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German Pages 304 Year 1992
DIRK HECKMANN
Der Sofortvollzug staatlicher Geldforderungen
Schriften zum Prozessrecht Band 112
Der Sofortvollzug staatlicher Geldforderungen Ein Beitrag zur Rechtfertigung der Vorleistungspflicht des Bürgers im Spiegel des Verfassungs-, Prozeß- und materiellen Rechts
Von
Dr. Dirk Heckmann
Duncker & Humblot . Berlin
Diese Arbeit wurde von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. mit dem earl-von Rotteck-Preis 1992 ausgezeichnet.
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Heckmann, Dirk: Der Sofortvollzug staatlicher Geldforderungen : ein Beitrag zur Rechtfertigung der Vorleistungspflicht des Bürgers im Spiegel des Verfassungs-, Prozess- und materiellen Rechts / von Dirk Heckmann. - Berlin: Duncker und Humblot, 1992 (Schriften zum Prozessrecht; Bd. 112) Zug!.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1991 ISBN 3-428-07634-6 NE:GT
Alle Rechte vorbehalten © 1992 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISSN 0582-0219 ISBN 3-428-07634-6
Meinen Eltern und Celina
Vorwort
Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1991/92 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. als Dissertation angenommen. Ihr zentraler Gegenstand ist § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Die Bedeutung dieser Vorschrift für die Verwaltungs(gerichts)praxis steht in einem auffälligen Mißverhältnis zu ihrer monographischen Aufbereitung (wenn man von den grundlegenden Ausführungen bei F. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz und Risikoverteilung im Verwaltungsrecht, 1988, einmal absieht). Man darf von der hier vorgelegten Untersuchung gleichwohl keine "Kommentierung" des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erwarten. Wie aus dem Untertitel ersichtlich, geht es um eine - in diesem Sinne tatsächlich umfassende - Rechtfertigung der Vorleistungspflicht des Bürgers, die ihm durch den Sofortvollzug (die sofortige Vollziehbarkeit) staatlicher Geldforderungen auferlegt wird. Den Schwerpunkt bildet somit eine prozeßtheoretische Studie über diese Vorleistungspflicht vor dem Hintergrund des Prozesses der Rechtsverwirklichung. Hier galt es, neue Erkenntnisse in Bezug auf die funktionale Stellung des Richters bei der Verwirklichung streitigen Rechts zu gewinnen (Stichworte: duale Vollzugsordnung, Richterspruchvorbehalt). Demgegenüber erhoffe ich mir den größten praktischen Nutzen aus den Überlegungen zur Verzinsung als Folge der Vorleistung auf rechtswidrige Leistungsbescheide. Im Detail mußte vieles offen bleiben. Die Probleme, die sich um § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ranken, konnten vielleicht sichtbar gemacht werden. Sie zu lösen, bleibt weiterhin eine gemeinsame Aufgabe von Rechtsprechung und Rechtswissenschaft. Die Arbeit wurde auf den Stand von September 1992 gebracht. Mein Dank gilt in erster Linie meinem verehrten akademischen Lehrer, Herrn Professor Dr. Thomas Würtenberger. Seine Unterstützung in fachlicher, aber auch in menschlicher Hinsicht bedeutete mir eine große Hilfe. Er begegnete meinem Thema von Anfang an aufgeschlossen. Ihm von Trier nach Freiburg zu folgen, erwies sich als glückliche Fügung, die auch zum Entstehen dieser Arbeit viel beigetragen hat. Das Zweitgutachten erstattete Herr Professor Dr. Joachim N. Stolterfoht. Ihm bin ich für viele hilfreiche Anmerkungen und Anregungen zum Steuerrecht zu Dank verpflichtet.
8
VOlWort
Danken möchte ich schließlich der Wissenschaftlichen Gesellschaft in Freiburg i. Br., die die Drucklegung durch eine großzügige Beihilfe gefördert hat. Mein Dank gilt schließlich dem Verlag Duncker & Humblot, namentlich Herrn Professor Norbert Simon für die Aufnahme der Arbeit in die Schriften zum Prozeßrecht sowie Frau Birgit Müller für die sorgfältige und zügige Bearbeitung des Manuskripts. Freiburg, im Oktober 1992 Dirk Heckmann
Inhaltsverzeichnis Einleitung
17
I. ADnähenmgen an das Thema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
I. Vor dem Hintergrund der neuen Handlungsformendiskussion . . . . . . . . . . . . .
17
2. Vor dem Hintergrund des Vollstreckungssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20
3. Vor dem Hintergrund der "Legitimation" staatlichen HandeIns . . . . . . . . . . . .
22
11. Die Rechtfertigung des Sofortvollzugs als "Querschnittsproblem" ..........
25
I. Die Ignorierung der ungewissen Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
2. Zweifel gegenüber dem Sofortvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
3. Drei Ebenen der Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
4. Sofortvollzug und der "Faktor Zeit"
28
............................
Erstes Kapitel
Prozeßrechtliche Grundlegung der Vorleistungspflicht des Bürgers
29
I. Der Sofortvollzug als Bestandteil einer "dualen Vollzugsordnung" . . . . . . . . . .
29
I. Vorbemerkung: Vollstreckung, Vollzug und Vorleistungspflicht . . . . . . . . . . .
29
2. Der Begriff der Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
a) Rechtserkenntnis und Vollstreckungsakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
b) Vollstreckung als staatliches Verfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
c) Vollstreckung und Zwang. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
3. Die Funktionen der Vollstreckung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34
a) Der Vollstreckungszweck: Die Rechtsverwirklichung . . . . . . . . . . . . . . . .
34
b) Die Vollstreckungsziele: Materielle Gerechtigkeit und Rechtsfrieden . . . . . .
34
c) Die Vollstreckungsmittel: Beugung, Sicherung und Realisierung . . . . . . . . .
35
aa) Beugungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
bb) Sicherungsfunktion .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
cc) Realisierungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
10
Inhaltsverzeichnis 4. Prozeßrechtliche Hilfserwägung: Die "duale Vollzugsordnung" . . . . . . . . . . . .
37
a) Die vertikale Trennlinie: Verwaltungsvollstreckung und zivilprozessuale Zwangsvollstreckung
39
aal Gemeinsame Vollstreckungsregeln im Zivil- und Verwaltungsrecht . . . ..
39
bb) Prinzipielle Unterschiede in der Vollstreckungsordnung . . . . . . . . . . . .
40
b) Die horizontale Trennlinie: Verwaltungsvollstreckung und verwaltungsgerichtliche Vollstreckung . . . . ..
41
aal Vollstreckung im Verwaltungsrechtsweg .... . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
bb) Vollstreckung im Finanz- und Sozialrechtsweg .... . . . . . . . . . . . ..
42
cc) Beitreibung und Verwaltungszwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
c) Die diagonale Trennlinie: Regelvollzug und Sofortvollzug . . . . . . . . . . . . .
44
aal Systembildende Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44
bb) Vollstreckung nach dem Richterspruch als normativer Regelfall . . . . . . .
47
cc) Sofortvollzug als Paradigma der "vorgerichtlichen" Rechtsverwirklichung .
50
dd) Exkurs: Vorläufige Verwaltungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
ee) Exkurs: Vorauszahlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58
11. Grunde für den Sofortvollzug staatlicher Geldforderungen
59
1. Finanzierungsinteresse: Die Sicherung des stetigen Abgabenaufkommens der öffentlichen Haushalte
60
2. Mißbrauchsbeschränkung: Die Vermeidung beliebiger Stundungseffekte . . . . . .
62
3. Staatsräson: EffIZienz des Verwaltungshandelnsin der Rechtsverwirklichung ...
64
111. Prozeßtheoretische Hilfserwägung: Der Leistungsbescheid als "autoritative Rechtsbehauptung" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
1. Der Inhalt des Leistungsbescheides . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
2. Die "autoritative Rechtsbehauptung" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
74
3. Die" Anstoßfunktion " des Leistungsbescheides . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
80
InhaltsvelZeichnis
11
Zweites Kapitel Typologie und Einzelf"älle der Geldforderungen im Regel- und Sofortvollzug
82
I. Die staatliche Geldfordenmg als vollstreckbarer Anspruch . . ............
82
1. Der Anspruchsinhalt. . . . . .
82
2. Sachgruppen. . . . . . . . .
83
a) Öffentliche Abgaben und Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
b) Ahndungs- und Erzwingungsgelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
c) Vertragliche Schuldverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87
d) Gesetzliche Schuldverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
e) Privatrechtliche Geldforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89
3. Der Grund der Vennögensverschiebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
a) Einnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
b) Kompensation. . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ...
94
c) Lenkung. . . . . . ..
...................................
95
11. Gesetzliche Grundlagen der Beitreibung ..........................
97
1. Nonnenbestand im Bundes- und Landesrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
a) Die Materie "Vollstreckung" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
b) Gesetzgebungskompetenzenim Beitreibungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
c) Bundesgesetze im Beitreibungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
100
d) Landesgesetze im Beitreibungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
100
2. Abgrenzungsmodi im Beitreibungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
100
a) Vollstreckungsgläubiger, § lAbs. 1 VwVG
.....................
101
b) Rechtsnatur und Rechtsweg, § lAbs. 2 VwVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
102
c) Leges speciales, § 1 Abs. 3 VwVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
103
3. Voraussetzungen der Beitreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
104
a) Der funktionale Zusammenhang zwischen Verwaltungsvollstreckung und Verwaltungsprozeßrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
104
b) Behördlicher und gerichtlicher Rechtsschutz als Vollstreckungshindernis . . ..
107
c) Entbehrlichkeit eines Vollstreckungstitels, § 3 Abs. I VwVG . . . . . . . . . ..
110
d) Der Zeitpunkt der Vollstreckung, § 3 Abs. 2 und 3 VwVG . . . . . . . . . . ..
112
Inhaltsverzeichnis
12
111. Öffentliche Abgaben und Kosten als Gegenstand des SofortvoUzugs
114
1. Vorbemerkung: Sofortvollzug nach § 80 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO . . . . . . . .
114
2. Der Begriff der öffentlichen Abgaben und Kosten (§ 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ..
116
a) Wortlaut, Sinn und Zweck der Vorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
116
b) Steuern . . . . . . . . .
117
c) VOlZUgslasten. . . . .
118
d) Öffentliche Kosten . .
119
IV. Ausgewählte Grenzfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
120
1. Sonderabgabenund "sonstige Abgaben" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
120
2. Nutzungsentgelte . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
124
3. Säumniszuschläge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
125
4. Kosten der Ersatzvornahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
126
5. "Aufwendungsersatz" nach § 18 Abs. 5 S. 3 AuslG . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
128
6. "Reaktivierende Abgabenforderungen " . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
129
V. Die Notwendigkeit eines generalisierten Vorschusses: "Legitimierende" und "limitierende" Aspekte des Sofortvollzugs
130
1. Annäherungen an die Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
130
2. Kausale Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
131
a) Finanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
131
b) Mißbrauchsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
132
3. "Legitimierende" Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
132
a) Notwendigkeit des Mittelflusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
132
b) Erhöhte Chancen der Richtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
134
c) EffIZienz der Generalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
134
4. "Limitierende" Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
135
a) Ausgangslage . . . . . . .
135
b) Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
136
aal Grundsatz . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
136
bb) Insbesondere: Sonderabgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
136
c) Risikoverteilung ....
138
aal Grundsatz . . . . .
138
bb) Insbesondere: Säumniszuschläge und Vollstreckungskosten . . . . . . . . ..
139
cc) Insbesondere: § 18 Abs. 5 S. 3 AuslG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
139
Inhaltsverzeichnis
13
dd) Insbesondere: "Reaktivierende Abgabenforderungen" . . . . . . . . . . . ..
141
ee) Insbesondere: Nutzungsentgelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
141
5. Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
142
Drittes Kapitel
Verfassungsrechtliche Aspekte der Vorleistungspflicht des Bürgers
143
I. Die rechtsstaatlichen Detenninanten des SofortvoDzugs . . . . . . . . . . . . . . . ..
143
11. SofortvoUzug und Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
149
1. Zur Sensibilisierung des Gewaltenteilungsschemas . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
149
2. Der Richterspruchvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
154
a) Zum Meinungsstand: Leistungsbescheid und Art. 92 GG . . . . . . . . . . . . ..
154
b) Der Begriff der "Rechtsprechung im materiellen Sinne" . . . . . . . . . . . . . .
156
aa) Vorbemerkung: Entbehrlichkeit einer allgemeinen Definition. . . . . . . ..
156
bb) Die Grundsatzentscheidung: BVerfGE 22, 49 . . . . . . . . . . . . . . . . ..
159
cc) Der Rechtsprechungsbegriffin der Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . ..
161
dd) Die elementaren Merkmale des anerkannten Rechtsprechungsbegriffs ...
162
c) Kritik der herrschenden Begriffsbildung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
164
d) Regelvollzug und Richterspruchvorbehalt
167
e) Sofortvo1lzug und Richterspruchvorbehalt
171
aa) Die Autorität des Richters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
172
bb) Die Richtigkeitsgarantien der Rechtsprechung. . . . . . . . . . . . . . . . ..
174
3. Der Gesetzesvorbehalt . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
177
a) Vom Eingriffs- zum Handlungsformvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
177
aa) Der Verwaltungsakt als "Hausgut" der Verwaltung? Wiederbelebung eines alten Themas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
177
bb) Pro und contra in der Handlungsformdebaue . . . . . . . . . . . . . . . . . .
179
cc) Differenzierender Maßstab nach Subordinationsgesichtspunkten . . . . . ..
184
b) Zur Eingriffsqualität des Verwaltungsakts im Regelvollzug . . . . . . . . . . . .
185
aa) Keine Entbehrlichkeit der Fragestellung zugunsten der Exekutive . . . . ..
185
bb) Keine Entbehrlichkeit der Fragestellung zugunsten der Legislative . . . . .
186
cc) Die Vorteil-lNachteil-Rechnungbeim Verwaltungsakt . . . . . . . . . . . ..
187
dd) Soziologischer Aspekt: Die Hemmschwelle der Gegenwehr .... . ....
188
14
Inhaltsverzeichnis ee) Prozessualer Aspekt: Die Rollenvenauschung
190
ft) Finanzieller Aspekt: Das Prozeß(kosten)risiko
191
c) Demokratische und rechtsstaatliche Komponenten des Gesetzesvorbehalts in der Rechtsverwirklichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
192
aa) "Drohende" Bestandskraft, Titel und Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . .
192
bb) Keine demokratischen DefIZite im Regelvollzug . . . . . . . . . . . . . . . .
192
cc) Bestimmtheit und Rechtssicherheit im Regelvollzug . . . . . . . . . . . . . .
193
d) Sofortvollzug und Gesetzesvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
194
aa) Vorleistungsptlicht als spezifischer Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
194
bb) § 80 Abs. 2 Nr. I VwGO als Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . ..
194
cc) Abgabenbegriffund Abgabenbescheid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
195
Viertes Kapitel Vennögensrechtliche Aspekte der Vorleistungs pflicht des Bürgers
198
I. Die Verzinsung als Bestandteil der Vermögeosordnung . . . . . . . . . . . . . . . ..
199
I. Funktionen der Verzinsung im Privatrecht und öffentlichen Recht . . . . . . . . . .
199
a) Zinsen als Entgelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
199
b) Geldwert, Geldentwertung und Geldnutzung: Zinsen als Mittel der Restitution oder Kompensation
200
c) Abgrenzung der Zinsen zu Säumnis-, Verspätungs- und anderen Zuschlägen..
202
2. Zinsen als Anspruchsinhalt im öffentlichen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
202
a) Normativer Befund: Annäherungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
202
aa) Frühere und aktuelle Indifferenzen im Zinsrecht . . . . . . . . . . . . . . . .
202
bb) Ausblendung der Ansprüche des Staates gegen den Bürger . . . . . . . . ..
205
cc) Ausblendung der Anspruche wegen Verzögerung der Erfüllung sog. primärer Geldforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
206
b) Inkurs I: Die sog. Vollverzinsung im Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . ..
207
aa) Überblick. . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
207
bb) Vollverzinsung und Vorleistungsptlicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
208
cc) Erstattungs- und Prozeßzinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
212
c) Inkurs 2: Erstattungszinsen im Sozialrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
213
aa) Überblick . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2 I3
bb) Erstattungszinsen und Vorleistungsptlicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
215
Inhaltsverzeichnis
15
d) Die Anknüpfungspunkte der Verzinsung des Erstattungsanspruchs wegen Sofortvollzugs eines rechtswidrigen Leistungsbescheides . . . . . . . . .
219
aa) Nutzung. . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
220
bb) Vel"LUg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
221
cc) Rechtshängigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
221
dd) Schaden. . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
222
e) Analogiefähigkeit und -bedarf im Hinblick auf die (spezial-)gesetzlich geregelte Verzinsung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
222
11. Das Modell des "materiellen Zwischenrechts" und der Einnahmeeffekt des versagten Zinses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
224
1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
224
2. Das "Zwischenrecht" als Hilfserwägung: Prozessuale und materielle Positionen der Interimsregelung des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
225
a) Das "materielle Zwischenrecht" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
225
b) Die interimistische Befriedungsfunktiondes vorläufigen Rechtsschutzes. . . ..
226
c) Spezifisch abgabenrechtliche Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
227
aa) Die Sicherung des stetigen Abgabenautkommens . . . . . . . . . . . . . . ..
227
bb) Die Vermeidung eines "zinslosen Kredits" für den Bürger . . . . . . . . ..
230
cc) Die Waffengleichheit zwischen Staat und Bürger . . . . . . . . . . . . . . ..
231
dd) Die "Rechtmäßigkeit" des Sofortvollzugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
234
ee) Die Verteilung des Fehlentscheidungsrisikos . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
235
111. ADsprucbsgrundlagen für die Verzinsung vorgeleisteter rechtswidriger staatlicher Geldforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
236
1. Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch als Ausgangslage . . . . . . . . . . ..
236
a) Inhalt, Herkunft und Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
236
aa) Das Erstattungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
236
bb) Die rechtliche Herleitung des Erstattungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . .
237
cc) Erstattungsanspruch und Folgenbeseitigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
238
b) Umfang der Erstattung, Beginn und Ende des Zinslaufs . . . . . . . . . . . . . .
240
aa) Erstattung und Wiederherstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
240
bb) Zur Aufhebung des Rechtsgrundes "ex tunc" . . . . . . . . . . . . . . . . . .
241
cc) Urteilserlaß, Rechtskraft und Auszahlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
241
16
Inhaltsverzeichnis 2. Zinsen wegen Verzögerung der Erstattung des fremden Geldes . . . . . . . . . . ..
243
a) Der Rechtsgedanke des § 288 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
243
b) Der Meinungsstreit zu den Verzugszinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
244
c) Die Fiktion einer riickwirkenden Begriindung der Fälligkeit . . . . . . . . . . ..
246
3. Zinsen wegen Rechtshängigkeit des Erstattungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . .
248
a) Der Rechtsgedanke des § 291 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
248
b) Der Meinungsstreit zu den Prozeßzinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
248
c) Zur "Synchronität" von Verzugs- und Prozeßzinsen . . . . . . . . . . . . . . . ..
249
4. Zinsen als Schadensersatz bzw. Entschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
250
a) Der Tatbestand der Amtshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
250
b) Subsidiarität der Amtshaftung und vorläufiger Rechtsschutz . . . . . . . . . . ..
251
c) Folgenentschädigungund enteignungsgleicherEingriff . . . . . . . . . . . . . ..
252
5. (Wert-) Ersatz der Gebrauchsvorteile aus der Nutzung fremden Geldes . . . . . ..
253
a) Der Rechtsgedanke des § 818 Abs. 1 und 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . .
253
b) Der Meinungsstreit zum Nutzungsersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
255
c) Wirtschaftliche und rechtliche Gesichtspunkte einer Ertragsabschöpfung staatlicher Kapitalnutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
256
aal Die Funktion des Geldes im öffentlichen Recht . . . . . . . . . . . . . . . ..
258
bb) Der tatsächliche Ertrag der Kapitalnutzung durch den Staat . . . . . . . . .
259
cc) Das öffentliche Interesse an dem Verbleib des Ertrags im Staatshaushalt .
260
dd) Der Eingriff in den privaten Haushalt durch die Vorenthaltung des Ertrags
261
ee) Die "Folgewirkungen" der Verzinsung und Nichtverzinsung . . . . . . . ..
261
Zusammenfassung
263
Literaturverzeichnis
271
Sachverzeichnis
299
Einleitung I. Annäherungen an das Thema 1. Vor dem Hintergrund der neuen Handlungsrormendiskussion
Zu Beginn der neunziger Jahre ist die Entwicklung der Dogmatik und Rechtspolitik des VeIWaltungshandelns durch zwei Gesichtspunkte gekennzeichnet: Kooperation und Beschleunigung. Diese Begriffe stehen in einem scheinbaren Widerspruch. Einerseits deutet Kooperationl auf ein Aushandeln der Entscheidung durch die Beteiligten hin und dient damit kaum der Beschleunigung2• Andererseits läßt sich bezweifeln, ob eine einseitige Regelung und ihre zwangsweise VeIWirklichung (als Alternative zum kooperativen VeIWaltungshandeln) mehr als oberflächlich die Rechtsdurchsetzung forciert. Die (notwendige oder willkürliche) Inanspruchnahme des (vorläufigen) Rechtsschutzes, nicht zuletzt als Folge mangelnder Akzeptanz des einseitigen VeIWaltungshandeins, kann die VeIWirklichung des materiellen Rechts ebenfalls hemmen3 • Das Motto der VeIWaltungsreformüberlegungen lautet mithin: Beschleunigung durch Kooperation4• Ihr Gegenstand sind primär die "protestanfälligen Verwaltungsentscheidungen" im Bereich der final programmierten Planungsverwaltung' (umweltrelevante Großanlagen, Fernstraßenbau u.a.).
I Vgl. aus der Fülle der neueren Literatur Hoffmann-Riem, AöR 115 (1990), 400 ff.; &nigl Rublack, Jura 1990, 1 ff.; Schrader, DÖV 1990,326 ff.; Ben" Die Verwaltung 1990, 83 ff.; Bohne, VerwArch. 75 (1984),343 ff.; kritisch Ulbbe-WolJ, NuR 1989,295 ff.; vgl. auch bereits Riner, AöR 104 (1979), 389 ff. Nicht zufällig befaßte sich auch die 31. Assistententagung im Öffentlichen Recht 1991 mit dem "Wandel der Handlungsfonnen im Öffentlichen Recht" (vgl. unter diesem Titel auch den Tagungsband, hrsg. von Karhrin Becker-SchwaneIWolJgang Köckl 7homas lUlpkalMarhias von Schwanenjlagel). 2 Zur Beschleunigung als Anliegen der Verwaltungsrefonn jüngst Bullinger, JZ 1991, 53 ff.; besonders S. 59: Die Suche nach Konsens könne "sich als nicht weniger zeitraubend erweisen". 3 Vgl. Wanenberger, NJW 1991,257 ff., 261 (unter Betonung des Gesichtspunkts der Verfahrensökonomie). • Vgl. auch Hoffmann-Riem, AöR 115 (1990),415 ("Motivationskraft von Akzeptanz als Implementationshilfe"); differenzierend Bullinger, JZ 1991,61, der in seinem Modell einer "selektiven Beschleunigung bei gesteigertem Eilbedarf" Möglichkeiten zur Konsensbildung berücksichtigen will. 5 Wanenberger, NJW 1991,258.
2 Heckmann
Einleitung
18
Außer Diskussion steht hingegen prinzipiell der Normvollzug im Bereich konditionaler Programmierung wie etwa im Abgabenrecht. Hier agiert der Staat mit dem klassischen Instrumentarium der Hoheitsverwaltung - Verwaltungsakt und Verwaltungsvollstreckung - und das scheint auch unproblematisch: Erstens läßt der Norminhalt (z.B. die Geldforderung) wenig Spielraum für eine Kompromißbildung; zweitens besteht dazu auch kein Anlaß, weil die Abwägung der konfligierenden Interessen um das Fordern- oder Behaltendürfen des Geldes bereits bei Normerlaß vorgenommen wurde; und drittens ist die Verwirklichung einer Geldforderung als "technisch einfacher Vorgang" weitgehend frei von schwierigen Wertungsfragen, fehleranfälligen Prognosen, Interessen Dritter sowie umwelt- oder nachweltrelevanter Konsequenzen. Insoweit erscheint der in rechtsstaatlichen Bahnen verlaufende (Regel-) Vollzug staatlicher Geldforderungen als Paradebeispiel für das "hoheitliche Moment im Verwaltungsrecht der Gegenwart"6. Das bedeutet natürlich nicht, daß der Vorgang der Rechtsanwendung dergestalt programmiert wäre, daß am Ende eine einzige Entscheidung, logisch einwandfrei ermittelt, stünde. Der Richter ist eben nicht der Mund, der nur den Wortlaut des Gesetzes ausspricht?, sondern herausgehobenes Organ der Rechtspflege. Auch im Bereich konditionaler Programmierunt-ist die Rechtsanwendung daher nicht frei von unterschiedlichen Wertungen. Ob allerdings die staatliche Geldleistungspflicht ausgehandelt werden darf, erscheint zweifelhaft. Aus Gründen der Abgabengerechtigkeit ist vielmehr eine "normkongruente" Rechtsverwirklichung geboten. Als "Grundpflicht" muß die Entrichtung von Abgaben nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig erfolgen8 ; das wird nur durch eine "rechtsnahe Verwirklichung" der staatlichen Geldforderungen bewerkstelligt. Folglich ist im Streit um die Berechtigung des Anspruchs eine dem Recht gemäße Entscheidung anzustreben9 • Das führt zur eigentlichen
Vgl. die gleichnamige Abhandlung von HiIl, DVBI. 1989, 321 ff. Zu dieser berühmten Wendung Montesquieus (Oe I'esprit des lois, L. XI eh. 6) vgl. etwa OssenbUhl, Richterrecht, S. 6; Seibert, S. 97, der die zutreffenden Konsequenzen auch rur die Tätigkeit der Verwaltung zieht. • Vgl. Heun, S. 264; zur Entrichtung von Abgaben als Grundpflicht des Bürgers vgl. besonders Löwenberg, S. 109 ff. • Zum "Anspruch auf Richtigkeit", speziell bei der richterlichen Entscheidung vgl. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 265 ff. Um an dieser Stelle Mißverständnissen vorzubeugen: Hier wird keineswegs das überkommene Dogma der "einzigen richtigen Entscheidung" wiederbelebt. Die These der gebotenen "rechtsnahen Verwirklichung" speziell der gebundenen Verwaltung erscheint lediglich als Konsequenz des Dilemmas, der Ungewißheit im Recht mit sicheren Erkenntnissen begegnen zu wollen. Insoweit ist die "rechtsnahe Entscheidung" mit der 6
7
I. Annäherungen an das Thema
19
Problematik des Normvollzugs in Fällen konditionaler Programmierung: Was ist hier die "richtige Entscheidung"? Weil es auch in der Rechtsanwendung keine "absolute Wahrheit" geben kann 1o, Rechtssätze in der Regel auslegungsbedürftig sindlI, muß sich der Normvollzug an einer "relativen Richtigkeitsgewähr" orientieren. Dies ist hier weniger der ausgehandelte Kompromiß als vielmehr die richtige Rechtserkenntnis durch normgerechte Auslegungl2. Richtige Rechtserkenntnis im Streitfall ist, das sei an dieser Stelle zunächst als These behauptet 13 , richterliche Rechtserkenntnis l4 • Der gerichtliche Rechtsschutz rechtfertigt die Rechtsverwirklichung lS , sodaß die Realisierung einer gerichtlich als berechtigt festgestellten Geldforderung keiner weiteren Rechtfertigung bedarf. Weil sich der Regelvollzug - wie in der zivilprozessualen Zwangsvollstreckung - aber gerade dadurch auszeichnet, daß der Vollstreckung stets ein gerichtliches Erkenntnisverfahren vorausgeht l6 , wird dort die Kooperation durch einen "dogmatischen Diskurs" vor Gericht ersetzt, in dem die Rechtsbehauptungen der Beteiligten die Streitentscheidung initiieren. Anders sieht es beim Sofortvollzug staatlicher Geldforderungen (§ 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO i.V.m. §§ 1, 3 VwVG) aus. Er begründet eine Vorleistungspflicht des Bürgers. Zu diesem Zweck wird der Rechtsschutz verkürzt und damit die "diskursive" Beteiligung von Bürger und Gericht eingeschränkt. Die Rechtsverwirklichung liegt (zunächst) in den Händen der Verwaltung. In der eingangs gewählten Terminologie kann man hier von "Beschleunigung statt Kooperation" sprechen. Daraus ergibt sich zugleich der Rechtfertigungsbedarf für diese Form staatlichen Handelns. Auch wenn man sich die skizzierten Unterschiede zwischen finaler und konditionaler Programmierung des Ver-
·vertretbaren Entscheidung" vergleichbar, die Zippelius, Methodenlehre, § 16 111, in ähnlichem Problemzusammenhang vorschlägt. Daß sie rechtstheoretisch auf eine Fiktion hinausläuft, ist hinnehmbar; vgl. auch Pierzcker, VVDStRL 41 (1982), S. 224; dezidiert Seiben, S. 96 ff. •0 Auch Wanenberger, NIW 1991,263 rekurriert auf die neueren Strömungen der Wahrheitstheorie zur Begründung einer akzeptanzfördernden Gestaltung des VelWaltungsverfahrens. Zur Sichtweise des radikalen Konstruktivismus vgl. etwa 11. Glasersfeld, in: Die erfundene Wirklichkeit, S. 16 ff., besonders S. 22 ff., demzufolge sich jede Schluß folgerung aus einer "objektiven" Wirklichkeit verbiete. tt Zippelius, Methodenlehre, §§ 8-10; Sendler, DVBl. 1988,831. 11 Zur Konkretisierung der Rechtsnormen durch Auslegung oder Subsumtion vgl. Zippelius, Methodenlehre, § 16 D. t3Vgl. im einzelnen unten S. 74ff. (76), 172ff., 174ff. '4 So auch Manens, Praxis des VelWaltungsverfahrens, Rn. 211, 214. " Kritisch gegenüber diesem Gerichtsschutzmodell Hoffinann-Riem, AöR 115 (1990), 407 ff.; vgl. auch Lorenz, S. 151 ff. '6 Zu dieser Sicht einer "dualen Vollzugsordnung" unten S. 37 ff.
20
Einleitung
waltungshandelns vor Augen hält, stellt sich die Frage nach der richtigen Handlungsform: Ist es heute noch gerechtfertigt, daß der Staat seine Geldforderungen einseitig durch Leistungsbescheid festsetzt, sie ggfs. ohne gerichtlichen Titel sofort vollstreckt und den erlangten Geldbetrag allenfalls unverzinst zurückerstattet, wenn sich die fehlende Berechtigung später herausstellt? 2. Vor dem Hintergrund des VolIstreckuDgssystems
Man könnte auch einen Schritt weitergehen: Ist Verwaltungsvollstreckung noch zeitgemäß? Diese Frage stellte Borchert in einem Aufsatz 197717 und reagierte damit nicht zuletzt auf die kritischen Äußerungen von Gaul, der wiederholt das unübersichtliche Vollstreckungswesen der öffentlichen Hände und die damit verbundenen staatlichen Privilegien anprangerte l8 • Gegenstand der Kritik war insbesondere die Doppelrolle der Verwaltung als Gläubiger und Vollstrecker sowie das Fehlen eines (gerichtlichen) Titels bei der Beitreibung staatlicher Geldforderungen. Dem trat in der Sache v. Mutius entgegen, als er, gestützt auf Erwägungen der Sachgerechtigkeit und Effizienz, 1986 resümmierte l9 : "Die Verwaltungsvollstreckung (ist) verfassungsmäßig, notwendig und zweckmäßig "20. So sehr man sich einerseits der Notwendigkeit einer wirkungsvollen Gefahrenabwehr oder einer funktionsgerechten Durchsetzung von Steuerforderungen bewußt ist, hegen sich andererseits Zweifel an der Rechtfertigung von Privilegien21 , die der Staat im Vollstreckungsrecht genießt .
• 7 Borehen, KKZ 1977, 117 ff. 's Gaul, JZ 1973,477; ders., JZ 1974,280,284; ders.; JZ 1979,499,502 . •• v. Mutius, KKZ 1986, 167. 20 Dabei weist v. Mutius, KKZ 1986, 164 ausdrücklich darauf hin, daß die Entscheidung einer neutralen Stelle über die Vollstreckung akzeptanzemöhend und damit letztlich auch effizienzsteigernd sein könnte. 2. Ob man im Vemältnis des Staates zum Bürger übemaupt von Privilegien sprechen kann, die vor dem Hintergrund des Gleichbehandlungsgeboteszu rechtfertigen wären, ist fraglich. "Privilegiert" ist der Sache nach deljenige, der gegenüber einem gleichgestellten Anderen bevorzugt wird. Die Rechtsstellung des Staates ist aber gegenüber deljenigen des Bürgers zumindest im Bereich der Hoheitsverwaltung nicht vergleichbar. Deshalb findet Art. 3 Abs. 1 GG hier prinzipiell keine Anwendung (vgl. aber auch BVerfDE 27,391,395). Offen bleibt dagegen, ob ein in allen Bereichen geltender allgemeiner Gleichheitssatz (vgl. etwa BVerfDE 41, 1, 13) geeignet wäre, die unterschiedliche Behandlung des Staates gegenüber dem Bürger zu beschränken. Dagegen spricht etwa, daß die Rechtsstellung des Staates ihren wesentlichen Inhalt aus dem Grundgesetz und den ihm gemäßen Gesetzen in Form von Kompetenzen (Aufgabenzuweisungen und Eingriffsbefugnissen) erfährt, sodaß gegen sie weniger der Gleichheitssatz als vielmehr die Freiheitsgrundrechte zur Abwehr übermäßiger Eingriffe mobilisiert werden sollten.
I. Annäherungen an das Thema
21
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß die Verwaltungsvollstreckung zunehmend auch auf privatrechtliche Geldforderungen des Staates erstreckt wird. So eröffnet etwa § 9 Abs. 1 FAG n.F. 22 die Möglichkeit der Beitreibung des Fernmeldeentgelts im Verwaltungswege. Das wird mit Praktibilitätserwägungen gerechtfertigt, obwohl es nahe gelegen hätte, diese privatrechtlichen Geldforderungen im zivilprozessualen Mahnverfahren durchzusetzen. Der Verfahrensablauf wäre ähnlich gewesen, in jedem Fall aber systemgerechter. Die Intention, staatliche Geldforderungen zu privilegieren, wird hier sehr deutlich. Dabei erscheint es fraglich, ob der Staat überhaupt ein "Wahlrecht" hat, wie er seine Anspruche in das bestehende Vollstreckungssystem einordnet23 • Die Tatsache, daß diese Rechtsentwicklung von der Rechtswissenschaft bislang kaum kommentiert, geschweige denn kritisiert wurde24 , zeigt, daß das Vollstreckungssystem immer noch einen Bereich bildet, in dem sich die Staatsgewalt undifferenziert entfalten kann. Die globalen Alternativen "private Selbsthilfe" oder "staatliche Vollstreckung"25 versperren die Sicht auf eine differenzierende Vollstreckungsordnung, deren Instrumente einem unterschiedlichen Rechtfertigungsbedarf ausgesetzt sind. Zu diesen Instrumenten zählt auch der "Sofortvollzug". Sicherlich, die "Selbsttitulierung" der Verwaltung und die "Identität von Gläubiger und Vollstreckungsbehörde" werden heute von der ganz h.M. 26 als verfassungsgemäß, insbesondere als vereinbar mit dem Rechtsstaatsprinzip angesehen. Es fehlt auch nicht an Versuchen, alle möglichen Zweifel an der Rechtsstaatlichkeitder Verwaltungsvollstreckung(Rechtsschutzgarantie, Gewaltenteilung, Vorbehalt des Gesetzes u.a.m.) aufzuzeigen und wieder auszuräumen27 • Das scheint so gut gelungen, daß Kommentare und Lehrbücher die
2l Geändert durch Art. 3 Nr. 7 des Poststrukturgesetzesvom 8.6.1989 (BGBI. I, S. 1026). Diese Neufassung gilt allerdings erst, seitdem die Teilnehmerverhältnisse nicht mehr öffentlich-rechtlich geregelt sind. Das ist seit dem 1.7.1991 der Fall, als die Telekommunikationsordnungaußer Kraft getreten ist; vgl. hierzu Aldag, NJW 1990,2864 f. sowie unten S. 89 ff. 23 Zu diesem (problematischen) Wahlrecht vgl. allgemein Kempen, Die Formenwahlfreiheit der Verwaltung. :u Vgl. die wenigen, eher gemäßigten Anmerkungen von Aldag, NJW 1990,2864 f.; SralZ, DÖV 1990,241 ff.; SchatZ$chneider, NJW 1989,2373; Schwonke, NJW 1991, 149 f. 25 Vgl. Frohn, S. 13. 26 WolfflBachoJ, Verwaltungsrecht 111, § 160 I, Rn. 1; Wallerath, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 11, S. 295; Bull, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 17, Rn. 965, v. Mutius, KKZ 1986, 161 ff.; Borchert, KKZ 1977, 117 ff. 27 Vgl. etwa G. Amdt, S. 25 ; Löwenberg, S. 114 ff.
22
Einleitung
Verwaltungsvollstreckung in der heutigen Form nicht in Frage stellen28 • Dem soll auch in der vorliegenden Arbeit nicht widersprochen werden. Die vorgenannten Zweifel leben jedoch wieder auf, wenn man sich bestimmten Erscheinungsformen der Verwaltungsvollstreckung zuwendet. Zu ihnen gehört der "Sofortvollzug", der schon im Namen erkennen läßt, daß hier der staatliche Zwang - mit dem zeitlichen Attribut "sofort" versehen, effektuiert und intensiviert - ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis weckt. Bei der Erzwingung von Handlungen, und dort speziell im Polizeirecht, kennzeichnet der "sofortige Vollzug" den Verwaltungszwang ohne vorausgehenden Verwaltungsakt. Solchermaßen erlaubte Rechtsschutzdefizite bedürfen der Rechtfertigung29 • Gleiches gilt für die Beitreibung von Geldforderungen. Auch hier gibt es einen - in der wissenschaftlichen Behandlung bislang vernachlässigten Bereich des Sofortvollzugs. Um ihn geht es in dieser Arbeit30 • 3. Vor dem Hintergrund der "Legitimation" staatlichen Handelns
Ohne den Gründen des Sofortvollzugs an dieser Stelle zu weit vorzugreifen, läßt sich ein prägendes Merkmal bereits nennen: die Effizienz des Verwaltungshandeins. Der Staat erklärt die Anforderung öffentlicher Abgaben und Kosten für sofort vollziehbar, weil es nicht effizient wäre, die gerichtliche Entscheidung auf eine Leistungs- oder Anfechtungsklage abzuwarten. Indes: "Effizienz allein kann den Staat nicht legitimieren. " Diese These, mit der Kurt Sontheimer l die monetäre Sicht des Staates als technischen Dienstleistungsbetrieb anprangert, trägt auch in rechtlichen Kategorien: Dort, wo sich die
2. In den jüngsten Spezialwerken: App, Verwaltungsvollstreckungsrecht, und Enge/hardt, VwVG, fehlt jegliche Erörterung der Verfassungsmäßigkeit. Nach Sad/er, VwVG, § 3, Rn. 5, verpflichtet die "einschneidende Rechtsrnacht" der Behörde diese lediglich zu "besonderer Sorgfalt". 29 Vgl. hierzu Klaus Honnann, Die Anwendung von Verwaltungszwang unter Abweichung vom Regelvollstrecicungsverfahren, 1988. '" Wie selbst in diesem Bereich die deutsche Prozeßordnung unter dem "europäischen Dach" zu sehen ist, zeigt das Urteil des EuGH vom 10.7.1990 (EuZW 1990,384). Danach hatte die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstoßen, als sie es unterließ, Bescheide über die Heranziehung zur obligatorischen Destillation (trotz bestehender Zweifel hinsichtlich der Rechtmäßigkeit) sofort zu vollziehen und entsprechende Zwangsmittel einzusetzen. Auf diese Problematik kann hier nicht weiter eingegangen werden. Vgl. weiterhin die Entscheidung des BuGH vom 21.2.1991, JZ 1992,36 ff. m. Anm. Gomig; zur "Europäisierung des vorläufigen Rechtsschutzes" Triantafyllou, NVwZ 1992, 129 ff. " manager-magazin 1976, 125.
I. Annäherungen an das Thema
23
hoheitliche Macht des Staates besonders augenfällig äußert, in der VelWaltungsvollstreckung, wird eher sorglos mit Gesichtspunkten der Effizienz argumentiert32 • Es wäre deshalb von Vorteil, die Begründung der VelWaltungsvollstreckung über den Aspekt der Effizienz hinaus mit weiteren Überlegungen anzureichern. Aber geht es überhaupt um die "Legitimation" des Staates? Läßt sich für einen kleinen Ausschnitt der Staatstätigkeit, nämlich den Sofortvollzug staatlicher Geldforderungen, überhaupt die Frage nach der "Legitimität" aufwerfen? Unter "Legitimität" ist in erster Linie die Rechtfertigung staatlicher Herrschaft als Ganzes zu verstehen33 ; zu dieser Frage liegen auch zahlreiche Konzepte vo.-:w. Die neuere Entwicklung geht aber weiter: Rechtsfragen der Legitimation jeglicher Staatstätigkeit haben allenthalben Konjunktur. So haben die jüngsten Untersuchungen zur Legitimität der Gesetzgebungls, der Rechtsprechung36 und der VeIWaitung37 gezeigt, daß nicht nur die staatliche Herrschaft als solche, sondern auch einzelne ihrer Erscheinungsformen der Legitimation bedürfen. Das wird besonders bei Czybulka deutlich. In seiner Theorie der gestuften Legitimation38 stellt er der Grund- oder Basislegitimation und der institutionellen Legitimation die individuelle Legitimation gegenüber. Damit meint er die Mikroebene des alltäglichen Kontakts zwischen Staatsgewalt und Staatsbürger, in der ein Individualkonsens über einzelne Maßnahmen und Entscheidungen etwa der VelWaltungsbehörden herzustellen ist. Dagegen betrifft die mittlere Ebene der institutionellen Legitimation die "richtige Organisation", die "richtige Wahrnehmung" von Kompetenzen nach Maßgabe des Grundgeset-
3l
153.
Vgl. etwa Bull, Allgemeines Vetwaltungsrecht, § 17, Rn. 965; OVG Bremen, KStZ 1986,
33 "Das, was den Staat im Innersten zusammenhält", Wartenberger, Artikel Legitimität, legalität, S. 677 . .. Vgl. nur Hasso Hofinann, Legitimität und Rechtsgeltung, 1977; Hans-Joachim Menzel, Legitimation staatlicher Herrschaft durch Partizipation Privater?, 1980; Mklas Luhmann, legitimation durch Verfahren, 1969; Rupert Stetmer, Grundfragen einer Kompetenzlehre, 1983; zur geschichtlichen Entwicklung des Begriffs "Legitimität" vgl. grundlegend Wartenberger, Die legitimität staatlicher Herrschaft. 3$ Hennes, Der Bereich des Parlamentsgesetzes, S. 29 ff.; 74 ff.; Wartenberger, in: Freiheit und Verantwortung, S. 533 ff. 30 Frohn, Rechtliches Gehör und richterliche Entscheidung, S. 108 ff. 37 Czybulka, Die Legitimation der öffentlichen Vetwaltung, passim. 31 Vgl. Czybulka, S. 67 ff.
24
Einleitung
zes39 • Überträgt man dieses Modell auf die vorliegende Untersuchung, ergibt sich folgende Grobeinteilung: Die Beurteilung eines bestimmten Leistungsbescheides richtet sich nach der individuellen Legitimation: Ist es gerechtfertigt, daß der Staat eine bestimmte Geldforderung (z. B. Schadensersatz gegen den Beamten B) im Wege des Leistungsbescheides durchsetzt anstatt diese Forderung einzuklagen? Hingegen ist die institutionelle Legitimation maßgeblich, wenn man die Kompetenzverteilung bei der Rechtsverwirklichung beurteilt: Ist es gerechtfertigt, daß die Verwaltung ihre Forderungen prinzipiell ohne gerichtlichen Titel vollstreckt? Ausgangspunkt dieses Legitimationsmodells ist die Frage nach dem konkreten Legitimationsbedarf von Herrschaft«J. Danach genüge es nicht mehr, danach zu fragen, "was den Staat im Innersten zusammenhält". Vielmehr müsse die ausgeabte Staatsgewalt auf den vorgenannten Ebenen legitimiert werden. Die Legitimationsgründe könnten dabei unterschiedlich ausfallen. Ob diese Konzeption in ihren Einzelheiten der Kritik standhält, mag hier dahinstehen. Für die vorliegende Untersuchung ist es nicht erforderlich, sich mit ihr weiter auseinanderzusetzen. Ihrer Grundthese will sie sich aber nicht ganz verschließen. In der Tat bedürfen auch einzelne Handlungsformen des Staates der Rechtfertigung. Um jedoch in terminologischer Hinsicht keine Verwirrung zu stiften, und weil zudem gute Gründe für eine Beschränkung des Begriffs der "Legitimität" auf die Fragestellung im klassischen Sinne sprechen, soll die Zielsetzung hier "gedrosselt" werden: Es geht "nur" um die Rechtfertigung der Vorleistungspflicht des Bürgers im Spiegel des Verfassungs-, Prozeß- und materiellen Rechts. Damit ist in erster Linie die "Legalität" des Sofortvollzugs gemeint. Eine darüber hinausgehende Rechtfertigung wird nur insoweit angestrebt, als die wechselbezügliche Verknüpfung des Verfassungs-, Prozeß- und materiellen Rechts "Legitimationsdefizite" auszugleichen vermag: So könnte etwa die Gewährung von Zinsen (materielles Recht) den einstweiligen Zugriff auf das Vermögen des Bürgers (Prozeßrecht) und das damit verbundene Rechtsschutzdefizit (Verfassungsrecht) kompensieren .
.. Czybulka, S. 69. '" Vgl. zur Kritik vereinheitlichender Legitimationstheorien Czybulka, S. 76 ff.
D. Rechtfertigung des Sofortvollzugs
25
11. Die Rechtfertigung des Sofortvollzugs als "Querschnittsproblem" 1. Die Ignorienmg der ungewissen Rechtslage
Nirgends mehr als beim Sofortvollzug staatlicher Geldforderungen zeigt sich die Staatsgewalt, die, weil Gewalt "des Staates", den Bürger zur vorschußartigen Finanzierung des Gemeinwesens zwingt. Während der Bürger seine Geldforderungen gerichtlich einklagen muß, wenn der Schuldner nicht freiwillig leistet, verschafft sich die Verwaltung im Bedarfsfall selbst den "Titel" und realisiert den so behaupteten Anspruch, bevor die Berechtigung gerichtlich anerkannt ist. Um dies zu gewärtigen: Es geht hier nicht um das Gewaltmonopol des Staates und dessen daraus resultierenden Zwangsbefugnisse, die ihrerseits Eingriffsqualität haben. Im Vordergrund der Betrachtung steht vielmehr der Streit um die Berechtigung der Geldforderung und die Art und Weise, wie der Staat mit der Ungewißheit der Rechtslage umgeht"1 und wie er die Risiken einer Fehlentscheidung42 verteilt. Beim Sofortvollzug staatlicher Geldforderungen ist die Rechtslage deshalb ungewiß, weil der Bürger die Berechtigung des Anspruchs bestreitet und der Anspruch deshalb unter dem Vorbehalt der richterlichen Kontrolle vollzogen wird. Erst der Richterspruch schafft Gewißheit in dieser Rechtssituation. Die Notwendigkeit, auf ungewisser Tatsachen- oder Rechtsgrundlage rechtlich zu handeln, ist ein aus vielen Rechtsbereichen bekanntes Phänomen43 • Die Rechtsordnung reagiert auf diese Ungewißheit unterschiedlich44 : In manchen Fällen ist die Entscheidung deshalb nur vorläufig (z.B. beim Verwaltungsakt mit Widerrufsvorbehalt), in anderen Fällen setzt sie sich über die bestehenden Zweifel hinweg (Beweislastverteilung, Pauschalierungen). Der Sofortvollzug staatlicher Geldforderungen zählt eher zur Kategorie der vorläufigen Verwaltungsentscheidungen. Dabei muß aber betont werden, daß diese Entscheidung
4' Der "Umgang mit Ungewißheit" - Hoffmann-Riem, AöR 115 (1990),442 ff. - ist heute primär ein Problem der Technologiefolgenabschätzung . In "kleinerer Münze" spielt er aber überall dort eine Rolle, wo die menschliche Erkenntnis auf z.B. empirische Grenzen stößt. Das ist letztlich jeder Rechtsanwendung inhärent; vgl. auch Meder, S. 36 ff. 42 Die Risikoverteilung ist ein zentrales Problem des vorläufigen Rechtsschutzes (hierzu grundlegend Gronsky, JuS 1976,277 ff. und umfassend Schoch, S. 895 ff., 1406 ff. u. passim); rur den Komplementärbereich des Sofortvollzugs steht sie gleichermaßen im Mittelpunkt. 43 Vgl. zu den zahlreichen Faktoren der Ungewißheit im Recht Berg, S. 18 ff. .. Zur Unsicherheit der Gesetzesanwendung vgl. grundsätzlich Zippelius, Methodenlehre, § 16 m (mit dem methodischen Ansatz der "vertretbaren Entscheidung").
26
Einleitung
nicht etwa unvollkommen oder unverbindlich ist, sondern auf Bestandskraft zielt, wobei die fehlende Berechtigung und damit die Rechtswidrigkeit des Verwaltungshandelns mit einkalkuliert wird. Wenn der Staat also eine Vielzahl von Geldforderungen aus Praktibilitätserwägungen über eine Generalklausei (§ 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) für sofort vollziehbar erklärt, obwohl feststeht, daß ein (wenn auch kleiner) Teil dieser Forderungen keinen Rechtsgrund hat, dann nimmt er diese Ungewißheit, welche Forderung zu Recht und welche zu Unrecht erhoben wird, billigend in Kauf. Das ist es, was im vorliegenden Zusammenhang unter "Ignorierung der ungewissen Rechtslage" verstanden wird. Diese Ignorierung der Ungewißheit beim Sofortvollzug ist allerdings nicht willkürlich, so wie in früheren Zeiten Steuern "eingetrieben" wurden. Heute sorgen ein verfahrensgebundener Leistungsbescheid, der gegen ihn eröffnete vorläufige Rechtsschutz und die normativ anerkannte Erstattungspflicht im Falle rechtsgrundloser Leistung für eine rechtsstaatliche Determination der Vorleistungspflicht. Damit sind aber nicht alle Zweifel gegenüber dem Sofortvollzug ausgeräumt. 2. Zweifel gegenüber dem Sofortvollzug
So fragt es sich etwa, welche Geldforderungen im einzelnen sofort vollziehbar sind'5, ob das Fehlen einer ausdrücklichen Ermächtigung zum Erlaß eines Leistungsbescheides die Verwaltung zur Leistungsklage zwingf'6 und ob der Bürger im Fall der Erstattung einen Zinsanspruch hinsichtlich des vorgeleisteten Kapitals besitzt47 • Um das "Unbehagen", das angesichts dieser offenen Fragen gegenüber dem traditionellen und prinzipiell bislang kaum problematisierten Sofortvollzug staatlicher Geldforderungen besteht, zu überwinden, bedarf es einer - den Einzelfragen entsprechend - weitgespannten Rechtfertigung der Vorleistungspflicht des Bürgers. Die herausgestellte Ignorierung der ungewissen Rechtslage hat Bezüge zu allen Ebenen der Rechtsordnung.
45 Problematisch ist etwa die Anwendbarkeit des § 80 Abs. 2 Nr. I VwGO auf die sog. Sonderabgaben. 46 Die Theorie vom Handlungsformvorbehalt will den Gesetzesvorbehalt über den Inhalt hinaus auf die Form des Verwaltungshandelns erstrecken . ., Die Frage der Verzinsung eröffnet die "wirtschaftliche" Dimension der Problematik des Sofortvollzugs.
D. Rechtfertigung des Sofortvollzugs
27
3. Drei Ebenen der Rechtfertigung
Geht man von der richterlichen Entscheidung als Grundlage der Rechtsverwirklichung aus, dann ist deren Ignorierung in erster Linie ein Problem des (gerichtlichen) Rechtsschutzes. Den "Einstieg" in die vorliegende Thematik bietet damit das Prozeßrecht: Wie ist der Sofortvollzug staatlicher Geldforderungen prozessual geregelt? In welchem (funktionalen) Verhältnis stehen Prozeß- und Vollstreckungsrecht? Welche Funktion hat in diesem Zusammenhang der Leistungsbescheid? Welche Gründe sprechen für eine Generalisierung des Sofortvollzugs?48 Im Mittelpunkt der prozessualen Grundlegung steht der "Sofortvollzug" des "Leistungsbescheides" . Beide Begriffe haben einen herkömmlichen Inhalt, der der vorgegebenen Rechtsfertigungsproblematik nicht gerecht wird. Die Untersuchung baut deshalb auf zwei Hilfserwägungen auf, die eine differenzierte Sichtweise des Prozesses der Rechtsverwirklichung erlauben: In einer ersten prozeßrechtlichen - Hilfserwägung wird das Modell einer" dualen Vollzugsordnung" entworfen, die den Sofortvollzug als Mittel der Rechtswirklichung erläutert. Die zweite - prozeßtheoretische - Hilfserwägung charakterisiert den Leistungsbescheid als "autoritative Rechtsbehauptung"; als Gegenstand der Rechtsverwirklichung ergänzt er die Funktionen des Verwaltungsaktes um eine "Anstoßfunktion 049. Diese Erwägungen werden nur hilfsweise angestellt. Sie bringen keine Neuerung und begründen erst recht keine eigene Theorie. Ihr Ertrag soll vielmehr darin liegen, die überkommene Sicht der "einseitigen" Verwaltungsvollstreckung durch eine differenzierte, "diskursive" Sichtweise der Rechtsverwirklichung zu ersetzen. Der Rechtsschutz ist aber nicht nur auf der einfachgesetzlichen Ebene der VwGO bzw. des VwVG relevant. Er erhält eine veifassungsrechtliche Dimension durch den Grundsatz der Gewaltenteilung. Hier stellt sich im wesentlichen die Frage, welcher staatliche Funktionsträger den Prozeß der Rechtsverwirklichung maßgeblich beeinflußen darf: Hat die Rechtsprechung insoweit ein Erkenntnismonopol (Richterspruchvorbehalt)? Oder ist der Sofortvollzug doch Agende der Verwaltung? Muß dann ggfs. der Gesetzgeber den Weg der Reali-
.. Die prozessuale Grundlegung erfolgt im I. Kapitel. •• Hierzu ausführlich untern S. 80 ff.
28
Einleitung
sierung staatlicher Geldforderungen (Leistungsbescheid oder Leistungsklage) im Einzelfall vorzeichnen (Gesetzesvorbehalt)?SO Schließlich sind die Wirkungen der Ignorierung der Rechtsungewißheit für den Fall der Fehleinschätzung zu untersuchen. Antworten kann hier nur das materielle Recht bieten. Weil eine Wiederherstellung des status quo ante schon denkgesetzlich ausgeschlossen ist, stellt sich die Frage einer Kompensation rur die Rechtsverluste, die zwischenzeitlich eingetreten sind. Bei dem wirtschaftlichen Vorgang der Vermögensverschiebung drängt sich eine Verzinsung des rechtsgrundlos geleisteten Kapitals auf. Ob das Steuer-, Sozial- und sonstige Verwaltungsrecht geeignete Anspruchsgrundlagen bereithält, bleibt abschließend zu untersuchensI. 4. Sofortvollzug und der "Faktor Zeit"
Gerade die zuletzt angesprochene Zinsproblematik macht deutlich, daß der Rechtfertigungsbedarf rur den Sofortvollzug staatlicher Geldforderungen letztlich aus der Zeitgebundenheit jeglicher Entscheidung erwächsf 2 • Weil im Streit um die Berechtigung der Geldforderung eine sofortige und endgültige Entscheidung nicht herbeigeruhrt werden kann, diese vielmehr als notwendige (und gute) Konsequenz der Rechtsschutzgarantie hinausgezögert wird, ist eine Interimslösung rur die Vermögenszuordnung erforderlich. Bei der Rechtfertigung der Vorleistungspflicht des Bürgers gilt es im Auge zu behalten, daß die Ursache rur diese Interimslösung, eben der "Faktor Zeit", wertneutral ist. Man mag dem Staat zwar eine "Herrschaft über die Zeit"s3 konzedieren, die er auch bei der "unendlichen Suche nach der Wahrheit"54 einsetzt: Das Dilemma jeder Rechtsschutzgewährung, zu Beginn nicht zu wissen, ob am Ende nicht Unrecht geschützt und damit Recht verletzt wurde, bleibt unlösbar.
Verfassungsrechtliche Aspekte der Vorleistungspflicht behandelt das 3. Kapitel. Vgl. hierzu das 4. Kapitel. 52 Das Recht ist zeitgerecht, aber auch rechtzeitig zu verwirklichen: Kirchhof, JZ 1989, 464. >3 Bullinger, JZ 1991, 54. 54 Bullinger, JZ 1991,54 in Bezug auf die Verwaltung; gleiches gilt aber auch für die Rechtsprechung. >0
51
Erstes Kapitel
Prozeßrechtliche Grundlegung der Vorleistungspflicht des Bürgers I. Der Sofortvollzug als Bestandteil einer "dualen Vollzugsordnung" 1. Vorbemerkung: Vollstreckung, Vollzug und Vorleistungspfticht
Gegenstand und Ausgangspunkt der Abhandlung ist der Sofortvollzug staatlicher Geldforderungen; ihr Leitbegriff ist die Vorleistungspflicht des Bürgers. Neben dem Prozeßrecht bietet das (Verwaltungs-) Vollstreckungsrecht eine weitere normative Grundlage. In welchem Verhältnis die Begriffe Vollzug, Vollstreckung und Vorleistung stehen, soll eingangs für den vorliegenden Themenbereich geklärt werden. Während die Begriffe Vollziehung und Vollzug durchweg synonym gebraucht werdenss , bilden diese gegenüber der Vollstreckung den Oberbegriff. Ein Verwaltungsakt kann auch durch (bloßes) Befolgen bzw. Gebrauchmachen seitens des Bürgers vollzogen werdens6 , eine Vollstreckung setzt aber stets die Anwendung (staatlichen) Zwangs voraugS7 • Der Begriff Sofortvollzug wird in der vorliegenden Untersuchung bewußt verwendet, weil die Formulierung sofortige Vollstreckung nicht die Fälle erfaßt, in denen der Bürger - vor den staatlichen Zwangsmöglichkeiten resi-
" Vgl. Traulsen, S. 53 unter Hinweis auf Grimm, Deutsches Wörterbuch, in Fn. 83. Die gesetzlichen Regelungen legen freilich eine differenzierte Abgrenzung nahe: § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO spricht von "sofortiger Vollziehung" eines Verwaltungsaktes, während der "sofortige Vollzug" in § 6 Abs. 2 VwVG gerade ohne (vorausgehenden) Verwaltungsakt zu verstehen ist. Diese Abgrenzung läßt sich - vgl. weiter im Text - aber gerade nicht auf die Beitreibung übertragen. '" Das ist z.B. der Fall, wenn der Bürger auf Grund einer Baugenehmigung mit der Errichtung eines Hauses beginnt. In diesem Zusammenhang wird dann diskutiert (und heute überwiegend bejaht), ob der Bürger die Baugenehmigung "vollzieht", was im Hinblick auf die Baunachbarklage wegen der Anwendbarkeit des § 80 VwGO problematisch war, vgl. nur Schach, S. 372 ff. und nunmehr § 80a Abs. I VwGO. 57 Vgl. zum Vollstreckungsbegriff i.e. unten S. 31 ff. (33).
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I. Kap.: Prozeßrechtliche Grundlegung
gnierend - (einstweilen) "freiwillig" zahlfS. Wenn nach § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO die aufschiebende Wirkung bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kraft Gesetzes entfällt, dann liegt zunächst sofortige Vollziehbarkeit vor9 • Weil aber erst das Gebrauchmachen von dieser Möglichkeit den Rechtfertigungsbedarf auslöst, bietet sich für die vorliegende Untersuchung der Begriff Sofortvollzug an60 • Dagegen ist der Begriff des sofortigen Vollzuges schon mit dem Verwaltungszwang ohne vorausgehenden Verwaltungsakt (§ 6 Abs. 2 VwVG) besetzt. Die sprachliche Nähe des Sofortvollzugs soll aber zugleich dokumentieren, daß es eine - bislang wenig beachtete - Parallele einstweiliger Rechtsverwirklichung in der Geldvollstreckung gibt, die zwar einen Verwaltungsakt (Leistungsbescheid), wie der sofortige Vollzug aber keine richterliche Entscheidung voraussetzti1• Wenngleich vorliegend der Oberbegriff des Vollzugs durchgehend die Rechtsverwirklichung kennzeichnet, beginnt das erste Kapitel mit einer Darstellung von Begriff und Funktion der Vollstreckung. Das hat seinen Grund darin, daß auch (und gerade) die potentielle Zwangsausübung die Rechtsverwirklichung maßgeblich beeinflußt. Der Rechtsvollzug kann daher gar nicht ohne die gewissermaßen "im Raume stehende" (ggfs. "drohende") Vollstrekkung betrachtet werden. Mancher Verwaltungsakt wird "bloß vollzogen", weil ansonsten Vollstreckungsmaßnahmen erfolgen würden. Immer dort, wo auf dieses besondere Zwangsmoment aufmerksam gemacht werden soll, wird später von Vollstreckung die Rede sein. Davon zu unterscheiden ist die Vorleistungspflicht. Sie hängt unmittelbar mit dem Sofortvollzug zusammen, weil sie seine wichtigste prozessuale und materielle Rechtsfolge darstellt. Anders ausgedrückt: Die Vorleistungspflicht ist das für den Bürger, was den Sofortvollzug staatlicher Geldforderungen für den Staat kennzeichnet; die Behörde darf sofort vollziehen (ggfs. vollstrecken), der Bürger muß sofort leisten, eben vorleisten 62 •
SI Dabei stellen sich dort die Probleme der Vennögensverschiebung- Richtervorbehalt, Zinsen etc. - genauso. "" Vgl. zu dieser tenninologischen Differenzierung Scholz, in: FS Menger, S. 649 m. Fn. 28; Schoch,S.1240m.w.N . .. Kritisch gegenüber dieser Wortwahl Schoch, S. 1236 m. w.N. 61 Die Bevorzugung des SoforlVoUzugs vor dem Begriff der sofortigen VoUziehung hat dagegen sprachliche Gründe. 62 Zum Begriff der Vorleistung als vorgerichtliche RechtsverwirkJichung siehe unten S. 50 ff.
I. Sofortvollzug als Bestandteil einer "dualen Vollzugsordnung"
31
2. Der Begriff der VoUstreckung
Die Verwaltungsvollstreckung, die zivilprozessuale Zwangsvollstreckung und die Vollstreckung von Entscheidungen der Straf-, Verwaltungs-, Finanzund Sozialgerichte haben eines gemeinsam: den Begriff der Vollstreckung. Wenngleich sektorale Besonderheiten ein einheitliches Vollstreckungsrecht aller Rechtsgebiete als praktisch nutzlose Theoretisierung erscheinen lassen, zwingen sie - entgegen üblicher Definitionsversuche - doch nicht zu einer getrennten Bildung dieses Ausgangsbegriffs. a) Rechtserkenntnis und Vollstreckungsakt
Zu den Wesensmerkmalen des Rechts gehört seine Geltung für den Rechtsunterworfenen. Diese Geltungskraft ergibt sich im Idealfall aus der Akzeptanz63 und der damit verbundenen freiwilligen Befolgung. Bereits die darin liegende menschliche Willensentscheidung zeigt die "Zweistufigkeit" der Rechtsverwirklichung64 : Das Recht - als Befehlsordnung - wendet sich an den menschlichen Willen (1. Stufe), es wird durch menschliche Willensentscheidungen vollzogen und durch Handlungen zur Geltung gebracht (2. Stufe)65. Projiziert man diesen Entscheidungsablauf auf die prozessuale Ebene, erhält man als Ergebnis der Rechtsfindung die Rechtserkenntnis. Das ist die verbindliche Feststellung dessen, was rechtens ist66 • Erfolgt diese Feststellung durch eine mit Autorität ausgestattete Instanz61, so eröffnet sich hier eine weitere Chance der Beachtung des Rechts. Das Recht muß aber auch gegenüber demjenigen gelten, der von seiner Richtigkeit nicht überzeugt ist, es außer acht läßt oder seine Interessen gegen das Recht durchsetzen will. Wenn hier Recht dem Unrecht weicht, verliert es seine ordnende Funktion und bleibt ohne Wirkung68 • Hier setzt eine weitere
Vgl. zur Akzeptanz des Rechts WUrtenberger, in: Jurist und Staatsbewußtsein, S. 79 ff. Zur Zweistufigkeit in prozessualer Hinsicht Gerhardl, Vollstreckungsrecht, § I I. ., Pander, S. 58 . .. Vgl. Gaul, Rpfleger 1971, I; Rödig, S. 32 ff.; Frohn, S. 112 ff.; dies setzt die Feststellung dessen, was geschehen ist, voraus: vgl. zur tatsächlichen Seite der Rechtsgewinnung Larenz, Methodenlehre, S. 304 ff. 67 Zur Autorität der Gerichte Vgl. Benda, DÖV 1983,305 ff.; Pawlowski, Jura 1989,337 ff.; zur Akzeptanz auf Grund politischer Autorität WUnenberger, in: Jurist und Sta8tsbewußtsein, S. 100 . .. WolfflBachoJ, Verwaltungsrecht III, § 160 I 8. .3 64
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1. Kap.: Prozeßrechtliche Grundlegung
Dimension der Rechtsverwirklichung an: der Vollstreckungsakt. Dieser dient der Rechtsverwirklichung bei widerstreitenden Rechtsauffassungen oder gegenläufigen Interessen. Der Vollstreckungsakt setzt die Rechtserkenntnis voraus69; er ist zielgerichtet, wobei die Rechtserkenntnis das Ziel vorgibt. Der Begriff Vollstreckung hat damit als erstes Merkmal das materielle Recht als Bezugspunkt'lO. Dieses ist der Gegenstand der Vollstreckung. b) Vollstreckung als staatliches Verfahren
Der Begriff der Vollstreckung wird weiterhin durch die Ausgestaltung als Verfahren mit dem Staat als Verfahrensträger bestimmt. In einer anarchischen Gesellschaft scheint es z.B. nicht ausgeschlossen, die Durchsetzung des materiellen Rechts dem "freien Spiel der Kräfte" zu überlassen. Dieses "Verfahren" wäre freilich mit mehreren Unsicherheitsfaktoren belastet: Zum einen wäre die Geltung des Rechts vom Kräfteverhältnis der streitenden Parteien abhängig, zum anderen ließe die Rechtsdurchsetzung neue Rechtsverletzungen befürchten. Im modernen Verfassungsstaat orientiert sich der Vollstreckungsbegriff hingegen an den normativen Vorgaben des demokratischen Rechtsstaates. Das Demokratiegebot verlangt Volkssouveränität nicht nur bei der Rechtsetzung, sondern auch bei der Rechtsdurchsetzung. Im "freien Spiel der Kräfte" gilt dagegen nicht der Wille des souveränen Volkes, sondern der Wille (die Partikularinteressen) des stärkeren Rechtsunterworfenen. Stellt der Staat aber nur eine Sollensordnung auf, ohne gleichzeitig die Normen durchzusetzen, verhindert er also nicht die Selbsthilfe71 des Einzelnen, dann bleibt er auf halbem Wege stehen und wird seinem Auftrag nicht gerecht, Rechtsfrieden zu stiften. Damit ist auch das Rechtsstaatsprinzip angesprochen. Nirgends mehr als in der Vollstreckung zeigt sich die Notwendigkeit einer Herrschaft des Rechts. Vor dem Hintergrund einer friedensstiftenden und freiheitssichernden Funktion des Rechts kann die Beugung und Überwindung menschlichen Willens nur mit der unbedingten Geltung des Rechts, niemals aber mit partikularen Interessen eines Berechtigten legitimiert werden. Anderenfalls würde sich das Recht selbst zu seinem Freiheitsanspruch in Widerspruch setzen. Als Garant dieses An6' Vgl. im einzelnen unten S. 44 ff. Gaul, Rpfleger 1971, 7. 71 Vgl. Schünemann, S. 23 ff.
