, nicht permanent den wirtschaftlichen Erwägungen des zivilen Gesundheitssystems unterworfen zu sein, sollte die Primärprävention ein starkes Element darstellen. Denn wo es nicht darum gehen muss, möglichst ausgelastete Wartezimmer in Sanitätsversorgungszentren aufzuweisen, sondern das Ziel ist, einsatzfähige Soldatinnen und Soldaten zu haben, lohnt sich der Einsatz für Gesundheit und Leistungsfähigkeit auch außerhalb des Sanitätsdienstes. Wenn das Kind gar nicht erst in den sprichwörtlichen Brunnen fällt, muss es dort auch nicht durch aufwändige Therapie wieder herausgeholt werden. Hier kann die Sportmedizin von der Sportwissenschaft lernen und mit ihrer Einbeziehung auf Augenhöhe eine Verbesserung für den Menschen und die Leistungsfähigkeit der Streitkräfte erreichen.

8. Fangen wir gemeinsam an ... Die Vorgehensweise, dass Experten und Wissenschaftler verschiedener Disziplinen unter Nutzung unterschiedlicher Fähigkeiten komplexe Problemstellungen gemeinsam bearbeiten, setzt sich zunehmend durch. Dies zeigte sich gerade in den Tagen der Corona-Krise im Bereich des Gesundheitssystems. Was also könnten Sportmedizin und Sportwissenschaft gemeinsam bewirken? Ist es in der Bundeswehr möglich und überhaupt notwendig, gemeinsame Projekte zu bearbeiten? Es gibt zu diesen Fragen unterschiedliche Meinungen und Erfahrungen. Tatsache ist, dass sowohl die Sportmedizin als auch die Sportwissenschaft eigenständige Disziplinen sind, die unterschiedliche Schwerpunkte haben und beide für die Streitkräfte unverzichtbar sind. Und doch ergeben sich Überschneidungen, die keinesfalls als redundant bewertet werden können. Themen wie körperliche Leistungsfähigkeit, Prävention und Rehabilitation, aber auch der Spitzensport können aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet und mit unterschiedlichen Kompetenzen synergistisch bearbeitet werden. Die Tatsache, dass beide Fachgebiete in unterschiedlichen Organisationsbereichen in der Bundeswehr



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angesiedelt sind, birgt Chancen und Hemmnisse zugleich. Zweifellos werden beide Disziplinen vor dem Hintergrund der Landes- und Bündnisverteidigung, des demographischen Wandels und des Nachlassens der körperlichen Leistungsfähigkeit der jungen Generation in ihrer Bedeutung gewinnen. Eine übergeordnete Strategie, die beide Fachgebiete zumindest in Teilbereichen in einem Top-down-Ansatz auf Zusammenarbeit anweist, ist für uns als Autoren aktuell nicht erkennbar. Es wird daher die Aufgabe engagierter und kooperativ führender Experten und Expertinnen sein, mittels einzelner Projekte bei im Vorhinein geregelten Verantwortlichkeiten, Zuständigkeiten und Aufgaben Potenziale zu entfalten und diese für die übergeordnete Führung »bottom up« sichtbar zu machen. Sportmedizin der Bundeswehr und Sportwissenschaft der Bundeswehr, Military Sports Medicine und Military Sports Science, wie sie bei einigen unserer NATO-Partner bezeichnet werden, sind auch in der Bundeswehr erforderlich und bereits erkennbar. Sie sollten ein streitkräftegemeinsames Ziel sein und konsequent verfolgt werden. Unterschiedliche Organisationsbereiche müssen kein Hemmnis sein. Fangen wir gemeinsam an.

Literatur BAR – Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (2019): Reha Prozess. Gemeinsame Empfehlungen. Frankfurt a.M.: BAR. Bundeswehr (2019): Auftrag und Selbstverständnis des Sanitätsdienstes, (letzter Zugriff 20.10.2020). DGSP – Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (2020a): Leitbild, (letzter Zugriff 20.10.2020). DGSP – Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (2020b): Sportmedizinischer Ethik­ kodex, (letzter Zugriff 20.10.2020). Greitemann, Bernhard/Bork, Hartmut/Brückner, Lutz (Hrsg.) (2002): Rehabilitation Amputierter. Anforderungen, Methoden, Techniken. Stuttgart: Gentner. Hollman, Wildor/Tittel, Kurt (2008): Geschichte der deutschen Sportmedizin. Gera: Druckhaus Gera. Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr (2020): Medizinische Rehabilitation, Konzept K19000/4021. Koblenz. Sammito, Stefan/Müller-Schilling, Elisabeth (2019): Körperliche Leistungsfähigkeit als prädisponie­ ren­ der Faktor für Überlastungsbeschwerden und Verletzungen im Rahmen der militärischen Grund­ausbildung. In: Wehrmedizinische Monatsschrift 63(3), 34‑39.

Martin Elbe

»Das haben wir gelernt: Wie kriege ich mich zu Höchstleistungen.« Katrin Bunkus und Monique Pöge im Interview Einordnung Das folgende Interview mit Katrin Bunkus (B) und Monique Pöge (P) wurde von Martin Elbe am 28. Oktober 2020 als Online-Videogespräch geführt. Das Gespräch wurde protokolliert und aufgezeichnet. Im Folgenden wird ein redaktionell bearbeitetes und von den Teilnehmerinnen freigegebenes Gesprächsprotokoll dokumentiert. Katrin Bunkus und Monique Pöge haben als Soldatinnen der Sportfördergruppe am Olympiastützpunkt Berlin trainiert und gehörten der Olympiamannschaft für Vancouver 2010 an. Hauptmann  d.R. Bunkus (geb. Mattscherodt) ist DiplomKauffrau, M.A. Sportwissenschaft und – neben zahlreichen weiteren sportlichen Erfolgen – Olympiasiegerin im Eisschnelllauf (Vancouver 2010, Teamwettbewerb). Hauptfeldwebel a.D. Pöge (geb. Angermüller) hat einen B.Sc. in Betriebswirtschaft und Wirtschaftspsychologie und war unter anderem Weltcupsiegerin 2010 über 1000 m im Eisschnelllauf. Interviewer Martin Elbe, Prof. Dr. rer. pol., forscht zu Militärsoziologie und Sozialpsychologie am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam. Als früherer Studiengangsleiter Sport- und Freizeitmanagement an der Hochschule für Gesundheit und Sport in Berlin und Hauptmann d.R. gilt sein Interesse insbesondere dem Militärsport. Wie kamen Sie zur Bundeswehr, wie kam es da zur Kontaktaufnahme? B: Nach der Schule muss man überlegen, wie man weitermachen will. Man muss sich beruflich orientieren, da gibt es wenig, was mit dem Leistungssport verbunden werden kann. Ich habe mich deshalb um einen Platz bei der Bundeswehr beworben und den auch bekommen, sodass ich weiter Spitzensport machen konnte. Ansonsten hätte ich damit aufhören müssen. P: Das war bei mir genau das Gleiche. Ohne die Bundeswehr und die Sport­ fördergruppe hätte es für mich keinen weiteren Weg im Sport gegeben, insbesondere im Eisschnelllauf, der eine der zeitintensivsten Sportarten ist.

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B: Ja genau, drei Wochen Trainingslager, eine Woche zuhause und dann wieder drei Wochen Trainingslager. P: In unserer Leistungsregion waren wir einfach nicht vor Ort präsent. Das hätte kein ziviler Arbeitgeber mitgemacht und auch mit dem Studium ist es extrem schwierig – ohne die Bundeswehr wäre das nicht möglich gewesen. B: In diesem Prozess wird man ja vom Laufbahnberater des Olympiastützpunktes beraten und dessen Rolle in diesem Bewerbungs- und Entscheidungsprozess ist eine andauernde. Aber am Ende muss man die Entscheidung, ob es zur Bundeswehr oder zur Polizei gehen soll oder man etwas anderes machen will, schon selber treffen. P: Ja, und auch selber eine Bewerbung abgeben. Wie intensiv waren die militärischen Anteile während Ihrer Bundeswehrzeit? Hat das mit Ihrem Sport Konflikte gegeben? P: Belastend war nur die Grundausbildung. Später hatten wir nach dem Dienst Zeit, trainieren zu gehen. B: Früher war das noch schwieriger, weil es da in den Sportfördergruppen auch noch Wehrpflichtige gab. P: Generell wurden die militärischen Dienstteile, zum Beispiel Lehrgänge, nur in unserer Saisonpause geplant. Wie lange waren Sie denn bei der Bundeswehr? P: Wir waren dann beide knapp 10 bis 13 Jahre bei der Bundeswehr. B: Das schweißt insgesamt auch zusammen. Wir [Fr. Pöge und Fr. Bunkus] haben zusammen mehr Zeit verbracht im Leben als mit irgendjemand anderem. P: Aber das habe ich bei der Bundeswehr nicht verstanden: Warum man die Sportler erst ausbildet und sie dann gehen lässt. B: Das ändert sich gerade. Das Potenzial der geförderten Athleten wurde inzwischen erkannt und vor dem Hintergrund des demografischen Wandels ist das auch sinnvoll, insbesondere da das Thema der körperlichen Leistungsfähigkeit zunehmend an Bedeutung gewonnen hat. Das hat sich aber auch erst entwickelt. Man hat zunehmend erkannt, dass Spitzensportler auch einen Wert haben und die dann nicht alle zur Bundespolizei oder zum Zoll gehen können. Sportler haben bei der Polizei einen Dauerjob und können auch im Polizeidienst bleiben. Welche militärische Ausbildung haben Sie denn durchlaufen? Truppengattung? Laufbahn? B: Das war ein spezifisches Ausbildungsprogramm für Leistungssportler, erst eine angepasste Grundausbildung, anschließend der Unteroffizierlehrgang und dann weiter fachlich zum Bundeswehr-Übungsleiter und Trainer Bundeswehr. Den Abschluss bildete der Feldwebellehrgang. Aber das wurde zeitlich auch mit dem Sport koordiniert. P: Ich habe noch den Schießausbilderlehrgang gemacht. B: Stimmt, zu unserer Zeit waren die Wintersportler bei den Jägern. Ich allerdings war ursprünglich bei der Fernmeldetruppe Eloka [Elektronische Kampfführung] und wurde dann zu den Jägern umgesetzt. Heute sind alle Spitzensportler Feldjäger.



Katrin Bunkus und Monique Pöge im Interview

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Sie kommen beide aus Berlin. Haben Sie in Ihrer Bundeswehrzeit privat gewohnt oder auch in der Kaserne? B: In Lehrgängen schon in den jeweiligen Unterkünften, ansonsten haben wir als Soldatinnen auf Zeit zuhause gewohnt. Wir wurden auch nicht herumversetzt im Bundesgebiet, sondern blieben da, wo unser Trainingsmittelpunkt war. Als Sportsoldatinnen hatten Sie ein festes Einkommen. Hat die Bundeswehr Sie darüber hinaus im Training und in ihrer sportlichen Karriere gefördert? B: Wir haben die sportliche Ausstattung (Kleidung, ggf. Material) von der Sport­ fördergruppe bekommen und zusätzlich Essensgeld für Spitzensportbedarf. Material gab es teilweise auch. So haben zum Beispiel die Skilangläufer wohl die Skier gestellt bekommen. P: Wir haben auch teilweise Material vom FES [Institut für Forschung und Ent­ wicklung von Sportgeräten, gefördert durch das Bundesministerium des Innern] gestellt bekommen, für die Schienen an den Schuhen mussten wir Leasinggebühren zahlen, aber das ist beim Eisschnelllauf nun mal so. Wie haben Sie Ihre Bundeswehrzeit insgesamt erlebt? B: Bis auf die Grundausbildung wurden alle Lehrgänge auf uns abgestimmt und die Inhalte waren dann echt spannend und wurden sehr gut vermittelt. P: Super, ich habe das total gerne gemacht. Ich bin so dankbar, dass ich den Sport machen durfte und die Bundeswehr mir das ermöglicht hat. Die Sportfördergruppe hat uns Sportsoldaten sehr viel unterstützt. Es kam auch vor, dass sie uns sogar vom Flughafen abgeholt haben, wenn es nötig war, und sie sich um alles gekümmert haben. Ich hatte immer das Gefühl, dass ich dadurch meinen Sport perfekt ausüben konnte. Es hat auf alle Fälle beim Erwachsenwerden nicht geschadet. Ich finde generell, dass so eine Art von Dienst – auch zivil in Pflegeeinrichtungen oder ähnlichem – sinnvoll ist und einen in der Persönlichkeitsentwicklung fördert. Es war ein toller Lebensabschnitt, da war ich traurig, als das vorbei war. B: Ich auch und ich fand es auch gut, immer wieder mal mit anderen Soldaten, mit Nicht-Sportlern in Kontakt zu kommen, mit denen einen dann doch auch was verband. Fühlten Sie sich als Sportlerin von der Bundeswehr angemessen anerkannt und unterstützt? P: Absolut ja. B: Für die Zeit nach dem aktiven Sportlerleben wird das Thema in der Bundeswehr erst jetzt angegangen, aber da sind die jetzt dran. P: Wichtig wäre, dass das nachsportliche Leben schon während der Dienstzeit thematisiert wird, damit man nicht so in ein Loch fällt. Hat die Bundeswehr Sie als Sportlerin und Soldatin innerhalb und außerhalb der Bundeswehr bekannt gemacht? P: Mich schon, ich hatte viele Interviews und Fernsehaufnahmen. B: Ja speziell in den Bundeswehrmedien, der Zeitschrift »Y« und ähnlichem.

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P: Wir waren auch auf Veranstaltungen der Bundeswehr, als Aushängeschild, und das war okay so. B: Das war aber häufig wenig zielgerichtet. Ich war zum Beispiel mal auf einer Automesse – was sollte ich da? Ich hätte auch mehr interne Veranstaltungen gut gefunden. Innerhalb der Bundeswehr wissen die Soldaten viel zu wenig über die Sportfördergruppen und den Spitzensport in der Bundeswehr. Frau Bunkus, das fällt in Ihre wissenschaftliche Expertise: Ist die Bundeswehr hinsichtlich der internen und externen Vermarktung der Spitzensportler gut aufgestellt? B: Ich finde es schwierig, dass sich so auf das Externe konzentriert wird, hier wird die Bundeswehr nicht im Kern repräsentiert. Wichtiger wäre die Repräsentation nach innen – in den Kasernen, zum Beispiel bei der Abnahme des Sportabzeichens oder auch mal Sportunterricht zu leiten. Hier könnten aktive Spitzensportler als Vorbilder agieren. Das könnte doch auch im aktiven Dienst mit integriert werden. P: Das ließe sich im Rahmen der militärischen Dienst-Tage schon realisieren. Aber natürlich ist nicht jeder Sportler ein Spitzentrainer oder -vortragender. B: Das brauchen die aber später im Leben auch. Das wäre doch mal ein sinnvoller Einsatz. Besser als die Sportler auf Messen zu schicken. Wie kam es dazu, dass Sie die Bundeswehr verlassen haben? B: Der Auftrag an die Leistungssportler in den Sportfördergruppen lautet, sportliche Spitzenleistung abzuliefern – und dann tickt die biologische Uhr oder die Leistung stimmt eben nicht mehr so oder der Verband orientiert sich anders. Langsam ändert sich das ja auch mit der Lebensperspektive. P: Ich wurde mal gefragt, ob ich in meiner Sportart Trainer werden will. Das kam für mich aber nicht infrage und so endete dann auch die Bundeswehrzeit. In unser beider Fälle war das aber nicht freiwillig. B: Der BfD [Berufsförderungsdienst] sollte stärker auch in Richtung Möglichkeiten innerhalb der Bundeswehr beraten und nicht nur in Hinblick darauf, die Bundeswehr zu verlassen. Aber das kam leider nicht vor und auch die Vorgesetzten hatten keine Möglichkeiten, weiter zu fördern. P: Toll gewesen wäre ein Laufbahnwechsel mit Studium in München an der Universität der Bundeswehr. Warum kann ich nicht mit 30 Jahren sagen: Ich will jetzt die normale Truppendienstlaufbahn als Offizier mit Studium machen. B: Leider gibt es keinen Laufbahnwechsel für Sportsoldaten vom Feldwebel zum MilFDOffz [Offizier des Militärfachlichen Dienstes] für Sport – das würden viele versuchen. War Ihr Karriereende vom Zeitpunkt her selbst gewählt? P: Bei mir nicht – sondern das leistungssportliche Karriereende war körperlich bestimmt. B: Bei mir war das sportliche Karriereende schon selbst bestimmt, ich wäre aber gerne bei der Bundeswehr geblieben.



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Frau Pöge, Sie haben hierzu wissenschaftlich gearbeitet. Decken sich Ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse diesbezüglich mit Ihren Erfahrungen? P: Schon, bei mir hat meine Abschlussarbeit dazu beigetragen, das Karriereende zu verarbeiten. Es ist frustrierend, wenn das Karriereende nicht freiwillig bestimmt ist. Ich bin direkt im Anschluss schwanger geworden. Somit war mein Leben, so wie es bisher gewesen war, einfach nicht mehr vorhanden. Das betraf sowohl das soziale Umfeld als auch die Ansprüche an mich selbst. Klar will man eine gute Mama sein, aber das hat nichts mit Leistungsanspruch an sich selbst zu tun. Das hat mir dann massiv gefehlt. Und das soziale Umfeld: Die meisten Menschen, mit denen man sein Leben verbracht hat, wohnen über Deutschland oder sogar die ganze Welt verstreut. B: Die leben das Leben noch und du bist draußen. P: Wenn du gehen musst, ohne es zu wollen, dann ist das schwer zu verarbeiten. B: Alles, wonach du von außen bewertet wurdest und auch dich selbst bewertet hast, ist auf einmal nicht mehr da – dein ganzes Koordinatensystem verschwimmt. P: Ein Ergebnis meiner Arbeit war die »Athlete Identity«. Sie ist ein zentrales Problem und damit stellt das Karriereende auch einen Identitätsbruch dar. Das ist zwar den Betreuern am Olympiastützpunkt bewusst, aber die sind für die aktiven Sportler zuständig und nicht in erster Linie für die Ehemaligen. Die Athleten werden durchaus alleine gelassen. Die Bundeswehr hätte da aus meiner Sicht die Möglichkeit, intensiver zu begleiten und zu unterstützen. Duale Karrieren haben eben auch eine psychische Komponente und Karriereenden sind lebensverändernde Ereignisse bei mindestens der Hälfte der Athleten – und es gibt keine offizielle Anlaufstelle, an die sich diese wenden könnten. Dieses Feedback bekam ich auch von vielen ehemaligen Sportlern. Es braucht Coaches zur Identitätsfindung und generell eine Anlaufstelle, die da hilft, so wie die Stiftung TANZ, das Transition Zentrum Deutschland, die das für den Tanzsport versucht. Was ist mit der Angst vor diesem Wechsel, verlängert das vielfach die sportlichen Karrieren? P: Mit Sicherheit, auch im Eisschnelllauf gibt es das. Das hängt an der Identität der Sportler, manche machen weiter, so lange der Körper das hergibt. B: Das ist auch eine Art soziale Hängematte. Manche ignorieren das einfach mit der Dualen Karriere und machen die Augen zu. Für die wäre das Angebot, Sportlehrer bei der Bundeswehr zu werden, ein sinnvolles Programm. P: Der ehemalige Eisschnellläufer Moritz Geisreiter unterstützt bereits das Konzept der Dualen Karrieren bei der Bundeswehr und macht als Coach konkrete Trainings­ angebot für den Übergang. So jemand könnte das auch als externe Kraft für die Bundeswehr übernehmen. Retrospektiv betrachtet hätte ich da gerne mehr gehabt: mehr Wissen und mehr Persönlichkeitsförderung. B: Auch über sportliche Leistung hinaus – wo liegen eigene Stärken und Schwächen. P: Genau: Für mich ist zu viel Fokus auf dem Beruf und zu wenig auf der Persön­ lichkeit. Warum bin ich so, warum reagiere ich so? Also Coaching, das für das Leben danach hilft.

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Was machen Sie denn heute beruflich? P: Ich arbeite jetzt als Key Account Managerin bei der Bundesanstalt für den Digitalfunk (BDBOS) für die Netze des Bundes, die auch die Bundeswehr zu ihren Kunden zählt. B: Ich bin derzeit Leiterin des Bundesstützpunktes Eisschnelllauf in Berlin. Wie ich bereits sagte, wäre ich gern bei der Bundeswehr geblieben, aber das Soziale, die Familienfreundlichkeit bei der Bundeswehr bleiben natürlich schwierige Themen. Ich bekomme das auch als Reservistin mit. Ich mache da viel und will damit dem Land etwas zurückgeben. Ich finde das Thema zivil-militärische Zusammenarbeit sehr wichtig und finde es super, was die Bundeswehr momentan in der Corona-Krise leistet. Haben Sie es in Erwägung gezogen, als Sportlehrerin für die Bundeswehr zu arbeiten? P: Ich nicht. Ich gehe weiter in die Richtung Informationstechnologie und bleibe in der Beratung für Digitalisierung der Verwaltung. Dem Sport möchte ich schon auch treu bleiben und die Digitalisierung des Sports voranbringen. Viele Ansätze sind hier noch sehr amateurhaft und das Bundesministerium des Innern muss das wohl auch in Zukunft angehen. B: Ich würde gerne meine Erfahrungen und Erkenntnisse einbringen, aber nicht direkt als Trainer. Den Anspruch, den Soldaten an Trainer haben, den ich selber an einen Trainer hätte, könnte ich heute nicht mehr erfüllen – aber in anderer Funktion schon. Sie haben ja beide mit Unterstützung des Berufsförderungsdienstes studiert. Fühlten Sie sich im Übergang von Spitzensport und Bundeswehr in ein ziviles Berufsleben angemessen gefördert und begleitet? P: Ich würde gerne noch einen Master machen. Aufgrund von Corona hatte ich im Sommer meinen Job verloren und habe im direkten Anschluss sofort weiterbildende Maßnahmen über den Berufsförderungsdienst absolviert, zum Beispiel Projektmanagement und den Scrum Master. B: Ich hatte mein Diplom dienstzeitbegleitend gemacht und dann den Master im Anschluss an meine Dienstzeit. Bei Ihrem Berufsweg würde ich ja von multipler Karriere sprechen. Spitzen­sport – Bundeswehr – zivile Berufsbildung – eigene Familie/Kinder: Wie bekommt man das alles unter einen Hut? B: Weil wir halt Frauen sind. Aber ernsthaft: Wir haben schon zu Schulzeiten als Nachwuchsleistungssportler gelernt, das zu koordinieren. P: Im Nachhinein finde ich das schon erstaunlich, dass ich unter Corona-Bedin­gun­ gen die Arbeit, das Studium und die Kinder zuhause koordiniert und das Studium abgeschlossen habe. Aber genau das zu strukturieren und durchzuziehen, das zu organisieren und selbst auszusteuern: Wann bin ich leistungsfähig und in welcher Form? Genau das haben wir gelernt: Wie kriege ich mich zu Höchstleistungen und



Katrin Bunkus und Monique Pöge im Interview

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wie tariere ich das jeweils aus? Feintuning. Von Tag zu Tag. Was klappt – was klappt nicht? Immer wieder neu. B: Ist das ein Talent oder wurde das durch den Sport geschaffen? P: Sicherlich ein Mix. Abseits der Theorie denke ich, dass wir als Sportler sehr früh selbstständig waren und das hat uns was gegeben. Diesen Kick wollten wir weiter haben und das zu erreichen, haben wir durch den Sport gelernt. Ich möchte Ziele erreichen im Leben – das macht uns Sportler aus. B: Meine Ziele waren kleiner. Ich wollte eben diese Bestzeit laufen oder bei der Meisterschaft gut sein. Welche Teilschritte muss ich erledigen und wie priorisiere ich sie? Was ist mir wichtiger: An der Geburtstagsfeier teilnehmen oder für den Wettkampf trainieren. Da muss man sich entscheiden. P: Ja, da trennt sich Spreu von Weizen – den Eindruck habe ich schon. Darin unterscheiden Sportler sich, glaube ich schon, von Nicht-Sportlern: Das lösungsorientierte Sein – nicht nur lösungsorientiert arbeiten, sondern lösungsorientiertes Sein. B: Der Anspruch an uns selbst macht da schon häufig den Unterschied. Herzlichen Dank, Frau Bunkus, Frau Pöge, für Ihre Bereitschaft teilzunehmen und für das gute Gespräch.

III. Spitzensport im Militär

Andreas Hahn und Kristin Schönherr

50 Jahre Sportförderung. Eine Geschichte des Spitzensports in der Bundeswehr Einordnung Im Jahr 2020 konnte auf 50 Jahre Spitzensportförderung der Bundeswehr zurückgeblickt werden. Andreas Hahn und Kristin Schönherr haben dies zum Anlass genommen, um nach einem Einblick in die Grundlagen der Spitzensportförderung in der Bundeswehr auf die Chronik der Förderung einzugehen. Sie skizzieren deren Entstehung und Entwicklung bis hin zum aktuellen Projekt der Gewinnung ehemaliger Spitzensportlerinnen und Spitzensportler als Ausbilder im Sport. Nicht nur aufgrund der Medaillenbilanz schildern sie die Spitzensportförderung der Bundeswehr als Erfolgsgeschichte. Autor und Autorin Andreas Hahn, Regierungsdirektor und Dipl.-Sportlehrer, ist Leiter des Dezernats Sport/KLF/CISM/Spitzensport im Streitkräfteamt der Bundeswehr in Bonn. In dieser Position ist er für alle Belange des Sports und der Spitzensportförderung in der Bundeswehr zuständig. Kristin Schönherr, Oberleutnant, BA Sportmanagement und Kommunikation, Offizier für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Sport, ist Mitarbeiterin im Dezernat Sport im Streitkräfteamt der Bundeswehr.

1. Einleitung In der Bundesrepublik Deutschland ist die Hochleistungs- bzw. Spitzensportförderung von öffentlichem und nationalem Interesse. So hat der Deutsche Bundestag unter anderem auf der Grundlage einer entsprechenden Beschlussempfehlung des Sportausschusses des Deutschen Bundestages (Drucksache 16/13058) in seiner 230. Sitzung am 2. Juli 2009 die Bundesregierung dazu aufgefordert: – darauf hinzuwirken, dass alle staatlichen Stellen den sozialen und gesellschaftspolitischen Beitrag des Sports bei ihren Entscheidungen angemessen berücksichtigen sowie – die über viele Jahrzehnte gewachsene staatliche Förderung des olympischen und nicht olympischen Spitzensports der Menschen mit und ohne Handicap ergebnisorientiert fortzuführen.

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Andreas Hahn und Kristin Schönherr

Hierzu gehört die Förderung des Spitzensports im eigenen Dienstbetrieb des Bundes bei Bundeswehr, Bundespolizei und Zoll. Die Förderung des Spitzensports ist mitunter dadurch legitimiert, dass Erfolge deutscher Athletinnen und Athleten bei internationalen Wettbewerben das Bild Deutschlands in der Welt mitprägen und damit der gesamtstaatlichen Repräsentation dienen.1 Die Bundeswehr ist einer der größten Förderer des Hochleistungssports in Deutschland. Viele der besten Athletinnen und Athleten des Landes finden in ihr nicht nur einen attraktiven Arbeitgeber, sondern auch einen Partner, der seit fünf Jahrzehnten verlässlich eine professionelle Sportausbildung und -ausübung auf allerhöchstem Niveau ermöglicht, aber auch für die nach-sportliche Karriere Verantwortung trägt. Im Jahr 2020 konnte auf 50 Jahre Spitzensportförderung der Bundeswehr zurückgeblickt werden. In dieser Zeit ist es der Bundeswehr und ihren Partnern gelungen, die Förderung von Sportsoldatinnen und Sportsoldaten stetig zu optimieren. Heute steht das Auftreten dieser Repräsentantinnen und Repräsentanten Deutschlands für eine starke Wahrnehmung der Bundeswehr weit über die Landesgrenzen hinaus – sie sind Botschafter Deutschlands in der Welt. Dies ist nicht zuletzt durch die Gewährleistung optimaler Rahmenbedingungen für die leistungssportliche und berufliche Laufbahn der geförderten Spitzensportlerinnen und -sportler möglich. Dieser Beitrag geht, nach einem Einblick in die Grundlagen der Spitzen­sport­ för­derung in der Bundeswehr, auf die Chronik der Förderung ein und zeichnet deren Entstehung, die Entwicklung und stetigen Anpassungen bis hin zum aktuel­ len Projekt der Sicherung exzellenter Ausbilder im Sport nach, die als ehemalige Spitzensportlerinnen und Spitzensportler auch als Vorbilder wirken können. Im darauffolgenden Kapitel wird das größte Changemanagement-Projekt der Spitzen­ sportförderung der Bundeswehr der letzten 20 Jahre detailliert betrachtet.

2. Grundlagen der Spitzensportförderung der Bundeswehr Im Mai 1968 wurde die Bundesregierung durch einen Beschluss des Deutschen Bundestags (Drucksache V/2803: 9226) dazu aufgefordert, zur Förderung von Spitzen­ sportlern bei der Bundeswehr Fördergruppen einzurichten. Auf dieser Grundlage wurden 1970 durch das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) – im Jahr 2020 vor genau 50 Jahren – die ersten Sportlehrkompanien der Bundeswehr eröffnet und somit die systematische Förderung von Sportsoldaten begonnen. Angelehnt an die Zielsetzungen der Bundesregierung (2010) werden mit der Spitzensportförderung der Bundeswehr folgende Ziele verfolgt: Es sollen – die erfolgreiche Repräsentanz Deutschlands bei internationalen Wettkämpfen ge­stärkt, – die Chancengleichheit der deutschen Sportlerinnen und Sportler gegenüber der internationalen Konkurrenz gefördert sowie 1

Siehe auch Koordinierung der Spitzensportförderung durch das Bundesministerium des Innern »Staatliche Sportfördereinrichtungen und Spitzensport« – SP 4 – 371 910 – 1/5 vom 21. Januar 2011.



50 Jahre Sportförderung

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– die Vereinbarkeit von leistungssportlicher Laufbahn und Berufsausbildung (Duale Karriere) unterstützt werden.

2.1 Kontingente und Organisation Insgesamt fördert die Bundeswehr derzeit (Stand: Oktober 2022) 850 olympische und nichtolympische Spitzensportlerinnen und -sportler, darunter 50  Bun­ des­ trainerinnen und -trainer. Darüber hinaus befinden sich 26  paralympische Athletinnen und Athleten sowie 40  Militärsportlerinnen und -sportler in der Förderung. Im Gegenzug für die Förderung zeigen Spitzensportlerinnen und Spitzensportler bzw. Trainerinnen und Trainer ihre Zugehörigkeit zum Arbeitgeber Bundeswehr in der Öffentlichkeit und tragen, unter Beachtung der sport- und veranstaltungsspezifischen Regularien und Bestimmungen, das BundeswehrLogo auf ihrer Sportbekleidung bzw. ihrem Equipment. Sie alle sind einer der 15 in Deutschland verteilten Sportfördergruppen der Bundeswehr zugeordnet, von denen derzeit zwei ausschließlich den Militärsportarten vorbehalten sind. Die Standorte der Sportfördergruppen der Bundeswehr liegen im Einzugsbereich von Olympiastützpunkten und Leistungszentren. Sie sind grundsätzlich – mit Aus­ nahme der Sportfördergruppe der Bundeswehr Eckernförde (Marine) – im Organi­ sationsbereich der Streitkräftebasis zusammengeführt. Die fachliche Führung wird vom Dezernat Sport der Abteilung Ausbildung Streitkräfte wahrgenommen, die seit Oktober 2020 dem Streitkräfteamt zugeordnet ist. Abbildung 1 (Folgeseite) zeigt die Verteilung der Standorte in Deutschland.

2.2 Auswahlkriterien und -verfahren Die Spitzensportförderung der Bundeswehr ist in erster Linie eine Förderung der im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) organisierten Spitzenverbände. Die Aufnahme von Bundeskaderathletinnen und Bundeskaderathleten2 aus diesen Verbänden in die Förderung erfolgt nach folgenden Kriterien: – für olympische/paralympische Spitzenverbände/Sportarten: Olympia-/Paralym­ pics­kader, Olympiaperspektivkader oder Nachwuchskader für Olympische/Para­ lym­pische Spiele; – für nichtolympische Spitzenverbände/Sportarten: in der Regel World-GamesKader und World-Games-Perspektivkader.3 Sofern eine Spitzensportlerin oder ein Spitzensportler eines dieser Kriterien erfüllt, kann sie oder er einen Antrag zur Aufnahme in das Sportförderprogramm der Bundeswehr bei dem jeweiligen Spitzenverband stellen. Dieser beantragt daraufhin über den DOSB die Aufnahme in eine Sportfördergruppe der Bundeswehr. 2

3

Definition gem. DOSB Leistungssportkonzeption: A-Kader: internationale Spitze; B-Kader: Perspektive zur internationalen Spitze und Reserve für A-Kader; C-Kader: Spitze des Nachwuchses; D/C-Kader: Juniorinnen und Junioren mit internationaler Perspektive. Gemäß DOSB-Förderrichtlinien für den nichtolympischen Spitzensport, insbesondere zur Vorbereitung und Teilnahme an den World Games. Die Förderrichtlinien des BMI sind dabei zu beachten.

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Andreas Hahn und Kristin Schönherr

Abbildung 1: Verteilung der (Bundeswehr-)Standorte des Spitzensports in Deutschland

Eckernförde

Rostock

Appen Hamburg

BERLIN

Hannover

Frankfurt (Oder) Magdeburg

Warendorf Dortmund

Essen

Leipzig Erfurt

Köln

Frankenberg

Chemnitz Oberhof Frankfurt a.M. Mainz Tauberbischofsheim Heidelberg

Saarbrücken Bruchsal

Stuttgart

München München

Freiburg i.B.

Neubiberg Altenstadt

Todtnau

Bischofswiesen Sonthofen

BERLIN

Eckernförde Altenstadt

Streitkräftebasis

München

Zivile und Militärische Sportarten

Marine / Militärische Sportart

Sportfördergruppe

Militärische Sportart

Hauptsitz der Olympiastützpunkte

© ZMSBw

09302-03



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Der DOSB wiederum begutachtet den Antrag und schlägt die Athletin oder den Athleten anlassbezogen dem Dezernat Sport im Streitkräfteamt vor, welches abschließend, im Rahmen jährlich stattfindender Personalplanungsgespräche mit dem Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr, über die Auf­nahme in die Spitzensportförderung der Bundeswehr oder den Verbleib in dieser entscheidet. Dabei werden weitere Maßnahmen, wie beispielsweise der Diensteintrittstermin oder der Beginn bzw. die Abfolge militärischer Lauf­bahn­ausbildungen, festgelegt und veranlasst.

2.3 Militärische Laufbahnausbildung und Verwendung Bei positiver Entscheidung über die Förderung durch die Bundeswehr beginnt die Laufbahn der Sportsoldatinnen und Sportsoldaten als Freiwillig Wehrdienstleistende für elf Monate mit einer vierwöchigen allgemeinen Grundausbildung an der Schule für Feldjäger und Stabsdienst der Bundeswehr in Hannover. Im Anschluss werden sie in die vorgesehenen Sportfördergruppen versetzt. In diesen erfolgt nach den gegebenen Möglichkeiten – das leistungssportliche Training sowie die Vorbereitung auf Wettkämpfe und die Wettkampfteilnahme haben Priorität – eine bedarfsgerechte Aus-, Fort- und Weiterbildung im militärischen Dienst, welche den Erhalt der militärischen Grundfertigkeiten sicherstellt. Im Anschluss an den Freiwilligen Wehrdienst können die Sportsoldatinnen und Sportsoldaten bei einer Dienstzeitverlängerung in das Dienstverhältnis eines Soldaten bzw. einer Soldatin auf Zeit (SaZ) in den Laufbahnen der Mannschaften, Feldwebel und Offiziere für zwei bis 25 Jahre berufen werden. Eine Weiterverpflichtung über das Dienstverhältnis SaZ zwei Jahre hinaus ist unter anderem von der soldatischen Eignung sowie der sportfachlichen Befürwortung des Spitzenverbandes und des DOSB abhängig. Auch die Ernennung zum Berufssoldaten bzw. zur Berufssoldatin ist grundsätzlich möglich. Das Dienstverhältnis endet, wenn Spitzensportlerinnen oder Spitzensportler die zuvor genannten Kriterien nicht mehr erfüllen, ihnen also beispielsweise der Bundeskaderstatus aberkannt wird. Da dadurch auch die Voraussetzungen für die Spitzensportförderung der Bundeswehr nicht mehr erfüllt werden, scheiden sie aus diesem Förderprogramm aus; ggf. folgt eine Versetzung in die Truppe, einem Einsatz der militärischen Ausbildung und des Dienstgrades entsprechend. Während ihrer Zeit in der Spitzensportförderung der Bundeswehr haben die Athletinnen und Athleten die Möglichkeit bzw. die Verpflichtung, an einer Reihe von Laufbahnausbildungen teilzunehmen. Nach der Grundausbildung sind dies die militärischen Laufbahnlehrgänge »Feldwebelanwärter/Offizieranwärter Teil  1 Spitzensport« und »Feldwebel/Offizieranwärter Teil 2 Spitzensport« mit einer Dauer von jeweils vier Wochen. Hinzu kommen die sportspezifischen Lehrgänge »Übungs­ leiter Bundeswehr« und »Trainer Bundeswehr«, welche sich über vier bzw. fünf Wochen erstrecken. Darüber hinaus werden die beiden einwöchigen Module »Kom­ mu­nikation und Medien« sowie »Innere Führung und Recht« angeboten.

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2.4 Duale Karriere und Berufsförderung Doch es sind nicht nur diese bundeswehrinternen Ausbildungen, welche die Sportsoldatinnen und -soldaten auf das spätere (zivile) Berufsleben vorbereiten. Unter der Prämisse, dass die spitzensportliche Karriere oft nur einen kurzen oder zumindest befristeten Lebensabschnitt darstellt, ist es das gemeinsame Ziel der Bundeswehr, des DOSB und der DSH, Rahmenbedingungen sicherzustellen, welche nicht nur Weltspitzenleistungen im Sport, sondern auch ein nachfolgendes potenzialgerechtes Berufsleben gewährleisten. Deswegen ist die Förderung so zu gestalten, dass den Sportsoldatinnen und Sportsoldaten im Rahmen ihrer Dienstzeit und oft auch darüber hinaus eine Duale Karriere und somit die Grundsteinlegung für eine spätere erfolgreiche berufliche Zukunft ermöglicht wird. In der Bundeswehr wird dies durch eine individuell aufeinander abgestimmte Ausübung des Spitzensports, der militärischen Laufbahnausbildung und der zivilverwertbaren Berufsförderung realisiert. So besteht die Möglichkeit, im Rahmen verfügbarer freier Kapazitäten eine leistungssportgerechte Ausbildung bzw. ein Studium mit individuell angepassten Präsenzphasen im zivilen Sektor aufzunehmen. Allerdings haben hierbei die Terminsetzungen der Bundeswehr, insbesondere für militärische Laufbahnlehrgänge, als auch die sportfachlichen Vorgaben der Spitzenverbände Priorität. Darüber hinaus bietet die Bundeswehr Weiterbildungen sowie den Erwerb von Qualifikationen in Zusammenarbeit mit dem Berufsförderungsdienst oder von Trainerqualifikationen in Kooperation mit den Spitzenverbänden an. Eine berufliche Beratung der Sportsoldatinnen und Sportsoldaten wurde durch eine im Jahr 2016 geschlossene Kooperationsvereinbarung zwischen Bundeswehr, DOSB und DSH zur Stärkung der Dualen Karriere und die damit einhergehende vertiefte Zusammenarbeit deutlich verbessert. Seitdem werden den bundeswehrangehörigen Athletinnen und Athleten auf sie zugeschnittene Studiengänge vorgestellt und somit die zukunftsorientierte Weiterentwicklung forciert. Darüber hinaus haben ausgewählte Spitzensportlerinnen und -sportler der Bundeswehr seit 2019 die Möglichkeit, auf sportwissenschaftlichem Gebiet zur Befähigung für die Offizierlaufbahn akademisch ausgebildet zu werden (vgl. den Beitrag von Zinner et al. in diesem Band). Das bedeutet, dass diese Sportlerinnen und Sportler zeitgleich zu ihrer spitzensportlichen Karriere eine Offizierausbildung im Rahmen der Spitzensportförderung der Bundeswehr durchlaufen, sodass ihnen im Anschluss an den Spitzensport eine Karriere als Offizier in den Streitkräften ermöglicht werden kann. Die fünf verschiedenen dualen Bachelor-Studiengänge an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG) rund um Prävention, Gesundheit, Fitness, Ernährung und Sport4 sind auf die speziellen Bedürfnisse der Spitzensportlerinnen und Spitzensportler ausgerichtet. Denn der Zeitaufwand, den unsere Top-Athletinnen und Athleten aufbringen müssen, um

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Der Vertrag wechselte im Jahr 2020 von der Deutschen Hochschule für Gesundheit und Sport an die DHfPG.



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Weltspitzenleistungen zu erbringen, ist enorm und lässt den zeitlich parallelen Aufbau einer beruflichen Perspektive außerhalb der Bundeswehr kaum zu – und genau hier setzt dieses Studium an: Die akademische Ausbildung erfolgt während der Präsenzphasen wahlweise an einem der neun bundesweiten Studienzentren vor Ort und/oder mittels digitaler Lehrveranstaltungen unter anderem in Form von Livestreams, Live-Sprechstunden zur Prüfungsvorbereitung sowie digitalen Unterrichtsphasen. Alle Studiengänge schließen nach sieben Semestern (inklusive einem Praxissemester) mit dem »Bachelor of Arts« ab. Im Nachgang erfolgen nach Beendigung der sportlichen Karriere die allgemeine und werdegangspezifische Ausbildung zum Offizier im Truppendienst sowie die Beförderung zum Leutnant. Das Studium soll den Absolventen einen optimalen Übergang von der sportlichen Karriere in den fachspezifischen Einsatz (nicht nur) bei der Bundeswehr ermöglichen. Anders als bei den Systemen der Spitzensportförderungen von Zoll und Polizei erfolgt für Sportsoldatinnen und Sportsoldaten bei jährlich stattfindenden Personal­ planungsgesprächen mit dem jeweiligen Spitzenverband sowie dem DOSB eine Dienstzeitverlängerung immer nur jahresweise befristet. Die Gesamtlänge der Dienstzeit ist bei einem Ausscheiden aus der Spitzensportförderung der Bundeswehr ausschlaggebend für die nachfolgende finanzielle Unterstützung durch den Berufsförderungsdienst der Bundeswehr (BFD). Dieser begleitet die Athletinnen und Athleten vom Beginn ihrer militärischen Dienstzeit bis zur Eingliederung in den zivilen Arbeitsmarkt nach Dienstzeitende. Während ihrer Zeit in den Sportfördergruppen der Bundeswehr tritt der BFD aktiv an die Soldatinnen und Soldaten heran und berät sie im Hinblick auf Aus-, Fort- und Weiterbildungen sowie die Planung der nachsportlichen Karriere. Für Spitzensportlerinnen und Spitzensportler, die mindestens vier Jahre SaZ waren, folgt nach Ende der aktiven Dienstzeit auch eine finanzielle Unterstützung durch den BFD. Je nach Verpflichtungszeit steigern sich die Rechtsansprüche auf Förderung mit einer Dauer von sieben bis hin zu 60 Monaten (bei einer Verpflichtungszeit ab 12 Jahren). Die Übergangsbeihilfe kann dabei das bis zu 12-fache der Dienstbezüge des letzten Monats betragen. Spitzensportlerinnen und Spitzensportler, die als SaZ in der Bundeswehr dienen, haben die gleichen Ansprüche auf Förderung wie SaZ aus allgemeinmilitärischen Laufbahnen. Während der Übergangszeit können die Sportsoldatinnen und Sportsoldaten alle Qualifikationen und Weiterbildungen (vom Abitur über Ausbildung bis hin zu einem Studium) durchlaufen, die der Berufsausbildungsmarkt hergibt – finanziert durch den BFD. Der umfassende Service kann den Schritt in die zivilberufliche Karriere maßgeblich erleichtern und die Eingliederung auf einen Arbeitsplatz – auch im öffentlichen Dienst – ermöglichen. Im Anschluss an die Förderung durch den BFD ist neben der Umorientierung in den zivilen Arbeitsmarkt auch der Verbleib in der Bundeswehr möglich. Eine Versetzung in die Truppe erfolgt der militärischen Ausbildung und dem Dienstgrad entsprechend.

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2.5 Traineroffensive und Funktionspersonal Wie eingangs erwähnt, fördert die Bundeswehr nicht nur Spitzensportlerinnen und Spitzensportler, sondern sie unterstützt auch die Traineroffensive des DOSB durch Bereitstellung von Förderplätzen für Trainerinnen und Trainer mit Bundesaufgaben für Spitzenverbände. Die 50 festgelegten Dienstposten gehen dabei zulasten der insgesamt bereitgestellten 850 Förderplätze. Voraussetzungen für die Einstellung als Trainerin bzw. Trainer bei der Spitzensportförderung der Bundeswehr sind die Trainerlizenz (Diplom-Trainer) der Trainerakademie Köln sowie die bereits erfolgte Übertragung von Bundesaufgaben an die Trainerin bzw. den Trainer durch den jeweiligen Spitzenverband. Die (Bundes-)Trainerinnen und Trainer unterliegen den identischen Leistungskriterien wie die geförderten Leistungssportlerinnen und Leistungssportler; werden ihnen die Bundesaufgaben entzogen, ist dies mit einer Herauslösung aus der Spitzensportförderung der Bundeswehr verbunden. Bei der Übernahme als Trainerin bzw. Trainer handelt es sich grundsätzlich und zunächst um eine mögliche Anschlussverwendung für ehemalige Sportsoldatinnen und Sportsoldaten. Im Ausnahmefall, unter Anlegung eines strengen Maßstabes, können Technike­ rinnen und Techniker sowie Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten in den Sportfördergruppen der Bundeswehr auf verfügbaren Förderplätzen eingesetzt werden.

2.6 Förderung von Spitzensportlerinnen und Spitzensportlern mit Handicap Die drei Sportförderressorts Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI), Bundesministerium der Finanzen (BMF) und BMVg haben 2016 eine einheitliche Regelung zur Individualförderung für nicht ressortangehörige paralympische Athletinnen und Athleten erarbeitet. Die Förderung beläuft sich auf eine monatliche finanzielle Zuwendung. Grundlage dafür ist der seitens des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS) priorisierte und begründet angezeigte Förderbedarf. So erhalten derzeit bis zu 20 paralympische Spitzensportlerinnen und Spitzensportler eine Förderung über Individualverträge. Voraussetzung für die Förderung ist wie zuvor erwähnt ein A-Bun­des­kaderstatus (Medaillenaspirant Paralympische Spiele). Zudem werden dem DBS aus dem Kontingent der 850  Dienstposten bis zu sechs Förderplätze für Guides/Begleitläufer für sehbehinderte Athletinnen und Athleten sowie einsatzversehrte Sportsoldatinnen und Sportsoldaten (derzeit ein Sportschütze mit Teilnahme Paralympics Tokio 2021 und Zielsetzung Paralympics Paris 2024) zur Verfügung gestellt. Die Förderung von paralympischen Spitzensportlerinnen und Spitzensportlern mit Individualverträgen wird seit 2016 kontinuierlich ausgebaut und ist ein elementarer Förderbaustein zur Professionalisierung der Rahmenbedingungen für die Vorbereitung auf Paralympische Spiele. Mit den geförderten Para-Sport­lerinnen und -sportlern leistet die Bundeswehr einen herausragenden Beitrag zur För­derung des paralympischen Spitzensports. Der ressortübergreifende Neuansatz zur paralympischen Förderung ermöglicht die Unterstützung durch alle beteiligten Ressorts und



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trägt mit der Anzahl der geförderten Athletinnen und Athleten der im Rahmen des Konzepts »Neustrukturierung des Leistungssports und der Spitzen­sportförderung« geforderten Erhöhung der staatlichen Förderung des paralympischen Anteils Rechnung. So nahmen beispielsweise an den Paralympischen Sommerspielen 2021 in Tokio 20 dieser geförderten Athletinnen und Athleten teil (etwa 15 % Anteil am Para Team D); sie waren an rund 44 % der deutschen Medaillen beteiligt.

2.7 Dopingfreier Sport Die Bundeswehr unterstützt die Bemühungen der Bundesrepublik Deutschland für einen dopingfreien Sport durch eine ausschließliche Förderung dopingfreier Sportsoldatinnen und Sportsoldaten. Ungeachtet dessen, dass die bundeswehrangehörigen Spitzensportlerinnen und Spitzensportler vollständig in den Trainings- und Wettkampfbetrieb der Spitzenverbände integriert und somit auch in das nationale Dopingkontrollsystem eingebunden sind, haben sie als Soldatinnen und Soldaten eine besondere öffentlichkeitswirksame Vorbildfunktion. Die Unterzeichnung einer Selbstverpflichtung zu »Leistung, Fairplay und Miteinander« dokumentiert das Bekenntnis jedes Einzelnen zum dopingfreien Sport. Sie ist Voraussetzung für eine Aufnahme in die Spitzensportförderung der Bundeswehr. Sollte eine Spitzensportlerin bzw. ein Spitzensportler der Bundeswehr des Dopings überführt werden, hat die Soldatin bzw. der Soldat neben den Sanktionen des zuständigen Spitzenverbandes auch dienstlich, durch den Arbeitgeber Bundeswehr, mit Konsequenzen zu rechnen, die vom Ausscheiden aus der Spitzenförderung über den Ausschluss der Verlängerung des Dienstverhältnisses bis hin zur Entlassung (während der ersten vier Dienstjahre fristlos möglich) aus dem Dienstverhältnis reichen. Entsprechende Belehrungen werden routinemäßig in den Sportfördergruppen der Bundeswehr durchgeführt.

3. 50 Jahre Erfolge? Geschichte der Sportförderung der Bundeswehr Das Streben nach körperlicher Fitness auf höchstem Niveau ist sowohl innerhalb der Bundeswehr als auch im Hochleistungssport von essenzieller Bedeutung und prägt das Selbstverständnis einer deutschen Soldatin bzw. eines deutschen Soldaten bis heute nachhaltig. Daher stand von Anfang an die Vernetzung von leistungssportlicher und militärischer Ausbildung im Vordergrund. Heute ermöglicht das fundierte Ausbildungssystem der Spitzensportförderung der Bundeswehr deutschen Athletinnen und Athleten ein professionelles Trainingsumfeld, in dem diese konkurrenzfähig agieren können. Bevor die Förderung des Spitzensportes beginnen konnte und anschließend immer weiter professionalisiert wurde, mussten die Spitzensportler zunächst im Rahmen der Wehrpflicht ihren Grundwehrdienst ableisten (ab 1956). Sie konnten jedoch zu Zeiten des Kalten Krieges für Sportveranstaltungen vom Wehrdienst beurlaubt werden (ab 1958) oder durch die Gewährung von Sonderurlaub am täglichen Hochleistungssporttraining und an Wettkämpfen teilnehmen (ab 1966). Seitdem haben sich der Alltag und die Pflichten von deutschen

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Sportsoldatinnen und Sportsoldaten deutlich verändert. Diese Veränderungen und Meilensteine der vergangenen fünf Jahrzehnte Spitzensportförderung der Bundeswehr sind im folgenden Abschnitt zusammengefasst.

3.1 Chronik von 1970 bis heute Die Spitzensportförderung der Bundeswehr wird am 20. Februar 1970 ins Leben gerufen, als erstmalig »Regelungen für die Spitzensportförderung der Bundeswehr« herausgegeben werden. Diese kommen aufgrund der Aufforderung an die Bundesregierung zustande, bei der Bundeswehr Fördergruppen zur Förderung von Spitzensportlern einzurichten. Somit ist es erstmals möglich, männliche Spitzensportler, die zum Wehrdienst eingezogen wurden, nach ihrer Grundausbildung in die dafür eingerichteten Sportfördergruppen zu versetzen und ihnen unter Führung der Bundeswehr die weitere optimale spitzensportliche Entwicklung zu gewährleisten. Zu dem Start der systematischen Förderung werden in Sonthofen und Warendorf die beiden ersten Sportlehrkompanien geschaffen. 1972 finden die Olympischen Sommerspiele in München statt, bei denen bereits 25 Sportsoldaten der Bundeswehr antreten. Auch der damalige Bundesminister der Verteidigung, Georg Leber, ist vor Ort und besucht die deutsche Mannschaft im Olympischen Dorf. Nur zwei Jahre später, 1974, ist er wieder dabei, als der Grundstein für die Sportschule der Bundeswehr in Warendorf gelegt wird. Im Jahr 1990 werden die bisherigen Organisationsstrukturen der Spitzen­sport­ förderung vereinheitlicht und durch eine Neukonzeption der Spitzensportförderung umgewandelt. Darüber hinaus wird im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands das System der Spitzensportförderung der Bundeswehr auf die neuen Bundesländer und das dort vorhandene Fördersystem der Nationalen Volksarmee übertragen. 1992 übernimmt die Bundeswehr im Rahmen des freiwilligen Wehrdienstes erstmalig auch Frauen in der Spitzensportförderung. Zehn Jahre später, im Jahr 2002, werden die Sportfördergruppen der Bundeswehr in den neuen Organisationsbereich der Streitkräftebasis übernommen. 2010 kommt es zu der Entscheidung, bis zu sechs bundeskaderangehörige Spitzensportlerinnen und Spitzensportler aus paralympischen Sportarten zu fördern. Außerdem unterstützt die Bundeswehr seitdem die Traineroffensive des DOSB mit 50 Dienstposten für Trainerinnen und Trainer mit Bundesaufgaben. Darüber hinaus haben Sportsoldatinnen und Sportsoldaten nun auch die Möglichkeit, parallel zum täglichen Training eine leistungssportgerechte Ausbildung bzw. ein leistungssportgerechtes Studium mit individuell angepassten Präsenzphasen aufzunehmen. Im Jahr 2011 wird mit Aussetzung der Wehrpflicht eine Neufassung der »Regelung für die Förderung von Spitzensportlern bei der Bundeswehr« veröffentlicht. Daraufhin werden unter anderem die Grundausbildung sowie die militärischen Anteile der Laufbahnausbildung für alle Spitzensportlerinnen und Spitzensportler an der Schule für Feldjäger und Stabsdienst der Bundeswehr in Hannover zentralisiert durchgeführt. Angelehnt an die drei Jahre zuvor getroffene Entscheidung zur Förderung von paralympischen Sportarten, startet 2013 auf Basis eines Kooperationsvertrages der Bundeswehr mit dem DBS ein Pilot-Förderprojekt »Paralympics Sotschi 2014«



50 Jahre Sportförderung

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»bzw. »Paralympics Rio 2016«. Dazu werden drei zeitlich befristete Dienstverträge auf Verwaltungsstellen der Bundeswehr für paralympische Athletinnen und Athleten zur Verfügung gestellt. Zudem werden zwei einsatzgeschädigte Soldaten in die Förderung übernommen. 2016 wird die Zentralvorschrift »Spitzensportförderung der Bundeswehr« in Kraft gesetzt. Darüber hinaus wird ein Kooperationsvertrag zwischen dem BMVg, dem DOSB und der DSH zur Stärkung der Dualen Karriere von Athleten und Athletinnen der Bundeswehr unterzeichnet. Mit dieser Vereinbarung wird die berufliche Beratung der Sportsoldatinnen und Sportsoldaten durch eine vertiefte Zusammenarbeit von Bundeswehr, DOSB und DSH verbessert. 2017 veranlasst die damalige Bundesministerin der Verteidigung, Ursula von der Leyen, eine Weisung zur Umsetzung eines umfassenden Maßnahmenpaketes zur Weiterentwicklung der Spitzensportförderung. Bereits ein Jahr später, 2018, beginnt ein Pilotlehrgang an der Sportschule der Bundeswehr in Warendorf für die Ausbildung »Trainer Sport und Körperliche Leistungsfähigkeit (KLF) Bw« für ehemalige Spitzensportlerinnen und Spitzensportler im Rahmen der Professionalisierung der Sportausbildung für die Truppe. In diesem Jahr werden außerdem erstmalig ein Sportsoldat und eine Sportsoldatin des Jahres gekürt. Einen Höhepunkt des Jahres stellt die Auszeichnung der Spitzensportförderung der Bundeswehr zum »Spitzensportfreundlichen Betrieb« dar. Die Umsetzung des 2017 veranlassten Maßnahmenpaketes »Spitzensport« beginnt im Jahr 2019. Es beinhaltet grundlegende strukturelle, personelle und organisatorische Anpassungen. Diese Maßnahmen dienen der besseren Vereinbarkeit und Individualisierung der spitzensportlichen Karriere mit beruflicher Aus-, Fort- und Weiterbildung. Damit ist es das größte Changemanagement-Projekt der Spitzen­ sport­förderung der Bundeswehr seit über 20 Jahren. Im April 2020 wird die Anzahl der Förderplätze von 744 auf 850 erhöht. Darüber hinaus feiert die Spitzen­sport­ förderung der Bundeswehr 2020 ihr 50-jähriges Bestehen, was unter anderem durch ein eigenständiges Logo kommuniziert wird.

3.2 Erfolge und Medaillenbilanzen Das Fördersystem der Bundeswehr ist als fester Bestandteil in das Gesamtsystem des deutschen Leistungssports eingebunden. Bundeswehrangehörige Athletinnen und Athleten haben mit beachtlichem und stetig steigendem Erfolg bei Olympischen Spielen und internationalen Meisterschaften die Leistungsfähigkeit des Systems der Spitzensportförderung der Bundeswehr unter Beweis gestellt. Tabelle  1 zeigt die Beteiligung von Sportlerinnen und Sportlern der Bundeswehr an den durch das deutsche Olympia-Team errungenen Gold-, Silber- und Bronzemedaillen bei Olympischen Spielen von 1992 bis 2022 in dem jeweiligen Jahr sowie eine Gesamtaufstellung der Medaillen mit und ohne Beteiligung der Bundeswehr.

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Andreas Hahn und Kristin Schönherr

Tabelle 1: Leistungsbilanz bei Olympischen Spielen 1992 bis 2022 Gold Albertville 1992 Bundeswehr Gesamt Barcelona 1992 Bundeswehr Gesamt Lillehammer 1994 Bundeswehr Gesamt Atlanta 1996 Bundeswehr Gesamt Nagano 1998 Bundeswehr Gesamt Sydney 2000 Bundeswehr Gesamt Salt Lake City 2002 Bundeswehr Gesamt Athen 2004 Bundeswehr Gesamt Turin 2006 Bundeswehr Gesamt Peking 2008 Bundeswehr Gesamt Vancouver 2010 Bundeswehr Gesamt London 2012 Bundeswehr Gesamt Sotschi 2014 Bundeswehr Gesamt Rio de Janeiro 2016 Bundeswehr Gesamt Pyeongchang 2018 Bundeswehr Gesamt Tokio 2020/21 Bundeswehr Gesamt Peking 2022 Bundeswehr Gesamt

Silber

Bronze

5 10

6 10

2 6

9 33

1 21

7 28

6 9

4 7

3 8

5 20

6 18

11 27

7 12

3 9

6 8

7 13

5 17

11 26

8 12

11 16

5 8

5 13

9 16

9 20

9 11

8 12

2 6

5 16

2 11

8 14

4 10

9 13

4 7

5 11

6 20

8 13

4 5

4 6

2 5

6 17

5 10

8 15

7 14

5 10

4 7

4 10

5 11

11 16

6 12

8 10

3 4



50 Jahre Sportförderung

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Bei den Olympischen Spielen von 1992 bis 2022 waren bundeswehrangehörige Spitzensportlerinnen und Spitzensportler an insgesamt 306 Medaillen (103 Gold, 98 Silber, 105 Bronze) beteiligt, das sind rund 46 % der insgesamt 666 Medaillen der deutschen Olympiamannschaften seit 1992.

3.3 Fortschritt statt Stillstand – Die Zukunft der Spitzensportförderung der Bundeswehr Die Effizienz und die Bedeutung der Spitzensportförderung der Bundeswehr für den Hochleistungssport in Deutschland wird mit den genannten Meilensteinen und der Medaillenbilanz deutlich. Es ist noch etwas vermessen zu prognostizieren, auf welche Herausforderungen die Bundeswehr und ihre Spitzensportförderung in den nächsten Jahrzehnten stoßen wird. Ebenso sind konkrete sportliche Erfolge unserer talentierten Sportsoldatinnen und Sportsoldaten schwer vorherzusehen, in einer Zeit, in der die Weltspitze des internationalen Sports immer dichter zusammenrückt und oftmals nur ein Wimpernschlag zwischen Sieg und Niederlage entscheidet. Fest steht jedoch schon heute, dass die Bundeswehr auch in Zukunft ihren parlamentarischen Auftrag erfüllen und die Ausbildung sowie die Förderung von ausgezeichnet ausgebildeten Vorbildern im deutschen Spitzensport sicherstellen wird. Denn auch wenn die Spitzensportförderung kein Kernauftrag der Streitkräfte ist, zählt sie doch zu den gesamtstaatlichen Aufgaben, welche dauerhaft durch die Streitkräfte zu berücksichtigen sind. Sowohl der Umfang der Streitkräfte als auch die Aussetzung der Verpflichtung zur Ableistung des Grundwehrdienstes hatten und haben dabei keine Auswirkungen auf die Form der Spitzensportförderung der Bundeswehr. In der Struktur der Streitkräfte werden die 938 Dienstposten – nach wie vor – ausgeplant sein (850 für Spitzensportlerinnen und Spitzensportler, 40 für Militärsportarten sowie 48 für Regie-/Stammpersonal der Sportfördergruppen der Bundeswehr); auch die 15 Sportfördergruppen der Bundeswehr bleiben bestehen (Stand: Oktober 2022).

4. Changemanagement-Projekt: Die Weiterentwicklung der Spitzensportförderung der Bundeswehr Im August 2017 hat Verteidigungsministerin von der Leyen ein umfassendes Maßnahmenpaket zur Weiterentwicklung der Spitzensportförderung der Bundes­ wehr angewiesen, welches die Interessen der Sportsoldatinnen und Sportsoldaten zur bestmöglichen Vereinbarkeit von sportlicher Karriere und Beruf in besonderem Maße trifft. Dadurch wird die Identifikation der Athletinnen und Athleten mit dem Arbeitgeber Bundeswehr vertieft sowie die öffentliche Darstellung und Wahrnehmung der Spitzensportförderung verbessert. Die insgesamt acht Maßnahmen befinden sich alle in der fortgeschrittenen Umsetzung und werden im Folgenden kurz erörtert: 1. Flexibilisierung der Laufbahnausbildung Spitzensport durch die Wahlmöglichkeit zwischen

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2.

3.

4.

5.

6.

7.

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– einem Dienst im Mannschaftsdienstgrad bis zum Ende der sportlichen Karriere (gleichzeitig Dienstzeitende). Die Inkraftsetzung ist am 1.  Januar 2019 erfolgt; – einer Laufbahnausbildung zum Feldwebel Spitzensport parallel zum Sport mit der Möglichkeit der Streckung der Gesamtdauer der Ausbildung. Die Inkraftsetzung ist ebenfalls am 1. Januar 2019 erfolgt; – einer Laufbahnausbildung zum Offizier parallel zum Sport mit Verbleib und Übernahme in eine Truppenverwendung bei der Bundeswehr im Anschluss an die sportliche Karriere. Bewerbungen für die Laufbahn sind seit Januar 2019 möglich. Zur Umsetzung wurden alle militärischen Laufbahnlehrgänge (einschließlich der Basisgrundausbildung Spitzensport) deutlich, auf jeweils vier Wochen, verkürzt. Die beiden sportspezifischen Lehrgänge blieben hiervon unberührt. Zusätzlich wurden zwei einwöchige Module »Kommunikation und Medien« sowie »Innere Führung und Recht« eingeführt. Einrichtung von Dienstposten »Trainer Sport/KLF«, welche eine erhöhte Über­ nahmemöglichkeit und eine verbesserte Bindung von Spitzensportlerinnen und Spitzensportlern nach ihrer aktiven sportlichen Karriere an die Bundeswehr schaffen. Dies bietet eine »Win-win-Chance«: Einerseits wird den Spitzensportlerinnen und Spitzensportlern eine sportspezifische Anschlussverwendung geboten, andererseits wird das Training der körperlichen Leistungsfähigkeit in der Truppe durch den Einsatz hauptamtlicher Trainer professionalisiert – bisher wurde dies ausschließlich von nebenamtlichen Übungsleitern durchgeführt. Seit dem 1. Oktober 2018 wurde die sportmedizinische Versorgung neu strukturiert. Die primärärztliche und die sportmedizinische Betreuung wurden auf das Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr in Warendorf übertragen und damit an kompetenter Stelle zentralisiert. Es wird eine enge Vernetzung der medizinischen Strukturen der Bundeswehr mit den zivilen (Sport-)Verbandsärzten verfolgt. Im Hinblick auf eine kontinuierliche Sensibilisierung der acht Karrierecenter hinsichtlich einer spitzensportspezifischen Beratung der Spitzensportlerinnen und Spitzensportler wurde eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr und dem Kommando Streitkräftebasis unter Einbindung des Sportreferates vereinbart. An der Universität der Bundeswehr in München wird ein an die speziellen Bedürfnisse von Spitzensportlerinnen und Spitzensportlern angepasster BachelorStudiengang »Sportwissenschaft – Gesundheit, Prävention, Rehabilitation« eingerichtet. Bis zur Umsetzung wird seit 2019 ein alternatives Studienmodell an der DHGS in Berlin (siehe auch 2.4 Duale Karriere) angeboten. Verbesserung der Öffentlichkeitsarbeit: Positive Erfolge sowie Einblicke in die Spitzensportförderung der Bundeswehr werden aktiv in der öffentlichen Wahr­ nehmung etabliert (unter anderem über Social Media Accounts), womit den Anforderungen an die moderne Kommunikation entsprochen wird. Am Ort der militärischen Ausbildung wird eine bedarfsgerechte Erweiterung der Trainingsmöglichkeiten (während und nach der Dienstzeit) in Abstimmung



50 Jahre Sportförderung

183

mit den Spitzen­verbänden umgesetzt. Während Warendorf bereits über eine hervor­ragende leistungssportliche Infrastruktur verfügt, wurde für den Standort Hannover als Lehrgangsort der Basisgrundausbildung und militärischen Lauf­ bahn­ausbildung zum Feldwebel Spitzensport eine Kooperation mit dem ortsansässigen Olympiastützpunkt Niedersachsen eingegangen und zur Koordinierung ein militärischer Koordinator beauftragt. Am Standort Oberhof steht die Umsetzung infrastruktureller Förderungen für bedarfsgerechte Trainings­möglichkeiten noch aus. Aktuell besteht Bedarf für den Neubau eines Konditions- und Fitnessraumes (Athletikhalle) mit Laufbahn sowie eines Kältediagnoseschießstandes in Ergän­ zung der bereits umfangreich sanierten Waffenwerkstatt mit einem Dienst­posten Waffenmechaniker. 8. Die Förderung von paralympischen Spitzensportlerinnen und Spitzensportlern mit Individualverträgen wird kontinuierlich ausgebaut. Die Bundeswehr stellt derzeit im paralympischen Bereich insgesamt bis zu 26 Förderplätze zur Verfügung. Hierbei handelt es sich um 20 zivile Individualverträge sowie um sechs Soldatinnen und Soldaten (als Guides oder mit Einsatzschädigung), die in der Förderung des DBS stehen (siehe auch 2.6). Mit diesem Projekt wird die größte Changemanagement-Maßnahme der letzten 20 Jahre in der Spitzensportförderung umgesetzt. Die Veränderungen zeigen, dass die Bundeswehr bei ihren Sportsoldatinnen und Sportsoldaten bereits heute an die Berufsbilder von Morgen denkt, auf sie zugeschnittene Studiengänge im Rahmen der Dualen Karriere anbietet und zukunftsorientierte Weiterentwicklung betreibt. Sie erwartet dadurch die Stärkung der Identifikation der Athletinnen und Athleten mit dem Arbeitgeber Bundeswehr sowie der Wahrnehmung der Spitzensportförderung in der Gesellschaft.

5. Zusammenfassung Mit der 1970 getroffenen »Regelung der Spitzensportförderung« wurde der Grundstein für die Ausgestaltung der Spitzensportförderung der Bundeswehr gelegt, die sich seit nunmehr fünf Dekaden bewährt hat. Währenddessen kam es zu einem kontinuierlichen Ausbau der Anzahl der Förderplätze und auf gesellschaftliche und weltpolitische Ereignisse wurde mit dem vorhandenen Feingefühl richtig reagiert. Vom Mauerfall und der damit verbundenen Übertragung der Strukturen auf die neuen Bundesländer bis hin zur Öffnung der Förderung für Frauen 1992 zeigte man Weitsicht und Offenheit für Neues. Fortgeführt wurde dies mit der Aufnahme paralympischer Athletinnen und Athleten in die Spitzensportförderung der Bundeswehr. Was die Spitzensportförderung der Bundeswehr ihren Athletinnen und Athleten bietet, lässt sich mithilfe von drei Säulen zusammenfassend darstellen. Die soziale Absicherung ist ein wesentliches Bedürfnis jedes Einzelnen, welches durch die Spitzensportförderung in hohem Maße befriedigt wird. Neben der ununterbrochenen finanziellen Absicherung unter dem Arbeitgeber Bundeswehr – ab einer gewissen Dienstzeit mithilfe des Berufsförderungsdienstes sogar über

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Andreas Hahn und Kristin Schönherr

die Zeit innerhalb der Bundeswehr hinaus – werden die Sportsoldatinnen und Sport­soldaten im Rahmen der freien Heilfürsorge bundesweit in Sanitätszentren und Bundes­ wehrkrankenhäusern medizinisch betreut. Überdies wird die medizinische Versorgung durch ein sportmedizinisches Institut an der Sportschule der Bundeswehr in Warendorf ergänzt. Die bereits ausführlich beschriebene Vorbereitung der Spitzensportlerinnen und Spitzensportler der Bundeswehr auf das spätere Berufsleben, die Möglichkeiten im Rahmen der Dualen Karriere, fallen unter die Säule der individuellen (sportlichen) Betreuung. Realisiert wird dies durch die aufeinander abgestimmte Ausübung von Spitzensport, militärischer Laufbahnausbildung und zivilverwertbarer Berufsförderung. Der Schwerpunkt der Spitzensportförderung der Bundeswehr ist dabei stets, das ungestörte Training zum erfolgreichen Absolvieren von Wettkämpfen nach Vorgabe der Spitzenverbände zu ermöglichen, den Sportsoldatinnen und Sportsoldaten also ein Höchstmaß an Zeit für Training und Wettkampf einzuräumen. Diese für die Athletinnen und Athleten wohl vorrangigste Säule ermöglicht erst die Umsetzung des hochleistungssportlichen Trainings und die daraus resultierenden Weltspitzenleistungen. Abbildung  2 zeigt die drei Säulen der Spitzensportförderung mit den wichtigsten Partnern bei der Umsetzung der Förderaufgabe im First. Abbildung 2: Die drei Säulen der Spitzensportförderung der Bundeswehr

Bundeswehr Deutscher Olympischer Sportbund Deutsche Sporthilfe

sozial abgesichertes Umfeld

Höchstmaß an Zeit für Training und Wettkampf

Individuelle (sportliche) Betreuung

© ZMSBw

09307-03

Die Darstellung dieser drei Säulen verdeutlicht den Fokus, den die Bundeswehr nicht nur auf die rein sportliche Zielerreichung der bzw. des Einzelnen legt, sondern wie sehr die soziale Absicherung während der sportlichen Karriere, aber auch besonders nach ihr bedacht wird. Dieses Gesamtpaket der drei Säulen ist es, was Sportsoldatinnen und Sportsoldaten an der Spitzensportförderung der Bundeswehr schätzen und womit der Grundstein für alle bisher erbrachten und künftig zu erbringenden Medaillenerfolge gelegt wird – sei es bei Europa- und Weltmeisterschaften oder bei den Olympischen bzw. Paralympischen Spielen. Diese Erfolge zeigen, wie zielführend und sinnstiftend die Maßnahmen im Rahmen der Spitzensportförderung



50 Jahre Sportförderung

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der Bundeswehr sind. All das, was die Bundeswehr ihren Spitzensportlerinnen und Spitzensportlern bietet, auch im Hinblick auf die Duale Karriere, wäre ohne die zuverlässige Unterstützung durch das BMVg und die hervorragende Zusammenarbeit mit dem DOSB und seinen Spitzenverbänden sowie dem DBS nicht möglich. Das Fördersystem der Bundeswehr ist als ein fester, anerkannter Bestandteil in das Gesamtsystem des deutschen Leistungssports eingebunden und auch in Zukunft ein wichtiger Garant dafür, dass die Bundesrepublik Deutschland eine führende Stellung im Weltsport beibehalten kann.

Literatur Bundesregierung (2010): 12. Sportbericht der Bundesregierung. Berlin: Presse- und Informationsamt (Drucksache 17/2880). Bundestag (1968): 171. Sitzung. Berlin: Bundestag (Drucksache V/2803). Bundestag (2009): Beschlussempfehlung und Bericht des Sportausschusses des Deutschen Bundestages. Berlin: Bundestag (Drucksache 16/13058).

Martin Elbe

Sport und danach? Von der Dualen zur Multiplen Karriere Einordnung Martin Elbe thematisiert in diesem Beitrag das Problem der Dualen Karriere von Spitzensportlerinnen und Spitzensportlern, die in Sportfördergruppen der Bun­ deswehr ihren Dienst tun, aus soziologischer Sicht. Hierzu wird, einer systemtheoretischen Perspektive folgend, das Prinzip der Dualen Karrieren generell diskutiert und in den Kontext der Beziehungen unterschiedlicher gesellschaftlicher Teilsysteme (auch über den Sport hinaus) gestellt. Anschließend wird die Veränderung der Bedeutung Dualer Karrieren aufgrund der Professionalisierung im Sport dargestellt, was dazu führt, dass vielfach multiple Karrieremuster entstehen. Vor diesem Hintergrund wird ein Idealtyp des studierenden Spitzensportlers/der studierenden Spitzensportlerin bei der Bundeswehr konstruiert und mit den konkreten Anforderungen über das sportliche Karriereende hinaus konfrontiert. Autor Martin Elbe, Prof. Dr. rer. pol., forscht zu Militärsoziologie und Sozialpsychologie am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam. Als früherer Studiengangsleiter Sport- und Freizeitmanagement an der Hochschule für Gesundheit und Sport in Berlin und Hauptmann  d.R. gilt sein Interesse insbesondere dem Militärsport.

1. Einleitung Die Förderung des Spitzensports in Sportfördergruppen der Bundeswehr »ist als fester Bestandteil in das Gesamtsystem des deutschen Leistungssports eingebunden« (Bundeswehr 2017: 19). Während des Förderzeitraumes sind die Spitzensportlerinnen und Spitzensportler einerseits als uniformierte Angehörige der Streitkräfte einer grundlegenden Einsatzfähigkeit als Soldatinnen und Soldaten verpflichtet; sie absolvieren je nach Laufbahn entsprechende Ausbildungsabschnitte (z.B. Bundeswehr 2010). Andererseits sind sie im Rahmen ihrer jeweiligen Auftragserfüllung dazu angehalten, in Training und Wettkampf sportliche Spitzenleistungen zu erbringen. In diesem Spannungsfeld soldatischer und sportlicher Karriereansprüche müssen sich die Angehörigen der Sportfördergruppen der Bundeswehr während ihrer aktiven

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Martin Elbe

Laufbahn in der Bundeswehr bewähren, wodurch sie sich den doppelten Ansprüchen einer Dualen Karriere ausgesetzt sehen. Darüber hinaus ist aufgrund der natürlichen Begrenzung jeder sportlichen Höchstleistung im Lebenslauf die Karrieregrundlage als soldatischer Spitzensportler oder als soldatische Spitzensportlerin ebenfalls befristet, was in der Chronologie lebenslanger Berufstätigkeit eine weitere Ebene der Karriereorientierung und der Karriereplanung nach Ende der Spitzensportlaufbahn erfordert (Elbe et al. 2014; Hackfort/Emrich/Papasthanassiou 1997; Nagel/Conzel­ mann 2006). Dies kann beispielsweise durch das Absolvieren weiterer Bildungs­ab­ schnitte (vgl. Elbe et al. 2014; Werner/Kainz/Elbe 2008) während oder nach der aktiven Dienstzeit in der Bundeswehr erfolgen. Die Bundeswehr hat hierfür ein Modell der Berufsförderung während und nach dem Dienst geschaffen, das Soldaten darin unterstützt, einen zivilen Beruf nach Ablauf der vereinbarten Dienstzeit zu ergreifen. Wie Elbe (2019) deutlich macht, sind zum Beispiel ehemalige Offiziere in ihrer anschließenden Karriere sehr erfolgreich. Der Wechsel in eine zivile, nachsportliche Karriere und die Vorbereitung hierauf stellt somit eine zweite Ebene Dualer Karrieren in der Spitzensportförderung der Bundeswehr dar. Eine dritte Ebene ergibt sich aus der Möglichkeit, die Karriere innerhalb der Bundeswehr über den Spitzensport hinaus zu verlängern. Dies kann generell durch weitere Verpflichtung bis hin zur Übernahme als Berufssoldat erfolgen, aber ebenso im Rahmen von Weiterbildungsmaßnahmen für Spitzensportler, etwa zum Trainer für Sport/körperliche Leistungsfähigkeit, kurz »Trainer Sport/KLF Bw« (Arning 2018 sowie die Beiträge von Hahn/Schönherr oder Klix in diesem Band), was als Beitrag zur Professionalisierung der Trainerausbildung (Elbe/Nimz/Hülsen 2018) verstanden werden kann. Es lässt sich von einem System Multipler Karrieren sprechen. Generell tritt auf allen drei Ebenen der Multiplen Karrieren das Problem der Systemgeschlossenheit mit einer Absolutsetzung der jeweiligen Leistungsansprüche auf, was für die Soldatinnen und Soldaten in der Spitzensportförderung eine zusätzliche Belastung bedeutet.1 Dieser Beitrag analysiert vor diesem Hintergrund, was Multiple Karrieren aus professionssoziologischer Sicht kennzeichnet.

2. Duale Karrieren und die Beziehungen gesellschaftlicher Teilsysteme Für Karrieren im öffentlichen Dienst und das professionelle Handeln im öffentlichen Auftrag lässt sich feststellen, dass es vielfach Karriereübergänge aus dem ersten Sektor der staatlichen Organisationen in den zweiten, privatwirtschaftlichen Sektor und den dritten Sektor der gemeinnützigen Organisationen gibt.2 Ein Teil dieser Karriereübergänge lässt sich aus individuellen Wünschen nach Veränderungen der Lebensführung erklären, ein Teil ist systemimmanent bedingt. Speziell in Wissenschaftskarrieren, bei Offizierkarrieren im Militär und bei Spitzensportkarrieren 1 2

Zu chronischen Belastungen und persönlichen Karrierezielen bei Multiplen Karrieren vgl. Richartz et al. (2010). Zum Dreisektorenmodell der Organisationsgesellschaft vgl. Elbe/Peters (2016).



Sport und danach?

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ist einerseits hochprofessionalisiertes und formalisiertes Handeln gefordert, andererseits für die Majorität der Betroffenen das Ende des jeweiligen Karriereabschnitts determiniert und der Übergang in einen der anderen Sektoren, zumindest aber in eine andere professionelle Orientierung vorgegeben. In der Wissenschaft und Hochschullehre finden Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler in der Regel zunächst eine Stelle nach dem Wissen­ schaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG), wonach die maximale Befristungs­dauer einer Regelung von 12 Jahren (allgemeiner Fall) bis 15 Jahren (in der Medizin) unterliegt. Ähnlich verhält es sich für jene, die an der Offizierlaufbahn bei der Bundeswehr interessiert sind: Sie entscheiden sich, je nach Studienrichtung und Verwendungsaufbau, für eine 13  Jahre (bei regulärem Truppendienst) bis 17 Jahre (bei Offizieren des Sanitätsdienstes) dauernde Karriere als Soldatin bzw. Soldat auf Zeit. Zum Ende dieser Befristungen ist für beide Berufsgruppen ein Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst sehr wahrscheinlich: Gut 70 Prozent des wissenschaftlichen Personals und ca. 80 Prozent der Offiziere sind gezwungen, sich mit Ablauf dieser Zeiten beruflich neu zu orientieren. Ähnliches gilt auch für Leistungssportler, die eine öffentliche Förderung durch die deutsche Sporthilfe erhalten oder bei der Bundeswehr (auch bei Bundespolizei oder Zoll) als Spitzensportlerinnen und -sportler ihren Dienst verrichten. Hier definiert regelmäßig das sportliche Karriereende das Ende der beruflichen Karriere dieses Lebens- und Berufsabschnitts. Allen drei Berufsgruppen eigen ist, dass die professionelle Orientierung in ihrem Handeln einer staatstragenden Logik folgt: Wissenschaft, Verteidigung und Sport sind grundsätzlich Aufgaben von hoheitlichem Interesse. Deshalb werden die Akteure entsprechend alimentiert. Darüber hinaus differenzieren sich die Karriereansprüche in den jeweiligen Bereichen aber aus. Während in der Wissenschaft die Ansprüche des Bildungssystems (mit den jeweiligen Zertifikaten und Leistungsnachweisen, z.B. durch Publikationen) zu einer einheitlichen Karriereorientierung führen, spaltet sich diese im militärischen Bereich für die Offiziere in eine Duale Karriereorientierung auf. Die Offiziere haben sowohl die militärische Führungsausbildung zu durchlaufen, als auch einen zivilen Studienabschluss zu erwerben (Elbe 2019). Für Leistungssportler und -sportlerinnen schließlich weiten sich die Anforderungen häufig noch. Neben die Erfüllung von (konkurrierenden) Leistungsansprüchen aus dem Sport- und dem Bildungssystem tritt für viele Angehörige der Spitzenkader noch eine dritte Berufslogik, beispielsweise im Falle der Angehörigen der Sportfördergruppen der Bundeswehr: die der militärischen Karriere. Während bisher in diesem Kontext auch von Dualen Karrieren gesprochen wurde (Nehren/Orgeldinger 2012), ist hier dementsprechend von einer multiplen Karriereorientierung auszugehen, die in der alltäglichen Lebensführung Sport, Bildung und militärische Erfordernisse auszutarieren sucht. Aus der professionellen Handlungslogik heraus ist schließlich der Übergang von der zeitlich determinierten ersten Karrierephase in einen zweiten Karriereabschnitt, der einer anderen Handlungslogik, als der bisherigen folgt, von besonderem Interesse. Bisher wurden zwei zentrale Merkmale Dualer und Multipler Karrieren herausgearbeitet: Zeitliche Begrenzung und teilweise konkurrierende Leistungsansprüche. Auf dieser Grundlage wird vielfach untersucht, was die Bindung Dualer oder Multipler Karrieristen an das dominante System (hier also den ersten Sektor mit seiner

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Martin Elbe

Professionslogik) erhöhen könnte. Für Karrieren in der Wissenschaft kommt unter anderem Tischler (2020) zu dem Ergebnis, dass Vertrauen in den wissenschaftlichen Karriereweg eine zentrale Ressource ist, um die Ungewissheit eines determinierten Karriereendes tolerieren zu können. Für das System des Spitzensports arbeiten Borggrefe/Cachay/Riedl (2009) heraus, dass Formen der Kooperation zwischen Sportsystem und Bildungssystem (Hochschulen) strukturell verankert werden müssen, um eine Vereinbarkeit beider Leistungsansprüche zu ermöglichen. Baumgarten (2018) stellt die Maßnahmen verschiedener gesellschaftlicher Teilsysteme für eine potenzialgerechte Integration von Leistungssportkarriere und Bildungskarriere sowie die Chancen auf dem Arbeitsmarkt nach der Sportkarriere dar (vgl. auch Hülsen 2012). Hiermit wird deutlich, dass es eine Überlagerung verschiedener Teilsysteme innerhalb individueller Gesamtkarrieren gibt – inhaltlich und insbesondere zeitlich, wie das nachfolgende Schema (Abbildung 1) für die gesellschaftlichen Teilsysteme Sport, Bildung und Militär zeigt.3 Abbildung 1: Karriererelevante Überlagerung gesellschaftlicher Teilsysteme

Leistung Sport

z.B. Sporthochschule Köln

z.B. Sportfördergruppen

Wissen

Bildung

Militär Kämpfen

z.B. Universitäten der Bundeswehr Anmerkung: Die Kreise stellen jeweils gesellschaftliche Teilsysteme dar, die aber nicht vollständig geschlossen sind. Es handelt sich nicht um autopoietische soziale Systeme im Sinne Luhmanns (1994).

© ZMSBw

09303-01

Die Trennung der gesellschaftlichen Teilsysteme erfolgt primär entlang der jeweils eigenen Funktionsrationalität. Während das Bildungssystem in Hinblick auf Wissenserwerb (in Verbindung mit Zertifizierung durch Zeugnisse und Titel) funktioniert, ist das Sportsystem auf Leistung ausgerichtet (dies zeigt sich in der sportlichen Leistungsmessung und in Wettkämpfen), das System des Militärs hingegen auf Kampf (als Kompetenz zur Androhung und Anwendung von Gewalt im Kollektiv). Die Systeme folgen grundsätzlich ihren jeweils eigenen Logiken, durchdringen 3

Zur Entwicklung des Sports zum eigenständigen gesellschaftlichen Teilsystem im Rahmen der Differenzierung und Verselbstständigung der gesellschaftlichen Teilsysteme vgl. Schimank (1988); hierzu und zum Bildungssystem auch Cachay/Thiel (2000).



Sport und danach?

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sich aber in bestimmten Teilbereichen (vgl. Kollmer in diesem Band). Sport und Bildung überlagern sich beispielsweise im Sportunterricht in der Schule oder im Sportstudium an einer Hochschule (z.B. Sporthochschule Köln), Sport und Militär überlagern sich in der allgemeinen Sportausbildung für alle Soldaten oder auch in den Sportfördergruppen der Bundeswehr; Bildung und Militär schließlich überlagern sich in schulischen Bildungsprozessen in Bildungszentren der Bundeswehr oder an den Universitäten der Bundeswehr in München und Hamburg. Ein Überlappen aller drei Teilsysteme findet sich zum Beispiel im Studiengang Sport an der Universität der Bundeswehr in München. Diese Systemperspektive mit der Vorstellung einer Durchdringung (Inter­pene­ tration) von Teilsystemen entspricht der Konzeption Parsons und des vor-auto­ poietischen Luhmann (vgl. Parsons 1976; Luhmann 2005; in Anwendung auf den Sport: Schädler 2016). Wann ist hier nun welcher Logik zu folgen? Dies für sich herauszufinden, ist eine wichtige sozialisatorische Anforderung an die Be­troffenen. Hier sind System und Handlung aneinander gebunden. Die auftretenden Rationali­ tätsinterferenzen lassen sich unterschiedlich auflösen, wobei die aktuell geringsten sozialen Kosten für den oder die Einzelnen auftreten, wenn er oder sie sich dabei an der Logik des dominanten Systems orientiert. Das muss aber nicht für die langfristige Karrierebetrachtung des Individuums gelten. Für die Teilsysteme selbst erscheinen diese Überlagerungen eher Logik-Einschlüsse in der rationalen Selbstbezogenheit des Systems zu sein. Dies hat für den Sport Luhmann (1994) in der Grundlegung seiner späteren, autopoietischen Systemtheorie festgestellt: »Am Sport fällt zunächst die extreme Reduktion weiterreichender Sinnbezüge auf, die dann als Grundlage dient für ein komplexes Arrangement von Leistungsbewertungen, Leistungsmessungen, Notierungen, Vergleichen, Fortschritten und Rückschritten« (Luh­ mann 1994: 336 f.).

Die verschiedenen gesellschaftlichen Teilsysteme durchdringen einander aus dieser Perspektive nicht mehr, sie unterwerfen vielmehr Leistungen anderer Systeme einer Beurteilung aufgrund der eigenen Logik. Für eine besondere militärische Leistung mag man vom Militär eine Medaille oder einen Orden bekommen, dies führt aber weder im Sport noch im Bildungssystem zu irgendwelchen Anerkennungen oder Vorteilen. Umgekehrt führt eine Olympiamedaille nicht unbedingt dazu, dass ein Bundeswehrangehöriger eine Beförderung erhält und auch im Bildungssystem ist mit sportlichen Erfolgen kein Bildungsabschluss zu holen. Auch werden höhere Offiziere kaum in einen Auswahlkader des Sports berufen und wenn, dann nicht aufgrund ihres Dienstgrades; dasselbe gilt für Professoren und ihre akademischen Grade. Erfolge in einem System sind zwar nicht zwangsläufig auf dieses Teilsystem beschränkt, sondern stellen vielfach kulturelles Kapital (Bourdieu 1983) dar und können – im Sinne von Bekanntheit und sozialer Anerkennung – auch in anderen Teilsystemen wirken, sie sind aber nicht unmittelbar übertragbar und lösen keine Ansprüche in den anderen Systemen aus. Die Teilsysteme folgen ihrer jeweils eigenen Rationalität, wobei es durchaus zu Logikeinschlüssen und Transferproblemen zwischen den Teilsystemen kommt (vgl. Abbildung 2).

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Martin Elbe

Abbildung 2: Logikeinschlüsse und Nichtübertragbarkeit von Ansprüchen

z.B. Trainerakademie Köln

Sportsystem

Bildungseinschluss

Sporteinschluss

Sporteinschluss

z.B. Schulsport

Bildungssystem

Bildungseinschluss

z.B. Offizierausbildung

z.B. Dienstsport

Militärsystem

Anmerkung: Während das Militärsystem systematisch Einschlüsse aus den beiden anderen Teilsystemen ausbildet, finden sich solche Einschlüsse aus dem Militärsystem kaum in der Bildung oder im Sport.

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Vielfach finden sich in den jeweiligen Teilsystemen Institutionen (die auch häufig organisational verfasst sind), die mit typischen Aufgaben aus einem der anderen Teilsysteme betraut sind und dementsprechend auch in einem gewissen Maß der Logik des anderen Teilsystems folgen, letztlich aber ihre Verortung in dem System, in dem sie primär angesiedelt sind, finden. Beispiele hierfür sind die Trainerakademie Köln, die als Bildungseinrichtung des Sports zwar dem Sportsystem angehört, dabei aber (bis zu einem gewissen Grad) der Rationalität einer Bildungsinstitution folgt – dominant bleibt jedoch das Sportsystem. Analog verhält es sich mit dem allgemeinen Schulsport, der zwar der Leistungsrationalität des Sportsystems grundsätzlich folgt, aber doch in das System der öffentlichen und privaten Schulen eingebunden bleibt und dessen Logik folgt, indem die sportlichen Leistungen in das Schulnotensystem eingepasst werden: Eine »1« können mehrere Schüler oder Schülerinnen erhalten und auch die oder der Allerbeste kann nicht besser bewertet werden; die so bewerteten schulischen Sportleistungen werden im Sportsystem nicht anerkannt. Dasselbe gilt für das Militär, wo sich die Truppenschulen, Unteroffizierschulen, Offizierschulen usw. als Bildungseinschlüsse und der militärische Dienstsport als Sporteinschluss zeigen. Militärische Ausbildungen finden aber keine direkte Anerkennung im Bil­ dungssystem (die Ausbildungs- und Tätigkeitsnummer/-bezeichnung 4 als Trup­ pen­ offizier hat kein ziviles Bildungsäquivalent) und auch der Dienstsport findet prinzipiell losgelöst vom Sportsystem statt. Allerdings kann es hierbei jeweils Teilanerkennungen geben, wenn etwa im Dienstsport die Prüfung zum Deutschen 4

Mit der Erteilung einer Ausbildungs- und Tätigkeitsnummer/-bezeichnung (ATN/ATB) wird der Nachweis der Erlangung einer spezifischen Qualifikation als Zertifizierung, z.B. aufgrund des Bestehens einer Lehrgangprüfung in der Bundeswehr, für Soldatinnen und Soldaten bezeichnet.



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Sportabzeichen abgelegt wird; hierfür müssen allerdings zivile Prüfer anwesend sein. Die Teilsysteme verhalten sich zwar nicht autopoietisch (also selbstreferenziell im Sinne Luhmanns 1994), versuchen aber doch Regeln so aufzustellen, dass sie dominant der eigenen Logik folgen. Während Karrieren im Rahmen eines Wechsels zwischen den Systemen dadurch grundsätzlich erschwert werden – so berechtigt der Abschluss als Diplomtrainer der Trainerakademie des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB) nicht zur Aufnahme eines weiterführenden Sportstudiums an einer Hochschule und andererseits berechtigt ein abgeschlossenes Sportstudium nicht zur Arbeit als Trainer in einer spezifischen Sportdisziplin –, sollen die Karrieren innerhalb des jeweiligen Teilsystems befördert werden.

3. Duale Karrieren und die Professionalisierung des Sports Innerhalb des Sports kann eine zunehmende Professionalisierung im Rahmen der Entwicklung zu einem eigenständigen gesellschaftlichen Teilsystem (Fischer 1986; Schimank 1988; Cachay/Thiel 2000) festgestellt werden. Die Dynamik der Professionalisierung sportlicher Leistungserbringung im Spitzensportbereich lässt sich in drei Phasen unterteilen (Rentmeister/Elbe 2013): 1. Phase: Seit ca. 1970 findet sich zunehmend eine Hauptamtlichkeit von Athle­ tinnen und Athleten, die durch staatliche Arbeitgeber (z.B. Bun­des­wehr) für den olympischen Sport, durch Sportvereine als privatwirtschaftliche Arbeit­geber (z.B. im Fußball) alimentiert werden oder als Selbstständige (z.B. im Tennis) tätig sind. Es werden teilweise Spitzengehälter in einigen Sportarten erzielt, die breite Masse der Athletinnen und Athleten im Leistungs­sportbereich bleibt aber hiervon ausgeschlossen. 2. Phase: Seit den 1980er Jahren werden auch zunehmend hauptamtliche Mit­ arbeiter in Management und Training in Sportvereinen und bei privaten Sportanbietern eingesetzt.5 Die spezifischen Bildungsbedarfe werden primär innerhalb des Sportsystems selbst gedeckt. Das Bildungssystem reagiert erst mit deutlicher Verspätung ab den 2000er Jahren mit einer Ausweitung des formellen Bildungsangebots in den Bereichen Sport und Sportmanagement. 3. Phase: Seit den 1990er Jahren findet eine Professionalisierung der Personalfunktion in den Sportorganisationen statt. Ab jetzt wird die Professionalisierung selbst professionalisiert, was als Meta-Professionalisierung oder reflexive Professionalisierung bezeichnet werden kann. Beispiele finden sich insbesondere bei großen Sportanbietern und Sportarten mit entsprechendem Kommerzialisierungspotenzial, wie beispielsweise im Fußball.6 Für die Athletinnen oder Athleten ergibt sich aber, auch wenn es ihnen gelingt, als Leistungssportler in die Hauptamtlichkeit zu gelangen und somit Teil dieser Vgl. hierzu generell Cachay/Thiel (2010) und hinsichtlich der Diskussion zur Professionalisierung des Trainerberufs Zinner/Krug/Werner (2011) sowie Elbe/Nimz/Hülsen (2018). 6 Rentmeister/Elbe (2013) weisen dies für die oberen Ligen des Deutschen Fußballbundes (DFB) nach. 5

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Professionalisierungstendenz des Sportsystems zu werden, dass die eigene spitzensportliche Leistungserbringung einer zeitlichen Begrenzung unterliegt und ab einem früher oder später auftretenden Zeitpunkt unter das Anforderungsniveau fällt. Sie sind also darauf angewiesen, neben oder nach der sportlichen Karriere eine neue Karriere zu planen, die nicht auf der eigenen sportlichen Leistung beruht. Das kann ggf. im Sportsystem sein, so als Trainer oder Trainerin. Viele suchen allerdings ihre spätere, weitere Karriere in einem anderen Bereich. Das heißt, dass in der Regel mit dem Professionswechsel auch das gesellschaftliche Teilsystem gewechselt wird. Um diesen Wechsel zu erleichtern, wird in den olympischen Sportarten das Prinzip der Dualen Karrieren gefördert, in Sportarten mit Spitzeneinkommen findet eine solche Dualität der Handlungsorientierung in der Regel nicht statt. Auch aus Sicht des DOSB ist die Duale Karriere inzwischen zu einem der zentralen Aspekte des Leistungssports geworden. Aufgrund der nachlassenden Bewerberzahlen in den Nachwuchskohorten gewinnt die Abstimmung von Spitzensport und schulischer oder beruflicher Ausbildung immer mehr an Bedeutung, wobei auch der DOSB mittlerweile den Zeitpunkt des Endes der Spitzensportkarriere als Teil der Sportkarriere selbst betrachtet, der geplant und gestaltet werden muss (DOSB 2020).  Hierfür bedarf es der Abstimmung aller sportlichen und bildungs- oder berufsbezogenen Aspekte über einen Zeitraum von mehreren Jahren, und dies meist vom frühen Jugendalter bis ins Erwachsenenhalter hinein. »Dabei müssen Trainingsumfänge, -einheiten und Trainingslager auf der sportlichen Seite berücksichtigt und Lehr- und Lerninhalte in Schule, Studium oder Berufsaus- und -weiterbildung vermittelt werden.« (DOSB 2020)

Es bedarf einer intensiven Beratung und Unterstützung der Athletinnen und Athleten ebenso wie der Koordination der beteiligten Bildungsinstitutionen oder Arbeitgeber.7 Dementsprechend bietet der DOSB ein Konzept »Duale Karriere« an, das in den Olympiastützpunkten durch die Laufbahnberater für die Sportlerinnen und Sportler und sonstigen Beteiligten umgesetzt wird. Als ein Beispiel sei an dieser Stelle das Berliner Modell (Elbe et al. 2014) genannt. Hierbei handelt es sich um ein Betreuungsmodell zur Förderung der Dualen Karriere mit Hilfe eines umfassenden Kooperationsansatzes zwischen acht Hochschulen und dem Olympiastützpunkt (OSP) in Berlin. Die grundlegende Idee ist es, einen Nachteilsausgleich für die Athletinnen und Athleten aufgrund der leistungssportlichen Trainings- und Wettkampfbelastung zu schaffen. Auch das Projekt »Partnerhochschulen des Spitzensports« des Allgemeinen Deutschen Hochschulsportverbandes (adh) wurde hier mit eingebunden, wodurch individuelle Lösungen bereits vor der Aufnahme eines Studiums gefunden werden sollen. Ziel ist eine Harmonisierung der Spitzensportkarriere mit dem Studium. Im Rahmen dieses Modells zur Förderung der Dualen Karriere wird ein intensiver und umfangreicher Betreuungsprozess von Spitzensportlern und Spitzensportlerinnen durchlaufen, für den sich eine Unterteilung in sechs Phasen bewährt hat (Elbe et al. 2014): 7

Auf die Abstimmungsproblematik der verschiedenen Netzwerkbeteiligten im Umfeld von Spitzen­ sportlerinnen und Spitzensportlern und der besonderen Rolle von Hochschulen hierbei weisen Borggrefe/Riedl/Cachay (2009) hin.



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– Der Laufbahnberater/die Laufbahnberaterin des Olympiastützpunktes in Berlin berät in Zusammenarbeit mit den Verbundhochschulen hinsichtlich Studien­ möglichkeiten, Studieninhalten und Studienkonzepten, die sich im Rahmen einer Dualen Karriere umsetzen lassen. – Athlet, Laufbahnberaterin und der/die Beauftragte Spitzensport der jeweiligen Hochschule treffen zu einem Beratungstermin zusammen, in dem die Um­setz­ barkeit des Wunsches diskutiert werden. – Innerhalb der dritten Phase wird die Kompatibilität des gewünschten Studiengangs mit den sportartspezifischen Anforderungen konkret abgeglichen, wodurch dem Spitzensportler/der Spitzensportlerin eine sachgerechte Entscheidung hinsichtlich der Aufnahme des gewünschten Studienganges möglich wird. – Die Athletin, der Laufbahnberater des OSP und der/die Beauftragte Spitzensport bereiten gemeinsam die Immatrikulation vor und organisieren einen Termin hierfür sowie zur Studienberatung, die mit den Trainingsanforderungen abgestimmt werden. – Nach der Immatrikulation wird der aktuelle Trainings- und Wettkampfplan mit den Anforderungen des anstehenden Semesters abgeglichen und bei Bedarf werden Sondertermine oder spezifische Betreuungsangebote zum Nachteilsausgleich aufgrund der Doppelbelastung vereinbart. – Die letzte Phase umfasst die offensive Planung des Übergangs vom aktiven Leis­ tungssport in die zivile Karriere durch Studienintensivierung oder die Inte­gration in den Arbeitsmarkt. Die Zielgruppe, die der DOSB im Rahmen Dualer Karrieren für Spitzensportler ansprechen möchte, sind Angehörige der Olympia-, Perspektiv-, Ergänzungs- oder Nachwuchskader, denen aufgrund der umfangreichen sportlichen Belastung und eng getakteter Trainings- und Wettkampfpläne sowie vielfach fehlender An­sprech­ partner im sportlichen und privaten Umfeld die Möglichkeit fehlt, eigene Interessen und Stärken über den Sport hinaus zu entdecken und weiterzuentwickeln. Dies beschränkt sich nicht auf Studienangebote, vielmehr fördern Laufbahnberaterinnen und Laufbahnberater an den Olympiastützpunkten die Athletinnen und Athleten bereits in der Phase der Schulbildung und unterstützen sie bei der Entscheidungsfindung, sich weiter schulisch oder beruflich zu orientieren und dies dann auch umzusetzen, speziell hinsichtlich der Suche nach sportkompatiblen Ausbildungs- oder Studienplätzen.8 Der DOSB (2020) zeigt konkret auf, welche Anfor­derungen hinsichtlich der Umsetzung einer Dualen Karriere entstehen: »– Den Wunsch, neben/nach dem Sport Deine berufliche Zukunft zu planen. – Ansprechpartner/innen, die Dir jederzeit helfen – bei Dir zu Hause, auf Reisen, und immer dann, wenn Du ihre Hilfe benötigst. – Adressen und Telefonnummern, an die Du Dich bei Fragen zu Deiner Dualen Karriere wenden kannst.

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Zur Lebenslauforientierung im Hochleistungssport und zur Förderung von Kindern und Jugend­ lichen im Sportsystem vgl. u.a. Baur (1998) sowie das gesamte Schwerpunktheft »Sport­karrieren in Lebensläufen von Hochleistungssportlerinnen und -sportlern« der Zeitschrift Sport­wissenschaften, 28: 1.

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– Förder/innen und Unterstützer/innen, die sich für Deine Zukunft einsetzen und Dich nach ihren Kräften in Sport und darüber hinaus unterstützen. – Ein Netzwerk, das dies alles verbindet«.9

Diese Anforderungen gelten für alle Athletinnen und Athleten, die sich im Rahmen einer Dualen Karriere weiterentwickeln wollen, und gehen über Anforderungen, die in der Moderne aufgrund der Rollendifferenzierung für das Individuum generelle entstehen, deutlich hinaus. Das Erbringen von Spitzenleistung in einem spezifischen gesellschaftlichen Teilsystem stellt eine besondere Belastung dar, die mit den Anforderungen in anderen Teilsystemen kollidiert und deshalb vielfach mit einem Nachteilsausgleich versehen wird. Ein besonderes Unterstützungsangebot findet sich darüber hinaus durch die Aufnahme einer Tätigkeit im Staatsdienst beim Bund, den Ländern oder kommunalen Arbeitgebern. Der DOSB (2020) führt exemplarisch fünf Beispiele für Spitzenathleten mit Mehrfachbelastungen im Staatsdienst an:10 – Martin Fleig ist Para-Ski-Weltmeister und arbeitet im Landratsamt Breis­gauHochschwarzwald. – Betty Heidler ist olympische Silbermedaillengewinnerin in der Disziplin Ham­ mer­werfen und Polizeihauptmeisterin der Bundespolizei. Sie studiert Jura an der HU Berlin. – Denis Kudla ist Vizeweltmeister und olympischer Bronzemedaillengewinner im Greco-Ringen und (nach einer Ausbildung zum Chemiekanten) Sportsoldat bei der Bundeswehr. – Andreas Wellinger ist Olympiasieger im Skispringen, Beamter beim Zoll und studiert Betriebswirtschaftslehre. – Alexander Wieczerzak ist Weltmeister im Judo, Sportsoldat bei der Bundeswehr und studiert Betriebswirtschaftslehre. All diesen Spitzensportlerinnen und -sportlern ist gemeinsam, dass die Mehrfachbelastung aus Bildungsprozessen (Schule, Ausbildung, Hochschule) und Sport, ergänzt um die Berufstätigkeit in einer Organisation des staatlichen, ersten Sektors, für viele Jahre Alltag ist und die Lebensführung der Betroffenen prägt. Diese Betroffen nehmen im Rahmen der Professionalisierung des Spitzensports insofern eine Sonderstellung ein, als dass Gleichzeitigkeit in der Integration von Sport, Bildung und Berufsausübung (z.B. im Militär) Gegenstand der Karriereentwicklung wird. Aufgrund der Mehrfachbelastungen ist es sinnvoll, bei dieser Gruppe eben nicht mehr nur von Dualen Karrieren, sondern von Multiplen Karrieren zu sprechen.11 Wie schaffen die Betroffenen es aber, diese Mehrfachbelastung zu koordinieren und die Unter­schiedlichkeit der Belastungen aufeinander abzustimmen? Hierzu 9 10 11

Siehe hierzu die Website des DOSB: (letzter Zugriff 16.8.2022). Vgl. hierzu auch das Interview mit den ehemaligen Sportsoldatinnen und Olympionikinnen Katrin Bunkus und Monique Pöge in diesem Band. Das Konzept »Multiple Karrieren« bedeutet mehr, als sich nur in mehreren Jobs zu betätigen (Junk 2018). Hierbei geht es darum, sich in unterschiedlichen Anforderungsbereichen weiterzuentwickeln und dabei ein professionelles Selbstverständnis zu entwickeln, wodurch Spannungsverhältnisse und auch Konflikte zwischen den unterschiedlichen Anforderungsprofilen und Entwicklungspotenzialen entstehen.