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I. Sofortvollzug als Bestandteil einer "dualen Vollzugsordnung"
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spruchs kann auch in der Vollstreckung nur der Staat dienen. Ihm gebührt das Vollstreckungsmonopoln. Es ließe sich einwenden, das staatliche Vollstreckungsmonopol sei kein Begriffsmerkmal der Vollstreckung, sondern beschriebe nur eine konkrete Verfahrensgestaltung. Ein Rechtsbegriff der Vollstreckung verliert aber seinen Erklärungswert, wenn äußerlich vergleichbare Vorgänge (z.B. Wegnahme einer Sache durch den Gerichtsvollzieher oder den Gläubiger) nicht durch normative Wertungen (z.B. Pfändung) schon begrifflich geschieden werden. Aus diesem Grund wird in der vorliegenden Abhandlung die Vollziehung des Rechts durch private Initiative Selbsthilfe, diejenige durch staatliches Verfahren Vollstrekkung genannt73 • c) Vollstreckung und Zwang
Die Ausübung von Zwang, das Mittel der Vollstreckung, ist zugleich ihr drittes Begriffsmerkmal: ohne Zwang keine Vollstreckung74 • Der staatliche Zwang unterscheidet die Vollstreckung aber nicht nur von der Selbsthilfe, er macht zugleich die Abgrenzung zu den übrigen Formen der Rechtsverwirklichung deutlich. Wird das Recht durch freiwillige Befolgung, sei es durch aktive Handlung oder durch passive Beachtung verwirklicht, bedarf es keiner Vollstreckung; das Recht wird ohne Zwang vollzogen. Das Merkmal des Zwangs7S ruckt die Vollstreckung in den Mittelpunkt der Kontrolle: Die durch Zwangsmittel verletzte Freiheitssphäre des Bürgers bedarf eines Rechtsschutzes, den der Staat bei der Aufstellung der Vollstreckungsvoraussetzungen, der Verfahrensgestaltung und der Schaffung gerichtlicher Kontrolle gewährleisten muß76 • Das Vollstreckungsrecht sucht daher einen Ausgleich zwischen den Interessen des Gläubigers an einer zwangsweisen Durchsetzung seines materiellen Rechts und den Interessen des Schuldners an der Wahrung seiner von dem streitbefangenen Gegenstand nicht erfaßten Rechtsposition.
Vgl. Gerhardt, Vollstreckungsrecht, § I 11 2; Falter, in: PS Geiger, S. 3 ff. So auch Herzog, in: HStR 111, § 58, Rn. 43; vgl. auch SchUnemann, S. 9 ("Komplementärbegriff"). 74 G. Amdt, S. 20; Traulsen, S. 48 ff.; Winterstetter, S. 5; vgl. zur immanenten Eingriffswirkung des LeistungsbescheidesLöwenberg, S. 45 ff. " Zur Zwangsnatur des Rechts vgl. allgemein Zippelius, Das Wesen des Rechts, S. 37 ff. 76 Zum Zusammenhang zwischen Rechtsschutz und Rechtsverwirklichung vgl. unten S. 44 ff. 71 73
3 Heckmann
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1. Kap.: Prozeßrechtliche Grundlegung
Der Begriff der Vollstreckung läßt sich in seinen drei Merkmalen demnach wie folgt definieren: Vollstreckung ist jede Rechtsverwirklichung durch Ausübung von Zwang in einem staatlichen Verfahren n . 3. Die FunktioDen der Vollstreckung
Mehr noch als die Begriffsbildung beschränkt sich die herkömmliche Funktionsbeschreibung der Vollstreckung auf das jeweilige Vollstreckungsrechtsgebiet1s. Indessen sind es gerade die gemeinsamen Funktionen, die einem einheitlicheren Vollstreckungsrechtden Weg bereiten könnten. Dabei muß nach Zweck, Ziel und Mittel der Vollstreckung unterschieden werden. a) Der Vollstreckungszweck: Die Rechtsverwirklichung
Die Rechtsverwirklichung durch staatlichen Zwang ergänzt das Erkenntnisverfahren, wenn dessen autoritärer Rechtsausspruch noch nicht befolgt wird (Primäifunktion). Der Vollstreckungszweck zeigt damit die dienende Funktion der Vollstreckung als prozessuale Kategorie: Im Vordergrund steht das materielle Recht, das es zu verwirklichen gilt. Es gibt keine Vollstreckung "an sich", der Bezug zum materiellen Recht gibt ihr erst Inhalt und Richtung79 • b) Die Vollstreckungsziele: Materielle Gerechtigkeit ulld RechtsfriedeIl
Die funktionale Anknüpfung an das materielle Recht hebt die Vollstreckung auf eine zweite, höhere Ebene, in der sie am Wesen des Rechts, an der Sinnhaftigkeit aller Rechtssätze teil hat: dem Streben nach materieller Gerechtigkeit und RechtsfriedenSO. Als Sekundär- oder Zieljunktiollell machen diese rechtsphilosophischen Kategorien deutlich, daß es auch keine Rechtsverwirklichung Ähnlich Gaul, Rpfleger 1971,1; Traulsen, S. 51. Vgl. etwa Bull, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 17, Rn. 964 f.; Blomeyer, Vollstreckungsverfahren, § 1 I; etwas weiter greifend Schmidt-von Rhein, in: AK-ZPO, Rn. 3 ff. vor § 704. ,. Das gilt auch und gerade fiir die Vollstreckung von Strafurteilen. Dort hängt etwa die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe als Verwirklichung des staatlichen Strafanspruchs von dem materiell-rechtlichen Straftatbestand, der mit dessen Erfiillung verwirkten Strafe und den Strafzwecken ab, vgl. Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, § 3 I. 10 Vgl. Henkel, Rechtsphilosophie, § 15; Zippelius, § 24; vgl. auch Karl August Emge, Sicherheit und Gerechtigkeit, 1940. 77
71
I. Sofortvollzug als Bestandteil einer "dualen Vollzugsordnung"
35
"an sich" gibt, sondern die VeJWirklichung jedes Rechtssatzes entweder zu einer gerechten Güter- oder Lastenverteilung beiträgt oder als Ordnungsfaktor im menschlichen Leben sozialen Frieden und Sicherheit stiftern. c) Die Vollstreckungsmittel: Beugung, Sicherung und Realisierung
Vollstreckungszweck und -ziele basieren auf den Maßnahmen, die zu ihrer Erreichung eingesetzt werden. Auf einer dritten Ebene, die - bildlich gesehen unterhalb der beiden anderen Ebenen liegt, schaffen Beugung, Sicherung und Realisierung erst den Einfluß auf Mensch und Materie, der dem Recht zur Wirksamkeit verhilft. Man kann hier von Hilfsfunktionen sprechen, weil sie die Hauptfunktion, die RechtsveJWirklichung, unterstützen. aa) Beugungsfunktion Bestehen die Defizite der RechtsveJWirklichung gerade in dem entgegenstehenden Willen des Rechtsunterworfenen, liegt es nahe, das Recht durch Willensbeugung durchzusetzen. Diese Funktion der Vollstreckung wird durch Androhung und Auferlegung von persönlichen oder Vermögensnachteilen (z.B. Zwangsgeld, Zwangshaft), also durch psychischen Zwang gekennzeichnetB2. Die Beugefunktion ist damit die erste (von zwei) Stufen, in denen die Zwangsmittel die Geltungskraft des Rechts verstärken: In psychischer Hinsicht stiftet sie Rechtstreue bei demjenigen, der Angst vor Strafe hat oder angesichts zweckloser Opposition gegen eJWarteten Zwang resigniert. Die Problematik dieser Funktion liegt auf der Hand: Weil die Willensbeugung nur mittelbar der RechtsveJWirklichung dient, stellt sich die Frage nach der Eignung und Erforderlichkeit einzelner Vollstreckungsmaßnahmen auf diesem Sektor. Dabei ist aber zu berücksichtigen, daß hier der Rechtsvollzug persönlich durch den Schuldner stattfinden soll und damit eine weitgehende Annäherung an die freiwillige Befolgung des materiellen Rechts erreicht werden kann .
.. Kopp, Verfassungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht, S. 201: "Verwirklichung der im Grundgesetz für verbindlich erklärten Wertordnung" . 12 Vgl. zu den psychischen Bedingungen der Zwangsanwendung Pünder, S. 60 ff.
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1. Kap.: Prozeßrechtliche Grundlegung
bb) Sicherungsfunktion Die Vollstreckungsmaßnahmen der Pfändung, Vorpfändung, des dinglichen Arrests u.ä. dienen der Sicherung des materiellen Rechts. Mehr als die Willensbeugung, aber weniger als die Realisierung beziehen sich die Sicherungsmaßnahmen auf das materielle Recht. Vor dem Hintergrund der Primärfunktion jeder Vollstreckung - der Rechtsverwirklichung - erscheint die Sicherung als Hilfsfunktion, die die Durchsetzungschancen verbessert und damit dem Vollstreckungszweck dient. Die Sicherungsfunktion gewinnt vor allem dort an Bedeutung, wo die Verwirklichung des materiellen Rechts ohne vorzeitigen ZugriffS3 vereitelt oder wesentlich erschwert würde. Wenn die (Haupt-) Funktion der Vollstreckung demnach darin zu sehen ist,
daß das subjektive oder objektive Recht in konkretes menschliches Verhalten
umgesetzt wird, umfaßt sie eben auch Maßnahmen der Beugung und Sicherung, die quasi Vorstufen der Rechtsverwirklichung sind. cc) Realisierungsfunktion Maßnahmen wie die Ersatzvomahme, der unmittelbare Zwang oder die Pfandverwertung durch Versteigerung haben die Funktion, die in dem materiellen Recht ausgedruckte Güterverteilung, einen Lastenausgleich oder besondere Handlungspflichten zu realisieren. Die funktionale Betrachtung dieser Realisierungsmaßnahmen ist dabei nicht identisch mit der Rechtsverwirklichung als Primärfunktion: Weil sich das Recht sowohl durch physischen als auch durch psychisch vermittelten Zwang verwirklichen läßt, umfaßt Vollstreckung stets beide Varianten, Realisierung aber nur den ersten Fall. Damit ergibt sich die zweite Stufe einer Verstärkung der Geltungskraft des Rechts: In physischer Hinsicht verwirklicht sie das Recht durch einen staatlichen Apparat, der Widerstand des Rechtsuntreuen bricht, um rechtmäßige Zustände (wieder-) herzustellen.
83 Dieser vorzeitige Zugriff ist freilich von dem Sofortvollzug der Geldforderung zu unterscheiden; hier zeigt sich ein wesentlicher Unterschied des Verwaltungs- zum Zivilrecht. Während der Gläubiger im Zivilrecht vorzeitig im wesentlichen aus Sicherungsgriinden vollstreckt (der Schuldner könnte bei Rechtskraft ja insolvent sein), steht beim Sofortvollzug staatlicher Geldforderungen der Finanzierungscharakter im Vordergrund.
I. Sofortvollzug als Bestandteil einer "dualen Vollzugsordnung"
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Wenngleich die Realisierung des materiellen Rechts dem Vollstreckungsziel am nächsten kommt, wirft es zugleich die größten Probleme auf: Die Anwendung unmittelbaren Zwangs läßt dem Schuldner keine Entscheidungsaltemativen und schränkt somit seine Freiheit am stärksten ein. Die Hilfsfunktionen der Vollstreckung - Beugung, Sicherung und Realisierung - lassen sich so in das Spannungsfeld zwischen der Geltung des Rechts und der Freiheit des Rechtsunterworfenen einordnen. Eine funktionsgerechte Analyse der einzelnen Vollstreckungsmaßnahmen sucht daher einen Ausgleich zwischen dieser Freiheit und Bindung. 4. Prozeßncbtlicbe Hilfserwiigung: Die "duale Vollzugsordnung"
Die Notwendigkeit der Durchsetzung des materiellen Rechts betrifft das Zivilrecht, Strafrecht und öffentliche Recht gleichermaßen. Ihre Vollstrekkungsvorschriften sind Bestandteil der jeweiligen Prozeßgesetze (§§ 704 ff. ZPO, 449 ff. StPO, 167 ff. VwGO, 150 ff. FGO, 198 ff. SGG), aber auch Gegenstand spezieller Vollstreckungsgesetze (ZVG8\ JBeitr08S und - mit elementarer Bedeutung - das VwVG86 und entsprechende Vollstreckungsgesetze der Bundesländer87). Trotz bestimmter gemeinsamer Grundstrukturen88 und einer - auch historisch bedingten89 - Affinität aller Vollstreckungszweige
.. Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung vom 24.3.1897 (RGBI. S. 97), zuletzt geändert durch Gesetz vom 17.12.1990 (BGBI. 1 S. 2847). Es findet nach § 869 ZPO bei der Zwangsvollstreckungwegen Geldforderungen in das unbewegliche Vermögen Anwendung. S> Justizbeitreibungsordnung (Rechtsverordnung) vom 11.3.1937 (RGBI. 1 S. 298), zuletzt geändert durch Gesetz vom 17.12.1990 (BGBI. I S. 2847). § 1 JBeitrO enthält einen Katalog der Anspruche, die von den Justizbehörden des Bundes einzuziehen sind (u. a. Geldstrafen, Geldbußen, Ordnungs- und Zwangsgelder, Gerichtskosten). Die wenigen Vorschriften der JBeitrO ergänzen im wesentlichen die ZPO, auf die nach § 6 Abs. I JBeitrO weitgehend verwiesen wird. 16 Verwaltungsvollstreckungsgesetz vom 27.4.1953 (BGBI. I S. 157), zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.12.1976 (BGBI. I S. 3341). Es bildet neben § 80 VwGO die wesentliche gesetzliche Grundlage dieser Abhandlung. S1 Vgl. die Übersicht bei Engelhardt, VwVG, § I Anm. 111. 2. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, daß das im Aufbau befindliche Verwaltungsrecht der neuen Bundesländer in der vorliegenden Abhandlung keine Beachtung finden kann; hierzu Hagemann, Zur KodifIZierung des Verwaltungsvollstreckungsrechts in den neuen Bundesländern, KKZ 1991, 126 ff.; vgl. auch Sadler, VwVG, Einl., Rn. 4; Engelhardt, VwVG, S. I f . .. Vgl. Gaul, Rpfleger 1971, 1 ff. .. Vgl. AnschUtz, VerwArch. I (1893),389 ff.; v. Moers, S. 10 ff.
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I. Kap.: Prozeßrechtliche Grundlegung
zur ZPO hat die Vielzahl der Vollstreckungsregelungen zu einer oft beklagten90 Verwirrung im Vollstreckungsrecht geführt. Es kann nicht Gegenstand dieser (thematisch begrenzten) Abhandlung sein, die Vollstreckungsordnung in all ihren Verästelungen darzustellen. Der oft zu hörende Ruf an den Gesetzgeber, das "Vollstreckungsknäuel " durch Rechtsvereinheitlichung zu "entwirren", soll auch kein weiteres Echo erhalten91 • Die kursorische Darstellung der Vollstreckungsordnung soll lediglich die Einordnung des Sofortvollzugs im Rahmen der Beitreibung staatlicher Geldforderungen in das bestehende Vollstreckungssystem erleichtern. Begreift man die Gesamtheit der Vollstreckungsregeln92 als Vollstreckungsordnung , bilden zwei Regelungskomplexe die zentralen Bausteine: die Verwaltungsvollstreckung und die zivilprozessuale Zwangsvollstreckung (= Justizvollstreckung). Die meisten Beschreibungen vom Wesen der Verwaltungsvollstreckung beginnen mit der Darstellung ihres Verhältnisses zur Justizvollstreckunf3. Während die Verwaltungsvollstreckung die Vollstreckung von Verwaltungsakten durch Verwaltungsbehörden regelt, bilden (grundsätzlich) gerichtliche Entscheidungen den Gegenstand der - verschiedenen Rechtspflegeorganen obliegenden - zivilprozessualen Zwangsvollstreckung. Die Aufteilung des staatlichen Vollstreckungsmonopols auf Rechtsprechung (Justiz) und Verwaltung findet so paradigmatisch ihre Entsprechung in den §§ 704 ff. ZPO einerseits und §§ 1 ff. VwVG andererseits. Es fragt sich indessen, ob diese herkömmliche Unterscheidung zwischen Verwaltungs- und Justizvollstreckung der Rechtfertigung des spezifischen Rechtsverwirklichungsmodus bei der Beitreibung staatlicher Geldforderungen dienlich ist. Der Kritik an der "Titellosigkeit" der Beitreibung"" läßt sich besser begegnen, wenn man statt der horizontalen (Verwaltungsvollstreckung/verwaltungsgerichtliche Vollstreckung) bzw. vertikalen (Verwaltungsvollstrekkung/Justizvollstreckung) eine diagonale Trennlinie quer durch alle Vollstrekkungsbereiche zieht, die sich an der Rolle des Richter(spruch)s in der Rechtsverwirklichung orientiert. Das hiernach auf die Unterscheidung von Regel- und Sofortvollzug rekurrierende "System" sei duale Vollzugsordnung genannt.
90 G. Amdt, S. 2; Gaul, JZ 1974,280; ders., JZ 1979, S. 503: "undurchsichtiger Dschungel"; vgl. bereits Rupp, JZ 1965, 370: "graue Rechtsschutzzone" . 9' Vgl. zum rechtspolitischen Stand und zu Reformvorschlägen v. Mutius, KKZ 1986, 161 ff.; Borchen, KKZ 1977, 117 ff.; Gaul, JZ 1979,496 ff.; ders., JZ 1974,279 ff. 92 In ihrer Vielfalt der Verfahrensvoraussetzungen, Durchfiihrungsbestimmungen, Behörden etc. 9' Vgl. nur Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 21 IV, Rn. 77; Bull, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 17, Rn. 964; Brunn, BWVPr. 1978,190; App, JuS 1987,203 . .. Vgl. etwa Gaul, JZ 1974,284.
I. Sofortvollzug als Bestandteil einer "dualen Vollzugsordnung"
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a) Die vertikale Trennlinie: Verwaltungsvollstreckung und zivilprozessuale Zwangsvollstreckung
aal Gemeinsame Vollstreckungsregeln im Zivil- und Verwaltungsrecht Gemeinsam sind den meisten Vollstreckungsgesetzen die Mittel der Vollstreckung. Das erklärt sich daraus, daß diese Mittel - besonders in einer rechtsstaatlichen Vollstreckungsordnung - beschränkt sind. So treffen die Zwangsmittel der Ersatzvomahme, des Zwangsgeldes und des unmittelbaren Zwangs auf ein breites Anwendungsfeld im Zivil- und Verwaltungsrecht. Zum Beispiel finden sich Vorschriften über die Ersatzvomabme in §§ 887 ZPO, 10 VwVG und 330 AO. Das Zwangsgeld ist etwa in §§ 888 ZPO, 11 VwVG und 329 AO geregelt. Unmittelbarer Zwang kann nach §§ 892, 758 Abs. 3 ZPO, 12 V.vVG und 331 AO angewendet werden. Die durch diese Zwangsmittel verkörperten "Hilfsfunktionen" der Vollstreckung's - Beugung und Realisierung - übergreifen die Vollstreckungsrechtsgebiete, weil das Verfahren zur Überwindung des Widerstandes eines Schuldners nicht von der Rechtsnatur der Rechtspflicht abhängt. Besonders stark sind die Parallelen allerdings bei der Vollstreckung von Geldforderungen. Hier zeigt sich die Vergleichbarkeit des Vollstreckungsziels "Vermögensverschiebung" in allen Vollstreckungsgesetzen. Der Zugriff auf das Vermögen des Schuldners bei verweigerter Erfüllung der Geldforderung erfolgt durchweg durch Pfändung und Pfandverwertung96 • Die differenzierten Regelungen der ZP097 finden direkte oder entsprechende Anwendung98. Exemplarisch seien die Vorschriften über die Unpfändbarkeit von Sachen hervorgehoben: Die §§ 811, 812 ZPO finden nach § 295 AO bzw. über die Verweisungskette der §§ 5 Abs. 1 VwVG, 295 AO entsprechende Anwendung. Der in den §§ 811 ff. ZPO zum Ausdruck kommende Ausgleich zwischen Gläubiger- und Schuldnerinteressen konnte somit über die gesetzgeberische Verweisungstechnik unmittelbaren Eingang in das Verwaltungs- und Steuer-
os Vgl. oben S. 35 ff. Diese Parallele zieht z.B. auch Wimerstener, S. 17. 97 §§ 803 ff. ZPO. 91 Die §§ 281 ff. AO sind vielfach Vorschriften der ZPO nachgebildet (z.B. §§ 281, 283,286, 287 u.s.w.) und enthalten oft Verweisungen auf die ZPO, z. B. §§ 284, 289, 295, 314, 319 AO u.s.w. 96
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1. Kap.: Prozeßrechtliche Grundlegung
recht finden. Man kann deshalb bei den Ptändungsverboten und -beschränkungen von einem allgemeinen Rechtsgedanken sprechen, der das gesamte Vollstreckungsrecht durchzieht99 • Darüberhinaus zeigt sich aber auch eine strukturelle Parallele. Die Regelung der Vollstreckungsvoraussetzungen dokumentiert die rechtsstaatlichen Kautelen in der gesamten Vollstreckungsordnung. Die Vorschaltung eines "Erkenntnisverfahrens" , die Erforderlichkeit eines "Vollstreckungstitels " , Mahn- und Schonfristen sowie ein ausgeprägtes System (einstweiligen) Rechtsschutzes sind keineswegs der zivilprozessualen Zwangsvollstreckung vorbehalten 1oo • Beispielhaft sollen bereits an dieser StellelOi die §§ 3, 6 Abs. 1 VwVG genannt werden. Zwar verneint § 3 Abs. 1 (2. HS) VwVG gerade das Erfordernis eines vollstreckbaren Titels; es wird sich jedoch zeigen, daß § 80 VwGO der stets im Zusammenhang mit dem VwVG zu lesen ist - ein der ZPO qualitativ vergleichbares Rechtsschutzsystem bereithält, sodaß die Vollstreckung in allen Rechtsgebieten regelmäßig von einem richterlichen Votum abhängt. bb) Prinzipielle Unterschiede in der Vollstreckungsordnung Die soeben angesprochene "Titellosigkeit" der Verwaltungsvollstreckung führt zu einem der prinzipiellen Unterschiede in der Vollstreckungsordnung. § 3 Abs. 1 (2. HS) VwVG regelt die Selbstvollstreckung im Gegensatz zur Fremdvollstreckung, indem die Verwaltung in der Doppelrolle des Gläubigers und Vollstreckers den selbst gesetzten Akt (Leistungsbescheid) vollzieht lO2 • Hingegen löst gerade das Zivilurteil als Vollstreckungstitel die Vollstreckung vom materiellen Recht, um den Vollstreckungsorganen eine (erneute) Sachprüfung zu "ersparen". Dies scheint im Verwaltungsrecht entbehrlich, weil die Vollziehungsbeamten i.d.R. Teil der Verwaltung sind, die den Verwaltungsakt erlassen hat103 • Diese Beamten haben freilich genausowenig eine Sachprü-
.. Das heißt freilich nicht, daß der Staat mit dem privaten Gläubiger in jeder Beziehung gleichzusetzen wäre. Vielfache Vollstreckungsprivilegien zeigen zugleich prinzipielle Unterschiede in der Vollstreckungsordnung . 100 VgJ. Gaul, JZ 1979,503 ff. m.w.N. 101 VgJ. ausfiihrlich im Text unten S. 48, llO ff., 112 ff. 102 Gaul, JZ 1979,499. 10. Das gilt auch im Falle der Vollstreckungshilfe. Die Vollstreckungsbehörde ist stets an Weisungen der Anordnungsbehörde gebunden, vgJ. Engelharde, VwVG, § 4, Anm. 3; Sadler, VwVG, § 4, Rn. 1.
I. Sofortvollzug als Bestandteil einer "dualen Vollzugsordnung"
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fungskompetenz wie der Gerichtsvollzieher. Lediglich wegen der Doppelrolle der Verwaltung als Gläubiger und Vollstreckungsbehörde ist die Ausstellung einer besonderen Urkunde entbehrlich. Die partielle Identität der Vollstrekkungssubjekte eröffnet aber auch einen Interessenkonflikt innerhalb der VerwaltunglO4 • Als Gläubiger ist sie an der Durchsetzung der Geldforderungen interessiert; als Vollstreckungsbehörde muß sie die rechtlichen Interessen des Schuldners berücksichtigen. Spätestens an dieser Stelle zeigt sich die Bedeutung des gerichtlichen Rechtsschutzes bei der Rechtfertigung der Verwaltungsvollstreckung, der in der hier vorgestellten "dualen Vollzugsordnung" besondere Berücksichtigung findet. b) Die horizontale Trennlinie: Verwaltungsvollstreckung und verwaltungsgerichtliche Vollstreckung aa) Vollstreckung im Verwaltungsrechtsweg Verwaltungsvollstreckung und verwaltungsgerichtliche Vollstreckung \05 haben vielfältige Bezüge (Gemeinsamkeiten und Unterschiede), wie ein Blick auf den Gegenstand und die Durchführung der Vollstreckung zeigt. Geht es um die Durchsetzung eines Verwaltungsaktes, kommt nur die Verwaltungsvollstreckung in Betracht. Zwar bieten die Verwaltungsgerichte in verschiedenen Phasen Rechtsschutz lO6 ; die gerichtliche Entscheidung hindert dann ggfs. die Vollstreckung, ist aber nicht ihre Grundlage. Wenn der Staat im Einzelfall jedoch Leistungsklage vor dem Verwaltungsgericht erhebt (erheben muß), kommt es zur verwaltungsgerichtlichen Vollstreckung. Diese richtet sich gern. § 169 Abs. 1 S. 1 VwGO indessen ebenfalls nach dem VwVG 107 • Hier zeigt sich also, daß die Vollstreckung zugunsten
104 Vgl. dazu Gaul, JZ 1979,502 ff. 1o, Vgl. hielZU umfassend WettLaufer, Die Vollstreckung aus verwaltungs-, sozial- und finanzge-
richtlichen Titeln zugunsten der öffentlichen Hand. 106 Gegen den Verwaltungsakt ist die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) statthaft; gegen Vollstreckungsmaßnahmen ist ebenfalls der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, wobei aber das Rechtsmittel außerordentlich streitig ist, vgl. TrauLsen, S. 77 ff. und Wunenberger, Artikel Verwaltungsvollstreckung, S. 14 f. m.w.N.; den., Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 375 ff. Daneben kommt auch der vorläufige Rechtsschutz (§ 80 Abs. 5 VwGO) in Betracht. 107 Vollstreckungsbehörde ist der Vorsitzende des Gerichts des ersten Rechtszuges, § 169 Abs. 1 S. 2 VwGO; vgl. im einzelnen Redekerlv.Oenzen, VwGO, § 169, Rn. 6 ff.
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1. Kap.: Prozeßrechtliche Grundlegung
des Staates auf die Verwaltungsvollstreckung zugeschnitten ist108 • Der wesentliche Unterschied zwischen Leistungsbescheid und Leistungsklage liegt darin, daß im ersten Fall der Bürger die Initiative ergreifen muß und eine gerichtliche Entscheidung der (einstweiligen) Vollstreckung nicht immer vorhergeht (§§ 80 Abs. 2 u. 5 VwGO), während im letzten Fall die Vollstreckung ein "echtes" gerichtliches Erkenntnisverfahren voraussetzt. Daruberhinaus gibt es eine verwaltungsgerichtliche Vollstreckung auch hinsichtlich der "prozessualen Eigenkosten ". Die Gerichte befinden nicht nur über die Berechtigung einer Forderung; am Ende jedes Prozesses steht eine staatliche Geldforderung, die der Prozeß erst hervorgebracht hat. Gerade im (häufigen) Fall der Anfechtungsklage ist nicht die Hauptsache-, sondern nur die Kostenentscheidung vollstreckbar, § 167 Abs. 2 VwGO. Vollstreckungstitel ist dann die gerichtliche Entscheidung (Urteil oder Beschluß), deren Bestandteil der Ausspruch über die Kosten ist, §§ 161 Abs. 1, 168 Abs. 1 Nr. 1 VwG0109 • Die Durchsetzung der Prozeßkosten ist im Zivil-, Verwaltungs- und Strafprozeß gleichermaßen gewährleistet. Hier unterscheiden sich die Gerichtszweige nicht. bb) Vollstreckung im Finanz- und Sozialrechtsweg Für die Zweige der besonderen Verwaltungsgerichtsbarkeit gelten die vorstehenden Ausführungen entsprechend. Folgende Besonderheiten sind jedoch bemerkenswert 110: § 150 FGO verweist für die Vollstreckung zugunsten der öffentlichen Hand auf die Abgabenordnung, während § 200 SGG das VwVG in Bezug nimmt. Ein Unterschied (auch gegenüber § 169 Abs. 1 VwGO) besteht deshalb nicht, weil § 5 VwVG seinerseits auf die AO verweist und diese im übrigen (besonders hinsichtlich des Verwaltungszwangs) gleichlautende Vorschriften enthält.
101 Die Vollstreckung gegen die öffentliche Hand, die in der vorliegenden Abhandlung kaum Beachtung finden kann, liegt dagegen in der Obhut des Gerichts, das im Rahmen der §§ 170, 172 VwGO die öffentlichen Interessen und die Belange des Staates (Funktionsfähigkeit der Verwaltung) wahren muß; vgl. hierzu nur Bank, Zwangsvollstreckung gegen Behörden. 109 § 168 Abs. 1 Nr. 4 VwGO (Kostenfestsetzungsbeschlüsse)hat nur deklaratorische Bedeutung, vgl. Redekerlv. Oertzen, VwGO, § 168, Rn. 12. 110 Vgl. zum folgenden Naumann, Sgb. (Die Sozialgerichtsbarkeit) 1972,381 ff.; Wettlau/er, S. 223 ff., 312 ff.
I. Sofortvollzug als Bestandteil einer "dualen Vollzugsoronung"
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Hinsichtlich der (Gerichts-) Kosten bestehen ebenfalls keine Unterschiedeli I. Im sozialgerichtlichen Verfahren spielt die Kostenentscheidung des Sozialgerichts wegen der grundsätzlichen Kostenfreiheit des Prozesses in Bezug auf die Gerichtskosten allerdings keine Rolle, § 183 SGG II2 • cc) Beitreibung und Verwaltungszwang In Anlehnung an die Systematik der ZPO unterscheidet auch das VwVG zwischen der "Vollstreckung wegen Geldforderungen"1I3 und der "Erzwingung von Handlungen, Duldungen oder Unteriassungen"114. Zur besseren Unterscheidung dieser zwei unterschiedlichen Regelungskomplexe hat sich die Terminologie Beitreibung (für den ersten Fall) und Verwaltungszwang (für den zweiten Fall) bewährt 1l5 •
Die vorliegende Abhandlung befaßt sich nur mit der Beitreibung, d.h. der Durchsetzung staatlicher Geldforderungen. Sie ist aber nicht auf den Anwendungsbereich des VwVG beschränkt, weil wesentliche Geldforderungen des Staates in speziellen Gesetzen geregelt sind: die Steuern in der Abgabenordnung (i. V .m. der FGO), die Sozialversicherungsbeiträge im Sozial gesetzbuch (i. V.m. dem SGG) und die Gerichtskosten in allen Prozeßgesetzen (i. V.m. der JBeitrO). Gerade der sog. Sofortvollzug verdient eine getrennte Behandlung von Beitreibung und Verwaltungszwang. Die Intention vorläufiger Vollzugsmaßnahmen, aber auch des - korrespondierenden - vorläufigen Rechtsschutzes ist bei der Vermögensverschiebung im Rahmen der Beitreibung (vgl. § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) völlig anders zu beurteilen als bei der Gefahrenabwehr im Rahmen des Verwaltungszwangs (vgl. § 80 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Das liegt nicht zuletzt im Wesen des Regel- und Sofortvollzugs begründet.
Vgl. §§ 148, 149 FGO fiir das finanzgerichtliche Verfahren. Die Kosten eines Beteiligten (§ 193 SGG) werden auf Antrag vom Urlrundesbeamten der Geschäftsstelle des Gerichts festgesetzt (§ 197 Abs. I SGG) . ... Erster Abschnitt: §§ 1 - 5 VwVG. 114 Zweiter Abschnitt: §§ 6 - 18 VwVG. Vgl. WolfflBachof, Verwaltungsrecht III, § 160 n bzw. § 160 III; Brunn, in: HÖV, Rn. 19 ff.; Wanenberger, Artikel Verwaltungsvollstreckungsrecht, S. 1. 111
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I. Kap.: Prozeßrechtliche Grundlegung
c) Die diagonale Trennlinie: Regelvollzug und SoJortvollzug
aa) Systembildende Merkmale Der Sofortvollzug ist eine Form der Rechtsvenvirklichung; die in einem Rechtssatz angeordnete Rechtsfolge wird durch Handlungen zur Geltung gebracht. Bei einer Geldforderung ist das die reale Vermögensverschiebung. Die Rechtsverwirklichung kann aber nicht ohne die Rechtsfindung betrachtet werden. Ein Recht zu verwirklichen setzt nämlich voraus, daß dieses Recht tatsächlich besteht, sonst findet - pointiert ausgedrückt - eine Unrechtsverwirklichung statt 116 • Rechtsfindung 117 ist Sache des Rechtsanwenders. Das ist in einem weiten Sinne jeder, der mit einer bestimmten Vorschrift in seiner sozialen Wirklichkeit konfrontiert wird, also auch der Bürger. Im engen Sinne sind zur Rechtsfindung im Streitfall die Gerichte berufen. Daneben eignet die Rolle des Rechtsanwenders aber auch den Verwaltungsbehörden, die ein Gesetz kaum vollziehen können, ohne es •anzuwenden". In diesem Rechtsfindungsprozeß entscheidet die Behörde auch, allerdings nur vorläufig, quasi auflösend bedingt durch eine erfolgreiche Anfechtung durch den Adressaten. Rechtsschutz und Rechtsvenvirklichung sind untrennbar verbunden. Damit das Recht verwirklicht werden kann, muß es geschützt werden, und zwar vor denjenigen, die seine Verwirklichung vereiteln oder erschweren wollen oder zumindest ihr Verhalten dazu führen kann. Das kann der Staat sein, dessen Verwaltungsbehörden zum Beispiel, Rechte des Bürgers mißachtend, rechtsfehlerhafte Entscheidungen treffen; dies kann aber auch der Bürger selbst sein, der einem fehlerfreien Rechtsbefehl (in Form eines Verwaltungsaktes, aber auch unmittelbar aus dem Gesetz) keine Folge leistet. Die Rechtsverwirklichung muß im ersten Fall das fehlerhafte Verwaltungshandeln beseitigen (z.B. über Widerspruch und Anfechtungsklage, also mit Hilfe des Gerichts), im letzten Fall den Widerstand des Bürgers überwinden. Das Problem besteht nun darin, ob diese Überwindung über den Appell an die Rechtstreue (Mahnung 118) hinaus an die gerichtliche Mitwirkung bei der "Aufhebung des ent-
116 Vgl. Renck, NVwZ 1988, 700 ff. mit dem bezeichnenden Titel: "Sofort vollziehbares Unrecht?"; zum potentiellen Unrecht bei ungewisser Sachverhaltsgrundlagevgl. Berg, S. 18. 117 Vgl. zur Rechtsfindung Pauliek, Allgemeines Steuerrecht, § 12 m. w.N.; Martens, Praxis des Verwaltungsverfahrens, S. 140 ff. 118 Hier zeigt sich eine Parallele zwischen Mahnbescheid und Verwaltungsakt.
I. Sofortvollzug als Bestandteil einer "dualen Vollzugsordnung"
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gegenstehenden Willens· (Urteil nach neutraler Rechtsprüfungll~ gebunden sein soll oder ob diese Funktion von der Verwaltung selbst ausgeübt wird. Ob das Recht besteht, kann zwischen den Adressaten des Rechtssatzes streitig oder unstreitig sein. Ist es unstreitig, geht die Rechtsordnung in der Regel vom Bestehen des Rechts aus l20 • Das ist ein Ausfluß der (Privat-) Autonomie. Ist das Bestehen des Rechts dagegen streitig, bildet die (bestrittene) Rechtsbehauptung den Ausgangspunkt, d.h. das materielle Recht, dessen sich der eine berühmt und das der andere bestreitet. Es besteht nun das Interesse des einen, dieses Recht durchzusetzen, und das des anderen, dies zu verhindern. Die Durchsetzung des Rechts ist genau dann (als notwendige, aber auch hinreichende Bedingung) gerechtfertigt, wenn das Recht tatsächlich besteht. Ob dies der Fall ist, muß aber festgestellt werden. Hier kommt folgender Ablauf in Betracht: Rechtsbehauptung - Rechtsfmdung - Rechtsfeststellung - (ggfs. Rechtskraft) - Rechtsverwirklichung. In der Prozeßsprache bedeutet das: Klage - Erkenntnisverfahren - Urteil - Vollstreckung. Paradigmatisch gelten insoweit die §§ 253, 278, 300, 704 ZPO. Beim Sofonvollzug gilt dagegen die Kette: Rechtsbehauptung - Rechtsverwirklichung - Rechtsfindung - Rechtsfeststellung. Die Hintansetzung der Rechtsfindung führt - zumindest bei Geldzahlungen zugleich zu einer inhaltlichen Änderung derselben. Genau genommen geht es nicht mehr um die Feststellung der Berechtigung zur Vermögensverschiebung, sondern um das Recht zum Behalten des Geldes bzw. die Pflicht zur Rückzahlung l21 •
Durch Leistungsklage des Staates oder Suspensiveffekt der Anfechtungsklage des Bürgers. Eine Ausnahme gibt es z. B. im Strafprozeß: Nach der dort herrschenden Inquisitionsmaxime ist auch das Geständnis des Angeklagten nicht verbindlich, KleinknechtlMeyer, StPO, § 261, Rn. 11. Dagegen bindet die Dispositionsmaxime im Zivilprozeß das Gericht an den Sachvortrag der Parteien, vgl. § 288 Abs. I ZPO. Wieder anders im VelWaltungsprozeß: Einerseits erforscht das Gericht von Amts wegen den Sachverhalt (§ 86 Abs. 1 VwGO); andererseits haben die Beteiligten maßgeblichen Einfluß auf Beginn, Verlauf und Ende des Prozesses (vgl. zur Dispositionsmaxime im VelWaltungsprozeß: Redekerlvon Oenzen, VwGO, § 86, Rn. 4 ff.). Hinzu kommen zahlreiche Mitwirkungsptlichten der Beteiligten (BVeIWG, NVwZ 1987,404 f.; Nierhaus, S. 258 ff.; vgl. auch BVeIWG, DVBI. 1980,230,232 m. Anm. von Redeker, DVBI. 1981,87 und Czajka, DÖV 1982, 102: Der Richter müsse nicht ohne Rüge in die Historie von Bebauungsplänen eindringen). Eine umfassende Sachverhaltsaufklärung mag auch an faktische Grenzen stoßen, wie das Beispiel des Körperschaftssteuerbescheides einer großen Aktiengesellschaft zeigt. 121 Vgl. instruktiv die normative Verbindung von § 113 Abs. I Satz I und Satz 2 VwGO. 119
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1. Kap.: Prozeßrechtliche Grundlegung
Noch keine Aussage ist damit darüber getroffen, ob die Rechtsordnung diese oder jene Kette als Normalfall oder Ausnahme normiert hat. Das hängt entscheidend davon ab, ob das gerichtliche Erkenntnisverfahren den gesetzlichen Regelfall bildet oder ob das Verwaltungsverfahren gleichberechtigt daneben steht (bb). Erst die Beantwortung dieser Frage gibt Aufschluß über den Charakter des Sofortvollzugs als Verpflichtung zur "Vorleistung" (ce). Das Verwaltungsrecht als Gegenstand von Rechtsanwendung, Rechtsschutz und Rechtsverwirklichung bedarf mehr als andere Rechtsgebiete vorläufiger Regelungen 122. Der "Faktor Zeit" bestimmt nicht nur den (zeitlichen) Abstand zwischen Rechtsetzung und Rechtsverwirklichung. Er vermag die normativen Ziele auch zu beeinträchtigen, wenn dem nicht durch die Gestaltung des Rechtsverwirklichungsprozesses und -instrumentariums entgegengewirkt wird. Diesem Zweck dienen vorläufiger Rechtsschutz und vorläufige Rechtsverwirklichung. Als Hauptfall dient der Sofortvollzug durch Reduzierung des Rechtsschutzes (§ 80 Abs. 2 VwGO) der vorläufigen Rechtsverwirkltchung '23 • Insbesondere bei der Durchsetzung öffentlicher Abgaben und Kosten wird das in der Vermögensverschiebung liegende Normziel erreicht, bevor der Prozeß der Rechtskontrolle beendet ist und das Verwaltungshandeln damit Bestand hat. Diese vorläufige Rechtsverwirklichung setzt eine in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht abgeschlossene Beurteilung des Sachverhaltes durch die Verwaltung voraus. Durch den Verwaltungsakt ist das Gesetz bereits konkretisiert, die Rechtslage stabilisiert. Bürger und Verwaltung können sich darauf verlassen. Wenn der Adressat den Verwaltungsakt anficht, bleibt dieser dennoch als "Rechtsgrund" bestehen, bis er ausdrücklich aufgehoben wird. Insbesondere der Sofortvollzug beruht auf dieser abschließenden Beurteilung durch die Verwaltung mit ihren Richtigkeitsgarantien und der Chance, die Zeitverluste'24 , die durch die Rechtskontrolle entstehen, zu entschärfen. Die Rechtsverwirklichung ist aber "vorläufig", weil durch die Anfechtung ein "Vorbehalt der
122 Vgl. zu den zahlreichen Beispielen vorläufiger Regelungen außemalb staatlicher Geldforderungen Schimmelpfennig, S. 3 - 83; König, BayVBI. 1989,33. 123 Soweit es um Anspruche des Bürgers gegen den Staat geht, ennöglicht § 123 VwGO eine vorläufige Regelung. 12' Mit diesen sind eventuell auch Geltungsverluste des Rechts dort verbunden, wo die Zielerreichung der Nonn keinen Aufschub duldet, Kirchhof, JZ 1989,464; allgemein zur "Zeitstruktur des Rechts' Husserl, S. 30 ff.
I. Sofortvollzug als Bestandteil einer "dualen Vollzugsordnung"
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Nachprüfung" durch das Gericht bestehtl2S • Selbst wenn also im Sofortvollzug der normativ intendierte Erfolg bereits herbeigeführt worden ist, kann die Rechtsverwirklichung nicht endgültig sein. Die Rechtsschutzgarantie erzeugt einen "Schwebezustand", der z.B. das Vertrauen in die "vorläufige Rechtslage" reduziert und so die Rückabwicklung erleichtert l26 • Betrachtet man den "Prozeß der Rechtsverwirklichung" vor diesem Hintergrund, ergibt sich fast zwanglos eine "duale Vollzugsordnung ". Der "Dualismus" resultiert daraus, daß das (streitige) Recht in zwei verschiedenen Wegen vollzogen wird: entweder nachdem oder bevor der gesetzliche Richter die Berechtigung des Vollzugs festgestellt hat127 • Ein solcher am Zeitpunkt des gerichtlichen Rechtsschutzes orientierter Dualismus beherrscht die gesamte (Prozeß-) Rechtsordnung l28 • bb) Vollstreckung nach dem Richterspruch als normativer Regelfall Als Regelvollzug oder Regelvollstreckungsverfahren wird vorliegend die Verwirklichung einer bestrittenen staatlichen Geldforderung bezeichnet, wenn ein Gericht die Berechtigung vorweg autoritativ festgestellt hat. Das ist auf verschiedenen Wegen möglich. Zunächst kann ein Gericht die Berechtigung der Forderung im Rahmen einer Leistungsklage prüfen. Das betrifft sowohl die Verwaltungs- als auch die Zivilgerichte. Im letzteren Fall geht es zumeist um privatrechtliche (Geld-) Forderungen des Staates, aber auch um solche öffentlich-rechtlichen Ansprüche, für die der ordentliche Rechtsweg ausdrücklich eröffnet wurde l29 • In jedem Fall findet bei der Leistungsklage eine Vollstreckung erst nach Erlaß des (Leistungs-) Urteils statt.
121 Dieser Nachpriifungsvorbehalt relativiert sich aber durch die Beschränkung auf eine reine Rechtskontrolle, wie sich an den Grenzen richterlicher Überpriifung des Verwaltungsermessens (§ 114 VWGO) zeigt. 126 Zu den Problemen der öffentlich-rechtlichen Erstattung vgl. unten S. 236 ff. 127 An dieser Kategorisierung ändert auch der Richterspruch nichts, der im vorläufigen Rechtsschutz ergeht. Die Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO ist eben nur eine "vorläufige", die nicht über die Berechtigung der Forderung, sondern über das einstweilige Fordern- bzw. Behaltendürfen befindet. 121 Die Darstellung beschränkt sich aber im folgenden auf das Zivil- und Verwaltungsrecht. 129 Vgl. etwa Art. 34 S. 3 GG für die Regreßforderungendes Dienstherrngegen seine Beamten.
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I. Kap.: Prozeßrechtliche Grundlegung
Andererseits findet das Regelvollstreckungsverfahren auch bei Erlaß eines Leistungsbescheides statt. Zwar schließt sich in diesem Fall - wie gesehen l30 - automatisch die behördliche und keine gerichtliche Vollstreckung an. Kennzeichnend für das hier sog. Regelvollstreckungsverfahren ist aber nicht das Vollstreckungsorgan, sondern die gerichtliche Mitwirkung an der Schaffung der Vollstreckungsvoraussetzungen. Dazu zählt nicht nur die Beurkundung der Berechtigung im Sinne eines Vollstreckungstitels, sondern auch die Beseitigung von Vollstreckungshindernissen. Ein solches Vollstreckungshindernis stellt die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs Anfechtungsklage 131 dar. Diese bewirkt nämlich ein (einstweiliges) Verbot der Rechtsverwirklichung132 • Fraglich ist nur, welche Bedeutung § 80 VwGO für die Beitreibung hat. Während § 6 VwVG nämlich für die Handlungsvollstreckung den unanfechtbaren (= Regelvollzug) bzw. sofort vollziehbaren (= Sofortvollzug) Verwaltungsakt voraussetzt, eröffnet § 3 VwVG die Beitreibungsmöglichkeit unabhängig vom verwaltungsprozessualen Stadium. Durch das Erfordernis des Leistungsbescheides (§ 3 Abs. 2 lit. a VwVG), dessen Verwirklichung § 80 Abs. 1 und Abs. 5 VwGO gerade hemmt, während § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sie ermöglicht, sind Beitreibung und Handlungsvollstreckung jedoch strukturell vergleichbar J33 • Das (rechtskräftige) Urteil, mit dem die Anfechtungsklage abgewiesen wird, macht quasi "den Weg frei" für die (Verwaltungs-) Vollstrekkung. Weil aber die Prüfung der Rechtmäßigkeit des Leistungsbescheides (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO) auch die (richterliche) Beurteilung der Berechtigung zur Geldforderung beinhaltet, findet auch hier die Vollstreckung erst nach dem Richterspruch über diese Berechtigung statt. Es ist also (mit diesem Verständnis des Regelvollstreckungsverfahrens) eine - bislang nicht so gesehene - Parallele zwischen gerichtlicher und Verwaltungsvollstreckung zu ziehen l34 •
Vgl. oben S. 41. Die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (§ 80 Abs. 5 VwGO) wird dabei ausgeklammert, weil erst die Hauptsacheentscheidung feststellt, 'was rechtens ist' . 132 Vgl. im einzelnen unten S. 107 ff. (113). t33 Vgl. Busch, DVBI 1966,257 ff.; Schoch, S. 1240 (zur Rechtsdurchsetzungsfunktionder Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit gern. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO); Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 20, Rn. 7. 134 In ähnlicher Weise ist das Regelvollstreckungsverfahren (begriffiich) auf die Fälle zu erstrecken, in denen das Gericht selbst die Geldforderung geltend macht, also bei den Gerichtskosten. Hier kann der (abgelaufene) Prozeß, der die Kosten verursacht hat, natürlich nicht als maßgebliche Grundlage des Richterspruchs angesehen werden. Vielmehr eröffnet hier erst das Rechtsmittel (zumeist die Beschwerde, vgl. §§ 567 ZPO, 146 VwGO) die richterliche Entschei130 131
I. Sofortvollzug als Bestandteil einer "dualen Vollzugsordnung"
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Es fragt sich aber, ob dieses Verfahren überhaupt die "Regel" darstellt. Die "Vollstreckung nach dem Richterspruch" läßt sich paradigmatisch auf das gerichtliche Erkenntnisverfahren der ZPO zurückführen. Dort verknüpft das vollstreckbare Endurteil die Rechtsfindung mit der Rechtsverwirklichung, § 704 ZPO. Gegenteilige Fälle sind im materiellen Recht (vgl. §§ 227, 229 ff. BGB - Selbsthilfe) und Prozeßrecht (vgl. Arrest und andere summarische Verfahren) als Ausnahme gekennzeichnet. Der Vollstreckungstitel löst die Rechtsverwirklichung vom streitigen materiellen Recht und stellt es de jure unstreitig 13S • Nur oberflächlich betrachtet ist das im Verwaltungsrecht anders. Dort ist die richterliche Rechtsfindung als Prämisse der Rechtsverwirklichung ebenso der Regelfall. Dies zeigt ein Blick auf § 80 Abs. 1 VwG()I36. Zwar wird dem (ablehnenden) Anfechtungsurteil herkömmlicherweise keine Titelfunktion zugeschrieben; dessen (Rechtskraft- und Präklusions-) Wirkungen sind aber dem Leistungsurteil im umgekehrten Fall vergleichbar. Im anderen Fall, wenn der Bürger keinen Rechtsbehelf einlegt, stellt der Verwaltungsakt zwar selbst die Grundlage der Vollstreckung dar 137 • Dies kann indes nicht zum Regelfall gezählt werden, weil eine Vollstreckung i.d.R. einen Widerstand überwinden soll, dieser Widerstand sich typischerweise aber in der Rechsbehelfseinlegung äußert. Wenn der Bürger aber passiv bleibt, zeigt er sich mit der Verwaltungsentscheidung einverstanden; es fehlt dann der Streit um die Berechtigung als typische Ausgangslage. Der Ablauf "Verwaltungsverfahren - Verwaltungsakt (Leistungsbescheid) Anfechtungsklage - (abweisendes) Urteil - Verwaltungsvollstreckung" ist mit dem Prozeßverlaufim Zivilrecht jedenfalls strukturell vergleichbar, im Idealfall sogar überlegen. So kann etwa der Prozeßstoff wegen der Beteiligung des
dung im Streit um die Berechtigung dieser staatlichen Geldforderung. Der auch hier gegebene Suspensiveffekt hindert die (Justiz-) Beitreibung ebenso wie in den Fällen des § 80 Abs. I VwGO und rechtfertigt so die gewählte Kategorisierung. J3S Das erfordert der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit, vgl. dazu im Hinblick auf die "Verläßlichkeit staatlicher Entscheidungen" Zippelius, Rechtsphilosophie, § 23 V . • 36 Sehr deutlich macht § 6 VwVG diesen Zusammenhang: ohne "prozessuale Freigabe" (Bestands-. Rechtskraft, sofortige Vollziehbarkeit) keine Vollstreckung. Wie noch zu zeigen sein wird (unten S. 113), gelten für die Auslegung des § 3 VwVG ähnliche Maßstäbe. 137 Vgl. unten S. 110. 4 Heckmann
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1. Kap.: Prozeßrechtliche Grundlegung
Bürgers im Verwaltungsverfahren besser aufbereitet werden als in der zivilrechtlichen Auseinandersetzungl38 • Die Qualifizierung des § 80 Abs. 2 VwGO als Ausnahmel39 bestätigt hier die Regel. Gleiches gilt für § 69 FGO und § 97 SGB-X und die entsprechenden Landesregelungen 140. cc) Sofortvollzug als Paradigma der "vorgerichtlichen Rechtsverwirklichung" Dementsprechend betrifft der "Sofortvollzug" diejenigen staatlichen Geldforderungen, die - obwohl streitig - realisiert werden, ohne daß ein Gericht die Rechtslage verbindlich geprüft hat. Dazu zählen in erster Linie die Fälle des § 80 Abs. 2 VwGO, der die sofortige Vollziehung von Leistungsbescheiden stets im Rahmen der Nr. 1 (öffentliche Abgaben und Kosten), aber auch durch spezielle Entscheidung des Gesetzgebers nach Nr. 3 (vgl. hier besonders § 187 Abs. 3 VwGO), weniger durch Verwaltungsentscheidung nach Nr. 4 zuläßt. In all diesen Fällen entscheidet der Richter zwar auch (Art. 19 Abs. 4 GG), aber nicht vor der Vollstreckung, sondern danach: Er hat nicht das "erste Wort" 141 , sondern das "letzte Wort". Man kann hier paradigmatisch von einer "vorgerichtlichen Rechtsverwirklichung" sprechen, weil die - für die vorliegende Untersuchungzentrale Norm des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gerade darauf abzielt, unter Umgehung der (langwierigen) gerichtlichen Kontrolle das Vermögen (soweit die Forderung reicht) von dem privaten in den öffentlichen Haushalt zu verschieben. Geht man also vom Regelfall der Verwirklichung eines feststehenden bzw. festgestellten Rechts aus, ist es nur ein kleiner Schritt zur Deutung des Sofortvollzugs als Pflicht zur Vorleistung .
• 31 Auch Manens, Praxis des VelWaltungsverfahrens, Rn. 227 zählt die vollständige Klärung aller Sach- und Rechtsfragen vor ihrer VelWirklichung zum "NonDalfall" und kennzeichnet die Vorleistungspflicht LS.d. § 80 Abs. 2 Nr. I VwGO als "Extremfall" . • 39 Das ist fast einhellige Meinung, vgl. nur VGH Mannheim, DVBI. 1976, 538 m. Anm. Fischerhof, OVG Koblenz, DVBI. 1984, 1134 (1135) m. Anm. Wilke; OVG Münster, DVBI. 1984,353; Redeker, DÖV 1965,679; Papier, StuW 1978,340; Stem, JuS 1981,344; Leipold, S. 188 ff. Dem schließt sich im Ergebnis auch Schoch, S. 1128 ff., 1132 trotz seiner kritischdifferenzierenden Haltung an . ... Vgl. die differenzierende Betrachtungsweise bei Schoch, S. 96 ff. •4. Genau genommen das "zweite Wort", weil auch im Regelvollzug zunächst die VelWaltung entscheidet.
l. Sofortvollzug als Bestandteil einer •dualen Vollzugsordnung •
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Gerade, weil die Berechtigung des Staates als Gläubiger nicht feststeht, bedeuten Zahlungen in diesem Schwebezustand eine Abweichung vom status quo; auf die nachfolgende Rechtsfindung als eigentliche Prämisse der Rechtsverwirklichung bezogen mithin eine Vor-Leistung. Pointiert ausgedrückt: Es wird "vor" der Rechtsfeststellung "geleistet". Zwar besteht das Recht (objektiv) schon vor der Rechtsfindung bzw. -feststellung. Weil seine Verwirklichung im Streitfall - wie gesehen - aber regelmäßig ein richterliches Votum voraussetzt, ist die ausnahmsweise Erfüllung auf ungewisser Basis eine "Vorleistung". Diese Vorleistung bedeutet einen Vorschuß in zweifacher Hinsicht: Einerseits leistet der Bürger einen Barvorschuß (= Kredit i.e.S.), weil der Staat Geld nutzen darf, das ihm möglicherweise nicht, jedenfalls nicht auf Dauer zusteht l42 . Andererseits gewährt er auch einen Vertrauensvorschuß (= Kredit i.w.S.), weil der Staat ein Recht aufgrund eigener Rechtsbehauptung verwirklichen darf, was einem Privaten im Streitfalle verwehrt wäre (Verbot der SelbsthilfeI43). (J) SoJortvollzug als "Barvorschuß "
Der "Vorschuß" ist in den vorstehenden Ausführungen schon verschiedentlich zur Sprache gekommen. Er ist als Regelung des Leistungsaustauschs nicht ungewöhnlich. In synallagmatischen Rechtsverhältnissen tritt er immer dort an die Stelle der Zug-um-Zug Leistung, wo die Geldzahlung der Finanzierung der Gegenleistung dient oder Sicherungscharakter hat l44 . Beispielhaft für diesen Zweck ist die Verwendung der Vorausleistungen auf Erschließungsbeiträge. Der Sofortvollzug läßt sich indessen nicht ohne weiteres in diese Argumentation einordnen. Zumindest dort, wo der Staat einseitig Geldzahlungen fordert, versagt dieses Modell. Der Vorschußcharakter muß in solchen Fällen anders erklärt werden. Maßgebend ist - als durchgängiges Leitprinzip der Untersuchung - wieder der "Faktor Zeit"145. Die Einschränkung der Risiken rechtswidrigen Staatshandelns durch die Gewährung von Rechtsschutz im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren führt automatisch zu einer Verzögerung der Rechtsverwirkli"2 Das ist wichtig für die Frage der Kompensation, insbesondere die Verzinsung. vgl. unten S. 236 ff. ,., Vgl. zum Verbot der Selbsthilfe bereits oben S. 32 f. '44 Vgl. aus dem Zivilrecht §§ 320 ff. BGB. ,4> Schoch, S. 1310 ff.
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I. Kap.: Prozeßrechtliche Grundlegung
chung. Mag ein Geldbetrag von Rechts wegen schon 1m Zeitpunkt seiner Tatbestandsverwirklichung (objektiv) dem Staat zustehen - fordern kann er ihn im Prinzip erst nach der Gewährung des Rechtsschutzes. Um diesen Zeitraum zu überbrücken, muß der Bürger in bestimmten Fällen schon vorweg leisten. Er zahlt damit einen (Bar-) Vorschuß auf die erwartete Abgabenschuld. Stellt sich die Berechtigung heraus, wird der Vorschuß verrechnet, anderenfalls wird der Betrag erstattet. Der letzte Fall zeigt zugleich die "Kreditfunktion" dieses Vorschusses. Während in Fällen des Leistungsaustauschs i.d.R. nur die Höhe der Schuld offen steht, der Vorschuß demzufolge ein bloßer Verrechnungsposten ist, mag die Vermögensverschiebung im Sofortvollzug bei rechtswidrigem Leistungsbescheid auch völlig zu Unrecht erfolgen. Dies in Kauf nehmend, finanziert sich der öffentliche Haushalt aber auch durch die Einnahmen solcher Vorschüsse. Der Staat arbeitet mit diesem Geld wie mit einem Kredit. Ob daraus vermögensrechtliche Konsequenzen zu ziehen sind - etwa im Sinne einer Verzinsung dieses Kredits - bleibt genauer zu untersuchen l46 • (2) SoJortvollzug als "Vertrauensvorschuß" Die Interpretation der Vorleistung als "Kredit" legt es nahe, dessen etymologische Bedeutung l47 als "Vertrauensvorschuß" auf den vorliegenden Fall zu übertragen. In der Tat wird dem Bürger durch den Sofortvollzug auch ein Vorschuß an Vertrauen gegenüber dem Staat abverlangt. Der Staat tritt ihm nämlich durch den sofort vollziehbaren Leistungsbescheid mit dem Anspruch gegenüber, die Geldforderung werde der nachträglichen Rechtskontrolle schon standhalten. Mag auch der einzelne Bürger an der Rechtmäßigkeit des Staatshandelns starke Zweifel hegen, läßt die Kodifizierung der Vorleistungspflicht doch auf ein "allgemeines Vertrauen" schließen. Die Rechtsgemeinschaft würde den Sofortvollzug nicht mittragen, wenn mehr als nur ein geringer Anteil an den Leistungsbescheiden rechtswidrig wäre. Das ist nicht mit der abzulehnenden Rechtmäßigkeitsvermutung zugunsten des Verwaltungshandelns zu verwechseln I 48. Durch das Vertrauen der Bürger wird nur festgestellt, daß die
'46 Vgl.
unten S. 253 ff. Vgl. Brockhaus, Enzyklopädie, 19. Aufl., Stichwort "Kredit". '" Daß es keine "Vermutung der Rechtmäßigkeit" bei Verwaltungsakten - sondern eine davon unabhängige Wirksamkeit und Bindungswirkung - gibt, ist heute herrschende Meinung, vgl. nur Bertermann, in: GS JelIinek, S. 379; Rupp, DVBI. 1963,579; Lerche, S. 233; Krause, S. 152, 156; Nierhaus, S. 418 ff.; differenzierend Meder, S. 33 ff. Anderer Auffassung früher W. Jellinek, Verwaltungsrecht. § 11 I. 147
I. Sofortvollzug als Bestandteil einer "dualen Vollzugsordnung"
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Vorleistungspflicht fUnktionell akzeptabel ist, weil diese keine "verkappte" Steuer bedeutet, sondern das Ergebnis einer Risikoabwägung im Rechtsfindungs- und Rechtsverwirklichungsprozeß ist '49 , Ein weiteres kommt hinzu: Durch die institutionell bedingte Loyalität und Liquidität des Staates braucht der Bürger nicht zu befürchten, zu Unrecht gezahlte Gelder würden nicht zurückgezahlt Iso, Der Staat genießt also das Vertrauen, als Schuldner zur Leistung fähig und bereit zu sein 's" dd) Exkurs: Vorläufige Verwaltungsakte Die Rechtsfigur des vorläufigen Verwaltungsakts ist - betrachtet man die spezialgesetzlichen Regelungen in diesem Zusammenhang - nicht neu, Seine dogmatische Erfassung und Durchdringung ist aber erst seit kurzem Gegenstand von Rechtsprechung1S2 und Literatur lS3 , Einer Klärung der vielschichtigen Probleme in verwaltungs- und verfassungsrechtlicher Sicht 'S4 ist damit der Boden bereitet; die dogmatische Ernte steht aber noch ausiSS , Der "vorläufige Verwaltungsakt"IS6 bietet der Verwaltung die Gelegenheit, noch vor dem Abschluß der Sachverhaltsermittlung eine (Zwischen-) Regelung
••• Schoch, S. 1297, spricht in diesem Zusammenhang (ablehnend) von einem "Rechtmäßigkeitsvorschuß" . • .50 Vgl. etwa KJeinlOrlopp, AO, § 361, Anm. 2. m Der Vertrauensvorschuß bietet ein wichtiges Kriterium rur die Rechtfertigung des Sofortvollzugs, insbesondere im Zusammenhang mit dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. 1>2 Vgl. grundlegend BVerwGE 67,99; ferner BVerwGE 74, 357 und jüngst BSG, DVBI. 1990. 216; OVG Münster, NVwZ 1991,588. m Grundlegend 1iedemann, DÖV 1981,786 ff.; Götz, JuS 1983,924 ff.; Peine, DÖV 1986, 849 ff.; vgl. nunmehr Lücke, Vorläufige Staatsakte, 1991, S. 139 ff.; Di Fabio, DÖV 1991,629 ff. sowie die Dissertationen von Schimmelpjennig, Vorläufige Verwaltungsakte, 1989 und Kemper, Der vorläufige Verwaltungsakt, 1990. Weitere Nachweise bei Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9, Rn. 63 b . •'" Vgl. zur Frage der Zulässigkeit vorläufiger Verwaltungsakte nur Schimmelpjennig, S. 137 ff. m So auch das Resümee bei Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9, Rn. 63 b; Kemper, S.23. ,>6 Beispiele bieten etwa die vorläufige Subventionsbewilligung - grundlegend das Urteil des BVerwG vom 14.4.1983, E 67,99 (vgl. die zusammenfassende Darstellung der Entwicklung und Reaktionen auf diese Entscheidung bei Kemper, S. 21 ff.) - oder der Vorschuß auf Sozialleistungen gern. § 42 Abs. 1 SGB I. Die Bandbreite vorläufiger Verwaltungsakte umfaßt daneben u. a. das Enteignungs-, Gewerbe-, Gesundheits-, Polizei-, Abgaben- und Immissionsschutzrecht. Sie betrim nicht nur die Leistungsverwaltung, sondern erstreckt sich auch auf vorläufige Eingriffe und Untersagungen. Vgl. hierzu den Überblick bei Schimmelpjennig, S. 3 - 83.
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1. Kap.: Prozeßrechtliche Grundlegung
zu treffen, die den Norminhalt so weit wie nötig (und möglich) umsetzt\S7. Diese Regelung wird nach Abschluß des VelWaltungsverfahrens von dem hier sog. EndvelWaltungsakt "abgelöst". In rechtlicher Hinsicht wird dadurch insbesondere eine Korrektur der Vorentscheidung ermöglicht, die nicht an den §§ 48 ff. VwVfG zu messen ist, das VelWaltungshandeln damit flexibel gestaltet. Der vorläufige ist von dem sofort vollziehbaren VelWaltungsakt zu unterscheiden. Während die Vorläufigkeit im letzten Fall prozessual bedingt ist, ist der erste Fall dem materiellen Recht zuzuordnen l58 • Nichtsdestoweniger zeigen sich hier interessante Parallelen. Ein Blick auf die gängige Definition des vorläufigen VeIWaitungsakts l59 zeigt, daß auch hier eine Regelung vorliegt l60 , die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht. Wie schon der Sofortvollzug hat auch der vorläufige Verwaltungsakt den Sinn, durch eine "stabile" Regelung Beeinträchtigungen des Rechts durch Zeitablauf zu vermeiden und so das Normziel zu erreichen l61 • Die Zielerreichung dient auch zur Legitimation der Defizite, die eine Entscheidung auf ungewisser Sachverhaltsgrundlage l62 mit sich bringt: Vereinfachender Gesetzesvollzug durch Reduzierung der Sachverhaltsermittlung ist potentielles Unrecht und berührt Vorbehalt und Vorrang des Gesetzes l63 • Gleiches gilt aber auch für Vollzugsdefizite aufgrund überlanger Verfahrensdauer. Der vorläufige Verwaltungsakt steht somit auf der Schwelle zwischen "vorauseilendem" und "hinterherhinkendem" Normvollzug l64 • So birgt er trotz seiner
'" Inwiefern der vorläufige Verwaltungsakt ein "materielles Zwischenrecht" zu erzeugen vennag, ist problematisch, vgl. (bejahend) Schimmelpfennig, S. 159. Dieser Hinweis zeigt aber eine interessante weitere Parallele zum Sofortvollzug staatlicher Geldforderungen, bei dem die Diskussion um das materielle Zwischenrecht von Bedeutung fiir die Beurteilung der vennögensrechtlichen Aspekte der Vorleistungspflicht ist, vgl. hierzu unten S. 224 ff. ,... In diesem Sinne unterscheidend auch Schimmelpfennig, S. 40. ". Vgl. etwa Kemper, S. 29 m.w.N.: "Regelung vor abschließender Sachverhaltsennittlung unter dem Vorbehalt der späteren Nachprüfung und endgültigen Entscheidung". Dagegen will Schimmelpfennig , S. 86 ff., 90, Regelungen vor abgeschlossener Sachverhaltsentwicklung in diese Typik mit einbeziehen. Das verwischt jedoch die Grenzen zu den Prognoseentscheidungen, worunter eine notwendige Konturierung dieser Rechtsfigur leidet; kritisch auch Kemper, S. 29 f. '00 Zum Verwaltungsaktscharakter in dieser Konstellation Kemper, S. 27 f., 183 ff.; Schimmelpfennig, S. 130 ff. '6' Kemper, S. 27. '62 Hierzu grundlegend Berg, Die verwaitungsrechtliche Entscheidung bei ungewissem Sachverhalt. '63 Schimmelpfennig , S. 141; kritisch unter verfassungsrechtlichen Aspekten (Rechtssicherheit, Vertrauensschutz) auch Lücke, S. 140 ff.. ,.. Ähnlich Kemper, S. 26 zu und in Fn. 14; Manens, Praxis des Verwaltungsverfahrens, Rn. 252.
I. Sofortvollzug als Bestandteil einer "dualen Vollzugsordnung"
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nicht zu leugnenden Vorteile damit die Gefahr, daß seinem Erlaß oder Nichterlaß immer die gegenläufigen Bedenken entgegengehalten werden. Diese Problematik verbindet ihn mit dem Sofortvollzug als Instrument der (Un-) Rechtsverwirklichung l6S • Unterschiede bestehen aber - neben der prozessualen bzw. materiellrechtlichen Ausgestaltung - bei den Tatbestandsvoraussetzungen: Während der sofort vollziehbare Verwaltungsakt unter dem Vorbehalt richterlicher Kontrolle steht I66, erfolgt die Nachprüfung beim vorläufigen Verwaltungsakt gerade durch die Behörde; der Sachverhalt, der im ersten Fall schon abgeschlossen beurteilt wurde, muß im zweiten Fall erst noch (abschließend) ermittelt werden l67 • Das kann sich auch im Inhalt der Entscheidung auswirken: Die Anordnung der sofortigen Vollziehung verhilft dem streng normkongruenten Verwaltungsakt zur Wirksamkeit; der vorläufige Verwaltungsakt kann dagegen inhaltlich hinter der Norm zurückbleiben: die "vorläufige" muß nicht die vorweggenommene "endgültige", sie kann auch eine "andere" Regelung sein l68 • Der vorläufige Verwaltungsakt erweist sich damit als eine weitere (Vor-) Stufe auf dem Weg zur Rechtsverwirklichung. Bei begünstigenden Verwaltungsakten bietet er ein notwendiges Instrument zur Erhaltung und Verbesserung der Rechtsposition des Bürgers. Die für die vorliegende Untersuchung allein interessierenden staatlichen Geldforderungen werden indessen kaum von diesem Rechtsinstitut erfaßt l69 • Neben den Vorauszahlungen i.e.S. - dazu anschließend im Text - kommen hier nur die Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) und die vorläufige Steuerfestsetzung (§ 165 AO) in Betracht. In bei den Fällen erfolgt eine Steuerfestsetzung trotz Unsicherheit über die tatsächlichen bzw. rechtlichen Voraussetzungen der Steuererhebung. Die Abgabenordnung reduziert in diesen Fällen also die in den §§ 88 ff. AO gere-
Vgl. zum Risiko der Unrechtsverwirklichungbereits oben S. 44. Schimmelpjennig, S. 63. Diese "allgemeine vorgerichtliche Vorläufigkeit" ist von den besonderen Fällen zu unterscheiden, in denen das Gericht über ~ie Rechtskontrolle hinaus eine originäre Sachentscheidungskompetenzhat. Zu nennen sind hier etwa Disziplinarentscheidungen (§ 91 BDO) oder der Bußgeldbescheid; vgl. hierzu und zu weiteren Beispielen Schimmelpjennig, a.a.O. sowie Krause, Verwaltungshandeln, S. 237. Auch hier sei freilich betont, daß der Sofortvollzug das einzige Instrument ist, Verwaltungsentscheidungen vor einer gerichtlichen Kontrolle auch zu verwirklichen. Das bedeutet eine "gewisse Endgültigkeit", die sowohl bei den verfassungsrechtlichen wie auch den vennögensrechtlichen Aspekten Berücksichtigung finden muß. 167 Zu den Tatbestandsvoraussetzungenausfiihrlich Kemper, S. 119 ff. 161 Vgl. Schimmelpjennig, S. 40. '69 Vgl. zu "vorläufigen Verwaltungsakten " im Abgabenrecht Schimmelpjennig, S. 63 ff. 16>
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1. Kap.: Prozeßrechtliche Grundlegung
gelten Sachverhaltsermittlungspflichten der Finanzbehördenl'lO. Dies ist in § 165 Abs. 1 S. 1 AO Folge einer derzeitig objektiv eingeschränkten (partiellen l11 ) Autldärbarkeit der Besteuerungsgrundlagen. Dagegen beruht die Steuerfestsetzung in § 164 AO, die trotz eines Ermittlungsdefizites erfolgt, auf verfahrensökonomischen Gründen l12 • An dieser Stelle drängt sich die Frage auf, zu wessen Lasten die tatsächliche oder rechtliche Ungewißheit geht. Während diese Frage für den Sofortvollzug in § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO im Sinne einer Vorleistungspflicht des Bürgers geregelt ist, enthalten die §§ 164, 165 AO keinen direkten Hinweis. Die darin intendierte Steuerfestsetzung auf ungewisser Tatsachengrundlage spricht zwar für eine "einstweilige Besteuerung", mithin für eine Vorleistungspflicht mit etwaiger späterer Erstattung. Das ist jedoch nicht zwingend. Diese Vorschriften können auch so interpretiert werden, daß nur der "gewisse" Sachverhalt zur Steuerfestsetzung führt, offene Fragen aber keine Besteuerungsgrundlage bieten. Die vorläufige Steuerfestsetzung hätte so den Charakter einer (bloßen) "Mindeststeuer" , die in der endgültigen Festsetzung ggfs. erhöht werden kann, nicht jedoch vermindert werden braucht. In diesem Sinne fordert Tipke eine verfassungskonforme Ermessensbetätigung im Rahmen des § 165 Abs. 1 S. 1 und 4 AOI13. Nach seinem Dafürhalten darf an den noch ungewissen Sachverhalt keine Steuer geknüpft werden. Das ergebe sich aus den §§ 3 Abs. 1, 35, 85 AO, die die Steuerpflicht an das "Zutreffen" des Tatbestandes, nicht aber seine bloße Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit knüpfe. Eine vorläufige Steuerfestsetzung sei nur insoweit zulässig, als der ungewisse Teil des Sachverhalts hinweggedacht werde l14 . Eine Besteuerung "in dubio pro fisco" sei mit Art. 2 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Deshalb müsse das Finanzamt sein Ermessen im Rahmen des § 165 Abs. 1 AO dahingehend betätigen, daß nur die "sichere" Schuld zur Festsetzung (Satz 1), die "ungewisse" aber zur Aussetzung (Satz 4) führe l1S .
Diese in sich schlüssige Argumentation geht indessen von einer falschen Prämisse aus. Sie wäre nur dann richtig, wenn das Abgabenrecht jede Ver"0 Schimmelpjennig, S. 64. 171 Lücke, S. 149, Fn. 683 m.w.N. 172 7ipke/Krose, AO, § 165, Tz. 1, § 164, Tz. 1 unter Hinweis auf die (dort abgedruckte) Regierungsbegrundungzu § 164 (damals § 145, BT-Drs. VI 1982, S. 148); kritisch hierzu Lücke, S. 145 ff. Zum Unterschied zwischen § 164 AO und § 165 AO Schimmelpjennig, S. 71. 173 Hierzu und zum folgenden 7ipke/Kruse, AO, § 165, Tz. 6. "4 Anders ausgedruckt: Der ungewisse Teil darf nicht als "wahr" unterstellt werden. m hn Ergebnis ebenso Klein/Orlopp, AO, § 165, Anm. 4.
I. Sofortvollzug als Bestandteil einer "dualen Vollzugsordnung"
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mögensverschiebung an eine tatsächlich und rechtlich zweifelsfreie Entscheidung knüpfen würde. Materiell-rechtlich folgt diese selbstverständlich der normierten Steuerschuld. Die Finanzbehörde kann keine Steuertatbestände "schaffen". Indessen übersieht Tipke den prozeduralen Charakter der Vorleistungspflicht. Für den Sofortvollzug einer (endgültig) festgesetzten Steuer liegt das auf der Hand: Auch ohne gerichtliche Nachprüfung darf die Steuer auf die Gefahr hin durchgesetzt werden, daß das Gericht die Festsetzung als rechtswidrig erkennt und den Steuerbescheid aufhebt. Wenngleich dieses Risiko schon deshalb vertretbar erscheint, weil dort das Festsetzungsverfahren mit seinen Richtigkeitsgarantien durchlaufen wurde, ist diese Aussage doch fiir das gesamte Abgabenrecht paradigmatisch: Der Staat kann (und braucht) nicht nur nicht abzuwarten, bis das Gericht in rechtlicher Hinsicht entschieden hat. Die Stetigkeit des Abgabenaufkommens wird auch dann beeinträchtigt, wenn die Behörde die tatsächlichen Verhältnisse der Besteuerungsgrundlage vollständig ermitteln müßte, bevor sie den Steuerbescheid erläßt. Wegen der Vorläufigkeit der Forderung handelt die Finanzbehörde nur insoweit "in dubio pro fisco" , als es um den Kapitalertrag in der Schwebezeit geht. Dieser kann aber später erstattet werden 176 • Dem Beschleunigungscharakter der §§ 164, 165 A0 177 würde die Beschränkung auf eine "Mindeststeuer" nicht ausreichend Rechnung tragen. Den Interessen des Steuerpflichtigen wird dadurch Genüge getan, daß er die Änderung jederzeit beantragen kann, wenn und soweit die Ungewißheitdie er im übrigen nicht selten selbst verursacht hat - beseitigt istl78 • Das heißt außerdem nicht, daß das Finanzamt die vorläufige Steuerfestsetzung "ins Blaue hinein" vornehmen dürfte. Ab einem bestimmten Grad der Ungewißheit ist die Steuerfestsetzung ermessensfehlerhaft, weil sie dann nicht mehr als "Vorschuß" auf eine zu erwartende Steuerschuld verstanden werden kann 179 • Hier zeigt sich aber, daß das Risiko einer Fehleinschätzung im Regelfall zu Lasten des Bürgers geht, weil das öffentliche Interesse an der staatlichen Haushaltsplanung das private Interesse an einer Stundung überwiegt.
Zum Prinzip der VollvelZinsung unten S. 207 ff. m Vgl. die Regierungsbegl'Ündungzu § 145 - jetzt § 164 - AO, in BT-Drs. VII1982, S. 148. 17. So ist nicht nur § 164 Abs. 2 S. 2 AO, sondern auch § 165 Abs. 2 AO zu verstehen, vgl. 1ipke/Kruse, AO, § 165 Tz. 11. 119 Ebenso SchimmelpJennig, S. 72 f.; vgl. auch Frenkel, DStR 1978,465 ff. 176
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1. Kap.: Prozeßrechtliche Grundlegung
ee) Exkurs: Vorauszahlungen Der überwiegende Teil des Aufkommens von öffentlichen Abgaben und Kosten wird nicht nur durch die sofortige Vollziehbarkeit sichergestellt, sondern ergänzend auch durch seine spezielle Erhebungsform. Neben der Zug-um-Zug Leistung (insbesondere bei Gebühren und Kosten), dem indirekten Zwang (Beispiel: Verknüpfung der Erhebung des Studentenwerksbeitrags mit der Immatrikulation bzw. Rückmeldung)l80 und den freiwilligen Leistungen auf Grund der wirtschaftlichen Abwälzungsmöglichkeit (z.B. bei den Verbrauchsteuern) 181 sorgen die gesetzlich zahlreich geregelten Vorauszahlungen für ein stetiges Einkommen des Staates. Vorauszahlungen (oder Vorausleistungen) sind ein wesentlicher Bestandteil des Steuer- und des Beitragsrechts. Stellvertretend seien hier § 37 EStG (Vorauszahlung auf die Einkommensteuer) und 133 Abs. 3 BauGB (Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag) für eine Vielzahl von "Vorschüssen" genannt, die der Staat aus unterschiedlichen Gründen verlangt. Der Hauptgrund, die Finanzsicherung, ist bereits angesprochen worden und wird auch anschließend noch als allgemeiner (Rechtfertigungs-) Grund für den Sofortvollzug zu behandeln sein. Daneben haben die Vorausleistungen im Rahmen des Beitragsrechts eine dieser Abgabenform entsprechende Bedeutung. Ihre Verwendung für eine dem Beitragspflichtigen vorteilhafte öffentliche Einrichtung oder Anlage unterstreicht den Äquivalenzcharakters des "vorverlegten" Beitrags. Speziell die Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag nach § 133 Abs. 3 BauGB verschafft den Gemeinden die Mittel, um ihre Vorfinanzierungslast zu mildern l82 . Die "Vorläufigkeit" ergibt sich aus dem Umstand, daß hier auf eine künftige, kraft Gesetzes entstehende Schuld geleistet wird. Durch verschiedene materielle Voraussetzungen der Vorleistungspflicht (Bebaubarkeit des Grundstücks, Beginn der Herstellung der beitragspflichtigen Anlage u.s.w.) ist sichergestellt, daß der Vorschuß auch hier nicht "ins Blaue hinein" erhoben wird. Darüber hinaus regelt § 133 Abs. 3 BauGB in Satz 3 die Erstattung des Beitrages bei Wegfall seiner Erhebungsvoraussetzungen und in Satz 4 die Verzinsung des Erstattungsbetrages l83 .
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Vgl. exemplarisch § 87 Abs. 3 BW Universitätsgesetz. Vgl. weiterhin BVerwG, DVBI. 1982,694 u. 698; App, JuS 1987,205. Hierzu vor allem kritisch Driehaus, § 21, Rn. 742; vgl. auch Schimmelpjennig, S. 73. Hierzu: BVerwG, NVwZ 1992,495.
U. Gründe fiir den Sofortvollzug
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Der Unterschied zum Sofortvollzug liegt auf der Hand. Während die Vorauszahlungen materiell-rechtliche Tatbestände eines Vorschusses bilden, bei denen zuweilen die Sachverhaltsermittlung reduziert wird, resultiert der Vorschußcharakter beim Sofortvollzug aus der Reduzierung des (gerichtlichen) Rechtsschutzes. Demzufolge liegt der Vorauszahlung ein eigenes materielles öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis zugrunde, das die eigentliche Abgabenschuld begründet l84 , während es beim Sofortvollzug nur eine Geldforderung gibt, auf die vorgeleistet wird. Die Vorauszahlungen unterscheiden sich damit nicht von anderen materiell-rechtlichen Tatbeständen staatlicher Geldforderungen. Im vorliegenden Problemzusammenhang bedürfen sie keiner gesonderten Betrachtung und Rechtfertigung. Fraglich ist, wie sich der Sofortvollzug i.S.d. § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO begründen läßt.
n. Gründe für den Sofortvollzug staatlicher Geldforderungen Der rechtspolitische Hintergrund der §§ 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, 361 Abs. 1 S. 1 AO, 69 Abs. 1 S. 1 FGO und 97 SGG scheint so unproblematisch zu sein, daß sich der Gesetzgeber bei der Regelung des Sofortvollzugs im Rahmen der VwGO auf einen (spärlichen) Hinweis auf die Steuergesetzgebung begnügen konnte, bei der die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen nie zur Diskussion stand '8s • Somit ist es der Rechtsprechung '86 und dem Schrifttum l87 vorbehalten, im Rahmen der Abgrenzungsproblematik zum "Regelvollzug" den objektiven Zweck des Sofortvollzugs zu ergründen. Es würde jedenfalls nicht genügen, den Sofortvollzug damit zu rechtfertigen, daß staatliche Geldforderungen "schon immer" sofort vollzogen werden durften. Die Berufung auf die Tradition als Rechtfertigungsgrundl88 unterliegt schon deshalb starken Zweifeln, weil es keine einheitliche Rechtstradition gibt. Deshalb müssen Rechtssätze aus dem Verständnis der Rechtsgeneration heraus
.84 Stolterfoht, in: Kirchhof/Söhn, EStG, § 37, Rn. A 8 ff. m.w.N . .., Vgl. aus den Materialien BT-Drs. 114278, S. 42; 2/462, S. 40; 3/55, S. 40; Schlußfolgerungen ziehen indessen das OVG Münster, OVGE 25, 195, 197 und der BayVGH, NJW 1980,720 f. • 16 Vgl. VGH Mannheim, NVwZ 1986, 933; ders. DVBI 1984,345; BayVGH, BayVBI 1987, 64; ders. NVwZ 1987,64; VGH Kassel, NJW 1980, 1248. 117 Schoch, S. 1206 ff. m.w.N.; Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn. 534; PietznerlRonellenjitsch, Öffentliches Recht, § 47, Rn. 2; Erichsen, Jura 1984, 419 . ... Vgl. hierzu Blankenagel, S. 15 ff. u. passim; Ossenbflhl, in: ErichsenlMartens, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7, Rn. 75.
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1. Kap.: Prozeßrechtliche Grundlegung
begründet werden, in der sie entstanden sind: Die Normen moderner Gesellschaften müssen rational begründet werden l89 • 1. Finanzienmgsinteresse: Die Sicherung des stetigen Abgabenaufkommens der öffentlichen Haushalte
Dem Gegenstand des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (öffentliche Abgaben und Kosten) entsprechend liegt das Hauptaugenmerk der Begründung auf dem Finanzierungsinteressel90 • Der Staat finanziert seine vieltältigen öffentlichen Aufgaben durch staatliche Geldforderungen, die entweder ein direktes Entgelt (z.B. Benutzungsgebühr), eine pauschale Kostenbeteiligung (z.B. Erschließungsbeitrag) oder eine einseitige Zuwendung (z.B. Einkommensteuer) bedeuten. Die in dem Sofortvollzug zum Ausdruck kommende Vorleistungspflicht des Bürgers geht aber über diese finanzielle Beteiligung hinaus: Der Bürger muß nicht nur überhaupt, er muß sofort zahlen. Das würde noch unmittelbar einleuchten, ginge es nur um die konkrete Kostentragung der öffentlichen Aufgaben. Die Gelder würden den Kostenträger dann in die Lage versetzen, Sachmittel und Dienstleistungen einzusetzen; sie hätten "Investitionscharakter " . Soweit der Haushalt aber durch Steuern allgemein "gefüllt" wird, muß es einen weiteren Grund geben, diese einseitige Leistung auch noch sofort zu verlangen. Dieser Grund liegt in der "Stetigkeit" des Abgabenaufkommens l91 • Die Haushaltsplanung des Staates ist in wesentlichen Teilen mittelfristig, z. T. auch langfristig angelegtl92 • Die geschätzten Steuereinnahmen sind ein wichtiger Indikator der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 93 ; sie determinieren den Ausgabenrahmen l94 • Dann muß aber gewährleistet sein, daß die prognostizierten
.89 Blankenagel, S. 15 m.w.N . OVG Berlin, DVBI. 1983,956; VGH Mannheim, DVBI. 1984,345; OVG Lüneburg, DVBI. 1983, 248. Eine das Finanzierungsinteresse pauschalierende Begründung findet sich etwa bei BayVGH, BayVBI 1980, 181 f.; OVG Münster (2. Senat), NVwZ 1984, 394; kritisch Schoch, S. 1207 ff. Zur parallelen Problematik beim Konkursvorrecht des Staates vgl. BVerwG, NIW 1990,3162 . ••• Vgl. Kloepfer, JZ 1983,749 m.w.N.; Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn. 534; Pier'l.1lerlRonellen}ilSch, Öffentliches Recht, § 47, Rn. 2; Wahlen, ZBR 1983,357 . • 92 Vgl. § 50 Abs. 1 Haushaltsgrundsätzegesetz(HGrG) i.V.m. § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (Stabilitätsgesetz) : regelmäßige fiintjährige Finanzplanung des Bundes und der Länder. Vgl. zur Finanzplanung Klsker, in: HStR IV, § 89, Rn. 78 ff.; Wartenberger, Politische Planung, S. 287 ff.; Heun, S. 232 ff. Vgl. allgemein zum Haushaltsrecht auch den Überblick bei Breirmaier, VBIBW 1991, 1 ff. "3 Wartenberger, Politische Planung, S. 288 . ... Heun, S. 240, 264. •90
n. Grunde für den Sofortvollzug
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Abgaben auch zum "richtigen Zeitpunkt" eingehen. Immerhin geht es insgesamt um Milliardenbeträgel9S , sodaß schon kleinere Verschiebungen finanziell zu Buche schlagen. Selbst wenn man berücksichtigt, daß der weitaus größte Anteil dieses staatlichen Einkommens freiwillig und fristgerecht den öffentlichen Haushalten zugeführt wird l96 , ist die wirtschaftliche Bedeutung des Sofortvollzugsl97 doch unbestreitbar. Eine Summe in Millionenhöhe ginge dem Staat in jedem Fall verloren, wenn alle Rechtsbehelfe automatisch aufschiebende Wirkung hätten und dieser Zinsnachteil nicht durch eine Art "Zinsausgleichssteuer" oder "Suspensivzinsen" ausgeglichen würde. Jede Abgabe, die man also dem Anwendungsbereich des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO unterstellt, bringt - pointiert ausgedrückt - "bares Geld" in die Staatskasse. Dem Staatshaushalt ist demgegenüber nicht gedient, wenn 10 dem emen Monat der prognostizierte Betrag P minus X, in dem anderen Monat der Betrag P plus X eingeht. Das Privileg des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ließe sich also damit rechtfertigen, daß die öffentlichen Ausgaben in hohem Maße rechtlich oder politisch termingebunden sind l98 • Bedenkt man allerdings, welchen beträchtlichen Schwankungen die Einnahmenseite des Staatshaushalts ausgesetzt ist l99 , dann kann die "Stetigkeit" des Mittelflusses kaum ausreichen, alleine den Sofortvollzug zu rechtfertigen. Außerdem funktioniert dieses Modell nicht lückenlos. Die Variable X als der Betrag, den der Steuerpflichtige nicht zahlt, obwohl er ihn schuldet, ist durch den Sofortvollzug nicht vollständig zu eliminieren. Zum einen sind manche Schuldner nicht zahlungsfähig, zum anderen kostet auch die Überwindung eines Widerstands (im Vollstreckungsverfahren)
m Vgl. hierzu das Statistische Jahrbuch 1991, S. 488 ff. Danach betrug alleine das Steueraufkommen 550 Mrd. DM; in kaum geringerer Größenordnung wird das Beitragsaufkommen der Sozialversicherungen beziffert. Die im vorliegenden Zusammenhang besonders interessanten Sonderabgabenhaben mittlerweile auch schon die 10 Mrd. DM-Grenze überschritten (vgl. KStZ 1989, 190 f.). '96 Fast ein Drittel der Gesamteinnahmen entfallen auf die Einkommensteuer (einschließlich Lohnsteuer): Diese Steuer wird aber gern. §§ 36, 37 EStG durch Abzüge vom Arbeitslohn bzw. Vorauszahlungen weitgehend abgedeckt. Die Nachzahlungen bei der Einkommensteuer decken etwa die "Mehreinnahmen" der pauschalierten Lohnsteuer. Zumindest für diesen Bereich wird die Sofortvollzugsproblematik doch stark relativiert. '97 Vgl. auch Wahlers, ZBR 1983,355, der die Bedeutung des Sofortvollzugs des sog. "Bettengeldes" als Nutzungsentgelt der Universitätsklinikärzte auch mit Zahlen aus dem Wirtschaftsplan belegt (ebenda Fn. 12). ,•• Vgl. Engelhardt, VwVG, § 11. Anm.l. '99 Vgl. Heun, S. 240, 441 und besonders S. 343.
62
1. Kap.: Prozeßrechtliche Grundlegung
Zeit und damit Geld. Die "Stetigkeit" des Abgabenaufkommens bleibt freilich das optimale Verfahrensziel, das der Sofortvollzug zu einem großen Teil unterstützfOO . 2. Mißbrauchsbeschränkung: Die Vermeidung beliebiger Stundungseffekte
Das Gegenteil des Sofortvollzugs ist - vermögensrechtlich betrachtet - die Stundung. Als zeitweiliger Verzicht auf die Durchsetzung einer fälligen Forderung ist die Stundung auch im Abgabenrecht etabliert:lnl. Nach § 222 S. 1 AO können die Finanzbehörden Anspruche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder teilweise stunden, wenn die Einziehung bei Fälligkeit eine erhebliche Härte für den Schuldner bedeuten würde und der Anspruch nicht gefährdet erscheint. Der Sofortvollzug läßt sich daher noch nicht damit begründen, daß der Vollzug einer fälligen Steuerforderung keinen Aufschub duldete. Es macht jedoch einen Unterschied, ob die Finanzbehörden im Rahmen einer Ermessensprufung an Hand restriktiver Merkmale ("erhebliche Härte") eine Stundung bewilligen202 oder ob der Bürger durch die Einlegung eines Rechtsbehelfs qua Suspensiveffekt eine beliebige Stundung bewerkstelligt:ln3. In diesem Zusammenhang wird auch deutlich, weshalb der Gesetzgeber bei Erlaß des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf die Steuergesetzgebung rekurrierte. Dort ist der Ausschluß der Quasi-Stundung als Begründung für den Sofortvollzug von Steuerbescheiden anerkannt204 • Es wäre aber wertungswidersprüchlich, würde man Rechtsbehelfen gegen Abgabenbescheide in zwei verschiedenen Gerichtszweigen unterschiedlich begegnen. § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erweist sich so als "Verzahnungsvorschrift zur Abschleifung intergesetzlicher Systemwidrigkeiten":ln5.
200 Daneben sorgen Vorausleistungen, Steuerabzüge vom Lohn und indirekte Steuererhebungsformen sowie Zug-um-Zug Leistungen bei der Gebührenerhebung rur einen geordneten Staatshaushalt. 20. Zum Verhältnis zwischen Stundung und Aussetzung der Vollziehung npke/Kruse, AO, § 222, Tz. 2. 202 Zur Steuerstundung als Ermessensentscheidung BVerwG, DVBI. 1990, 1405 (1407 f.). 20' Auf diese Überlegung stellen auch ab: EyennannlFröhler, VwGO, § 80, Rn. 20 im Anschluß an BayVGH, VGH n.F. 19, 166; Wahlers, ZBR 1983,357 und das VG Berlin, NVwZ 1984,59. Kritisch Kloepfer, JZ 1983, 750, demzufolge dieser Aspekt nicht isoliert ohne das Finanzierungsinteresse des Staates gesehen werden dürfe; ähnlich OVG Lüneburg, DVBI. 1983,948 (949). 204 npke/Kruse, AO, § 69 FGO, Tz. 1; Klein/Orlopp, AO, § 361, Anm. 2. lOS Kloepfer, JZ 1983,750. Damit ist auch klar, daß eine intragesetzliche Abgrenzung damit nicht präjudiziert ist.
D. Grunde für den Sofortvollzug
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Das Phänomen, Rechtsbehelfe statt aus rechtlicher Überzeugung als Mittel zur Zeitgewinnung einzusetzen, ist nicht selten zu beobachten206 • Gerade bei Geldforderungen bestünde ohne die Regelung des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO der Anreiz, sich durch Rechtsbehelfe eine faktische Stundung zu verschaffen. Das ist im Hinblick auf etwaige Prozeßkosten freilich von einer "KostenNutzen-Analyse" abhängig. Damit soll die Gewährung von Rechtsschutz gegenüber Verwaltungsakten, bei dem der Suspensiveffekt rechtsstaatlich konsequent ist207 , keineswegs konterkariert werden:1D8. Natürlich wird das streitige Recht auch dann geschützt, wenn der Rechtsbehelf keinen Erfolg hat, was sich erst nach der gerichtlichen Überprüfung herausstellen kann. Demzufolge ist der Suspensiveffekt auch an keine weitere Voraussetzung, insbesondere nicht an die Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs geknüpffD9. Vielmehr schränkt der Sofortvollzug in bestimmten Fällen aus einem besonderen öffentlichen Interesse Vorteile ein, die dem Bürger aus einer unumgänglichen, mißbräuchlichen Rechtsbehelfseinlegung erwachsen könnten2lo • Nach geltendem Recht wäre es jedenfalls kein Problem, die Zahlung hinauszuzögern, gäbe es den (generalisierten) Sofortvollzug nicht. Selbst bei offensichtlich unbegründetem (und damit ggfs. mangels Klagebefugnis unzulässigem) Rechtsbehelf müßte entweder das gerichtliche Urteil oder die behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehung (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) abgewartet werden. Eine Alternative böte de lege ferenda die Einführung von sog. "Suspensivzinsen" nach dem
206 VgI. Sendler, DÖV 1989,489. Allgemein zur strategischen Nutzung des veIWaltungsgerichtlichen Rechtswegesystems Hoffmann-Riem, S. 13. Damit eIWeist sich § 42 der preußischen Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzial-, Polizei- und Finanzbehörden vom 26.12.1808 (zu dieser Verordnung ausführlich AnschüIZ, VeIWArch. 1 (1883), 419 ff.) als keineswegs anachronistisch. Dort heißt es: " ... damit durch frivole Klagen keine VeIWirrung und Stockung in die FinanzveIWaltung gebracht werden kann, so autorisieren wir hiennit die Regierungen, des gegen ihre Verfügungen erhobenen Widerspruchs ungeachtet. .. " An einer weiteren Stelle (Nr. 2) wird der Sofortvollzug besonders deutlich: "Insofern von Erfüllung der vom Fiskus mit Privatpersonen eingegangenen Verträge die Erreichung bestätigter Etats abhängt (wie vorzüglich bei Pachtungen und Domänen und Regalien der Fall ist), und die Erfüllung der kontraktmäßigen Verbindlichkeit veIWeigert wird, nach vorheriger summarischer Vernehmung des Weigernden, ein vorläufiges Liquidum pflichtgemäß festzusetzen und dasselbe vom Schuldner sogleich einziehen zu lassen." Zitiert nach Kreiling, KKZ 1985, 13, dieser unter Bezugnahme aufRGZ 55,61. 207 VgI. zur verfassungsrechtlichen Bedeutung des Suspensiveffekts statt aller Schoch, S. 1116 ff. 201 VgI. auch Schoch, S. 1211: § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO diene nicht dazu, "die VeIWaltung vor rechtsschutzsuchenden Abgabenschuldnern zu bewahren". 209 Vgl. ausführlich zu Meinungsstand und (differenzierender) Problemlösung Schoch, S. 1150 ff. mit Nw. der h. M. (Fn. 4) und der Gegenauffassung (Fn. 5). 210 Kloepfer, JZ 1983,750.
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1. Kap.: Prozeßrechtliche Grundlegung
Vorbild der Aussetzungszinsen gern. § 237 AO. Wenn danach die Steuerschuld verzinst wird, soweit ein Rechtsbehelf gegen den in seiner Vollziehung ausgesetzten Verwaltungsakt erfolglos bleibt, bietet sich Gleiches für die "gesetzliche Aussetzung" in Form des Suspensiveffekts an. Diese Verzinsung führte nicht nur zu einer "wohlüberlegten" Anfechtung211 , sondern erscheint auch wirtschaftlich gerechter. Wenn nämlich die unberechtigte Kapitalnutzung durch den Staat zu einer Ertragsabschöpfung führt212 , dann sollte Gleiches auch für die Nutzung durch den Bürger gelten. Die Stundung soll das Ergebnis einer rechtlichen Prüfung des Einzelfalls sein, nicht aber beliebige Konsequenz eines automatischen Suspensiveffekts. Die etwaigen Nachteile aus ein,er generalisierten Vermögenszuweisung für die Zwischenzeit werden durch die Möglichkeiten des vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 80 Abs. 4 S. 3, Abs. 5 VwGO) aufgefangen, die sich auch an der "Härte" des Sofortvollzugs orientieren2l3 • 3. StaatsräsoD: Effizienz des Verwaltungshandelns in der Rechtsverwirklichung
Verschiedentlich rekurriert die Literatur bei der Begründung des Sofortvollzugs auch auf die "Staatsräson "214. Das wird nicht näher erläutert, läßt jedoch auf folgenden Gedankengang schließen: Oberste Richtschnur für das staatliche Handeln ist die Staatsvernunft. Ausgehend von Machiavellis Lehre2l5 , wonach der Staat die Aufgabe der Machtbewahrung zur Selbsterhaltung
Dies ist freilich eine Frage des Zinsniveaus, vgl. etwa Eggesiecker, StbJb 1978179, S. 485. Vgl. unten S. 253 ff. 213 Vgl. daneben noch § 361 Abs. 2 S. 2 AO und § 69 Abs. 2 S. 2 FGO. Ob die Aussetzung der Vollziehung wegen "unbilliger Härte" eine Maßnahme des vorläufigen Rechrsschutzes hervorrufen kann, ist unterdessen fraglich. Diese rechtsnormativ deutlich zur Stundung abgesetzte Kulanzregelung findet neben der ersten Alternative ("ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit") keinen praktischen Anwendungsbereich. Ein Verwaltungsakt, gegen den ein Rechtsbehelf offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, kann im Grunde keine "unbillige" Härte begrunden. Jedenfalls kommt eine Aussetzung aus diesem Grund nicht in Betracht, vgl. BFHE 92, 314 (319). Überblick zum Meinungsstand in dieser Streitfrage bei Schoch, S. 1300 - 1304. "4 EyermannlFröhler, VwGO, § 80, Rn. 20. Zur Staatsräson allgemein vgl. Roman Schnur (Hrsg.), Staatsräson, 1975; Michael Stolleis, Staat und Staatsräson in der fruhen Neuzeit, 1990. 2U Das Wesen der Staatsräson (vgl. hierzu statt aller Meinecke, S. 7 ff.) ist untrennbar mit den Schriften von Mccolo Machiavelli (1649 - 1527) verbunden. Der Begriff fehlt noch bei ihm; er findet seinen Ursprung in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bei verschiedenen italienischen Schriftstellern, von denen in erster Linie Botero (1540 - 1617) zu nennen ist. Sein Buch Della ragion di Stato (1589) markiert den Beginn der italienischen Lehre der ragione di stato (vgl. Meinecke , S. 77 ff.), die später von der deutschen Rechtsforschung rezipiert wurde. Stellvertretend stehen hier Hippolithus a Lapide - eigentlich Bogislav Philipp von Chemnitz (1605 - 1678) "Dissertatio de Ratione Status in Irnperio nostro Romano-Germanico, ca. 1640" und Hermann 211
212
ß. Griinde für den Sofortvollzug
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habe216 , gelte es, die Existenzbedingungen des Staates und andere unwägbare Voraussetzungen der Staatlichkeit zu wahren, insbesondere das Gemeinwohl zu verwirklichen217 • Während aber der Primat der Staatsräson vor dem positiven Recht erst im 17. Jahrhundert Leitgedanke der Nachfolger dieser Lehre wurde, gehörte die grundsätzliche Achtung vor den Gesetzen noch zu Machiavellis Staatsverständnis218 • Dies einschränkend kennzeichnet ihn freilich zugleich der Primat der necessita (Staatsnotwendigkeit) als Kind seiner (absolutistischen) Zeit: Was dem Staate dient, rechtfertigt sich von selbst2 19 • Auf dieser Grundlage versteht sich auch die Begründung des Sofortvollzugs staatlicher Geldforderungen mit der Staatsräson: Die geordnete Haushaltsplanung ist eine der Existenzbedingungen des modemen, wirtschaftenden Staates220 • Ohne die entsprechende fmanzielle Ausstattung, zu der auch der stetige Eingang der Gelder zählt, kann der Staat seine öffentlichen Aufgaben nicht wahrnehmen. Eine unwägbare, weil unverzichtbare Voraussetzung ist auch der Zwang, mit dem die öffentliche Hand den Widerstand zahlungsunwilliger Schuldner nicht zuletzt im Sofortvollzug überwindeFI. Davon wird auch die Reduzierung des Rechtsschutzes (durch Wegfall des Suspensiveffekts) erfaßt, deren Grenzen durch die Orientierung am Gemeinwohl festgelegt sind. Der Sofortvollzug ist damit schließlich das Resultat einer Interessenabwägung, die dem Gemeinwohl den Vorrang vor Individualinteressen einräumt. Lediglich: Die Bewahrung der "immanenten Prinzipien der Staatlichkeit" geschieht heute in den Grenzen des Rechts222 •
Conring (1606 - 1681), "Dissertatio de ratione status, 1651". Vgl. zur Etymologie des Begriffs der Staatsräson umfassend Lenz, AöR 48 (1925), 261 ff. 216 Machiavelli, Der Fürst (11 principe), 1532. Der Gedanke der Staatserhaltung prägte auch maßgeblich die Definition der ragione di stato; vgl. Meinecke, S. 2, 78 f. 117 Machiavelli, Gedanken über Politik und Staatsführung, 3. Buch Staatsführung, S. 139 ff. m Meinecke, S. 51 f. mit einem Zitat aus Machiavellis "Discorsi sopra la prima deca di 7ito Livio" (1513).
219 Vgl. zur necessita, die Machiavelli im I. Kapitel seiner "discorsi" begriindete, Meinecke, S. 44 ff. 220 Vgl. Kisker, in: HStR IV, § 89, Rn. 13 ff. Zum Wandel öffentlicher Aufgaben und Staatsfinanzen 8ull, in: Der Staat der Zukunft, S. 31 ff. 221 Vgl. auch Menen, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 30 f.: "Rechtsordnung als Zwangsordnung". 222 Zu den rechtsstaatlichen Einschränkungen der Staatsentfaltung vgl. Schmidt-Aßmann, in: HStR I, § 24, Rn. 16 unter Berufung auf Gerhard Leibholz, Strukturprobleme der modemen Demokratie, 3. Aufl. 1967, S. 168 f. Hieriiber wacht im übrigen die Verfassungsgerichtsbarkeit, vgl. Hans H. Klein, Bundesverfassungsgerichtund Staatsräson, 1968.
5 Hec:kmann
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I. Kap.: Prozeßrechtliche Grundlegung
Indessen taugt die "Staatsräson" nur sehr bedingt als Rechtfertigungsgrund. Ohne ihre geschichtliche Entwicklung an dieser Stelle nachzeichnen zu müssen223 , läßt sich das Wesen der Staatsräson durchweg als Maxime staatlichen Handelns, als Bewegungsgesetz des Staates begreifen, welches "zwischen Kratos und Ethos, zwischen dem Handeln nach Machttrieb und dem Handeln nach sittlicher Verantwortung ... eine Brücke (bildet), die Erwägung dessen, was zweckmäßig, nützlich und heilvoll ist, was der Staat tun muß, um das Optimum seiner Existenz jeweils zu erreichen "224. Hierin zeigt sich aber eine "Duplizität" der Staatsräson, die Klugheit und Gewalt im Gebrauch der (in sich indifferenten) Macht vereint225 • Auf den vorliegenden Problemzusammenhang bezogen heißt das, daß sowohl eine schnelle Beitreibung staatlicher Geldforderungen als auch eine auf die finanziellen Interessen der Bürger Rücksicht nehmende Durchsetzung mit der "Staatsräson" begründet werden könnte. Der generelle Macht- und Selbsterhaltungstrieb des Staates, der u.a. auch auf seine finanziellen Ressourcen gründet, ist von den konkreten Staatsinteressen zu unterscheiden 226 • Diese sind im deutschen Verwaltungsrecht der Gegenwart mit dem Widerstreit von staatlichem Sofortvollzugsinteresse und Rechtsschutzinteresse des Bürgers letztlich konkreter als mit der Staatsräson zu fassen. Damit sind zwei Gesichtspunkte angesprochen, die für die Auslegung der vorläufigen Rechtsverwirklichung wie für den vorläufigen Rechtsschutz von Bedeutung sind: die Verwaltungseffizienz227 und das öffentliche Interesse228 •
223 Vgt. hielZU und zum folgenden eingehend Meinecke, S. 29 ff. sowie Lenz, AöR 48 (1925), 261 ff. 22< Meinecke, S. 5. m Meinecke, S. 12. 226 Meinecke, S. 20. 221 Grundlegend zur "EffIZienz als Rechtsprinzip" die gleichnamige Untersuchung von Leisner. Er lehnt indessen eine Herleitung des Effizienzprinzips aus dem Gedanken der Staatsräson dezidiert ab (ebenda S. 17 f.) Soweit es nicht um den "Schutz des Ganzen" gehe, könne eine "Interpretation aus Staatsräson" nur stattfinden, soweit Verfassung und Gesetz dies zuließen. Dies wäre dann aber nicht der Inhalt eines Rechtsprinzips der EffIZienz. Dem ist zuzustimmen. Soweit also der Sofortvollzug weder aus dem Grundgesetz noch den gesetzlichen Bestimmungen etwa des Abgabenrechts legitimierbar ist, findet sich auch kein Grund in der "Staatsräson". Die Erhaltung des Staates mag noch die BestEuerung als solche rechtfertigen - vgt. hierzu Vogel, Der Staat 25 (1986), 481 ff. -, der prozessuale Weg des Sofortvollzugs verlangt hingegen eine an der konkreten Haushaltsplanung orientierte Begriindung. 22. Zum öffentlichen Interesse als Auslegungstopos in der vorläufigen Rechtsverwirklichung vgl. Häberle, Öffentliches Interesse, S. 518 f.
D. Gründe fiir den Sofortvollzug
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Im Sinne einer Zweckerreichungseffizienz!29 sucht der Sofortvollzug diejenigen Vollzugsdefizite zu vermeiden, die durch eine verzögerte Rechtsverwirklichung alleine schon in zeitlicher Hinsicht entstünden. Durch die Reduzierung des Rechtsschutzes (Mittel) wird die Vermögensverschiebung beschleunigt; der Zahlungseingang erfolgt relativ bald auf den Erlaß des Leistungsbescheides (Zweck). Die Verwaltungseffizienz tritt damit in Konkurrenz zur Garantie effektiven Rechtsschutzes230 , was freilich kein antinomisches Verhältnis sein muß: Rechtsschutz kann einer effizienten Verwaltung dienlich sein, wenn man die Verwaltungszwecke nicht verabsolutiert. So ist etwa "Beschleunigung" kein Rechtswert an sich231 • Setzt nämlich die Verwaltung ihre Leistungsbescheide gegen die Rechtsschutzinteressen des Bürgers - die sich auch in der Verfahrensbeteiligung äußern - durch, kommt es zu (weiteren) Vertrauensdefiziten im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns. Die solchermaßen provozierte Gegenwehr kann die Rechtsverwirklichung wiederum beeinträchtigen. Im Lichte der objektiven Rechtsordnung gesehen, sind Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzgarantie also keineswegs unversöhnlich232 • Anders ausgedrückt: Die Akzeptanz der Verwaltungsentscheidung ist im weiteren Sinne Resultat von "Rechtsschutz" und fördert dennoch den Verwaltungszweck233 • Das Verhältnis von Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzgarantie erhält im Sofortvollzug jedoch eine besondere Schärfe, weil hier der Schutz des objektiven Rechts (durch Rechtsverwirklichung) und die Bewahrung der subjektiven Rechtsposition (als Abwehrrecht) direkt aufeinandertreffen. Mag die Effizienz des Verwaltungshandelns auch bei der Durchsetzung staatlicher Geldforderun-
229 Zur Zweckerreichungsefftzienz als "Rechtsverwirklichungsefftzienz" vgl. (kritisch) Leisner, 37 ff. Als typisch "hoheitsrechtlicher Selbstzweck" macht sie die "schnelle Rechtsverwirklichung" zum Maßstab der Zweckerreichung ("stetiges Abgabenaufkommen"). Diese Zweck-Mittel-Relation ist freilich nicht absolut zu sehen, wonach der Staat jede Rechtswidrigkeil in Kauf nehmen würde, um auch jede Geldforderung efftzient zu realisieren. Das verbietet schon die (einfachrechtliche) Beschränkung des Sofortvollzugs auf die Durchsetzung bestimmter Abgabenarten, deren Berechtigung zumindest "plausibel", d.h. nicht offensichtlich rechtswidrig sein darf. 230 Zum Verhältnis von VerwaltungseffIZienz und Rechtsschutzgarantie im Verwaltungsverfahren vgl. die Referate auf der 41. Staatsrechtslehrertagung von Wahl und Pielzcker, VVDStRL 41 (1983), s. 153 ff., 194 ff. 23\ Vgl. bereits oben S. 17 ff. 232 Vgl. Schenke, VBIBW 1982,317 und besonders 320; Ossenbahl, NVwZ 1982,466. 2>3 Ob dabei die (strenge) Gesetzmäßigkeit "auf der Strecke" bleibt, ist eine Frage des Einzelfalls, vgl. hierzu Piellocker, in: VVDStRL 41 (1983), S. 195, und H.-W. Amdl, Praktibilität und EffIZienz, S. 58 ff. (zu Pauschalierungen und Typisierungen in der Finanzverwaltung); allgemein zur Akzeptanz durch Verwaltungsverfahren Wanenberger, NJW 1991,257 ff., 260 f.
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I. Kap.: Prozeßrechtliche Grundlegung
gen rechtfertigend wirken, streitiges Recht bleibt stets (rechts-) schutzwürdig. Die Wirtschaftlichkeit kann neben der Rechtmäßigkeit nur einer von vielen Eckpunkten des Verwaltungsverfahrens sein234 • "Die Entscheidung zwischen Effizienz und Rechtswahrung im Verfahren ist die Fortsetzung der im materiellen Recht getroffenen Grundentscheidung zwischen öffentlichen Interessen und Individualinteressen im konkreten Rechtsgebiet"235. Diese Quintessenz von Wahl in seiner Untersuchung des Verwaltungsverfahrens zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag macht deutlich, daß die Begründung des Sofortvollzugs letztlich im materiellen Recht zu suchen ist. Wenngleich der Gesetzgeber die Gruppe der "privilegierten" Geldforderungen in einem Prozeßgesetz zusammengefaßt hat (§ 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO: öffentliche Abgaben und Kosten), liegt die Grundentscheidung doch in den Rechtsgebieten, welche die staatlichen Geldforderungen konstituieren und ihre Verwendung in den öffentlichen Haushalten regeln. Daraus ergibt sich das öffentliche Interesse an einer möglichst reibungslosen Vermögensverschiebung und das private Interesse an einer Bewahrung des status quo. Der Interessenabwägung wird nicht allzu weit vorgegriffen, wenn schon an dieser Stelle ein "Mittelweg" propagiert wird: Weder hat der Staat den sofortigen Zugriff auf alle geltend gemachten Forderungen, noch muß er stets das richterliche Votum abwarten 236 . Das Interesse des Bürgers besteht darin, rechtswidrige Übergriffe abzuwehren. Dies ist aber nur in den Fällen zu befürchten, in denen gewichtige Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen. Eine Einzelfallentscheidung dergestalt, daß die Verwaltung die sofortige Vollziehung stets nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO anordnen müßte, wäre zumindest dort ineffizient, wo die "tabellarische" Festlegung der Erhebungsvoraussetzungen für eine regelmäßige Berechtigung des Staates streitet. Das spricht aber für eine generalisierte Vorleistungspflicht in diesen Fällen. Ein letzter Grund für den Sofortvollzug ist also in dem öffentlichen Interesse an der Vorleistung solcher Geldforderungen zu sehen, bei denen wegen ihrer pauschalierten Erhebungsform (durch Steuertabellen, Beitragssätze, Gebührenoder Kostenordnungen) eine relative Rechtmäßigkeitsvermutung besteht237 •
234
Vgl. zu den Zielkonfliktenim Verwaltungsverfahren, Wahl, in: VVDStRL 41 (1983), S. 157.
m Wahl, in: VVDStRL 41 (1983), S. 186.
Vgl. Schoch, S. 1208 ff. So auch VG Berlin, NVwZ 1984,59; OVG Münster, KStZ 1976,233 (234); Wahlers, ZBR 1983,355 (356). 236 237
III. Leistungsbescheid als "autoritative Rechtsbehauptung"
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ßI. Prozeßtheoretische Hilfserwägung: Der Leistungsbescheid als "autoritative Rechtsbehauptung" 1. Der Inhalt des Leistungsbescheides
Der Leistungsbescheid ist als Rechtsfigur zwar nicht im VwVfG, wohl aber im VwVG geregelt. § 3 Abs. 2 lit. a VWVc?8 nennt als Voraussetzung rur die Einleitung der Vollstreckung den "Leistungsbescheid, durch den der Schuldner zur Leistung aufgefordert worden ist"239. Der Leistungsbescheid als Verwaltungsakt ist von der "bloßen" Zahlungsaufforderung (Rechnung) zu unterscheiden240 • Diese enthält wie der Verwaltungsakt zwar auch eine Willenserklärung über eine Geldschuld des Bürgers24l • Ihr fehlt aber die spezifische Regelung, deren Wirkung zugleich die wesentliche Funktion des Leistungsbescheides beschreibt. Mit der Abgrenzung von Leistungsbescheid und "bloßer Zahlungsaufforderung" sind nämlich die Weichen im Prozeß der Rechtsverwirklichung gestellt: Der Leistungsbescheid ermöglicht die sofortige Vollstreckung242 der Geldforderung, während anderenfalls deren Realisierung im Wege der Leistungsklage die gerichtliche Überprüfung der Berechtigung voraussetzt243 • Weil der Leistungsbescheid also eine wesentliche Voraussetzung der Verwaltungsvollstreckung (Beitreibung) und speziell des Sofortvollzugs bildet, gilt es zu untersuchen, was ihn von der "bloßen Zahlungsaufforderung" unterscheidet. Legt man die Begriffsmerkmale des Verwaltungsakts zugrunde, läßt sich in beiden Fällen von der Maßnahme einer Behörde auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts sprechen. Weiterhin sind jeweils Einzelfalle betroffen, die nicht nur behördenintern wirken, also Außenwirkunt44 haben. Maßgebend verbleibt das Merkmal der (rechtlichen) Regelung. Eine behördliVgl. zu den parallelen Regelungen im Landesrecht Engelhardl, VwVG, § 3, Anm. 6. Das ist praktisch eine Legaldefinition, vgl. Löwenberg, S. 32. Der Leistungsbescheid i. S. d. § 3 Abs. 2 Buchst. a) VwVG ist unzweifelhaft ein Verwaltungsakt, vgl. hierzu und zur weiteren Auslegung dieser Vorschrift Engelhardt, VwVG, § 3, Anm. I. 240 Engelhardt, VwVG, § 3, Anm. 1 e). 241 Zur Auslegung des Verwaltungsakts als Willenserklärung der Behörde vgl. Erichsen, in: ErichsenlMartens, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 11 11 4, Rn. 22, § 23a I. 242 Vgl. zur Einordnung des Leistungsbescheides in den Regel- bzw. Sofortvollzug bereits oben S. 47 ff. 243 In diesem Fall ist die Zahlungsaufforderung der zivilrechtlichen Mahnung vergleichbar. Zu den Parallelen im Zivilprozeß siehe Gaul, JZ 1973,477. 2" Ob diese auch als "Rechtswirkung nach außen" verstanden werden kann, hängt davon ab, ob man die rechtlichen Wirkungen - abgesehen vom Außenrechtsverhältnis - auf das Merkmal der Regelung beschränken will. 238 239
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1. Kap.: Prozeßrechtliche Grundlegung
che Maßnahme hat dann Regelungscharakter, wenn sie nach ihrem Erklärungsgehalt darauf gerichtet ist, eine Rechtsfolge zu setzen245 • Welche Rechtsfolgen der Leistungsbescheid setzt, hängt zunächst davon ab, wie man ihn inhaltlich betrachtet. Vor dem Hintergrund des materiellen Rechts, aus dem sich die Berechtigung des Staates zur Forderung eines bestimmten Geldbetrages ergibt, hat der Verwaltungsakt zwei wesentliche Wirkungen246; Zum einen konkretisiert er die normative Regelung in ein aktuelles Verhaltens-, nämlich Zahlungsgebot, sodaß die gesetzliche "Vermögenszuweisung" tatsächlich umgesetzt werden kann. Zum anderen beseitigt er die Rechtsungewißheit241 , die jeder Subsumtion immanent ist, indem (widerlegbar) vermutet248 wird, daß die in dem Leistungsbescheid genannte Zahlungspflicht dem materiellen Recht entspricht. 249 Letzteres hat zur Konsequenz, daß auch rechtswidrige Verwaltungsakte zunächst einmal wirksam sind und der Vermögensverschiebung zugrundegelegt werden, § 43 VwVfG. Der Leistungsbescheid bildet somit den Rechtsgrund für die Vermögensverschiebung, ob er rechtmäßig oder rechtswidrig ist250 • Die vorgenannte Möglichkeit einer "Widerlegung" der Richtigkeitsvermutung findet in Form von Rechtsbehelfen statt. Widerspruch (bzw. Einspruch) und Anfechtungsklage vermitteln Rechtsschutz in dem Sinne, daß schließlich die richterliche Rechtserkenntnis mit ihren Richtigkeitsgarantien die Vermutung, die der Verwaltungsakt in sich
,., Erichsen, in: ErichsenlMartens, Allgemeines Verwaltungsrecht, § II n 4, Rn. 22. 246 Nach überwiegender Auffassung hat der Leistungsbescheid einen befehlenden und einen feststellenden Inhalt, vgl. Krause, S. 204; Löwenberg, S. 37; WoljJ, Verwaltungsrecht 1(6. Aufl.), § 47 I a; unklar dagegen Woljf/Bachoj, Verwaltungsrecht I (9. Aufl.), § 47 I b; a. A. Arbeiter, s. 113. Im Steuerrecht (vgl. § 254 AO) geht man davon aus, daß es sich um zwei getrennte Verwaltungsakte handelt, nämlich den Steuerbescheid und das Leistungsgebot. Diese sind nur äußerlich miteinander verbunden, könnenjedoch auch getrennt angefochten werden. ,., Martens, DVBI. 1968,324. ,.. In diesem (rechtstheoretischen) Sinne ist auch eine Rechtmäßigkeitsvermutung zulässig; vgl. Meder, S. 33 ff., besonders S. 36: ·Vermutungen sind danach in den Fällen unentbehrliche Bestandteile der Rechtsordnung, in denen der Zwang zu einer Entscheidung mit der Ungewißheit über Entscheidungsvoraussetzungen oder -folgen kollidiert und diese Ungewißheit durch den Rückgriff auf einen erfahrungsgemäß steten Regelverlauf der Entscheidungskriterien, wenn nicht behoben, so doch gemindert werden kann .• ,.. Nur ausnahmsweise beschränkt sich der Bescheid auf den feststellenden Teil. Paradigmatisch mögen insoweit die §§ 325 ff. AO 1931 angeführt werden. Danach bestand die Steuerforderung als gesetzliche Pflicht. Die Feststellung der gesetzlichen Voraussetzungen der Leistungspflicht erfolgte im Steuerbescheid. Gegen diesen wurde Rechtsschutz gewährt. Vollstreckt wurde hingegen (unmittelbar) die gesetzliche Pflicht; vgl. zu dieser Regelung Arbeiter, S. 109. 2:10 Fischer, S. 119 ff.; vgl. auch Weber, JuS 1986,31 m.w.N.
ill. Leistungsbescheid als "autoritative Rechtsbehauptung"
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trägt, bestätigt oder widerlegt2Sl • Als weitere Konsequenz bleibt die Richtigkeitsvermutung des Verwaltungsakts bestehen, wenn der Adressat, dem das Ersuchen um Rechtsschutz obliegt, willentlich oder unwillentlieh davon keinen Gebrauch macht2S2 • Fraglich ist dann, ob der objektiv vorliegende, aber nicht nachgewiesene Widerspruch zur Rechtsordnung bloß unbeachtlich2S3 ist oder ob der Verwaltungsakt konstitutiv2S4 das Recht begründen kann, das er gesetzeswidrig geregelt hat. Damit ist die grundsätzliche Frage einer Unterscheidung von deklaratorischer und konstitutiver Wirkung des Verwaltungsakts angesprochen2S5 • Ausgangspunkt dieser Unterscheidung ist ein inhaltlicher Vergleich von Gesetz und Verwaltungsakt: Weil zumindest im Bereich der gebundenen Verwaltung der Verwaltungsakt durch die Norm vollständig konditional programmiert sei, habe er nach einer Meinung keinen "eigenen Rechtswert" , sondern wiederhole nur die gesetzliche Regelung2S6 : seine Wirkung sei, soweit Gesetz und Verwaltungsakt inhaltlich übereinstimmten, "deklaratorisch". Wie dann der Widerspruch zur Rechtsordnung im Fall des fehlerhaften Verwaltungsakts gelöst wird, zeigt seine Behandlung im Steuerrecht. Die Steuerschuld gilt als Paradebeispiel einer gesetzlichen Schuld2S7 • Wenn nach § 38 AO "die Ansprüche
25. Die Entscheidung des PtOVG 28, 115 ff., del"Zllfolge die fonnale Zahlungsverbindlichkeitals Rechtsgrund auch noch nach Aufhebung des Leistungsbescheides fortwirkt, ist heute überholt. m Eine Präklusion besonderer Art regelt dagegen § 7 Abs. 3 S. 1 NWVwVG. Danach erlischt der Anspruch auf Erstattung eines zu Unrecht gezahlten Betrages, "wenn er nicht bis zum Ablauf des zweiten KalendeJjahres, das auf die Entrichtung folgt, geltend gemacht wird". Dies gilt selbst dann, wenn bereits vor der vorläufigen Leistung (zu der der Schuldner nach § 7 Abs. 2 S. 1 NWVwVG stets (!) verpflichtet ist) Einwendungen gegen Grund oder Höhe des Anpruchs vorgebracht hat. App, DStR 1988, 24, hält diese Regelung - wohl mit Recht - für verfassungsrechtlich bedenklich. m Vgl. Weber, JuS 1986,31. 254 KleinlOrlopp, AO, § 155, Anm. 1. Vgl. auch Arbeiler, S. 119 ff. und SiJhn, S. 96 ff. m Hiel"Zll jüngst Seiben, S. 90 f. m.w.N.; Kollmann, DÖV 1990, 193 ff. 216 In diesem Sinne verneint Arbeiter, S. 116 ff., 135 ff., letztlich den Eingriffscharakter des eine gesetzliche Pflicht wiederholenden Verwaltungsakts, zu dem er auch den Leistungsbescheid zählt. m 7ipkelKruse, AO, § 38, Tz. 3. Das bedeutet aber nicht, daß ein Steuerrechtsverhältnis nichts ausnahmsweise auch durch Verwaltungsakt entstehen könnte (hierzu Kruse, Steuerrecht, § 5 I 2). Vgl. zu den gesetzlichen Pflichten allgemein Arbeiter, S. 108 ff. Nach BVerfGE 9, 338 (342) ist das VwVG auf die Durchsetzung gesetzlicher Pflichten anwendbar. Der Verwaltungsakt sei hier Mittel zur Vollstreckung; mit diesem befolge der Adressat zugleich die gesetzliche Pflicht. Kopp, GewArch. 1986, 45 verneint ebenfalls den Eingriffscharakter und hält deshalb eine besondere gesetzliche Ermächtigung für entbehrlich; dagegen Mußmann, GewArch. 1986, 126, dessen Vorschlag einer Anwendung der polizeilichen Generalklausei als Ermächtigungsgrundlage in der vorliegenden Problematik bum weiterhilft. Zuweilen wird der die gesetzliche Plicht konkretisie-
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I. Kap.: Prozeßrechtliche Grundlegung
aus dem Steuerschuldverhältnis entstehen, sobald der Tatbestand erfüllt ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft", könne nach einer verbreiteten Meinung der Steuerbescheid nur deklaratorische Wirkung haben258 : Die Steuerschuld entstehe bereits kraft Gesetzes. Soweit der Steuerbescheid freilich fehlerhaft sei, d.h. vom Gesetz abweiche, wirke er konstitutiv, indem er einen nicht bestehenden Steueranspruch festsetze und damit eine Zahlungspflicht begrüt;lde259 • Dieser Meinung kann nicht gefolgt werden. Die Unterscheidung von deklaratorischen und konstitutiven Verwaltungsakten ist in den meisten Fällen unbrauchbarm. Einerseits vermag sie nicht überzeugend zu begründen, warum nach § 218 Abs. 1 AO der Steuerbescheid die Grundlage für die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis darstellt26l . Andererseits ignoriert sie die Funktion des Steuererhebungsverfahrens. In diesem wird der steuererhebliche Sachverhalt durch Bilanzierung, Erklärungen des Steuerpflichtigen, durch Bewertung von Wirtschaftsgütem oder personale Zurechnung von Vorgängen subsumtionsfähig gemacht262 . Deshalb besteht im Zeitpunkt der "Entstehung der Steuer"263 noch keine Steuerschuld im Sinne einer Steuerzahlungsschuld264 • Nicht zuletzt die Höhe der Schuld als eines der "essentialia negotii" des Anspruchs ist von der Festsetzung im Steuerbescheid abhängig. Das zeigt sich auch daran, daß der Vorauszahlungsanspruch im (Einkommen-) Steuerrecht Gegenstand einer gebundenen Entscheidung ist,
rende Verwaltungsakt "Vollziehungsverfijgung" genannt, vgl. Kopp, GewArch. 1986,43. Das ist zumindest mißverständlich, Mußmann, GewArch. 1986,126 . • 51 Vgl. 1ipke/Krose, AO, § 38, Tz. 4; Flume, in: FS Smend, S. 73 ff.; v. Wallis, in: FS Döllerer, S. 693; Rößler, NJW 1986,973 . ... v. Wallis, in: FS Döllerer, S. 694; KJein/Orlopp, AO, § 155, Anm. I. 260 Sie sollte nach Seibert, S. 44, 94 und Martens, DVBI. 1968, 324 ganz aufgegeben werden. 261 Nach Rößler, NJW 1986,973, ist der Steuerbescheid das "Vehikel, den konkret entstandenen Steueranspruch ... rechtstechnisch durchsetzbar und justiziabel zu gestalten". Wenn das aber dessen einzige Aufgabe wäre, wäre die Finanzverwaltung im Sinne Montesquieus wirklich nur der Mund, der den Wortlaut des Gesetzes ausspricht; eine Vorstellung, die fijr die Rechtsprechung wie fijr die Verwaltung schon als anachronistisch galt. Vgl. dagegen etwa Erichsen, in: ErichsenlMartens, Allgemeines Verwaltungsrecht, § II n 4, Rn. 24; Henog, in: Gesetz und Richterspruch, S. 5 ff. 26' Kirchhof, NJW 1985,2978. 263 Dieser Zeitpunkt ist nicht bedeutungslos. Er löst partielle Rechtsfolgen aus, die im einzelnen in der Abgabenordnung geregelt sind, vgl. die Aufzählung bei Kirchhof, NJW 1985, 2978. 264 Die Unterscheidung zwischen dem Steueranspruch und dem Steuerzahlungsanspruch entspricht der herrschenden Terminologie im steuerrechtlichen Schrifttum. Sie wird sowohl von den ßefijrwortern (v. Wallis, in: FS Döllerer, S. 694) als auch von den Gegnern (Kirchhof, NJW 1985, 2978) einer deklaratorischen Wirkung des Steuerbescheids gebraucht. Kritisch gegenüber dieser Wortwahl Söhn, S. 92, der seinerseits ein Modell der "sukzessiven Entstehung" der Steuerschuld verlieht (S. 54 ff.).
111. Leistungsbescheid als "autoritative Rechtsbehauptung"
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seine Festsetzung jedoch, wenn eine Anpassung erfolgt (§ 37 Abs. 3 S. 3 EStG), eine Ermessensentscheidung darstellt. Als Zwischenergebnis bleibt festzuhalten, daß der Steuerbescheid in jedem Fall konstitutiv wirkt26S • Das Gesagte gilt aber für andere Verwaltungsakte wie die hier relevanten Leistungsbescheide auch außerhalb des Steuerrechts. Vergleicht man nämlich die oben skizzierte Funktion des Steuererhebungsverfahrens mit dem allgemeinen Verwaltungsverfahren, zeigen sich maßgebliche Parallelen in der Rechtsanwendung2«J. Nicht nur im Steuerrecht ist der Vorgang der Subsumtion durch ein Ermitteln des Sachverhalts und das Bewerten der ermittelten Umstände gekennzeichnet. Schon das Enthüllen des bereits Bestehenden stellt eine Regelung dar2117 • Erst recht erweist sich die wertausfüllende Rechtsanwendung als ein schöpferischer Akf68. Es gibt auch in der rechtsgebundenen Verwaltung nicht "die einzig richtige Entscheidung"269 als Ergebnis der Subsumtion unter das Gesetz; Normkongruenz ist allenfalls "rechtsnahe Verwirklichung" im Sinne einer akzeptablen Normauslegung. Das Dogma des "deklaratorischen" Verwaltungsakts übersieht, daß es nie einen Widerspruch zwischen der Norm und ihrer Auslegung, sondern lediglich zwischen verschiedenen Auslegungen der Norm geben kann2'JO. Es gibt also keine "wertungsneutrale" Rechtsanwendung, was letztlich auf die "offene Struktur" des Rechts zurückzuführen ist271 • Nunmehr können die Wirkungen des Leistungsbescheids abschließend beurteilt werden. Er ordnet eine Zahlungspflicht an, die so vorher nicht bestand.
26> Vgl. neben [(jrchhoj(NJW 1985,2978; ders., NJW 1986, 1315 f.) auch Bertennann, in: GS Jellinek, S. 375 und Seibert, S. 92 (m.w.N. in Fn. 22), zu seiner Konzeption sogleich im Text. 266 Zur Überwindung des Rechtspositivismus vgl. nur Gennann, S. 308 ff.; Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 15 ff. 267 Seibert, S. 95. 26S Maas, S. 157; Seibert, S. 96 ff., der sogar einen Schritt weiter geht und von "Rechtserzeugung" spricht: Der Verwaltungsakt als materielle Rechtsquelle des Einzelfalls (S. 98). Vgl. auch Rehbinder, JuS 1991, 542 m.Nw.: Es gehe bei der Rechtsanwendung nicht um rechtswissenschaftliche Schlüsse (Subsumtion), sondern um rechtskonstruktive Entschlüsse. 269 Gusy, JZ 1991,217. Ausnahmen mögen allenfalls "technische Normen" bilden, deren Inhalt mit naturwissenschaftlicher Präzision deduzierbar ist (Maße, Gewichte, Zeitpunkte u.ä.), sowie ähnlich evidente Normen, deren Auslegung durch einen Konsens in der Rechtsgemeinschaft eindeutig festgelegt ist. Riggert, Teil 2, C. 1.-111. grenzt diese Fälle der "Entscheidungen bei absoluter Maßstabsdichte" von solchen bei "beschränkter Maßstabsdichte" sowie Entscheidungen "ohne gesetzlichen Maßstab" ab. 270 Martens, DVBI. 1968,324. 271 Alexy, Begriffund Geltung des Rechts, S. 117 ff. u. passim (unter Berufung auf H.L.A. Hart, Tbe Concept of Law, 1961: "open texture").
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1. Kap.: Prozeßrechtliche Grundlegung
Das ist die Folge der konstitutiven Feststellung, der gesetzliche Anspruch212 sei in der festgesetzten Höhe gegenüber dem Adressaten gegeben273 • Verfassungsrechtliche Aspekte drängen sich hier auf: Ist eine solche konstitutive Feststellung nicht der Rechtsprechung nach Art. 92 GG vorbehalten?274 Bedarf es zumindest insoweit einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung (Vorbehalt des Gesetzes)?27S. Die konstitutive Wirkung des Verwaltungsakts ist auch materiell-rechtlich relevant: Sie begründet zumindest vorübergehend eine Vermögenszuweisung, auch wenn das materielle Recht eine solche nicht angeordnet hat. Ob ihr allerdings eine darüber hinausgehende Wirkung dergestalt zukommt, daß der Leistungsemptänger das Vermögen nicht nur zwischenzeitlich behalten, sondern auch nutzen und den Ertrag sich endgültig einverleiben darf, ist zweifelhaft und bedarf genauerer Untersuchung276. 2. Die "autoritative Rechtsbebauptung"
Wenn der Leistungsbescheid einerseits die Kraft hat, Forderungen zu begründen, die ohne ihn nicht bestünden, andererseits aber (als Folge der Rechtsschutzgarantie i.V.m. dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung) jede Entscheidung unter dem Vorbehalt gerichtlicher Kontrolle und Aufhebung steht, fragt es sich, wie diese Wirkung (herkömmlich unpräzise als "potentielle Verbindlichkeit" beschrieben2TI) prozeßtheoretisch faßbar ist. Für die vorlie-
272 Beispiel: Kostenbescheid gegen den Zustandsstörer, weil der Handlungsstörer mittellos ist. Die Zahlungspflicht des Zustandsstörers ist zwar schon im Gesetz "latent" angelegt (§§ 6, 7 BW PolG LV.m. § 25 LVwVG BW); das Zusammentreffen mehrerer Schuldner macht jedoch eine konkretisierende Auswahl notwendig, wer nun tatsächlich zahlen muß. Außerdem werden durch die Konkretisierung die Unsicherheiten beseitigt, die das Gesetz im Hinblick auf die Feststellung der tatsächlichen Höhe der Schuld birgt. 273 Diese Feststellung ist nicht nur die Voraussetzung fiir die Zahlungsaufforderung (so aber Kollmann, DÖV 1990, 193), sondern steht neben ihr. Das zeigt sich schon darin, daß sie zugleich aussagt, der Bürger schulde aus diesem Rechtsverhältnis nicht mehr als diesen Betrag, sodaß der Leistungsbescheid (solange er nicht aufgehoben wird) einer Nachforderung entgegengehalten werden kann, vgl. Löwenberg, S. 36. Das könnte schwerlich aus der Zahlungsaufforderung als einzigem Inhalt hergeleitet werden. 27< Vgl. dazu unten S. 168 ff. Bemerkenswert ist an dieser Stelle, daß Kollmann, DÖV 1990, 194, der noch zwischen konstitutiv-feststellenden und deklaratorisch-feststellenden Verwaltungsakten unterscheidet, nur letztere als materielle Rechtsprechung einordnet, obwohl erst das konstitutive Element diese Zweifel entstehen läßt. 273 Dazu unten S. 177 ff. Genau diese Fragestellung hinsichtlich der feststellenden Verwaltungsakte war Gegenstand der Entscheidung des BVerwG v. 29.11.1985 (BVerwGE 72, 265). 276 Vgl. unten S. 236 ff. 217 Vgl. die Kritik bei Seibert, S. 169 in Fn. 145.
m. Leistungsbescheid als "autoritative Rechtsbehauptung"
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gende Untersuchung sei davon ausgegangen, daß die VelWaltung mit dem Leistungsbescheid eine Rechtsbehauptung aufstellt, die zwar nicht abschließend, aber dennoch in ihrem Umfeld "wirksam" die Rechtslage beurteilt. Dafür bietet sich der Arbeitsbegriff "autoritative Rechtsbehauptung" an. Die hier vorgestellte Konzeption knüpft unmittelbar an Ausführungen von Joachim Martens an218 • Diese seien ihrer Bedeutung wegen hier wiedergegeben. Nachdem Martens den Vorgang der Rechtsgewinnung beim VelWaltungsakt ebenfalls als subjektive Feststellung über seine Vereinbarkeit mit der Norm charakterisiert hat, fährt er forf19: "Nach der gegenwärtigen Rechtslage kann eine solche Feststellung im Zuge der Rechtsanwendung nicht bereits mit dem Erlaß eines VelWaltungsakts (also einseitig durch die Behörde) herbeigeführt werden. Denn vermöge der grundgesetzlich garantierten Generalklausel des Art. 19 Abs. 4 GG steht es jedem Adressaten frei, die Rechtmäßigkeit der von der Behörde im VelWaltungsakt bezeichneten Rechtsfolge durch das zuständige Gericht nachprüfen zu lassen. Die Subordinationswirkung des VelWaltungsakts beschränkt sich auf die Ingangsetzung einer Frist, innerhalb derer der Adressat das Gericht anrufen muß, um den Eintritt der ihn bindenden Bestandskraft zu verhindern. In der Unterlassung einer solchen Anfechtung trotz entsprechender Rechtsbehelfsbelehrung äußert sich die rechtlich erhebliche (wenn auch stillschweigende) Zustimmung zu der Rechtsfolge. Es erscheint daher unzutreffend, den VelWaltungsakt als einseitigen hoheitlichen Ausspruch zu bezeichnen, der kraft staatlicher Autorität gelte und eine besondere Wirkungskraft habe. Selbst die vorläufige Vollziehung eines angefochtenen VelWaltungsaktes hängt nach den Regelungen in § 80 VwGO und § 69 FGO von der Zustimmung des Betroffenen ab, weil er jederzeit eine gerichtliche Entscheidung darüber beantragen kann. "280 Ein Vergleich des Rechtsfindungsvorgangs beim VelWaltungsverfahren mit dem des ordentlichen Zivilprozesses führt diesen Gedanken weiter: Im Zivilprozeß stehen sich in der Regel konträre Rechtsbehauptungen von Kläger und Beklagtem gegenüber, über die - in Anwendung der Gesetze - der Richter befindet. Im VelWaltungsverfahren mögen nun die Rechtsauffassungen von
DVB\. 1968,322 ff. Vg\. auch Manens, Praxis des Verwaltungsverfahrens, Rn. 2\0 ff. DVB\. 1968, 324. 280 Später brachte Manens diesen Gedanken zur Quintessenz: "Zum Erlaß des Verwaltungsaktes genügt die Entscheidung der Behörde, zur Herbeiffihrung der Bestandskraft bedarf es zusätzlich der Entscheidung des Bürgers", vg\. dens., Praxis des Verwaltungsverfahrens, Rn. 220. 27. 279
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1. Kap.: Prozeßrechtliche Grundlegung
Behörde und Bürger auch konträr sein28l , und mag die Behörde auch (in Anwendung der Gesetze, wenngleich "in eigener Sache") über die Rechtsauffassungen befinden: Die Behörde wird aber (zumindest beim Leistungsbescheid) nicht angerufen, über vorgefertigte Auffassungen zu streiten282 • Vielmehr wird auf Seiten der Behörde die Rechtsbehauptung erst im Verwaltungsverfahren erzeugt. Diese steht also nicht am Anfang (wie im Zivilprozeß), sondern am Ende des Verfahrens. Dort gibt es nun zwei Alternativen: Entweder akzeptiert der Bürger (mehr oder weniger freiwillig) die Rechtsbehauptung, macht sie sich zu eigen bzw. unterläßt es (evtl. auch nichtwillentlich), Rechtsbehelfe einzulegen: Dann liegt ein Konsens vor, wie er außergerichtlictrS3 , aber auch im Prozeß284 vielfach vorkommt. Oder der Bürger wehrt sich - dann aber ist erst das "Streitschlichtungsverfahren" der materiellen Rechtsprechung eröffnet, weil sich nun echte Rechtsbehauptungen gegenüber stehen. Die "autoritative Rechtsbehauptung" der Behörde ist also "streiteröffnend "285. Die Verwirklichung eines bestrittenen Rechts ist dann (und nur dann) gerechtfertigt, wenn seine Berechtigung durch Richterspruch festgestellt worden ist286 . Die skizzierte Struktur von Entscheidung und Kontrolle im Verwaltungsbzw. Zivilprozeß läßt sich auch durch die Unterscheidung der" Aberkennungsklage" von der "Zuerkennungsklage"287 erklären. Zuerkennungsklage nennt Gusy das (gerichtliche) Verfahren, das auf Verschaffung der zur Durchsetzung des materiellen Rechts erforderlichen formellen Rechtsstellung gerichtet ist288 • Demgegenüber versteht er unter Aberkennungsklage die gerichtliche Kassation der formellen Rechtsstellung, die sich der Inhaber des materiellen
211 Das Meinungsbild wird zumindest durch die Gewährung rechtlichen Gehörs geschaffen; vgl. zur Bedeutung des rechtlichen Gehörs für die Rechtsfindung Smid, Rechtserkenntnis, S. 55 ff.; 73 ff.; BVerfGE 9, 89 (95): Rechtliches Gehör als Voraussetzung einer richtigen Entscheidung; vgl. auch Obermayer, VwVfG, § 28, Rn. 5 m.w.N. 282 Anders als beim Urteil müssen die Beteiligten beim Verwaltungsakt nie in Streit gelegen haben, Kollmann, DÖV 1990, 193. m Der Bürger, der die Nebenkostennachzahlungsforderungseines Vermieters ungeprüft hinnimmt, unterscheidet sich insofern kaum von dem Adressaten eines Leistungsbescheides. 2" Vergleich, Anerkenntnis, KIagerücknahme etc. 2U Nach Kollmann, DÖV 1990, 193, will die Behörde keinen Streit schlichten, sondern nur in der konkreten Situation handeln. 216 Vgl. Manens, Praxis des Verwaltungsverfahrens, Rn. 214. 217 Terminologie von Gusy, DÖV 1990,537. 2.. DÖV 1990, 538. Als Beispiel wäre die auf ein Urteil als Vollstreckungstitel gerichtete Leistungsklage zu nennen, die sowohl im Zivil- wie auch im Verwaltungsprozeß statthaft ist.