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ist im Folgenden ein Vergleich typischer Belastungen des Alltags mit den Idealtypen des jeweiligen Karriere­profils anzustellen.

4. Typenbildung als Handlungsorientierung für Sportsoldatinnen und Sportsoldaten Idealtypen sind konstruierte Abbilder von gesellschaftlichen Phänomenen, die eine systematische Bedeutungszuschreibung erfahren und an die Alltagserwartungen geknüpft werden. Es sind vielfach Institutionen (wie das Sportsystem), an denen sich Menschen tatsächlich orientierten und die sie als real existierende Typen zusammenfassen (z.B. Sportvereine). Idealtypen schließen hieran an, stellen aber eine Übersteigerung der Realität dar und führen zu einer Generalisierung, zu einer reinen Form des Typs, die in der Realität so nicht vorhanden ist, aber aus wissenschaftlicher Sicht dazu dienen kann, qualitativ unterschiedliches soziales Handeln zu verstehen (Weber 1980; Elbe et al. 2014).12 Im Folgenden wird der Idealtyp eines Sportsoldaten konstruiert, wobei hierfür der Idealtyp des homo gymnasialis (Elbe et al. 2014) erweitert wird.13 Dieser Idealtyp muss sich in drei Teilsystemen bewähren. Hierbei sind die folgenden Kriterien zu berücksichtigen: – Institutionenorientierung: Regeln, Strukturen und Abläufe von Karrieren ergeben sich aus der Institutionalisierung im jeweiligen Teilsystem. – Konkurrenzaustragung: Die gesellschaftliche Konkurrenz zeigt sich in den Teil­ systemen als Karriere. – Erfolg: Karrieren werden dann als erfolgreich eingeschätzt, wenn im zeitlichen Verlauf eine Besserstellung innerhalb eines Systems erfolgt. – Sozialbezug: Die zentralen Bezugsgruppen leiten sich in den gesellschaftlichen Teilsystemen aus der Konkurrenz- und Karriereorientierung ab. – Vermarktbarkeit: Karrieren realisieren sich aufgrund der Vermarktbarkeit von Eigen­schaften, Kompetenzen und Handlungsorientierung in gesellschaftlichen Teil­systemen. Wenn diese Kriterien an die drei Teilsysteme, in denen sich Sportsoldatinnen und -soldaten zu bewähren haben, angelegt werden, dann lässt sich die folgende Differen­ zierung treffen (Tabelle 1):

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»Je schärfer und eindeutiger konstruiert die Idealtypen sind: je weltfremder sie also, in diesem Sinne, sind, desto besser leisten sie ihren Dienst, terminologisch und klassifikatorisch sowohl wie heuristisch« (Weber 1980: 10). Die Idealisierung des Sports im kulturellen Wertesystem der Gesellschaft thematisiert auch Weis (1997), allerdings ohne daraus einen eigenständigen Idealtyp zu formulieren.

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Tabelle 1: Differenzierungskriterien der Teilsysteme Teilsystem

Kriterium Sport

Bildung

Militär

Institution

Sportsystem (z.B. OSP)

Bildungssystem (z.B. Hochschule)

Militärsystem (z.B. Bundeswehr)

Konkurrenzaustragung

Wettkampf

Prüfung

Kampf

Erfolg

relativ Bester (Gold)

absolut Bester (1,0)

Sieger

Sozialbezug

Teammitgliedschaft

individuell Studierende

Teil einer militärischen Einheit

Vermarktbarkeit

perfekter Sportler

perfekter Intellektueller

perfekter Soldat

Anmerkung: Die Tabelle stellt eine Anpassung und Erweiterung des homo gymnasialis (Elbe et al. 2014) dar.

Der Idealtyp eines Sportsoldaten/einer Sportsoldatin kann sich in allen drei Institutionen souverän bewegen und dabei das eigene Handeln an die jeweilige Rationalität anpassen. Ausgangspunkt ist der Siegeswille des Spitzensportlers,14 der auch für die Bewältigung von Bildungsanforderungen hilfreich und damit schon dominant für die Bewältigung schulischer Herausforderungen junger Leistungssportler und -sportlerinnen ist (Richartz 2000). Trotz einer grundsätzlichen Teamorientierung ist ihm/ihr bewusst, dass hinsichtlich der Leistungsbeurteilung jeder letztlich auf sich gestellt ist: Im Sport gilt selbst für Mannschaftssportarten, dass für das Team diejenigen nominiert werden, die die beste Leistung erbringen. Bezüglich der Bildung gilt, dass am Ende Zertifikate zählen und die werden individuell ausgestellt. Auch im Militär gilt die bittere Wahrheit: ›Together we stand – devided we fall.‹ Hinsichtlich des Erfolges ist der Idealtyp des Sportsoldaten zwar leistungsorientiert, aber adaptiv – es werden die jeweiligen Erfolgskriterien dem eigenen Handeln zugrunde gelegt, was auch für die Vermarktbarkeit des Selbst gilt: Als perfekter Soldat werden perfekter Körper und perfekter Geist kombiniert. Hinsichtlich der Konkurrenzaustragung dominiert beim Sportsoldaten die Kampforientierung; sie wird hinsichtlich der Wahl der Mittel auf die jeweiligen Austragungsarenen angepasst. Damit ist der Idealtyp des Sportsoldaten/der Sportsoldatin beschrieben, der aber nur ein wissenschaftliches Vergleichsmodell ist. In der Realität sind – wenn man die Untersuchung von Elbe et al. (2014) – zugrunde legt, die folgenden Realtypen denkbar: – Typ A – Dominanter Spitzensportler (DSS): Dieser Realtyp orientiert sich am stärksten am leistungssportlichen Idealtyp. Sein Handeln wird durch die spitzen14

Dieser Siegeswille leitet sich aus der grundsätzlichen Codierung nach Sieg vs. Niederlage im Leistungssport ab (Schimank 1988; Cachay/Thiel 2010). »Durchhaltevermögen, Zielorientierung, Leistungsbereitschaft und systematisches Arbeiten sind Leistungssportlern selbstverständlich ...« (Werner/Kainz/Elbe 2008: 16).



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sportliche Leistungsrationalität geprägt. Für den militärischen Dienst oder das Studium werden minimale Ressourcen aufgewandt. – Typ B – Auftragsorientierter Sportsoldat (AOS): Hier hat die militärische Rationalität die stärkste Wirkung, der Leistungssport ist der momentane Auftrag; diese Diensterfüllung steht im Vordergrund. Angestrebt wird eine militärische Karriere, das Studium hat nur Lehrgangscharakter. – Typ C – Sportaffiner Student (SAS): Für diesen Typ steht die Logik studienbezogener Leistungsnachweise im Vor­dergrund. Militärische Anforderungen empfindet er als Zumutung, der Sport ist eher Ausgleich, handlungsleitend ist die Möglichkeit des Verbleibs in der institutionellen Förderung. – Typ D – Offener Karrierist (OK): Hier steht die Vereinbarkeit von Studium, Spitzensport und militärischen An­ for­ derungen im Zentrum des Handelns. Für den offenen Karrieristen steht die Abwägung der verschiedenen Handlungsrationalitäten und die Bewahrung zukünftiger Karriereaussichten im Vordergrund. Die Realtypen korrespondieren mit den differenziellen Ausprägungen der einzelnen Individuen, die als Sportsoldatinnen und Sportsoldaten Dienst tun, an Wettkämpfen teilnehmen und ihr Studium bewältigen. Natürlich gibt es jeweils individuelle Aus­ prägungen, es lassen sich aber bei Befragungen quantitativ oder qualitativ Typen bilden, die sich diesen Realtypen zuordnen lassen.

4. Dropout oder Kickoff? Perspektiven um das sportliche Karriereende Aus sportpsychologischer Sicht sind Karrieren im Leistungssport (neben den Trainings- und Talentaspekten) primär mentale Herausforderungen, deren Bewälti­ gung darüber entscheidet, wie diese verlaufen und wie diese enden – als »Dropout« aus dem Sportsystem und ggf. auch noch aus dem Bildungssystem oder als »Kickoff« einer neuen Karriere. Dementsprechend werden Empfehlungen zur Bewältigung des sportlichen Karriereendes gegeben (Alfermann/Stoll 2010). Die Perspektive bleibt dabei in hohem Maß auf das Sportsystem als Referenz gerichtet. Dies Vorstellung korrespondiert mit einer Befragung von 238 ehemaligen Spitzensportlern und Spitzensportlerinnen nach deren Karriereende, das hier als kritisches Lebensereignis konzipiert wird, bei dem es zu Fehlanpassungen und psychischen Störungen kommen kann. Es wird untersucht, welchen Einfluss Resilienz und Athlete Identity auf das Belastungsempfinden am Karriereende haben, wobei ein signifikanter Unterschied der psychischen Belastung hinsichtlich eines freiwilligen oder unfreiwilligen Karriereendes nachgewiesen werden konnte (Pöge 2020). Hier ist ein Unterschied zwischen der Zufriedenheit von Spitzensportlern und -sportlerinnen und ehemaligen Offizieren hinsichtlich des fortschreitenden Alters festzustellen. Während ehemalige Offiziere in ihrer Dualen Karriere eine zunehmende Zufriedenheit zeigen (Elbe 2019), wobei es zu einem Rückgang des Niveaus in den weichen Faktoren (Einfluss, Kompetenz und Selbstverwirklichung) kommt, dieser aber durch die Angemessenheit

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des Gehaltes kompensiert wird, erleben Leistungssportler ihre Karriere durchgehend als Zunahme an Einfluss, Kompetenz und Gehalt; trotzdem sinkt, nach einem Anstieg in der Jugend, die Gesamtzufriedenheit in den frühen Erwachsenenjahren (Elbe et al. 2014). Der Grund hierfür liegt darin, dass für Spitzensportlerinnen und Spitzensportler mit dem Ende der Jugend die Auseinandersetzung mit dem sportlichen Karriereende und der Notwendigkeit beginnt, hinsichtlich alternativer beruflicher Entwicklungen Entscheidungen zu treffen. Die Athlete Identity hat durchaus einen Einfluss bei der Bewältigung dieser Phase und darüber hinaus dann auch beim Karriereende; der Resilienz – als Fähigkeit, Belastungen zu ertragen – kommt hingegen keine sehr hohe Bedeutung zu (Pöge 2020). Nach den Untersuchungen von Elbe et al. (2014) und Buer/Hülsen/Rückmann (2017) ist es auch eher das Kohärenzgefühl,15 das in hohem Maß dafür verantwortlich ist, inwiefern das Karriereende als positiv oder als negativ wahrgenommen wird. Beurteilt werden in beruflicher Hinsicht die Entwicklung und Zielerreichung im Sport, in der Bildung und beim aktuellen Arbeitgeber. In Bezug auf die oben identifizierten Realtypen des Sportsoldaten/der Sportsoldatin lassen sich folgende Tendenzen der selbst erlebten Karriereentwicklung von Sportfördersoldatinnen und -soldaten aus den Logiken der Teilsysteme ableiten (Abbildung 3). Abbildung 3: Realtypische Handlungsoptionen beim Karriereende

Abb. 4: Realtypische Handlungsoptionen beim Karriereende

Typ A: Dominanter Spitzensportler (DSS)

Sport: Spiel beendet Bildung: Ziel verfehlt Militär: Keine weiteren Optionen

Typ B: Auftragsorientierter Sportsoldat (AOS)

Sport: Spiel beendet Bildung: Zielerreichung offen Militär: mögliche Optionen

Typ C: Sportaffiner Student (SAS)

Typ D: Offener Karrierist (OK)

Sport: Spiel beendet Bildung: Ziel erreicht Militär: mögliche Optionen Sport: Spiel beendet Bildung: Ziel erreicht Militär: mögliche Optionen

Anmerkung: Die Darstellung differenziert die selbst erlebten Karriereentwicklung von Sportfördersoldatinnen und -soldaten je nach realtypischer Orientierung, wobei die Pfeile eine Selbstbewertung der eigenen Karriere aufgrund der realtypischen Orientierung verdeutlichen.

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Das Kohärenzgefühl kann mit Hilfe des Sense of Coherence Quastioneer (SOCQ) nach Antonovsky (1997) erfasst werden. Hierbei werden Bedeutsamkeit/Sinn, Verstehen und Handhabbarkeit als zentrale Einflussfaktoren erhoben.



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5. Karrierepfade oder die Rückkehr der gesellschaftlichen Teilsysteme Die zentrale Herausforderung für die Sportsoldatinnen und Sportsoldaten ist die Integration der verschiedenen Teilsysteme, in denen sie sich während ihrer sportlichen Karrieren bewegen. Dies gilt in besonderem Maß für das Karriereende. Ist bis zu diesem Zeitpunkt eine Integration nicht gelungen, dann wird die Transition als Belastung und Kohärenzverlust empfunden. Allerdings werden vielfach Ursache und Wirkung vertauscht. Der Kohärenzverlust ist nicht Folge des »Karriereendes«, sondern dessen Voraussetzung: Die Beurteilung einer transitorischen Erfahrung hängt von der Identitätskonstruktion im Vorfeld ab. Endet mit der sportlichen Karriere auch die Karriere als Soldat oder Soldatin, dann fallen zwei von drei Teilsystemen weg, die bisher zu integrieren waren. Aus Perspektive einer eigenen Professionsidentität ist demnach zu fragen, wie die Übergänge so gestaltet werden können, dass eine Integration von Multiplen Karrieren möglich ist. Anhaltspunkte hierfür geben die Studien zu Karrieren ehemaliger Offiziere (Elbe 2019; Marr 2002), wonach die beiden Karriereabschnitte vor und nach dem Wechsel aus der hoheitlichen Profession eines Offiziers hin zu einer zivilberuflichen Tätigkeit als eine Karriere – aber mit unterschiedlichen Professionslogiken – empfunden werden. Letztlich werden nicht die Karrieren integriert, sondern die Rationalitäten der Teilsysteme. Das Problem hierbei lässt sich aus der Studie von Elbe et al. (2014) ableiten: Trotz der Zunahme des eigenen Kompetenz- und Einflussempfindens bei den Spitzensportlerinnen und Spitzensportlern steigt die Zufriedenheit im Erwachsenenalter nicht mehr an, sondern nimmt sogar ab. Das könnte damit zusammenhängen, dass die intensive Betreuung durch das Sportsystem in Person der Laufbahnberater, Trainer, Sportpsychologen usw. sowie bei der Bundeswehr durch Vorgesetzte speziell für dominante Spitzensportler und auftragsorientierte Sportsoldatinnen in einem hohen Maß die Vermittlungsfunktion zu anderen gesellschaftlichen Teilsystemen übernommen hat. Der Übergang von der durchorganisierten Karriere als Sportsoldatin oder Sportsoldat zu einer Karriere, in der nicht mehr die (angeleitete und damit zumindest teilweise fremdverantwortete) sportliche Leistungserbringung im Zentrum steht, führt in der Folge in eine biografische Falle (Bette/Schimank 1995). Wenn Andere im Vorfeld eines solchen Veränderungsprozesses, wie ihn Karriereübergänge darstellen, die Integrationsleistung für das betroffene Individuum übernehmen, dann wird der Wegfall dieser fremden Integrationsarbeit als Kohärenzbruch erlebt (Elbe et al. 2014). Allerdings ist die Zwangsläufigkeit solcher Übergänge zunehmend in Frage zu stellen. Speziell aus dem Bereich der Multiplen Karrieren von Spitzensportlern und Spitzensportlerinnen bei staatlichen Arbeitgebern wird dies einerseits durch die Förderprojekte hin zu Sportlehrern in der Bundeswehr nach dem sportlichen Karriereende untermauert (Arning 2018; die Beiträge von Hahn/Schönherr sowie von Klix in diesem Band) und andererseits kann diesbezüglich auf langjährige Erfahrungen bei der Bundespolizei zurückgegriffen werden (Hackfort/Birkner 2003), wonach zwei Drittel der Sportler des damaligen Bundesgrenzschutzes (BGS, heute Teil der Bundespolizei) nach Ende ihrer sportlichen Karriere bei der Polizei blieben.

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Unabhängig von der individuellen Orientierung ist in diesen Fällen zumindest der Verbleib in einem der drei Teilsysteme (dem des staatlichen Arbeitgebers) gesichert; das zweite Teilsystem (hier: Bildung) wird nur noch als Logikeinschluss wirksam. Somit erhalten sowohl die auftragsorientierten Sportsoldaten und -soldatinnen als auch die dominanten Spitzensportler und -sportlerinnen neue Karriereoptionen und damit die Möglichkeit, ihre professionelle Identität sukzessive anzupassen. Für die offenen Karrieristen und die sportaffinen Studenten war diese sowieso stärker an der selbst vorgenommenen Integration der Rationalitätsanforderung der unterschiedlichen gesellschaftlichen Teilsysteme ausgerichtet und damit der »Kickoff« vorprogrammiert.

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Jochen Zinner, Daniel Lange und Andreas Mues

Spitzensportförderung als Kooperationsaufgabe von Politik, Militär und Hochschule Einordnung Der nachfolgende Beitrag nimmt seinen Ausgangspunkt in den Erfahrungen von Jochen Zinner aus fast zwei Jahrzehnten als Leiter des größten deutschen Olympia­ stützpunktes Berlin sowie aus mehr als einem Jahrzehnt als Studiengangsleiter, Vizepräsident, Vorsitzender des akademischen Senats und Direktor des Instituts für Leistungssport & Trainerbildung der Deutschen Hochschule für Gesundheit und Sport (DHGS). Die drei Autoren konstatieren darauf aufbauend einen Unter­ stützungsbedarf von Spitzensportlern und Spitzensportlerinnen zum Gelingen der Dualen Karriere. Sie stellen anschließend einen Sportstudiengang vor, der es den Betroffenen ermöglicht, diesen in ihre Dualen Karrieren zu integrieren und auch die Offizierlaufbahn anzustreben. Hierfür präsentieren sie abschließend ein spezifisches Studienkonzept des Blended Learning. Autoren Jochen Zinner, Prof. Dr., Dipl.-Mathematiker und Dipl.-Sportlehrer, ist Direktor des Instituts für Leistungssport & Trainerbildung an der DHGS und ehemaliger Leiter des Olympiastützpunktes Berlin. Er war u.a. Vizepräsident Leistungssport des Landessportbundes Berlin bis 2013. Sein Forschungsschwerpunkt sind mathematische Modelle zur Leistungsdiagnostik im Sport. Daniel Lange, Dr. phil., Historiker und Sportwissenschaftler, forscht und lehrt am Institut für Leistungssport und Trainerbildung der DHGS in Berlin. Er arbeitet insbesondere über internationale (Sport-)Beziehungen. Andreas Mues, Dr. rer. med., ist Philosoph und Gesundheitswissenschaftler sowie Kanzler der Filmuniversität Babelsberg in Potsdam. Sein Forschungsschwerpunkt liegt im Bereich der Angewandten Ethik.

1. Zur sportlichen Belastung von Spitzensportlern und deren Anrecht auf Unterstützung für eine gelingende Duale Karriere Wenn Berliner Sportlerinnen und Sportler bei Olympischen Spielen geehrt wurden, erinnerte man sich im Olympiastützpunkt Berlin (OSP) immer unmittelbar und sehr konkret an eine Vielzahl verschiedenartiger Gesprächs-, Beratungs- und

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Diagnostiktermine, an besondere Situationen bei der trainingswissenschaftlichen, medizinischen und laufbahnberatenden Betreuung dieser Athletinnen oder Athleten durch Physios, Biomechaniker, Trainingswissenschaftler, Laufbahnberater oder Ärzte im OSP. Und man hatte sehr plastisch vor Augen, dass jede dieser Sportlerinnen und jeder dieser Sportler über meist viele Jahre zwischen 25 und 35 Stunden in der Woche im Training und an 80 bis 125 Tagen pro Jahr in Lehrgängen im In- und Ausland unterwegs war. Darüber hinaus wusste man auch davon, – dass beispielsweise Olympiasieger Robert Bartko (Bahnradsport) im Jahr rund 30 000 km auf dem Rad unterwegs ist – und zwar immer gezielt intensitätsgesteuert so, dass er im 4000-m-Rennen auf der Bahn deutlich unter 4:20 Minuten bleiben konnte; – dass die Olympiasiegerin Britta Steffen (Schwimmen) 2500 km im Jahr im 50-m-Schwimmbecken absolviert hat – und zwar jeden Meter frequenzgesteuert und biologisch wirksam; dass sie im Kraftlabor in der Lage war, zum Beispiel 170  »saubere« Klimmzüge in 60 Minuten und ebenso 350 Liegestütze in 45 Minuten zu schaffen; – dass die Olympiasiegerin im Modernen Fünfkampf Lena Schöneborn sich so organisieren musste, dass sie pro Woche 14 km schwimmen, 60 km laufen, zwei Stunden reiten, vier Stunden fechten, zwei Stunden schießen und einige Stunden im Kraftraum verbringen konnte; – dass Patrick Hausding (Silber- und Bronzemedaillengewinner bei Olympia im Wasserspringen) im Jahr rund 20 000 Sprünge realisiert – jeden davon mental höchst konzentriert, schon deshalb, weil technische Fehler bei Eintauch­ge­ schwin­dig­keiten um die 45 km/h schmerzhaft sein können; – dass Robert Harting (Olympiasieger im Diskuswurf ) im Jahr rund 6500 Würfe ausführt, dabei den Diskus in 1,5 Sekunden auf fast 100 km/h beschleunigt und in der Lage ist, mit 300 kg Tiefkniebeugen zu realisieren; – oder dass schließlich die fünffache Olympiasiegerin im Eisschnelllaufen, Claudia Pechstein, in jedem Jahr einen akzentuierten Trainingseinsatz unterschiedlicher Haupttrainingsmittel, bestehend aus beispielsweise 2000 km Radtraining, 500 km Lauftraining, 2000 km Rollschuhlauftraining und ca. 4500 km Eistraining, absolviert – alles penibel laktat- und frequenzgesteuert. Es ist intuitiv einsichtig, dass solche enormen äußeren Belastungen zu außerordentlichen Beanspruchungen führen und deshalb – neben den Trainingsstunden – viele weitere Stunden für Prävention, Regeneration, für die gesundheitliche Fürsorge und die psychische Stabilisierung notwendig sind, gar nicht zu reden von den »üblichen« Anforderungen an solche Spitzensportler, die auch wir alle im persönlichen und gesellschaftlichen Leben ebenso zu bewältigen haben. Und – selbstredend – dürfen wir die Vielen nicht vergessen, die längst nicht so erfolgreich sind, aber dennoch höchst anerkennungswert ihre persönlichen Potenziale ausreizen und dabei vergleichbar hohe Belastungen bewältigen. Man kann das begrüßen oder bedauern, aber wenn man im Spitzensport international wahrgenommen werden will, dann muss man bei Olympia sowie bei anderen internationalen sportlichen Höhepunkten dabei sein, und – auch das gilt – da stehen eben nicht die vielen Tüchtigen, sondern die wenigen Herausragenden



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im Mittelpunkt. Dazu wird man in der Regel nur dann gehören, wenn man akzeptiert, dass »die Logik des Spitzensports Abstriche an den leistungssportlichen Anforderungen rigoros verbietet« (Riedl/Borggreve/Cachay 2007). Das erfordert, dass das Training und die zur Erholung erforderlichen Maßnahmen ›Steuergröße‹ der täglichen Praxis des Spitzensportlers werden sollten und sozusagen ›alles andere darum herum‹ organisiert werden muss. Der Spitzensport und seine Akteure übernehmen damit eine Aufgabe von hohem öffentlichem, gesellschaftlichem und nationalem Interesse. Sie können dafür erwarten, dass entsprechende Rahmenbedingungen zur Unterstützung des Spitzensports im Allgemeinen und zur Abfederung dieser Belastungen für sie selbst im Besonderen durch die Gesellschaft bereitgestellt werden. Entsprechende Beschlüsse werden tatsächlich und folgerichtig zuvorderst vom Deutschen Bundestag als Souverän des Volkes in allen politischen Dingen seit Jahrzehnten gefasst und die Umsetzung durch die staatlichen Stellen wird eingefordert (siehe beispielsweise im Beschluss des Bundestages vom 2.  Juli 2009). Auf dieser Grundlage sind in all den Jahren viele verschiedenartige Bausteine zur Förderung des Spitzensports und seiner Aktiven geschaffen worden: Die Deutsche Sporthilfe (DSH), der Allgemeine Deutsche Hochschulsport (adh), Eliteschulen des Sports, Hochschulen des Spitzensports, Olympiastützpunkte, Sportfördergruppen der Landes- und Bundespolizei sowie eben auch – auf Beschluss des Deutschen Bundestages vom Mai 1968 – Sportfördergruppen der Bundeswehr. Vieles war und ist für diese Einrichtungen wichtig, entscheidend im Spitzensport aber ist die Unterstützung für die Akteure des Spitzensports, die Unterstützung für jede einzelne Athletin und für jeden einzelnen Athleten. Ihnen soll es möglich sein, »Olympiasieger zu werden und die Schule, das Studium, den Beruf, das Leben zu schaffen«, wie es sinngemäß bei Richartz/Brettschneider (1996) heißt. Jeder und jedem soll eine Duale Karriere gelingen können! Das gilt auch – und nicht zuletzt – für die Studierenden der Sportfördergruppen der Bundeswehr. Es sollte nicht so sein, dass sie aufgrund der durch das Studium hervorgerufenen Mehrfachbelastung (Bundeswehr, Sport, Studium) auch noch ein schlechtes Gewissen haben, weil sich die Belastungen gegenseitig limitieren. Sie müssen sich vielmehr sicher fühlen und sich auf eine zielführende Unterstützung durch die Bundeswehr, den Sport und die Hochschuleinrichtung verlassen können. Seit der Einrichtung der ersten Sportfördergruppe vor genau 50 Jahren am 7. April 1970 besteht das Ziel der systematischen Förderung des Spitzensports durch die Bundeswehr darin, für die Sportsoldatinnen und Sportsoldaten Rahmenbedingungen zu schaffen, die also internationale sportliche Spitzenleistungen und ein gelingendes Leben gleichermaßen gewährleisten. Das Ziel verfolgt die Bundeswehr in engster Zusammenarbeit mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und der Stiftung Deutsche Sporthilfe (DSH), den Spitzenverbänden und den anderen Playern. Als Schwerpunkt gilt dabei, »zunächst das ungestörte Training nach Vorgabe der Spitzenverbände zum erfolgreichen Absolvieren von Wettkämpfen« (Hahn/ Zinner/Schönherr 2020) zu gewährleisten. Parallel dazu bietet die Bundeswehr vielfältige Aus-, Fort- und Weiterbildungen innerhalb des Berufsförderungsdienstes, bei Trainerqualifikationen, im Studium usw. Sie macht das seit fünf Jahrzehnten so überzeugend und erfolgreich, dass der DOSB im Nationalen Spitzensportkonzept

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die Sportfördergruppen der Bundeswehr, deren Leistungsstärke und deren Rolle für die Duale Karriere der Sportsoldatinnen und Sportsoldaten als ›unverzichtbar‹ einschätzt. Dem ist auch aus der Sicht des Berliner Olympiastützpunktes zuzustimmen. Der OSP hat praktisch über zwei Jahrzehnte zwischen 70 und 100 Sportsoldatinnen und -soldaten jedes Jahr betreut. In enger Zusammenarbeit zwischen der Leitung des Olympiastützpunktes und den Sportverantwortlichen im Ministerium und auf der Basis einer permanenten, direkten Abstimmung vor allem zwischen den Laufbahnberatern des OSP, den Leitern von Sportfördergruppen, vielen Sportdirektoren und den Aktiven selbst ist der Leistungssport in der Bundeswehr zu einer tragenden Säule der Leistungsfähigkeit des Spitzensports in der Sportmetropole Berlin geworden. So erreichten Angehörige der Bundeswehr beispielsweise 23 Medaillen bei acht Olympischen Spielen (Tabelle 1). Tabelle 1: Erfolgreiche Berliner Sportsoldatinnen und Sportsoldaten bei Olympischen Spielen 1992‑2018 Olympia-Gold (10) Guido Fulst (2) Manuela Mucke Robert Bartko (2) Ronald Rauhe Katrin Mattscherodt Julius Brink Robert Harting Mariama Jamanka

Rad Kanu Rad Kanu Eisschnelllauf Beachvolley Leichtathletik Bob

Barcelona 1992, Sydney 2000 Atlanta 1996 Sydney 2000 – 2x Athen 2004 Vancouver 2010 London 2012 London 2012 Sotschi 2018

Olympia-Silber (6) Cornelia Pfohl Patrick Hausding Ronald Rauhe Julia Richter Eric Franke Petrissa Solja

Bogen Wasserspringen Kanu Rudern Bob Tischtennis

Atlanta 1992 Peking 2008 Peking 2008 London 2012 Sotschi 2018 Rio 2016

Olympia-Bronze (7) Frank Möller Thomas Ulrich Lars Kober Ronald Rauhe Cornelia Pfohl Guido Fulst Patrick Hausding

Judo Boxen Kanu Kanu Bogen Rad Wasserspringen

Atlanta 1996 Atlanta 1996 Sydney 2000 Sydney 2000 Sydney 2000 Athen 2004 Rio 2016

2. Seit 2019: Spezieller Studiengang eröffnet Offizierlaufbahn Durch die 2016 von Bundeswehr, DOSB und DSH geschlossene Kooperation zur Dualen Karriere und insbesondere durch das im August 2017 durch die Bundes­ ministerin der Verteidigung angewiesene komplexe Maßnahmenpaket zur Weiter­ entwicklung der Spitzensportförderung der Bundeswehr wurde ein Prozess angestoßen, durch den für Sportsoldatinnen und Sportsoldaten künftig parallel zum Sport



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nun auch eine Laufbahnausbildung zum Offizier möglich wird. Dafür wurde in enger Zusammenarbeit mit der in Berlin ansässigen DHGS das Bachelorstudium »Sport und angewandte Trainingswissenschaft« so angepasst, das es auf den Erfahrungen der Sportsoldatinnen und Sportsoldaten in ihrer sportlichen Karriere aufbaut, auf die speziellen Bedürfnisse von Spitzensportlerinnen und Spitzensportlern ausgerichtet ist und eine bestmögliche zivilberufliche Eingliederung, aber auch eine optimale Bindung an den Arbeitgeber Bundeswehr möglich macht. In einem Kooperationsvertrag zwischen beiden Partnern wurden deren jeweilige Beiträge für diese Aufgabenstellungen und Vorgehensweisen konkret festgehalten und am 16. April 2019 auch in Kraft gesetzt. Der im Dezember 2018 berufene Beirat »Spitzensportförderung Bundeswehr« bei der Abteilung Ausbildung Streitkräfte im Kommando Streitkräftebasis, der insbesondere auch Maßnahmen zur Dualen Karriere von Spitzensportlerinnen und -sportlern der Bundeswehr anregt und umsetzt, hat in enger Abstimmung mit dem Vorsitzenden des akademischen Senats der Hochschule sowohl die Konzipierung des Bachelor-Studiengangs als auch Immatrikulation, Studienaufnahme und Studienfortschritt der studierenden Bundeswehrangehörigen wirkungsvoll begleitet – und tut das in den regelmäßig stattfindenden Sitzungen weiterhin. Er ist dazu insbesondere deshalb in der Lage, weil die für eine gelingende Verbindung von Bundeswehr, Sport und Studium entscheidenden Player hochrangige Vertreter in diesen Beirat entsenden: führende Bundeswehrvertreter, Athletenvertreter, Sportpolitiker, Sportdirektoren, OSP-Leiter, Vertreter von wissenschaftlichen Institutionen, darunter auch der Autor dieses Beitrags, und andere. Dadurch lassen sich kurzfristig auftretende Schwierigkeiten schnell kommunizieren und es können langfristig immer wieder Anpassungen und Optimierungen für das Zusammenspiel der Partner im Interesse der studierenden Sportsoldatinnen und -soldaten vorgenommen werden. Seit dem Wintersemester 2019 studieren die ersten Spitzensportlerinnen und Spitzensportler der Bundeswehr auf der Basis dieses Vertrages an der DHGS.

3. Das Studium an der DHGS Das Bachelorstudium »Sport und angewandte Trainingswissenschaft« umfasst 210 ECTS-Punkte (ECTS, European Credit Transfer System), beinhaltet im fünften Studiensemester ein Praktikum und bietet wahlweise Vertiefungsmöglichkeiten in folgenden Bereichen: Prävention, Regeneration und Rehabilitation; Gesundheit und Fitness; Kinder- und Jugendtraining. Das Studium ist durch einen Wechsel zwischen virtuellen Studienphasen und Präsenz­phasen an der Hochschule in Berlin geprägt, wobei in beiden Phasen die einzelnen Module eines Studiensemesters bearbeitet werden. Abbildung 1 zeigt ein Studien­semester im Zeitverlauf.

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Jochen Zinner, Daniel Lange und Andreas Mues

Virtuelle Phase: 24 Stunden Verfügbarkeit

Semesterende

Präsenzphase (2 Tage)

Virtuelle Phase V

Präsenzphase (2 Tage)

Virtuelle Phase IV

Präsenzphase (2 Tage)

Virtuelle Phase III

Präsenzphase (2 Tage)

Virtuelle Phase II

Präsenzphase (2 Tage)

Virtuelle Phase I

SEMESTER

Abbildung 1: Semesterverlauf

Präsenzphase: 5x2 Tage (zwischen Montag und Samstag jeweils 9:00 –18:00 Uhr

Anmerkung: Die Gliederung zwischen virtuellen Phasen und Präsenzphasen ist nicht unbedingt festgelegt. Hier ist ein Modell mit fünf Präsenzphasen à 2 Tagen dargestellt, es gibt auch andere Modelle, z.B. mit drei Präsenzphasen à fünf Tagen. © ZMSBw 09313-02

Die Kompetenzvermittlung erfolgt dabei im Rahmen eines sequenziellen Blended-Learning-Konzeptes, das drei wesentliche Grundelemente didaktisch sinnvoll miteinander kombiniert (Abbildung 2). Abbildung 2: Grundelemente des Blended Learning

● Persönlicher Kontakt (+ Studien-Coaching) ● Gruppenarbeiten und Diskussionen ● Präsentationen und Referate ● Prüfungsphase

Präsenzphasen

Virtuelles Selbststudium ● Selbstbestimmte Lerntaktung ● zeit- und ortsunabhängiges Lernen ● flexible Methodik/Didaktik ● Einsatz unterschiedlicher Medien

Virtuelle Interaktion ● virtuelle Klassenzimmer und Gruppenarbeiten ● Repetitorien ● Lerngruppe ● zeitversetzte Zusammenarbeit möglich

Anmerkung: Die Kreise bilden jeweils eines der Grundelemente des Blended-Learning ab. Die Überschneidungen verdeutlichen, dass die einzelnen Grundelemente nicht nur jeweils für sich, sondern auch in Kombination wirken können, so ist z.B. auch in Präsenzphasen virtuelles Selbststudium möglich und dieses wiederum mit Lerngruppen als virtuellen Interaktionen kombinierbar. © ZMSBw 09306-02



Spitzensportförderung als Kooperationsaufgabe

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Dieses Studienmodell baut auf einer umfangreichen internetbasierten Lern­platt­ form auf, die mittels des Learning-Management-Systems Moodle (LMS-Moodle) ein zeitlich und örtlich flexibles virtuelles Studium garantiert. Die Lernplattform ist an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr verfügbar und ermöglicht dadurch eine selbstbestimmte Lerntaktung, die durch unterschiedliche didaktische Ansätze unter Verwendung diverser multimedial aufbereiteter Studienmaterialien sowie zahlreicher Selbstlernkontrollen einen strukturierten Lernpfad gewährleistet. Die Plattform ist somit sowohl zeitlich asynchron als auch örtlich flexibel nutzbar. Den zweiten wichtigen Grundpfeiler dieses Blended-Learning-Konzeptes bilden die virtuellen Interaktionsphasen, in denen sich die Studierenden sowohl untereinander als auch mit den Professorinnen und Professoren im Rahmen virtueller Seminare oder in organisierten studentischen Lerngruppen in virtuellen Unterrichtsräumen treffen und austauschen. Diese virtuellen Lernveranstaltungen sind örtlich flexibel, aber zeitlich synchron organisiert, um in der direkten Kommunikation miteinander lernen und arbeiten zu können. Durch die Aufzeichnung der Onlineseminare ist zudem eine zeitlich asynchrone Nutzbarmachung möglich, sodass insbesondere in intensiven Trainingsphasen oder Wettkampfzyklen ein kontinuierlicher Studienfortschritt gewährleistet werden kann. Die Präsenzphasen, als drittes wesentliches didaktisches Instrument, dienen in besonderer Weise der Vertiefung und praktischen Anwendung der bis dato erarbeiteten Lerninhalte; sie erlauben es den Professorinnen und Professoren zudem, weitere kompetenzorientierte Übungen und präsenzgebundene Vermittlungsformate einzusetzen. Als Blockveranstaltungen mit Workshop-Charakter dienen sie der persönlichen Vernetzung und Interaktion und ermöglichen die Abnahme von schriftlichen, mündlichen und praktischen Prüfungen. Ein sequenzielles Blended-Learning-Modell zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass alle Module eines Semesters nacheinander studiert und in Abhängigkeit von der jeweiligen Prüfungsform auch während des Semesters abgeschlossen werden. So können sich die Studierenden innerhalb fest definierter Zeiträume exklusiv mit den Inhalten des aktuellen Studienmoduls beschäftigen, sich vollumfänglich auf ein Themenfeld konzentrieren und dieses – in Form einer Klausur, einer mündlichen Prüfung oder einer Lehrprobe – innerhalb des gegebenen Zeitrahmens abschließen und die zugehörigen ECTS-Punkte erwerben. Jedes Studienmodul wird auf diese Weise innerhalb von vier Wochen abgeschlossen und es kann ein kontinuierlicher Prozess beginnend mit der theoretischen Grundlagenarbeit hin zu einer stetig wachsenden Anwendungskompetenz des erlangten Wissens sichergestellt werden (Abbildung 3). Die einzige Ausnahme bilden hierbei Studienmodule, die mit einer Hausarbeit abgeschlossen werden, welche stets zum jeweiligen Semesterende abzugegeben ist.

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Jochen Zinner, Daniel Lange und Andreas Mues

Handlungskompetenz

Abbildung 3: Wochenverlauf im Rahmen eines Studienmoduls Lernen

Virtuelle Phase

Anwenden

Intensive Nutzung der mobilen Lernplattform mit ihren Multimedialen Darstellungs- und Kommunikationsfunktionen

Woche 1 Ablauf

1 Präsenz

Woche 2

Woche 3

ca. 37,5 Std. 2 3 4 5 6 7 1

ca. 37,5 Std. 2 3 4 5 6 7 1

Woche 4 Wissensvertiefung: Präsenz

Wissensaufbau: Virtuelle Phase und Webinare ca. 37,5 Std. 2 3 4 5 6 7 1

ca. 37,5 Std. 2 3 4 5 6 7 P P

Nutzung des persönlichen Kontakts zur Bearbeitung von Fallstudien und realen Projekten, Planspiele und Simulationen, Exkursionen, Prüfungsleistungen etc.

Anmerkung: Die Verflechtung von virtuellen Phasen und Präsenzphasen führt zu einer sukkzessiven Zunahme der sport© ZMSBw wissenschaftlichen Handlungskompetenz: vom Lernen zum Anwenden. 09305-01

In Abhängigkeit von der dezidierten Semesterplanung finden die zweistündigen virtuellen Seminare jeweils wöchentlich statt, sodass etwaige Besonderheiten der Trainingsplanung berücksichtigt werden können. Durch diese zeitliche Rahmenstruktur für jedes einzelne Studienmodul erreicht man einen kontinuierlichen und themenspezifischen Zuwachs von Handlungskompetenzen. Dieser repetitive Prozess ermöglicht in besonderer Weise, die Lerninhalte von aufeinander aufbauenden Modulen oder ganzen Modulgruppen didaktisch abgestimmt zu vermitteln. Ein so vielseitiges und komplexes Tätigkeitsfeld wie die moderne Sportwissenschaft bedarf vielseitiger und komplexer didaktischer Formate und Zielsetzungen, sodass selbstredend nicht für jedes Modul einheitliche didaktische Methoden definiert werden können. In Onlinephasen erarbeiten sich die Studierenden einen ersten Überblick über das Themenfeld und sie bekommen detaillierte Informationen über dessen Art und Umfang. Sie vertiefen und intensivieren ihr Wissen und setzen gegebenenfalls Schwerpunkte oder fokussieren sich zusätzlich auf bestimmte Unterthemenfelder. Zeitlich dazwischen sattfindende Onlineseminare basieren in der Regel auf den Prinzipien des Immersionslernens, sprich: die Studierenden tauchen gezielt in bestimmte Praxisfelder ein, um ihr zuvor erarbeitetes Wissen durch dessen Anwendung zu erweitern und zu vertiefen. Zudem sichert dieser regelmäßige Austausch sowohl die studentische Vernetzung untereinander als auch die regelmäßige Kommunikation mit den Lehrenden ab, was es erleichtert, Fragen zu stellen und gegebenenfalls schwierige Themenfelder in der Gruppe zu diskutieren. Abgeschlossen wird das Modul durch einen zweitägigen Präsenzworkshop, der neben der Prüfung vor allem auf den Praxistransfer und auf die Anwendung der gelernten Handlungskompetenzen



Spitzensportförderung als Kooperationsaufgabe

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zielt. Sollte es aus dienstlichen oder sportlichen Gründen notwendig sein, können die Studierenden Präsenzen und/oder Prüfungen örtlich flexibel innerhalb der drei Standorte der DHGS (Ismaning/München, Unna/Dortmund und Berlin) variieren. Zudem lassen sich sowohl bereits vorhandene hochschulische als auch außerhochschulisch erworbene Kompetenzen auf das Studium anrechnen. Auf Basis solcher Anrechnungen können dann im Anschluss individuelle Studienverlaufspläne gestaltet werden, damit die individuellen Kompetenzprofile der Sportsoldatinnen und -soldaten bereits bei der Planung des Studiums angemessen berücksichtigt werden. Eine strikte Anwendungsorientierung des Studiums wird unter anderem auch dadurch verwirklicht, dass die Hochschule über ihr Institut für Leistungssport und Trainerbildung (ILT) ein erstklassiges Netzwerk mit Landessportbund, Senat von Berlin, Olympiastützpunkt, Verbänden, (Profi-)Vereinen (Alba Berlin, 1. FC Union Berlin, BR Volleys) sowie Wissenschaftsinstitutionen (Humboldt-Universität zu Berlin, Universität Leipzig, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg) pflegt und es konsequent in Lehre und Forschung, aber auch in Fachsymposien oder Zertifikatsausbildungen einbezieht. Die Präsenz von erfolgreichen Trainerinnen und Trainern, Athletinnen und Athleten sowie Sportfunktionären in den Präsenzphasen trägt in hohem Maß dazu bei, dass sich ein kontinuierlicher Theorie-Praxis-Theorie-Transfer zwischen wissenschaftlicher Ausbildung und Spitzensport der Studierenden konsequent gestalten lässt, und zwar so, dass er aktuelle Entwicklungen und Anforderungen aus ihrem (leistungs-)sportspezifischen Umfeld (nicht zuletzt bei der Bundeswehr) aufnimmt und auf Lehr- und Forschungsprozesse der Hochschule zielgerichtet überträgt. In diesem Sinne können künftig Fachleute oder Experten aus dem engeren Umfeld der Bundeswehr als Vortragende bzw. als externe Dozenten auf vielfältige Weise in die Lehre einbezogen und die vernetzte Kooperation mit Ausbildungs- (z.B. Sportfördergruppen, Kommando Streitkräftebasis) und Forschungseinrichtungen der Bundeswehr weiter gestärkt werden. Ebenso von der Hochschule angeboten wird, dass das komplette 5. Semester (Praxissemester) innerhalb der Bundeswehr mitbetreut und durchgeführt wird. Umgekehrt können studierende Sportsoldatinnen und Sportsoldaten ihre praktische Studienhospitanz am Institut für Leistungssport & Trainerbildung der DHGS absolvieren. Gute Erfahrungen, zuletzt unter anderem mit Soldatinnen der Sportfördergruppe Berlin aus dem Kreis der deutschen Nationalmannschaft Wasserspringen, verdeutlichen immer wieder, dass der praxisnahe Austausch von Studierenden sehr positiv aufgenommen und geschätzt wird. Dieses anwendungsorientierte Vorgehen trägt dazu bei, dass die Studierenden motiviert und angehalten werden, in Studienarbeiten, Referaten und/oder in der Abschlussarbeit Herausforderungen aus ihrer eigenen Praxis wissenschaftlich zu bearbeiten, also insbesondere auch solche aus dem Sport und gerne eben auch aus dem Sport der Bundeswehr. Die örtliche Nähe zum Olympiastützpunkt Berlin mit mehr als zwei Dutzend Bundesstützpunkten sowie mit Diagnostiksystemen und Betreuungsspezialisten bietet auch das Potenzial für eventuell akut notwendige Trainings- oder Regenerationsmaßnahmen während der Präsenzzeiten. Für die organisatorische Vereinbarkeit der Anforderungen von Militär, Sport und Studium ist verabredet – und in einem ersten Entwicklungsschritt auch bereits realisiert –,

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dass jeweils am Semesteranfang zwischen der Hochschule, dem Leiter des Referats Sport/Spitzensport der Bundeswehr sowie weiteren OSP- und Verbandsvertretern gemeinsam mit den Studierenden ein individueller Studienverlaufsplan ausgearbeitet wird, bei dem der Trainings- und Wettkampfplan tatsächlich zur »Stellgröße« für die Studienorganisation wird (siehe oben). Das führt dann dazu, dass beispielsweise die im Wintersport aktive DHGS-Studentin der Bundeswehr Andrea Filser (Ski-Weltcup) ihre Studienbelastung saisonal regulieren und anfallende Prüfungen im Sommersemester ablegen konnte. Die Sportfördergruppenangehörige Charlotte Grimm (Karate) vermochte ihren Studienverlaufsplan mit ihren Verpflichtungen im Leistungssport so in Einklang zu bringen, dass sie Studieninhalte höherer Semester bereits zu einem früheren Zeitpunkt absolvieren konnte. Der Sportsoldat Ole Braunschweig (Schwimmen) hat – in enger Zusammenarbeit mit der Laufbahnberatung des OSP Berlin – zunächst im Vorfeld seines Studiums eine einsemestrige Zertifikats­ausbildung auf Hochschulniveau zum ›Talentcoach‹ absolviert und erste akademische Erfahrungen gesammelt. Heute studiert er im BachelorStudiengang Sport und angewandte Trainingswissenschaft an der DHGS. All dies sind Einzelfalllösungen, die durch spezifische Betreuungsleistung und die Flexibilität des semivirtuellen Studiensystem ermöglicht werden. Diese anwendungsorientierte Verzahnung trägt dazu bei, dass das Studium kein »Studium light« (so etwas ist durch die Studien- und Prüfungsordnungen ausgeschlossen), sondern eben ein »Studium à la carte« ist. Das ist eine Vorgehensweise, für die es beim Olympiastützpunkt Berlin seit vielen Jahren hinreichend gute Erfahrungen und vielfältige erfolgreiche Beispiele gibt. Diese Möglichkeiten und Maßnahmen sollen die Studierenden der Bundeswehr ermutigen, sie inspirieren und ihnen größte Sicherheiten für die Vereinbarkeit von Militär, Sport und Studium, für eine gelingende Duale Karriere geben. Mit den einzelnen Studierenden werden dabei individuelle Studienpläne für jedes Semester erstellt, in denen die unterschiedlichen Ansprüche aus Training, Wettkampf, Studium und Dienst integriert werden. Abbildung 4 zeigt eine Vorlage für solche Vereinbarungen, die von den Beteiligten als gemeinsame Verpflichtung unterschrieben werden. Die umfassende Unterstützung von Spitzensportlerinnen und Spitzensportlern – nicht nur der studierenden Sportsoldatinnen und Sportsoldaten – gehört für die Gremien und für alle Mitarbeiter der Hochschule zu ihrem Selbstverständnis. Bereits 2010 wurde die noch junge Berliner Hochschule im Verbund mit weiteren sieben Berliner Universitäten und Hochschulen vom damaligen Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbundes, Dr. Thomas Bach, mit der Auszeichnung »Hochschule des Spitzensports« geehrt. In der Hochschule wurde in all den Jahren und wird auch künftig die Unterstützung für Spitzensportlerinnen und -sportler nicht als eine Besserstellung organisiert, sondern im Sinne eines angemessenen Nachteilsausgleichs begriffen: Weil Erfolge im Spitzensport in unserem Land von hohem gesellschaftlichem Wert sind, dürfen die Risiken dafür nicht individualisiert werden. Die Spitzen­ sport­lerinnen und Spitzensportler verdienen deshalb eine faire Chance, die wegen des Trainings verlorene Zeit zu kompensieren. Sie haben ein Anrecht auf eine gelingende Duale Karriere.

Spitzensportförderung als Kooperationsaufgabe

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Abbildung 4: Beispiel einer individuellen Studienplanung am Olympiastützpunkt Berlin als »Vorlage« für Sonderplanungen von Sportsoldatinnen und Sportsoldaten

Deshalb wird eine erstklassige studentische Betreuung der Spitzensportler an der DHGS mehrfach flankiert. Das gilt auch für die »tägliche Hochschulpraxis«, wo auf der Ebene der Hochschulverwaltung etwa die Spitzensportbeauftragte und Leiterin der Studierendenkanzlei im Zusammenspiel mit weiteren Einrichtungen der Hochschule wie dem Prüfungsamt, den einzelnen Fakultäten und den jeweiligen Studienstandorten den Fortschritt der Athletinnen und Athleten im Studium stets »im Blick« hat und somit gemeinsam mit ihnen einen erfolgreichen Studienverlauf organisieren und verabreden kann – von der Matrikelnummer bis hin zu Prüfungsterminen und Abgabefristen. Das gilt in gleicher Weise für eine inhaltliche Betreuung durch einen verantwortlichen Mitarbeiter am Institut für Leistungssport & Trainerbildung der DHGS, der als »Studienmentor« themenspezifische Beratungen zum Beispiel für Studien- oder Abschlussarbeiten vornimmt sowie die Einbindung der Studierenden in wissenschaftliche Projekte und Programme begleitet. Der Betreuungskreis schließt sich letztlich, wenn sich studierende Spitzensportler und -sportlerinnen auch im Trainingslager oder auf Wettkampfreisen die digital vorliegenden Lehrmaterialien aneignen können. »Dann passt einfach alles«, beschreibt Andrea Filser ihre ersten Semester an der DHGS. Das trifft besonders dann zu, wenn sich Trainings- und Seminarzeiten überschneiden. »Dass die Vorlesungen aufgezeichnet werden«, findet Charlotte Grimm »richtig toll. Das macht das Studium neben den Sport unkompliziert und zeitlich flexibel.« All diese Mechanismen einer guten Betreuung im Studium machen sich auch dann »bezahlt«, wenn sich Sportlerinnen und Sportler nach ihrer aktiven Laufbahn im Leistungssport für ihren nächsten Karriereschritt qualifizieren und das Studium erfolgreich abschließen.

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Jochen Zinner, Daniel Lange und Andreas Mues

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Sebastian Brückner

Spitzenleistung unter Druck. Sport und Militär aus sportpsychologischer Sicht Einordnung Aus dem Spitzensport ist die Sportpsychologie kaum mehr wegzudenken und in den letzten Jahren haben speziell in den USA sportpsychologische Trainings- und Beratungsansätze auch im Militär zunehmend Beachtung gefunden. Sowohl im Sport wie auch im Militär treten vielfach extreme Leistungsanforderungen in bestimmten Situationen auf, die ein (sport-)psychologisches Training im Vorfeld sinnvoll erscheinen lassen. Sebastian Brückner führt in das Themengebiet der Sportpsychologie ein und zeigt anhand von US-amerikanischen Studien Anwendungsfelder für die Sportpsychologie im Militär auf. Autor Sebastian Brückner, PhD, Dipl.-Sportlehrer und freiberuflicher Sportpsychologe, ist Projektmitarbeiter am Institut für Sportwissenschaften der Westfälischen WilhelmsUniversität Münster und war viele Jahre Laufbahnberater am Olympiastützpunkt Saarbrücken. Er forscht insbesondere zur Praxis der Angewandten Sportpsychologie.

1. Einleitung »At the Olympic Games, everything is a performance issue« (McCann 2008: 268). Diese Aussage eines Sportpsychologen, der US-amerikanische Sportler bei zahlreichen Wettkämpfen betreut hat, verdeutlicht den Leistungsdruck, der auf allen Beteiligten und vor allem auf den Athleten lastet. Denn die Bedeutung, die allein der Teilnahme, vielmehr aber noch einem Medaillengewinn (speziell bei Olympischen Spielen) beigemessen wird, ist immens und definiert für viele Athleten Erfolg oder Misserfolg ihrer gesamten Karriere (McCann 2008). Der Spitzensport – und hier insbesondere der Kampf um Erfolge auf der olympischen Bühne – war und ist weltweit die entscheidende Triebfeder bei der Entwicklung von Strukturen und Inhalten der angewandten Sportpsychologie (Sly/Mellalieu/Wagstaff 2020: 88  f.). Dieser Aufsatz soll zunächst in einem ersten Teil einen Überblick über die Entwicklung von Ansätzen und Inhalten der angewandten Sportpsychologie geben. Hierbei wird die Entstehung von Strukturen, Konzepten und Modellen sowohl in Deutschland als auch in Nordamerika miteinander verknüpft. Dieser Ansatz wird unter ande-

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rem gewählt, da sich die angewandte Sportpsychologie in Nordamerika deutlich früher etabliert hat als in Deutschland. Aufbauend hierauf erfolgt ein Transfer der Ansätze, Modelle und Konzepte der angewandten Sportpsychologie in den militärischen Kontext. Auch hier zeigt sich wiederum: In Nordamerika haben sich im militärischen Kontext bereits ganz konkrete Forschungs- und Anwendungsfelder sowie Trainingsprogramme etabliert. In Deutschland ist in dieser Hinsicht noch keine Entwicklung festzustellen. Dies soll abschließend diskutiert und ein Ausblick auf mögliche Szenarien und Potenziale der Zukunft gegeben werden.

2. Spitzenleistung unter Druck aus sportpsychologischer Sicht 2.1 Sportpsychologische Themen im olympischen Kontext Im Kontext der olympischen Wettkämpfe wird beim Versuch, dort als Sportler erfolgreich zu sein, ›alles zu einem Leistungsfaktor‹. In seinem Beitrag, der auf der Arbeit der Sportpsychologen des US-amerikanischen Olympischen Komitees (USOC) bei zahlreichen Olympischen Spielen beruht, listet McCann (2008) fünf spezifische Themenbereiche auf, die die Sportpsychologen beschäftigen. Neben klinischen Themen, Anpassung an die Umgebung, zwischenmenschlichen Konflikten und der Ablenkung bei den Spielen ist dies auch ganz konkret der Leistungsdruck. Hier unterscheidet der Autor aber noch einmal und führt unterschiedliche Quellen des Leistungsdrucks an: – Trainer – Medien – Eltern – Ehe-/Lebenspartner – Agenten – eigener Leistungsanspruch. Auch wenn Leistungsdruck – mit unterschiedlichen Verursachern – ein ganz zentraler Faktor ist, mit dem Athleten bei Olympia umgehen müssen, wenn sie erfolgreich Spitzenleistungen erzielen wollen, so zeigt McCann doch, dass es eine ganze Reihe weiterer Probleme gibt, die Spitzenleistungen beeinflussen. Eine Interview­ studie mit kanadischen Olympiateilnehmern (Orlick/Partington 1988) hat ergeben, dass Spitzenleistungen bei Olympia auf hundertprozentigem Einsatz der Athleten beruht, aber auch auf qualitativ hochwertigem Training sowie spezifischer Vorbereitung auf die Wettkampfsituation. Qualität im Training wurde dabei durch Simulationstraining, Visualisierungstraining und das Setzen klarer, täglicher Ziele erreicht. Zur spezifischen Vorbereitung auf Spitzenleistung im Wettkampf setzten die Athleten folgende Strategien ein und um: Vor-Wettkampf-Pläne, WettkampfFokus-Plan, Wettkampf-Evaluation und erfolgreiche Kontrolle von Ablenkungen (Orlick/Partington 1986). Erfolgreiche Athleten bereiteten sich auf das Erbringen von Spitzenleistungen unter dem Druck der Olympischen Spiele mit Hilfe von Simulation und mentalem Durchspielen der Drucksituationen im Training sowie



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durch Formulieren und Evaluieren klarer Ziele für Training und Wettkampf vor. Schließlich gehören auch klare, tägliche Zielsetzungen zu den Erfolgsfaktoren.

2.2 Sportpsychologische Ansätze zur Förderung von Spitzenleistungen Die Einflussfaktoren zur Erbringung von Spitzenleistungen unter Druck lassen sich nach McCann (2008) entlang eines Kontinuums einordnen. Auch Herzog und Hays (2012) beschreiben ein Therapy-Mental Skills Training Continuum, das für die Erbringung von Spitzenleistungen bei Olympia relevant ist. Dieses hypothetische Kontinuum wird an einem Ende von »reiner« Psychotherapie, am anderen Ende von »reinem« edukativem mentalem Fertigkeitstraining begrenzt (Herzog/ Hays 2012: 487). Zwischen den beiden Extremen des Kontinuums liegt ein Bereich, in dem sportpsychologische Beratung zur Erbringung von Spitzenleistungen unter Druck mit verschiedenen, durchaus wechselnden Schwerpunkten die angewandte sportpsychologische Arbeit bestimmt. In Deutschland hat sich eine Aufteilung der Tätigkeit in sportpsychologisches Training einerseits und sportpsychologisches Coaching/Beratung andererseits etabliert (Staufenbiel/Liesenfeld/Lobinger 2019a). Beide Prozesse sind zur Vorbereitung von Spitzenleistungen relevant und lassen sich auch auf dem von Herzog und Hays (2012) beschriebenen Kontinuum abbilden. Im sportpsychologischen Training geht es laut Mayer und Hermann (2015) insbesondere um das systematische Erarbeiten spezifischer Techniken, zum Beispiel: – (Bewegungs-)Vorstellungstraining, – Üben von Entspannungsverfahren und – Trainieren von Konzentrationstechniken. Diese Inhalte stehen vor allem im mentalen Grundlagentraining im Mittelpunkt. Aufbauend auf ein solches Grundlagentraining schließt sich im Sinne eines gezielten Vorbereitungsprozesses von Spitzenleistung unter Druck ein spezifisches Fertigkeitstraining an (Beckmann-Waldenmayer/Beckmann 2017). Dieses umfasst laut Stoll und Blazek (2013): – Techniken zur Regulation von Emotionen, – Übungen im Rahmen eines Motivationstrainings und – Inhalte zur Verbesserung kognitiver Komponenten. Das psychologische Fertigkeitstraining ist prominenter Teil der sportpsychologischen Arbeit in Deutschland wie auch in Nordamerika. Dort dominierte dieser Ansatz die Angebote des USOC im Be­reich der Sportpsychologie für OlympiaAthleten (Sly/Mellalieu/Wagstaff 2020: 88 f.). Inhalte dieses klassischen psychologischen Fertigkeitstrainings zur Ver­bes­serung von sportlicher Leistung unter Druck umfassen nach Weinberg und Gould (2006) das Training von Erregungsregulation, vorstellungstraining, Klärung von Zielsetzungen Emotionsregulation, Bewegungs­ sowie Verbesserung von Selbst­ vertrauen und Konzentration. Klar abzugrenzen vom sportpsychologischen Training sind sportpsychologische Beratung und Coaching (Brand 2010). Hier stehen im Kontext der langfristigen Vorbereitung von Spitzenleistungen unter Druck die Persönlichkeitsentwicklung der Athleten sowie

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die Unterstützung in Krisensituationen oder nach Verletzungen/in der Reha im Vordergrund.

2.3 Sportpsychologische Techniken Am Beispiel von Sportschützen im Bereich des Bogenschießens (Haywood 2006) soll exemplarisch dargestellt werden, welche sportpsychologischen Techniken beim Erbringen von Spitzenleistung unter Druck eine Rolle spielen. Haywood (2006: 552) beschreibt, dass das Erarbeiten einer mentalen Checkliste eines Schusses zu den Grundtechniken eines Schützen gehört. Solch eine Checkliste kann Grundlage eines Bewegungsvorstellungstrainings bzw. mentalen Trainings sein. Zudem kann die Checkliste neben der Konzentrationslenkung – weg von negativen Gedanken, hin zu positiven Erwartungen – sowie dem Formulieren und Evaluieren spezifischer Zielsetzungen die Basis für die Erarbeitung von Selbstvertrauen bilden (Haywood 2006: 558 ff.). Konzentrationsübungen, die sich auf das Zielen fokussieren bzw. die Verbindung zum Ziel unterstützen, dienen einem Sportschützen ebenso der Vorbereitung von Spitzenleistung unter Druck wie spezifische Techniken zur Erregungsregulation. Diese umfassen, da sich beim Bogenschießen im Allgemeinen ein recht niedriges Erregungsniveau als optimal erweist, meist spezifische Emotionsregulations- und Entspannungstechniken. Diese Techniken zu vermitteln und ein auf die Bedürfnisse des individuellen Athleten zugeschnittenes Trainingsprogramm zur Vorbereitung und Entwicklung von Spitzenleistung unter Druck zu entwickeln, zu begleiten und zu evaluieren, ist die Aufgabe des Sportpsychologen.

2.4 Neuere Ansätze sportpsychologischer Arbeit Im Kontext der Erbringung von Spitzenleistungen unter Druck zitiert Haywood (2006: 555) die Ausführungen von Herrigel (1953) in seinem Buch »Zen in the Art of Archery«. Dort beschrieb Herrigel, dass laut der Prinzipien des Zen-Buddhismus optimale Leistung erbracht wird, wenn der Schießleistung im Moment des Schusses geringe bis keine Bedeutung beigemessen wird. Dies steht dem Konzept der Leistungs­motivation, dem Setzen von klaren Zielen sowie den hohen – internen und externen – Leistungserwartungen, welche im Spitzensport fast omnipräsent sind (McCann 2008), scheinbar entgegen. In der Tat haben sich aber neuere Ansätze der Vorbereitung von Spitzenleistung unter Druck im Sport etabliert, die unter anderem auf Prinzipien des Zen-Buddhismus aufbauen. Diese beinhalten zum einen achtsamkeitsbasierte Ansätze und Techniken, zum anderen akzeptanzbasierte Methoden. Einen exzellenten Überblick über die Hintergründe dieses Paradigmenwechsels weg von »reinem« psychologischen Fertigkeitstraining hin zu achtsamkeits- und akzeptanzbasierter Arbeit mit Athleten zur Vorbereitung auf Spitzenleistung unter Druck bietet das Buch »Mindfulness and Acceptance in Sport: How to help athletes perform and thrive under pressure« (Henriksen/Hansen/Hvid Larsen 2020). Spezifische Techniken, Ansätze und Methoden, die in diesem Kontext eingesetzt werden, sind etwa: Werte-Arbeit (Hvid Larsen/Reinebo/Lundgren 2020), Defusing und



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Akzeptanz von Gedanken und Emotionen (Birrer/Diment/Schmid 2020), Präsenz im Hier und Jetzt in Drucksituationen (Hansen/Haberl 2020) sowie engagiertes Handeln (Aoyagi/Bartley 2020). Ein weiteres spezifisches Thema, das in diesem Kontext auch für Athleten mit Blick auf die Entwicklung von Spitzenleistung unter Druck Relevanz gewonnen hat, beschreiben Baltzell, Röthlin und Kenttä (2020). Sie diskutieren Selbst-Mitgefühl und Akzeptanz von Verletzlichkeit als Faktor, der Spitzenleistung unter Druck unterstützt und möglich macht. Damit bilden sie eine Entwicklung ab, die Spitzenleistungen von Athleten unter Druck nicht mehr als reines Thema von Leistungsoptimierung, dem Erlernen und Automatisieren von kognitiven und emotionalen Techniken versteht. Im Rahmen eines ganzheitlicheren Ansatzes und Verständnisses von Spitzenleistungen unter Druck hat sich ein Diskurs über mentale Gesundheit der Athleten etabliert. Dies wird deutlich durch ein gemeinsames Positionspapier führender internationaler Sportpsychologie-Organisationen zum Thema mentale Gesundheit von Spitzensportlern (Henriksen et al. 2020). Die Autoren schlagen unter anderem vor, dass die mentale Gesundheit von Spitzenathleten als zentraler Bestandteil einer Leistungssportkultur verstanden wird, was dann auch durch Leitfäden systematisiert und durch individuelle Entwicklungsprotokolle dokumentiert und sichergestellt wird.

2.5. Zusammenfassende Betrachtung von Spitzenleistung unter Druck im Sport Viele Faktoren beeinflussen hier die Leistung der Sportler in außergewöhnlichen Drucksituation (insbesondere im Wettkampf ); die sportpsychologische Vorbereitung kann hier den entscheidenden Vorteil ausmachen (McCann 2008). Dies gilt sowohl hinsichtlich Sieg oder Niederlage an einem Wettkampftag als auch generell hinsichtlich der Frage, ob die Karriere eines Sportlers als erfolgreich oder nicht erfolgreich beurteilt wird (McCann 2008: 267 f.). Seit Beginn der 1980er Jahre, als das Nationale Olympische Komitee der USA damit begann, konkrete Strukturen zur psychologischen Unterstützung ihrer Olympia-Athleten aufzubauen, haben sich solche Strukturen international etabliert und weiterentwickelt. In Deutschland veränderte sich die Akzeptanz gegenüber sportpsychologischen Angeboten zur Unterstützung von Spitzenleistung unter Druck erst um die Jahrtausendwende (Lobinger/Mayer/ Neumann 2019). Doch nicht nur die Strukturen und die Akzeptanz der angewandten Sportpsychologie haben sich mittlerweile in Deutschland verbessert. Auch die Trainingsansätze haben sich weiterentwickelt. So werden in Deutschland heute im Kontext der Erbringung von sportlicher Spitzenleistung unter Druck neben grundlegenden kognitiven und emotionalen Techniken (z.B. Selbstgesprächsregulation, Bewegungsvorstellung) und spezifischen mentalen Fertigkeiten (emotionale Selbst­ regulation, Wahrnehmungstraining, Aufmerksamkeitslenkung) inzwischen auch achtsamkeits- und akzeptanzbasierte Methoden angewandt. Schließlich hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass das Training von Spitzenleistung unter Druck nicht nur die Leistungsfaktoren, -komponenten und -techniken in den Fokus nehmen darf. Selbst-Mitgefühl, Selbst-Akzeptanz auch von Ängsten und Schwächen sowie

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die Berücksichtigung der mentalen Gesundheit gehören zu einem ganzheitlichen Ansatz und Verständnis sportpsychologischen Trainings.

3. Spitzenleistung unter Druck aus militärischer Sicht »Military personnel [...] must make split second decisions every day in order to best respond to life threatening situations. Doubt is not an option [...] finding a better way to perform is a key factor in performance. Psychological Skills Training (PST) has become the new standard for Tactical Peak Performance« (Graber o.J.). Speziell im Kontext von weltweiten (Kampf-)Einsätzen ist beim US-Militär in den vergangenen 30 Jahren zunehmend auf Erkenntnisse, Techniken und Interventionen der angewandten Sportpsychologie gesetzt worden. Wagstaff und Leach (2015) betonen, dass sich seit ca. 1995 die psychologischen Anforderungen im Militär stark verändert haben. Moderne Kampfeinsätze verlangen von den Soldaten die psychologischen Fähigkeiten der Terrorismusbekämpfung oder lange Auslandseinsätze in extremen und vielfach feindlichen Umgebungen zu bestehen. Die Gegner dort besitzen heute Möglichkeiten, flexibel und schnell zu agieren sowie Informationen und Waffen mit modernen Kommunikationsnetzwerken zu steuern (Wagstaff/Leach 2015: 65). Kurz: Was die Autoren beschreiben, bedeutet nichts weniger als die Erbringung von Spitzenleistungen unter Druck. Wie sich im Bereich der Militärpsychologie – zumindest in den USA – eine starke und enge Verbindung zur angewandten Sportpsychologie gebildet hat, soll im Folgenden genauer beschrieben werden.

3.1 Entwicklungsgrundlagen Sportpsychologie und Militär Die angedeutete enge Verbindung zwischen angewandter Sportpsychologie und Militär in Nordamerika hat sich in den vergangenen 20 Jahren basierend auf zwei Säulen entwickelt. Zum einen wurden vermehrt wissenschaftliche Studien durchgeführt, in welchen Spitzenleistung in militärischen Kontexten auf Grundlage von sportwissenschaftlichen Erkenntnissen – und hier insbesondere sportpsychologischen Ansätzen – untersucht wurde. Zum anderen entstanden Strukturen und Programme, die neben dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn eine gezielte Praxisanwendung zum Ziel hatten. Bereits 1993 wurde an der United States Military Academy in West Point das erste (sport-)psychologische Trainingsprogramm am Center for Performance Enhancement etabliert (Meyer 2018). Die Bedeutung dieser psychologischen Ansätze fasst folgendes Zitat aus dem Bereich der Navy SEALs (Navy SEALs o.J.) zusammen: »Today, our primary weapons systems are our people’s heads [...] Mental weakness is what actually screens you out.« Die Aussage unterstreicht die Bedeutung, die psychologischen Erkenntnissen zur mentalen Vorbereitung und Stärkung von Soldaten speziell in Spezialeinheiten der amerikanischen Streitkräfte beigemessen wird.



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3.2. Psychologische Ansätze und Studien im Auswahlprozesses und in der Ausbildung In einem Bericht der NATO »Research Tactical Group« zum Thema »Psychological and Physiological Selection of Military Special Operations Forces Personnel« (RTOTR-HFM-171) wird die Bedeutung der mentalen Stärke und Widerstandsfähigkeit insbesondere im Bereich der militärischen Spezialeinheiten hervorgehoben. In dem NATO-Papier werden jedoch ausführlicher physische Eigenschaften und Selektionskriterien beschrieben als psychologische. Für das Assessment der Anforderungen und für künftige Auswahlverfahren werden zudem eher arbeits- und persönlichkeitspsychologische Ansätze diskutiert (Research and Technology Organisation 2012). Im angelsächsischen Raum gibt es aber Entwicklungen, die die Anwendung von Erkenntnissen aus der angewandten Sportpsychologie im Bereich des Militärs präferieren. Arthur und Kollegen (2015) setzen hier auf einen Transfer der Forschungen zur »Mental Toughness«, um Erkenntnisse im Bereich der militärischen Ausbildung zu gewinnen. Ausgehend von der »Mental Toughness Inventory« (Hardy et al. 2014) entwickelten und validierten sie ein »Military Training Mental Toughness Inventory« (MTMIT). Hierzu führten sie zwei Studien im Rahmen einer allgemeinen und spezielleren Rekrutenausbildung im Bereich der Infanterie durch (Arthur et al. 2015). Mit der Entwicklung eines validen, kontextspezifischen Messinstruments für mentale Stärke im militärischen Umfeld besteht die Möglichkeit, dieses Konstrukt in weiteren – jeweils spezifische Stressoren aufweisenden – militärischen Kontexten anzuwenden. Zudem könnte mit dem MTMIT überprüft werden, ob Trainingsprogramme und Interventionen mit mentalem Training zu Veränderungen im Bereich der mentalen Stärke bei Militärangehörigen führen. Eine Studie zur Wirksamkeit einer mentalen Trainingsintervention mit Rekruten der britischen Armee veröffentlichten Fitzwater und Kollegen (2018). Sie setzten zur Überprüfung der Wirksamkeit der Intervention das MTMIT ein. In der Experimentalgruppe zeigte sich nach der dreiwöchigen Intervention, dass die Rekruten vermehrt mentale Techniken wie Zielsetzung, Entspannungsübungen, Selbstgesprächsregulierung und Vorstellungstraining nutzten. Zudem bewerteten Beobachter ihr Verhalten als ›mental stärker‹. In der Kontrollgruppe zeigten sich keine Veränderungen (Fitzwater et al. 2018). Insgesamt lässt sich ein zunehmender Wissens- und Methodentransfer aus dem Bereich der Sportpsychologie in militärische Kontexte auch speziell für die Zielgruppe Rekruten und Soldaten in Ausbildung feststellen. Dabei werden im europäischen (NATO-)Kontext aber eher Ansätze der Arbeits- und Persönlichkeitspsychologie mit Blick auf die Vorbereitung auf Erbringung von Spitzenleistung unter Druck diskutiert. In Nordamerika bzw. dem Vereinigten Königreich hingegen zeigt sich deutlich der Einfluss der angewandten Sportpsychologie. Hier wurden etwa aus dem Sportkontext heraus Skalen zur Erfassung mentaler Stärke für militärische Kontexte angepasst, evaluiert und in Studien genutzt.

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3.3 Sportpsychologische Ansätze zur Förderung von Training, Ausbildung und Expertise Die Techniken, die im Rahmen von Interventionen, Trainingsprogrammen bzw. Servicestrukturen im militärischen Kontext eingesetzt werden, basieren meist auf den Ansätzen des psychologischen Fertigkeitstrainings (psychological skills training, PST). Die meisten Studien, welche die Wirksamkeit der aus der angewandten Sportpsychologie stammenden Techniken in militärischen Kontexten überprüften, setzten hier auf vier inhaltliche Schwerpunkte (Fitzwater et al. 2018; Taylor et al. 2011): 1. Zielsetzungen, 2. Selbstgesprächsregulation, 3. Bewegungsvorstellungstraining, 4. Erregungsregulation/Entspannungstechniken. Während in den USA bereits vor der Jahrtausendwende das Center for Enhanced Performance gegründet wurde (Graber o.J.) und seitdem Interventionen, Studien und Programme mit sportpsychologischen Erkenntnissen ein Bestandteil des USMilitärs sind, erhielt der Wissenstransfer zwischen der Sportpsychologie und dem Militär durch eine Sonderausgabe der Fachzeitschrift »Military Psychology« im Jahr 2008 einen enormen Schub. Fiore und Salas (2008) beschreiben in ihrer Einführung die vielfältigen Möglichkeiten, wie Erkenntnisse aus dem Sport im militärischen Kontext Anwendung finden können. Denn in Bereichen des motorischen Lernens, der Erbringung von Leistung unter Druck, der erfolgreichen Aufmerksamkeitslenkung sowie Emotionsregulation hat die Sportpsychologie Erkenntnisse hervorgebracht, welche auch für das Militär relevant sind. Williams und Kollegen (2008) umreißen in besagter Sonderausgabe mit der im Sport etablierten Expertiseforschung einen für das Militär ebenfalls relevanten Forschungs- und Interventionsansatz. In sechs weiteren Beiträgen stellen renommierte Sportpsychologen Erkenntnisse, Forschungsund Interventionsansätze für einen Wissenstransfer zwischen den Disziplinen dar, beispielsweise zu Themen wie Aufmerksamkeitslenkung (Janelle et al. 2008) und Emotionsregulation (Tenenbaum et al. 2008). Auch Zinsser und Kollegen (2004) machen sich den Fokus der Programme des Center for Enhanced Performance des USMilitärs auf das psychologische Fertigkeitstraining zu eigen und untersuchen anhand freiwilliger Teilnehmer an einem militärischen Ausbildungsprogramm unter anderem Fertigkeiten aus der angewandten Sportpsychologie wie Selbstgesprächsregulation, Zielsetzung, Aufmerksamkeitsregulation, Stressmanagementtechniken sowie Be­we­ gungs­vorstellung und Visualisierung. Ausgehend von dem bereits im Center for Enhanced Performance etablierten Programm entwickelten DeWiggins und Kollegen (2010) ein differenzierteres Interventionsmodell. Ihr Personal Performance Plan (PPP) wurde entscheidend durch die Aufsätze in der Sonderausgabe der »Military Psychology« (2008) beeinflusst. Das PPP-Modell umfasst vier Phasen mit Blick auf die Nutzung von mentalen Techniken in militärischen Kontexten. Für alle Phasen werden die Soldaten in der Anwendung und Implementierung spezieller mentaler Techniken geschult: – Phase 1: Planung (z.B.: Zielsetzung, Visualisierung)



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– Phase 2: Vor-Einsatz-Phase (z.B.: kognitive Neubewertung, Selbstgespräche) – Phase 3: Einsatz (z.B. Schlagworte, Fokussierungstechniken) – Phase 4: Erholungsphase (z.B. Entspannungsverfahren, Visualisierung) Dieses Modell erweitert den in den 1990er Jahren im US-Militär etablierten Interventionsansatz, baut aber immer noch überwiegend auf einem kognitiv-behavioralen Verständnis von Leistung unter Druck auf, wie er für den Ansatz des psychologischen Fertigkeitstrainings charakteristisch ist. Auch wenn sich ab 2010 der Kontext und Fokus der Programme und Angebote mit sportpsychologischem Einfluss im US-Militär verschob (was nachfolgend im Kapitel  3.4 beschrieben werden wird), so gibt es auch weiterhin Interventionsmodelle, die vor allem auf traditionelle mentale Fertigkeitstechniken zur Leistungsverbesserung setzen (Meyer 2018). Die von Meyer beschriebene sechswöchige Intervention setzte ebenfalls auf die bekannten Inhalte des PST: Zielsetzung, Selbstgesprächsregulation, Vorstellungstraining sowie hier eine Atementspannungstechnik. Inhaltlich ist das Programm »Sport Psychology for the Soldier Athlete« also weniger wie im Titel des Beitrags genannt ein »Paradigmen-Wechsel«, sondern eher ein Setzen auf Bewährtes. Die Evaluation dieses Programmes, wie vorheriger Interventionsmodelle, etwa des Personal Performance Plan, zeigte zumindest im Rahmen der Kontrollstudien positive Effekte. Dies gilt für die Anwendung und Beherrschung von mentalen Techniken sowie für Leistungsparameter, etwa den halbjährlichen Fitnesstest der Soldaten im Programm von Meyer (2018).

3.4 Sportpsychologische Programme mit ganzheitlichen Ansätzen im militärischen Kontext Einen tatsächlichen Paradigmenwechsel, was Inhalte und Philosophie hinter dem Training und der Anwendung von mentalen Techniken in militärischen Kontexten betrifft, gab es in den vergangenen zehn Jahren aber in der Tat: 2010 wurden die Programme zur Leistungsverbesserung des Center for Enhanced Performance vom US-Militär in die »Resilienz Direktive« aufgenommen (Meyer 2018: e270). Dadurch wurden die Programme der Comprehensive Soldier Fitness (CSF) bzw. nachfolgend der Comprehensive Soldier Family Fitness (CSF2) etabliert. Der Fokus dieser Programme war nun deutlich weiter gegriffen: Die Mission im Rahmen von CSF bzw. CSF2 ist »die physische und psychische Gesundheit, Widerstandsfähigkeit und Leistung der Soldaten, ihrer Familien sowie teilnahmeberechtigter ArmeeZivilisten zu verbessern« (Meyer 2018: e271). Als weiterer Paradigmenwechsel kann durchaus angesehen werden, dass Führungskräfte des US-Militärs 2011 ihre Soldaten in Bezug auf die Vermittlung von mentaler Stärke und Resilienz als »taktische Athleten« bezeichnet haben (LoRusso 2018: 28). Allein begrifflich zeigt dieses Verständnis die Nähe zur Erbringung von Spitzenleistung unter Druck, die sich in den USA zwischen olympischem Sport und Militär entwickelt hatte. Zudem wurden zur Vermittlung der Techniken und Anwendungen in militärischen Kontexten im US-Militär zunehmend in der angewandten Sportpsychologie ausgebildete Experten angestellt, welche die Interventionen und Programme mit den Soldaten leiten. Außerdem wurde 2009 ein spezielles Master Resilience Training (MRT)

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entwickelt (Reivich/Seligman 2011). Ziel im Rahmen des MRT war es, Seargeants (Feldwebel) als Multiplikatoren im Resilienztraining – also der Entwicklung von Widerstandsfähigkeit unter stressigen Bedingungen – auszubilden. Die Seargeants sollten durch diesen Multiplikatorenansatz selber in die Lage versetzt werden, die grundlegenden mentalen Techniken in ihren militärischen Einheiten an die Soldaten zu vermitteln. Ziel war eine breite Streuung des Wissens und der Techniken rund um mentale Stärke, Resilienz und psychische Gesundheit in den gesamten Streitkräften. Seit 2010 hat sich unter anderem die Zielgruppe für die Programme des US-Militärs rund um mentale Stärke verändert. Neben den Soldaten selbst – ob als Bewerber, Anwärter, in der Ausbildung oder in der Vorbereitung von Einsätzen – richteten sich die Inhalte im Sinne eines systemischen Ansatzes nun auch an Zivilangestellte sowie die Familien der Soldaten. Zusätzlich hat sich der Ansatz der Vermittlung erweitert. Durch das Master Resilience Training werden mentale Techniken nicht mehr nur direkt, sondern innerhalb der Streitkräfte auch Multiplikatoren auf der Führungsebene geschult. Schaut man sich die Inhalte des MRT (Reivich/Seligman 2011) an, so fällt auf, dass sie sich verändert haben. Neben der Vermittlung und dem Training grundlegender mentaler Fertigkeiten, also den aus dem psychologischen Fertigkeitstraining stammenden Komponenten, stehen beim MRT weitere Inhalte im Fokus. Im Rahmen des zehntägigen Master Resilience Training stehen vier Module im Mittelpunkt sowie am vorletzten Tag ein Austausch über die nachhaltige Nutzung der vermittelten Resilienztechniken im militärischen Alltag. Den Abschluss bildet schließlich eine Trainingseinheit, wo die grundlegenden mentalen Techniken zur Leistungsverbesserung wie Zielsetzung, Vorstellungstraining oder Erregungsregulation vermittelt werden. Während das MRT hier auf den PST-Fokus früherer Programme des Center for Enhanced Performance aufbaut, stehen in den vier Kernmodulen grundlegendere Themen im Fokus. – Modul 1 hat einen psycho-edukativen Fokus zum Thema Resilienz. Hier werden zentrale Kompetenzen, die zu Resilienz beitragen, präsentiert. Dazu gehören etwa Selbstwahrnehmung, Selbstregulation, Optimismus oder individuelle, persönliche Charakterstärken. – Modul 2: Hier geht es um die Vermittlung konkreter Techniken, die mentale Stärke fördern. Die Inhalte reflektieren zwar auch immer noch einen stark kognitiv-behavioristischen Ansatz, der aber durch die von Seligman (2002) propagierte Positive Psychologie beeinflusst ist. Übungen und Techniken, die den Teilnehmern vermittelt werden, umfassen etwa kognitive Neubewertung, Gedankenfallen, innere Überzeugungen, Energiemanagement, Problemlösungsstrategien, Dankbarkeit sowie achtsamkeitsbasierte Ansätze zum Umgang mit schwierigen Situationen und negativen Gedanken. Hier finden sich bereits erste achtsamkeits- und akzeptanzbasierende Interventionen, welche im folgenden Kapitel noch genauer diskutiert werden sollen. – In Modul 3 werden die Charakterstärken der Teilnehmenden explizit herausgearbeitet; zudem wird geübt, Stärken auch bei anderen Personen zu identifizieren. Auch ein stärken- und potenzialorientierter Ansatz zur Zielerreichung wird eingeübt. Dieses Modul reflektiert vornehmlich wieder den Ansatz der Positiven Psychologie von Seligman (2002).



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– Modul 4: In diesem Modul wird die Stärkung der Beziehungsgestaltung thematisiert. Dazu trainieren die Teilnehmer drei Techniken: konstruktives Antworten, Anerkennung zeigen sowie Kommunikationsstile (positiv, negativ, bestimmend) (Reivich/Seligmann 2011: 30). Ein Blick auf Aufbau und Inhalte des MRT zeigt deutlich, dass sich speziell der theoretische Ansatz über die grundlegenden Inhalte des psychologischen Fertigkeitstrainings hinaus erweitert hat. Neben den klassischen kognitiv-behavorialen Ansätzen spielen nun auch achtsamkeits- und akzeptanzbasierte Ansätze sowie die Erkenntnisse der positiven Psychologie eine Rolle.

3.5 Sportpsychologische Techniken für spezielle Zielgruppen und Hochrisikoeinsätze LoRusso (2018) untersuchte in seiner Überblicksarbeit die Anwendbarkeit von mentalen Techniken, welche im olympischen Spitzensport trainiert werden, mit Blick auf die Aufrechterhaltung von Anstrengungen im militärischen Einsatz. Dabei konzentrierte er sich weitestgehend auf traditionelle Techniken aus dem psychologischen Fertigkeitstraining. LoRusso verglich Daten aus wissenschaftlichen Studien und verschiedenen nichtwissenschaftlichen Quellen (u.a. Webseiten, Pressetexte), in deren Fokus Athleten des Nationalen Olympischen Komitees der USA standen, mit solchen zum Comprehensive Soldier Fitness-Programm des USMilitärs. Hier tauchte bei den Daten des USOC auch das Thema Achtsamkeit auf (LoRusso 2018: 46). Der Autor thematisiert dies jedoch nicht weiter und empfiehlt in seiner Schlussfolgerung lediglich sechs Inhalte eines mentalen Fertigkeitstrainings als relevant für die Vorbereitung von Soldaten im Einsatz, die dem klassischen kognitiv-behavioralen Kontext entstammen: 1. Kontrollierbarkeit/Kontrolle, 2. Selbstgespräche, 3. Selbstvertrauen, 4. Vorstellungstraining, 5. Konzentration, Aufmerksamkeit, Fokus, 6. Ziele/Zielsetzung. Eine Studie von Meland et al. (2015) untersuchte hingegen explizit die Wirksamkeit einer Achtsamkeitsintervention auf Aufmerksamkeitskontrolle und Stresslevel bei Piloten von Militärhubschraubern. Am Ende der viermonatigen Intervention zeigte sich eine Verringerung der wahrgenommen mentalen Belastung bei den Teilnehmern der Versuchsgruppe, was durch signifikante Veränderungen in den Cortisolwerten bei der Versuchs- im Gegensatz zur Kontrollgruppe unterstrichen werden konnte. Auch für neuere achtsamkeitsbasierte Interventionen gibt es Studien aus dem militärischen Kontext, welche für Zielgruppen, die extremen Drucksituationen und Stressleveln ausgesetzt sind, eine Wirksamkeit nachweisen. Insgesamt dominiert, wie die Arbeit von LoRusso (2018) zeigt, aber immer noch der Ansatz des psychologischen Fertigkeitstrainings.

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3.6 Zusammenfassende Betrachtungen zu Spitzenleistung unter Druck aus militärischer Sicht Im US-Militär gab es in den vergangenen zehn Jahren somit einen Paradigmenwechsel mit Blick auf Inhalte, Zielgruppe und Philosophie der Programme zur Unterstützung von Spitzenleistung unter Druck in Richtung einer Stärkung der Resilienz der Militärangehörigen. Die im vorherigen Kapitel bereits beschriebenen Inhalte des Master Resilience Training der US-Armee sowie der erweiterte Fokus wurden zusammen mit entsprechenden Evaluationsstudien im Jahre 2011 in einer Sonderausgabe der Zeitschrift »American Psychologist« beschrieben (Casey 2011). Nachdem bereits durch die Sonderausgabe der »Military Psychology« (Fiore/Salas 2008) ein positiver Effekt auf den erfolgreichen Wissenstransfer zwischen Sportwissenschaft und militärischem Kontext dokumentiert und angeregt werden konnte, erhielt die Zusammenarbeit zwischen Experten der beiden Felder durch das Special Issue von 2011 neue Impulse. Der ganzheitlichere Ansatz, der das Comprehensive Soldier Fitness-Programm der US-Armee charakterisiert, zeigt sich unter anderem auch in entsprechenden Beiträgen in dem 2011er-Heft des »American Psychologist«. So wird zum Beispiel Resilienz, traditionell als individuelles Konstrukt verstanden, auch in einem sozialen Gruppenkontext thematisiert (Cacioppo et al. 2011); es werden die Entwicklung von spirituellen Anteilen am CSF-Programm beschrieben (Pargament/Sweeney 2011) sowie spezielle Inhalte, welche als Zielgruppe Familien und Kinder der Militärangehörigen haben (Gottmann et al. 2011; Park 2011). Der Einfluss der Positiven Psychologie (Seligman 2002) für diese Entwicklung ist nicht zu unterschätzen. Dies wird auch von Wagstaff und Leach (2015) unterstrichen, die in ihrem Beitrag die Parallelen zwischen positiven, stärkebasierten Ansätzen von Interventionen in Spitzensport und Militär untersuchen. Sie zeigen noch einmal eindrücklich, wie im militärischen Kontext lange der Ansatz der »Stress-Immunisierung« dominierte. Dabei werden Personen im Rahmen eines Vorbereitungstrainings bzw. der Ausbildung dosiert Stressreizen ausgesetzt mit dem Ziel, sie letztlich gegenüber dem Stresslevel in der realen Situation immun zu machen. Genau wie bei Athleten, wo unter dem Druck des Wettkampfes viele Athleten nicht ihre Leistung abrufen können, zeigte sich im Militär, dass dieser Ansatz nicht zuverlässig funktioniert (Wagstaff/Leach 2015). Der alternative, ganzheitliche Ansatz der Ausbildung eines mental gesunden, starken und resilienten Soldaten war und ist Kernstück des CSF-Programms des US-Militärs. Die Herausforderungen, die sich im Kontext dieses neuen, ganzheitlichen Ansatzes im US-Militär stellen, bestehen vor allem darin, dass eine nachhaltige Wirkung letztlich nur erzielt werden kann, wenn die stärkenorientierte, positive Grundhaltung und Wertschätzung mentaler Gesundheit zur Veränderung der kulturellen Werte innerhalb der gesamten Militärorganisation führen (Wagstaff/Leach 2015). Ähnlichen Herausforderungen in Bezug auf die Priorisierung ganzheitlicher, auf den Erhalt der mentalen Gesundheit gerichteter Leistungskultur sieht sich der Leistungssport ausgesetzt. Auch wenn es das gemeinsame Positionspapier der internationalen Sportpsychologie-Organisationen zur Mentalen Gesundheit im



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Spitzensport (Henriksen et al. 2020) gibt, bedeutet dies nicht, dass im organisierten Sport schon ein nachhaltiger Wechsel hin zu einem solchen Kulturwandel stattgefunden hat. Mit Blick auf die traditionellen Werte im militärischen Kontext wie im Leistungssport, die vor allem von Härte gegen sich selbst und gekennzeichnet waren – und oft noch sind –, stehen sich der Leistungssport und das Militär durchaus nah. Auch wenn sich in beiden Kontexten neue stärken-, achtsamkeits- und akzeptanzbasierte Techniken und Methoden zunehmend etablieren: Bis sich hier ein echter Kulturwandel einstellt, ist es noch ein weiter Weg.

4. Spitzenleistung unter Druck: Diskussion und Ausblick Während im Spitzensport selbst bis heute eine ernstzunehmende Nachfrage nach Experten der angewandten Sportpsychologie nur sehr begrenzt existiert, ist in den USA das Militär im Rahmen des Comprehensive Soldier Family Fitness-Programms mittlerweile zum größten Arbeitgeber für Sportpsychologen geworden (Portenga et al. 2017: 53). Doch selbst wenn es mit Blick auf die Etablierung eines Stellenmarktes für Absolventen von Studiengängen der angewandten Sportpsychologie noch größere Herausforderungen gibt – und dies in Nordamerika wie in Europa und Deutschland  –, so ist doch international die Sportpsychologie gerade wegen der Praxisprogramme im Kontext von Spitzenleistungen unter Druck am Wachsen. Für die Entwicklung von Erkenntnissen, Methoden und Programmen zum Ein­ satz mentaler Techniken im Kontext von Spitzenleistung unter Druck zeigt sich im militärischen Kontext international jedoch ein stark differenziertes Bild. Während in den USA in den vergangenen 30 Jahren eine enge Verbindung und analoge Strukturen zum Spitzensport und der Sportpsychologie entstanden sind, ist dies in anderen Ländern nicht der Fall. Im Vereinigten Königreich haben zumindest einige Sportwissenschaftler Interventionsprogramme in Studien überprüft (Fitzwater et al. 2018; Hardy et al. 2014). Auch die Armee des Vereinigten Königsreichs hat ein Mental Resilience Training implementiert (The Army, o.J.), das auf sportpsychologischen Erkenntnissen fußt. Hierzu gibt es allerdings, anders als von der USArmee, keine umfangreichen Veröffentlichungen. In Deutschland existiert bei der Bundeswehr eine eigenständige militärpsychologische Tradition, die bis in den Ersten Weltkrieg zurückreicht (Fritscher 1990). Die Schwerpunkte der Arbeit lagen hier lange Zeit in der Eignungsdiagnostik. Seit den 2010er Jahren beschäftigt sich die Militärpsychologie zunehmend mit Fragen von Einsatz und Notfall (Kreim/Bruns/Völker 2014), wobei sportpsychologische Erkenntnisse berücksichtigt werden (z B. Hackfort 2020). Darüber hinaus bietet die Bundeswehr im Rahmen der Betreuung und Fürsorge für die Soldaten weitere Dienstleistungen der Militärseelsorge, einen Sozialdienst und Hilfen bei Posttraumatischen Belastungsstörungen an (Bundeswehr o.J.). Mit Blick auf die wachsende Verantwortung, welcher sich Deutschland und damit die Bundeswehr mit Blick auf die Landesverteidigung stellen muss, aber auch im Kontext der zahlreichen internationalen Einsätze deutscher Soldatinnen und Soldaten könnte die Etablierung eines entsprechenden ganzheitlichen Programms unter konkretem Rückgriff auf

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sportpsychologische Konzepte und Erfahrungen – analog dem Comprehensive Soldier Family Fitness-Programm des US-Militärs – ein vielversprechender Ansatz sein, um die Soldaten und ihre Angehörigen besser auf ihre Einsätze im Ausland – oder auch im Inland wie im Rahmen der Covid 19-Pandemie – vorzubereiten.

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IV. Historische Facetten des Militärsports

Peter Tauber

»Schon das Spiel ist Kampf, Krieg im kleinen ...« Sport und Militär von der Antike bis heute Einordnung Peter Tauber gibt einen Überblick über die gemeinsame Entwicklung von Sport und Militär. Sein Augenmerk liegt auf der Antike und der Zeit seit dem 18. Jahrhundert. Die Geschichte des Militärsports in Deutschland im 20. Jahrhundert und die heutigen Anforderungen an Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr hinsichtlich Sport und ›Körperlicher Leistungsfähigkeit‹ stellen weitere Schwerpunkte des Autors dar. Dieser Beitrag ist ein überarbeiteter Wiederabdruck aus: Militärgeschichte. Zeitschrift für historische Bildung, 2019, Heft  3, S.  4‑9. Die Literaturliste umfasst weitere Titel, deren Inhalte in den Beitrag eingeflossen sind und die zudem als Anregung für eine vertiefende Lektüre dienen mögen. Autor Peter Tauber, Dr., Historiker, war bis 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages und Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung. Er hat über die Geschichte des Sports im Kontext des Ersten Weltkriegs promoviert und ist Marathonläufer.

1. Körperliche Leistungsfähigkeit in der Antike Heute wird der Sport oft mit der Idee der Völkerverständigung und des friedlichen Wettstreits in Verbindung gebracht. Man betont den Gedanken des Fair Play und seine pädagogische Kraft für ein friedliches Miteinander, für Toleranz und Integration. Angesichts der politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Bedeutung des Sportes wird dabei aber gerne ausgeblendet, wie eng Sport und Militär in der Geschichte miteinander verbunden waren und bis heute sind. Diese Verbindung reicht bis in die Antike zurück. Die Olympischen Spiele im antiken Griechenland waren kein Friedensfest, sondern ein religiöses Fest zu Ehren des obersten griechischen Gottes Zeus. Sie sollten nicht Frieden stiften und Feindschaften beenden. Vielmehr war der verkündete olympische Friede lediglich ein zeitlich und örtlich begrenzter ›Festfrieden‹, sodass die Krieger verschiedener griechischer Staaten unbehelligt zu den Spielen gelangen konnten, um die Wettkämpfe auszutragen. Die Spiele der Antike als Stilisierung

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Peter Tauber Abbildung 1: Der Wettlauf der schwerbewaffneten Fußsoldaten, auf Griechisch hoplitodromos, wurde bei verschiedenen Spielen in der Antike (u.a. den Olympischen Spielen) ausgetragen. Relief aus Theseion in der Nähe von Athen, ca. 500 v.Chr., Archäologisches Museum Athen. akg-images/UIG/PHAS/UIG

des wehrhaften griechischen Athleten (Abbildung  1) kommen der Wahrheit also sehr viel näher als die Legende des friedlichen Völkerfestes, wie sie die am Ende des 19. Jahr­hunderts begründete moderne olympische Sportbewegung erzählt. Die Einsatzbereitschaft von Soldaten war seit jeher nicht nur abhängig von den Fähigkeiten im Umgang mit Waffen und Kriegstechnik, sondern mindestens ebenso sehr von ihrer körperlichen Belastbarkeit und einem anerzogenen Willen zum Kampf. Sinnbild eines idealisierten und überhöhten Kriegertums waren und sind bis heute die Spartaner. Ausdruck fand dies unter anderem in dem Film »300« aus dem Jahr 2007, der den Opfertod der 300 spartanischen Krieger unter Führung ihres Königs Leonidas gegen eine persische Übermacht in der Schlacht an den Thermopylen 480  v.Chr. thematisiert. Eine körperliche Erziehung zur Härte und eine Willensbildung, dargeboten in einer imposanten und martialischen Bildsprache, gehen der Schlacht im Film voraus, wodurchder historische Stoff verarbeitet wurde. Da die spartanischen Krieger ihre Waffen beherrschen und körperlich gut trainiert sind, scheinen sie unüberwindbar. Ihre Niederlage gründet am Ende auf Verrat. Es wäre verfehlt, dieses Ethos im antiken Griechenland ausschließlich Sparta zuzuschreiben und dem Bild die friedliebenden und nach geistiger Bildung strebenden anderen griechischen Stadtstaaten gegenüberzustellen. Der griechische Philosoph Flavius Philostratos erinnerte ganz allgemein an den militärischen Zweck der athletischen Erziehung: Die Menschen hätten »die Wettkampfspiele als eine Übung für den Krieg und den Krieg als eine Übung für den Wettkampf« (zit. nach Elias 1983: 24) angesehen. Wer meint, dass davon heute nichts mehr übrig ist, der täuscht sich. Wir ›feiern‹ das griechische Kriegertum heute noch regelmäßig, ohne dass es uns bewusst ist: Als die Griechen entgegen aller Erwartung 490 v.Chr. ein ihnen vielfach überlege-



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nes persisches Heer besiegten, entstand der Mythos, ein athenischer Bote namens Pheidippides sei von Marathon nach Athen gelaufen, um die Siegesbotschaft zu überbringen. Heute ist der Marathonlauf wohl einer der wichtigsten Wettkämpfe der Olympischen Spiele, der Berlin­Marathon ist ein Volksfest und für jeden Marathon­ läufer ist die Überwindung der 42,195 Kilometer ein Wettkampf gegen sich selbst – ins Ziel kommen, so lautet die Siegesbotschaft. Für lange Zeit war nach der Antike die körperliche Leistungsfähigkeit der Soldaten kein relevantes Thema. Die Ritterturniere des Mittelalters allein unter dem Gesichtspunkt der körperlichen Erziehung zu subsumieren, greift deutlich zu kurz. Ihre Bedeutung ging weit darüber hinaus. Und die Landsknechtheere der frühen Neuzeit kannten keinen ›Dienstsport‹. Erst im Zeitalter des Absolutismus mit seinen stehenden Heeren ergab sich die Notwendigkeit, Ausbildung und Erziehung der Soldaten umfassender zu denken und nicht nur auf das Waffenhandwerk zu reduzieren.

2. Drill, Disziplin und Turnen So waren zwar in Preußen laute Klagen zu hören, dass die Jugend nicht mehr wehrhaft sei. Doch noch in der Armee Friedrichs des Großen im 18. Jahrhundert waren Turnen und Sport gänzlich unbekannt. Der Drill in der Handhabung der Waffen, Disziplin und Gehorsam standen im Vordergrund. Nur langsam gab es erste zaghafte Versuche, gymnastische Übungen in den Ausbildungsbetrieb einzubeziehen. Und erst die schmachvolle Niederlage Preußens gegen Napoleon 1806 führte zu einem Umdenken. Gründeten sich Disziplin und Gehorsam bisher auf ein System teilweise drakonischer Strafen, so trachtete man nun danach, die Kampfkraft der Soldaten nicht nur körperlich, sondern durch eine ›sittliche Erziehung‹ zu verbessern. In Deutschland entwickelte sich das Turnen, das von Beginn an eine klare militärische Ausrichtung hatte. Es entstand eine Tradition, die körperliche und mentale Erziehung miteinander verband. Als Friedrich Ludwig Jahn sein Erziehungskonzept des Turnens 1811 in der Berliner Hasenheide mit der Eröffnung des ersten Turnplatzes der Öffentlichkeit präsentierte, wurden Forderungen laut, Turnen und Gymnastik zum festen Bestandteil der militärischen Ausbildung zu machen. Die Turner waren freiheitlich und national gesonnen. Der Gedanke der Wehrerziehung fiel bei ihnen auf fruchtbaren Boden. Die körperliche Erziehung zur Disziplin, zur Harmonie der Bewegungsabläufe, zur Selbstbeherrschung – des Körpers, aber auch des Geistes – entsprachen den Anforderungen an die Soldaten der entstehenden Volksheere. Die Turnbewegung beließ es aber nicht bei den körperlichen Übungen. Vorträge, das Singen und die Vermittlung von Werten waren fester Bestandteil der turnerischen Erziehung. In den Freiheitskriegen (1813‑1815) gegen die napoleonische Herrschaft in Deutschland kämpften viele Turner in den Freiwilligenverbänden, etwa im berühmten Lützower Freikorps. Das Turnen war wie später der moderne Sport politisch. Neben der Einheit der Nation standen Freiheit und Demokratie, aber auch soziale Forderungen auf dem

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Banner der Turnbewegung. So wurden die Turner zu einem Träger der 1848er-Revolution. Vorausgegangen war eine Phase der Diffamierung, die auch die Einbeziehung des Turnens in die militärische Ausbildung diskreditierte. Die Notwendigkeit einer körperlichen Erziehung der Soldaten war jedoch nicht zu leugnen und so wurden gymnastische Übungen immer mehr in den Ausbildungsbetrieb integriert. Als die Turner ab den 1860er Jahren wieder neuen Zulauf fanden, begann sich zeitgleich die Gesellschaft durch die Industrialisierung zu verändern. Durch die Hinwendung zur Nationalbewegung unter Verzicht auf ihre freiheitlichen Ursprünge wurde das Turnen nun endgültig im Militär akzeptiert. So schien es wie kein anderes Ausbildungskonzept geeignet, die Rekruten körperlich auf die Anforderungen des Soldatenhandwerks vorzubereiten. Die Armee und dann im Kaiserreich vor allem die Marine nahmen turnerische Übungen in den Dienstbetrieb auf.