ID. Leistungsbescheid als "autoritative Rechtsbehauptung"
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Rechts selbst verschafft hat289 • Nun unterscheiden sich die Anwendungsfälle dieser neuen Terminologie nicht von den herkömmlichen Abgrenzungsversuchen. Sie machen aber deutlich, in welcher Funktion das Gericht jeweils in den Prozeß der Rechtsverwirklichung einbezogen ist. Die gerichtliche Kontrollkompetenz setzt gewissermaßen die (Verwaltungs- oder Zivil-) Entscheidung als Kontrollobjekt voraus. Insofern hat etwa die Verwaltung die Konkretisierungskompetenz. Im Gegensatz zur vollständigen Arbeitsteilung zwischen Anspruchsteller und Gericht bei der Zuerkennungsklag~, leistet die Verwaltung im Bereich der Aberkennungsklage einen "Vorschuß an Rechtsfindung", der erst über den eröffneten Kontrollmechanismus seine gerichtliche Bestätigung oder Ablehnung erhält. Beide Typen sind prinzipiell gleichwertig. Der Gesetzgeber ist im Prozeßrecht frei, den Rechtsfindungsvorgang so oder anders zu nonnieren29l • Die prozessuale Struktur steht nicht im Widerspruch zur Gewaltenteilung, sondern ist gerade Ausfluß ihrer: "Gewaltenteilung als Arbeitsteilung"m. Die im Verwaltungsakt liegende "autoritative Rechtsbehauptung" der Behörde ist von der Rechtsbehauptung des Bürgers zu unterscheiden293 • Dem Verwaltungsaktsadressaten obliegt es, sich gerichtlich zur Wehr zu setzen und selbst dann ist in bestimmten Fällen ein Sofortvollzug möglich. Ansonsten eröffnet aber in beiden Fällen erst die bestreitende Rechtsbehauptung den gerichtlichen Rechtsfindungsvorgang29". Genauso wie der Zivilprozeß typischerweise die Kontroverslage voraussetzt29S , muß auch im Verwaltungsrecht in der Regel erst die Rechtsbehauptung der Verwaltung (in Gestalt des Verwal-
2119 OÖV 1990, 538. Paradigmatisch hierfiir steht die verwaltungsgerichtliche Aufhebung aufgrund einer Anfechtung des Leistungsbescheides; weitere Beispiele bei Gusy ebenda. 290 Gusy, OÖV 1990,538. 291 Oie Ausgestaltung im einzelnen ist eine Frage der Zweckmäßigkeit und findet ihre Grenze lediglich in den Verfassungsgarantien des Rechtsschutzes. 292 Von" Arbeitsteilung" im Prozeß der Rechtsverwirklichung spricht auch Gusy, OÖV 1990, 538; vgl. auch das Modell der "Zusammenarbeit" bei Leisner, DÖV 1969,409. Im übrigen paßt sich diese Sichtweise in das Gewaltenkooperationsmodell (v. Danwitz, S. 6 ff.) einer funktionsgerechten und organadäquaten Aufgabenzuordnung (ebenda S. 47; Ossenbahl, OÖV 1980, 545) ein; vgl. auch VGH München, BayVBI. 1990,535 (536). 293 Vgl. Haueisen, OVB11961, 834 (das "Nein" der Verwaltung sei anders zu werten als das des Bürgers); Hoffmann-Becking, OÖV 1972, 198; kritisch Krause, S. 210 m.w.N. Weiter zum Vergleich mit der laienhaften Rechtsanwendung:Aoi, S. 166 f. 294 So zutreffend Manens, OVBI. 1968,324. 293 Vgl. instruktiv die Kostenregelung des § 93 ZPO.
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1. Kap.: Prozeßrechtliche Grundlegung
tungsakts) abgewartet werden 296 • Die Rollenvertauschung ist so konstruktiv bedingt und wegen der rechtsstaatlichen Vorkehrungen297 auch unbedenklich. Die Bestandskraft als Wirkung der "Obliegenheitsverletzung tr298 ist demnach von der Verbindlichkeit der Rechtsbehauptung zu unterscheiden299 • Hier zeigen die Parallelen im Zivilprozeß300 , daß der Bürger als Prozeßsubjekt in den Vorgang der Rechtsgewinnung in seiner eigenen Interessensphäre einbezogen ist, sodaß "im ganzen gesehen" die Verwaltungstätigkeit unverbindlich, Rechtsprechung aber verbindlich ist. Wenn demgegenüber gesagt wird, die Entscheidung der Verwaltung sei "potentiell verbindlich "301 , dann wird der Autonomie des Bürgers und der Struktur des Vorgangs der Rechtsfmdung zu wenig Rechnung getragen302 • Natürlich kann die Rechtsbehauptung der Behörde andere Wirkungen erzielen als die Rechtsbehauptung des Bürgers (das kommt ja in dem Attribut "autoritativ" zum Ausdruck); die Eigenart der Rechtsprechung ist es aber, daß ihre Entscheidung beachtet werden muß, auch wenn der Bürger ihr nicht folgen wilt303• Gegen das Verwaltungshandeln ist stets der Rechtsweg eröffnet (Art. 19 Abs. 4 GG), die richterliche Tätigkeit ist dagegen abschließend304 •
296 Zur (grds. unzulässigen) vorbeugenden Anfechtungsklage vgl. statt vieler Wünenberger, Verwaltungsgerichtsbarkeit, s. 203 f. m.w.N. 297 Rechtsbehelfsbelehrung , Prozeßkostenhilfe, Untersuchungsgrundsatz etc. """ Vgl. hier auch die Parallele zum Mahnverfahren im Zivilrecht, wo der versäumte Widerspruch des Schuldners auch einen Vollstreckungstitel (Vollstreckungsbescheid) zur Folge haben kann. Es ist gleichermaßen eine Obliegenheit des Schuldners, sich dann zur Wehr zu setzen. 299 So ebenfalls Manens, Praxis des Verwaltungsverfahrens, Rn. 220. 300 Vollstreckungsbescheid, Versäumnisurteil, Folgen verspäteten Vorbringens etc. Im außergerichtlichen privatrechtlichen Bereich bieten die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Banken eine interessante Parallele zur Präklusion: Danach muß der Kunde der in den Kontoauszügen dokumentierten Abrechnung innerhalb einer bestimmten Frist widersprechen, anderenfalls er mit Einwendungen ausgeschlossen ist. 30. Vgl. etwa Menger, DÖV 1955,590. 302 Zur Mitwirkung des Bürgers bei der Normkonkretisierung vgl. Arbeiter, S. 22 f. 303 Man kann hierin eine tenninologische Haarspalterei sehen: die Venneidung des Wortes "verbindlich" bzw. die Apostrophierung des Verwaltungsakts als "unverbindlich" kann aber dazu beitragen, die Nähe von Verwaltungsakt und Richterspruch auf den Rechtsfindungsprozeß zu beziehen und Art. 92 GG damit endgültig auszuschließen. 304 Die gerichtlichen Instanzen sind als "Einheit" zu beurteilen, vgl. Preibisch, S. 93. Eine Abspaltung erstinstanzlicher Urteile ist nicht zulässig. Ein Instanzenzug ist verfassungsrechtlich nicht geboten - seit BVerfUE 11, 232 st. Rspr. -, kann also keinen Einfluß auf den Begriff der Rechtsprechung i.S.d. Art. 92 GG haben.
m. Leistungsbescheid als "autoritative Rechtsbehauptung"
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Zusammenfassend läßt sich der Prozeß der Rechtsgewinnung und -verwirklichung im Bereich der gebundenen Verwaltung als "dogmatischer Diskurs"305 kennzeichnen. "Federführend" in diesem Meinungsstreit um die richtige Rechtsauslegung ist das Gericht, das aber ohne Mitwirkung von Bürger und Behörde nicht entscheidet: Die Behörde hat die "Behauptungsmacht" , der Bürger die "Anfechtungsmacht" . Die Vorgabe einer gesetzlich geregelten Geldforderung macht dieses Wechselspiel zu einem "dogmatischen" Diskurs, weil alle Beteiligten - obwohl z. T. auch private und öffentliche Interessen verfolgt werden - um die "richtige" Entscheidung streiterf06. Dieser "Diskursgedanke" mag zumindest für das Steuerrecht befremdlich wirken, weil dort eine strenge Normanwendung herrscht. Das zeigt sich nicht zuletzt in dem Verbot, Verträge über Abgaben zu schließen307 • Indes: An der Kernthese einer schöpferischen Rechtsgewinnung kommt auch das Steuerrecht nicht vorbei. Dies zeigt die jüngste Entwicklung im Anschluß an die Grundsatzentscheidung des Bundesfinanzhofs zur "tatsächlichen Verständigung "308. Danach widerspricht es keineswegs den Grundsätzen der Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung, wenn sich die Beteiligten in Fällen erschwerter Sachverhaltsermittlung über die Annahme eines bestimmten Sachverhalts und über eine bestimmte Sachbehandlung einigen können. Dies sei kein (unzulässiger) Vergleich über das anzuwendende Recht, sondern die Anwendung des Rechts auf einen einverständlich angenommenen Sachverhalf09. Diese Ent-
305 Hier im Sinne einer sprachlichen Tätigkeit (Diskussion, Dialog) der am Vorgang der Rechtsverwirklichung Beteiligten durch Austausch rechtlicher Argumente verstanden; vgl. zu diesem Diskursbegriff Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 32 u. passim. Dabei ist es nicht erforderlich, daß etwa der Bürger auch "juristisch" argumentiert, was oft nicht der Fall sein dürfte. Entscheidend ist vielmehr, daß sein Vorbringen rechtliche Relevanz hat. Im übrigen ist hier darauf hinzuweisen, daß der "dogmatische Diskurs" idealtypisch gemeint ist: Wenn ein Leistungsbescheid z. B. maschinell erstellt wird, der Bürger hiergegen nichts unternimmt und nun Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet werden, kann man natürlich kaum von einem "diskursiven" Vorgang der Rechtsverwirklichung sprechen. In den anderen Fällen echter Auseinandersetzung (um diese geht es in der vorliegenden Abhandlung) ist eine Berücksichtigung des psychologischen Moments der Kommunikation im Verfahren ("SprachspieI" , vgl. Grasnick, JZ 1991, 285 ff., 292) jedoch unverzichtbar. 306 Vgl. auch Gusy, JZ 1991,217. 3117 Vgl. nur BFHE 60, 235; 61, 137; 73, 312; 78, 225; BVerwGE 8,329; 48, 166; BGHZ 66, 199. Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel, siehe etwa die Ablösung von Erschließungsbeiträgen nach § 133 Abs. 3 BauGB (vgl. auch § 154 Abs. 3 S. 2 BauGB). Nach § 5 EinfGRealStG 1936 waren Verträge über Realsteuern zwischen Gemeinde und Steuerpflichtigem ausdrücklich zugelassen (hierzu: Glanegger/Güroff, GewStG, 2. Aufl. 1991, § 4, Rn. 6). ,.. Urteil v. 11.12.1984, BFHE 142, 549 = 85tBI. 1985 11, 354 . ... BFH, 85tBI. 198511, S. 354 (358).
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I. Kap.: Prozeßrechtliche Grundlegung
scheidung hat ein lebhaftes Echo in der Literatur gefunden310 , auf das hier nicht näher eingegangen zu werden braucht. Bemerkenswert ist hier aber, daß Martens seine Besprechung dieser Entscheidung zum Anlaß nahm, seine - für die vorliegende Abhandlung maßgebende - Konzeption der funktionalen Eingliederung des Bürgers in den Rechtsgewinnungsprozeß im Verwaltungsverfahren zu vertiefen3". Ihmzufolge erfaßt die "tatsächliche Verständigung" einen wesentlichen Teil der Rechtsanwendung und ist daher nicht nur faktisch, sondern eben auch "normativ" relevant3l2 • Daran zeigt sich, daß mit der Entscheidung des BFH ein weiterer Markstein weg von der "konditionalen Sichtweise" des Steuerverwaltungsakts verzeichnet werden kann3l3 • 3. Die "Anstoßfunktion" des Leistungsbescheides
Dem Verwaltungsakt werden zahlreiche Funktionen zugeschrieben. Zu ihnen zählen etwa die Individualisierungs- oder Konkretisierungs-, die KlarsteIlungsoder Stabilisierungs-, die Titel-, eine verfahrensrechtliche und eine verwaltungsprozessuale Funktion314 • Mit diesen Funktionen werden Zweck und Wirkungsweise des Verwaltungsakts umfassend beschrieben. Insbesondere wird dieser als rationelles Regelungsinstrument angesehen, mit dem die Behörde effektiv die Massenvorgänge der modemen Verwaltung bewältigt3lS • Dazu gehört im Bereich der Abgabenverwaltung auch ein Verfahren, bei dem die notwendigen Vermögensverschiebungen (unter Wahrung rechtsstaatlicher Bindungen) unverzüglich erfolgen. Dieser Aspekt bedarf indessen der Präzisierung. Vor dem Hintergrund der neuen Handlungsformendiskussiorr 16 , innerhalb deren u.a. "informales" Verwaltungshandeln propagiert wird, ist - "gegensteuernd" - auf die Notwendigkeit einer formalen Rechtsverwirklichung hinzuweisen3l7 • Weil bestimmte öffentliche Aufgaben nicht beliebig "ausgehandelt" "0 Vgl. nur Vogel, in: FS Döllerer, S. 677 ff.; Manens, StuW 1986,97 ff.; Sangmeisler, BB 1988,609 ff.; v. Bomhaupl, BB 1985, 1591 ff. 311 StuW 1986, 101 f. 312 Anderer Auffassung 1ipke/Krose, AO, § 38, Tz. 3: Eine Verständigung über "Rechtsfragen" sei ausgeschlossen. 313 Vgl. auch Kirchhof, in: Richterliche Rechtsfortbildung, S. 31: "Steuerrechtsanwendung als Auseinandersetzung mit dem sorgfältig geplanten tatbestandlichen Grenzfall". "4 Vgl. statt vieler Slelkens, in: Stelkens/BonklLeonhardt, Vwvro, § 35, Rn. 14 ff. m Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9, Rn. 40. "6 Siehe dazu oben S. 17 ff. 317 Das ist kein Widerspruch zu dem oben skizzierten "dogmatischen Diskurs". Dieser ist im vorliegenden (Rechtsschutz-) System - im Gegensatz zum kooperativen Verwaltungshandeln bei finaler Programmierung - gerade ein formalisierter Vorgang.
III. Leistungsbescheid als "autoritative Rechtsbehauptung"
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werden oder der zufälligen Befolgung überlassen bleiben können, bedarf es eines Procedere, das die effiziente Rechtsverwirklichung sichert. Diesem Ziel dient die hier sog. Anstoßfunktion des Verwaltungsakts. Danach hat der Verwaltungsakt auch die Funktion, den "Ball der Rechtsverwirklichung ins Rollen zu bringen". Das wird durch das soeben beschriebene "System" der "autoritativen Rechtsbehauptung" i. V .m. Verfahrensrechten der Beteiligten, Rechtsbehelfsbelehrungen und -fristen, allgemeiner: Rechtsschutz und Vollstreckungsmöglichkeit, bewerkstelligt. Wenn also die Verwaltung als "Gläubiger" nach interner Prüfung unter Beteiligung des Schuldners die Berechtigung der Geldforderung formal behauptet, ist der Rechtsverwirklichungsprozeß in Gang gesetzt. Auf diese Weise wird sichergestellt, daß die Geldforderung innerhalb (relativ) kurzer Zeit erfüllt wird oder zumindest Klarheit über deren Berechtigung herrscht318 • Diese Überlegungen zeigen auch, warum die Behörde überhaupt (vorläufig) entscheiden muß. Der Grund liegt in der Struktur des Verwaltungsrechts, in dem die Sozialgestaltung nicht alleine dem Aushandeln und freiwilligen Verhalten der Beteiligten überlassen bleiben darf. Die Verwaltung gibt (entsprechend der vorgenannten Funktionsbeschreibung) durch ihre einseitige, autoritative Rechtsbehauptung den" Anstoß" zum Prozeß der Rechtsverwirklichung. Das dadurch entstandene Ungleichgewicht wird vielfach kompensiert: erstens durch die relative Richtigkeitsgewähr der öffentlichen Verwaltung, zweitens durch die Rechtsvorteile der Effizienz (gerade im Vollzug), drittens durch den Autonomiegedanken (der Bürger hat den Vollzug weitgehend in der Hand) und viertens durch die Rechtsschutzgarantie (die Gerichte können in jeder Phase des Verfahrens eingeschaltet werden).
318
Vgl. Martens, DVBI. 1968,324.
6 Heckmann
Zweites Kapitel
Typologie und Einzelfälle der Geldforderungen im Regel- und Sofortvollzug I. Die staatliche Geldfordenmg als vollstreckbarer Anspruch 1. Der Anspruchsinhalt
Die Geldleistung als Anspruchsinhalt druckt aus, daß eine (bloße) Vermögensverschiebung zum Gegenstand des Vollzugs gemacht wird. Im Gegensatz etwa zu Maßnahmen der Gefahrenabwehr wird hier die soziale Wirklichkeit nicht unmittelbar gestaltet. Geld ist nur ein Zahlungsmittel, ein Medium. Es dient der Finanzierung der Staatsaufgaben und ist insoweit auch eine Rechen- bzw. Berechnungsgröße. Bereits an dieser Stelle ist daher darauf hinzuweisen, daß der Vermögensaustausch zwischen öffentlichen und privaten Haushalten niemals die Dringlichkeit haben kann, wie sie für den Sofortvollzug in § 80 Abs. 2 Nr. 2 VwGO typisch ist. Die Eigenschaft des Geldes als "Medium" führt außerdem dazu, daß es keine spezifische "Irreparabilität" beim Sofortvollzug von Geldforderungen gibt. Die Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft des Staates hinsichtlich der Rückzahlung rechtswidrig beigetriebener Gelder hat maßgeblichen Einfluß auf den vorläufigen Rechtsschutz. Die dort vorgenommene Risikoverteilung erhält beim SofortvOllZUg von Geldforderungen eine andere Dimension: Es geht (nur noch) um eine finanzielle Lastenverteiluni. Es kann hier nicht um eine vollständige Erfassung aller staatlichen Geldforderungen gehen, sondern nur um eine der ThemensteIlung (Sofortvollzug als Verpflichtung zur Vorleistung) dienliche Einteilung nach Sachgruppen. Die unzähligen Geldforderungen werfen viele Einzelprobleme auf, die für die
I Vgl. zum Topos der Risikoverteilung als Ordnungsfaktor des vorläufigen Rechtsschutzes Schoch, S. 892 ff. 2 Diese Lastenverteilung kann aber auch Folge einer "Irreparabilität" sein, wenn man den Gebrauchsvorteil des Geldes rur die Zwischenzeit bis zur Rückzahlung nicht - etwa durch Verzinsung - kompensiert; vgl. dazu unten S. 198.
I. Geldforderung als vollstreckbarer Anspruch
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Frage des Sofortvollzugs nichts hergeben. Diese Frage betrifft daher nur eine kleine Gruppe (im wahrsten Sinne des Wortes) privilegierter Forderungen, denen das Augenmerk dienen sollte. Dabei verdient die Gruppe der öffentlichen Abgaben (und Kosten) alleine schon deshalb eine hervorgehobene Bedeutung, weil sie in der zentralen Komplementärvorschrift zum VwVG, nämlich § 80 VwGO, eine besondere Regelung erfahren hat (vgl. § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die weiteren Sachgruppen knüpfen an eine jeweilige normative oder dogmatische Konnexität der in ihnen zusammengefaßten Geldforderungen an. Hier wird weiteres Anschauungsmaterial gewonnen, indem die einzelnen Vollstreckungsmodi exemplarisch untersucht werden. Einzelne Geldforderungen finden im übrigen nur insoweit Beachtung, als ihre Vollstreckungsregeln im Verhältnis zum dargestellten Vollstreckungssystem eine relevante Abweichung beinhalten. Das trifft etwa für die Beitreibung des Fernmeldeentgelts nach § 9 Abs. 1 F AG n.F. zu. 2. Sachgruppen
a) Öffentliche Abgaben und Kosten
Zu den öffentlichen Abgaben zählen Steuern, Beiträge und Gebühren. Diese Einteilung entspricht der herkömmlichen Systematik, ist aber nicht unumstritten. Besonders die Eingruppierung der Sonderabgaben und die Abgrenzung von Beiträgen, Gebühren und Kosten ist nach wie vor ungeklärt. Nachdem das BVerfG neben die etablierten Sonderabgaben eine weitere Gruppe nichtsteuerlicher Abgaben gestellt har, bietet sich nunmehr - im Anschluß an Jarass4 - folgende Einteilung der öffentlichen Abgaben an: Von den (klassischen) Steuern sind die nichtsteuerlichen Abgaben zu unterscheiden. Bei diesen kann wiederum zwischen steuerähnlichen und steuerunähnlichen Abgaben differenziert werden. Zu ersteren zählen die Sonderabgaben in vielen VariationenS;
3 Vgl. BVerfUE 78, 249 (Fehlbelegungsabgabe als Abschöpfungsabgabe); BVerfGE 75, 108 (Künstlersozialversicherungsabgabe;Jarass, OÖV 1989, 1016 spricht hier von "Sachkompetenzabgabe"). Eine Modifizierung in der Sonderabgabenjudikaturseit BVerfUE 75, 108 konzediert auch Henseler, NJW 1987, 3104. • Jarass, OÖV 1989, 1013 ff. 5 Vgl. zur typologischen Einteilung der Sonderabgaben Henseler, S. 27 ff., 60 ff., 80 ff.; Richter, S. 54 ff.; nach den Wirkungen der Sonderabgaben differenziert Kirchhof, in: HStR IV, § 88, Rn. 240 ff. (ausgleichende, lenkende, fördernde und Verursacherabgaben).
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2. Kap.: Typologie und Einzelfalle
letztere setzen sich aus den Vorzugslasten (Gebühren und Beiträge6), Sachkompetenzabgaben7, Verbandslasten8 und ·sonstigen Abgaben"9 zusammen. Keine eigene Abgabenart, sondern eher einen Sammelbegriff für eine Vielzahl inhaltlich und funktionell vergleichbarer öffentlich-rechtlicher Geldleistungen bilden die sog. Umweltabgaben lO • Ihre rechtliche Klassifizierung leidet nicht zuletzt auch daran, daß sie oft zur politischen Etikettierung herhalten mußlI, um für die Finanzierung staatlicher Aufgaben eine erhöhte Akzeptanz in der Bevölkerung zu erzielen l2 • Sie sind in jedem Fall nicht identisch mit einer der hier skizzierten Sachgruppen (Steuer, Sonderabgabe, Gebühr etc.), sondern reichen in ihrem Anwendungsfeld quer durch alle Arten von Geldleistungen 13 • Als Grobeinteilung können jedoch unterschieden werden l4 : ausschließlich verhaltenslenkende Umweltabgaben; verhaltenslenkende Umweltabgaben mit ökologischem Finanzierungszweck und lenkungsneutrale Umweltabgaben mit ökologischem Finanzierungszweck (reine Umweltfinanzierungsabgaben) 15. Diese Einteilung ist für die Frage des Sofortvollzugs von Bedeutung: Zieht man die Grenze zwischen Regel- und Sofortvollzug etwa
6 Vgl. nur Kirchhof, in: HStR IV, § 88, Rn. 185 ff., 213 ff.; grundlegend Wilke, S. 117 ff. und passim. 7 Begriff von Jarass, DÖV 1989, 1016. Gemeint sind diejenigen Abgaben, für die sich ein Kompetenztitel außerhalb der Art. 104a ff. GG findet. So ist etwa Art. 74 Nr. 12 GG seinem unmittelbaren Sachgehalt nach auf die Erhebung einer Abgabe gerichtet, BVerfGE 75, 108, 148 (Künstlersozialversicherung). Vgl. auch BVerfGE 78, 249, 267 (Fehlbelegungsabgabe) und BVerwG, DVBI. 1989, 660 (naturschutzrechtliche Ausgleichsabgabe). • Vgl. BVerfGE 42, 210 (216 f.); ROllländer, S. 18. Damit sind diejenigen Geldleistungen angesprochen, die eine Vielzahl von Zwangsverbänden (z.B. die berufsständischen Kammern - vgl. BVerfGE 71,81 zu ArbeitnehmerIcammernund NJW 1986, 1095 zur Berufsgenossenschaft-, aber auch reine umweltrechtliche Lastenverbände wie die Abwasserverbände) ihren Mitgliedern als Konsequenz einer "finanzwirtschaftlichen FolgeverantwortlichIceit" auferlegen. Diese Abgabe ist nicht selbstverständliche Folge der Zwangs mitgliedschaft, sondern resultiert aus der in der jeweiligen Sachaufgabe liegenden Handlungsverantwortung, vgl. zu allem Kirchhof, in: HStR IV, § 88, Rn. 277 ff. • Zu ihnen zählen die sozialversicherungsrechtlicheSolidarabgabe und die" Abschöpfungsabgabe zur RücIcabwicIclung staatlich gewährter Subventionsvorteile" , BVerfGE 78, 249 zur sog. Fehlbelegungsabgabe. Diese Abgaben sind weder Steuern, noch Sonderabgaben oder Vorzugslasten. 10 Vgl. zuletztF. Kirchhof, DÖV 1992,233 ff.; Breuer, DVBI. 1992,485 ff.; Hendler, AöR 115 (\990),577 ff. und umfassend Meßerschmidl, Umweltabgabenals Rechtsproblem, 1986. 11 Meßerschmidl, S. 18, dort (pn. 3 - 20) auch zahlreiche Anwendungsbeispiele. 12 Hendler, AöR 115 (1990), S. 591. 13 Vgl. zur Abgrenzung nur Meßerschmidl, S. 110 ff. 14 Nachstehende Einteilung nach Hend/er, AöR 115 (\990), S. 580. " Ähnlich F. Kirchhof, DÖV 1992,233 f.: Umweltfinanzierungsabgaben, -nutzungsabgaben und -ausgleichsabgaben.
I. Geldforderung als vollstreckbarer Anspruch
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bei dem Finanzierungscharakter der Abgabe l6 , sind jedenfalls die ausschließlich verhaltenslenkenden Umweltabgaben nicht sofort vollziehbar. Daran zeigt sich, daß die Systematisierungsversuche in diesem Bereich zwar Hilfestellung in der vorliegenden Problematik leisten können, in der Sache allerdings nicht zu unterschiedlichen Ergebnissen führen werden. Eine eigenständige Behandlung der Umweltabgaben erübrigt sich deshalb. Die heterogene Sachgruppe der "öffentlichen Abgaben und Kosten" erhält ihr prägendes Merkmal indessen nicht aus dem materiellen Recht, sondern - wie eingangs erwähnt - aus § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Die Rechtsgrundlagen der Abgabenerhebung erstrecken sich über weite Bereiche des Kommunalabgabenrechts (in den jeweiligen Landesgesetzen) über diverse Gebührengesetze bis hin zu den beitragsrelevanten Gebieten des besonderen Verwaltungsrechts (z.B. den Erschließungsbeitrag im BauGB). Die Zusammenfassung der "öffentlichen Abgaben" in § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wirft mehr Probleme auf, als die scheinbare Systematisierung zu lösen vorgibt. Für die Problematik des Sofortvollzugs ist eine gemeinsame Behandlung aber unentbehrlich. Das gilt auch für die öffentlichen Kosten. Diese werden ebenso wie die öffentlichen Abgaben von § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erfaßt, obwohl ein näherer Blick auf die Judikatur 1 mehr Ausnahmefälle erkennen läßt als solche, die von dieser Vorschrift erfaßt wären. b) Ahndungs- und Erzwingungsgelder Die zweite Sachgruppe knüpft an den Zweck an, den der Staat mit bestimmten Geldforderungen verfolgt. Als Ahndungsmittel setzen Justiz und Verwaltung Geldstrafen, Geldbußen und verschiedene Ordnungsgelder gegen den Bürger fest. Der Erzwingung eines bestimmten Verhaltens dienen das Zwangsgeld und andere Arten des Ordnungsgeldes. Beiden Kategorien ist gemeinsam, daß die mit der Geldleistung verbundene finanzielle Belastung des Bürgers als "psychologische Waffe" zur Verhaltenssteuerung eingesetzt wird l8 • Hier wird bereits die doppelte Funktion der Geldforderung als Medium des Gütertransfers und der Willensbeeinflussung deutlich ("Einnahme" bzw. "Einflußnahme").
16 17 11
Vgl. näher unten S. 121 ff., 136 ff. Vgl. die Nachweise bei Schoch, S. 1215 ff. Vgl. zum Topos der "Lenkung" in diesem Zusammenhang unten S. 95 ff.
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2. Kap.: Typologie und Einzelfalle
Geldstrafen als Kriminalstrafen werden durch Strafurteil 19 festgesetzt, wenn der Verurteilte einen Straftatbestand erfüllt, welcher die Geldstrafe als Rechtsfolge vorsieht20 • Bußgelder knüpfen in ähnlicher Weise an einen Ordnungswidrigkeitentatbestand an. Sie werden von der zuständigen Verwaltungsbehörde durch Verwaltungsakt (Bußgeldbescheid) festgesetzt21 • Eine besondere Qualität erhalten sie, wenn sie in einem gerichtlichen Verfahren (z.B. auf Grund eines Einspruchs, §§ 67 ff. OWiG) festgesetzt worden sind. So erfaßt § 1 Abs. 1 Nr. 2 JBeitrO nur "gerichtlich erkannte" Geldbußen. Ordnungsgelder sind staatliche Geldforderungen, die im Verlauf oder zur Vorbereitung eines (Verwaltungs23 - oder gerichtlichen24) Verfahrens2S durch das verfahrensleitende Organ festgesetzt bzw. "verhängt" werden. Sie dienen der Sicherung eines ordnungsgemäßen Ablaufs des Verfahrens und sind - das machte die obige Kategorisierung bereits deutlich - in zweifacher Hinsicht denkbar. Zunächst knüpfen sie als Ahndungsmittel, der Geldstrafe und dem Bußgeld vergleichbar, an einen "Ungehorsamstatbestand"26 an. In anderen Fällen dient ihre Festsetzung der Verwirklichung eines - zumeist "prozessual" erwünschten Verhaltens27 • Im Einzelfall ist umstritten, welche Funktion bestimmten Ordnungsgeldem zukommt28 • Daß die Ordnungsgelder auch unter
.9 Bzw. Stratbefehl, der sich in den Rechtswirkungen aber nicht gegenüber dem Strafurteil unterscheidet, vgl. § 407 StPO. Eine Parallele zu Verwaltungsakt und Mahnbescheid drängt sich zwar auf, kann hier aber nicht weiter untersucht werden. Die rechtskräftig festgesetzte Geldstrafe wird gern. § 459 StPO nach den Regelungen der lBeitrO beigetrieben. 20 Die Besonderheit des pönalisierenden Charakters der Geldstrafe äußert sich darin, daß sie nicht ·vorläufig vollstreckt" werden kann, vgl. § 449 StPO. 2. Thre Beitreibung richtet sich danach, ob der Adressat von dem Rechtsbehelf des Einspruchs Gebrauch macht: Bejahendenfalls erfolgt die Beitreibung nach § 91 OWiG i. V .m. den Vorschriften von StPO/IGG, ansonsten gelten die §§ 1 ff. VwVG. 22 Man sprach früher auch von ·Verwaltungsstrafe·; vgl. zum folgenden ausfiihrIich Wanenberger, Artikel Verwaltungsstrafe, S. 1 ff. II Vgl. etwa § 19 Abs. 3 rhpfUemO. I.d.R. werden Störungen von Verwaltungsverfahrendurch Entfernung dieser Personen sanktioniert, vgl. §§ 68 Abs. 3 S. 2 VwVfU, 38 Abs. I S. 2 rhpfUemO. 24 Vgl. §§ 33 Abs. 1 S. 1,95 Abs. 1 S. 2 VwGO, 141 Abs. 3 S. 1,380 Abs. 1 S. 2 ZPO, 178 GVG u.a. " Vgl. im parlamentarischen Verfahren dagegen die Ordnungsrnaßnahmennach Art. 40 Abs. I S. 2 GG i.V.m. §§ 36 ff., 41 GeschOBT, die ein Ordnungsgeld nicht vorsehen. 26 Vgl. etwa § 178 GVG. 27 Vgl. das Ordnungsgeld gegen den das Zeugnis zu Unrecht verweigernden Zeugen, § 390 ZPO. 2. Z.B. hinsichtlich des Ordnungsgeldes bei Ausbleiben einer Partei im Zivilprozeß gern. § 141 Abs. 3 S. 1 ZPO - parallele Problematik in § 95 Abs. I S. 2 VwGO - : Das OLG Köln, NJW
I. Geldforderung als vollstreckbarer Anspruch
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dem Gesichtspunkt des "Sofortvollzugs" relevant werden, zeigt exemplarisch § 181 Abs. 2 GVG, der einer Beschwerde gegen den Ordnungsgeld-Beschluß in einem Fall aufschiebende Wirkung beimißt, in einem anderen Fall nicht. Gerade die Funktion als Ahndung wirft hierbei besondere Probleme auf. Das Zwangsgeld ist hingegen reines Erzwingungs- bzw. Beugemittel29 • Seine Besonderheit besteht darin, daß es nicht nur Gegenstand, sondern zugleich Mittel der Vollstreckung ist. Daraus ergeben sich verschiedene Auslegungsprobleme. Als Vollstreckungsmittel dient das Zwangsgeld in allen Bereichen der Vollstreckungsordnung der Willensbeugung, speziell zur Erzwingung einer unvertretbaren Handlun~. Es wird mit seiner Festsetzung zum Gegenstand der Beitreibung. Die so entstandene Geldforderung könnte aber - und das würde sie von allen anderen Ansprüchen unterscheiden - nicht durchsetzbar sein, wenn der mit ihr verbundene Zweck (die Willensbeugung) erreicht wurde oder nicht mehr erreicht werden kann. Dieses Problem, auf das sogleich näher einzugehen ispl, verschärft sich noch unter dem Gesichtspunkt des Sofortvollzugs, weil sowohl eine Anknüpfung an die "Kosten" (§ 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) als auch an die "Maßnahmen der Vollstreckung" (§ 187 Abs. 3 VwGO) in Betracht kommt.
c) Vertragliche Schuldverhältnisse Staatliche Geldforderungen sind nicht auf die einseitig auferlegten Leistungen, wie sie öffentliche Abgaben, Kosten, Ahndungs- und Erzwingungsgelder darstellen, beschränkt. Durch die (auch gesetzlich, vgl. §§ 54 ff. VwVfG) anerkannte Möglichkeit des Staates, mit dem Bürger Verwaltungsverträge32 abzuschließen, rückt die vertraglich geschuldete Geldleistung als Gegenleistung für eine Verwaltungsmaßnahme (vgl. § 56 Abs. 1 VwVfG) in das Blickfeld der Betrachtung. Dieses vertragliche Entgelt schafft sowohl eine Alternative zur
1978,2515, 7homas/PulzO, ZPO, § 141, Rn. 5 und Zöller/Slephan, ZPO, § 141, Rn. 11 sehenden Sinn in der Ahndung einer Mißachtung des Gerichts, während das OLG Frankfurt, MDR 1979, 587; NJW-RR 1986,997 und BaumbachlLaulerbach/Albers/Hanmann, ZPO, § 141, Anrn. 2 seine Funktion als Verfahrenstörderung begreifen. 29 Vgl. hierzu Oliver Remien, Zwangsgeld und Rechtsverwirklichung, 1992, S. 18 m.w.N. '" Vgl. Engelhardl, VwVG, § 11, Anrn. 2 ff. mit vielen Beispielen. 3. Vgl. unten S. 95 ff. n Vgl. zum Verwaltungsvertrag statt vieler Maurer, DVBI. 1989, 798 ff.
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2. Kap.: Typologie und Einzelfälle
Gebühr, die ebenfalls als konkrete Gegenleistung dem finanziellen Ausgleich dient, als auch eine solche zum Beitrag (vgl. § 133 III BauGB). Die vertragliche Geldforderung stellt zwar den Prototyp eines Anspruchs dar, der im Regelvollstreckungsverfahren (nämlich nach vorangegangener Leistungsklage vor dem Verwaltungsgericht33) durchzusetzen ist. Sie bleibt aber für den "Sofortvollzug" in den Fällen des § 61 VwVfG relevant: Die dort geregelte Unterwerfung unter die sofortige Vollstreckung läßt die Verlagerung des Rechtsschutzes schon im Titel erahnen. Auch hier handelt es sich um eine Rechtsverwirklichung vor einer regelmäßigen richterlichen Bestätigung der Berechtigung. Der Rechtsschutz34 ist prinzipiell nachgeschaltet. Weil der Bürger damit aber in jedem Fall einverstanden sein muß, entsteht insoweit kein Rechtfertigungsbedarf für diese Art "Sofortvollzug". Er kann daher für die vorliegende Abhandlung ausgeklammert werden. d) Gesetzliche Schuldverhältnisse
Der Terminus dieser 4. Sachgruppe - "gesetzliche Schuldverhältnisse" - ist an eine Kategorie aus dem Zivilrecht angelehnt, die trotz ihrer Parallelen keine Entsprechung im Öffentlichen Recht gefunden hat. Sie betrifft staatliche Geldforderungen, die als Schadens-, Wert- und Aufwendungsersatz an das Recht der unerlaubten Handlung, das Bereicherungsrecht und die Geschäftsführung ohne Auftrag erinnern. Ihre Zusammenfassung rechtfertigt sich auch bei den öffentlich-rechtlichen Geldforderungen unter zwei Gesichtspunkten: Zum einen fehlt weitgehend eine gesetzliche Regelung dieser Geldforderungen3S , sodaß ihre dogmatische Durchdringung ohnehin von Anleihen aus dem Zivilrecht profitiert; zum anderen ist ihnen ein gemeinsamer Grundgedanke inhärent, nämlich der gerechte Ausgleich für ein Vermögensopfer36 •
Das ergibt sich aus § lAbs. 2 VwVG, vgl. dazu unten S. 102 f. Welche Rechtsbehelfe hier statthaft sind, ist umstritten, vgl. Traulsen, S. 77 ff.; Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Leonhardt, Vwvro, § 61, Rn. 31 m.w.N. 35 Der Versuch einer Normierung durch das Staatshaftungsgesetzvom 26.6.1981 ist bekanntlich gescheitert, vgl. BVerfUE 61, 149 = DÖV 1982,982 mit Arun. Ossenbühl. 36 Deshalb bilden Engelhardt, VwVG, § I, Anm. 2 b) und Wünenberger, Artikel Beitreibungsverfahren, S. I, insoweit die Gruppe • Ausgleichsforderungen .; vgl. auch Löwenberg , S. 23: ·verwaltungsrechtliche Ausgleichs- und Schuldverhältnisse· . 33 34
I. Geldforderung als vollstreckbarer Anspruch
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Öffentlich-rechtlicheSchadensersatzansprache setzen eine Sonderverbindung zwischen Staat und Bürger voraus, wie sie z.B. im Beamten- und Soldatenrecht besteht37 • Erstattungsansprache "korrigieren" eine Vermögensverschiebung. Die Leistung des Staates kann dabei ohne Rechtsgrund erfolgt sein38 , wie in den Fällen zuviel gezahlter Dienst- oder Versorgungsbezüge39 • Zu ihnen zählt aber auch die "planmäßige" Rückzahlung einer mit Rechtsgrund erbrachten Geldleistung40 , z.B. einer Subvention oder Leistungen nach dem BAFöG.
Der AuJwendungsersatz folgt, soweit er nicht bereits Gegenstand einer Gebühren- oder Kostenvorschrift ist, den Regelungen der (öffentlich-rechtlichen) Geschäftsführung ohne Auftrag41 • Die Gruppe der "Ausgleichsforderungen " ist im Zusammenhang mit dem "Sofortvollzug" weniger relevant, weil diese Ansprüche, sofern sie nicht ohnehin per Leistungsklage geltend zu machen sind'2, nicht in den Anwendungsbereich des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO fallen. e) Privatrechtliehe Geldforderungen
Neben den vorstehenden Sachgruppen mag die Rubrik "privatrechtliche Geldforderungen " etwas verwundern, hält man sich insbesondere § 1 Abs. 1 VwVG vor Augen, der ausdrücklich den "öffentlich-rechtlichen Geldforderungen" den Weg in die Verwaltungsvollstreckung eröffnet. Die in den meisten Bundesländern43 und seit dem 1.7.1989 auch im Bundesrecht (§ 9 Abs. 1 F AG n.F. 44) vorgesehene Möglichkeit der Beitreibung privatrechtlicher Geldforde37 Vgl. §§ 46 BRRG, 78 BBG, 24 SoldG; ohne eine solche Sonderverbindung gelten für schuldhafte Rechtsverietzungen die §§ 823 ff. BGB u.ä. 31 Rechtsgedanke ist dann der Bereicherungsausgleich; dieses Rechtsinstitut ist mittlelWeile gewohnheitsrechtlich anerkannt, sodaß ein Rückgriff auf die §§ 812 ff. BGB entbehrlich ist, vgl. Le. E. Weber, S. 17 ff. .. Vgl. freilich hier die gesetzliche Regelung in §§ 53 BRRG, 87 BBG . .. Hier besteht - soweit die Zahlung nicht vertraglich vereinbart ist - ein gesetzliches Schuldverhältnis des öffentlichen Rechts, das sich mit dem Zivilrecht kaum vergleichen läßt, weil dort Leistungen mit Rechtsgrund regelmäßig auf einem Vertrag beruhen . • , Hier ist im einzelnen vieles streitig, vgl. Maurer, Allgemeines VelWaltungsrecht, § 28, Rn. 10 ff. ., Vgl. hierzu grundlegend Borgs-Maciejewsld, S. 84 ff. .. Vgl. die Übersicht bei Würtenberger, Artikel Beitreibungsverfahren, S. I . .. § 9 Femmeldeaniagengesetz(F AG) wurde durch Art. 3 Nr. 7 Poststrukturgesetz vom 8.6.1989 (BGBI. I, S. 1026) neugefaßt. Das nunmehr privatrechtlich geregelte Femmeldeentgelt (ähnliches
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2. Kap.: Typologie und Einzelfälle
rungen im Vetwaltungswege eröffnet der Vetwaltungsvollstreckung eine neue Dimension. Der Staat, der sich bei seiner privatwirtschaftlichen Betätigung bewußt auf die Ebene der Gleichordnung begibr's, genießt hier die Privilegien der "Eigenvollstreckung" . Hier bewegt sich der "Sofortvollzug" in neuen Bahnen, weil die Rechtsschutzmechanismen der Regelvollstreckung (Leistungsklage und aufschiebende Wirkung) prinzipiell versagen. Wenn sich der Bürger in diesen Fällen nicht wehrt, kann die privatrechtliche Geldforderung sofort vollstreckt werden, obwohl keine öffentliche Abgabe vorliegt. Das ist systemwidrig46 • Daß diese Fälle letztlich doch in den Regelvollzug einzuordnen sind, hängt mit der besonderen Ausgestaltung des Rechtsschutzes zusammen, wie er exemplarisch an § 9 Abs. 3 F AG aufgezeigt werden soll. Danach ist dem Schuldner des Fernmeldeentgelts das Recht eingeräumt, jederzeit gegen die Forderung als solche schriftlich oder zur Niederschrift Einwendungen zu erheben47 • Er ist über dieses Recht bei Androhung der Vollstreckung zu belehren. Bereits getroffene Vollstreckungsmaßnahmen sind unverzüglich aufzuheben, wenn die Deutsche Bundespost TELEKOM nicht binnen eines Monats nach Geltendmachung der Einwendungen wegen ihrer Forderung vor den ordentlichen Gerichten Klage erhoben oder den Erlaß eines Mahnbescheids beantragt hars. Damit hat es der Bürger weitgehend in der Hand, streitige Forderungen abzuwehren. Seine Einwendungen verhindern die Rechtsverwirklichung vor der gerichtlichen Klärung der Berechtigung. Zwar spricht § 9 Abs. 3 FAG von der "Einstellung" der Vollstreckung, als wenn diese ungeachtet der Umstrittenheit der Forderung - erst einmal begonnen werden dürfte. Richtigetweise darf mit ihr gar nicht erst begonnen werden, wenn der Schuldner die Berechtigung bestreitet49 • Problematisch ist aber, daß sich die Vollstreckung auch gegen einen Dritten (etwa gegen den Arbeitgeber im Rahmen eines Pfändungs- und Übetweisungsbeschlusses) richten kann, sodaß der Schuldner möglichetweise erst nach Beginn der Vollstreckung von dieser
gilt für Geldforderungen der Post) darf sie aber nach wie vor im Verwaltungswege vollstrecken; vgl. hierzu auch Schwonke, NVwZ 1991, 149 f . •s Vgl. Ehlers, S. 61 ff.; zur Wahl der Handlungsform vgl. in diesem Zusammenhang auch Kempen, S. 91 ff. .. Vgl. etwa Schatuchneider, NIW 1989, 2373; Fangmann, VuR 1988, 247; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 20, Rn. 8 . •, Vgl. hierzu Statz, OÖV 1990,243 . .. Ähnliche Regelungen finden sich in den Landesgesetzen über die Beitreibung privatrechtlicher Geldforderungen im Verwaltungswege; vgl. den Überblick bei Röper, OÖV 1982,681 ff. •• So mit Recht Statz, OÖV 1990,243 in und bei Fn. 38.
I. Geldforderung als vollstreckbarer Anspruch
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erfährtSO. In diesem Fall bleiben die Vollstreckungswirkungen bestehen, wenn die Bundespost (oder in den landesgesetzlich geregelten Fällen: die Gemeinde) nunmehr Zivilklage erhebt51 • Auf diese Weise werden die Wirkungen des Sofortvollzugs auch bei der privatrechtlichen Geldforderung erzielt. Vorbildlich ist dagegen die Regelung in Bremen52 • Dort sind die Vollstreckungsmaßnahmen stets aufzuheben, wenn der Schuldner Einwendungen erhebt. Äußerst problematisch ist die Rechtslage in Hamburg 53 • Hier muß der Schuldner Einwendungen erheben, einen Antrag auf Einstellung der Vollstreckung stellen und ggfs. Klage beim ordentlichen Gericht erheben. Die Einwendungen (vergleichbar mit dem Widerspruch) haben keine automatische aufschiebende Wirkung. Der Antrag auf Einstellung entspricht einem solchen nach § 80 Abs. 4 VwGO, wobei unklar bleibt, nach welchen Maßstäben die Vollstreckung eingestellt wird. Erst die Klage hat dann aufschiebende Wirkung. Zwar hat es der Schuldner auch hier in der Hand, die Vollstreckung einstweilen zu vermeiden, jedoch droht ihm bis zur Klageerhebung der (Sofort-) Vollzug. Insoweit entspricht dies der Situation des sofort vollziehbaren Leistungsbescheids vor Stellung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGOS4 • Gegen die hamburgische Regelung spricht also, daß der Bürger (und nicht der Staat) klagen muß, um die Rechtsverwirklichung aufzuschieben. Hier werden die Vorteile des Privatrechts mit den Privilegien des öffentlichen Rechts verquickt, wobei den Bürger stets die Nachteile treffen55 • Das ist mit Praktikabilitäts-
>0 Vgl. zu einem ähnlichen Fall OVG Koblenz, AS 19, 90. " Hier ist allerdings nicht die Leistungs-, sondern nur die Feststellungsklage statthaft, weil die Leistung schon erbracht wurde (BGH, NVwZ 1988, 760). Es besteht aber das Feststellungsinteresse, das Gericht solle die Berechtigung der Forderung feststellen, damit der Gläubiger das Geld behalten darf. n § 7 Abs. 2 BremGVG; dazu Röper, DÖV 1982,682. "Vgl. § 37 Abs. 4 HambVwVG (GVBI. 1961,79): "Erhebt der Pflichtige Einwendungengegen eine Forderung, die auf Grund von § 2 Abs. I b) oder Abs. 3 beigetrieben wird, so kann die Vollstreckungsbehörde auf seinen Antrag die Vollstreckung einstellen. Die Vollstreckung kann fortgesetzt werden, wenn der Pflichtige nicht innerhalb eines Monats nachweist, daß er Klage bei dem ordentlichen Gericht gegen den Gläubiger erhoben hat, oder wenn seine Einwendungen rechtskräftig zuriickgewiesen worden sind" (Hervorhebung des Verf.) . ... Bei diesem entspricht es aber der Praxis, daß die Behörde bis zur Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutz nicht vollstreckt. 55 Auch diese staatlichen Privilegien haben ihre Grenze: Eine "Unterbrechung der Vetjährung privatrechtlicher Forderungen der Verwaltung durch schlichte Zahlungsforderung" (vgl. mit diesem Titel den dies zutreffend ablehnenden Beitrag von Blank, NVwZ 1991, 245) kommt nicht in Betracht.
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2. Kap.: Typologie und Einzelfälle
erwägungenS6 nicht mehr zu rechtfertigen und ruckt § 37 Abs. 4 HambVwVG in die Nähe der Verfassungswidrigkeit57 • Zum Landesrecht im übrigen58 : Die Bundesländer Bremen59 , Hamburg60 , Hessen61 , Niedersachsen62 , Nordrhein-Westfalen63 , Rheinland-Pfalz64, 65 Schleswig-Holstein und das Saarland66 erstrecken den Anwendungsbereich ihrer Vollstreckungsgesetze auf bestimmte, meist abschließend aufgezählte privatrechtliche Geldforderungen67• Dazu zählen beispielsweise die Forderungen der kommunalen Versorgungsunternehmen aus der Lieferung von Strom, Gas oder Wasser, Anspruche der Bezirksschornsteinfegermeister oder solche aus der Inanspruchnahme öffentlicher Einrichtungen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die betroffenen staatlichen Unternehmen öffentlich-rechtlich oder privatrechtlieh organisiert sind. Allen Forderungen ist aber gemein, daß sie öffentlichen, meist sozialen Zwecken dienen. 5< Vgl. zu diesen im Rahmen der Postreform die Begriindung der Bundesregierung zu § 9 FAG, BT-Drs. 11/2854, S. 64 f. Danach sollen der Deutschen Bundespost TELEKOM im Massengeschäft der Monopolleistungen Zeit und Kosten erspart werden. Zahlen nennt insofern Fangmann, VuR 1988, 247 (Zinsverluste und Mindereinnahmen von 243 Mio. DM pro Jahr durch nicht bezahlte Rechnungen). 57 Daraufkann hier nicht näher eingegangenwerden; vgl. zu den verfassungsrechtlichenAspekten (Gleichheitssatz, Rechtsschutzgarantie) in Abwägung mit EffIZienzerwägungenausführlich Sautholf, DÖV 1989, 1 ff.; ders., DÖV 1987,800 ff.; Kreiling, KKZ 1985, 10 ff. SI Vgl. grundlegend zur Problematik und referierend zum Landesrecht Röper, DÖV 1982,681 ff. ,. § 1 Abs. 2 BremGVG. Vgl. zur Rechtslage in Bremen die Beschlüsse des AG Bremen vom 18.6.1982 (25 M 5544/84) und vom 2.4.1984 (25 M 1763/84),jeweils als Vorlagebeschlüssenach Art. 100 GG. Die erste Vorlage wurde als unzulässig verworfen (vgl. BVerfGE 65, 308), die zweite hat sich anderweitig erledigt. Das ist bedauerlich, weil eine Äußerung des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit der Beitreibung privatrechtlicher Geldforderungen im Verwaltungswege wünschenswert wäre . .. § 2 Abs. 1 Iit. b HambVwVG. Das OVG Hamburg, KStZ 1976,214 hält diese Vorschrift für zulässig; vgl. auch Sautholf, DÖV 1989,5 f. und weiter oben im Text. 6. § 66 HessVwVG; vgl. VG Kassel, KKZ 1975,212. 62 §§ 61 Abs. 1,62 NdsVwVG i.V.m. der VO vom 12.9.1982 (GVBI., S. 382); zur Rechtslage in NiedersachsenausführlichHomung, KKZ 1986,183 f.; Lutze, KKZ 1986,28; Post, KKZ 1985, 170. 63 § lAbs. 1 NWVwVG; vgl. OVG Münster, DVBI. 1960, 180 . .. §§ 71, 73 RhFtVwVG i.V.m. der 2. LandesVO vom 2.1.1958 (GVBI., S. 11). Zur rheinlandpfälzischen Rechtslage vgl. exemplarisch OVG Koblenz, AS 19, 90 . •s § 296 Abs. 1 SHLVwG; vgl. OLG Schleswig-Holstein, Schl.-Holst. Nachrichten 1965, 118 (zit. bei Kreiling, KKZ 1985, 10 in Fn.l) . .. § 74 SaarlVwVG i.V.m. der VO vom 27.8.1974 (ABI., S. 737). 67 Das VwVG des Bundes (wie auch der Länder Baden-Württemberg, Bayern und Berlin) kennt solche Ausnahmen selbst nicht; die einzige abweichende Bestimmung ist in § 9 Abs. 2 FAG n.F. geregelt.
I. Geldforderung als vollstreckbarer Anspruch
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3. Der Grund der VermögeusverscbiebUDg
Nachdem die Sachgruppen einen ersten Überblick in der Vielfalt der staatlichen Geldforderungen erbracht haben, verfolgt die nachfolgende Darstellung das Ziel, durch die Systematisierung nach ausgewählten Topoi Sinn und Zweck der jeweiligen Geldforderung zu verdeutlichen. Die so gewonnenen Erkenntnisse dienen nicht nur der Auslegung der für die Abhandlung maßgebenden Vorschriften68 , sondern halten ganz allgemein Argumentationsmuster für die Rechtfertigung des Sofortvollzugs bereit69 • Geldforderungen lassen sich - wie gesehen - nach ganz unterschiedlichen Gesichtspunkten systematisieren. Die Anknüpfung an die Rechtsnatur der Forderung (öffentlich-rechtlich/privatrechtlich) ist aber so wenig hilfreich wie die Einteilung nach dem Rechtsverhältnis zwischen Staat und Bürger (allgemeines/besonderes Gewaltverhältnis, Vertrag u.ä.) oder den (prozeß-) rechtlichen Grundlagen (ZPO, VwVG, AO u.ä.). Für die vorliegende Untersuchung entscheidend ist der Grund der Vermögensverschiebung. Dieser konkretisiert nämlich das Interesse, das der Staat an einer mehr oder weniger schnellen Durchsetzung seiner Geldforderungen hat. Das öffentliche Interesse ist zugleich eine Grundlage für die Rechtfertigung des Sofortvollzugs staatlicher Geldforderungen. Als "Grund" lassen sich drei Kategorien unterscheiden: Primäre und sekundäre Einnahmequellen (Einnahme, unten a); allgemeine und besondere Gegenleistung oder Wertausgleich (Kompensation, b); Steuerung wirtschaftlichen und sozialen Verhaltens (Lenkung, c). a) Einnahme
In erster Linie dienen die staatlichen Geldforderungen der Finanzierung des Staates. Der Staatshaushalt gliedert sich wie jeder Haushalt in eine Einnahmen-
.. Vgl. nur § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO: Die Einordnung der Sonderabgaben in die Gruppe der "öffentlichen Abgaben und Kosten" soll nach h.M. davon abhängen, ob ihnen ein überwiegender Finanzierungszweck immanent ist (Abgrenzung von "Einnahme" und "Lenkung"), vgl. ausführlich unten S. 120 ff. .. Etwa das zugrundeliegendeöffentliche Interesse; vgl. zu deren MaßgeblichkeitSchoch, S. 555 ff.
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2. Kap.: Typologie und Einzelfälle
und eine Ausgabenseite. Für die zahlreichen Aufgaben, die der Staat zu erfüllen hat, bedarf dieser entsprechender fmanzieller Ressourcen. Als primäre Einnahmequelle dienen Steuern der allgemeinen Staatsfinanzierung. Durch das Fehlen einer Gegenleistung oder eines Gegenwerts 10 wird hier der primäre Einnahmecharakter deutlich. Nur sekundär wirken Geldstrafen, Buß-, Ordnungs- und Zwangsgelder als Einnahmequellen. Pointiert ausgedruckt: Der Staat bestraft nicht, weil er Geld braucht, sondern er zwingt zur Zahlung, weil er bestrafen bzw. das Verhalten des Bürgers steuern muß. Wenn das Geld aus diesem Grunde schon einmal eingenommen wurde, dient es eben (allgemeinen) Finanzierungszwecken71 • Das gilt auch für viele lenkende Sonderabgaben. Sie werden eingesetzt, um ein etwa umweltschädigendes Verhalten zu vermeiden oder bestimmte soziale Zwecke zu erfüllen72• b) Kompensation
Teilt man die Geldforderungen nach ihrem Effekt als Gegenleistung ein, scheiden wiederum die primären und sekundären Einnahmequellen aus. Eine Gegenleistung beinhalten nur die übrigen Forderungen. Diese erfolgt für eine Sach- oder Dienstleistung oder für ein Vermögensopfer des Staates. Dieser Effekt ist der gesamten Rechtsordnung immanent; besonders das Zivilrecht kennt für jede dieser Forderungen eine Parallele. Die "Kompensation" unterscheidet sich als Grund der Vermögensverschiebung von der "Einnahme" nicht nur durch die Saldierung des Leistungsaustauschs. Sie macht auch deutlich, daß die Grundlagen der öffentlichen und privaten Haushalte sowohl Unterschiede wie auch Gemeinsamkeiten aufweisen: In beiden Fällen korrespondieren Einnahmen- und Ausgabenseite; Belastungen werden nach Möglichkeit kompensiert, das Budget beruht auf wirtschaftlicher Betätigung. Wenn der Bürger z.B. (Werk- oder Dienst-) Leistungen erbringt, gleicht er investierte Arbeitskraft oder Material durch ein Entgelt aus. Der Staat erhebt in ähnlicher Weise Gebühren oder verlangt Kostenersatz. Im Gegensatz zu Privatpersonen kann der Staat seine Haushaltslage aber durch "nicht-
70 Von dem fiir alle staatlichen Gelder zutreffenden Umstand, daß sie - gemeinwohlgebundendem Bürger über den Staatshaushalt wieder zufließen, einmal abgesehen. 71 Vgl. Kirchhof, in: HStR IV, § 88, Rn. 11. 72 Vgl. zum Einnahmeeffekt in diesen Fällen, Kloepfer, JZ 1983, 750.
I. Geldforderung als vollstreckbarer Anspruch
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kompensierte" Forderungen verbessern. Diese "Einseitigkeit" ist es, welche die unterschiedliche Begründung von Steuern (Einnahme) auf der einen und Gebühren, Beiträge und Kosten (Kompensation) auf der anderen Seite ausmacht. c) Lenkung
Der Staat kann Geldforderungen aber nicht nur als Einnahmequelle oder Gegenleistung begründen, sondern auch gezielt als Mittel politischer Gestaltung einsetzen. Die Lenkung menschlichen Verhaltens erscheint heute durch kaum ein anderes Mittel als die Geldzahlungspflicht wirkungsvoller73 beeinflußbar. Der Gesichtspunkt der Lenkung zielt sowohl auf den sozialen Verhaltensbereich des Menschen als auch speziell auf seine wirtschaftliche Betätigung. Zum letzten Fall werden besonders die wirtschaftslenkenden (Sonder-) Abgaben gezählt'4; hier beherrscht die Abgrenzung dieser Funktion zum (primären) Einnahmecharakter die Diskussion um den Sofortvollzug der Sonderabgaben75 • Daneben wird der "Lenkungs"-Charakter der vorhin so genannten Ahndungsund Erzwingungsgelder76 kaum gesehen 77. Während diese Funktion für das Zwangsgeld noch unmittelbar einleuchtet, ist bei Geldstrafe und Bußgeld freilich zu berücksichtigen, daß hier neben die Spezial- und Generalprävention noch weitere (Straf-)zwecke treten78 • Die Verhaltenssteuerung ist indessen in diesen Fällen nicht von der Hand zu weisen. Gerade ein Bereich wie das Straßenverkehrsrecht ist auf die verhaltenslenkende Funktion der Bußgelder angewiesen. Probleme ergeben sich auch dort, wo die Abgrenzung zwischen (primärem) Lenkungscharakter und Strafzwecken schwer fällt. Das ist etwa beim "erledigten" Zwangsgeld der Fall. Die Regelung in § 31 Abs. 3 S. 2 ME19 hindert die Verwaltung, ein bereits bestandskräftig festgesetztes Zwangsgeld beizutreiben,
73 Vgl. zu den verschiedenen Usancen der Lenlrungswirlrung Kirchhof, in: HStR IV, § 88, Rn. 33; zur staatlichen Steuerung speziell unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten vgl. Lange, VerwArch. 82 (1991), S. 1 ff. 74 Vgl. nur Meßerschmidt, S. 123 ff. 71 Vgl. zu diesem Problem ausfiihrIich unten S. 120 ff. 7. Vgl. oben S. 85 ff. 77 Vgl. aber Kirchhof, in: HStR IV, § 88, Rn. 31. 71 Vgl. zu den StrafZweckenJescheck, Lehrbuch des Strafrechts, § 8 n. 79 Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes des Bundes und der Länder vom 25 .11.1977, abgedruckt und erläutert bei Heise/Riegel (unter gleichnamigem Titel).
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2. Kap.: Typologie und Einzelfälle
nachdem der Betroffene die Handlung vorgenommen hat bzw. die zu duldende Maßnahme gestattet*'. Fraglich ist aber, ob dies auch dann gilt, wenn sich das Zwangsgeld nicht durch Erfüllung, sondern anderweitig erledigt hat, etwa durch Zeitablauf eines befristeten Ge- oder Verbots. Die meisten Vollstreckungsgesetze der Länder verlangen die Einstellung der Vollstreckung und verbieten damit die Festsetzung eines angedrohten bzw. die Beitreibung eines festgesetzten Zwangsgeldes nämlich nicht nur bei Zweckerreichung, sondern auch bei Zweckfortfa1l81 • Wird beispielsweise A durch Polizeiverfügung unter Androhung eines Zwangsgeldes aufgegeben, am 15.9. um 18.00 Uhr als ehrenamtlicher Wahlhelfer im Rathaus zu erscheinen, und leistet A keine Folge, ergibt sich folgende Situation: Vor diesem Datum kommt eine Festsetzung des Zwangsgeldes mangels Zuwiderhandlung nicht in Betracht, nachher (am nächsten Tag) hätte eine solche keine (Beuge-) Wirkung mebJ-82. Das OVG LÜDeburt3 hat in einem ähnlichen Fall84 die Festsetzung (und Beitreibung) des Zwangsgeldes für unzulässig erklärt: Das Zwangsgeld sei eine Erzwingungs- und keine Strafmaßnahme; als Beugemittel verlange es von dem Adressaten aber etwas Unmögliches, weil das Gebot nach Verstreichen des Termins ins Leere ziele. Dem ist entgegenzuhalten, daß in dem vorgenannten Beispiel die Vollstreckungsmaßnahmen versagen würden8s • Unmittelbarer Zwang als ultima ratio kommt in der Regel nicht in Betracht86• Will man hier die Androhung des Zwangsgeldes nicht als
10 Das bedeutet allerdings nicht, daß der Betroffene damit auch von evtl. angefallenen Verwaltungsgebühren befreit wäre. Denn diese sind Gegenstand des Verwaltungsverfahrens und damit keine Beugemittel. 11 Z.B. §§ 11 Bad-Würt. LVwVG, 4 Abs. 3 NdsSOG, 61 Abs. 4 Rh-PfVwVG, weitere Landesregelungen bei Engelhardt, VwVG § 15, Anm. 7; im Gegensatz zu § 15 m BVwVG, der aberextensiv ausgelegt - auch auf diese Fälle zu übertragen ist, vgl. Engelhardt, VwVG § 15, Anm. 4 . .. Unproblematisch erscheinen hingegen die Verwaltungsaktemit Dauerwirkung, z.B. das Gebot, sich jeden Montag bei einer Behörde zu melden. Obwohl hier der einzelne Verstoß durch Zwangsmaßnahmen nicht riickgängig gemacht werden kann, hat die Beitreibung des Zwangsgeldes auch präventiv-beugenden Charakter in Bezug auf die nächste Meldepflicht. Dagegen erschöpft sich das Verhaltensgebot im Textbeispiel gerade in dem einen Ereignis. 13 DVBI. 1969, 119. 14 Es ging um die Überlassung einer stadteigenen Sporthalle rur eine politische Versammlung, die das VG der Stadt unter Zwangsgeldandrohung (vgl. § 172 VwGO) durch einstweilige Anordnung aufgegeben hatte und der die Stadt nicht nachkam. Erst nach Ablauf des Termins wurde dann das Zwangsgeld festgesetzt. " Vgl. Bertermann, DVBI. 1969, 120 unter Hinweis auf die Rechtsprechung zu §§ 888, 890 ZPO. .. Im Fall des OVG Lüneburg war das Zwangsgeld im Rahmen des § 172 VwGO ohnehin einziges Zwangsmittel.
D. Gesetzliche Grundlagen der Beitreibung
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bloße Chance zur Erzwingung einsetzen (die Zwangsmittel sollen sich ja gerade bei Widerstand bewähren), kann ihr nur durch bedingungslose Beitreibung des festgesetzten Zwangsgeldes im Falle der Mißachtung des Verwaltungsaktes Nachdruck verliehen werden. Die Funktion des Zwangsgeldes als (reines) Beugemittel verbietet so die spätere Realisierung nicht, sie fordert sie sogar!? Der vom OVG LÜDeburg vermißte Beugecharakter der Beitreibung in diesen Fällen ist daher in der Androhung mit ihrer - insoweit - antezipierten Zwangswirkung zu sehen8ll • Nichts anderes muß in den Fällen gelten, wo der Schuldner gegen eine Pflicht solange verstößt, bis das Zwangsgeld festgesetzt wird. Verhält er sich alsdann rechtstreu, würde die Beitreibung aus den gleichen Gründen scheitern. Hier zeigt sich in besonders mißlicher Weise, daß ein hart kalkulierender Störer gute Chancen hätte, in diesem "Wettlauf um Androhung, Festsetzung und Beitreibung des Zwangsgeldes" ein verbotenes Verhalten längere Zeit aufrechtzuerhalten89 • Weil die Behörde in diesem "Wettlauf" aufgrund rechtsstaatlicher Kautelen (Fristen, Formerfordernisse, Verhältnismäßigkeitserwägungen) auch noch mit einem "Handicap" startet, wahrt nur die hier vorgeschlagene Lösung die Effektivität der Vollstreckung90.