3. Die moderne olympische Sportbewegung Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert brachten britische Studenten, Hand­ lungs­reisende und Touristen english sports mit nach Deutschland. In Bad Homburg spielten Kurgäste Tennis, an den Universitäten entstanden Rudervereine und die Schüler der Gymnasien lernten den Fußball kennen und lieben. Nach der Wiederbelebung der Olympischen Spiele durch Pierre de Coubertin 1896 entwickelte sich ein Wertekanon, der auf den ersten Blick Sport und Krieg voneinander trennte. Coubertins Ideenwelt verknüpfte die sportlichen Wettkämpfe vielmehr mit politischen Botschaften. Die Idee der Internationalität und der Friedenserziehung nahmen bei ihm breiten Raum ein. Die Presse griff das auf und betitelte die modernen Olympischen Spiele als ›Friedensfest‹. Doch ganz so eindeutig, wie das heute in der offiziellen Geschichtsschreibung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) formuliert steht, war auch diese Bezeichnung nicht, denkt man allein an die martialische Inszenierung des Körpers bei den 1936 unter nationalsozialistischer Herrschaft durchgeführten Olympischen Spielen in Berlin. Bis heute konnte sich die olympische Idee Coubertins nicht der politischen und kommerziellen Instrumentalisierung erwehren. Anknüpfungen an das Militärische waren zudem schon sprachlich vorhanden, etwa wenn weiter vom Wettstreit der Völker die Rede war. Bis in die Regelübersetzung hinein bemühte man die Sprache des Militärs. Besonders deutlich wird dies beim Fußball, wenn von Angriff, Sturm, Verteidigung, Strafstoß und Flanke die Rede ist. Beispielhaft für die Wettkämpfe steht der Moderne Fünfkampf, der erstmals 1912 auf dem olympischen Programm stand. Er umfasst wesentliche Elemente militärischer Ausbildung vom Schießen über das Fechten, Schwimmen und Reiten bis hin zum Geländelauf. Angelehnt wurde er an den antiken Pentatlon, der aus den Disziplinen Kurzstreckenlauf, Weitsprung, Speerwurf, Diskurswurf und Ringkampf bestand. Die Werte des modernen Sportes entsprachen militärischen Bedürfnissen: Das Messen von Leistungen, die Leistungssteigerung, das Einüben von Regeln und Normen inklusive des Fair Play waren nicht nur Abbilder der modernen In­dus­ trie­gesellschaft, sondern auch des modernen Militärs, das deshalb den Sport nach

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und nach adaptierte. Der erwähnte Moderne Fünfkampf wurde beispielsweise von Offizieren ausgeübt. Im Ursprung dieser Sportart spiegelt sich die nationale Stimmung der Zeit und der hohe Stellenwert des Militärs in allen europäischen Ge­sell­schaften. Für Deutschland formulierte der Sportfunktionär Carl Diem 1939, dass der Moderne Fünfkampf den »militärischen Geist« atme und man in den fünf Disziplinen »den vollkommenen Soldaten der modernen Zeit« (zitiert nach Heck 2013: 107) sehen könne.

4. Der Kaiser turnt und die Armee spielt Kaiser Wilhelm II. wusste sich ebenfalls sportlich in Szene zu setzen. Nicht nur bei Autorennen und beim Tennis, den ganz modernen Sportarten, waren er und seine Familie zu sehen. Auch das Turnen an Deck seiner Yacht ›Hohenzollern‹, das er selbst leitete, wurde im Bild festgehalten und fand den Weg in die Presse (Abbildung 2). Die 1868 als Dachverband der bürgerlichen Turnvereine gegründete Deutsche Turnerschaft verkörperte schließlich im wahrsten Sinn des Wortes das Idealbild eines zur Gemeinschaft erzogenen Volkes. Aufgrund der Rüstungsbestrebungen des Kaiserreichs war der Bedarf an jungen und gut ausgebildeten Soldaten groß. Zugleich gab es wiederkehrende Debatten über den gesundheitlichen und körperlichen Zustand der Rekruten, der als mangelhaft beschrieben wurde. Turnen und Sport versprachen, Abhilfe zu schaffen. Ziel war es, die jungen Männer fit zu machen, bevor sie als Rekruten auf dem Kasernenhof stan-

Abbildung 2: Kaiser Wilhelm II. auf seiner Yacht »Hohenzollern« beim Turnen an Bord, 1905. ullstein bild

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den. Der Zentralausschuss für Volks- und Jugendspiele hatte kein sportliches Spiel nach heutigem Verständnis im Sinn, wenn er forderte, das Spielen in die schulische Erziehung zu integrieren. Vielmehr dachte er dabei an Kriegsspiele, bei denen zwei größere Parteien gegeneinander antraten und deren Sinn und Zweck es war, »auf die Kräftigung der Gesundheit, auf die Schärfung der Sinnesorgane, auf angemessene Abhärtung gegen Witterungseinflüsse und auf die Kräftigung der Muskulatur« abzuzielen. Offenkundig war der Erfolg solcher Bestrebungen gering. Zeitgenössische Autoren führten laut Klage, welche »recht curiose Anblicke« (Schneider 1872: 75) die Rekruten zunächst bieten würden – ein unerträglicher Zustand, der abzustellen sei: »Jeder bildet sich aber ein, er steht sehr gerade und sieht sehr schön aus, ein Irrtum, über welchen ihn die nächsten Wochen gründlich aufklären« (ebd.: 75). Die zeitgenössische Pädagogik sann mittels des Turnens und des Sportes auf Abhilfe. Vor allem die körperliche Erziehung in der Schule geriet so in den Blick des Militärs. Durch eine »harmonische Ausbildung der geistigen und körperlichen Kräfte dem Vaterlande tüchtige Söhne zu erziehen,«1 müsse das Ziel sein, so die Armee. Mit der Königlichen Central-Turn-Anstalt hatte die Armee zudem inzwischen eine Institution geschaffen, in der mehr als 200 Offiziere jährlich das notwendige Rüstzeug vermittelt bekamen, um die Rekruten körperlich fernab des üblichen Drills zu erziehen. So fand der Sport langsam Verbreitung in den Streitkräften. Neben der Schule waren es vor allem die Turn­und Sportvereine, die sich der körperlichen Erziehung vor allem der männlichen Jugend widmeten. Um die Jahrhundertwende begann der Sport, immer mehr Menschen in seinen Bann zu ziehen. Die Gründung des Deutschen Fußball-Bundes im Jahr 1900 war ein Meilenstein auf dem Weg zur Etablierung des modernen Sportes in Deutschland. Die bereits erwähnten Olympischen Spiele trugen das Ihrige dazu bei. Seit 1908 ist Fußball eine olympische Disziplin und vor Beginn des Ersten Weltkrieges kam es erstmals zur Austragung von deutschen Armeemeisterschaften. Folglich fand der Sport auch in den Vorschriften Erwähnung: In der »Anleitung für den Betrieb des Turnens und der Spiele in der Armee« von 1910 forderte der Autor Oberleutnant Walter Busolt (1910), dass statt »des Exerziermäßigen beim Turnen das Sportmäßige« betont werden müsse. Bis zur Etablierung des Sportes im Ausbildungsbetrieb der Streitkräfte sollte es aber noch dauern.

5. Fußballsport und Erster Weltkrieg Ob in der britischen Kriegsgefangenschaft, bei der Truppenbetreuung hinter der Front oder in der Ausbildung: Während des Ersten Weltkrieges entdeckten die deutschen Soldaten den Sport und hier vor allem den Fußball für sich. Hatten die Einheiten zu Beginn des Stellungskrieges im Westen noch Turnfeste in der Etappe organisiert, stand bald das runde Leder im Mittelpunkt. Entlang der Westfront entstand sogar ein regulärer Ligabetrieb und auch an der Ostfront sowie in der Heimat 1

Preußische Ministerialverfügung vom 7. Februar 1844, § 1, abgedruckt in: Wiese 1867 (hier 139).



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spielte man Fußball. Das »Turnen« wurde nun regelrecht durch den »Sport« verdrängt. Der Fußball machte einfach viel mehr Spaß und war viel besser als die disziplinierenden turnerischen Freiübungen geeignet, sich vom Kriegsalltag zu erholen. Der moderne ›englische‹ Sport setzte sich so bereits vor Ende des Ersten Weltkrieges gegen das ›deutsche‹ Turnen durch. Man kann sagen, dass Deutschland den Krieg auf dem Gebiet der Körperkultur bereits 1916 verloren hat. Die Soldaten wollten Fußball spielen und nicht turnen. Im Laufe des Krieges entdeckte auch die militärische Führung den Wert des Spiels (vgl. den Beitrag von Rink in der ersten Sektion dieses Bandes). Man sah im Fußball viel eher als in den starren körperlichen Übungen des Turnens ein Abbild des sich wandelnden Kriegsbildes. Die Fußballmannschaft wurde als spielerisches Äquivalent zum infanteristischen Stoßtrupp beschrieben. In der Kriegsgefangenschaft hatten die deutschen Soldaten ebenfalls die Möglichkeit, Sport zu treiben. Gerade in britischem Gewahrsam wurde Fußball gespielt und selbst Tennisplätze standen den Gefangenen mancherorts zur Verfügung. Für Gefangene war die körperliche Ertüchtigung nicht nur Ablenkung von der monotonen Kriegsgefangenschaft, sondern auch ein wichtiger Aspekt der eigenen Selbstlegitimation. Wenn man untätig den weiteren Kriegsverlauf verfolgen musste, konnte man durch den Sport die persönliche Einsatzbereitschaft aufrechterhalten, um – so wurde es artikuliert – dann nach der Rückkehr in die Heimat weiter am Wohle des Vaterlandes mitzuwirken. Aber nicht alle Soldaten konnten unversehrt Sport treiben. In der Heimat und in den Lazaretten wurden erstmals gymnastische Übungen gezielt genutzt, um die Genesung der verwundeten Soldaten zu unterstützen. Ziel unserer Perspektive heute ist der einzelne Soldat. Damals ging es darum – nicht nur aufgrund der hohen Zahl von rund zwei Millionen Kriegsversehrten –, ein möglichst hohes Maß an Arbeitsfähigkeit und Produktivität zu erreichen. In den Lazaretten wurden dazu Übungsgruppen eingerichtet.

6. Nationalsozialismus und Körperkult Im ›Dritten Reich‹ fiel die Instrumentalisierung des Sportes für militärische Zwecke auf fruchtbaren Boden. Nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg und dem Verbot der Wehrpflicht im Versailler Vertrag hatten die Turn- und Sportverbände nur zu bereitwillig ihr Tun als Ersatz für eben diese Wehrpflicht angeboten. Nach 1933 stellte sich der organisierte Sport in einer Form der ›Selbstgleichschaltung‹ unvermittelt in den Dienst des neuen Regimes. Die NS-Machthaber machten sich die Sportbegeisterung der Weimarer Republik zunutze. Nicht nur bei den Olympischen Sommerspielen 1936, sondern auch beim Deutschen Turn- und Sportfest 1938 in Breslau vermittelten die Nazis ihre Vorstellung eines ›homogenen Volkskörpers‹. Dabei berief man sich auf ein vermeintlich antikes Vorbild: »Wie einst das Volk der Griechen in den Olympischen Spielen ein Nationalfest sah, so sollte jetzt ein deutsches Nationalfest geschaffen werden.« Und die Parole der Leibesübungen müsse »kraftvoll und opferbereit« (Hoffmann 1938: 6) sein.

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Demzufolge galt die sportliche Erziehung in der neu aufgebauten Wehrmacht einem klaren Ziel: »So bildet die sportliche Ausbildung die Grundlage für den Waffendienst und die Erziehung zum nerven­und willensstarken Kämpfer. Denn nicht die Kriegsmaschine, sondern die Nerven des Mannes dahinter sind das Entscheidenste«, hieß es in der Schrift »Körperschule in der deutschen Wehrmacht« von Christian Strauch (Strauch 1936), Heeressportlehrer an der Heeressportschule in Wünsdorf. Die in der nationalsozialistischen Erziehung völlig überhöhte Bedeutung des Willens als kampfentscheidendes Momentum wurde so auf die Sportausbildung übertragen. Die Vorschrift war ein Rückschritt, denn Sport im eigentlichen Sinne, auch beliebte Sportarten wie Fußball, kam hierin nicht mehr vor. Stattdessen wurden wieder das klassische Bodenturnen, gymnastische Übungen und diverse Ballspiele propagiert, um den »ungelenken Rekruten locker und geschmeidig« zu machen.

7. Wehrsport in der DDR Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bildete sich in den zwei deutschen Sys­ temen ein unterschiedlicher Umgang mit Sport heraus. In der DDR blieb es nicht bei der sportlichen Ausbildung der Soldaten im Rahmen des Dienstplanes. Im Breitensport war die Armee mit der Armeesportvereinigung Vorwärts (ASV) durch in den einzelnen Garnisonstädten gegründete lokale Armeesportgemeinschaften und -klubs präsent (siehe auch Wenzke in diesem Band). Die ASV war darüber hinaus Mitglied im Dachverband des Sportes in der DDR und beteiligte sich ebenfalls am Leistungssportsystem der DDR, das erhebliche volkswirtschaftliche Kräfte band. Die sportlichen Leistungen sollten die Überlegenheit des sozialistischen Systems belegen. Dass das ›Sportwunder‹ der kleinen DDR teuer erkauft wurde und teilweise auch auf institutionalisiertem Doping beruhte, offenbarte sich der Öffentlichkeit in seinem ganzen Ausmaß erst nach dem Mauerfall. Anders als in der Bundesrepublik entwickelte die DDR ein System, in dem der Sport offen für die Wehrhaftmachung der gesamten Gesellschaft instrumentalisiert wurde. Mit der Gesellschaft für Sport und Technik (GST), in der bestimmte Sportarten von den Schützen über den Motorsport bis hin zum Fallschirmsport und zum Tauchsport organisatorisch zusammengefasst waren, verfügte das Regime zusätzlich über ein Instrument zur Absicherung der eigenen Herrschaft. Ganz offen wurde nicht nur in der GST der Sport als Instrument der Kriegsvorbereitung benannt. Der Wehrsport war in der Theorie dabei nicht nur eine Variante des Sportes, sondern wurde vielmehr zur »höchste[n] Form des Sportes« (Rossade 1987, zitiert nach Wagner 2006: 260) erklärt. Damit war der Sport in der DDR ein Abbild und wesentliches Herrschaftsinstrument der sozialistischen Diktatur zugleich.

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8. Die Bundeswehr zwischen Sportförderung und militärischer Ausbildung In der Bundeswehr war Sport von Beginn an Bestandteil der Ausbildung. Sport­ wissenschaftler und Pädagogen wandten sich der Frage zu, welche Sportarten geeignet waren und wie die Soldaten zum ›außerdienstlichen Sport‹ animiert werden könnten. Auch hier galt der Anspruch, nicht alleine den Körper auszubilden. Ganz explizit ging es um »die Erziehung des Menschen in seiner leiblich-seelisch­ geistigen Ganzheit zu einer charakterlich sauberen, lebenstüchtigen und wertvollen Persönlichkeit innerhalb einer Gemeinschaft« (Bresser 1959) wie es im »Sportbuch für die Bundeswehr« hieß. Die Ausbilder erhielten ›Lehrwinke‹ für ihre Aufgabe. Das war offensichtlich notwendig, denn im Sport sollte der übliche Kasernenhofton, der sich vielerorts nicht wesentlich von dem unterschied, was sich die Rekruten im Krieg hatten anhören dürfen, vermieden werden. Abbildung  3 zeigt Soldaten beim Dienstsport in der Bundeswehr 1961. Die damalige Zielsetzung war durchaus modern und unterschied sich nicht von den Vorgaben der heutigen Sportausbildung. Jeder Rekrut habe ein Recht darauf, so konnte man es im »Sportbuch« nachlesen, die Grenzen gesunder Leistung zu erleben. Das Heranführen an die persönliche Höchstleistung war das Ziel. Gedanken der Inneren Führung, die durchaus dem modernen Sport entsprechen, fanden Ausdruck im entscheidenden ›Lehrwink‹ für die Ausbilder: »Denken Sie immer daran, dass Ihnen junge Soldaten anvertraut sind. Sie haben deren Eltern und unserem Volk gegenüber die Pflicht, sie nach bestem Gewissen körperlich und charakterlich auszubilden. Dabei müssen alle einengenden Maßnahmen, die der

Abbildung 3: Soldaten beim Dienstsport in der Bundeswehr, Sportschule Sonthofen, Mai 1961. Bundeswehr/Mackus

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Entwicklung zur Persönlichkeit hinderlich sind, vermieden werden« (Bresser 1959). Vieles, was heute (wieder) gängige Praxis ist, war damals schon bekannt:

»Psychologisch gesehen wäre es auf die Dauer unklug, Rekruten von zu großem unterschiedlichem Können in einen Topf werfen zu wollen. Dem guten Sportler würde bald die Lust vergehen, wenn er immer mit den Schwachen in einer Gruppe üben und spielen müsste. Für ihn würde kaum noch die Möglichkeit bestehen, seine Leistungen zu steigern. Sein gesunder Ehrgeiz würde gedrosselt« (Bresser 1959).

Was damals galt, ist heute wieder Grundlage für den Sport in der Truppe: Leistungsgruppen sind fester Bestandteil des neuen Grundausbildungskonzeptes.

9. Was muss ein Soldat heute können? Der Sport als wichtiges Ausbildungselement der Streitkräfte ist heute unumstritten. Das Militär muss dabei allerdings auf gesellschaftliche Entwicklungen reagieren. Aufgrund der abnehmenden körperlichen Robustheit der jungen Generation hat die Bundeswehr am Standort Hagenow ein neues Konzept für die Grundausbildung erprobt, bei dem die Rekruten zunächst mittels des Sportes die notwendige körperliche Fitness aufbauen, die sie für den Soldatenberuf brauchen. Der Versuch in Hagenow war so erfolgreich, dass er jetzt flächendeckend umgesetzt wird. Das bedeutet nicht nur, dass sich die Vermittlung der militärischen Fähigkeiten von der Grundausbildung in die Stammeinheiten verlagert, sondern auch, dass für die Zeit danach weitere Anstrengungen nötig sind, um Soldaten fit und damit einsatzbereit zu halten. In der entsprechenden Vorschrift »Sport und Körperliche Leistungsfähigkeit« (Bundeswehr 2017) zum Sport in der Bundeswehr ist klar definiert, worum es geht. Der Sport »ist ein wichtiger Bestandteil der Erziehung und Ausbildung der Soldaten und Soldatinnen. Er steht in enger Wechselbeziehung zum Sport in der Gesellschaft, ist mit dessen Strukturen sinnvoll verknüpft.« Und: »Sport in der Bundeswehr kann und darf daher durch keinen anderen Dienst ersetzt werden!« Die Soldatinnen und Soldaten sind angehalten, mindestens zwei Mal 90  Minuten pro Woche Sport zu machen; von diesen Vorgaben darf »nur aus zwingenden dienstlichen Gründen und nach Entscheidung des bzw. der nächsthöheren Disziplinarvorgesetzten« abgewichen werden. Allerdings muss offenbleiben, inwieweit dieser Vorschrift gefolgt wird (Zitate aus: Bundeswehr 2017). Für viele Verwendungen reicht das derzeit vorgeschriebene Sportprogramm nicht aus. Zudem gibt es immer wieder neue Trends. Einer der jüngsten ist Military Fitness. Diese Konzept verbindet klassisches Ausdauer- und Krafttraining mit einem hohen Maß an Intensität. Bücher wie »Trainiere wie ein Kampfschwimmer« oder »In acht Wochen Seal fit« werden nicht nur von Soldaten gekauft und als Trainingsgrundlage genutzt. In der Bundeswehr gibt es an der Sportschule in Warendorf inzwischen einen Lehrgang für Ausbilder in Military Fitness. Diesen Trend hat die Bundeswehr schnell aufgegriffen. Aber auch dem Schicksal derjenigen, die im Dienst für die Nation ihre Gesundheit bereits eingebüßt haben, widmet die Bundeswehr ihre Aufmerksamkeit. Die Ausrichtung der Invictus Games 2023 in Deutschland folgt diesem Ziel. Es wäre



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wohl das erste Mal, dass die deutsche Gesellschaft diesen Menschen die verdiente Aufmerksamkeit und Wertschätzung schenkt, die sie verdienen. Die Politik hat für diese Soldaten und Soldatinnen zwar viel verbessert, aber es bleibt immer noch genug zu tun, will man den Veteranen, gerade den Einsatzversehrten und Invaliden, die verdiente ideelle und materielle Wertschätzung zuteil werden lassen. Die Invictus Games geben hier eine Entwicklung vor, die der Verbindung von Militär und Sport einen neuen Stellenwert einräumt. Sport und Militär werden auch in Zukunft in einem gegenseitigen Spannungs­ ver­hältnis stehen. Die Lebensweise in der westlichen Welt bringt es mit sich, dass die schon zuzeiten von Sokrates und Bismarck geführten Debatten heute aus altbekannten, aber auch aus neuen Gründen aufflammen. »Das Übergewicht bei Kindern ist zu einer Frage der nationalen Sicherheit geworden. Fast Food stiehlt uns gute Rekruten!«2, so der amerikanische Lieutenant General Norman Seip. Darüber hinaus wird man die Frage beantworten müssen, ob der Cybersoldat, der Hackerangriffe abwehrt, dieselbe körperliche Robustheit braucht wie ein Infanterist. Von einer breiten gesellschaftlichen Debatte über die Gesundheit der jungen Generation sind wir in Deutschland noch ein gutes Stück entfernt. Bis dahin müssen die Streitkräfte versuchen, durch eine modifizierte Ausbildung einer erkennbaren Fehlentwicklung entgegenzuwirken. Dazu gehört auch, das Kalorienangebot bei der Truppenverpflegung dem tatsächlichen Kalorien­ver­brauch der Soldatinnen und Soldaten anzupassen. Die Reduzierung des Zucker­an­teils in Lebensmitteln, der Hauptverursacher für Übergewicht, ist aber wohl mit Appellen allein nicht zu erreichen. Eine »Zuckersteuer«, die in präventive Gesund­heits­maß­nahmen und in die Förderung des Breitensportes investiert wird, wäre eine mögliche Maß­nahme, die es zu diskutieren gilt und von der am Ende auch die Bundeswehr profitieren würde. Das Thema Sport und Militär ist hier nicht abschließend erörtert worden. Es ist absehbar, dass auch in Zukunft diese Verbindung bestehen wird. Der Sport als gesellschaftliches Phänomen der Moderne bleibt für Streitkräfte auch in der Zukunft attraktiv und wichtig.

Literatur und Quellen Bresser, Lutz (1959): Sportbuch für die Bundeswehr. Darmstadt: Wehr-und-Wissen-Ver­lag. Bundeswehr (2017): Zentralvorschrift A1-224/0-1 – Sport und Körperliche Leis­tungs­fähigkeit. Bonn: Kommando Streitkräftebasis. Busolt, Walter (1911): Anleitung für den Betrieb des Turnens und der Spiele in der Armee nach der Turnvorschrift vom 3. Mai 1910. Berlin: Liebel. Elias, Norbert (1983): Die Genese des Sports als Soziologisches Problem. In: Elias, Norbert/Dunning, Eric: Sport im Zivilisationsprozess. Studien zur Figurations­soziologie. Hrsg. von Wilhelm Hopf. Sport – Kultur – Veränderung, 8. Berlin/Münster: LIT, 4‑46. Heck, Sandra (2013): Von spielenden Soldaten und kämpfenden Athleten. Die Genese des Modernen Fünfkampfs. Göttingen: V&R unipress. 2

Zitiert nach: Viele Amerikaner sind zu dick fürs Militär, Die Welt, 21.4.2010, (letzter Zugriff 1.12.2020).

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Peter Tauber

Hoffman, Heinrich (1938): Hitler bei dem Deutschen Turn- und Sportfest in Breslau 1938. München: Hoffmann. Krüger, Michael (1996): Körperkultur und Nationsbildung. Die Geschichte des Turnens in der Reichsgründungsära – eine Detailstudie über die Deutschen. Schondorf: Hofmann. Tauber, Peter (2008): Vom Schützengraben auf den grünen Rasen. Der Erste Weltkrieg und die Entwicklung des Sports in Deutschland. Studien zur Geschichte des Sports, 3. Berlin/Münster: LIT. Wagner, Ringo (2006): Der vergessene Sportverband der DDR. Die Gesellschaft für Sport und Technik in sporthistorischer Perspektive. Aachen: Meyer & Meyer. Wiese, Ludwig Adolf (1867): Verordnungen und Gesetze für die höheren Schulen in Preußen. Berlin: Wiegandt und Grieben [hierin: Preußische Ministerialverfügung vom 7. Februar 1844, 139‑142].

Philipp Münch

Sportorganisation und militärische Mobilisierung im Ersten Weltkrieg. Die Rolle von Turnern am Beispiel der Hamburger Turnerschaft von 1816 Einordnung Der Autor arbeitet in seinem Text am Beispiel der Rolle von Turnern der »Ham­ burger Turnerschaft von 1816« heraus, wie die Sportorganisation die militärische Mobilisierung im Ersten Weltkrieg unterstützte, bis hin zu vormilitärischer Aus­ bildung und Arbeitseinsätzen von Jugendlichen. Abschließend diskutiert er, inwie­ fern die Turnvereine im Ersten Weltkrieg von militärischer Relevanz waren. Autor Philipp Münch, Dr., Historiker und Sozialwissenschaftler, ist Projektbereichsleiter Deutsche Sicherheitspolitik und Bundeswehr am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam. Sein Forschungsschwerpunkt ist gegenwärtig der Krieg in Afghanistan und das internationale Engagement in dem Land.

1. Einleitung Turnen und Militär oder gar Krieg in einen Zusammenhang zu bringen, würde heute den meisten Menschen auf Anhieb abwegig erscheinen. Turnen ist für das breitere Publikum ein rein ziviler Sport, der etwa bei nationalen und internationa­ len Wettkämpfen bis hin zu den Olympischen Spielen stattfindet. Tatsächlich aber hat das Turnen eher politisch-militärische als sportliche Wurzeln. Als Begründer und daher als »Turnvater« gilt Friedrich Ludwig Jahn (1778–1852), der 1811 einen Turnplatz südlich des damaligen Berlins einrichtete. Die an militärischen Aufgaben orientierten gymnastischen Übungen, aber auch »Turnfahrten« waren für diese Turnbewegung vor allem Mittel, um die »vaterländische Gesinnung« zu pflegen, die Wehrhaftigkeit und politische Teilhabe der ausschließlich männlichen Teilnehmer zu stärken beziehungsweise überhaupt erst zu ermöglichen. Anders als der Sport war das Turnen also ursprünglich nicht auf einen Wettkampf ausgerichtet und kein leibeser­ tüchtigender Selbstzweck. Dies änderte sich erst im Laufe des 19. Jahrhunderts, als sich das Turnen zunehmend »versportlichte« und die politischen und militärischen

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Aspekte in den Hintergrund rückten (vgl. Düding 1984: 35‑39, 321  f.; Krüger 2004: 96‑99; Pfister 2011). Die politisch-militärische Grundidee der ursprünglichen Turnbewegung war also, durch Wehrhaftigkeit und »nationalen Geist« eine größere Mitbestimmung bis hin zur Demokratie zu erreichen, um die von den Monarchen besoldeten und ihre undemokratische Herrschaft stützenden stehenden Heere überflüssig zu machen. Somit war diese Grundidee identisch mit dem in damaligen »fortschrittlichen« Kreisen populären Milizgedanken. In mehreren militärischen Auseinandersetzungen des 19. Jahrhunderts setzten Turner den nationalen Wehrgedanken in die Tat um und bildeten Kampfgemeinschaften. So kämpften einige Turnergruppen in der deutschen Revolution von 1848 gegen monarchische Truppen. Nach dem Scheitern der Revolution wanderten viele ihrer Unterstützer in die USA aus, darunter zahlreiche Turner. Fast ausschließlich aufseiten der Union kämpften Turner in eigenen Einheiten im Amerikanischen Bürgerkrieg (1861‑1865) gegen die sklavenhaltende Konföderation (Krüger 2004: 134‑142). Anders als in den beiden neuzeitlichen Demokratien USA und Schweiz setzte sich der Milizgedanke in den deutschen Staaten und später im Deutschen Reich nicht gegen das stehende Heer durch (Stein 2010: 72‑74). Bereits an den deutschen »Einigungskriegen« beteiligten sich Turnvereine offenbar nur lokal, zeitlich begrenzt und auch nur in Hilfsfunktionen, indem sie die öffentliche Ordnung sicherstellten oder Verwundete versorgten (vgl. z.B. Kehnert 1899). In dieser Zeit ließen zwar Turnideologen »Turnercompagnien« konzipieren, ohne diese allerdings umsetzen zu können (Krüger 2004: 146‑148). Die Wehrpflichtarmee etablierte sich bis zur Reichsgründung als tragfähiger Kompromiss zwischen adliger Obrigkeit und politisch aktivem Bürgertum. Wenn auch zentral kontrolliert und von einem (zunehmend weniger) adligen Offizierkorps geführt, sollten hier doch alle männlichen Bürger dienen. Hinzu kam die in einigen Aspekten milizartige Landwehr (Becker 2003). Tatsächlich wurde es angesichts der fortgeschrittenen Wehrtechnik, die immer mehr militärische Experten erforderte, zusehends schwieriger, an ein funktionierendes Milizheer zu glauben. So verabschiedeten sich die USA im Laufe des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts von einer reinen Milizarmee (Millett/Maslowski 1994: 278 f.). Im Deutschen Reich wurde der Milizgedanke somit zu einer radikalen Idee, die allerdings noch Teile der Sozialdemokratie vertraten. Auch im Militär griff der Fachdiskurs den Gedanken immer wieder auf, ohne dass er freilich auch nur ansatzweise zur Umsetzung gelangte. Ab den 1890er Jahren zeichnete sich ein allmählicher Wandel ab. Nicht nur diskutierten die Spitzen des preußischen Heeres und das preußische Kriegsministerium, in Ostpreußen eine milizartige »Volkswehr« einzurichten, die in einem Krieg mit Russland dessen leichte Vorauskräfte abwehren sollte. Der preußische Kriegsminister versuchte darüber hinaus ab 1913 eine Gesetzgebung zu erreichen, die Jugendliche zur vormilitärischen Ausbildung unter staatlicher Aufsicht verpflichten würde (Stein 2010: 72‑79, 83‑90). Anders als die ebenso verbreitete wie problematische Vorstellung eines außergewöhnlich »militaristischen« Kaiserreichs suggeriert, fiel Deutschland auf diesem Gebiet deutlich insbesondere gegenüber Frankreich zurück (Vogel 1997: 290). So kam es erst im Ersten Weltkrieg



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zu einer Kompromisslösung. Sie sah letztlich nur einen freiwilligen, hauptsächlich von privaten Organisationen, zu denen Turnvereine zählten, getragenen Dienst vor (Saul 1983: 93 f.). Dieser Beitrag wirft die Frage auf, welchen Anteil die Turnvereine des Kaiserreichs daran hatten, die männliche Bevölkerung im Ersten Weltkrieg zu mobilisieren? Mit »Mobilisierung« ist dabei nicht der vor allem organisatorische Vorgang der Wehrerfassung, Einberufung, Ausrüstung usw. gemeint. Stattdessen steht – ganz im Sinne der ursprünglichen Turnbewegung – im Vordergrund, ob die Vereine ihre Mitglieder körperlich und geistig für die Kriegsanstrengungen mobilisierten. Waren die Turner durch ihren Verein physisch und gegebenenfalls militärisch besser auf den Krieg vorbereitet und waren sie mental eher bereit, ihr Leben im Kriegsdienst ein­ zusetzen, anstatt sich zu entziehen? Aufgrund des begrenzten Umfangs des Bei­trags handelt es sich hier um eine explorative Studie, die sich auf nur einen Turnverein, die »Hamburger Turnerschaft von 1816« (HT16), beschränkt. Zusammen­gefasst stellt er die These auf, dass die Turnvereine eine eher geringe Rolle bei der physischen, stattdessen aber eine starke bei der mentalen Mobilisierung ihrer Mitglieder hatten. Der Aufsatz trägt zum Verständnis des Verhältnisses zwischen Sport und Militär bei. Er hilft zu ergründen, ob die in vielen Sportarten vorhandenen, aber historisch überdeckten militärischen Wurzeln sich im Kriegsfall wieder bemerkbar machten.1 Schließlich leistet er einen Beitrag zur größeren Debatte darüber, wie die Soldaten des Ersten Weltkriegs die Belastungen des Kriegseinsatzes durchhielten (vgl. Bauerkämper/Julien 2010; Strachan 2006). Darüber hinaus erweitert er das Verständnis des Militärs als Organisation, indem er dessen in jüngster Zeit näher beleuchtetes Verhältnis zu formal privaten Akteuren ergründet (vgl. z.B. Keller 2014). Im Folgenden charakterisiert der Beitrag zunächst die HT16. Hiernach diskutiert er die Aussagekraft der zuvorderst verwendeten Quellen (Feldpost) und stellt die verwendete Methode dar (2.). Diese beschränkt sich nicht auf eine reine Diskursanalyse, sondern setzt die Egodokumente der historischen Akteure in ein Verhältnis zu ihrer Praxis. Im empirischen Teil (3.) gewährt der Beitrag einen Einblick in die Rolle der Vereinsleitung der HT16 bei der Mobilisierung der Mitglieder im Verlauf des Kriegs. In einem zweiten, empirischen Abschnitt diskutiert er, welche Bedeutung die Turnergemeinschaft im Fall einer Turnriege für die zum Kriegsdienst eingezogenen Mitglieder hatte.

2. Fall und Methode: Die Hamburger Turnerschaft von 1816 Offenbar verfolgte die Masse der im 19. Jahrhundert gegründeten Turnvereine keine derart stark politisch ausgerichtete Programmatik wie »Turnvater« Jahn, sondern sie stellten eher die körperlichen oder geselligen Aspekte des Turnens und Vereinslebens in den Vordergrund. So griff auch nur eine Minderheit der Turn­ vereine in der Revolution von 1848 zu den Waffen. Dem gesellschaftlichen Trend 1

Vgl. als knapper allgemeiner Überblick: Tauber 2019. Vgl. zur Debatte um den militärischen Charakter des Turnens Dencker 2001.

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der Restaurationszeit entsprechend konstatiert die Forschung, dass sich die aller­ meisten Turner nach dem Scheitern der Revolution von den hehren politischen Zielen der Demokratisierung verabschiedeten und sich bestenfalls für die nationale Einheit einsetzten (Pfister 2011; Krüger 2004: 137‑139). Auch die staat­lichen Kerneinrichtungen Schule und Militär übernahmen mit den rein gymnastischen Übungen allein die apolitischen Aspekte des Turnens in ihre Lehrpläne. Als »Wehr­ turnen« wurden sie ab 1860 im preußischen Heer Teil der militärischen Aus­bildung (Krüger 2004: 145‑153; Krüger 2011: 95‑99). Diese groben Linien der historischen Entwicklung des Turnens schlugen sich in der Geschichte der – wie aus der Jahreszahl in ihrem Namen hervorgeht – unmittelbar nach den »Befreiungskriegen« gegründeten HT16 nieder. Einer ihrer drei Mitgründer, der Bankierssohn Wilhelm Benecke, war ein Berliner Schüler Jahns. Doch standen in der HT16 die politisch-militärischen Ideale des »Turnvaters« stets in einem Spannungsverhältnis zum Sportlichen. So verließ Benecke bereits 1819 den neu gegründeten Verein Richtung Berlin, unter anderem weil viele Mitglieder seinen Drill ablehnten (Schulke 2017: 82). Den jahnschen Vorstellungen entsprach hingegen, dass der Verein während des in Hamburg relativ ruhig verlaufenden Revolutionsjahrs 1848 begann, Waffenübungen durchzuführen, und ein Jahr später eine Bürgerwehr bildete. Allerdings löste sich die Miliz 1851 wieder auf. In den Jahren bis zum Deutsch-Dänischen Krieg von 1864 bildeten die HT16 beziehungsweise einige ihrer Mitglieder immer wieder Gruppen, die anlässlich außenpolitischer Spannungen in Europa militärische Übungen machten und exerzierten. Diese militärischen Betätigungen waren vereinsintern umstritten und die Polizei untersagte sie zeitweilig, bis das Interesse der Turner an ihnen nach 1864 abebbte (Dencker 2001: 523‑526). Im Kaiserreich entwickelte sich die HT16 zu einem politisch gemäßigten, »versportlichten« Turnverein. Hierfür spricht auch, dass der Verein früh und viele Turnerinnen aufnahm, die im Ersten Weltkrieg bei den Heranwachsenden zahlenmäßig fast gleichauf waren mit den männlichen Mitgliedern.2 Da Frauen nicht als wehrfähig galten (McMillan 1996: 89, 95), ist das ein Hinweis darauf, dass die HT16 Turnen zu der Zeit überwiegend als Sport begriff. Ein Mitglied der hier im Fokus stehenden Turnriege zählte in einem Feldpostbrief Turnen als einen »Sport« neben »Faustball, [...] Kugelstoßen, u.s.w.« auf.3 Politisch kann der Verein als eine Stütze der bürgerlichen Gesellschaft Hamburgs gelten. Das zeigt sich daran, dass der Bürgermeister in dieser Zeit den Ehrenvorsitz der HT16 bekleidete und die 2

3

Laut einem Gutachten der Politischen Polizei vom 20.7.1916 gehörten neben 1962 Männern immerhin 504 Frauen der HT16 an. Unter den Heranwachsenden war das Verhältnis sogar 691 Jungen zu 550 Mädchen. Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg (StAHH), 331-3 Politische Polizei, S 2709-16. Hermann Hüllmann, 16.8.1914. Die auf die Mitglieder der Riege C.I.3.0.c bezogenen Quellen stammen zumeist aus dem Bestand StAHH, 622-1/202 Familie Weidehaas. Er umfasst Akten, die jeweils mit Namen der Verfasser der darin gesammelten Feldpost bezeichnet sind (Signaturen 5-32). Nur in den Fällen, in denen Verfasser und Akte nicht übereinstimmen, wird die Signatur angegeben. Der Name des Verfassers mit Datumsangabe wird verwendet, um die Schriftstücke zu bezeichnen. Mit einer breiteren Fragestellung wurden die Akten bereits ausgewertet von Münch 2009.



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Politische Polizei sie nur anhand von Zeitungsmeldungen beobachtete. Laut des einzig erhaltenen Gutachtens bewertete die Politische Polizei 1916 den Verein dementsprechend als unbedenklich. Seine »3707 Vereinsangehörigen [würden] vorwiegend dem Kaufmanns- und Handwerkerstande angehören«.4 Im Gegensatz zu den oft sozialistisch ausgerichteten Arbeiterturnvereinen zählte die HT16 damit zu den »nationalen« Jugendpflegevereinen, für die das preußische Kultusministerium bereits 1911 staatliche Förderung vorsah (Saul 1983: 93). Organisatorisch untergliederte sich die HT16 in »Kneipen« und Riegen, von denen hier die mit Riege C.I.3.0.c bezeichnete im Fokus steht. Nach den erhaltenen Feldpostbriefen zu urteilen, gehörten ihr mindestens 30, offenbar überwiegend Mitte bis Ende der 1880er Jahre geborene und meist ledige Turner an. Dem Gutachten der Politischen Polizei entsprechend, lassen sie sich sozial als überwiegend klein- bis großbürgerlich verorten. Anhand der in den zeitgenössischen Adressbüchern und in der Korrespondenz genannten Berufe finden sich darunter mehrere Kaufleute, ein Volksschullehrer, ein Zollsekretär, ein Polizist und ein Handwerker. Mindestens zwei Mitglieder waren aus Galizien stammende Juden. Der sozialen Herkunft entsprachen die politischen Haltungen. Nach den genannten Lokalzeitungen zu urteilen, lassen sich diese als national- oder linksliberal bezeichnen. Drei Mitglieder deklarierten sich als Angehörige der Lebensreformbewegung »Deutscher Vortrupp-Bund«, die völkisch, aber auch demokratisch und nicht antisemitisch ausgerichtet war (Münch 2009: 12‑18). Nach den Berichten in der Feldpost und einem Erinnerungsalbum aus der Vorkriegszeit zu urteilen,5 scheint das Turnen für die Riegenmitglieder eher die Rolle einer modernen Freizeitaktivität als die von Jahn vorgesehene politische und Charakterbildung gehabt zu haben. Die Aktivität bestand aus:6 – dem gemeinsamen Turnen unter Anleitung eines Vorturners, das offenbar überwiegend in der großen, zentral nahe des Hamburger Hauptbahnhofs gelegenen Turnhalle stattfand;7 – Riegenfahrten, also Wanderungen, die wohl vor allem in die Lüneburger Heide führten,8 aber auch aus längeren Reisen zu Turnfesten in ganz Deutschland;9 – geselligem Beisammensein mit Alkoholgenuss am »Riegen-Stammtisch« eines nahe der Turnhalle gelegenen Lokals.10 Angesichts der unten ausgeführten Bemühungen der Riegenmitglieder im Ersten Welt­krieg, untereinander Kontakt zu halten, erscheint die Riege als eine starke

4 5 6 7

8 9 10

StAHH, 331-3 Politische Polizei, S 2709-16. StAHH, 622-1/202 Familie Weidehaas, 1. Otto Kastmann, 4.1.1916. Das 1888 erbaute, im Zweiten Weltkrieg zerstörte Gebäude befand sich an der Großen Allee, gegenüber dem Museum für Kunst und Gewerbe (heute Zentraler Omnibus-Bahnhof, Adenauerallee). Es war die zu ihrer Zeit größte Turnhalle Deutschlands (Schulke 2017: 84). Kastmann, 29.3.1915; ders., 22.8.1915; Max Chassel, 24.8.1915. StAHH, 622-1/202 Familie Weidehaas, 1. Es handelte sich um Gieles Restaurant an der Großen Allee. H. Hüllmann, 15.3.1915; Chassel, 18.6.1915.

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Gemeinschaft. Ein äußeres Merkmal dafür war ihr als »Riegenton«11 oder »Riegen‑«12 beziehungsweise »Indianergeheul«13 bezeichneter Erkennungsruf.14 Als Quellen zur Entschlüsselung des Zusammenhangs von Turnen, Sport und Mobilisierung dienen zum einen Vereinsdokumente. Hiermit sind die internen Dokumente der Vereinsleitung gemeint, die im Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg archiviert sind.15 Für die Zeit des Ersten Weltkriegs wurden alle Archivalien eingesehen, allerdings haben sich nicht sehr viele erhalten. Hinzu kommen die an die Mitglieder verschickten Vereinsmitteilungen. Die Vereinsdokumente sind vor allem als Quellen für die Absichten der Vereinsleitung zu lesen. Zum anderen dienen die über 1300 Feldpostbriefe und Postkarten dazu, die Haltungen der Mitglieder der Riege C.I.3.0.c zu ergründen. Der während des Kriegs in Hamburg verbliebene Vorturner der Riege, Waldemar Weidehaas, sammelte die Briefe der eingezogenen Mitglieder und erstellte daraus »Riegenberichte«, anhand derer sich die Turner auf dem Laufenden halten konnten.16 Im Sinne eines prä-digitalen, papierenen sozialen Netzwerks kommentierten die Mitglieder auf diese Weise auch die in den Riegenberichten wiedergegebenen Aussagen der anderen, die wiederum ebenfalls vervielfältigt wurden und sich kommentieren ließen. Zur Interpretation der Feldpost sind einige methodische Anmerkungen nötig. Zusammen mit Tagebüchern gelten Feldpostbriefe als jene Quelle, die als Selbst­ zeugnis am ehesten Einblick in die Haltungen der Soldaten des Ersten Weltkriegs erlauben würde (Ulrich 1996: 488‑490). In der Tat ist nicht zu erkennen, dass die Briefzensur großen Einfluss auf die Verfasser gehabt hat. Im Ersten Weltkrieg war sie wenig konsistent organisiert und untersagte vor allem, militärische Details preiszugeben. Dass sich selbst diese in der hier untersuchten Feldpost zeigen, belegt den geringen Einfluss der Zensur (Münch 2009: 21 f.; vgl. auch Reimann 2000: 17 f.). Gleichwohl ist zu beachten, dass die Verfasser dennoch nicht alles schrieben, was sie dachten. Hierfür fehlten Platz und Zeit, zudem sahen sie es nicht als notwendig an, geteilte Auffassungen noch einmal zu bestätigen. Viel setzten sie daher bei den Adressaten voraus. Als theoretische Vorannahme zur Analyse von Feldpost gilt hier außerdem, dass der Diskurs, der sich darin niederschlug, nicht allein als Beleg für die Haltung der Verfasser zu sehen ist. Anders als in vielen Arbeiten darf der Historiker nicht als »Abtipper« (John Keegan) dessen fungieren, was die historischen Akteure verfasst haben (zit. nach Ulrich 1996: 500, Anm. 105). Sinnvoller erscheint es, das Geschriebene mit dem Soziologen Pierre Bourdieu als Stellungnahmen in einer 11 12 13 14

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H. Hüllmann, 5.12.1916; Kurt Hüllmann, 1.8.1916; Kastmann, 15.11.1915. Edmund Weitzenbauer, 22.4.1917. Fritz Ahrens, 3.11.1914. Gleichwohl waren die Bindungen zwischen den Turnern unterschiedlich stark, was sich an der Frequenz der an Weidehaas versandten Feldpost erkennen lässt. Hier ist allerdings auch die Lage der Verfasser zu berücksichtigen, die z.B. in Stabsverwendungen oder bei der Marine mehr Zeit zum Schreiben hatten als in den Infanteriekompanien. Ohne die Länge zu berücksichtigen, verschickten die Riegenmitglieder über ihren Kriegseinsatz verteilt von fast fünf Schreiben im Monat bis zu 0,2. Dreizehn von ihnen verschickten mehr als eines im Monat. StAHH, 614-1/11 Hamburger Turnerschaft von 1816. StAHH, 622-1/202 Familie Weidehaas, 4.



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komplexeren, multidimensionalen Praxis zu sehen (Bourdieu 1979). Die Briefe offenbaren damit etwas über die Einstellungen der Verfasser, allerdings im Kontext des Verhältnisses zum Adressaten. Gleichzeitig ist das Geschriebene in Beziehung zu setzen zu weiteren Stellungnahmen außerhalb der reinen Korrespondenz. Hierzu zählt beispielsweise, ob sich die Verfasser freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet und welche Waffengattung sie gewählt hatten, was sie mit den Schreiben erreichen wollten und ob sie ihren Vereinsbeitrag zahlten. Erst aus dieser Gesamtschau lässt sich auf die Einstellungen und Bedingungen schließen, welche die Praxis der Turner während des Krieges bestimmten.

3. Die Hamburger Turnerschaft von 1816 im Ersten Weltkrieg 3.1 Legitimation der Kriegsanstrengungen durch die Vereinsleitung In den Quellen sind drei Funktionen erkennbar, mit denen die Leitung der HT16 möglicherweise zur Mobilisierung beitrug: Zum Ersten ist das die Legitimation der Kriegsanstrengungen als nationales Projekt und zum Zweiten die paramilitärische Ausbildung der jugendlichen Mitglieder. Drittens sind an die eingezogenen Mitglieder verschickte Schriften und Pakete – insbesondere mit Essen – zu nennen, die der Verein angesichts der schlechten Versorgungslage allerdings nur anfangs verschickt haben dürfte.17 Wie viele andere bürgerliche Organisationen legitimierte die Vereinsleitung die Politik der Reichsleitung, indem sie den offiziellen politischen Zweck des Kriegs bestätigte, wonach dieser der Verteidigung dienen würde. So hieß es auf der Titelseite der ersten Ausgabe des Vereinsblatts der HT16 nach Kriegsbeginn im November 1914:

»Gehässige, auf die wirtschaftliche und geistige Kraftentfaltung unseres geliebten Vaterlandes neidische Völker hatten unter der Oberleitung des erbärmlichen Englands schon lange Jahre große Vorbereitungen getroffen zu dem Endziel der Vernichtung des Deutschen Reiches und des ihm treu verbündeten Österreich.«18

In der nächsten Ausgabe vom Januar 1915 folgte ein Gedicht, das ebenfalls Großbritannien als Urheber des Kriegs darstellte.19 Auch ein im Dezember 1916 an Mitglieder verschicktes Gedicht stellte den Kampf gegen die angeblichen Neider Deutschlands heraus und appellierte daran, durch- und zusammenzuhalten.20 Zugleich versuchte die Vereinsleitung in den ersten Kriegsjahren offenbar, einen Beitrag zum bei Kriegsbeginn zwischen Regierung und Parlament geschlossenen »Burgfrieden« zu leisten. Dieser Friede sollte die innenpolitischen Konflikte zumindest für die Dauer des Kriegs beilegen, um den Kampf siegreich beenden zu kön17 18 19 20

Der einzige Hinweis hierauf ist ein Brief, in dem einer der Turner seine Freude über ein Paket mit Käse, Wurst und Fisch ausdrückte. H. Hüllmann, 1.3.1915. Turngenossen! In: Vereinsblatt der Hamburger Turnerschaft von 1816, 17 (1914): 140, 85. Vereinsblatt der Hamburger Turnerschaft von 1816, 18 (1915): 140, 13. An unsere lieben Turngenossen!, Dezember 1916, StAHH, 622-1/202 Familie Weidehaas, Ham­ bur­ger Turnerschaft von 1816, 26.

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nen. In diesem Sinne berichtete das Vereinsblatt im November 1915 von einer gemeinsamen Veranstaltung der Hamburger Turnvereine, bei der diese Nägel in einen »Eisernen Michael« geschlagen und gemeinsam das »Lied der Deutschen« abgesungen hätten. Solche hölzernen mittelalterlichen Schutzfiguren oder auch HindenburgStatuen mit einer geschlossenen Schicht aus hierfür verkauften Nägeln zu bedecken, sollte damals den nationalen Wehrwillen stärken und Gelder sammeln helfen. An der Veranstaltung nahmen auch die Jüdische Turnerschaft von 1902, der Deutschvölkische Turnverein, der Andreas-Turnverein und der Arbeiter-Turnverbund teil. Sie symbolisierten also – mit der für das liberale Bürgertum stehenden HT16 – alle Konfessionen, politischen und sozialen Gruppen des Kaiserreichs, die gemeinsam die Kriegsanstrengungen tragen würden.21 Die Folgeausgabe des Vereinsblatts gab einen Vortrag eines Kreisturnwarts wieder, der sich ebenfalls im Sinne des »Burgfriedens« gegen eine zu starke soziale Abgrenzung und Gegnerschaft zu den Arbeiterturnvereinen aussprach (Gerstenberg 1916). Der Festakt zum hundertjährigen Gründungsjubiläum der HT16, das mitten in den Krieg fiel, verdeutlicht die nationale Sinnstiftung der Vereinsleitung. Auf den Festakt folgten Hochrufe auf den Kaiser und am nächsten Tag ein Ausflug nach Friedrichsruh, wo die Teilnehmer das Anwesen und die Gruft des ersten Reichskanzlers Otto von Bismarck besichtigten (Magnus 1916: 65). Allerdings verbanden führende Turner die nationale Sinnstiftung des Kriegs mit eigenen politischen Reformvorstellungen. Dies veranschaulicht die im Vereinsblatt abgedruckte Rede des zuständigen Gauführers der Deutschen Turnerschaft, des Dachverbands der bürgerlichen Turnvereine, Prof. Dr. Wolfgang Meyer. Am Festabend wies er in seiner von einem Teilnehmer als »ergreifend«22 bezeichneten Darstellung der Geschichte der HT16 darauf hin, dass während der Revolution von 1848 das »Turnervolk [...] mehr Erfolg als das große deutsche Volk« gehabt hätte. Denn »die oligarchische Alleinherrschaft des Turnrats wurde gebrochen und machte einer demokratischen Verfassung Platz mit Parlament und verantwortlichem Ministerium, die die Grundlage unserer heutigen Verfassung bildet« (Magnus 1916: 65). Im Gegensatz zum adligen Establishment bewertete Meyer somit die Revolution von 1848 positiv und implizierte, dass die demokratische Verfassung der Turnerschaft auch für das politische System Deutschlands angebracht sei. Er hatte bereits 1904 ein hagiografisches Buch über »Turnvater« Jahn veröffentlicht, sich bei Kriegsbeginn freiwillig gemeldet und diente bis 1917 als Kompaniechef und Bataillonsführer (Lorent 2017). In Meyers Lebensweg und Deutungen schlug sich somit noch das alte Turnideal nieder, das die körperliche Ertüchtigung als Mittel sah, wehrhaft zu werden, um für die nationale Sache und politische Partizipation einzutreten.23 21 22 23

Nagelung des »Eisernen Michael« durch die Hamburger Turnvereine am 12. September 1915. In: Vereinsblatt der Hamburger Turnerschaft von 1816, 18 (1915): 144, 77 f. Hamdorf, 11.9.1916. Auch von sozialdemokratischen Schulsenatoren gefördert, stieg Meyer in Hamburg bis zum Landesschulrat auf. Da er sich auch im Pensionsalter nach der Machtübernahme der National­ sozialisten darum bemühte, in der Schulverwaltung zu bleiben, rechnet ihn de Lorent (2017: Eintrag Wolfgang Meyer) zu den »Tätern« dieser Zeit. Diese Bewertung erscheint zu einseitig auf die NS-Ideologie bezogen. Sie vernachlässigt, dass die ideologischen Bestandteile des jahnschen Turnens sowohl mit demokratischen als auch völkisch-nationalen Ideen kompatibel waren. Vgl. zur



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3.2 Vormilitärische Ausbildung der jugendlichen Vereinsmitglieder Im Rahmen der vormilitärischen Ausbildung der Jugend nahm die HT16 im Krieg eine unmittelbar militärische Aufgabe wahr. Hintergrund war, dass die vom Kriegsministerium 1913 ausgegangene Initiative zu einer verpflichtenden kriegsvorbereitenden Ausbildung der Jugend bis Kriegsbeginn kein entsprechendes Gesetz hervorgebracht hatte. Auch während des Kriegs verliefen alle diesbezüglichen Bemühungen im Sand, da die Vertreter der zivilen Ministerien ebenfalls auf die Jugendlichen zurückgreifen wollten, um sie in der Kriegs- und Landwirtschaft einzusetzen. Hinzu kamen Bedenken der SPD, aber auch der bürgerlichen Parteien, welche Kritik der Kirchen an der zulasten der Sonntagsmessen gehenden vormilitärischen Ausbildung weitergaben. Es blieb damit bei einem gemeinsamen Aufruf des preußischen Kriegsministers, der Kultusminister und der Innenminister vom 16. August 1914 an die Jugendlichen ab dem 15. Lebensjahr, sich freiwillig militärisch vorbereiten zu lassen. Ebenfalls freiwillig sollten hierfür die »Jugendpflegevereine« so­ge­nannte Jugendkompanien bilden. Die für die Militärorganisation in der Heimat zuständigen stellvertretenden Generalkommandos sollten diese Kompanien fach­lich beaufsichtigen und für eine einheitliche Ausbildung sorgen. Hierfür bestimmten sie für jeden Korpsbezirk einen höheren nicht-aktiven Offizier, der meist Vertreter des Jugenddeutschlandbundes war. Mit wenigen Ausnahmen beharrte das Kriegs­ ministerium aber auf dem Waffenmonopol des Militärs, sodass die Ausbildung weitestgehend waffenlos blieb (Saul 1983: 93‑95, 105‑108). Obwohl die Jugend­ kompanien damit deutlich hinter Milizen oder »Turnercompagnien« zurückblieben, kam es in der Krisensituation zu Beginn des Krieges doch zu einer bemerkenswerten Einbeziehung privater Akteure in militärische Aktivitäten. Auf den gemeinsamen Erlass vom 16.  August 1914 bezog sich offenbar die Vereinsleitung der HT16, als sie in der ersten Kriegsausgabe des Vereinsblatts erklärte, dass sie eine »Jugendwehr« gemäß Erlass des Kriegsministeriums einrichten würde.24 Ebenso wie die militärischen Aktivtäten der HT16 nach der Revolution und dem Krieg gegen Dänemark von 1848, der Schleswig-Holsteinischen Erhebung, war die Entscheidung der Vereinsleitung, eine Jugendkompanie aufzustellen, aber offenbar vereinsintern umstritten. So hieß es im Vereinsblatt ein Jahr später rückblickend hierzu: »Manches Für und Wider ist reiflich erwogen worden, ehe der Beschluss folgte.« Schließlich hätte die Leitung aber doch der Aufstellung einer Jugendkompanie zugestimmt, um zu einem schnellen Kriegsende beizutragen.25 Wie bei anderen Organisationen dürfte die Vereinsleitung tatsächlich auch darauf abgezielt haben, die Relevanz des Vereins in der Ausnahmesituation des Kriegs zu erhalten (Saul 1983: 96), denn wie unten geschildert, geriet die HT16 im Laufe des Kriegs in der Tat durch ausbleibende Mitgliedsbeiträge in eine existenzbedrohende finanzielle Lage. Möglicherweise wollte die Vereinsleitung – wie andere Sportfunktionäre, von denen 24 25

Kritik an der mangelnden Kontextualisierung seiner Quellen auch die Rezension von Miller-Kipp (2020). Vereinsblatt der Hamburger Turnerschaft von 1816, 17 (1914): 140, 89, 94. Vereinsblatt der Hamburger Turnerschaft von 1816, 18 (1915): 144, 74

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der Generalsekretär des Deutschen Reichsausschusses für Leibesübungen Carl Diem am bekanntesten und erfolgreichsten war – erreichen, durch eine wehrpolitische Rolle in Zukunft sogar noch mehr Mitglieder zu erlangen (Saul 1983: 108). Dass offenbar viele Mitglieder nicht nur einen möglichen militärischen Einsatz des Vereins wie im 19. Jahrhundert, sondern bereits die paramilitärische Ausbildung der Jugend kritisch betrachteten, könnte ein Hinweis darauf sein, dass immer mehr Vereinsangehörige das Turnen als reinen Sport ohne politische oder militärische Anteile sahen. Denkbar bleibt gleichwohl auch, dass sie wie viele liberale Lehrer und andere, vor allem religiöse »Jugendpfleger«, befürchteten, dass die paramilitärische Ausbildung die Jugend verrohen könnte (Saul 1983: 91).26 Nach Angaben aus dem letzten Kriegsjahr machten die Angehörigen der Jugendkompanie der HT16 ein- bis zweimal im Monat militärische Übungen außerhalb Hamburgs,27 wobei das Kriegsministerium eigentlich zwei vorsah (Saul 1983: 104). Hierbei werden sie die vorgesehenen, im Laufe des Kriegs verfeinerten waffenlosen Fähigkeiten eingeübt haben, welche die spätere richtige militärische Ausbildung erleichtern und verkürzen sollten. Dazu zählten Entfernungen schätzen, Marschieren oder als »Wehrturnen« bezeichnete »angewandte Turnübungen« zum Überwinden von Hindernissen, Kriechen, Laufen und Hinwerfen sowie Aufstehen und Werfen von Übungshandgranaten.28 Das einzige archivierte Foto einer Übung der Jugendkompanie der HT16 zeigt, wie diese offenbar im leichter auszuhebenden Strandsand – eventuell der Elbe – einen Schützengraben gräbt (Abbildung 1). Als Uniform trugen die Jugendlichen dabei lediglich einheitliche Armbinden über der Zivilkleidung; einige – möglicherweise Unterführer – trugen auch Schirmmützen.29 In den öffentlichen Berichten nannte die Vereinsleitung der HT16 nie die Anzahl der Jugendlichen, die sich der Jugendkompanie anschlossen – offenbar, weil dies nur sehr wenige waren. Es dürften kaum mehr als 25  Personen bei 1916 insgesamt 691 männlichen heranwachsenden Mitgliedern gewesen sein. Bei diesen 25 ist gleichwohl unklar, wie viele noch nicht das erforderliche 15. Lebensjahr vollendet hatten.30 Dies stand in Einklang mit der reichsweit nur dürftigen, in den Städten noch geringer ausgeprägten Resonanz, welche die Jugendkompanien erfuhren. Bei 930 000 Einwohnern meldeten sich in Hamburg 1914 bloß 4455 Jugendliche, von denen im Februar 1915 bereits nur noch 2000 verblieben waren (Saul 1983: 97). Die Vereinsleitung beklagte dementsprechend in fast jeder Ausgabe seit Anfang 1915 die fehlende Teilnahmebereitschaft der jugendlichen Mitglieder. Hatten die 26 27 28

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Vgl. als Beispiel aus Hamburg: Aufruf an Eltern, Lehrer und Erzieher, Dezember 1915. In: Ham­ burgische Schulzeitung 1916, 24: 1, 1 f., abgedruckt in: Saul 1983, Dok. 16. Hamburger Turnerschaft von 1816: Bericht über das 101.  Vereinsjahr 1917‑1918, Hamburg 1918, 18. Auszüge aus dem dienstlichen Bericht des ungarischen Oberleutnants a.D. Dr. Gresskowitz über seine Studienreise in Deutschland betr. die militärische Erziehung der Jugend, 20.2.1917, abgedruckt in: Saul 1983, Dok. 24. Die Armbinden sind ebenfalls auf dem Foto zu erkennen. StAHH, 614-1/11 Hamburger Tur­ner­ schaft von 1816: Illustrierter Bericht über die Jugendkompanie Nr. 6 der Hamburger Turnerschaft von 1816, 1916(‑1951), 6. Dem entspricht die genannte Anzahl von bloß sieben »Jungmannen« der im Jahr 1918 gemusterten Angehörigen des Jahrgangs 1900 der Jugendkompanie (S. 1918: 29).



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Abbildung 1: Angehörige der Jugendkompanie der Hamburger Turnerschaft von 1816 bei einer Schützengrabenübung am Strand, 1914–1918.  StAHH, 614-1/11 Hamburger Turnerschaft von 1816

Jugendlichen hierfür keine Zeit oder einfach keine Lust? Jugendliche aus ärmeren Verhältnissen scheinen tatsächlich kaum Zeit gehabt zu haben, da sie nach Kriegsbeginn mit Hilfsarbeiten vielfach dazu beitragen mussten, die Familie durchzubringen. Zudem sprachen sich die meisten Arbeitervereinigungen, darunter der Arbeiter-Turnverbund, gegen die Jugendkompanien aus (Saul 1983: 97 f., 102 f.). Etwas anders war gleichwohl die Lage von Jugendlichen aus dem Bürgertum, das allerdings im Laufe des Kriegs auch in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet (Kocka 1978: 71‑73). In der zweiten Kriegshälfte machten letztgenannte dennoch das Gros der Jugendkompanien aus (Saul 1983: 103). Die Verantwortlichen für die Jugendkompanie der HT16 schrieben, dass es nicht sein könne, dass die Jugendlichen keine Zeit hierfür hätten. Vielmehr würden sie diese für »Tanzstunden, Theater, Kinos oder sonstige Ver­gnügungen« wie »Heidewanderungen« nutzen (S. 1915: 74). Die Vereinsleitung versuchte daher den gesamten Krieg hindurch, mit unterschiedlichen Argumenten mehr Jugendliche zur Teilnahme zu bewegen. Indem sie die im Grunde klassischen Turnerideale wie körperliche Zucht und Enthaltsamkeit in den Vordergrund rückte und die teilnehmenden Jugendlichen als beispielhaft darstellte, appellierte sie einerseits an das Gewissen der Abwesenden. Andererseits rückte sie im Verlauf des Kriegs immer stärker die persönlichen Vorteile wie Eintrittsermäßigungen bei Theatern und Schwimmbädern, die Ausflüge, zusätzliche Brotrationen und schließlich die freie Wahl des Truppenteils in den Vordergrund. Allerdings änderte dies nichts am geringen Erfolg der Freiwilligenwerbung (Münch 2009: 48 f., 249). Zahlreiche jugend-

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liche HT16-Mitglieder hatten sicher tatsächlich aufgrund von Aushilfstätigkeiten keine Zeit für weitere Aktivitäten. Doch zeigt die fehlende Resonanz wohl, dass sich viele von ihnen nicht für militärische Aktivitäten begeisterten und sie diese nicht als mit dem Turnen wesensverwandt ansahen.

3.3 Allgemeine Mobilisierung der Mitglieder der Riege C.I.3.0.c Mit der Mobilmachung zogen die Militärbehörden die meisten deutschen Männer ein, die ihren Wehrdienst abgeleistet hatten und aufgrund ihres Alters noch den Linientruppenteilen – also nicht Landwehr oder gar Landsturm – angehörten. Anders als die These einer »militaristischen« Gesellschaft suggeriert, waren im Kaiserreich am Vorabend des Ersten Weltkriegs nur etwas mehr als die Hälfte der männlichen Bevölkerung zum Wehrdienst eingezogen worden (Münch 2009: 250). Dem entspricht der Anteil der Mitglieder der Riege C.I.3.0.c, die bereits ihren Wehrdienst abgeleistet hatten und bei Kriegsbeginn eingezogen wurden. Es handelte sich dabei um 17 von rund 30 Riegenangehörigen. Da Hamburg und die umliegenden Provinzen Schleswig-Holstein und Hannover der Wehrhoheit Preußens unterlagen, gelangten diese Turner neben der Kaiserlichen Marine nun zum preußischen Heer. Nur drei der Riegenmitglieder kamen in denselben Verband, die IV.  MatrosenArtillerie-Abteilung, davon allerdings nur zwei in dieselbe Kompanie. Dadurch bildeten die Turner miteinander keine unmittelbare Kampfgemeinschaft, sondern mit den in ihren Einheiten dienenden Kameraden. Neun Riegenmitglieder wurden im Krieg getötet (Münch 2009: 33, 219). Um zu ermessen, welche Auswirkungen die Bemühungen des Vereins und der Riege auf die im Krieg dienenden Mitglieder hatte, ist zuerst zusammenzufassen, wie motiviert sie waren. Eine umfassende Untersuchung der Quellen zeigt, dass die Riegenmitglieder in keinem Fall in ihrer Feldpost die Legitimation des Kriegs in Frage stellten. Aufgrund ihrer sozialen Lage und vereinzelter Äußerungen zu diesem kaum besprochenen Thema ist davon auszugehen, dass sie von negativen wirtschaftlichen und politischen Konsequenzen für Deutschland und sie persönlich bei einer Niederlage ausgingen und somit in der Tat den Krieg gewinnen wollten. Auch gaben die meisten, die sich dazu äußerten – wie die Vereinsleitung – Großbritannien die Schuld am Krieg. Allerdings bedeutet all dies nicht, dass die Turner bereit waren, ihr eigenes Leben für die als legitim gesehene Sache zu gefährden oder gar zu opfern (Münch 2009: 211‑215, 243‑246). Soweit sie sich rekonstruieren lässt, zeigt die Praxis der Turner in der Tat, dass sie wenig gewillt waren, sich zu opfern. So meldeten sich, dem prozentualen Anteil von Kriegsfreiwilligen ihrer Altersgruppe entsprechend, nur zwei von ihnen freiwillig.31 Vier Turner versuchten hingegen, mit Hilfe des Vorturners Weidehaas ihren Frontdienst ganz oder zeitweise zu beenden. Allerdings taten sie dies nicht im offe-

31

Beide wählten besondere Verbände: einer die Fliegertruppe und der andere das als Elite geltende 1. Gar­dereserveregiment. Offenbar wollten sie also vor allem an Status und besonderen Erfahrungen gewinnen.



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nen, über die Riegenberichte verbreiteten Diskurs, sondern nur ausdrücklich persönlich an Weidehaas gewandt. Auch zählten zu diesen Turnern nur die »Alten«, also über Dreißigjährigen, die Väter und jene, die bereits einen Bruder im Krieg verloren hatten. Augenscheinlich erlaubten in ihrer Wahrnehmung diese Eigenschaften ein Ausbrechen aus dem Frontdienst, weswegen sie sich trauten, sich an Weidehaas zu wenden. Es bedeutet nicht, dass die anderen Turner nicht auch versuchten, ihren Frontdienst zu beenden. Der gut situierte Weidehaas hatte es offenbar aufgrund guter Verbindungen selber geschafft, trotz seiner herausgehobenen sportlichen Rolle als untauglich gemustert zu werden. Insgesamt waren die meisten Riegenmitglieder also nicht gewillt, sich zu opfern, gleichzeitig sahen sie es nicht als legitim an, dies offen zu äußern. Gleichfalls versuchte augenscheinlich keiner von ihnen zu desertieren; zwei gerieten in russische Gefangenschaft (Münch 2009: 162‑169). Es stellt sich also vor allem die Frage danach, ob die Vereinsmitgliedschaft und das Turnen mit dazu führten, dass die Turner durchhielten.

3.4 Physische Mobilisierung der Mitglieder der Riege C.I.3.0.c Erleichterte das Turnen als körperliche Fähigkeit den Riegenmitgliedern ihren Kriegs­dienst und trug es dazu bei durchzuhalten? Die Feldpost gibt hierauf eine ambi­valente Antwort. Die mit der Mobilisierung sofort eingezogenen und nach Kriegs­beginn nach Belgien und Frankreich marschierten Turner betonten häufig die enormen körperlichen Anstrengungen der Gewaltmärsche der ersten Kriegsmonate. Mehrere stellten heraus, dass viele Soldaten dabei »schlapp gemacht« hätten, wozu sie sich aber offenbar nicht zählten: »Anstrengende Tage hinter uns. 2/3 der Kompagnie hat schlapp gemacht.« (Herzog) – »Besonders als die Chaussee durch dichten Wald führte, wo sich kein Lüftchen rührte, da haben ungefähr 70 Mann von 400 schlapp gemacht, d.h. sie fallen vor Hitze um und müssen sich erst eine ganze Zeit erholen, ehe sie nachmarschieren können.« (W. Müller) – »Jeden Tag einige Stunden [Märsche]. Ich konnte es ganz gut vertragen, während Andere sehr an den Füßen zu leiden hatten.« (H. Hüllmann)32

Damit implizierten sie, dass die Riegenfahrten sie gut auf lange Märsche vorbereitet hätten. Häufiger noch und etwas deutlicher betonten mehrere der im Krieg eingezogenen Turner, die keinen Wehrdienst im Frieden geleistet hatten, dass ihnen die körperlichen Herausforderungen der Ausbildung weniger ausmachen würden als den Kameraden: »Wir werden im allgemeinen ganz nett stramm genommen und freue ich mich immer etwas gelenkig zu sein, denn viele müssen sich sehr quälen. Täglich melden sich diverse krank aber es giebt keinen Drückeberger nicht eher als sie umfallen.« (Trede) – »Die Knochen sind reichlich steif geworden, werden aber auf der Moorweide [Hamburger Exerzierplatz] wieder gelenkig gemacht, das macht aber Spaß.« (Schultz) – »Beinahe jeden Tag einen Ausmarsch. Felddienst ist ja auch die Hauptsache, verbunden mit den

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Hans Herzog, 21.8.1914; Walter Müller, 5.9.1914; H. Hüllmann (undatiert, Kriegsbeginn), 1914.

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Schwenkungen etc. Mir gefällt es aber sehr gut, kann auch die Märsche sehr gut ab.« (Funke)33

Allerdings ließ nur der Jüngste der Riege über seine Eltern explizit ausrichten, dass ihm das Turnen und die Zeit in der Jugendkompanie geholfen hätten, den »strammen Dienst« zu bewältigen.34 Kein anderer brachte ausdrücklich das Turnen oder die Riegenwanderungen mit den körperlichen Herausforderungen des Kriegsdienstes in Beziehung. Stattdessen stellten mehrere Riegenmitglieder heraus, dass die »feldmarschmäßigen« Anstrengungen im Krieg nicht mit den Riegenfahrten zu vergleichen, sondern deutlich höher seien:

»Die Dichter, die die herrlichen Wanderungen über Tal und Hügel besingen, haben sicher die Wanderungen nicht feldmarschmäßig gemacht mit gepacktem Tornister, 150 scharfe Patronen in der Patronentasche, Tornister, Brotbeutel und allen möglichen Taschen verstaut, die Knarre auf der Schulter und die Pickelhaube auf dem schwitzenden Schädel. Dann bekommt man doch andere Gedanken. Und statt auf die Naturschönheiten, für die man nur einen flüchtigen Blick übrig hat, sind alle Sinne darauf gerichtet: Wo kommen wir hin? Wann machen wir endlich halt?« (W. Müller) – »Wir stehn jetzt den Engländern gegenüber. Von der Bahn aus sind wir dann 20 km gelaufen, ich kann Dir sagen, das war nicht leicht, mit vollem Gepäck, Patronen, Spaten, Gasmaske und was da sonst noch alles dran bimmelt und bummelt. Man glaubt garnicht, was der Mensch alles leisten kann, wenn er muß. Unser Gepäck auf den Wanderungen ist Spielkram dagegen.« (Schultz)35

Somit legen die Quellen nahe, dass Turnen als körperliche Schulung zwar nicht völlig zu vernachlässigen war, insgesamt aber in den Darstellungen eher nicht entscheidend dazu beitrug, die Belastungen des Kriegseinsatzes zu bewältigen. Dementsprechend erwähnten nur zwei Riegenmitglieder – beide Angehörige der im Vergleich zur Infanterie körperlich weniger beanspruchten Marine –, dass sie im Dienst turnen würden. Einen von beiden, der (nach eigener Aussage und der seiner Freunde) aufgrund seines Übergewichts eher zu den Unsportlichen zählte, hätte sein Kompanieführer, der »auch 1816er und guter Turner« gewesen sei, sogar zum Vorturner gemacht.36

3.5 Mobilisierung durch Vergemeinschaftung in der Riege C.I.3.0.c Für das Durchhalten relevanter als die physische Vorbereitung scheint damit die vergemeinschaftende Rolle der Riege gewesen zu sein. So drückten mehrere der Turner ihre Freude darüber aus, in den eigenen oder Nachbarverbänden HT16Mitglieder getroffen zu haben.37 Ebenso schienen sie über die Riegenberichte begeistert, anhand derer sie sich über das Schicksal der Turngenossen auf dem Laufenden halten und austauschen konnten, »weil die Post, die wahrscheinlich erst über die 33 34 35 36 37

Gustav Trede, (undatiert, 1915?); Adolf Schultz, 21.5.1915; Adolf Funke, 15.12.1914/2, 67. Vgl. auch Arnold Schwencke, 16.5.1915; Hans Tiemann, 27.2.1915; ders., 3.5.1915. E. Hamdorf, 21.12.1916. W. Müller, 5.9.1914; Adolf Schultz, 9.7.1916. Kastmann, 13.1.1917. Vgl. auch H. Hüllmann, 16.8.1914. Vgl z.B. W. Müller, 6.8.1914; Harald Müller, 2.6.1915; Kastmann, 13.1.1917.



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Heimat geht, viel zu lange gebrauchen würde«.38 Ein Turner bezeichnete die Berichte – auch der Nachbarriegen und »Kneipen« – treffend als »ein Zeichen, wie unsere H.T.[16] gerade im Kriege seine Mitglieder enger denn je zusammenschließt«.39 Des Weiteren beschrieben die Turner, dass sie aktiv versuchten, andere Kriegsdienst leistende Riegenmitglieder zu treffen. Bis ins letzte Kriegsjahr finden sich in der Feldpost Berichte über insgesamt mindestens 14 Treffen von zehn Riegenangehörigen, die sie auch fotografisch dokumentierten. Allerdings waren die den Küstenverbänden der Marine angehörenden Turner dabei deutlich überrepräsentiert, da sie in der Regel an denselben Orten blieben, während die des Heeres häufig rotierten. Von diesen zehn Turnern gehörten nur vier der Marine an, die aber zehn der 14 Treffen allein bestritten.40 Ein Brief beschrieb zudem, wie die Marine-Angehörigen im August 1914 versucht hätten, die Turnergemeinschaft zur Kampfgemeinschaft zu machen. Angesichts der anfänglichen Siegesmeldungen der Heeresverbände hatten die Matrosen immer wieder ihre Angst beschrieben, an einem zu erwartenden Sieg nicht mitgewirkt zu haben. Als unter den immer noch in Cuxhaven stationierten Küstenartilleristen Freiwillige »für eine Expedition in Feindesland« gesucht worden wären, hätten sich vier von fünf Turnern der HT16 gemeldet.41 Drei kamen dann nach Belgien, wo sie an einigen Kämpfen teilnahmen, zwei davon in derselben Einheit.42 Insgesamt waren die Turner also bestrebt, die Riegengemeinschaft durch Schrift­ verkehr, Treffen oder sogar gemeinsamen Kampfeinsatz zu erhalten. Dies wirft die Frage auf, ob die Gemeinschaft eher die Kampfmoral stärkte oder gar schwächte, indem sie subversiv wirkte. Angesichts der Berichte erscheint es eher so, als habe die Gemeinschaft die Kampfkraft gestärkt. Insbesondere die Treffen mit den Freunden aus der Friedenszeit, bei denen sie sich unter »Riegengeheul« begrüßt hätten,43 muten dementsprechend wie Kurzurlaube von der Front an. Zudem nutzten einige ihren Vorturner dazu, um sich Essen, Lesestoff oder Ausrüstung schicken zu lassen (Münch 2009: 19). Da die meisten die Gemeinschaft nur durch den Schriftverkehr erfuhren, dürfte die Art des Diskurses das Durchhalten im Sinne eines Gruppendrucks am stärksten positiv beeinflusst haben. Die unausgesprochenen Diskursregeln ließen es nicht zu, den Sinn des Kriegs in Frage zu stellen oder – mit den genannten Ausnahmen – zu äußern, dass die Verfasser selbst nicht ihr Leben darin gefährden wollten. Das Verhältnis zum gesamten Verein scheint diese Regeln noch einmal verstärkt zu haben, da sie sich damit offenbar in einem Wettbewerb mit den anderen Vereinsmitgliedern sahen, möglichst stark zu 38

39 40

41 42 43

H. Hüllmann, 7.11.1914. Vgl. auch ders., 4.7.1916; Adolf Schultz, 28.6.1916; Paul-Otto Somogyvár, 21.12.1916; Weitzenbauer, 23.5.1917. Vgl. zu Klagen über ausbleibende Berichte Otto Rückert, 4.12.1916 und 20.11.1917. H. Müller, 2.6.1915. W. Müller, 23.1.1915; Gustav Eylmann, 3.2.1915; Kastmann, 14.6.1915, 15.11.1915, 30.5.1916, 26.11.1916; Weitzenbauer, 19.9.1915, 23.11.1915, 3.12.1916, 22.4.1917, 6.7.1918; H. Hüllmann 24.10.1916; Tiemann, 27.5.1917, 3.12.1917. Vgl. auch die Fotos der Treffen in StAHH, 6221/202 Familie Weidehaas, 33. Einige abgedruckt in: Münch 2009: 122, 128. Weitzenbauer, 31.8.1914; H. Hüllmann, 31.8.1914. H. Hüllmann, undatiert und 5.10.1914/2, 40. Ahrens, 9.1.1916.

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den Kriegsanstrengungen beizutragen. So meinte zu Kriegsbeginn ein Turner, dass die Kampfberichte der Freunde ein Zeichen dafür seien, »was für ein tadelloser Geist in der Riege C 1 0 3 c herrscht«.44 Ein anderer zeigte sich über die große Anzahl der eingezogenen Riegenmitglieder erfreut und schrieb: » Ich glaube, unsere Riege stellt von der H.T.[16] die grösste Anzahl Krieger.«45 Somit sorgten die genannten Kontakte dafür, dass die Turner weiterhin in das soziale »Feld« der Heimat – also des Bürgertums – eingebunden blieben, wodurch sie auch dessen unbedingtem Interesse unterworfen blieben, den Krieg zu gewinnen. Die Einbindung in das soziale Feld der Heimat scheint also dazu beigetragen zu haben, einen »Schützengrabensozialismus« zu unterlaufen. Ein solcher hätte die Soldaten zuallererst ihr ureigenes Interesse artikulieren lassen, das sie mit allen Frontkämpfern einte, nämlich am Leben zu bleiben. Möglicherweise spürten einige Riegenmitglieder den Widerspruch zwischen Turnen als moderner Freizeitaktivität im Frieden und andererseits als Kampf­ge­mein­ schaft. So sprachen sich bereits im August 1914 zwei in derselben Marine-Einheit dienende Turner dafür aus, die Riegenkasse der Hamburger Kriegshilfe oder dem Roten Kreuz, also den (sozialen) Kriegsopfern, zu spenden, »denn wer weiß, wie es nach dem Krieg in unserer Riege aussieht und ob wir dann noch Lust haben, das Geld für Vergnügen etc. auszugeben«.46 Ein anderer schrieb 1916 ausführlicher: »Nachdem ich einige Male angestrengt über die Geschichte nachgedacht habe [...] bin auch ich zu der Überzeugung gekommen, daß diese fröhliche und ausgelassene Stimmung, die vor dem Kriege in unserem Kreise geherrscht hat, nach dem Frieden nicht wiederkehren wird. Aber dies würde ja auch nicht so schlimm sein, Deiner Meinung nach sogar sehr gut. Ich befürchte jedoch (vielleicht sehe ich zu schwarz), daß nach dem Kriege der Turnbesuch von unseren alten Riegenfreunden immer schwächer werden wird. Und doch halte ich gerade das Turnen für den weiteren innigen Zusammenschluß unseres Kreises für unbedingt erforderlich, halte das regelmäßige Turnen für wichtiger als den Stammtischbesuch und die Wanderungen. Ich bin sicher, Du wirst später Dein Hauptaugenmerk darauf richten müssen, alle Freunde mit mehr oder weniger nachdrücklichem Zwang zum Turnen anzuhalten.«47

Angesichts der zahlreichen im Krieg getöteten Riegenmitglieder schrieb ein weiterer Turner 1918, er »glaube kaum, daß jemals wieder so viel Frische + Freudigkeit in den Kreis hineinkommt, als es war.«48 Auch unterstreichen diese Äußerungen, dass Turnen den meisten Riegenmitgliedern vor allem als freudige Freizeitaktivität galt und nicht als Teil eines politisch-militärischen Kampfes, der naturgemäß Opfer forderte. Offensichtlich fühlten sich viele Mitglieder der HT16 durch den Krieg gegenüber dem Verein entfremdet. Denn spätestens ab Anfang 1915 zahlten immer mehr von ihnen keine Beiträge mehr.49 Ihre Zahl stieg bis 1916 auf mindestens gut fünf Prozent der Mitglieder, sodass sich die Vereinsleitung ausgerechnet im Jubiläumsjahr dazu 44 45 46 47 48 49

Rückert, 22.11.1914. Weitzenbauer, 16.1.1915. H. Hüllmann, 13.8.1914. Kastmann, 4.1.1916. Adolf Schultz, 12.4.1918. Vereinsblatt der Hamburger Turnerschaft von 1816, 18 (1915): 142, 25.



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gezwungen sah, »dringend« um Zahlung zu bitten.50 Auch ein Aufruf im Folgejahr – der zudem dagegen appellierte, die Mitgliedschaft zu kündigen – brachte nicht annähernd die benötigte Summe.51 1918 sah sich die Vereinsleitung gezwungen, einen Sonderbeitrag zu erheben und schließlich den Mitgliedsbeitrag zu erhöhen. Spätestens in diesem Jahr traten mehr Mitglieder aus als ein.52 Zahlungsprobleme und Mitgliederschwund spiegelten sicherlich einerseits die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Turner wider. Andererseits dürften sie die Prioritäten der insgesamt finanziell vergleichsweise bessergestellten HT16-Mitglieder offenlegen, zu denen bei vielen offenbar nicht der Verein zählte. Eventuell gehörten auch zahlreiche Eingezogene zu den Säumigen, denn die Vereinsleitung führte – offenbar als Ansporn wie auch in der Frage der Jugendkompanie – 1917 die »aus dem Feld« gezahlten Sonderbeiträge namentlich auf.53 Möglicherweise traf dies auf Mitglieder der Riege C.I.3.0.c zu, von denen allerdings nur eines schrieb, nicht mehr zu zahlen.54

4. Militärische Relevanz von Turnvereinen im Ersten Weltkrieg Zusammenfassend legt der hier untersuchte Fall nahe, dass die »nationalen« Turnvereine des Kaiserreichs im Ersten Weltkrieg vor allem dazu beitrugen, ihre Mitglieder mental zu mobilisieren. Objektiv war das Turnen als körperliche Ertüchtigung sicherlich von Vorteil für den Kriegsdienst. Gleichwohl legt die hier untersuchte Feldpost nahe, dass sich die Soldaten zwar implizit eher positiv auf ihre turnerischen Fähigkeiten im Kontext des Militärdienstes bezogen, aber ihnen subjektiv keine überragende Bedeutung beimaßen. Ursache hierfür war sicherlich, wie von einigen erwähnt, dass die über längere Zeiträume und gegebenenfalls unter Schlaf- und Nahrungsentzug erfolgten körperlichen Belastungen im Krieg doch grundlegend andere waren als die in der Heimat eingeübten. Vollends dürfte dies für die wohl ausschlaggebenden enormen psychischen Belastungen im industrialisierten Krieg gelten, vor deren Hintergrund offenbar die physischen zurücktraten. Eine größere Bedeutung für die Mobilisierung hatte daher vermutlich der implizite soziale Druck auf die Vereinsmitglieder gehabt, die Kriegsanstrengungen in diesem Kontext klaglos zu ertragen. Den geringeren Einfluss übten wohl die entsprechenden Bemühungen der Vereinsleitungen aus, wie die fehlenden Zahlungen und Austritte vieler Mitglieder im Krieg zeigen. Entscheidend dürften die engeren Gemeinschaften gewesen sein, die Turner auf der Ebene der Riegen miteinander bildeten und die offenbar auch jenseits der formellen Vereinsmitgliedschaft fortbestanden. In den bürgerlichen Vereinen sorgte diese Verbindung mit der Heimat da50 51 52 53 54

Hamburger Turnerschaft von 1816, Bericht über das 99. Vereinsjahr 1915‑1916, Hamburg 1916, 25; Vereinsblatt der Hamburger Turnerschaft von 1816, 19 (1916): 146, 38. Durchhalten! In: Vereinsblatt der Hamburger Turnerschaft von 1816, 20 (1917): 148, 1; Vereinsblatt der Hamburger Turnerschaft von 1816, 21 (1918): 152, 5. Vereinsblatt der Hamburger Turnerschaft von 1816, 21 (1918): 153, 30; Vereinsblatt der Hamburger Turnerschaft von 1816, 21 (1918): 155, 61. Vereinsblatt der Hamburger Turnerschaft von 1816, 20 (1917): 151, 59. Adolf Mensch, 2.4.1917.

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für, dass sich das Interesse des Bürgertums an einem siegreichen Ausgang des Kriegs und damit am Erhalt der Gesellschaftsordnung auch auf den Diskurs der Turner auswirkte. Auch wenn sie, wie ihre verdeckten diesbezüglichen Bemühungen zeigen, zuallererst überleben wollten, konnten sie dies nicht offen ausdrücken und mit anderen Soldaten auf eine Beendigung des Kriegs hinwirken. Eine solche Wirkung werden gleichwohl ebenso andere Vereinigungen, also auch außerhalb des Sports, gehabt haben. Der ausgewertete Fall erlaubt es, Aussagen über das Verhältnis zwischen Militär und Sport beziehungsweise Turnen zu treffen. Zum einen ist durchaus zu erkennen, dass sich die historischen militärischen Wurzeln des Turnens kurz vor und während des Ersten Weltkriegs aktualisierten. Anders erscheint es kaum denkbar, dass sich die bürgerlichen Vereine überhaupt der vormilitärischen Ausbildung zuwandten und sie nicht als etwas verwarfen, das keine Verbindung zum Turnen hätte. Zum anderen wird deutlich, dass es vor allem die Vereinsleitungen und -funktionäre waren, die die militärischen Tätigkeiten begrüßten.55 Am Beispiel des für Hamburg zuständigen Gauführers der Deutschen Turnerschaft wird deutlich, dass diese Akteure noch den Vorstellungen Jahns anhingen. Die Mehrheit der Mitglieder scheint hingegen diese von Anfang an umstrittenen Ideen nicht geteilt zu haben, wie sich am Fehlschlag der Jugendkompanien zeigte. Für sie war Turnen bereits zu einem Sport und einer Freizeitaktivität geworden, die sich bei fehlender Zeit oder knappen Mitteln auch wieder beenden ließ. Sie ordneten sie also keiner politisch-militärischen Sphäre zu. Gleichzeitig ist nicht erkennbar, dass die unterstützende Rolle von Turnvereinen einen nennenswerten Einfluss auf die Entwicklung des deutschen Militärs hatte. Da sich die Einberufung nicht an den Vereinen orientierte, scheinen Turner ebenso keine Kampfgemeinschaften im Sinne von informellen »Turnercompagnien« gebildet zu haben. Hieran änderten auch die Jugendkompanien nichts, die eher ein waffenloses unpopuläres Randphänomen blieben. Schließlich spricht einiges dafür, dass viele der darin ausgebildeten Jugendlichen das seit Anfang 1916 mit der Zugehörigkeit verbundene Recht, den Truppenteil frei wählen zu dürfen, nutzten, um nicht zur an vorderster Front kämpfenden Infanterie eingezogen zu werden (Münch 2009: 50 f.).

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55

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Christoph Nübel

Leistungsfähigkeit im Erschöpfungskrieg. Das Sportfest als Indikator für militärische Organisation, Ausbildung und Leistung im Ersten Weltkrieg Einordnung Christoph Nübel analysiert die Bedeutung des Sports für das deutsche Militär im Ersten Weltkrieg. Er geht insbesondere auf die Organisation körperlicher Übungen und von Militärsportfesten ein und zeigt, wie Militärsport mit der Leistungsidee verbunden wurde. Er macht deutlich, dass Militärsport nicht nur der Ausbildung oder der Zerstreuung diente, sondern auch der Bestätigung der militärischen Hierarchie und Ordnung. Autor Christoph Nübel, Dr., ist Historiker im Forschungsbereich Militärgeschichte nach 1945 am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam. Er forscht unter anderem zur deutschen Militärgeschichte des Ost-WestKonflikts sowie des Ersten Weltkrieges und ist Redakteur der Militärgeschichtlichen Zeitschrift (MGZ).

1. Einleitung Der Erste Weltkrieg war in vielerlei Hinsicht ein Laboratorium der Moderne. Er verstärkte Entwicklungen und Trends, die sich in Gesellschaft und Militär bereits in der Vorkriegszeit Bahn gebrochen hatten und sich seit 1914 unter dem Druck des Krieges beschleunigten und transformierten. Die Forschung hat dies für zahlreiche Felder herausgearbeitet, wobei Desiderate geblieben sind. Eines dieser Desiderate betrifft die bewegten Körper im Krieg. Die wenigen vorliegenden Arbeiten haben gezeigt, dass sportliche Betätigung im Krieg einen enormen Aufschwung nahm und der Erholung, Kohäsion und Ausbildung der Truppen diente (Nübel 2021; Schlürmann 2018; Tauber 2008).1 Taktische Entwicklungen stellten hohe Anforderungen an die Soldatenkörper, weil die Anpassung an die Räume des Krieges zur Überlebensfrage wurde. Das unterstrich aus zeitgenössischer Sicht die Relevanz von Sport und Turnen, 1

Für die britische Armee, die eine ganz ähnliche Entwicklung durchlief wie die deutsche, siehe Mason/Riedi 2010.

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Christoph Nübel

die geeignet schienen, kriegsmäßige Bewegungstechniken und Charakterstärke zu vermitteln (Nübel 2014).2 Dieser Beitrag führt diese Beobachtungen zusammen und verdichtet sie zu dem Befund, dass die Körper der Soldaten als eine Kriegsressource betrachtet wurden, deren Leistungsfähigkeit über den Sieg entscheiden würde. Tatsächlich wurden die Soldatenkörper während des Ersten Weltkrieges ganz maßgeblich unter diesen Vorzeichen problematisiert. 1915 betonte der preußische Generalleutnant z.D. (zur Disposition) Ernst von Reichenau die enorme Bedeutung des Sports im militärischen Ausbildungsbetrieb. Der »gesamte praktische Dienst« habe »Einfluss auf die Hebung der körperlichen Leistungsfähigkeit«. Reichenau erklärte das leibliche Leistungspotenzial der »Waffe Mensch« zum Kern militärischer Stärke und verknüpfte somit die Möglichkeiten des Individuums mit denen des Kollektivs. »Was ist es denn auch anders, das unsere Heere vorwärts treibt von Erfolg zu Erfolg, von Heldentat zu Heldentat, als Leistungsfähigkeit in Verbindung mit offensivem Geist!« (Reichenau 1915: 33‑35). Im ersten Leitartikel der seit 1917 erscheinenden Zeitschrift »Militär-Sport« hob Generalmajor z.D. Clemens Spohn mit ähnlicher Stoßrichtung hervor, Aufgabe des Blattes sei es, »unsere gesamte bewaffnete Macht zur höchsten Leistungsfähigkeit zu fördern« (Spohn 1917/1918a: 3). Solche Aussagen sind als Teil eines Leistungsdiskurses zu verstehen, der sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts etablierte. Leistung wird von der Forschung erst seit wenigen Jahren untersucht und dabei nicht als Tatsache, sondern als Konstrukt verstanden, das auf soziale Zustände hinweist (Ricken/Reh 2018; Verheyen 2018). Leistung wurde in dieser Zeit zu einer sozialen Kategorie, die auch auf den Körper zielte. Sie wurde zunehmend vermessen und nach vermeintlich objektiven Kriterien vergleichbar gemacht. Die so ermittelte Leistungsfähigkeit galt nicht nur als Indikator für die Potenziale des Einzelnen, sondern der ganzen Gesellschaft. Sie wurde schließlich zur Grundlage der Bewertung und Regulierung von Individuen und sozialen Gruppen (Martschukat 2019: 94). Um 1900 fasste man Leistung vor allem im ökonomischen Kontext als Maßstab für Produktivität auf. Sie galt als systematisch steiger- und objektiv vergleichbar, was der aufkommende Leistungssport eindrücklich zu belegen schien. Reichenau und Spohn bringen zum Ausdruck, dass solche Annahmen auch in der bewaffneten Macht virulent waren und der Militärsport ein für den Leistungsdiskurs besonders anschlussfähiges Feld bildete (Hau 2017: 4). Unter dem Sportbegriff wird hier ein Ensemble von Leibesübungen subsumiert, das Sport, Turnen und Gymnastik einschließt. Bereits in den Quellen wurden die begrifflichen Grenzen zwischen den verschiedenen Arten körperlicher Bewegungen zunehmend undeutlich. Unterschiede wurden vor allem dann akzentuiert, wenn es darum ging, einzelnen Bewegungsdisziplinen besondere Eigenschaften zuzuschreiben. So war das Turnen mit nationalen, disziplinfördernden Qualitäten konnotiert, während der Sport als englisch galt, wegen seiner spielerischen und auf Wettbewerb angelegten Formen jedoch versprach, besonders motivierte Teilnehmer hervorzubringen. Im 2

Die körperliche Dimension der Ausbildung ist bislang kaum thematisiert worden, vgl. etwa Strachan 2002; Watson 2019.



Leistungsfähigkeit im Erschöpfungskrieg

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zeitgenössisch immer wieder aktualisierten Gegensatz zwischen Turnen und Sport spiegeln sich somit Bilder der Nation sowie unterschiedliche Konzepte des Zugriffs auf die Soldatenkörper, die das Kollektiv oder das Individuum in den Mittelpunkt rückten. Gleichwohl geriet der Sport zum Sammelbegriff für eine Reihe militärischer Trainingsdisziplinen, was nicht zuletzt der Begriff des »Sportfestes« belegt, der sich während des Ersten Weltkrieges etablierte und in den Quellen weitaus häufiger zu finden ist als das »Turnfest«. Militärsportfeste waren auf körperlicher Bewegung basierende, zeitlich und räumlich begrenzte Vorführungen, Spiele und Wettkämpfe mit mehreren Disziplinen, die im militärischen Rahmen vor Zuschauern durch- und vorgeführt wurden.3 Sie sind ein geeigneter Untersuchungsgegenstand, weil sie einen militärischen Handlungsvollzug verkörperten und damit auf Praktiken verwiesen, die mit den zeitgenössisch diagnostizierten Erfordernissen des Krieges im Zusammenhang standen. Sie veranschaulichen zugleich, dass Sport kein selbstbezogenes System, sondern ein Medium »sinnhafter Darstellung und [...] symbolischer Repräsentation« war.4 Kulturgeschichtliche Arbeiten zum Sport betonen in diesem Zusammenhang, dass »Sport als soziale Repräsentationsarbeit« (Gebauer et al. 2004: 110) zu verstehen ist. Das kam insbesondere beim Sportfest zum Tragen. Die Festforschung hat nicht nur auf die politische Aufladung der Festkultur des Kaiserreiches und der Weimarer Republik aufmerksam gemacht, sondern auch darauf, dass Feste – und gerade Sportfeste – die soziale Ordnung häufig symbolisch bestätigten (Dinçkal 2013: 175‑223; Rossol 2010; vgl. auch Maurer 2004). Turn- und Sportfeste nutzten die »expressive Dimension« des Körpers, um ihre Botschaften zu übermitteln (so in Bezug auf Rituale Rao/Köpping 2000: 22). Mit ihren regelgebundenen Wettkämpfen untermauerten sie das gesellschaftliche Ideal der Steigerung von Leistung. Damit lassen sie sich als Gegenstand für eine Sportgeschichte fruchtbar machen, die davon ausgeht, dass die Erforschung der Körperbewegung und damit des Sports ein Schlüssel zur Analyse sozialen Handelns ist (Alkemeyer 2004; Eisenberg 2002: 15; Stieglitz/ Martschukat 2016). Der Erste Weltkrieg entwickelte sich zu einem Material- und Erschöpfungskrieg. Das Militär war daher bestrebt, die dadurch bedrohte militärische Leistungsfähigkeit zu erhalten und performativ immer wieder zu bestätigen. In diesem Kontext sind Militärsportfeste zu verorten, die dieser Beitrag heranzieht, um die Organisation des Sports als Teil des Ausbildungsbetriebs sowie die der Leistung zugeschriebene Relevanz im deutschen Heer während des Ersten Weltkrieges zu untersuchen. Militärsportfeste dienten dazu, Hierarchien und Disziplin in der bewaffneten Macht zu festigen und den Sport als erweitertes Ausbildungsmittel zu nutzen und zu pro3

4

Die Untersuchung muss sich auf Militärsportfeste der aktiven und Ersatztruppen des Heeres beschränken; auf ähnlich gelagerte Veranstaltungen in der Marine (Schlürmann 2018), in Kriegsgefangenenlagern und Genesungsanstalten (Hau 2017: 42-48) kann nicht eingegangen werden. Die hier angestellten Beobachtungen werden auf das gesamte deutsche Heer bezogen, da die Ausbildung in den einzelnen Kontingentsarmeen weitgehend vereinheitlicht war. Auf mögliche Besonderheiten in Bayern, Preußen, Sachsen und Württemberg kann im Rahmen dieses Aufsatzes nicht eingegangen werden. Wolfram Pyta, zit. nach Dinçkal 2013: 16.

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Christoph Nübel

pagieren. Sie wurden als Beleg für die beinahe unerschöpflichen Kapazitäten des deutschen Heeres herangezogen, das – so die Auffassung – auch im Materialkrieg leistungsfähig blieb und keine Ermüdungserscheinungen zeigte. Um die Soldaten zu Höchstleistungen in solchen Disziplinen anzuspornen, die einer kriegsnahen Ausbildung nahekamen, waren Militärsportfeste hauptsächlich als Wettkämpfe angelegt. Dabei ist, analog zu zivilen Sportveranstaltungen, eine Professionalisierung des Sportbetriebs im Militär zu beobachten. Das Beispiel der Militärsportfeste macht deutlich, dass der Sport in den deutschen Armeen bereits in der Vorkriegszeit eine teilweise elaborierte, mitunter sogar durch eigens dafür bestimmte Sportoffiziere geschaffene Organisation aufwies. Während des Krieges knüpfte die bewaffnete Macht nahtlos an solche in der Friedenszeit geschaffenen Strukturen an – eine Entwicklung, die in der Forschung bislang unterbelichtet geblieben ist (Kapitel 2: Organisation).5 Sportoffiziere koordinierten die im Rahmen von Militärsportfesten aufgeführten, zunehmend kriegsmäßig gestalteten, verregelten und kodifizierten Disziplinen, die eine große Nähe zum sonstigen Ausbildungsbetrieb auszeichnete und deren Tableau erweiterten (Kapitel  3: Ausbildung). Militärsportfeste sollten eine möglichst große Zahl von Soldaten mobilisieren und zu körperlicher Betätigung anhalten. Zugleich deuten die Vermessung der Ergebnisse, die Berichterstattung sowie die wachsende Teilnahme von Leistungssportlern darauf hin, dass Militärsportfeste professionalisiert und als Repräsentationen militärischer Leistungsfähigkeit konzipiert wurden (Kapitel  4: Leistung).

2. Organisation In der Vorkriegszeit vermochte sich der Sport in den deutschen Armeen zunächst nur schrittweise durchzusetzen. Er traf auf Vorbehalte von Anhängern des Turnens, die neben einer einhundertjährigen Tradition das Argument ins Feld führten, die mit dem deutschen Nationalempfinden einhergehende Art der Leibesübungen zu vertreten. Unter den Ausbildern bestanden teilweise ebenfalls Vorbehalte, sodass die hergebrachten, mit Exerzieren und Drill kompatiblen Bewegungsformen weiterhin verbreitet gewesen sein dürften (Tauber 2008: 132). Gleichwohl findet sich eine Reihe von Belegen dafür, dass die bewaffnete Macht für sportliche Prinzipien durchaus offen war. So hielt die Turnvorschrift für die Infanterie von 1910 dazu an, das »Turnen« weniger formal, sondern wenn möglich »zwanglos und ohne exerziermäßigen Drill« zu gestalten. Sie führte Spiele in den Ausbildungsplan ein und enthielt sogar das Regelwerk des Fußballs.6 Die begrifflichen Grenzen zwischen den verschiedenen Arten der körperlichen Bewegungen verwischten also mehr und mehr. Sie wurden vor allem dann aktualisiert, wenn es darum ging, einzelnen Bewegungsdisziplinen besondere Eigenschaften zuzuschreiben. Das deutsch-nationale Turnen sollte dem5

6

Damit ist der Befund Taubers, dass »eine Koordinierung des Sportbetriebs und eine entsprechende durchorganisierte Instrumentalisierung des Sportbetriebs durch das Militär zumindest bis 1918 nicht stattfand«, zumindest zu differenzieren, Tauber 2008: 243 f. Dazu ausführlich Nübel 2021. Turnvorschrift für die Infanterie (Entwurf ), D.V.E. Nr. 302, Berlin 1910, Ziff. 3.



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nach disziplinfördernde Qualitäten besitzen, wohingegen der spielerisch-englische Sport als wettkampforientiert galt. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg gab es Turnvorführungen und sportliche Wettkämpfe vor teils zivilem Publikum, die mit Beteiligung oder auf Initiative des Militärs stattfanden. Beim Turnfest auf der Berliner Hasenheide traten 1911 Angehörige des Gardekorps an. Während des Deutschen Turnfestes 1913, das zum Zentenarium der Völkerschlacht in Leipzig stattfand, war mit dem Hindernislauf eine militärische Disziplin präsent. Zum 100.  Regimentsjubiläum richtete das Infanterieregiment Nr.  16 ein Fußballspiel zwischen einer Regimentsauswahl und einer zivilen Vereinsmannschaft aus, das von zahlreichen Zuschauern besucht wurde (Kortegarn 1913: 92 f.; Moroff 1918: 61‑64; Rossow 1918: 40‑43; ). Maßgeblich befördert wurde das Engagement des Militärs auf dem Feld der körperlichen Bewegung und sportlicher Festveranstaltungen durch die Olympischen Spiele, die für 1916 an das Deutsche Reich vergeben waren. Hier gute Leistungen zu zeigen, war eine Frage nationalen und militärischen Prestiges. Deshalb genehmigte eine preußische Kabinettsorder vom 19. Juni 1913 Militärangehörigen die Teilnahme an Turnund Sportveranstaltungen; das Bayerische Kriegsministerium war mit einem Erlass vom 31. März 1911 vorausgegangen. Auch die deutschen Offizierwettkämpfe 1914 standen ganz unter olympischen Vorzeichen, ebenso wie das erste Armee-Sportfest, das vom 6. bis 8. Juni 1914 im Deutschen Stadion im Grunewald stattfand und das als jährlich wiederkehrende Veranstaltung konzipiert war (Tauber 2008: 132; M. 1914: Sp. 141‑144; Court 2008: 152).7 Die Etablierung des Sports in der bewaffneten Macht ist als Teil staatlicher Bemühungen in der Vorkriegszeit zu sehen, den als national bedeutsam aufgefassten Sport zu unterstützen, was unter anderem in Schulen und Vereinen erfolgte (Hau 2017: 23). Öffentliche Turn- und Sportveranstaltungen wurden bereits in diesen Jahren als zweckmäßig angesehen, um die Begeisterung für Körperbewegung in militärischem Sinne zu fördern. Das Spiel um die Fußballmeisterschaft des Gardekorps am 22. Juni 1913 war deshalb als »Propagandaspiel« angelegt und sollte Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften für den Fußballsport begeistern. Der Austragungsort war dafür sehr prominent gewählt: Der Wettkampf fand im erst wenige Tage zuvor im Rahmen des 25-jährigen Regierungsjubiläums Kaiser Wilhelms II. eingeweihten Deutschen Stadion im Grunewald statt. Das Militär stärkte den Fußball nicht, weil es ihn als geeignetes Freizeitvergnügen für gelangweilte Uniformträger sah, sondern weil er die von den Soldaten geforderten Fähigkeiten zu vermitteln versprach: »Die körperlichen Übungen [...] können nicht als Selbstzweck betrachtet werden. Sie sind aber der Truppe ein willkommenes Mittel, Kraft, Gewandtheit und Selbstvertrauen zu mehren« (Kortegarn 1913: 95 f.). Während des Krieges bildete sich ein auf den Vorkriegserfahrungen basierendes, zunehmend ausdifferenziertes und weitverzweigtes Organisationssystem des Sports aus, das auch die Sportfeste prägte. Diese Veranstaltungen wurden dem »Einerlei des Stellungskrieges« entgegengesetzt. Nach zeitgenössischer Auffassung hatte der Aufenthalt in den Schützengräben durchweg negative Auswirkungen auf Habitus, 7

Vgl. auch: Erlass des Preußischen Kriegsministeriums vom 10.12.1913, Heck 2011: 420.

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Christoph Nübel

Moral und körperliche Konstitution der Truppe (Rossow 1918: 43). Diesen abträglichen Bedingungen hoffte die militärische Führung durch Leibesübungen begegnen zu können. So wies der Chef des Generalstabes des Feldheeres bereits im November 1914 an, »die Stimmung der Truppen frisch zu erhalten« und dafür auch »die sportliche Betätigung der in hinterer Linie stehenden Truppen ins Auge zu fassen« (Reichsarchiv 1926: 481). Fronttruppen müssten, so betonte die militärische Sportpublizistik, »nach den steif machenden Anstrengungen des Grabenlebens ihre Mannschaften« durch Bewegung wieder »auffrischen und ermuntern« (fpw 1918: 20).8 Militärsportfesten wurde somit ein unmittelbarer Nutzen für die Kriegführung zugeschrieben, ein Umstand, der die »Sportfreundlichkeit« der »höheren Kommandostellen« erklärt (de 1918: 27). Militärsportfeste unterlagen einem militärischen Primat. Das zeigte sich auch in ihrer Organisation, die unter Rückgriff auf Hierarchien und Infrastrukturen der bewaffneten Macht geschah. Die Ausgestaltung der Veranstaltungen lag damit in der Hand von Offizieren. Eindrückliches Beispiel dafür ist ein Erlass des Preußischen Kriegsministeriums vom Juni 1918, der die Armee zur Ausrichtung von Militärsportfesten ermutigte.9 Damit unterstützte er eine bereits vorhandene, breite Entwicklung: Die ersten Militärsportfeste sind bereits 1915 im Deutschen Reich sowie im Hinterland der Westfront nachweisbar – ein Beleg dafür, dass das Ende des Bewegungskrieges gute Bedingungen bot, solche Veranstaltungen durchzuführen.10 Während des Krieges fanden Sportfeste an allen Fronten und auf allen Ebenen der militärischen Hierarchie – von der Kompanie bis zur Armee – statt, wobei Regimentssportfeste am häufigsten dokumentiert sind. Das lag zum einen daran, dass sie der Berichterstattung von Umfang und Ausgestaltung her Wert waren. Zum anderen bildeten Regimenter den wesentlichen Identifikationsrahmen für die Soldaten, der durch solche Veranstaltungen und Berichte gestärkt werden sollte. Wie häufig und in welchem Umfang diese Feste stattfanden, wird sich letztgültig kaum klären lassen. In den Quellen finden sich jedoch Hinweise darauf, dass es sich bei Militärsportfesten im Ersten Weltkrieg keineswegs um ein marginales Phänomen handelte. Im November 1917, also in einer eher ungünstigen Jahreszeit, berichtete »Militär-Sport« über sieben, im August 1918 über 18 Militärsportfeste im deutschen Heer (Militär-Sport, 1/1917/18: 51‑54; Militär-Sport, 2/1918: 182‑185).11 Ein Bataillon richtete 1916 und 1917, sofern der Einsatz es erlaubte, »fast alle 14 8 9 10

11

Ähnlich Militärisches Sportfest in F., Beilage zum Champagne-Kamerad, Nr. 47, 5.11.1916 (Rossow 1918: 43). Vgl. Vom Sport im Heere, Kriegs-Zeitung der 7. Armee Nr. 365, 11.8.1918. Das erste Sportfest des stellv. Generalkommandos III. bayer. Armeekorps fand am 29.8.1915 in Nürnberg statt (Moroff 1918: 63). Westfront: Reserveinfanterieregiment (RIR) 210 am 28.9.1915 in der Nähe von Antwerpen (Ritter 1916: 94); ähnliche Aktivitäten eines anderen RIR bei Lille in: Turnfest in Wahagnies, Liller Kriegszeitung, Nr. 16, 16.9.1915; das Fest eines Bataillons 1915 in: Vorbereitungen und Erfahrungen bei einem Militärsportfest. In: Militär-Sport, 1 (1917/18), 4, 66 f. Zum Stellungskrieg als Voraussetzung für den Militärsportbetrieb an der Ostfront: Mees 1917/1918: 21. Die vierzehntägig erscheinenden Hefte deckten keinen bestimmten Berichtszeitraum ab. Um berichten zu können, war die Redaktion auf Hinweise der Veranstalter angewiesen (vgl. Wiedemann 1918a, 271), sodass die Zahl der tatsächlich durchgeführten Militärsportfeste größer war, als die Zeitschrift abbilden konnte.



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Tage« kleinere Wettkämpfe aus, ein anderes hatte bis zum Sommer 1918 vier Feste veranstaltet (Mees 1918: 184).12 Im Bereich des bayerischen III. Armeekorps fanden allein zwischen April und Juni 1916 drei größere Sportfeste statt (Moroff 1918: 73). Zur Größe der Veranstaltungen liegen nur vereinzelte Angaben vor, die allenfalls Annäherungen, jedoch kein abschließendes Urteil über die Teilnehmerzahlen zulassen. Bei einem Regimentssportfest gingen 1917 beispielsweise 381 Meldungen zu Einzelwettbewerben, 32 zu Mannschaftskämpfen und 42 für das Geräteturnen ein. Legt man die etatmäßige Kriegsstärke von 3290 Mann zugrunde, dann haben sich etwa 14 Prozent der Regimentsangehörigen sportlich an der Veranstaltung beteiligt. Dazu dürften zahlreiche Soldaten zu zählen sein, die als Zuschauer anwesend waren (Vorbereitungen 1917/18: 67).13 Bei einem Sportfest auf Korpsebene wurden 757 »Wettkämpfer« verzeichnet (Moroff 1918: 64). Nicht an einzelne Truppenteile gebundene Großveranstaltungen wie das Sportfest der Etappeninspektion 3 in Sedan oder die »Kampfspiele« der Deutschen Sportvereinigung Brüssel verzeichneten 1918 ebenfalls mehrere hundert Teilnehmer, aus Sedan wurde sogar von über 8000 Zuschauern berichtet.14 Die Organisation der Militärsportfeste übernahmen Sportoffiziere, die als »sportsachverständige Stellen« (de 1918: 27) im Militär fungierten. Diese Sachverständigen lassen sich bereits in der Vorkriegszeit finden. So tat spätestens seit 1913 auf der kaiserlichen Yacht »Hohenzollern« ein Sportoffizier Dienst (Tauber 2008: 136). Im Mai 1913 begann ein Major mit Ermächtigung des Generalkommandos des III. bayerischen Armeekorps in Nürnberg eine Sportorganisation aufzubauen, wobei er wesentlich auf Erfahrungen und Infrastrukturen ziviler Vereine zurückgriff. Während des Krieges setzte sich diese Arbeit nicht nur bei diesem stellvertretenden General­ kom­mando fort, um Ersatzmannschaften auch mithilfe ziviler Sportvereine auszubilden. Im September 1915 wurde der beratende Sportoffizier vom stellvertretenden Generalkommando des III. bayerischen Armeekorps mit der einheitlichen Leitung des Sports im Korpsbezirk betraut. Zugleich wurden alle unterstellten Truppenteile beauftragt, ebenfalls Sportoffiziere zu benennen. Solche Sportoffiziere, die im Frontoder Heimatgebiet Dienst taten, brachten häufig als aktive Turner, Sportler oder Vereinswarte Vorerfahrungen mit (Moroff 1918; Rossow 1918: 43). Teilweise handelte es sich aber einfach um sportbegeisterte Offiziere, deren Initiative aufgefallen war und von Vorgesetzten gefördert wurde (Mees 1917/1918: 21). Die Aufgaben der Sportoffiziere waren vielfältig: Sie konzipierten, organisierten und beaufsichtigten den Militärsport als Ausbildungsergänzung, berieten ihre Kommandeure, hielten Kontakt zur Militärverwaltung sowie zu zivilen Stellen des Standorts, die 12 13

14

Das vierte Militär-Sportfest des II. Ersatz-Batls. Res.-Inf.-Regts. Nr. 104. In: Militär-Sport, 2 (1918), 15/16, 184. Vorbereitungen und Erfahrungen bei einem Militärsportfest. In: Militär-Sport, 1 (1917/18), 4, 66 f. (wie Anm. 10), 67. Eine »Massenbeteiligung« verzeichnete ein Regimentssportfest, weshalb Ausscheidungswettkämpfe nötig gewesen seien. Zur Hauptveranstaltung seien gleichwohl »noch über 300 Meldungen« eingegangen, Ein Sportfest im Felde. In: Militär-Sport, 2 (1918), 182. Brüssel: »nicht ganz 400 Teilnehmer«, Große Kampfspiele in Brüssel, Militär-Sport, 2 (1918), 182. Sedan: 614 Teilnehmer an Mannschafts-, 453 an Einzelwettkämpfen, Das Sportfest zu Sedan, Champagne-Kamerad, Nr. 148, 13.10.1918.

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Abbildung 1: Zeitgenössischer Vorschlag für den Aufbau eines Sportplatzes, aus: Anleitung zur Anlage einer Hindernisbahn nebst Anweisung der besten Überwindungsart. Fechtgerüst, Handgranatenübungsstand und Sportplatz, Berlin 1917, Nr. 31. ZMSBw Bibliothek

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Infrastrukturen bereitstellen konnten, und fungierten so als Mediatoren des Sports in der bewaffneten Macht. Zu einer wesentlichen Aufgabe der Sportoffiziere zählte die Ausrichtung von Militärsportfesten, in denen sich zahlreiche Elemente des genannten Aufgaben­ spektrums bündelten. Sie konnten einen improvisierten oder sehr professionellen Charakter haben. Sportoffiziere betonten in ihren Erfahrungsberichten, dass eine langfristige und sorgfältige Vorbereitung bei größeren Veranstaltungen unabdingbar sei.15 Diese Arbeiten umfassten zunächst die Ausschreibung und Bekanntgabe des Vorhabens, die mehrere Wochen vorher über den militärischen Dienstweg in die einzelnen Truppenteile hinein erfolgte, um diesen genügend Zeit für die Aus­wahl und das vorbereitende Training der Soldaten zu geben. Im Verlauf des Krieges entwickelte sich sogar ein umfassendes Wettkampfsystem. Den großen Korps- oder Armeesportfesten wurden einzelne Ausscheidungen auf Divisions- und Regimentsebene vorgeschaltet, deren beste Teilnehmer dann im großen Rahmen antreten durften. Zu einzelnen Sportfesten wurden sogar Einladungen an sämtliche Front- und Besatzungstruppen verteilt.16 Solche Großereignisse banden damit erhebliche Kapazitäten, verursachten eine umfassende Reisetätigkeit und bildeten vor allem Spitzenleistungen ab. In einigen Beiträgen wurden diese Auswüchse jedoch bemängelt und gefordert, Feste vor allem auf Kompanieebene durchzuführen, um Ressourcen zu sparen und möglichst alle Soldaten teilnehmen zu lassen. Während der Vorbereitung von Militärsportfesten erledigten Sportoffiziere eine ganze Reihe weiterer Aufgaben. Je nach Veranstaltungsgröße mussten sie unter anderem den Druck von Eintrittskarten, Programmzetteln und Werbeplakaten veranlassen, Preise und Urkunden bereitstellen sowie das Organisationspersonal einteilen. Da diese Arbeiten von einer Person allein kaum erledigt werden konnten, bildete sich häufig ein eigener Organisationsstab, der auch die »Schlag auf Schlag erfolgende Abwicklung« des Festes überwachte, da »Pünktlichkeit« nicht nur »wertvolle erzieherische Nachwirkungen zeitigt«, sondern auch den geregelten Ablauf der Veranstaltung gewährleistete (Wiedemann 1918a: 273). In ihrem Programm unterschieden sich die einzelnen Militärsportfeste zwar voneinander, im Wesentlichen setzten sie sich aber aus fünf Bestandteilen zusammen: erstens einer feierlichen Eröffnung, oft mit Ansprache des Kommandeurs oder Sportoffiziers; zweitens einem sportlichen Teil mit Wettkämpfen, Spielen und Turnübungen; drittens den Wettbewerben mit peripher sportlichem Charakter wie Sackhüpfen oder Kegeln; viertens der Abschlusskundgebung mit Preisverleihung und fünftens Feierlichkeiten mit Ausschank alkoholischer Getränke und unter Einschluss von auch scherzhaften Schauspieleinlagen sowie dem Spiel einer Kapelle. Für Militärsportfeste musste eine umfangreiche Infrastruktur bereitgestellt werden. Da oftmals auch an den heimischen Garnisonstandorten keine geeigneten Plätze vorhanden waren, griff man auf kommunale und Vereinsanlagen zurück 15

16

Dieser Abschnitt basiert – von einzelnen Nachweisen abgesehen – auf folgenden Erfahrungsberichten: Mees 1917/1918; Vorbereitungen und Erfahrungen bei einem Militärsportfest. In: MilitärSport, 1 (1917/18), 4, 66 f. (wie Anm. 10); fpw 1918; Moroff 1918; Wiedemann 1918a. Das Sportfest zu Sedan, Champagne-Kamerad, Nr. 148, 13.10.1918 (wie Anm. 13); vgl. Zum Wetturnen, Liller Kriegszeitung, Nr. 9, 26.8.1916.

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oder legte eigene Plätze an, die dem Vorbereitungstraining dienten und auch für die Ausbildung genutzt wurden (Wiedemann 1917/1918: 9 f.). Die Sportplätze waren auf die Ausübung verschiedener Disziplinen ausgerichtet und konnten je nach Größe Laufbahnen, Wurfstände, Sprung- und Hindernisbahnen sowie Freiflächen für Turnvorführungen oder Ballspiele beherbergen. Ergänzend fanden sich beispielsweise ein Zuschauerbereich, eine Ehrentribüne, Umkleiden und Sanitäranlagen. Beim Bau der Sportstätten wurde häufig improvisiert. In der späteren Kriegsphase entstanden in der Heimat wie im besetzten Gebiet zunehmend komplexere Anlagen, die gemäß zirkulierender Bauanleitungen (Abbildung 1) standardisiert und teils sogar nach den Bestimmungen der Deutschen Sportbehörde für Athletik erbaut wurden. Der Erste Weltkrieg spiegelte damit die Dynamik im Sportplatzbau seit 1900 (Dinçkal 2013: 27 f.). Auch die Wettbewerbe folgten vermehrt Regularien wie jenen des Zentral­aus­schusses für Volks- und Jugendspiele. Diese Maßnahmen unterstreichen die zunehmende Institutionalisierung und Bedeutung des Sports im Militär, die sich auch im Periodikum »Militär-Sport« bemerkbar machte. Es berichtete nicht nur über die Konjunktur des Sports in der bewaffneten Macht, sondern veröffentlichte auch Erfahrungsberichte von Sportoffizieren, die als Handreichungen für die militärische Sportpraxis dienten. In diesen Entwicklungen werden die Vereinheitlichung und Professionalisierung des Militärsports erkennbar, die auf eine Objektivierung und Vergleichbarkeit der dargebotenen Leistungen zielten sowie auf eine angemessene Repräsentation der Vorführungen und Wettbewerbe. Die Sportoffiziere sollten auf den geregelten und disziplinierten Ablauf der Veranstaltung achten, um sie zum Sinnbild militärischer Ordnung und Stärke zu machen, um das Publikum nicht zu langweilen und um den Ausbildungszweck zu erfüllen.

3. Ausbildung Leibesübungen wurden von den hier untersuchten Vertretern der bewaffneten Macht grundsätzlich nicht als Selbstzweck, sondern unter militärischem Primat betrachtet. Im Vergleich zum Turnen und zur Gymnastik, die seit der Mitte des 19. Jahr­ hunderts in der preußisch-deutsche Armee praktiziert wurden, erweiterte der Sport das Tableau der Ausbildungsmöglichkeiten noch einmal erheblich (Nübel 2021; Schiers 2015). Bereits vor Beginn des Ersten Weltkrieges hofften in Militärmedizin und Ausbildungsbetrieb tätige Offiziere, dass die spielerischen Elemente und die Wettkampfmerkmale des Sports die Mannschaften zur Bewegung motivieren würden. Er sei durchaus geeignet, »ein Gegengewicht gegen die Gleichförmigkeit des eigentlichen Exerzierens zu schaffen und damit die Dienstfreudigkeit zu erhöhen« (Schwiening 1911: 402). Auch die Turnvorschrift bezeichnete Spiele als ein »Hilfsmittel für die militärische Erziehung und Ausbildung des Soldaten«, weil damit »Mängel in der körperlichen Entwicklung des Mannes beseitigt oder doch



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gemildert, Kraft und Gelenkigkeit, Körperbeherrschung und gute Haltung, Mut, Selbstvertrauen und Opferwilligkeit erweckt und gefördert« würden.17 Während des Krieges galt es, sämtliche Trainingsmöglichkeiten auszuschöpfen, weil die Gefechtstaktik einem steten Wandel unterworfen war und der ständig nachrückende Kriegsersatz einer angemessenen und effektiven Ausbildung bedurfte. Nun wurde der Sport zu einem allgemein anerkannten Ausbildungsmittel. Die Oberste Heeresleitung machte im September 1916 deutlich, dass die »Ruhezeit« zwar zur »Erholung der Leute« da sei, zugleich aber auch der »intensivsten Ausbildung der Truppe« diene. Dabei sei keine »Weichheit« angebracht, sondern besonderes Augen­ merk auf die »Stählung des Körpers« zu legen. »Neben den rein militärischen Übungen verweise ich hierbei auf die hohe Bedeutung der Sportsspiele.«18 Diese Verfügung erklärte den Sport zum Mittel des Ausbildungsbetriebes und unterstrich seine militärische Relevanz, auf die im Jahr zuvor bereits Generalleutnant z.D. von Reichenau in einem Aufsatz hingewiesen hatte: Sport sei ein »vorzügliches Mittel, um das Endziel aller Ausbildung, ein möglichst hohes Maß von Schlagkraft mit größerer Sicherheit zu erreichen«. Reichenau erkannte jedoch wie andere Offiziere auch die Ambivalenz des Sports, der einerseits Elemente freiheitlicher Ermöglichung enthielt und andererseits zur Verregelung strebte. Deshalb betonte er die Notwendigkeit, das motivierende Moment des Sports zu nutzen und ihn gleichzeitig eng an den Organisationszweck der bewaffneten Macht zu binden. »Der Sport tritt [...] einfach in die Reihe der Ausbildungsgegenstände ein. Wie überhaupt, haben auch hier die Offiziere die Leitung zu übernehmen« (Reichenau 1915: 34, 36). Reichenaus Diagnosen und Postulate erwiesen sich als durchaus zutreffend und wurden in der militärischen Praxis während des Krieges verwirklicht, wie sich anhand der Sportfeste belegen lässt. Die vorliegenden Berichte über Militärsportfeste des Ersten Weltkrieges zeigen, dass bei ihnen militärische Disziplinen im Zentrum standen. Der Soldat und spätere Historiker Gerhard Ritter berichtete, dass man beim Sportfest seines Regiments im Frühherbst 1915 »vor allem« solche »Gebiete körperlicher Betätigung« vorführte, »die für den Feldsoldaten wichtig sind« (Ritter 1916: 94). Sie wurden während der Militärsportfeste indes durch Austragungen ergänzt, die eher peripher militärischen Charakter hatten, aber den Korpsgeist stärkten, vom Krieg ablenkten und der Unterhaltung dienten. Dazu zählten Kegeln, Sackhüpfen und sogar Eierlaufen. Solche »Scherzwettbewerbe« (dazu Wiedemann 1918a: 204) erfüllten einen weiteren wichtigen Zweck, denn die Feste sollten nicht nur Sportbegeisterte, sondern auch ältere Landsturmmänner ansprechen und Ungeübte an den Sport heranführen (Abbildung 2). Scherzdisziplinen bildeten einen notwendigen Randbereich von Militärsport­ festen, keineswegs aber deren Kern. Stattdessen glichen Veranstaltungsberichte teilweise einem Auszug aus dem Ausbildungskatalog. Während des Sportfests des Infanterie­regiments  94 wurden im Sommer 1916 Wettlauf, Weitsprung, Stein­ stoßen, Tau­ziehen und Stafettenlauf gezeigt, während andernorts bereits explizit 17 18

Turnvorschrift für die Infanterie (Entwurf ). (D.V.E. Nr. 302), Berlin 1910, Ziff. 2. (wie Anm. 6). Verfügung vom 29.9.1916, zit. n. Kriegsgeschichtlichen Forschungsanstalt des Heeres 1939: 54.

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Abbildung 2: »Scherzwettbewerb« bei einem Militärsportfest: »Sacklaufen auf dem Sportfest des I/206 im Schwarzburglager«, 1917. Ausschnitt aus: Fotoalbum Leutnant Alfred Brandenburg, Zwischen Maas und Mosel. europeana.eu

kriegsnahe Wett­be­werbe wie Handgranatenwerfen durchgeführt wurden.19 Solche Beispiele belegen, dass der Primat des Militärischen bei Sportfesten bereits in der ersten Kriegshälfte sichtbar war. Im Kriegsverlauf trat er immer deutlicher hervor. Handreichungen zur Organisation von Militärsportfesten betonten, dass sie »nur Übungen bringen« dürften, »die dienstlichen Wert haben und den Dienstbetrieb fördern«. Eine »besondere Bedeutung« sei »der sportlichen Austragung rein militärischer Betätigungen beizumessen« (Wiedemann 1917/1918: 180).20 Die heute bekannteste der kriegsmäßigen Disziplinen ist sicherlich das Hand­ granatenwerfen, das bereits früh ein etablierter Bestandteil von Militärsportfesten war, allerdings im Kriegsverlauf zunehmend professionalisiert wurde. Während 1915 noch das »Handgranatenwerfen nach den Puppen unserer Feinde« erfolgte,21 warf man später vor allem auf neutrale Ziele. Ein Beitrag in »Militär-Sport«, der Erfahrungsbericht und Handreichung zugleich war, riet 1918 von Zielpuppen und ähnlichem Mummenschanz ab, denn das gefährde den »Ernst, der doch den ge19

20

21

Sportfest III/94 am 24.7.1916, Patrouillen-Zeitung Inf. Regt, Groß-Herzog v. Sachsen (5. Thüring.), Nr. 94, Nr. 188, 28.7.1916. Handgranaten: Turnfest in Wahagnies, Liller Kriegszeitung, Nr.  16, 16.9.1915 (wie Anm.  10); Sport im Felde, Beilage zum Champagne-Kamerad, Nr.  37, 27.8.1916. Ähnlich auch die »Anregungen für abzuhaltende Sportfeste« in: Anleitung zur Anlage einer Hindernisbahn nebst Anweisung der besten Überwindungsart. Fechtgerüst, Handgranatenübungsstand und Sportplatz, Berlin 1917 (wie Anm. 17). Turnfest in Wahagnies, Liller Kriegszeitung, Nr. 16, 16.9.1915 (wie Anm. 10).



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samten militärischen wie auch sportlichen Übungen innewohnt«.22 Dessen Autor, Sportoffizier beim stellvertretenden Generalkommando des XIX.  Armeekorps in Leipzig, propagierte stattdessen ein kriegsmäßiges Werfen, bei dem er die Subdisziplinen Weit- und Zielwurf unterschied. Er empfahl, das Werfen »gegen sichtbare und nicht zu sehende Gegner« zu üben und dabei letzteres in den Mittelpunkt zu stellen, da es »entschieden das schwerere ist«. Um die Wettkämpfe feldmäßig zu gestalten, riet er, mit Gasmaske, voller Ausrüstung oder im Kriechen zu werfen . Andere Autoren legten den Fokus allerdings eher auf objektive Parameter sportlichen Wettbewerbs; sie wollten die Soldaten an einem professionellen Wurfstand ähnlich wie beim Kugelstoßen sowie mit 15  Metern Anlauf antreten lassen (Wiedemann 1918a: 260).23 Neben dem Handgranatenwerfen existierte eine Vielzahl an genuin militärischen Wettkampfdisziplinen, die bei Militärsportfesten als Ausbildungsergänzung durchgeführt wurden, beispielsweise Hindernislauf, Gepäckmarsch, Schützenlauf (mit Ausrüstung und Gewehr) oder Läufe mit Gasmaske. Neben diese infanteristischen Übungen traten solche, die für einzelne Waffengattungen besonders einschlägig waren, so das Hindernisfahren bespannter Kanonen und Haubitzen oder das In-Stellung-bringen von Minenwerfern.24 Damit spiegelten die Militärsportfeste die Differenzierung und Spezialisierung, welche die Armee im Ersten Weltkrieg durchlief.25 Ein Sportoffizier der Feldartillerie forderte 1918, »das Ausschreiben rein-militärischer Übungen möglichst individuell zu gestalten, auf Anforderungen, die der Dienst der eigenen Waffe bedingt, sportlich hin- und vorzuarbeiten«. Dazu hielt er die Empfehlung bereit, Geschütze im Wettkampf vorbringen und richten zu lassen. Darüber hinaus hatte er einen Munitionsstaffellauf entwickelt, bei dem die 50 Pfund schweren Körbe mit Artilleriegeschossen über 5 x 50 m oder sogar 5 x 100 m bei aufgesetzter Gasmaske transportiert wurden. »Wer aus Erfahrung weiß, wie wichtig es ist, z.B. bei der Abgabe von Sperrfeuer eine dauernde Versorgung des Geschützes mit Munition zu erreichen, [...] der wird den praktischen Wert dieses Wettbewerbes hoch genug einschätzen können« (Wesemann 1918: 256). Während dieser Vorschlag sportlichen Wettkampf mit kriegsnaher Ausbildung verband, nahmen manche Sportfeste einen teilweise manöverartigen Charakter an. 1918 führte ein Bataillon des Reserveinfanterieregiments 104 vor 4500 Zuschauern in Burgstädt sogar einen Sturmangriff auf Stellungen vor, bei dem auch ein Flieger zum Einsatz kam.26

22 23

24 25 26

Dazu und zum Folgenden: Chemnitz 1918. Skizzen zur Anlage sportorientierter oder kampfmäßiger Handgranatenstände in Anleitung zur Anlage einer Hindernisbahn nebst Anweisung der besten Überwindungsart. Fechtgerüst, Handgranatenübungsstand und Sportplatz, Berlin 1917, Nr. 30 (wie Anm. 17). Sportfest der Division von Davans, Liller Kriegszeitung, Nr. 111, 27.6.1918. Zur Relevanz der »Sonderausbildungszweige« siehe Ausbildungsvorschrift für die Fußtruppen im Kriege (AVF). Entwurf, o.O. 1917, Ziff. 5. Das vierte Militär-Sportfest des II. Ersatz-Batls. Res.-Inf.-Regts. Nr. 104. In: Militär-Sport, 2 (1918), 15/16, 184.

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4. Leistung Solche kriegsmäßigen Angriffsübungen mochten auf den ersten Blick wenig mit einem engen, auf kompetitiv angelegten Disziplinen basierenden Sportverständnis zu tun haben (Eisenberg 2002: 7). Da jedoch die Anforderungen des Fronteinsatzes gemeinhin mit denen des Sports gleichgesetzt wurden, bildeten solche Vorführungen, mehr aber noch kriegsmäßige Wettkämpfe aus zeitgenössischer Sicht einen selbstverständlichen Bestandteil von Militärsportfesten, die den Zuschauern die Leistungsfähigkeit der deutschen Truppen vor Augen führten. Die Analogie von Krieg, Sport und Leistung veranschaulicht ein Beitrag von Generalmajor z.D. Spohn, Herausgeber der Fachzeitschrift »Militär-Sport«, aus dem Jahr 1917: »Noch niemals ist die Bedeutung des Sports für das Heer so stark hervorgetreten wie im Verlauf des gegenwärtigen Weltkrieges, der auf jedem Gebiet ohne Ausnahme sportliche Leistungen in der Vollendung fordert.« So sei ein erfolgreicher Stoßtruppangriff, der nur von Männern mit besonderer »körperlicher Gewandtheit und Geschmeidigkeit« durchgeführt werden könne, eine »enorme Leistung« (Spohn 1917/1918b: 63  f.; vgl. Mees 1917/18: 21). Auch Carl Diem, der gleichermaßen als Generalsekretär des Deutschen Reichsausschusses für Leibesübungen wie als Soldat Erfahrungen in Sportorganisation und Krieg vorweisen konnte, erkannte im Prinzip sportlicher und militärischer Leistung keinen Unterschied, sondern begrüßte die aus seiner Sicht positiven Wirkungen des Sports, der die Schlagkraft der Armee verbessere. »Wird der Einzelne in seinen Leistungen gehoben, so hebt sich der Durchschnitt und erfaßt der Sport die Masse, dann steigt die Leistung der Allgemeinheit, worauf es beim Volksheer am meisten ankommt« (Diem 1917/1918: 5). Die analysierten Berichte über Militärsportfeste waren stark von einer Leistungs­ semantik geprägt, was darauf hindeutet, dass diese Veranstaltungen als Indikatoren militärischer Leistungsfähigkeit verstanden wurden.27 Sie sollten die Soldaten dazu motivieren, eine ganze Reihe von Ausbildungszielen effektiv zu verwirklichen. Die Anwesenheit von Zuschauern mochte ebenso wie sozialer Druck aus dem Kameradenkreis dazu beitragen, dass die Teilnehmer besonders gute Leistungen präsentieren wollten. Zugleich inszenierten die Wettbewerbe Körperbeherrschung und sportlichen Erfolg als nachahmenswert, eine Botschaft, die auf bislang weniger sportaffine Beobachter zielte. In diese Richtung wirkte auch der kompetitive Charakter, der zahlreichen Veranstaltungen eigen war und der durch die Verleihung von Preisen noch unterstrichen wurde. Es wurde ausdrücklich empfohlen, Militärsportfeste als »spezifisch militärische Betätigungen in Wettkampfform zum Austrag« zu bringen (Wiedemann 1918a: 203). Hier zeigt sich erneut eine enge Verschränkung der Militärsportfeste mit dem allgemeinen Ausbildungsbetrieb. So regten die Grundsätze für den Sportbetrieb im Bereich des stellvertretenden Generalkommandos des III. bayerischen Armeekorps an, die »militärsportlichen Übungen [...] zur Belebung des Interesses und zur Steigerung des Ehrgeizes in weitgehendem Maße als Wett­ 27

So wurde wiederholt berichtet, dass die Teilnehmer »gute« oder sogar »hervorragende Leistungen« zeigten, vgl. Mees 1917/1918: 28; Militär-Sportfest in Burgstädt. In: Militär-Sport, 2 (1918), 2, 28; Ritter 1916: 94.



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kampfübungen zu betreiben«, um das motivierende Moment des Sports voll für die Ausbildung auszuschöpfen (Moroff 1918: 74).28 Die im Zuge von Militärsportfesten ausgerichteten Wettkämpfe hatten darüber hinaus den Zweck, über die Leistungen der Soldaten Buch zu führen und sie öffentlichkeitswirksam zu inszenieren. Wettkämpfe galten als »Hauptmittel, die Fortschritte im Können des Einzelnen festzustellen«. Dafür wurde sogar vorgeschlagen, für jeden Soldaten über einen längeren Zeitraum »Sportleistungslisten« zu führen, um die Leistungssteigerungen nachvollziehbar zu machen (Wiedemann 1918a: 181).29 Solche Maßnahmen, die auf eine Objektivierung der erbrachten Leistungen zielten, wurden auch bei der Organisation der Veranstaltungen ergriffen. Das begann bereits beim Bau der Sportanlage. Rennbahn oder Wurfstand sollten so errichtet werden, dass sie den Teilnehmern ähnliche Bedingungen boten. Zur Feststellung der Ergebnisse im Handgranatenwerfen hatte ein Sportoffizier verschiedene Methoden geprüft und festgestellt, dass sie sich am besten durch ein »Wertungsquadrat« dokumentieren ließen. Es sollte sechs Meter Seitenlänge haben und wiederum in Quadrate von zwei Metern unterteilt sein. Die Mitte bildete ein kleines Quadrat von einem Meter. Treffer in diesen Feldern wurden mit einer unterschiedlichen Zahl an Punkten bedacht, die einen »Überblick der Leistungen« ermöglichen und die Grundlage für die »Bekanntgabe der von jedem Teilnehmer erzielten Leistungen« durch das »Kampfgericht« bilden sollten (Chemnitz 1918: 242).30 Tatsächlich war die Verkündung der Wettkampfergebnisse zentraler Bestandteil von Veranstaltungen und Berichterstattung. Regelmäßig druckten Publikationen wie »Militär-Sport« oder Feldzeitungen die Platzierungen ab. Teilweise wurden dabei sogar die Zensurbestimmungen ignoriert und neben den erzielten Werten auch Namen und Truppenteile genannt – vermutlich, weil hier die Prestige­frage das Geheimhaltungsinteresse überwog. Mit der Veröffentlichung von Veranstaltungs­ berichten und Ergebnissen wirkten Militärsportfeste, die teilweise sogar gefilmt wurden,31 über ihren situativen Rahmen hinaus in eine interessierte Öffentlichkeit hinein, die Leistungen als Maßstab für sportlichen Erfolg heranzog und als universal vergleichbar konzipierte. So wurde festgehalten, dass der Gefreite Kleinstäuber beim Sportfest des I.  Bataillons des Kaiser-Alexander-Gardegrenadierregiments  1 im Handgranatenwerfen eine Distanz von 42,2  m erzielte, während Unteroffizier Szymannski beim Fest der 19.  Landwehrdivision 49,35  m erreichte und Sergeant Koitzsch bei den Meisterschaften in Brüssel sogar unglaubliche 72,12 m verzeichnen konnte. Im 100-m-Lauf wurden auf diesen Veranstaltungen Werte zwischen 12,1 und 12,6  Sekunden registriert.32 Durch Vermessung und Veröffentlichung wurde 28 29 30

31 32

Die »Grundsätze« wurden um 1916 erlassen. Es wurde ebenfalls dafür plädiert, das 1913 vom Deutschen Reichsausschuss für Leibesübungen eingeführte Sportabzeichnen im Militär einzuführen (Wiedemann 1918a: 181; Diem 1917/1918: 5). Ein vergleichsweise weniger differenzierter Vorschlag zur Wertung in Anleitung zur Anlage einer Hindernisbahn nebst Anweisung der besten Überwindungsart. Fechtgerüst, Handgranatenübungsstand und Sportplatz, Berlin 1917, Nr. 30 (wie Anm. 17). Das Sportfest zu Sedan, Champagne-Kamerad, Nr. 148, 13.10.1918 (wie Anm. 14). Siehe Militär-Sport, 2 (1918), 15/16, 182 f., und 2 (1918), 19, 243 f. Vgl. weitere Auflistungen in Militärisches Sportfest in F., Beilage zum Champagne-Kamerad, Nr. 47, 5.11.1916 (wie Anm. 8); Sportfest der Division von Davans, Liller Kriegszeitung, Nr. 111, 27.6.1918 (wie Anm. 24).

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eine Objektivität und damit Vergleichbarkeit der Werte suggeriert, die tatsächlich gar nicht bestand, da Leistung vielfach auf »Zuschreibung« (Verheyen 2018: 16) basierte. Darüber hinaus variierten die Bedingungen, unter denen die Wett­kämpfer antraten, in hohem Maße. So hing es von den Vorgesetzten und dem Einsatzgeschehen ab, inwieweit sie sich auf die Disziplinen vorbereiten konnten. Auf manchen Militärsportfesten durften die Teilnehmer nur in Felduniform antreten, während woanders leichte Sportbekleidung zulässig war. Wetter- und Platz­ver­hältnisse divergierten teilweise erheblich. Die Sportgeräte waren ebenfalls nicht normiert – ein Diskus oder eine Kugel musste nicht zwingend den gerade erst entstehenden Reglements ziviler Verbände entsprechen. Auch militärische Diszi­pli­nen wurden unterschiedlich gestaltet. Beim Handgranatenwerfen kamen Eier- oder Stielhandgranaten zum Einsatz, woraus unterschiedliche Wurfweiten resultierten. Eine Feldzeitung wies offen auf die schwierigen Bedingungen hin, unter denen die Leistungen während eines Militärsportfestes erbracht wurden: »Zur gerechten Wür­di­gung dieses Ergebnisses ist zu bemerken, daß der Boden uneben war, daß die Sportler keine Laufkleidung trugen und keine Gelegenheit zu Übungsläufen gehabt hatten und daß schließlich keine Stoppuhr vorhanden war.«33 Solche Besonderheiten, die den Leistungsvergleich zur Fiktion machten, thematisierte die Berichterstattung jedoch nur selten. Stattdessen wurden die Wett­kampf­ ergebnisse ganz überwiegend als Beleg für die Leistungsfähigkeit des deutschen Heeres gewertet. Diese Deutung ist vor allem in den Feldzeitungen zu finden, die als populär aufgemachte, propagandistische Periodika im Frontgebiet verteilt wurden. Der »Champagne-Kamerad« hob im Sommer 1916 hervor: »[D]ie Armee, die nach zweijährigem Völkerringen [...] noch solche sportlichen Veranstaltungen zu leisten im Stande ist, [...] diese Armee ist in ihrer Kraftentfaltung schier unerschöpflich.« Das Blatt zog »zum Vergleich« der im Feld erbrachten »Leistungen« einen Sportbericht aus den Leipziger Neuesten Nachrichten heran und konstatierte, dass die Soldaten sogar bessere Ergebnisse als Sportler in der Heimat erzielt hatten.34 Dieser Bericht schloss an Deutungen aus dem ersten Kriegsjahr an, die im Krieg die Gelegenheit erkannten, Körperkräfte wiederzubeleben oder zu steigern, die vorgeblich durch die Bequemlichkeiten des Kulturlebens verloren gegangen waren (Nübel 2014: 85‑96). Als der Krieg um 1916 jedoch den Charakter eines Material- und Abnutzungskampfes annahm, diversifizierten sich die Deutungen. Es gab Berichte, die den Steigerungs- in einen Elitendiskurs umschrieben und den Krieg als eine körperliche Bestenauslese verstanden.35 Zumeist ging es jedoch darum, im Sport Belege für eine fortdauernde Leistungsfähigkeit des militärischen Kollektivkörpers zu finden. So rühmte die »Liller Kriegszeitung« im Frühsommer 1918 die »unerschöpfliche Kraft, die innere und äußere Unbesiegbarkeit« der deutschen Truppen, die sich in einem Militärsportfest gezeigt hätten. Den »prächtigen und kräftigen Gestalten«, die sich dort maßen, habe man »keine Spur von Erschöpfung« angemerkt. In dieser Kriegsphase, in der jedem deutschen Soldaten die äußerst angespannte Situation 33 34 35

Militärisches Sportfest in F., Beilage zum Champagne-Kamerad, Nr. 47, 5.11.1916 (wie Anm. 8). Sport im Felde, Beilage zum Champagne-Kamerad, Nr. 37, 27.8.1916 (wie Anm. 20). Sommersportfest eines Pionier-Bataillons, Kriegs-Zeitung der 7. Armee, Nr. 372, 5.9.1918.



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bei der Rekrutierung von Menschen und Tieren für die Armee klar war, sollte die Inszenierung leistungsfähiger Menschen- und Tierkörper deutlich machen, dass das Reich noch über genügend Ressourcen verfügte, um den Kampf zu gewinnen. So wies die Zeitung eigens auf die gute »Ausbildung des Kriegsmannschaftsersatzes und der vorzüglichen Pferde« hin, die Kutschen zogen, die von »zum Teil blutjungen Fahrern« gelenkt wurden.36 Indem Konstitution und Ausbildungsstand eigens herausgestellt wurden, verdeutlichte der Bericht indirekt, dass die Mängel mittlerweile unverkennbar waren. In der Berichterstattung der Fachzeitschriften und der Feldzeitungen wurde der Eindruck vermittelt, dass alle Soldaten gute Leistungen erbringen und bei Militär­ sportfesten erfolgreich sein konnten. Als Fortsetzung und Verdichtung militärischer Ausbildung konzipiert, sollten sie deren Ziele verwirklichen, nämlich die körperliche Leistungsfähigkeit aller Soldaten schrittweise zu steigern. Daher wurde empfohlen, sich bei der Konzeption von Militärsportfesten auf das Prinzip des Turnens zu besinnen, das den »guten Durchschnitt« fördere, während der Sport »die individuelle Leistung vor allem heben« wolle (fpw 1918: 20). Als Ziel galt, dass »jedes Militärsportfest [...] die große Masse der Soldaten erfassen [muss], nicht einzelne Koryphäen« (Wiedemann 1918a: 179, vgl. Moroff 1918: 74; Wesemann 1918: 255). Dieses Prinzip ließ sich angesichts der Professionalisierung des Sportbetriebs im deutschen Heer kaum umfassend zur Geltung bringen. Zwar wurden Maßnahmen ergriffen, damit Sportveranstaltungen weiterhin die Breite der Soldaten repräsentierten. Dazu gehörte die Organisation der schon erwähnten »Scherzwettbewerbe« oder von volkstümlichen Disziplinen. Um bereits im Vorfeld das allgemeine Interesse zu steigern, sollte am Sportplatz häufiger Musik spielen und die Kantine Aufstellung finden.37 Vorgeschlagen wurde auch, nach Alter und Vorerfahrungen zu differenzieren, um möglichst vielen Teilnehmern Siegeschancen einzuräumen (Wiedemann 1918a: 66). Gleichwohl standen mit den sportlichen Wettkämpfen häufig die Leistungsträger im Zentrum von Ereignis und Berichterstattung. Es entwickelte sich sogar ein kompetitiver Ehrgeiz unter den Einheiten und Verbänden, weshalb »diejenigen, welche als geeignet befunden werden, bei größeren militärsportlichen Veranstaltungen ihren Truppenteil mit Aussicht auf Erfolg zu vertreten, [...] Gelegenheit zu vermehrter Übung erhalten sollten« (Moroff 1918: 74). Damit waren die Voraussetzungen für ein Profiwesen geschaffen, das sich sogar unter den angespannten Bedingungen des Krieges entfalten konnte. Vor allem bei großen Militärsportfesten wurden immer wieder dieselben »bekannten Sportsleute« beobachtet (Mees 1917/1918: 21), die von Veranstaltung zu Veranstaltung reisten und dort häufig die ersten Plätze belegten. So trat der bereits erwähnte Sergeant Koitzsch 1918 sowohl bei den Meisterschaften des besetzten Gebietes in Brüssel als auch bei einem Militärsportfest in Antwerpen an und erzielte dort jeweils den ersten Platz im Handgranatenweitwurf. Auf einem Sportfest 36

37

Sportfest der Division von Davans, Liller Kriegszeitung, Nr. 111, 27.6.1918 (wie Anm. 25). Gegen »Erschöpfung« auch Militärisches Sportfest in F., Beilage zum Champagne-Kamerad, Nr. 47, 5.11.1916 (wie Anm. 8). Anleitung zur Anlage einer Hindernisbahn nebst Anweisung der besten Überwindungsart. Fechtgerüst, Handgranatenübungsstand und Sportplatz, Berlin 1917 (wie Anm. 17).

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in Sedan gewann er den Vierkampf und das Speerwerfen.38 Dieses Beispiel zeigt, dass Leistung eine soziale Partizipations- und Ausdrucksform war, über die jedoch nicht alle Zeitgenossen in gleichem Maße verfügen konnten. Die Leistungsfähigkeit des Einzelnen speiste sich stattdessen wesentlich aus seinem sozialen Umfeld (Verheyen 2018: 17 f.). Deshalb ist zu vermuten, dass eine große Zahl der Kriegsprofis nicht aus jenen Regimentern stammte, die im ständigen Fronteinsatz standen, sondern aus Formationen, in denen regelmäßige Trainingseinheiten für Wettkämpfe möglich und Soldaten abkömmlich waren. In sportlichen Leistungen werden damit soziale Differenzierungslinien sichtbar, die nicht nur zwischen Spitzen- und Breitensport verliefen, sondern auch das Verhältnis von Offizieren und Mannschaften betrafen. Zwar verband sich mit der sportlichen Praxis in der Armee die Hoffnung, zum guten Einvernehmen zwischen Führern und Untergebenen beizutragen. Gleichwohl setzte sich im Sport die soziale Segregation fort, die ohnehin zwischen Offizieren und Mannschaften bestand und die zum Teil zu heftigen Konflikten führte.39 So existierten neben den Sportarten wie Laufen, Schwimmen oder Werfen Disziplinen, die wegen hoher Kosten oder ihres Prestiges als reine »Herren- oder Offiziersports« konzipiert wurden. Dazu zählten Tennis, Hockey, Reiten oder Fechten (Wiedemann 1918b: 102‑104).40 Die Distinktion zwischen den militärischen Rängen wurde bei Militärsportfesten grundsätzlich beibehalten, indem zwischen Offizier- und Mannschaftswettbewerben, an denen sich zuweilen Unteroffiziere beteiligten, unterschieden wurde (Wiedemann 1918a: 178).41 Aus erzieherischen Gründen förderten Sportoffiziere die Teilnahme von Offizieren am Fest – gerade jenseits von Repräsentationsaufgaben. Beim Turnen und Sport sollten Offiziere jedoch ihrer Vorbildrolle zwingend gerecht werden und »den Mannschaften ein nachahmenswertes Beispiel auf den verschiedenen Gebieten körperlicher Tüchtigkeit geben« (Wiedemann 1918a: 178). Das Bild der Offiziere war demzufolge nicht nur durch Habitus oder Charakter, sondern auch durch körperliche Leistungsfähigkeit bestimmt. Der Offizier müsse »auch körperlich ein Führer [...] sein«, wie es bereits 1913 im »Militär-Wochenblatt« hieß (Münter 1913: 3130). Das bedeutete, dass sie in diesen Wettbewerben sichere Sieger bleiben mussten, »weil namentlich bei ungebildeten Leuten, die geistige Leistungen kaum, körperliche aber immerhin leichter durch Vergleich werten können, sonst ein Eindruck der physischen Unterlegenheit aufkommen kann« (Wiedemann 1918a: 181; ähnlich Wiedemann 1918b: 103). Leistung war also nicht nur Indikator für militärische Schlagkraft und Resilienz, sondern diente auch der Bestätigung der militärischen Hierarchie.

38 39 40 41

Siehe »Kurze Sportberichte und Nachrichten«. In: Militär-Sport, 2 (1918), 19, 243 f., und 2 (1918), 20, 260. Diese lassen sich indes aus den vorliegenden, maßgeblich von Offizieren verfassten Quellen nicht herauslesen. Zur sozialen Distinktion und Offiziersport Heck 2014. So berichtete Ernst Jünger am 18.6.1916 und 27.1.1918, dass er mehrfach Sieger im »Offizierslauf« geworden sei (Jünger 2010: 119, 364).



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5. Resümee Militärsportfeste waren körperbasierte Inszenierungen militärischer (Eigen-)Nar­ra­ tive, die im Fest performativ und symbolisch verdichtet aufgeführt wurden. Eines dieser Narrative bezog sich auf die militärische Leistungsfähigkeit, die ein zentrales Deutungsmuster des Krieges war und – so die Ansicht der analysierten Zeitschriften und Feldzeitungen – über Sieg oder Niederlage entschied. Da der menschliche Körper als militärische Ressource verstanden wurde, zogen die Autoren Leibesübungen als Indikator für die Leistungsfähigkeit der bewaffneten Macht heran. So wie »Fitness« auf individueller Ebene »als Ausdruck der Fähigkeit zu Leistung« galt (Martschukat 2019: 82), sollten Sportveranstaltungen dazu dienen, die Kampfkraft des militärischen Kollektivs zu steigern und sie mit scheinbar objektiven Kriterien öffentlich zu demonstrieren. Der mit Militärsportfesten verbundene Aufwand ließ sich angesichts der enorm angespannten Ressourcen im Krieg nur rechtfertigen, weil man sich von ihnen einen kriegswichtigen Beitrag versprach. Aus militärischer Sicht erfüllten sie eine ganze Reihe von Funktionen. Sie boten Ablenkung und Erholung vom Dienstalltag, dienten propagandistischen Zwecken und warben für Formen der Körperbewegung, die mit dem militärischen Training weitgehend kongruent waren. Militärsportfeste standen also unter einem Primat des Militärischen, wie die zahlreichen kriegsmäßigen Disziplinen und die enge Beaufsichtigung durch Offiziere belegen. In diesem Zusammenhang konnte gezeigt werden, dass der Sport in der bewaffneten Macht auf einer deutlich umfassenderen Organisation basierte, als bislang angenommen. Bereits in der Vorkriegszeit wurden Sportfeste mit militärischem Charakter veranstaltet; eine Entwicklung, die während des Krieges von Einheiten und Verbänden mit zunehmender Regelmäßigkeit fortgeführt wurde. Sportoffiziere konzipierten den Militärsport bereits vor 1914 als Teil der Ausbildung. Militärsportfeste waren ein wichtiger Bestandteil dieser Bemühungen. Sie gewannen während des Krieges einen zunehmend professionellen Charakter. Obgleich sie zum Ziel hatten, die Masse der Soldaten für Leibesübungen zu gewinnen, konnte sich sogar unter den Bedingungen des Krieges ein Profiwesen herausbilden, dessen Vertreter die vorderen Plätze bei Sportfesten belegten. Diese Entwicklung unterstreicht, dass der Sport »ein aktiver und zugleich selektiver Faktor sozialen Wandels« war (Eisenberg 2002: 15). Er bestätigte einerseits die Standesgrenzen zwischen Offizieren und Mannschaften und führte andererseits das Leistungsprinzip ein, mit dem neue soziale Differenzierungslinien im Militär wirksam wurden. Das Beispiel der Militärsportfeste macht somit deutlich, dass Sport während des Ersten Weltkrieges nicht nur den Ausbildungsbetrieb substanziell ergänzte, sondern Leitprinzipien, Hierarchie und Körperpraktiken der bewaffneten Macht reproduzierte und damit die militärische Ordnung bestätigte.

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Herkules Reimann

Militärsport. Zur Sportausbildung im Militär der Weimarer Republik Einordnung Herkules Reimann untersucht Ziele und Zwecke des Sports und der Sportausbildung im deutschen Militär in der Zeit der Weimarer Republik. Er knüpft an die Beiträge zum Ersten Weltkrieg an und untermauert deren Befunde. Zunächst geht er auf die zivil-militärische Verflechtung in der Sportausübung der frühen Jahre der Weimarer Republik ein und zeigt dann am Beispiel von Carl Krümmel, wie einige zentrale Personen den Aufbau des Militärsports in der Reichswehr vorangetrieben haben. Ab Mitte der 1920er Jahre wurde die Zweckbindung der Sportausbildung im Militär immer deutlicher, sodass Reimann am Schluss noch einmal unterstreicht: Für die Reichswehr war der Sport kein Selbstzweck. Er diente der Ausbildung und Erziehung von Soldaten, um die körperlich und kognitive Basis für das Bestehen und schließlich auch Überleben im Gefecht und im Krieg zu legen. Autor Herkules Reimann, Dr. phil., Historiker und Oberstleutnant, ist Hörsaalleiter an der Offizierschule des Heeres in Dresden. Er hat über die Geschichte des Sports in der Bundeswehr promoviert.

1. Vorgeschichte: Militär und Sport vor dem und im Ersten Weltkrieg Der Sport steckte in den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts in Deutschland noch in den Kinderschuhen und lernte gerade erst das Laufen. Gleichwohl beabsichtigten Verantwortliche in Politik und Militär, mittels des Sports dem männlichen Körper »Robustheit« zu verschaffen. Diese Bemühungen sind vor dem Hintergrund zu sehen, dass nach den Bestimmungen des Versailler Vertrages die allgemeine Wehrpflicht in Deutschland verboten war. Sport war nicht nur dafür gedacht, die Soldaten vom formalen Gefechtsdienst im Militär abzulenken, die sportliche Betätigung sollte zudem Aspekte der körperlichen und auch geistigen Widerstandsfähigkeit junger, wehrfähiger Männer kompensieren. Das galt auch für Konzepte des Wehrsportes außerhalb der Reichswehr. Ein grundsätzliches Ziel bestand darin, die körperliche Leistungsfähigkeit potenzieller Soldaten für einen künftigen Krieg zu erhöhen.

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Hier griffen sportbegeisterte Militärs während der Nachkriegszeit zum einen die Sportbegeisterung in der Gesellschaft auf, zum anderen knüpfte man an Tendenzen der Bellifizierung und Militarisierung des Sportes aus der Zeit vor und während des Ersten Weltkrieges an. So veranlasste beispielsweise das preußische Kriegsministerium im Jahr 1910 nicht nur, dass die Jugend in Turnvereine eintreten sollte, sondern auch, dass sportlich-militärische Aspekte in Übungen einzufließen hatten. 1913 organisierte der Berliner Sportclub zusammen mit Infanterieregimentern und Leicht­ athletikvereinen Gepäckmärsche (Werth 2009: 863). Im Ersten Weltkrieg nahmen in Deutschland im Gegensatz zu Frankreich und Großbritannien die sportlichen Wettkämpfe sogar zu. Jährlich stattfindende »Kriegs­ meisterschaften« wurden für Leichtathleten, Schwimmer oder Radfahrer eingeführt. Es fanden Kriegssportfeste statt, die die Verbundenheit zwischen Heimat und Front symbolisieren und die Jugend auf den möglichen Kriegseinsatz vorbereiten sollten. Während dieser Feste wurde beispielsweise Stabhochsprung im Gefechtsanzug sowie mit Ausrüstung praktiziert, der Handgranatenweitwurf und -zielwurf geübt, Hindernisläufe über Schützengräben durchgeführt, 60-Meter-Läufe mit Sturmgepäck oder Gepäckmärsche unter Gasschutz absolviert. Im Jahr 1915 organisierte der Schwimm- und Sportclub (SSC) Berlin den »Kronprinzen-Armee-Gepäckmarsch«, ein Jahr später wurde in Berlin die erste militärische Hindernisbahn eröffnet (Werth 2009: 863). Für einzelne an der Westfront eingesetzte Regimenter wurden Sportfeste hinter der Front veranstaltet, welche zur Entspannung und Erhaltung der körperlichen Leistungsfähigkeit der Soldaten beitragen sollten (siehe Nübel in diesm Band und für den Zweiten Weltkrieg Herzog). Es ist also nicht weiter verwunderlich, dass nach dem Ersten Weltkrieg an diesen Praktiken der Mobilisierung und Ertüchtigung der Körper für den Krieg sowohl im Militär als auch in der zivilen Gesellschaft weiter festgehalten wurde (Reimann 2015). Allerdings wurde im Militär zwischen Sport und Leibesübungen unterschieden. Der Sport im Dienst wurde »Leibesübung« genannt, während der Sport außer Dienst eben als »Sport« bezeichnet wurde. Die Begründung lag nahe, denn Sport sei grundsätzlich mit Vergnügen, Kurzweil und Freude verbunden. Dieses persönliche Empfinden, »ob der Sport im Dienst Vergnügen bereitet oder nicht, ist völlig gleichgültig; sofern er lebensnotwendig ist, wird er betrieben, gleichgültig, ob er ebensowenig Vergnügen bereitet wie Gewehrreinigen. Denn die Leibesübung des Soldaten ist nicht Selbstzweck wie meistens beim Bürger, sondern Mittel zum Zweck« (Schelle 1930: 461). Der Zweck körperlicher Betätigung bestand also in der militärischen ›Erziehung‹ und ›Ertüchtigung‹ des Soldaten. Interessanterweise war es den Soldaten laut einem Erlass vom 8. Dezember 1918 noch selbst überlassen, ob sie an den Leibesübungen teilnahmen oder nicht, aber diese freie Wahl wurde knapp zwei Monate später revidiert und die Teilnahme als verpflichtend erklärt. Nach dem Krieg diente die Durchführung von sportlichen Betätigungen dazu, die Soldaten von politischer Betätigung abzuhalten. Theo Schelle beschrieb noch 1930 die Devise: »Wer den ganzen Tag Fußball spielt, putscht nicht« (Schelle 1930: 461). So wurde mit dem Sporttreiben neben der körperlichen Leistungssteigerung eine Art von Ablenkung und zeitlicher Bindung des Soldaten beabsichtigt, was auch für

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die Übergangsphase nach dem Ersten Weltkrieg (Tauber 2008: 88 f.) und weitere Krisensituationen der Weimarer Republik von Bedeutung war.

2. »Sport ist Dienst am Vaterland« Am 1. Mai 1919 wurde die Einführung von körperlichen Übungen in den militärischen Dienst angeordnet. Allerdings existierten noch keine klaren Zielsetzungen und die Weltkriegserfahrungen zeigten, dass die bisherige Vorschrift für Leibesübungen der Überarbeitung bedurfte. So trat im Dezember 1920 in Dresden ein Ausschuss zusammen, der über eine neue Ausbildungsvorschrift für Leibesübungen beratschlagte (Rolin 1939: 10). Im Februar 1921 erschien die »Vorschrift für Leibesübungen«, welche betonte, dass der Sport nun dienstlich gefordert war, was der Reichspräsident und ehemalige preußische Feldmarschall Paul von Hindenburg mit seinem Ausspruch »Sport ist Dienst am Vaterland« bekräftigte (Reimann 2015: 99). In den 1920er Jahren entwickelte sich eine umfängliche Diskussion, die im »Militär-Wochenblatt« eine renommierte und reichweitenstarke Plattform fand, den Stellenwert des Sportes untermauerte und ihn immer stärker in den Mittelpunkt der Ausbildung im Militär rückte. Neben körperlicher Vorbereitung auf das Gefecht spielten seelische und charakterliche Argumente eine Rolle. Auch wurde der Sport als Mittel einer außenwirksamen Darstellung der Reichswehr und ihrer Soldaten genutzt, was darin mündete, dass sich Militärsportvereine bildeten. Der Grund lag in dem bis dahin schlechteren Abschneiden von Soldaten der Reichswehr bei Vergleichswettkämpfen mit Sportlern aus zivilen Sportvereinen. In diesem Kontext sind erste Ansätze einer Spezialisierung auf bestimmte Sportarten zu verzeichnen, was nach den ursprünglichen Grundvorstellungen der für den Militärsport Verantwortlichen eigentlich vermieden werden sollte (Tauber 2008: 87). Der Sport erfuhr also im Verlauf der 1920er-Jahre einen immer größeren Stellenwert im Militär: »Der Krieg hat uns die Notwendigkeit des Sports gelehrt. Der Krieg verlangt von dem Soldaten einen an Anstrengung und Entbehrung gewöhnten Körper, stählerne Nerven, Entschlossenheit und selbständiges Handeln, Mut und Freude an Gefahr und Sieg; ganze Männer, Tatmenschen, Kämpfer. Das alles gibt uns der Sport« (Runge 1928: 435).

Zur Zeit der Weimarer Republik wurden auch immer mehr Stimmen aus dem Bereich der zivilen Sportvereine laut, die forderten, den Sport unter militärischen Aspekten zu nutzen. Ein Beispiel hierfür sind die in den 1920er- und 1930er- Jahren durchgeführten »Hindenburg Gepäck-Märsche« (Abbildung 1). Die Hindenburg-Gepäck-Märsche sind ein Beispiel für die Zusammenarbeit von zivilen und militärischen Stellen bei der Organisation von Sportveranstaltungen, wie es das folgende Zitat anlässlich eines solchen Marsches am 17. April 1933 belegt: den der Berliner Sportclub ›Komet‹ veranstaltet hat: »Erfreulich die gute Zu­sam­men­arbeit der Sportvereine mit Reichswehr, Schupo [Schutzpolizei] und Wehrformationen« (Berliner Morgenpost, 18.4.1933, Beilage Sport). Allerdings gab es noch keinen abschließenden Konsens über deren Nutzung im militärischen Sinn. Durchsetzung und Förderung des Sports im Militär selbst war nach dem Ersten Weltkrieg an einige

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Abbildung 1: Hindenburg-Gepäck-Marsch, um 1920/30. 

Bildarchiv Foto Marburg

wenige Personen gebunden, etwa Hans Surèn in Preußen oder Carl Krümmel in Bayern (Reimann 2015). Die Bedeutung dieser Einzelpersonen soll nachfolgend am Beispiel von Carl Krümmel verdeutlicht werden.

3. Ein Förderer des Sports in der Reichswehr: Leutnant Carl Krümmel In Bayern verstieß das verantwortliche Wehrkreiskommando bereits in den An­fangs­ jahren der Weimarer Republik gegen die Bestimmungen des Versailler Friedens­ vertrages. Denn trotz der in Art. 177 verbotenen Durchführung von Militär­sport mit zivilen Vereinen1 übten unter der Anleitung von Sportlehrern der Infanterie­ schule München Militärs und zivile Sportler zusammen im Turn- und Sportverein (TSV) München 1860 (Reimann 2015: 101). Einer der Sportlehrer war Leutnant Krümmel, der sich mit zwei Denkschriften – eine im Jahr 1919 (Ziel der Deutschen Sportbewegung) und eine 1920 (Militärsport) – für die Umsetzung des Sports einsetzte; die Denkschrift von 1920 wandte sich von dem bisher üblichen Massendrill 1

»Artikel 177. Erziehungsanstalten, Universitäten, Kriegervereine, Schützen-, Sport- oder Wandervereine und überhaupt Vereinigungen jeglicher Art, einerlei wie alt ihre Mitglieder sind, dürfen sich mit keinerlei militärischen Dingen beschäftigen,« (letzter Zugriff 1.9.2020).

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ab. Krümmel spielte eine entscheidende Rolle bei der Förderung des Sports in der Reichswehr. Zwischen 1920 und 1923 war er als nebenamtlicher Sportlehrer an der Infanterieschule in München tätig, welche den Offiziernachwuchs des Reichsheers auszubilden hatte (Bosch 2008: 63). Grundsätzlich ging es ihm um eine sorgfältige physische Ausbildung, da diese die Basis für eine schneller zu vermittelnde Waffenausbildung darstellte. Darüber hinaus sei der Sport als guter Ausgleich für die monotone Drillausbildung anzusehen, würde ferner den Soldaten körperlich schulen und ihn zu einem selbstständig denkenden Individuum formen. Deswegen setzte sich Krümmel von Beginn an generell für eine tägliche Sportstunde im Heer ein (Ueberhorst 1976: 32). Innerhalb kurzer Zeit zeichnete Krümmel für die Leitung des Sportprogrammes an der Infanterieschule verantwortlich (Heimerzheim 1993: 64). Vor allem stach er dadurch hervor, dass er maßgeblich an einer neuen Sportvorschrift mitarbeitete (Ueberhorst 1976: 13; Teichler 1991: 26). Mit dieser stand der Armee ab 1921 eine Anweisung zur Verfügung, die »als dienstliche Vorschrift herausgegeben wurde« (Runge 1928: 436). Der Prozess der Implementierung des Sports im Militär neigte sich dem Abschluss zu und der Militärsport verfestigte sich als dienstlich geregelter Sport. Er hatte nun insbesondere der Erziehung des Soldaten zu dienen, denn »nur die für die militärische Erziehung und Durchbildung des Soldaten notwendigen Übungsarten werden als Pflicht von dem Soldaten verlangt« (Runge 1928: 436). Der Stellenwert des Sports nach dem Ersten Weltkrieg äußerte sich auch darin, dass Mitte der 1920er-Jahre ein eigener Sportanzug2 eingeführt wurde, der den bisher bei der Ausübung der Leibesübungen zu tragenden Waffenrock ersetzte. Bis dahin war es nur erlaubt, während der Übungen den Kragen und die drei unteren Knöpfe zu öffnen (Tauber 2008: 86). Im Jahr 1924 wurde Krümmel an die Heeressportschule Wünsdorf als Sportlehrer und wissenschaftlicher Unterrichtsleiter berufen, wo er ein sportphysiologisches und anthropometrisches Labor aufbauen sollte und er somit an entscheidender Stelle seine wissenschaftlichen Kenntnisse in die Sportausbildung der Reichswehr einfließen lassen konnte (Court 2014: 97). Krümmel entwickelte sich zu einem maßgeblichen Förderer des Sports in der Reichswehr; seine Mitgliedschaft im TSV 1860 München trug darüber hinaus zur Verbundenheit zwischen dem vereinsmäßig durchgeführten Sport und dem Sport im Militär bei (Tauber 2008: 89). Der sportlich betriebene Wettkampf sollte die Grundlage für soldatische Eigenschaften bilden und eben nicht der in Uniform durchgeführte Geländesport (Teichler 1991: 26). Für Krümmel spielten vor allem die athletischen Übungen eine Rolle, da deren Durchführung die Möglichkeit bot, aus ihnen kämpferische Fähigkeiten von Soldaten abzuleiten. Der Wettkampf stellte für ihn letztlich ein wichtigeres Mittel dar als monotone Drillausbildung.3 Der Sport entwickelte sich immer mehr zu einer tragenden Säule innerhalb des Dienstbetriebes und rückte weiter in den Mittelpunkt 2 3

Vgl. Heeresdruckvorschrift  475: Ausbildungsvorschrift für Leibesübungen des Reichsheeres und der Reichsmarine, Berlin 1926, Nr. 37. Als SA- und NSDAP-Mitglied macht Carl Krümmel nach der nationalsozialistischen Macht­über­ nahme als Sportfunktionär und -wissenschaftler Karriere. Er starb bei einem Flugzeugabsturz 1942 (Ueberhorst 1972).

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der Ausbildung der Reichswehr. Er erreichte in der Weimarer Republik einen hohen Stellenwert, wobei ihm im Militär nicht mehr nur die Förderung der körperlichen Leistungsfähigkeit attestiert wurde, sondern auch die Vermittlung von moralischen und charakterlichen Eigenschaften (Tauber 2008: 90).

4. Weiterentwicklung der Sportausbildung Die alte Vorschrift von 1921 wurde überarbeitet und 1926 lag eine neue Vorschrift vor, die den militärischen Zweck des Sports verdeutlichte. So sticht unter anderem die Übertragung athletischer Übungen auf den Waffendienst besonders hervor. Neben den geforderten Läufen über Distanzen von 100  m, 400  m und 1500  m verdiente vor allem der Geländelauf als »die wertvollste Laufübung«4 wegen seiner offensichtlichen militärischen Funktion besondere Beachtung. Da die übrigen Läufe im Stadion zu absolvieren und an Zeitbegrenzungen gekoppelt wurden, erfüllte der Lauf im Gelände Ansprüche, die denen von Soldaten in Gefechtssituationen nahekamen. Schwächere Läufer sollten zwar extrinsisch in Form von kameradschaftlichem Anspornen zum Durchhalten des Laufes innerhalb der Gruppengemeinschaft motiviert werden, dennoch untersagte die Vorschrift das »Unterfassen und Mitschleppen zurückbleibender Läufer«.5 Einerseits förderte das gemeinsame Erleben der physischen Anstrengung die Zusammengehörigkeit der Truppe. Andererseits erwies sich das Zurücklassen der schwächeren Läufer als Stigmatisierung, welche Motivation oder Resignation zur Folge haben konnte. Die Führungsleistung des Offiziers war hierbei gefordert, der dies zu erkennen und die Läufer in verschiedene Leistungsklassen einzuteilen hatte. Die durch regelmäßig durchgeführte körperliche Übungen erworbene Leistungsfähigkeit diente dem Soldaten als Grundlage, im Gefecht zu bestehen, denn: »Der Bruchteil der Sekunde ist nicht nur auf der Laufbahn, sondern oft auch auf dem Gefechtsfelde entscheidend.«6 Das Handgranatenwerfen stellte »für den Soldaten die wichtigste Wurfart«7 dar, worin er sich zu trainieren und stets zu steigern hatte. Abgesehen von den für den Gefechtsdienst benötigten physischen Übungen verkörperten athletische Übungen wie Weitsprung, Hochsprung oder Kugelstoßen demnach die Basis, um die durch das Training gewonnenen körperlichen Fähigkeiten »im Gelände in voller Ausrüstung, unter dem Ernstfall ähnlichen Verhältnissen anwenden zu können«.8 Die athletischen Übungen stellten das grundlegende Training dar, um körperlich fordernde militärische Aufgaben durchzuführen. Man beachtete den Grundsatz, dass »die persönliche Höchstleistung der Beweis für die richtige Schulung des Körpers«9 sei. Dieser Feststellung folgend stellte die »Erziehung zur Leistung [...] das wesentliche 4 5 6 7 8 9

H.Dv. 475, 1926, Nr. 236, auch im Folgenden (Hervorhebung im Original). Ebd. H.Dv. 475, 1926, Nr. 263. H.Dv. 475, 1926, Nr. 253. H.Dv. 475,1926, Nr. 263 (Hervorhebung im Original). H.Dv. 475, 1926, Nr. 224 (Hervorhebung im Original).

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Merkmal der Athletik«10 dar. Mit der Athletik sollte die Bildung von Charakterund Willensstärke gefördert werden; sie bot sich deshalb als »eine hervorragende Schule für den Soldaten«11 an. Diese Art der Sportausbildung forderte und trainierte wesentliche militärische Elemente, um den Soldaten zu einem willensstarken Menschen zu erziehen, der sich in Gefechtssituationen wegen seiner gut geschulten Körperlichkeit als standhaft erweisen sollte. Wettkämpfe zur Überprüfung der Leistungen sollten einmal jährlich durchgeführt werden12 und verfolgten wiederum einen klaren militärischen Zweck: »Der Erfolg des Wettkampfes hängt von einer klugen Kampfführung – Taktik – ab, die dem Gegner die eigene Kampfweise aufzwingt, ihn an der Entfaltung seiner starken Seiten hindert und die eigenen Schwächen geschickt verdeckt.«13 Der in letzter Konsequenz nicht tödliche sportliche Wettkampf zielte darauf ab, die militärischen Eigenschaften und Fähigkeiten der Soldaten zu üben und zu festigen. Basierend auf dem in der Taktik Erlernten, sollte der Soldat schließlich in einem Wettkampf den Sieg erringen. Die wechselseitige Beziehung von Kampf als Realität mit tödlicher Konsequenz und Wettkampf als Abbild der Realität ohne tödliche Konsequenz unterstreicht die militärische Funktion der Sportausbildung. Daneben wurde das Schwimmen zu einem wesentlichen Teil der Sportausbildung: »Jeder Soldat, der nicht schwimmen kann, muß es erlernen.«14 Das Schwimmen bedeutete für den jungen Soldaten eine besondere Herausforderung, zumal diese Fähigkeit Voraussetzung für eine militärische Karriere war. Um die Möglichkeit zu erhalten, sich der Unteroffizier- oder der Fahnenjunkerprüfung zu stellen, verlangte die Vorschrift den Nachweis der »Freischwimmerbefähigung.«15 Darüber hinaus wurde die körperliche Leistungsfähigkeit an das geistige Anforderungsprofil des Soldaten gekoppelt und die Entwicklung eines mitdenkenden Soldaten eingefordert. Die Vorschrift griff körperliche und geistige Zielsetzungen auf, was die unterstützende Wirkung der Sportausbildung für den weiteren Militärdienst veranschaulicht. Die Forderung nach Bildung von »Kameradschaft«16 und »Korpsgeist der Truppe«17 innerhalb der Sportvorschrift kennzeichnet diesen Aspekt ebenfalls. Die Anweisung, dass in der Vorschrift »nur die für die militärische Erziehung und Durchbildung des Soldaten notwendigen Übungsarten eingehend behandelt«18 werden, zeigt weiterhin die Tendenz der Ausbildung auf, womit der militärische Nutzen der sportlichen Übungen unterstrichen wird. In der Gesellschaft erfolgte das Sporttreiben zum Zweck der Erholung, was für den Soldaten nicht galt, da bei seinen sportlichen Aktivitäten nicht der Spaß im Vordergrund zu stehen habe, sondern: »Bei jedem 10 11 12 13 14 15

16 17 18

Ebd. Ebd. Vgl. ebd. H.Dv. 475, 1926, Nr. 25. H.Dv. 475, 1926, Nr. 286 (Hervorhebung im Original). Diese Befähigung umfasste ein 15-minütiges Dauerschwimmen, wobei die Schwimmart frei gewählt werden durfte. Soldaten der Pioniertruppe mussten 30 Minuten schwimmen und einen Sprung aus einem Meter Höhe in frei gewählter Art erbringen. Vgl. H.Dv. 475, 1926, Nr. 316. H.Dv. 475, 1926, Nr. 4 (Hervorhebung im Original). Ebd. (Hervorhebung im Original). H.Dv. 475, 1926, A. Vorbemerkung.

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Abbildung 2: Sportfest der Reichswehr: eine Maschinengewehrabteilung setzt in Sturmausrüstung über eine Hürde, Berlin-Lankwitz, Juni 1931. Bundesarchiv, Bild 102-11805, Georg Pahl

Sportbetreib müssen wir immer unser Ziel im Auge behalten, Ertüchtigung jedes Einzelnen. Alle anderen [...] angeführten Gründe sind Nebengründe; die Freude am Sport die erfreulichste Nebenerscheinung, aber immer nur Nebenerscheinung« (Schelle 1924: 15). So untermauerte beispielsweise die Verwendung des Gewehrs als Trainingsgerät die Verknüpfung von Sportausbildung und Gefechtsdienst. Der Soldat wurde während der Sportausbildung weiter an sein Arbeitsgerät gewöhnt, er verlor – um im Bild zu bleiben – also nie sein Ziel aus den Augen. Bei den Leibesübungen wurden von dem Einzelnen nicht ausdrücklich Höchst­ leistungen im Rahmen seiner physischen Veranlagung gefordert. Das primäre Ziel lag nicht darin, »künstlich hochgeschraubte Höchstleistungen einzelner«19 zu erbringen, sondern vielmehr waren es die »guten Durchschnittsleistungen der Gesamt­ heit«20, welche wichtiger waren. Die Vorschrift hob eindeutig hervor, dass besonders von Rekruten »Höchstleistungen [...] nicht gefordert«21 werden durften. Soldaten wurde während ihres ersten Dienstjahres die Ausübung von »Dauerleistungen im Wettkampf«22 sogar verboten. Sportliche Spitzenleistungen sollten die Soldaten nicht erbringen, gleichwohl wurde die Auslastung bis zur individuellen physischen Grenze als Ausbildungsziel verlangt. Die Forderung nach individueller Höchstleistung widersprach nicht einem universellen Training, sondern konnte als eher förderlich für den militärischen Zweck angesehen werden, da die Ausrichtung der Sportausbildung darauf abzielte, dass der einzelne und die Gruppe auf dem Gefechtsfeld bestehen 19 20 21 22

H.Dv. 475, 1926, Nr. 5. Ebd. (Hervorhebung im Original). H.Dv. 475, 1926, Nr. 20 (Hervorhebung im Original). Ebd. (Hervorhebung im Original).

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sollten. Der körperlichen Schulung oblag die Aufgabe, dafür eine solide körperliche Grundlage zu schaffen.

5. ›Erziehung zum Soldaten‹ Der Sport soll sowohl im als auch außer Dienst immer dazu verhelfen, den jungen Mann zu dem zu machen, zu dem er erzogen werden soll, nämlich zum Soldaten (Runge 1928: 437). So ist es kaum verwunderlich, dass die H.Dv. 475 mittels der Sportausbildung die Förderung folgender Eigenschaften des Soldaten verfolgte: »Entbehrungen, Mut und Tatkraft, Überlegung und raschen Entschluß«,23 oder an anderer Stelle: »Selbstvertrauen und Selbsttätigkeit, [...] Kraftentfaltung, Kampfgeist und Willensstärke«.24 Das Ziel, den Soldaten »zur höchsten soldatischen Tugend: dem Siegeswillen«, zu erziehen, sollte ebenfalls erreicht werden. Weiterhin standen die Sport- und die taktische Ausbildung in einer gegenseitigen Beziehung, wobei erstgenannte die körperliche Grundlage schaffen sollte, um die Überlebensfähigkeit der Soldaten auf dem Gefechtsfeld zu stärken. Es bestand aber nicht nur die Absicht, die körperlichen Eigenschaften der Soldaten zu schulen, es sollte ihre kognitive Leistungsfähigkeit mittels körperlicher Übungen angeregt werden. Vornehmlich im Spiel und im Wettkampfbereich trat diese Maßgabe durch die Kopplung von Sport und Taktik zutage. Die Militarisierung des Sports vor, die Nutzung des Sports während und die Ziele von einzelnen Übungen als Individual- oder Mannschaftssportart nach dem Ersten Weltkrieg lassen folgende Schlussfolgerung zu: Der Soldat sollte mittels des Sports in seinen körperlichen und geistigen Fertig- und Fähigkeiten leistungsfähiger gemacht werden, um auf dem Gefechtsfeld und für etwaige zukünftige kriegerische Auseinandersetzungen vorbereitet zu sein. Die neue Vorschrift nahm vermehrt Bezug auf das Gefecht und verband die im Sport erlernten Elemente mit dem Gefechtsdienst,25 was die Bedeutung der in der Sportausbildung erworbenen körperlichen Leistungsfähigkeit für den militärischen Zweck festigte. Der militärische Nutzen stand im Schwerpunkt der damaligen Sportausbildung und sie erfuhr dahingehend eine Instrumentalisierung, dass sie für eine gute körperliche Verfassung der Soldaten zu sorgen hatte, damit diese ohne Einbuße von individueller körperlicher Leistungsfähigkeit ihren jeweiligen militärischen Aufgaben nachkommen konnten. Der erzieherische Aspekt der Sportausbildung bezog sich primär auf die dem militärischen Spektrum zugeordnete Charakterbildung der Soldaten. Merkmale wie beispielsweise Fairness lassen sich in den Quellen nicht finden. Stattdessen wurden Mut, Entschlossenheit oder Härte gegen sich selbst hervorgehoben und über den Sport mit dem Soldatenberuf in Verbindung gesetzt. Es existierte keine unmittelbare Bezugnahme auf die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges. Dennoch lässt die stete Kopplung von militärischen Eigenschaften, taktischen Anforderungen und sportli23 24 25

H.Dv. 475, 1926, Nr. 1. H.Dv. 475, 1926, Nr. 3 (Hervorhebung im Original). »Die Übungen im Sportanzug mit Übungshandgranaten sind die Vorbereitung für die Beherrschung dieser Waffe.« H.Dv. 475, 1926, Nr. 267.

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chen Übungen erkennen, dass die Erziehung zum Soldaten und die Vorbereitung auf künftige Gefechtshandlungen mit der Sportausbildung in der Weimarer Republik verfolgt wurden. Folgt man der Vorstellung des damaligen Zeitgeists, so wird ein Sportler, der nicht hart zu sich selbst zu sein vermag, auch nicht als Soldat taugen, und er wird nur dann zum Kämpfen und Überleben fähig sein, wenn er seine körperliche Leistungsfähigkeit auf ein – wenn auch individuelles – Höchstmaß bringt.

Quellen und Literatur Bosch, Katrin (2008): Die Bedeutung und Funktion der Führerschule Neustrelitz im System der nationalsozialistischen Leibeserziehung. Dissertation. Duisburg-Essen: Universität. Court, Jürgen: (2014): Zur Personalpolitik an der Deutschen Hochschule für Leibesübungen. In: Court, Jürgen et al. (Hrsg.): Jahrbuch 2012 der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Sport­ wis­sen­schaft e.V. Berlin: LIT, 83‑100. Heeresdruckvorschrift (H.Dv.) 475, Ausbildungsvorschrift für Leibesübungen des Reichsheeres und der Reichsmarine. Berlin 1926. Heimerzheim, Peter (1999): Karl Ritter von Halt. Ein Lebensweg zwischen Sport und Politik, Disser­ tation. Köln: Sporthochschule Köln. Reimann, Herkules (2015): Sport in der Bundeswehr. Zur Geschichte, Struktur und Funktion des Militär­sports in der Bundesrepublik Deutschland. Dissertation. Münster: Westfälische WilhelmsUniversität. Rolin, [ohne Vorn.] (1939): Die Entwicklung der Leibesübungen im Heer. In: Sport-Jahrbuch für die Wehrmacht 1938/39. Berlin: Bräutigam. Runge, Johannes (1928): Die Leibesübungen in der Reichswehr. In: Diem, Carl/Sippel, Hans/ Breithaupt, Franz (Hrsg.): Stadion. Das Buch von Sport und Turnen/Gymnastik und Spiel. Berlin: Neufeld und Henius, 432‑437. Schelle, Theo (1924): Sport und Gymnastik in der Truppe. Ein Wegweiser für Armee, Polizei und Vereine. Stuttgart: Dieck & Co. Schelle, Theo (1930): Wehrsport und Athletik. In: Krümmel, Carl (Hrsg.): Athletik. Ein Handbuch der Leibesübungen. München: Lehmanns, 460‑486. Tauber, Peter (2008): »Je härter der Sport und Spiel, um so besser ersetzen sie uns den Krieg.« Sport als Erziehungsmittel und Teil der militärischen Ausbildung in der Reichswehr der Weimarer Republik. In: Krüger, Michael (Hrsg.): »mens sana in corpore sano«. Gymnastik, Turnen, Spiel und Sport als Gegenstand der Bil­dungs­politik bis zum 21. Jahrhundert. Hamburg: Feldhaus, 77‑93. Teichler, Hans-Joachim (1991): Internationale Sportpolitik im Dritten Reich. Schorn­dorf: Hofmann. Ueberhorst, Horst (1976): Carl Krümmel und die nationalsozialistische Leibes­er­ziehung. Berlin: Bartels und Wernitz. Werth, German (2009): Sport. In: Hirschfeld, Gerhard (Hrsg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg. Akt. und erw. Studienausg. Paderborn: Schöningh, 862 f.

Markwart Herzog

»Es gibt wirklich eine Synthese Soldatentum und Fußballkampf.« Militärsport und Soldatenfußballmannschaften unter dem NS-Regime während des Zweiten Weltkriegs Einordnung In seinem Beitrag beleuchtet Markwart Herzog drei Perspektiven auf Sol­da­ten­ fußballmannschaften der deutschen Wehrmacht während des Zweiten Weltkriegs: In einer ersten erweitert und vertieft er den Blick auf die Verbindung von Sport und Militär am Beispiel des Fußballs; in einer zweiten geht er auf die politisch-ideologische Rolle des Fußballspielens in den deutsch besetzten Gebieten in Zentral- und Osteuropa ein; die dritte widmet sich dem Transfer bestimmter kultureller Muster zwischen Militär und Sport im Fußball. So zeichnet er ein Panorama der alltäglichen, politischen, kulturellen Dimension des Militärsports im Kontext von Zweitem Weltkrieg und NS-Regime und weitet zudem den Blick auf die Zeit nach 1945. Dieser Beitrag ist eine überarbeitete Version1 von Herzog (2008b), wo sich auch weiterführende Angaben zu Quellen, Forschungsliteratur und den Biografien einzelner Akteure finden. Autor Markwart Herzog, Dr. phil., ist Direktor der Schwabenakademie Irsee. Er studierte Philosophie im Hauptfach und forscht seit der Jahrtausendwende über die Kulturund Sozialgeschichte des Sports mit dem Schwerpunkt Fußball in der NS-Zeit. Sein Lieblingszuschauersport ist das Ringen. Er ist Mitherausgeber von »Stadion: Internationale Zeitschrift für Geschichte des Sports«. Seine Veröffentlichungsliste zählt über 300 Titel.

1

Ergänzend wurden die Ergebnisse der jüngeren Forschungsliteratur eingearbeitet (insbesondere Rutz 2008; Herzog 2008c; Herzog 2012; Dahlmann 2014; Herzog 2014a; Herzog 2014b; Dahlmann 2016; Panayi 2018; Herzog 2019; Wittmann 2019; Mayr 2020; Tauber 2021; Nübel 2021); zu Fußballspielen von Militärmannschaften im Kontext der Kultur- und Sportpolitik des NS-Besatzungsregimes und der Wehrmacht – vor allem mit Blick auf die okkupierten Gebiete in Zentral- und Osteuropa – vgl. die in Herzog/Brändle (2015) veröffentlichten Beiträge. Der Verfasser dankt dem Verlag W. Kohlhammer für die Erlaubnis zum Abdruck von teilweise wörtlich übernommenen Textpassagen.

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1. Einleitung Beim Anblick Fußball spielender Soldaten glaubte der bekannte Sportjournalist Erich Menzel die »Synthese Soldatentum und Fußball« (Menzel 1942: 9) zu erkennen, wie er 1942 im Fachorgan »Der Kicker« festhielt. Die Beschreibung als »Verwandtschaft der Gesinnung« oder zumindest »starke Freundschaft«, wie Menzel anschließend relativierte (ebd.), wurde bis weit in die zweite Hälfte des 20.  Jahrhunderts immer wieder bemüht, um einen engen Bezug zwischen Militär und Sport festzustellen. Dieses enge Verhältnis ist jedoch weder selbsterklärend noch ›natürlich‹, sondern absichtsvoll hergestellt (etwa Reichherzer/Elbe in diesem Band). Militärfußball und Militärfußballmannschaften in der deutschen Wehrmacht während der Kriegsjahre 1939 bis 1945 bieten einen geeigneten Zugang, um Akteure und Interessen, Kontexte und Dynamiken nachzuverfolgen, die an der Konstruktion der Beziehungen zwischen Militär und Sport beteiligt waren. Zahlreiche Fußballmannschaften avancierten in den Kriegsjahren auf deutschem Boden und in den besetzten Gebieten zu militärischen Prestigeprojekten. Über die körperliche Ertüchtigung aller Soldaten im Rahmen des obligatorischen Dienstsports hinaus wurde dieser publikumswirksam organisierte und von wehrpflichtigen Spitzenkönnern praktizierte Fußball in neuartige Formen der militärischen Massenunterhaltung eingebunden, die nicht zuletzt auch von kommerziellen Interessen geleitet waren. Gegenstand dieses Beitrags sind Mannschaften, die sich aus Soldaten bestimmter Truppenteile zusammensetzten und an wehrmachtinternen Wettbewerben, Freundschafts- oder Propagandaspielen teilnahmen.2 Die Relevanz für das Thema Militär und Sport in den Kriegsjahren des Nationalsozialismus zeigt sich darin, dass Soldatenmannschaften damals wie Pilze aus dem Boden schossen, sodass die Fachpresse 1943 feststellte: »Wenn der ›Kicker-Fußball‹ 100 Seiten dick wäre, könnte er nicht alle Fußballspiele registrieren, die sich deutsche Soldatenmannschaften in jeder Woche an allen Fronten liefern. Wo nur eine Gefechtspause eingetreten ist, wo nur ein Stück flacher Wiese hinter der Linie vorhanden ist, wird das braune Leder getreten« (Kicker-Fußball, 24, 24.8.1943: 8).

Vor dem Hintergrund des Erkenntnisinteresses am Verhältnis zwischen Militär und Fußball im Zweiten Weltkrieg möchte ich im Folgenden drei Schlaglichter auf das Phänomen der Militärfußballmannschaften werfen: Zunächst verdeutlichen drei Fallstudien zu den Soldatenfußballmannschaften ›Burgstern Noris‹, ›Pariser Soldatenelf‹ und ›Rote Jäger‹ die sozialen Praktiken der Allianz zwischen Fußball und Militär, die weit in die deutsche Sportgeschichte zurückgeht, im Zweiten Weltkrieg ihre intensivste symbiotische Verdichtung und zugleich ihr Ende erreichte. Ein zweites Augenmerk wird – über diese drei populären Mannschaften hinausgehend – auf die Bedeutung des Militärfußballs in den von deutschen Truppen besetzten Gebieten Osteuropas gelegt. Die dritte Perspektive widmet sich dem Kulturtransfer zwischen 2

Eine andere Großgruppe umfasste Militärmannschaften, die im Nationalsozialistischen Reichsbund für Leibesübungen (NSRL) organisiert waren und an Meisterschafts- und Pokalwettbewerben teilnahmen – etwa der Luftwaffen-Sportverein (LSV) Hamburg (dazu Wittmann 2019: 282‑284, 295 f.; Skrentny 2008); Übersicht über »Militärsportvereine im Heer« und »Luftwaffen-Sport­ver­ eine« in: Sport-Jahrbuch für die Wehrmacht 1938/39: 147‑156.



»Es gibt wirklich eine Synthese Soldatentum und Fußballkampf«

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Militär und Fußball. Hat doch das Kameradschaftsmodell des Fußballsports wichtige Charakteristika des soldatischen Gemeinschaftslebens übernommen, weshalb Fußball und Militär von ähnlichen Idealen repräsentativer Männlichkeit geprägt waren.

2. Militärfußballmannschaften in der Wehrmacht während des Zweiten Weltkriegs 2.1 ›Burgstern Noris‹ – Fußball, Militär und Politik im besetzten Flandern ›Burgstern Noris‹ war in der Forschungsliteratur über das Fußballspiel der NS-Zeit bis 2008 eine Marginalie (vgl. auf der Grundlage von Herzog 2008b den WikipediaArtikel ›Burgstern Noris‹ und Bollaert 2012). Doch liefern die ›Burgsternler‹, wie sie in der deutschen Bestatzungspresse genannt wurden, ein eindrückliches Fallbeispiel für die damals möglichen Allianzen zwischen Fußball, Politik und Militär. Die Wurzeln der Soldatenelf liegen in Flandern und reichen in die Sommermonate 1940 zurück, in denen sie sich den Namen ›Burgstern Noris‹ beilegte. Den Anlass zur Gründung der Soldatenelf gab die zufällige Konzentration fränkischer Spitzenfußballer in den beiden Kompanien der Nachrichtenabteilung 17, die im Zuge des ›Westfeldzuges‹ und der Besetzung Belgiens in der Nähe der flandrischen Stadt Gent Quartier bezogen. Bei den Spielern reifte der Wunsch, eine Fußballmannschaft aus der Taufe zu heben. Diese Idee fand bei den Kompaniechefs der Nachrichtenabteilung 17 – den Oberleutnanten Wolfgang Oldenbourg und Georg Lichtenstern – und dem Kommandeur der 17.  Infanteriedivision Herbert Loch Verständnis und Unter­ stützung. ›Burgstern‹ nannte sich die Elf »nach den kombinierten Namen« (Kicker, 46, 12.11.1940: 22) der Kompaniechefs. ›Noris‹ stellte einen Bezug zu der fränkischen Metropole Nürnberg und der Region her, aus der die meisten Soldaten kamen. Der Vorkriegsstandort der Nachrichtenabteilung 17 in Schwabach bei Nürnberg hatte den großen Vorteil, dass sich hier auch die Nachrichtenersatzabteilung 13 befand. Wenn neue Jahrgänge eingezogen wurden, kranke oder verletzte Soldaten nach ihrer Genesung wieder als Ersatz zur Verfügung standen, hielt man Ausschau nach brauchbaren Fußballern für die Nachrichtenabteilung 17. Als etwa Eduard Schaffer, der damals »zu den hoffnungsvollsten Nachwuchs-Torhütern Deutschlands« (Brüsseler Zeitung, 7.5.1941) gehörte, zur Schwabacher Ersatzeinheit eingezogen worden war, gelang es Lichtenstern, den Sudetendeutschen im Februar 1941 in die 1. Kom­pa­nie der Infanteriedivisionsnachrichtenabteilung 17 versetzen zu lassen, in der er bis Kriegsende blieb. Auch die »Brüsseler Zeitung« beteiligte sich an der Suche nach Kickern und erließ einen Aufruf an die in und um Gent stationierten Soldaten: »Sollten sich in der Umgegend noch deutsche Gauligaspieler befinden, werden diese aufgefordert, sich bei der Feldpostnummer 06693 zu melden!« (Brüsseler Zeitung, 28.10.1940). Der Aufruf nennt die Feldpostnummer der 2. Kompanie der Infanteriedivisionsnachrichtenabteilung 17. Darüber hinaus unterstützte die Tageszeitung der

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deutschen Besatzungsbehörden die Burgstern-Elf bei der Verpflichtung attraktiver Gegner für Propagandaspiele (Brüsseler Zeitung, 8.4.1941, 30.4.1941). Die fußballerischen Aktivitäten der ›Burgsternler‹ wurden von unterschiedlichen Nützlichkeitserwägungen, Interessen und Wertzuschreibungen im Spannungsfeld von Fußball, Militär und Politik geleitet und verfolgten mehrere klar erkennbare Ziele: Erholung und Ertüchtigung: Fußball sollte zunächst zur Regeneration, Erholung und Entspannung der Soldaten nach den Entbehrungen der Feldzüge gegen Polen und Frankreich – und später gegen die UdSSR – beitragen und die Zeit in der Etappe sinnvoll gestalten helfen. Sport war ein wichtiger Bestandteil der ›geistigen Betreuung‹. Dessen Funktion beschrieb der Generalmajor und Kommandeur der 17. Infanteriedivision Gustav-Adolf von Zangen, der Nachfolger Lochs, wie folgt: »Ziel der Arbeit muß sein, die Truppe frisch und beweglich zu erhalten und den einzelnen Soldaten zu einem überzeugten Kämpfer für den Freiheitskampf des deutschen Volkes zu machen.«3 Unterhaltung: Darüber hinaus boten die divisionsinternen Wettkämpfe ebenso wie die Spiele gegen Mannschaften anderer Heereseinheiten spannende Abwechslung mit musikalischen Einlagen, wie die »Brüsseler Zeitung« immer wieder hervorhob: »Stabsmusiker Brandt führte mit seinen Mannen den Gentern zackige deutsche Militärmärsche vor, sodaß diese aus dem Staunen gar nicht herauskamen« (Brüsseler Zeitung, 28.10.1940; vgl. ebd., 4.11.1940). Über solche Sportfeste hinaus baute die Wehrmacht im besetzten Westen zur Unterhaltung der Soldaten professionelle Sinfonieorchester auf, die auf beträchtlichem Niveau spielten. Wie Heinz Rühmanns Feuerzangenbowle (1944) in den Kinos bot der Fußball in den Stadien – so Nationalspieler Fritz Walter – Zerstreuung, »Narkose und Belebung zugleich. [...] Dieser Ausgleich erst macht das übrige Leben – sofern man es überhaupt noch Leben nennen kann – erträglich« (Walter 1959: 75). Kameradschaft: Ein weiteres wichtiges Ziel der Fußballspiele galt – »unter dem Motto: ›Soldaten kämpfen vor Soldaten‹« (Leusch 1942: 102) – der Stärkung des Kameradschaftsgeistes. Die ›Burgsternler‹ waren der ganze Stolz ihrer Division. Die Elf war zu jedem Spiel mit einem ganzen Tross Nachrichtensoldaten unterwegs, die als Ballaufpumper, Schuster, Schneider, Wäscher oder Bügler die Fußballer betreuten. Zum »Truppenteil Burgstern Noris« zu gehören, war ein »Passepartout für alle«4 und sicherte eine vergleichsweise privilegierte Behandlung (Freistellungen vom Dienst, gute Sitzplätze im Fronturlauberzug oder bei Kulturveranstaltungen der Wehrmacht usw.). Jedenfalls war Divisionskommandeur Loch vom Wert des Sports für die »geistige Betreuung« (Brüsseler Zeitung, 4.5.1941) seiner Soldaten überzeugt. Sportdiplomatie: Sollten die wehrmachtinternen fußballsportlichen Aktivitäten durch Erholung, Unterhaltung und Festigung der Kameradschaft nach innen wirken, so verfolgten die öffentlichen Wettkämpfe gegen belgische Mannschaften einen nach außen gerichteten propagandistischen Zweck: Die deutschen Truppen sollten, 3 4

17. Division Ic, 8.6.1942, betr. Geistige Betreuung und Freizeitgestaltung, BArch, RH 26-17/33. Diese Formulierung wurde von Georg Lichtenstern verwendet, mit dem der Autor mehrere Ge­ spräche von 2004 bis 2007 führte.



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vertreten durch ihre »sportlichen Soldatenkämpfer« (Brüsseler Zeitung, 7.4.1941), in den besetzten Gebieten einen gewinnenden Eindruck hinterlassen, wie über ein Match gegen La Gantoise Gent konstatiert wurde: »Wieder einmal führten die Soldaten ihr anerkannt famoses Spiel vor, einen Werbekampf im besten Sinne für das Fussballniveau ihres Heimatgaues, der ja in Deutschland [einen guten] Ruf geniesst!« (Brüsseler Zeitung, 4.11.1940; vgl. Lichtenstern 1941a). Die Fußballsoldaten gleichsam als diplomatische Gesandte des Deutschen Reichs: Ebenso interpretierten der Deutsche Fußball-Bund (DFB) und der Nationalsozialistische Reichsbund für Leibesübungen (NSRL) den außenpolitischen Wert der Fußballnationalmannschaft. Auch dieses Selbstverständnis des deutschen Fußballsports reichte zurück in die Zeit vor dem ›Dritten Reich‹ (Eggers 2018: 66‑75). Während die »Brüsseler Zeitung« über ritterliche Kämpfe gegen belgische Mannschaften berichten konnte, artete das Divisionsendspiel 1941 zwischen Burgstern Noris und der ›Gruppe Preu‹5 (das der 17.  Infanteriedivision unterstehende Nürnberger Infanterieregiment  21) in hemmungslose Tretereien aus, in Schlägereien und hitzige Selbstjustiz – »gegen Kameraden des gleichen Volkes« (Brüsseler Zeitung, 7.4.1941) – und schadete der deutschen ›Volksgemeinschaft‹ ebenso wie der ›Frontgemeinschaft‹ der Soldaten. Propaganda – ›ängstliches Herrenmenschentum‹ – Spielverbot: Bei den deutschen Behörden waren internationale Sportwettkämpfe umstritten: Das Propaganda­ ministerium wollte solchen Sportaustausch nur zulassen, wenn ein Sieg des ›Herren­ volkes‹ von vornherein als gesichert galt; dagegen erfüllte der Sport für das Auswärtige Amt eine ergebnisunabhängige politische Funktion der Diplomatie (Teichler 1991: 155‑157, 280, 312‑315, 366 f.; Rutz 2008: 154 f.). Die Position, die das Propagandaministerium in diesem Dauerkonflikt mit dem Außenministerium vertrat, wurde angesichts der ersten Niederlagen, die Burgstern Noris gegen belgische Vereinsmannschaften einstecken musste, mobilisiert. Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten erließ in einem bei Lichtenstern eingehenden Fernschreiben ein Verbot der Burgstern-Spiele gegen belgische Fußballvereine: Es schade der Moral der Truppe und dem Ansehen der Wehrmacht, wenn deutsche Soldaten Spiele verlören, bei denen nationale Identifikation eminent wichtig sei. Denn »es war jedesmal Länderspielstimmung. ›Allons Belgique‹ und ›Ra, ra, ra Germania‹ waren die gebräuchlichen Anfeuerungsrufe der Zuschauer, die begeistert für ihre Länder Partei ergriffen« (Lichtenstern 1941b: o.S.). Auch Otto Steiner, Leutnant der Nachrichteneinheit und Organisator des Spielbetriebes, erinnerte sich: »Wie sehr aber damals auch schon der Sport im Zeichen der großen Politik manipuliert worden ist, kann man an der Tatsache ablesen, daß uns Spiele gegen Auslandsmannschaften verboten worden sind, nur weil wir einmal gegen eine solche verloren hatten« (Steiner 1987: 20).

Ebenso wertete Reichspropagandaminister Joseph Goebbels die Niederlage in einem Eishockeyländerkampf gegen Tschechien am 1. November 1940 als propagandistische Katastrophe (Teichler 1991: 240‑242). 5

Oberst Theodor Preu war vom 10. Dezember 1940 an Kommandeur des Infanterieregiments 21 (Wegmann/Zweng 2000: 263 f.; Scherzer 2005: 577).

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Kooperation mit Ligavereinen: Die fränkischen Vereine waren sehr daran interessiert, dass ihre Spieler zur Nachrichtenabteilung  17 eingezogen wurden, und standen in dauerndem Kontakt mit den Kompaniechefs. Denn damit lagen die Spieler, wenigstens zeitweise, in Reichweite ihrer Stammvereine und konnten für Ligaspiele freigestellt werden. Lichtenstern und Oldenbourg waren kooperativ, selbst dann, wenn Burgstern-Kicker für eine ganze Woche benötigt wurden. Die Vereine mussten in solchen Fällen die Kosten für Reise, Unterkunft und Verpflegung der Soldatenfußballer selbst aufbringen. Umgekehrt stellte der 1.  FC Nürnberg der 17. In­fanteriedivision seine Sportplatzanlagen, einschließlich des Schwimmbades, für Divisions­meisterschaften und andere militärische Sportwettkämpfe zur Verfügung.6 Es war ein Geben und Nehmen zum Vorteil beider Seiten. Interpretationen und Wertzuschreibungen: Bei der Begegnung mit dem von finanziellen Nöten geplagten Deutschen Sportverein Brüssel im März 1941 stand, neben den Zuschauereinnahmen, die »Volksgemeinschaft« im Vordergrund. Deshalb wurde das Spiel klar als »Werteveranstaltung« (Brüsseler Zeitung, 17.3.1941) ausgewiesen: »Immer sind Sportgeist und deutsches Soldatentum zwei verschiedene Formen derselben Grundgesinnung gewesen. Eins ist ohne das andere kaum denkbar. Gute Soldaten sind durchweg auch gute Sportsleute und in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle darf man auch das Umgekehrte behaupten [...] Ist es doch einfach der Ausdruck jener Volkgemeinschaft, die unser Führer immer wieder verkündete und auch heute noch als selbstverständlich fordert« (Brüsseler Zeitung, 16.3.1941).

Mit dieser Wertzuschreibung folgte die »Brüsseler Zeitung« der Sportsoldatenideologie der Reichssportführung, die den »soldatische[n] Fronteinsatz als Heldensport, als Chance ›höchster männlicher Bewährung‹« (Mengden, zit. in: Teichler 1991: 320; vgl. ebd.: 324  f.) propagierte. Die Medien schrieben den Wettkämpfen, je nach Kriegslage, ganz verschiedene Bedeutungen zu. So sollten die 1941 in der 17. In­fan­ teriedivision ausgelobten Mannschaftspreise »sich später einmal nach dem grossen ›Befreiungskrieg von Englands einstiger Weltherrschaft‹ im Quartier einer Kompanie oder Abteilung ausgezeichnet ausnehmen, wenn einer der sportlichen Sol­da­ten­ kämpfer dann künftigen Rekruten-Generationen erzählen kann: ›Das haben wir seinerzeit im grossen Kriege erkämpft‹« (Brüsseler Zeitung, 7.4.1941). Eineinhalb Jahre später, als die militärische Lage an der Ostfront aussichtslos wurde und Burgstern Noris am 17. Januar 1943 bei schwierigsten Bodenverhältnissen im Berliner Poststadion gegen eine Auswahl der Reichshauptstadt 2:6 unterlegen war, sah das »Reichssportblatt« in dieser Niederlage der Noris-Kicker, die »bei allem Mangel an Zeit zum Training [...] fern von einer größeren Ortschaft, ohne richtige Sportplätze, zum Reisen genötigt, um ab und an einen Gegner zu finden, der das letzte abverlangt«, eine ganz andere Botschaft zum Ausdruck gebracht: keine Sieges­zuversicht, sondern verbissenes Durchhaltepathos: »Daß vor den aufgetretenen Schwierigkeiten nicht kapituliert, sondern gespielt wurde, das allein ist wichtig« (Werner 1943: 4; vgl. Wacht II, 29.12.1942, 19.1.1943). Vor allem nach der offensichtlichen Verschärfung der Kriegslage für das Deutsche Reich im Winter 1942/43 im Zuge der Niederlagen in Stalingrad und in Nordafrika machte sich die 6

BArch, RH 26-17/487; BArch, RH 26-17/490; BArch, RH 26-17/497.