11. Gesetzliche Grundlagen der Beitreibung 1. Nonuenbestand im Buodes- und Landesrecht
Wie schon in der Einleitung bemerkt, leidet das Vollstreckungsrecht unter einer großen Rechtszersplitterung. Zahlreiche Regelungen auf Bundes- und Landesebene, in speziellen Vollstreckungsgesetzen, als Teil der Prozeßordnungen oder im materiellen Recht verankert, erschweren den Zugang zu den Sach-
lf7 So auch OVG Münster, DVBl. 1989, 889 m.w.N.; Henneke, Jura 1989,72; Engelhardl, VwVG, § 15, Anm. 5. a Diese - dogmatische - Erklärung verscham der Beitreibung solcher Zwangsgelder kaum eine Legitimation, wenn die einzelne Verhaltenspflicht zugleich bußgeldbewehrt ist. Das Bußgeld übernimmt in diesem Fall neben der Ahndung auch die Präventiv-Funktion des Zwangsgeldes, weil es dem Adressaten in gleicher Weise die Verwirkung eines "Geldes" androht, wenn dieser sich nicht rechtstreu verhält. Eine zusätzliche Zwangsgeldfestsetzung, die sich in diesen Fällen nicht vom Bußgeld unterscheidet,gerät leicht in den Konflikt eines "ne bis in idem" oder wäre zumindest unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunktenzu problematisieren. 19 Eine mögliche Sanktion durch Auferlegung eines Bußgelds bleibt davon aber unberührt, selbst wenn dies im Rahmen eines schwebenden Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO geschieht, vgl. BVerfG, NJW 1990,3139. 90 Vgl. in diesem ZusammenhangA/renmaller, BWVPr. 1977,5 f.
7 Heckmann
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2. Kap.: Typologie und Einzelfälle
fragen in diesem Rechtsbereich. Es soll daher zunächst eine Bestandsaufnahme der Regelungen im Beitreibungsrecht erstellt werden. a) Die Materie "Vollstreckung"
Weil es keine "Vollstreckung an sich" gibt, gibt es auch keine spezielle Gesetzgebungsmaterie "Vollstreckungsrecht" . Als Bezugspunkt orientiert sich die Gesetzgebung entweder am Prozeß- bzw. Verfahrensrecht oder am materiellen Recht. Im ersten Fall steht die Rechtsverwirklichung als Verfahrensablauf im Vordergrund. Hier stellt sich dem Gesetzgeber die Frage, welche Vollstrekkungsorgane mit welchen Mitteln Maßnahmen der Rechtsverwirklichung treffen und unter welchen Voraussetzungen Interessenträger als Verfahrenssubjekte zu beteiligen sind (Verfahren als dynamischer Bezugspunkt). Eher statisch wäre der zweite Fall zu nennen, die Anknüpfung an das materielle Recht. Weil die meisten materiellen Regelungen indessen keinen vollstreckungsfähigen Inhalt haben, kommt hier nur eine Orientierung an dem "vollstreckbaren Anspruch" in Betracht. Bezugspunkt ist hier das im Wege der Vollstreckung zu verwirklichende Recht. Das deutsche Vollstreckungsrecht kennt beide Fälle. Während allerdings die Orientierung am Prozeß- bzw. Verfahrensrecht im Zivil- und Verwaltungsrecht gleichermaßen im Vordergrund steht, knüpft die Gesetzgebung im Zivilrecht nur dort an das materielle Recht an, wo Vollstreckungssurrogate (z.B. Aufrechnung oder Zurückbehaltungsrecht) zugleich materiell-rechtliche Bedeutung haben. Dem Verwaltungsrecht ist dagegen eine Vollstreckungsregelung als Annex zum materiellen Recht nicht fremd 91 • b) Gesetzgebungskompetenzen im Beitreibungsrecht
Die Verwaltungsvollstreckung ist von der gerichtlichen Vollstreckung auch kompetenzrechtlich zu unterscheiden92 • Deshalb kommt Art. 74 Nr. 1 GG als Rechtsgrundlage für die Beitreibung nicht in Betracht. Unter "gerichtlichem Verfahren" im Sinne dieser Vorschrift ist nicht nur das Verfahren zur gerichtlichen Streitentscheidung, sondern auch dasjenige zur Durchsetzung eines ge-
., Vgl. etwa die Abschiebung eines ausreisepflichtigen Ausländers gern. § 13 AuslG. 91 Vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 74, Rn. 30.
D. Gesetzliche Grundlagen der Beitreibung
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richtlich festgestellten Rechts zu verstehen93 • Die Befugnis zur Gesetzgebung im Beitreibungsrecht orientiert sich also einerseits am Verwaltungsverfahren, andererseits am materiellen Verwaltungsrecht. Der Bund kann die Vollstreckung im Verwaltungswege hinsichtlich solcher Geldforderungen regeln, deren Gläubiger er ist. Die Gesetzgebungskompetenz ergibt sich für die Verfahrensregelungen aus der Natur der Sache94 , für den Anwendungsbereich im einzelnen aus einer Annexkompetenz9S • Für die Länder ergibt sich die Gesetzgebungskompetenz dementsprechend aus Art. 70 GG. Ein Sonderproblem bereitet die Beitreibung von privatrechtlichen Geldforderungen im Verwaltungswege: Hier könnte Art. 74 Nr. 1 GG insoweit eine Sperrwirkung entfalten, als der Bundesgesetzgeber mit dem achten Buch der ZPO einschließlich seiner "Nebengesetze" (ZVG, GBO etc.) das Recht der Zwangsvollstreckung privatrechtlicher Forderungen abschließend geregelt hat. Damit wäre es den Ländern versagt, die prozessual abweichende Beitreibung auf privatrechtliche Geldforderungen zu erstrecken 96 • Nun hat aber der Bund den Ländern die Gesetzgebungsbefugnis teilweise "zurückgegeben", nämlich durch die §§ 13 GVG, 4 EGZPO. Diese Vorschriften ermöglichen die landesrechtliche "Erschwerung" (nicht: Verhinderung) des Rechtsweges hinsichtlich solcher bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, bei denen der Fiskus, eine Gemeinde oder eine andere öffentliche Korporation beteiligt ist. In diesen Fällen ist also die Regelung eines Verwaltungsverfahrens auch bei privatrechtlichen Geldforderungen zulässig. Vor dem Hintergrund einer rechtsstaatlichen Abgrenzung der Privatrechtsordnung vom Verwaltungsrecht (Wettbewerbsschutz, Rechtsschutzgarantie u.s.w.) müssen die §§ 13 GVG, 4 EGZPO jedoch verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden, daß die Länder nur solche Beitreibungsregelungen abweichend vom "System des Privatrechts" treffen dürfen, die sich auf den Bereich der Daseinsvorsorge beziehen, mithin einen spezifischen Bezug zur öffentlichen Verwaltung haben. Eine Privilegierung der erwerbswirt-
93 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 74, Rn. 30 . .. Die Verwaltungsvollstreclrungist Teil des Verwaltungsverfahrens, vgl. App, Verwaltungsvollstreclrungsrecht, § I, Rn. 4; Kreiling, KKZ 1985, 11. Für das Verwaltungsverfahren versteht es sich aber von selbst, daß diejenige (prinzipiell gesetzgebungsbefugte) Körperschaft Regelungen schaffen darf, rur die die betroffenen Behörden tätig sind, vgl. Jarass/Pieroth, GG, Art. 83, Rn.
2.
., Die Begründung einer Geldforderung wäre ohne die Möglichkeit ihrer Durchsetzung unvollkommen . .. Vgl. Sauthoff, DÖV 1987, 804.
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schaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand durch eme erleichterte Vollstreckung mag vor Inkrafttreten des Grundgesetzes noch zulässig gewesen sein; heute stößt sie aber auf erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken97 • c) Bundesgesetze im Beitreibungsrecht
Auf Bundesebene ist die Beitreibung im wesentlichen im Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG98), in der Abgabenordnung (AO~, im Sozialgesetzbuch (SGB X - Verwaltungsverfahrenl~ und in der Iustizbeitreibungsordnung (IBeitrO IOI ) geregelt lO2 . d) Landesgesetze im Beitreibungsrecht
Die Bundesländer haben die Beitreibung von Geldforderungen entweder im Landesverwaltungsvollstreckungsgesetz (Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland), in einem speziellen "Beitreibungsgesetz" (Bremen) oder im allgemeinen Verwaltungsgesetz (Berlin, Schleswig-Hoistein) geregelt l03 . 2. Abgrenzungsmodi im Beitreibungsrecht
Das Beitreibungsrecht weist - wie gesehen - eine komplexe Struktur auf. Eine Differenzierung der Regelungsmaterie ergibt sich aus § 1 VwVG. Der begrenzte Anwendungsbereich des Bundesverwaltungsvollstreckungsgesetzes
.7 Vgl. in diesem Sinne Röper, DÖV 1982,687 f.; Saulhoff, DÖV 1987, 801 ff.; Kreiling, KKZ 1985,12 ff., jeweils m.w.N . •• Gesetz vom 27.4.1953 (BGBI. I. S. 157), zuletzt geändert durch Ges. vom 14.12.1976 (BGBI. I S. 3341) . .. Gesetz vom 16.3.1976 (BGBI. I S. 613, berichtigt BGBI. 1977 I S. 269), zuletzt geändert durch Ges. vom 25.2.1992 (BGBI. I S. 297). 100 Gesetz vom 18.8.1980 (BGBI. I S. 1469, ber. S. 2218), zuletzt geändert durch Ges. vom 20.12.1990 (BGBI. I S. 2954). 101 Gesetz vom 11.3.1937 (RGBI. I S. 298), zuletzt geändert durch Ges. vom 17.12.1990(BGBI. I S. 2847). 102 Vgl. daneben etwa § 84 BRAO. 103 Genaue FundsteIlen bei Engelhardl, VwVG, S. 1 f., dort auch Hinweise zur Rechtslage in den neuen Bundesländern. Verwaltungsvollstreckungsgesetze haben danach bislang die Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen. Diese sind allerdings der Rechtslage in den "alten" Bundesländern stark nachgebildet, sodaß sie hier vernachlässigt werden können.
u. Gesetzliche Grundlagen der Beitreibung
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zeigt zugleich die Abgrenzungsmodi im Beitreibungsrecht. So lassen sich die Vollstreckungsgläubiger (Bund, Länder etc.), hoheitliche und nichthoheitliche Forderungen sowie Spezialmaterien der Beitreibung (z.B. im Sozialversicherungsrecht) unterscheiden. a) Vollstreckungsgläubiger, § 1 Abs. 1 VwVG Eine erste Abgrenzung der staatlichen Geldforderungen erfolgt nach dem Vollstreckungsgläubiger, d.h. dem Gläubiger des durch den Leistungsbescheid konkretisierten Anspruchs '04 • Gemäß § 1 Abs. 1 VwVG werden die öffentlich-rechtlichen Geldforderungen "des Bundes und der bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts" nach den Bestimmungen des VwVG im Verwaltungswege vollstreckt. Den verteilten Gesetzgebungskompetenzen Rechnung tragendlOS zieht diese Vorschrift somit die Trennlinie zwischen Bundesrecht und Landesrecht U16 • Die Gruppe der bundesunmittelbarenjuristischen Personen des öffentlichen Rechts ergibt sich aus dem Staatsorganisationsrecht. Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind die rechtsfähigen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen ,07 • Sie werden zu "bundesunmittelbaren" Personen, wenn sie gemäß Art. 130 Abs. 3 GG der Aufsicht einer obersten Bundesbehörde unterstehen oder auf Grund des Art. 87 Abs. 2 und 3 GG durch Bundesgesetz errichtet worden sind lOB . Beispiele'09 bilden der Bundesverband für den Selbstschutz llO, die Bundesanstalt für den Güterfemverkehr "' , die deutsche Bundesbank "2 oder die Stiftung Preußischer Kulturbesitz"3 •
'04 Der Gläubiger ist von der Vollstreckungsbehörde zu unterscheiden. Vollstreckungsbehörden sind, wenn nichts anderes bestimmt ist, die Hauptzollämter als Vollstreckungsbehörden der Bundesfinanzverwaltung, § 4 VwVG. Sie führen die Zwangsvollstreckung unmittelbar durch. Vgl. Engelhardr, VwVG, § 4, Anm. Ib). '0' Engelhardr, VwVG, § I, Anm. I. 3. '06 Vgl. zu Parallelvorschriften im Landesrecht die Nw. bei Engelhardr, VwVG, § I, Anm. III. '07 Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 21, Rn. 8; die rechtsfähige Stiftung des öffentlichen Rechts wird heute als Sonderform der öffentlich-rechtlichen Anstalt angesehen, vgl. Breuer, VVDStRL44 (1986), S. 231. '01 Jarass/Pierorh, GG, Art. 130, Rn. 3; vgl. auch Engelhardr, VwVG, § I, Anm. 1.3. '09 Weitere Beispiele bei Sadler, VwVG, § I, Anm. 3. 110 § 11 Gesetz über die Erweiterung des Katastrophenschutzes vom 9.7.1968, BGBI. I S. 776. 111 § 93 GÜKG. 112 Art. 88 GG. 11> Gesetz vom 25.7.1957, BGBI. I S. 841; vgl. auch BVertUE 10, 20.
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Praktisch bedeutsam, wenn auch von der Dogmatik des Vollstreckungsrechts vernachlässigt, ist die Rechtslage bei den Kirchen und sonstigen Religionsgesellschaften 114. Deren Forderungen sind zwar nicht-staatlichllS , aber öffentlichrechtlich. Nicht minder als im "weltlichen" Bereich gibt es hier Geldforderungen, die von der Kirchensteuer über Friedhofsgebühren bis hin zur Rückzahlung überzahlter Kirchenbeamtengehälter reichen. Die Verwaltungsvollstreckung kommt hier aber nur begrenzt zur Anwendung ll6 , speziell dann, wenn die Religionsgesellschaften übertragene staatliche Hoheitsgewalt ausüben l17 • Teilweise gilt auch die Abgabenordnung l18 • Im übrigen sind die Kirchen aber auf die Leistungsklage vor den Verwaltungsgerichten zur Realisierung ihrer Geldforderungen angewiesen. b) Rechtsnatur utul Rechtsweg, § 1 Abs. 2 VwVG Eine weitere Differenzierung ergibt sich aus der Rechtsnatur der Forderung. Der Wortlaut des § 1 VwVG trägt hier allerdings mehr zur Verwirrung bei, als daß er diese Differenzierung näher bringen würde. Anlaß ist § 1 Abs. 2 VwVG, demzufolge solche öffentlich-rechtlichen Geldforderungen von der Anwendbarkeit des VwVG (und damit der Beitreibung überhaupt) ausgenommen sind, die "im Wege des Partei streits vor den Verwaltungsgerichten verfolgt werden". Diese, der modemen Begrifflichkeit nicht mehr entsprechendel\9, Formulierung meint folgende Problematik: 114 Gemäß Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 S. 3 WRV ist die evangelische Kirche in Deutschland eine bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts. '" Art. 140 GG LV.m. Art. 137 Abs. I WRV: Es besteht keine Stsatskirche. Die Beschränkung der Untersuchung auf "stsatliche" Geldforderungen erfordert die Ausblendung dieses wichtigen Bereiches. 116 So ist das LVwVG des Landes Baden-Württemberg auch auf die Kirchen anwendbar, vgl. Mußgnug, in: Maurer/Hendler, S. 145 in Fn. 79. Ebenso gibt es im Saarland keine Beschränkung der Beitreibungshilfe auf juristische Personen des öffentlichen Rechts, die unter stsatlicher Aufsicht stehen. Somit können dort Kindergartenbeiträge, Schulgelder, aber auch das sog. öffentlichrechtliche Kirchgeld im Verwaltungswege beigetrieben werden, vgl. Röper, DÖV 1982, 685. Hingegen beschränken die Verwaltungsvollstreckungsgesetze der Länder Bremen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz ihren Anwendungsbereich auf die unter stsatlicher Aufsicht stehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts, wodurch die Kirchen von 'der Beitreibung ausgeschlossen werden. 111 So sind kirchliche Friedhofsgebühren wie kommunale Gebühren im Verwaltungswege vollstreckbar, vgl. Engelhardt, VwVG, § 1, Anm.1.3 b) m.w.N. 111 Etwa fiir die Kirchensteuer der Landeskirchen, vgl. Engelhardl, Kirchensteuer, S. 189,223 ff. 119 Vgl. Engelhardt, VwVG, § 1, Anm. U.t.
D. Gesetzliche Grundlagen der Beitreibung
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Die Abgrenzung der Beitreibung, d.h. "Selbstvollstreckung" staatlicher Geldforderungen, zur gerichtlichen Zwangsvollstreckung verläuft nicht linear zwischen öffentlich-rechtlichen und privat-rechtlichen Ansprüchen l20 • Vielmehr gibt es sowohl öffentlich-rechtliche Geldforderungen, die per Leistungsklage geltend zu machen sind, als auch privat-rechtliche Geldforderungen, die im Verwaltungswege vollstreckt werden. Paradigmatisch für die erste Gruppe stehen die vertraglichen Ansprüche 121 , für die zweite Gruppe das Fernmeldeentgelt der Deutschen Bundespost TELEKOM l22 • § 1 Abs. 2 VwVG begrenzt - soweit nicht ausdrücklich die Anwendbarkeit gesetzlich normiert ist l23 - konsequent den Anwendungsbereich der Verwaltungsvollstreckung auf solche Geldforderungen, die ihren Rechtsgrund in einem Leistungsbescheid haben. Die zentrale Ausgangsfrage der vorliegenden Untersuchung -"Leistungsbescheid oder Leistungsklage?" - findet also auch in § 1 Abs. 2 VwVG einen normativen Standort. Um aber Mißverständnissen vorzubeugen: Diese Vorschrift regelt selbst nicht, wann die Verwaltungsbehörde einen Verwaltungsakt erlassen und damit den Weg zur Verwaltungsvollstreckung frei machen kann l24 • Vielmehr setzt es einen (aufgrund materiellen Rechts zulässigen) Leistungsbescheid voraus. Die zentrale Aussage des § 1 Abs. 2 VwVG liegt darin, daß nicht jede öffentlich-rechtliche Geldforderung im Verwaltungswege vollstreckt werden kann. Vielmehr sind in solchen Fällen, in denen sich Staat und Bürger "gleichgeordnet" gegenüberstehen, also insbesondere bei Verträgen 125, weder der Verwaltungsakt als Handlungsform noch die Verwaltungsvollstreckung zulässig. Wann eine Gleichordnung und wann eine Überordnung vorliegt, beantwortet das materielle Verwaltungsrecht. c) Leges speciales, § 1 Abs. 3 VwVG Das Verhältnis der Verwaltungsvollstreckungsgesetze zur Abgabenordnung, zum Sozialgesetzbuch und zur Justizbeitreibungsordnung ist in § 1 Abs. 3
Vgl. zur Konzeption einer "dualen Vollstreclrungsordnung" bereits oben S. 37 ff. Vgl. zu dieser Sachgruppe, die rur den Sofortvollzug nichts hergibt, den Überblick oben S. 87 sowie Maurer, DVBI. 1989,798 ff. 122 Vgl. dazu eingehend oben S. 89 ff. Zur Problematik jüngst Aldag, NJW 1990,2864 f. 123 Wie eben im Fall des § 9 FAG. 124 Vgl. Löwenberg, S. 62 f.; BVerwGE 18, 283 (287); OVG Münster, DÖV 1963,27; im Ergebnis ebenso, aber mit differenzierender Begründung Borgs-Maciejewsld, S. 86 ff.; a.A. etwa VGH Kassel, DVB11963, 555 (556). 12.S Vgl. BVerwG, DÖV 1976,353. 120 121
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2. Kap.: Typologie und Einzelfalle
VwVG näher bestimmt. Danach bleiben die genannten Gesetze von den Regelungen des VwVG "unberührt", d.h. dieses tritt als subsidiär zurück. Damit ist der normative Zusammenhang aber nicht erschöpfend erklärt. Eine Vielzahl von Quer- und "Rück"verweisungen gestaltet die Rechtslage unübersichtlich. So schließt die AO das VwVG nur für ihren Anwendungsbereich aus l26 ; andererseits verweist § 5 Abs. 1 VwVG seinerseits auf die AO. Für die Beitreibung von Geldforderungen ergibt sich daraus eine weitgehende Synchronität des Verfahrens bzgl. VwVG bzw. AO. Ähnlich ist es bei den Sozialversicherungsbeiträgen, deren Beitreibung ebenfalls auf synchronen Regelungen des SGB/SGG bzw. VwVG beruht. "Echte" Sonderregelungen bestehen hingegen für die Ansprüche, die in den Anwendungsbereich der Justizbeitreibungsordnung fallen: Geldstrafen, gerichtlich erkannte Geldbußen, Gerichtskosten, Ordnungs- und Zwangsgelder und ähnliche Ansprüche '27 werden nach den §§ 2 ff. JBeitrO vollstreckt. 3. Voraussetzungen der Beitreibung
a) Der funktionale Zusammenhang zwischen Verwaltungs vollstreckung und Verwaltungsprozeßrecht
Die prozessuale Dimension der Verwaltungsvollstreckung zeigt sich im Verhältnis der Vollstreckungsvoraussetzungen zum (verwaltungsgerichtlichen) Rechtsschutz '28 • Liegt das Kennzeichen der Vollstreckung im Verwaltungswege gerade in der vorläufigen Rechtsverwirklichung, drängt sich die Konnexität zum vorläufigen Rechtsschutz natürlich auf. § 80 VwGO bildet so die Nahtstelle zwischen Rechtsschutz und Rechtsverwirklichung. Dabei wirken Verwaltung und Rechtsprechung gewissermaßen "arbeitsteilig" in der Rechtsverwirklichung zusammen. Durch die Garantie effektiven Rechtsschutzes in Art. 19 Abs. 4 GG I29 sind die (Verwaltungs-) Gerichte in den Prozeß der
126 Die AO gilt zunächst für alle Steuern, die durch Bundesrecht oder Recht der Europäischen Gemeinschaften geregelt sind, soweit sie durch Bundes-oder Landesbehördenverwaltet werden (§ I Abs. I AO); außerdem eröffnen u.a. § lAbs. 2 AO sowie Verweisungen wie in § 3 Abs. I BW KAG der Abgabenordnungeinen weiteren Anwendungsbereich. 127 Vgl. die AufZählung in § I Abs. I JBeitrO. 12. Zum Verhältnis von Vwvro, VwVG und VwGO vgl. Stelkens, in: Stelkens/BonklLeonhardt, Vwvro, § 35, Rn. 18. 129 Zur Effektivität des Rechtsschutzes als Verfassungsgebot vgl. Kunig, S. 441 ff. m.w.N.
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Rechtsverwirklichung eingebunden l30 : Weil die mit der Umsetzung des Rechts in die soziale Wirklichkeit verbundene Schaffung "vollendeter Tatsachen" der vorgenannten Garantie i.d.R. 131 widerspräche132 , wenn sie vor der Entscheidung über einen Rechtsbehelf erfolgte, avanciert die richterliche Rechtserkenntnis auch im Verwaltungsrecht zur "Vollstreckungsvoraussetzung ". Bedenkt man noch die umfassende Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes in der Praxis 133 , dann läßt sich als Normalfall der Verwirklichung einer - streitigen l34 - Verwaltungsentscheidung feststellen: In einer ersten Stufe wird das Recht in einem Verwaltungsverfahren konkretisiert; daran schließt sich ein gerichtliches Verfahren an, in dem der verbliebene Streit um die Rechtslage ausgeräumt werden soll (zweite Stufe). Erst jetzt wird das Recht verwirklicht, und zwar entweder durch freiwillige Befolgung oder durch Vollstreckung. Durch diese Stufenfolge wird die Akzeptanz der staatlichen Entscheidung auf zwei Säulen gestellt: Der Bürger kann die Entscheidung akzeptieren, weil ihr Inhalt sowohl durch die Verwaltungsbehörde als auch durch das Verwaltungsgericht als rechtmäßig ermittelt wurde ("Richtigkeit") und die Interessen des Bürgers durch formelle Vorkehrungen weitgehend gewahrt wurden ("Vertrauen" in die Richtigkeit).
Dabei ist das Regelwerk des § 80 VwGO nicht einseitig im Hinblick auf den Schutz subjektiv-öffentlicher Rechte des Adressaten eines belastenden Verwaltungsaktes zu sehen. Nicht nur das Abwehrrecht des Bürgers gilt es zu schützen, sondern auch die objektive Rechtsordnung l3S • Im Mittelpunkt der Auslegung des § 80 VwGO steht natürlich das Interesse des Adressaten eines (Leistungs-) Bescheides, nicht durch Vollzugsmaßnahmen in der Wahrnehmung seiner (Abwehr-) Rechte beeinträchtigt zu werden. Geschützt werden soll der status quo, der sich fiir den Adressaten des auf Veränderung zielenden Verwaltungsakts als subjektive Rechtsposition darstellt. Dies ist ein vorläufiger
130
Manens, DVBI. 1968,324.
I" Vgl. zum Regel-Ausnahme-Verhältnisin § 80 VwGO Schoch, S. 1128 ff.
\32 Vgl. Schoch, S. 391 ff. m.w.N. und passim . ... Den quantitativen Aspekt der Justizgewährung faßt eindrucksvoll Schoch, S. 164-183 zusammen; dort auch zahlreiche Nw. zu Zahlenangaben(Fn. 16) und Statistiken (Fn. 17). "101 Es wird nicht verkannt, daß bei der Vielzahl der täglich ergehenden Verwaltungsentscheidungen die große Mehrheit unstreitig vollzogen wird; diese Entscheidungen sind freilich nicht Gegenstand dieser Untersuchung . ..5 Zum Verhältnis des objektiven Rechts zu den subjektiven Rechten vgl. etwa Bauer, in: Gegenwartsfragen des Öffentlichen Rechts, S. 113 ff.
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2. Kap.: Typologie und Einzelflille
Rechtsschutz, weil der Vollzug des Verwaltungsakts zunächst nur bis zur Hauptsacheentscheidung aufgeschoben wird. Daneben instrumentalisiert § 80 VwGO aber auch den Schutz der objektiven Rechtsordnung. Die Fälle, in denen § 80 Abs. 2 VwGO den Suspensiveffekt von Widerspruch und Anfechtungsklage ausschließt, verdeutlichen - bezogen auf die subjektivrechtliche Ausrichtung des vorläufigen Rechtsschutzes - eine Komplementärfunktion des § 80 VwGO: Die Rechtsverwirklichung, gedacht auf der Zeitachse (Schoch)I36, leidet nicht nur beim Vollzug eines rechtswidrigen, sondern auch bei der Nichtbefolgung eines rechtmäßigen Verwaltungsakts. Dieser Ausgangspunkt wird bei der Interpretation des § 80 VwGO oft - zu Unrecht - vernachlässigt. Zwar wird der Schutz des objektiven Rechts zuweilen unter dem Aspekt einer mißbräuchlichen Rechtsmitteleinlegung diskutiert 137 • Damit ist das Problemfeld aber bei weitem nicht erschöpft. Wenn etwa § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO den Sofortvollzug von Abgabenbescheiden ermöglicht, geht es nicht nur - negativ - um eine (vorläufige) Rechtsschutzverkürzung (aus der Sicht des Verwaltungsaktsadressaten), sondern - positiv - auch um den Schutz des materiellen Rechts. Besteht nämlich die Abgabenforderung zu Recht, bedeutete ein gesetzlich angeordneter Suspensiveffekt ein zeitweiliges Verwirklichungsverbot. Weil aber das Interesse an der Durchsetzung von Abgabenforderungen besonders hoch angesetzt wird, wird der (objektive) Anspruch des Staates durch die komplementäre Rechtsschutzverkürzung seinerseits besonders geschützt. Eines läßt sich daher bereits jetzt festhalten: Ein Anspruch auf Verhinderung rechtmäßiger Verwaltungsmaßnahmen besteht ebensowenig wie ein Anspruch auf Blockade rechtmäßiger Vorhaben eines Drittenl38 • In diesem Zusammenhang unterscheidet sich das im Abgabenrecht zum Ausdruck kommende zweiseitige Verwaltungsrechtsrechtsverhältnis l39 nicht von den dreioder mehrseitigen Rechtsverhältnissen, die das Umwelt- oder Baurecht bestimmen.
13. 131 131 139
Vgl. Schoch, S. 1310 ff. Vgl. nur Schoch, S. 1150 m.w.N. Schoch, S. 921 m.w.N. Vgl. Schoch, S. 860 ff.
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b) Behördlicher und gerichtlicher Rechtsschutz als Vollstreckungshindernis
Der funktionale Zusammenhang zwischen VelWaltungsvollstreckung und VelWaltungsprozeßrecht bewirkt nicht nur eine "Freigabe" der Rechtsverwirklichung durch die (gesetzliche) Anordnung des Sofortvollzugs. Aus ihm resultiert gleichermaßen ein "Vollstreclrungshindernis ", wenn die Wirkungen des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO durch eine behördliche oder gerichtliche Aussetzungsentscheidung suspendiert werden. In diesem Fall fehlt nicht nur für den VelWaltungszwang (§ 6 Abs. 1 VwVG), sondern auch für die Beitreibung eine wesentliche Voraussetzung l40 • Der Sofortvollzug staatlicher Geldforderungen ist also nicht "zwingend". Betrachtet man die Vorleistungspflicht als gesetzliche Risikoverteilung, dann bietet der vorläufige Rechtsschutz sowohl bei der Behörde als auch beim Gericht eine adäquate Reduzierung des Fehleinschätzungsrisikos. Das Risiko besteht bekanntermaßen in der Ungewißheit über die Forderungsberechtigung des Staates. Das "qualifizierte" 141 Bestreiten durch den Bürger erzeugt stets Zweifel an der Rechtmäßigkeit, über die sich die Behörde jedoch im Regelfall l42 des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hinwegsetzen darf. Wann die Zweifel "aussetzungsrelevant" werden, besagt § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO. Danach soll die Behörde bzw. das Gericht l43 die Vollziehung aussetzen, wenn "ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen VelWaltungsakts bestehen" 144. Maßgebend ist also eine Beurteilung der Rechtmäßigkeit, die in Begründungsumfang und Begründungstiefe hinter der "Hauptsacheentscheidung" zurückbleibt. Das insoweit maßgebende "summari-
'40 Maurer, Allgemeines VelWaltungsrecht, § 20, Rn. 7. '4' QualifIZiert ist das Bestreiten, wenn der Bürger nicht nur eine andere Rechtsansicht äußert, sondern diese auch mit einem Rechtsbehelfuntermauert. '42 § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist zwar die Ausnahme gegenüber § 80 Abs. 1 VwGO. Für seinen Anwendungsbereich (öffentliche Abgaben und Kosten) stellt diese Vorschrift jedoch gegenüber der Aussetzung der Vollziehung gern. § 80 Abs. 4 und 5 VwGO die Regel dar. '43 § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO ist trotz seines Standortes auch für das Gericht Auslegungsmaßstab. '44 Die 2. Alternative ("oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch übelWiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte") findet demgegenüber kaum Anwendungsfälle; sie ist nur dort anwendbar, wo es um irreparable, über die finanzielle Belastung hinausgehende Nachteile für den Bürger geht, wie etwa bei einem drohenden Konkurs (vgl. die Nw. bei 1ipe/Kruse, AO, § 69 FGO, Tz. 11). Es wird sogar bezweifelt, ob darin ein selbständiger Aussetzungsgrund gesehen werden kann, vgl. Schoch, S. 1300 ff. Demgegenüber kann die Ausgestaltung des § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO als "Sollvorschrift" Bedeutung erlangen: Bei Bagatellbeträgen kann das Gericht auch auf die Zumutbarkeit einer sofortigen Zahlung entscheiden (vgl. VGH Mannheim, VBIBW 1989, 16; dort ging es um 18,- DM).
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2. Kap.: Typologie und EinzeltälIe
sehe Verfahren" 145 verzichtet zwar auf eine aufwendige Beweiserhebung; soweit der Sachverhalt aber im wesentlichen unstreitig ist und die Rechtsfragen nicht außergewöhnlich tiefgreifend sind, unterscheidet sich die Rechtsprüfung nicht von derjenigen im Hauptsacheverfahren l46 . Ernstliche Zweifel sind mehr als das bloße Bestreiten, aber weniger als die Gewißheit aufgrund richterlicher Erkenntnis. Im Detail ist umstritten, welchen Wahrscheinlichkeitsgrad die Zweifel erreichen müssen, um den Sofortvollzug auszuschließen. Denkbar sind zwei "Risikoverteilungsschlüssel ": Zum einen könnte es genügen, daß überhaupt relevante Gründe für die Rechtswidrigkeit ins Feld geführen werden könnten; eine gleich große Wahrscheinlichkeit für Erfolg oder Mißerfolg begründete bereits ernsthafte Zweifel. Zum anderen ließe sich fordern, daß der Erfolg des Rechtsbehelfs (und damit die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts) wahrscheinlicher sein müsse als der Mißerfolg des Rechtsbehelfs (die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts). Die erste Variante ist herrschende Doktrin im Steuerrecht (bzgl. §§ 361 Abs. 2 S. 2 AO, 69 Abs. 2 S. 1 FGO)147. Rechtsprechung und Literatur im Verwaltungsrecht vertreten zu § 80 Abs. 4 S. 3 AO die zweite Variantel48 . Diese gegenüber den finanzrechtlichen Sichtweise schärfere, bürgerunfreundliche Auslegung wird mit der gesetzlichen Risikoverteilung begründet, die das Vollzugsrisiko bewußt auf den Bürger verlagert habe l49 . Das ist indessen nicht haltbar. Die Generalisierung der Vorleistungspflicht trägt zwar zur Risikoverlagerung auf den Bürger dergestalt bei, daß trotz Zweifeln gegen die Berechtigung eine Forderung vollzogen werden darf. Die Rechtsverwirklichung ist in (bzw. trotz) einem Rechtsschutzverfahren zulässig. Das besagt aber noch nicht, daß im Zweifel stets zu Lasten des Abgaben- oder Kostenpflichtigen entschieden werden müßte. § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO relativiert die Vorleistungspflicht des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gerade, SOdaß die Risikoverteilung "intragesetzlich" wieder offen ist. Entscheidend muß eine am Normzweck orientierte Auslegung sein. Betrachtet man die Gründe des Sofortvollzugs, läßt sich dem Ziel des Sofortvollzugs, einen stetigen Mittelfluß zu gewährleisten, bereits entnehmen, daß die Hürde
'05
Vgl. GUrsching, DStR 1988,573.
'46 Differenzierend GUrsching, DStR 1988,573 ff.
'47 Vgl. grundlegend BFHE 87,447; aus der st. Rspr. des BFH etwa E 147,468 (473 f.); 148, 537 (539); Papier, StuW 1978,338; Manens, Jura 1986,6; ders., StuW 1967,636 f. '41 Vgl. etwa BayVGH, BayVBI. 1990,568; OVG Münster, DVBI. 1990,720; VGH Mannheim, NVwZ 1985,202 (203); OVG Koblenz, DVBI. 1984, 1134 ff.; EuGH, JZ 1992,36 ff.; Schömig, BayVBI. 1982,443; Fin/celnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn. 631, 647. ,•• Vgl. VGH München, BayVBI. 1975, 171; Schömig, BayVBI. 1982,443.
D. Gesetzliche Grundlagen der Beitreibung
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für den Bürger nicht allzu hoch angesetzt werden darf. Die Haushaltsplanung des Staates ist zwar einerseits auf einen verläßlichen Mittelfluß angewiesen. Dieser muß sich aber genauso verläßlich auf berechtigte Forderungen beziehen, was bei der Masse an Abgabenforderungen auch unproblematisch sein dürfte. Soweit aber im Einzelfall gewichtige Gründe gegen die Forderungsberechtigung sprechen. ist das Vertrauen in die Rechtmäßigkeit maßgeblich erschüttert. Dann aber würde im Gegenteil der Sofortvollzug die Haushaltsplanung beeinträchtigen, weil mit einer Erstattung der vereinnahmten Gelder gerechnet werden muß. Die Haushaltswahrheit leidet aber bei übermäßigem Vollzug genauso wie bei Vollzugsdefiziten. Streitet in diesem Fall der wesentliche Normzweck des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht mehr jar die Vorleistungspflicht, ist derjenigen Auslegung der Vorzug zu geben, die den Bürger weniger belastet. Ernsthafte Zweifel liegen demzufolge bereits dann vor, wenn die Einwendungen des Abgabe- und Kostenpflichtigen die Rechtmäßigkeitsvermutung erschüttern. Für die Gegengründe des Bürgers genügt ein solches Gewicht, daß eine plausible Begründung des Sofortvollzugs unmöglich istISO . Das mag sogar hinter den Anforderungen zurückbleiben, die normalerweise an das Wahrscheinlichkeitsurteil im vorläufigen Rechtsschutz gestellt werden, erklärt sich aber aus den spezifischen Motiven des Sofortvollzugs staatlicher Geidforderungen lsl • Was den Verfahrensablauf im vorläufigen Rechtsschutz betrifft: Nimmt der Adressat den Abgaben- bzw. Kostenbescheid (einstweilen) hin, kann - wenn nach der insgesamt zweiwöchigen Mahn- und Schonfrist noch nicht gezahlt worden ist - mit der Vollstreckung begonnen werden. Anderenfalls muß der Bürger einen Aussetzungsantrag stellen. Hier war früher umstritten, ob zunächst ein Antrag bei der Verwaltungsbehörde gem. § 80 Abs. 4 S. 1 VwGO zu stellen war oder direkt das Verwaltungsgericht nach § 80 Abs. 5 VwGO angerufen werden durftels2 • Dieser Meinungsstreit ist durch die Novelle zur VwG01S3 erledigt worden: Gemäß § 80 Abs. 6 VwGO n.F. ist - entgegen
I'" Ähnlich OVG Lüneburg, KStZ 1990, 137 f.; anderer Auffassung explizit OVG Münster, DVBl. 1990, 720 mit der Begründung, durch eine Verzinsung sei der wirtschaftliche Nachteil ausgeglichen. Hinzu käme, daß in aller Regel eine Gegenleistung der Verwaltung erbracht worden sei. 151 Nicht ganz so rigoros, aber in der Begründung ähnlich Schoch, S. 1296 ff.; vgl. auch die Kritik bei Wilke, DVBI. 1984, 1136 ff. 152 Vgl. zu diesem Meinungsstreit EyennannlFröh/er, VwGO, § 80, Rn. 41 m.w.N. U3 4. VwGO-Änderungsgesetzvom 17.12.1990 (BGBl. I, 2809), vgl. hierzu Kopp, NIW 1991, 521 ff.; Sle/kens, NVwZ 1991,209 ff.
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2. Kap.: Typologie und Einzelfälle
einer bislang verbreiteten Meinung l54 - stets zunächst ein Antrag bei der Vetwaltungsbehörde zu stellen. Das galt bis zum 31.12.1990 gern. Art.3 § 7 EntlastG I55 schon für den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung vor dem Finanzgericht (§ 69 FGO). § 80 Abs. 6 VwGO n.F. schafft nunmehr eine bereits früher geforderte l56 - Harmonisierung der Prozeßordnungen. c) Entbehrlichkeit eines Vollstreckungstitels, § 3 Abs. 1 VwVG Nach § 3 Abs. 1 VwVG wird die Vollstreckung gegen den Vollstreckungsschuldner durch Vollstreckungsanordnung eingeleitet; "eines vollstreckbaren Titels bedarf es nicht". Voraussetzung für die Einleitung der Vollstreckung ist u.a. der "Leistungsbescheid, durch den der Schuldner zur Leistung aufgefordert worden ist", § 3 Abs. 2 lit. a VwVG und die Mahnung, § 3 Abs. 3 VwVG. Leistungsbescheid und Mahnung sind - im Gegensatz zur internen Vollstreckungsanordnung - Vetwaltungsakte, aber (noch) keine Maßnahmen der Vollstreckung l57 • Nach dieser gesetzlichen Regelung beinhalten weder der Leistungsbescheid noch die Mahnung oder die Vollstreckungsanordnung einen Vollstreckungstitel. Es fragt sich daher, wie diese Regelung mit der herrschenden Vetwaltungsrechtsdogmatik in Einklang zu bringen ist, wonach der V~twaltungsakt eine "Titelfunktion" habe l58 • Dabei genügt der Hinweis auf die Handlungsvollstreckung, die eine dem § 3 Abs. 1 2.HS VwVG entsprechende Regelung nicht kennt, aber nicht. Ein insoweit relevanter Unterschied zwischen dem Vetwaltungsakt, der eine Geldforderung zum Inhalt hat, und einem solchen, der zur Vornahme einer Handlung, Duldung oder Unterlassung auffordert, ist nicht ersichtlich. Die Ausgangsthese der h.M. lautet: Der Verwaltungsakt trete an die Stelle des gerichtlichen Vollstreckungstitels. Auf diesen könne als Vollstreckungsvor-
,>0 Vgl. PietmeriRonellenfitsch, Öffentliches Recht, § 48, Rn. 3 m.w.N. m Gesetz zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs-und Finanzgerichtsbarkeit v. 31.3.1978 (BGBl. I 446); vgl. hierzu Trpke/Krnse, AO, § 69 FGO, Rn. 16 ff. (dort auch Art. 3 § 7 im Wortlaut). ,jO Z.B. Schoch, S. 1292. U7 Engelhardt, VwVG, § 3, Anm. 1,4 u. 5. u, Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9, Rn. 39 f.; Stelkens, in: Stelkens/Bonkl Leonhardt, Vwvro, § 35, Rn. 18; Erichsen, in: ErichsenIMartens, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 20, Rn. 2; Mayer/Kopp, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 176; W. Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 333. Kennzeichnend Renck, DVBl. 1990, 1038 in Fn. 7: An der Titelfunktion des Verwaltungsakts werde nicht mehr gezweifelt.
n. Gesetzliche Grundlagen der Beitreibung
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aussetzung nicht verzichtet werden. Ein vorausgehender Rechtserkenntnisakt sei notwendig, weil die materielle Pflicht keine (ausreichende) Vollstreckungsbasis biete \S9. Hiergegen wird vorgebracht, der Vergleich mit der zivilprozessualen Zwangsvollstreckung sei zur Begründung der Titelfunktion des Verwaltungsaktes untauglich l60 • Der Vollstreckungstitel sei im Zivilrecht notwendig, im Verwaltungsrecht hingegen nicht. Als Ausfluß des Verbots der Selbsthilfe dürfe im Zivilrecht der Gläubiger nicht selbst vollstrecken; die Verschiedenheit von Erkenntnis- und Vollstreckungsorgan erfordere aber eine Urkunde, die dem Vollstreckungsorgan die Nachprüfung der Berechtigung des durchzusetzenden Anspruchs erspart. Durch die "Selbstvollstreckung" würde sich das bei der Verwaltungsvollstreckung erübrigen l61 • Dieser Meinungsstreit mag für die vorliegende Untersuchung dahinstehen. Blickt man auf die Funktion des Vollstreckungstitels, wie sie im Zivilprozeß anerkannt ist, dann erweist sich diese zumindest bei der Beitreibung als entbehrlich. Im Zivilprozeß beruht die Zwangsvollstreckung auf dem Urteil (bzw. seiner vollstreckbaren Ausfertigung). Sie löst die Rechtsverwirklichung damit von dem materiell-rechtlichen Anspruch, dessen Bestehen oder Nichtbestehen weder von den Parteien noch von den Vollstreckungsorganen in Frage gestellt werden kann. Diese Funktion des Titels ist damit zum einen Ausfluß der Rechtskraft (bzw. vorläufigen Vollstreckbarkeit) des Urteils und zum anderen Konsequenz der Trennung von Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren mit unterschiedlichen Verfahrensorganen. Im Verwaltungsrecht wird zwar auch der bestandskräftige (bzw. sofort vollziehbare) Verwaltungsakt in einem besonderen Verfahren vollstreckt. Die Bestandskraft ist jedoch von der Rechtskraft zu unterscheiden, weil insbesondere die Verwaltung als Gläubiger des Anspruchs den Verwaltungsakt nachträglich aufheben kann (§ 48 Abs. 1 VwVfG); außerdem ist die Trennung von Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren im Verwaltungsrecht unbeachtlieh, weil die verwaltungstypischen Entscheidungsstrukturen eine Rückbindung der Vollstreckungsbehörde an den Gläubiger des Anspruchs zulassen, sodaß etwa Zweckmäßigkeitserwägungen der Behörde, die den Leistungsbescheid erlassen hat, ohne weiteres zur Einstellung der Vollstreckung führen können. Diese Ausführungen zeigen
.>9 Vgl. Winterstetter, S. 39 ff.; Arbeiter, S. 108 m.w.N.; vgl. auch Krause, Verwaltungshandeln, S. 184 f. u. passim.; viele der Autoren, die dem Verwaltungsakt eine Titelfunktion zusprechen, begriinden die Notwendigkeit eines solchen "Titels" indessen nicht. .60 Vgl. Winterstetter, S. 86 ff.; G. Amdt, S. 60 ff., 87 . •6. Winterstetter, S. 88 f.
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2. Kap.: Typologie und Einzelfälle
bereits, daß die herkömmlichetweise im Zusammenhang mit dem Vetwaltungsakt zitierte "Titel funktion " bei der Beitreibung entbehrlich ist. Der Leistungsbescheid ist Rechtsgrundlage der Rechtsvetwirklichung staatlicher Geldforderungen; er bestimmt in Konkretisierung der Gesetze etwa die Höhe der Geldforderung (Konkretisierungsfunktion). Er instrumentalisiert den vetwaltungsrechtlichen Rechtsschutzmechanismus, indem er die Obliegenheit des Bürgers zur Gegenwehr begründet (Anstoßfunktion). Als causa der Vermögensverschiebung rechtfertigt er für die Zeit seines Bestehens das Behaltendürfen des Geldes (Befriedungsfunktion). Diese Wirkungen des Leistungsbescheides erscheinen wichtiger als die "Ti tel funktion ". Die Maßgeblichkeit der Verwaltungsvollstreckung wird nicht durch sie als vielmehr durch den funktionalen Zusammenhang von Vetwaltungsprozeß- und Vollstreckungsrecht begründet l62 • d) Der Zeitpunkt der Vollstreckung, § 3 Abs. 2 und 3 VwVG § 3 VwVG normiert (neben der Fälligkeit der Geldforderung als unerläßliche Voraussetzung) zwei Fristen, die den Zeitpunkt der Vollstreckung zugunsten des Bürgers hinausschieben: eine Schonfrist (Abs. 2 lit.c) und eine Mahnfrist (Abs. 3) von jeweils einer Woche. Mit der Beitreibung kann also frühestens zwei Wochen nach Eintritt der Fälligkeit l63 begonnen werden I 64 • Wichtiger als diese Regelung ist das, was nicht im Gesetz steht: Die Unanfechtbarkeit bzw. sofortige Vollziehbarkeit ist (im Gegensatz zu § 6 VwVG) nicht Voraussetzung der Beitreibungl6S • Damit wäre die Vollstreckung bereits zu einem Zeitpunkt möglich, in dem der Leistungsbescheid durch Widerspruchseinlegung in seiner Vetwirklichung gehemmt werden könnte. Der Streit um die Vollziehbarkeit des Vetwaltungsaktes zwischen Erlaß und Widerspruch - bei der Handlungsvollstreckung angesichts § 6 VwVG von rein akademischem Inter-
Vgl. dazu oben S. 104 ff. Bzw. seit Bekanntgabe des Leistungsbescheides, wenn diese erst nach Fälligkeit erfolgte, was freilich selten sein dürfte. '64 Deshalb treffen hier auch nicht die Bedenken zu, die SauthoJ!, NVwZ 1988, 698 in Bezug auf die Vollziehung zwischen Erlaß des Verwaltungsakts und einstweiligem Rechtsschutzantrag anmeldet. Bedenklich allerdings § 6 Abs. 4 NWVwVG, wonach Zwangsgelder, Kosten einer Ersatzvornahme, . Säumniszuschläge u.ä. ohne Einhaltung einer Schonfrist und ohne Mahnung beigetrieben werden können. '6' Engelhardt, VwVG, § 3, Anm. I c). '62 '63
D. Gesetzliche Grundlagen der Beitreibung
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esse - erhält hier seine praktische Berechtigung U>6. Welche Wirkung hat § 80 VwGO auf den Beginn der Beitreibung? Der schon früher skizzierte funktionale Zusammenhang zwischen Verwaltungsprozeßrecht und Verwaltungsvollstreckungsrecht hat verdeutlicht, daß § 80 VwGO auch ohne eine direkte normative Verknüpfung - wie in § 6 VwVG - als Regelwerk der vorläufigen Rechtsverwirklichung das "Ob" und "Wie" der Beitreibung bestimmt. Der kraft Gesetzes, behördlicher oder gerichtlicher Anordnung bestehende Suspensiveffekt wäre zwecklos, hinderte er nicht zugleich die Vollstreckung. Andererseits gibt sein Fehlen zugleich den Weg zur Durchsetzung des Leistungsbescheides frei. Insbesondere genügt die bloße Möglichkeit der aufschiebenden Wirkung im Rahmen des § 80 Abs. 1, Abs. 4 oder Abs. 5 VwGO nicht, den Vollstreckungsbeginn hinauszuzögem l67 • Die etwaige Rückwirkung des Suspensiveffekts l68 mag zwar das Haftungsrisiko der Behörde erhöhen, wenn sie "voreilig" vollstreckr 69 • Dies ändert aber nichts an dem Umstand, daß die Beitreibung zwischen dem Ablauf von Schonund Mahnfrist und der Widerspruchseinlegung zulässig ist. Art. 19 Abs. 4 GG fordert kein anderes Ergebnis. Zwar dienen die Rechtsbehelfsfristen dem Bürger auch dazu, Chancen und Risiken eines Rechtsstreits abzuwägen, bevor das streitbefangene Recht verwirklicht wird l1O • Der effektive Rechtsschutz ist aber dennoch gewährleistet: Im Regelvollzug kann der Bürger jede Vollstreckungsmaßnahme durch Widerspruchseinlegung vereiteln; ein "Drängen" der Behörde dürfte zumindest bei Geldforderungen in der Praxis nicht häufig vorkommen l71 • Im Sofortvollzug kann der Bürger einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO stellen; auch hier entspricht es der Verwaltungspraxis, vor einer gerichtlichen Entscheidung keine Vollstreckungsmaßnahmen zu treffen 172. Anderenfalls kann
166 Vgl. Redekerlv. Oertzen, VwGO, § 80, Rn. 7; Eyennann/Fröh/er, VwGO, § 80, Rn. 5; Schoch, S. 1186 ff. m.w.N. 167 Sad/er, VwVG, § 3, Anm. 10. 1.. Ob der Suspensiveffekts ex tune oder ex nunc eintritt, ist umstritten; vgl. zum Meinungsstand Schoch, S. 1186 ff. 16' Sad/er, VwVG, § 3, Anm. 10. 170 Vgl. BVerwGE 16,289 (294) und allgemein BVerfGE 35,263 (274 ff.). 171 Das kann sich aber ändern, wenn selbst die Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz wegen der Überlastung der Gerichte viele Monate dauern (vgl. exemplarisch: FG Düsseldorf, EFG 1984, 105; EFG 1985, 10). 172 Entgegen Redeker, NVwZ 1991,528, dürfte der neue § 80 Abs. 6 VwGO (nicht zuletzt wegen § 80 Abs. 6 S. 2 Nr. 2 VwGO) daran nichts geändert haben. Das schließt andere Sanktionen
8 Heckmann
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2. Kap.: Typologie und Einzeltille
das Verwaltungsgericht vorweg den Vollzug verbietenl1J • Eine analoge Anwendung des § 6 VwVG I74 mag daher rechtspolitisch erwägenswert sein; de lege lata läßt sie sich mangels planwidriger Regelungslücke jedoch nicht begründen.
m. Öffentliche Abgaben und Kosten als Gegenstand des Sofortvollzugs 1. Vorbemerkung: SofortvoUzug nach § 80 Abs.l Nr. 3 und 4 VwGO
Den elementaren Bedürfnissen einer effizienten Eingriffsverwaltung genügen bereits die Ziffern 1 (Gewährleistung der Finanzierbarkeit von öffentlichen Aufgaben) und 2 (Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung) des § 80 Abs. 2 VwGO. Die verbleibenden Fälle eines notwendigen Sofortvollzugs staatlicher Maßnahmen sind Gegenstand von bereichsspezifischen und einzelfallbezogenen Regelungen des Gesetzgebers (Ziffer 3) bzw. der Verwaltung (Ziffer 4). Geldforderungen werden von ihnen aber kaum erfaßt, weil die Ausgrenzung der "Nicht-Abgaben" in Ziffer 1 eine starke Indizwirkung in Bezug auf das Fehlen eines öffentlichen Sofortvollzugsinteresses in diesen Fällen entfaltet. Zwar ist der Gesetzgeber freier als die Verwaltung, die sofortige Vollziehbarkeit aus sonstigen Gründen einzuführen. Abweichungen vom Regelvollzug bedürfen jedoch eines sachlichen Grundes, soll die Forcierung der Verwirklichung eines streitigen Rechts nicht willkürlich sein. Bei Geldforderungen werden jedenfalls die primären fiskalischen Interessen schon durch § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO berücksichtigt. Ein typischer Fall im Anwendungsbereich des § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist die Regelung in § 12a AbwAbgG 17S , wonach Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Anforderung der Abgabe keine aufschiebende Wirkung haben. Diese Regelung beseitigte den Meinungsstreit um die mit der Rechtsnatur der Abwasserabgabe verbundene Frage der Anwendbarkeit des § 80 Abs. 2 Nr. 1
- wie etwa ein Bußgeld - aber nicht generell aus, vgl. BVerfG, NJW 1990, 3139 (3140). Die Verwaltung richtet ihr Handeln grundsätzlich an der Rechtsprechung aus: Brohm, Die Verwaltung 1991,44 f . • 73 Vgl. Sautholf, NVwZ 1988,699 m.w.N . •7. So Sad/er, VwVG, § 3, Anm. 10. m Eingeführt durch Gesetz zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes vom 14.12.1984, BGBI I S. 1515.
m. Öffentliche Abgaben und Kosten
115
VwG0176 • Der Weg über eine bereichsspezifische Regelung des Sofortvollzugs wird als Beleg dafür gewertet, daß die Beseitigung des Suspensiveffekts in Zweifelsfällen Aufgabe des Gesetzgebers (Regelung i.S.d. Ziffer 3) und nicht der Rechtsprechung (extensive Auslegung der Ziffer 1) seim. Als weiterer Fall ist § 90 Abs. 3 BSHG zu nennen. Wenn danach der durch Verwaltungsakt zu bewirkende Übergang von Ansprüchen des Sozialhilfeträgers gegen Dritte "sofort vollziehbar" ist, wird die Durchführung des Regresses beschleunigt. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO erlaubt die behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehung, wenn das öffentliche Vollzugsinteresse gegenüber demindividuellen Aufschubinteresse überwiegt l78 • Das rein fiskalische Interesse an einem Zahlungseingang genügt hier aber nicht, weil schon der generalisierte Sofortvollzug nach Ziffer 1 eine restriktivere Auslegung verlangt179 • Zudem zeigt § 80 Abs. 3 VwGO für diesen Fall, daß das Erhebungsinteresse, welches dem Leistungsbescheid zugrunde liegt, die Anordnung der sofortigen Vollziehung noch nicht rechtfertigt. Bei Geldforderungen liegt aber der Finanzierungsgedanke schon in der Abgabenerhebung als solcher. Soweit es um den stetigen Mittelfluß geht, greift bereits § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ein l80 • Als Einzelfall ist deshalb nur die (seltene) Konstellation denkbar, daß die Verwaltung gerade dieses Geld benötigt. Daneben kommt der Sofortvollzug nur als Sicherungsvollzug in Betracht, wenn also die Durchsetzung des Anspruchs sonst gefährdet wäre181 •
176 Vgl. hierru besonders Kloepfer, JZ 1983, 742 ff.; SchrlJder, DÖV 1983, 667 ff.; VGH Mannheim, DVB11984, 345; weitere Nw. bei Schoch, S. 1214 Fn. 81 und 1218 Fn. 101. 117 Vgl. etwa Schoch, S. 1214 f. 171 Vgl. aus der Fülle der Literatur und Rechtsprechung etwa Schoch, S. 1234 ff. und BVerwG, DVB11982, 836 ff. Anschaulich auch die Kontroverse zwischen Renck, DVBI. 1990, \038 ff. und Hamann, DVBI. 1989,969 ff.; 1990,1040 f. 119 Vgl. OVG Koblenz AS 9, 280; VerwRspr 21,877; Hilberle, DVBI. 1967,220. 110 Vgl. zur untergeordneten Bedeutung des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO fiir die staatlichen Geldforderungen, Schoch, S. 1204; Pie1znerlRonellenjitsch, Öffentliches Recht, § 47, Rn. 2; Wahlers, ZBR 1983,357. 111 Hier könnte man allerdings einwenden, daß gegenüber dem Sofortvol\zug das Verlangen nach einer Sicherheitsleistung entsprechend dem Vorbild der §§ 80 Abs. 5 S. 4 VwGO, 361 Abs. 2 S. 3 AO der mildere Eingriff wäre; vgl. hierru Felix, DStR 1987,543 ff.
116
2. Kap.: Typologie und Einzelfälle
2. Der Begriff der öffentlichen Abgabeo und Kosten (§ 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO)
a) Wortlaut, Sinn und Zweck der Vorschrift Nach der für den Sofortvollzug elementaren Ziffer 1 des § 80 Abs. 2 VwGO entfällt die aufschiebende Wirkung der Rechtsbehelfe gegen die Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten l82 . Der Begriff der "öffentlichen Abgaben" ist zwar umstritten 183, besitzt aber einen unzweifelhaften "Begriffskern" . Danach sind jedenfalls die "klassischen"l84 Steuern, Gebühren und Beiträge sofort vollziehbar. Hinzu kommen die öffentlichen Kosten, soweit sie als Entgelt für ein selbständiges (isoliertes), förmliches Verwaltungs(vor)verfahren erhoben werden l8s . Darin erschöpft sich aber auch der Inhalt, der dem § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO noch zweifelsfrei entnommen werden kann. Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Vorschrift sind im übrigen ohne klaren Aussagegehalt l86 . Aber auch die systematische Auslegung ist unergiebig. Dem Regel-Ausnahme-Verhältnis von § 80 Abs. 1 und Abs. 2 VwG0187 kommt insoweit nur eine schwache Indizwirkung zu. Die von der h.M. propagierte "enge Auslegung"l88 ist schon methodisch angreifbar l89 , jedenfalls zu ungenau. Entscheidend ist also die teleologische Interpretation. Nimmt man mit der h.M. den fortlaufenden Mittelfluß zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben l90 zum Ausgangspunkt der Interpretation, ergibt sich folgendes: Der extensiven Berücksichtigung der staatlichen Finanzierungsinteressen durch die Rechtsprechung,
'02 Gleiches gilt nach § 69 Abs. I S. I FGO für die Anforderung von Steuern und nach § 97 SGG (im Umkehrschluß) für die Anforderung von Sozialversicherungsbeiträgen. Diese Fälle sind, was ihre Auslegung betrim, unproblematisch, sodaß der folgenden Untersuchung alleine § 80 Abs. 2 Nr. I VwGO zugrunde gelegt werden kann. '.3 Zusammenfassend Schoch, S. 1201 ff. Vgl. bereits BVerwGE6, 134 (138); BVerfGE 13,181 ff. ,.. Vgl. Wahlen, ZBR 1983,357; Schneider, VBIBW 1988, 161. ,•• EyennannlFröhler, VwGO, § 80, Rn. 19. '86 Schoch, S. 1204 f.; das ist allgemeine Meinung. Instruktiv hierzu VGH Kassel, DÖV 1983, 1012 f.; OVG Lüneburg, NJW 1983,2462 f.; vgl. auch Kloepfer, JZ 1983,749. 'Cl Dazu Schoch, S. 1128 ff. ,.. Vgl. hierzu VGH Kassel, NJW 1980, 1248; Wahlen, ZBR 1983,357. '19 Hierzu auch (kritisch) Kloepfer, JZ 1983,749 unter Berufung auf Larenz, Methodenlehre (4. Aufl.), S. 344. '90 Vgl. etwa Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn. 534; Schoch, S. 1206 f.; BayVGH, NVwZ 1987, 63 (64); VGH Mannheim, DVBI. 1984,345; OVG Koblenz, NVwZ 1987, 64 (65); jüngst auch OVG Hamburg, KStZ 1990, 170 (171).
m. Öffentliche Abgaben und Kosten
117
die sich von jedem Bemühen um Systematisierung gelöst hat, ist in Anlehnung an den VGH Mannheim191 das restriktive Merkmal der "Sicherung einer geordneten Haushaltsführung" entgegenzustellen l92 • Dies ergibt sich aus dem gemeinsamen Zweck der §§ 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, 69 Abs. 1 S. 1 FGO'93, Störungen bei der stetig fortlaufenden Deckung des hoheitlichen Finanzbedarfs abzuwehren l94 • Demzufolge kann die "Ziffer 1" nur solche Geldbeträge erfassen, auf die die öffentliche Hand zur Aufgabenerfüllung angewiesen19S ist und auf deren Eingang der Staat sich verlassen dürfe, da sie berechenbar festgelegt sind l96 • Damit ist auch eine interessengerechte Risikoverteilung vorgenommen. Genauso wie danach die unzweifelhaften Fälle wie Steuern, Gebühren und Beiträge erfaßt werden, sind diejenigen Abgaben auszuschließen, die als Lenkungsinstrument eingesetzt werden l97 • § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist also keine Norm zur bloßen Vereinfachung der Abwicklung von Geldleistungsansprüchen der öffentlichen Hand. b) Steuern
Zu den klassischen Steuern l98 zählen diejenigen, die im Anwendungsbereich der Abgabenordnung bzw. der Kommunalabgabengesetze der Länder
'9'
DVBI. 1984, 345. '92 So auch Schoch, S. 1209. Vgl. danebenSchröder, DÖV 1983,672; Erichsen, Jura 1984,419; Schmin Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht,Rn. 377; OVG Berlin, NVwZ 1987,61 (62). '93 Die Materialien zur VwGO nehmen bekanntermaßen Bezug auf die Steuergesetzgebung; vgl. bereits oben im 1. Kap. bei Fn. 185. ,.. Vgl. Schoch, S. 1208. t9l So dezidiert Schoch, ebenda. '96 Zu diesem Merkmal näher unten S. 132 ff. '97 Schoch, S. 1209; vgl. weiterhin Kloepfer, JZ 1983,749. '9' Der Steuerbegriffist heute legaldefiniert und es besteht Einigkeit darüber, daß diese Definition auch der Auslegung der steuerrelevanten Vorschriften des Grundgesetzes zugrundezulegen ist; vgl. BVerlUE 3,407 (435); 55, 274 (299). Nach § 3 Abs. I AO sind Steuern "Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung fiir eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutriffi, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft; die Erzielung von Einnahmen kann Nebenzwecksein. Zölle und Abschöpfungensind Steuern im Sinne dieses Gesetzes". Von den drei prägenden Merkmalen ("von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen auferlegte Geldleistung" , "zur Erzielung von Einnahmen", "keine Gegenleistung fiir eine besondere Leistung") ist das zweite zur Auslegung des § 80 Abs. 2 Nr. I VwGO besonders relevant. Wenn die "ratio legis" dieser Vorschrift in der Sicherstellung der Finanzierung der öffentlichen Haushalte gesehen wird, dann gewinnt die Einnahmeerzielung besondere Bedeutung.
118
2. Kap.: Typologie und Einzelfälle
in Einzelsteuergesetzen geregelt sind l99 • Für die Abgrenzung gilt: All das, was steuerliche Abgabe ist, ist sofort vollziehbar. Auf nichtsteuerliche Abgaben ist (neben den Gebühren und Beiträgen) § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hingegen nur anwendbar, wenn man den Begriff "öffentliche Abgaben" insoweit ausdehnt. Deshalb zählen die Sonderabgaben zu den Problemfällen, weil bereits ihre begriffliche, und erst recht die normative Zuordnung umstritten ist200 • Gleiches gilt für die Kategorie der "sonstigen Abgaben", die weder Steuer noch Vorzugslast oder Sonderabgabe sind201 • c) Vorzugslasten
Gebühren2112 und Beiträge203 bilden zusammen204 die sog. Vorzugslasteno Ihnen ist gemeinsam, daß der Geldforderung eine individuell zurechenbare Gegenleistung entspricht"s. Die staatliche Gegenleistung unterscheidet die Vorzugslasten von den Steuern, die voraussetzungslos erhoben werden206 • Im Gegensatz zu den "steuerähnlichen" Sonderabgaben, deren Aufkommen einer Gruppe dient, muß die Gegenleistung (als wirtschaftlich bewertbare Chance oder als zurechenbar verursachtes staatliches Handeln20) bei den steuerunähnlichen208 Vorzugslastenjedem Abgabepflichtigen zugute kommen. Neben dem .99 Beispiele bieten die Steuern auf das Einkommen (Einkommen- und Körperschaftsteuer), Erbschaft- und Schenkungsteuer, Steuern vom Substanzertrag (Vermögen-, Grund- und Gewerbesteuer), Steuern auf die Einkommensverwendung (Umsatzsteuer, Verkehrsteuern) und zahlreiche Verbrauch- und Aufwandsteuern, die den Konsum belasten oder an den Gebrauch von Gegenständen anknüpfen), sowie die Kirchensteuer. Für die Steuern gilt freilich weitgehend die AO/FGO und nicht § 80 Abs. 2 Nr. I VwGO. 200 Vgl. hielZU unten S. 120 ff., 136 ff. 20. Charakteristisch sind die Künstlersozialversicherungsabgabe(vgl. BVerfGE 75, 108) und die sog. Fehlbelegungsabgabe(vgl. BVerfGE 78,249); zu letzterer vgl. unten S. 137. 202 Gebühren sind "öffentlich-rechtliche Geldleistungen, die aufgrund individuell zurechenbarer öffentlicher Leistungen dem Bürger durch eine hoheitliche Maßnahme auferlegt werden und dazu bestimmt sind, in Anknüpfung an diese Leistung deren Kosten ganz oder teilweise zu decken"; ROIIUJnder, S. 17 im Anschluß an BVerfGE 50,217 (226); vgl. auch BVerfGE 7,244 (254); 18, 392 (396); 20, 257 (269); BVerwGE 4, 342 (346). 203 Beiträge sind "öffentlich-rechtliche Geldleistungen, die zu einer Beteiligung der jeweiligen Interessenten an den Kosten einer öffentlichen Einrichtung fUhren, von der sie Nutzen haben"; RonllJnder, S. 17 im Anschluß an BVerfGE 9,291 (297). 204 Für eine erweiternde Auslegung des Gebührenbegriffs unter Einbeziehung der (herkömmlichen) Beiträge Wilke, S. 138 ff. 20' Jarass, DÖV 1989, 1015. 206 Vgl. BVerfGE 78,249 (267). 207 Vgl. zur Gebühr im Bußgeldverfahren Wilke, S. 105. 201 Zum Begriffspaar "steuerähnlich/steuerunähnlich " Jarass, DÖV 1989, 1013 ff.
m. Öffentliche Abgaben und Kosten
119
"Entgeltcharakter" werden die Vorzugslasten durch den "Kostenbezug" charakterisiert. Damit sind die finanziellen Aufwendungen des Staates gemeint, die sich der Staat durch die Gebühren und Beiträge ganz oder teilweise bezahlen läßt3l9 • Problematisch sind deshalb die sog. Verleihungsgebühren21O • In diesen Fällen leistet der Staat nichts, was ihm Kosten verursacht; er leistet nur "ein Recht". Soweit ein zurechenbarer Aufwand des Staates fehlt, sei es eine konkrete Leistung, das Vorhalten einer Einrichtung oder die Verursachung von Verwaltungstätigkeit durch den Bürger, gerät die Verleihungsgebühr in Konflikt mit der Finanzverfassung. In den übrigen Fällen kommt - je nach Sichtweise die Einstufung als Vorzugslast oder als Sonderabgabe in Betrachtl". In jedem Fall sind die "klassischen" Gebühren und Beiträge sofort vollziehbar, also Gebühren und Beiträge nach den Kommunalabgabengesetzen oder den Landesgebührengesetzen, Erschließungsbeiträge u.ä.
d) Öffentliche Kosten
Als öffentliche Kosten wurden bereits diejenigen staatlichen Geldforderungen bezeichnet, die in einem förmlichen Verwaltungs(vor)verfahren anfallen, und die Gegenstand eines selbständigen Kostenbescheids sind2l2 • Unzweifelhaft werden davon diejenigen Geldforderungen erfaßt, die als Gebühren und Auslagen inhaltlich den Verwaltungskostengesetzen unterliegen; sie werden nach festen, allgemeingültigen Sätzen erhoben2l3 • Die zahlreichen Zweifelsfälle beruhen schon auf dem Umstand, daß (außer den reinen Strafgeldem) alle nicht-steuerlichen Geldforderungen des Staates mit einer (im Hinblick auf Dienstleistungen und Sachmittel) finanziell relevanten Verwaltungstätigkeit
Kirchhof, in: HStR IV, § 88, Rn. 181: VOrnJgslastenals "zurechenbarerAufwand". VgI. Hendler, AöR 115 (1990),602 ff. Beispiele bieten die bergrechtliche Förderabgabe, die Spielbankenabgabeoder das Lizenzentgelt fiir die Abfallablagerung. Die Einordnung der ehemals darunter subsumierten Ferruneldegebühr ist nach der Postreform fraglich geworden. VgI. auch § 17a BW WG (Entgelt für Wasserentnahmen). 211 Zum MeinungsstandJarass, DÖV 1989, 1016. Sehr kritisch Kirchhof, in: HStR IV, § 88, Rn. 187: Die Anknüpfung einer Abgabe an einen Akt der Rechtsverleihung wäre eine "Zugangsbarriere für das Recht". Eine solche "Kommetzialisierung der VelWaltung" gäbe die Errungenschaft des Steuerstaates preis, die Unbefangenheit des VelWaltungsentscheids gegen fiskalische Ertragsanliegen abzuschirmen. 2.2 VgI. Redeker/von Oertzen, VwGO, § 80, Rn. 15. m Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn. 542; Redekerlvon Oertzen, VwGO, § 80, Rn. 19; VG Neustadt, NVwZ 1991,705. 209
2.0
120
2. Kap.: Typologie und Einzelfiille
zusammenhängen und damit einen "Kostenbezug" haben. An welchen Kriterien eine funktionsgerechte Auslegung des Kostenbegriffs in § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu messen ist, bleibt zu untersuchen214 •
IV. Ausgewählte Grenzfälle 1. Sonderabgaben und "sonstige Abgaben"
Der Sofortvollzugs staatlicher Geldforderungen war lange Zeit kein Thema der rechtsdogmatischen Diskussion. Der Kreis der in Frage kommenden Abgaben war (qualitativ) begrenzt. Erst durch den "Erfindungsreichtum" des Gesetzgebers in Bezug auf die Schaffung neuer Einnahmequellen21S und den Funktionswandel der staatlichen Geldforderung wurde die Problematik belebt. Das gilt seit etwa 20 Jahren für die sog. Sonderabgaben. Wenngleich diese Abgabeform Vorläufer aus früherer Zeit kennt216, ist ihre Bedeutung erst in den siebziger Jahren sprunghaft gestiegen217 • Heute zählen sie zu den problematischsten "Abgaben", insbesondere, was ihren (Sofort-) Vollzug betrifft. Das Meinungsbild zur Frage des Sofortvollzugs von Sonderabgaben ist unübersichtlich. Es zu ordnen, fällt schwer, da es bis heute nicht gelungen ist (und wohl auch nicht gelingen kann), den "Sonderabgaben" wenigstens begrifflich eine Heimat zu geben. Die Rechtsprechung des BVerfG hat diesen Geldforderungen zwar Konturen verliehen 21B , die eine Abgrenzung im System
214 Vgl. zu den Säumniszuschlägen unten S. 125 f., 139; zu den Kosten der Ersatzvornahme unten S. 126 f., 139. 21> Henseler, NJW 1987,3103. 2'6 Zur Sonderabgabendiskussionbis 1972 Puwalla, S. 59 ff.; vgl. auch Richter, S. 13 und Götz, AöR 85 (1960),200 ff. 217 Diese zeitliche Zäsur hat folgenden Hintergrund: Früher wurden Steuern votwiegend geschaffen, um die öffentlichen Kassen zu tüllen. Die Einnahmeerzielung war keineswegs immer Hauptzweck, was sich nunmehr auch in der Legaldefinition des § 3 Abs. 1 S. 1 2. HS AO niedergeschlagenhat. Die erzielten Einnahmen flossen aber in den allgemeinen Staatshaushalt, auch wenn die Abgabe Lenkungscharakterhatte. Seitdem der Gesetzgeber aber durch "gruppennützige" Sonderabgabengezielt in den Wirtschafts- und Umweltsektor eingreift, haben diese Geldforderungen ihre Funktion als "allgemeine Einnahmequelle" verloren. Wollte man diese Abgaben, ungeachtet der verfassungssystematischen Einordnung (dieses Merkmal hebt Schoch, S. 1212 hervor), ohne weiteres dem Anwendungsbereich des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO unterstellen, dann würden die Konturen zwischen öffentlichen Abgaben und sonstigen staatlichen Geldforderungen vetwischt. Gerade tür die Sonderabgabenist deshalb die Maßgeblichkeit des Sofortvollzugs äußerst umstritten. 2'" Vgl. BVertUE 55,274; 57, 139; 67, 256; 75,108; 78, 249.