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zentrale Parole des Reichssportführers Hans von Tschammer und Osten auch im Militärfußball stärker bemerkbar: »Meine besten Sportler sollen auch meine besten Soldaten sein« (Tschammer und Osten, zit. in: NS-Sport, 1.9.1940: 1; vgl. Teichler 1991: 269, 288 f., 310 f.; NS-Sport, 30.1.1944: 4). Diese Ideologie spiegelte sich in den Schlagzeilen der Militärpresse: »61 Sportler tragen das Ritterkreuz. Be­ währung auf allen Schlachtfeldern Europas« (Wacht  II, 11.11.1941) – »Von 350 sind 300  Soldaten. Zielbewusster Aufbau unserer Fussball-Nationalmannschaft« (Durchbruch, 11.5.1941). Angesichts der veränderten Rahmenbedingungen des von Goebbels ausgerufenen ›totalen Krieges‹ und der damit einhergehenden Mobi­ li­sierungs­welle lieferten Fußballspiele, wie sie bisher noch nützlich waren, jedoch die falschen Bilder. Deshalb absolvierte Burgstern Noris im Frühjahr 1943 das letzte Spiel: gegen den Luftwaffen-SV Mölders Krakau im Dynamo-Stadion von Kiew, wie sich Torwart Schaffer erinnerte. Ein längerer Aufenthalt der Infanteriedivision  17 in oder bei Kiew ist allerdings nicht nachgewiesen (Schmitz et al. 2000: 290–315).

2.2 ›Pariser Soldatenelf‹ – professionelle Unterhaltungsveranstaltungen Ebenso wie Burgstern Noris maßgeblich auf die Initiative zweier Nach­richten­ kompaniechefs zurückgeht, ist auch die Pariser Soldatenelf untrennbar mit dem Namen eines Nachrichtenoffiziers verbunden: Oberleutnant Richard Herrmann. Neben den ›Roten Jägern‹ war die ›Pariser Soldatenelf‹ die in den Kriegsjahren populärste deutsche Militärelf. Die 3.  Kompanie des Luftnachrichtenregiments ›Legion Condor‹ Nr. 3 zog am 19. Juni in Paris ein und bezog Quartier im Vorort St. Cloud nahe dem Prinzenpark-Stadion (Vélodrome du Parc des Princes).7 Der damalige Kompaniechef Hauptmann Pusch übertrug Herrmann die Leitung des dienstlichen Sports. Fast jeden Tag trug die Kompanie im Prinzenparkstadion Fußball- und Handballspiele gegen andere Einheiten aus, unter denen sich jedoch keine ebenbürtigen Gegner fanden. Mit französischen Vereinen war deutschen Wehrmachtmannschaften jeder Sportverkehr verboten. Deshalb nahm Herrmann eine Einladung des AS Roma, des Sportvereins der italienischen Kolonie von Paris, gerne an. Im Beisein des italienischen Konsuls Orlandini siegten die Römer, in deren Reihen »der Internationale Perron und einige Spieler aus der ersten Liga« (Herrmann 1941: 2)8 standen, im Prinzenpark am 31.  Juli 1940 mit 1:0. Herrmann schrieb dazu: 7

8

Kommandeur der Legion Condor war damals Generalmajor Hugo Sperrle, dem im Zweiten Weltkrieg die dritte Luftflotte in Paris unterstand. – ›Legion Condor‹ war nicht nur der Name des Luftnachrichtenregiments Nr. 3, sondern auch der jener verdeckten deutschen Luftwaffeneinheiten, die aufseiten Francos im spanischen Bürgerkrieg kämpften. Am 26. April 1937 flogen Maschinen der Legion Condor einen verheerenden Bombenangriff auf die unverteidigte baskische Stadt Guernica. Aus Protest gegen das Kriegsverbrechen von Guernica schuf Pablo Picasso sein berühmtes gleichnamiges Gemälde. Mit ›Internationale‹ meinte Herrmann ›Nationalspieler‹, ein Neologismus der NS-Zeit (Herzog 2021: 141 f.; Teichler 1991: 100), der sich in der Sprache des Sports schließlich durchgesetzt hat. Der »Völkische Beobachter« wollte in der Ausgabe vom 20. Oktober 1933 den Begriff ›Internationaler‹ als eine Ausgeburt des »Liberalismus [...] ausgerottet« sehen; mit dieser Sprachregelung sollte der

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»Auf den Tribünen der mächtigen Kampfbahn wehte die Reichskriegsflagge und die italienische Trikolore. Aus den Lautsprechern klang deutsche Musik. An der Kasse, auf den Tribünen als Platzanweiser, im Schallplattensenderaum und am Mikrophon waren die Luftwaffensoldaten mit den braunen Spiegeln [Tuchbesatz auf den Kragenecken] eifrig bemüht, diesem sportlichen Ereignis den entsprechenden Rahmen zu verleihen« (Herrmann 1941: 2).

Das Rückspiel gegen die Römer konnten die Soldaten am 24.  August 1940 vor 10 000 Zuschauern mit 3:1 für sich entscheiden. Für diesen Erfolg bekamen sie den »Preis der Luftflotte für sportliche Höchstleistungen« (Herrmann 1941: 4) verliehen. Mit der Heeresdienstvorschrift 1938 und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs hatte sich in den Militärsportvereinen »eine grundlegende Verschiebung vom Breiten- zum Leistungssport« (Wittmann 2019: 284) vollzogen, die sich nicht zuletzt auch in solchen Wettkämpfen im besetzen Frankreich zeigte. Über die Anfänge der Pariser Soldatenelf schrieb die »Pariser Zeitung«:

»Sie ist – was bislang kaum bekannt war – das Produkt eines Zufalls oder besser gesagt, einer flüchtigen deutsch-italienischen Bekanntschaft. Der Präsident des Pariser AS Roma, d.h. des Sportvereins der Pariser italienischen Kolonie, sah die Fussballelf einer Luftnachrichtenkompanie beim Training und übermittelte dem jungen Sportoffizier dieser Kompanie eine Einladung zu einem Freundschaftstreffen« (Ott 1942: o.S.; vgl. Durchbruch, 16.12.1940).

Als sich in Paris ein geregelter dienstlicher Sportbetrieb eingespielt hatte und etliche gute Kicker in der Seine-Metropole stationiert waren, die Herrmann baten, in der Elf seiner Kompanie spielen zu dürfen, reifte der Entschluss, die Kompaniemannschaft zur Pariser Soldatenelf auszubauen und nicht nur Angehörige aller in Paris stationierten Waffengattungen und Truppenteile zu berücksichtigen, sondern auch Soldaten aus dem ganzen ›Großdeutschen Reich‹ (Ott 1942: o.S.). Zu diesem Zweck führte Herrmann ein Ringbuch, in dem er die Namen, Feldpostadressen und Einheiten einer großen Zahl populärer Fußballspieler und ihrer Dienstvorgesetzen dokumentierte, um sich jederzeit mit ihnen in Verbindung setzen zu können. War seine Kompaniemannschaft eine homogene Einheit, nahm Herrmann bei der Pariser Soldatenelf, die er mit Spitzenkönnern aus dem ganzen ›Großdeutschen Reich‹ verstärkte, eine hohe Spielerfluktuation in Kauf (Abbildung 1). Die Pariser Soldatenelf war keine in den Strukturen des Militärs fest institutionalisierte dienstliche Einrichtung, sondern hing weitgehend von Herrmanns freiwilligem Engagement ab. So erklärt sich eine Spielpause von acht Monaten (Fußball, 24, 16.6.1942: 12) daraus, dass Herrmann nach Deauville-Trouville kommandiert worden war und in Paris keinen Spielbetrieb organisieren konnte. Damit war die Herrmann-Elf keine Ausnahme, wie die Gründungsgeschichte von Burgstern Noris und der Roten Jäger zeigte. Parallelen zum Militärsport im Ersten Weltkrieg liegen ebenfalls auf der Hand: Es waren zunächst spontane Initiativen, die von einzelnen sportbegeisterten Persönlichkeiten ausgingen und vor Ort sporadische bisherige »Widerspruch, dass die Vertretung Deutschlands ›Nationalmannschaft‹ hieß, die Spieler selbst aber ›Internationale‹ genannt wurden«, beseitigt werden.

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Abbildung  1: Postkarte mit Karikaturen der Spieler der ›Pariser Soldatenelf‹ (1942), Erinnerungsgabe mit Widmung von Sportoffizier Richard Herrmann. Auf der Karikatur sind zu sehen: Georg Poprawa (als Stürmer mit Flügeln), Werner Günther (feuert Bombe ab), Hans Bornemann (beim Einwurf ), Willi Billmann (hält mit Besen den Strafraum sauber), Hans Fickenscher (mit Feldstecher), Wilhelm Blickle (mit Brille), Helmut Rossberg im ›Tor‹, rechts vorne Richard Herrmann (in Uniform) mit Fritz Walter (als Einwechselspieler); Heinz Ott im Eiffelturm verfasst und verbreitet massenhaft Berichte; außerdem zu sehen: Rudolf Reinhardt, Albert Sing, Hans Fiederer, Robert Bernhardt. DFBA, RH-Dok

Sportaktivitäten auf den Weg brachten, deren Nutzen auf höheren militärischen Ebenen relativ spät erkannt wurde (Tauber 2008: 243 f.). Lukrative Unterhaltung an der Front und in der Heimat: Nach Auskunft Herr­ manns kam die Anregung, die Kompanieauswahl in die Pariser Soldatenelf zu transformieren, von dem Sportjournalisten Heinrich »Heinz« Ott, der von 1941 bis 1944 als Sportschriftleiter für die »Pariser Zeitung« schrieb (Laska 2003: 262, 275‑277; Fußball, 43, 28.10.1941: 13). Ott und Hermann arbeiteten Hand in Hand und verhalfen dem Sport als Mittel der Unterhaltung und Truppenbetreuung zu beachtlichen Erfolgen. Otts Artikel, die nicht nur in der »Pariser Zeitung«, einem Organ der Besatzungsbehörden, sondern auch in den Fachzeitschriften »Der Kicker« und »Fußball – Illustrierte Sportzeitung« sowie in der Tagespresse des Militärs abgedruckt wurden, warben für die Auftritte der Elf, schürten die Nachfrage der Zuschauer und leisteten einen wichtigen Beitrag zur Verbreitung und Vermarktung

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des Renommees der Herrmann-Elf. An Otts Wirken in Paris wird exemplarisch deutlich, dass die Medien »nicht nur, wie bei Historikern üblich, als Quellen der Sportgeschichte zu betrachten« sind, »sondern auch und vor allem als Multiplikatoren des Sportbusiness und als gestaltungsfähige Akteure des Sports generell« (Eisenberg 2004: 80). Aufgrund der Infrastruktur und Logistik des Militärs und der in Paris vorhandenen Möglichkeiten des Marketings, der Kommunikationstechnologien und der Massenmedien konnten die Wettkämpfe als moderne, kommerzialisierte Unterhaltungsveranstaltungen immer größer, professioneller und finanziell einträglicher aufgezogen werden. »Den Kartenvorverkauf übernahm außer der ›Stadtkommandantur von Groß-Paris, I c / W‹ noch ›Militärbefehlshaber, I c / W‹. Von ihnen wurden auch die Sonderzüge für die vielen Soldaten, welche aus dem gesamten besetzten Westgebiete zu den großen Sportveranstaltungen nach Paris kamen, eingesetzt. Für die Propaganda wurde die gesamte Pariser Presse, der Rundfunk, die Anzeigen in den 3 großen Soldatenkinos und Plakatanschläge in ganz Paris mobil gemacht. Fast vor jedem Spiel wurden Reportagen für den Pariser Rundfunk und die Wochenschau gemacht. Insbesondere die ›Stunde des Soldaten‹ in Paris und die französische Wochenschau brachte größere Hör- und Bildberichte. In diesen wurde gleichzeitig auf die später stattfindenden Sportveranstaltungen hingewiesen« (Herrmann 1941: 4).

Häufig wurden die Fußballspiele in ein ganzes Bündel von Freizeitangeboten integriert: Im Vorprogramm fanden Handballspiele statt, für die musikalische Umrahmung sorgte das Musikkorps des Luftnachrichtenregiments ›Legion Condor‹ (Herrmann 1941: 6). Darüber hinaus erregten verschiedene medienwirksame Inszenierungen das Aufsehen der Zuschauer: Gelegentlich wurden die Spiele der Pariser Soldatenelf durch Ballabwurf aus einer Fieseler Storch spektakulär eröffnet (Abbildung 2). Mit den Eintrittsgeldern »wurden die Reklamekosten, Stadiongebühren, Fahrt­ auslagen der Spieler, Anteil der gegnerischen Mannschaften und der Kauf von SportAusrüstungen und -Geräten bestritten« (Herrmann 1941: 7).9 Darüber hinausgehende Summen überwies Herrmann an das Kriegswinterhilfswerk und das Rote Kreuz (Herrmann 1941: 7).10 Die Nachfrage deutscher Soldaten, die in Frankreich stationiert waren, half das Militär dadurch zu befriedigen, dass es sie in großer Zahl in Sonderzügen nach Paris transportierte. Je mehr ›Internationale‹ Herrmann in seine Mannschaft berief, desto größer war der Starrummel, obwohl die nationalsozialistische Sportideologie in der Vorkriegszeit jedweden Star- und Heroenkult verpönt hatte (Strickner 1938: 35 f., 50 f., 58, 60) und allenfalls als »Mittel zum Zweck« bei Wahlaufrufen (Strickner 1938: 50, 62) zugunsten der NSDAP oder bei den Olympischen Spielen 1936 (Strickner 1938: 79 f., 91 f., 94 f.) hinnahm. Allerdings rückte die Reichssportführung spätestens in den Kriegsjahren von ihrer früheren Ablehnung sportlicher Heldenverehrung ab, weil die Heroen nun nicht nur Sportler, 9 10

Vgl. Racing Club de France, Schreiben an Lt. Möller, 22.8.1941: DFBA, RH-Dok. Vgl. Hiden, Hinter den Kulissen; Ott 1942: o.S.; WHW Finanzabteilung, Hauptstelle FinanzSonderaktionen, an Herrmann, 24.10.1942, in: Herrmann, Album  I: 93; vgl. ebd.: 25; NSRL, Sportbereich III, Berlin-Mark Brandenburg, an den Kommandanten von Paris, 28.8.1943: DFBA, RH-Dok.

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Abbildung 2: Ballabwurf aus einer Fieseler Storch zur Eröffnung eines Fußballspiels der ›Pariser Soldatenelf‹ im Prinzenpark-Stadion, Paris. DFBA, RH-Dok

sondern vor allem Soldaten waren (NS-Sport, 30.6.1940: 2; Wacht II, 2.8.1941), die bereit sein sollten, den ›Heldentod für das Vaterland‹ zu sterben. Nationale Bedeutung und Sportpropaganda in soldatischem Geist: Die »Pariser Zeitung« verlieh den sportlichen Großveranstaltungen nationale Bedeutung:

»Das Sportliche war und ist eigentlich nur der äussere Ausdruck dessen, was in uns lebt. Wir wollen stark für Deutschland sein! Von diesem Gesichtspunkt aus sind auch die Spitzenleistungen unserer Sportsmänner zu werten« (Zeitungsausschnitt in: Herrmann, Album I: 46).

Spielkunst, Unterhaltung und Zerstreuung, Machtdemonstration und sportpolitische Propaganda gingen Hand in Hand:

»Sie sind ein wichtiger Faktor in der Betreuung der deutschen Truppen im besetzten Frankreich geworden und zugleich ein festes Bindeglied zwischen Front und Heimat. Für die deutschen Soldaten, die hier im Westen Gewehr bei Fuß stehen, um jeden Invasionsversuch im Keime zu ersticken, bedeuten die Spiele ›ihrer‹ Pariser Soldatenelf Stunden der Erbauung und Entspannung, und eine vorübergehende Befreiung von den vielen kleinen Sorgen des Alltags. Wenn auf dem glatten Rasen des Prinzenpark-Stadions von der Pariser Soldatenelf verwirrende Arabesken und geometrische Figuren mit dem Ball gezeichnet werden, wenn das Leder im eleganten Passpiel von Mann zu Mann wandert, wenn der Gegner mit raffinierten Tricks überlistet und ausmanövriert wird, wenn saftige Schüsse aus allen Lagen aufs gegnerische Tor prasseln – dann fühlen sich die Zehntausende im grauen Rock, die unter den mächtigen Tribünen dem Kampfgeschehen folgen, mit einem Schlage wieder in die Heimat zurückversetzt; sie vergessen, was sie sonst bedrückt, und geben sich dieser willkommenen Abwechslung mit der ganzen Leidenschaft ihres Gemütes hin.

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Man muss einmal in die strahlenden Gesichter der Landser geschaut und einmal die Jubelstürme gehört haben, mit denen sie jede schöne Aktion und jeden Torschuss begleiten und muss wissen, wieviel Stunden sie auf der Bahn gefahren oder zu Fuss marschiert sind, um 90 Minuten lang wieder einmal besten deutschen Fussball bewundern zu können – erst dann vermag man die Grösse der Bedeutung zu ermessen, die den Spielen der Pariser Soldatenelf vom Gesichtspunkt der Truppenbetreuung aus gesehen zukommt. [...] In ihrem Spiel offenbart sich die deutsche Fussballkultur. In ihrem Auftreten aber der Geist des neuen Deutschland, und da im Laufe der beiden vergangenen Jahre auch viele Franzosen sich von ihren Leistungen und ihrer Moral ein Bild machen konnten, ist die Pariser Soldatenelf zum Künder deutschen Sportes in Frankreich schlankweg geworden. Man hat diese Mission gerne übernommen. Sie wird die selbstgestellte Aufgabe auch in Zukunft erfüllen« (Ott 1942: o.S.).

Über diese Sportpropaganda in soldatischem und nationalem Geist hinausgehend, übernahmen die Organisatoren der Pariser Sportfeste auch Hitler-Zitate in die zweisprachigen Programmbroschüren: »Im dritten Reich gilt nicht nur das Wissen, sondern auch die Kraft, und höchstes Ideal ist uns der Menschentyp der Zukunft, in dem strahlender Geist sich findet im herrlichen Körper, auf dass die Menschen über Geld und Besitz wieder den Weg zu idealeren Reichtümern finden« (Programm für das Spiel gegen die Städteelf Nürnberg/Fürth, 2. Juni 1941). Oder: »Geistreiche Völker ohne Mut und Kraft werden stets zu Hauslehrern der gesünderen Rasse degradiert, ihre interessanten Schreibarbeiten sind ein schlechter Ersatz für das verlorene Recht zum Leben, das die Natur immer nur in der Kraft der Lebensbehauptung sieht« (Programm für das Spiel gegen die Soldatenelf des Militärbefehlshabers Belgien/ Nordfrankreich, 14. Juni 1942). Auch außerhalb von Paris war die Soldatenelf ein gern gesehener Gast, der große Zuschauerscharen anzog. So waren 19 der insgesamt 39 Spiele Auswärtsbegegnungen. Sportgauführungen, Feldkommandanturen und NSRL-Instanzen bewarben sich um Spiele, so beispielsweise der NSRL-Sportbereich 3 (Berlin-Mark Brandenburg) anlässlich der ersten Reichsstraßensammlung für das Kriegswinterhilfswerk 1943. Aus diesem Anlass spielte die Pariser Soldatenelf am 26.  September 1943 gegen eine Berliner Stadtauswahl (3:1) im Poststadion. Dieser Wettkampf sollte neben finanziellem Gewinn die Allianz von »Front und Heimat«11 beschwören. Kurz danach, ausgerechnet am Tag des dritten Gründungsjubiläums, bestritt die Mann­schaft ihr letztes Match gegen eine Auswahl des Sportgaues Westmark, das am 19. Dezember 1943 10:0 für die Pariser endete. Angesichts der Kriegslage waren Unter­hal­tungs­ veranstaltungen, wie Herrmann sie in großem Stil organisiert und geplant hatte, nunmehr undenkbar geworden. Rivalisierende Interessen – Spektakel, Fronteinsatz, ›Soldatenklau‹: Die von Herrmann initiierte Stationierung von Spitzenfußballern in Paris erregte nicht nur Argwohn bei jenen, die ideologisch der Reichssportführung nahestanden oder Vereinsinteressen verfolgten. Im Umfeld der Pariser Soldatenelf wird deutlich, welche konkurrierenden Kräfte auf die Spitzenkönner des deutschen Fußballs damals 11

NSRL, Sportbereich III, Berlin-Mark Brandenburg, an den Kommandanten von Paris, 28.8.1943: DFBA, RH-Dok.



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Ansprüche geltend machten. Reichstrainer Herberger sorgte sich, dass die in Paris eingesetzten »Spieler des Nationalmannschaftskreises« durch die enorme Publicity der von Herrmann organisierten Veranstaltungen ins Blickfeld der Reichssportführung und des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) kommen könnten, die sich nun »für die Fronttauglichkeit bezw. Frontbewährung der einzelnen Leute interessierten«.12 Deshalb spielte Fritz Walter, wie von Herberger gewünscht, am 6. Dezember 1942 in seinem letzten Match für die Pariser Soldatenelf unter einem Pseudonym. Aber »Der Kicker« enttarnte Walter, und Herberger befürchtete Konsequenzen des Reichs­ sportführers. Dieser war jedenfalls »furchtbar aufgebracht«, als er Ende 1942 aus der Presse von Fußballspielen der bei Ersatzeinheiten »versteckten« Nationalspieler erfuhr.13 Der Interessenkonflikt ist offenkundig: Um das Prinzenparkstadion zu füllen, musste Herrmann auf die Publicity der in den Wettkämpfen auftretenden Sportler setzen und mit ihren Namen werben; Herbergers Strategie ging in die entgegengesetzte Richtung: Er versuchte, seine Nationalspieler vor dem Zugriff des Militärs für Kampfeinsätze zu verstecken. »Halten Sie sich zurück, machen Sie sich selten und sorgen Sie dafür, daß Ihr Name in den nächsten Wochen nicht genannt wird,«14 schärfte er Walter ein. Dagegen unterliefen die Sportorganisatoren in Wien die politischen Vorgaben mit mehr Geschick, denn »die Presse veröffentlichte keine Mannschaftsaufstellungen, um das Antreten prominenter Spieler zu verschleiern, die offiziell schwer verwundet waren« (Marschik 2005: 96). Herberger brauchte seine Kicker für Einsätze in den Länderspielen und konnte dabei zunächst auf die Unterstützung des OKW bauen, weil der internationale Sportverkehr bis Ende 1942 als kriegswichtig eingestuft wurde (Rolin 1942: 18‑20; Havemann 2005: 254‑272). Das änderte sich endgültig im zeitlichen Umfeld der Niederlage der 6.  Armee im Kessel von Stalingrad, die zur Folge hatte, dass alle Länder­spiele abgesagt wurden (Matheja 2015: 50‑52); Herberger befürchtete zu Recht, dass seine Spieler nun, gemäß der Ideologie des ›Heldensportlers‹ der Reichs­sportführung, als Kanonenfutter herhalten mussten. Umgekehrt benötigte Herrmann Sportstars, vor allem Fußballnationalspieler, um die Attraktivität seiner Großveranstaltungen zur Unterhaltung der Soldaten im Rahmen der Truppen­ betreuung zu erhöhen. Je größer die Zahl der ›Internationalen‹, die er aufbieten konnte, auf desto mehr Zuschauer und Eintrittsgelder konnte Herrmann hoffen. Ein vor dem Länderspiel gegen Bulgarien, das am 19. Juli 1942 in Sofia ausgetragen wurde, von Herberger und dem OKW über Walter verhängtes Spielverbot15 zeigte die Grenzen, die Sportoffizier Herrmann gesetzt waren; im Konfliktfall hatte er schlechtere Karten als Reichstrainer Herberger. Die Reichssportführung ihrerseits wollte jeden Verdacht zerstreut sehen, dass sich die Spitzenkönner des Sports dem Fronteinsatz entzogen und somit Tschammers Parole zuwider handelten, derzufolge Deutschlands beste Sportler auch des ›Führers‹ beste Soldaten und deshalb an die 12 13 14 15

Herberger an Herrmann, 3.9.1942: DFBA, RH-Dok. Herberger, Die Fussball-Nationalmannschaft im Kriege [1943‑1944], DFBA, Herberger-Nachlass, Sa/B, Nr. 22, 1. Herberger an Walter, 20.12.1942: DFBA, Herberger-Nachlass, Sa/B, Nr. 265: 2. Herberger an Herrmann, 3.9.1942: DFBA, RH-Dok.

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Front zu kommandieren seien. Gerüchten, Spitzensportler würden geschont, versuchte Tschammer in der Wehrmachtpresse energisch entgegenzutreten:

»[D]es Sportes wegen ist kein einziger Mann dem Fronteinsatz entzogen, kein Aktiver ist u.k. [unabkömmlich] gestellt, weil er Läufer, Werfer, Fussballspieler, Schwimmer oder Radfahrer ist. Bis auf ganz wenige stehen unsere Spitzenkönner übrigens an der Front [...] Soweit überhaupt bekannte Sportler in der Heimat verblieben sind, ist es geschehen, weil sie in ihrem Beruf für die Rüstungsindustrie unersetzlich sind« (Tschammer und Osten 1942: o.S.; vgl. Mengden 1943: 1).

So sehr Herberger diese Ideologie der Reichssportführung nach außen hin vertrat, wirkte er ihr faktisch entgegen, wenn er sich mit Hilfe ihm wohlgesonnener Militärs darum bemühte, seine Spieler in Paris (Herzog 2008c: 396‑400), in Ersatzeinheiten oder an anderen Stellen abseits der Front stationieren zu lassen. Im ›Fall Walter‹ führte Herbergers Verhalten zu massiver Verstimmung mit der Reichssportführung (Herzog 2009: 179‑182, 190‑193). Ein weiterer Faktor in diesem oft schwer durchschaubaren Konglomerat konkurrierender Interessen sind die Fußballclubs, die eigennützig darauf bedacht waren, ihre Spieler im eigenen Verein einzusetzen. Deren Abstellung für die Nationalmannschaft stand also nicht nur im Gegensatz zu den Zielen des Militärs, sondern teils auch zu denen der Fußballclubs (Goch/Silberbach 2005: 156; Herzog 2009: 176‑178). Berufungen zu Länderspielen und Lehrgängen des Reichstrainers schwächten die Vereine. Walter stellte dazu nüchtern fest: »Jeder strengte sich an, damit der Einsatz im nächsten Länderspiel und damit der nächste Urlaub gesichert war« (Walter 1959: 16). Albert Sing bezog sich auf diese Konfliktzone, wenn er dem sechsfachen deutschen Fußballmeister Hans Bornemann schrieb, Herberger habe ihm erzählt, »das könnte nicht mit rechten Dingen zugehen, zum mindesten gehöre ein sportfreudiger Offz. dazu, daß Du [Bornemann] zu jedem Schalker Spiel fahren könntest«.16 Dass sich der FC Gelsenkirchen-Schalke 04 – in der ersten Kriegsphase mit Erfolg – um die heimatnahe Stationierung seiner Kicker und deren Freistellung für wichtige Spiele bemühte (Goch/Silberbach 2005: 151‑155), war keine Ausnahme, sondern auch bei anderen Vereinen Usus (Thoma 2007: 157‑159; Herzog 2009: 175‑182). ›Cultural Economics‹ in Sport und Politik: Die von Herrmann organisierten Veranstaltungen waren keine gewöhnlichen Fußballspiele, die zwei Mal 45 Minuten dauerten; denn sie integrierten verschiedene Formen des zivilen Massenentertainments und der modernen Freizeitkultur, spektakuläre Sensationen des Militärs und politische Propaganda zu einer wohldurchdachten Einheit: beginnend mit professioneller Werbung durch Plakatierung, Radio- und Wochenschauankündigungen, mit Handballmatches im Vorprogramm und Ballabwürfen aus Flugzeugen zur Spieleröffnung, mit Leichtathletikwettkämpfen, Turndarbietungen und musikalischer Unterhaltung, bis hin zur medialen Weitervermittlung und -vermarktung der Ereignisse in Radiosendungen, Soldatenkinos und Wochenschaubeiträgen, begleitet von politischen Inszenierungen wie Flaggenhissen, Deutschlandhymne und ›HorstWessel-Lied‹ oder öffentlichen Bekenntnissen zum militärischen Bündnis mit Italien und Spanien. 16

Sing an Bornemann, 7.9.1942: DFBA, RH-Dok; vgl. Fußball, 30, 28.7.1942: 9.



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Es waren prestigeträchtige Sportfeste der Truppenbetreuung (siehe auch Nübel und Kollmer in diesem Band) mit ausgeprägt kommerziellen Absichten und charakteristischen Dynamiken der modernen Unterhaltungsindustrie. Die Pariser Sol­ daten­elf lieferte ein instruktives Beispiel für die cultural economics des modernen Sports (Eisenberg 2004; Eisenberg 1999a: 216‑233; Eisenberg 2003: 37‑40), in deren Rahmen die Rollen der Teilnehmer und Zuschauer, der Produzenten, Manager und Organisatoren, der Konsumenten und Finanziers der Dienstleistung Sport und deren Vermarktung in den Medien nahtlos ineinander übergingen. Verbunden mit dem Ziel einer Professionalisierung des Spielbetriebs traten diese Ansätze einer Kommerzialisierung des Militärsports in der Luftwaffenmannschaft ›Rote Jäger‹ von Major Hermann Graf noch deutlicher hervor als in Oberleutnant Richard Herr­ manns ›Pariser Soldatenelf‹.

2.3 ›Rote Jäger‹ – Entspannung und Ablenkung im ›totalen Krieg‹ Neben der Pariser Soldatenelf gehörten die Roten Jäger zu den bekanntesten, nicht im NSRL organisierten Militärmannschaften während des Zweiten Weltkriegs (zum Folgenden Herzog 2008b; Herzog 2008c; Herzog 2009: 190–206). Ihr Gründer war der seinerzeit berühmte Jagdfliegermajor Hermann Graf, der bereits am 1. Mai 1933, vor seiner Militärdienstzeit, Mitglied der NSDAP wurde und Ehrenmitglied im NS-Fliegerkorps war.17 Anders als die Pariser Soldatenelf stellten die Roten Jäger eine homogene und gut eingespielte Mannschaft mit geringer Spielerfluktuation. Dies erklärt teilweise die hervorragende sportliche Bilanz der Luftwaffenelf (KickerFußball, 7, 4.4.1944: 4): In 34 Matches errang sie bis April 1944 30 Siege bei nur drei Niederlagen und einem Unentschieden, sodass eine Zeitschrift titelte: »›Rote Jäger‹ legen alle Gaumeister um« (Kicker-Fußball, 5, 7.3.1944: 7; vgl. Walter 1959: 76‑84). Der ›Cirkus Graf‹: Bereits 1940/41 hatte Graf in Rumänien eine Fußballelf aufgebaut. Er tat dies im Einvernehmen mit seinem Vorgesetzten Oberleutnant Gotthard Handrick, dem Olympiamedaillengewinner im Modernen Fünfkampf von 1936. Graf war von Handrick autorisiert, mit Soldaten der dritten Gruppe des Jagdgeschwaders und der Stabskompanie eine Fußballmannschaft zu bilden. Teilweise leitete Handrick das Training (Walter 1959: 71‑73; Bergström et al. 2003: 22‑31; Graf 1950: 7).18 Offenkundig verlief die Gründung der Roten Jäger ähnlich wie bei der Pariser Soldatenelf und Burgstern Noris: Ganz am Anfang standen ein sportbegeisterter Offizier und eine Auswahl begabter Spieler eines bestimmten Truppenteils. In einem späteren Stadium wurden Spitzenkönner, auch aus anderen Wehrmachtverbänden, gezielt hinzugezogen. Schließlich trat die Auswahl unter einem besonderen Namen auf, der – bei den Roten Jägern in Verbindung mit einem Bildmotiv – zu einem Markenzeichen des Truppenentertainments wurde. Wenn Graf den Standort oder das Geschwader wechselte, war die Mitnahme seiner Fußballtruppe jeweils obligatorisch. Als er die Aufstellung des Jagdgeschwaders 50 übernommen hatte, lud er Sepp 17 18

Graf, Meldebogen, 18.1.1950: LA BW, SAFbg: D 180/2, Nr. 228.919. Graf an Herberger, 17.2.1943: DFBA, SH-N, Sa/B, Nr. 265, 1.

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Herberger zum Training nach Wiesbaden-Erbenheim ein (Walter 1959: 33 f., 39). In dieser Zeit erhielt Graf die berühmten knallroten Trikots von Georg Xandry, dem Geschäftsführer des NSRL-Fachamtes Fußball (Walter 1959: 34; Graf 1950: 8). Von Sommer 1943 an nannten sich Grafs Kicker ›Rote Jäger‹ und suchten nach Gegnern für öffentliche Wettspiele (Walter 1959: 33  f.). ›Cirkus Graf‹ wurde die Luftwaffenelf genannt, weil es sich bei ihr um die Marotte eines sportbegeisterten Jagdfliegers handelte, der aufgrund seiner militärischen Erfolge besondere Vorrechte genoss und relativ weite Handlungsspielräume nutzen konnte. Von Grafs Privilegien profitierte Reichstrainer Herberger, der in Graf einen für die Interessen des Sports aufgeschlossenen Offizier fand. Beide kannten sich schon länger: Bereits 1938 und 1939 hatte Herberger Torwart Graf zu Sichtungslehrgängen der Nationalmannschaft eingeladen.19 Beim Militär verstand es Graf, an die Freizeitvergnügen seiner Jugend anzuknüpfen: »Mein Herz gehörte alle Zeit der Fliegerei, aber meine Freizeit dem Fußball« (Graf 1950: 2; vgl. Bergström et al. 2003: 11 f.). ›Soldatenklau‹ gegen den ›Heldenklau‹: Herberger hatte es durch Länderspiele und Trainingslager bis Ende 1942 geschafft, etliche Nationalspieler davor zu bewahren, dass sie an die Front kommandiert wurden. Wie bereits die Auseinandersetzungen um die ›Pariser Soldatenelf‹ belegen, stand er einerseits im Gegensatz zur Ideologie des NSRL und der Reichssportführung, derzufolge der Sport dem Militär zu dienen habe. Andererseits kam ihm der Umstand entgegen, dass Länderspiele aus propagandistischen Gründen zunächst ›kriegswichtig‹ waren. Als sich die Rahmenbedingungen mit den Niederlagen der Wehrmacht im Osten änderten, wurde der internationale Fußballspielverkehr eingestellt. Nun sollten sich die Spitzenathleten im ›Helden­ sport‹ des Fronteinsatzes auszeichnen. Die Ersatztruppenteile wurden immer rigider nach ›kriegsverwendungsfähigen‹ Soldaten durchkämmt. Herberger reagierte auf diesen »Heldenklau« mit »Soldatenklau« bzw. »Rückberufung« der Nationalspieler (Herzog 2009: 190 f.; Mayr 2020).20 In dieser Situation gewann der Reichstrainer Jagd­flieger Graf für seine Strategie, bis Kriegsende wichtige Spieler bei dessen Boden­ per­sonal zu bunkern. Hier deckten sich die Interessen Herbergers mit denen der Sol­ da­ten­fußballer, die Grafs Geschwadern angehörten: Sie wollten ihre Gesundheit und Fitness für den Sport in der Zeit nach dem Krieg und vor allem ihr Leben erhalten (Abbildung 3). Für die vom Heer zur Luftwaffe versetzten Soldaten mussten passende Aufgaben­ bereiche gefunden werden. In Grafs Geschwadern gehörten sie meist dem Stab oder Werftzug an, wo sie für die Wartung der Flugzeuge und Waffen zuständig waren. Vor allem für den jungen Ausnahmespieler Fritz Walter sollte sich die von Herberger mit Graf geschmiedete Allianz auszahlen. Als Walter in Italien an Malaria erkrankt war, erwirkte Graf, dass der geschwächte Spieler Ende 1943 zu seinem Jagdgeschwader nach Jever versetzt wurde (Walter 1959: 12 f., 27‑29; Graf 1950: 3).21 Herberger hatte den Blick auf die Nachkriegszeit gerichtet und Graf davon überzeugt, dass es sich bei Walter »nicht nur um einen hoffnungsvollen Fußballer, sondern um den ta19 20 21

Graf an Herberger, 17.2.1943: DFBA, SH-N, Sa/B, Nr. 265, 1; Herberger, Meine Kunstflüge: DFBA, SH-N, Sa/B, Nr. 7. DFBA, SH-N, Sa/B, Nr. 263, 1. Graf an Herberger, 23.12.1943: DFBA, SH-N, Sa/B, Nr. 23, 2.

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Abbildung  3: Dienstsport der Roten Jäger (3. Gruppe Jagdgeschwader 52) vor den Flugzeughallen des Geschwaderstützpunkts Charkow mit improvisierten Toren, UdSSR,1942. Traditionsgemeinschaft Jagdgeschwader 52, Archiv und Museum, Tengen im Hegau

lentiertesten ganz Europas« handle, »den man ›Fußball-Deutschland‹ erhalten« (Graf 1950: 6) und »über den ›Winter‹ des deutschen Sportes« (Graf 1950: 26) bringen müsse. – Ein erst in jüngerer Zeit erforschtes Thema ist die Selbstverstümmelung von Fußballspielern, die dadurch nicht nur ihre Wehrfähigkeit vorübergehend einbüßten, sondern auch Fußballeinsätze verpassten (Forster/Spitaler 2015). Truppenbetreuung und Professionalismus: Zur wirtschaftlichen Seite der Roten Jäger ist Folgendes überliefert: Graf bzw. Oberzahlmeister Mackel, der die Spielabschlüsse organisierte, teilte die Eintrittsgelder mit den Gegnern. Aus den verbleibenden Mitteln wurde ein als ›Sozialfonds‹ bezeichnetes Finanzdepot aufgebaut. »Wenn einer von Grafs rund zweitausend Geschwaderangehörigen fällt, dann erhalten die Hinterbliebenen eine Unterstützung aus der Kasse der ›Roten Jäger‹. Die Höhe der Summe kann je nach dem Grad der Bedürftigkeit bis zu 3000 Mark betragen« (Walter 1959: 52). Damit war Grafs Fußballtruppe eine Art »Versorgungsanstalt des Geschwaders« (Graf 1950: 38; vgl. Mikos/Nutt 1998: 123 f.). Ebenso wie die Pariser Soldatenelf diente der ›Cirkus Graf‹ vorrangig der Unterhaltung. Walter merkte dazu an: »Nun, die ›Roten Jäger‹ sind ganz unfreiwillig in die Sparte ›Truppenbetreuung‹ hineingerutscht. Man erwartet, daß sie den Soldaten und der Zivilbevölkerung durch ihr Spiel Freude machen und Ablenkung verschaffen« (Walter 1959: 103). Gleich­ wohl unterschied sich die Pariser Soldatenelf in der Verwendung der Zuschauer­ einnahmen von den Roten Jägern. Hatte Herrmann die nach Abzug der Kosten verbliebenen Einnahmen an Rotes Kreuz und Kriegswinterhilfswerk überwiesen,

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verfolgte Graf, über seinen ›Sozialfonds‹ hinaus, langfristig ganz andere Ziele, die im Gegensatz zur offiziellen DFB-Ideologie des Amateurismus standen (Eggers 2003; Havemann 2005: 50‑62, 98‑101). Er dachte gar nicht daran, die Spieleinnahmen für gemeinnützige Zwecke einzusetzen. Deshalb soll der NSRL schriftlich mit dem Vorwurf an den Oberbefehlshaber der Luftwaffe Hermann Göring herangetreten sein, dass Graf »Soldaten vom Fronteinsatz zurückhalte« und »das Berufsfußballtum automatisch heraufbeschwöre« (Graf 1950: 40). Graf war ein entschiedener Ver­fech­ ter des Professionalismus im Sport. Galt Herrmanns Hoffnung der Rückkehr seiner Spieler in die bürgerlichen ›Amateur‹-Vereine des DFB, so beabsichtigte Graf, die Roten Jäger nach dem Krieg zusammenzuhalten und mit dem im Krieg eingespielten »Stammkapital« als Profimannschaft zu führen. Er wollte lukrative Spiele in Europa und Übersee abschließen und seine Kicker am Gewinn beteiligen; denn, so Graf, die »Entwicklung zum professionellen Fußball« sei nicht »aufzuhalten« (zit. in: Walter 1959: 155). In Deutschland dauerte es immerhin bis 1972, dass der DFB die bis dahin geltenden Höchstbeträge für Spielergehälter und Ablösesummen abgeschafft und damit das offene Berufsspielertum eingeführt hatte.

3. Sporteskapismus – Flucht ins Private – Kulturdiplomatie Das aus der Zivilgesellschaft ins Militär transferierte, am bürgerlichen Vereinswesen modellierte gesellschaftliche Subsystem Sport erwies sich gerade aufgrund seiner relativen Entpolitisierung, Kommerzialisierung und Entmilitarisierung als funktional wichtig, weil es eskapistische Bedürnisse der Soldaten zu befriedigen vermochte. Für die Vorkriegszeit unter dem NS-Regime hatte bereits Christiane Eisenberg eine zunächst überraschend erscheinende Zivilisierung im Sportvereinswesen in dem Sinn herausgearbeitet, dass die NSDAP aus macht- und herrschaftstechnischen Gründen nach der ›Röhm-Aktion‹ »im Übergang von der Bewegungs- zur Systemphase« nicht daran interessiert war, den Wehrsport in den Übungsbetrieb des bürgerlichen Sports zu integrieren, sondern der funktionslos gewordenen SA zu übertragen. Demzufolge sollte »der sich selbst genügende Sport« gleichsam »nur noch den zivilen Leerlauf antreiben«. Mit der »Entlastung des zivilen Sports von paramilitärischen Elementen« habe sich das nationalsozialistische Regime »entgegen seinen ideologischen Vorgaben auf die Seite der kulturellen Moderne gestellt« (Eisenberg 1999a: 392 f.; vgl. Teichler 1991: 368). Eisenberg brachte ihre These prägnant auf den Begriff der ›Eigenwelt‹ des Sports, der sich »innerhalb des nationalsozialistischen Herrschaftssystems zu einer En­klave der Normalität, in mancher Hinsicht sogar zu einer Gegenwelt« (Eisenberg 1999a: 441) entwickelt habe. Diese von Eisenberg eröffnete Perspektive bestätigt sich eindrucksvoll in verschiedenen Kontexten des europäischen Fußballs zur Zeit des Zweiten Weltkriegs und der damals gepflegten Sportgeselligkeit. So diente der Militär­sport der Unterhaltung und guten Laune der Soldaten, sowohl in der ›Ostmark‹ (Spitaler/ Forster 2015: 72‑74) als auch im ›Altreich‹ (Herzog 2015b: 345‑347, 364‑366); ihm kam somit eine eskapistische Funktion zu, die auch für den britischen wartime



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football wichtig war (Brändle 2015: 199, 206). Selbst in osteuropäischen Ländern, die von deutschen Truppen besetzt worden waren, schien Fußball häufig weniger der triumphalen Manifestation des nationalsozialistischen ›Herrenmenschen‹ und der Erniedrigung der Bevölkerung gedient zu haben als der Kurzweil und Zerstreuung der Besatzungssoldaten und der Einheimischen. Dies scheint auch für das ›Todesspiel von Kiew‹ 1942 und viele andere Fußballbegegnungen in der Ukraine gegolten zu haben (Krugliak/Krugliak 2015: 262 f.), in deren Rahmen es stattgefunden hatte. Das vermeintliche Todesspiel soll eine deutsche Militärmannschaft gegen die Elf einer Kiewer Brotfabrik verloren haben, wofür sich die Besatzer unmittelbar nach dem Schlusspfiff mit der Ermordung der ukrainischen Mannschaft gerächt haben sollen. Das Spiel selbst wurde zweifellos ausgetragen, nicht jedoch das blutige ›Nachspiel‹, das ihm die Sowjet-Propaganda angedichtet hat (Riordan 2003; Herzog 2015a: 18‑21; Krugliak/Krugliak 2015; Schwab 2015).22 In dieser Hinsicht erfüllte die Erzählung ähnliche Funktionen wie die Heroisierung von Fuß­ ball­ spielen unter den grausamen Bedingungen der 872 Tage andauernden Blockade Leningrads durch die Wehrmacht, die sich ebenso als einer der sowjetischen Gründungsmythen tief ins kollektive Gedächtnis der UdSSR eingebrannt hat (Ganzen­müller 2005: 315‑362; Chertov 2008). In gewisser Weise korrespondierte die sowjetische Erzählung des ›Todesesspiels von Kiew‹ auch mit der Perspektive des Reichspropagandaministeriums, das den sportlichen Austausch zwischen Deutschen und Bürgern der besetzten Länder in der Tat ausgeschlossen hatte, wenn Siege der vermeintlichen Herrenmenschen nicht garantiert werden konnten (Teichler 1991: 12, 143 f., 146‑148, 222 f., 240‑242, 280 f., 309‑315, 324 f., 365 f., 370). Doch offenkundig setzen sich beim sportlichen und sonstigen kulturellen Austausch zwischen den Besatzern und der Bevölkerung in den besetzten Gebieten immer wieder die Interessen des Außenministeriums gegen die des Propagandaministeriums durch. Ergebnisoffene Wettkämpfe waren, wie oben bemerkt, in der Politik des Auswärtigen Amtes ebenso opportun wie Niederlagen deutscher Militärmannschaften gegen einheimische Teams etwa in besetzten weißrussischen und ukrainischen Gebieten (Friedman 2015: 253‑255; Krugliak/Krugliak 2015: 262‑269), um die Bevölkerung bei Laune zu halten, ihr ein Ventil für aufgestaute Aggressionen (Teichler 1991: 220, 222 f., 242‑244) zu bieten und sie für das ›Großdeutsche Reich‹ zu gewinnen. Die Ministerien Josef Goebbels’ und Joachim von Ribbentrops lagen hinsichtlich der politischen Funktionen des Sports während der Kriegsjahre des ›Dritten Reichs‹, wie oben erwähnt, in einem bis zuletzt ungelösten Dauerkonflikt mit wechselnden Zuständigkeiten (Teichler 1991: 313‑315, 337; vgl. ebd.: 107, 109‑113, 223, 270‑273, 370), die in der Kompetenzanarchie und Ämterpolykratie der nationalsozialistischen (Sport-)Politik begründet waren (Teichler 1991: 13, 193‑216). Ergaben ergebnisoffene internationale Sportwettkämpfe, bei denen Niederlagen von deutschen Mannschaften oder Einzelathleten in Kauf genommen wurden, aus der Sicht des Außenministeriums einen Sinn, so konnte Goebbels angesichts von Niederlagen den 22

Zwar wurden Spieler der Mannschaft aus der Kiewer Brotfabrik während der extrem gewalttätigen und repressiven Besatzungpolitik inhaftiert und zur Zwangsarbeit verpflicht; einige wurden umgebracht. Bezüge zu den Fußballspielen gegen deutsche Mannschaften lassen sich jedoch nicht herstellen (Krugliak/Krugliak 2015).

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Abbruch des Sportverkehrs mit dem jeweiligen Land durchsetzen, aus Gründen der Auslandspropaganda Sportveranstaltungen oder Direktübertragungen internationaler Sportwettkämpfe in den Medien verbieten und den internationalen Sportverkehr des Deutschen Reichs schließlich ganz einstelllen (Teichler 1991: 239‑242, 281, 312, 330‑342, 365  f.). Dagegen war der vom Auswärtigen Amt durch internationale Sportbeziehungen gepflegte Kulturaustausch bereits in der Vorkriegszeit des Nationalsozialismus ein willkommenes Instrument der Politik (Teichler 1991: 16, 155‑157), das auch in den Kriegsjahren zum Tragen kam. In den besetzten Gebieten Zentral- und Osteuropas schloss die Kulturdiplomatie nicht nur den Sport, sondern auch andere Geselligkeit stiftende Praktiken und Medien der Unterhaltung ein; sie zielte auf eine Politik der Verständigung und Annäherung, die bestrebt war, Bündnisse gegen die Sowjetunion zu schmieden, als die Rote Armee von Erfolg zu Erfolg eilte, und dabei auch die Zivilbevölkerung miteinzubeziehen. Fußballveranstaltungen mit teilweise umfangreichem Kulturprogramm brachten auf dem Spielfeld und im Publikum deutsche Soldaten und Militärs der mit dem ›Dritten Reich‹ verbündeten Staaten sowie Zivilisten besetzter Gebiete, etwa in der Ukraine und Serbien, zusammen (Yakovenko 2015; Zeck 2015: 295 f.). Vor dem Hintergrund dieser außenpolitischen Interessen boten gerade der politisch vermeintlich neutrale Sport, vor allem die Fußballspiele der deutschen Soldatenmannschaften und Militärsportvereine, eine ideale Bühne für Entertainment und Verständigung (Abbildung 4). Zweifellos waren die deutschen Militärsportvereine ein integraler Baustein im nationalsozialistischen Sportsystem und in dieses funktional eingebunden (Wittmann 2019: 270‑272); dennoch waren sie verhältnismäßig schwach von NS-Ideologie durchdrungen (Wittmann 2019: 290‑295). Dieser Befund trifft auch auf die Vereinszeitschriften der Militärsportvereine zu, in denen das ideologisch-propagandistische Potenzial des Sports wenig genutzt wurde. Selbst in der UdSSR verzichtete die Sportberichterstattung der Besatzungs­be­ hörden auf die sonst inflationär verbreiteten antibolschewistischen und antisemitischen Tiraden (Friedman 2015: 254‑256) und ähnelte damit der reichsdeutschen Fußballpresse der Vorkriegszeit, die sich ›weltanschaulicher Exerzitien‹ weitgehend enthielt (Eggers 2008: 172). In diesem Sinn setzte Karl Hermann Frank, seit 1939 Staatssekretär beim Reichsprotektor in Böhmen und Mähren, auf die entpolitisierende und identitätsstiftende Wirkung von Sportveranstaltungen, um bei der Bevölkerung eine »Hinlenkung auf das Reich« zu erreichen (Teichler 1991: 247‑250, 371, Zitat 250). Diktaturen funktionieren eben nicht nur durch ein Klima der Angst, der Indoktrination und Unterdrückung, durch ›Gleichschaltung‹ und Homogenisierung, sondern auch durch politisch neutrale Zonen wie den Massensport (Herzog 2014b). Damit erfüllte der Sport eine wichtige Funktion für die Stabilisierung des nationalsozialistischen Herrschaftssystems unter sich radikalisierenden Rahmenbedingungen. In dieser Hinsicht bot das Fußballspiel in Polen zunächst ein ganz anderes Bild, nachdem die Verbündeten Hitler und Stalin das Land unter sich aufgeteilt und ihren imperialistischen Herrschaftsbereichen einverleibt hatten. Ein eigenständiges polnisches Sportleben war nicht vorgesehen, stattdessen rassische und völkische Abgrenzung und Fußballspiele nur für Deutsche (Urban

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Abbildung 4: Plakate zu militärischen Sportveranstaltungen in den von deutschen Truppen besetzen Gebieten in Zentral- und Osteuropa. Biblioteka Narodowa, Warschau; polona.pl

2015: 306‑308; vgl. Teichler 1991: 151; siehe auch oben Abbildung 2). Polnische Bürger wurden aus dem Ligabetrieb ausgeschlossen, für sie waren Fußballspiele symbolträchtige, konspirative Widerstandshandlungen, die außerordentlichen Mut voraussetzten (Urban 2015: 312‑314). Erst als nach dem Bruch des Hitler-StalinPaktes und der Niederlage der 6. Armee im Kessel von Stalingrad die Rote Armee unaufhaltsam vorrückte, milderten die deutschen Besatzer ihre Unterdrückungspolitik und setzten jenen Kultur- und Sportaustausch mit den als ›Untermenschen‹ verachteten polnischen Bürgern auf die Agenda (Urban 2015: 316), der auch in anderen besetzen Gebieten Osteuropas praktiziert wurde. Sport war eine »außenpolitische Allzweckwaffe« (Teichler 1991: 259), die sich für die unterschiedlichsten und gegensätzlichsten Ziele einsetzen ließ. Fußball schuf einen gewissen Rückzugs- und Freiraum. Er bewahrte sich auch in der Schreckenszeit des Nationalsozialismus eine gewisse Autonomie, befriedigte die eskapistischen Bedürfnisse der Besatzer und der Bevölkerung in den besetzten Gebieten. Dennoch konnte er problemlos politisch und militärisch vereinnahmt werden. Unterhaltung und Propaganda, beispielsweise für den Nationalsozialismus als ›wahren Sozialismus‹ und die ›überlegene arische Herrenrasse‹ (Friedmann 2015: 249), konnten Hand in Hand gehen (Zec 2015: 295). Damit kann ein kritischer Seitenblick auf Timothy Snyder geworfen werden, dessen wichtiges Werk »Bloodlands« (Snyder 2010) die unspektakuläre Normalität eines durchaus vor-

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handenen Alltagslebens fernab vom nationalsozialistischen und stalinistischen Massenmorden, zu der auch Fußballbegegnungen gehörten, nicht genügend Beachtung geschenkt hat (Friedman 2015: 256). Indem Fußballspieler sich in einem eigenen Regeln gehorchenden gesellschaftlichen Subsystem bewegten, konnten sie zeitweise von Kommandierungen an die Front verschont bleiben, was trotz des politischen Nutzens des Unterhaltungsangebots Fußball umstritten blieb, denn ihre Privilegien waren zeitweise so offenkundig, dass Fußballspieler Unmut, Ärger und Neid erregten und Kritik provozierten (Spitaler/Forster 2015: 66‑79; Herzog 2015b: 347, 363 f.; Matheja 2015: 54‑56; Teichler 1991: 319‑321, 334). Ähnlich vehemente Kritik wurde an Fußballfanatiker gerichtet, denen der Gewinn eines »Fußballspiels mehr am Herzen lag als die Einnahme irgendeiner Stadt im Osten« (Goebbels, zit. in Teichler 1991: 366). Gerade in den Kriegsjahren bot der Sport den Athleten und ihrem Publikum willkommene Momente selbstvergessener »Alltagsentrücktheit« (Teichler 1991: 372). Hans Joachim Teichler hat diese Bedeutung des Sports im Zweiten Weltkrieg bereits 1991 deutlich herausgearbeitet: »Die unglaubliche Sportbegeisterung jener Jahre lag sicherlich auch darin begründet, daß man im Sport der politischen Dauerberieselung und den Sorgen des Alltags entfliehen wollte, daß man Sehnsucht nach einem Stück Frieden im Krieg hatte« (ebd.).

Zugleich betonte Teichler, dass »gerade diese Flucht ins Private« (ebd.) den politischen, systemstabilisierenden Nutzen des Sports im Krieg begründet habe. In der Populärkultur des Nationalsozialismus war vor allem der Fußball als zweckfreies Spiel im »Pausenraum des ›Dritten Reiches‹« (Würmann/Warner 2008; vgl. Herzog 2015b: 348), zumindest für männliche Sportbegeisterte, an der ›Heimatfront‹ und an den wechselnden Kriegsfronten schlechthin unverzichtbar. Sport, Politik und Militär profitierten wechselseitig voneinander. Dem Sport war die Aufgabe zugedacht, die ›Volksgenossen‹ von den alltäglichen Schwierigkeiten und den Zerstörungen der Bombenangriffe der Alliierten abzulenken, sie zu unterhalten und zu zerstreuen, ein kriegspsychologisch wichtiges Refugium der Normalität aufrechtzuerhalten, Soldaten im Rahmen der Truppenbetreuung bei Laune zu halten und nicht zuletzt in urbanen Ballungszentren mit Rüstungsindustrie und Zwangsarbeitslagern Freizeitangebote zu schaffen und aufgestaute Kaufkraft abzuschöpfen (Bernett 1976: 94‑97; Budrass 2007: 61‑67). In politischer Hinsicht stellte der Sport sein großes außersportliches Sinnpotenzial unter Beweis, indem er sich für so unterschiedliche Zwecke wie die des Reichspropagandaministeriums und des Auswärtigen Amtes als auch die des polnischen Widerstands gegen die nationalsozialistische Okkupation nutzen ließ. Gerade in den Kriegsjahren erwies sich das Spiel in seiner Deutungsoffenheit, Abstraktionsund Anschlussfähigkeit für außersportliche Kontexte als außergewöhnlich plastisch (Dietschy 2006: 173; Dahlmann 2014: 129) und – nicht nur in dieser Zeit – als ein sehr produktiver Lieferant von Fußballmythen, die bis heute für wahr gehalten werden, selbst wenn sie, wie etwa das ›Todesspiel von Kiew‹ 1942, von der Forschung längst widerlegt sind (Herzog 2015a).



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4. Kameradschaften in Militär und Fußball Die Alltagskulturen des Militärs und des Fußballs wiesen bereits in der Kaiserzeit in Ideologie und Selbstverständnis, in Symbolik und Rhetorik, in Ritualen und Vergesellschaftungsformen erhebliche Überschneidungen auf, die im Folgenden dargestellt werden sollen. In den Soldatenfußballmannschaften des Zweiten Welt­kriegs verschmolzen ein sportliches und ein militärisches Modell repräsentativer Männ­lich­ keit zu einer nahezu ungebrochenen Einheit, wie sie in Burgstern Noris, der Pariser Soldatenelf und den Roten Jägern exemplarisch wurde. Dabei ist Kameradschaft ein Thema, das fußballerische und soldatische Vergemeinschaftungen verbindet, engste Zusammenhänge zwischen Militär- und Sportgeschichte deutlich macht und tiefe Einblicke in die zeitgenössischen Ideale von Männlichkeit und das ihnen korrespondierende Rollenbild der Frau gewährt.

4.1 Grundlagen: Militär und Sport Die Sozial- und Kulturgeschichte des Fußballs, vor allem die Pionierarbeiten der Sozialhistorikerin Christiane Eisenberg, haben den bedeutenden Anteil des Militärs als Triebkraft der Popularisierung des Sports im Deutschen Reich herausgearbeitet (Eisenberg 1999a). Das Kaiserhaus gehörte zu den prominentesten Propagatoren der Sportimporte aus England. In ihrer Begeisterung für alles Moderne protegierten und instrumentalisierten die Hohenzollernprinzen und Wilhelm II. nicht etwa das ›vaterländische‹ Turnen, sondern vor allem den ›internationalistischen‹ Sport, von dem sie sich Gesundheitsförderung, Wehrertüchtigung und männliches Ethos versprachen (Tauber 2003; Dahlmann 2014; Dahlmann 2016). Der Erste Weltkrieg, insbesondere der Stellungskrieg 1916/17, markierte nicht zuletzt auch eine sportgeschichtliche Zäsur, die jedoch an bereits bestehende Entwicklungen und militärische Körperdiskurse der Vorkriegszeit anschloss (Nübel 2011: 269‑277): Alle Armeen führten zur Aufrechterhaltung der Truppenmoral sportliche Wettkämpfe durch, große Scharen von Wehrpflichtigen kamen erstmals mit Sport in Berührung, unter anderem in britischen Gefangenenlagern (Tauber 2008, 277‑318; Panayi 2018: 81‑85; Tauber 2021; Nübel 2021: 277‑287). Nach dem Ersten Weltkrieg, mit dem Wegfall der Wehrpflicht infolge des Versailler Vertrags, übernahm der Fußball paramilitärische Funktionen und erhielt im Gegenzug finanzielle Unterstützung aus Mitteln der öffentlichen Hand (Eisenberg 1999a: 283‑291, 344‑353). Sportpädagogen wie der Tübinger Universitätsturnlehrer Paul Sturm trauten dem Fußball sogar zu, den Weg aus der ›Knechtschaft von Versailles‹ zu ebnen (Sturm 1924). Sturm interpretierte das Spiel mit dem runden Leder nicht als fairen Wettkampf, sondern als aggressiven, germanischen Kampfsport. Er propagierte den Fußball als paramilitärisches Instrument, das der Stählung des Körpers und der Mobilisierung der seelischen Kräfte des Volkes dienen sollte. Sturm versprach sich von der richtigen Trainings- und Spielweise eine Stärkung der Einsatz- und Leistungsbereitschaft, der Disziplin, des Durchhaltewillens und Kampfgeistes der Deutschen gegen äußere Feinde. Einzelne Passagen seines einflussreichen Buchs über den Fußball als deutsches Kampfspiel von

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1924 sind fast wörtlich in »Mein Kampf« zu finden. Deshalb ist zu vermuten, dass es Hitler als ›Quelle‹ diente (Krüger 2004: 132). Ob und inwieweit die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs zu einer signifikanten Militarisierung der zivilen Leibesübungen in Deutschland beitrugen, ist in der Sporthistoriografie umstritten, worauf hier nicht näher einzugehen ist (Herzog 2021: 149 f.). Hinsichtlich der Auswirkungen des Ersten Weltkriegs auf den Sport im Deutschen Reich konstatierte Peter Tauber jedenfalls ein »Wechselverhältnis, in dem der Sport zunächst vom gesellschaftlichen Stellenwert des Militärischen profitierte, letztlich aber vor allem das Militär sportliche Werte und Prinzipien übernahm und damit einen wesentlichen Beitrag zur Durchsetzung des Sports als bestimmendes Konzept der Körperkultur in Deutschland leistete« (Tauber 2008: 421). Die Militarisierung des Sports ging demzufolge einher mit einer Zivilisierung und ›Versportlichung‹ der militärischen Ausbildung und einer Rezeption des bürgerlichen Leistungsprinzips (Tauber 2008: 101, 103‑107, 233, 261‑263, 273; vgl. Dahlmann 2014: 124‑126; Krüger/Herzog/Reinhart 2018). Nach der Machtübernahme der NSDAP wurde der bürgerliche Vereinssport, wie oben dargestellt, von militärischen Funktionen noch stärker entlastet (Eisenberg 1999a: 390–394), was jedoch nichts daran änderte, dass »der Militarismus in den Köpfen fortlebte, obwohl sich der Übungs- und Wettkampfbetrieb der Vereine zusehends ziviler gestaltete« (ebd.: 394). Vor und während des Zweiten Weltkriegs bekannte sich die Propaganda der Reichssportführung verstärkt zu Turnen und Sport als kriegswichtigen Praktiken und unterwarf sie einem unzwei­ deutig bellizistischen Nützlichkeitskalkül (Reichherzer 2012). So pries der vormalige Reichstrainer Otto Nerz, dessen militaristischer Trainingsstil bei den Fuß­ ball­national­spielern umstritten war (Leinemann 1998: 123  f.; Mikos/Nutt 1998: 82 f.),23 im Frühjahr 1941 soldatische Tugenden als »Erziehungsideal des deutschen Mann­schaftsspiels« (Kicker, 8, 25.2.1941: 3  f.; 11, 18.3.1941: 2; 12, 25.3.1941: 2, 4). Einen Höhepunkt dieser Entwicklung markierte der bizarre Streit zwischen dem bayerischen Sportbereichsführer Karl Oberhuber und Reichstrainer Sepp Her­ berger (zum Folgenden Herzog 2012; Herzog 2014a). Unter dem Eindruck von Hitlers ›Blitzkrieg‹ forderte Oberhuber, der deutsche Fußball müsse sich der militärischen Lage anpassen und mit aggressivem, offensivem und damit torreichem Spiel der Wehrmacht auf Augenhöhe begegnen. Dagegen sei der eher defensiv angelegte Fußball, den Herberger nach britischem Vorbild lehrte, undeutsch und feige, in seinem Ursprung englisch, mithin jüdisch. Mit dieser Perspektive verlieh Oberhuber dem Sportlerwahlspruch »Angriff ist die beste Verteidigung« einen dezidiert politisch-militaristischen Sinn. Vor diesem Hintergrund kann Oberhubers völkische Vision des Fußballspiels als Weiterentwicklung der Fußballideologie Sturms interpretiert werden (Herzog 2014a: 1496). Sturm hatte seine revanchistische Sicht des Fußballs als völkisch-germanisches Kampfspiel in hasserfüllter Reaktion auf die Niederlage des Ersten Weltkriegs entwickelt (Sturm 1924: 5‑25, 116‑123). Ganz anders Oberhuber: Er konzipierte seine Initiative für hyperaggressiven ›Blitzkrieg‹23

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Fuß­ball unter dem ihn berauschenden Eindruck der militärischen Siege zu Beginn des Zweiten Weltkriegs. Die historischen Parallelen zwischen Oberhubers Kampagne, den Fußball in Deutschland militaristisch zu revolutionieren, und Hitlers Kriegspolitik sind verblüffend. Denn Oberhuber hatte seine Vorstellungen in einem Manifest veröffentlicht, das mehrere Tageszeitungen und Sportmagazine in der zweiten und dritten Dezemberwoche 1940 publizierten, also genau zu der Zeit, als der »Führer und Oberste Befehlshaber der Wehrmacht« Hitler die »Weisung Nr. 21 ›Fall Barbarossa‹« am 18. Dezember 1940 als »Geheime Kommandosache« herausgab. Diese Anordnung verfügte detailliert, wie die Wehrmacht ab dem 15.  Mai 1941 darauf vorbereitet sein sollte, »vor Beendigung des Krieges gegen England [!] Sowjetrussland in einem schnellen Feldzug niederzuwerfen (Fall Barbarossa)«. Ein »überraschend schnell eintretender Zusammenbruch der russischen Widerstandskraft« war das erklärte Ziel dieser blitzartigen militärischen Kampagne. Anders als die unerwartet raschen militärischen Erfolge des Frankreichfeldzugs war der Angriff auf die Sowjetunion von Anfang an als ›Blitzkrieg‹ geplant (Müller 2005: 81‑90). Zeitlich parallel dazu wollte Oberhuber die Spieler der bürgerlichen Sportvereine und der Nationalmannschaft zu wackeren deutschen Kriegern für Hitlers Eroberungsfeldzüge ausbilden lassen, sie seelisch und körperlich auf die Herausforderungen der Kriegspolitik Hitlers vorbereiten. Diese ›Revolution‹, wie sie in der Sportpresse genannt wurde, ist jedoch rasch in sich zusammengebrochen, da Oberhuber, trotz anfänglicher Erfolge, zu radikal gegen Herberger vorging, sich auch innerhalb der NS-Organisationen zu viele Feinde gemacht hatte und schließlich untragbar geworden war (Herzog 2012: 113 f., 121 f., 126 f.; Herzog 2014a: 1500 f.).

4.2 Kameradschaftsfamilien, Männerbünde, Frauen Die alltäglichen Vergemeinschaftungsformen von Fußballmannschaften waren stark militärisch geprägt. Schon das Wort ›Mannschaft‹ stammt aus der Sprache des Militärs. Ein weiteres seit dem Ersten Weltkrieg häufig verwendetes Schlüsselwort ist ›Kameradschaft‹. Es hat in den 1920er Jahren »eine Bedeutungsausdehnung weit über das Militär hinaus« erfahren und wurde »in dieser umfassenden Bedeutung in vielen zivilen Bereichen vergesellschaftet« (Kühne 2006: 110; vgl. ebd.: 276): in Firmen und Betrieben, Arbeitsdienstlagern, Jugendbünden und Sportvereinen. »Statt vom ›Sportsfreund‹ sprach man vom ›Sportkameraden‹« (Eisenberg 1999b: 100). Ebenso wie im Militär markierte der Kameradschaftsbegriff in Fußballmannschaften einen Kontrapunkt zur zivilen Gesellschaft. Die Mannschaften des Militärs und des Fußballs distanzierten sich vom sozialen Koordinatensystem der bürgerlichen Familie und konstituierten eigene ›Kameradenfamilien‹. Die Unterschriften alter Fußballfotos unterschieden die nicht zur Mannschaft Gehörenden ›in Zivil‹ von den Spielern ›in Uniform‹, die Trikots in den jeweiligen Vereinsfarben trugen. Fußballclubs übernahmen Statussymbole des Militärs in Form von Medaillen, Orden, Uniformen (Eisenberg 1999a: 184‑189), militärische und sportliche Kameradschaften konstituierten familienähnliche ›Männerbünde‹ mit eigenem Ethos, eigenen Regeln und Ritualen (Herzog 2003: 170‑178). Das »Persönlichkeitsbild eines idealen

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Fußballspielers entsprach dem des modernen Soldaten« (Eisenberg 1999a: 193; vgl. Mosse 1997: 60‑67, 145, 150, 153). Und im Zweiten Weltkrieg dokumentierten die Kampfflieger ihre militärischen Erfolge (Abschüsse gegnerischer Maschinen) wie sportliche Rekorde (Walter 1959: 73; vgl. Herzog 2009: 193 f., 202). Die Schlacht im Krieg garantierte ebenso wie der Wettkampf auf dem Fußballplatz eindringliche Erlebnisse von Kameradschaft in besonderer emotionaler Verdichtung, soll die Gemeinschaft der Offiziere und Mannschaften – jenseits der Unterschiede von Alter, Geburt, Erziehung, Herkunft, Bildung und sozialer Stellung – doch von gegenseitigem Vertrauen und Respekt geprägt gewesen sein. ›Einer für alle, alle für einen‹, ›zusammenhalten wie Pech und Schwefel‹: Mit Parolen, die auch vor Fußballspielen gern ausgegeben werden, versuchte jeder, die Fehler und Schwächen des Kameraden auszubügeln. Der Bunker und der Schützengraben der Soldaten – aber auch Umkleide, Kabine (Walter 2006: 103 f.) und Dusche (und in späteren Jahren das ›Entmüdungsbecken‹) der Fußballer – sind Orte engster körperlicher Nähe, an denen sich Gefühle rangübergreifender Kameradschaft einstellen können. Graf und Walter haben die Roten Jäger als eine solche egalitär-vertikale Gemeinschaft (vgl. Kühne 2006: 34, 59, 92, 179; Kühne 1999: 354 f.) stilisiert und sich einiger typischer Versatzstücke (Kühne 2006: 48‑51, 53, 149) bedient, mit denen ehemalige Kriegsteilnehmer ihre Erlebnisse in der Rückschau verklärten und beschönigten. Ob und inwieweit es sich bei solchen Passagen der militärischen Erinnerungsliteratur um ›Fußball-Landser-Romantik‹ handelt, wäre eigene Forschungen wert. Die Roten Jäger wohnten gemeinsam auf einer Stube: »Gefreite, Obergefreite, Unteroffiziere und Feldwebel« (Walter 1959: 146; vgl. ebd.: 142) – nicht jedoch Offiziere, die in Walters Auflistung fehlen. Für diese männerbündische Kameradschaft (von lat. camera: Kammer, Stube), die aus Stubengemeinschaften hervorgeht (Leinemann 1998: 325, 328 f.), schienen die militärischen Dienstrangunterschiede nebensächlich gewesen zu sein: »[W]ir waren im Sport nicht Vorgesetzte und Untergebene, wie das vielfach behauptet wurde, sondern Sportkameraden« (Graf 1950: 18) – »eine verschworene Gemeinschaft« (ebd.: 30) oder »eiserne Kamerad­ schaft« (ebd.: 33). Graf schätzte Walter als großes Vorbild leistungs- und erfolgsorientierter sportlicher Askese, weil er – typisch männerbündisch – »weder Alkohol, noch Rauchwaren oder ›Weiber‹ kannte« (ebd.: 33). Walter sah »das Außergewöhnliche dieser Kameradschaft« darin, dass es gelungen sei, »außerhalb des Dienstes [!] jeden Rangunterschied aufzuheben, Freund unter Freunden zu sein« (Walter 1959: 48). Gleichwohl schien diese ›egalitäre‹ Männergemeinschaft auf den Sport im engeren Sinn der Fußballmannschaft beschränkt gewesen zu sein, denn in den Stubengemeinschaften blieben die Offiziere unter sich. Darüber hinaus sind Hierarchie, Führung und Gefolgschaft integrale Bestandteile auch von Männerbünden (Brunotte 2004: 34, 91 [Egalitarismus], 82‑84, 97 f. [Führerschaft]; Leinemann 1998: 193, 303 f., 322): Kommodore Graf war in den Jagdgeschwadern und Reichstrainer Herberger in der Nationalmannschaft eine ihnen jeweils ergebene Mannschaft unterstellt. Männerkameradschaften versuchten darüber hinaus, weibliche Elemente, vor allem mütterliche Verhaltensweisen, zu integrieren, um sich – emotional autonom: vom ›anderen Geschlecht‹ distanziert – zu konstituieren. »Die kleineren Einheiten



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der Truppe inszenierten sich nach dem Muster der bürgerlichen Familie, die ohne Frauenrollen nicht auskam« (Kühne 2006: 75; Brunotte 2004: 106  f.): mit dem Spieß als ›Mutter der Kompanie‹ bzw. dem Kommandeur als Vaterfigur, die sich mit Fürsorge und Strenge ihrer Mannschaften annahmen. Mit Metaphern aus dem bürgerlichen Familienleben stilisierten sich die Mannschaften sowohl des Militärs (Kühne 2006: 23, 30, 32, 75 f., 90 f., 93, 157‑160, 169, 172‑178) als auch des Fußballs (Herzog 2003). Soldaten imaginierten sich als Kriegerfamilie, Fußballspieler als Vereinsfamilie – mit dem DFB als die Vereine umfassender nationaler ›Megafamilie‹, die beim Endspiel um die Deutsche Fußballmeisterschaft das »Familienfest der großen deutschen Fußballgemeinde« oder bei Länderspielen den »Reichsfamilientag der Fußballer« (Kicker, 24, 17.6.1941: 2; 3, 19.1.1937: 4; vgl. 29, 16.7.1940: 3) feierte. Überdies kannten beide Männerbünde das ›Mädchen für alles‹: Kameraden, die sich in mütterlicher Sorge um die Bedürfnisse der anderen kümmerten (vgl. Kühne 2006: 150, 161; Kühne 1996: 175  f., 179‑184; Walter 1962: 124 f.; Herzog 2003: 202 f.). Frauen konnten für diese Männergemeinschaften ausschließlich in funktionaler Hinsicht von Wert und Bedeutung sein. Herberger praktizierte ihnen gegenüber eine signifikante Doppelstrategie: Einerseits sah er in ihnen Störfaktoren und versuchte, sie von der Mannschaft fernzuhalten, andererseits war er bemüht, sie für seine Zwecke zu gewinnen. In einem maschinenschriftlichen Text mit dem Titel »Die Spielerfrauen« skizzierte Herberger sein Selbstverständnis als väterlicher Trainer und ging dabei auch auf sein Verhältnis zu den Spielerfrauen ein, die er als seine »Mitarbeiter« be­trachtete.24 Er war überzeugt, dass »zweckgerichtete Lebensweise« und »ein gut geführter Haushalt« der Spieler ohne Frauen unmöglich seien. Selbstverständlich meinte Herberger damit ausschließlich Ehefrauen, denn die Lebensgemeinschaft von Unverheirateten fiel damals noch unter den Kuppeleiparagrafen. Einen weiteren Vorteil stabiler ehelicher Beziehung sah Herberger darin, dass sie die Männer fernhalte vom Stammtisch, der sich mit dem Sport vertrage wie »Feuer und Wasser«.25 Dagegen seien unverheiratete, vor allem gut aussehende Frauen poten­zielle Stör­ faktoren in der Männerwelt des Fußballs. Deshalb kam es vor, dass Herberger einen als Unterkunft für die Nationalmannschaft vorgesehenen Gasthof nicht in Betracht zog, weil ihm die Zimmermädchen »zu hübsch« erschienen (Walter 1964: 110). Frauen als Störfaktoren mannschaftlichen Zusammenhalts, Liebe als Hindernis sportlichen Erfolgs, Beischlaf als Gift für Disziplin und Kampfkraft sind weit verbreitete Themen der wissenschaftlichen und schöngeistigen Sportliteratur.

4.3 Asketische Ideale und initiatorische Rituale Sinn und Wert sexueller Enthaltsamkeit vor dem Wettkampf sind jedenfalls – ebenso wie die Unterdrückung der Neigung zur Masturbation bei weiblichen, vor allem aber männlichen Jugendlichen (Hueppe 1922: 85; Altrock 1928: 34; Mosse 1997: 40, 83‑87, 134 f.) – weitverbreitete Topoi der Sport- und Fußballliteratur, 24 25

Herberger, »Die Spielerfrauen«: DFBA, SH-N, Sa/B, Nr. 7; Leinemann 1998: 294, 296. Die vorhergehenden Zitate in: Herberger, »Spielerfrauen«: DFBA, SH-N, Sa/B, Nr. 7.

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Abbildung 5: »Die Feinde des Fußballers«, Karikatur, abgedruckt in: Der Kicker, Nr. 19, vom 13.5.1941. DFBA, RH-Dok

frei nach dem Motto: »Habt ihr ein Mädel im Arm, zerbricht der Wille« (Bode 2008: 244). »Tabak, Alkohol und Geschlechtsgenuß« seien jedenfalls die Kampfkraft des Mannes »schwächende Genüsse« (Rahn/Blaschke 1922: 94; vgl. Hueppe 1922: 30, 47, 84 f., 172 f.; Altrock 1928: 32‑34, 147; Theweleit 2006: 216). Diese »Feinde des Fußballers« waren beliebte Themen der Sportkarikatur (Abbildung 5). Dennoch wurden in den Vereinszeitungen der Militärsportvereine – ebenso wie in den Publikationsorganen der Zivilsportvereine – Werbeannoncen für Alkoholika, Zigaretten und Zigarren in großer Zahl geschaltet (Wittmann 2019: 285‑288). Um wenigstens die Risiken sexueller Aktivitäten auszuschließen, praktizierten Fußballtrainer vor und während wichtiger Turniere markante Strategien der Isolation, die für die Männerbünde des Militärs und der Kirche konstitutiv waren, nämlich ›Kasernierung‹ und ›Klausur‹. Die Vorstellung, dass sexuelle Enthaltsamkeit vor dem Wettkampf die Sportler aggressiver auf dem Platz agieren lasse, lässt sich zwar bis in die griechische Antike zurückverfolgen, wird von der heutigen medizinischen Forschung allerdings bezweifelt (Herzog 2015b: 341  f.; Herzog 2019: 257 f.). Trotz der in der Fachliteratur seit dem späten 19. Jahrhundert geforderten mäßigen Lebensweise (Eisenberg 1999a: 177, 188, 369) waren die Kameradschaften



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des Sports tatsächlich nicht wesentlich asketischer verfasst als die Männerbünde des Militärs: Nach durchzechten Nächten zum Spiel anzutreten war keine Seltenheit, und die »Geschichten von gemeinsamen Bordellbesuchen von Fussballern« auf den zahlreichen Reisen zu Auswärtsspielen »sind Legion« (Brändle/Koller 2002: 211; Leinemann 1998: 411). Kollektive Bordellbesuche waren verbreitete soziale Prak­ti­ ken in militärischen Kameradschaften und wurden von den Ehefrauen verheirateter Soldaten gefürchtet (Kühne 2006: 175 f.). Weitere Aspekte der eingeforderten Askese zeigten sich insbesondere in der Literatur für Lebensreform, Individual- und Sozialhygiene. Die dort gegebenen Rat­schläge zielten auf die Stärkung von Selbstbeherrschung, auf Mäßigung und Willens­zucht (vgl. Mosse 1997: 46  f., 57  f., 64, 135‑137; Hueppe 1922: 44, 54‑56, 112  f., 197, 201). Training, Abhärtung und Diätetik – einschließlich reduzierter Flüssigkeitssubstitution (Sarasin 2001: 331  f., 334; Herzog 2019: 261) –, Beherrschung insbesondere der sexuellen Begierden, virile Tugenden wie Affekt­ kontrolle, Emotionslosigkeit, Disziplin, Sachlichkeit und Nüchternheit gehörten zu jenen »Exerzitien der Männlichkeit« (Sarasin 2001: 331), die bereits im 19.  Jahrhundert von Physiologen und Hygienikern zur Perfektionierung und Be­ herrschung des Körpers durch den Willen empfohlen wurden. Nach 1918 gehörten sie in Deutschland zu einer Schule der Härte, in der die durch die Niederlage des Ersten Weltkriegs beschädigte Männlichkeit restituiert werden sollte (Kühne 2006: 71). Dieses Ideal normativer körperbetonter Maskulinität, das den ›echten Mann‹ als Turner, Sportler und Soldaten modellierte, brach sich bereits im 19. Jahrhundert mit dem Militär als »Schule der Männlichkeit« (Frevert 1997) Bahn, ist relativ unabhängig von politischen Ideologien und erregt bis heute, obwohl es immer wieder Anfechtungen und Irritationen ausgesetzt ist, die Faszination von Männern und Frauen. Was die »Sportvorschrift für das Heer« vom 1. Oktober 1938 formulierte, ist unmissverständlich maskulin, aber nicht spezifisch nationalsozialistisch: »Der Sport erhöht und erhält die körperliche Leistungsfähigkeit des Soldaten, er stärkt den Körper, verleiht ihm Kraft und Ausdauer, Schnelligkeit und Gewandtheit. Der Sport ist daher die Grundlage der Gefechtsausbildung und ein unzertrennbarer Bestandteil des militärischen Dienstes. Der Sport weckt den Angriffsgeist, härtet den Willen, fördert die Selbstzucht und unterstützt damit die Erziehung des Soldaten zum einsatzbereiten Kämpfer. Der Sport zwingt zur Unterordnung und stärkt den Zusammenhalt und Korpsgeist der Truppe« (zit. in: Gellermann 1985: 138).

Die Körperausbildung des zivilen Sports war dem Militär eminent nützlich, und umgekehrt konnte der Kasernendrill den Sportlern fehlende Härte einimpfen. Dass Fritz Walter zu Beginn seiner Karriere als Internationaler eine erste Schwächeperiode überwinden konnte, schrieb man jedenfalls seiner Rekrutenzeit zu: »Er wurde Soldat, und die neue harte seelische Haltung mag das Talent aus jener Gefahr der Spätherbstkrise 1940 gerettet haben. Obendrein bekam er mehr Gewicht, wurde kräftiger, ohne an Geschmeidigkeit zu verlieren« (Richard 1942: 6). Hier sind die Korrespondenzen zwischen sportlicher und militärischer Erziehung mit Händen zu greifen (Klein 1990: 139). Und als Walter bei den Roten Jägern spielte, schrieb die Presse über die ästhetischen Körperideale und das herbe Männlichkeitsethos dieser Fußballsoldaten:

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»Unteroffiziere, rank und schlank gewachsen, stark wie Eichen, schnell wie der Wind, mit harten Kämpferherzen, ausgestattet mit unübertrefflichem Draufgängertum und aufeinander abgestimmt wie die beste Vereinsmannschaft, bilden die Elf der ›Roten Jäger‹« (NSZ Westmark, Ausgabe Pirmasens, 11.4.1944).

Sogar die Initiation in die Kameradschaften des Fußballs folgte jenen Ritualen, die im Militär praktiziert wurden (Herzog 2019: 254‑257). Hier wurden die Rekruten einer umfassenden Erniedrigungsprozedur unterworfen, einer Schule des Gehorsams und der Gruppenkonformität, bevor man ihnen die soziale Qualität echter Männlichkeit zusprach (Kühne 2006: 79‑90; Kühne 1999: 347‑351). In den Mannschaften wurde die Gemeinschaftsmoral unter anderem durch Androhung oder Spendung des ›Heiligen Geistes‹ vollstreckt (Küpper 1970: 79 f.; Kühne 2006: 84, 101, 117, 124‑128, 213, 257). Zu dieser Praxis der ›Kameradenjustiz‹ gehörte die Anwendung roher körperlicher Gewalt, die brutale Ausmaße annehmen und im schlimmsten Fall zum Tod führen konnte (Schröder 1985: 187‑191). In der deutschen Fußballnationalmannschaft wurde dieser ›Heilige Geist‹,26 in abgeschwächter Form, bereits unter dem ersten Reichstrainer Otto Nerz angewendet (Mikos/Nutt 1998: 72, 182). Der Empfänger wurde von seinen Kameraden festgehalten und bei heruntergezogenen Hosen mit einer »Tracht allerdings recht harmloser Prügel auf die Kehrseite« (Walter, 1991: 65) bedacht. Der ›Heilige Geist‹ war ein Ritual von hoher funktionaler Plastizität, das mit schelmischer Ironie und schalkhaftem Unernst inszeniert wurde.27 Er war – situationsspezifisch verschieden – »nicht nur eine Strafe, sondern auch die ehrenvolle Aufnahme« (ebd.: 65) in die Gemeinschaft, Sanktion oder Belohnung, Motivation zu außerordentlicher Leistung oder Initiationsritus und kam sogar als medizinische »Wunderkur« (ebd.: 67) in Frage (vgl. ebd.: 78, 132, 202; Walter 2000: 132). In der Pädagogik Herbergers wurde der ›Heilige Geist‹ angewendet, um die Spieler zu größerer Härte zu erziehen, damit sie mit »Besessenheit und Wut« in die Zweikämpfe gingen.28 Darüber hinaus galt die Verabreichung des ›Heiligen Geistes‹ als »Akt der Zuneigung. Mit ihm und durch ihn war der Betroffene sozusagen zum Ritter geschlagen. Von nun an war er zu einem vollwertigen und gleichberechtigten Mitglied unserer Mannschaft geworden.«29 Dabei »klatschten und hagelten« die Hiebe derart auf das entblößte Hinterteil des Initianten oder Delinquenten, dass die Hände der Spender »rot angelaufen und dick geschwollen« sein konnten – womit die Kameraden, wie Herberger formulierte, »ihre ganze Zuneigung und Wertschätzung auf recht männliche Art [...] zum Ausdruck« brachten.30 Somit war der ›Heilige Geist‹ ein maskulines Ritual, das – weitgehend ohne die Brutalität der militärischen Prozedur – auf körperbetonte Weise den kameradschaftlichen Zusammenhalt der Fußballer bekräftigte und die Initiation neuer Mitglieder vollzog. Die Sportfachpresse hat dieses Aufnahme- und Strafzeremoniell auch als »Ritterschlag« und »Taufe« bezeichnet und in Fotos und Karikaturen überliefert (Kicker, 12, 22.3.1938: 3; 19, 10.5.1938: 7; Fußball, 12, 22.3.1938: 15). Von 26 27 28 29 30

Vgl. Herberger, Horst Eckel und der »Heilige Geist«: DFBA, SH-N, Sa/B, Nr. 325, 1. Vgl. Herberger, Aberglaube: DFBA, SH-N, Sa/B, Nr. 325, 14 f. Herberger, Der »Heilige Geist« oder »ich muss erst werden«: DFBA, SH-N, Sa/B, Nr. 325, 1‑4. Herberger, Horst Eckel und der »Heilige Geist«: DFBA, SH-N, Sa/B, Nr. 325, 1. Herberger, Aberglaube: DFBA, SH-N, Sa/B, Nr. 325, 14 f.



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dem damaligen Nationaltorhüter Hans Jakob ist überliefert, dass der Faustkämpfer Max Schmeling, der als Fallschirmjäger in der Kriegspropaganda des NS-Regimes eine eminent wichtige Rolle spielte (Teichler 2000: 26‑28; Rutz 2008: 152  f.), »während eines Besuches im Olympischen Dorf 1936 nach ›Geisterart‹ in den engsten Kreis der Nationalmannschaft aufgenommen wurde« (Jakob 1949: 104).

4.4 Konkurrierende Kameradschaften Erich Menzel brachte die Allianz zwischen den Kameradschaften des Militärs und des Fußballs, wie schon eingangs beschrieben, folgendermaßen auf den Punkt:

»Das männliche Kampfspiel Fußball hat seine Sympathien überall, wo man die Dynamik ringender Bewegung liebt und in der körperlichen Auszeichnung einen ästhetischen Genuß sieht [...] Soldaten lieben dieses Spiel und in ihm lieben sie ihre Heimat [...] Es gibt wirklich eine Synthese Soldatentum und Fußballkampf, eine Verwandtschaft der Gesinnung oder doch mindestens eine starke Freundschaft zwischen ihnen« (Menzel 1942: 9).

Gleichwohl gab es darüber hinaus, wie gezeigt, erhebliche Spannungen zwischen dem Kameradschaftsmodell des Fußballs und dem des Militärs, nicht nur Kooperation, sondern auch Konkurrenz. Dass Sportsoldaten durch die Teilnahme am außerdienstlichen Militärsport vielfältige Vorteile und Vergünstigungen genossen (Schröder 1985: 161‑166), war eine Sache. Aber dass sie sich der Front entziehen konnten, stand in schärfstem Gegensatz zu den Zielen des NS-Staates. Bei den Militärbehörden und der Reichssportführung war der ›Cirkus Graf‹ teilweise ebenso unbeliebt (Graf 1950: 20, 26) wie Herbergers väterliche Sorge um seine Kicker-›Familie‹, die bei den Militärs als ›Wanderzirkus‹ kritisch beäugt wurde. Bestand doch der Zweck der Roten Jäger darin, »den Millionen Fußballanhängern möglichst viele gute Könner für die Zeit nach dem Kriege zu erhalten« (Graf 1950: 26; vgl. ebd.: 8, 18, 34 f.). Und zu den Mitteln, dieses aus militärischer Sicht durchaus unkameradschaftliche Ziel zu erreichen, gehörte es, die Spieler dem Fronteinsatz zu entziehen. Beweis dafür sind die zahlreichen Tricks, Finten, Lügen und Intrigen Herbergers, mit denen es ihm immer wieder gelang, die Kameradschaft der Nationalspieler über die des Militärs zu stellen. »Für Herberger selbst gab es nur junge Menschenleben, Talente, die man nach besten Kräften zu erhalten hatte« (Walter 1959: 17). Fritz Walter war eines dieser Talente, und als Nationalspieler hatte er beträchtlichen Anteil am überraschenden Gewinn der Fußballweltmeisterschaft 1954.

5. Resümee und Einordnung – Fußball, Militär, Krieg, Nationalsozialismus Wie die Geschichte der drei in diesem Beitrag dargestellten Militärfußballmannschaften zeigt, gingen wichtige Initiativen des Soldatensports im Zweiten Weltkrieg nicht ›von oben‹ aus. Vielmehr stellte das Militär als riesige Organisation auch in Kriegszeiten vielfältige Möglichkeitsräume bereit, die von Fußballern und Sportbegeisterten geschickt und auf unterschiedlichste Weise genutzt werden konn-

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ten. Die fußballerischen Aktivitäten von Soldaten der Wehrmacht waren informell, teilweise auch kommerziell organisiert. Soldaten verabredeten sich außerhalb des Dienstsports zur Gründung solcher Mannschaften, deren Organisationsgrad und Stärke in den meisten Fällen jedoch so gering war, dass kein vereinsmäßig kontinuierlicher Spielverkehr zustande kommen, geschweige denn Medienresonanz erzielt werden konnte. Ohne ein fester Bestandteil des dienstlichen Sports zu sein, war ihre Existenz abhängig von der Fußballbegeisterung, Initiative und Unterstützung einzelner Militärs. Nichts geschieht ohne Bedeutung – auch für den Sport, den Fußball und die von ›Burgstern Noris‹, der ›Pariser Soldatenelf‹ und den ›Roten Jägern‹ ausgetragenen Partien. Zahlreiche Motive, Bedeutungszuschreibungen und Nützlich­keits­ erwägungen überlagerten sich hier. Die Freude am Sport aufseiten der Aktiven und die Faszination der Zuschauer für die Spielkunst der Spitzenkönner standen sicherlich am Anfang. Diese Impulse wurden im und vom Militär aufgenommen und kanalisiert. Der Wert der sportlichen Aktivitäten unzähliger Militärmannschaften für die Zerstreuung, Erholung und Unterhaltung der Soldaten, die Vergemeinschaftung in männerbündischen Kameradschaften wurden als nützlich erkannt und von den zuständigen Vorgesetzen großzügig gefördert, die sich gern in ihren Erfolgen sonnten. Die Spiele erfolgreicher Militärmannschaften gerieten zu regelrechten Spektakeln, die keinen Vergleich mit Spitzenspielen der höchsten Ligen scheuen mussten. Die Grenzen zwischen Sport, Truppenbetreuung und Propaganda verliefen fließend, wie die Aufladung sportlicher Aktivitäten mit den völkisch-nationalistischen Parolen des NS-Staates zeigte. Hatte die Situation in der ersten Hälfte des Kriegs noch stimulierend auf die Aktivitäten herausragender Mannschaften gewirkt, änderte sich dies mit der Verschärfung der Kriegslage für das Deutsche Reich, die spätestens ab dem Winter 1942/43 deutlich wurde. Die Sportspektakel waren mit der von der NS-Propagandamaschine vorgegebenen Linie des ›totalen Krieges‹ nicht mehr vereinbar. Konflikte wie die zwischen Reichssportführung, Reichstrainer Herberger, den verantwortlichen Militärs vor Ort oder den Spitzenvereinen der Gauligen um die Hierarchisierung von Sport und Krieg traten deutlich hervor; sie prägten das Spannungsfeld zwischen Militär, Sport und NS-Herrschaft. Die Militärbehörden organisierten Fußballspiele und andere Sportveranstaltungen jedoch auch nach der Beendigung internationaler Wettkämpfe und medienwirksam inszenierter Großveranstaltungen: Als unspektakuläre Alltagspraxis traten Soldatenmannschaften vor Ort gegeneinander an und spielten etwa im Kontext der Kulturdiplomatie der NS-Besatzungsbehörden gegen einheimische Teams, unter anderem in Ländern Zentral- und Osteuropas. Im Zusammenhang mit soldatischen und fußballerischen Männlichkeitsentwürfen zeigte sich ebenfalls eine enge Verbindung in der Übernahme bestimmter Topoi soldatischer Männlichkeit über das Modell der Kameradschaft in den Fußballsport. Dieser Transfer erfolgte über die Sprache und besondere Praktiken männlicher Vergemeinschaftung. Erklären lässt sich diese Sinnstiftung für sportliche Gemein-



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schaften über die Dominanz des Militärischen als Referenzrahmen,31 die prägend für das 20. Jahrhundert bis in die Nachkriegszeit war. Der langsame Einzug anderer Sinngebungsmuster ab den späten 1960er Jahren zeigte sich sowohl in der Entkopplung militärisch geprägter Rollenbilder im Fußball als auch im Aufkommen ›weicherer‹ Ideale der Maskulinität. Im englischen Fußball wurden hedonistisch veranlagte Einzelgänger der 1970er und 1980er Jahre, die sich eher als technisch versierte Künstler und Entertainer denn als draufgängerische Kämpfer verstanden, noch als ›weibisch‹ empfunden. Auch in Westdeutschland klagten die Medien seit den frühen 1970er Jahren über die Feminisierung und Sexualisierung des Erscheinungsbildes der Fußallspieler (Schaaf/Nieland 2011: 9). Das änderte sich im Lauf der Jahre; spätestens mit populären Spielern wie David Beckham oder Freddie Ljungberg war ein kultureller Wandel offenkundig. Seit der Jahrtausendwende haben sie und andere Stars des globalen Fußballbusiness dazu beigetragen, neue Idealbilder von Männlichkeit auch in traditionell militärisch geprägten, homophoben Subkulturen gesellschaftsfähig zu machen und über die visuellen Medien der internationalen Popkultur zu verbreiten. Diese Aufbrüche werden in der Medien- und Kulturgeschichte des Fußballsports unter Kategorien wie »inclusive masculinity« oder »metrosexuality« diskutiert (Herzog 2019: 265 f.). Dieses ›weichere‹ Modell von Männlichkeit im Fußball spiegelt gesellschaftliche Modernisierung nicht einfach wider, sondern verhalf ihm gegen die stereotype normative Maskulinität, so Klaus Theweleit, auch in Deutschland maßgeblich zum Durchbruch: »Die partielle Befreiung des Profifußballs aus seinen bis dahin [1970er Jahre] vorherrschenden Kommandostrukturen bedeutete vor der Welt so etwas wie die offizielle Beendigung des latent Soldatischen in Deutschland, von dessen Untergang noch niemand so recht überzeugt gewesen war« (Theweleit 2006: 219; vgl. Eisenberg 1999b: 104).

Traditionelle maskuline Stereotype wurden von innen, »durch Aushöhlung, nicht durch Konfrontation« verändert (Mosse 1997: 237; vgl. Maase 1996). Was in diesem Kontext nicht vergessen werden darf: Die Weichen für eine unter anderem auch durch den Sport angestoßene Zivilisierung des Militärs reichen bis in den Ersten Weltkrieg zurück. So kennt die Sozial- und Kulturgeschichte der Leibesübungen nicht nur eine Militarisierung des Sports, sondern auch eine ›Versportlichung‹ des Militärs (zur umgekehrten Wirkweise des Sportes auf das Soldatisch-Militärische siehe Münch und die Andeutungen bei Reichherzer/Elbe in diesem Band). Fußball ist, ebenso wie andere Sportarten, weniger ein Spiegel, der die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse passiv reflektiert, als eine spielerische, experimentierfreudige Eigenwelt, die eine aktive »Vorreiterrolle mit Modellcharakter« (Theweleit 2006: 189) zu übernehmen und Modernisierungsschübe mitzugestalten vermag. Dies ist eine keineswegs neue Erscheinung der Kultur- und Sozialgeschichte des Fußballs, wie hier am Beispiel der Militärfußballmannschaften deutlich geworden ist und wie Christiane Eisenberg anhand des deutschen Sports bereits für die

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Damit ist nicht das Militär als konkrete Organisation gemeint, sondern das Militär als Vorstellung und Raum einer bestimmten militärischen Kultur.

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Jahrzehnte zwischen Reichsgründung und Erstem Weltkrieg eindrucksvoll aufgezeigt hat (Eisenberg 1999a: 434 f.).

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»Es gibt wirklich eine Synthese Soldatentum und Fußballkampf«

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Zeitzeugengespräche Richard Herrmann, 22.7.2006 und 17.5.2007. Georg Lichtenstern, mehrere Gespräche 2004 bis 2007. Eduard Schaffer, 22.5.2004. Albert Sing, 29.7.2004 (Telefongespräch).

Archivbestände BArch: Bundesarchiv, Abteilung Militärarchiv, Freiburg i.Br., RH 26-17: Über­ lieferung der 17. In­fan­teriedivision. DFBA: Deutscher Fußball-Bund, Frankfurt a.M., Archiv, SH-N, Sa/B: Nachlass Sepp Herberger, Sachakten/Briefe. DFBA: Deutscher Fußball-Bund, Frankfurt a.M., Archiv, RH-Dok: Richard Herr­mann, Dokumente zur Geschichte der Pariser Soldatenelf (Kopien). LA BW: Landesarchiv Baden-Württemberg, Staatsarchiv Freiburg: SAFbg, D  180/2, Nr.  228.919: Entnazifizierungsakte Hermann Graf

Rüdiger Wenzke

Kämpfer in Rot-Gelb. Körperertüchtigung und Sport im Dienste der sozialistischen Landesverteidigung der DDR Einordnung Bereits der Untertitel des Beitrags von Rüdiger Wenzke macht deutlich, dass die Beziehung zwischen Sport und Militär in der DDR eine funktionale war. Als roter Faden zeigt sich, wie auch in der Nationalen Volksarmee (NVA) die Körper­ ertüchtigung die Kampfkraft der Armeeangehörigen erhöhen sollte. Neben dieser Funktion des Dienstsports gab es mit der Armeesportvereinigung Vorwärts (ASV) eine zweite, institutionelle Fassung des Massensports in der NVA. Mit den Armee­ sportklubs (ASK) für den Leistungssport etablierte sich in der DDR eine dritte Säule des Militärsports. Vor allem durch letztere macht Wenzke auf eine Erweiterung des Militärsports aufmerksam: Sport wurde zur Identifikationsfigur des politischen Systems. Autor Rüdiger Wenzke, Dr. phil., Historiker, war bis 2021 Leiter des Forschungsbereichs ›Militärgeschichte nach 1945‹ am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Militärgeschichte der DDR.

1. Einleitung Untersuchungen zur Entwicklung sowie zu Platz, Rolle und Bedeutung von Körperertüchtigung und Sport in der Nationalen Volksarmee (NVA) spielen in den Publikationen zur Militärgeschichte der DDR bis heute kaum eine Rolle (Echtern­ kamp et al. 2017). Nur einige Spezialstudien und Überblickswerke berühren bisher das Forschungsfeld (Leuschner 1989; Jammer 1996; Wenzke 2013). Angesichts der komplexen Thematik ist im Folgenden der Fokus vor allem auf die drei Grundsäulen des ostdeutschen Armeesports gerichtet: die Militärische Körperertüchtigung (MKE) als Dienstsport, den Massen- und Freizeitsport im Rahmen der Armeesportvereinigung Vorwärts (ASV) sowie auf den Spitzen- und Nach­wuchs­leistungssport.

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2. Die Militärische Körperertüchtigung Bereits im ersten grundlegenden »Sportbefehl« des DDR-Verteidigungsministers vom 25.  August 1956 hieß es: »Körperertüchtigung und Sport haben in unserer Armee eine außerodentliche Bedeutung, weil sie die Kampffähigkeit der Armee­ angehörigen verbessern und damit die Kampfgemeinschaft der Einheiten und Truppen­teile erhöhen.«1 Den Soldaten sollten im Dienst solche körperlichen und auch »kämpferisch-moralischen Eigenschaften« wie Ausdauer, Leistungsfähigkeit, Kraft, Schnelligkeit, Gewandtheit, Widerstandsfähigkeit, Kühnheit und Initiative anerzogen werden. In Verbindung damit stand die gezielte Abhärtung der Soldaten, so das tägliche Waschen des Oberkörpers mit kaltem Wasser oder mehrstündige Märsche im Winter ohne Mantel bei Temperaturen bis zu minus 20 Grad.2 Letztlich war die NVA-Führung davon überzeugt, auch und gerade mittels des Dienstsports die Herausbildung und Formung von sozialistischen Soldatenpersönlichkeiten – physisch wie psychisch – unterstützen zu können. Von Beginn an wurde im Rahmen der MKE großer Wert auf den Frühsport gelegt, der unmittelbar nach dem Wecken durchzuführen war. Er sei für die schnelle Herstellung der Gefechtsbereitschaft besonders wichtig, hieß es. Bedenken über gesundheitsschädigende Faktoren (Tappert/Jodl 1973: 336), die durch die schlagartige Umstellung des Organismus von Ruhe auf Belastung entstehen könnten, wurden vom Tisch gewischt. Zudem hielten die Sportverantwortlichen in der NVA den Frühsport für charakterformend und persönlichkeitsbildend, da dadurch die vorgebliche Trägheit der Soldaten besiegt und die Disziplin der Truppe erhöht würden (Tappert/Jodl 1973: 335‑340). Selbst im »Armeeknast« Schwedt/Oder mussten die Insassen zum Frühsport antreten, mitunter bereits vor 5.00 Uhr. Diese Regelung gab es sonst in keinem anderen Gefängnis der DDR (Wenzke 2016: 207 f.). Die MKE war Teil der militärischen Ausbildung und seit Anfang der 1970er Jahre konsequenterweise dem Hauptinspekteur der NVA unterstellt. Die physische Ausbildung bildete den Hauptbestandteil der Militärischen Körperertüchtigung in der NVA. Alle Armeeangehörigen, unabhängig vom Dienstgrad, hatten an dieser Ausbildung teilzunehmen. Wöchentlich waren dafür zwei Stunden vorgesehen. Die Inhalte zur Ausbildung »geistig und körperlich leistungsfähiger sozialistischer Kämpfer« (Autorenkollektiv 1968: 114) bildeten dabei nicht bestimmte Sportarten, sondern Themenkomplexe wie Kraftsport, Nahkampf, Sturmbahn oder Skiausbildung. Das physische Training in der Gefechtsausbildung wurde im Wesentlichen auf Marschstrecken zum und vom Ausbildungsgelände und mit anderen Ausbildungsthemen in der Exerzier-, Pionier- und Taktikausbildung realisiert. Neben allgemeinen Anforderungen, die eine Grundlage der Militärischen Körper­ ertüchtigung boten, sollten die Besonderheiten der Teilstreitkräfte Berücksichtigung finden. So waren den Matrosen der Volksmarine durch Hindernisläufe an Bord 1

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Befehl Nr. 72/56 des Ministers für Nationale Verteidigung über Maßnahmen zur Verbesserung der Körpertüchtigung und des Sportes in der NVA, 25.8.1956, Bundesarchiv (BArch), DVW 1/1814, Bl. 18‑41. Entwurf der DV-10/2, Sportvorschrift, Ausgabe A, Dresden 1956, BArch, DVWD 1/10, S. 401‑406.



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Gewandtheit anzuerziehen. Einen Schwerpunkt bei der Körperertüchtigung der Angehörigen der Grenztruppen bildete dagegen der Nahkampf, um »jedem Grenz­ verletzer in der unmittelbaren Auseinandersetzung an Entschlossenheit, Stand­ haftigkeit, Initiative und Selbstvertrauen überlegen zu sein«. Jeder Grenzer müsse darüber hinaus ein »vortrefflicher Schütze« sein, wozu ein gut trainierter Organismus beste Voraussetzungen biete (Tappert/Jodl 1973: 377 f.). Allen Armeeangehörigen sollten mit Hilfe der Militärischen Körperertüchtigung zugleich »sozialistische Verhaltensweisen« und Willenseigenschaften wie Mut, Entschlossenheit, Hilfsbereitschaft, Siegeswillen, Risikobereitschaft und Kollektivität vermittelt werden. Doch in den 18 Monaten des Grundwehrdienstes waren all diese Forderungen selbst bei intensivster Ausbildung nicht zu realisieren, zumal die Rekruten trotz Schulsport und einer vormilitärischen Ausbildung nicht immer das körperliche Leistungsvermögen mitbrachten, welches von ihnen in der Armee erwartet wurde. Dies machten auch die Ergebnisse des »Achtertests« der NVA mit Disziplinen wie 100-m-Lauf, Liegestütze, Klimmziehen und 3000-m-Lauf deutlich, der mit allen neueingestellten Wehrpflichtigen in der ersten Woche der Grund­ ausbildung durchgeführt wurde (Handbuch 1988: 435 f.). Für sie stellte der Achter­ test eine erhebliche Herausforderung dar. Viele von ihnen scheiterten bereits an den Mindestanforderungen (Wenzke 2013: 639 f.). Zur Nagelprobe der körperlichen Leistungsfähigkeit während ihres Wehr­diens­ tes avancierte für die Grundwehrdienstleistenden seit den 1960er Jahren der sogenannte Härtetest (»Härtekomplex«). Dieser intensive militärsportliche Dauertest sollte sie einmal im Diensthalbjahr bis an die Grenzen ihrer psychischen und physischen Leistungsfähigkeit bringen. Ohne Erholungspausen mussten nacheinander ein 45-minütiges Kreistraining, ein 1000-m-Lauf, ein 15-km-Eilmarsch, davon 6  km unter Schutzmaske, und ein kollektives Überwinden der Sturmbahn absolviert werden. Obwohl als Voraussetzungen für diesen Test die Überprüfung des Gesundheitszustandes aller Teilnehmer und eine ständige medizinische Begleitung vorgeschrieben waren, kam es in der Praxis immer wieder zu schweren Zwischenfällen, die aus der körperlichen Überlastung der Soldaten und der unbarmherzigen Vorgehensweise mancher Vorgesetzter herrührten. Selbst Todesfälle waren die Folge.3 Sportunfälle nahmen in der NVA-Unfallstatistik nach Verkehrsunfällen einen der vorderen Plätze ein. Beispielsweise wurden in der NVA von 1980 bis 1982 insgesamt 2305 Unfälle registriert. Davon entfielen immerhin knapp 300 auf Unfälle bei der MKE bzw. im Freizeitsport.4

3

4

In einem Bericht der NVA von 1969 hieß es dazu u.a., dass infolge von »schikanösen Behandlungen« und größerer physischer Belastung wiederholt Fälle von »Erschöpfungszuständen« aufgetreten seien. »Bei insgesamt 6 Fällen dieser Art endeten 3 mit tödlichem Ausgang, weil nicht in jedem Fall sofort die notwendige medizinische Hilfe gewährt wurde.« Bericht über die Entwicklung der militärischen Disziplin und Ordnung, des Standes der Kriminalität und besonderer Vorkommnisse vom 1.6.1968 bis zum 31.5.1969, o.D., BArch, DVW 9/69647, Bl. 21. Kollegiumsvorlage Nr. 1/83, eingereicht vom Chef des Hauptstabes der NVA, Generaloberst Fritz Streletz, und vom Chef der Politischen Hauptverwaltung der NVA, Generaloberst Heinz Keßler, 15.3.1983, BArch, DVW 1/55631, Bl. 352.

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3. Der Massen- und Freizeitsport im Rahmen der Armeesportvereinigung Vorwärts Neben dem für alle Armeeangehörigen verpflichtenden Dienstsport gehörte zum Komplex »Körperertüchtigung und Sport« in der NVA der sogenannte Massen- oder Freizeitsport, also die zumeist organisierte, freiwillige sportliche Betätigung außer­ halb des Dienstes. Er hatte die Aufgabe, das Interesse und die Freude am Sport in den Streitkräften zu fördern. Die NVA wäre allerdings keine »sozialistische« Armee gewesen, wenn damit nicht zugleich die ideelle Bereitschaft zur »Verteidigung der Heimat« erhöht werden sollte. Auch aus diesem Grunde war der Freizeitsport den Politorganen in den Streitkräften zugeordnet. Als Massenorganisation des Sports in der NVA für die physische Ertüchtigung und ideologische Erziehung war im Oktober 1956 die Armeesportvereinigung Vorwärts5 geschaffen worden. Der Name »Vorwärts« galt als Symbol des Fortschritts und sollte an Traditionen der deutschen Arbeitersportbewegung anknüpfen. Überall in den Standorten wurden Armeesportgemeinschaften (ASG) gegründet, die auch Zivilisten offenstanden. Die ASV bildete einen Teil der Sportorganisation der DDR und hatte die Sportpolitik der SED mit armeespezifischen Strukturen und Führungsmechanismen umzusetzen. Es gab in den 1980er Jahren 22 000 ehrenamtliche Übungsleiter, 571 Armeesportgemeinschaften, über 4000 Sportgruppen und 131 Trainingszentren für den sportlichen Nachwuchs. Vorsitzender der ASV war seit 1972 stets der Chef der Politischen Hauptverwaltung der NVA, wobei in der Praxis das sogenannte Komitee der ASV, das einem Bezirksvorstand des Deutschen Turnund Sportbundes der DDR (DTSB) gleichgestellt war, die Militärsportorganisation leitete. Jeder Armeeangehörige sollte Mitglied der ASV sein und wurde dementsprechend offensiv umworben. Im Jahr 1958 wurde die ASV zugleich Teil des »Sportkomitees der befreundeten Armeen« (Sportivnyj Komitet Družestvennych Armij, SKDA), der internationalen Vereinigung im Militär- und Leistungssport des Warschauer Paktes und anderer prosozialistischer Länder. Die Farben der ASV waren Rot und Gelb: rot die Turnhose, gelb das Turn- oder Sporthemd. Der NVA-einheitliche braune Trainingsanzug mit dem Emblem der ASV auf der linken Brustseite bestimmte seit der zweiten Hälfte der 1970er Jahre das einheitliche »Sportbild« in der Volksarmee. Die Bezeichnung »Kämpfer in Rot-Gelb« machte unmissverständlich deutlich, dass auch der Freizeitmassensport im Dienst der physischen und geistigen Ertüchtigung stand, um letztlich höhere Leistungen in der Gefechtsausbildung zu erreichen. Dem dienten Wettkämpfe zwischen den Sportgruppen sowie Turniere und Meisterschaften in verschiedenen Sportarten, wobei militärsportliche Wettkämpfe besonders gefördert wurden. Dazu gehörten jene Sportarten und Disziplinen des Massensports, die die konditionellen und koordinativen Fähigkeiten sowie spezielle militärsportliche Fertigkeiten besonders ausprägten, wie Gelände- und Orientierungslauf, sportliches Schießen, 5

Befehl Nr.  72/56 des Ministers für Nationale Verteidigung über Maßnahmen zur Verbesserung der Körperertüchtigung und des Sports in der NVA, 25.8.1956, BArch, DVW 1/1765, Bl. 39-57; Anordnung Nr. 109/56 des Chefs des Hauptstabes der NVA zur Aufstellung der Sportvereinigung »Vorwärts« der NVA, 10.9.1956, BArch, DVW 1/4313, Bl. 8 f.



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Handgranatenweitwurf und -zielwurf, militärischer Dreikampf und Biathlon (Leuschner 1989: 76). Bereits 1959 fand die erste NVA-Meisterschaft im militärischen Dreikampf (Laufen, Werfen, Schießen) statt. Die Armeesportvereinigung Vorwärts trug seit ihrer Gründung fraglos zur Entwicklung eines hohen physischen Leistungsvermögens der Armeeangehörigen bei. Sie hatte sich zu einer starken Organisation innerhalb der NVA und zu einer wichtigen Säule des DTSB entwickelt. Der Massensport stand im Mittelpunkt in der ASV. Einen Schwerpunkt bildete dabei der Erwerb des DDR-Sportabzeichens »Bereit zur Arbeit und zur Verteidigung der Heimat«. Große Popularität erlangten im Laufe der Jahre die Fernwettkämpfe »Wer ist der Stärkste?« oder »Wer ist die sportlichste Frau der ASV?« sowie die jährliche Umfrage nach dem »Armeesportler des Jahres«. Die Erhöhung der physischen Leistungsfähigkeit mittels des Freizeitsports war stets an die Erziehung der Armeesportler zu »bewussten Kämpfern für die zuverlässige militärische Sicherung des Sozialismus« gekoppelt (Tappert/Jodl 1973: 380). »Indem die ASV in der Sportarbeit stets die Einheit von sozialistischer Erziehung und körperlicher Ertüchtigung wahrt, leistet sie einen wertvollen Beitrag zur Erhöhung der Kampfkraft der Nationalen Volksarmee« (Autorenkollektiv 1968: 117). Aber ein automatischer »Zuwachs an sozialistischem Bewusstsein« war mit der umfangreichen sportlichen Betätigung in den Streitkräften dennoch nicht verbunden, wie selbst der letzte Chef des Komitees der ASV, Generalmajor a.D. Heinz-Günther Wittek, später einräumen musste. In den Sportkollektiven hätten vor allem »Tataspekte und nicht die Worterziehung« dominiert.6 Und tatsächlich fanden viele Armeeangehörige bei den sportlichen Aktivitäten außerhalb des obligatorischen Dienstsportes manche Herausforderungen, Entspannung, Erholung und auch Spaß. Die ASV löste sich Ende Januar 1991 auf. Nur wenige ihrer Sportfunktionäre und Trainer wurden in Sporteinrichtungen der Bundeswehr übernommen.

4. Leistungssport in der NVA Die dritte große Säule des sportlichen Systems in der NVA bildete der Leistungssport, inklusive des Nachwuchsleistungssports (Jammer 1996). Die talentiertesten Sportler der ASV konnten in die Armeesportklubs (ASK), die sportlichen Leistungszentren der NVA, »delegiert« werden. Hier erfolgte in 21 Sportarten die Vorbereitung der Leistungs­spitze auf nationale und vor allem internationale Wettkämpfe. Ende der 1980er Jahre existierten fünf Armeesportklubs für Spitzenkader: Ost-Berlin, Rostock, Oberhof, Frankfurt/Oder und Potsdam. Letzterer war beispielsweise auf Leichtathletik und Kanurennsport spezialisiert (Lambrecht/Sperrfeld 2019). Sport­ arten und Disziplinen, die aus Sicht der Sportfunktionäre keine absehbaren Erfolge bei Olympischen Spielen und Meisterschaften versprachen, verbannte man im 6

Heinz-Günther Wittek, Die Armeesportvereinigung Vorwärts (ASV) der NVA der DDR, (letzter Zugriff 4.7.2022 ).

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Laufe der Jahre aus der leistungssportlichen Förderung. Dies betraf unter anderen Wasserball, Springreiten, Military-Reiten, Basketball und Eishockey.7 Die DDR galt seit den 1960er Jahren als »Sportwunderland«. Die Erfolge und Misserfolge im Sport wurden grundsätzlich politisch begriffen, ein unpolitischer Sport existierte im Denken der Funktionäre im sozialistischen Teil Deutschlands nicht. Das Konzept der »Diplomaten im Trainingsanzug« war vor allem in den 1960er und 1970er Jahren für die DDR von außerordentlicher Bedeutung. Inter­ nationaler Wettkampfsport war quasi Klassenkampf und ein Teil der DDR-Außen­ politik. Es ging letztlich um die internationale Anerkennung der DDR, die ihr vor allem im Westen lange Zeit verwehrt blieb. Daher sollte die Erziehung zu höchster Leistungsbereitschaft untrennbar mit der Erziehung zur bedingungslosen Treue und Ergebenheit gegenüber der Arbeiter- und Bauern-Macht sowie zum »Hass gegenüber dem imperialistischen Klassenfeind«8 verbunden werden. Nicht wenige Sportler, die oft einfach nur Freude am Sport hatten, bekamen tatsächlich die Auswirkungen des Kalten Krieges persönlich zu spüren. Einreiseverweigerungen, Startverbote, Abwerbungsversuche und Diskriminierungen im Westen politisierten manchen Spitzensportler. Sie ließen sich daher durchaus überzeugt und mit Stolz in das System einbinden. In der DDR-Bevölkerung erfuhren die Armeesportler wie die »zivilen« Spitzensportler von Anfang an große Anerkennung (Leuschner 1989: 72 f.). Dabei hatte es der Leistungssport in der NVA anfangs durchaus schwer. »Die Nationale Volksarmee braucht Kämpfer und keine Sportstars,«9 verkündete 1956 der DDR-Verteidigungsminister höchstpersönlich. Diese Forderung von Generaloberst Willi Stoph war zwar berechtigt, blieb aber ein frommer Wunsch. Denn schon damals ging es für die SED-Führung darum, sportliche Höchstleistungen als Ausdruck der Überlegenheit des eigenen Systems zu generieren. Dem »imperialistischen Gegner« sollten mit sportlichen Niederlagen auch »politische und moralische Schläge« versetzt werden (Hoffmann 1983: 210). Dafür durften Spitzensportler der NVA im Unterschied zu den anderen Soldaten in den Westen reisen. Nur wenige Angehörige der ASV setzten sich ab und blieben dort, so der Fußballer Horst Aßmy, der Turner Wolfgang Thüne und der Schwimmer Jens-Peter Berndt (Wiese/Braun/de la Garza 2011). Sie galten in der DDR als Fahnenflüchtige und Verräter. Die erste Medaille, eine Silbermedaille, für die ASV bei Olympischen Spielen holte 1960 der Ringer Lothar Metz in Rom. Die Armeesportvereinigung Vorwärts bildete fortan – gemeinsam mit ihrer konkurrierenden »Schwester« Dynamo, der Sport­vereinigung der Sicherheitsorgane der DDR (Volkspolizei, Ministerium für Staats­sicherheit, Zoll) – »integrierte und unverzichtbare Eckpfeiler des Leistungs­ sport­systems« der DDR (Krebs 1993: 1349). Die SED gab die Ziele vor, die immer höher gesteckt wurden. Bei den Sommerspielen in Tokio 1964 gewann Jürgen Eschert 7 8 9

Befehl Nr. 139/69 des Ministers für Nationale Verteidigung über die Auflösung und Umgliederung von Sportmannschaften der NVA, 18.11.1969, BArch, DVW 1/19753, Bl. 210 f. Perspektivplan zur Entwicklung des Leistungssports in der NVA bis 1975, 18.2.1970, BArch, DVW 1/23737, Bl. 81. Protokoll der Sitzung des Kollegiums des Ministeriums für Nationale Verteidigung (Schlusswort von Generaloberst Willi Stoph), 7.3.1956, BArch, DVW 1/2027, Bl. 72.



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im Kanurennsport die erste olympische Goldmedaille für die ASV, was großen Jubel und Freude auslöste. Ihm folgten Sportler wie Udo Beyer (Kugelstoßen), Gerhard Grimmer (50  km Skilanglauf ), Manfred Wolke (Boxen), Peter Frenkel (Gehen), Birgit Fischer (Kanurennsport) oder Henry Maske (Boxen). Insgesamt nahmen 394 ASV-Sportler an Olympischen Spielen teil. Sie errangen 118 Medaillen – 40 Gold-, 39 Silber- und 39 Bronzemedaillen. Ostdeutsche Armeesportler erzielten bis 1989 47 Weltrekorde, 145 Weltmeister- und 93 Europameistertitel. Das ist eine durchaus stolze und beeindruckende Bilanz, die sich im Einzelfall bei einigen früheren »ASKlern« auch nach 1990 fortsetzte. Eine wichtige Grundlage für diese Erfolge bildeten die für DDR-Verhältnisse überdurchschnittliche Ausstattung und Ausrüstung von Trainings- und Wettkampfstätten der NVA. »Allein den Wintersportlern des ASK Vorwärts Oberhof standen 1989 sechs Schanzen mit Normpunkten zwischen 10 und 90 m dank modernster Technik (Keramik- und Eisspur, Matten) ganzjährig zur Verfügung. Dazu kamen 60  km Strecke für den Skilauf und Biathlon, eine 12-km-Anlage für Rollerskitraining, davon 2,5 km beleuchtet, Biathlon-Stadion, Biathlon-Schießhalle, Rennschlitten- und Bobbahn und verschiedene Trainingshallen für die Sportarten« (Leuschner 1989: 89). Die Spitzenleistungen mancher Athleten beruhten freilich auch, natürlich nicht nur und schon gar nicht ausschließlich, auf Doping, das in der DDR »bewusst und systematisch vom Staat und mit staatlichen Machtmitteln« durchgeführt wurde (Franke 1995: 999; vgl. auch Spitzer 2018). Die leistungssteigernde Wirkung von Anabolika nahmen anfangs vor allem Gewichtheber, Kugelstoßer und Werfer in Anspruch, danach, etwa ab 1969, wurden diese Präparate auch in Sprint- und Sprungdisziplinen angewandt und auf weitere Sportarten wie beispielsweise Schwimmen, Kanusport und Turnen ausgedehnt. Betroffen waren insbesondere Frauen und Mädchen. Dieses mehr oder weniger geheime Dopingsystem machte vor den ASK-Sportlern nicht halt. Einer von ihnen, der von 1960 bis 1972 dem ASK Potsdam angehörte, sagte dazu später aus: »Ich habe bis 1972 Anabolika eingenommen, habe dann als Trainer weiter Anabolika verabreicht« (Deutscher Bundestag 1995: 759). Als sich 1988 der damalige NVA-Militärarzt Oberstleutnant Dr. Hans-Georg Aschen­bach, 1973 selbst Weltmeister im Skifliegen und Mitglied des ASK Oberhof, in die Bun­ des­republik absetzte, bestätigte er im Westen vor dem Hintergrund seiner Tätig­keit im Klub und als Mannschaftsarzt der DDR-Skispringer die Nutzung von verbotenen Dopingmitteln (Aschenbach 2012). Die ASV-Spitzensportler mit weltweiten Erfolgen waren fraglos immanenter Teil des DDR-Sportsystems – mit allen Höhen und Tiefen. Mit der Armee hatten sie nicht mehr viel zu tun. Ihnen wurden weitreichende Privilegien und finanzielle Vergünstigungen gewährt. Einige wurden in der DDR zu Identifikationsfiguren für das politische System und als Werbeträger für die von der SED propagierte Militarisierung des gesamten öffentlichen Lebens instrumentalisiert.

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5. Resümee Die Militärische Körperertüchtigung war in der NVA Bestandteil der Gefechts­ ausbildung und galt zugleich als eine spezifische Form der körperlichen Erziehung und Ausbildung der Armeeangehörigen zu Kämpfern, zu sozialistischen Soldaten­ persönlichkeiten. Im Mittelpunkt der MKE und teilweise des Freizeitsports in der NVA nach Dienst stand die Herausbildung militärsportlicher Fertigkeiten durch permanentes praktisches Üben. Der Sport in der NVA war durch Merkmale wie Massencharakter, Leistungsfähigkeit und Verteidigungsbereitschaft gekennzeichnet (Hafeneger/Buddrus 1994). Die Armeesportler in der DDR waren zugleich ein bedeutender Eckpfeiler des Leistungssportsystems der DDR. Eine straffe militärische Planung und Organisation, eine umfassende Steuerung und Kontrolle der Armeesportvereinigung und der Armeesportklubs, ein konsequentes Nach­ wuchssichtungs- und -entwicklungssystem, die Einrichtung von hochmodernen Leistungssportzentren, die Einbeziehung von Wissenschaft und Forschung, eine permanente Weiterbildung von Trainern und Funktionären, eine herausragende Sportmedizin, aber auch die medizinische Manipulationen von Sportlerinnen und Sportlern sowie ein ausgeklügeltes Abschottungssystem bildeten die Basis der sportlichen Erfolge der »Kämpfer in Rot-Gelb«.

Literatur Aschenbach, H.-G. (2012): Euer Held. Euer Verräter. Mein Leben für den Leistungs­sport. Halle: Mittel­deutscher Verlag. Autorenkollektiv (1968): Taschenbuch Militärpolitik und Wehrpflicht, Berlin (Ost): Miltärverlag. Deutscher Bundestag (1995) (Hrsg.): Rolle des Sports in der DDR. Protokoll der 35. Sitzung des Sport­ ausschusses in gemeinsamer Sitzung mit der Enquete-Kommission »Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland am 21.6.1993 in Bonn. In: Materialien der EnqueteKommission »Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland«, Bd. III/1. Baden-Baden: Nomos; Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 637‑767. Echternkamp, J./Kollmer, D.H./Loch, T./Vollmuth, R./Wenzke, R. (2017): Deut­sche Militärgeschichte von 1945 bis 1990 im internationalen Kontext. Bilanz und Perspektiven der Forschung. In: Militär­ ge­schichtliche Zeitschrift, 76: 1, 132‑170. Franke, W. (1995): Funktion und Instrumentalisierung des Sports in der DDR: Pharmakalogische Manipulationen (Doping) und die Rolle der Wissenschaft. In: Materialien der Enquete-Kommission »Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland«, Bd. III/3. BadenBaden: Nomos; Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 905‑1143. Hafeneger, B./Buddrus, M. (1994) (Hrsg.): Militärische Erziehung in Ost und West. Ein Lesebuch zur Kriegsbegeisterung junger Männer, Bd. 4. Nachkriegszeit und fünfziger Jahre. Frankfurt a.M.: Brandes & Apsel. Handbuch Militärisches Grundwissen. NVA-Ausgabe. 17. Aufl. Berlin (Ost): Mili­tär­verlag der DDR 1988. Hoffmann, H. (1983): Armeesportler vor olympischer Bewährung. Ansprache auf dem Treffen mit Olympiakandidaten der Armeesportvereinigung Vorwärts, 8.  Januar 1980. In: Hoffmann, H.: Sozialistische Landesverteidigung. Aus Reden und Aufsätzen Juni 1978 bis Mai 1982. Berlin (Ost): Militärverlag der DDR, 209‑211. Jammer, B. (1996): Zwischen Ministerbefehl und Ehrenamt – Die Armee­sport­ver­einigung Vorwärts als Bestandteil der Streitkräfte der DDR (dargestellt anhand des Kinder- und Jugend- bzw. Nach­



Kämpfer in Rot-Gelb

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wuchs­leistungssports in der Militärorganisation). Studie mit Dokumentensammlung. Potsdam: Militärgeschichtliches Forschungs­amt. Lambrecht, R./Sperrfeld, H. (2019): Der Potsdamer Luftschiffhafen. Geschichte und Geschichten eines besonderen Stadtraumes. Potsdam: Knotenpunkt. Leuschner, R. (1989): Im Dienst hoher Kampfkraft und sportlicher Erfolge. Zur Geschichte der Armee­sportvereinigung Vorwärts (interne Ausgabe des ASV Vor­wärts). Spitzer, G. (2018): Doping in der DDR. Ein historischer Überblick zu einer konspirativen Praxis. Genese, Verantwortung, Gefahren. Köln: Sportverlag Strauss. Tappert, J./Jodl, H. (1973): Körperertüchtigung und Sport für die sozialistische Lan­desverteidigung. Berlin (Ost): Militärverlag. Wenzke, R. (2013): Ulbrichts Soldaten. Die Nationale Volksarmee 1956 bis 1971. Berlin: Christoph Links. Wenzke, R. (2016): Ab nach Schwedt! Die Geschichte des DDR-Militärstrafvollzuges. 3. Aufl. Berlin: Christoph Links. Wiese, R./Braun, J./Garza, C. (Hrsg.) (2011): ZOV Sportverräter. Spitzenathleten auf der Flucht. Be­ glei­tbuch zur Ausstellung. Berlin: Zentrum deutsche Sport­geschichte.

V. Und anderswo?

Dieter H. Kollmer

»Both in war and peace – it is the football men, that I found my greatest reliance«. Beobachtungen zum American Football und den US-Streitkräften Einordnung Der Text von Dieter Kollmer lenkt den Blick weg vom Militärsport in Deutschland und hin auf ein spezifisches Phänomen des Militärsports in den Vereinigten Staaten von Amerika: das Army-Navy-Game und die Bedeutung des American Football für die amerikanische Gesellschaft und deren Streitkräfte. In einem ersten Zugang vermittelt der Autor einen Überblick über die Geschichte des American (College) Football und verdeutlicht, wie militärisch dieser Sport eigentlich ist. Dann diskutiert er insbesondere den Stellenwert dieses Sports an den Militärakademien und seine fortschreitende Kommerzialisierung. Am Ende analysiert Kollmer die Bedeutung des American Football für die Ausbildung und Entwicklung des amerikanischen Offizierkorps. Autor Dieter H. Kollmer, Dr. phil., ist Historiker und Oberstleutnant. Er ist bei der NATO in Brüssel tätig. Zuvor war er Leiter des Projektbereichs ›Geschichte der Bundeswehr‹ am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam. Darüber hinaus gilt sein besonderes Interesse dem American (College) Football.

1. American Football und das Army-Navy-Game Die Super Bowl ist ein Phänomen. Seit Beginn des 21.  Jahrhunderts wird die mittlerweile größte sportliche Einzelveranstaltung der Welt (2022: gut 800  Mio. TV-Zuschauer weltweit) auch in Europa immer populärer. Trotz der späten Anstoßzeit weit nach Mitternacht machen laut des Statistikportals Statista alleine in Deutschland Jahr für Jahr weit über eine Million Fernsehzuschauer die Nacht zum Tag.1 Sehr oft wird das Finalspiel der jeweiligen Saison der professionellen

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. Auf alle in dem Beitrag genannten Websites wurde zuletzt am 26.9.2020 zugegriffen.

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National Football League (NFL) im Rahmen von Super-Bowl-Partys gefeiert.2 Die wachsende Faszination für den Sport ist auffällig, da sie mittlerweile auch unseren Alltag erreicht hat. Regelmäßig im November füllen sich die Verkaufsregale in deutschen Supermärkten mit Footballartikeln und überregionale Zeitungen wie die Bild-Zeitung, die Süddeutsche Zeitung oder die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichten regelmäßig und ausführlich über die Ergebnisse der NFL. Im Mutterland des Football würde man über diese einseitige Wahrnehmung der NFL verwundert sein. In den USA ist nämlich, an den Zuschauerzahlen gemessen, der hierzulande kaum oder als Amateursport wahrgenommene College Football (CFB)3 wesentlich beliebter. Laut einer Statistik der National Collegiate Athletic Association (NCAA) der USA haben 2018 fast 47 Millionen Menschen den Spielen der regulären CFBSaison 2017/18 live in den Stadien beigewohnt.4 Die 14 Spitzenmannschaften hatten aufgrund der Stadionkapazitäten bei ihren Heimspielen jeweils einen Zuschauerschnitt von über 80 000 Zuschauern.5 Das ist ungefähr der Schnitt, den Borussia Dortmund bei seinen Heimspielen im selben Jahr erreichte. Bayern München hat bereits 5000 Zuschauer weniger.6 Ähnlich ergeht es dem FC Barcelona und Manchester United. Real Madrid und Arsenal London kommen als nächstplatzierte in ihren jeweiligen Ländern sogar nur auf einen Durchschnitt von 60 000 Zuschauern pro Heimspiel.7 Diese Zuschauerzahl erreichen im CFB unter anderem die Mannschaften der University of Arkansas, der Virginia Polytechnic Institute and State University (Virginia Tech) und der Mississippi State University. Sie sind durchschnittlich gute CFB-Mannschaften und haben quantitativ ein Publikum europäischer Spitzenmannschaften im Profifußball. Diese wenigen Zahlen verdeutlichen bereits die große Popularität dieser Sportart in den USA. Noch weniger bekannt ist in Deutschland – selbst unter Sportinteressierten – das »Army-Navy Game«. Das Footballspiel der höchsten Spielklasse im CFB der NCAA Division  I Football Bowl Subdivision (FBS; Müller 2017)8 findet jedes Jahr am Ende der regulären College Football Season Anfang bis Mitte Dezember statt. Seit 1890 ist das Duell der beiden größten US-Militärakademien der Navy in Annapolis, Maryland, und das der Army in West Point, New York, bereits 122 Mal ausgetragen worden. Selbst im Zweiten Weltkrieg und während des Vietnamkriegs fanden alle Spiele statt. Gleichwohl hat der Austragungsort im Laufe der Jahre gewechselt, weil sowohl eine immer größere Zuschauerkapazität als auch ein historisch angemessener 2

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In deutschen Großstädten wie Hamburg, Berlin, Frankfurt am Main und im Ruhrgebiet (Oberhausen) gibt es mittlerweile sogar Großveranstaltungen mit mehreren Zehntausend Teilnehmern. Zur Geschichte des CFB siehe u.a.: . Hier und im Folgenden: . Die sechs Mannschaften mit den größten Stadien (Michigan, Penn State, Ohio State, Alabama, Louisiana State und Texas A&M) haben laut der vorgenannten Statistik der NCAA sogar einen Durchschnitt von über 100 000 Zuschauern pro Begegnung. Siehe hierzu: . Siehe hierzu: und . Zurzeit gehören 125 Universitäten der FBS an, die man regelmäßig aktualisiert nachlesen kann unter: .



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Ort benötigt wurde. Spätestens seit 1932 ist es zur Tradition geworden, zumeist ein Stadion in Philadelphia, der Stadt der Unabhängigkeitserklärung von 1776, zu nutzen (Feinstein 1997).9 Seit 2003 wird das Spiel auf dem »Lincoln Financial Field« ausgetragen,10 auf dem normalerweise die NFL-Profimannschaft der Philadelphia Eagles spielt. Das Stadion hat 69 176 Sitzplätze, die für das Army-Navy Game auf viele Jahre im Voraus komplett ausgebucht sind. Neben den Kadetten beider Akademien, die offiziell in das Stadion einmarschieren und danach auf den Tribünen Platz nehmen, besteht ein Großteil der glücklichen Ticketinhaber für das Spiel aus Veteranen der US-Streitkräfte und ihren Angehörigen. Darüber hinaus wird das Spiel seit 1945 Samstags zur besten Sendezeit auf einem der drei öffentlichen Sender ABC, NBC oder CBS »nationwide« übertragen und von prominenten Fernsehjournalisten kommentiert.11 In den vergangenen Jahren haben jedes Mal rund neun Millionen Fernsehzuschauer in den USA das Spiel live verfolgt.12 Der größte US-Sportsender, das Entertainment and Sports Programming Network (ESPN), führt seine sehr beliebte Sportsendung »College Game Day« jedes Jahr mit großem Aufwand an dem jeweiligen Austragungsort des Spiels durch.13 Seit einigen Jahren wird diese enge Kooperation zwischen den Medien, dem American Football im Allgemeinen und dem Militär in den USA von Soziologen kritisch hinterfragt (de Oca 2013). Immer wieder taucht in diesem Zusammenhang als Analogie zum Militärisch-Industriellen Komplex der Begriff des Sport-Medialen Komplexes auf (Messner/Dunbar/Hunt 2000). Es wird von verschiedenen Wissen­ schaftlern und Sportjournalisten vermutet, dass bereits seit der frühen Phase des Kalten Krieges (1947‑1964) dieser unter Amerikanern sehr beliebte Sport zur subtilen Beeinflussung der US-Bevölkerung eingesetzt wurde. Medien, Sport­manager, Politiker und hochrangige Militärs wollten angeblich die Möglichkeit nutzen, die Ver­ teidi­ gungsbereitschaft der amerikanischen Bevölkerung zu fördern und die Bedeutung des Militärs in der Gesellschaft zu stärken (de Oca 2013). Manche Autoren behaupten sogar, dass die Darstellung des Sports in der Öffentlichkeit der Schlüssel zum US-Militarismus sei (Gems 2000). Die bei Großveranstaltungen mittler­weile üblichen Präsentationen der Flaggen der beteiligten Bundesstaaten und der National­flagge durch Angehörige des Reserve Officer Trainingscorps (ROTC) der gastgebenden Universität (colour-guard), das nachfolgende Abspielen der National­ hymne und der gelegentliche Überflug von Kampfjets der U.S. Air Force (fly-over) werden ebenfalls als Infiltrierung eines wichtigen Aspekts der amerikanischen (Zivil-) Kultur durch das Militär empfunden (de Oca 2013). 9

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Die Austragung dieses Spiels an einem für die USA historisch bedeutenden Ort ist zumindest unter den Gegnern des Missbrauchs des amerikanischen Universitätssports für nationale, militaristische Zwecke äußerst umstritten (de Oca 2013). Gleichwohl ist dieses Spiel für viele Amerikaner eines der wichtigsten CFB-Spiele des Jahres (Miller 2018). Bedingt durch die Corona-Pandemie hat das Spiel 2020 und 2021 in den beiden Football-Stadien der Militärakademien stattgefunden. Die Fernsehsender, die das Spiel übertragen haben, und die jeweiligen Kommentatoren seit 1945 (sic) findet man hier: . Das DFB-Pokalfinale in Berlin verfolgten in den vergangenen Jahren im Schnitt fast 10  Mio. Fernsehzuschauer. Siehe hierzu: . Siehe hierzu: .

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Inwiefern diese Beteiligung des Militärs an sportlichen Großveranstaltungen von Anfang an zur Militarisierung der amerikanischen Bevölkerung gedacht war, wird im Folgenden ebenso beleuchtet werden wie die Fragen danach, inwiefern dieser Sport möglicherweise Einfluss auf die amerikanischen Streitkräfte und einige seiner herausragenden Führer gehabt hat und ob vor diesem Hintergrund nicht sogar von Anfang an militärische Elemente in der Grundstruktur dieses Sports vorhanden waren. Darüber hinaus soll ein Blick darauf geworfen werden, wie die nationale Bühne als Werbeträger für die Belange des Militärs genutzt wird. Um dies genau verstehen zu können, soll zunächst einmal hinterfragt werden, warum der American Football an den höchsten amerikanischen Ausbildungseinrichtungen »a social institution with its own history, lore, values, norms, ritual, and traditions« (de Oca 2013: 1) ist und warum er zu einer »national culture« aufstieg, die »a broadly shared lifestyle« (de Oca 2013: 2) während des Kalten Kriegs formte, der bis in die Gegenwart hinein intensiv gelebt wird.

2. Ein Blick auf die Geschichte des American (College) Football American Football entstand in seiner heutigen Form ähnlich wie seine artverwandten Sportarten Fußball und Rugby an höheren Bildungseinrichtungen für junge Männer.14 Nachdem mehrere Jahrzehnte eher ungeordnete und auf die einzelnen Schulen und Universitäten begrenzte Ballspiele durchgeführt worden waren (intramural games), entwickelte sich Mitte des 19.  Jahrhunderts bei den Studenten verschiedener Universitäten der Wunsch des Kräftemessens mit anderen Ausbildungseinrichtungen (Bernstein 2001). Das erste offizielle Spiel, das nach Aussagen von Augenzeugen eher einer Mischung aus Fußball und Rugby ähnelte, fand am 6. November 1869 zwischen den Universitäten Rutgers und Princeton in dem kleinen Ort New Brunswick im US-Bundesstaat New Jersey statt. Danach dauerte es weitere sieben Jahre, in denen zum Teil sehr unterschiedliche Regelverständnisse bzw. -auslegungen an den beteiligten rund 25 Schulen entlang der Ostküste der Vereinigten Staaten vorherrschten, bis sich studentische Vertreter der führenden Ostküsten-Universitäten Columbia, Harvard, Princeton und Yale in Springfield, Massachusetts, im November 1876 trafen, um gemeinsame Spielregeln 14

Eine elitäre universitäre Ausbildung genossen in den USA bis Ende der 1960er Jahre, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nur weiße, junge Männer. Afroamerikaner erhielten eine akademische Ausbildung an den hauptsächlich in den südlichen Bundesstaaten dislozierten Historically Black Colleges and Universities (HBCU), von denen es heute noch 101 Hochschulen gibt. Erst der »Civil Rights Act« von 1964, welcher die Diskriminierung aufgrund von Rasse, Hautfarbe, Religion, Geschlecht oder nationaler Herkunft in den USA grundsätzlich verbietet und der daraus resultierenden Möglichkeit der freien Wahl von Ausbildungseinrichtungen für alle US-Amerikaner, führte zu einer Öffnung der Universitäten für afroamerikanische Studenten und Sportler, die seit jeher mit rassistisch motivierter Benachteiligung zu kämpfen hatten. Mittlerweile sind über 50  Prozent der CFB-Spieler Afroamerikaner. Zur Thematik ein aktueller Kommentar aus einer Zeitung mit einem in den USA stark rezipierten Sportteil: Richard Johnson, College football wasn’t made for its Black players, and they’re pushing back, .



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auszuhandeln (Watterson 2000). In den nachfolgenden Jahren wurde auf der Basis von neuen Erfahrungen das Spiel weiterentwickelt, immer im regen Austausch mit den beiden englischen Verbänden für Rugby und Fußball. Entscheidenden Einfluss auf diesen Prozess hatte der Yale-Student und spätere Journalist sowie sehr erfolgreiche Football-Coach Walter Camp (1859‑1925). Ihm gelang es, die streitenden Parteien auf Kompromisse zu einigen, die das Spiel zu dem machten, wie es heute ist. Unter Camps Einfluss orientierte man sich hauptsächlich an den Regeln der englischen »Rugby Football Union« (Des Jardin 2015). Um dem Wettbewerb einen Rahmen zu geben, wurde die Intercollegiate Football Association (IFA) ins Leben gerufen, ein Vorläufer der »Ivy League«15 (Bernstein 2001). Von diesem Zeitpunkt an entstanden an einer sehr großen Anzahl von Schulen und Universitäten Footballmannschaften. Spiele wurden durchgeführt, die Regeln immer wieder abund sukzessive angeglichen. Im Jahr 1896 gründete sich dann im Mittleren Westen die »Western Conference«16, um mit einem regulären Spielbetrieb den Wildwuchs von gut bezahlten Freundschaftsspielen in dieser Region einzudämmen. Sie wurde zum Vorbild für viele andere in den darauffolgenden Jahren gegründete regionale Ligen (de Oca 2013). Diese entfernten den Sport aber von dem ursprünglichen, auf den sportlichen Vergleich gerichteten Wettbewerb und entwickelten ihn zu einem »structural component of the political economy of major unversities« (de Oca 2013: 7). Heutzutage sind die durch den College Football generierten finanziellen Mittel für viele Universitäten von unverzichtbarer wirtschaftlicher Bedeutung, auch für die Durchführung des akademischen Betriebes.17 Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Popularität des Sports nicht nur für die Universitäten ein interessanter Wirtschaftsfaktor. Die gastgebenden Städte, lokale Geschäftsleute, Händler, Hotels, der Personentransport und die Presse profitierten in hohem Maße von den neuen Großveranstaltungen. Aber schon damals gab es kritische Stimmen, dass bei dem Versuch, kommerzialisierten Sport und akademische Ausbildung zu vereinbaren, dies immer zu Lasten letzterer gehen würde (de Oca 2013). Als zum Ende des 19. Jahrhunderts diese rapide Kommerzialisierung immer mehr Fahrt aufnahm, entschieden sich die Kommandeure der beiden Militärakademien in Annapolis und West Point trotz einiger Zweifel und nach Rücksprache mit dem Verteidigungsministerium in Washington, eigene Footballmannschaften zu gründen (Drape 2012). Am 29. November 1890 trafen diese Teams in West Point zum ersten Mal aufeinander. Dies war auch deshalb möglich geworden, weil alle 271 Kadetten der Naval Academy bereit waren, die Hälfte der Reisekosten für ihre Mannschaft aus 15

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Die Ivy League ist grundsätzlich eine Liga der NCAA Division I, die sich aus den Sportmannschaften von acht Elitehochschulen im Nordosten der USA zusammensetzt. Die Bezeichnung wird jedoch auch in anderen Kontexten verwendet und bezieht sich dann auf die prestigeträchtigen privaten Universitäten, die dieser Liga angehören: Brown, Columbia, Cornell, Dartmouth, Harvard, Pennsylvania, Princeton und Yale. Diese Liga firmiert heutzutage unter dem Namen »Big 10« und umfasst 14 der größten Schulen des Nordwestens der USA. Besonders deutlich wurde dies während der Corona-Krise im Jahr 2020, als einige der besonders von diesem »Fundraiser« abhängigen Universitäten darauf drängten, die CFB-Saison 2020/21 auf jeden Fall regulär durchzuführen, da sie befürchteten, den eigentlichen Studien- und sonstigen Sportbetrieb nicht regulär aufrechterhalten zu können. Siehe hierzu u.a.: .

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eigener Tasche zu begleichen. Am Ende zahlte sich das aus: Die Navy Midshipmen gewannen das Debüt überlegen mit 24:0.18 Im darauffolgenden Jahr fand das Spiel in Annapolis statt und die Army Black Knights konnten mit 32:16 erfolgreich Revanche nehmen. Eine große Rivalität war begründet, die heutzutage anerkanntermaßen zu den zehn bedeutendsten Spielen während der regulären Saison zählt (Long 2011). Ähnlich wie in Europa der Fußball entwickelte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts der American Football in weiten Teilen der amerikanischen Bevölkerung schnell zu einem beliebten Sport, der eine entsprechende journalistische Aufmerksamkeit bekam und immer größere Zuschauermengen generierte (Ingrassia 2012). Exemplarisch hierfür war das Spiel zwischen den beiden Universitätsmannschaften von Michigan und Chicago am 30.  November 1905, das weit über 50  000 Interessierte anzog, jedoch konnte im Stadion in Chicago nur 27 000 Zuschauern Platz geboten werden (Lester 1991). Unter den Anwesenden befand sich neben rund 5000 Anhängern aus Michigan auch der ›Vater des modernen Football‹ Walter Camp. Eine der Konsequenzen dieser rapiden Entwicklung sowie einiger Todesfälle aufgrund brutaler Spielweise in den Jahren zuvor war die Gründung eines Dachverbandes. Auf Initiative des damaligen US-Präsidenten Theodore Roosevelt wurde im Dezember 1905 durch die Vertreter von 68 Universitäten ein »Football Rules Committee« unter dem Dach der Intercollegiate Athletic Association (IAAUS) geschaffen, welche nur wenige Jahre später in die National Collegiate Athletic Association (NCAA)19 umgewandelt wurde (Carter 2006). Trotz der Regeländerungen kam es immer wieder zu Todesfällen aufgrund brutalen Spiels, so auch beim Army-Navy Game im Jahr 1909, als ein West Point Kadet noch auf dem Spielfeld verstarb und ein Navy-Spieler einige Wochen später seinen Verletzungen erlag (Carter 2006). Folglich unterlagen die Regeln einer steten Anpassung an das Verhalten der Spieler auf dem Feld. Im Laufe der Zeit entwickelte sich diese Vorgehensweise zu einem schematischen Prozess, der bis heute zu den wichtigsten Aufgaben der NCAA gehört. Mittlerweile beziehen sich die Regeln für College- und Universitätssportler jedoch nicht nur auf das Spielfeld, sondern immer häufiger auf die Geschehnisse abseits der Stadien (Ingrassia 2012). Gleichzeitig zielten der Universitätssport und sein Regelwerk, wie es ein Chronist der renommierten Princeton University festhielt, auf Folgendes ab: »not merely the production of scholars, but the development of men« (zit. nach de Oca 2013: 9). Über die Jahre wuchs, aufgrund der Zunahme der beteiligten Universitäten und der Spiele pro Mannschaft, die Zahl der ausgetragenen Spiele. Das große öffentliche Interesse führte dazu, dass Einzelpersonen oder auch Unternehmen Teile der Kosten für das lokale Footballteam übernahmen. Hierbei erhofften sich die Sponsoren nicht nur größere Umsätze vor Ort, sondern durch die dauraus entstehenden viel18 19

Weitere kuriose Fakten zum Army-Navy Game sind nachzulesen unter: . Die NCAA ist heute der Dachverband für den gesamten Universitätssport in den USA. Ihr gehören nach eigener Aussage 1098 Colleges und Universitäten mit über 360 000 student athletes an. Der Sitz der NCAA ist in Indianapolis. Siehe hierzu u.a.: .



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fältigeren Kontakte in andere Landesteile auch einen höheren Bekanntheitsgrad des jeweiligen Ortes und seiner Unternehmen (Carter 2006). Gleichzeitig reichten jedoch die Kapazitäten der vorhandenen Stadien nicht mehr für den stetig anwachsenden Publikumszuspruch aus, sodass es in den Jahren vor und nach dem Ersten Weltkrieg zu einem Stadionbauboom in den USA kam. In der Folge entstanden erste Großveranstaltungsarenen für bis zu 60 000 Zuschauer (Carter 2006). Der Erste Weltkrieg war der erste tiefe Einschnitt in diese rasante Entwicklung. Viele Spieler wurden 1917 zum Militärdienst einberufen und alle Mannschaften hatte Verluste zu verzeichnen. Kurios mutet dabei an, dass die Streitkräfte zunächst alle Sportler einzogen, da die meisten von ihnen körperlich so konstituiert waren, dass sie den Dienst an der Waffe ohne Einschränkungen sofort leisten konnten. Besonders hart traf der Kriegseintritt der USA natürlich die beiden Militärakademien und deren Alumni. Aber auch die sonst so starken Ivy-League-Universitäten Yale, Harvard und Princeton verloren derart viele Spieler an den Militärdienst, dass sie ihren Spielbetrieb zunächst einstellen mussten (Carter 2006).20 Nach dem Ende des Krieges versuchten zunächst alle Footballmannschaften schrittweise zum Trainings- und Spielalltag zurückfinden. Gleichzeitig bot sich die Chance, das gesamte System einer Revision im Sinne der Universitäten zu unterziehen und die akademische Ausbildung der Sport treibenden Studenten wieder stärker in den Fokus zu rücken (Carter 2006). Fast zeitgleich erfolgte die Gründung einer ersten professionellen Football-Liga, die sehr schnell als Konkurrenz zum CFB und in manchen Regionen sogar als Bedrohung empfunden wurde. Selbstverständlich ging es dabei auch an den Universitäten hauptsächlich um die wichtigsten Ressourcen: finanzielle Mittel, Zuschauer und Spieler (Carter 2006). Sehr bald stellte sich dann aber heraus, dass bei genauen Absprachen zwischen der NCAA und der professionellen Liga, die ab 1922 National Football League (NFL) hieß, beide Seiten davon profitierten. Einerseits wurde einigen Footballspielern die Möglichkeit eröffnet, nach dem Ende ihrer Collegelaufbahn mit dem Sport einen Lebensunterhalt zu verdienen, und andererseits erhielt die Profiliga bereits gut ausgebildete und körperlich durchtrainierte Spieler. Zudem führte eine Mehrzahl an Footballspielen zu einer größeren öffentlichen Wahrnehmung, die zusätzlich durch die ersten Radioübertragungen von Collegespielen gefördert wurde.21 Gleichwohl war die NFL vorerst kein wirklicher Konkurrent für den College Football, da die Mannschaften häufig ihre Standorte wechselten oder gar vollständig aufgelöst wurden. Darüber hinaus war die Verbundenheit mit dem lokalen Collegeteam und der Alma Mater gewachsen und erfuhr zunächst durch ein eher künstlich installiertes professionelles Team keine ernsthafte Rivalität.22 20

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Die sogenannte National Championship gewannen in diesen Jahren die bis zu diesem Zeitpunkt vergleichsweise unbedeutenden Mannschaften des Georgia Institute of Technology (1917) und der Pittsburgh University (1918). Das nachweislich erste live im Radio übertragene Footballspiel war die Begegnung zwischen Pittsburgh und West Virginia am 8. Oktober 1921. Siehe hierzu Sciullo 1991: 116. Erst mit dem Massenmedium Fernsehen, der Möglichkeit von Flugreisen und der systematischen Erschließung unterversorgter Märkte insbesondere in Großstädten gewann die NFL bedeutende Marktanteile (Hoch/Korber/Ladwig 2016).

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Um mit den wohlhabenden Universitäten an der Ostküste und den staatlich unterstützten Ausbildungseinrichtungen des Mittleren Westens sowie an der Pazifikküste mithalten zu können, entschied sich das Verteidigungsministerium direkt nach dem Ersten Weltkrieg, die Sportmannschaften der beiden großen Militärakademien in West Point und Annapolis dauerhaft zu finanzieren. Die zeitliche Nähe dieser Entscheidung zum Krieg ist zum einen nicht zufällig und zum anderen beeinflusste die öffentliche Wahrnehmung von Sportveranstaltungen diesen Schritt (Drape 2012). Auch hatten die Erfahrungen des Krieges die große Bedeutung der körperlichen Fitness des Offizierkorps verdeutlicht. Dementsprechend waren wettbewerbsfähige Sportmannschaften und insbesondere die öffentlichkeitswirksame Footballmannschaft bedeutende Aushängeschilder für beide Akademien (Carter 2006). Darüber hinaus erkannten die Verantwortlichen in Washington dass erfolgreiche und regelmäßig in den Medien vertretene Akademieauswahlen einen hohen Werbeeffekt für künftige Rekruten und das Vertrauen der Bevölkerung in die Leistungs­fähigkeit der Streitkräfte haben würden (McGovern 2007). Ab Anfang der 1930er Jahre wurde aus dem bis dahin eher regionalen ein nationaler Sport. Insbesondere im Süden wurde American Football an den Universitäten und beim Publikum immer beliebter (Smith 1990). Die nationale Meisterschaft wurde von nun an zwischen Universitäten aus allen Landesteilen entschieden. Die Dominanz der Ostküste war gebrochen. Unterdessen stiegen die Zuschauerzahlen immer weiter an und einige der größten Sportstadien der USA entstanden in diesen Jahren als reine College-Football-Spielstätten.23 Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Mehrzahl der Collegespieler und die High-School-Absolventen zum Militär eingezogen. Dies hatte zur Folge, dass die Army eine fast unschlagbare Mannschaft hatte, die zwischen 1944 und 1946 unangefochten die sogenannte National Championship gewann. Die Navy konnte in diesen Jahren nicht regelmäßig eine schlagkräftige Mannschaft aufstellen, da zu viele ihrer Spieler auf Kriegsschiffen oder mit den Marines im Einsatz waren (Conrad 2003). Nach den beiden Weltkriegen hatte sich das Spiel grundlegend verändert. Nicht nur, dass die Spieler deutlich athletischer geworden waren, sondern umfassende Regeländerungen und größere Trainerstäbe machten den College Football auch wesentlich dynamischer (Dent 2007). Gleichzeitig stiegen zu diesem Zeitpunkt weniger beachtete Universitäten in den Kreis der dauerhaft stärksten CFB-Programme auf – den »Power Houses«.24 Der Sport wurde dadurch nicht nur weniger elitär, sondern auch im ganzen Land immer populärer. An den High Schools wurde mittlerweile flächendeckend der robuste Mannschaftssport betrieben, was wiederum 23

24

Diese Stadien wurden u.a. in Ann Arbor, MI, Dallas bzw. College Station, TX, Gainesville, FL, und Tuscaloosa, AL, mit jeweils über 90 000 Sitzplätzen für die dortigen CFB-Mannschaften errichtet. Siehe hierzu u.a.: . Hierzu gehören in der 150-jährigen Geschichte des College Football laut Sports Illustrated vom 12.8.2019 die Universitäten von: Alabama, Michigan, Nebraska, Notre Dame, Oklahoma, Ohio State, Penn State, Southern California, Tennessee und Texas. Auffällig ist an dieser unvoreingenommenen Retrospektive, dass mittlerweile nur noch eine Ostküsten- und keine Ivy-League-Mannschaft dazu gezählt werden. Außerdem sind Army, Navy und Air Force respektierte Mannschaften, aber traditionell nicht unter den regelmäßig stärksten Programmen im CFB.



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dazu führte, dass immer mehr junge Männer an den Universitäten ihre sportliche Karriere fortsetzen wollten und dies letztlich auch konnten (Dent 2001; Ingrassia 2012). Den Militärakademien ermöglichte diese Entwicklung einen guten Zugriff auf körperlich geeignete Männer für die Ausbildung zum Offizier. Im Laufe der 1950er Jahre wuchs dann die Bedeutung der Cheftrainer (headcoach) als Spielansager (playcaller) und Spielerverpflichter (recruiter) für die Stärke der jeweiligen CFBProgramme. Bud Wilkinson in Oklahoma und Bear Bryant in Alabama begründeten traditionelle »Power Houses« (legacies), losgelöst von den jeweiligen Spielern, da sie professionelle Strukturen und Spielsysteme aufbauten, die später von berühmten NFL-Coaches wie Vince Lombardi (Green Bay Packers) und Don Shula (Baltimore Colts/Miami Dolphins) übernommen wurden (Ingrassia 2012). Mit den neuen Spielsystemen wandelte sich auch die Bedeutung einzelner Spieler. Der Quarterback (Ballverteiler hinter der Angriffslinie) wurde zur bestimmenden Figur auf dem Spielfeld. Er war nun in jeder Hinsicht der verlängerte Arm des Cheftrainers in der Mannschaft und somit der Anführer der Offensive auf dem Platz. In die militärische Diktion übertragen, war der Cheftrainer der Kommandeur des Teams und der Quarterback der Kompaniechef, der die Befehle seines Kommandeurs in entsprechende Befehle für Spielzüge an seine Mitspieler – den kämpfenden Soldaten – umsetzte. Der moderne American Football, so wie wir ihn heute kennen, entstand in den 1950er und 1960er Jahren, woran die Militärakademien erheblichen Anteil hatten. Die Popularität des College Football ist über die Jahre hinweg gleichbleibend groß geblieben. Auch wenn die NFL durch massive Werbekampagnen und eine immer stärkere Professionalisierung immer beliebter und weltweit bekannter wurde, hielt der College Football trotzdem stabil seine Anhängerschaft. Das liegt insbesondere an den Strukturen des American Football in den USA. Jede Sportart ist dort an den örtlichen Schulen und regionalen Universitäten organisiert, bevor er (landesweit) professionell betrieben wird. Dies führt zu einer ausgeprägten regionalen Verbundenheit mit den High-School- und Collegeteams insbesondere in den Regionen, in denen das nächste Profiteam sehr weit entfernt ist (Long 2011). Ein gut organisiertes Vereinswesen wie in Europa gibt es jenseits des Atlantik nicht, was Vor- und Nachteile hat. Für diejenigen, die nicht genügend Talent mitbringen, endet der Sport meistens schon in einem sehr jungen Alter. Im Gegensatz dazu können die herausragenden sportlichen Talente über die (Ausbildungs-)Stufen High School und College von einer Profimannschaft (franchise) in einem jährlich stattfindenden Verfahren ausgewählt werden (draft) und in der Folge sehr viel Geld mit ihrem Sport verdienen (Hoch/Korber/Ladwig 2016). Die verschiedenen Systeme bauen unabhängig voneinander aber trotzdem aufeinander auf. Als Schüler wird man dem School District entsprechend einer High School zugeteilt. Die Colleges wählen (recruiting) ihren Möglichkeiten entsprechend die besten Talente aus den High Schools. Die herausragenden Spieler bekommen Stipendien (scholarships), die ihnen häufig ein Universitätsstudium überhaupt erst ermöglichen. Sie können sich nach den Angeboten (offers), die sie erhalten – welches zumeist ihrem Talent entspricht –, die Universität aussuchen (Müller 2017).

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Je nachdem, welches Ziel der junge Mann verfolgt, wird er entweder eine sportlich starke oder eine akademisch herausragende Universität für sich wählen. Dies führte hin und wieder zu sehr kuriosen Entwicklungen: So hat Stanford als eine akademische Elite-Universität über Jahre hinweg zwar eines der besten FootballProgramme der Westküste entwickelt, die Ivy-League-Schulen sind aber heutzutage nur noch zweitklassig und die Militärakademien erhalten sehr häufig nur junge Männer als Footballspieler, die zwar talentiert sind, aber für andere Universitäten körperlich zu klein waren (undersized; vgl. Drape 2012).25 Die Mehrzahl der jungen Männer, die im College Football spielen, finanzieren sich auf diese Weise (einen Teil) ihres Studiums. Nur ein Bruchteil wird später in die NFL aufsteigen und dort das große Geld mit der Ausübung ihres Sports verdienen können. Gleichwohl werden in den vier Jahren am College die sportlichen und körperlichen Voraussetzungen für eine mögliche professionelle Karriere (next level) geschaffen. Immer wieder schaffen Spieler den großen Sprung in die NFL, denen es zuvor niemand zugetraut hat. Dazu gehören neben einigen Spielern der Militärakademien und kleineren Universitäten auch spätere Starspieler wie der mehrfache Super-Bowl-Gewinner Tom Brady, ehemals unter Vertrag bei den New England Patriots.26 Diejenigen, die aus sportlichen oder gesundheitlichen Gründen nicht von einem Profiteam angeworben werden, hatten dann aber zumindest die Möglichkeit, einen Collegeabschluss zu machen, auf dem sich eine berufliche Karriere aufbauen lässt. Die Absolventen der Militärakademien haben normalerweise in ihren jeweiligen Teilstreitkräften die Chance auf eine militärische Laufbahn, da die Abschlüsse aus Annapolis, Colorado Springs und West Point im Ausbildungssystem der US-Streitkräfte als sehr hochwertig angesehen werden (Betros 2012; Nauman 2004). Einige Footballspieler stiegen später in Generals- oder Admiralsränge und sogar zu US-Präsidenten auf. Die berühmtesten Beispiele sind ohne Zweifel Dwight D. Eisenhower und Omar Bradley, die zwischen 1911 und 1914 für die Black Knights aufliefen (Drape 2012).

3. Militär beim und im American Football Grundsätzlich ist der College Football seit seiner Organisation unter dem Dach der NCAA ein reiner Amateursport. Verstöße gegen das Amateurstatut werden durch den Dachverband immer wieder sehr hart bestraft (Gems 2000). Gleich­wohl 25

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Offensichtlich lohnt es sich für die Streitkräfte trotzdem, diese jungen Athleten für sich zu rekrutieren und jedes Jahr mit großem Aufwand ein konkurrenzfähiges College Football Team zusammenzustellen. Zusätzlich erschwert wird dieser Prozess dadurch, dass sich die neuen Spieler nicht nur körperlich und sportlich eignen müssen – wie es bei den meisten anderen Universitäten mittlerweile bedauerlicherweise der Fall ist –, sondern auch einen ausreichenden Intellekt für die Ausbildung zum Offizier nachweisen müssen sowie eine mögliche Veranlagung, Menschen führen zu können (Drape 2012). Tom Brady wurde als Quarterback der University of Michigan im draft des Jahres 2000 erst als 199. Spieler von den New England Patriots ausgewählt. Das heißt normalerweise, dass der Spieler als Ergänzung ausgewählt wurde und eigentlich keine Chance hat, in den regulären Kader zu kommen. Nach 20 sehr erfolgreichen Jahren mit den Patriots ist Brady im Sommer 2020 zu den Tampa Bay Buccaneers gewechselt und hat mit dieser Franchise bereits in der ersten Saison seinen insgesamt siebten Meistertitel gewonnen.



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sind insbesondere American Football und Basketball an den Colleges mit hohen finanziellen Umsätzen verbunden. Die generierten Gelder werden reinvestiert in Sportanlagen, die höchsten professionellen Standards in den USA entsprechen,27 und in die verschiedenen Coaches der zumeist über 100 Athleten zählenden großen Mannschaften.28 Auch deshalb ist heutzutage die fortschreitende Professiona­ li­sierung des als Amateursport gedachten Universitätssports in den USA sehr umstritten. Deren Befürworter sehen in einer weiteren Professionalisierung mit kleinen Gehältern für die Spieler einen notwendigen Schritt der Fortentwicklung dieses Sports auf hohem Niveau. Die Bewahrer des Amateurstatus hingegen argumentieren, dass die Universitäten als akademische Ausbildungseinrichtungen nicht für den Unterhalt semi-professioneller Sportmannschaften eingerichtet worden sind (Carter 2006; Ingrassia 2012). Diese Diskussion wird wohl auch in Zukunft geführt werden. Das Publikum in den Stadien und an den Fernsehgeräten wird aber nicht zurückgehen, da der durchschnittliche Zuschauer eines College-Football-Spiels seine Mannschaft deshalb anfeuert, weil er sich ihr emotional verbunden fühlt, ganz genauso wie er seine High-School-Mannschaft vor Ort unterstützt (Gems 2000). In der Diskussion um den Amateurstatus kommt den Mannschaften der Militär­ akademien eine untergeordnete Rolle zu, da sich diese Frage für die Angehörigen der Teams in Annapolis, Colorado Springs und West Point nicht stellt. Für sie ist es eine Ehre, für diese Einrichtungen spielen zu dürfen und dabei gleichzeitig eine kostenfreie hochwertige Offizierausbildung an einer elitären Ausbildungseinrichtung zu erhalten (Miller 2018). Im Gegensatz dazu ist das Militär mittlerweile im Zusammenhang mit fast allen American-Football-Spielen in den USA überaus bedeutsam. Das hat sehr unterschiedliche Gründe, die zum Teil schon angeklungen sind. Zunächst einmal hat dies maßgeblich mit der stark ausgeprägten nationalen Identität der meisten US-Amerikaner zu tun. American Football und Baseball werden von den meisten als die uramerikanischen Sportarten empfunden29 (Stowers 2010). Dies zeigt sich nicht nur in Umfragen, sondern auch in den Zuschauerzahlen in den Stadien und vor den Fernsehern. Dementsprechend bieten gerade diese Sportarten sehr gute Projektionsflächen für die Darstellung und Pflege nationaler Traditionen sowie Symbolik (de Oca 2013). Politiker und hochrangige Militärs haben das schon sehr frühzeitig entdeckt und nutzen diesen Umstand konsequent für ihre Interessen, unter anderem in den Bereichen der Selbstdarstellung und Werbung (Drape 2012). 27 28

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Damit sind sie deutlich besser und höherwertiger als die Trainingsanlagen und Stadien selbst der größten und wohlhabendsten europäischen Fußballvereine. Die Cheftrainer der Spitzenmannschaften im College Football verdienen zwischen fünf und neun Millionen US-Dollar pro Jahr. Siehe hierzu u.a.: . Selbst die Cheftrainer der Footballmannschaften der Militär­ akademien verdienen pro Jahr mehr als eine Million US-Dollar und sind damit – wie die meisten ihrer Kollegen – die bestbezahltesten Angestellten ihrer jeweiligen Einrich­ tungen. Siehe hierzu: . American Football hat den Spitznamen »America’s Sport« und Baseball wird »America’s Pastime« genannt, da dieser Sport auch während der amerikanischen Sommerpause gespielt wird und viele Väter mit ihren Kindern ins Stadion lockt.

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Dementsprechend gehören zu sportlichen Großveranstaltungen30 mittlerweile wie selbstverständlich die Präsentation der Flaggen der beteiligten Bundesstaaten und der Nationalflagge durch Angehörige des Reserve Officers’ Training Corps der gastgebenden Mannschaft und das nachfolgende Abspielen der Nationalhymne. Bei besonders wichtigen und medienwirksamen Spielen werden immer häufiger spielfeldgroße »Star-Spangled Banner« ausgerollt und die Stadien durch in der Nähe stationierter Hubschrauber oder Kampfjets der U.S. Air Force unter dem Jubel der Zuschauer überflogen. Besondere Ereignisse sind College-Football-Spiele an nationalen Feiertagen oder zu besonderen Anlässen, zum Beispiel am Veterans Day oder am Columbus Day sowie an dem nach 9/11 eingeführten Military Appreciation Day, der je nach Bedarf durch die Veranstalter bestimmt wird. In diesem konkreten Fall ist es die NCAA, die den Termin jedes Jahr für die gesamte Liga festlegt. Diese Spieltage werden dazu genutzt, das Militär in den Mittelpunkt zu rücken und somit in der öffentlichen Wahrnehmung positiv zu verankern. Alle Spieler tragen an diesen Tagen am Helm und auf ihren Trikots unterschiedliche Insignien der Vereinigten Staaten und ihres Militärs. Manche Teams des College Football haben es sich in den vergangenen Jahren sogar nicht nehmen lassen, an den entsprechenden Spieltagen Trikots in Flecktarnfarben zu tragen, um so ihre Solidarität mit den Streitkräften zu verdeutlichen. Die Zuschauer in den USA finden diese Form der offenen Stellungnahme der Universitäten im Zusammenhang mit einer Großveranstaltung vor Millionenpublikum nicht befremdlich. Vielmehr würde es sie verwundern, wenn das Militär plötzlich keine Rolle mehr spielte (de Oca 2013; Drape 2012). Gerade aufgrund dieser für die US-Streitkräfte sehr positiven Verbindung zu den Universitäten gibt es zum Teil recht harsche Kritik an diesem Zusammenhang. Kritiker befürchten den latenten Versuch einer noch größeren Einflussnahme der Regierung in Washington im Allgemeinen und des US-Militärs im Speziellen auf zahlreiche, häufig mit Drittmitteln finanzierte Forschungsprogramme. In der Argumentation der Kritiker bildet dabei der CFB eine heimliche Einfallsmöglichkeit, ähnlich einem trojanischen Pferd. Der Sport ist beliebt und mit seiner Intensität, Körperlichkeit und Unterordnung des Einzelnen unter das Spielsystem ein Spiegelbild des Militärs. Das Militär ist omnipräsent beim Football und somit mittlerweile ein Teil dieses Systems geworden. Besonders deutlich wird dies durch die finanziellen Mittel, die das Pentagon dem CFB regelmäßig auf unterschiedliche Weise zur Verfügung stellt, wodurch es sich einen steten Einfluss sichert (de Oca 2013). Dass sich gerade American Football dazu eignet, die Eigenschaften auszuprägen, die das Militär benötigt, hatte bereits Präsident Roosevelt erkannt, als er 1909 erklärte: »athletics are good, especially their rougher forms, because they tend to form [...] courage. They are good also because they encourage a true democratic spirit [...] to that combination of bodily vigor and moral quality which got to make up prowess« (zit. nach de Oca 2013: 10). Seine Vorstellung einer typischen amerikanischen Führungskraft war die eines gebildeten, disziplinierten und sportlichen Mannes, der 30

Dazu gehören in einigen Bundesstaaten auch High-School-Footballspiele, da dort nicht selten bis zu 15 000 Zuschauer jeden Freitagabend in das örtliche Football-Stadion strömen (Bissinger 1990).



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schon frühzeitig bewiesen hat, dass er in der Lage ist, seinen Mann zu stehen – auf dem Footballfeld und nicht zuletzt auf dem Schlachtfeld. Der noch junge General Douglas MacArthur führte die Gedanken Roosevelts fort, als er als Superintendent von West Point 1922 über dem Eingang des Sportkomplexes vor Ort die Worte eingravieren ließ: »Upon the fields of friendly strife – Are sown the seeds – That, upon other fields, on other days – Will bear the fruits of victory« (Drape 2012: 91). Während des Ersten Weltkriegs hatte MacArthur auf den Schlacht­feldern in Europa sehr gute Erfahrungen mit Soldaten und jungen Offizieren gemacht, die zuvor Wettkampfsportler gewesen waren (Degen 1966). Dies brachte ihn dazu, nach dem Krieg in leitender Position neben dem akademischen Curriculum das Sportprogramm in West Point umfangreich auszubauen. Dabei ging es ihm hauptsächlich um Führungsqualitäten, Organisationsfähigkeit, Stressresistenz, Übersicht in schwierigen Situationen, den team spirit und das taktische Denken der zukünftigen Offiziere aller Truppengattungen der U.S. Army. Vor diesem Hintergrund sollte vor allem das Programm der Footballmannschaft gestärkt werden. Von deren Erfolg erhoffte er sich, dass die U.S. Military Academy noch bekannter und ihr Ruf weiter verbessert werden würde (Drape 2012). Grundsätzlich wird American Football von führenden amerikanischen Militärs als hervorragende Vorbereitung für Soldaten auf ihre Aufgaben gesehen. Dementsprechend ist man an den Militärakademien sehr darum bemüht, aufgrund »the value of athletic competition and endeavored to have as many [...] as possible participating« (Degen 1966: 84). Hierfür gelten die Spieler der Footballmannschaften der Akademien als herausragende Beispiele und Vorbilder. Bereits MacArthur hatte 1959 erklärt, dass »football has become a symbol of our country’s best qualities – courage, stamina, and coordinated efficiency« (zit. nach Drape 2012: 91). Über die Spieler selber äußerte sich der General wie folgt: »in my own long public service, both in war and peace, it is the football men, that I found my greatest reliance« (zit. nach Drape 2012: 92). Diese recht pathetischen Worte klingen bis heute nach. Gerne werden diese Zitate heutzutage bemüht, wenn es darum geht, die Bedeutung des American Football für die amerikanische Nation und ihre Verteidigungsfähigkeit herauszustellen. Hingewiesen wird in dem Zusammenhang auch immer wieder auf bekannte Footballspieler, die nach ihrer Sportkarriere als Soldaten gedient haben. Das populärste Beispiel der jüngeren Vergangenheit ist der ehemalige Profi der Arizona Cardinals Pat Tilman. Nach den Anschlägen des 11. September 2001 meldete sich Tilman aus einem laufenden Millionen-Dollar-Vertrag heraus freiwillig zum Dienst bei den Army Rangers. Mehrfach wurde er mit seiner Einheit in Afghanistan und im Irak eingesetzt. Wenige Monate vor dem Ende seines vierjährigen Dienstes als Mannschaftsdienstgrad wurde er in Afghanistan getötet – wie sich später herausstellte durch friendly fire (Krakauer 2009). Tilman gilt seitdem für viele Amerikaner als strahlendes Beispiel für die Worte MacArthurs, dass Football herausragende amerikanische Qualitäten fördert und man sich auf deren Spieler im Zweifel immer verlassen kann. Gestützt wird diese These von den Schilderungen anderer ehemaliger Footballspieler, die als Soldaten in verschiedenen Kriegen gedient haben (Drape 2012; McGovern 2007; Miller 2018). Sie erweitern die These MacArthurs um den Aspekt der Kameradschaft und des Zusammenhalts, den man

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als Mannschaftsmitglied eines Footballteams von Anfang an lernen muss. Wie viele andere Mannschaftssportarten ist American Football ein Spiel, das davon abhängt, dass jeder einzelne Mitspieler seine Aufgabe so gut wie ihm möglich erfüllt. Hinzu kommt, dass die verschiedenen Spielzüge drillmäßig eintrainiert werden und auf Befehl (play call) im Spiel genau so – ganz im Sinne einer Befehlstaktik – dann auch ablaufen. Dabei muss sich jeder blind auf seinen Nebenmann verlassen können. Nur so kann die Mannschaft am Ende zum Erfolg kommen. Außerdem geht es um gemeinsamen Raumgewinn im Angriff (offense) und die Verhinderung desselben in der Verteidigung (defense). Die Vorgehensweise dabei ist sehr taktisch, die Abwehr reagiert immer wieder auf die wohlüberlegten und geplanten Vorstöße der Angreifer. Wenn sie es schafft, ihn zum Stehen zu bringen, kann nach einer Zeit die eigene offense auf das Spielfeld und der Angriff geht dann in die andere Richtung gegen die gegnerische defense los. Planung, Befehl, Offensive, Defensive, Kameradschaft, Hierarchien, Aufgabenverteilung – das klingt nicht nur sehr militärisch, das ist es auch. Auf der Trophäe für die nationale CFB-Meisterschaft stehen daher auch nicht zufällig die Worte General MacArthurs »There is no substitute for victory!«31 Auch in der Popkultur hat College Football inklusive der Mannschaften der Militärakademien Einzug gehalten. So wurden nicht nur verschiedene Spiel- und Dokumentarfilme32 über besondere Ereignisse, Spiele oder Persönlichkeiten im CFB gedreht. Mittlerweile gibt es auch Romane und Sportbücher, die die ganze Bandbreite von Themen über diesen Sport abdecken. Besonders deutlich wird die Verbindung zwischen Football und dem Militär aber in so gut wie allen Spielfilmen, in denen das Militär im Auslandseinsatz eine wichtige Rolle spielt. Wenn das Geschehen des Films sich in das Lager der US-Truppen verlagert, spielen im Hintergrund immer ein paar amerikanische Soldaten zu ihrem Vergnügen Football. Nicht nur, dass hier das USamerikanische Kulturgut Football deutlich wird, sondern die enge Beziehung zwischen Soldaten, Männlichkeit und Football erhält unaufdringlich und subtil Raum, um den Zuschauern ihre Bedeutung für die Nation zu veranschaulichen. Diese Form der Darstellung und Vereinnahmung trifft jedoch in den USA auf Kritik in akademischen Kreisen (de Oca 2013).

4. American Football an den Militärakademien Wie jede amerikanische akademische Ausbildungseinrichtung haben die Militär­ akademien Sportprogramme. Sie sind zumeist sehr gut organisiert und unterscheiden sich grundsätzlich von den Sportmannschaften etwa an europäischen Hochschulen. 31 32

Siehe hierzu u.a.: . Für die meisten Amerikaner sind Footballszenen in einem Militärlager so selbstverständlich wie in europäischen Spielfilmen z.B. Fußball spielende Kinder auf einer Wiese. Filmszenen dieser Art sind ohne Zweifel immer wieder in der legendären US-Fernsehserie »M.A.S.H.« zu sehen, in deren Verlauf es eine Staffel gibt, die »Football« heißt und in der einige Footballprofis der NFL als Statisten mitspielten. Beispiele für American-Football-Szenen im Kriegsfilm finden sich in »Catch 22«, »Wir waren Helden« oder auch »Mut zur Wahrheit«.



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Ziel dieser Sportprogramme ist es, einerseits die Universitäten so bekannt zu machen, dass sie für Studienanfänger und Studierende landesweit als Studienort interessant sind. Anderseits sollen sie für die Alumni und die regionale Bevölkerung vor Ort emotionale Anknüpfungspunkte,33 Möglichkeiten der Traditionsbildung und Stolz auf erbrachte Leistungen34 bieten. In Bundesstaaten, die in der jeweiligen Sportart keine professionellen Mannschaften haben, ziehen die College Teams, die den Bundesstaat repräsentieren, das Interesse auf sich; diese Teams haben eine sehr große Fangemeinde, die sich emotional stark mit der jeweiligen Mannschaft verbunden fühlt (Long 2011). Es hat sogar verschiedentlich Situationen gegeben, in denen die College Teams dazu dienten, den Menschen in schwierigen Situationen wieder Hoffnung zu geben.35 Dies führte im Laufe der Jahre dazu, dass die emotionale Bindung der ehemaligen Studenten und des sozialen bzw. regionalen Umfeldes zu den Universitätssportmannschaften immer intensiver wurde. Heutzutage ist es üblich, dass fast jeder US-Amerikaner36 ein College Team hat, mit dem er sich identifiziert. Für die Angehörigen der Streitkräfte ist dies nicht selten die Mannschaft der Militärakademie der entsprechenden Teilstreitkraft. Die U.S. Military Academy in West Point hat seit 1890 ein Football-Programm; die U.S. Naval Academy in Annapolis hat ihr Programm bereits elf Jahre zuvor im Jahr 1879 etabliert. Nur ein Jahr nach Gründung der U.S. Air Force Academy in Colorado Springs 1954 wurde ebenfalls ein Football-Programm geschaffen. Seitdem spielt das Team der Air Force Falcons sehr erfolgreich in derselben Spielklasse des College Football wie die beiden anderen Militärakademien, nämlich in der höchsten, der NCAA Division I Football Bowl Subdivision. Im Gegensatz dazu spielen die U.S. Coast Guard Academy aus New London, Connecticut, und ihr Pendant, die U.S. Merchant Marine Academy aus Kings Point, New York, aufgrund ihrer geringen Studentenzahl in der niedrigsten Spielklasse im CFB, der Division  III (Long 2011). Hinzu kommen noch zwei private Militärakademien der Südstaaten, das Virginia Military Institute aus Lexington, Virginia, und The Citadel aus Charleston, South Carolina, sowie zwei staatliche Universitäten, Texas A&M und Virginia Tech, die ebenfalls Offiziere für die US-Streitkräfte ausbilden und bedeu33

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Die Gesamtheit der Anhänger von Sportmannschaften in den USA nennen sich »[Maskottchename] Nation« also zum Beispiel Midshipmen Nation für alle Anhänger sämtlicher Sportmannschaften der US-Naval Academy. Angelehnt ist dieser Begriff an die »Indian Nations«, der Bezeichnung für die unterschiedlichen Völker der amerikanischen Ureinwohner. Die Begriffe tradition, achievement und pride werden sehr häufig im Zusammenhang mit Sport­ mann­schaften in den USA genannt, insbesondere mit College Teams. Ein berühmtes Beispiel hierfür ist der Aufbau des legendären Footballteams der Oklahoma Sooners direkt nach der für den Bundesstaat vernichtenden Wirtschaftskrise infolge der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren und der fast gleichzeitig eintretenden »Dust Bowl« über dem Mittleren Westen. Der Gouverneur des Bundesstaates und der Präsident der Universität entschieden nach langwierigen Verhandlungen mit Unterstützung von einheimischen Geschäftsleuten, ein Sportprogramm aufzubauen, dass die Menschen im Bundesstaat wieder stolz machen würde (Dent 2001). Dies gelang nicht nur, sondern hat eines der bis zum heutigen Tag erfolgreichsten und renommiertesten Universitätssportprogramme der USA geschaffen. American Football ist ein Sport, der in den USA als seriöser Wettkampfsport nur von Männern betrieben wird. Unter den Zuschauern und Fans gibt es natürlich eine große Anzahl Frauen, die ungefähr vergleichbar ist mit der weiblichen Anhängerschaft im europäischen Vereinsfußball.

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tende Football-Programme an ihren Ausbildungseinrichtungen betreiben, die in der höchsten CFB-Liga spielen. Die College Football National Championship konnten die Footballmannschaften der Militärakademien nur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewinnen. Die Navy errang als erste Militärakademie 1926 den Titel. Zwischen 1944 und 1946 zog die Army mit drei National Championships nach. Texas A&M gewann ebenfalls drei Mal den prestigeträchtigen Titel (1919, 1927 und 1939), die anderen militärischen Ausbildungseinrichtungen gewannen zwar wiederholt ihre regionalen Ligen und verschiedene Bowl Games nach Ende der regulären Saison, aber niemals den nationalen Meistertitel. Heute erscheinen die Militärakademien als antiquierter Gegenentwurf zu den immer professioneller werdenden Football-Programmen des Division I College Football. Häufig genug können diese Universitäten mit Fernseh- und Sponsorengeldern, mit Spenden der Alumni und Eintritts- bzw. Antrittsgeldern aufwendige Stadien, prestigeträchtige Trainingsanlagen und luxuriös anmutende Reisen zu Auswärtsspielen finanzieren, die sich auch europäische Profifußballmannschaften wünschen würden. Manchmal verschwimmen hier die Grenzen zwischen dem idealistischen, laut den NCAA-Statuten vorgeschrieben Amateurstatus und den materiellen Möglichkeiten sowie der medialen Aufmerksamkeit, die letztlich Rahmenbedingungen wie bei USProfiteams schaffen (Carter 2006).

5. American Football als Werbeträger für das Militär Die Commander-in-Chief ’s Trophy ist der seit 1972 jährlich im Rahmen der regulären Saisonspiele ausgetragene Wettbewerb zwischen den drei großen Militärakademien von Army, Navy und Air Force. Sieger des Pokals ist die Mannschaft, die im direkten Vergleich die besten Endergebnisse erzielt hat. Bisher haben die Air Force Falcons 20 Mal die Trophäe gewonnen, die Navy Midshipmen 16 Mal und die Army Black Knights neun Mal. Fünf Mal musste der Pokal aufgrund einer Ausgeglichenheit in den Ergebnissen geteilt werden. Gestiftet wurde der Pokal von US-Präsident Richard Nixon; die Stiftung gründet auf einer Idee des Air Force General George B. Simler, den Spielen zwischen den Militärakademien einen offiziellen Rahmen zu geben. Da der Präsident gemäß US-Verfassung die Position des Commander-in-Chief innehat, ist der Wettstreit ihm gewidmet. Wiederholt hat der Präsident die Commanderin-Chief ’s Trophy der siegreichen Mannschaft öffentlichkeitswirksam selbst überreicht. Diese inoffizielle Meisterschaft der Militärakademien führt zusammen mit dem Army-Navy Game zu der von den Verantwortlichen gewünschten medialen Wahrnehmung der Footballteams der Militärakademien auf der nationalen Bühne (Drape 2012). Nicht nur, dass die Übergabe des Pokals immer im überregionalen Fernsehen dokumentiert wird, sie gehört mittlerweile zu den bekanntesten Trophäen im College Football.37 Nicht ganz so bedeutend und eher regional an der Ostküste verortet ist der Secretaries Cup zwischen den beiden kleineren Akademien der U.S. 37

Siehe hierzu: .



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Coast Guard und der U.S. Merchant Marine, der 1981 aus ähnlichen Gründen wie die Commander-in-Chief ’s Trophy ins Leben gerufen wurde (Helvarg 2009). Wenn möglich, wird das Spiel an einem der nationalen Feiertage im Herbst ausgetragen, wie zum Beispiel am Veterans Day; es erhält, auch weil es regelmäßig auf dem Sportsender ESPN übertragen wird, nationale Aufmerksamkeit. Dadurch erzielt auch dieser Wettbewerb den vom Pentagon gewünschten Werbeeffekt für die kleineren Militärakademien. Neben diesen Spielen während der regulären Saison nutzen seit einigen Jahren Lobbyistenverbände und Wirtschaftsunternehmen die College Bowl Games als Bühne zur positiven Selbstdarstellung und für Werbezwecke. In diesen Saison­ab­ schluss­spielen treffen nach Ende der regionalen Meisterschaften die Mannschaften aufeinander, die während der Saison zumindest die Hälfte ihrer Spiele gewonnen haben (bowl eligiblilty) und zu einem dieser mittlerweile 42 Spiele (Stand: Saison 2022/23) eingeladen werden. Mit der Einladung sind je nach Wertigkeit des Spiels hohe Antrittsgelder (225 000 bis 6 Mio. US-Dollar)38 pro Mannschaft verbunden. Diese Spiele finden in der Vorweihnachts- und Weihnachtszeit statt und haben dementsprechend ein sehr großes Fernsehpublikum in weiten Teilen der USA.39 Diese große nationale Bühne nutzen auch immer wieder große amerikanische Unternehmen und Organisationen, die eng mit den Streitkräften verbunden sind. Seit 2003 sponsert Lockheed Martin die Armed Forces Bowl in Fort Worth, Texas, seit 2008 Northop Gruman die Military Bowl in Annapolis, Maryland, und von 2015 bis 2020 die United States Air Force Reserve die Celebration Bowl in Atlanta, Georgia.40 Alle fünf Teilstreitkräfte (Army, Navy, Air Force, Marines und Coast Guard) lassen regelmäßig insbesondere bei den wichtigen Begegnungen während der Spielunterbrechungen – und davon gibt es im Football während eines Spiels, das bis zu vier Stunden dauern kann, sehr viele – ihre hochprofessionellen Werbespots einspielen. Die Kosten hierfür sind enorm, aber offensichtlich scheint man bei genau diesen Übertragungen das Publikum ansprechen zu können, dass man zuvor als Zielgruppe ausgemacht hat – junge Menschen, weniger in den großen Städten, sondern eher in den ländlichen Regionen im Süden, im Mittleren Westen und im Nordwesten des Landes – dort, wo College Football sehr populär ist (de Oca 2013).

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Die Einnahmen nutzen die Schulen hauptsächlich zum Ausbau der eigenen Sportanlagen, welche auch den Studenten zugutekommen, die keine student athletes sind. Darüber hinaus werden häufig und sehr medienwirksam soziale Projekte mit den hohen Einnahmen dieser – in europäischer Wahrnehmung – außergewöhnlichen Sportveranstaltungen unterstützt. Umfassende Informationen unter: und . Vergleichbar damit wäre in Deutschland ein Auftreten des Verbands der Reservisten der Deutschen Bundeswehr oder von Unternehmen, die Rüstungsgüter produzieren, wie etwa Krauss-Maffei Wegmann, als Sponsoren des Bundesliga Supercups der gar des DFB-Pokal-Finales. In Deutschland wäre es auch kaum vorstellbar, dass die jeweiligen Teilstreitkräfte oder die Bundeswehr als Ganzes in den Halbzeitpausen von live übertragenen Fußballspielen Werbespots schalten, die eine Verbindung zwischen dem Sport und dem Dienst für das Vaterland herstellen.

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6. Offiziere und American-Football-Spieler Einige Kadetten der Militärakademien haben während ihrer Zeit, als sie für die Footballmannschaften ihrer Ausbildungseinrichtungen spielten, so gute Leistungen gezeigt, dass sie nach Ende der vier Jahre am College von einer NFL-Franchise verpflichtet wurden. Insgesamt 32 ehemalige West-Point-Kadetten haben den Sprung zu den Profis geschafft. Der erste Profi war 1920 Elmer Oliphant, der allerdings nur zwei Jahre bei Rochester und Buffalo unter Vertrag stand. Zurzeit spielt als einziger ehemaliger Black Knight Alejandro Villanueva als Tackle bei den Pittsburgh Steelers, der gleichzeitig als der erfolgreichste professionelle Footballspieler gilt, der jemals in West Point ausgebildet wurde.41 Die Navy hat bisher zwei spätere NFL-Profis weniger in ihren Reihen gehabt als die Army.42 Dafür spielte aber von 1961 bis 1964 ein sogenannter Hall-of-Famer43 für die Midshipmen: Roger Staubach. Staubach (Jahrgang 1942) war als Quarterback von 1969 bis 1979 elf Saisons für die Dallas Cowboys in der NFL im Einsatz. Als deren Spielmacher führte er das zuvor nur mittelmäßige Team fünf Mal in den Super Bowl, den er zwei Mal gewann (1971 und 1977). Zudem erhielt Staubach als Profi unzählige Auszeichnungen und nicht umsonst den Spitznamen »Captain America«. Er war das Ideal eines erfolgreichen Absolventen einer der Militärakademien (Stowers 2010) und verkörperte amerikanische Werte wie Fleiß, Aufrichtigkeit, Wettbewerbsfähigkeit, Kämpfernatur, Erfolg, Integrität, Religiosität, Nationalstolz, Zuverlässigkeit, Wohlstand und Familien­ vater. Die führende US-Sportzeitschrift »Sports Illustrated« ging sogar so weit, ihn als »NFL’s own personal St. Francis of Assisi« zu bezeichnen.44 Während seiner Zeit als Quarterback der Navy Midshipmen führte er seine Mannschaft 1963 zum ersten und einzigen Mal in das Endspiel um die nationale Meisterschaft. Das Match ging zwar gegen den haushohen Favoriten der University of Texas verloren, Staubach gewann trotzdem aber die Auszeichnung als bester Collegespieler des Jahres, die Heisman Trophy (Long 2011). Im Anschluss an seine Ausbildung in Annapolis wechselte er nicht wie allseits erwartet in die boomende NFL, sondern meldete sich freiwillig zum Dienst in Vietnam, auch um seine offizielle Verpflichtungszeit von vier Jahren nach dem bestandenen Abschluss der Akademieausbildung abzudienen. Da Staubach eine Rot-Grün-Sehschwäche hat, wurde er der Marine-Logistik zugeteilt und 1965/66 als Leutnant und Zugführer in einem Marinedepot nördlich von Saigon eingesetzt. Nach seiner Rückkehr erhielt er bis zum Anfang der NFL-Saison 41 42 43

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Die Angaben zu den Spielern von West Point findet man unter: . Die Angaben zu den Spielern der Naval-Academy findet man unter: . Die Halls of Fame (HOF) sind in den USA (sehr beliebte) Ruhmeshallen für die Größen der jeweiligen Profession. Roger Staubach wurde 1981 in die College Football Hall of Fame und bereits 1985 in die Pro Football Hall of Fame aufgenommen – als erster und bisher einziger ehemaliger Spieler einer der Militärakademien. Mit 26 Army Black Knights und 22 Navy Midshipmen belegen die beiden Militärakademien einen Platz unter den Top 10 aller Universitäten, deren Footballspieler seit der Gründung der HOF 1951 aufgenommen wurden. Die Air Force Falcons sind mit fünf Alumni vertreten. Zur College Football HOF siehe: . »A Do-gooder Who’s Doing Good«. In: Sports Illustrated, 4.9.1978: 90.



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1969/70 verschiedene Verwendungen auf dem amerikanischen Festland. Die Dallas Cowboys hatten ihn bereits 1964 ausgewählt45 und ihm einen Vertrag angeboten. In der Saisonvorbereitung im Frühjahr 1969 konnte Staubach überzeugen und erhielt ein neues Vertragsangebot, wodurch die Cowboys unwissentlich ihren ersten wirklich Star-Quarterback rekrutierten.46 Gleichzeitig hatte die Navy mit ihm einen nationalen Werbeträger, der nicht nur für einen Zulauf neuer Rekruten in den Rekrutierungsbüros der Streitkräfte sorgte, und zwar für alle Dienstgradgruppen, sondern der ebenso verdeutlichte, wie man als guter Footballspieler auch im Team einer der Militärakademien im nationalen Rampenlicht stehen kann. Und Staubach ist ein Paradebeispiel dafür, welch hervorragende Anleitung sowie Vorbereitung jeder Einzelne an diesen Einrichtungen für Führungsaufgaben sowie für körperliche und geistige Herausforderungen erhält. Nicht nur, dass Staubach ein exzellenter Quarterback und Anführer auf dem Footballfeld war, er stellte seine Talente, seine fundierte Ausbildung und Führungsqualitäten auch in einem gänzlich anderen, fremden Umfeld unter schwierigen Voraussetzungen in Vietnam unter Beweis. Er war ein geradezu idealer Werbeträger, der im Herbst und Winter jeden Samstag vor einem Millionenpublikum die Werte und Traditionen der Navy präsentierte. Staubach ist eine lebende Legende, die immer wieder interviewt und als solche vorgezeigt wird – zumindest beim Army-Navy-Spiel im Dezember jeden Jahres. Da die Falcons der Air Force Academy erst im Jahr 1955 gegründet wurden,47 ist die Zahl ehemaliger Kadetten aus Colorado Springs, die in die NFL wechseln konnten, mit 18 auch deutlich geringer als bei den Black Knights und den Midshipmen: 2022/23 spielten Garrett Griffin für die Detroeit Lions und Jordan Jackson bei den New Orleans Saints. Der bekannteste Falcon, der jemals in der NFL gespielt hat, ist ein Weggefährte von Roger Staubach: Larry Cole stand von 1968 bis 1980 als Defensive End 176 Mal für die Dallas Cowboys auf dem field of play. Cole galt als zuverlässiger und unauffälliger Wasserträger einer effizienten Abwehrreihe, die als »Doomsday Defense«48 in die Geschichte der NFL einging. Sie bildete das Rückgrat der sehr erfolgreichen Cowboys-Mannschaft der 1970er-Jahre, die zwischen 1970 und 1978 fünf Mal die Super Bowl erreichten und sie zwei Mal gewannen. Insgesamt kann man freilich feststellen, dass die Steuergelder und Studiengebühren, welche die US-Streitkräfte Jahr für Jahr in die Footballmannschaften ihrer Militärakademien investieren, in hohem Maße zu deren Bekanntheitsgrad und Renommee beitragen. Es sind nicht nur Persönlichkeiten wie Roger Staubach, sondern die Teilhabe an einem jährlichen nationalen Großereignis, wie der Saison der höchsten Spielklasse im College Football, dem Army-Navy-Game und den von 45 46

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Er wurde von den Dallas Cowboys als Franchise der NFL an 129. Stelle gedraftet und von den Kansas City Chiefs, die damals der AFL angehörten, an 122. Stelle. Eine Einschätzung der führenden amerikanischen Sportzeitschrift Sports Illustrated in einem Porträt zum Ende von Roger Staubachs erfolgreicher Karriere als Footballspieler: »A Do-gooder Who’s Doing Good«. In: Sports Illustrated, 4.9.1978: 88‑102. Die Air Force Academy wurde erst im April 1954 in Colorado Springs gegründet. Zur Akademie siehe u.a.: Nauman 2004. »Doomsday« ist ebenfalls eine Anleihe aus dem militärischen Jargon und bedeutet nichts weniger als »Jüngstes Gericht«. Es wird vom US-Militär immer wieder als Codeworte verwendet, u.a. für den D-Day, die Invasion in die Normandie am 6. Juni 1944.

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den Streitkräften (und verschiedenen Rüstungsunternehmen) gesponserten BowlSpielen nach Ende der regulären Saison, die einen engen, für beide Seiten nützlichen Zusammenhang zwischen dieser sehr beliebten Sportart und dem US-Militär herstellen. Dazu gehört natürlich auch, dass die jungen Männer, die auf dem Spielfeld ihren Mann stehen, auch ansonsten charakterlich integer sind.

7. College Football, Militär und amerikanischer Patriotismus American Football ist ohne Zweifel »America’s Sport«. Er spiegelt die amerikanische Gesellschaft in vieler Hinsicht wider – in all ihren positiven wie auch kritischen Aspekten und Widersprüchen. Einerseits ist es ein faszinierender Sport, der schnell und athletisch ist, kreativ und vielseitig, spannend mit vielen Wendungen, aber auch taktisch und voller Überraschungen. Immer wieder gewinnen Underdogs sehr zur Freude des Publikums gegen große Favoriten. American Football begeistert die Massen im ganzen Land zwischen August und Januar jeden Jahres. Auf seinen Spielfeldern werden ›Sporthelden‹ geboren. Dies ist natürlich eine gewollte und stets bemühte Parabel auf den Soldaten, der auf dem Schlachtfeld zum Helden wird (›field of honour‹). Außerdem gibt es Grenzgänger, die sowohl erfolgreiche Footballspieler als auch Soldaten waren. Hier findet man einerseits die MacArthurs und Eisenhowers, die dem Sport durch ihre Einschätzungen und Position als FünfSterne-Generale einen besonderen Stellenwert verliehen haben, und anderseits eine Nation, die selbstlose, tapfere und zugleich patriotische Männer vom Schlage eines Pat Tilman verehrt. Aber es gibt auch Schattenseiten. Ein unreflektierter Patriotismus, die Verherr­ lichung von brutaler Gewalt auf dem Spielfeld, ebenso wie ein übertrieben zur Schau gestellter Körper- und Männlichkeitskult haben seit Beginn des 21. Jahr­hunderts viele Fragen über diese Form des immer stärker professionalisierten Universitätssports aufgeworfen. Welche Rolle sollen die Politik und das Militär hierbei spielen? Und wie verhält es sich diesbezüglich mit den Medien und der Wirtschaft. Diese Problemfelder und die damit zusammenhängenden Fragen sowie die millionenschweren Etats der führenden Mannschaften im CFB haben im Laufe der vergangenen Jahre eine für den Sport kritische Melange ergeben (de Oca 2013). Es darf aber bezweifelt werden, dass die Beteiligung der US-Streitkräfte an CFB-Großveranstaltungen zur Militarisierung der amerikanischen Gesellschaft beigetragen hat. Vielmehr ist für die meisten Amerikaner und Amerikanerinnen das eigene Militär genauso ein Teil ihrer Identität wie American Football oder das Star Spangled Banner. Der Einfluss von American Football auf das Militär und einige seiner herausragenden Führer ist unbestreitbar, zumal sie dies auch immer wieder deutlich herausgestellt haben. Umgekehrt haben Navy und Army von Anfang an militärische Elemente in die Grundstruktur und Sprache dieses Sports eingebracht und ihn somit geprägt. Dies wiederum hat zur Folge, dass er von den für die Ausbildung verantwortlichen amerikanischen Militärs als ideale Vorbereitung für Soldaten aller Ränge auf ihre Aufgaben gesehen wird.



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Auch deshalb halten die Streitkräfte, trotz aller Kritik, weiterhin an ihren Football-Programmen an den Militärakademien und an der Werbung auch während der Spiele ziviler Universitäten fest. Die wichtigsten Gründe hierfür sind: – Das Militär soll in den Mittelpunkt gerückt und in der öffentlichen Wahrnehmung positiv verankert werden, etwa durch die regelmäßige Beteiligung des universitären ROTC vor den Spielen und in der Halbzeitpause oder aber auch an nationalen Feiertagen bzw. zu besonderen Anlässen. Die Streitkräfte nutzen die überregionale Projektionsfläche ihrer Football-Programme für die Darstellung nationaler Traditionen und Symbolik; – die regelmäßige und positive mediale Wahrnehmung der Streitkräfte und Militärakademien, durch Veranstaltungen wie z.B. das Army-Navy-Game, die Commander-in-Chief ’s Trophy oder die gesponserten Bowl-Games; – der aus den vorgenannten Gründen nachweisliche Einfluss auf vornehmlich junge Männer bei der Berufswahl und/oder den Wunsch, an einer der Militär­ akademien ausgebildet zu werden; – Football scheint sehr gut dazu geeignet, die Eigenschaften beim amerikanischen Offiziernachwuchs auszuprägen, die sich das Pentagon wünscht: Disziplin, Führungsqualität, Organisationsfähigkeit, Stressresistenz, Übersicht in schwierigen Situationen und taktisches Denken. Hinzu kommen Aspekte der Kamerad­ schaft, des Zusammenhalts, des Bewusstseins der Abhängigkeit voneinander und das Vertrauen auf die eigene Leistungsfähigkeit und die der Kameraden. Das Ideal einer zukünftigen, männlichen Führungskraft ist in großen Teilen der amerikanischen Gesellschaft ein gebildeter, disziplinierter und sportlicher Mann, der schon frühzeitig beweist, dass er in der Lage ist, seinen Mann zu stehen – auf dem Footballfeld und auf dem Schlachtfeld.

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Frank Reichherzer

Militär – Sport – Krieg. Funktionalisierungen von Bewegungspraktiken in Großbritannien und dem Empire um 1900 Einordnung Die Bedeutung des Sports kann für die Geschichte Großbritanniens nicht unterschätzt werden. Frank Reichherzer begibt sich daher im ›Mutterland des Sports‹ auf die Spuren des Zusammenhangs von Sport, Militär und Krieg im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Sein Interesse richtet sich auf die Funktionen, die Militär, Soldaten und Gesellschaft Bewegungspraktiken zuschreiben. Er legt die kulturelle Überformung des Sports offen und untersucht in Praxis und Deutung auch die Gewaltanwendung in Kolonialengebieten und im Ersten Weltkrieg. Seine Ergebnisse liefern Hinweise auf das Verhältnis von Militär und Sport, auch über die Zeit um 1900 sowie das British Empire hinaus. Es werden zahlreiche Verknüpfungen zu den Ergebnissen anderer Beiträge in diesem Band deutlich. Autor Frank Reichherzer, Dr. phil., Historiker, forscht am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam. Gegenwärtig richtet sich sein Interesse auf den Zusammenhang von Militär und Zeitlichkeiten sowie militärische Gewaltformen. Mit den Themen Sport und Freizeit hat er sich in Forschung und Lehre auseinandergesetzt und hierzu auch publiziert.

1. Hinführung: Sport = Krieg? Häufig werden Schlachtfeld und Spielfeld gleichgesetzt: ein Infanterieangriff mit einem Pokalfinale, eine Kavallerieattacke mit der Fuchsjagd oder das Werfen einer Handgranate mit der Technik und Ästhetik eines Bowlers beim Kricket. Folgt daraus: Sport = Krieg? Es ist offensichtlich, dass diese Gleichung nicht aufgeht. Sie verharmlost und trivialisiert die Realität des Kämpfens und Sterbens im Krieg. Krieg, Kampf und die Anwendung militärischer Gewalt sind allerdings Phänomene, die sich – wenn überhaupt – nur mittels Annäherung erschließen lassen und immer einer Einordnung und damit Sinnstiftung bedürfen. Vor dem Hintergrund dieser Deutungsnotwendigkeit militärischer Gewalt und mit einem Blick in die Geschichte verwundert es aber nicht, wenn Sport, Krieg und Militär eng miteinander verzahnt

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Frank Reichherzer

sind: So trug ein Leichtathlet sein Trikot unter der Uniform bei einem Angriff und seinem vermeintlich ›letzten Lauf‹ (Mason/Riedi 2010: 93). Ein Leutnant aus dem Süden Englands machte mit Bezug auf ein Fußballspiel am Vorabend der Somme-Offensive seinen Männern Mut fürs Überqueren des Niemandslandes im feindlichen Feuer (Adams 2021). Ein Kavallerieoffizier beschwor die Analogie von Fuchsjagd und Reiten eines Angriffs (Alderson 1900). Beobachter des Kriegstreibens an den Fronten des Ersten Weltkriegs rahmten in Zeitungsberichten, Gemälden, Gedichten und Romanen den Krieg in der Sprache des Sports (Donaldson 2020). Dem oft beanspruchten engen Verhältnis von Sport und Militär liegt aber keine Selbstverständlichkeit oder gar ein eingebauter Automatismus zugrunde. Vielmehr sind neben Vertretern und Vertreterinnen aus Militär und Sport auch Akteure aus Politik, Medien, Medizin, Kunst, Kultur, der Wissenschaft und nahezu allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens daran beteiligt, das Verhältnis von Sport und Militär aktiv herzustellen. Hierauf richtet sich das Interesse meines Beitrags. Gegenstand sind die Über­ schneidungen der Felder Militär, Krieg und Sport. Ich frage daher nach den Funktionalisierungen, die Bewegungspraktiken im Kontext von Militär und Krieg zukamen. Der etwas umständliche Begriff »Funktionalisierung« unterstreicht die Grundannahme, dass der Sport nicht Funktionen hatte, sondern dass diese hergestellt und genutzt wurden, um bestimmte Aufgaben in Militär und Gesellschaft zu erfüllen. Der Plural »Funktionaliserungen« deutet weiter an, dass Sport sehr widersprüchlich und vielfältig wirken konnte. Besonders deutlich tritt die Verbindung von Sport und Militär in England, auf den Britischen Inseln und in den Weiten des Empire hervor. In der britischen Gesellschaft war das Thema Sport seit Mitte der 19.  Jahrhunderts ein durchaus umkämpfter Schauplatz, auf dem die kulturellen, sozialen, politischen und nicht zuletzt militärischen Angelegenheiten ausgehandelt wurden. Der Untersuchungszeitraum reicht von der Etablierung des (modernen) Sports im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts bis in den Ersten Weltkrieg hinein, da sich in diesem Zeitraum wesentliche Elemente der Beziehung von Sport, Militär und Krieg herausbildeten. Diesen Gedanken liegt ein Verständnis von ›Sport‹ zugrunde, dass einerseits Sport als spezifisches Phänomen der Moderne versteht (als Überblick siehe Elbe, Sport und Bewegung im Militär, in diesem Band). Anderseits schließt es eine Vielzahl von Bewegungs- und Körperpraktiken wie etwa Gymnastik, Leibesübungen, Turnen und Fitness mit ein, die durchaus auch in Differenz zu Sport gedacht wurden. Zudem weist der Kulturwissenschaftler Wolfgang Kaschuba darauf hin, dass Sport mehr als eine körperliche Bewegungshandlung allein darstellt. Mit dem Begriff der Sportivität liefert er ein Konzept, das auf die Verschmelzung der Praxis-, Symbolund Ideenwelt des Sports und ihre umfassende Wirkmächtigkeit auf alle Bereiche der Gesellschaft im späten 19. und 20.  Jahr­hundert hinweist (Kaschuba 1989: 230). An diese sportgeschichtliche Rahmung anknüpfend, zeichne ich hier zuerst die Linien hin zur Entwicklung des Sports und verwandter Bewegungspraktiken in Großbritannien auf und verorte das Militär in diesen gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen (2). Daran schließen sich exemplarisch zwei Punktbohrungen an, um Funktionalisierungen des Sports auszubreiten. Diese Sonden führen zunächst in



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die Weiten des Empire (3), wo vor allem die Rolle des Sports für die Identitätsstiftung und Repräsentation kolonialer Ordnung sowie die mediale Rahmung kolonialer Kriege in Form von Sportereignissen sichtbar werden. Die zweite Sonde führt auf und hinter die Schlachtfelder des Ersten Weltkrieges (4) und leitet aus der sportliche Praxis der Soldaten und der Organisation des Sports in Dienst und Freizeit durch Militärbehörden weitere Tendenzen zur Funktionalisierung ab. Ein abschließender Abschnitt resümiert die Überlegungen (5). Möglich macht dieses Vorgehen die für Großbritannien und das Empire extreme Dichte der Forschungsliteratur im Vergleich zu anderen Ländern sowie ein reicher Schatz an Quellen zum Thema Sport und Militär und ihren Bezügen zueinander.1

2. Kontext – Entstehung und Bedeutung des Sports in Großbritannien im 19. Jahrhundert Laufen, Hüpfen, Springen, Drehen, Überschlagen, Werfen, Klettern und andere Formen der Bewegung des menschlichen Körpers werden vom Sporttheoretiker Michael Krüger als Teil der conditio humana – als universale Möglichkeiten des menschlichen Körpers – angesehen. Allerdings sind diese Bewegungspraktiken wie die mit ihnen verbundenen Wettkämpfe und Spiele jedoch in je zeitspezifische Kontexte eingebunden, weswegen auch ihre »historischen und kulturellen Reali­sie­ rungen« unterschiedlich sind (Krüger 2018: 1). Der (moderne) Sport ist eine solche zeit- und kulturgebundene Realisierung von Bewegung, die sich in Groß­bri­tan­nien, von England aus, während des 19. Jahrhunderts herausgebildet hat und wirkmächtig geworden ist. Die Einschränkung des Sportbegriffs, ›Sport‹ als Phänomen der Moderne zu begreifen, leugnet nicht die Relevanz von Bewegungspraktiken in der Vormoderne (Mallinckrodt/Schattner 2016) und lässt auch weichere kategoriale Abgrenzungen zu als etwa jene Allen Guttmanns in seiner wegweisenden Pionierstudie zum modernen Sport (Guttmann 1978). Sie setzt sich jedoch von einer universalistischen Neigung ab, in auf antiken Vasen abgebildeten Athleten, in alten Überlieferungen von Ballspielen von Mittelamerika bis China, in mittelalterlichen Ritterturnieren eine vergangene Sportlichkeit unter gegenwärtigen Annahmen zu erblicken. Unter Berücksichtigung von Vorläufern, Kontinuitäten, Verwandlungen und Referenzen zeichnet sich Sport als Realisierung spielerisch-körperlicher Bewegungspraktiken, durch klare Merkmale der Moderne wie Rationalisierung, Institutionalisierung, Regelmäßigkeit, 1

Aus der Fülle der Forschungsliteratur seien exemplarisch die Arbeiten von Ian Adams, James D. Campbell, Peter Donaldson, J. A. Mangan, Tony Mason, Eliza Riedi und James Roberts erwähnt, auf denen dieser Text maßgeblich aufbaut. Die Datenbank des Imperial War Museum London führt zu einer Reihe von Bild- und Tondokumenten und zu umfangreichem Interviewmaterial. Auch der Online-Auftritt des National Army Museum London bietet vor allem Bildmaterial (beide zuletzt eingesehen am 26.4.2022). Als jüngste Publikation bietet Donaldson (2020) einen ausgezeichneten Überblick über die Forschung. Dieses Interesse und die Fülle an Forschungen zu Großbritannien ist selbst schon wieder ein Befund für die anhaltend starke Relationierung von Sport und Militär auf den britischen Inseln.