IV. Ausgewählte Grenzfälle
121
der öffentlichen Abgaben erleichtern. Ihr wird jedoch vorgeworfen, einzelfallbezogen und z. T. widersprüchlich zu sein 219 • Die Systematisierungsversuche der LiteraturZ'D bringen zwar viel Licht in das Dunkel der verfassungssytematischen Zusammenhänge, tragen aber wegen ihrer hochdifferenzierenden Betrachtungsweise wenig zur "Handhabbarkeit " der Sonderabgaben bei221 • Das zeigt sich gerade im vorliegenden Problemzusammenhang. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Sonderabgaben ist so auf die Fragen der begrifflichen Abgrenzung und (verfassungs-) rechtlichen Legitimation zugeschnitten, daß die verwaltungsrechtlichen und verwaltungsprozessualen (Folge-) Probleme viel zu kurz kommen222 • Der Meinungsstand wird von zwei Faktoren geprägt, die zusammen gewissermaßen die Ausgangslage bilden. Der erste Faktor ist die "Weite" der Auslegung des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO: Beschränkt sich diese Vorschrift a priori auf Steuern, Gebühren und Beiträge (im engeren Sinne!) oder läßt sie weitere "Abgabenmischformen" zu? Beantwortet man diese Frage im letzteren Sinne, kommt als zweiter Faktor die "Funktionsbetrachtung" jeder einzelnen Sonderabgabe hinzu: Läßt die Zweckbestimmung der Sonderabgabe eine Vergleichbarkeit mit den "unzweifelhaften" öffentlichen Abgaben zu oder gehören sie kraft dessen zu den sonstigen Geldforderungen, für die das Gesetz bewußt den Suspensiveffekt zur Regel gemacht hat? Betrachtet man die Judikatur unter diesen Gesichtspunkten, so fällt auf, daß die Ausgangslage selbst nicht mehr in Frage gestellt wird. Danach sind öffentliche Abgaben solche "öffentlich-rechtlichen Geldforderungen, die von allen erhoben werden, die einen bestimmten, normativ festgelegten Tatbestand erfüllen und die der Deckung des Finanzbedarfs des Hoheitsträgers für die Erfüllung seiner Aufgaben dienen"m. Ob diese der staatlichen Finanzierung dienen224 oder eben nicht dienen22S , hängt von der Rechtsnatur der Abgabe Heun, DVBI. 1990,666. Vgl. Henseler, S. 27 ff.; Puwalla, S. 80 ff.; Jarass, DÖV 1989, 1013 ff.; Heun, DVBI. 1990,666 ff.; Kirchhof, in: HStR IV, § 88, Rn. 240 ff. 221 Vgl. etwa die Kritik des Konzepts von Henselerbei Heun, DVBI. 1990,667 in Fn. 13. 222 Vgl. aus den wenigen ausführlichen Stellungnahmen zum Problem des Sofortvollzugs von SonderabgabenKloepfer, JZ 1983,748 ff. 223 Vgl. BayVGH, DÖV 1987,32 (34) m.w.N. 22A Vgl. OVG Berlin, NVwZ 1987, 61; VGH München, DÖV 1987,32; VG Berlin, NVwZ 1984,59 Geweils zur Fehlbelegungsabg8be);OVG H8mburg, KStZ 1990, 170, 171 (zur Gebühr für die Förderung von Grundwasser); NVwZ 1990, 1002 f. (zum Ausgleichsbetrag nach § 154 Abs. I BauGB). 22> Vgl. OVG Münster DÖV 1984,391; DVBI. 1984,353 (zur Fehlbelegungsabgabe). 219
220
122
2. Kap.: Typologie und Einzelfalle
ab. Gerade an den "lenkenden Sonderabgaben " zeigt sich die Trennlinie zwischen "enger" und "weiter" Auslegung. Wer die Interessen des Abgabenschuldners höher gewichtet, beschränkt den Anwendungsbereich des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf "Steuern, Gebühren und Beiträge i.e.S."226 und schließt Sonderabgaben, zumindest solche mit überwiegender Lenkungsfunktion227 , vom Sofortvollzug generell aus228 • Steht hingegen der staatliche Finanzbedarf im Vordergrund, erlaubt eben die "sprachlich sehr weit gefaßte Formulierung der öffentlichen Abgaben und Kosten"229 die Einbeziehung der Sonderabgaben in den Sofortvollzug230 • Das gilt aber nicht nur für die Sonderabgaben i.e.S., sondern auch für die "sonstigen Abgaben", wie die Zitate zur Fehlbelegungsabgabe zeigen. Wenngleich zuweilen der "Schwerpunkt" solcher Abgaben, die sowohl Finanzierungs- als auch Lenkungsfunktion haben, entscheidef3 1, wird doch kaum gesehen, daß eigentlich alle staatlichen Geldforderungen irgendwie den Staat (mit-) finanzieren 232 . Gerade das Beispiel der Abwasserabgabe (nach altem Recht) zeigt die Probleme solcher "funktionsorientierten Auslegung": Nach einer Auffassung diente die Abwasserabgabe "als Deckungsmittel für einen Ausschnitt von Staatsaufgaben und damit der Finanzierung öffentlicher Aufgaben "233. Nach der Gegenaufassung war dies gerade nicht "Ziel der gesetzlichen Regelung "234; das "Idealziel der Regelung wäre es, wenn die Abwasserabgabe überhaupt nicht mehr zu erheben wäre, weil kein schädliches Abwasser mehr eingeleitet würde"23s. Damit ist letztlich die Unterscheidung von "primärer" und "sekundärer" Einnahmefunktion staatlicher Geldforderun-
So ausdrücklich OVG Lüneburg, DVBI. 1983,948; VGH Kassel, DVBI. 1983,949. Zur Differenzierung zwischen Sonderabgaben mit Finanzierungsfunktion und solchen mit Antriebsfunktion ausdrücklich OVG Münster, NVwZ 1984,394. 221 Ähnlich wie zum SofoftVollzug differenziert die Rechtsprechung auch beim Konkursvorrecht nach § 61 Abs. 1 Nr. 3 KO. Hier seien nur diejenigen Forderungen privilegiert, wenn sie dazu dienten, "aus Gründen allgemeinen Interesses die öffentlichen Einnahmen, deren der Staat zur Erfüllung seiner Aufgaben bedarf, vorzugsweise sicherzustellen", BVerwG, NJW 1990, 3162 m.w.N. (zur Ausgleichsabgabe); vgl. auch BVerwG, NJW 1990,3261 (zu den Rundfunkgebührenforderungen). Zu § 61 Abs. I Nr. 2 KO vgl. BVerwG, JZ 1986, 198 einerseits und Ganter Geist, Insolvenzen und Steuern, 3. Aufl. 1980, Tz. 53 andererseits. 229 BayVGH, DÖV 1984,595 (596). 230 Vgl. VGH Mannheim, DVBI. 1984, 345 unter Beschränkung auf Sonderabgaben mit Finanzierungsfunktion. 231 Vgl. VGH Mannheim, DVBI. 1984,345 f. 232 Vgl. aber VGH Kassel, DVBI. 1983,949 (950). m VGH Mannheim, DVBI. 1984,345 (346) . ... VGH Kassel, DVBI. 1983,949 (951). m Sog. "sterbende Abgabe", vgl. Kloepfer, JZ 1983,750; ders., DÖV 1975,595. 226 227
IV. Ausgewählte Grenzfälle
123
gen angesprochen236 • Entscheidend müssen hier die Gründe für den Sofortvollzug herangezogen werden, die diesen gegenüber dem Regelvollzug rechtfertigen. Dabei ist die Gesamtwirkung der beiden Alternativen gegenüberzustellen. Die skizzierte obergerichtliche Rechtsprechung hat dieses Problem aufgeworfen, aber noch nicht gelösf31 • In der Literatur hat sich Schoch am ausführlichsten zu dieser Problematik geäußert. Nach seinem Konzept fallen die sog. Sonderabgaben aus dem Anwendungsbereich des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO heraus. Damit wendet er sich insbesondere gegen das OVG Müoster2:l8. In dessen Judikatur erfolgt die Abgrenzung nach der Funktion der jeweiligen Sonderabgabe. Habe diese (auch) Finanzierungsfunktion, so dürfe sie sofort vollzogen werden, anderenfalls (bei reiner Antriebs- oder Lenkungsfunktion) scheide ein Sofortvollzug aus239 •
Dagegen setzt Schoch verfassungssystematische Gründe240 : Wenn das BVerfG Sonderabgaben insbesondere aus deren gruppennützigen Abgabenverwendung legitimiere241 , resultiere daraus deren Ausschluß aus § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Sonderabgaben dürften eben nicht zur Gewinnung von Mitteln für den allgemeinen Finanzbedarf erhoben werden, sondern dienten der Finanzierung besonderer Aufgaben242 • Dann aber seien diese mit den "klassischen" Abgaben, die der Sicherung der allgemeinen Haushaltsführung dienten, nicht vergleichbar243 • Der Lenkungszweck der Sonderabgaben sei typischerweise Sache einer bereichs- und einzelfallspezifischen Regelung nach § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGQ244. Wenn danach der Gesetzgeber "von Fall zu Fall" über den Sofortvollzug entscheide, könnte man dem Typus der verschiedenen Sonderabgaben eher gerecht werden. Dieses flexible Handlungsmodell diene letztlich der Rechtssicherheit24s.
Vgl. oben S. 93 ff. (94). Zum Konzept des Verfassers siehe unten S. 130 ff. 231 NVwZ 1984,394 (2. Senat). 239 Ähnlich auch BayVGH, NVwZ 1987,63 (64); OVG Koblenz, NVwZ 1987,64 (65). 2" Schoch, S. 1212; vgl. auch Kloepfer, JZ 1983, 751. 241 Vgl. hielZUjüngst BVerfU, NVwZ 1991, 52, 53 (zu § 128 AFG) und NVwZ 1991, 53, 54 (zu § 10 AbsfondsG) mit Bspr. von Schmidt, NVwZ 1991, 36 ff., dort besonders S. 37 zur Gruppennützigkeit. 242 Kloepfer, JZ 1983, 750; vgl. dazu jüngst auch Heun, DVBI. 1990,669 ff.; Jarass, DÖV 1989, 1017f. 243 Das Aufkommen der Sonderabgabe verbleibt außerhalb des allgemeinen Staatshaushalts, Kirchhof, in: HStR IV, § 88, Rn. 21. 244 Schoch, S. 1213 f. 245 Schoch, S. 1214; instruktiv hierzu wiederum VaH Kassel, ESVGH 33,291 (292 f.). 236 237
124
2. Kap.: Typologie und Einzelfälle
Demzufolge lehnt Schoch die Anwendbarkeit des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auch auf die Fehlbelegungsabgabe ab246 • 2. NutzuDgsentgeite
Nach den §§ 15 bis 19 der Hochschulnebentätigkeitsverordnung (HNtV) auf der Grundlage von § 75 LBG ~7 können Beamte an einer Hochschule im Rahmen einer Nebentätigkeit zu einem Nutzungsentgelt für die Inanspruchnahme von Einrichtung, Personal und Material des Dienstherrn herangezogen werden248 • Ob dieses Nutzungsentgelt eine öffentliche Abgabe i.S. d. § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist, ist umstritten. Das OVG Münster zählt das Nutzungsentgelt nicht in diese Kategorie249 • Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Anforderung haben danach aufschiebende Wirkung2S0 • Nach dieser Rechtsprechung habe das Nutzungsentgelt keine den öffentlichen Abgaben entsprechende Finanzierungsfunktion, sondern solle die wirtschaftlichen Vorteile ausgleichen, die den Beamten durch Inanspruchnahme der staatlichen Einrichtungen entstehen. Damit sei das Nutzungsentgelt eher als Wertausgleich oder Aufwendungsersatz einzustufen. Insgesamt liege zwischen dem Beamten und seinem Dienstherrn kein "typisches" Abgabenschuldverhältnis vor2S l . Die Zahlung des Nutzungsentgelts sei eine Nebenpflicht aus dem Beamtenverhältnis; auf seinen stetigen Eingang sei der Dienstherr nicht angewiesen. Die entgegengesetzte Meinung vertritt die Literatur, allerdings mit unterschiedlicher Begründung. Wahlers sieht in dem Nutzungsentgelt eine "Benutzungsgebühr"2S2 zum "Ausgleich jener wirtschaftlichen Vorteile, die dem 246 Schoch, 1219 f. Gleiches gelte fiir die Ausgleichsbeiträgenach § 41 Abs. 4 StBauFG oder zur Ablösung der Stellplatzptlicht. 247 Ähnliche Regelungen finden sich auch in den anderen Bundesländern, vgl. etwa §§ 10-14 HNTVO BW (Verordnung vom 30.6.1982, GBI. S. 388). 241 Ein praktisch wichtiger Fall ist das sog. "Bettengeld " , das Ärzte der Universitätskliniken fiir die Behandlung von Privatpatienten zu zahlen haben. Hierbei geht es immerhin um jährlich über 10 Mio. DM an Einnahmen aus Nebentätigkeiten. vgl. hielZU Wahlers, ZBR 1982, 44 ff. (zur Verfassungsmäßigkeit des Beuengeldes) und umfassend Weissauer/Hirsch, Nutzungsentgelt der Hochschulkliniker, 1980. 249 DVBI. 1986,475. 2j(J Ebenso OVG Lüneburg, Beschluß vom 7.11.1985 - 5 OVG B 7/85. 2$1 Im Ergebnis ebenso VG Stuttgart, MDR 1980, 169, 170 (kein gebührenptlichtigerTatbestand im echten Sinne); vgl. auch VG Aachen (Nw. bei Wahlers, ZBR 1983,365). 2>2 So auch BayVGH, NJW 1972,355 (356).
IV. Ausgewählte Grenzfälle
125
Beamten durch eine allgemein oder im Einzelfall genehmigte Inanspruchnahme von Personal, Material und Einrichtungen des Dienstherrn für Zwecke der Nebentätigkeit erwachsen"253. Zwar benötige der Dienstherr das Nutzungsentgelt nicht unbedingt zur Deckung seiner Kosten für das Vorhalten der Einrichtung. Für den Gebührenbegriff genüge aber auch der Vorteilsausgleich, der hier unzweifelhaft gegeben sei 2S4 • Dies bestreitet wiederum Lecheier. Ein Vorteil sei nicht gegeben, weil die Benutzung der Einrichtungen des Dienstherrn eine "Entschädigung" für das Verbot darstelle, Nebentätigkeiten außerhalb des öffentlichen Dienstes auszuführen 25S . Das Nutzungsentgelt sei deshalb als "Sondersteuer" einzustufen256 . Einig sind sich diese Stimmen jedoch darin, daß das Nutzungsentgelt sofort vollziehbar sei, weil es i.S.d. § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO eine öffentliche Abgabe, sei es als (Benutzungs-) Gebühr oder (Sonder-) Steuer, darstelle. 3. Säumniszuschläge
Nach § 3 Abs. 1 Nr. 5 b BW KAG i.V.m. § 240 AO werden Säumniszuschläge auf die Abgabenschuld erhoben, wenn der Bürger eine fällige Abgabenforderung nicht rechtzeitig begleicht257 . Der Säumniszuschlag ist selbst keine Steuer, sondern eine steuerliche Nebenleistung (§ 3 Abs. 3 AO). Es ist streitig, ob Rechtsbehelfe gegen seine Anforderung aufschiebende Wirkung haben. Insbesondere die obergerichtliehe Rechtsprechung ist in dieser Frage geteilt. Grundlegend für die den Sofortvollzug ablehnende Ansicht ist eine Entscheidung des VGH Mannheim aus dem Jahr 1971 258 . Ausgehend von dem Zweck des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, Geldbeträge ohne Verzögerung durch Rechtsbehelfe zur Verfügung zu stellen, untersucht das Gericht die Rechtsnatur
Wahlers, ZBR 1983,358 f. Vgl. zum GebührenbegriffWilke, S. 100,283. 2>S LecheIer, ZBR 1984, 182. Hiergegen wiederum Wahlers, ZBR 1984, 182 ff.: Der Entgeltcharakter sei schon durch den unmittelbaren und untrennbaren Zusammenhangzwischen der Inanspruchnahme der Einrichtung und dem Nutzungsentgelt gegeben. Das beamtenrechtliche Alimentationsprinzip kenne keine weitere "Entschädigung". 2'" LecheIer, NJW 1983, 1363. Hiergegen wiederum Wahlers, ZBR 1983,357 f. und der VGH Mannheim, NJW 1976,2314 (2315): Eine Steuer scheide schon wegen der Gegenleistung aus, für die das Nutzungsentgelt erhoben werde. 2S7 Ähnliche Regelungen finden sich in den Kommunalabgabengesetzenanderer Länder. 2>1 Vgl. VGH Mannheim, KStZ 1972,59. 2>3 250
126
2. Kap.: Typologie und Einzelfälle
des Säumniszuschlags. Dieser diene nicht der unmittelbaren Bedarfsdeckung, sondern habe die Eigenschaft eines Druckmittels. § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO dürfe als Ausnahmeregelung nicht seinem Zweck zuwider ausgedehnt oder analog angewendet werden; eine rechtliche Gleichstellung mit den öffentlichen Abgaben sei deshalb nicht geboten. Sie sei auch praktisch entbehrlich, weil schon die Drohung mit dem Druckmittel die entscheidende Zwangswirkung entfalte2S9 • Von der gleichen Ausgangsgrundlage kommt das OVG Bremen zum gegenteiligen ErgebnisUJO • Es hält den Sofortvollzug fiir erforderlich, weil der Säumniszuschlag als Druckmittel sonst ineffizient bliebe. Anders als das Zwangsgeld sei der Säumniszuschlag schon deshalb § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzuordnen, weil er der Durchsetzung einer öffentlichen Abgabe und nicht eines sonstigen Verhaltens diene. Ähnlich entschied zuvor das OVG Münster261• Es betonte zudem die gesetzliche Ausgestaltung der Säumniszuschläge. Diese habe ersichtlich zum Ziel, zur Erhöhung ihrer Wirksamkeit die schnelle Einziehung der Säumniszuschläge zu erleichtern262 • 4. Kosten der Ersauvomahme
Einen "Zweifelsfall", der fast schon als geklärt schien, bieten nunmehr wieder die Kosten der Ersatzvornahme. Damit sind besonders die Gebühren und Auslagen gemeint, die anläßlich des Abschleppens eines verbotswidrig geparkten Fahrzeugs enstanden sinlf263. Anlaß zu ihrer Diskussion bietet die Rechtsprechung des VGH München. In einer neueren Entscheidung rechnet das Gericht diese Geldforderungen zu den öffentlichen Kosten i.S. d. § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO und versagt den gegen diese eingelegten Rechtsbehelfen die aufschiebende Wirkung264 • Zur Begründung fiihrt es - recht kurz - aus: Die Kosten der Ersatzvornahme würden nach allgemein gültigen, im voraus festgelegten, also normativen Sätzen erhoben, um den öffentlichen Finanzbedarf zu decken. Eine Differenzierung zwischen den Gebühren (fiir die Verwaltungs-
Im Ergebnis ebenso OVG Koblenz, DÖV 1987,35. uo Vgl. OVG Bremen, KStZ 1986, 153; ebenso Lenzen, BayVBl. 1986,428. "" DVBl. 1984,347. ",2 OVG Münster, DVBl. 1984,347 (348). ",3 Vgl. zur Problematik der Kostentragung in den" Abschleppfallen" Wanenberger, DAR 1983, 155 ff.; Wanenberger/HeckmannlRiggen, Polizeirecht, Rn. 489. 264 Vgl. VGH München, BayVBl. 1990,435. 2""
IV. Ausgewählte Grenztälle
127
handlung der Polizei) und den Auslagen (für das Abschleppunternehmen) sei nicht sinnvoll. Zudem würden rechtswidrig erhobene Beträge später zurückgezahlt. Gegen diese Auffassung steht die ganz h.M. in Rechtsprechung 26S und Literatur266. Danach dienten die Kosten der Ersatzvomahme weder unmittelbar der Deckung des öffentlichen Finanzbedarfs, noch würden sie nach festen Sätzen erhoben267 • Vielmehr ginge es um die Erzwingung von Verwaltungsbefehlen, für die die Kosten nach Grund und Höhe erst nach den Umständen des Einzelfalls bestimmt werden könnten268 • Die Kosten der Ersatzvomahme seien in diesem Fall Gegenstand eines allgemeinen - wenn auch gesetzlich geregelten269 - Erstattungsanspruchs, der lediglich dem materiellen Ausgleich dafür diene, daß die Behörde für die Kosten der Maßnahme in Vorlage getreten sei 21O • Anderes gilt hingegen für die Kosten der Anwendung unmittelbaren Zwangs. Hier wird überwiegend die sofortige Vollziehbarkeit angenommen, weil die gesetzliche Ausgestaltung diese Vollstreckungskosten den Gebühren angleiche271 • Diese Problematik ist nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Gesamtkomplex "Sofortvollzug von Vollstreckungshandlungen"2n. Auf einzelne Aspekte ist bei der Besprechung der vorgenannten Entscheidungen zurückzukommen273 •
Z6> Vgl. OVG Münster, DVBI. 1984,352; NIW 1983,1441; NJW 1967,1980; VGH Mannheim, NVwZ 1986,933; ders., VBIBW 1991,215; OVG Lüneburg, OÖV 1970,789. 266 FinkelnburglJank, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn. 544; PietlJlerlRonellenjitsch, Öffentliches Recht, § 47, Rn. 5; Redekerlvon Oertzen, VwGO, § 80, Rn. 15; Eyennann/Fröhler, VwGO, § 80, Rn. 19 m.w.N. '1G7 Vgl. PietlJlerlRonellenjitsch, Öffentliches Recht, § 47, Rn. 5. Z6I Vgl. VGH Mannheim, NVwZ 1986,933. 269 Vgl. etwa §§ 25 LVwVG BW; 52 PVG RhPf. 270 OVG Münster, DVBI. 1984,352 (353). 27\ Vgl. umfassend VGH Mannheim, NVwZ 1985, 202; FinkelnburglJank, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn. 543; ablehnend Erdmann, NVwZ 1988,508 f. m.w.N. 272 Vgl. hierzu statt vieler Stein, OVBI. 1961,714 ff.; Löwer, DVBI. 1961,909 ff.; weitere Nw. bei Erdmann, NVwZ 1988, 508 f. m Unten S. 138 ff. (139).
128
2. Kap.: Typologie und Einzelfälle
5. "Aufweodungsersatz" nach § 18 Abs. 5 S. 3 AuslG
Nach § 18 Abs. 5 S. 1 AuslG kann der Bundesminister des Innern (im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Verkehr) "einem Beförderungsunternehmer untersagen, Ausländer auf dem Luft- oder Seeweg in den Geltungsbereich dieses Gesetzes zu befördern, wenn diese nicht im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis sind ... " Für jeden Ausländer, den der Unternehmer entgegen diesem Verbot befördert, hat er "zum Ersatz der öffentlichen Aufwendungen infolge des Aufenthalts im Geltungsbereich dieses Gesetzes beizutragen und zu diesem Zweck 2000 Deutsche Mark zu entrichten" (§ 18 Abs. 5 S. 3 AusIOZ74). Ungeachtet der verfassungsrechtlichen Problematik dieser Vorschrift275 ist streitig, ob dieser" Aufwendungsersatz" in den Anwendungsbereich des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO fällt. Nach einer Entscheidung des OVG Münster haben Rechtsbehelfe gegen auf
§ 18 Abs. 5 S. 3 AuslG gestützte Leistungsbescheide aufschiebende Wir-
kung276 • Die Begründung ergibt sich aus dem gewählten Ausgangspunkt, wonach § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO eng auszulegen sei und über den Bereich der herkömmlichen Steuern, Gebühren, Beiträge und Kosten nicht hinausginge. Insbesondere seien Sonderabgaben nicht sofort vollziehbar, weil es Sache des Gesetzgebers sei, bei der Einführung solcher Geldleistungspflichten über die Art der Vollziehbarkeit Rechenschaft abzulegen (§ 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO bereichsspezifische Regelung). Das sei im Fall des" Aufwendungsersatzes" nach § 18 Abs. 5 S. 3 AuslG nicht geschehen. Daß der Gesetzgeber die plausible Möglichkeit, die sofortige Vollziehbarkeit, die bereits in § 18 Abs. 5 S. 2 AuslG für das Beförderungsverbot des S. 1 geregelt war, auf die Geldleistung auszudehnen, versäumt hatte, bestätige dieses Ergebnis. Schließlich komme eine Klassifizierung als "Kosten" nicht in Betracht, weil diese i.S.d. § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf Gebühren und Auslagen im Verwaltungsverfahren beschränkt seien. Die gegenteilige Meinung vertritt der VGH Kassel. In einer im einstweiligen Rechtsschutzverfahren getroffenen Entscheidung ordnete er den "Aufwendungsersatz" den öffentlichen Abgaben i.S. d. § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zum. Zwar sei die Rechtsnatur dieser Geldleistungsverpflichtung (im Eilverfahren) Diese Vorschrift wurde durch Gesetz vom 6.1.1987 (BGBI. I S. 89) angefügt. m Vgl. dazu Amdt, JZ 1991, 296 ff. und unten S. 140 mit Fn. 319. 27. OVG Münster, NVwZ 1989,84; vgl. auch OVG Lüneburg, NVwZ 1989, 1095. 177 VGH Kassel, NVwZ 1989,393.
270
IV. Ausgewählte Grenzfälle
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nicht eindeutig zu klären; jedoch sprächen sehr viele Gesichtspunkte für eine Klassifizierung als Sonderabgabe mit teilweiser Finanzierungsfunktion. Diese unterfielen aber grundsätzlich der Sofortvollzugsregelung, weil nur so dem Zweck des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, die stetig fortlaufende Deckung einer geordneten Haushaltsfiihrung sicherzustellen, genügt werden könne. 6. "Reaktiviell!llde Abgabeofordenmgen"
Die bisherigen Fällen zeichneten sich dadurch aus, daß der Staat die jeweilige Abgabe erstmals, d.h. primär anforderte. Durch einen Leistungsbzw. Abgabenbescheid wurde die Geldforderung festgesetzt und der Bürger zu ihrer Entrichtung aufgefordert. Davon sind die "reaktivierenden Abgabenforderungen " zu unterscheiden. Darunter werden hier diejenigen staatlichen Maßnahmen verstanden, die eine im Vorfeld "ausgesetzte" Zahlungsaufforderung reaktivieren. Beispiele bieten insoweit der Widerruf der Stundung oder die Rückforderung der Erstattung einer Abgabe. Diese Fälle haben einen gemeinsamen Kern. Sie zeichnen sich dadurch aus, daß auf die Durchsetzung einer fälligen Geldforderung (durch Widerruf bzw. Erstattung) zunächst verzichtet wird und anschließend eine zweite Anforderung erfolgt. Diese liegt konkludent in dem Widerruf der Stundung, der den Weg zur Zahlungsaufforderung frei macht und unmittelbar in der Rückforderung. Dennoch wurden diese Fälle von der Rechtsprechung gegensätzlich entschieden278 • Das OVG Kohlenz sieht in der Rückforderung der Erstattung einer Vorausleistung auf einen Entwässerungsbeitrag die Anforderung einer öffentlichen Abgabe im Sinne des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwG(j79. Es begründet seine Ansicht damit, daß der Entwässerungsbeitrag (als unzweifelhafte öffentliche Abgabe) seine Eigenschaft durch die Rückerstattung nicht verloren habe. Dem Zweck des Sofortvollzugs entsprechend, Störungen bei der Deckung des öffentlichen Finanzbedarfs zu vermeiden, müsse deshalb auch die Rückforderung sofort vollzogen werden. Widerspruch und Klage gegen den Widerruf einer Stundung von öffentlichen Abgaben haben nach der Rechtsprechung des VGH München aufschiebende
271 Zu der Rückforderung der Erstattung einer Vorausleistung bzw. den Widerruf einer Stundung äußert sich Schoch, S. 1201 in Fn. 14 nur referierend. Immerhin deutet er durch die Gegenüberstellung der Entscheidungen des OVG Koblenz und des BayVGH die Problematik an. 219 KStZ 1987,216.
9 Hcckmann
130
2. Kap.: Typologie und Einzelfälle
Wirkung280 • Zwar beseitige der Widerruf ein Hindernis für die Vollstreckung des vorangegangen, unanfechtbaren Abgabenbescheids. Dies führe aber nicht dazu, ihn wie die Anforderung von öffentlichen Abgaben zu behandeln. Durch die Stundung habe die Behörde dem Bürger eine günstige Rechtsposition eingeräumt, sodaß es ihr zuzumuten sei, das besondere öffentliche Interesse am Sofortvollzug durch dessen Anordnung im Einzelfall (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) darzulegen. Das darin geforderte erhöhte Vollzugsinteresse sei allerdings durch das allgemeine Finanzierungsinteresse im Sinne einer Mittelbeschaffung zur Bestreitung anstehender Aufgaben nicht dargetan281 • Die gegenteilige Meinung vertrat der VGH München (VI. Senat) in einer früheren Entscheidung2B2. Er ging dabei von dem Zweck des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO aus, den alsbaldigen Eingang öffentlicher Gefälle sicherzustellen. Dem würde es widersprechen, dem Widerspruch gegen den Widerruf einer Stundung aufschiebende Wirkung beizumessen. Wenn in anderen Fällen sogar für die Vollstreckung öffentlicher Abgaben und Kosten die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen entfiele, müsse dies erst recht in dem entschiedenen Fall gelten. Dieser sei nämlich von der eigentlichen Anforderung weniger weit entfernt als die Vollstreckung.
V. Die Notwendigkeit eines generalisierten Vorschusses: "Legitimierende" und "limitierende" Aspekte des Sofortvollzugs 1. Annäherungen an die Interessenlage
Der weitgehend von der Rechtsprechung verursachte bzw. von ihr getragene Meinungsstreit um den Anwendungsbereich des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat auch in der Literatur Resonanz gefunden. Zumeist beschränken sich die literarischen Stellungnahmen aber auf die Besprechung einzelner Entscheidungen oder Sachfragen283 • Im folgenden soll daher versucht werden, einige überge-
KStZ 1987,238. Im Ergebnis ebenso friiher das OVG Münster, VerwRspr. 11 Nr. 180 (zustimmend etwa Stein, DVBI. 1961, 714); aufgegeben in GewArch. 1962, 67. Vgl. zum Meinungsstand auch EyennannlFröhler, VwGO, § 80, Rn. 20 (in der Sache die aufschiebende Wirkung ablehnend). 2S2 BayVB11974, 194. m Vgl. die Urteilsanmerkungen von Bickel, DÖV 1983, 1013; Schwab, KStZ 1986, 190; daneben etwa Wahlers, ZBR 1983,354 ff. (zum NutzungsentgeIt); Kloepfer, JZ 1983,742 ff. und Mies, KStZ 1984,201 ff. Geweils zur Abwasserabgabe). 200
2.'
V. Legitimierende und limitierende Aspekte des Sofortvollzugs
131
ordnete Gesichtspunkte zur Bestimmung (und Rechtfertigung) des Sofortvollzugs staatlicher Geldforderungen zu gewinnen. Die Lösung muß sich dabei an den Gründen des Sofortvollzugs (Stetigkeit des Abgabenaufkommens, Vermeidung beliebiger Stundungseffekte, relative Richtigkeitsgarantien)284 orientieren. Dabei soll der "Vorschußcharakter" des Sofortvollzugs stärker herausgearbeitet werden. Weiterhin ist das Verhältnis von Regel- und Sofortvollzug im Rahmen von Rechtsfindung und Rechtsverwirklichung bislang zu kurz gekommen. 2. Kausale Voraussetzungen
Hier kommen die bereits früher vorgestellten Gründe für den Sofortvollzug wieder ins Blickfeld. Sie werden im folgenden für die hier verfolgte Argumentationslinie "aufbereitet". a) Finanzierung
Die Ausgangsfrage muß lauten: Warum handelt der Staat so und nicht anders? Warum vollzieht er Geldforderungen, bei denen noch gar nicht feststeht, ob sie ihm auch zustehen, die er also möglicherweise zurückzahlen muß? Warum reduziert er den Rechtsschutz und verlangt er seinen Bürgern in bestimmten Fällen eine Vorleistung, einen Barvorschuß ab? Mit "Finanzierung" wäre diese Frage nur unvollkommen beantwortet. Die Geldforderungen könnten ja auch später (nach der gerichtlichen Überprüfung) durchgesetzt werden; einer etwaigen Insolvenz des Abgabenschuldners wäre mit anderen Mitteln zu begegnen (Sicherheitsleistung, Konkursantrag2115). Zu fragen ist vielmehr, warum er das Geld sofort haben will. Es ist dies der stetige Eingang bestimmter Gelders6• Nicht daß er die Forderung überhaupt durchsetzen kann (Regel vollzug) ist seine Intention, sondern daß er dies in einer bestimmten zeitlichen Abfolge tut. So soll beispielsweise die für das Jahr 1990
Vgl. ausfiihrlich oben S. 59 tT. m Vgl. zum Konkursvorrecht (§ 61 Abs. 1 Nr. 3 KO) jüngst (eine Anwendung ablehnend) BVerwG, NIW 1990, 3161 (Rundfunkgebühren); NJW 1990, 3163 (Ausgleichsabgabe nach Schwerbehindertengesetz) . 216 Kloepfer, JZ 1983,749. 2"
132
2. Kap.: Typologie und Einzelfälle
veranschlagte Kraftfahrzeugsteuer auch in diesem und nicht im nächsten Jahr eingenommen werden287 • b) AlVBbrauchsbeschränkung
Die Stetigkeit erreicht der Staat, indem er die veranschlagten Summen relativ bald dem Haushalt zuführt. Dies geht nur durch eine generalisierte Reduzierung des Rechtsschutzes. Würde man dagegen den Suspensiveffekt auch bei diesen Geldforderungen zur Regel erheben, wäre ein "Mißbrauch" durch die Rechtsbehelfseinlegung zu befürchten. Die vermittels einer aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage erzielte Stundung der Geldforderung würde - dies muß empirisch nicht belegt werden - Anreize schaffen, die einer "Zweckentfremdung" des Instruments Rechtsschutz gleichkämen. Auch deshalb hat sich der Gesetzgeber für eine Generalisierung des Sofortvollzugs entschieden. 3. "Legitimierende" Aspekte
Nachdem feststeht, warum die Vorleistungspflicht überhaupt besteht, ist als nächstes zu fragen: Warum darf der Staat so handeln, was rechtfertigt den Sofortvollzug staatlicher Geldforderungen? Die Antwort, die in den "Gründen" des Sofortvollzugs bereits vorbereitet ist2ss , soll nun präzisiert werden. a) Notwendigkeit des Alittelflusses
Der Staat ist auf den (stetigen) Mittelfluß angewiesen. Er stellt seine Haushaltsplanung auf die Einnahmen aus Steuern, Gebühren und Beiträgen ein. Das Haushaltsrecht verpflichtet ihn auf VollständigkeifB9 sowie Klarheit und Wahrheit des Haushalts290 • Nach Art. 110 Abs. 1 S. 1 GG291 sind alle (vor-
l87 Daran ändert auch nichts die Möglichkeit, daß bei anderer Durchsetzung die Steuer 1990 im Jahr 1991, und die für 1991 im Jahr 1992 Geweils nach richterlicher Kontrolle) gezahlt werden könnte, sodaß die 1990 ausgefallene Steuer durch die des Jahres 1989 ersetzt würde. Erstens wäre dieses "mathematische Modell" in der Praxis nicht synchron durchführbar und zweitens wäre die Planung so mit weiteren Unsicherheitsfaktoren belastet. Der Ausgang eines Gerichtsverfahrens (in sachlicher und zeitlicher Hinsicht) ist kein verläßliches Datum. 2A Vgl. oben S. 59 ff. l19 Kisker, in: HStR IV, § 89, Rn. 62 ff. m Vgl. Kisker, in: HStR IV, § 89, Rn. 71 f.
V. Legitimierende und limitierende Aspekte des Sofortvollzugs
133
aussichtlich ZU erwartenden) Einnahmen und Ausgaben in den Haushaltsplan einzustellen292 • Verläßlich sind diese Daten aber nur, wenn die tatsächlich eingehenden Gelder nicht allzu weit hinter den Erwartungen zurückbleiben. Zwar kann der Staat ohnehin nur mit fehleranfälligen Prognosen arbeiten. Die Schwierigkeiten einer verläßlichen Steuerschätzung293 würden aber durch "ruhende Außenstände" noch weiter verschärft. Eine seriöse Finanzplanung wäre so kaum möglich. Die fiskalischen Interessen gewinnen aber erst durch den Aspekt der "Staatserhaltung" an Überzeugungskraft. Steuern, Gebühren und Beiträge dienen der Aufrechterhaltung des Gemeinwesens. Sie werden erhoben, um den Staat erst in die Lage zu versetzen, öffentliche Aufgaben wahrzunehmen. Ohne sie könnte der Staat überhaupt nicht handeln. Wie der Vergleich mit § 80 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zeigt, geht es bei der generalisierten Vorleistungspflicht nur um die grundlegende Staatserhaltung, nicht um weitere, den öffentlichen Aufgaben dienende Pflichten. So muß der Staat zwar Gefahren abwehren, aber nicht schnell bestrafen und nicht schnell Verträge abwickeln. Die Pflichten müssen so bedeutend sein, daß die Rechtsordnung in Kauf nehmen kann, auch einmal Unrecht zu verwirklichen. Denn darum geht es beim Sofortvollzug: um die Verwirklichung streitigen Rechts vor dem richterlichen Votum. Sein Anwendungsbereich muß sich auch an diesen Risiken messen lassen. In einem ähnlichen Sinn unterscheidet Löwenberg zwischen Verbandslasten und sonstigen Geldforderungen294 • Während für Steuern, Gebühren, Beiträge und Kosten der Verwaltungsakt die wesensgemäße Handlungsform sei, müsse der Staat bei den übrigen Forderungen der öffentlichen Vermögensverwaltung Leistungsklage erheben. Die erleichterte Durchsetzungsmöglichkeit öffentlicher Abgaben ergebe sich aus folgendem: Diese dienten der Bildung des öffentlichen Vermögens, ohne das der Staat nicht existieren könne. Die Entrichtung von Abgaben sei ein Ausfluß der Finanzpflichten der Zivilperson und damit eine Grundpflicht. Demgegenüber laute der Interessengegensatz bei den übrigen Geldforderungen nicht: Allgemeininteresse an der Erhaltung des Verbandes Staat ./. Individualinteresse an der Freiheit von staatlichen Eingriffen, sondern: Interesse des Staates an der Übereinstimmung zwischen seinem Vermögensrecht
Vgl. auch § 8 HGrG. Breitmaier, VBIBW 1991,7. 293 Vgl. Kisker, in: HStR, § 89, Rn. 72 m.w.N . ... Vgl. zum folgenden Löwenberg, S. 108 ff.
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2. Kap.: Typologie und Einzelfalle
und Vermögensbestand .I.Interesse des Individuums an der Übereinstimmung zwischen seinem Vermögensrecht und Vermögensbestand 295 • b) Erhöhte Chancen der Richtigkeit
Die "Staatserhaltung durch Staatsfinanzierung" wäre unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten bedenklich, würde sie statt Recht Unrecht verwirklichen. Die Risiken der (Un-) Rechtsverwirklichung im Sofortvollzug werden indes durch die Richtigkeitsgarantien des Verwaltungsverfahrens abgeschwächt. Zu ihnen zählt auch die Einzelfallunabhängigkeit. Steuern, Gebühren, Beiträge und Kosten zeichnen sich dadurch aus, daß sie in einer Vielzahl von Fällen nach gleichen Maßstäben erhoben werden. Grundlage sind Steuertabellen, Gebührenordnungen oder Beitragsspiegel. Die zwangsläufig darin liegende Pauschalierung senkt die Fehlerquote der Rechtsanwendung, weil individuelle Verhältnisse, wenn schon nicht verdrängt, so doch vernachlässigt werden. Ob dadurch immer der Gleichheitssatz gewahrt ist, mag hier auf sich beruhen296 • Der normativ-qualitative Aspekt der Einzelfallunabhängigkeit erhöht jedenfalls die Chancen einer richtigen, weil rechtmäßigen Rechtsverwirklichung297 • Der Bedarf an Rechtsschutz wird in gleichem Maße gesenkt. Auch das trägt zur Rechtfertigung des Sofortvollzugs gerade dieser Geldforderungen bei. c) Effizienz der Generalisierung
Eine abgabenspezifische Rechtfertigung der Vorleistungspflicht muß schließlich die Frage beantworten, warum trotz Angewiesenheit und Einzelfallunabhängigkeit die Fälle nicht besser ausgefiltert werden, in denen das Unvermeidliche geschieht: Der Staat zwingt zu einer Vermögensverschiebung, obwohl keine rechtmäßige Geldforderung diesen Eingriff deckt. Hier zeigt sich die Schärfe des Sofortvollzugs, der begriffsnotwendig die Sicherungen des Rechtsschutzes (zeitlich) versetzt. Durch die Generalisierung macht der Staat auch keinen Hehl daraus, zu wessen Lasten das Risiko der Fehleinschätzung
Löwenberg, S. 111. Vgl. zu diesem Problem statt aller Kirchhof, in: HSIR IV, § 88, Rn. 104 ff. m Dabei wird nicht verkannt, daß die Ermittlung der Einkommensteuerschuldoder der Höhe von Erschließungsbeiträgenmitunter sehr komplex sein kann. Für die Masse der Abgabenberechnungen dürfte das Argument der pauschalierten Erbebungsformjedoch zutreffen. 29>
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V. Legitimierende und limitierende Aspekte des Sofortvollzugs
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geht298 • Das "Alles-oder-Nichts"-Prinzip verträgt im Anwendungsbereich der öffentlichen Abgaben und Kosten indes keine Ausnahme. Durch anwendungsspezifische Tatbestandsmerkmale299 lassen sich die Risikofälle nicht eliminieren. Dies erscheint auch entbehrlich: Die Massenhaftigkeit der sofort vollziehbaren Geldforderungen verlangt eine effiziente Regelung des Rechtsschutzes. Vorbild darf hier nicht § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO sein. § 80 Abs. 5 VwGO ist das richtige Korrektiv. Die Masse (vermutlich rechtmäßiger) Anspruche senkt die Waagschale zugunsten einer Generalisierung. Dieser quantitative Aspekt macht das "In-Kauf-nehmen " unberechtigter Vermögensverschiebungen unter Effizienzgesichtspunkten erträglich, wenn "Angewiesensein " (3a) und "Einzelfallunabhängigkeit" (3b) kumulativ, nicht nur alternativ vorliegen. 4. "Limitierende" Aspekte
a) Ausgangslage
Wenn der Hauptzweck des Sofortvollzugs bei § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO im stetigen Eingang von Geld liegt und die Vermeidung beliebiger Stundungseffekte dies unterstützt, fragt es sich, warum gleiches nicht auch für andere Geldforderungen gelten kann. Nicht nur bei öffentlichen Abgaben und Kosten ist die Gefahr gegeben, daß die Fälligkeit des Anspruchs mangels Durchsetzbarkeit bloß auf dem Papier steht. Ein Blick auf das Zivilrecht zeigt aber, daß die Rechtsordnung mit der Leistungsldage ein Instrument der Rechtsverwirldichung geschaffen hat, bei dem die Zeitverzögerung (Unstetigkeit) gewissermaßen schon "eingebaut" ist. Der Ausgleich findet bei Geldforderungen durch Verzinsung statt300 • Das öffentliche Recht kann die Vorleistungspflicht demnach nur dort rechtfertigen, wo besondere, die fiskalischen Interessen übersteigende Gründe für den Sofortvollzug streiten. Solche Gründe sind soeben dargelegt worden. Sie haben aber nicht nur rechtfertigende (legitimierende), sondern zugleich einschränkende (limitierende) Kraft. Daß der Staat seine Geldforde-
,.1 Zur Zinsfrage vgl. indessen unten S. 253 ff. m Gemeint sind solche Merkmale, die etwa eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Forderungsberechtigungzur tatbestandlichen Voraussetzung des Sofortvollzugs machen. Davon zu unterscheiden ist die Sicherung des materiellen Rechts durch vorläufigen Rechtsschutz. !Oll Vgl. §§ 288 Abs. I, 291 BGB; zur Verzinsung ausführlich das 4. Kapitel.
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2. Kap.: Typologie und Einzelfälle
rungen sofort vollziehen darf, ist im gleichen Atemzug damit zu begründen, in welchen Fällen er dies nur darf. Ist der Sofortvollzug staatlicher Geldforderungen also gerechtfertigt, weil der Staat auf einen stetigen Mitteifluß angewiesen ist und Einzelfallunabhängigkeit sowie Effizienz die Rechtsschutzdefizite in Grenzen halten, dann resultiert daraus zugleich der Anwendungsbereich des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Er führt - das sei vorweggenommen - zu einer engen Auslegung dieser Vorschrift. b) Verhältnismäßigkeit
aa) Grundsatz Hat das "Angewiesensein " rechtfertigende Kraft, so scheiden bereits diejenigen Geldforderungen aus, auf deren stetige Einnahme der Staat verzichten kann. Damit beschränkt sich der Anwendungsbereich der öffentlichen Abgaben auf die Steuern, Gebühren und Beiträge, die im klassischen Sinne primäre Einnahmequelle sind. bb) Insbesondere: Sonderabgaben Sonderabgaben als sekundäre Einnahmequelle werden dagegen nicht von der Vorleistungspflicht erfaßt. Das gilt für alle Arten von Sonderabgaben, also auch solchen, bei denen die Finanzierung besonderer öffentlicher Aufgaben im Vordergrund steht301 . Im Gegensatz zu den Zwecksteuern (als Einnahmen mit Interventionscharakter)302 sind die Finanzierungssonderabgaben (als Interventionen mit Einnahmecharakter)303 für die allgemeine Finanzplanung unerheblich. Sonderabgaben und auch die "sonstigen Abgaben" sind mit den Steuern, Gebühren und Beiträgen nicht vergleichbar, weil sie sich durch ihre
30. Zwar wird den Sonderabgaben in Abgrenzung zu den Steuern oft unterstellt, ihnen ennangele es an dem Einnahmeerzielungszweck. Das ist aber nur bedingt richtig, weil die Erfüllung der besonderen öffentlichen Aufgabenzumeist über eine finanzielle Umverteilung erfolgt, die - abstrakt - ja auch den allgemeinen Staatshaushalt (trotz des Prinzips der Non-Affektation) prägt; kritisch hierzu auch Puwalla, S. 80 ff. 30l Vgl. etwa die Zweckbindung bei der Mineralölsteuer oder den Stabilitätszuschlag bei der Einkommensteuer; Kirchhof, in: HStR IV, § 88, Rn. 20; weitere Beispiele ebenda, Rn. 24. 303 Vgl. zu dieser begrifflichen Differenzierung KJoepjer, JZ 1983,751.
V. Legitimierende und limitierende Aspekte des Sofortvollzugs
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"Haushaltsflüchtigkeit" auszeichnen304• Sie fließen nicht in den allgemeinen Staatshaushalt, sondern in "schwarze Kassen", über die Organe der Exekutive ohne regelmäßige parlamentarische Anleitung und Kontrolle verfügen30s • Exemplarisch ist hier die Rechtslage bei der Fehlbelegungsabgaf>elO6: Das Aufkommen aus der Subventionsrücknahme wird zwar in den Staatshaushalt eingestellt; durch die Zweckgebundenheit ist es aber von der allgemeinen Verfügbarkeit des Landeshaushaltsgesetzgebers ausgenommen. Damit bildet es kein zur freien parlamentarischen Verfügung stehendes Finanzaufkommen307 • Fraglich ist lediglich, woraus sich ergibt, daß § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht auch diese "besonderen Haushalte" umfassen könnte. Ist der Staat auf diese Gelder nicht angewiesen? Natürlich bilden die Sonderabgaben die fiskalische Grundlage zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben, speziell im Wirtschafts- und Umweltrecht. Ihre "Multifunktionalität"30S macht sie zu einem wirksamen Instrument in Problembereichen, die sich mit herkömmlichen Mitteln (Gebote und Verbote, deren Durchsetzung aus allgemeinen Steuergeldem fmanziert werden) kaum regulieren lassen. In der Abgabenerhebung liegt aber zugleich die Auferlegung einer finanziellen Belastung wie auch die Steuerung zur Erfüllung des dahinter stehenden Verwaltungszwecks. Der Verwaltungszweck läßt sich von der Geldforderung gar nicht trennen. Damit "schneiden" die Sonderabgaben aber den Normzweck des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bloß an. Ihr vorbehaltloser Sofortvollzug "schießt über das Ziel hinaus"J09. Mit der Forcierung der Vennögensverschiebung wird zugleich die Verwirklichung des dahinter stehenden Verwaltungszwecks beschleunigt. Das aber kann nur Gegenstand einer Regelung des § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO sein31O • Nicht diese Fonds, sondern der allgemeine Staatshaushalt bildet die "fmanzielle Ausgangslage ". Seine Eckdaten bilden die verläßliche Grundlage der Staatsführung. Nicht zuletzt aus ihnen ergibt sich auch die Notwendigkeit der Vgl. Franke, ZRP 1991,27. "l> Kirchhof, in: HStR IV, § 88, Rn. 224 (speziell zur verfassungsrechtlichen Problematik) . ... Vgl. Fricke, DÖV 1991,688 ff. Zur Anwendbarkeit des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf die Fehlbelegungsabgabevgl. Gern, VBIBW 1991, 132 (pro) und Altenmüller, VBIBW 1990,287 (contra). ~ BVertUE 78,249 (270). 301 Daß sich die verschiedenen Funktionen der Sonderabgaben kaum trennen lassen, stellt zutreffend Schoch, S. 1211 f. heraus. 309 Das verkennt Gern, VBIBW 1991, 132; wie hier Kloepfer, JZ 1983,750. 310 So explizit Schoch, S. 1213 f. 304
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2. Kap.: Typologie und Einzelfälle
Aufgabenerfüllung durch Sonderabgaben, wie die augenblickliche Diskussion um die "Finanzierung der deutschen Einheit" eindrucksvoll beweist. c) Risikoverteilung
aa) Grundsatz Durch die Forderung nach "Einzelfallunabhängigkeit" werden diejenigen Geldforderungen ausgeschlossen, bei denen die Umstände des Einzelfalls den Zweifeln an der Berechtigung stärkeres Gewicht verleihen. Die Bewertung der Rechtmäßigkeit kann in diesen Fällen nicht generalisierend vorweggenommen werden. Das Risiko der Fehleinschätzung muß hier zu Lasten desjenigen gehen, der sich (im Leistungsbescheid) über individuelle Einwendungen hinwegsetzt. Das ist der Staat. Begreift man den Sofortvollzug als Vertrauensvorschuß311, dann muß man die Vorleistungspflicht auf die Fälle beschränken, in denen dieses Vertrauen in die "Richtigkeit" der Vermögensverschiebung gerechtfertigt ist. Über die allgemeinen Rechtsschutzgarantien des Verwaltungsverfahrens hinaus muß bei den öffentlichen Abgaben und Kosten gewährleistet sein, daß ihre massenhafte Erhebung auch dann gerechtfertigt ist, wenn im Einzelfall Zweifel an der Berechtigung bestehen. Dieses wird durch die Forderung nach einer Einzelfallunabhängigkeit der Bemessungsgrundlage bewerkstelligt3l2 • Öffentliche Abgaben und Kosten zeichnen sich dadurch aus, daß sie "tabellarisch" festgelegt oder in einer Vielzahl von Fällen gleichmäßig erhoben werden. Um Mißverständnissen vorzubeugen: Natürlich können auch bei Steuern, Gebühren und Beiträgen die Umstände des Einzelfalls die Berechtigung zur Abgabenerhebung in Frage stellen. Das Risiko wird aber bei den "typisch einzelfallabhängigen " Geldforderungen (wie Schadensersatz- und Aufwendungsersatzansprüchen) erhöht. Somit erscheint die Generalisierung als effizientes Instrument der Rechtsverwirklichung nur bei den Abgaben angebracht, die von spezifischen Verwaltungszwecken frei sind. Die Belastung der Sonderabgaben mit besonderen öffentlichen (Lenkungs-) Aufgaben läßt den Finanzierungscharakter im Rahmen der Zweck-Mittel-Relation zurücktreten. Die Forcierung anderer, mit der Staatsfinanzierung nicht unmittelbar zusammenhängender
Vgl. oben S. 52. Anwendungsbeispiel: VG Neustadt, NVwZ 1991, 705 (Geltendmachung von verauslagter Nutzungsentschädigung gegenüber einem Obdachlosen). 3\1
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V. Legitimierende und limitierende Aspekte des Sofortvollzugs
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Verwaltungszwecke durch Sofortvollzug, verwischt die Konturen zwischen den Ziffern 1 - 4 des § 80 Abs. 2 VwGO und beeinträchtigt nicht zuletzt die Rechtssicherheit3 13 • Auf dieser Grundlage lassen sich auch die übrigen Zweifelsfälle lösen. bb) Insbesondere: Säumniszuschläge und Vollstreckungskosten Säumiszuschläge und Vollstreckungskosten sind nicht sofort vollziehbar . Ihre "Koppelung" mit einer Grundverfügung erhöht das Risiko der Fehleinschätzung durch erweiterte Einwendungsmöglichkeiten. Bei den Säumniszuschlägen fragt es sich nicht nur, ob eine Säumnis vorliegt, sondern auch, ob die zugrunde liegende Geldforderung überhaupt rechtmäßig, fällig und durchsetzbar ist. Noch eindeutiger verhält es sich bei den Kosten der Ersatzvornahme: Hier kann neben den Vollstreckungsvoraussetzungenauch die Grundverfügung (das Gebot zum Abschleppen eines Fahrzeuges etwa) streitig sein. Solche Geldforderungen lassen sich in ihrer Rechtmäßigkeitsprognose nicht derart pauschalieren, daß das Risiko der Fehleinschätzung erträglich wird. Hinzu kommt: Durch den Sofortvollzug von Abschleppkosten erhält der Aufwendungsersatz zugleich Lenkungscharakter, weil hier ähnlich der ZUfÜckbehaltung des Pkw auf den psychologischen Effekt des "spürbaren Opfers" gesetzt wird. Das ist aber von der ratio legis des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht gedecktl l4 • cc) Insbesondere: § 18 Abs. 5 S. 3 AuslG Eine Sonderstellung nimmt insoweit der ausländerrechtliche "Aufwendungsersatz" ein. Zwar ist hier ebenfalls problematisch, ob die der Geldforderung zugrundeliegende Rechtslage (der Verstoß gegen das Beförderungsverbot) im Zeitpunkt der Rechtsverwirklichung hinreichend geklärt ist. Hier besteht jedoch die Besonderheit, daß auch insoweit, d.h. bezüglich dieses Beförderungsverbots, der Sofortvollzug gesetzlich angeordnet wurde (§ 18 Abs. 5 S. 2 AusIG). Es liegt deshalb nahe, diese ausländerrechtliche Sonderregelung einheitlich zu interpretieren. Das macht insbesondere der VGH Kassel, wenn er dem "gesetz-
313 Schach, S. 1214 . ... Die Anforderung von Kosten einer (durchgeführten) Ersatzvornahme fallen auch nicht unter § 187 Abs. 3 VwGO, weil sie keine Maßnahme in der Verwaltungsvollstreckung darstellt, der Leistungsbescheid vielmehr infolge der Vollstreckung ergeht; PietUlerlRoneUenfilSch, Öffentliches Recht, § 45, Rn. 18.
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2. Kap.: Typologie und Einzelfiille
geberischen Schweigen" zur "Vollzugsart " entnimmt, eine Erstreckung des § 18 Abs. 5 S. 2 AuslG auf den "Aufwendungsersatz" sei wegen dessen klarer Zuordnung zu den öffentlichen Abgaben unnötig gewesen315 . Dem kann nicht gefolgt werden. Mit der Parallele zu § 12a AbwAbgG, die auch der VGH Kassel zieht, wird das richtige Stichwort gegeben: Dort hatte der Gesetzgeber dem heftigen Meinungsstreit um Rechtsnatur und sofortige Vollziehbarkeit der Abwasserabgabe ein Ende bereitet; dies aber deshalb, weil die Zuordnung solcher "Sonderabgaben" keineswegs geklärt war. Von diesem Standpunkt aus wäre ein (wenn auch deklaratorischer) Hinwei!;316 auf die sofortige Vollziehbarkeit nicht nur sinnvoll, sondern auch notwendig gewesen. Seiner Rechtsnatur nach ist der" Aufwendungsersatz" nach § 18 Abs. 5 S. 3 AuslG dem Zwangsgeld als Beugemittel vergleichbar: Er soll ein rechtswidriges Verhalten mit dem Ziel sanktionieren, es endgültig zu unterbinden3l7 • Als (Lenkungs-) Sonderabgabe kommt er schon deshalb nicht in Betracht, weil er nicht an die Nichtbefolgung eines gesetzlichen Verbots, sondern an die Nichtbeachtung eines auf Unterlassung gerichteten Verwaltungsakts gerichtet isf l8 • Das ist aber die typische Funktion des Zwangsgeldes. Ob dem wiederum die teilweise Finanzierungsfunktion der Forderung ("zum Ersatz der öffentlichen Aufwendungen") entgegensteht319 , mag hier offen bleiben. Nach der vorliegenden Konzeption ist dieser "Aufwendungsersatz" jedenfalls nicht sofort vollziehbar: Er ist nämlich nicht notwendig, den stetigen Mittelfluß zugunsten des allgemeinen Staatshaushalts zu gewährleisten. Sein spezifischer Lenkungs- und Finanzierungszweck, die Kontrolle über die Einreise von Ausländern, fordert - wie etwa in § 18 Abs. 5 S. 2 AuslG geschehen - eine bereichsspezifische Sonderregelung i.S.d. § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
VGH Kassel, NVwZ 1989,393 (394). § 80 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 VwGO schließen sich nicht aus, eine "doppelte" Regelung des Sofortvollzugs ist unschädlich. 3.7 So auch VG Aachen, JZ 1991,307 (308). 3.1 Vgl. Amdl, JZ 1991,298. 3.9 Amdl, JZ 1991, 299 f. leitet aus dieser Finanzierungsfunktiondie Unzulässigkeit des Zwangsgeldes und zugleich die Verfassungswidrigkeit des § 18 Abs. 5 S. 3 AuslG her: Weil eine genaue Zuordnung nicht möglich sei, die Geldleistung vielmehr genau zwischen Sonderabgabe und Zwangsgeld liege (was höchst unterschiedliche Rechtsfolgen habe), verstoße sie gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz der Bestimmtheit staatlichen Handeins. 3U 316
V. Legitimierende und limitierende Aspekte des Sofortvollzugs
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dd) Insbesondere: "Reaktivierende Abgabenforderungen " Auch die hier sog. "reaktivierenden Abgabenforderungen" werden von § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht erfaßt. Hier kann die "Rückforderung der Erstattung einer Vorausleistung" nicht anders behandelt werden als der "Widerruf einer Stundung". Von einer "regelmäßigen, einzelfallunabhängigen Anforderung" kann in diesem Fall nicht mehr gesprochen werden. Die Behörde hat durch die Erstattung bereits gezeigt, daß sie vom Regelfall abweicht; die Rückforderung ist qualitativ nichts anderes als ein Widerruf der Erstattungsentscheidung und damit eine weitere Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls. Insbesondere kommen hier weitere Anspruchsvoraussetzungen (wie etwa das Fehlen von schutzwürdigem Vertrauen) hinzu. Diese Voraussetzungen sind so weit von der erstmaligen Anforderung, für die § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO noch gegolten haben mag, entfernt, daß die Verwaltung mit dem Geld gar nicht mehr "rechnen" kann. So können zwischen erstmaliger Forderung bzw. Stundung und dessen Widerruf mehrere Jahre liegen, sodaß die Verbuchung im Staatshaushalt ohnehin ein "schiefes Bild" ergibt. Was den "Widerruf der Stundung" schließlich betrifft, mögen die Konsequenzen der hier vertretenen Ansicht in der Praxis problematisch sein: Nicht selten wird in schwierigen Fällen die Abgabenschuld vorerst gestundet. Die Stundung wird damit zum zeitweiligen Ersatz für die befristete Aussetzung des Sofortvollzugs. Indessen zeigt dieses Motiv der Stundung auch, daß die individuellen Erhebungsprobleme gegen einen generalisierten Sofortvollzug sprechen. In solchen Fällen bietet sich folgende Lösung an: Wird die Stundung von vorneherein nur als befristeter Aufschub der Rechtsverwirklichung eingesetzt, hindert dies den Sofortvollzug nach Fristablauf nicht (eines Widerrufs der Stundung bedarf es dann ohnehin nicht). Beim Widerruf der Stundung dagegen stehen die unklaren Umstände des Einzelfalls im Vordergrund. Sie zwingen die Behörde zur Anordnung des Sofortvollzugs nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO, was in Ausnahmefällen auch zulässig ist.
00) Insbesondere: Nutzungsentgelt
Anders ist es bei dem Nutzungsentgelt. Hier kommt die Qualifikation als Benutzungsgebühr (der Beamte nutzt gewissermaßen die Hochschuleinrichtungen) der Sache am nächsten. Die pauschale Erhebung nach dem Vorteil des Beamten schließt Beurteilungsfehler nicht weniger aus als etwa der Erschlie-
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2. Kap.: Typologie und Einzelfille
ßungsbeitrag. Deshalb sind solche Geldforderungen des Staates sofort vollziehbar .
s. ZusammeufassUDg Der Anwendungsbereich des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist auf die "klassischen" Abgaben beschränkt. Das sind Steuern, Gebühren und Beiträge. Hinzu kommen die Gebühren und Auslagen eines Verwaltungsverfahrens als öffentliche Kosten, soweit eine isolierte Kostenentscheidung im Streit steht. Sonderabgaben, "sonstige Abgaben" und solche Geldforderungen, die den herausgearbeiteten Anforderungen nicht gerecht werden, weil sie entweder nicht der allgemeinen staatlichen Haushaltsplanung dienen (z.B. der Aufwendungsersatz nach § 18 Abs. 5 S. 3 AusIG, die Fehlbelegungr.abgabe) oder die Frage ihrer Berechtigung mit weiteren Unsicherheitsfaktoren belastet ist (z.B. Säumniszuschläge, Kosten der Ersatzvornahme), sind demnach nicht gern. § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sofort vollziehbar.
Drittes Kapitel
Verfassungsrechtliche Aspekte der Vorleistungspflicht des Bürgers I. Die rechtsstaatlichen Detenninanten des Sofortvollzugs Die nunmehrvollstreckungsrechtlich wie verwaltungsprozessual determinierte Vorleistungspflichtdes Bürgers beim Sofortvollzug staatlicher Geldforderungen wirft auch verfassungsrechtliche Fragen aufl • Die Ausprägung des Sofortvollzugs als Pflicht zur Vorleistung gewinnt unter rechtsstaatlichem Blickwinkel an Bedeutung, zeigen sich hier doch einerseits Rechtsschutzdefizite gegenüber dem Regelvollzug und andererseits grundrechtsrelevante Aspekte eines" Zwangskredits·2• Dieser Blickwinkel muß aber zugleich relativiert werden: Weder die Vollstreckung als solche, noch diejenige im Verwaltungswege, sondern alleine der Sofortvollzug als Grundlage der Vorleistungspflicht ist Gegenstand der Untersuchung. Daß der Staat überhaupt Zwang anwendet (und anwenden muß)3, ist hierbei ebensowenig relevant wie der Umstand, daß schon die gesetzliche Auferlegung einer Geldleistungspflicht einen rechtserheblichen Eingriff bilder'. Entscheidend kann es nur darauf ankommen, daß bei bestimmten Geldforderungen der Bürger sofort zahlen muß, obwohl die Berechtigung der Forderung bestritten ist. Wie die prozessuale Grundlegung ergab, wird der Sofortvollzug staatlicher Geldforderungen durch den Erlaß eines Leistungsbescheides mit der Wirkung
I Zu den verfassungsrechtlichen Fragen der VelWaltungsvollstreclrung äußern sich Arbeiter, S. 121 ff.; G. Amdt, S. 21 ff.; Borgs-Maciejewski, S. 92 ff.; Löwenberg, S. 73 ff. 2 Zur paradigmatischen Bewertung der Rechtsfolgen des Sofortvollzugs als "Barvorschuß " bzw. "Vertrauensvorschuß" vgl. oben S. 51 ff. 3 Vgl. zu den Verfassungsfragen der Zwangsvollstreckung (im allgemeinen) neben den in Fn. 1 Genannten Weyland, S. 36 ff. u. passim; Vollkommer, RPfleger 1982,1 ff. • Die rechtsstaatlichen Aspekte der Geldleistungspflichten (besonders im Hinblick auf die Steuerpflicht) erörtern 7ipkelIAng, Steuerrecht, § 3 B; Wilke, S. 149 ff.; Erdmann, DVBI. 1986, 659 ff.; vgl. auch Henseler, S. 40 f. und Meßerschmidt, S. 148 ff.
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3. Kap.: Verfassungsrechtliche Aspekte
des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (Ausschluß des Suspensiveffekts) ermöglichf. Damit sind zwei Fragen nach der Verfassungsmäßigkeit verknüpft: zum einen hinsichtlich des Leistungsbescheides6 und zum anderen im Hinblick auf § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwG07 • In dieser Konstellation erlangen sowohl die subjektiv-grundrechtliche Sicht des Schuldners und der konkurrierenden Gläubiger als auch die objektiv-organisationsrechtliche Sicht der Funktionengliederung innerhalb des Staates Bedeutung. Die daraus resultierenden rechtsstaatlichen Aspekte können aus den einzelnen Rechtsverhältnissen8 gewonnen werden. Im Vordergrund steht das Verhältnis des Staates als Gläubiger und des Bürgers als Schuldner der Geldforderung. Die grundrechtlich determinierte Abwehrposition des Bürgers umfaßt hier einen vermögensrechtlichen und einen verfahrensrechtlichen Aspekt. In vermögensrechtlicher Hinsicht gilt es im Auge zu behalten, daß der Bürger durch die Vorleistung bei rechtswidriger Forderung einen Kredit leistet. Dieser (und nicht etwa die berechtigte Geldforderung) ist vor dem Hintergrund der Art. 14 Abs. 1, 3 Abs. 1 GC1 zu betrachten.