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Frank Reichherzer

Kodifizierung, Organisation, Kommodifizierung, Instrumentalisierung und nicht zuletzt Funktionalisierung aus, deren Tragweite und spezifische Kombination in der Moderne besonders wirkmächtig waren. Gleichzeitig hat der Sport als Idee und Praxis selbst immense Wirkungskraft auf die Moderne selbst entfaltet.

2.1 Konfigurationen – Großbritannien und der Sport Die Wege zur Formierung des (modernen) Sports in England sind vielfältig und die Forschung hat hierzu mehrere Faktoren ausgemacht, die sich politik- und gesellschaftsgeschichtlich und quer dazu kultur- und bildungsgeschichtlich zusammenfassen lassen. Auf der Ebene des Politischen ist die besondere Situation der britischen Inseln nach der Zeit der Bürgerkriege Mitte des 17. Jahrhunderts ein Ausgangspunkt für die Entwicklung des Sports (etwa Elias/Dunning 2003). Die starke Rolle des Parlamentes innerhalb der Machtkonstellation wie auch die Entwicklung des Liberalismus als politische und ökonomische Form der Weltdeutung waren verknüpft mit dem Gedanken des (fairen) Wettbewerbs. Angelehnt an die Zivilisationstheorie des Soziologen Norbert Elias waren in einer Phase der relativen inneren politischen Stabilität Sport und Wettkämpfe das Ergebnis einer Ableitung und Transformation von Aggressionen, Gewaltsamkeiten und Konflikten (Elias/Dunning 2003). Sport in der Moderne ist begründungsbedürftig. Der Idee ›Sport des Sports wegen‹ wie auch der Spontanität sportlich-spielerischer Aktivitäten steht der Zwang zur Zweckrationalität gegenüber und damit die Forderung nach dem ›richtigen‹ Nutzen und dem ›sinnvollen‹ Umgang mit Zeit. Daran schließen soziale Kon­trolle und Disziplinierung als weitere wichtige Elemente einer auf Nutzen­kalkül basierenden Instrumentalisierung sportlicher Aktivitäten an. In den sozial­re­for­merischen Bewegungen galt um 1900 Sport als adäquates Mittel, um die ›schäd­ lichen‹ Auswirkungen der Moderne und des Industriezeitalters zu ›kurieren‹. Sporttreiben konnte gegen vermeintliche körperliche, geistige und sittliche Degenerie­ rungs­ erscheinungen der britischen Gesellschaft in Stellung gebracht werden (ZweinigerBargielowska 2010; Kuchenbuch 2014). Im Sport trafen gegensätzliche idealistische und utilitaristische Anschauungen aufeinander und mischten sich. Zur Zweckrationalität treten noch organisatorische Aspekte, die sich als Systematisierung, Differenzierung, Reglementierungen, Institutionalisierung von Bewegungspraktiken beschreiben lassen. Die viktorianische Sportkultur steht für die Etablierung von verbindlichen Regelwerken, die Ausdifferenzierung der Sportarten, die Organisation in Clubs und Verbänden sowie die Durchführung des Spielbetriebs in Ligen und Turnieren.

2.2 Sinnsysteme – Sport, Ethos und ›Character‹ Nicht überschätzt werden kann die Rolle des Sports in seiner Repräsentationsfunktion. Über den Sport glaubten die Menschen im 19. Jahrhundert Unsichtbares sichtbar oder zumindest lesbar und abschätzbar machen zu können.2 Das trifft vor allem auf 2

Zum Repräsentationsbegriff siehe Cartier (2014).



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einen Schlüsselbegriff der viktorianischen Gesellschaft zu: character. Unter character versammelte sich in den Augen der Zeit ein umfassender Tugendkatalog, der maßgeblich die Konstruktion individueller und kollektiver Identitäten in der zweiten Hälfe des 19. Jahrhunderts prägte.3 Ein wesentlicher Generator eines anglo-britischen characters und des ihn unterfütternden Sportethos waren die Public Schools wie Eton, Rugby und Harrow, von wo die in ihnen propagierten Ideale in die Universitäten des Landes und als Norm in die gesamte Gesellschaft ausstrahlten (Anderson: 2010: 47‑86; Scholz 2021). Public Schools sind private Schulen, meist in Internatsform, an denen Kinder aus dem gehoben Bürgertum und der landbesitzenden Aristokratie ihre Schulzeit verbrachten.4 Im Zuge gesamteuropäischer Debatten um zeitgemäße Bildungskonzepte kam es im 19.  Jahrhundert zu weiteren Neugründungen von Public Schools und einer inhaltlichen und pädagogischen Neuausrichtung. Kern dieser Reformen in den Schulen waren die starke Anknüpfung an die Antike in Form der sogenannten klassischen Bildung sowie Sport als organisierte Freizeitaktivitäten. Vor allem den Mannschaftssportarten und Spielen (organised games) und dem Überwinden von Widerständen im Sport kam eine wichtige pädagogische Rolle, aber auch die Funktion der Kontrolle und Disziplinierung von Kindern und Jugendlichen zu.5 Die als Clarendon-Commission bekannt gewordene Evaluierung der Eliteschulen betonte diese ganzheitliche Funktion des Sports in ihrem Bericht von 1864: »The cricket and football fields [...] are not merely places of amusement; they help to form some of the most valuable social qualities and manly virtues« (HM Commissioners 1864: 41)

Der in den Eliteschulen gepflegte cult of athleticism und das christlich-evangelikal aufgeladene Konzept einer muscular christianity waren wirkmächtige Ideen, in denen sich ein typisch viktorianischer Wertekanon widerspiegelt. In dieser Vorstellungswelt standen Körper und Geist in einer engen Verbindung zueinander. Sportliche Praxis bildete das zentrale Bindeglied in dieser als Leib-Seele-Problematik bekannten, nicht nur philosophisch bedeutsamen Relation. In ihren Brückenfunktionen konnten somit im pädagogischen Denken der Zeit Sport und Bewegungsspiele auch eine klare ethisch-moralische Haltung hervorbringen und diese kultivieren. Der Sporthistoriker J.A. Mangan beschrieb in seiner wegweisenden Geschichte des Athletizismus die Ziele dieser Pädagogik in vier Kategorien: erstens Stärkung körperlicher, geistiger und moralischer Kräfte; zweitens Loyalität, Kooperation und Opfermut; drittens Wille zum Sieg, Fair-Play, aber auch die Akzeptanz von Niederlage; und viertens die Fähigkeit sowohl zum Führen als auch zur Unterordnung (Mangan 1981).

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Elbe (2022) prüft und hinterfragt zu Recht diese Verknüpfung von Sport und Charakter. Die Literatur betrachtet im Zusammenhang mit Sport, soweit ich sehe, hauptsachlich die Schulen für Jungen. Ein bereits früher Ansatz der Forschung zum Mädchensport und zum female athelet auf Eliteschulen bei McCrone (1984) Die Alltagsrealitäten der Public Schools und die Erfahrungen der Schüler an den Netzwerkschmieden britischer Eliten waren durchaus geprägt von Härten, die in den romantisierenden Erinnerungen der old boys und im Mythos zu verblassen scheinen.

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Der Wertekatalog des Public-School-Ethos schloss nahezu alle Attribute ein, die im Kontext der Zeit jungen Männern das Rüstzeug für militärische und administrative Führungsfunktionen vermitteln und sie auf den Dienst im Empire für king and country vorbereiten sollten.6 All diese Werte und Haltungen flossen im character einer Person zusammen. Charakter und der sportifizierte Körper verbanden die ›angelsächsischen Tugenden‹ zu einer Einheit. Umgekehrt war aber auch Sport ein Indikator für den Charakter einer Person. Das immer wieder neu aufgelegte »Soldier’s Pocket-Book for Field Service« weist auf die Bedeutung des Sports für die Auswahl des militärischen Nachwuches hin und macht auf die Priorisierungen der notwendigen Fähigkeiten für Offiziere aufmerksam: »Being a good Sportsman, a good cricketer, good a rackets, and any other manly game is no mean recommendation for staff employment. Such a man without book lore is preferable to the most deeply-read one of lethargic habits« (Wolseley 1871: 63).7

Wesentlich geformt wurde in dieser Anschauung der Charakter und mit ihm die Eignung des Offiziers, also weniger durch Studium von Büchern als durch Sport. Wolseley lehnt zwar wissenschaftliche Kenntnisse nicht ab, aber kurz gesagt: Sportskanone ging vor Bücherwurm. Der Charakter, so die Annahme, lässt sich als versteckte Analogie in der sportlichen Praxis und im Verhalten einer Person ablesen. Sport wirkte hier als Brücke zwischen Körper und Geist und schien einen Einblick in den Charakter einer Person zu gewähren. Auf die Beständigkeit dieser Praxis weist auch der bekannte Kriegsliterat Robert Graves im Zusammenhang der Rekrutierung geeigneten Offiziernachwuchses im Ersten Weltkrieg hin:8 »Our final selection of the right men to be officers was made by watching candidates play games, principally rugger and soccer. Those who played rough but not dirty, and had a quick reaction, were the sort we needed.« (Graves 1929: 305).

Durch die bekannte Praxis, Kandidaten beim Sport zu beobachten und ihr Agieren im Spiel zu analysieren, ließen sich, so der Ansatz, Vermutungen über künftiges Verhalten ableiten. In dieser speziellen Art der Eignungsdiagnostik schienen der Sport und vor allem Spiele in ihren gleichsam kooperativen wie agonalen Dimensionen als eine Art Simulation des Krieges und des Kampfes. In ihrer auf den Charakter ausgerichteten Pädagogik waren die Public Schools Produktionsstätten des britischen Gentleman, wie er uns etwa prominent als Tom Brown, Phileas Fogg, James Bond oder Harry Potter in der Literatur begegnet. Doch nur eine begrenzte Zahl Kinder und junger Männer besuchten die Eliteschulen. Auch waren sicherlich nicht bei 6

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Neben den Public Schools ist die 1844 gegründete Young Men’s Christian Association (YMCA) eine der prominentesten Manifestationen der muscular christianity, die sich an die jungen Männer der Arbeiterklasse richtete. Nicht zu vergessen sind auch die Sportarten Basketball und Volleyball, die auf Basis tradierter Ballspiele vom YMCA Ende der 19. Jahrhunderts zu Sportarten kodifiziert wurden. Die erste Auflage erschien 1869. Zur Wirkungsgeschichte des ›pocket-book‹ siehe Mukho­padhyay (2017). Die Eignungsdiagnostik und mit ihnen psychologische, medizinische und verwandte Verfahren (z.B. der IQ-Test) entwickelten sich erst im Laufe und im Kontext des Ersten Weltkrieges und waren hier eher noch auf die Bedienung zeitgenössischer Hochtechnologie und (noch) nicht auf Führungsfähigkeiten hin ausgerichtet.



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allen Schülern Sportlichkeit und Sportbegeisterung gleich groß.9 Zudem ist fraglich wie sehr die Realität an den Schulen tatsächlich den normativen Vorstellungen entsprach. Die Mythosqualität des Public-School-Ethos und des Gentleman-Ideals und ihre Funktion als Leitbild und Form von gesellschaftlicher Selbstbeschreibung kann trotz dieser Einwände nicht überschätzt werden. Literatur und Presse wirkten hier als Co-Produzenten und als Verstärker. Die mediale Verbreitung machte das PublicSchool-Ethos und den Gentleman zu einem kulturellen Phänomen, das in Sektoren und Milieus der Gesellschaft des Empire Wirkung entfaltete. Eingebettet in diese kulturellen Sinnsysteme, stellte Sport, ob auf den Sportplätzen der Public Schools oder den Straßen Londons, stabile Ordnungen her und generierte Handlungssicherheit. Als kulturelles Sediment war das Public-School-Ethos in der Gesellschaft über lange Zeit stets anwesend. Auch wenn die Überhöhung des Sports nicht unumstritten war, so war sie doch ein wesentliches Element eines anglo-britischen Selbstverständnisses und Baustein einer imperialen britischen (männlichen) Identität. Ende des 19.  Jahrhunderts kurierte der populäre Spruch, Waterloo (der Sieg gegen Napoleon 1815) sei auf den ›playing-fields of Eton‹ gewonnen worden.10 Er war Ausdruck der vielen Verbindungen zwischen Sport, Public-School-Ethos, Gentleman-Ideal und anglo-britischem Soldatentum. Das Militär war weder Motor noch Bremse in der Entwicklung des viktorianischen Sports. General Sir Rowland Hill, Commander in Chief of the British Army, ordnete 1841 an, dass an jedem Standort im Land ein Cricket-Feld angelegt werden sollte, um mit diesem englischsten aller Spiele Charakter und Moral zu fördern. Die Institutionalisierung von Bewegungspraktiken fand 1860 mit der Einrichtung des Army Gymnastical Staff statt (Campbell 2012). In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahm Sport im Leben vor allem der Offiziere einen hohen Stellenwert ein. Schätzungen der Zeitnutzung von Offizieren gehen davon aus, dass Sport den größten Teil sowohl des Dienstes als auch der Freizeit von Offizieren ausmachte (Campbell 2000: 21). Das sportbasierte Public-School-Ethos förderte diese Entwicklung und lieferte mit der ihm eingeschriebenen Militanz gleichzeitig Antworten auf die Frage nach dem militärischen Nutzen von sportlichen Aktivitäten. Die gezielte Werbung mit Sport und Sportangeboten zur Anwerbung von Freiwilligen für die Kriege des Empire oder für den Dienst in den Territorialkräften schließt hier an.11 Ein Poster aus dem Jahr 1919 mit der Aufschrift »The Army isn’t all Work« (Abbildung 1) und den Abbildungen zahlreicher Sportarten und Soldaten in Sportkleidung und Uniform ist hier wohl die bekannteste Manifestation und heute in zahlreichen Museumsshops auf den Britischen Inseln im Nachdruck zu erwerben. 9

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Winston Churchills vermeintlicher Ausspruch »no sports« könnte diesen Befund illustrieren. Churchill blickte zwar eher kritisch auf seine Schulzeit in Harrow zurück, aber das ihm unterstellte Motiv ist nicht nachzuweisen und wohl ein Relikt der NS-Propaganda aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Churchill war, ganz im Gegenteil, ein sehr passionierter und erfolgreicher Polospieler und Bergsteiger. Siehe zum vermeintlichen Zitat »Waterloo was won on the playing fields of Eton« die Seite (letzter Zugriff 26.4.2022). Die Territorial Force hatte Milizcharakter und setzte sich aus Teilzeit-Freiwilligenverbänden zu­sammen.

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Frank Reichherzer Abbildung 1: Militär als Sportorganisation: »The Army isn’t all work«. Werbeplakat für den Dienst in der Britischen Armee, 1919. Imperial War Museum

Trotz der, verglichen mit anderen Ländern auf dem europäische Kontinent und ihren Wehrpflichtarmeen, eher größeren Distanz zwischen Streitkräften und ziviler Gesellschaft auf den britischen Inseln war doch der Sport eine wichtige Brücke zwischen der militärisch-kriegerischen und der zivilen Sphäre. Der Gentleman war immer ein Sportsman und nicht zuletzt auch Soldat. Sport war daher ein zentrales Merkmal eines spezifisch imperialen britischen Militarismus.

3. Tools of Empire – Sport und Militär im Hochimperialismus Abenteuer, Gewalt und Langweile sind drei Begriffe der kolonialen Konstellation, mit denen sich das Leben der Kolonisierenden in den britischen Besitzungen in Übersee am ehesten beschreiben lässt. Mitte des 19. Jahrhunderts begann als Reak­ tion auf vielfältige Probleme des Kolonialismus und auf zahlreiche Aufstände, wie in Indien und auf den British West Indies, ein neuer Abschnitt in der Geschichte der Kolonisierung der Welt. Zentrales Merkmal der Reorganisation der Beziehungen und Machtverhältnisse war der Übergang von indirekten Herrschaftstechniken durch Handelsstützpunkte und Handelskompagnien zur territorialen Durchdringung und Formalisierung der Herrschaft in den Kolonien durch die imperialen Metropolen.

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Sport verkörpert die Idee des Empire im Kleinen. Verbunden mit dem Militär, war der Sport ein wesentliches Instrument kolonialer Herrschaft.12 Auf einer nicht zu unterschätzenden symbolischen Ebene war das Militär Re­präsen­tant kolonialer Machtverhältnisse. Soldaten, insbesondere Offiziere und mit ihnen auch der Sport, produzierten und inszenierten anglo-britische Identität und Werte. Zudem verkörperten die Angehörigen des Militärs ein imperiales Ethos; sie waren somit wichtige Agenten einer dem Fortschrittsverständnis verschriebenen westlichen ›Zivilisierungsmission‹. In einem komplexen kolonial-imperialen Geflecht aus Ideen und Praktiken kamen dem Militär als aufführendem Organ und dem Sport als Medium der Verhandlung und politischer, sozialer und kultureller Beziehungen wichtige Funktionen zu (Besnier/Brownell/Carter 2017: 51). In dieser Phase ersetzte das Bild des tropenhelmtragenden imperial warrior, der das Empire an seinen entlegenen Grenzen verteidigt, das des Kolonialbeamten, Missionars und Händlers als Leitfigur des imperialen Imaginations- und Handlungsraums (Besnier/Brownell/ Carter 2017: 54). Das Militär war wesentlicher Träger britischer Sportkultur in den kolonialen Gebieten, was sich im Alltag von Kolonisatoren und Kolonisierten, aber auch in den zahlreichen kleinen und großen imperialen Kriegen zeigt.

3.1 A Sporting Live – Ordnungen des Alltags Legte man die zeitgenössischen Abenteuerromane und Tagebücher von Kolonial­ offizieren nebeneinander, würde sich eine erhebliche Diskrepanz zwischen imperialem Imaginationsraum und lebensweltlichen Realitäten der men on the spot ergeben. Mit »imperial boredom« hat der Historiker Jeffrey A. Auerbach (2018) die Langeweile und den Alltag auf den Stationen in den Weiten des Empire beschrieben. Sport und Sportveranstaltungen waren hier neben anderen Formen festlich-geselliger Aktivitäten ein wesentliches Mittel gegen die Monotonie des Dienstes. Ein jeweils den militärischen und kolonialen Hierarchien entsprechendes Sportprogramm sollte auch gegen Alkoholismus, Sex und andere im viktorianischen Tugendkanon als schädlich empfundenen Einflüsse imprägnieren, Energien kanalisieren und im Sinne der Sozialreform den ›sinnvollen‹ Umgang mit Zeit fördern. Bei den nach Übersee rotierenden Regimentern verwischten im Sport die Grenzen zwischen militärischem Training, Freizeitgestaltung und der Markierung von Unterschieden in der kolonialen Gesellschaft. Deutlich wird dies im Stellenwert der Jagd – als Teil der blood sports. Das in Indien bereits vor der Kolonisierung praktizierte und von den britischen Truppen begeistert aufgenommene pig sticking ist hierfür ein Beispiel.13 Beim pig sticking gehen Reiter oder Reiterinnen ausgerüstet mit Lanzen auf die Hetzjagd nach Wildschweinen und versuchen die Tiere aufzuspießen (Abbildung  2). Wie bei vielen Jagden üblich, wurden auch Wettbewerbe ausgetragen, bei denen den Teilnehmenden Pokale und Auszeichnungen winkten. 12 13

Zentrale Argumentationslinien bei Besnier/Brownell/Carter 2017: 3971. Zum Zusammenhang von Jagd, Sport, Imperialismus und Militarisierung siehe etwa Mangan (2003); Mangan/McKenzie (2010). Die Beiträge letztgenannter Publikation sind bereits in The International Journal of the History of Sport, 25 (2008): 9, unter dem Titel »›Blooding‹ the Martial Male: The Imperial Officer, Field Sports and Big Game Hunting« erschienen.

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Abbildung  2: Blood Sports in den Kolonien: Britische Offiziere beim »Schweinestechen« in Indien, 1910. United Archives/TopFoto/Süddeutsche Zeitung Photo

Der passionierte Jäger, Kavallerist, General, Kolonialkrieger und Initiator der Pfadfinderbewegung Robert Baden-Powell betonte nicht nur den Spaß an der Wildschweinjagd, sondern auch die Bedeutung für die Gesundheit und unterstrich ihren Wert als »school for soldiers« (Baden-Powell 1889: vii). Dass diese Form des blood sport als ausgezeichnetes Training für berittene Truppenteile angesehen werden konnte, war ein Allgemeinplatz. Zum Reiten, dem Umgang mit der Lanze und dem Schießen konnten hier auch Geländekunde, Gewöhnung an das Töten sowie der Zusammenhalt im Offizierkorps als scheinbar gewinnbringende Effekte für die Entwicklung militärischer Fähigkeiten genannt werden. Vor allem bei der Jagd auf ›wilde‹ und ›gefährliche‹ Tiere wird die Verknüpfung vom Ethos der Public Schools mit dem imperialen Projekt deutlich. J.A. Mangan und Callum McKenzie haben herausgearbeitet, wie in den Kolonien Offizier und Jäger verschmolzen. In der Praxis des Jagens wird das Leitbild imperialer kriegerischer Männlichkeit – und nicht zuletzt britischer Überlegenheit – deutlich (Mangan/McKenzie 2010). Das symbolische Kapital des Officer-hunter und imperial warrior war daher eine unerlässliche Ressource für den Fortbestand des britischen Kolonialreiches. Sportliche Aktivitäten, Turniere und Wettbewerbe waren mehr als nur Mittel ›sinnvoller‹ Freizeitbeschäftigung. Als eine Art von soft imperialism war Sport eine Herrschaftstechnik und trug dazu bei, koloniale Hierarchien und Machtstrukturen aufzubauen und zu festigen. Der Zugang zu bestimmten Sportarten oder Clubs markierte im Sinne des Soziologen Pierre Bourdieu (1982/79) die ›feinen Unterschiede‹ zwischen Rasse, Klasse und Geschlecht. In den Kolonien wird auch deutlich, wie



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sehr Frauen Teil der militärischen Regimentsgemeinschaft und gleichsam in Sport­ programme eingebunden waren. Für Frauen bot das koloniale Umfeld daher auch zahlreiche sportliche Betätigungsmöglichkeiten. Die Historikerin Mary A. Procida hat beschrieben, wie in den Kolonien britische Frauen den Sport nutzten, um Teil des imperialen Projekts zu werden. Ihr zufolge schrieben sich Frauen durch Jagen und Schießen in männlich geprägte Narrative des imperial warrior als Verteidiger des Empire gegen die Gefahren der Natur (Jagd) und gegen politische und militärische Bedrohungen (Schießen) ein (Procida 2001). Sport diente so der klaren Abgrenzung, war aber gleichzeitig Mittel der Integration. Das zeigt sich auch darin, dass den sogenannten martial races als Teil der Streitkräfte die Teilnahme an Spielen und Wettbewerben zugestanden wurde. Vor allem in Indien verfolgten die Kolonialherren die Strategie, lokale Herrschaftseliten – die princes – über die Teilnahme am Sport und den Besuch von Wettkämpfen in das imperiale Machtgefüge zu integrieren und mitunter zu Gentlemen und damit ein Stück ›englischer‹ zu machen.14 In den Kolonien verschmolzen im Sport zudem tradierte Bewegungs- und Spielkulturen (McDevitt 2004). Das vor allem von Militärs gespielte und insbesondere bei der Kavallerie äußerst beliebte Polo ist hier ein Beispiel. Die Kolonisatoren adaptierten ein zentralasiatisches Reitspiel, bei dem zwei Mannschaften versuchen, Gegenstände in ein Tor oder über eine Linie zu bringen, und transformierten dieses Spiel in eine moderne (britische) Sportart mit Regelwerken, Clubs, Verbänden und Wettbewerben. Aber nicht nur die Kolonisatoren nutzten den Sport als Machttechnik. Sport war Teil imperialer Assimilierungspolitik wie auch des antikolonialen Kampfes (Batman 2009; Besnier/Brownell/Carter 2017: 56 f.). Antiimperiale Bewegungen nutzen den Sport und die von den Kolonisatoren eingebaute militante Konnotation für den Unabhängigkeitskampf. Der sportliche Wettkampf war ein Mittel, die propagierte Überlegenheit der Kolonisatoren – gerade in ihren Spielen – für alle augenscheinlich herauszufordern und damit auch die kolonialen Hierarchien und die rassistisch strukturierte Ordnung in Frage zu stellen. Die Erfolge im Rugby von neuseeländischen und südafrikanischen Mannschaften um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, welche ihr in Fitness und Spieltaktik überlegene britische Mannschaften besiegten, lösten in Großbritannien in einer Hochzeit des Darwin’schen Diktums vom survival oft the fitest Diskurse über Degeneration und krisenhafte (imperiale) Männlichkeit aus (McDevitt 2004: 1 f.). Der trinidadische Intellektuelle C.L.R. James hat die Rolle von Cricket für die Kritik der Kolonialherrschaft und die spätere Unabhängigkeit der Britisch West Indies in seinem berühmten Buch »Beyond a Boundary« beschrieben« (James 1963). Und noch ein anderer Aspekt wird im Rahmen der antikolo14

Beispiel und Ausnahme zugleich ist K.S. Ranjitsinhji, genannt Ranji. Ranjitsinhji stammte aus der lokalen indischen Machtelite und war von 1907 bis 1933 Maharadscha des indischen Fürsten­ staates Nawanagar; er gilt als einer der besten Batsmen im Cricket aller Zeiten. Während seiner Ausbildung an der Universität Cambridge lernte er das Spiel kennen und betrat außer für Matches der Universitätsmannschaft auch für regionale Teams das Oval. Trotz politisch und rassistisch motivierten Anfeindungen und Auseinandersetzungen im Verband und der Öffentlichkeit bestritt der Publikumsliebling für das englische Cricket-Team eine Reihe von Länderspielen, sogenannte Test-Matches.

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nialen Bewegung sichtbar: Für die Philippinen und die USA als Kolonialmacht hat der Sporthistoriker Gerald Gems (2016) herausgearbeitet, wie einerseits die Adaption von Basketball und Volleyball durch die Inselbewohner funktionierte und die Kolonialmacht gezwungen war, durch Regeländerungen ihre Dominanz und damit auch koloniale Ordnung (vorübergehend) sicherzustellen. Zudem legt er dar, dass das agile, schnelle Spiel der Philippiner gegen US-Mannschaften auch in Analogie für die Kampfweise antiimperialer philippinischer Guerillaeinheiten gedeutet wurde – was womöglich wiederum auf eine interessante Übernahme westlicher Deutungsmuster in der Analogie von Sport und Kampf hinweist.

3.2 Sporting warriors (in der Krise) – Imperiale Kriege und Militärreform Imperialismus und Kolonialismus sind eng mit militärischer Gewalt verbunden. Aufstände und ihre Niederschlagung, viele kleine und einige größere Kriege durchziehen die Geschichte der Kolonisierung der Welt. Das sich in den blutigen Konflikten des Empire Sport, Militär und Krieg mischten, macht beispielhaft eine Strophe aus dem sehr wirkmächtigen Gedicht »Vitai Lampada« von Henry Newbolt aus dem Jahr 1892 deutlich:

»The sand of the desert is sodden red / Red with the wreck of a square that broke / The Gatling’s jammed and the Colonel dead / And the regiment blind with dust and smoke / The river of death has brimmed his banks / And England’s far, and Honour a name / But the voice of a schoolboy rallies the ranks / ›Play up! play up! and play the game!‹«

Das Gedicht bezieht sich auf die für die Briten erfolgreiche Schlacht von Abu Klea in Sudan während des Mahdi-Aufstandes im Januar 1885. Der Refrain »›Play up! play up! and play the game!‹« wurde zu einem geflügelten Wort weit über seine Zeit hinaus. Der Kulturhistoriker Modris Eksteins beschreibt diese diffuse Verschmelzung von Werten im Spiel: »›Play the game!‹ That’s what life is about. Decency, fortitude, grit, civilization, Christianity, commerce, all blend into one – the game!« (Eksteins 1989: 122) Newbolt markiert hier die direkte Verbindung von PublicSchool-Ethos, Sport, kolonialem Kriegertum, imperialer Eroberung und Herrschaft. Diese Beziehung macht eine wichtige Funktion des Sports klar deutlich: Sport dient dazu, das Kämpfen sowohl zu veranschaulichen, als auch mit Sinn zu belegen. Nun ist Newbolts Verklärung der Schlacht eine mit großem zeitlichen und räumlichen Abstand zum thematisierten Kriegsgeschehen vorgenommene Sinngebung. »Play up! play up! and play the game!« ist eines von unzähligen Beispielen, mit denen Sport als Referenzrahmen zur Deutung kriegerischer Gewalt beständig reproduziert wurde. Newbolts Sinnzuschreibung ist jedoch nicht nur retrospektiv, sie formuliert auch eine Erwartungshaltung an alle zukünftigen Kämpfer für king and country. Krieg faszinierte die Briten (Paris 2000). Sport war eines der wenigen Phänomene, die es überhaupt möglich machten, die Welt des Kriegswesens und die Welt des Zivilen miteinander in Beziehung zu setzten. Sport war ein Medium, um Kriege und Kriegführung fernab der Schlachtfelder der Öffentlichkeit begreifbar und erfahrbar zu machen; er bot eine Möglichkeit, eine Sprache, um über Krieg und Kampf über-



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haupt schreiben und ihn verstehen zu können. Als gemeinsamer Erfahrungsraum des Militärs und der zivilen Gesellschaft stellten Sport und damit Sportanalogien – wie der Sporthistoriker Peter Donaldson es fasst – ein mächtiges Werkzeug bereit, Konflikte und Kriege zu beschreiben, zu deuten und (ein-)zuordnen. Trotz der Überschneidungen verzerrt die Übersetzung mit Hilfe einer beliebten, ja freudebringenden Alltagspraxis jedoch die Realität des Krieges immens und blendete auch zahlreiche Aspekte ganz aus. In der Praxis normalisierte so die Sportifizierung des Krieges blutige Kämpfe und Konflikte (Donaldson 2020: 3, 56). Dies wird besonders im sogenannten zweiten Burenkrieg (1899‑1902) deutlich. Kennzeichen des Krieges in Südafrika zwischen dem Empire und den beiden Buren-Republiken war die intensive und aufgrund moderner Technik schnelle mediale Begleitung der Geschehnisse.15 Peter Donaldson spricht in seiner Medienanalyse davon, dass der Krieg in Südafrika in der Berichterstattung der Tagespresse, in Bildern und in Büchern durchgehend weniger als patriotische Pflicht denn als sporting endeavor dargestellt wurde (Donaldson 2020: 51). Viele Berichte über den Krieg thematisieren das Sporttreiben der britischen Soldaten und auch die Schilderung der Kämpfe erfolgte in der Sprache des Sports. Eindrücklich ist eine Abbildung in der zeitgenössischen populären Geschichte des Krieges vom H.W. Wilson »With the Flag to Pretoria« (zit. nach Donaldson 2018: 11). Die Zeichnung zeigt, wie in der von den Buren belagerten Stadt Ladysmith Teile des dort eingeschlossenen Regiments trotz heftigen Artilleriebeschusses Fußball spielen. Die Botschaft an die Heimat wie an die Truppe war klar: Der britische Soldat ist aus dem richtigen Holz geschnitzt und alles wird sich schon richten. Allerdings blieben die militärischen Erfolge der Briten lange aus und der Krieg war durch eine Reihe teils vernichtender Niederlagen gekennzeichnet. Zudem fielen dem Krieg mehr Soldaten zum Opfer als erwartet und er war bedeutend zeitund ressourcenintensiver als geplant. Donaldson weist vor dem Hintergrund dieser Entwicklung auch auf die Kritik an der Kriegführung, der Ausbildung und dem Einsatz der in Südafrika kämpfenden Soldaten in der Öffentlichkeit und im Militär selbst hin. Kritiker und Kritikerinnen setzten hier ebenfalls beim Sport an. Gegen Newbolts »Vitai Lampada« brachte der Autor Rudyard Kipling in seinem schmähenden Gedicht »The Islanders« herbe Kritik am Sport-Militär-Krieg-Nexus hervor – und wurde hierfür wiederum heftig angegangen. Der Herausgeber der London Times brachte in Anspielung auf Wellingtons vermeintliche Verknüpfung von Eton, Sport und dem Sieg von Waterloo die Position der Kritik auf den Punkt:

»One feels tempted to say that if the battle of Waterloo was won on these playing fields, the battle of Colenso was lost there, and the battle of Sedan was won in the study, the laboratory, and the Kriegsakademie« (The Times, 18.8.1900, zit. nach Donaldson 2020: 49).

Die Kritik richtete sich nicht allein auf den Krieg in Südafrika. Sie war eingebettet in die damaligen Debatten um Reformen im Militär, die sich in fast allen eu15

Die beiden Burenrepubliken Transvaal und Oranje-Freistaat waren sogenannte weiße Siedler­kolo­ nien in der Kapregion in Südafrika, in denen sich ab dem 17. Jahrhundert vor allem Siedler aus den Niederlanden niederließen.

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ropäischen Ländern abzeichneten. Mit der industriellen Moderne veränderte sich auch grundlegend das Kriegsbild. In allen europäischen Armeen wurde heftig über die Organisation, die Ausbildung und auch die Kultur der Streitkräfte gestritten. Im britischen Fall erfolgte die Auseinandersetzung über die Notwendigkeit von Reformen im Militär, vermittelt über das Thema Sport. Die Traditionalisten verteidigten den Sport und mit ihm die Bedeutung des einem Amateurideal verpflichteten Gentleman-Offiziers aufs heftigste. Grundlage von Führung waren Charakter und Haltung und nicht militärwissenschaftliche Kenntnisse. Zur Untermauerung dieser Position riefen sie die bekannten Topoi und Analogieschlüsse zwischen Sport und Militär auf (Riedi 2006). Die Reformer sahen den exzessiven Sportkult des Militärs und allen voran sogenannte Luxussportarten wie Polo um die Jahrhundertwende als wenig nützlich an. Kritik entbrannte vor allem an den Kavallerieregimentern, die während des Krieges in Südafrika aus militärischer Sicht die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllten. Hierfür wurden vor allem die ungenügende Ausbildung, mangelnder militärischer Sachverstand und die De-facto-Zugangsbeschränkungen zu den Regimentern verantwortlich gemacht. Der Dienst in einem Kavallerieregiment war nämlich für den in ihm dienenden Offizier teuer, galt es doch Pferde für den Reitsport zu unterhalten und weiteren Verpflichtungen nachzukommen. Auch lange nach Abschaffung des Kaufs von Offizierpatenten durch die Cardwell-Reformen ab 1871 und der Deckelungen der notwendigen Zahlungen für Angehörige der Regimenter war der Sport, genauer die Fähigkeit, einen Sport wie das kostenintensive Polo finanziell ausüben zu können, letztlich eine Zugangsbeschränkung für Offizieraspiranten, die die ›erwünschten Kreise‹ und die Exklusivität der Regimenter und weniger ihre militärische Leistung förderte. Diese Praxis stand einer auf intellektuelle Eignung der Soldaten aufbauenden Professionalisierung des Militärwesens entgegen. Kritik an Luxus und Zweifel an der Effizienz des Sports als Mittel der Ausbildung war verbunden mit der Forderung nach Professionalisierung des Militärs als zentralem Punkt der Reformer. Allein auf Basis der Zelebrierung des Offizierseins als Lebensform ließ sich kein Bataillon im modernen Kampf führen. Das bereits in Konturen hervortretende Bild eines technisierten Massenkriegs erfordere mitunter dann doch eher den bücherlesenden Profi und nicht den einem Amateurideal verpflichteten Gentleman, Offizier, Sportsmann und erfolgreichen Wildschweinjäger, der allein schon aus seiner gesellschaftlichen Position und Lebenshaltung heraus als zum Führen befähigt galt. In dieser Argumentation zeigt sich allerdings kein Sportfeindlichkeit. Sport spielte weiterhin für die Reformer eine wichtige Rolle – allerdings in einer aus ihrer Sicht ›richtigen‹ Art und Weise. Der Sport des Militärs war für sie nicht Ausdruck einer Haltung, sondern wurde insbesondere unter Aspekten von Gesundheit, körperlicher Fitness und Moral und Zusammenhalt der Truppe betrachtet. In einer Umdeutung der praktischen und moralischen Werte des Sports sollten Bewegungsformen in ein effizientes, wissensbasiertes Ausbildungssystem integriert werden (Donaldson 2020: 59  f.; Campbell 2012). Hier sind auch die Einflüsse der Royal Navy zu spüren, die als hochtechnisierte Teilstreitkraft und im Übergang der körperlich fordernden Segel- zur Dampfschifffahrt sportliche Aktivitäten und hier vor allem Gymnastik als



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Mittel der Gesunderhaltung und der Moral der Besatzungen auf den Schiffen der Flotte einführte.16

4. A ›Greater Game‹? Sport als Multifunktionale Praxis im Ersten Weltkrieg Der Sport hat allem Sportenthusiasmus zum Trotz kaum dazu beigetragen, dass die Alliierten den Ersten Weltkrieg gewonnen haben, darauf weisen Tony Mason und Eliza Riede in ihrer Untersuchung zu Sport und Militär zu Recht hin. Sport aber, das betonen die beiden, war wesentlicher Teil der Erlebnis- und Erfahrungswelten des Krieges (Mason/Riedi 2010: 109). Schon kurz nach Beginn der Kampfhandlungen, als das War Office begann, Freiwilligenverbände aufzustellen, war Sport ein Mittel der Rekrutierung. Werbeplakate der Regimenter griffen die Sport-Krieg-Analogie auf und adressierten gezielt Sportler (Abbildung 3). Ganze Sportvereine und Mannschaften meldeten sich geschlossen zum Dienst in den Streitkräften. Sportartikel waren beliebte Liebesgaben, die Familien über den Kanal an ihre Angehörigen schickten; sie wurden immer wieder von den Soldaten im Feld nachgefragt. Nach einem Aufruf von Daily Mail und Sporting Life konnten mehr als 650 Fußbälle an die Truppe ausgegeben werden (Adams 2015:

Abbildung 3: Britisches Plakat für die Anwerbung von Freiwilligen, das mit der Sport-Krieg-Analogie spielt, London 1915.  United Archives/TopFoto/Süddeutsche Zeitung Photo 16

Zum Sport in der Marine Brown (2019).

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221). Für die oft zu Untätigkeit verdammten Kriegsgefangenen waren Sport und Sportveranstaltungen wichtige Ressourcen, um Zeit totzuschlagen, und eine Form von Medizin gegen den Lagerkoller (etwa Jahr 2018). Australien, die 1901 vereinigte und in den Status eines Dominion17 erhobene Kolonie am anderen Ende der Welt, definiert in einem Prozess nationaler Identitätspolitik seinen national character bis heute wirkmächtig als race of athlets – in Anlehnung an eine Beschreibung der Kämpfe auf der Halbinsel Gallipoli im östlichen Mittelmeer durch den bekannten Kriegsberichterstatter Ellis Ashmead-Bartlett (Blackburne 2016).18 In Neuseeland übte ein Veteranenverband – zwar weitestgehend erfolglos, aber aufsehenerregend – Druck auf Sportverbände aus, die wenigen Kriegsdienstverweigerer des Landes von Wettkämpfen auszuschließen, indem er eine moralische Verbindung von Opfer­ bereitschaft, Krieg und sportlicher Betätigung herstellte (Ryan 2014). Die Haltung der Funktionäre der Football Association, im ersten Kriegsjahr 1914 die Saison im Profi­bereich fortzusetzen, wurde mehr als kritisch beäugt und mit der patriotischen Aufforderung an die Spieler verbunden, nun doch dem Kommerz zu entsagen und das greater game auf den Feldern Flanderns oder anderswo zu spielen (Jackson 2022). Admiral Jellicoe ließ als Reaktion auf die Seeschlacht im Skagerrak im Kriegshafen der Grand Fleet in Scapa Flow die Sportstätten ausbauen. Auch für Frauen, die zu Hundertausenden in der Rüstungsindustrie und hinter den Fronten in Betreuungseinrichtungen und Lazaretten arbeiteten, war Sport eine beliebte Freizeit­betätigung.19 Das Public-School-Ethos fand erneut einen Widerhall in der Haltung und Mobilisierung von Soldaten und diente als Referenzrahmen, um dann doch als »old lie« in den bitteren Versen eines Gedichts des Weltkriegsliteraten Wilfred Owen entlarvt zu werden.20 Während des ›kleinen Friedens‹ im Großen Krieg an Weih­nach­ten 1914 war an einigen Stellen der Front der Fußball die Brücke zwischen den britischen und deutschen Gräben (Blom Crocker 2015). Auch war der Sport zentraler Teil der Herstellung von ›Britishness‹. Fair-Play und Sportsgeist wurden gegen unsportliche Kriegführung und Gräueltaten des Gegners sowie die ›teutonische Obrig­ keits­hörigkeit‹ propagandistisch süffisant in Anschlag gebracht (Donaldson 2020: 77 f.). Und schließlich: Der Anspruch auf eine Rente nach einer während des Krieges zugezogenen Sportverletzung – angesichts im Vergleich eher harter Regelungen in der Unterstützungsleistung für Kriegsversehrte in Großbritannien – lässt tief in die Bedeutung des Sports während des Ersten Weltkrieges blicken (Mason/Riedi 2010: 102; Cohen 2008). 17

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‚Dominion‹ ist die Bezeichnung für Staaten im Empire, welche die lockerste Form der Herr­schafts­ beziehung beschreibt und die weißen Siedlerkolonien umfasst. Dominions sind in allen politischen Fragen autonom, aber über die britische Krone als Staatsoberhaupt miteinander verbunden. Demgegenüber prägte der amerikanische Literat Walt Whitman den Begriff »athletic Democracy« für die USA 1881/82 in seinem Gedicht »To Foreign Lands«. Der Bereich von Frauen, Weiblichkeit und Sport hat in den letzten Jahren großes Interesse hervorgerufen und die hier relevanten Fragen zeigen auch in der Militärgeschichte Wirkung. Richard Owen (1917/1920): »dulce et decorum est«. Hier beschreibt Owen den qualvollen Tod eines Soldaten nach einem Gasangriff, der nur wenig mit der Vorstellung eines ›süßen und erstrebens­ werten Todes‹ fürs Vaterland gemein hat.



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Sport war in unterschiedlichsten Formen und Funktionen auf allen Kriegs­schau­ plätzen von Flandern über Saloniki bis nach Arabien und auch auf hoher See präsent. In den Bewegungspraktiken im Dienst des Empire zeigen sich eine Reihe verschiedener Funktionalisierungen des Sports in Kontext von Krieg und Militär, die zwischen der Förderung des Kampfgeistes und Fluchtmöglichkeiten vor dem Horror des Krieges oszillieren. Einen Einblick in diese ambivalenten Funktionen des Sports liefert zunächst die Praxis und Organisation des Sports in der Truppe; dann seine Rolle in der Weiterentwicklung der Infanterietaktik während des Krieges; sowie abschließend die Berichte über die skurrile Performance von Soldaten, bei Angriffen Fußbälle durchs Niemandsland zu kicken.

4.1 Organising Sports – Sportinitiativen von unten und oben Feldpost, Lebenserinnerung, zeitgenössische Berichterstattung und nicht zuletzt die Forschungsliteratur zum Ersten Weltkrieg zeichnen allesamt das Bild einer extensiv Sport treibenden Truppe – sowohl im Dienstalltag als während der dienstfreien Zeit. Im Krieg selbst entwickelte sich Sport in der Truppe weg von Eigeninitiative und Improvisation; er wurde immer stärker institutionalisiert und kanalisiert, wandelte sich zu recreational training und zu einer organisierten und institutionalisierten Freizeitgestaltung im Massenheer (Mason/Riedi 2010: 80‑112; für Deutschland auch Nübel und – für den Zweiten Weltkrieg – Herzog in diesem Band). Sport wurde zunächst spontan und auf Basis individueller Initiativen über Dienstgradgruppen hinweg getrieben. Fußball und andere Ballsportarten entfalteten hier eine besondere Kraft, da eine Partie schnell und ohne viel Aufwand organisiert werden konnte. Viele Soldaten spielten in kick-abouts oder scratch games miteinander (Abbildung 4) Bei solchen spontanen Aktionen wurden Mannschaften vor Ort zusammengestellt, Tore und Spielfeldmarkierungen konnten durch Uniformteile oder greifbares Material markiert werden. Auch das einfache Spielniveau bot vielen Soldaten die Möglichkeit mitzuspielen.21 In den improvisierten Kicks zeigen sich wesentliche Funktionalisierungen. Das ›Bolzen‹ und andere sportliche Aktivitäten waren Schwellenrituale, in denen Übergänge und Wandlungen zwischen Räumen, Zeiten und Ordnungen vollzogen werden konnten. Der spätere General Charles Harrington beschwor die Wirkung des Sports auf die Moral, wenn er bewundernd die oft zu beobachtende Praxis schilderte, dass teils aufgeriebene, erschöpfte Einheiten nach ihrer Rückkehr aus den vorderen Linien sofort begannen Fußball zu spielen oder zu boxen. Sport, so schien es für Harrington in seiner Perspektive vom Feldherrnhügel aus, bot die Möglichkeit für die Truppe, sich schnell von Kampfanstrengungen mental zu erholen und ›Kampfgeist‹ und ›Kampfkraft‹ wieder aufzubauen (Mason/Riedi 2010: 94 f.). Der Bombardier Cornfoot fügte dieser Deutung eines Stabsoffiziers in einem Brief an seine Freundin aus der Perspektive des einfachen Soldaten noch eine Ebene 21

Arthur Hopcraft, Sportjournalist und Drehbuchautor, mit seiner berühmten Floskel, Fußball sei »inherent in the people«, spielt auf diese Möglichkeiten des immer und überall Fußballspielens an (Hopcraft 1968).

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Abbildung  4: Frauen des Women Auxilliary Corps und Soldaten der Army spielen Hockey, 1917/18. National Army Museum/Bridgeman Images

hinzu: »[W]e are arranging football matches and boxing to keep our minds off this terrible war as much as possible« (Mason/Riedi 2010: 92). Cornfoot deutet hier die mehrfache Funktion des Sports als Transformator an: Als Zeitwandler konnte er eine Auszeit von der Gegenwart liefern und die Qualität der Zeit von Erschütterung in Normalität oder von Langeweile in Vergnügen verändern. Als Raumwandler stellte er eine Verbindung vom Kriegsgebiet in die Heimat her. Als Identitätswandler erlaubte der Sport den kurzen Wechsel von der soldatischen Welt des Militärs (zurück) in die zivile Gesellschaft. Als Realitätswandler vertauschte die sportliche Aktivität für einen Moment die Wirklichkeit, den Schrecken des Krieges, mit einem Ausschnitt des Friedens.22 Sport lieferte einen Fluchtpunkt vom Krieg und baute eine Brücke zwischen der Welt des Militärs und des Zivilen, zwischen Krieg und Frieden (Mason 2011: 46). Diese in den Quellen auch direkt angesprochenen Bezüge machen deutlich, dass Sport nicht allein den fighting spirit entfachen und Moral aufrechterhalten konnte. Vielmehr werden hier auch in einer emotionsgeschichtlichen Perspektive eskapistische Züge vom Alltag und den Belastungen des Krieges deutlich (Vamplew 2012). Der Historiker Tim Tate spricht bildlich vom Sport als »Blitzableiter« für die Ängste der Soldaten (Tate 2014: vii). Im Schwellenritual des Sporttreibens konnten auch Autonomie zurückgewonnen werden und Soldaten konnten ihre ›Menschlichkeit‹ und soziale Verknüpfung wiederherstellen, die im Kampf und un22

In solchen »inversion[s] of reality [...] war became a dream«, wie der Feldchirurg und spätere HimalajaBergsteiger Howard Somervell die transformativen Kräfte von eingeübten Freizeitaktivitäten, hier allerdings in Bezug auf ein Picknick statt Sport, beschreibt (zit. nach Adams 2015: 226).



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ter dem Eindruck (exzessiver) Gewalt und der oft im Gefecht gefühlten Vereinzelung verloren zu gehen drohten. Hier zeigen sich, auch im Verlauf des Krieges und dem immer stärker werdenden Anteil städtischer Arbeiter in den Streitkräften, die Reproduktion von Strategien der Bewältigung des Alltages aus dem Arbeitermilieu.23 Die Härte und die Mühsal der Arbeit einerseits wie auch des Krieges andererseits kompensierte die Arbeiterschaft mit gewohnten (eskapistischen) Freizeitaktivitäten: vor allem mit Sport und dem Besuch von Sportveranstaltungen (Roberts 2006).24 Das Elend und die Gräuel des Kriegs, das Leid der in ihn verwickelten Menschen kann nicht überbetont werden. Militärische Gewalt ist aber von Zeiten und Räumen verschiedener Intensität gekennzeichnet. Die Rhythmen des Krieges boten den Soldaten nicht viel freie, aber umso mehr ›leere‹ Zeit. Frontsoldaten lagen nicht immer im Graben oder stürmten andauernd über Felder gegeneinander an. Angriffsoperationen und damit auch Abwehrgefechte waren zeitlich und räumlich begrenzt. In Rotationssystemen wechselten zudem die Kampfeinheiten von den vordersten Gräben über verschieden Stationen in rückwärtige Stellungen, ins Hinterland und die Etappe und wieder zurück. Ein Biograph des bekannten Weltkriegsliteraten Siegfried Sassoon hat berechnet, dass dieser wohl 30‑40 Tage während des gesamten Krieges in der vordersten Gefahrenzone verbracht hatte (Wilson 1998: 209). Weitere Berechnungen ergaben, dass der Zeitraum, den ein Soldat an der Front oder in Frontnähe eingesetzt war, zwischen 30 % und 60 % der gesamten Einsatzzeit lag (Mason/Riedi 2010: 81 f.; Fuller 1991).25 Phasen heftiger Intensität wechselten sich mit Erholungszeiten, Lazarettaufenthalten, Auffrischung, Ausbildung, Vorbereitung und Urlaub ab. Zudem erforderte der industrialisierte Massenkrieg zahlreiche Verwendungen abseits der Fronten. Ein erheblicher Teil der Truppen leistete Unterstützungsaufgaben und war nur indirekt in die Kämpfe eingebunden. Neben der Intensität der Kämpfe war Langeweile eine zentrale Erfahrung des Kriegseinsatzes der Soldaten (Mason Riedi 2010: 82  f.; allgemein Mæland/Brunstad 2009; Wolz 2008). In den Warteräumen des Krieges waren Sport und Spiele ein willkommener Zeitvertreib. Mit der Transformation der Schlachtfelder zu Frontlinien und dem Übergang zum Stellungskrieg an der Westfront, dem Aufwachsen des Heeres und der Dauer des Krieges erkannte das Militär Langeweile und Monotonie als ein zentrales Problem. Zu Beginn des Krieges 1914 bestand die British Expeditionary Force (BEF) aus 70 000 Soldaten, am Ende des Krieges waren es insgesamt mehr als vier Millionen und davon war ein erheblicher Teil an der Westfront eingesetzt. Die Rekrutierung 23

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In seinem personellen Aufbau wandelte sich das britische Expeditionsheer in Frankreich und auf anderen Kriegsschauplätzen mehrmals erheblich – von einer Berufsarmee über ein Freiwilligenheer zur Wehrpflicht (1916). Oft vergessen und ausgeblendet in der Forschung zu Sport im Ersten Weltkrieg ist mit Ausnahme der Dominions – wie mir scheint – auch die Mobilisierung und der Dienst kolonialer Truppen aus allen Ecken des Empire für den europäischen Krieg. Zur Verbindung von Krieg und Arbeit mit Blick auf den industrialisierten Massenkrieg hat insbesondere Alf Lüdtke geforscht (Lüdtke 2006). Leider konnte er hierzu ein größeres Projekt nicht mehr abschließen. Diesbezüglich genaue Daten zu liefern ist schwierig. Dabei ist die Bezugsgröße (ob Kampftruppen oder das gesamte Heer) bei den Angaben und Schätzungen nicht immer klar. Die in den zusammengetragenen Informationen anklingende Tendenz ist allerdings nicht zu bestreiten.

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von Freiwilligen unmittelbar nach Kriegsbeginn und die Einberufung von Millionen von Männern nach Einführung der Wehrpflicht 1916 machte spätestens ab Mitte des Krieges die Organisation der Zeit für das Militär erforderlich. Der Sport war neben Konzerten und noch vor Kantinenbesuchen, Kino und Exkursionen die beliebteste Freizeitbeschäftigung der Soldaten (Fuller 1991: 81‑114). Der Physical and Bayonet Training Staff (PBTS) war mit der Organisation des Sports in der BEF und für die Bereitstellung von Ausrüstung für die Truppe verantwortlich. Das Wachstum der Personalstärke des PBTS um das 100-Fache während des Krieges zeigt die Bedeutung der spätestens ab der zweiten Kriegshälfte einsetzenden Strukturierung des Sporttreibens in der Armee (Campbell 2012: 156). In diesem Kontext ordnete General Hubert Gough 1916 in seinem Befehlsbereich die Errichtung von Sportplätzen für die in Ruhestellungen liegenden Truppenteile an und forderte ausdrücklich zu Turnieren auf (Jackson 2014: 42). Die Ausrichtung von Turnieren, Wettkämpfen und Sportfesten vom Bataillon bis hin zur Ebene Korps und sogar internationale Begegnungen zwischen den Alliierten waren da schon längst gängige Praxis. Bei solchen Veranstaltungen gingen die Zuschauerzahlen in die Hunderte und bei großen Veranstaltungen waren mehrere Tausend auf den Rängen. Diese Sportspektakel erfüllten in Anknüpfung an die Fankultur der Arbeiterklasse die Funktion, Identität und Zugehörigkeitsgefühle der Soldaten in und zu ihren Einheiten aufzubauen. Infolge der hohen Verlustzahlen zu Beginn des Krieges und des Entstehens eines Massenheeres weichten die Regimentstraditionen des alten Berufsheeres auf. Bindungen mussten neu geknüpft werden. Sport, und nicht zuletzt der Konsum als Zuschauersport, stellten hier ein wichtiges Instrument der Gemeinschaftsstiftung und Identitätsbildung bereit. Dass hier auch Rivalitäten bei der Identitätsbildung eine wichtige Rolle spielten und sogar Konflikte im Kontext von Sport und Sportveranstaltungen auftraten, thematisieren die Quellen selten. Die Rede von Fair-Play und militärischer Disziplin wirkte hier wohl kanalisierend. Anknüpfend an den Athletizismus der Public Schools war Sport ein bekanntes Mittel, Soldaten sinnvoll zu beschäftigen und gleichzeitig Disziplin zu halten sowie bürgerliche wie militärische Ordnung und Hierarchien zu bestätigen bzw. diese nach Fronteinsätzen auch wiederherzustellen, hatten sich doch oft im Chaos des Kampfes eigene Ordnungen herausgebildet. Darüber hinaus lieferte in den Augen der Verantwortlichen sportliche Betätigung auch weitere Vorteile, wie Fitness, Zu­ sam­menhalt in den Einheiten, Stärkung der Kampfkraft und – natürlich – Bildung des Charakters jedes einzelnen Soldaten und im weiteren Sinn der Einheit. In diesem sozialreformistischen Kontext waren neben dem Militär auch zivilgesellschaftliche Akteure wie der YMCA und andere christliche Vereinigungen und Für­sorge­ einrichtungen aktiv, die in sogenannten rest-huts – den ›homes away from home‹ – Soldaten einen kleinen Raum des Friedens inmitten des Krieges versprachen (Reznick 2004: 17‑41). Im Angebot der Freizeit- und Erholungsaktivitäten der Organisationen nahm der Sport traditionell einen großen Raum ein. Das galt auch für den Sport im Zuge der Rehabilitationsmaßnahmen für die Millionen von kriegsversehrten Soldaten. Neben Sport als Freizeitbeschäftigung sah die Medizin das aktive Betreiben von Sport zusätzlich zur passiven Krankengymnastik



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als wirksames Therapiemittel in den Lazaretten an, um Soldaten schnell wieder gesund und damit einsatzfähig zu machen sowie sie als funktionierenden Teil in die Erwerbsgesellschaft zu integrieren. Über diese pragmatischen Funktionen hinaus zeigen sich ebenso symbolische Bedeutungen. Den beschädigten und zerstörten Soldatenkörper wiederherzustellen, bedeutete in den gesellschaftlichen Zu­schrei­ bungen des Heilungsprozesses auch die Wiederherstellung von Männlichkeit, Empire und Nation. Die wiedergewonnene sportliche Leistungsfähigkeit von kriegsversehrten Veteranen war hier ein Erfolgsindikator und wesentlicher Teil der medialen und symbolischen Inszenierung kollektiver Heilung und Restauration einer aus den Fugen geratenen Ordnung im und nach dem Ersten Weltkrieg (Pöstges 2019; Carden-Coyne 2009).

4.2 ›Esprit de Platoon‹ – Sport, Ausbildung und Infanterietaktik Auch in einem engeren, militärtaktischen Sinn kam dem Sport eine wichtige Funktion zu, die über körperliche Leistungsfähigkeit hinausging. Nach den immensen Verlusten der Somme-Schlacht 1916 änderten die Briten umfassend ihre Angriffsverfahren der Infanterie. Die verlustreichen und kaum erfolgreichen Fron­ tal­angriffe der in Linien hinter eigenem Artilleriefeuer vorgehenden Infante­ris­ten wurden eingestellt. Das Training Manual S.S. 143 »Instruction of Platoons for Offensive Action« von 1917 vereinheitlichte und lieferte die maßgeblichen Grund­ lagen für die Ausbildung. Ähnlich den deutschen Stoßtrupps bildeten nun kleine, in ihrer Bewaffnung und ihren Fähigkeiten gemischte und aufeinander angewiesen Einheiten die elementare Angriffsformation. Die in ihrem Aufbau neu konzipierten platoons (Züge) bestanden aus ca. 30‑40 Soldaten. Ein Platoon setzte sich aus einer Führungszelle (Headquarters, HQ) und vier mit unterschiedlichen Infanteriewaffen ausgerüsteten sections zusammen: den bombers (Handgranaten), lewisgunners (leichte Maschinengewehre), riflemen (Gewehrschützen) und riflebombers (Gewehrgranaten). Diese Kombination aus Bewegung und Feuerkraft machten umfassende Führungsvorgänge in und zwischen den Platoons sowie die Koordination und Synchronisation der Kampfweise auf einer niedrigen Führungsebene und zwischen kleinen eingespielten Gruppen notwendig. Ein Leutnant kommandierte in der Regel ein Platoon; vier Non-Commissioned-Officers (NCOs) – Unteroffiziere – führten die Sections, die aus ungefähr neun Mannschaftssoldaten bestanden. Dem Verweis auf den Sport (»physical training«, »football«, S.S. 143: 16, 24)26 und einen »esprit de platoon« (S.S. 143: 19) in der Vorschrift kam im Zusammenhang mit der Verantwortungsdiffusion auf unteren Ebenen und dem gesteigerten Abstimmungs- und Koordinationsbedarf verschiedener funktional differenzierter Elemente eine wichtige Funktion zu. Die Neukonzeption der S.S. 143 aus dem Jahr 1918 wird hier explizit und kodifizierte lang bestehende Praxen und Ideen vom Nutzen des Sports: 26

Die Seitenangaben hier beziehen sich nicht auf die originale Vorschrift des britischen Generalstabs, sondern auf einen Reprint des US War Department ebenfalls aus dem Jahr 1917.

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»Too much attention cannot be paid to the part played by games in fostering the fighting spirit. They afford the platoon commander an unrivaled opportunity not only of teaching his men to play for their side and work together in the spirit of self-sacrifice, but of gaining an insight into their characters. Here the platoon commander should not only personally and actively arrange for games and competitions for his men, but take part in them himself. If he induces his platoon to be determined to produce the best football team in the battalion, he will have done a great deal to make it the best platoon in every way« (zit. nach Campbell 2012: 175).

Über die Komponenten der Förderung von Kampfgeist und Opferbereitschaft hinaus werden Mannschaftssportarten als ein wichtiges Instrument für Kooperationsfähigkeit, Vertrauensbildung und die Entwicklung des Zusammenhaltes des Platoons (cohesion) beschrieben. Auch hat der Sport wieder die simulierende Funktion, einen Einblick in den Charakter eines Menschen liefern zu können. Die explizite Aufforderung an die Offiziere, sich an den Spielen zu beteiligen, sollte zudem die Beziehung zwischen den Dienstgradgruppen fördern (officer-men relations). Vor allem in der Beziehung zwischen den Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften weichte im Ersten Weltkrieg die in der britischen Klassengesellschaft und im Empire bestehende ›sporting apartheid‹ auf. Sport hatte einerseits die soziale Funktion, Unterschiede zwischen Dienstgradgruppen, aber auch zwischen ›Klasse‹, ›Rasse‹ und ›Geschlecht‹ durch sportliche Praxis und die Zuordnung von spezifischen Sportarten für bestimmte Gruppen zu definieren – etwa in der Qualifizierung von Fußball (soccer) als Arbeitersport oder Cricket, Polo und Reiten als elitäre Sportarten. Andererseits war das Infragestellen dieser Grenzen, wie es in der Vorschrift eingefordert wird, ein wichtiges Element der Gruppenbildung und Vergemeinschaftung über vermeintliche Grenzen hinweg. Dabei konnte die Rolle des platoon commander beim Sport unterschiedlich bewertet und interpretiert werden. In der Praxis zeigen sich hier einerseits die Vorstellung, als Vorgesetzter müsse er auch auf dem Platz eine führende Rolle – etwa als Captain des Teams – einnehmen. Andererseits wird der Nutzen karnevalesker Muster in der Umkehrung von Realitäten, Hierarchien und militärischer Ordnung auf dem Platz betont. So konnten besonders talentierte Sportler, hier auf dem räumlich eng begrenzten Spielfeld für eine überschaubare Spielzeit, Führungsfunktionen übernehmen. Diese Umkehrung und Grenzverwischung sollte den ›esprit de platoon‹ fördern (Fuller 1990: 90 f.; Mason/Riedi 2010: 96‑98). Mit Blick auf den platoon commander liefert die Vorschrift zudem einen detaillierten Fähigkeitskatalog. In dieser Auflistung und im vermeintlichen Zusammenhalt der Kleingruppe27 fusionierten die zum Gemeinplatz gewordenen Elemente eines elitären Vorbild- und Führungsverständnisses mit Werten und Gewohnheiten aus dem Milieu der urbanen Arbeiterschaft. Solidarität (solidarity) und wechselseitiges Vertrauen und Verantwortung füreinander (mutality) waren zentrale Merkmale der Arbeiterkultur, die im Zuge des Aufwachsens zum Massenheer mit der umfassenden ›Proletarisierung‹ und damit ›Zivilisierung‹ Einzug in den Streitkräften des Empire hielt (Roberts 2006). 27

Zur wissenschaftsgeschichtlichen Dekonstruktion und Differenzierung der tatsächlichen Wirk­ mäch­tig­keit des Konzepts ›Kleingruppe‹ oder ›Kleine Kampfgemeinschaft‹ siehe Biehl (2021).



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Die Praxis des Sporttreibens hatte einen direkten Bezug zur Praxis des Kämpfens. Über Moral, Zusammenhalt und Vertrauensbildung hinaus waren Ballsportarten eine Abstraktion der zu erwarten Kampfweise. Die Spiele simulierten funktional differenzierte Elemente und deren Zusammenwirkungen auf ein gemeinsames Ziel hin. Explizite Analogien zwischen Fußballspiel, Zweikampfverhalten und den Angriffs­verfahren der Stoßtrupps oder der neu gegliederten Platoons lassen sich auch explizit finden (etwa Sturm 1924). Die britische Vorschrift setzt sporting spirit und fighting spirit nicht gleich. Sie verweist aber auf ein Verständnis des Sports, das sportliche Praxis als integrales Instrument in der Ausbildung und Einübung von Kampfverfahren für den industrialisierten Massenkrieg begreift.

4.3 Kick off ins Niemandsland! – Zum Umgang mit militärischer Gewalt und dem Horror der Schlacht Einschläge der Artillerie überall, Gewehrkugeln kreuz und quer, nach vorne mehr taumelnde als stürmende Männer mit Gewehren in der Hand und mit Gasmasken über ihren Köpfen – dazwischen ein Fußball! Das sind die Hauptbestandteile eines Cartoons, mit dem der Soldat Henry Thieves den Angriff des 1st Battalions der London Irish Rifles bei der nordfranzösischen Stadt Loos zu Beginn der alliierten Herbstoffensive 1915 festgehalten hat. Diese als football charges berühmt gewordenen und auf den ersten Blick wahnwitzig anmutenden Angriffe sind ein zentraler Bestandteil der kollektiven britischen Erinnerung an den Ersten Weltkrieg (siehe auch Reichherzer/Elbe in diesem Band). Der Historiker Paul Fussel spricht sogar davon, dass nach den ersten Berichten der charge bei Loos »[i]t soon achieved the status of a conventional act of bravado and was ultimately exported far beyond the Western Front« (Fussel 1975: 27). Tatsächlich sind aber nur einige wenige football charges und das auch nur für einen relativ kurzen Zeitraum belegt (Adams 2012: 815). Es gingen nur einige Dutzend Soldaten mit Fußbällen ins feindliche Abwehrfeuer. Millionen taten dies ohne Sportgeräte. Doch werden in den football charges in ihrer Praxis und Aufführung sowie medialen Aufarbeitung weitere Funktionen des Imaginationsraums Sport und insbesondere des Fußballs im Ersten Weltkrieg deutlich. In den frontalen Angriffsverfahren der ersten Hälfte des Krieges stürmte die Infanterie hinter einer Feuerwalze aus Artilleriebeschuss und, wie bei Loos, durch eine Wolke aus Kampfgasen auf die feindlichen Linien los. In der den Planungen zugrundeliegenden militärischen Doktrin ging es darum – Achtung: Sportmetapher! – in einer Art Wettlauf durch Niemandsland die feindlichen Stellungen eher zu besetzten, als dass der Gegner fähig war, aus seinen befestigten Unterständen herauszukommen, sich zu organisieren und Widerstand zu leisten. Selbst in der Theorie war klar, dass dieses Vorgehen, um den ersehnten Durchbruch zu erzielen, auch im Falle eines Erfolges zu erheblichen Verlusten an Menschenleben führen würde. Die Realität und die häufigen Fehlschläge überstiegen die Annahmen der Verluste noch um ein Weites.28 Die Aussicht auf immense Verluste war auch allen Beteiligten von 28

Zu den Angriffsverfahren und der durchaus kontroversen Beurteilung ihre Wirkung siehe aus der Fülle etwa Griffith (1992) oder Boff (2012).

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den Operationsplanern in den Stäben, den Kommandeuren der Frontverbände bis hin zu jedem einfachen Soldaten und nicht zuletzt der Öffentlichkeit bewusst. So verwundert es nicht, dass die Soldaten, die aus den Schützengräben sprangen und durch das Niemandsland rennen mussten, diese Angriffe als gefährlich und sinnlos empfanden. Immense Todesängste und große Nervosität bestimmten daher die Zeit vor dem Beginn der Schlachten und mussten ›bewältigt‹ werden. Meutereien waren jedoch eine seltene Ausnahme. In der französischen Geschichts­ wissenschaft läuft seit längerer Zeit eine Forschungsdebatte darüber, warum die Soldaten über mehr als vier Jahre hinweg überhaupt aus den Gräben in den potenziellen Tod sprangen: culture de guerre, eine Kriegskultur, in der die Komplexe Krieg, Männlichkeit, Ehre und Soldatentod zu einer normativen Vorstellungswelt verschmolzen, sagen die einen; Druck und Zwang, so argumentieren die anderen (zur Debatte Purseigle 2007). Wahrscheinlich liefert eine Mischung aus beidem, ergänzt um weitere Faktoren, plausible Antworten. Mit Blick auf den Sport deuten die Arbeiten des Sporthistorikers Ian Adams in diese Richtung. In den Analysen von Adams zu den football charges werden sogenannte Copingstrategien deutlich, mit denen Soldaten den Krieg und die Erfahrung bei der Anwendung und Erduldung von militärischer Gewalt zu verarbeiten suchten (Adams 2012, 2015). Der Journalist und Schriftsteller Patrick MacGill, Feldsanitäter bei den London Irish Rifles, führt uns auf eine Spur. Seine Erlebnisse in der Schlacht bei Loos hat er in einen 1916 veröffentlichten, autobiographischen Erlebnisbericht zusammengefasst. An dessen Ende, wenn er darüber nachdenkt, warum die Soldaten aus den Gräben durchs Niemandsland auf den Gegner losstürmten, kommt er zu einer Einschätzung der Fußballer von Loos: »The instinct of self-preservation is the strongest in created beings, and here we see hundreds of men whose premier consideration was their own personal safety moving forward to attack with the nonchalance of a church parade. Perhaps the men who kicked the football across were the most nervous in the affair. Football is an exciting pastime, it helped to take the mind away from the crisis ahead, and the dread anticipation of death was forgotten for the time being. But I do not think for a second that the ball was brought for that purpose« (MacGill 1916: 253).

MacGill spricht hier nicht von Heroismus und ›bravado‹. Vielmehr liefert er hier einen Hinweis auf Eskapismus als Copingstrategie. In der Entkontextualisierung und Rekontextualisierung der Situation – so lässt sich das Verhalten der Soldaten interpretieren – machte das Kicken eines Fußballs es möglich, die Realität des Schlachtfelds mit der Imagination des Spielfeldes zu vertauschen (Luedtke 2012). Vorrangig ging es darum, Nervosität und Ängste zu bekämpfen, Widerstände zu überwinden und vom Horror der Schlacht, des Kampfes und der unmittelbaren Gefahr des eigenen Todes abzulenken. In eine ähnliche Richtung deutet auch die Beschreibung von Walter Dalby, ebenfalls Soldat bei den Irish Rifles. So planten einige der Mannschaftssoldaten am Tag des Angriffs Fußbälle mit in die Schlacht zu nehmen. Dalby erinnert sich, wie sein Ball am Vortag der Schlacht von einem Vorgesetzten mit der Begründung zerschossen wurde, der Ball könne zu sehr vom Kampf ablenken (zit. nach Harris 2009: 134). Die etablierte, verharmlosende Strategie der Normalisierung kriegerischer



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Gewalt in der Analogisierung von Sport und Militär wird hier in der existenziellen Krisensituation zur Normalisierungsbemühung der Soldaten. Der Umwelthistoriker Brandon Luedtke beschreibt, wie in vielen Situationen Soldaten das Schlachtfeld mit der Semantik des Spielfeldes überzogen und so die Fremdheit der Kriegslandschaften mit einer ihnen bekannten und breit geteilten Logik verständlich zu machen versuchten (Luedtke 2012: 107‑113). Adams geht in seiner Interpretation sogar einen Schritt weiter. Vor dem Hintergrund einer mehr oder weniger stark ausgeprägten menschlichen Tötungshemmung konnte das Kicken der Bälle nicht nur vom drohenden eigenen Tod, sondern auch vom Töten der gegnerischen Soldaten ablenken (Adams 2012: 823).29 Fußball diente damit als individueller Abwehrmechanismus gegenüber der Brutalität und Grausamkeit des Krieges und bot in der auf Befehl und Gehorsam ausgerichteten Militärorganisation angesichts einer Situation mit hohem Todesrisiko einen Rest individueller Selbstermächtigung, Widerständigkeit und Autonomie (Adams 2015: 220). Ob mit Fußball oder ohne, der Moment des Sterbens in der Schlacht hat nichts Heroisches (Clauss/Reiß/Rüther 2019; Sonderforschungsbereich 948 2021). Töten und getötet werden im Krieg sind aber deutungsbedürftig. So kommt der kulturellen Rahmung des Soldatentodes ein hoher Stellenwert zu und Sinngebung wird als weitere Copingstrategie sichtbar. Adams erkennt in den football charges den (gelungenen) Versuch einer Gedächtnispolitik ›von unten‹, auch wenn hierzu kein explizites Quellenmaterial vorliegt. Angesicht des hohen Todesrisikos und nach einer irgendwie gearteten Akzeptanz der Todeserwartung spielt auch die Frage nach dem Sinn des eigenen Lebens und Sterbens eine besondere Rolle. So kann die bewusste Inszenierung des Angriffes durch die kickenden Soldaten als aktive Form des Schreibens ihrer eigenen Geschichte ausgelegt werden. Als Dichter ihres eigenen (Über-)Lebens und Sterbens versuchten die Soldaten in einem mythopoetischen Akt dem ihnen und anderen an diesem Tag drohenden Tod nicht nur Sinn zu geben, sondern auch in Erinnerung bleiben zu wollen und sich damit in das kollektive Gedächtnis einzuschreiben. Indem der Spielführer des Bataillonsfußballteams Frank Edwards – so wird gesagt – mit dem Schlachtruf »Play up London Irish!« das Leder ins Niemandsland kickte (Jones 2018), knüpften er oder die Erzähler der Geschichte nicht nur an Henry Newboldts bekanntes Sinnmuster »Play up! play up! and play the game!«, sondern auch an einen zentralen Erinnerungsort der britischen Geschichte an: die ›Charge of the Light Brigade‹. In dieser charge ritten in der Schlacht von Balaklawa während des Krimkrieges im Jahr 1855 mehr als 600 britische Kavalleristen aufgrund von unzulänglichen Informationen und missverständlichen Befehlen eine äußerst verlust- und gleichzeitig nicht erfolgreiche Attacke gegen russische Stellungen. So drang, vermittelt über die Berichterstattung, über Gedichte und Schlachtengemälde (und später Filme), der Todesritt der Light Brigade, einer der größten Fehlschläge der britischen Militärgeschichte, als Versinnbildlichung von Courage und Opfermut 29

Adams bezieht sich hier auf frühe militärsoziologische Arbeiten von S.L.R Marshall (1947) und auf Studien zum Grabenkrieg an der Westfront im Ersten Weltkrieg. In den letzten Jahren sind in der Militärsoziologie und der Gewaltforschung die Thesen von Marshall in Frage gestellt worden. Mit Blick auf die hier angeführte Tötungshemmung etwa Reemtsma (2008), der differenzierend die Ausprägung der Hemmung in Relation zu Situationen, Räumen oder Kontexten setzt.

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verklärt tief in die Erinnerungskultur ein.30 In dem berühmten Gedicht zur Schlacht von Lord Tennyson, das wohl jedes englische Schulkind kennt, wird der Bezug zwischen Angriff, Heldentum und Erinnerung deutlich: »When can their glory fade? / O the wild charge they made!«31 Die Irish Rifles knüpften mit ihrem wilden Angriff an diesen zentralen Referenzpunkt britischer Populärkultur und Militärgeschichte an. Auch das bereits im Krimkrieg Mitte des 19. Jahrhundert aufkommende Motiv der ›lions led by donkeys‹, das den Heldenmut und die Opferbereitschaft der einfachen Soldaten und Offiziere der mangelhaften Kompetenz und dem Versagen der höheren militärischen Führung gegenüberstellte, ließen sich auf die den Irish Rifles bevorstehende Situation des Grabenkrieges übertragen.32 Nur hatten die Infanteristen von 1915 keine Pferde für einen Todesritt, wie Adams anmerkt, sondern Fußbälle, die zumindest für ein Todesspiel taugten, um dem drohenden Nichts der Schlacht etwas entgegensetzten zu können (Adams 2012: 824). Über die Fußballer von Loos wurde zunächst nur wenig berichtet (Harris 2009: 149‑164). Das Konzept football charge fand erst einige Monate später in der Sommeschlacht 1916 nach einer ähnlichen Inszenierung einer Kompanie der East Surreys ein breites mediales Echo (Reichherzer/Elbe in diesem Band). Doch ist die Performance tief in die Erinnerungsund Gedenkkultur übergegangen. So warben die London Irish Rifles bereits 1915 mit dem Verweis neue Rekruten an, dass ihr Regiment die ›Footballers of Loos‹ waren. Vor allem aber in der Nachkriegszeit hat sich aus den football charges eine sinnstiftende Narration entfaltet (Harris 2009; Wilson 2014). Neben dem Eskapismus vom Horror des Krieges und einer Erinnerungspolitik von unten war die mediale Überhöhung der football charges auch ein Mittel zur Kommunikation in die Heimat. Das Bild des »dashing sporting hero« (Adams 2012: 825) konnte vermitteln, dass sporting spirit und fighting spirit der Armee weiterhin intakt waren. Die allseitige Betonung, dass die fußballspielenden Truppenteile – als einige der wenigen Einheiten überhaupt – die gesetzten Angriffsziele erreichten, unterstrich die Bedeutung von Sports- und Angriffsgeist, womit in der Öffentlichkeit der Versuch erkennbar wird, Sinnlosigkeit mit Sinn zu überschreiben.

5. Schluss: Militär/Krieg – Sport – zivile Gesellschaft Ohne jeden Zweifel lässt sich beim Blick in die Geschichte der Moderne festhalten, dass Sport, Militär und Krieg in einem engen Verhältnis standen und wohl bis heute stehen. In der Entwicklung des modernen Sports und den Episoden aus den 30

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Hier zeigt sich, dass radikale militärische Fehlschläge, wenn überhaupt, nur als (tragisches) Heldentum einzelner oder einer Gruppe verklärt und begreifbar gemacht werden können. Hierzu immer noch anregend ist Dixon (1976). Alfred Lord Tennyson, »The Charge of the Light Brigade« (1855). Theodor Fontane übertrug das Gedicht frei unter dem Titel »Balaklawa« ins Deutsche. Ein Zusammenhang zwischen dem Angriff der Kavallerie 1855 auf der Krim und den In­fan­terie­ an­griffen mit Fußbällen im Ersten Weltkrieg zeigt sich auch in der künstlerischen Aufarbeitung. Bedeutende Schlachten und Militärmaler wie Lady Buttler oder Richard Caton Woodville Jr. haben sowohl den Angriff auf der Krim wie die charges im Ersten Weltkrieg in fast schon ikonisch gewordenen Bildern festgehalten.



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Regionen des Empire und von den Kriegsschauplätzen des Ersten Weltkrieges, wie sie hier in Umrissen skizziert wurden, zeigt sich eine Reihe von oft eng aufeinander bezogenen Eigenschaften und Funktionalisierungen des Sports, die sich unter den folgenden Schlagworten grob zusammenfassen lassen: – Körperliche Fitness, Leistungsfähigkeit, Gesundheit, Moral Krieg ist körperlich. Es ist daher ein Gemeinplatz, das Sport im Militär zur Stär­ kung der Fitness, Leistungsfähigkeit und Gesunderhaltung der Soldaten dient(e). – Disziplin und Moral Krieg ist aber nicht nur körperlich. Sport war auch ein Mittel zur Aufrechterhaltung und Wiederherstellung der Disziplin. Auch glaubten die Zeitgenossen, dass Sport die Moral, den Willen und den Zusammenhalt der Truppe fördere. – Relationierung/Vermittlung In seiner ideengeschichtlichen Konzeption, wie sie sich ab dem 18. Jahrhundert herauszubilden begann, koppelte sich Sport an eine für die abendländische Philosophietradition grundlegende Frage. Die Idee des modernen Sports stellte eine Beziehung zwischen Körper und Geist, zwischen Leib und Seele her. Die in den Quellen deutlich hervortretende Gleichsetzung oder zumindest Paralle­li­ sie­rung von Sport und Militär erklärt sich aus dieser Grundfunktion des Sports als Mittler. Ein weiterer Faktor dieses Verknüpfungspotenzials wird deutlich, wenn die zivile Gesellschaft als Element in das Wirkungsgeflecht miteinbezogen wird. Sport hatte sowohl in der zivilen Gesellschaft in Großbritannien und dem Empire als auch im Militär jeweils große Bedeutung. Der Sport war daher einer der wenigen Kanäle, der die Welt des Militärs und des Kriegswesens mit der Welt der zivilen Gesellschaft verbinden konnte. – Repräsentation/Simulation/Darstellung An die Verbindung von ziviler und militärischer Sphäre schließt die Funktion der Repräsentation an. Sport als Praxis konnte dazu dienen, Abwesendes anwesend und Abstraktes real werden zu lassen. Dies zeigt sich etwa, wenn Sport Einblick in Persönlichkeit und Charakter gibt; wenn Sport die Fähigkeit zur Simulation kriegerischer Handlungen und der Ableitung von Handlungsoptionen zugeschrieben wird; wenn Sport dazu dient, Krieg und Kampf zu beschreiben; wenn der sportreibende Soldat auch imperiale Männlichkeit (wieder-)herstellt. Allerdings sind Repräsentationen, Simulationen und Darstellungen nie ein getreues Abbild des Krieges, des Kampfes und des Soldatischen. Zudem rufen auch die Eigenlogiken des Sports ein bestimmtes Bild des Krieges hervor, das die immanente Unschärfe von Darstellung, Simulation und Repräsentation fördert. – Normalisierungsstrategie/Sportifizierung des Krieges Dies Unschärfe der Übersetzung zwischen Sport und Militär/Krieg hat Peter Donald­ son aufgegriffen und damit die Mittlerfunktion des Sports kritisiert (Donaldson 2020: 82). Gerade die vermeintliche Ähnlichkeit vom Krieg und Sport wird hier zum Problem. Denn hinter dem Überziehen des Krieges und des Kampfes mit der Sprache und Symbolwelt des Sports steckt eine Normali­ sie­rungsstrategie. Die Sportifizierung des Krieges stellt zwar den Bezug zwischen Krieg und Gesellschaft her, rahmt dabei aber die Kriegsereignisse in einer ge-

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radezu verharmlosenden Weise. Kämpfen ist nicht gleichbedeutend mit der Wildschweinjagd. Und das Springen aus den Gräben ins Niemandsland nach dem Pfiff des Offiziers im Schützengraben zum Angriff hat nichts mit dem Anpfiff zur ersten Halbzeit eines Fußballspiels zu tun. – Militarisierung und britischer Militarismus Aufgrund der Fähigkeit des Sports, Militär, Krieg und Gesellschaft zu verknüpfen, war der Sport ein bedeutsames Mittel zur Militarisierung der Gesellschaft. Er transportierte Werte des Militärischen in die zivile Gesellschaft, die etwa in das Public-School-Ethos einflossen oder sich als wesentliche Elemente im gesellschaftlichen Leitbild kriegerischer imperialer Männlichkeit zeigen. Der spezifische britische Militarismus war im Kern auf den Sport bezogen. – Hierarchien und Ordnungen Sport (re-)produziert auch Hierarchien und Ordnungen. Einerseits konnte sportliche Praxis Unterschiede sichtbar machen und Welt und Gesellschaft nach vordefinierten Kriterien ordnen. Anderseits konnte neben dieser stabilisierenden Funktion der Sport widerständiges Potenzial entfalten und eben genau mit Sport die bestehende Ordnung in Frage gestellt werden. – Eskapismus und Situationstransformation Die Mittlerfunktion des Sports erlaubte auch Soldaten das Wandern zwischen Welten. Vor allem für die zahlreichen Freiwilligen und Millionen Wehr­pflich­ ti­gen bot er die Möglichkeit der Anknüpfung an ihre zivile Identität und der Transformation der kriegerischen Situation in zivile Erlebniswelten, um dem Horror und der Mühsal der Schlacht sowie der Langeweile des Krieges – zumindest für einen Augenblick – zu entkommen. Sicher könnte man diese Liste noch weiter fortsetzen. Sie soll einen ersten Denk­ anstoß liefern. Man könnte hier mit einem Satz des Philosophen Helmut Plessner (1956: 166) schließen: »Der Sport ist nicht besser und nicht schlechter als die Gesellschaftsordnung, der er entstammt.« Das gilt auch für das Militär und den Krieg.

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Antti Seppo

Sport und Militär in den finnischen Streitkräften Einordnung Antti Seppo lädt zu einem weiteren Ortswechsel ein: Er stellt die finnischen Streitkräfte und deren Verhältnis zum Militärsport vor. Nach der Einleitung analysiert er, welche Bedeutung Wehrdienst und Streitkräfte in Finnland haben und welche Rolle der Militärsport hierbei spielt. Seppo geht auf die Sportausbildung und die Praxis des Militärsports in den finnischen Streitkräften ein. Danach diskutiert er die Zukunft des Militärsports in Finnland aus gesellschaftspolitischer und organisationaler Sicht. Alle Übersetzungen aus dem Finnischen in diesem Artikel stammen von Antti Seppo. Autor Antti Seppo, Dr., ist Sozialwissenschaftler in Finnland und war von 2018 bis 2020 Gastwissenschaftler am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam. Seine Forschungsschwerpunkte sind Sicherheitspolitik und strategische Kulturen.

1. Einleitung Dieser Beitrag setzt sich mit der aktuellen Lage des Militärsports in den finnischen Streitkräften auseinander. Er erörtert die Bedeutung der Förderung von Sport und körperlichem Training angesichts der militärischen und gesellschaftlichen Ziele des allgemeinen Wehrdienstes. Dieser wird als Konzept verstanden, das mit einer besonderen Vorstellung der finnischen sicherheits- und verteidigungspolitischen Identität verbunden ist. Es wird die Frage gestellt, ob Sport und Training bei der Konstruktion dieser Identität gegenwärtig eine besondere Rolle zukommt. Methodologisch beruht der Beitrag auf einer Inhaltsanalyse des finnischen Diskurses zum Thema allgemeiner Wehrdienst und Sport im Militär. Zu diesem Zweck werden unter anderem für Sport und Training zuständige leitende Offiziere bzw. Beamte der finnischen Streitkräfte interviewt. Durch diese analytischen Schritte wird das Thema sowohl auf der Mikroals auch der Makroebene erläutert. Der allgemeine Wehrdienst genießt in der finnischen Gesellschaft und Politik einen hohen Stellenwert. Dafür gibt es historische und geopolitische Gründe. Die ausgesetzte Rechtsgrundlage für den allgemeinen Wehrdienst aus dem Jahre 1878

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wurde zuerst während des finnischen Bürgerkriegs durch den Senat von Wasa wieder eingeführt und nach der Erklärung der finnischen Unabhängigkeit von Russland 1917 in der Gesetzgebung der Finnischen Republik kodifiziert.1 Die erste große Bewährungsprobe für den allgemeinen Wehrdienst kam mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges und dem Winterkrieg 1939. Finnland musste seine Souveränität gegen eine Großmacht, die UdSSR, mit einer – im Vergleich zum Gegner – drastisch kleineren Truppe verteidigen. Das finnische Modell eines allgemeinen Wehrdiensts, das auf einer mobilen und leistungsfähigen Reserve beruhte, erwies sich als erfolgreich im finnischen Existenzkampf. Während des Kalten Krieges diente der allgemeine Wehrdienst dann der Verstärkung der finnischen sicherheits- und verteidigungspolitischen Identität als militärisch neutraler sowie unabhängiger Staat; der Wehrdienst wurde damit weitgehend als ein wichtiger Berührungspunkt zwischen dem Einzelnen, dem Staat und der Nation verstanden. Die geschichtliche Konstruktion und die Entwicklung der finnischen sicherheitsund verteidigungspolitischen Identität, hinsichtlich der Pflichten des Einzelnen dem Staat und der Nation gegenüber, lässt sich somit auch von vielen anderen Ländern in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg unterscheiden. Laut Häkkinen (2018) wird der Wehrdienst in einigen europäischen Staaten als eine besondere Verbindung zum »Land« verstanden. In Griechenland spricht man vom Wehrdienst als Dienst am »Vaterland«, in Italien am »Mutterland« und in Polen am »Heimatland«. In anderen Ländern hingegen, etwa in Portugal, bezieht sich der Wehrdienst auf die Nation und weniger auf den Staat. Das kollektive historische Gedächtnis steuerte das geopolitische Denken in Finnland auf einen kleinstaatlichen Realismus hin,2 der wiederum maßgeblich die finnische Außen- und Sicherheitspolitik im 20.  Jahrhundert bestimmte. Dieses geopolitische Verständnis entspricht der Auffassung der Realistischen Schule von internationalen Beziehungen als einem System, in dem das Überleben und die Sicherheit entscheidend und die militärische Macht die dominante Form sei. Solche Konditionen waren per se immer nachteilig für kleine Staaten, ungeachtet dessen, ob und wieweit sie in der Praxis tatsächlich anzutreffen waren. Dadurch ließ sich der allgemeine Wehrdienst in Finnland als ein in der geopolitischen Praxis alternativloser Grundpfeiler einer glaubwürdigen Verteidigung zementieren. Allerdings wird mit verlässlicher Regelmäßigkeit, seit Finnland 1995 Mitglied in der Europäischen Union ist, eine politische Debatte hinsichtlich der Plausibilität der Grundsätze finnischer Sicherheits- und Verteidigungspolitik geführt. Kernpunkt dieser Debatten war eine potenzielle finnische NATO-Mitgliedschaft, die nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 noch intensiver in der finnischen Gesellschaft diskutiert wurde. Infolgedessen reichte Finnland am 18. Mai 2022 seinen Antrag auf Mitgliedschaft in der Nordatlantischen Allianz ein. Das ist allein deshalb bemerkenswert, weil laut Umfragen rund 73 Prozent der 1

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Das gegenwärtige Gesetz stammt aus dem Jahre 2007. Zu den Neuerungen der letzten Gesetzes­ änderung gehört z.B. eine – auf internationalen Verträgen Finnlands – basierende Dienstpflicht für Wehrpflichtige und Reservisten für höchstens sechs Monate, ohne dass ein Kriegs- oder Ausnahmezustand erklärt werden muss (vgl. Wehrdienstgesetz, 1438/2007/§ 3). Mehr zum Thema finnische strategische Kultur: Seppo/Forsberg (2013).



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finnischen Bevölkerung einen Beitritt befürworten, was einer kompletten Kehrtwende in der Haltung zu diesem Thema gleichkommt. Diese Debatten berühren aber kaum den Stellenwert des allgemeinen Wehrdienstes, der sich trotz der genau gegenteiligen Entwicklung in ganz Europa als eine Konstante nicht nur in der finnischen Verteidigungspolitik, sondern auch in der finnischen Gesellschaft zu bewähren scheint. Der Krieg in der Ukraine hat den Stellenwert des allgemeinen Wehrdienstes sogar noch erhöht. Diese Diskussion über den Wehrdienst in Finnland wurde in den letzten Jahren immer wieder aufs Neue geführt. Die Gründe sind vielschichtig und oft mit dem finnischen Kulturerbe verbunden. Man spricht zum Beispiel von dem ›immerwährenden Geist‹ des Winterkrieges oder vom übergenerationalen Respekt den Kriegsveteranen gegenüber und betont einen generell hohen Landesverteidigungswillen (Mälkki 2013: 66). Wie in einer Studie des Finnischen Verteidigungsministeriums über die Entwicklung des allgemeinen Wehrdienstes in Finnland erläutert wird, kann man diesen Verteidigungswillen als »eine historische Praxis, einen Grundpfeiler der Verteidigung, ein Erziehungs- und Bildungssystem, einen die Gleichberechtigung fördernden Prozess, ein zentrales Element der finnischen Identität und einen wesentlichen Faktor im Wunder des Winterkriegs verstehen« (Laitinen/Nokkala 2005: 11). Dadurch kann der allgemeine Wehrdienst auch als eine Art »nationaler, mentaler Zustand« verstanden werden, der »sich tief in der finnischen Gesellschaft verwurzelt hat« (ebd.). Diese Vorstellungen weisen darauf hin, dass dem allgemeinen Wehr­ dienst sowohl militärisch als auch gesellschaftspolitisch weiterhin eine besondere Rolle zukommt.3 Militärsport und vor allem das physische Training der Wehrpflichtigen und der Reserve spielen für die Verankerung der allgemeinen Wehrpflicht in der finnischen Gesellschaft eine ganz besondere Rolle, der auch Bedeutung im strategischen Sinne zukommt. Dies lässt sich gut an dem Beispiel von der finnischen »Verteidigungslösung« erkennen. Die finnische Verteidigungspolitik beruht auf drei Kernelementen: erstens der allgemeinen Wehrpflicht, zweitens der militärischen Neutralität und drittens der territorialen Landesverteidigung (Verteidigungsministerium 2010). Diese Kernelemente haben alle ihre historischen und geopolitischen Ursachen. Dem Sport lässt sich keine besondere Rolle im Sinne des zweiten Elements zuordnen, im Sinne des dritten aber schon. Denn territoriale Landesverteidigung heißt in der Praxis eine »Gesamtlandesverteidigung«, von den Küstengebieten im Süden und Westen bis zu den waldreichen Grenzen im Osten und den bergigen Landschaften im Norden. Das hat zur Folge, dass die finnischen Wehrpflichtigen und die Reserve im gesamten finnischen Staatsgebiet einsatzfähig sein müssen. In diesem Sinne kommen Sport und Sportausbildung als zentrale Elemente einer militärischen Ausbildung eine Schlüsselrolle zu. Da die geographischen und regionalen Unterschiede innerhalb des 3

Dies ist gut belegt in einer Statistik über den Willen, das eigene Land zu verteidigen (1970‑2019). In einer Umfrage, ob man Finnland mit Waffengewalt im Falle eines bewaffneten Angriffs verteidigen müsse, auch wenn man über den Ausgang nicht im Klaren sei, antworteten ca. 66 Prozent der Befragten positiv – 78  Prozent der Männer und 55  Prozent der Frauen (Findikaattori Statistic, 2020). Diese Frage wird in Finnland häufig gestellt und zugleich als Barometer für den Verteidigungswillen der Bürger angesehen.

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finnischen Staatsgebietes von den eingesetzten Soldaten teils sehr unterschiedliche Fähigkeiten verlangen, scheint die auftragsbezogene Fitnessevaluierung ein geeignetes Mittel zu sein, um einen umfassenden Überblick der aktuellen sportlichen und physischen Leistungsfähigkeit der finnischen Armee zu liefern. Die auftragsbezogene Fitnessevaluierung hat seit 2020 für das aktive Personal sowie für die Reserve unmittelbare Geltung und liefert zusammen mit der jeweils aktuellen wie auch der statistischen Bewertung der physischen Fähigkeiten der Wehrpflichtigen die Beurteilungsgrundlage für die körperliche Leistungsfähigkeit der Soldaten. Die Leistungsfähigkeit ist eingebunden in das Modell der Gesamtverteidigung und der Verteidigungsstrategie zu betrachten. Während das Modell der Gesamtlandesverteidigung Jahrzehnte überspannt, stammt die jüngste finnische Verteidigungsstrategie aus dem Jahr 2017, worin das Konzept der »Gesamtsicherheit« vertreten wird. Es werden neun spezifische »überlebenswichtige« Kategorien für das Funktionieren der finnischen Gesellschaft in Krisensituationen dargelegt. Zumindest in zwei Kategorien, nämlich im »Mentalen Durchhaltevermögen« und in der »Verteidigungsfähigkeit« spielen Sport und Fitness eine ganz besondere Rolle, obgleich Sport und Sportausbildung im Rahmen strategischer Überlegungen nicht gesondert thematisiert werden.

2. Sportausbildung und Militärsport in den finnischen Streitkräften Die Erkenntnisse dieses und des folgenden Abschnitts basieren auf einem schriftlichen Interview, das im April 2020 mit dem Leiter der Sportausbildung und des Militärsports und zwei zivilen Beamten, die für Sport und Sportausbildung in den finnischen Streitkräften zuständig sind, geführt wurde.4 Die Ergebnisse des Interviews werden hier in komprimierter Form wiedergegeben, eine weitere inhaltsanalytische oder sonstwie qualitative Auswertung des Interviewmaterials erfolgte nicht. Die militärisch-physische Ausbildung und die damit zusammenhängende Sportausbildung sind Gegenstand ständiger Weiterentwicklung in der finnischen Armee und machen cirka eine Hälfte der Gesamttätigkeit der Wehrpflichtigen in den Streitkräften aus. Nach Schätzungen der finnischen Streitkräfte läuft ein Wehrpflichtiger im Durchschnitt sieben bis acht Kilometer täglich während seiner ganzen Dienstzeit. Diese Schätzung beinhaltet nicht das physische Training im täglichen Dienstbetrieb (abgesehen von Marschübungen). Das jüngste Handbuch zur Sportausbildung wurde 2015 publiziert und wird von den für diese Analyse Befragten als ›sehr ausführlich‹ bezeichnet. Laut den Interviewten liegt das Problem darin, dass sich Theorie und Praxis in dem heutigen raschen Ausbildungsrhythmus nicht zufriedenstellend zusammenbringen lassen. Das gehe wiederum auf die Einführung eines neuen Ausbildungssystems (›Koulutus 2020‹) für die Wehrpflichtigen zurück, was Art und Weise der Ausbildung und speziell deren Rhythmus wesentlich verändert habe. Leistungsfähigkeitstraining sei jetzt ein Teil des offiziellen Ausbildungssystems. 4

An dieser Stelle sei Major Lasse Torpo sowie Kai Pihlainen und Jouni Ilomäki herzlich für Ihre Bereitschaft gedankt, sich interviewen zu lassen.



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Die dazugehörende Sportausbildung werde ständig so aktualisiert, dass sie mit zunehmendem Niveau dem Aufbau von Muskelkondition und Durchhaltefähigkeiten diene. Momentan seien zudem Ausbildungskarten und Mikro-Videoaufnahmen in Entwicklung, um die Durchführung von einzelnen Übungen zu systematisieren. Die Herausforderungen im Bereich Militärsport seien schon seit 30 Jahren auf einen spezifischen Problemzusammenhang zurückzuführen: den zunehmend ansteigenden Ausbildungsrhythmus und die gekürzten Personalressourcen hierfür. In den letzten Jahren sei es besonders schwierig gewesen, Zeit sowie personelle und sachliche Ressourcen für Ausbildungs- und Wettbewerbsaktivitäten zu finden. Es ist festzustellen, dass die Teilnahme der finnischen Militärsportler an nationalen Wettbewerbsaktivitäten um etwa 50 Prozent im Vergleich zu der Situation vor 30 Jahren zurückgegangen ist. In den letzten zehn Jahren habe man sich daher entschieden, weniger Militärwettkämpfe auf nationaler Ebene zu organisieren und durch Regelveränderungen sowie Terminplanung eine ausreichende Teilnehmerzahl sicherzustellen. Was internationale Aktivitäten betrifft, sei man inzwischen in eine Lage gelangt, in der sich nur sehr wenige neue Sportler von internationaler Klasse in den finnischen Streitkräften oder der finnischen Grenzwache einstellen ließen. Trotzdem seien die finnischen Streitkräfte noch Mitglied im Conseil International du Sport Militaire (CISM) und die finnischen Militärsportler beteiligen sich auch weiter an den Meisterschaften der Nordic Defence Cooperation (Nordefco – mit den Mitgliedern Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden). Diesen Herausforderungen sei man mit der auf drei Jahre befristeten, aber verlängerbaren Einstellung von neun Sport-Unteroffizieren begegnet. Das Olympische Komitee sei auch maßgeblich am Auswahlprozess dieser Unteroffiziere beteiligt gewesen. Der Schwerpunkt ihrer Aufgabengebiete liegt neben dem normalen Ausbildungsbetrieb besonders in militärsportlichen Angelegenheiten. Laut den Befragten habe in der letzten Zeit eines der wichtigsten Programme im Bereich Militärsport darin bestanden, eine Gruppe von etwa 100  festangestellten Sportlern in zwei kleinere, gemischte Grup­pen von Spitzensportlern und Militärsportlern zu teilen, die dann unter sich in den jeweiligen Waffengattungen jährlich einen Pentathlon (Fünfkampf ) ausrichten soll­ten. Allerdings sei die Anzahl der auszubildenden Militärsportler in den finnischen Streitkräften auf rund 50 zurückgegangen. Als zukünftiges Ziel gelte daher die Ein­stellung von neuen SportUnteroffizieren. Trotz all dieser Herausforderungen bleibt das übergeordnete Ziel des finnischen Militärsports, Erfolge in militärischen und zivilen Wettkämpfen zu erzielen und auch als Organisator internationaler Militärwettkämpfe erfolgreich zu sein. Obwohl der BIP-Anteil der Verteidigungsausgaben in Finnland in den letzten zehn Jahren etwas zurückgegangen ist,5 hatte dies kaum Auswirkungen auf den Etat für die Sportausbildung, der immer nur einen sehr kleinen Anteil am Gesamtwehretat hatte. Die einzelnen Organisationsbereiche der Streitkräfte sind dabei selbst für ihre jeweiligen Etats zuständig. Laut den Befragten gibt es in den Streitkräften umfangreichen Bedarf zur Sanierung, Entwicklung und Diversifizierung der vorhandenen 5

BIP-Anteil der Verteidigunsausgaben 2010-2020, Verteidigungsministerium, vom 10. April 2020.

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Sportplätze und -einrichtungen. Der Sportplatzplan der finnischen Streitkräfte, der zur Weiterentwicklung der Sporträume und -plätze für die einzelnen Bereiche diene, werde seit der umfassenden Streitkräftenreform im Jahr 2015 aktualisiert. Diese Reform führte zu der Auflösung von einigen Garnisonen und damit wurde auch ein Teil der aktiven Sportplätze außer Betrieb gestellt. Die Finanzierung für internationale Militärsportaktivitäten und die finnische Militärsportschule habe man hingegen auf einem ausreichenden Niveau halten können, da diese zu den zentralen Zuständigkeitsgebieten gehören. Der »erleichterte Dienst«6 für Spitzen- bzw. Berufssportler wurde 2015 offiziell abgeschafft. Dies fand nach einer Überprüfung des stellvertretenden Ombudsmannes des finnischen Parlaments hinsichtlich der Gleichwertigkeit des Dienstes in den finnischen Streitkräften statt. Daraufhin definierte die finnische Militärsportschule ihre Anweisungen zur Auswahl der Sportler und Sportlerinnen und ihrer Dienst- und Trainingszeiten neu. Laut den Befragten seien die von der Militärsportschule für Spitzen- bzw. Berufssportler angebotenen Möglichkeiten zur Absolvierung ihres Wehr­dienstes trotzdem weiterhin sehr gut. In dem von der Militärsportschule angebotenen Training werde aber sichergestellt, dass auch die finnischen Spitzen- bzw. Berufssportler über die nötigen soldatischen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen. Die größte Herausforderung im Bereich Spitzensport bestehe gegenwärtig darin, dass die Anzahl der neuen Sportler und Sportlerinnen, die sich an Militär­ schulen bewerben, fast auf null gesunken sei. Darüber hinaus lasse der aktuelle Ausbildungs- und Arbeitsrhythmus in den einzelnen Einheiten kaum mehr Spitzen­ sportaktivitäten zu. Auch das übliche Studium der Sportler sei intensiv und dadurch ließen sich die von den Sportlern benötigten Sportlager mit dem Studium und Militärdienst kaum vereinbaren. Am besten könne man diesem Trend mit der Einstellung von neuen Berufsportlern begegnen, was den Herausforderungen des internationalen Militärsports gerecht werde und maßgeblich der Unterstützung des nationalen Spitzensports diene. Darüber hinaus sollten die Berufssportler direkt in Ausbildungsfunktionen eingesetzt werden, was das Training und die Teilnahme an Wettkämpfen während der Dienstzeit ermöglichen könnte. Hinsichtlich der allgemeinen Sportausbildung des Personals wurde 2020 eine aufgabenbezogene Evaluierung in den finnischen Streitkräften eingeführt. Als Ziel gilt dies auch für die Reservisten, denen dadurch die physischen Voraussetzungen ihrer Aufgaben besser bewusstgemacht werden können. Die finnischen Streitkräfte setzen damit bestimmte Zielniveaus hinsichtlich der körperlichen Leistungsfähigkeit für die Reservisten gemäß den jeweiligen Aufgaben fest. Die Entwicklung der physischen Kondition von Reservesoldaten und -soldatinnen wird regelmäßig in Reservistenstudien evaluiert. Darüber hinaus versucht man Fitnesstests und freizeitliche Sport6

Der erleichterte Dienst galt für Spitzen- und Berufssportler in den Finnischen Streitkräften bis 2015. Laut den Antworten der Streitkräfte auf die Ermittlung des Ombudsmannes hätten Spitzenund Berufssportler nur während 66 Tagen an der eigentlichen Militärausbildung teilgenommen. Diese spezielle Behandlung der Sportler wurde von der Personalabteilung des Hauptquartiers damit begründet, dass man die Wünsche der Sportler mit in Betracht ziehen solle, damit die Nachteile des Wehrdienstes auf die sportliche Karriere möglichst gering ausfallen würden. Darüber hinaus lasse sich die spezielle Behandlung dadurch begründen, dass Spitzensportler als Vorbilder für die Jugendlichen dienten (Huhtanen 2015).