Der im Sofortvollzug erzeugte "Schwebezustand" (bzgl. der Berechtigung der Forderung) eröffnet die veifahrensrechtliche Sicht. In der Rechtsverwirklichung vor Ausschöpfung der Rechtsfindungschancen liegt gewissermaßen eine "normative Schwäche des Faktischen". Die von der Behörde - also einem dem Gläubiger zuzurechnenden Organ - festgestellte Berechtigung der Geldforderung kann im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG nicht letztverbindlich sein. Hier stellt sich die Frage, ob der so garantierte Rechtsschutz (als grundrechtliche Abwehrposition) präventiver Natur sein muß oder repressiver Natur sein darf. Mit anderen Worten: Kann sich der Bürger als Schuldner gegen den
VgJ. oben S. 46. Also die Handlungsform, in der die Verwaltung die Pflicht zur Geldzahlung verbindlich festsetzt. 7 Also die Norm, die durch Rechtsschutzverkürzung die sofortige Realisierbarkeit zuläßt. • VgJ. zur neueren Sicht der Rechtsverbältnislehre Achterberg, Verwaltungsrecht, § 20; Hili, NJW 1986,2602; Schnapp, DÖV 1986,811; Bauer, in: Gegenwartsfragendes Öffentlichen Rechts, S. 144 ff. • Man mag zwar bezweifeln, ob eine grundrechtliche Pflicht zur Gleichbehandlungzwischen Staat und Bürger besteht (zu dieser Frage der staatlichen Privilegien siehe bereits in der Einleitung Fn. 21). Ansätze hierzu bietet aber z.B. die Entscheidung des BVerfG zu § 316 Abs. 2 S. I AO a.F., derzufolge die verschiedene Behandlung des Steuerfiskus und des Steuerpflichtigen gegen den Gleichheitssatz verstieß, weil insbesondere fiskalische Erwägungen keinen sachlichen Grund für die Privilegierung des Staates darstellten (BVerfGE 27,391,395 ff.). j
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I. Rechtsstaatliche Detenninanten
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Sofortvollzug mit dem "(Justizgewährungs-) Anspruch" wenden, der Richter müsse in der Rechtsverwirklichung nicht nur das "letzte Wort", sondern auch das "erste Wort" haben10 So auch Achterberg, in: FS Menger, S. 130. Zur Bildung von FaHgruppen in diesem Zusammenhang vgl. auch Schi/ken, Gerichtsverfassungsrecht, Rn. 56 ff. 7. Vgl. aber zu Einzelaspekten BVerfGE 22, 125; 45,272; 18,241; 42, 64; 60, 175. 77 BVerfGE 22,49 (73 ff.); vgl. hierzu die Anmerkung von Häberte, JZ 1971, 145 ff.; kritisch Bettermann, in: EvStL, Sp. 2787 f. 7. BVerfGE 22, 49 (74 f.). 79 BVerfGE 22, 49, 76 (Hervorhebung des Verf.). 10 BVerfGE 22, 49 (77) . .. Einschließlich der Verfahren vor den Arbeitsgerichten. Andererseits sind die durch § 13 GVG, 4 EGZPO geduldeten Vorverfahren als Erschwerung (nicht: Verhinderung) des Rechtsweges zulässig. Auch hier ist also auf die (endgültige) Entscheidung abzusteHen. Weiterhin faHen die privaten Schiedsgerichte als zulässige Alternativen zur ordentlichen Gerichtsbarkeit aus der Gewaltenteilungsproblematikheraus, vgl. hierzu Achterberg, in: FS Menger, S. 139 ff. 12 BVerfGE 22, 49 (77 f.). Bekanntlich besteht der Meinungsstreit um die Reichweite des Rechtsprechungsmonopols aber gerade auch innerhalb dieser Bereiche. In Strafsachen hat das BVerfG die Trennlinie des ("absoluten") Rechtsprechungsmonopolszwischen dem Kriminalstrafrecht und den bloßen Ordnungswidrigkeiten gezogen - dazu sogleich im Text -; in Zivilsachen ist
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3. Kap.: Verfassungsrechtliche Aspekte
unzweifelhaft auch gemeint. Art. 92 GG habe quasi einen doppelten Aussagegehalt: Erstens beschränke er "spezifisch judikative Tätigkeit" auf den Richter; zweitens garantiere er in jedem vom Gesetzgeber als Rechtsprechung eingeführten Verfahren (auch wenn er zur Einführung nicht verpflichtet war) den gesetzlichen Richte~. Die Verhängung einer Kriminalstrafe mit seinem ethischen Schuldvorwurf sei als autoritatives Unwerturteil84 ein so schwerwiegender Eingriff in die Rechtssphäre des Staatsbürgers, daß sie nur vom Richter vorgenommen werden darfSs. Das BVerfG interpretiert Art. 92 GG im Kembereich des Strafrechts also als Gebot präventiver Rechtskontrolle86 • Dort und im Bereich der bürgerlichen Rechtspflege gelte ein Rechtsprechungsmonopol des "ersten und einzigen Wortes". Während sich das im letzten Fall schon "bereichsbezogen " aus der Abgrenzung Privatrecht/Öffentliches Recht ergibt, ist das Monopol im ersten Fall eher "tätigkeitsbezogen" , nämlich in Bezug auf das Strafurteil mit seinem ethischen Schuldvorwurf als besonderem Eingriff. Während in Verwaltungssachen (i.w.S.) die Verwaltung sowieso beteiligt ist und Rechtsentscheidungen durch sie naheliegen, sind Zivilsachen für sie so fremd wie für den Richter. Um die Verwaltung nicht sachfremd zu belasten, erfolgte die Zuordnung an die Justiz. Fraglich ist aber, ob die Verfassung diesen Bereich in Art. 92 GG wirklich so abgrenzen wollte oder ob der Gesetzgeber nicht doch Einzelfragen der klassischen Ziviljustiz Behörden der Verwaltung (z.B. Arbeitsamt, Wohnungsamt) übertragen kann87 • Wenn dies also verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen erscheint, bestehen jedoch verfassungspolitische Bedenken: Das besondere Vertrauen des Bürgers in die Justiz könnte darunter leiden, wenn "echte" Zivilstreitigkeiten (z.B. im Arbeitsoder Mietrecht) nicht mehr vom Richter entschieden werden. Wirbt der Staat
die Anwendung des Art. 92 GG im Hinblick auf die Freiwillige Gerichtsbarkeit und die privaten Schiedsgerichte problematisch; in Verwaltungssachen ist es nicht die Repressivkontrolle i.S.d. Art. 19 Abs. 4 GG, die Fragen hinsichtlich des Rechtsprechungsbegriffs aufwerfen würde, sondern die Trennlinie im weitgehend synchronen Bereich der Rechtsanwendung . .. BVerfUE 22, 49 (78). 1m zweiten Fall ist dem Gesetzgeber das "Wie" versagt, im ersten Fall sogar das "Ob" . .. Gemeint ist der Vorwurf einer Auflehnung gegen die Rechtsordnung. Dagegen fehlt der Buße im Ordnungswidrigkeitenverfahrender "Ernst der staatlichen Strafe", vgI. dazu bereits BVerfUE 9, 167 (171). " BVerfUE 22, 49 (80) . .. BVerfUE 22, 49 (81). Mit aller gebotenen Vorsicht läßt sich bereits aus den skizzierten Urteilsgrunden die These herleiten, daß der Richter um so eher (und ggfs. ausschließlich) eingeschaltet werden muß, je schwerwiegender und irreparabel der staatliche Eingriff ist. 17 VgI. Eichenberger, S. 13 ff.
n.
Sofortvollzug und Gewaltenteilung
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mit Unabhängigkeit und Sachkompeten:tB der Verwaltung in diesen Fällen um die Akzeptanz der Verwaltungsentscheidung, erschiene dem Bürger der Unterschied zum Richter nicht mehr groß. Ordnet man andererseits diese Behörden der Justiz zu, wäre im Grunde nichts gewonnen. cc) Der Rechtsprechungsbegriff in der Literatur Als repräsentativer Ausgangspunkt des heutigen Diskussionsstandes in der Literatur mögen drei Definitionen dienen. Zunächst die von Stern: "Rechtsprechung ist die in besonders geregelten Verfahren zu letztverbindlicher Entscheidung führende rechtliche Beurteilung von Sachverhalten in Anwendung des geltenden Rechts durch ein unbeteiligtes Staatsorgan, den Richter" 89 • Nach Heyde90 ist Rechtsprechung charakterisiert "durch die verbindliche rechtliche Beurteilung - letztlich rechtskräftige Entscheidung - von festzustellenden Sachverhalten in Fällen bestrittenen, verletzten oder bedrohten Rechts". Smid beschreibt Rechtsprechung als "reine, uninteressiert rechtsanwendende Streitentscheidung "91 , d.h. als Streitentscheidung vor dem Hintergrund des Rechts (und nicht der Erreichung von Staatszwecken außerhalb der Erkenntnis des ungewissen Rechts). In Verfahren materieller Rechtsprechung entscheide der Richter als unparteiischer Dritter. Während die Verwaltung folgenorientiert handele, erkenne Rechtsprechung allein und stelle nur fest, was hinsichtlich eines Streits rechtens isfl. Diese Defmitionen machen deutlich, daß heute .. Vgl. zur Autorität des Richters unten S. 172 ff. .. Vgl. Stern, Staatsrecht n, § 43 I4e . .. Heyde, in: HbVerfR, S. 1204. 9' In Anlehnung an Benermann, in: GS Jellinek, S. 365 ff. 92 Smid, Rechtsprechung, S. 243. Smid sucht Kriterien für die Unterscheidung von materieller Rechtsprechung und Verwaltung, nach denen sich deren Tätigkeiten auch dann unterscheiden lassen, wenn sie von Richtern wahrgenommen werden, a.a.O. S. 37. Seine Abgrenzung erfolgt also von der Seite des Richters. Besondere Aufmerksamkeit schenkt er dabei der Frage, ob der Richter im Rahmen der freiwilligen Gerichtsbarkeit Verwaltung im materiellen Sinne ausübt. Dies würde konsequenterweise für diese Entscheidungen den Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 4 GG eröffnen und bedarf deshalb der Klärung. Auch Smid geht davon aus, daß die Bereiche von Rechtsprechung und Verwaltung im Regelfall unproblemtisch feststehen. Nur in wenigen Fällen stellt sich heute noch die Frage, ob der Richter materielle Verwaltung bzw. der Verwaltungsbeamte materielle Rechtsprechung ausübt. Letzterenfalls kommt Art. 92 GG zum Tragen, die Konsequenzen im ersten Fall ergeben sich etwa aus Art. 19 Abs. 4 GG. Die materiellen Kriterien finden sich im ersten Fall aus der Abgrenzung von Rechtsprechung und Rechtsfürsorge - a.a.O. S. 37 ff. In der vorliegenden Untersuchung soll gezeigt werden, daß sich die Kriterien im zweiten Fall aus der Abgrenzung von Rechtsprechung und Rechtsbehauptung herleiten lassen, dazu unten S. 169 ff. 11 Heckmann
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3. Kap.: Verfassungsrechtliche Aspekte
kaum noch prinzipielle Unterschiede in der Beurteilung des Rechtsprechungsbegriffs bestehen. Vielmehr wird - von terminologischen Differenzierungen abgesehen - immer wieder auf folgende Merkmale zuruckgegriffen93 • dd) Die elementaren Merkmale des anerkannten Rechtsprechungsbegriffs Bezugspunkt der Rechtsprechung ist das Recht94 , das als Maßstab der Beurteilunl5 von Sachverhalten dient. Anlaß der Tätigkeit ist ein Streit bzw. die Gefährdung des Rechts96 , sein Produkt eine Entscheidunl7 , welche die rechtliche Beurteilung des Sachverhaltes zugleich abschließt. Zusammenfassend wird dieses erste Merkmal überwiegend als Streitentscheidung98 definiert. Zweites Merkmal ist die Stellung des Entscheidungsträgers im Verfahrensrechtsverhältnis. Er wird den (streitenden) Parteien gegenübergestellt und erhält als "Dritter"99 eine hervorgehobene Position: Die Erledigung "fremder Rechtsangelegenheiten" wird so formal zur "Entscheidung in eigener Sache" abgegrenzt 1oo•
9' Die Entstehungsgeschichtedes Art. 92 GG bleibt hier außer Betracht, vgl. dazu Achterberg, in: BK GG, Art. 92, Rn. 40 ff.; der Wille des Verfassungsgebers läßt sich auch nicht eindeutig ennitteln, vgl. BVerfGE 22, 49 (74) m.w.N.; Andreae, S. 109 ff.; a.A. Datz, S. 86. Vgl. zur Notwendigkeit einer historischen Auslegung Bettennann, in: HStR III, § 73, Rn. 17 und zur Berücksichtigung der traditionellen Kernbereiche BVerfGE 22,49 . .. Vgl. zur spezifischen Orientierung der Rechtsprechung "am Recht" Smid, Rechtserkenntnis, S. 55 ff.; Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 548 ff.; Eichenberger, S. 17, speziell Fn. 3: "Es geht vorerst - bis zur Erlangung der materiellen Rechtskraft - nicht um Entschiedenheit schlechthin, sondern um Richtigkeit des Entscheids. " os Hier im allgemeinen Sinne als Subsumtion gemeint, vgl. Stern, Staatsrecht 11, § 43 I I; zur Rechtsanwendungals dialektischen Vorgang Henog, in: MaunzlDürig, GG, Art. 92, Rn. 26. Die Unterscheidung des Rechtssatzes als Beurteilungs- bzw. Verhaltensmaßstab ist für das Merkmal des "Unbeteiligten" relevant, siehe unten S. 166 . .. Heyde, in: HbVerfR, S. 1204. 97 Auf das Merkmal der Entscheidung als Ausspruch über das, was rechtens sein soll, legt Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, Rn. 55, besonderen Wert; vgl. auch Fleiner, Institutionen, § 2 12, S. 12 ff.; Thoma, in: HdbDStR 11, § 71, S. 130, 133. 9. Achterberg, in: BK GG, Art. 92, Rn. 84 ff., 110; Andreae, S. 126; Ule, JZ 1958,628; von Mangoldt, GG, Vor Art. 92, Anm. 3; Stern, Staatsrecht 11, § 20 IV 5c. Verwandt sind diejenigen Ansätze, die auf die Gewährung von (Individual-) Rechtsschutz abstellen, Nachweise bei Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 12; kritisch insgesamt Henog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92, Rn. 31; differenzierend Bettennann, in: HStR III, Rn. 39 ff. og Friesenhahn, in: FS Thoma, S. 30; Achterberg, in: BK GG, Art. 92, Rn. 110; Zur Rolle des Dritten im Konflikt umfassend Holtwick-Mainzer, S. 75 ff. '00 Vgl. Borgs-Maciejewski, S. 112 ff.
u.
Sofortvollzug und Gewaltenteilung
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Davon zu unterscheiden ist die Stellung des Entscheidungsträgers zum Entscheidungsgegenstand. Rechtsprechend wird danach nur detjenige tätig, der in der Sache unbeteiligr Ol ist. Dieses dritte Merkmal ergänzt den "personalen" Aspekt des "Dritten", weil auch der formal Unbeteiligte in der Sache bestimmte Zwecke verfolgen könntelO2 . Als letztes Merkmal sorgt die Wirkung des Entscheidungsinhalts für die größte terminologische Verwirrung. Gemeint ist die Verbindlichkeit lO3 , die teilweise wieder eingeschränkt (letztverbindlichI04 , potentiell verbindlichlOS), teilweise auch durch weitere Attribute (rechtskraftfähig lO6) ergänzt wird. Der verfahrensabschließende Charakter der Entscheidung wird als deskriptives Merkmal einerseits selbstverständlich verwendet lO7 und ist doch als Abgrenzungsmerkmal Anlaß vehementer Kritiklos. Alle gängigen Definitionen lassen sich letztlich auf diese vier Merkmale zurückführen. Die Diskussion konzentriert sich auf Gewicht und Bedeutung der einzelnen Gesichtspunkte.
101 Andreae, S. 127 ff.; DalZ, S. 114 f. In diesem Zusammenhang wird auch die These fonnuliert: Das Recht ist rur die Verwaltung Handlungsnonn, rur den Richter Beurteilungsnonn, vgl. Bellennann, in: HStR m, § 73, Rn. 29; Löwenberg, S. 114 ff.; Friesenhahn, in: FS Thoma, S. 30 ff.; Smid, Rechtsprechung, S. 243; kritisch Slern, Staatsrecht 11, § 43 I 4c); Henog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92, Rn. 28. "12 Man könnte freilich das Merkmal des "Dritten" zugleich versachlichen, indem nur deIjenige als "Dritter" erscheint, der sich nicht nur personal von den Parteien unterscheidet, sondern auch in der Sache keine (eigenen) Zwecke verfolgt. Damit würde aber nicht hinreichend deutlich, daß bereits die personale Unterscheidung bei der Rechtsprechung ein besonderes Gewicht hat, zu dem die sachliche Neutralität hinzutritt; vgl. BVerfDE 26,186 (198); 27, 312 (322). 10l DülZ, S. 114; Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 551; Bellennann, in: FS Lent, S. 17, 24; Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 13 f.; weitere Nachweise und Kritik bei Henog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92, Rn. 30. 104 G. Amdl, S. 22 ff.; Slern, Staatsrecht 11, § 43 I 4d. Vgl. zur Vorläufigkeit administrativer StreitentscheidungenauchAndreae, S. 113 ff. 10> Vgl. Bellennann, in: HStR m, § 73, Rn. 38. 106 Bender, Verwaltungsstrafverfahren, S. 28; Bellennann, in: FS Lent, S. 24. 107 Slern, Staatsrecht 11, § 43 I 4b, der dem Argument, Verwaltungsakte seien auch verbindlich, damit begegnet, Akte der Rechtsprechung seien aber von keiner anderen Staatsgewalt überprütbar als der richterlichen. 101 Vgl. nur Achlerberg, in: FS Menger, S. 135 f.; Henog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92, Rn. 30; Smid, Rechtsprechung, S. 371 ff. Kritisch gegenüber dem verfahrensabschließendenCharakter richterlicher Entscheidungen auch Andreae, S. 116.
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3. Kap.: Verfassungsrechtliche Aspekte
c) Kritik der herrschenden Begriffsbildung Die grundlegende Kritik an der herrschenden Begriffsbildung richtet sich entweder gegen einzelne Merkmale lO9 oder gegen die Konzeption als Ganzes llO • Die genannten Merkmale dürfen aber nicht isoliert als Abgrenzungskriterien verstanden, sondern müssen in ihrer jeweiligen Verflechtung betrachtet werden. Thesenartig soll daher vorweg auf die wichtigsten Verbindungen hingewiesen werden: Entscheidung und Rechtsstreit: Ein formaler Streit verlangt eine Entscheidung, sonst liegt eine bloße Diskussion vor ill • Entscheidung und Verbindlichkeit: Jede Entscheidung erzeugt eine gewisse Verbindlichkeit, weil sonst nicht "ent-schieden" würde. Rechtsstreit und Dritter: Ein anderer (Dritter) muß die entscheidende Rechtsanwendung vornehmen, weil der formale Streit ein Gleichgewicht der Beteiligten voraussetzt ll2 • Unbeteiligter und Dritter: Unbeteiligt kann nur ein Dritter sein, aber nicht jeder (formal) Dritte ist auch (materiell) unbeteiligt. Vor dem Hintergrund dieser Verflechtungen sollen die Abgrenzungskriterien der herrschenden Meinung nun näher durchleuchtet werden. Zunächst zum Merkmal Streitentscheidung . Sowohl Rechtsprechung als auch Verwaltung wenden das Recht an und treffen in diesem Zusammenhang Entscheidungen. Unterschiede gibt es aber in Bezug auf das Merkmal "Streit".
109 Vgl. nur Achterberg, in: FS Menger, S. 135 f. gegen das Merkmal "verbindlich"; Heyde, in: HbVerfR, S. 1203 gegen das Merkmal des "Dritten". Interessanterweise ist das Merkmal der "Streitentscheidung" , das man heute als "herrschend" bezeichnen kann (s.o. die Nw. bei Fn. 98), der stärksten Kritik ausgesetzt, vgl. Wolf, ZZP 99 (1986), 368; Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 548; Bachof, in: VVDStRL 14 (1956), S. 178 f.; Menger, S. 40 ff. Das Problem, inwiefern Strafsachen, Normenkontrollen u.ä. als "Streitentscheidungen" angesehen werden können, mag hier auf sich beruhen, vgl. dazu etwa Achterberg, in: FS Menger, S. 136 ff. Es macht aber deutlich, daß die Begriffsbildung zuweilen stark an der Zielsetzung orientiert ist, mit der man den Begriff verbindet. Eine "allgemeingültige" Definition braucht andere Kriterien als die "bloße" Abgrenzung von Rechtsprechung und Verwaltung. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Kritik von Eichenberger, S.9. 110 Henog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92, Rn. 28 ff. hält alle genannten Merkmale für ungeeignet, die Rechtsprechung von der Verwaltung abzugrenzen; vielmehr läge darin eine bloße Beschreibung richterlicher Tätigkeit ohne "zuständigkeitsabgrenzende Kraft" . 111 Vgl. zu diesem Aspekt besonders Eichenberger, S. 10 f. 112 Eichenberger, S. 12.
D. Sofortvollzug und Gewaltenteilung
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Dieser ist bei der Rechtsprechung immer Anlaß des Tätigwerdens ll3 , bei der Verwaltung hingegen i.d.R. nicht Anlaß, sondern Folge der Tätigkeit. Pointiert ausgedrückt: Rechtsprechung ist streitentscheidender , Verwaltung ist streiteröffnender Natur l14 . Dem stehen vielfache Gemeinsamkeiten gegenüber. Der "prozessuale" Charakter bestimmt den äußeren Ablauf und den Verfahrensabschluß sowohl bei der Rechtsprechung als auch bei der Verwaltung llS , wenngleich das Verwaltungsverfahren grundsätzlich "nicht-förmlich" ist l16 . Was die zeitliche Folge betrifft: Das Gesetz wird durch die Verwaltung vollzogen und durch das Gericht nachvollzogen 117. Parallelen bestehen in der Rechtsanwendung 11 8 • "Streit" kann auch Anlaß eines Verwaltungsverfahrens sein. Schließlich zählt zur "Ent-Scheidung" auch eine gewisse "End-Gültigkeit"; etwas ist erst dann entschieden, wenn die bestehenden Alternativen ausgeschlossen wurden und die Befolgung gesichert istll9 • Die Verwaltungsentscheidung ist aber potentiell verbindlich, weil sie mit Zwang verwirklicht werden kann. Begreift man Rechtsstreitigkeit als Entgegensetzung von willensgetragenen Rechtsmeinungen und Streitentscheidung als den den Ablauf ("Prozeß "1:10) der Entgegensetzung abschließenden Akt 121 , dann kann der Begriff der Rechtsprechung im materiellen Sinne allerdings nicht ohne das Merkmal der "Verbindlichkeit" erklärt werden. Dem mehr deskriptiven Merkmal der Streitentscheidung (als Feststellung der Rechtslage durch Anwendung der Gesetze auf einen konkreten Sachverhalt)122
113 Dabei spielt es keine Rolle, ob die Parteien sich im Einzelfall tatsächlich streiten. Achterberg , Funktionenlehre, S. 157 nimmt diesen Einwand freilich ernst und korrigiert seinen Rechtsprechungsbegriff dahingehend, daß solche Staatslätigkeit Rechtsprechung ist, die "typischerweise" durch einen unbeteiligten Dritten ergeht. Darauf wird zurückzukommen sein (S. 169). 114 Die Umsetzung des materiellen Rechts erreicht im Verwaltungsverfahrennoch nicht die Ebene des Streites über die Richtigkeit; so Schimmelpfennig, S. 147. 115 Smid, Rechtserkenntnis, S. 18 u. passim. 116 § 10 VwVfO, vgl. aber auch §§ 63 ff. VwVfO. 117 Kirchhof, JZ 1989, 464; vgl. auch Husserl, S. 58 ff. (der Richter als "Vergangenheitsmensch" , rur dessen Tun die Ansatzpunkte in der Vergangenheit liegen) und Kirchhof, in: Richterliche Rechtsfortbildung, S. 24 f. 111 Darauf weist besonders für das Steuerrecht Bettennann, in: HStR ID, § 73, Rn. 32 hin; vgl. auch Flume, in: FS Smend, S. 59, 74, 88 u. passim. 119 In diesem Sinne besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den Merkmalen Streitentscheidung und Verbindlichkeit. 120 Vgl. zum Charakter der Streitentscheidung als Prozeß Smid, Rechtsprechung, S. 153 ff. 111 So Eichenberger, S. 10. 122 Wolf, ZZP 99 (1986),368.
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3. Kap.: Verfassungsrechtliche Aspekte
werden deshalb im wesentlichen zwei normative Kriterien angefügt: die (Letzt-) Verbindlichkeit ("Rechtskraft") der Entscheidung und die Stellung des Entscheidungsorgans als (materiell) unbeteiligter Dritter123 • Nach allgemeiner Auffassung bedeutet der Leistungsbescheid eine "potentiell verbindliche" Entscheidung der Behörde "in eigener Sache". Er schiede als Rechtsprechungsakt also aus, wenn als solcher nur die letztverbindliche Entscheidung eines Dritten verstanden werden kann l24 • Gegen das Merkmal des "Dritten" ließe sich einwenden, die Stellung des Entscheidungsorgans sei ein modales Elementl2S ohne zuständigkeitsabgrenzenden Charakterl26 • Wenn nämlich die Neutralität bzw. Passivität zum Wesen der Rechtsprechung zählt127 , dann wären Entscheidungen in eigener Sache l28 ohne Verstoß gegen Art. 92 GG möglich, weil ja schon per definitionem kein Rechtsprechungsakt vorläge l29 • Die Neutralität zählt aber nicht zum "Tatbestand" der Rechtsprechung, sondern zur "Rechtsfolge "130. Also gilt nicht: "wenn das Staatsorgan kein Dritter ist, liegt keine Rechtsprechung vor" , sondern: "wenn es Rechtsprechung ausüben will, muß es als Dritter entscheiden "131 • Der Umstand, daß der Gläubiger des Leistungsbescheides nicht außerhalb des Rechtsverhältnisses steht, läßt damit noch keinen Schluß auf den Charakter als Rechtsprechung oder Verwaltung im materiellen Sinne zul32. 113 Vgl. G. Amdt, S. 22 ff. I,. Ausdrücklich Stern, Staatsrecht U, § 43 I 4d. 12> Ein materielles Kriterium bietet dieses Merkmal aber insofern, als der "Dritte" wesensmäßig nicht zur Verwaltung paßt, vgl. zur denknotwendigenStreitentscheidungdurch "etwas Drittes" (bei Gleichordnung der Parteien) Eichenberger, S. 12. 126 So etwa Löwenberg, S. 114 ff; 127 Vgl. Stern § 43 U 4 und Bettennann, in: HStR IU, § 73, Rn. 34. Vgl. auch BVerfGE 18,241 (255); 42, 64 (78); 60, 175 (214). 12. Vgl. zum traditionellen Unbehagen gegenüber Entscheidungen "in eigener Sache" BorgsMaciejewsld, S. 112 ff.; vgl. auch Henrichs, NJW 1964,2367. In einem gewissen Sinne handelt die Verwaltung sogar "neutral", weil alle staatliche Tätigkeit gemeinwohlorientiert ist (bzw. sein sollte). Neutralität ist nicht nur eine Errungenschaft der Rechtsprechung, sondern Legitimationsgrund rur den Staat; Isensee, in: HStR IU, § 57, Rn. 58 unter Berufung auf John Locke. 129 Vgl. auch Achterberg, JZ 69,358: "Zirkelschluß" . 1:10 Heyde, in: HbVertR, S. 1203. III Das bedeutet natürlich nicht, daß der Verwaltungsbeamte rechtsprechend tätig werden dürfte, nur weil er im Einzelfall an einer Sache unbeteiligt ist. Hierzu fehlt ihm schon die persönliche Qualifikation als "Richter". 132 Ähnlich ließe sich auch rur das Merkmal der Streitentscheidung argumentieren. Von Bedeutung ist dann nicht, daß Streitentscheidung typischerweise Rechtsprechung ist, sondern daß diese jedenfalls dem unabhängigen Richter vorbehalten ist. Streitentscheidung ist so nicht als Funktion, sondern als Kompetenz zu begreifen, vgl. Smid, Rechtsprechung, S. 58; zu Funktion und Kompetenz allgemein Zimmer, S. 146 ff.
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Entscheidende Bedeutung für die Einordnung des Leistungsbescheids in den materiellen Rechtsprechungsbegriff erlangen somit die Merkmale "in der Sache unbeteiligt" und "verbindliche Entscheidung". Als Zwischenergebnis läßt sich für den Begriff der Rechtsprechung aber thesenartig festhalten: (1) Wer materiell beteiligt ist, darf nicht verbindlich entscheiden, weil durch die fehlende Neutralität die Richtigkeit der Entscheidung nicht mehr garantiert ist. (2) Wer materiell unbeteiligt ist, darf nur als Richter (verbindlich) entscheiden, weil die Neutralität als Kriterium der Richtigkeit nicht genügt133 • d) Regelvollzug und Richterspruchvorbehalt
Betrachtet man nun den Leistungsbescheid im Regelvollzug vor dem Hintergrund dieses "bereinigten" Rechtsprechungsbegriffs, dann ruft sich die Unterscheidung in Erinnerung, die zu Beginn der Untersuchung l34 den Leistungsbescheid in zwei Bestandteile "zerlegte": Erstens befiehlt die Verwaltung mit ihm die Zahlung eines bestimmten Geldbetrages und zweitens schließt der Bescheid ein Verwaltungsverfahren ab, in dem das Bestehen einer Geldforderung festgestellt wurde. Was den Verwaltungsbefehl betrifft: Hier ist die Stellung des Entscheidungsträgers zum Entscheidungsgegenstand (" in der Sache unbeteiligt") als funktionales Merkmal relevant. Es ist mit dem modalen Merkmal des "Dritten" nicht identisch. Zwar drucken beide Merkmale eine spezifische Neutralität aus. Mit dem "Dritten" ist jedoch nur die formale Position im Verfahrensrechtsverhältnis gemeint, die auch bei sachlicher Beteiligung vorliegen kann. So zeichnen sich gerade manche streitentscheidenden Verwaltungsakte dadurch aus, daß hier eine Behörde als Dritte den Streit zwischen zwei anderen Beteiligten entscheidet. Dennoch kann diese Behörde in der Sache beteiligt sein, nämlich als Hüter solcher (öffentlichen) Interessen, für die der Ausgang des Prozesses eine Rolle spielt. Verfolgt aber die Stelle bestimmte Zwecke (Recht als Verhaltensmaß-
133 Hinzukommen müssen Unabhängigkeit, Sachkompetenz und die Prozeßmaximen, welche bei der Verwaltung instutionell fehlen. Vgl. zur Sorge um die Sachrichtigkeit bei Einwirkungen durch Beteiligte nochmals Eichenberger, S. 23. Auf den weiteren Aspekt, daß ein kritisches und distanziertes Gemeinwesen auf die Autorität des Richters nicht verzichten kann, ist noch näher einzugehen, vgl. unten S. 172 tT. ,.. Vgl. oben S. 70.
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3. Kap.: Verfassungsrechtliche Aspekte
stab) und wendet sie das Recht nicht "nur" an (Recht als Beurteilungsmaßstab l35 ), dann liegt keine Rechtsprechung, sondern Verwaltung im materiellen Sinne vor. Gerade weil die Behörde i.d.R. bestimmte Zwecke verfolgt, ist sie auch in der Sache beteiligt, "entscheidet sie eine eigene Angelegenheit". Für den Richter ist die Angelegenheit dagegen immer fremd, weil die Neutralität bzw. Passivität auch sachlich wirktl36 • Mit der Zahlungsaufforderung verfolgt die Behörde den Verwaltungszweck eines Vermögenszuwachses im öffentlichen Haushalt und damit die Erledigung einer "eigenen Angelegenheit". Der Leistungsbescheid ist somit in seinem zur Leistung auffordernden Teil reiner Verwaltungs-Akt und als solcher mit Art. 92 GG vereinbar. Problematisch ist dagegen der feststellende Teil als detjenige Bestandteil des Leistungsbescheides, durch den die Behörde Grund und Höhe des Anspruchs festsetzt. Fraglich ist, ob diese "Festsetzung" ebenfalls als eigene Angelegenheit der Verwaltung angesehen werden kann 137 • Die konstitutive Wirkung des Leistungsbescheides l38 könnte diesem eine "Verbindlichkeit" verleihen, die nach dem herausgearbeiteten Rechtsprechungsbegriff den Entscheidungen des Richters vorbehalten ist: Nur Gerichte können mit verbindlicher Wirkung die Rechtslage feststellen. Dagegen spricht nicht bereits die Anfechtbarkeit des Verwaltungsakts, weil dieser in seinem feststellenden Teil eine "Breitenwirkung" entfaltet, wenn er Tatbestandsmerkmale für alle zukünftigen Rechtsfolgeanordnungen festschreibt. Von diesem Standpunkt aus subsumiert Kollmann die sog. deklaratorischfeststellenden Verwaltungsakte unter den Begriff der Rechtsprechung im materiellen Sinne139 • Er rekurriert dabei auf Achterberg, demzufolge solche Entscheidungen dem Richter vorbehalten sind, die "typischerweise durch einen unbeteiligten Dritten" ergehen l40 • Diese Auffassung begegnet jedoch grundlegenden Bedenken: Wenn all das an dem verfassungsrechtlichen Rechtsprechungsmonopol des Art. 92 GG teilhat, was typischerweise der Richter entscheidet, dann müßte sich der Gesetzgeber hüten, weitere Gegenstände dem Richter zuzuordnen, weil damit eine Typik entstehen könnte, die ihn für die l3l Vgl. zu diesem Begriffspaar grundlegend GoldschmidI, Der Prozeß als Rechtslage, S. 227 ff.; Bellermann, in: GS Jellinek, S. 363 m.w.N. 136 Vgl. zum Ganzen Andreae, S. 127 ff. 137 Vgl. zu dieser Frage unter dem Gesichtspunkt der "Rechtserkenntnis" auch Wolf, ZZP 99 (1986),389. 138 Siehe oben S. 71 ff. (73 f.). I" Kollmann, DÖV 1990, 194 f. 140 Achlerberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 20, Rn. 84 f.; vgl. ders., JZ 1969,357.
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weitere Gestaltung des Prozeßrechts bindet. Der (einfache) Gesetzgeber ist nämlich in der Lage, Gegenstände dem Richter auch dann zuzuordnen, wenn das Grundgesetz dies nicht erfordert. Der Richtervorbehalt in Art. 92 GG wäre anderenfalls eine "Einbahnstraße". Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers umfaßt aber auch die Funktionenverschiebung, soweit sie mit der Verfassung, hier also Art. 92 GG, im Einklang steht. Diese Vorschrift kann also nicht aus dem status quo heraus interpretiert werden l41 . Ein weiterer Einwand trifft die Übertragung dieser Lehrmeinung auf die deklaratorisch-feststellenden Verwaltungsakte (zu denen Kollmann wohl auch den Leistungsbescheid zählen würde): Während Achterberg noch konzediert werden kann, daß die Entscheidung über Schadensersatzforderungen typischerweise gerichtlich getroffen wird, geht eine Ausweitung dieser Typik auf jede Rechtsfeststellung schon im Ansatz fehl. Die Feststellung dessen, was rechtens ist, ist eben nicht typischerweise richterliche Agende, sondern Sache von Verwaltung und Rechtsprechung l42 . Im Grunde scheut Kollmann auch, jegliche Rechtsfeststellung durch die Verwaltung mit dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit zu belegen. Er beschränkt sich auf die Verneinung der Bindungswirkung solcher Verwaltungsakte l43 . Indessen belegt gerade der Gesichtspunkt der "Verbindlichkeit"l44 die Vereinbarkeit des "feststellenden Inhalts" des Leistungsbescheides mit Art. 92 GG145 . Die Bewertung des Leistungsbescheides als "autoritative Rechtsbehauptung"l46 zeigt die funktionelle Unverbindlichkeit dieser Verwaltungstätigkeit im Gegensatz zur funktionell verbindlichen Rechtsprechung. Richterliche Entscheidungen sind zwar - wegen der zahlreichen im Instanzenzug zugelassenen Rechtsmittel - auch nicht apriori unanfechtbar. Ein wesentlicher Unterschied zum Verwaltungsakt besteht aber darin, daß das Urteil nicht von einem funktionell unterschiedlichen Organ aufgehoben werden kann. Weiterhin unterscheidet sich auch die Art der
Vgl. auch Lorenz, S. 197 in Fn. 35. Vgl. bereits oben S. 147. 143 DÖV 1990, 195. 144 Unter Verbindlichkeit wird hier nur das Verhältnis der Rechtsprechung zur Verwaltung im Sinne einer Rechtskontrolle verstanden. Gegenüber dem Gesetzgeber besteht die Sonderregelung des Art. 100 GG. Im zivilprozessualen Bereich spielt die Verbindlichkeit eine andere Rolle: Sie ist dort gegen die Privatautonomie (Art. 2 Abs. I GG) abzugrenzen. Deshalb hat die Rechtssprechung bei den bürgerlichrechtlichen Streitigkeiten eine andere Funktion. Es geht nicht um eine Machtbegrenzung des Staates, sondern alleine um die Befriedung der Bürger (Ausschluß der Selbsthilfe). 145 Auch Wolf, ZZP 99 (1986), 389 hält eine Erstkompetenzdes Richters zur "Rechtserkenntnis" für "verfassungsrechtlich nicht festgeschrieben" . 146 Vgl. oben S. 74 ff. \41
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3. Kap.: Verfassungsrechtliche Aspekte
Kontrolle: Beim Verwaltungsakt wird das Verhalten der Behörde überprüft; deshalb ist diese auch Partei im Verfahren. Beim Richterspruch hingegen ist das Recht selbst Kontrollgegenstand. Nicht der urteilende Richter, sondern die ursprünglichen Parteien sind am Verfahren beteiligt. Hierzu wurde herausgearbeitet, daß die Rechtsfmdung idealtypisch "diskursiv" im Wege von Behauptung, Gegenbehauptung, rechtsargumentativer Auseinandersetzung und richterlicher Entscheidung erfolgt. Dieser Diskurs bezieht den Bürger als Rechtsadressaten solchermaßen verantwortlich in den Prozeß der Rechtsverwirklichung ein, daß von einer "Festlegung" der Rechtslage durch die Verwaltung vor dem Hintergrund des Art. 92 GG nicht die Rede sein kann147 • Daran ändert auch die Wirksamkeit oder "Geltung", die dem Verwaltungsakt schon bei seinem Erlaß innewohnt, nichts l48 • Hierzu bemerkt Martens zutreffend: "Eine Geltung, aus der nicht einmal eine Pflicht zur vorläufigen Befolgung herzuleiten ist (da nicht nur ein umfassendes Anfechtungsrecht, sondern auch ein ebenso umfassendes Recht auf einstweiligen gerichtlichen Rechtsschutz existiert), gibt für die Beschreibung eines auf Verbindlichkeit angelegten Entscheidungsbegriffs nichts her. "149 Schließlich kann man den Leistungsbescheid - entgegen AchterbergiSO auch nicht als streitentscheidenden Verwaltungsakt in die Nähe der Rechtsprechung stelleniSI. Der Umstand, daß sich gelegentlich Behörde und Bürger (etwa im Rahmen der Anhörung) über die Rechtsauslegung streiten, dürfte noch
147 Widersprüchlich insoweit der BayVGH, DVBI. 1977, 108: Nach Auffassung des Senats sei "die verbindliche Entscheidung über streitige Statusfragen (seil. die Staatsangehörigkeit) ... grundsätzlich den Gerichten vorbehalten, Art. 92 GG". Das deutet auf einen echten Richtervorbehalt in dem Sinne hin, der Richter hätte nicht nur das erste, sondern auch das einzige Wort; das wäre angesichts der Verbindlichkeit und der besonderen Bedeutung der Entscheidung auch plausibel. Indessen fährt das Gericht weiter: "Nach den verfassungsrechtlichen Grundsätzen der Gewaltenteilung und der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung können die Behörden hierzu nur aufgrund einer ausdrücklichen, den rechtsstaatlichen Anforderungengenügendengesetzlichen Ermächtigungsgrundlage befugt sein." Hier mißversteht der BayVGH die Bedeutung des Art. 92 GG. Das darin festgelegte Rechtsprechungsmonopol erlaubt keinen Gesetzesvorbehalt dergestalt, der "einfache Gesetzgeber" könne Entscheidungen, die "den Gerichten vorbehalten sind" auf die Verwaltung übertragen. Letztlich verwechselt der Senat hier Richter- und Gesetzesvorbehalt. Zutreffend dagegen Lorenz, S. 197. ,.. Vgl. dagegen Krause, Verwaltungshandeln, S. 159. 14' Monem, Praxis des Verwaltungsverfahrens, Rn. 224. 'so IZ 1969, 354 ff. UI Das gilt selbst dann nicht, wenn man beide (Leistungsbescheid und streitentscheidenden Verwaltungsakt) als Unterfall der feststellenden Verwaltungsakte ansieht; Schüle, in: Staats- und verwaltungswiss. Beiträge, S. 286, weist auf die "Flüssigkeit der Grenze zwischen den feststellenden und den entscheidenden Verwaltungsakten" hin.
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nicht genügen. Strukturell muß noch hinzukommen, daß die Behörde, die den Streit entscheidet, selbst außerhalb des Streits stehen muß. D.h., die streitentscheidende Behörde muß unbeteiligt sein. Dieses modale Element rückt diese Entscheidung erst in die Nähe richterlicher Tätigkeit. Hingegen sind Entscheidungen von Vetwaltungsbehörden "in eigener Sache" nicht streitentscheidender, sondern "streitermöglichender" oder "streiteröffnender" Natur 1s2 • Unter diesen Voraussetzungen sind heute kaum Fälle zu finden, in denen die Vetwaltung einen Streit entscheidet. Selbst der Widerspruchsbescheid durch die höhere Behörde zählt nicht dazu, weil die Widerspruchsbehörde nicht etwa einen Streit zwischen Bürger und Ausgangsbehörde entscheidet, sondern im Wege der Selbstkontrolle der Vetwaltung die ihr "zurechenbare" Entscheidung (wenn auch in einem förmlichen Verfahren) überprüft lS3 • Der Umstand, daß im Widerspruchsverfahren das Verbot der reformatio in peius nicht gilr S4 , verdeutlicht dies. Der Vetwaltungsakt, speziell der Leistungsbescheid mit seinem "feststellenden" Bestandteil, bedeutet keine "Rechtsprechung im materiellen Sinne"lSS. Die Vetwaltung darf ihre Geldforderungen deshalb prinzipiell durch einen Leistungsbescheid geltend machen.
e) SoJortvollzug und Richterspruchvorbehalt Nachdem der Leistungsbescheid allen Bedenken aus Art. 92 GG standhalten konnte, fragt es sich, ob die Vorleistungspflicht als solche in Konflikt mit dem Rechtsprechungsbegriff gerät. Das wäre dann der Fall, wenn im Sofortvollzug etwas "endgültiges" läge, das dem Leistungsbescheid den Charakter des "unverbindlichen" bzw. nur "potentiell verbindlichen" nehmen würde. Fraglich ist, ob Art. 92 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG deshalb dem Richter das "erste", "letzUl Vgl. bereits oben S. 165. m Vgl. Oerder, S. 16. U4 Vgl. Oerder, S. 157 ff. us Anderer Auffassung Löwenberg, S. 114 ff.: Er sieht in dem im Leistungsbescheidenthaltenen feststellenden Verwaltungsakt einen Akt der Rechtsprechung im materiellen Sinne. Für ihn ist die Feststellung der Berechtigung zur Geldforderung die Anwendung eines Rechtssatzes als Beurteilungsmaßstab C••• ). Dennoch liege kein Verstoß gegen Art. 20 Abs. 2, 92 GG vor, weil sowohl das finale Element der Endgültigkeit als auch das modale Element des unbeteiligten Dritten fehlten. Diese Argumentation ist nicht schlüssig; zumindest ist ihr Ertrag zweifelhaft. Es ist nämlich nichts dabei gewonnen, das Merkmal der Endgültigkeit (Verbindlichkeit) aus dem Begriff der "Rechtsprechung im materiellen Sinne" zu eliminieren, um es dann doch bei der Interpretation des Art. 92 GG wiederaufleben zu lassen. Unterschiedliche Ergebnisse werden so nicht elZielt.
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3. Kap.: Verfassungsrechtliche Aspekte
te" oder gar "einzige" Wort in der Frage der Berechtigung zur Geldforderung geben. Für die Abgrenzung der Rechtsprechung (im materiellen Sinne) von der Verwaltung ist - wie gesehen - alleine entscheidend, was in einem gewaltenteilenden Staat Veranlassung geben kann, eine bestimmte Staatstätigkeit besonderen Organen vorzubehaltenlS6 • Zunächst gilt es deshalb zu klären, was das "Besondere" an diesen Organen ist. Hier ist zwischen der Autorität, Sachkompetenz und Unabhängigkeit der Richter auf der einen, und den mit diesen Merkmalen verbundenen "Richtigkeitsgarantien " des gerichtlichen Verfahrens auf der anderen Seite zu unterscheiden. aa) Die Autorität des Richters Die Autorität des Richters lS7 ergibt sich aus dessen Unabhängigkeit (Art. 97 GG) und seiner SachkompetenzlSB • Das Zusammentreffen beider Merkmale macht erst den besonderen Status dieses Staatsorgans aus: ebensowenig wie die Beherrschung des Rechts bei einem abhängigen Richter nutzt die Unabhängigkeit eines inkompetenten Richters. Weil die Richtigkeitsgarantien neben den verfahrensrechtlichen Vorkehrungen lS9 im wesentlichen auf der Autorität der Richter bzw. des Gerichts beruhen, ist diese von der Verwaltung besonders abzugrenzen. Der Verwaltungsbeamte besitzt nicht die gleiche Unabhängigkeit wie der Richter l60 • Insbesondere ist die verfassungsrechtliche Garantie des Art. 97 GG auf den Richter beschränkt. Andererseits sind Rechtsprechung und Verwaltung an Gesetz und Recht und speziell die Grundrechte gebunden (Art. I Abs. 3, Art. 20 Abs. 3 GG). Diese Rechtsbindung läßt eine Abhängigkeit der Verwaltungsbeamten im Sinne einer Weisungsgebundenheitnur im Rahmen des Rechts, d.h.
,>6 Ähnliche Fragestellung bei Heyde, in: HbVerfR, S. 1203. Vgl. zur Autorität der Richter im allgemeinen Pawlowsld, Jura 1989,337 ff. und speziell in Abgrenzung zur Autorität der Verwaltung Eichenberger, S. 186 ff.: Verwaltungsrechtsprechung als feindliche Funktion. "8 Daneben sind das hinter ihm stehende effIZiente Verfahren des Rechtszwangs und seine Bindung an Gesetz und Recht zu nennen. Hierzu und zum Einfluß von Moral, Religion und Politik auf die Autorität des Richters: Pawlowsld, Jura 1989,337 ff. "9 Hierzu zählen etwa die Prozeßmaximen wie Öffentlichkeit, Mündlichkeit, Untersuchungsgrundsatz oder die Beteiligungsrechte der Prozeßparteien. '00 Zu Neutralität, sachlicher und persönlicher Unabhängigkeit (im Vergleich mit dem Rechtspfleger) siehe Wolf, ZZP 99 (1986), 377 ff. 1S7
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insbesondere nur dort zu, wo die Gesetze der Verwaltung einen Gestaltungsspielraum belassen oder eröffnen. Der praktisch wichtige Bereich der Ermessensverwaltung zeigt indessen, daß sich die hierarchisch gegliederte Verwaltung 161 von der Gerichtsverfassung prinzipiell unterscheidet l62 • Das Bild relativiert sich nur insofern, als die Spruchpraxis der Gerichte de jure und de facto an höchstrichterliche Entscheidungen gebunden sein kann: Bindungswirkung haben bestimmte Entscheidungen des BVerfG l63 , des "gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe"IM oder solche auf Divergenzvorlagenl65 • Hinzu kommen zahlreiche Einzelfälle l66 • Außerdem wird eine gewisse Selbstbindung der Gerichte im Hinblick auf den Vertrauensgrundsatz 167 bzw. den Gleichheitssatzl68 diskutiert. Faktisch ist die "Orientierung" an der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu nennen, die durch den Rechtsmittelzug bedingt ist und neben einer gewissen Starrheit der Rechtsprechung mit dem Aspekt der Rechtssicherheit auch einen positiven Effekt erzielt l69 • Vergleicht man diese vielfältige Determinierung der Rechtsprechung mit den Wirkungen der Hierarchie in der Verwaltung, nähern sich die Positionen von Richter und Verwaltungsbeamten bei der Rechtsanwendungl70 • Indessen: Was bei der Verwaltung die Regel ist, ist bei der Rechtsprechung die Ausnahme und umgekehrt. Während nämlich die Weisungs freiheit des Verwaltungsbeamten als prinzipielle Ausnahme zu verstehen ist, erklärt Art. 92 GG die Unabhängigkeit des Richters zur Regel; andererseits ist die ausnahmsweise vorkommende Determinierung der Rechtsprechung durch höhere Instanzen bei der Verwaltung die Rege,, 71 • Als erste "Besonderheit" der Richter ergibt sich demnach deren Unabhängigkeit.
,., Zur Hierarchie als Bauprinzip der Exekutive vgl. Dreier, S. 145 ff. u. passim. '.2 Vgl. etwa 7hieme, Verwaltungslehre, Rn. 188 ff.; zu den charakteristischen Strukturen der Gerichtsverfassung Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 2. ,•• § 31 BVerfGG. '64 § 16 RsprEinhG. ,., §§ 132, 136-138 GVG. '66 Z.B. die Bindung der Zuständigkeitsbestimmung bei Verweisung gern. § 381 Abs. 2 S. 2 ZPO; vgl. auch § 11 ZPO; Redekerlvon Oemen, VwGO, § 121, Rn. 18 ff. '67 Vgl. Maurer, in: HStR In;§ 60, Rn. 106 ff.; Robbers, JZ 1988,485 ff. '61 Vgl. Riggen, Selbstbindung der Rechtsprechung; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Abs. 1, Rn. 187,402 ff.; Gusy, DÖV 1992;466 ff.; ders., NJW 1988,2511 f. ,•• Vgl. zur Rechtssicherheit als maßgeblichem Aspekt des Rechtsfriedens Zippelius, Rechtsphilosophie, § 23. 170 Vgl. Eichenberger, S. 18 in Fn. 4. 171 Vgl. auch Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 550.
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3. Kap.: Verfassungsrechtliche Aspekte
Wenn demgegenüber darauf hingewiesen wird, der Verwaltungsbeamte habe die gleiche Sachkompetenz wie der Richtet 72 , wird eine wichtige psychologische Komponente der Rechtsstaatlichkeit übersehen: Die" Allein-Herrschaft" des Rechts schafft nur dann eine Befriedung der Bürger, wenn diesen das Gefühl gegeben wird, der (auch von "Menschenhand" gefällte) Richterspruch verbürge eine Richtigkeit, die diesen von den bloßen Rechtsbehauptungen im Prozeß unterscheidet 173 • Das Urteil darf nicht eine Partei vordergründig bevorzugen, sondern muß die Rechtslage als "richtige Sozial gestaltung " herausstellen. Wenn aber die Verwaltung in den Augen des Bürgers die gleiche Kompetenz wie das Gericht hätte, wäre für diesen nicht einsichtig, weshalb der Streit durch den Richterspruch ausgeräumt sein soll. Auch wenn bereits die Verwaltungsentscheidung für den Bürger möglichst akzeptabel sein soll, muß im unvermeidbaren l74 Streit der "Mehrwert" richterlicher Kompetenz den Rechtsfrieden herstellen. bb) Die Richtigkeitsgarantien der Rechtsprechung Mit der Unabhängigkeit und Sachkompetenz der Richter als Merkmale ihrer Autorität korrespondieren die "Richtigkeitsgarantien der Rechtsprechung 175 • Eine "absolute" Richtigkei~76 kann der Richterspruch zwar nicht gewährleisten, weil Menschen fehlbar sind und die Sprache als Handwerkszeug spezifische Unwägbarkeiten tn erzeugt. Die Richter sind jedoch fachlich in der Lage, das Recht "de lege artis" anzuwenden. Dabei werden sie von keiner anderen Stelle beeinflußt. Vielmehr kontrolliert die (Partei-) Öffentlichkeit den Prozeß, in dem die Beteiligten zudem zur "Wahrheitsfindung" beitragen '78 • H
172 Zur Notwendigkeit einer Rechtsgelehrtheit der Richter ausführlich Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92, Rn. 77 ff.; Schmidt-Jortzig, NJW 1991,2379, weist auf die höchsten Qualifikationsanforderungen des Richters hin, während die Tätigkeit in der Verwaltung keine ·spezifische Fertigkeit" voraussetze. \73 Die Ausbildung der Richter als institutionelle Sicherung für richtige Rechtserkenntnis nennt auch Wolf, ZZP 99 (1986), 372, 381. \7. Schon der menschliche Egoismus wird viele Bürger davon abhalten, nachteilige Entscheidungen - auch wennn sie richtig erscheinen - einfach hinzunehmen. m Vgl. Wolf, ZZP 99 (1986), 370 f. Zur Richtigkeit staatlicher Entscheidungen vgl. BVerfüE 68, I (86); 49, 89 (139 f.). \7. v. Glasersfeld, in: Die erfundene Wirklichkeit, S. 22 ff.; Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 134 ff., 264 ff. 177 Vgl. [(jrchhof, in: HSIR I, § 18, Rn. 4 f. \7. Vgl. zur Funktion des rechtlichen Gehörs als Voraussetzung einer richtigen Entscheidung BVertüE 9, 89 (95).
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Das Zusammenwirken der informierten Beteiligten und Sachverständigen mit den sachkompetenten und unabhängigen Richtern in einem förmlichen Verfahren unter der (Mißbrauchs-) Kontrolle der Öffentlichkeit bietet also eine optimale, wenn auch nicht maximale RichtigkeitsgewäJul 79 • Vor diesem Hintergrund des "Mehrwerts" richterlicher Streitentscheidung lllO soll nun ermittelt werden, wann der Bedarf an "Richtigkeit"181 der Entscheidung ein richterliches Votum erfordert. Hier können verschiedene Sachgruppen unterschieden werden, die alle in Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 und 2 GG wurzeln. Die dort geschützten elementaren Grundrechte erfordern die richterliche Feststellung der Richtigkeit des Eingriffs, bevor andere Staatsorgane tätig werden. Das belegen deutlich die verfassungsrechtlichen Richtervorbehalte: Nach Art. 13 Abs. 2 GG dürfen Wohnungsdurchsuchungen grundsätzlich nur durch den Richter angeordnet werden; über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nach Art. 104 Abs. 2 S. 1 GG nur der Richter zu entscheiden. Beide Fälle lassen sich auf die elementaren Schutzgüter der Privatsphärel82 und der Freiheit der Person l83
zurückführen. Diese speziellen verfassungsrechtlichen Richtervorbehalte lassen sich hingegen nicht verallgemeinern l84 . Ein genereller Richtervorbehalt in dem Sinne, daß jeder Grundrechtseingriff durch einen Richterspruch legitimiert sein müßte, wäre nicht nur praktisch undurchführbar, sondern stieße auch im Hinblick auf den Grundsatz der Gewaltenteilung auf erhebliche rechtliche Bedenken l8s . Eine "verwaltungsbegleitende richterliche Kontrolle" wird auch von Art. 19 Abs. 4 GG nicht gefordertl86 . Nichtsdestoweniger zeigt die Gegenüberstellung von Art. 92, 13 Abs. 2, 104 Abs. 2 GG auf der einen Seite und Art. 19 Abs. 4 GG auf der anderen Seite, daß das Grundgesetz zwischen
'79 Insoweit hängt von der richtigen Entscheidung des Verfahrens - nicht zuletzt der Wahl des Gerichtsverfahrens - die Gewährleistung des materiellen Rechts ab, Hent'ich, NIW 1964, 2367. '00 Vgl. zum "Mehrwert des Autoritativen" Achlerberg, in: FS Menger, S. 126. ,I' Vgl. Engisch, in: Rechtstheorie 1984, 286 ff. '12 Vgl. zum Schutz der "räumlichen Privatsphäre" durch Art. 13 GG BVerfGE 65, I (40); DVBI. 1987, 1065 f. '11 Art. 104 Abs. 2 GG bedeutet die verfahrensmäßige Absicherung des materiellen Freiheitsschutzes durch Art. 2 Abs. 2 GG, vgl. BVerfGE 65,317 (321 f.); Jarass/Pierolh, GG, Art. 2, Rn. 58; vgl. auch Knemeyer, NVwZ 1990, 138. '14 Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92, Rn. 33 m.w.N. tu Vgl. LiskenlMokros, NVwZ 1991,609 ff. ,.. Schmidl-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 176; vgl. auch Heckmann, VBIBW 1992, 169 f.
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3. Kap.: Verfassungsrechtliche Aspekte
dem "ersten Wort" und dem "letzten Wort" des Richters unterscheidet 181 • Die Abgrenzung des Richter(spruch)monopols von der "bloßen" Rechtsweggarantie"l88 leistet somit einen wesentlichen Beitrag zur Auslegung des Art. 92 GG. Nur eine solche Tätigkeit ist dem Richter vorbehalten, die von Gewicht und Bedeutung im Gemeinwesen dem elementaren Schutz von Privatsphäre und persönlicher Freiheit dient. Dabei ergeben sich in der Konkurrenz von Rechtsprechung und Verwaltung zwei Varianten: Das Betätigungsverbot (Richtermonopol i.e.S.). D.h., was dem Richter vorbehalten ist, darf der Verwaltungsbeamte nicht tun, und zwar auch nicht vorläufig. Beispiel: Die Verhängung einer Kriminalstrafe ist nur durch den Richter möglich l89 . Die Betätigungssperre (Richtermonopol i.w.S.). D.h., um handeln zu können, braucht der Verwaltungsbeamte eine richterliche "Erlaubnis". Beispiel: Die Wohnungsdurchsuchung wird durch die Polizei vorgenommen, bedarf aber prinzipiell einer "richterlichen Anordnung", Art. 13 Abs. 2 GG l90 . Die Ausnahmen in Art. 13 Abs. 2 und Art. 104 Abs. 2 GG ("Recht des ersten Zugriffs" bei Gefahr im Verzug; nachträgliche richterliche Genehmigung) zeigen zugleich, daß die Grenzen zwischen dem Richtermonopol i.w.S. (Betätigungssperre) und der Rechtsweggarantie fließend sind. Sie machen aber auch deutlich, daß das Richtermonopol i.e.S. (Betätigungsverbot) zumindest im "Verwaltungsbereich " (z.B. Gefahrenabwehr, Steuerrecht) nicht existieren kann. Die Fallgruppen des richterlichen "ersten" und "letzten" Wortes sind um die Gruppe des (ersten und) "einzigen" Wortes zu ergänzen 191 • Fraglich ist, ob die im Leistungsbescheid intendierte Rechtsverwirklichung durch die Verwaltung unter eine dieser Gruppen fällt. Das "einzige" Wort kann die Rechtsprechung hier schon deshalb nicht haben, weil die Durchsetzung öffentlich-rechtlicher Geldforderungen (auch) zum "Verwaltungsbereich " zählt l92 .
117 Wann der Richter das erste und wann das letzte Wort hat, ist letztlich eine Frage der Effektivität des Rechts und des Rechtsschutzes, Wolf, ZZP 99 (1986),374 f. 11& Auf diese Abgrenzung stützt z.B. Henog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92, Rn. 35 ff. seine Argumentation. 119 Vgl. BVerfUE 22,49. 190 Vgl. Jarass/Pieroth, GG, Art. 13, Rn. 8. 191 Zur Erstkompetenz des Richters ausführlich Wolf, ZZP 99 (1986), 384 ff. 192 Das wurde oben S. 167 f. ausführlich begründet.
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Dagegen gebührte dem Richter das "erste" Wort, wenn die Realisierung der Geldforderung einen spezifischen "Persönlichkeitsbezug" (Art. 1 Abs. 1 i. V.m. Art. 2 Abs. 1 GG I93 ; Art. 2 Abs. 2 GG) hätte, die die "Richtigkeitsgarantie" des gerichtlichen Verfahrens für die Verwaltungstätigkeit erforderte l94 • Dies wird man bei dem rein wirtschaftlichen Vorgang des Vermögenstransfers bei der Beitreibung - im Gegensatz etwa zur Wohnungsdurchsuchung - verneinen müssen. Die Vermögensverschiebung als solche kann eben rückgängig gemacht werden und schafft deshalb keine "vollendeten Tatsachen"19S. Die Gebrauchsvorteile des Geldes, die für die Zwischenzeit verloren gehen, könnten wiederum durch die Gewährung von Zinsen kompensiert werden. Lehnt man eine Verzinsung indessen ab, käme es in Betracht, den Sofortvollzug als "Rechtsprechung im materiellen Sinne" anzusehen. Dann hätte die Behörde nämlich über den Kapitalertrag des angeforderten Geldes auch in den Fällen verbindlich mitentschieden, in denen die Forderung überhaupt nicht besteht. Hierin läge eine "Rechtskraftwirkung" , wie sie nur gerichtlichen Urteilen zusteht. Die Beantwortung dieser Frage soll also davon abhängig gemacht werden, ob eine Pflicht zur Verzinsung besteht l96 • 3. Der Gesetzesvorbebalt
a) Vom Eingriffs- zum Handlungsformvorbehalt aa) Der Verwaltungsakt als "Hausgut" der Verwaltung? Wiederbelebung eines alten Themas Der Verwaltungsakt ist seit etwa 100 Jahren fester Bestandteil der Verwaltungsrechtsdogmatik 197• Als Handlungsform der Verwaltung war er in Wissenschaft und Praxis anerkannt, lange bevor er kodifiziert l98 bzw .
Hiel"LU: Kreppet, in: FS v. Simson, S. 119 ff. Vgl. Wolf, ZZP 99 (1986), 390 ff. •9' Etwas anderes mag eventuell bei einem Konkurs des Schuldners gelten, bei dem die Rückabwicklung "zu spät käme"; dies soll hier jedoch außer Betracht bleiben . •96 Vgl. dazu das 4. Kapitel, besonders S. 256 ff. mit Fn. 274 . • 97 Vgl. zur geschichtlichen Entwicklung des Verwaltungsakts nur Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, § 5 D (S. 57 ff.) . •9. Der Verwaltungsaktscharakter einer Maßnahme hing also nicht von der gesetzlichen • 93 • 94
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3. Kap.: Verfassungsrechtliche Aspekte
legaldefiniert worden istl99 • Daß er - mit seinen spezifischen Wirkungen der Rechtswirksamkeit, der formellen und materiellen Bestandskraft und der Vollstreckbarkeit - auch vielfältig von der Verwaltung eingesetzt werden darf, war nie betritten. Grundlage ist das "Prinzip des allgemeinen Verwaltungszwangs"; danach folgt die Vollstreckungsbefugnis aus der Verfiigungsbefugnis:1OO. In vielen Gesetzen war und ist er als Handlungsform ausdrücklich genannt; auch bei Fehlen einer ausdrücklichen Ermächtigung war seine Anwendung nicht ausgeschlossen. Uneinigkeit herrscht aber seit Beginn über den (qualitativen) Umfang der Befugnis der Verwaltung, im Einzelfall durch Verwaltungsakt zu handeln20l • So oft der Verwaltungsakt als etwas Selbstverständliches dargestellt wurde, so oft äußerte sich Kritik an dieser Handlungsform. Besonders die durch ihn eröffnete Möglichkeit zur Verwaltungsvollstreckung galt als Privileg, das - wenn schon im Grundsätzlichen hinzunehmen doch legitimiert werden mußte202 • Auch mit Inkrafttreten des Grundgesetzes löste das Gesetz als Legitimationsfakto~3 eine Berufung auf die Tradition nicht ganz ab. Noch heute gilt der Verwaltungsakt als die der Verwaltung gemäße Betätigungsform, als ein effizientes Mittel zur exekutivischen Aufgabenerfüllung204 • Zahlreiche gesetzliche Regelungen und eben die Masse der alltäglich durch ihn erledigten Verwaltungsgeschäfte beleben seine Kennzeichnung als "Hausgut "205 der Verwaltung. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß eine streng dogmatische Sicht der Handlungsvoraussetzungen beim Verwaltungsakt die Verwaltungspraxis in arge Bedrängnis stürzen könnte.
Bestimmung seiner Tatbestandsmerkmale ab. Dennoch stellte sich vor Inkrafttreten des VwVfG die Frage, inwieweit der "prozessuale" Verwaltungsaktsbegriffder VwGO (§ 42 VwGO) Maßstäbe für diese Handlungsform der Verwaltung bereithält, vgl. dazu aus damaliger Sicht eingehend Krause, Verwaltungshandeln, S. 115 ff. und zur Unterscheidung von formellem und materiellem Verwaltungsaktsbegriff neuerdings Schenke, NVwZ 1990, 1009 ff. I" Zunächst in § 25 Abs. I MRVO (Militärregierungsverordnung von 1948), vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9, Rn. 3. Nunmehr gelten die (gleichlautenden) Definitionen der §§ 35 S. 1 VwVfG (im Bund und prinzipiell auch in den Bundesländern), 118 AO und 31 SGB X. 200 Vgl. Anschutz, VerwArch. Bd. I (1893), S. 389 ff.; Bettermann, VVDStRL 17 (1959),140; kritisch Spanner, DÖV 1963,29; es lag wohl auch den Beratungen zum VwVG zugrunde, vgl. BTDrs. 1/3981, S. 6; hierzu G. Amdt, S. 26. 201 Vgl. aus der flÜheren Literatur etwa lellinek, Verwaltungsrecht, S. 88 ff., 122 ff. m.w.N.; aus der Rechtsprechung Bez. VG (amerikanischer Sektor), Urt. v. 16.6.1950, DÖV 1951,49 ff.; OVG Hamburg, Urt. v, 27.6.1951, MDR 1951,634 f. 20l Vgl. lellinek, Verwaltungsrecht, § 15 D (S. 341 ff.). Eine historische BeglÜndung des Handlungsformvorbehaltsfindet sich bei Rupp, DVBI. 1963,577 ff. 20' Vgl. hierzu jüngst Hermes, S. 74 f. und passim. ,.. Spanner, DÖV 1963,29; Borgs-Maciejewski, S. 102. 20> OVG Münster, MDR 1963,80 ff.