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aktivitäten der Reserve zu unterstützen, zum Beispiel durch den Finnischen Reservistensportverband (RESUL) und die gemeinsame Initiative »Lisää Liikettä« (Mehr Bewegung) der Streitkräfte, des Finnischen Ausbildungsvereins für Landesverteidigung (MPK) und des RESUL. Außerdem fördern die Streitkräfte die Ausbildungs- und Wettbewerbstätigkeiten von RESUL, der dem MPK nachgeordnet ist.

3. Militärsport aus gesellschaftspolitischer und organisationaler Sicht Laut den Befragten sei zwar das übergeordnete Ziel des Militärsports aus gesellschaftspolitischer Sicht die Förderung von Sport als freiwillige körperliche Betätigung unter den Wehrpflichtigen. Vorrangig sei aber auch hierbei die Ausbildung von Kenntnissen und mentalen Fähigkeiten, die von Soldatinnen und Soldaten in einer Krisensituation verlangt werden. Die finnischen Streitkräfte seien gut beraten, der Nation ein Bild zu vermitteln, dass Sport in den Streitkräften weiterhin als wichtige Angelegenheit angesehen werde. Im Bereich Spitzensport gelte dies ganz besonders für den Aufbau eines positiven Images des finnischen Soldaten, das durch leistungsfähige Sportler und Sportlerinnen und das Organisieren internationaler Wettkämpfe gefördert würde. Darüber hinaus ist es unumstritten, dass die militärische Sportausbildung die Gesamtentwicklungen der Volksgesundheit positiv beeinflusst. Außerhalb des militärischen Bereiches könnte dies eben der wichtigste gesellschaftspolitische Beitrag der generellen Sportausbildung im Militär sein. Wie oben dargestellt, bleibt die allgemeine Wehrpflicht weiterhin eine Konstante in der finnischen Verteidigungspolitik sowie im sicherheits- und verteidigungspolitischen Selbstverständnis der Finnen. Einen Grund dafür könnte man wohl auch in der Förderung von Sport in einem generellen Sinne finden. Denn indem man Sport und Militärsport nicht nur unter den Wehrpflichtigen, sondern als unentbehrlich, als lebenslange Aktivität auch unter den Reservisten fördert, unterstützt man zugleich die Präsenz der allgemeinen Wehrpflicht für breite Gesellschaftskreise und damit als Manifestation der finnischen Verteidigungspolitik nach innen wie nach außen. Trotzdem finden sich die größten Herausforderungen für die allgemeine Wehrpflicht in Finnland besonders im gesellschaftlichen Bereich. Innerhalb des Militärs sind die Vorteile weitgehend unumstritten, solange die Kernelemente der finnischen Verteidigungspolitik breiten Rückhalt in der finnischen Bevölkerung haben. Dies ist gut reflektiert in der Studie »Bürgerdienst zur Unterstützung der Gesamt­ sicherheit« (BUG 2018) des finnischen Think Tanks ›Bank of Ideas‹, geleitet von der ehemaligen finnischen Verteidigungsministerin Elisabeth Rehn. Die Studie unter­sucht einen sogenannten Bürgerdienst, der besonders die gesellschaftspolitischen Defizite im Modell des allgemeinen Wehrdienstes in den Blick nehmen soll. Sie unterstreicht, dass »das gegenwärtige Wehrdienstsystem ein effizientes Mittel ist, um die militärische Wehrfähigkeit Finnlands sowohl in Frieden als auch im Krieg sicherzustellen« (BUG 2018: 9). Somit geht die Studie davon aus, dass die Wehr­pflicht an sich beibehalten werden soll. Unter dem Modell des Bürgerdienstes versteht man hingegen »einen für

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Männer und Frauen gedachten Dienst, der sowohl den militärischen Dienst als auch den Zivildienst kombiniert«, dessen Ziel »die Unterstützung der Gesamtsicherheit in Ausnahmesituationen« ist (ebd.). Das Modell vom Bürgerdienst sieht vor, das Wehrdienstgesetz in ein Bürgerdienstgesetz umzuwandeln. Das neue Gesetz, und damit auch der Bürgerdienst, würde alle finnischen Bürger und Bürgerinnen im Alter von 18 bis 30 Jahren betreffen. Der Bürgerdienst würde einen Vorbereitungsdienst umfassen, der Wehrdienst und Zivildienst in ihrer jetzigen Form ersetzen würde. Der Wehrdienst an sich bliebe erhalten, wobei das Verteidigungsministerium und die finnischen Streitkräfte weiterhin für den Wehrdienst zuständig wären. Darüber hinaus würden die Streitkräfte das Recht behalten, ausreichend Personal für den Wehrdienst auszuwählen. Auf den Zivildienst in seiner jetzigen Ausprägung als Arbeitsdienst würde man verzichten; der Vorbereitungsdienst würde stattdessen insbesondere die zivile Krisenpräventionfähigkeit der finnischen Gesellschaft unterstützen. Eine wesentliche Veränderung wäre die Durchführung des Vorbereitungsdienstes als eines virtuellen und auf Punktebewertung basierenden Dienstes. Der Vorbereitungsdienst sollte bis zum 30. Lebensjahr absolviert worden sein. Dies könnte durch Teilnahme an spezifischen Kursen erfolgen, aus denen Schulungsmodule der zivilen Krisenprävention zusammengestellt würden. Als Motivation für die Absolvierung des Vorbereitungsdienstes schlägt die Studie einen Einkommenssteuerabzug bis zu einem bestimmten Alter vor. Diejenigen, die nicht an dem Vorbereitungsdienst teilnehmen, müssten dagegen mehr Steuern zahlen. Laut der Studie könnte man die Verpflichtung zum Vorbereitungsdienst auf drei Wegen erfüllen: 1. durch Teilnahme am Wehrdienst, 2. durch Teilnahme am Vorbereitungsdienst oder 3. durch Zahlen von Steuern (BUG 2018: 26). Der Bürgerdienst dient dadurch »auf einer breiteren gesellschaftlichen Basis der Sicherstellung der lebenswichtigen Gesellschaftsfunktionen während gefährlicher Krisensituationen oder Ausnahmelagen und würde damit auch dem Konzept von Gesamtsicherheit gerecht werden. Dies gilt besonders im Bereich von Bevölkerungs- und Umweltschutz, Rettungsdienst, Sozial- und Gesundheitspflege, Cyber- und Datensicherheit und Versorgungssicherheit« (BUG 2018: 9). Das übergeordnete Ziel des Modells des Bürgerdienstes bestehe daher darin, ein Handlungsmuster aufzustellen, das geeigneter scheint, auch auf die nicht-militärischen Bedrohungen einzugehen. Probleme erkannte die Studie aber vor allem darin, dass Gleichwertigkeit nur zum Teil in dem jetzigen Modell zur Geltung komme. Diese Probleme bestünden besonders in Hinsicht auf Geschlecht und die von der Dienstpflicht befreiten Gruppen wie die Åländer, Zeugen Jehovas, Doppelstaatsbürger, Dienstverweigerer und die sprachlichen, religiösen oder ethnischen Minderheiten (BUG 2018: 26). Generell stellt die Studie fest, dass das jetzige Auswahlverfahren zum Wehrdienst zwar militärisch berechtigt sein mag, sozial auf lange Sicht aber nicht mehr tragfähig ist. Die Studie löste eine lebhafte Diskussion in der finnischen Öffentlichkeit aus. Ein Problem wurde darin erkannt, dass man »einerseits durch den militärischen Wehrdienst versucht habe, ein Idealbild des finnischen Mannes als physisch starken und einer gesunden Lebensweise folgenden Bürgersoldaten zu beschreiben, während man dabei immer gefürchtet habe, dass diejenigen, die diesem



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Ideal nicht gerecht werden, als Bürger 2. Klasse identifiziert werden würden. Anderseits sei das Absolvieren des Wehrdienstes für unterschiedliche soziale, marginalisierte Gruppen wie sexuelle Minderheiten aber auch ein Mittel gewesen, die Erfüllung ihrer staatsbürgerlichen Pflicht in den Augen der restlichen Nation zu demonstrieren. Darüber hinaus habe man den Wehrdienst auch als eine Möglichkeit verstanden, die Migranten in die Gesellschaft oder aber auch in die finnische Nation zu integrieren« (Salomaa 2018).

Es ist fraglich, ob das Modell des Bürgerdienstes die Probleme der Gleichwertigkeit in den Streitkräften lösen könnte. Wie Salomaa schreibt, »war es unter den französischen und preußischen Wehrdienstsystemen im 19.  Jahrhundert zum Beispiel möglich, sich mit einer Zahlung von der Wehrpflicht zu befreien, was der armen Arbeiterklasse verwehrt war, während die Mittelklasse und die Oberschicht dem Dienst durch ihre finanziellen Ressourcen besser entkommen konnten« (Salomaa 2018). Die steuerlich­e Abgeltung eines als national zu verstehenden Dienstes ist daher äußerst problematisch, was die Gleichwertigkeit betrifft. Eine weitere wichtige Herausforderung des Bürgerdienstes besteht darin, dass er unausweichlich das Verständ­nis von allgemeiner Wehrpflicht als Verknüpfung zwischen dem Einzelnen, dem Staat und der Nation in Frage stellen würde. Während diese Verknüpfung vorwiegend historisch begründet ist, hat sie immer noch eine besondere gesellschaftspolitische Bedeutung in Finnland, was nur bedingt mit einem allgemeinen Bürgerdienst zu erreichen ist. Denn wenn die Freiheiten und Pflichten eines Einzelnen in Bezug auf den Staat im Kontext eines nationalen Dienstes sich ausschließlich unter dem Begriff des »Bürgers« subsumieren ließen, würde das etliche andere Gruppen und Minderheiten ausschließen, die aber auch dem Staat gegenüber über besondere individuellen Freiheiten verfügen und besondere Pflichten in Kauf nehmen müssen. Dass die Nation mehr ist als die Summe ihrer Staatsbürger, wird im BUG dahingehend berücksichtigt, dass man »bei der Evaluierung des Bürgerdienstes auch die Rolle derjenigen, die eine Aufenthaltserlaubnis haben, in Bezug auf die Gesamtsicherheit in Betracht ziehen sollte« (BUG 2018: 22). Ein erhebliches Problem aus Sicherheits- und Verteidigungspolitischer Sicht ebenso wie hinsichtlich der gesellschaftlichen Gesundheit ist, dass das BUG für die Förderung des Sports im Allgemeinen ebenso wenig einen Beitrag leistet wie für die Förderung des Militärsports im Speziellen. Was auch oft relativ wenig Beachtung in der finnischen öffentlichen Debatte findet, ist die Tatsache, dass nur wenige Finnen für die Gleichbehandlung der Geschlechter in Bezug auf den allgemeinen Wehrdienst eintreten. Die überwiegende Mehrheit der Bürger findet die gegenwärtige Gesetzgebung, die freiwilligen Wehrdienst für Frauen ermöglicht, völlig ausreichend (vgl. Finnischer Rundfunk 2019). Ein finnischer Schriftsteller beschrieb die Situation sogar als ›blinden Fleck‹ in der sich sonst als Vorreiter in Geschlechtsfragen und Gleichwertigkeit verstehenden finnischen Gesellschaft (Ohisalo/Kotro 2019). Wenn man aber die Geschlechtsfragen mit der Frage nach Gleichwertigkeit im Kontext von Sport, Sportausbildung und physischer Leistung in den finnischen Streit­kräften betrachtet, würde eine Pflichtwahl zwischen dem Vorbereitungsdienst und dem freiwilligen Wehrdienst für Frauen keine wirkliche auf Gleichwertigkeit basierende Lösung darstellen. Denn die sportlichen und physischen Kriterien für die Absolvierung des

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Wehrdienstes sind für beide Geschlechter in den finnischen Streitkräften gleich, und das vorgeschlagene Modell vom Bürgerdienst ignoriert diesen Aspekt. 2020 wurde eine parlamentarische Ermittlungsgruppe eingesetzt, um die Entwicklungsbedürfnisse des allgemeinen Wehrdienstes und die weiteren Aussichten für einen Bürgerdienst zu erörtern. Hinter diesem Ermittlungsverfahren steckt die Erfahrung, dass immer weniger junge Männer Wehrdienst leisten. Etwa 20 000 Wehr­ pflichtige beginnen ihren Wehrdienst jedes Jahr, davon sind etwa 1000 bis 1500 Frauen, die bekanntlich freiwillig in die Streitkräfte eintreten. Laut des Kom­man­ deurs der finnischen Landstreitkräfte Generalleutnant Petri Hulkko würde etwa ein Drittel der Männer in den aktuell betroffenen Altersklassen den Wehrdienst nicht absolvieren. Die Gründe seien meistens auf psychische und nicht auf physische Probleme zurückzuführen, so die finnische Tageszeitung »Savon Sanomat« (2020). Eine Umfrage über die vorzeitige Quittierung des Wehrdienstes unter den Wehr­ pflichtigen, die Ende 2018 und Anfang 2019 durchgeführt wurde, vermittelt aber ein anderes Bild: Rund 54  Prozent der Befragten nannten gesundheitliche oder physische Gründe für die vorzeitige Quittierung ihres Dienstes. Diesen Trend habe man, so Hulkko, dadurch bekämpft, dass man versuchte, Anforderungen so umzudefinieren, dass alle Wehrpflichtigen ihren Dienst leisten könnten. Nicht jeder Wehrpflichtige müsse »Sturmgewehrkämpfer« werden. Die neuen Aufgaben finden sich zum Beispiel in Cyber-Tätigkeiten. Jeder Wehrpflichtige sollte in einem bestimmten Bereich reüssieren und dadurch ein positives Erlebnis aus der Dienstzeit für das weitere Leben mitnehmen (Savon Sanomat 2020). Insgesamt sinkt damit aber die durchschnittliche Anforderung an die körperliche Leistungsfähigkeit im Wehrpflichtmodell; im Modell des Bürgerdienstes ist mit noch stärkerem Rückgang der körperlichen Leistungsfähigkeit zu rechnen. Aus organisationaler Sicht kommt der Digitalisierung in der Planung und Ausarbeitung der sportlichen und militärsportlichen Ziele in den Finnischen Streit­ kräften eine immer wichtigere Rolle zu. Das lässt sich am Beispiel einer besonderen Handy-App »MarschMarsch« demonstrieren, die als Pilotprojekt in den sozialen Medien der Streitkräfte im Jahr 2012 eingeführt wurde. Dieses Projekt folgte einem Trend der sich polarisierenden Entwicklung in Bezug auf die Wehrpflichtigen, die sich vor ihrem Dienstbeginn entweder in einer sehr guten oder sehr schlechten physischen Kondition befanden. In der App konnte jeder Wehrpflichtige die eigene physische Kondition selbst evaluieren. Die App empfahl dann gemäß den angegebenen Informationen ein Fitnessprogramm, was den Wehrpflichtigen dabei half, die Kondition drastisch zu verbessern und dadurch eventuell die erwünschte Dienstposition zu erwerben. Inzwischen ist diese App für alle Finnen zugänglich. Die Ergebnisse über Benutzung der App wurden laut den Befragten in zwei kleinen Umfragen ermittelt. Die Hauptbefunde weisen darauf hin, dass wohl nur ein kleiner Teil der Wehrpflichtigen diese App tatsächlich benutzt hat. Trotzdem sei den Antworten derjenigen Wehrpflichtigen, die in der Umfrage als schlecht trainiert oder übergewichtig identifiziert wurden, zu entnehmen gewesen, dass diese mit der App insbesondere in Bezug auf die Zunahme physischer Aktivität, die Verbesserung der Kondition und die Abnahme des Gewichts sehr zufrieden gewesen seien. Im Entstehen ist nun eine breiter angelegte Umfragestudie über Sportverhalten und die



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Benutzung der MarschMarsch-App für die Jahre 2020 und 2021. Diese Umfrage werde unter all denjenigen Wehrpflichtigen durchgeführt, die ihren Dienst in den Klassen 2/2020 bis 1/2021 begonnen haben. Grundsätzlich könne man – so die für diesen Artikel Befragten – die App als Erfolg bezeichnen, aber man wünsche sich mehr Ressourcen für ihre Vermarktung, damit die Benutzerzahlen steigen. Diese Erkenntnisse der Befragten werden von einer weiteren Studie untermauert. Die Anzahl derjenigen Wehrpflichtigen, die ihren Dienst vorzeitig oder abrupt beendeten, ging zwischen 2008 und 2018 von 19 Prozent auf 15 Prozent zurück. Auch in diesen Fällen liegt der Grund für das vorzeitige Dienstende überwiegend an psychischen Problemen. Nur wenige dieser Wehrpflichtigen nehmen später den Dienst wieder auf (Finnischer Rundfunk 2019).

4. Fazit Laut den für diesen Artikel Interviewten haben sich Sport und Sportausbildung in den finnischen Streitkräften angesichts der großen strukturellen Herausforderungen in den letzten zehn Jahren relativ gut entwickelt. Trotzdem gibt es auch Problemfelder in diesem Bereich und diese betreffen nicht nur strukturelle Fragen, sondern den Rhythmus des militärischen Alltags in der finnischen Armee. Besonders deutlich wird dies bei der Verknüpfung von Training und Studium von Berufssportlern im Militär. Zugleich muss man die breiteren gesellschaftlichen Entwicklungen betrachten und feststellen, dass sich allmählich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für den allgemeinen Wehrdienst ändern, obgleich er eine Konstante in der finnischen Verteidigungspolitik und Gesellschaft bleibt. Die gegenwärtigen finnischen Debatten über die Gleichwertigkeit von Bürgerdienst und Wehrdienst zeigen dies deutlich. Diese Änderungen werden auch den Sport und die Sportausbildung in den Streitkräften betreffen. Im Bereich des Spitzensports ist es zum Beispiel schon daran zu erkennen, dass nur sehr wenige neue Berufssportler sich für eine Karriere in den Streitkräften entscheiden und offensichtlich ein Rückgang der körperlichen Leistungsfähigkeit insgesamt festzustellen ist. Man sollte dabei aber nicht vergessen, dass die Förderung von Sport im Militär eine Aufgabe ist, die sich positiv auf den Verteidigungswillen der finnischen Bevölkerung insgesamt auswirkt. Die Sportausbildung in den finnischen Streitkräften unterstützt damit die Idee der Gesamt­sicherheit in dem Sinne, dass jeder Wehrpflichtige das Seine durch Aufbau und Erhalt der eigenen körperlichen Leistungsfähigkeit beitragen kann. Laut den Befragten sei die Förderung von Sport und Training daher nicht nur ein übergreifendes Ziel im finnischen Militär, sondern sie sollte auch eine breitere gesellschaftliche Öffentlichkeit für den allgemeinen Wehrdienst interessieren. Der Sport im Militär zielt darauf, die jungen finnischen Frauen und Männern mit nützlichen sozialen und physischen Fähigkeiten für die Verteidigung und das spätere Leben zu versorgen und selbst unmittelbar zur allgemeinen Gesundheit und zum Gemeinwohl positiv beizutragen.

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Antti Seppo

Literatur Finnische Regierung (2019): Virkamiesselvitys kansalaispalveluksen viranomaistarpeesta [Ermittlung der Beamtengruppe zu den Bedürfnissen in Bezug auf den Bürgerdienst in den Ressorts], Veröffentlichung des Sicherheitskommittees, 20. März 2019, VN/468/2019, . Finnischer Rundfunk (2019): Ylen kysely. Suomalaiset tyrmäävät yhä naisten asevelvollisuuden [Umfrage des Finnischen Rundfunks: Die Finnen lehnen immer noch den Wehrdienst für die Frauen ab], 26. Juni 2019, . Finnisches Verteidigungsministerium (2010): Sicherheitsstrategie für die finnische Gesellschaft, 16. Dezem­ber 2010, . Hakahuhta, Ari/Stenroos, Maria (2020): »Jo joka kolmas mies jättää armeijan käymättä – Maavoimien mukaan yhdessä asuminen ahdistaa osaa miehistä« [»Jeder dritte Mann absolviert den Wehrdienst nicht – Laut den Landesstreitkräften peinigt das Zusammenwohnen einen Anteil der Männer«], Finnischer Rundfunk, 12. Februar 2020, . Häkkinen, Teemu (2019): Velvollisuus puolustaa omaa maata on yhä voimissaan Euroopassa [Die Pflicht zum Wehrdienst in Europa befindet sich weiter bestärkt in Europa], 13. November 2019, The Ulkopolitist, . Huhtanen, Jarmo (2018): »Huippu-urheilijoiden kevennetty palvelus siirtyy historiaan – Armeija puuttuu urheilijoiden erioikeuksiin« [»Der erleichterte Dienst von Spitzensportlern geht in die Geschichte ein«], Helsingin Sanomat, 21. Mai 2015, . Laitinen, Kari/Nokkala, Arto (2005): Suomalainen asevelvollisuus: historiaa, haasteita ja tulevaisuutta [Der Finnische Wehrdienst: Geschichte, Herausforderungen und Zukunft], Puolustusministeriön julkaisuja; No. 1/2005. Helsinki: Puolustusministeriö. Malinen, Johanna (2019): »Monen armeija-aamut päättyvät kahden ensimmäisen viikon aikana – lue neljä faktaa varusmiespalveluksen keskeyttämisestä« [»Viele Wehrpflichtige beenden ihren Dienst in den ersten zwei Wochen – vier Fakten zum Unterbrechen des Wehrdienstes«], Finnischer Rundfunk, 8. Juli 2019, . Mälkki, Juha (2013): Kansalaissotilaiden armeijan nykyisyys – tahto, tottumus ja välttämättömyys [Die Gegenwart der Armee der Bürgersoldaten – Willen, Gewohnheit und Notwendigkeit]. In: Mäkinen (ed.) 2013, Asevelvollisuuden tulevaisuus [Die Zukunft des Wehrdienstes], Maanpuolustuskorkeakoulu, Julkaisusarja 2, 65‑82. Ohisalo, Maria/Kotro, Arno (2019): Sinua on petetty. Kirjoituksia suku-puolten tasa-arvosta [Du bist verraten worden. Aufzeichnungen über die Gleichwertigkeit der Geschlechter], Like, 2019. Raninen, Kaj (2020): »Kansalaispalvelus on toteuttamiskelvoton idea« [»Der Bürgerdienst ist undurchführbar«]. In: Finnischer Waffendienstverweigererverband, 22.  Januar 2020,  . Rehn, Elisabeth (2018): Kansalaispalvelus kokonaisturvallisuuden tueksi – selvitys [Bürgerdienst zur Unterstützung der Gesamtsicherheit – Rapport], The Bank of Finland, 23.  Mai 2018, . Salomaa, Hannu (2018): Keskustelu asevelvollisuuden tulevaisuudesta käy kiivaana – uusi raportti ehdottaa kansalaispalvelusta, jossa nuorella on kolme vaihtoehtoa [Die Diskussion über die Zukunft des Wehrdiensts ist voll im Gange], Vieraskynä, The Ulkopolitist, 12. Juni 2018, . Savon Sanomat, Redaktion (2020): »Maavoimien komentaja toivoisi asepalveluun moninkertaisen määrän naisia« [»Der Kommandeur der Landstreitkräfte wünscht sich viele den Wehrdienst absolvierende Frauen«], Savon Sanomat, 12.  Februar 2020, . Seppo, Antti/Forsberg, Tuomas (2013): ›Finland‹. In: Biehl, Heiko/Giegerich, Bastian/Jonas, Alexandra (Hrsg.): Strategic Cultures in Europe. Across the Continent, Berlin: Springer VS, 113‑125. Tilastokeskus (2020): Maanpuolustustahto [Verteidigungswillen] 1970‑2019, Data-Archiv der Finni­schen Gesellschaftswissenschaften, Findikaattori Statistic, 4. Februar 2020, .

Daniel Lange

»Diplomaten unseres souveränen sozialistischen Staates im Sportdress«. Zum militärsportpolitischen Engagement der DDR in Afrika Einordnung Was hatte die Armeesportorganisation der DDR in Afrika zu suchen? Daniel Lange widmet sich in seinem Beitrag auf Basis seiner sportpolitischen Dissertation »Turnschuhdiplomatie« (Universität Potsdam) der Verflechtung von militärsportlichen und außenpolitischen Aktivitäten der DDR in Afrika. Nachdem Lange (2011) bereits über den Polizeieinsatz beider deutscher Staaten 1989/90 in Namibia im Rahmen einer Friedensmission der Vereinten Nationen geforscht hat (»Auf deutschdeutscher UN-Patrouille«), wendet er sich hier am Beispiel der Allafrikaspiele 1973 in Nigeria dem militärsportlichen Afrika-Engagement der DDR zu. Er arbeitet heraus, wie auch der Militärsport in den Dienst einer auf die formale staatliche Anerkennung gerichteten Außenpolitik der DDR in Afrika gestellt wurde. Autor Daniel Lange, Dr. phil., Historiker und Sportwissenschaftler, forscht und lehrt am Institut für Leistungssport und Trainerbildung der Deutschen Hochschule für Ge­sundheit und Sport in Berlin. Er arbeitet insbesondere über internationale (Sport-)Beziehungen und ist Vorstandsmitglied Sport der Deutsch-Namibischen Gesellschaft. Seine Dissertation wurde von der Bundesstiftung Aufarbeitung gefördert. Zudem erhielt er ein Promotionsstipendium.

1. »Preußischer Drill« in Nigeria? Anfang 1973 berichtete die (west-)deutsche Presse erstaunt über die Massensportschau zur Eröffnung der zweiten Allafrikanischen Kontinentalspiele im nigerianischen Lagos mit 1000 Soldaten als »seltsame Mischung von preußischem Drill und nigerianischen Volkstänzen« (Schmickler 1973: 48). Die Grundlage dafür hatte am 2. Februar 1972 mit Armeegeneral Heinz Hoffmann der Verteidigungsminister der DDR geliefert. Er ließ den Präsidenten des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB) und einflussreichsten Sportfunktionär der DDR Manfred Ewald wissen, sein Ministerium könne sich der Einstudierung der öffentlichkeitswirksamen

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Daniel Lange

Show annehmen und dafür »den nigerianischen Organen einige Sportoffiziere der Nationalen Volksarmee (NVA) zur Verfügung stellen«.1 Details seien mit dem Vorsitzenden der dem Ministerium für Nationale Verteidigung (MfNV) zugeordneten Armeesportvereinigung Vorwärts (ASV), Oberst Arno Mücke, zu klären.2 Im Juli 1972 reiste eine Delegation der ASV um Oberstleutnant Kurt Greiner-Pol, Musikdirektor der NVA, nach Nigeria, um »die sportlichen, musikalischen und organisationsmethodischen Voraussetzungen und Bedingungen«3 für die Gestaltung der Massenchoreographie auszuloten.

2. Außenpolitisch-weltanschauliche Einbettung des Sports in der DDR Während zur Sport- (Teichler 2002; Spitzer et al. 1998) und Außenpolitik der DDR (Wentker 2007) sowie zu ihren Armeeverbindungen nach Afrika (Storkmann 2012) umfangreiche Arbeiten vorliegen, steht eine Analyse zur Geschichte der Armee­ sportvereinigung Vorwärts bzw. ihrer Armeesportklubs (ASK) und ihrer Aus­ landsbeziehungen noch aus. Diese werden hier (in Ergänzung des Beitrags von Wenzke zum Armeesport der DDR in diesem Band) an einem Beispiel der Afrikapolitik der DDR beleuchtet (vgl. u.a. Lange 2022a; Lange 2021a; Lange 2019; Lange 2012). Die weithin bekannten Rahmenbedingungen seien nur kurz erwähnt: Die Hallstein-Doktrin der Bundesrepublik drohte ab 1955 auch afrikanischen Ländern mit Sanktionen, sollten sie mit (Ost-)Berlin diplomatische Beziehungen eingehen, welche für die herrschende Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) in ihrem Ringen um internationale diplomatische Anerkennung der DDR stets oberste Priorität besaßen. Erst als sich 1969/70 Ägypten, der Sudan, Somalia, Algerien und Guinea auf diplomatische Beziehungen mit der DDR einließen, büßte die Hallstein-Doktrin in Afrika allmählich ihre exkludierende Wirkung ein. Die (Ost-)Berliner Afrikapläne waren in die von der SED nach sowjetischem Muster propagierte Weltanschauung eingebettet, sozialistische Gesellschaften aller Erdteile würden in einer Entwicklung hin zum Kommunismus eine globale Allianz bilden, wobei den (speziell ab 1960 unabhängig werdenden) Staaten Afrikas eine tragende Rolle zukam. Sie galten neben dem ›real existierenden Sozialismus‹ unter anderem im Warschauer Pakt sowie den kommunistischen Parteien und der Arbeiterklasse in westlichen Ländern als dritter ›Hauptstrom‹ eines ›revolutionären Weltprozesses‹, in dem der Marxismus-Leninismus als Leitideologie, das Feindbild Kapitalismus und das Endziel Kommunismus miteinander verflochten sein sollten. Daraus speiste sich die Maxime der DDR, ihr Verfassungscredo von Frieden und Völkerverständigung nach außen als antiimperialistische Solidarität zu vertreten, 1

2 3

Stiftung Archiv der Parteien- und Massenorganisationen der DDR (SAPMO), DY12/3793/503 ff., Bestand: DTSB-Sekretariat Günther Heinze (DTSB-Vizepräsident für Internationales), H. Hoff­ mann an M. Ewald, 2.2.1972. Ebd. Ebd., 420  ff., Arbeitsbericht der Sportdelegation der ASV in der Bundesrepublik Nigeria, 4.8.1972, 1.



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wodurch sich eine ideologische Brücke zur ›internationalen Befreiungsbewegung‹ schlagen ließ, die sich aus den Befreiungsorganisationen und den schon entkolonialisierten jungen Nationalstaaten Asiens, Afrikas und Lateinamerikas zusammensetzte. Dass sich die DDR qua Verfassung antiimperial, antifaschistisch, antirassistisch und antikolonial gab, erleichterte ihr den politischen Zutritt zum von Kolonialherrschaft und Apartheid geprägten Afrika mindestens atmosphärisch und ermöglichte es ihr, sich auch in Afrika im Dauerkonflikt mit der Bundesrepublik als das ›bessere‹ Deutschland darzustellen. Die dreidimensional angelegte Außenpolitik der DDR bestimmte zuallererst die sich als ›marxistisch-leninistische Kampfpartei neuen Typs‹ gebende SED mit ihrem Politbüro als Machtzentrale, die dem öffentlichen Leben (und somit auch dem Sport) in der DDR ihre ideologisch-politischen Prämissen aufzwängte und sich dafür in der Verfassung eine ›Führungsrolle‹ zuschrieb. Das betraf auch Auslandsfragen, die sie im Zentralkomitee (ZK) über die Abteilung für Internationale Verbindungen und oft über den Generalsekretär des ZK (erst Walter Ulbricht, dann Erich Honecker) steuerte. Die damit verknüpften internationalen Beziehungen der SED zu anderen sozialistischen/kommunistischen Parteien galten ihr noch vor offiziellen Staatskontakten als Herzstück der DDR-Außenpolitik, die staatliche Institutionen umzusetzen hatten. Zuständig dafür war das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten (MfAA), im Sport galt dies formal für das Staatliche Komitee (StaKo, ab 1970 Staatssekretariat) für Körperkultur und Sport und ihm unterstellte Einrichtungen wie die Deutsche Hochschule für Körperkultur (DHfK). Ihre Auslandsprojekte waren Teil der internationalen kulturell-wissenschaftlichen (teils auch der wissenschaftlich-technischen) Zusammenarbeit des MfAA in Verbindung mit weiteren Ministerien, etwa für Außenhandel. Schließlich hatten sich die SED-gelenkten Massenverbände wie die Freie Deutsche Jugend oder der 1957 gegründete DTSB (in dem die ASV Mitglied war) international zu engagieren. Da ihm der bereits erwähnte Ewald vorstand (seit 1963 im ZK der SED), hatte auch in der Sportauslandsarbeit der DTSB gegenüber dem StaKo stets das Sagen. Eine zentrale Rolle spielte Günther Heinze als DTSBVizepräsident für Internationale Verbindungen. In diesem Umfeld sollten Außenpolitik und Sport eine »organische Verbindung« bilden (Westphal 1977: 43). Als FDJ-Vorsitzender hatte Honecker bereits 1948 betont, »von einer rein technischen, unpolitischen Sportbewegung« sei »ganz bewusst« abzusehen, der Sport sei »Mittel zum Zweck«4. Das schloss die außenpolitische Inszenierung von Sportlern ein. Schon im Juni 1955 schärfte DDR-Präsident und Politbüromitglied Wilhelm Pieck Athleten in seinem Amtssitz Schloss Schönhausen ein, dass »jede große Leistung im friedlichen und kameradschaftlichen sportlichen Wettkampf auch das Ansehen unserer Republik in der Welt stärkt.« »Jeder Sportler, der an den Start geht«, so Pieck, »muss sich bewusst sein, dass er für das Ansehen seiner Heimat kämpft«5. Ab jetzt wurden Athleten in der DDR öffentlich als 4

5

Deutsches Sportecho, Sportler – Kämpfer für den Frieden. Sport ist nicht Selbstzweck: Rede E. Honeckers bei der Gründung des Deutschen Sportausschusses (Vorgängerbund des DTSB, 1.10.1948), 4.10.1948, 1. SAPMO, DY 30/33231, Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Bestand W. Pieck: Schriftlicher Entwurf von W. Pieck, 22.6.1955. Dazu: Neues Deutschland, Spitzensportler und

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Daniel Lange

Diplomaten deklariert.6 Ihre Zustimmung zur SED und somit zur (Außen-)Politik der DDR setzte die Partei dabei zwingend voraus, ungeachtet der Meinung der Sportler. Sie seien«, so SED-Chef Ulbricht 1961, »mit dem ganzen Volk, dem Staatsrat, der Regierung, in der Arbeit für den Frieden, für den Sozialismus und das Glück des ganzen Volkes auf das engste miteinander verbunden. Es gibt keine unterschiedlichen, keine gegensätzlichen Interessen.«7 Der DTSB hatte deshalb an der »Erziehung der Sportlerinnen und Sportler im Geiste des sozialistischen Patriotismus und proletarischen Internationalismus mitzuwirken. Durch zielstrebige politisch-ideologische Arbeit werden sie zu guten und unerschütterlichen Freunden der Sowjetunion und der anderen Staaten der sozialistischen Gemeinschaft erzogen, üben sie antiimperialistische Solidarität mit allen um ihre Freiheit und Unabhängigkeit kämpfenden Völkern« (Wonneberger 1982: 206). In seinem ersten Afrikakonzept für die DDR trug das Politbüro der SED daher dem DTSB und seinen Sportverbänden am 4.  Januar 1960 auf, »dem sportlichen Austausch mit Afrika größere Beachtung als bisher zu widmen und sportliche Wettkämpfe mit afrikanischen Nationalmannschaften zu organisieren«8. Denn Sportler der DDR sollten jetzt noch »Sendboten eines neuen, besseren Deutschlands« sein, um »die Ehre der deutschen Nation in Afrika zu vertreten« (Gitter 1962: 515) – ein gesamtdeutscher Anspruch (trotz bereits erfolgtem Mauerbau), der zunehmend auf eine dauerhafte separate Existenz der DDR verschoben und aus der öffentlichen Wahrnehmung getilgt wurde (vgl. Lange 2021b).

3. Ursprünge der Afrika-Beziehungen des DDR-Sports Das Einfallstor nach Afrika stand für die DDR in Kairo, der Schlüssel dazu lag aber in Moskau. Im Sog früher Vorstöße der Sowjetunion in Afrika9 hatte der ›große Bruder‹ die sozialistischen Staaten gedrängt, die regionale Einflussnahme Moskaus mit einem aktiveren Auftreten in Nahost und Nordafrika zu flankieren. Eingebettet in ihr eigenes Bemühen um erste bilaterale Verträge im nordafrikanischen Raum (oft Handels- oder Zahlungsabkommen), bahnte die DDR ab Mitte der 1950er Jahre erste Sportkontakte dorthin an, so über Gäste aus Afrika bei den Deutschen Turnund Sportfesten 1956 und 1959 oder mit ersten Duellen gegen bereits unabhängige Staaten wie Marokko (1957/59, Hockey), Tunesien (1958, Volleyball) und Ägypten (1957, Hockey/Boxen/Radsport).

6 7 8

9

Trainer beim Präsidenten, 23.6.1955, 2 f. Der Leichtathlet, Sportler sind gute Diplomaten, 22/1956, 31.5.1956, 3. Aus der Rede W. Ulbrichts bei den III. Nordischen Skiwettkämpfen in Klingenthal im Januar 1961, zitiert in: Der Leichtathlet, Sport und Frieden gehören zusammen, 5/1961, 2.2.1961, 66. SAPMO, DY 30/J IV 2/2/682/37, Bestand: Protokolle des Politbüros des ZK der SED, Afrika-Be­ schluss des Politbüros 1960, 11, Punkt X/6: Empfehlung an den DTSB und seine Fachverbände, 4.1.1960. Nach ihrer Unabhängigkeit hatten Libyen (1951), Ägypten (1952), Tunesien, Marokko und der Sudan (alle 1956) bereits diplomatische Beziehungen zur Sowjetunion aufgenommen; 1955 kamen Liberia und 1959/60 Ghana, Mali, Togo, Guinea, der (ex-belgische) Kongo sowie Somalia hinzu.



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Jene zaghaften außenpolitischen Spielräume gewährte die UdSSR als alliierte Kon­trollmacht der DDR, als sie 1955 dort den Kriegszustand aufhob, ihr formal ihre Souveränität bestätigte und in Reaktion auf den NATO-Beitritt der Bun­des­ re­publik ihre Mitgliedschaft im Warschauer Pakt forcierte. Ägypten selbst strebte ab 1952 nach einem eigenständigen arabischen Sozialismus. Zugleich knüpfte die Bundesrepublik diplomatische Beziehungen mit Kairo (1952), bemühte sich nach dem Terror des ›Dritten Reiches‹ aber auch um einen Ausgleich mit Israel, was die arabische Welt pikierte. Moskau brach seine Bande mit Jerusalem daher angesichts arabischer Interessen 1953/54 ab, weshalb die DDR dem sowjetischen Kurs folgte und in Nordafrika aktiver wurde, unter anderem über eine eigene Handelsvertretung in Kairo ab 1954. Der 1956 eskalierende Konflikt in der Suez-Krise zwischen Ägypten und der Allianz aus Israel, Frankreich und Großbritannien bot ihr die Chance, sich am Nil zu profilieren. Die SED gab gegen das aus ihrer Sicht imperialistische Trio die Parole ›Ägypten den Ägyptern!‹ aus und schnürte diesen nun ein Hilfspaket aus den Reserven seiner staatlichen Einrichtungen, woran sich die DHfK mit der Bereitstellung von Sportgeräten beteiligte.10 Nach Ägypten, das 1955 erstmals an der Friedensfahrt – der bis 1989 international bedeutendsten Amateurradrundfahrt – teilnahm, wurden nun erfolgreiche Athleten als Aushängeschilder der DDR entsandt. So traten 1957 Radstar Täve Schur bei der Ägypten-Rundfahrt oder 1960 Eva Johannes und Horst Stahlberg in Kairo an, die das dortige internationale Tennisturnier gewannen und von der SEDregulierten Presse sogleich eingespannt wurden:

»Sportler sind auch gute Diplomaten; überwiegend sind es sogar glänzende Repräsentanten ihres Landes, die durch ihre Erfolge und ihr Auftreten sehr viel zur Ehre und zum Ruhme der Heimat zu tun vermögen [...] Wer den Ruhm und das Ansehen seiner Heimat mehrt, der erhält bei uns auch die volle Anerkennung.«11

Diese Worte markierten klar diplomatische Ziele. Zu dieser Zeit pflegte die DHfK bereits über das ägyptische Erziehungsministerium stete Kontakte zu den beiden Instituten für Körpererziehung für Männer und Frauen in Kairo und Alexandria; 1958/59 hatte sie ägyptische Sportlehrer fortgebildet und im Januar 1958 zur Gründungsfeier der Vereinigten Arabischen Republik (VAR, ein bis 1961 bestehender Staat, der sich aus Ägypten, Syrien und Jemen zusammensetzte) in Kairo eine Turnschau von DHfK-Trainer Rudolf Fischer einstudieren lassen. Mehrmals entsandte die DHfK zwischen 1957 und 1959 Sportlehrer und Trainer in das Land der Pharaonen, die dessen Sportler teils auch bei internationalen Turnieren in sozialistischen Staaten betreuten (Turnen, Leichtathletik).12

10 11 12

Der Speer [Organ der Parteileitung der SED der DHfK], DHfK pflegt freundschaftliche Be­zie­ hungen zur VAR, 20.4.1961, 3. Tennis [Organ des Deutschen Tennisverbandes der DDR], Ihrem Vorbild nacheifern, 4/1960, 2. Entsandt wurden u.a.: Günter Buchmann (Turnen, 1957), Rudolf Fischer (Nationaltrainer Turnen, 1958/59, u.a. zur Weltmeisterschaft 1958 in Moskau), Helga Buchmann (Turnen, 1959), Gerhard Feck (Volleyball, 1958/59, u.a. Trainer Ägyptens bei der Europameisterschaft 1958 in Prag), KarlHeinz Langhoff (Leichtathletik, 1959), Annemarie Ritter (Leichtathletik, 1959).

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Daniel Lange

4. Erste Verbindungen des Armeesports nach Ägypten Im Zuge dessen kam es bald zu ersten Armeesportkontakten mit Ägypten. Im Mai 1956 wurde mit Gerhard Gralla der (in Betonung der Eigenstaatlichkeit der DDR so bezeichnete) »Staatstrainer« der Ruderauswahl der DDR nach Ägypten »delegiert«, um den dortigen Rudersport anzuleiten, wobei er »den größten Teil seiner Zeit unter Studenten und Angehörigen der ägyptischen Polizei und der Armee« verbrachte.13 Wenig später kamen im Oktober 1956 ein Architekt und ein Judoka (als Sportoffizier) der ägyptischen Armee nach Leipzig, um Aufbau und Funktion der DHfK kennzulernen.14 Und nachdem im Juni 1956 in (Ost-)Berlin ein erster Länderkampf gegen Ägyptens Boxauswahl stattgefunden hatte, trat die Boxstaffel der DDR im November 1957 mit ihrem ersten Olympiasieger Wolfgang Behrendt (1956, Melbourne) unter anderem in Alexandria gegen eine ägyptische Armeeauswahl an. Derlei frühe Afrikakontakte des Armeesports entsprachen den Vorgaben der SED zum Auslandssport, die ab 1955 über erste Eintritte der DDR in Weltsportbünde, die Annäherung an den Arbeitersport Europas, den innerdeutschen Sport und den Warschauer Pakt hinausgingen. So reisten 1955 Turner und 1957 Schwimmer und Leichtathleten erstmals nach China. Im Februar 1955 wies das ZK der SED an, dass »jedes internationale Sporttreffen die Stärke des ersten deutschen Arbeiterund Bauernstaates der DDR widerspiegeln und zur Hebung seines internationalen Ansehens beitragen muss«. Duelle gegen »befreundete Länder« hatten »ehrenvoll bzw. erfolgreich zu verlaufen«; gegen »kapitalistische Länder« war »unbedingt der Sieg der Sportler der DDR zu gewährleisten«.15 Solche Länderkämpfe erfasste im Parteiapparat ab August 1955 der Sektor Sport der ZK-Abteilung Sicherheit. Dieser hatte alle relevanten Sportinstitutionen – also auch das Staatliche Komitee und ab 1957 der DTSB – »politisch und fachlich« zu regulieren, zu »kontrollieren, wie die Beschlüsse der Partei für die Arbeit auf dem Gebiet von Körperkultur und Sport [...] angewandt [werden] und ihre Verwirklichung erfahren« sowie eine »ständige Kontrolle und Einflussnahme« auf die »internationalen Sportbeziehungen« der DDR auszuüben.16 Als der DTSB 1957 vor den Weltjugendfestspielen in 13 14 15

16

Alle Zitate aus dem Fachorgan der Sektion Rudern der DDR: Skull und Riemen, Ägypten, wie es heute aussieht, 2/1957, 30. Der Speer [hier noch Mitteilungsblatt und noch nicht Parteiorgan der SED an der DHfK], Zwei, die aus Ägypten kamen, 18/1956, 19.11.1956, 1. Alle Zitate SAPMO, DY30/J IV 2/3/A449, Bestand: Sekretariat des ZK der SED, Protokoll Nr. 8/55 der Sitzung des ZK-Sekretariates, Anlage 3, Prinzipien über die Aufstellung des Internationalen Terminkalenders, Pkt. 2, 23.2.1955 (nach Teichler 2002: 308). Als potenzielle Wettkampfpartner genannt wurden hier: die UdSSR, die sozialistischen »Volksdemokratien«, skandinavische Länder, Frankreich, Italien, Belgien, Holland, Dänemark, Österreich und die Schweiz. Beide Zitate SAPMO, DY30/IV  2/18/1, Bestand ZK-Abteilung für Sicherheitsfragen: Die Auf­ gaben des Sektors Sport, Dokument der ZK-Abt. Sicherheitsfragen, 13.9.1957 (nach Spitzer et al. 1998: 82 f.). Der Wirkungsbereich des Sektors Sport (später Arbeitsgruppe Sport/Abteilung Sport) beim ZK sollte allumfassend sein und war u.a. auf die Kontrolle der DTSB-Sportverbände, der DHfK, der DTSB-Sportschulen, des Sports in den Medien, des NOK, aber auch auf »die Ein­fluss­ nahme auf die Entwicklung der Sportarbeit in der Nationalen Volksarmee und in den Organen des Ministeriums des Innern und der Staatssicherheit« (mit der Deutschen Volkspolizei und der Sportvereinigung Dynamo) ausgerichtet.



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Moskau seine außenpolitischen Fixpunkte festlegte, zählte neben den sozialistischen und »anderen derartigen Staaten«, wie China, Indien und Nordvietnam, auch Ägypten dazu.17 Und als im Mai 1960 bei Honecker als ZK-Sekretär für Sicher­ heit die Bitte ägyptischer Militärs an das MfNV nach einer Hospitanz für einen Major in der Armeesportvereinigung Vorwärts landete, gestattete er dies bei voller Kostenübernahme durch die DDR, denn »im Interesse der Verstärkung unseres Einflusses« am Nil seien »alle Möglichkeiten der Kontaktaufnahme mit der VAR aus­zu­nutzen«.18 Belegt ist auch der Wunsch der ägyptischen Armee von 1961, einen Kom­man­deur ihrer Sportabteilung an der Leipziger Militärakademie promovieren zu lassen.19

5. »Kurs auf feste staatliche Beziehungen« Als die Allafrika-Spiele 1973 in Nigeria näher rückten, hatten sich die militärsportlichen Bezugspunkte der DDR in Afrika über Ägypten hinaus auf andere afrikanische und arabische Länder erweitert. Denn auch für sie galt bis dahin das Erreichen der internationalen diplomatischen Anerkennung der DDR als oberstes Gebot. Die Intentionen dazu lassen sich den Konzepten zur kulturell-wissenschaftlichen Zusammenarbeit des MfAA entnehmen, das beispielsweise 1962 in eine »prinzipielle Orientierung« für Aktivitäten mit »afro-asiatischen und latein-amerikanischen Ländern« den Sport einbezog und betonte, das Ziel der dortigen kulturellen Auslandsarbeit der DDR bestehe darin, »Kurs auf die Entwicklung fester staatlicher Beziehungen durch vertragliche Vereinbarungen zu nehmen« und so in den einzelnen Partnerstaaten »dauerhaft Fuß zu fassen«.20 1963 entstand im MfAA die Idee, sich in Afrika aufgrund finanzieller Engpässe auf einige Länder als »feste Stützpunkte« zu konzentrieren (aktuell u.a. Ägypten, Guinea, Ghana). Das als Beraterkreis agierende Kollegium im MfAA um Außenminister Lothar Bolz gab dafür den Ton vor: In Afrika sei an »alte fortschrittliche deutsche Traditionen anzuknüpfen« und »die Möglichkeiten, mit kulturellen Mitteln in neue Länder einzudringen, zu denen bisher keine politischen Beziehungen bestehen, müssen untersucht werden.«21 17

18

19 20

21

SAPMO, DY30/J IV 2/3/568, Bestand: Sekretariat des ZK der SED, Entsendung der DDR-Sport­ delegation zu den III.  Internationalen Freundschaftssportspielen bei den VI.  Weltfestspielen in Moskau, Vorlage des DTSB-Präsidiums an das ZK-Sekretariat: Maßnahmen zur politisch-organisatorischen und sportlichen Vorbereitung, 21.6.1957 (nach Teichler 2002: 318). Beide Zitate SAPMO, DY30/J IV 2/12/43/64 f., Bestand: Abteilung Sicherheitsfragen im ZK der SED (Internationale Beziehungen der NVA), Korrespondenz MfNV – E. Honecker, 31.5.1960/ ZK-Abt. Sicherheitsfragen an MfNV, 3.8.1960 (nach Storkmann 2012: 185). Bundesarchiv (BArch), DR5/964, Bestand: StaKo-Abteilung Internationale Verbindungen (Abt. IV), Oberkommando ägyptische Armee an StaKo, 10.3.1961. Alle Zitate BArch, DR5/1265, StaKo-Abt. IV, Empfehlung von Maßnahmen in Auswertung des Be­schlusses der Kultur-Kommission des MfAA über die Direktive zur Entwicklung der kulturellen Beziehungen mit den afro-asiatischen und lateinamerikanischen Ländern vom 24.5.1962, Juni/Juli 1962 (undatiert), 1. Beide Zitate Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (PA), MfAA/LS-A/489/6, Bestand: MfAAKol­legium, Protokoll der 15.  Sitzung des Kollegiums (9.9.1963), Vertrauliche Verschlusssache,

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Daniel Lange

Dementsprechend hatten im Bereich des Armeesports zum Beispiel Lauflegende Hans Grodotzki vom ASK Vorwärts Potsdam (zweifacher Silbermedaillengewinner bei den Olympischen Spielen 1960 in Rom) 1968 auf einer Werbetour Kairo, Bagdad und Damaskus besucht und der Fußballclub Vorwärts Berlin (damals mit sechs Titelgewinnen Rekordmeister der DDR-Oberliga) 1970 Zypern, den Libanon und Syrien bereist. Für die Monatszeitschrift der ASV, den »Armeesportler«, war das eine Tour von außenpolitischer Bedeutung, denn »sie half mit, die Freundschaft mit den Völkern des Nahen Ostens zu vertiefen. Sie war Ausdruck der Solidarität und der Unterstützung des gerechten Kampfes der arabischen Völker für eine politische Lösung der Probleme im Nahen Osten. Sie trug dazu bei, die Positionen der DDR in diesen Ländern weiter zu stärken [...] Unsere Sportler des FC Vorwärts Berlin waren einmal mehr Diplomaten unseres souveränen sozialistischen Staates im Sportdress.«22

1971 veröffentlichte die Armeesportvereinigung Vorwärts im »Armeesportler« eine Übersicht ihrer bisherigen Sportkontakte jeglicher Art mit dem Ausland, unter anderem mit zehn afrikanischen Ländern (Ägypten, Algerien, Ghana, Guinea, Mali, Marokko, Sansibar, Sudan, Tansania, Tunesien).23 So trainierten im November 1960 guineische Leichtathleten beim ASK Vorwärts Berlin, dessen Trainer H. Rein­ hold in Mali (Boxen, 1967) und Reinhold Glandien in der Zentralafrikanischen Republik (Handball, 1970) Trainerkurse durchgeführt hatten. Die Basketballer des ASK Vorwärts Leipzig empfingen im Mai 1966 eine Auswahl Guineas und im Oktober 1966 die Nationalmannschaft Ägyptens. Leichtathleten des ASK Vorwärts Potsdam trafen im Oktober 1968 in Mali Armeechef Samory Traore, der vier Monate später eine Armeedelegation zur DHfK sandte, die sich dort mit »physischer Leistungsfähigkeit« und »Landesverteidigung« befasste.24 Und nachdem der Berliner Fußballclub Dynamo im Januar 1969 in Tansania und auf Sansibar angetreten war (vgl. Lange 2022c), legte der hiesige DDR-Generalkonsul Erich Butzke Tansanias Armeechef Mrisho Sarakikya nahe, die Sportkontakte zwischen beiden Ländern mögen doch auch unter den »bewaffneten Organen gepflegt werden«.25 Der Brigadegeneral stand auch dem soeben (1968) vom Internationalen Olympischen Komitee (IOK) anerkannten Nationalen Olympischen Komitee (NOK) Tansanias vor, von dem sich die DDR Beistand für ihre sportpolitischen Grabenkämpfe mit der Bundesrepublik im IOK im Vorfeld der Olympischen Sommerspiele 1972 in München versprach (vgl. Lange 2022b). Angedeutet ist damit, dass die sportpolitischen Motive der DDR im Rahmen ihrer Afrikapolitik stets vielschichtig waren.

22 23 24 25

Tagesordnungspunkt 6: Konzeption für die Verstärkung der kulturellen Beziehungen mit afrikanischen Ländern, 16.9.1963. Der Armeesportler [Monatszeitschrift der ASV Vorwärts], Mit dem FC Vorwärts Berlin im Nahen Osten, 3‑4/1970, 28 f. Ebd., 9‑10/1971, asv-Übersicht, 16 f. Beide Zitate DHfK International [Informationsblatt für ausländische Absolventen der DHfK], Im Gästebuch geblättert, 2/1969, 3. BArch, DR5/1220, StaKo-Abt.  IV, Aktenvermerk zum Gespräch von E. Butzke mit Armeechef M. Sarakikya am 20.3.1969, DDR-Generalkonsulat an StaKo und MfAA, Daressalam, 1.4.1969.



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6. Rahmenbedingungen: Der (Ost-)Berliner Interessenmix Nigeria war nur ein Aspekt der Afrikapolitik der DDR, auch hinsichtlich des Auslandssports. Das militärsportliche Engagement der DDR ist eingebunden in unterschiedliche Interessenfelder mit verschiedenen Akteuren zu analysieren. Bereits 1951 empfing die Universität Leipzig elf Studenten aus Nigeria, das damals an den Sportspielen der Weltjugendfestspiele in (Ost-)Berlin teilnahm, wie unter anderem auch Tunesien, Marokko und die bereits lange Jahre im IOK vertretenen Länder Ägypten und Südafrika. Just 1951 nahm das IOK auch Nigerias NOK auf. Andere Staaten Afrikas, denen sich die DDR bald zuwandte, folgten, so Ghana (1952), Tunesien (1957), Marokko und Sudan (1959), Liberia (1955), Mali (1963) und Guinea (1965). Die immer auf eine eigenständige Präsenz in internationalen Organisationen drängende DDR hoffte latent, auch im internationalen Sport Unterstützung bei ihr politisch gewogenen Staaten Afrikas zu finden. Dies führte zu einer engen Verbindung der DDR zu Afrikas höchsten Sportgremien. 1966 war der Oberste Afrikanische Sportrat (OASR) als Dachverband des afrikanischen Sports und Ausrichter der Allafrika-Spiele entstanden. Er galt der DDR als wichtiger Multiplikator ihrer sportpolitischen Interessen in internationale Gremien hinein. Schon bei der Erstauflage der Allafrika-Spiele im Juli 1965 in Kongo-Brazzaville warben DDR-Offizielle bei IOK-Funktionären für den Olympiastart einer separaten DDR-Mannschaft ab 1968 (vom IOK im Oktober 1965 wurde als Auflage ebenso beschlossen: der Start mit neutraler Flagge/Hymne sowie die volle Anerkennung des DDR-NOK). Ausgehend davon sicherte sich die DDR den Beistand einflussreicher Funktionäre rund um den OASR, so von Ägyptens IOK-Mitglied Ahmed Demerdasch Touny, bei dem afrikanische Interessen oft zusammenliefen (er war schon 1956 Gast der DHfK). Hinzu kam der später skandalumwitterte Kongolese J.-C. Ganga (als Generalsekretär ein mächtiger Akteur im OASR), der für die DDR bis 1989 die wichtigste Verbindung in Afrikas Sportwelt hinein blieb. Über ihn positionierte sich der DTSB als Unterstützer der zweiten Allafrika-Spiele 1969 in Mali, die nach einem Putsch (just als DTSB-Vizepräsident Heinze in Bamako weilte) auf das Jahr 1973 und nach Nigeria verschoben wurden, wo OASR-Präsident Abraham Ordia zugleich Generalsekretär der Nationalen Sportkommission war. Er hoffte daher als nigerianischer Staats- und kontinentaler Verbandsfunktionär auf doppelte Hilfe aus der DDR für die Allafrika-Spiele 1973 (u.a. Ausstattung mit Sportgeräten, Ausbildung von Kampfrichtern). In dieser Konstellation witterte (Ost-)Berlin nicht nur die Chance, ein Verbandsabkommen zwischen dem DTSB und dem OASR, sondern auch eine gewichtigere staatliche Kooperation mit Nigerias Sportkommission zu erreichen; ein Sportpakt, wie ihn die DDR in Afrika und im Nahen Osten bisher nur mit Ägypten, Syrien und Guinea erzielt hatte. Dies hatte auch Konsequenzen für die militärsportlichen Verflechtungen der DDR in Afrika. Der DDR ging es in einer zentralen Stoßrichtung ihrer Nigeria-Initiative im Sport um die bisher ausbleibende diplomatische Anerkennung durch das westafrikanische Land, das seit 1960 unabhängig, aber seit 1967 ein von einem Obersten Militärrat beherrschter Krisenstaat war. Arbeitstreffen mit den Spitzen des OASR (Ordia und Ganga) gab es nun jährlich, so beim Deutschen Turn- und Sportfest

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in Leipzig 1969 und bei den IOK-Tagungen in Amsterdam (1970) und München (1971, 1972). Sie mündeten in einer Charmeoffensive des DDR-Sports für Nigeria, das 1971 erstmals (und in den Folgejahren 1972‑1575 und 1977‑1978 insgesamt 21) Teilnehmerplätze für den internationalen Trainerkurs der DHfK erhielt. OASRPräsident Ordia nahm in jenem Jahr an einem Sommerkurs für Spitzenfunktionäre des internationalen Sports teil, den der DTSB durchführte, um sie auf DDRInteressen vor Olympia 1972 einzustimmen. Ende Mai 1971 kam es in Schwerin zu einem Vergleich der DDR gegen Nigeria im Hockey (obwohl es seit der bekannten Förderkonzentration im DDR-Leistungssport von 1969 solche Duelle gegen Länder Afrikas in als nicht medaillenträchtig erachteten und daher nachrangig subventionierten Sportarten wie Hockey kaum noch gab). Leichtathleten aus Nigeria starteten im Januar 1971 bei Wettkämpfen in (Ost-)Berlin und Senftenberg, fünf nigerianische Boxer nahmen im Mai 1971 an einem Trainingslager in Güstrow für Athleten aus Entwicklungsländern teil und nigerianische Offizielle besuchten im Juli 1972 zum Erfahrungsaustausch über die Organisation von Großveranstaltungen eine Kinder- und Jugendspartakiade in der DDR. 1972/73 betreute ein Leipziger Trainer die Handballauswahl Nigerias, die Ende 1972 zum Trainingslager in Güstrow und Schwerin weilte. Dass der DDR-Sport mit all diesen Aktionen in Vorleistung ging (der Pakt dazu mit Nigerias Sportkommission war noch nicht signiert), zeigt, dass die DDR Nigeria zu dieser Zeit eine ungewöhnlich hohe Bedeutung beimaß. Zusätzlich aktiviert wurden diese Projekte durch den Umstand, dass auch Bonn Ländern der ›Dritten Welt‹ ähnliche Maßnahmen zur Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in München anbot. Nicht zuletzt stand dahinter das (vergeblich verfolgte) Ziel, mit ihren Stimmen zu verhindern, dass sich die DDR in München 1972 mit eigener Flagge und Nationalhymne präsentierte, womit auf die deutschdeutsche Rivalität als vierte Triebfeder der Annäherung des DDR-Sports an Nigeria verwiesen ist. Dort zeigte sich der deutsche Zweikampf um afrikanische Sympathien unter anderem darin, dass die Bundesrepublik für 1,3 Millionen Mark das National­ stadion in Lagos für die Allafrika-Spiele mit der ersten Kunststofflaufbahn Afrikas ausstattete, was OASR-Präsident Ordia dankend annahm. Festgehalten hatte der DTSB seine jetztigen Afrikaintentionen bereits 1969 in einem internen Konzept zur weiteren Zusammenarbeit mit dem OASR. Angesichts der heranrückenden Olympischen Spiele 1972 und der Allafrika-Spiele 1973 ging es vor allem darum, »den Versuchen Westdeutschlands zuvorzukommen, die afrikanischen Länder und andere Nationalstaaten durch großzügige Unterstützungen in verschiedenster Form für seine Ziele zu gewinnen«.26 (Ost-)Berlin musste also handeln. DTSB-Vizepräsident Heinze (in Doppel­ funk­tion auch Vizepräsident des DDR-NOK) flog daher im Oktober 1971 nach Jaunde in Kamerun an den Hauptsitz des OASR, um dort Ganga zu treffen, und zu Gesprächen mit Ordia nach Lagos, um sich angesichts der nigerianischen Pendel­ diplomatie zwischen Ost und West deren feste Zusage zu einem Sportverbandsund einem staatlichen Sportpakt einzuholen. Heinze traf darüber hinaus Nigerias 26

SAPMO, DY12/3792/473 ff., Konzeption der DTSB-Abt. IV für die weitere Zusammenarbeit mit dem OASR, 15.5.1969, 4.



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NOK-Präsident Henry Adefope, der als Vorstand von Nigerias Sport­kom­mis­sion auch das Organisationskomitee der Allafrika-Spiele 1973 leitete. Von besonderer Bedeutung aber war, dass Adefope als Brigadegeneral der Streitkräfte dem Obersten Militärrat angehörte. In diesen Gesprächen kam die Frage nach einer von der DDR konzipierten Massenturnschau für die Eröffnungsfeier der Allafrika-Spiele auf. Doch der DTSB sah seine Kapazitäten angesichts der baldigen Olympischen Spiele 1972 und der Weltjugendfestspiele 1973 in (Ost-)Berlin ausgereizt, weshalb er die Armeesportvereinigung Vorwärts ins Spiel brachte, die dem im Februar 1972 zustimmte. Damit wurde der Militärsport unmittelbar in das sportpolitische Engage­ ment in Nigeria eingebunden.

7. Armeesport mit Volkstanz und Hechtsprung Außen- und sportpolitische Motive vermischten sich weiter, als im Juni 1972 die sowjetische Botschaft in Lagos Nigerias Wunsch nach einem Fußballländerspiel gegen die DDR an ihren Fußballverband und an den Stellvertretenden Außenminister Ewald Moldt übersandte. Er gab die »Empfehlung der sowjetischen Genossen«, dieses Spiel zu ermöglichen, an den DTSB weiter, zumal »die Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen zu Nigeria seit Langem ein Schwerpunkt unserer Afrikapolitik ist«27 und sich die DDR aktuell gegen aus ihrer Sicht imperialistische Separatisten in Ostnigeria (Biafra-Konflikt) aussprach, um in der Hoffnung auf eine baldige diplomatische Anerkennung durch Nigeria dessen Militärregierung nicht zu verprellen. Der DTSB lehnte das Länderspiel dennoch ab – im DDR-Fußball war Sommerpause. Parallel nahmen die Vorbereitungen der ASV für die Allafrika-Spiele Fahrt auf. Eine vierwöchige Inspektion in Nigeria im Juli 1972 unter Leitung von Greiner-Pol drohte zu scheitern: Da sich in Lagos die Einreisevisa für das dreiköpfige ASV-Team als unvollständig erwiesen, wurde der mitreisende Dolmetscher inhaftiert und das Trio nach Sierra Leone ausgewiesen. Nach geglückter Rückkehr nach Lagos und dem Besuch mehrerer Polizei-, Militär- und Sporteinrichtungen gab Greiner-Pol das Ziel aus, »eine sportliche Massenübung einzustudieren und bei den Allafrika-Spielen zu zeigen, die zumindest dem Niveau der Sportschauübungen vom Deutschen Turnund Sportfest entspricht.«28 Damit stand einem dreimonatigen Folgeeinsatz einer nun sechsköpfigen ASVGruppe von Oktober 1972 bis Januar 1973 in Nigeria nichts mehr im Weg. Musik­ leiter Greiner-Pohl vom NVA-Musikensemble »Erich Weinert« (Berlin) standen zwei Dolmetscher und drei Sportlehrer der NVA-Offiziershochschulen »Ernst Thälmann« (der Landstreitkräfte in Löbau/Zittau) und »Franz Mehring« (der Luftstreitkräfte/ Luftverteidigung in Kamenz) zur Seite sowie 65 Ausbilder der nigerianischen Armee, die bei der Einstudierung der auf 20  Minuten angelegten Massenschau (bei der 27 28

SAPMO, DY12/3793/461 f., E. Moldt an M. Ewald, 9.6.1972. Ebd., 420 ff., Arbeitsbericht der Sportdelegation der ASV Vorwärts in der Bundesrepublik Nigeria, 4.8.1972, 6.

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234  Musikinstrumente zum Einsatz kamen) 1248 Turner und Musiker (gegliedert in 13 Kom­panien) anzuleiten hatten. Sie waren in der nigerianischen Armee nach von den ASV-Gesandten vorgegeben körperlichen (geforderte Körpergröße 1,70‑1,82 m) und sportlichen Anforderungen ausgewählt worden und mussten mindestens 25 Liegestütze, 50 Kniebeugen, 25 Rumpfbeugen aus der Rückenlage und Hechtrollen über Hindernisse ausführen können. Bereits im Vorfeld belief sich der Aufwand der ASV-Experten für musikalische Kompositionen, Bandaufnahmen, Notenblätter oder die Ausarbeitung von Choreographien und Bewegungsabläufen auf 8000 DDR-Mark.29 Das Gestaltungskonzept dazu ist erhalten. Es war so ausgerichtet, dass die Show im Rahmen der Eröffnungsfeier – unter Einbeziehung traditioneller nigerianischer Folkloretanzgruppen und ausgehend vom Motto der Wettkämpfe »Einigkeit, Frieden und Rassengleichheit (Koexistenz der Rassen und Stämme)« – zu einem sportlichen und politischen Höhepunkt werden sollte. Sie sollte zeigen, »zu welchen schöpferischen und sportlichen Leistungen die Turner und Sportler Nigerias im Kampf um den gesellschaftlichen Fortschritt willens und fähig sind. Sie soll Zeugnis ablegen von der Kraft und Stärke der nigerianischen Sportorganisation, von der Liebe und aufrichtigen Verbundenheit der Turner und Sportler zu ihrem Staat. Sie soll vom Optimismus und der Lebensfreude der Turner und Sportler künden und verdeutlichen, dass sie fest im Lager des Friedens und des Fortschritts stehen.«

Die einzelnen Übungen waren so angelegt, dass sie unter anderem »ein eindrucksvolles Bild vom Streben des nigerianischen Volkes nach Gesundheit, allseitiger Leistungsfähigkeit sowie physischer und psychischer Vervollkommnung« sowie die »Einheit, Geschlossenheit und Disziplin der Sportler Nigerias« vermitteln sollten.30

8. Resümee: sozialistische Sportgremien, Afrika und das Militär Während die Sportschau letztlich gelang, setzten Ordia und Adefope plötzlich ein sportpolitisches Stoppzeichen. Die Sportfunktionäre hatten die Unterzeichnung eines staatlichen Abkommens mit Nigerias Sportkommission über die bereits erwähnten 1971/72 von der DDR ermöglichten Projekte immer wieder auf die lange Bank geschoben, dann der öffentlichen Aufmerksamkeit wegen auf die AllafrikaSpiele vertagt und schließlich ganz abgesagt. War der DTSB hier zwischen seinen Interessen, nigerianischer Subventionsgier und bundesdeutschem Druck auf die Sportfunktionäre Nigerias, eine solche bilaterale Allianz im Sport abzusagen, düpiert worden? Oder konnte man in (Ost-)Berlin diese nicht zustande gekommene staatliche Vereinbarung bereits verschmerzen, da sich die nur vier Wochen nach dem Ende der Allafrika-Spiele in Lagos folgende diplomatische Anerkennung der DDR durch Nigeria (10. Februar 1973) schon abzeichnete und der DDR-Sport durch seine Annäherung an Nigeria seit 1969 seinen außenpolitischen Auftrag erfüllt hatte? 29 30

Ebd, 8 f. Das Gestaltungskonzept und alle Zitate ebd., 432 ff., Grundkonzeption der sportlichen Mas­sen­ vorführung im Rahmen der Eröffnungsvorstellung zu den II. Allafrika-Spielen 1973 in Lagos, 1 f.



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Nicht zuletzt erreichte der DTSB sein zweites Ziel: eine Allianz mit dem Obersten Sport­rat Afrikas als nichtstaatlicher Verbands- und fünfjähriger Langzeitpakt (bis 1978).31 Hier ließ sich nur in Kürze und exemplarisch zeigen, wie und warum die Armee­ sportvereinigung Vorwärts in die Afrikabeziehungen des DDR-Sports eingebunden war. Weitere damit verknüpfte Aktionsfelder wären ebenfalls genauer auszuleuchten, etwa was die Gesellschaft für Sport- und Technik (GST) betrifft. Denn auch die wehrsportlich (mit eigenen Verbänden im militärischen Mehrkampf, Sportschießen, Motor­ sport, Tauchen, Flug- und Fallschirmsport) ausgerichtete GST war mit Afrika befasst und unterhielt unter anderem in den 1970er Jahren immer wieder Kontakte nach Ägypten, so in Form einer Patenschaftskooperation mit Kairos Luft­ fahrt­ministerium oder durch die Ausbildung von Ägyptern an ihrer Flugschule in Schönhagen. Ebenso zu berücksichtigen wäre die ab 1972/73 beginnende Vernetzung und Präsenz Afrikas in multilateralen sozialistischen Militärsportkreisen, so im Sportkomitee der befreundeten Armeen (Sportivnyj Komitet Družestvennych Armij, SKDA) im Warschauer Pakt. Dort waren zum Beispiel der Armeesport Somalias (ab 1973) und Angolas (ab 1977) aktiv. Zu den Jahrestagungen des SKDA entsandten später immer wieder auch afrikanische Länder ihre Vertreter, so 1978 nach (Ost-)Berlin (Guinea, Guinea-Bissau, Äthiopien, VR Kongo, Libyen). Auch bei den SKDA-Sommerspartakiaden waren Länder Afrikas durchaus präsent (1973 in Prag mit Uganda; 1977 auf Kuba mit Angola, Algerien; 1981 in Ungarn mit Algerien, Libyen, Mosambik, Madagaskar). In diesem Kontext sind die jahrelangen, regen Kontakte des DDR-Sports zum Obersten Sportrat Afrikas aus außenpolitischer Perspektive durchaus zu beachten. Aber dieser wandte sich in den 1980er Jahren zunehmend vom sozialistischen Lager ab und orientierte sich immer stärker am Weltrat für Militärsport (Conseil International du Sport Militaire, CISM), der als westlicher Gegenpol zum SKDA verstanden werden konnte. Das militärsportliche Engagement der DDR in Afrika ist eingebunden in ein Geflecht außenpolitischer Interessen zu betrachten, das stark von dem Wunsch nach staatlicher Anerkennung als zweiter deutscher Staat neben der Bundesrepublik getrieben war. Aufseiten der afrikanischen Staaten war neben der Suche nach Hilfe beim Aufbau von Sportstrukturen die Vernetzung im multilateralen sozialistischen Militärsport von erheblicher Bedeutung. Das gesamte Feld wurde dabei von einer Vielzahl von Akteuren sowohl innerhalb der DDR als auch bei den anderen beteiligten Staaten und überstaatlichen Institutionen bearbeitet, die jeweils unterschiedliche Interessenschwerpunkte hatten. Dieses Interessengeflecht trug bis Ende der 1970er Jahre, verlor aber in den 1980er Jahren an Bedeutung.

31

SAPMO, DY12/6315/11  ff., Bestand: DTSB-Abt.  IV, Vereinbarung über die Zusammenarbeit zwischen dem OASR und dem DTSB der DDR, Lagos, unterzeichnet durch: Manfred Ewald, Abraham Ordia, 12.1.1973.

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Daniel Lange

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Martin Rink

»Keiner ist gemeiner als der Friedrichshainer.« Spiel, Kampf, Identität Einordnung Martin Rinks Blick nach anderswo richtet sich auf die Berliner Oberbaumbrücke und den karnevalesken Kampf zwischen den beiden Berliner Stadtteilen Kreuzberg und Friedrichshain. Aufbauend auf seinen grundsätzlichen Überlegungen zum Zu­ sam­menhang zwischen Krieg und Spiel (Rink in diesem Band), zeigt er die enge symbolische Verschränkung von Kampf und Spiel, Spaß und Ernst auf. Es wird deutlich, dass die historischen Formen von Kriegsspielen zwischen Stadteilen auch heute noch ihre Fortsetzung finden und damit eine tendenzielle – ironisch aufgebrochene – Militarisierung in körperlichen Wettkämpfen und sogar in eher pazifistischen Milieus fortwirkt. Der Zusammenhang von Sport und Militär, vermittelt im Spiel, wirkt auch in Kontexten, die dies zunächst nicht vermuten lassen. Autor Martin Rink, Dr. rer. pol., Historiker sowie Staats- und Sozialwissenschaftler, arbeitet im Forschungsbereich Einsatz am Zentrum für Militärgeschichte und Sozial­wis­ sen­schaften der Bundeswehr in Potsdam. Die Forschungsschwerpunkte des früheren Offiziers der Fallschirmjägertruppe sind u.a. »Einsatz ohne Krieg« (aktuelles Buch), asymmetrische Gewalt und Organisationsgeschichte des Militärs.

1. Kampf der Spaßguerilla Die Zeiten der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Kriegsspiele sind nur scheinbar vorbei; Spuren hiervon haben sich erhalten. Dies gilt natürlich für den zunehmend institutionalisierten, professionalisierten und kommerzialisierten Sport, in dem gegnerische Mannschaften aufeinandertreffen (Behringer 2012: 198‑237; Jonas 2016). Es gilt aber auch für touristische Ritterspiele, den Karneval – und für die Wettkämpfe zwischen Stadtvierteln, nicht nur in Italien (Balestracci 2003: 195‑215). So wie die schon in früheren Zeiten bezeugten Obst- und Gemüsegefechte erfolgt alljährlich in Buñol bei Valencia die ›Tomatina‹. Zur Schlacht mit dem namengebenden Gemüse kommen Tausende von Teilnehmern, für die eine Online-Anmeldung

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Martin Rink

der Veranstalter bereitsteht.1 Festivals mit ähnlichen Kampfsportwettkämpfen sind die ›Mehlschlacht‹ in Ibi bei Alicante, die Weinschlacht im spanischen Haro und die ›Schneeballschlachtweltmeisterschaft‹, die 2014 vom sauerländischen Winterberg nach Schalke verlegt wurde (Gentner 2013: 17‑34).2 In die Reihe dieser Inversionsformen des Krieges gehören auch die mehrfach durchgeführten ›Wasserschlachten‹ auf der Berliner Oberbaumbrücke. Auch diese griffen den altbekannten Topos auf, auf den bereits im Beitrag zum Zusammenhang zwischen Krieg und Spiel (Rink in diesem Band) eingegangen worden ist. Diese »parodistische Auseinandersetzung«3 etablierte sich ab 1998: halb institutionalisiert, weil sie mit einigen Unterbrechungen bis zum 22. September 2013 wiederholt wurde; aber eben nur halb institutionalisiert, weil sie danach nicht mehr fortgeführt wurde. Der Anlass für dieses Spiel ergab sich aus der Kritik im alternativen Milieu an der bevorstehenden ›Zwangsfusion‹ der Bezirke Friedrichshain und Kreuzberg.4 Eine Internetplattform beschreibt die Spielregeln:

»Bei der Wasserschlacht kämpfen die Bewohner der zwangsvereinigten Ortsteile Fried­ richs­hain und Kreuzberg mit faulem Obst und Gemüse um die Vorherrschaft im gemeinsamen Bezirk. Ziel ist es, den Gegner auf die andere Seite der Oberbaumbrücke zu treiben. Erlaubt ist Wasser, Mehl und alles, was weich und glitschig ist! Flaschen, Dosen und alle harten Gegenstände, die Andere verletzen könnten, haben auf der Brücke nichts zu suchen.«5

Natürlich wurde die im Jahr 2001 vollzogene Berliner Verwaltungsreform dadurch nicht verhindert. Den Ort des Verwaltungssitzes spielten die Bürgermeister der Altbezirke Helios Mendiburu (SPD) und Franz Schulz (Die Grünen) per Münzwurf aus: Der Friedrichshainer SPD-Mann gewann. Dagegen unterlag er bei einer Schachpartie, die auf der Grenze zwischen beiden Bezirken ausgetragen wurde, der Oberbaumbrücke. Darüber berichtete der Berliner »Tagesspiegel« genauso wie über die Anfänge der Wasserschlacht im Juni 1998:

»Das trutzige Bauwerk bildet die einzige Verbindung zwischen den künftigen Part­ner­ bezirken. Hier lieferten sich Angehörige zweier ›Spaß-Guerillas‹ eine Schlacht mit matschigen Tomaten, Puddingbomben und faulen Fischen. Zu Felde zogen zwei Gruppierungen, die sich für die Kreuzberger beziehungsweise Friedrichshainer Sache ins Zeug legten: Eine

1 2

3

4

5

Vgl. ; Webauftritt der Veranstalter, (letzter Zugriff 17.2.2020). Vgl. n-tv, Mehlschlacht in Spanien, 28.12.2009, ; FC Schalke 04, Schneeball-Schlacht-WM auf Schalke, 28.12.2019, (letzter Zugriff 25.2.2020). Juri Sternburg, Die Zeit der Lachse ist vorbei, taz. Die Tageszeitung, 23.9.2013, . Dieser Artikel beruft sich auf den einschlägigen Wikipedia-Eintrag: Gemüseschlacht (Berlin) (letzter Zugriff 4.2.2020). Zur Person: Hauke Stiewe: Der Politiker (2:30 min), ; ›So eine Schlacht ist immer gefährlich.‹ Susanne Memarnia im Interview mit Hauke Stiewe, taz, 11.9.2013, (letzter Zugriff 7.2.2020). Friedrichshain-Kreuzberg-Portal Xhain.info – Portal für den Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuz­ berg, (letzter Zugriff 4.2.2020).



»Keiner ist gemeiner als der Friedrichshainer«

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›Kreuzberger Landwehr in Gründung‹ sowie die ›Bewegung Groß-Friedrichshain‹. Zwei Stunden lang dauerte die als Demonstration angemeldete ›Obst- und Gemüseschlacht‹.«6

Schon die Anfänge dieser Stadtteilschlacht veranschaulichen das Extrem der Überspitzung: Zum einen wurde die gemeinsame Kontextualisierung von Sport und Spiel mit Krieg und Militär deutlich, zum anderen aber das offensichtlich Paradoxe dieses Verhältnisses. Die Entwicklung der karnevalesken Auseinandersetzung und ihre Interpretation als (gar nicht so moderne) Form der Durchdringung des Alltags mit militärischen Versatzstücken – auch in gegenkulturellen Milieus – soll im Folgenden dargelegt werden.

2. Die Wasserschlacht auf der Berliner Oberbaumbrücke Die Wasserschlacht galt also dem Erhalt einer gewachsenen Identität der linksalternativen Subkultur in den beiden Bezirken. Das schlug sich in der spielerischanarchischen Offenheit der Spielaustragung nieder. Die Vergemeinschaftungslogik der ›Krieg‹ spielenden Teilnehmer, die Bedenken der Ordnungsbehörden und die Attraktivität für ein allmählich hinzugelangendes Publikum zeigte der im Februar 2007 herausgekommene Kurzfilm von Kasia Klimkiewicz und Andrew Friedman. Das 18-minütige Portrait »Wasserschlacht – The Great Border Battle« über das ›kriegerische Spiel‹ vom 11.  September 20057 des polnisch-US-amerikanischen Regieduos wurde mit dem Berlin Today Award der Berlinale ausgezeichnet. Weder die Originaltöne der Interviewten aus der Szene noch der Film selbst beanspruchen Unparteilichkeit. Vielmehr sind Kameraführung und Schnitt genauso zeithistorische Quellen wie die Interviews und die akustisch mit Punkrock hinterlegten Schlachtszenen. »Die Wasserschlacht«, so einer der Interviewten, »das is’ ’ne sehr dreckige und stinkende Angelegenheit zwischen Berlin-Friedrichshain und Kreuzberg« (min 1:08-1:11), ein »jährliches Zusammentreffen [...], wo die Machtfrage gestellt wird: ›Welcher Stadtbezirk ist das eigentlich? – Ist es Friedrichshain und Unter­fried­richs­ hain oder ist es Kreuzberg und Ostkreuzberg?‹« (min 2:14‑2:24). Schon die spottende Namensgebung verdeutlichte den gespielten Ernst eines Identitätskonflikts zwischen den ›zwangsfusionierten‹ (Ex-)Bezirken. Geographisch südlich der Spree und politisch-historisch auf deren ›Westseite‹, gilt der Kampf der »uncorrupted Kreuzberg family«. Denn: »Kreuzberg ist bekannt für seine sprichwörtliche Toleranz« (min 2:57, 03:10‑03:15). Das widerspiegelt die Nostalgie nach den 1980er Jahren, als sich Kreuzberg, oder besser: der damalige Postzustellbereich SO 36 zwi6

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Johannes Metzler, Bezirksfusion: Der Hochzeitstermin steht fest, doch die Party fällt wohl aus, Der Tagesspiegel, 14.8.2000, (letzter Zugriff 4.2.2020). Kasia Klimkiewicz und Andrew Friedman, Wasserschlacht – The Great Border Battle, produziert von Daniel Saltzwedel/ zero fiction film (18:05 min), 2007: . Hier auch alle Verweise mit Spielzeitangaben in Klammern. Vgl. Internationale Filmfestspiele Berlin, Berlin Today award, 10.2.2007, (letzter Zugriff 17.2.2020).

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schen dem Kottbusser Tor und der Oberbaumbrücke am südöstlichen Rand des geteilten Berlins, zum nun mythisch verklärten Szeneviertel entwickelte. Auf der Friedrichshainer Brückenseite avancierte der Boxhagener Kiez zwischen Frankfurter Allee und Oberbaumbrücke ab den späten 1990er Jahren zu einem in der alternativen Subkultur angesagten Ort. Beide Viertel erfreuten sich, wie die Bezirke insgesamt, seit der Jahrtausendwende einer zunehmenden Beliebtheit bei Neuzugezogenen und und bei Touristen – mit der Folge einer allgemeinen Gentrifizierung. Das dezidiert als schmutziger Kampf inszenierte Spiel auf der Oberbaumbrücke richtete sich somit weniger gegen die Veränderung der Administrationsgrenzen, sondern gegen die der soziodemographischen Strukturen. Der im Film mehrfach zu Wort kommende Riza A. Cörtlen, der auch als Betreiber des Onlineauftritts der Kreuzberger Spielpartei firmiert,8 kennzeichnete das so: »Wir haben seit 15 Jahren einen vermehrten Zuzug von – ja – jungen, gutaussehenden, besserverdienenden Arschlöchern« (min 03:30‑03:40). Eine Friedrichshainerin pflichtete bei: »Als ich hierher kam, war das noch so’n ziemlich abgeranztes [undeutlich] Viertel, [...] das ist ja jetzt schon in ziemlich großem Maße von der Bildfläche verschwunden, aber es gibt hier immer noch so den Lebensraum auch für alternative Projekte, obwohl der zunehmend bedroht wird« [nur im Untertitel: »by the lawmakers«] (min 04:35‑04:57). Beiderseits galt der Kampf der Bewahrung eines alternativ-subkulturellen Milieus. Die Friedrichshainer Bezirksbürgermeisterin Cornelia Reinauer (Die Linke) be­ wertete die Gesamtentwicklung dagegen als insgesamt positiv: »In unserem Stadt­bezirk kann man lernen, wie Menschen in einem Demokratisierungsprozess tatsächlich auch miteinander die Probleme besprechen können und trotzdem friedlich miteinander leben« (min 05:20‑06:06). Dies kontrastierten die Filmemacher sodann mit einem harten Schnitt zu einer Schlachtszene (min 06:08‑06:20). Die Beteiligten selbst kennzeichneten die Wasserschlacht als ein Mittel der Politik: Sie sei »doch eine angemessene Form der demokratischen Auseinandersetzung« (min 11:14‑11:20). Der Berliner Polizeijustiziar Kriminaldirektor Oliver Tölle9 beurteilte die Teilnehmerschaft als zwar »nicht problematisch, aber schon einem linksorientierten Spektrum zuzuordnen«. Sie sei »sehr erlebnisorientiert«, »aber auch nicht politisch desorientiert«. Politische Ziele im eigentlichen Sinn allerdings »hab’ ich so noch nicht ausmachen können«. Es handle sich vielmehr um »die normale jüngere Bevölkerung, die es dort zu großen Teilen in Friedrichshain und Kreuzberg gibt«. Das Spektakel beschrieb er als »Grenzfall der Demonstration«. Im Zweifelsfall sei jedoch der Versammlungsfreiheit Vorrang einzuräumen (min 02:04‑02:11, 08:06‑08:40). Im Hintergrund der Wasserschlacht agierten dezidiert als Satireparteien konzipierte Vereinigungen. Als deren ›bewaffneter Arm‹ traten Spaßguerillas hervor, deren militarisierend-bellizistische Namen genauso wie ihre stetigen Transformationsprozesse die dezentralen Strukturen im satirischen Spiel widerspiegeln. Den Friedrichshainer Amorphen Zentralisten (FAZ) unter ihrem »Propagandaminister« Hauke Stiewe 8 9

KPD/RZ Berlin (Kreuzberger Patriotische Demokraten/Realistisches Zentrum), (letzter Zugriff 17.2.2020). Zur Person: Ariane Bemmer, Theorie im Kopf, Praxis in den Fäusten, Der Tagesspiegel, 27.4.2005, (letzter Zu­ griff 4.2.2020).



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und später der Bergpartei und ihrer Wasserarmee Friedrichshain (WAF) standen die Kreuzberger Patriotischen Demokraten/Realistisches Zentrum (KPD/RZ) um Cörtlen gegenüber. Mit von der Partie waren auch die Anarchistische Pogo-Partei Deutsch­ lands (APPD) oder die Gruppierung Total Krasse Kreuzberg-Gegner (TKKG). Ganz im Sinne der ironisierenden Aneignung der Namen aus Politik, Anarchismus und Jugendhörspiel veranstalteten die Gruppierungen beider Bezirke am 29. Juli 2001 einen ›Zwangsvereinigungsparteitag‹ zur Satirepartei SED. Vier Jahre später traten Organisatoren der Wasserschlacht bei der Gründung der Satirepartei Die Partei in Erscheinung.10 Die Abgrenzung der Spielparteien erfolgte durch humoristisch-satirisch überzeichnete Feindbilder. Wurde die Ostseite als »Ostkreuzberger Untergrundorganisation WAF (wasserarmee friedrichsdorf )« geschmäht, so drehte ein im Kurzfilm Interviewter den Spieß um: »Den Friedrichshainer kann man in einem Satz beschreiben: ›Keiner ist gemeiner als der Friedrichshainer‹. War mal sozusagen als Beleidigung durch die Kreuzberger gedacht und wir hab’n das zu unser’m Schlachtruf gemacht« (min 11:05‑11:14). Aus Kreuzberger Sicht dagegen sei der »wesentliche Unterschied zwischen einem Friedrichshainer und einem Kreuzberger [...] schnell gefunden: Der Friedrichshainer ist im Durchschnitt zehn Jahre jünger und hat die hässlichere Frisur« (min: 03:45‑03:49). Die Mobilisierung der Mitstreitenden erfolgte nicht per E-Mail, sondern über Mund-zu-Mund-Propaganda und Telefonkette (min 10:16‑10:20). Damit blieb die Zugehörigkeit zum Spiel milieukonform eingegrenzt. Der Mobilisierungsaufruf der KPD/RZ von 2004 vereinigte parodistisch-marxistische Agitprop-Prosa mit der von Bundeskanzler Gerhard Schröder geprägten Parole »Fordern und Fördern«11 unter indirektem Bezug auf die Aporie der Interventionskriege, den Liberalismus mit Gewalt verbreiten zu wollen: »Kreuzberg steht als liberal geprägter Bezirk seit je her hinter der Formel Fordern und hinwegbefördern [...] Kein Fußbreit dem Ostkreuzberger. Unter der glorreichen Führung bewährter Befehlshaber der Kreuzberger Landwehr i.g. wird die heldenhafte Bevölkerung Kreuzbergs in Zusammenarbeit mit gedungenen Legionären die Agression zurückschlagen und dem Liberalismus zu neuem Glanze verhelfen.«12

Den Beginn der Schlacht schildert einer der Teilnehmer so: »Am Anfang is‹ ja alles schön. Alle sind sauber, alle sind gerüstet. Alle haben ’n Schild auf ’m Kopf, alle sind motiviert, also [...] man rennt voran [...], also wir sind fast schon wie in so ’ner Heereseinteilung«. Die meist für zwölf Uhr mittags anberaumte Schlacht »fängt einfach an« (min 11:34‑11:50). Neben den in der Spielanleitung angewiesenen gekochten oder faulen Obst- und Gemüsestücken kamen als Wurfgeschosse offenbar auch benutzte Windeln zum Einsatz; der Nahkampf vollzog sich mit Wasserspritzen, 10

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KPD/RZ Berlin (wie Anm. 8); Senatswahl 2006, Eintrag vom 25.11.2005; Christoph Villinger, Neugründung der SED. Genug Geld für alle. In: Jungle World, 8.8.2001, ; Ute Frings, KPD/RZ: In Einbahnstraßen wird immer noch geraucht, Frankfurter Rundschau 8.10.1999, zit. nach: (letzter Zugriff 4.2.2020). Wolfram Stahl, Fordern und Fördern, Deutschlandfunk, 7.1.2010, (letzter Zugriff 2.4.2020); allgemein: Wolfrum 2013: 539‑543. KPD/RZ Berlin (wie Anm. 8)

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Farbeimern, Mehlbomben, selbstgebastelten Katapulten und Weichschaumstöcken. Helme, Schilde und Regenkleidung dienten als Schutzausrüstung. Eine entscheidende Rolle kam offenbar dem auf Friedrichshainer Seite eingesetzten Wasserund Melonenwerfer auf einem umgebauten sowjetischen Armeefahrzeug zu (min 10:35‑10:50, min 11:56‑13:25). Wie schon durch die guerillaartige Selbst­ insze­nierung nahegelegt, kamen im symmetrisch angelegten Kampfspiel auf der Ober­baum­brücke somit Asymmetrien zum Tragen: Gegen die ausrüstungstechnische Dominanz der Friedrichshainer kehrte die Kreuzberger Seite ihre moralische Überlegenheit heraus. Eine eingeblendete Bildstrecke belegte auch die Teilnahme einer 80-jährigen Dame an der Schlacht: Sie führte den Kreuzberger Gegenangriff. So äußerte ein Beteiligter: »Die Oma war ja ein Wunder, das praktisch vom Himmel herunter kam. Da konnte man da wieder den Fundamentalismus sehen: Haben die Friedrichshainer eine Jeanne d’Arc? Nein! [...] Der Osten hat Waffen, wir haben den Glauben« (min 13:25‑13:). Dass es in der Auseinandersetzung um die Bewahrung der alternativ-subkulturellen Identität der Stadtteile ging und nicht um einen OstWest-Gegensatz, zeigte die gelegentlich geübte Praxis, dass Anhänger des WestBezirks Neukölln den Kreuzbergern in den Rücken fielen: »Das einzige Problem stellen nunmehr die republikanischen Garden des Südkiezes [Neuköllns] dar. Diese fanatisierten Gotteskrieger wollen als Schaulustige getarnt hinter die Kreuzberger Westfront gelangen und eine zweite Front im Hinterland unseres Kiezes eröffnen. Das heißt: Gruppen von Schaulustigen sind sofort anzugreifen und zu eliminieren [...] Wer nicht auf Kreuzberger Seite kämpft, ist ein Verräter oder Mitglied der Waf [WAF].«13

Über die Wasserschlacht am 21. Juni 1998 wurde in der etablierten Presse noch wenig berichtet – außer im verklärenden Rückblick. Der Tageszeitung »taz« zufolge flogen damals angeblich noch »zwei Meter große Lachse durch die Gegend«.14 Die Schlacht am 4.  September 1999 kennzeichnete eine Reporterin des »Tagesspiegel« geradezu liebevoll als ein Gefecht unter 400 »Lieblingsfeinden«, das die Friedrichshainer binnen 20 Minuten für sich entschieden. Auch die linksorientierte Wochenzeitung »Jungle World« sowie überregionale Blätter wie die »Frankfurter Rundschau« und die Hamburger »Zeit« berichteten.15 Um die Jahrtausendwende war das Ereignis dem zeitungslesenden Publikum bekannt, aber noch kein Medienereignis. Dies änderte sich ab 2004/05. Dabei spielte offenbar der Durchbruch des Internet als Massen­ medium eine entscheidende Rolle. Darüber verbreitete nun auch die KPD/RZ ihre anarchistischen Aufrufe.16 Nach einer Unterbrechung in den Jahren 2006 und 2007 folgte die nächste Wasserschlacht am 27. Juli 2008, nun mit 800 Teilnehmern. Eine Woche zuvor war 13 14 15

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KPD/RZ Berlin (wie Anm. 8). Sternburg, Die Zeit der Lachse (wie Anm. 3). Ulrike Groppe, Die Spaßguerilla hatte Glück mit dem Wetter – mit Obst gegen die geliebten Erzfeinde, Der Tagesspiegel, 5.9.1999, ; Klaus Hartung, Straßen­ schlacht, Die Zeit, 9.9.1999, (letzter Zugriff 2.4.2020); Frings, KPD/RZ (wie Anm. 10). KPD/RZ Berlin (wie Anm.  8), Eintrag Straßenschlacht Oberbaumbrücke, Sonntag, 29.8.2004, 14:36h.



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eine kleinere Schlacht zwischen Kreuzbergern und Neuköllnern an anderem Ort polizeilich gestoppt worden.17 Das Ereignis auf der Oberbaumbrücke fand nun einen Weg in die breitere Öffentlichkeit. Während im Vorfeld nur ein kleiner StadtteilBlog auf die bevorstehende »legendäre und traditionelle Wasserschlacht« hinwies, berichteten die Blätter des Springerverlags »Berliner Morgenpost« und »Welt« wort­ gleich von einer »Mischung aus mittelalterlichem Krieg, Kindergeburtstag und 1.-Mai-Krawallen«. Immerhin konzedierten sie, dass das Spektakel »lustig gemeint« sei. Den leicht skeptischen Berichten vorangestellt wurden jedoch Info-Teaser im Jubelton: »Sehen Sie, das ist Berlin! Es gibt in dieser Stadt Dinge, die so wohl nirgends vorstellbar wären.«18 Positiv berichtete die »taz« von den lokalen »Helden im Sprüche­klopfen« aus dem »Kummerkiez« Kreuzberg. Der Reporter aus den Re­ daktions­räumen der Kreuzberger Rudi-Dutschke-Straße (wie der Abschnitt der früheren Kochstraße seit April 2008 heißt) schilderte die »nach acht blamabel verlorenen Kämpfen« erneut verlorene Schlacht: »Ein kurzer Vorstoß, ein bisschen Prügel – und schon schlug Friedrichshain zurück. Ein wenig Getue noch fürs Fotoalbum. Und nach 70  Minuten standen die Sieger fest: Friedrichshains Kreative hatten die Brücke passiert.«19 »Spiegel Online« berichtete in seiner englischsprachigen Ausgabe. Unter Bezug auf den »taz«-Artikel galt auch hier der Kreuzberger Indivi­ dua­lis­mus als Ursache des taktischen Versagens – als Basis für den kommunikationsstrategischen Triumph: So verbreiteten »taz« und »Der Spiegel« das Anliegen der Straßenschlachtaktivisten: »Kreuzberg bleibt ein Mythos.«20 Ganz in diesem Sinne argumentierte Cörtlen, wie stets mit unernster Ernsthaftigkeit, dass die Kreuzberger Seite natürlich stets gesiegt habe (min 14:51‑15:25). Das Stadtteilportal xhain.info jubelte dagegen 2005: »Kreuzberg vernichtend geschlagen!«21 Es ging nicht um den Ernst des Sieges im Spiel, sondern um dieses selbst – als Parodie der politischen Ernsthaftigkeit. Die Medialisierung der Wasserschlacht auf der Oberbaumbrücke wurde in der Zeit der Unterbrechung weiter vorangetrieben. Nicht nur »Spiegel Online« etablierte sich als Informationsquelle für ein breiteres Publikum: Seit dem 15. Februar 2005 ermöglicht die Plattform »Youtube« das Hochladen von Videoclips. Mit 17

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Wasserschlacht: Neuköllner gegen Kreuzberg, Der Tagesspiegel, 21.7.2008, ; Sebastian Leber, Die Wasser­ schlacht ist abgesagt, Der Tagesspiegel, 25.8.2011, (letzter Zugriff 4.2.2020). Modersohn-Magazin – ein Blog aus Berlin, 24.7.2008, ; Berliner Tradition wiederbelebt. Die Ge­müse­ schlacht von Kreuzberg und Friedrichshain, Berliner Morgenpost, 27.7.2008, ; Die Gemüseschlacht auf der Brücke, Welt, 27.7.2008, (letzter Zugriff 17.2.2020). Martin Kaul, Kreuzberg bleibt ein Mythos, taz, 27.7.2008, (letzter Zugriff 17.2.2020). Wasserschlacht. Dirty Diapers Soil Berlin’s Annual Food Fight, Der Spiegel, 28.7.2008, (letzter Zugriff 17.2.2020); Kaul, Kreuzberg, taz, 27.7.2008, (wie Anm. 19). Mit Bildern und Videoclip (50 min): (letzter Zugriff 17.2.2020). Vgl. auch KPD/RZ Berlin (wie Anm.8).

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Traditionelle Wasser- und Gemüseschlacht auf der Berliner Oberbaumbrücke zwischen Kreuzberg und Friedrichshain. Nach ca. einer Stunde obsiegten die Vertreter Friedrichshains über die Kreuzberger Teilnehmer, 22. September 2013. ullstein bild/Christian Mang

der ein Jahr zuvor verfügbaren Onlineplattform »Facebook« ist es möglich geworden, unabhängig von direkten persönlichen Kontakten oder einer Telefonkette eine große Teilnehmerschaft zu mobilisieren. Mit ironischer Konsequenz widerspiegelte dieser Prozess die Geschichte der Wasserschlacht selbst: Plattformen für Do-it-yourself-Clips entwickelten sich in rasanter Geschwindigkeit zu professionellen Vermarktungsplattformen. Das zeigt der Blick auf die online gestellten Bilder­galerien und Youtube-Videos der Wasserschlachten von 2004, 2005, 2008, 2011 und 2012.22 Die Wasserschlacht wurde so zum Gegenstand einer viralen Kom­mo­di­fizierungsmaschinerie. Sicherheitsbedenken kamen hinzu. Aus Sicht der Teilnehmenden verband sich dies mit der Sorge um das Einhalten der Spielregeln. Die diesbezüglichen Blogeinträge von 2005 drücken ein differenziertes Bewusstsein aus, die »reale Ebene« von der »Spielebene« zu trennen: »Auf dieser Ebene hassen wir uns aus tiefstem Herzen«, während sich auf jener »nette Menschen aus aller Herren Bezirke« im Spielkampf 22

Sammlung von Wasserschlachtvideos von 2004, 2005, 2008, 2011 und 2012 auf: ; antonlebag, wasserschlacht berlin, (10:40 min), ; Wasserschlacht Berlin 2008, Text: Oliver Powalla (5:13 min), ; Alexander Schütze, Schlacht auf der Berliner Oberbaumbrücke 2012, (letzter Zu­ griff 17.2.2020).

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entgegentraten. Ein anderer Gesprächspartner verglich dies mit der Entstehung des Rugbys und mit dem Comment beim Pogotanz. Neben Stimmen, die »das allgemein gestiegene Sicherheitsbewusstsein« lobten, kritisierten andere mit deutlichen Worten übergriffige Szenen und unangemessene Waffen. Zudem hatte sich der Kreis der Mitstreitenden auf beiden Seiten erweitert: durch die »bezahlten Söldnertruppen sowie den leicht verwirrten aus Wessiland zugezogenen Neu-X-Berger« auf der einen Seite, durch die Unterstützung der Friedrichshainer aus den Ostbezirken andererseits. Bezeichnenderweise wurden hier wie im Kurzfilm kaum Worte über das brennende Auto verloren (min 06:30, 12:50‑12:58). Gemeinsames Feindbild waren die »außenstehenden Gaffanten«.23 Wie ein »Tagesspiegel«-Reporter Ende August 2011 ankündigte, werde die geplante Wasserschlacht in diesem Jahr ausfallen: Es habe 2200 Anmeldungen gegeben, »befürchtet wurden sogar bis zu 5000«. Wegen der Sicherheitsbedenken zog die als Mitveranstalterin auftretende Piratenpartei ihre Unterstützung zurück. Auch der Friedrichshainer Mitveranstalter Stiewe äußerte selbstkritisch, es sei »zu früh und zu offensiv« für die Veranstaltung geworben worden.24 Wohl nicht zuletzt infolge der über Facebook mobilisierten Teilnehmerzahl fand die Schlacht dann aber doch statt. Sie endete – zum ersten und wohl letzten Mal – mit dem Sieg Kreuzbergs.25 Im Folgejahr würdigte der Sender N24 aus dem Axel-Springer-Verlag das Ereignis mit einem einminütigen Nachrichtenclip: »Seltsame Berliner«, hieß es dort.26 Auf eine zunehmende Gewöhnung der Medienöffentlichkeit deuteten jedoch Einträge im offiziellen Hauptstadtportal und in Eventblogs hin.27 Neben dem Berliner »Tagesspiegel« berichtete sogar die »Stuttgarter Zeitung«.28 Die Wasserschlacht von 2013 fand am 22. September statt, dem Tag der Bun­ des­ tagswahl. Nun berichtete auch die Boulevardpresse über das »schmierigste Spektakel Berlins«. Nicht einmal die Bildzeitung verurteilte es, bemerkte aber süffisant den grünen Suppenfleck am Pulli, mit dem Hans-Christian Ströbele anschlie23 24 25

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Blogeinträge 11.‑14.9.2005: ; Blogeintrag 12.9.2005: (letzter Zugriff 17.2.2020). Sebastian Leber, Die Wasserschlacht ist abgesagt, Der Tagesspiegel, 25.8.2011, (letzter Zugriff 4.2.2020). Blogeintrag autonome gruppe, Wasserschlacht fällt aus! Nicht mit uns!!!!, 25.8.2011, ; Der Tagesspiegel, Wasserschlacht 2011 (Bildergallerie), 28.8.2011, (letzter Zugriff 17.2.2020). Welt Nachrichtensender [vormals N24], Seltsame Berliner – Wasserschlacht an der Ober­baum­ brücke, 2.9.2012 (1:14 min), (letzter Zugriff 17.2.2020). Wasserschlacht auf der Oberbaumbrücke (Bildergalerie), ; Gemüseschlacht (Brückenschlacht, Was­ser­ schlacht 2012, (letzter Zugriff 17.2.2020). Wasserschlacht: Friedrichshain vs. Kreuzberg 200 Berliner kämpfen auf der Oberbaumbrücke, Berliner Zeitung, 2.9.2012,