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Die jüngsten Entscheidungen der Obergerichte206 und entsprechende literarische Äußerungen zu einer differenzierteren Sicht des Vorbehalts des Gesetzes geben jedoch Veranlassung, sich erneut mit der Zulässigkeit des VelWaltungsakts als Handlungsform en detail zu befassen207 • bb) Pro und contra in der Handlungsformdebatte Die Frage, ob nicht nur der Inhalt, sondern auch die Form einer (belastenden) VelWaltungsentscheidung gesetzlich determiniert werden müsse, hatte in den sechziger Jahren Hochkonjunktur. Anlaß waren widerstreitende Entscheidungen um die Geltendmachung von Regreßansprüchen des Dienstherm gegen Beamte oder Soldaten per Leistungsbescheid2ll8 • Die entsprechenden Ermächtigungsgrundlagen2ll9 begründen zwar den Anspruch des Staates auf die Geldzahlung; sie treffen aber keine Aussage über den Weg der Durchsetzung. Daraus wurde besonders von der Literatur gefolgert, der Staat müsse - wie es die Regel sei - auf Leistung, d.h. Zahlung (vor dem VelWaltungsgericht) klagen210 • Das BVerwG hielt dagegen auch in diesen Fällen einer fehlenden gesetzlichen Regelung den VelWaltungsakt für eine statthafte Handlungsform 211 • Charakteristisch für die damalige Rechtsprechung ist auch das Urteil des OVG Münster vom 19.7.1962212 • Das Gericht begründete die Befugnis der VelWaltungsbehörde, in allgemeinen oder besonderen Gewaltverhältnissen
Vgl. unten zu und in Fn. 225. m Vgl. neuerdings auch Hili, DVBI. 1989, S. 323 f., der die Handlungsfonnproblematik bezeichnenderweise in seinem Generaltbema "Das hoheitliche Moment im Verwaltungsrecht der Gegenwart" erörtert. 208 Vgl. aus der Rechtsprechung BVerwGE 18,283 (285); BVerwGE 19, 243 (245); OVG Koblenz, DVBI. 1964,931, dass., DVBI. 1964,935; VG Gelsenkirchen, RiA 1963,62, OVG Münster, MDR 1963,80; VGH Kassel, DVBI. 1963,555; OVG Hamburg, VerwRspr. 15, 154; VGH München, BayVBI. 1962, 386; ders., DVBI. 1960, 175. Dazu sind neben den Monographien von Löwenberg, Die Geltendmachung von Geldforderungen im Verwaltungsrecht, 1967; Amdt, Der Verwaltungsakt als Grundlage der Vollstreckung, 1967; Borgs-Maciejewsld, Die Durchsetzung vermögensrechtlicher Anspruche des Dienstberrn gegen Beamte, 1967 und später Arbeiter, Die Durchsetzung gesetzlicher Pflichten, 1978, zahlreiche Aufsätze erschienen. Einen Überblick gibt Arbeiter, S. 125 f.; vgl. auch Osterloh, JuS 1983,281 f. 209 Vgl. etwa § 78 Abs. 1 BBG, § 24 Abs. I SoldG. 210 Vgl. Löwenberg, S. 96 ff.; G. Amdt, S. 25 ff.; Renek, JuS 1965, 129 ff.; Rupp, DVBI. 1963, 577 ff.; zustimmend Mußmann, Gew Arch. 1986, 126; differenzierend Hili, DVBI. 1989,324; a.A. Borgs-Maciejewsld, S. 93 ff., Arbeiter, S. 121 ff.; Kopp, GewArch. 1986,45. 211 BVerwGE 18, 283; 19,243; 21, 270; 28, 1. 212 DÖV 1963,27. 206
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(Über- und Unterordnungsverhältnis) Regelungen auch ohne "förmliche Gesetzesermächtigung" zu treffen, mit "Effizienzgesichtspunkten "213: Während der Verwaltungsakt früher aus dem hoheitlichen Charakter der monarchischen Verwaltung begründet worden sei, sei es nunmehr das öffentliche Interesse, welches ein schnelles und wirksames Handeln der Verwaltung verlange. Diese Befugnis gehöre gewohnheitsrechtlich schon zum "Hausgut" der Verwaltung214 • Dieser Meinungsstreit2 15 hat eine verfassungsrechtliche Dimension: Die Forderung nach einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für die Handlungsform wird auf den rechtsstaatlichen Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) gestützf l6 • Der daraus resultierende Vorbehalt des Gesetzes verlangt für jeden Eingriff in Freiheit und Eigentum eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage. Ein solcher Eingriff liege nach der Gegenmeinung bereits dann vor, wenn die Behörde einen Verwaltungsakt erlasse. Dieser zeitige eine spezifische Eingriffswirkung, die sich etwa in der drohenden Bestandskraft und der daraus folgenden Obliegenheit zur Rechtsbehelfseinlegung äußere. Dessen unbeeindruckt verfolgte das BVerwG die eingeschlagene Linie weiter, wonach die Befugnis zum Handeln durch Verwaltungsakt einem allgemeinen Rechsgrundsatz des deutschen Verwaltungsrechts entspreche. Die angeführten Nachteile für den Adressaten seien konstruktiv im Verwaltungsakt angelegt und - schon wegen der Vorteile des verbindlichen Verwaltungsakts für die Rechtssicherheit - hinzunehmen. Wenngleich durch die höchstrichterliche Rechtsprechung für die Praxis geklärt, war diese Frage auch in der Folgezeit nicht befriedigend beantwortet und so verwundert es nicht, daß dieser Meinungsstreit in den achtziger Jahren erneut entbrannte. Ausgangspunkt der "Renaissance" der Handlungsformdebatte ist das Urteil des BVerwG vom 29.11.1985217 • Seine Kernaussage spiegelt sich in dessen erstem Leitsatz wider: "Feststellende Verwaltungsakte bedürfen jedenfalls dann einer gesetzlichen Grundlage, wenn ihr Inhalt etwas als Rechtens feststellt, was
213 Natürlich nicht in dieser Terminologie, sondern der Sache nach. Dezidiert im Hinblick auf "Effizienz" aber MayerlKopp, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 175. 21' OVG Münster, DÖV 1963,27 unter BerufungaufJellinek, Verwaltungsrecht, 3. Aufl., S. 21; Forsthoff, Verwaltungsrecht, 7. Aufl., S. 15,206. m Einen guten Überblick bieten auch StelkenslSachs, in: Stelkens/BonklLeonhardt, VwVfG, § 44, Rn. 29 ff. 216 OVG Münster, NJW 1990,2901. 217 BVerwGE 72,265 = DVBI. 1986,560 ff. Vgl. hierzu neben den später im Text Genannten noch König, BayVBI. 1987,263 f. sowie BVerwG GewArch 1991,68.
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der Betroffene erklärtermaßen für nicht Rechtens hält." Zu dieser Aussage gelangt das Gericht in Fortführung des allgemein anerkannten Eingriffsvorbehalts218 , wonach Eingriffe in Freiheit und Eigentum einer gesetzlichen Grundlage bedürfen. Beim feststellenden Verwaltungsakt sei ein solcher Eingriff gegeben, weil eine förmliche Feststellung, die als Regelung die Rechtsfolge möglicher Bestandskrajfl9 für sich in Anspruch nehme, eine Belastung für den Adressaten darstelle2211 • Dies gelte jedenfalls dann, wenn der Inhalt dem Betroffenen erklärtermaßen nicht genehm sei 22l • Bei dieser Begründung drängt sich die Frage nach dem "Handlungsformvorbehalt" auf. Deshalb sei die Kemaussage noch einmal in folgenden zwei Sätzen "auf den Punkt gebracht": (1.) Entscheidet die Behörde bei einer (zwischen ihr und dem Bürger) streitigen Rechtslage durch Verwaltungsakt, liegt ein Eingriff unabhängig davon vor, welchen Inhalt der Verwaltungsakt hat. (2.) Schon die Regelung als solche bedeutet eine Belastung für den Bürger, weil sie in Bestandskraft erwachsen kann. Die Parallelen zur Begründung des Handlungsformvorbehalts durch die Literatur222 sind in diesem Duktus unverkennbar. Während das BVerwG in seinen früheren Entscheidungen die "Ermächtigungsbedürftigkeit der bloßen Form" noch strikt geleugnet hatte223 , wird der formale Aspekt der "möglichen Be-
210 Oen Eingriffsvorbehalt leitet das Gericht unter der Herrschaft des Grundgesetzes aus Art. 20 Abs. 3 GG in Verbindung mit den Grundrechten her, vgl. BVerwG, OVBI. 1986, 560 (561 m.w.N.) aus der friiheren Rechtsprechung. Oaran habe die Wesentlichkeitsrechtsprechung des BVerfG (E 34, 165 (192 f.); 40, 237 (248 f.); 45, 400 (417); 47, 46 (78 f.); 48,210 (221); 49, 89 (126 f.); 58, 257 (268 f.); hierzu statt aller Kloepfer, JZ 1984, 685 ff. und von Amim, OVBI. 1987, 1241 ff.) nichts geändert, weil sie den Gesetzesvorbehalt erweitern und nicht beschränken wolle. 21' Hervorhebung des Verf. 220 Im Ergebnis ebenso, aber ohne nähere Begriindung VGH München, NVwZ 1983, 550. Anderer Auffassung noch - wohl in Unkenntnis der Entscheidung des BVerwG - Kopp, Gew Arch. 1986,45. Zudem ist auf folgendes hinzuweisen: Oie "Breitenwirkung" feststellender Verwaltungsakte (vgl. bereits oben S. 168) kann auch dazu führen, daß durch "stückchenweise" Feststellungen die Prozesse in einer Angelegenheit vervielfacht werden, zumal der Bürger nicht immer wissen kann, welche (Tatbestands-) Wirkung die Feststellung noch entfaltet. 221 Ob sich die Belastung zudem aus einem Vergleich der materiellen Rechtslage mit der Auffassung des Adressaten ergeben müsse, läßt das Gericht offen, BVerwG, OVBI. 1986,560 (561). Vgl. aber Drescher, OVBI. 1986, 728 ("Oie Frage des Erfordernisses einer gesetzlichen Ermächtigung für den Erlaß feststellender Verwaltungsakte stellt sich mithin nicht unter dem Gesichtspunkt, ob die festgestellte Rechtslage für den Betroffenen nachteilig ist. ") = Vgl. besonders Renck, JuS 1965, 129 ff. (131). 223 So die Quintessenz von Renck, JuS 1965, 132; vgl. aus der friiheren Rechtsprechung zusammenfassend BVerwGE 28, 1 ff.
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standskraft" - wie die "immanente Eingriffswirkung des Leistungsbescheides"224 - nunmehr zum Hauptmotiv für den Gesetzesvorbehalt. Dies führte auch zu einer Trendwende in der obergerichtlichen Rechtsprechung. Wenngleich zwischen "rein" feststellenden Verwaltungsakten und Leistungsbescheiden ein Unterschied besteht, nahmen verschiedene Oberverwaltungsgerichte die Entscheidung des BVerwG zum Anlaß, ihre Stellung zum Handlungsformvorbehalt dieser Rechtsprechung anzupassen225 • Bezeichnend ist insofern das Urteil des OVG Laneburg. Nach einer Erörterung des Streitstandes zum Handlungsformvorbehalt legt es seine eigene Auffassung dar, derzufolge dem Leistungsbescheid wegen seiner Titel- und Vollstreckungsfunktion unabhängig von seiner materiellrechtlichen Regelung eine den Adressaten belastende Rechtsfolge immanent sei, sodaß er von der Geltung des Vorbehalts des Gesetzes nicht ausgenommen werden dürfe226 • Es fährt dann wörtlich fort: "In diese Richtung scheint auch die neuere Rechtsprechung des 8. Senats des BVerwG zu gehen. ( ... ) daß der 8. Senat zumindest für feststellende Verwaltungsakte den bisher auf die materiellrechtliche Seite des Verwaltungshandelns beschränkten Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes auf die verfahrensrechtliche Befugnis der Verwaltung, die gesetzliche Regelung durch Verwaltungsakt festzustellen, ausgedehnt hat227 • Diese Änderung der bisherigen Rechtsprechung des BVerwG228 dürfte auch über den konkret entschiedenen Fall hinaus nicht ohne Einfluß auf die Beurteilung der grundsätzlichen Problematik des Erfordernisses einer gesetzlichen Ermächtigung für die Handlungsform des Verwaltungsakts bleiben" .
m Löwenberg, S. 45 ff.
Vgl. VGH Mannheim, NVwZ 1990, 388 (Ersatzanspruch aus Kanalbenutzungsverhältnis); OVG Lüneburg, NVwZ 1989, 880 (Entgeltanspruch des Krankenhauses); OVG Koblenz, NVwZ 1989, 894 (Kostenerstattung zwischen Landkreis und Gemeinde); OVG Münster, NJW 1990,2901 (postbenutzungsverhältnis gegenüber einem Dritten); OVG Hamburg, NVwZ 1990, 686 (Schadensersatz bei BAFöG-Rückforderung); VGH Mannheim, NVwZ 1989, 892 (Rückforderung gegenüber Erben eines Beamten); früher bereits OVG Hamburg, DÖV 1966, 348. Anderer Auffassung ausdrücklich VGH Kassel, DÖV 1991, 699 (Aufwendungsersatz für Abschleppmaßnahmen). 226 OVG Lüneburg, NVwZ 1989,880 (881). 227 Das OVG Lüneburgberuft sich hier auf Drescher, DVBI. 1986,729 und Bauer, NVwZ 1987, 112; dazu anschließend im Text. 221 Hervorhebung des Verf. :w
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Nicht ganz so dezidiert, aber der Sache nach aus gleichen Motiven rekurrieren auch die anderen neuen Entscheidungen auf diesen "Rechtsprechungswandel "229. In jedem Fall wird die ältere Rechtsprechung des BVerwG, derzufolge die Ermächtigung zum Erlaß von Verwaltungsakten bereits gewohnheitsrechtlich aus dem allgemeinen Gewaltverhältnis abgeleitet wurde230 , abgelehnt231 . Dieser Wandel der Rechtsprechung hat auch ein Echo in der Literatur gefunden. Drescher führt in seiner Anmerkung zum BVerwG-Urteil aus, "mit der Entscheidung vom 29.11.1985 (befinde) sich das BVerwG auf Kollisionskurs mit der in seiner bisherigen Rechtsprechung, in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum vertretenen Auffassung, der Erlaß feststellender Verwaltungsakte sei auch ohne eine gesetzliche Ermächtigung der Verwaltung zulässig .... Ob sich mit der vorliegenden Entscheidung eine Änderung der Rechtsprechung zur Befugnis der Verwaltung zum Handeln durch Verwaltungsakt anbahnt, die auch auf andere Rechtsgebiete übergreift, bleibt deshalb abzuwarten"232. Bauer bezweifelt, daß die höchstrichterliche Entscheidung zu den feststellenden Verwaltungsakten eine weitergehende Weichenstellung auf dem Weg zu einem umfassenden Handlungsformvorbehalt beinhaltete. Weil sich im Urteil keine eingehende oder gar erschöpfende Auseinandersetzung mit den für und gegen einen gesetzlichen Handlungsformvorbehalt sprechenden Argumenten befinde, sei fraglich, ob das BVerwG eine grundsätzliche Änderung der bisherigen Rechtsprechung einleiten wollte. Dennoch: Die Entscheidung dürfte einen wichtigen Anstoß für die Auseinandersetzung über den Gesetzesvorbehalt im Hinblick auf die Handlungsform des Verwaltungsaktes gegeben haben233 • Wie die neueste Lehrbuchliteratur die Rechtsentwicklung beurteilt, zeigt exemplarisch die 8. Auflage des "Allgemeinen Verwaltungsrechts" von Maure~. Nachdem er den Handlungsformvorbehalt mit der bekannten
229 Vgl. etwa VGH Mannheim, NVwZ 1990,388. Das Gericht nennt bei seiner Begründung des Handlungsformvorbehalts die Entscheidungen des BVerwG und des OVG Lüneburg in einem Atemzug (S. 388 oben rechts). 230 BVerwG 28, 1. 23\ OVG Münster, NJW 1990,2901; VGH Mannheim, NVwZ 1990,388. 232 Drescher, DVBI. 1986,729. 233 Bauer, NVwZ 1987, 113. Diese Ausfiihrungenzeigen aber auch, daß die Berufung des OVG Lüneburg auf Bauer (NVwZ 1989, 880, 881) zur Begründung eines grundlegenden Rechtsprechungswandels fehl geht. ... § 10, Rn. 5.
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3. Kap.: Verfassungsrechtliche Aspekte
Formel "Der Vorbehalt des Gesetzes bezieht sich nur auf den Inhalt, nicht auch auf die Form des Tätigwerdens der Verwaltung" abgelehnt hat, wendet er sich (im "Kleindruck") der Rechtsprechung zu: "BVerwGE 72, 265 spricht nicht gegen die hier vertretene Auffassung, da dort nicht nur auf die Form, sondern auch auf den Inhalt abgestellt wird. "235 Wie immer man diese Entwicklung beurteilt236 : Sie zeigt auch seitens der bislang so streng konturierten Judikatur eine weitere Sensibilisierung der Gewaltenteilungsproblematik, die ein Ende der Handlungsformdebatte nicht in Sicht erscheinen läßt. cc) Differenzierender Maßstab nach Subordinationsgesichtspunkten Die soeben skizzierte Rechtsprechung hat kein bedingungsloses "Ja" zum Handlungsformvorbehalt gezeigt. Die Gerichte zeigen zwar ausdrücklich die Nachteile des Verwaltungsakts für den Adressaten auf und folgern daraus auch die Eingriffsqualität der Handlungsform. Diese Feststellungen erscheinen aber eher obiter dicta. Der möglichen Schlußfolgerung,jeder Verwaltungsakt müsse als solcher gesetzlich" zugelassen" werden, entgehen die Entscheidungenjedoch mit dem Hinweis, der vorliegende Sachverhalt zeichne sich durch das Fehlen eines Über/Unterordnungsverhältnisses aus, das aber für den Erlaß eines Verwaltungsakts unerläßlich sei237 • Genau genommen erweist sich damit die Begründung eines Eingriffs durch die Handlungsform für die Entscheidung des Rechtsstreits als nicht tragend. Auch ohne einen solchen Eingriff wäre der Erlaß eines Leistungsbescheides in einem "Gleichordnungsverhältnis" unzulässig: Der Verwaltungsakt als "hoheitliche Maßnahme" setzt stets ein hoheit-
135 Diese Wertung durch Maurer ist nicht übeneugend. Natürlich berücksichtigt das BVerwG auch die besondere Bedeutung des streitigen Entscheidungsinhalts. Indessen: Insoweit gab es eine gesetzliche Ennächtigungsgrundlage. Das Gericht stellt hingegen die besondere Belastung ("mögliche Bestandskraft") in den Raum, was sich mit dessen früherer Rechtsprechung nicht vereinbaren läßt. .36 In der Sache skeptischer wohl Hill, DVBI. 1989,323 ("In der Rechtsprechung läßt sich eine eindeutige Position dazu noch nicht ausmachen. "). m Vgl. VGH Mannheim, NVwZ 1990, 388 ("Die Überordnung muß ... in Bezug auf den Anspruch bestehen, der durch Verwaltungsaktgeregelt werden soll. "); OVG Koblenz, NVwZ 1989, 894 ("Diese Befugnis ... setzt ... jedoch ein hoheitliches Überordnungsverhältnis voraus, das im vorliegenden Fall nicht besteht. "); OVG Lüneburg, NVwZ 1989,890, 892 ("Dies rechtfertigt aber nicht zwangsläufig den Schluß, daß das Krankenhaus dem Kostenpflichtigen bezüglich des Entgeltanspruchs im Verhältnis hoheitlicher Überordnung gegenübersteht. ").
D. Sofortvollzug und Gewaltenteilung
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liches, also ein Über-/Unterordnungsverhältnis als Regelungsgegenstand voraus238 • Dem ließe sich entgegenhalten, erst der Vetwaltungsakt gestalte das Rechtsverhältnis durch seine Regelung "hoheitlich". Dies führte indessen zu einer unnötigen Ausweitung der Regelungsmacht der Vetwaltung, die - auch ohne die verfassungsrechtlichen Vorbehalte gegenüber einem spezifischen Eingriff - ihr Handlungsprogramm in erster Linie durch das Grundgesetz und den ihm gemäßen Gesetzen erfährt. Setzt aber das Handeln durch Vetwaltungsakt von vomeherein ein Subordinationsverhältnis voraus, beschränkt sich die Eingriffsproblematik auf die Frage, ob die hoheitlich handelnde Vetwaltung einer gesetzlichen "Zulassung" der Handlungsform Vetwaltungsakt zumindest beim Erlaß von Leistungsbescheiden bedarf239 • Das wiederum hängt entscheidend davon ab, ob die immer wieder betonten Wirkungen des Vetwaltungsakts (Bestandskraft, Titel- und Vollstreckungsfunktion, Rollenvertauschung Im Prozeß) einen rechtserheblichen Eingriff für den Bürger darstellen. b) Zur Eingriffsqualität des Verwaltungsakts im Regelvollzug
aa) Keine Entbehrlichkeit der Fragestellung zugunsten der Exekutive Die Ausgangsfrage würde sich erübrigen, wenn die Befugnis der Vetwaltung, Vetwaltungsakte auch ohne besondere Ermächtigungsgrundlage zu erlassen, gewohnheitsrechtlich anerkannt wäre240 • Anders ausgedrückt: Das Gewohnheitsrecht selbst könnte die "gesetzliche" Grundlage darstellen. Diese in der früheren Rechtsprechung öfter vertretene Auffassung ist jedoch widerlegt worden und braucht hier nicht weiter verfolgt werden241 : Schon im 19. Jahr-
Osterloh, JuS 1983,282. Dies verneinen Borgs-Maciejewsld, S. 107 für alle vennögensrechtlichen Anspruche des Staates als Bestandteil der Hoheitsverwaltung und etwa der VGH Mannheim, NVwZ 1990,388 für die Anspruche aus dem Beamten- und Soldatenverhältnis. 2AO So noch BVerwGE 19, 243 (245); 21, 1 (2); NJW 1977, 1838. 2-4, Vgl. Schenke, JuS 1979,888; Wacke, DÖV 1966,313; Renck, JuS 1965, 132 f.; Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 210 ff.; Rupp, DVBI. 1963,580; differenzierend Weingart, DÖV 1967, 290 f. (er bejaht Gewohnheitsrecht für den beamtenrechtlichen Leistungsbescheid) und Krause, Verwaltungshandeln, S. 209 (für die gewohnheitsrechtlichgewonnene Handlungsfonndes Verwaltungsakts reiche eine gewohnheitsrechtliche Ennächtigung; diese bedürfe jedoch der Konturierung, wenn sie nicht ausufern solle); unklar Spanner, DÖV 1963,30, der sich einerseits gegen die überholte Rechtsaufassung aus der konstitutionellen Monarchie wendet, andererseits aber von einem Satz des Gewohnheitsrechts spricht. 231 239
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3. Kap.: Verfassungsrechtliche Aspekte
hundert wurde die nämliche Befugnis des Staates bestritten242 ; das hat sich bis heute nicht geändert. Von einer "opinio juris atque necessitatis" kann deshalb nicht gesprochen werden. Ein weiterer Grund dafür, die Verwaltung auch ohne formalgesetzliche Direktiven handeln zu lassen, könnte ein spezifischer "Vollzugsvorbehalt" sein. Ein solcher wird im Rahmen der Diskussion um den sog. Verwaltungsvorbehalt diskutiert243 • Indessen: Die Stimmen, die einen Vollzugsvorbehalt bejahen wollen244 , gehen jedoch nicht so weit, einen konkreten Eigenbereich der Verwaltung dergestalt zu konstituieren, daß diese in bestimmter Weise auch ohne gesetzliche Grundlage handeln dürfe. Aus der Verfassung läßt sich lediglich herleiten, daß die Verwaltung die generelle Aufgabe hat, Gesetze zu vollziehen, und daß ihr diese Aufgabe nicht ganz entzogen werden darf245 • Insofern mag man auch von einem Kernbereich der Verwaltung sprechen 246 • Rückschlüsse auf den Handlungsformvorbehalt lassen sich daraus aber nicht ziehen241 • Ein weiteres kommt hinzu: Der "echte" Vollzugsvorbehalt würde die Verwaltung vor dem Zugriff des Gesetzgebers schützen; darf der Gesetzgeber überhaupt im Verantwortungsbereich der Exekutive tätig werden? Hier geht es dagegen um die Frage: Muß der Gesetzgeber tätig werden, indem er eine Grundlage für den Erlaß von Verwaltungsakten schafft? bb) Keine Entbehrlichkeit der Fragestellung zugunsten der Legislative Die Frage nach einem Handlungsformvorbehalt erübrigt sich aber auch nicht aus der Wesentlichkeitsrechtsprechung des BVerfG. Danach sind die wesentli-
Vgl. Anschütz, VerwArch. Bd.l (1893),389 ff. Vgl. besonders Schröder, DVBI. 1984,814 ff.; daneben BiJckenjörde, Organsiationsgewalt, S. 102 ff.; Bullinger, Vertrag und Verwaltungsakt, S. 93 ff.; Maurer, DÖV 1984, 929 ff.; Kloepfer, VVDStRL 40 (1982), 62 ff., 79 ff.; Ossenbühl, in: HStR m, § 62, Rn. 56 ff.; aus der Rechtsprechung BVerfUE 9, 268 ff. (279 f.); 34, 52 ff., 59; 49 (89 ff.). l44 Schröder, DVBI. 1984,821; Ossenbühl, in: HStR 1lI, § 62, Rn. 56; vgl. auch Maurer, DVBI. 1984,929 ff.; ablehnend z.B. MaunzlZippelius, Staatsrecht, § 31 1lI. U5 Böckenförde ,Organisationsgewalt, S. 107. l46 Vgl. Stern, Staatsrecht ß, § 36 IV 5. 247 Anderer Auffassung wohl Borgs-Maciejewsld, S. 93 ff., der den Handlungsformvorbehalt deshalb ablehnt. 24l
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D. Sofortvollzug und Gewaltenteilung
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chen Entscheidungen für die Verwirklichung der Grundrechte24B durch ein (parlamentsbeschlossenes) Gesetz zu treffen. Die Form des Verwaltungshandelns mag nun - was noch zu prüfen bleibt - eine Eingriffswirkung zu Lasten des Adressaten entfalten. Diese erreicht aber nicht die Intensität, daß man von einer grundrechtsrelevanten Belastung sprechen könnte. Die Wirkungen hängen im wesentlichen mit der Rechtsschutzgarantie zusammen, die aber trotz weiter Auslegung - viele Einschränkungen erlaubt. Ob der Gesetzgeber gehalten ist, die Nahtstelle zwischen "materiellem Recht" (das als Ermächtigungsgrundlage gesetzlich geregelt ist) und "Verfahrensrecht" (dessen Belastungswirkungen ebenfalls normativ fixiert sind) in jedem Einzelfall zu regeln, bleibt noch zu untersuchen249 • Eine "wesentliche" Entscheidung ist dies jedoch nicht. Aus dem gleichen Grund scheitert auch eine Berufung auf den TotalvorbehalfSO. Zwar geht es auch dort um eine Ausweitung des Gesetzesvorbehalts
über den "klassischen" Bereich des Eingriffsvorbehalts hinaus. Diese Ausweitung geschieht danach aber in Richtung Leistungsverwaltung und orientiert sich damit ebensowenig an der Form des Verwaltungshandelns wie der Eingriffsvorbehalt i.e.S. 2S1 cc) Die Vorteil/Nachteil-Rechnung beim Verwaltungsakt Der Hauptvertreter der Literatur, der noch heute den Handlungsformvorbehalt ablehnt, ist - wie bereits angedeutet - Maurer. Speziell für den Leistungsbescheid vertritt er die Auffassung, daß dieser für den Bürger neben Nachteilen2S2 auch Vorteile bringe2S3 : Er müsse vor Erlaß des Bescheids gehört werden, der Bescheid selbst sei zu begründen und auf Widerspruch hin verwaltungsintern zu überprüfen. Maurer wendet sich gegen die h. L., die "in dieser Hinsicht noch zu stark von der Vorstellung des Verwaltungsakts als einem obrigkeitsstaatlichen Machtinstrument beherrscht (sei)". Löste man sich von
2A8 Vgl. BVerfUE 47, 46 (79); 57, 295 (321); 58, 257 (268 f.); hierzu auch: Kloepfer, in: Zustand und Perspektiven der Gesetzgebung, S. 187 ff. 249 Vgl. im Anschluß S. 188 ff. 2>0 Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6, Rn. 10 ff. 2>1 So auch Borgs-Maciejewsld, S. 98. 2>2 Als Nachteile nennt er die Bestandskraft und veljährungsrechtliche Konsequenzen. 2$) Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 10, Rn. 7.
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3. Kap.: Verfassungsrechtliche Aspekte
diesen, bestünden keine Bedenken, den Verwaltungsakt als adäquates Regelungsinstrument anzuerkennen. Das mag - wie sogleich zu zeigen sein wird - im Ergebnis zutreffen. Gegen die Begründung bestehen aber Bedenken. Zum einen ist die Vorteil/NachteilRechnung als solche unbrauchbar, weil sich hier keine berechenbaren, "kommensurablen" Größen gegenüberstehen. Zum anderen stimmt die "Rechnung" auch im einzelnen nicht. Die Vorteile, die Maurer aufzählt, sind kein Ausgleich für die Nachteile, sondern Mindestanforderungen, die in verfahrensrechtlicher Hinsicht an diese Handlungsform gestellt werden und diesen überhaupt erst "erträglich" machen2S4 • Es sind insbesondere keine Vorteile gegenüber der alternativen Handlungsform, der Leistungsklage. Dort nämlich gewährt das Prozeßrecht dem Bürger noch weitergehend rechtliches Gehör25s. Alleine die verwaltungsinterne Prüfung würde dann wegfallen. Dies ließe sich aber durch eine Art "Mahnverfahren" vor Klageerhebung ersetzen. Die "Bestandskraft, Titel- und Vollstreckungsfunktion" treten hingegen nicht gegen den Willen des Adressaten ein, sodaß als rechtlich erhebliche Einwände nur noch in Betracht kommen: die Obliegenheit der Gegenwehr und der Rollentausch im Gerichtsverfahren. Diese Gesichtspunkte lassen sich aus soziologischer, prozessualer und finanzieller Sicht beurteilen. dd) Soziologischer Aspekt: Die Hemmschwelle der Gegenwehr Wenn vielfach geäußert wird, der Kläger "müsse" Klage erheben, wenn er die Vollstreckung verhindern wolle, dann spielt unterschwellig auch der Gedanke mit, nicht jeder würde sich aktiv zur Wehr setzen2S6 • Es mag sein, daß eine gewisse Unbeholfenheit und die "Distanz" (Bürgerferne) von Justiz und Verwaltung dazu beitragen, daß der angebotene Rechtsschutz nicht wahrgenommen wird. Diese Hemmschwelle verkürzt dann faktisch die Rechtsschutzmöglichkeiten und führt letztlich dazu, daß die Rechtsverwirklichung nicht nur in den Fällen forciert wird, in denen der Bürger einverstanden ist2S7 oder aus Bequemlichkeit2S8 nicht leistet.
'54 So auch Hill, DVBI. 1989,324. m Vgl. auch Art. 103 GG, der für das Gerichts-, nicht für das Verwaltungsverfahrengilt. ,,. Vgl. Henrichs, NJW 1964,2367, zum sog. "unteren Weg" (also den "kleinen Dienstweg"), statt der Rechtsbehelfseinlegung lieber auf Billigkeit zu spekulieren. m Hier trägt der Autonomiegedanke. m Dort geht es um die Effizienz der Rechtsverwirklichung.
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Löwenberg sieht darin einen Eingriff in Art.2 Abs. 1 GG, der schon durch den Zwang, eine bestimmte Maßnahme ergreifen zu müssen, verwirklicht sei2S9 • Das geht zu weit, weil die "Mitwirkung des Bürgers am Verwirklichungsprozeß des Rechts" so einseitig im Sinne eines Grundrechtsschutzes der Passivität verkürzt wird260 • Mit der Hemmschwelle der Gegenwehr ist eben kein rechtserheblicher Eingriff verbunden. Hierin liegt nur eine faktische Belastung, die von jedem Staatsbürger als Obliegenheit hingenommen' werden muß. Das ist eine weitere Konsequenz der autoritativen Rechtsbehauptung, als die der Verwaltungsakt interpretiert werden kann26l • Weil bestimmte öffentliche Aufgaben nicht "ausgehandelt" werden oder der zufälligen Befolgung überlassen bleiben können, bedarf es eines Procedere, das die Rechtsverwirklichung sichert. Die Anstoßfunktion des Verwaltungsakts, der den "Ball der Rechtsverwirklichung ins Rollen bringt" fordert die Mitwirkung des Rechtsbetroffenen. Daß er in Anspruch genommen werden darf, ergibt sich aus dem materiellen Recht, und zwar auf gesetzlicher Grundlage. Wie die Mitwirkung aussieht, hängt nicht zuletzt auch von seiner Einbindung in den zu regelnden Sachverhalt ab. Dabei muß der Bürger kein zwingendes, sondern nur ein potentielles Unrecht abwehren, bei dem z.T. nur er selbst weiß, daß es Unrecht ist262 • Zumindest kann der Bürger seine Interessen besser einschätzen, sodaß es ihm zuzumuten ist, diese aktiv zu verfolgen263 • Auch im gerichtlichen Verfahren sind, soweit die Behörde klagt, Hemmschwellen für den Bürger zu überwinden: die Reaktion auf einen Mahnbescheid264 oder die Notwendigkeit einer Klageerwiderung zwingen den Bürger auch zu einer aktiven Gegenwehr im eigenen Interesse. Die Handlungsform des Verwaltungsakts erscheint demgegenüber nicht mehr als rechtserhebliche Belastung, über die durch (förmliches) Gesetz zu entscheiden wäre. Hinzukommt, daß die regelmäßige Rechtsbehelfsbelehrung dem Bürger die Möglichkeiten der Gegenwehr aufzeigt und ihn einlädt, davon Gebrauch zu machen. In der Tat erscheint es widersprüchlich, wenn einerseits
2'" Löwenberg, S. 49 f.
:zoo Vgl. auch Achterberg, DVBI. 1966, 152 f.
Vgl. oben S. 74 ff. Wenn seine Sachkenntnis um die betroffenen Interessen oder Rechtsgüter weiter reicht als die der Behörde. 263 Durch die eigenverantwortliche Gestaltung seiner Lebensverhältnisse wird er auch als Prozeßsubjekt ernst genommen (vgl. Loren.. , S. 261). 2M Auch hier drängt sich wieder der Vergleich des Verwaltungsakts mit dem zivilprozessualen Mahnbescheid auf, vgl. Gaul, JZ 1973,477. 26.
262
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3. Kap.: Verfassungsrechtliche Aspekte
eine Prozeßfreudigkeit beklagt wird26S die zu einer Überlastung der Gerichte führt, andererseits aber die Prozeßscheu zum Motiv rur eine gesetzliche Sondierung zwischen Leistungsbescheid und Leistungsklage erhoben wird266 • 00) Prozessualer Aspekt: Die Rollenvertauschung
Die Notwendigkeit einer Anfechtungsklage, die der Adressat des Leistungsbescheides zu erheben hat, fiihrt zu einer "Rollenvertauschung" im Prozeß: der (vermeintliche) Schuldner ist Kläger und der Gläubiger Beklagter267 • Wenn vom Prozeßrisiko die Rede ist, das den Bürger treffe, ist neben der Obliegenheit zur Gegenwe~ und dem Kostenrisiko269 die Beweislastverteilung angesprochen270 • Diese ist aber für den Bürger nicht deswegen ungünstig, weil er Kläger im Verfahren ist. Wer zu beweisen (Beweislasf71 ) bzw. darzulegen (Darlegungslast) hat, ob die den Verwaltungsakt rechtfertigenden Tatsachen im vorliegenden Fall gegeben sind, richtet sich nach materiellem Rechf72 und dort in aller Regel gegen die Behörde273 • Die Rollenvertauschung vermag so die Qualifizierung der Handlungsform Verwaltungsakt als Eingriff nicht zu rechtfertigen274 •
26> Vgl. hierzu aus rechtspolitischer Sicht Strempel/van Raden, ZRP 1991, 91 ff.; vgl. zur Prozeßflut auch Blankenburg, Droht die Überforderung der Rechtspflege?, ZRP 1992, 96 ff. m.w.N. 266 Zur Frage staatlicher Förderung der Rechtsverfolgung vgl. i.ü. Lorenz, S. 258 ff.; Baumgänel, JZ 1975,425 ff. 2G7 Henrichs, NJW 1964, 2366 ff.; Bauer, NVwZ 1987, 112; Krause, Verwaltungshandeln, S. 208 ff. m.w.N. 261 Soeben S. 188 f. 269 Anschließend S. 191 f. 27. Vgl. Scheerbanh, ZBR 1963, 169 f. 271 Hierzu: Michael Merhaus, Beweismaß und Beweislast. m Berg, S. 178 ff. m. zahlr. w.N.; Benermann, OVBI. 1957,85; Ruckriegel, OÖV 1958,533; 1ietgen, Beweislast und 8eweiswürdigung im Zivil- und Verwaltungsprozeß, passim. Die Gegenansicht in BVerwGE 3,245 f. (vgl. insoweit auch PIOVGE 14, 137, 142) ist auf heftige Kritik gestoßen (vgl. nur 1ietgen, OÖV 1957,460) und bereits in BVerwGE 3,267 (273); 7, 242 (250) aufgegeben worden. 273 Vgl. im übrigen den Untersuchungsgrundsatz, § 86 VwGO. 274 1m Ergebnis ebenso UJwenberg, S. 50.
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ff) Finanzieller Aspekt: Das Prozeß(kosten)risiko Das Kostenrisiko steht auf einem anderen Blatt. Diesen Aspekt nimmt Löwenberg zum Anlaß, die "immanente Eingriffswirkung" des Verwaltungsakts zu untermauern27S • Vorschüsse auf die Gerichts276- und Anwaltskosten277 berührten als finanzielle Aufwendungen zur Rechtsverteidigung die wirtschaftliche Lage des Klägers oft empfindlich. Auch diese Argumentation verkennt aber die Alternative, vor der die Handlungsform Verwaltungsakt zu betrachten ist. Bei der Leistungsklage würde der Bürger ebenfalls die Kosten zu tragen haben, wenn er unterliegt278 • Das Risiko des Unterliegens ist dort nicht geringer als bei der Anfechtungsklage. Im Gegenteil: Beim Verwaltungsakt besteht im kostengünstigeren Vorverfahren die Chance, die Sache "außergerichtlich" zu klären. Außerdem gewährt das Gerichtskostenrecht hier wie dort Prozeßkostenhilfe279 , sodaß sich die finanzielle Belastung im Rahmen hält. Ein spezifischer Eingriff, der den Gesetzgeber zwingen könnte, diese Folge gewissermaßen im Einzelfall "mitzuregeln ", läßt sich aus diesem Grund nicht nachweisen. Soweit diskutiert wird, die "kostenrechtlichen Schranken" könnten den Rechtsschutz unangemessen einengen280 bzw. seien das maßgebliche Risiko des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens281 , lassen sich daraus keine Rückschlüsse für die vorliegende Problematik ziehen. Wenn eine Klage gegen zehn Teilerrichtungsgenehmigungen Prozeßkosten in Höhe von 200.000,DM verursacht282 , mag man über eine faktische Rechtswegsperre nachsinnen283 • Bei der Klage gegen eine staatliche Geldforderung ist der Streitwert indessen an dem geschuldeten Betrag orientiert und spiegelt oftmals zugleich die wirtschaftliche Leistungsfiihigkeitdes Schuldners wider. Wenn z.B. ein Prozeß über eine Einkommensteuernachzahlung in Höhe von 100.000,- DM verloren geht, ist das Kostenrisiko kein spezifisches Problem der Handlungsform der Verwaltung, sondern das jedes Rechtsschutzverfahrens. Nach deutschem
m 27. 2T1
271 279 210 211
212 213
Liiwenberg, S. 51; vgl. auch Henrichs, NJW 1964,2367 f. Vgl. § 111 GKG. Vgl. § 17 BRAGO. § 154 Abs. 1 VwGO. Vgl. § 166 VwGO LV.m. §§ 114 ff. ZPO. Hont Bauer, S. 86 f. Schoch, S. 906 ff. Beispiel des Verfahrens gegen den "Schnellen Bl'Üter" in Kalkar; zit. nach Schoch, S. 907 f. Vgl. auch Leipold, ZZP 90 (1977), 259.
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3. Kap.: Verfassungsrechtliche Aspekte
Verwaltungsprozeßrecht ist das gerichtliche Verfahren 284 eben nicht kostenfrei 285 • c) Demokratische und rechtsstaatliche Komponenten des Gesetzesvorbehalts in der Rechtsverwirklichung
aa) "Drohende" Bestandskraft, Titel und Vollstreckung Der Leistungsbescheid bewirkt die Obliegenheit der Gegenwehr zur Vermeidung der Bestandskraft. Erst diese Obliegenheit läßt (im Regelvollzug) die "Titel- und Vollstreckungsfunktion"286 des Verwaltungsakts "aufleben". Daß die Gegenwehr dem Bürger zuzumuten ist, wurde bereits dargelegt28 7 • Fraglich könnte lediglich eine Verletzung des Demokratie- bzw. Rechtsstaatsprinzip sein. Durch den Erlaß eines Leistungsbescheids nimmt die Verwaltung in bestimmten Fällen in Kauf, ohne gesetzliche Direktive vollendete Tatsachen zu schaffen, weil der Bürger - aus welchen Gründen auch immer - einen erfolgversprechenden Rechtsbehelf versäumt hat. Ob der Handlungsformvorbehalt aus diesem Gesichtspunkt begründet werden kann, soll abschließend untersucht werden. bb) Keine demokratischen Defizite im Regelvollzug Der "versäumte" Regelvollzug führt zu einer Ausschaltung der Rechtsprechung auch in den Fällen, in denen die besonderen öffentlichen Interessen dies nicht fordern oder eine Dringlichkeit nicht vorliegt, eine Rechtskontrolle durch die Gerichte also möglich, vielleicht auch erwünscht wäre. Das deutsche Rechtsschutzsystem baut indessen auf einer individuellen Rechtsverfolgung auf, die es dem Betroffenen (und nur diesem) überläßt, die Gerichte anzurufen. Dadurch wird zwar in Kauf genommen, daß im Einzelfall schon einmal Unrecht verwirklicht, also nicht das demokratisch legitimierte Gesetz, sondern ein
2 .. Vgl. zur Kostenfreiheit des steuerrechtlichen Einspruchsverfahrens § 178 AO (arg. e contrario); dazu 1ipke/Kruse, AO, § 139 FGO, Rn. 31 ff. 28> Dies streitet fiir ein Verwaltungs(vor)verfahren an Stelle einer Leistungsklage . - Das Kostenrisiko ist mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar, vgl. BVerfGE 10, 264 (267 f.); 11, 139 (143); 50,217 (230 f.); 54, 39 (41). 2 .. Osterloh, JuS 1983,283; Ossenbühl, JuS 1979,683 f. 217 Oben S. 189 f.
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rechtswidrig von der Verwaltung geschaffener Rechtsbefehl vollzogen wird288 • Das ist aber nicht schädlich, weil zugleich ein anderes hohes Gut in einer freiheitlichen Gesellschaft verwirklicht wird: die Autonomie des Einzelnen289 • cc) Bestimmtheit und Rechtssicherheit im Regelvollzug Durch die fehlende ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung zum Erlaß von Verwaltungsakten im Einzelfall mag der Eindruck entstehen, der Bürger sei der Willkür der Behörde ausgeliefert. Sie entscheide nach Belieben, wann sie durch Leistungsbescheid entscheide und wann sie Klage erhebe290 • Das ist aber zumindest im Bereich der staatlichen Geldforderungen nicht so drastisch, wie es sich anhört: Der Bereich der öffentlichen Abgaben und Kosten erhält ohnehin durch den Sofortvollzug eine besondere Behandlung29l; bei den übrigen Forderungen sind solche auszuschließen, bei denen ein Gleichordnungsverhältnis den Erlaß des Verwaltungsakts von vomeherein verbietet. Die verbleibenden Fälle, in denen der Verwaltungsakt auch ohne direkte Kennzeichnung in der gesetzlichen Grundlage instrumentalisiert wird, können aus folgenden Erwägungen hingenommen werden: Der Erlaß eines Leistungsbescheides ist eine Vollzugshandlung, die auf eine ausreichende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage gestützt ist. Der zu vollziehende Anspruch ist gesetzlich geregelt; den (allgemeinen) Vollzugsauftrag hat bereits das Grundgesetz erteilt; der Gesetzgeber hat das Verfahren einschließlich der Handlungsformen vorgegeben und deren Anwendbarkeit durch die flankierenden prozessualen (§ 80 VwGO) und vollstreckungsrechtlichen (§§ 1, 3 VwVG) Vorschriften vorausgesetzt. Wollte man nun verlangen, der Gesetzgeber müßte diesen - "vor die Klammer gezogenen" - Verfahrensablauf in jedem Einzelfall neu "konstituieren", wäre weder demokratische Legitimation hinzugewonnen noch die Rechtssicherheit verbessert. Es bliebe eine rechtsstaatliche "Förmelei ".
'81 Vgl. Borgs-Maciejewski, S. 101. Nach ihm unterstreicht die demokratische Komponente sogar den selbständigen Rechtswert der Verwaltung: der Verwaltungsbeamte ist dem Grad seiner demokratischen Legitimation näher als der Richter. l&9 Vgl. hierzu Würtenberger, Artikel Autonomie, in: Lexikon des Rechts, S. 3 f. 290 Osrerloh, JuS 1983,283. 291 Vgl. dazu unten S. 194 ff. \3 Heckmann
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3. Kap.: Verfassungsrechtliche Aspekte
d) SoJortvollzug und Gesetzesvorbehalt
aa) Vorleistungspflicht als spezifischer Eingriff Im Regelfall führt die Durchsetzung des Leistungsbescheides wegen des skizzierten Rechtsschutzmechanismusses nicht zu einer Verkürzung der Rechtsposition. Fraglich ist, ob das auch für den vorliegend (einzig) relevanten Fall des Sofortvollzugs gilt. In diesem Fall begründet der Leistungsbescheid ja gerade die Vorleistungspflicht, weil die Verwaltung ohne ihn auf die Leistungsklage angewiesen wäre, also keine Vorleistung erhielte. Der Leistungsbescheid hat hier nicht nur die Funktion, als "autoritative Rechtsbehauptung" die Rechtsverwirklichung zu forcieren; er zwingt vielmehr im Meinungsstreit um die richtige Rechtsanwendung zur Vorleistung des Bürgers. Zur Rollenvertauschung im Prozeß tritt der Vermögenstransfer. Insbesondere, wenn man die Rechtsfolgen rechtswidriger Geldforderungen berücksichtigt (spätere Rückgewähr des Kapitals ohne Verzinsung?), liegt es nahe, hierin einen spezifischen Eingriff zu sehen. bb) § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO als Rechtsgrundlage Es fragt sich daher, ob § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO insoweit eine ausreichende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage bietet. Diese Vorschrift ordnet den Sofortvollzug zwar ausdrücklich an und bestimmt auch den Anwendungsbereich (öffentliche Abgaben und Kosten). Sie ermächtigt aber nicht selbst zum Erlaß des Leistungsbescheides (wie auch § 3 Abs. 2 Nr. 1 VwVG nicht), sondern setzt ihn voraus. Wenn aber - wie gesehen292 - der Erlaß des Leistungsbescheides als solcher Teil eines spezifischen Rechtsverwirklichungsprozesses ist, reicht es aus, wenn der Gesetzgeber besondere Nachteile (wie beim Sofortvollzug) isoliert regelt, ohne selbst die Verbindung hierzu in jedem Geldforderungstatbestand herzustellen. Entscheidend ist auch hier die Willensäußerung des Gesetzgebers; deren dogmatische Zuordnung ist eine Frage der Rechtstechnik293 , nicht eine Frage demokratischer Legitimation.
Vgl. oben S. 44 ff. 29. Zu Rechtstechnik und Rechtsdogmatik vgl. Suhr, S. 22 ff., 48 ff. 292
D. Sofortvollzug und Gewaltenteilung
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cc) Abgabenbegriff und Abgabenbescheid Folgt man dieser Überlegung nicht, ergibt sich ein weiterer Lösungsweg aus der Interpretation des Abgabenbegriffs. Der Grund, warum der Gesetzesvorbehalt für Fälle aus dem Bereich des Schadensersatz- oder Erstattungsrechts, nicht aber für die öffentlichen Abgaben und Kosten problematisiert wird, liegt darin, daß hier weite Teile des Abgabenrechts gesetzlich determiniert sind. Nicht nur das "Ob" der Abgabenerhebung, sondern auch das "Wie", nämlich der Erlaß eines Abgabenbescheides, ist in vielen Fällen gesetzlich vorgegeben294 • Läßt sich daraus herleiten, öffentliche Abgaben und Kosten dürften in jedem Fall durch Verwaltungsakt durchgesetzt werden? Die These könnte dann lauten: "Wenn eine öffentlich-rechtliche Geldforderung Abgabe ist, dann wird sie (zwingend) durch Verwaltungsakt erhoben. Sie ist nämlich per definitionem eine einseitige Regelung "295. Natürlich könnte das auch so zu verstehen sein, daß der Gesetzgeber die Pflicht einseitig auferlegt. Dann wäre noch nichts darüber gesagt, wie diese Pflicht auch durchgesetzt wird (Verwaltungsakt oder Leistungsklage?). Indessen geht man wohl allgemein davon aus, daß ein Abgabenbescheid ergeht. So problematisiert Wilke296 zwar, ob die Gebührenschuld schon kraft Gesetzes entstehe oder erst durch den Bescheid; er setzt aber voraus, daß die Verwaltung ermächtigt ist, einen (konkretisierenden) Verwaltungsakt zu erlassen. Unproblematisch ist dies bei den Steuern im Anwendungsbereich der Abgabenordnung: Nach § 155 Abs. 1 S. 1 AO werden die Steuern durch Steuerbescheid festgesetzt; Grundlage für die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis ist gem. § 218 Abs. 1 S. 1 AO der Steuerbescheid. Deutlicher kann die "Verwaltungsakts-Befugnis" kaum geregelt werden297 •
194 Vgl. neben §§ 155,218 AO etwa § 37 Abs. I S. I EStG ("Vorauszahlungsbescheid"); § 135 Abs. I BauGB ("Beitragsbescheid"), § 19 LGebG BW (Verweis aufLVwVG), §§ 6 - II KAG BW ("Kommunalabgabenbescheid"), § 36 Abs. 5 Feuerwehrgesetz BW (besonders vorbildlich: Die Kosten (scil. des Feuerwehreinsatzes) werden durch Verwaltungsakt festgesetzt); § 36 Abs. I, Abs. 3 S. I FischG BW (Verweis auf § 19 LGebG); § 10 Abs. I AbwAbgG (durch "Bescheid"). ,m Wilke, S. 36 ff. Etwas anderes mag gelten, wenn etwa eine Bank als Steuerbürge zahlt und die Abgabenforderung auf sie nach § 774 BGB übergeht. Diese ist dann als normale Forderung vor den Zivilgerichten geltend zu amchen. 296 Wilke, S. 46 f. 2'T7 Dazu 1ipkelIAng, Steuerrecht, § 21, 1.41: "Die Behörden sind nicht darauf angewiesen, sich ihr Recht bei Gericht zu holen. Sie können durch Verwaltungsakt selbst bestimmen, was im Einzelfall rechtens ist". (vgl. zum Verwaltungsaktals Titel ebenda § 23, 1.). Ebenso 1ipke/Kruse, AO, Vor § 118, Tz. I: "Die Behörden sind nicht darauf angewiesen, sich Rechtstitel bei Gerichten
196
3. Kap.: Verfassungsrechtliche Aspekte
Fraglich ist aber, ob Gleiches auch für die Gebühren und Beiträge gilt. Das wäre unproblematisch, wenn deren (materielle) Grundlagen ähnliche Regelungen beinhalteten oder etwa auf die Abgabenordnung verweisen würden. Letzteres ist etwa im Kommunalabgabenrecht der Fall. Dort wird für die Erhebung von Gemeindesteuern, -gebühren und -beiträgen (auch Kurtaxen) das Verfahrensrecht der Abgabenordnung für anwendbar erklärt (vgl. § 3 Abs. 1 KAG BW)298. Hingegen ist in den auf Einzelgesetzen beruhenden Abgaben nicht immer der Verwaltungsakt als Handlungsform genannt. Zum Beispiel heißt es in § 19 Abs. 1 LStrG BW (Sondernutzungsgebühr), in § 1 Abs. 1 VollstrKostenO (Mahngebühr), § 167 AFG (Beiträge zur Arbeitsförderung), daß die Gebühr etc. "erhoben" wird. Hier fragt sich, ob der Begriff "erheben" die Befugnis zum Erlaß eines Verwaltungsakts beinhaltet. Kann man eine Abgabe, die einzuklagen ist, auch "erheben"? Wenngleich wohl jeweils der Abgabenbescheid gemeint ist, ist diese Interpretation nicht zwingend. Genauso gut könnte eine Rechnung erteilt werden. Das "Erheben" drückt eine Einseitigkeit aus, die bereits in dem materiellen Fordern liegt, sich aber nicht auf das Verfahren beziehen muß 299 • Selbst in einer modemen Vorschrift wie § 28 h Abs. 1 SGB IV300 ist nur geregelt, daß die Einzugsstelle nicht rechtzeitig abgeführte Beiträge" geltend zu machen hat". Allerdings deutet der Begriff "Widerspruchsbescheid" in Abs. 2 S. 1 auf den Erlaß eines Verwaltungsakts hin. In all diesen Fällen würde man aber nicht bestreiten wollen, daß die Abgabe nicht eingeklagt werden muß, sondern der Erlaß eines Verwaltungsakts (Abgabenbescheids) zulässig ist. Das liegt letztlich im Wesen der Abgaben begründet. Diese dienen der Sicherung der Haushaltsplanung des Staates, was aber nicht nur die Erhebung der Abgabe als solche, sondern insbesondere auch ihre spezifische Durchsetzung im Verwaltungswege rechtfertigt. Es würde diesem Rechtfertigungsgrund widersprechen, wollte man den Staat hier auf den
zu verschaffen. Sie dürfen (zunächst) durch Verwaltungsakt selbst darüber entscheiden, was Rechtens ist". 290 Weitere Beispiele: Das VwVG des Bundes gilt etwa für Kosten und Gebühren nach § SI KWG (Kreditwesengesetz); das VwVG des Landes Baden-Württemberg gilt für Kosten der unmittelbaren Ausführung nach § 8 Abs. 2 S. 2 BW PoIG. 290 Eine andere Formulierung wählt § 27 Abs. 1 S. 1 KSVG (Künstlersozialversicherungsgesetz). Hier muß der Abgabepflichtige die Summe melden und bezahlen. Die Durchsetzung richtet sich nach § 36a KSVG, § 66 I SGB X LV.m. dem VwVG. 300 Diese Vorschrift gilt sowohl für die Kranken- wie auch für die Rentenversicherung.
D. Sofortvollzug und Gewaltenteilung
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Klageweg verweisen. Mit der Abgrenzung von Regel- und Sofortvollzug sind zugleich die Weichen für den Handlungsformvorbehalt gestellt: Ist eine staatliche Geldforderung "öffentliche Abgabe"30I, dann darf sie auch ohne besondere gesetzliche Grundlage durch Verwaltungsakt festgesetzt werden; zugleich ist sie sofort vollziehbar. Die spezifischen Nachteile der Vorleistungspflicht sind durch § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hinreichend gerechtfertigt. Dies muß nicht bei jeder Abgabe durch einen Hinweis auf die Form des Verwaltungsakts "wiederholt" werden. Ist die staatliche Geldforderung hingegen keine öffentliche Abgabe, dann mag sie in Subordinationsverhältnissen auch durch Verwaltungsakt verwirklicht werden; für sie gilt dann aber der Regelvollzug. In Gleichordnungsverhältnissen schließlich ist die Leistungsklage die zulässige und erforderliche Handlungsform.
301
Gleiches gilt fiir den Kostenbegriff.
Viertes Kapitel
Vermögensrechtliche Aspekte der Vorleistungspflicht des Bürgers Die bisherige Untersuchung des Sofortvollzugs hat gezeigt, daß die Vorleistungspflichtdes Bürgers bei staatlichen Geldforderungen durch eine Modifizierung des Rechtsschutzes in einen Prozeß der Rechtsvetwirklichung eingebunden ist, der verfassungsrechtlichen Anforderungen standhält. Nun gilt es, diese prozessuale Struktur "zu Ende zu denken". Die Verzinsung als vermögensrechtlicher Aspekt unterstreicht die Reversibilität der Vermögensverschiebung, aber auch deren Kompensationsbedarf bei der Durchsetzung von Geldforderungenl . Anders als bei sonstigen staatlichen Eingriffen lassen sich das hier vom Bürger abverlangte Opfer gut berechnen sowie öffentliche und private Interessen regelrecht saldieren2 • Der Sofortvollzug staatlicher Geldforderungen ist wirtschaftlich betrachtet - im wesentlichen mit der Frage verbunden, wer die Zinsvorteile genießen darf. Fraglich ist aber, inwieweit überhaupt eine Pflicht zur Abgeltung der Vorleistung durch Verzinsung besteht. Die Funktionen und der Anspruchsinhalt der Verzinsung werden zeigen, daß der Gesetzgeber im öffentlichen Recht zugunsten spezieller Zinsregelungen von einer allgemeinen Verzinsunt abgesehen hat. Ob die bestehende "Lücke" durch eine analoge Anwendung der BGB-Vorschriften geschlossen werden kann, wird nicht zuletzt davon abhängen, ob die zentrale Vorschrift des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (bzw. § 69 Abs. 1 S. 1 FGO) eine reine (Sofort-) Vollzugsregelung darstellt oder darüber hinaus materiell-rechtliche Aussagen zu den Vollzugsfolgen trifft.
1
Vgl. aber auch zu den Risiken einer Monetisierung des Gemeinwohls bei der Verzinsung
C;;ybulka, NVwZ 1983, 126.
2 Die Fälle, in denen die Vorleistung über die Zinsfolgen hinaus Nachteile - etwa durch Eingriffe in die Vermögens- oder Betriebssubstanz - für den Bürger bringt, sollen hier außer Betracht bleiben. 'Exemplarisch: VGH Mannheim, VBIBW 1989, 16; VGH München, BayVBI. 1990,757; OVG Münster, NWVBI. 1990,376. • Eine Verzinsungspflicht ergibt sich auch nicht aus allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts oder einem Satz des Gewohnheitsrechts, vgl. BVerwGE 14, 1 (3); Fischer, S. 172 ff. m.w.N.; differenzierend Hamischmacher, S. 44 - 64.
I. Vcrzinsung als Bestandtcil der Vennögensordnung
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I. Die Verzinsung als Bestandteil der Vennögensordnung
In der komplexen Vermögens "ordnung " , die sich als geschlossenes System
kaum darstellen läßt, nehmen die Zinsen eine besondere Stellung ein. Sie sind zwar in der Gruppe der Geldforderungen nur Nebenforderung. Wirtschaftlich betrachtet sind sie aber oft die Hauptsache gegenüber der bloßen Vermögensverschiebung von Geld. Das wird besonders deutlich am Beispiel des Darlehens, das zwar nicht zwingend, aber faktisch immer verzinslich gegeben wird. Erst der Zins drückt den Wert des Geldes und seiner Nutzung aus. Auch die gesetzlichen Zinsen, wie im Falle des Schuldnerverzugs, zeigen, daß die bloße Vermögensverschiebung (das Auszahlen und Zurückzahlen einer bestimmten Geldsumme) den gesamten wirtschaftlichen Vorgang der Geldforderung noch nicht erschöpft. Eine Untersuchung der staatlichen Geldforderungen wäre schon deshalb unvollständig, würde sie nicht auch die Verzinsung mit einbeziehen. 1. Funktionen der Verzinsung im Privatrecht und öffentlichen Recht
a) Zinsen als Entgelt Zinsen bezeichnen das laufzeitabhängige Entgelt für den Gebrauch eines auf Zeit überlassenen oder vorenthaltenen Geldkapital~. Dieses Entgelt - in einem bestimmten Prozentsatz auf die Geldsumme bezogen6 - kann zwischen den Parteien eines Rechtsgeschäfts (zumeist Darlehen) vereinbart sein. Daneben gibt es zahlreiche Zinsansprüche, die das Gesetz bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen gewährt. Diese gesetzliche Verzinsung knüpft an den Umstand an, daß sich derjenige, der eine fällige Geldforderung nicht begleicht, auf diese Weise für die Zeit bis zur Durchsetzung einen zinslosen Kredit verschafft'. Weil aber - wirtschaftlich betrachtet - eine Vermutung für die Verzinslichkeit von Darlehen besteht, liegt es nahe, für jeden Zeitraum unberechtiger Geldnutzung die Zinsfrage aufzuwerfen. Im öffentlichen Recht erhält die Verzinsung
S BFH, BStBI. D 1988, 229; BGH, NJW 1979, 540 u. 805; Tipke/Kruse, AO, § 233, Tz. I; Kruse, FR 1988, 1. 6 Deshalb ist der Zinsanspruch auch zu dem Hauptanspruch akzessorisch, vgl. Tipke/Kruse, AO, § 233, Tz. I m.w.N. 7 Vgl. etwa Kruse, FR 1988,5. Bereits hier wird deutlich, in welch engem Zusammenhang die Begründung des Sofortvol\zugs - vgl. dazu ausführlich oben S. 59 ff. - mit derjenigen der gesetzlichen Vcrzinsung steht.
200
4. Kap.: Vennögensrechtliche Aspekte
durch die "Berechnung" des Zeitraums zwischen einstweiliger Erfüllung der Geldforderung und ihrer Rückabwicklung nach richterlicher Erkenntnis eine besondere Affinität zum Sofortvollzug. Der "Faktor Zeit" bestimmt damit zugleich die Zulässigkeit des Sofortvollzugs wie auch die Vollzugsfolgen 1m Rahmen des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. b) Geldwert, Geldentwertung und Geldnutzung: Zinsen als Mittel der Restitution oder Kompensation8
Geld ist in einem besonderen Maße wert-instabiI9 • Das bedeutet in der derzeitigen Konjunkturiage lO , daß ein Geldbetrag, der am Ausgabetag den Wert 100 besitzt, zu einem späteren Zeitpunkt im Wert auf lOO-X sinkt. Betrachtet man Geld als Tauschmittel ll , macht sich diese Wertminderung unmittelbar bemerkbar. In einer Vermögensbilanz ist dieser Umstand so zu berücksichtigen, wie wenn von 100 (gleichen) Wertgegenständen (z.B. Münzen) real X Stück weggenommen werden I2. Fraglich ist, ob die so beschriebene "Geldentwertung"13 als ein Posten der Verzinsung Berücksichtigung findet. Das hängt davon ab, ob die Verzinsung "Restitutionscharakter" hat. Zinsen dienen der Wiederherstellung einer Vermögenslage, wenn man den Faktor Zeit in die Wertberechnung mit einstellt. Maßgebend ist insoweit, wie man die Geldschuld als Anspruchsinhalt definiert: Stellt man nur auf das Geld als Sache ab, liegt in der Rückzahlung die vollständige Restitution, ein Zinsanspruch hätte demgegenüber Kompensationscharakter und wäre - als selbständige (Neben-) Forderung - auf Ersatz eines Vermögensschadens gerichtet. Geld "in der Zeit" und als konjunkturabhängiger Wert verstanden machte die Verzinsung hingegen • Zur Gegenüberstellung von Kompensation und Restitution bei der Staatshaftung eingehend Bender, DÖV 1968, 156 ff. • Vgl. zu den Ungerechtigkeiten des unstabilen Geldes nur Suhr, ARSP 1983,323 f. m.w.N. 10 Wenngleich man bei der derzeitigen Stabilität der Deutschen Mark nicht von einer "Inflation" im finanzwissenschaftlichenSinne sprechen mag, sind Tendenzen der Geldentwertung - nicht zuletzt infolge der Währungsunion - allenthalben spürbar. Vgl. zur konjunkturellen Lage und Prognose: Auf dem Wege zur wirtschaftlichen Einheit Deutschlands, Jahresgutachten 1990/91 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Stuttgart 1990, Ziffern 191 ff., 314, 384 ff. 11 Vgl. zu den verschiedenen Funktionen des Geldes v. Maydell, S. 8 ff. Für Suhr (ARSP 1983, 322,329) ist Geld der "Joker unter den Tauschobjekten"; eine gelungene Metapher. 12 Die Bedeutung dieser "Rechnung" für die Enteignungsproblematik liegt auf der Hand, vgl. einstweilen Erdmann, DVBl. 1986,659 und unten S. 252 . .. Zum Gesichtspunkt Geldentwertung und Verzinsung vgl. Czybulka, NVwZ 1983, 125. Zu Geldschuld und Geldentwertung in zivilrechtlicher Sicht Paik, S. 5 ff.
I. Verzinsung als Bestandteil der Vennögensordnung
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zum (wesentlichen) Bestandteil der Erstattung; der Zinsanspruch - diesmal als unselbständige Forderung - hätte dann Restitutionscharakter. Anders gefragt: Handelt es sich bei dem Geldbetrag um eine Geldsummen- oder Geldwertschuld? Diese Frage wird (allgemein) durch das Prinzip des Nominalismus beantwortetl4 • Danach sind Geldschulden grundsätzlich durch Zahlung der ursprünglich bestimmten Summe von Währungseinheiten zu begleichen, auch wenn sich der Geldwert etwa im Sinne der Kaufkraft verändert hatls . Dieses Prinzip läßt sich auch formelhaft umschreiben: "Mark gleich Mark"16. Eine (durch Zeitablauf bedingte) Wertminderung dieses Geldbetrages muß also anderweitig kompensiert werden. Zinsen haben in diesem Zusammenhang nicht die Funktion, die Wertminderung - pauschalierend - auszugleichen. In der Gewährung eines Zinsanspruchs liegt nicht die Wiederherstellung des Geldwertes, wie er etwa bei rechtzeitiger Zahlung bestanden hätte. Er bedeutet vielmehr den Ausgleich ftlr die vorenthaltene Nutzung des Geldes in dem betreffenden Zeitraum17 • Daß die Gebrauchsvorteile des Geldes wertmäßig zu Buche schlagen, zeigt sich plastisch in der Umschreibung von Suhr: "Das Geld, das ich übrig habe, (ist) mehr wert als das Geld, das ich ausgebe" 18. Nach ihm ist der Zins der Preis für die wirtschaftlichen Vorteile, welche das Geld neben seinem Tauschwert bietet, wenn man es nicht ausgibt, sondern anders nutzt I 9.
14 Vgl. hierzu v. Maydell, S. 53 ff.; BFH, NIW 1974,2330; Krüger, NJW 1974,2305. Aus der Verwaltungsrechtsprechungetwa BVerwGE 41, I (5); vgl. i.ü. die Rechtsprechungsnachweisebei Paik, S. 12 in Fn. 8. " Vgl. Fögen, NIW 1953, 1321. 16 Das Prinzip des Nominalismus läßt sich auch mit einem Blick auf die Genehmigungsbedürftigkeit von Preisgleitklauseln erklären. Wenn es daher prinzipiell verboten ist, die Höhe einer Geldschuld an die Veränderung etwa des Lebenshaltungsindexeszu knüpfen (vgl. § 3 S. 2 WährG, hierzu jüngst ausfiihrIich Paik, S. 18 ff.) ist eine klare Aussage gefunden: Geschuldet wird stets nur der (vereinbarte) Nennbetrag, die bestimmte Geldsumme. Kritisch zur Verknüpfung von § 3 WährG und Nominalprinzip Paik, S. 14 m.w.N. 17 Diese (glasperlenspielartig anmutende) Unterscheidung wird später von Bedeutung sein: der Folgenbeseitigungsanspruch betriffi nur den status quo ante, vgl. dazu Redeker, DÖV 1987, 197 f.; die Abgrenzung von Restitution und Kompensation bestimmt den Anspruchsinhalt. 11 Suhr, ARSP 1983,326. 19 Suhr, a.a.O. Hier deutet sich schon die Grundlage fiir die Kapitalertragsabschöpfungan, die den Zinsanspruch des Bürgers als Ausgleich fiir seine Vorleistung begründet: Der Staat muß den Erstattungsbetrag deshalb verzinsen, weil die sofort vollzogene Geldforderung sich nicht in der Vennögensverschiebung erschöpft. Zahlung und Rückzahlung betreffen nur den Tauschwert (Nennwert) des Geldes; das Behalten und Nutzen bzw. Vorenthalten in der Zwischenzeit macht den Liquiditillswert aus, dessen "überschießender Teil" dem Staat ohne Verzinsung endgültig und entschädigungslos verbliebe. Insoweit würden auch in der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes "vollendete Tatsachen" geschaffen. Zu allem näher unten S. 236 ff.
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4. Kap.: Vennögensrechtliche Aspekte
c) Abgrenzung der Zinsen zu Säumnis-. Verspätungsund anderen Zuschlägen
Ein Hauptanwendungsfall der Verzinsung ist - wie gesehen - die Reaktion auf eine Zahlungsverzögerung. Die hier verwirkten Verzugszinsen sind von anderen Sanktionen mit ähnlichen Tatbeständen abzugrenzen. Nach § 240 Abs. 1 AO ist ein Säumniszuschlag zu zahlen, falls eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet wurde20 • Ein Verspätungszuschlag kann gegen denjenigen festgesetzt werden, der seiner Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung nicht (fristgerecht) nachkommt (§ 152 A(j2I). Hinterzogene Steuern sind gem. § 235 AO zu verzinsen. Diese "Zuschläge" sanktionieren eine Pflichtverletzung des Schuldners einer Geldforderung und stellen so - gerade im Hinblick auf die Mitwirkungspflichten bei der Rechtsverwirklichung - die Erfüllung der Geldforderung sicher. Ihre Funktion liegt weniger in einer Kompensation der vorenthaltenen Nutzung des Geldes als vielmehr in einer Zwangswirkung22 , die (spezial- und general-) präventiv auf rechtmäßiges Verhalten zielP. Es versteht sich von selbst, daß nur der Bürger, nicht der Staat Adressat solcher "Zuschläge" sein kann. 2. Zinsen als Ansprocbsinhalt im öffentlichen Recht
a) Normativer Befund: Annäherungen
aa) Frühere und aktuelle Indifferenzen im Zinsrecht Die deutsche Rechtsordnung kennt kein geschlossenes Zinsrecht. Vielmehr erschließt sich die Verzinsung von Geldforderungen aus einer Vielzahl von
20 Der Säumniszuschlag entsteht - auch ohne Verschulden - kraft Gesetzes in der Höhe von I % für jeden angefangenenMonat, ist also doppelt so hoch wie die Zinsen gern. § 238 AO. 21 Der Verspätungszuschlag kann bis zu 10 % der festgesetzten Steuer (bzw. 10.000,- DM) betragen, § 152 Abs. 2 S. I AO. 22 Krabbe, S. 71 ff. Hier zeigt sich eine Parallele zum Zwangsgeld. 23 Säumniszuschläge bleiben auch dann bestehen, wenn die betreffende Steuerschuld nicht bestand und dies später auch festgestellt wird, vgl. BFH (4. Senat), E 115,422; BFH (Großer Senat), E 117,352; a.A. BFH (2. Senat), E 103, 312. Ebenso können schon verwirkte Säumniszuschläge nicht riickwirkend beseitigt werden, wenn die Vollziehung des Verwaltungsakts ausgesetzt wird, Gritber, FGO, § 69, Rn. 61.
I. Veninsung als Bestandteil der Vermögensordnung
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Einzelvorschriften, die zudem auf verschiedene Gesetze verteilt sind. Seine grundlegende Prägung findet das Zinsrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch24 , wo die verspätete Geldleistung als Leistungsstörung (Verzug) mit gesetzlichen Zinsfolgen versehen ist (§ 288 BGB). Hat der Schuldner die Verspätung (ausnahmsweise) nicht zu vertreten, erlangt daneben § 291 BGB als materiellrechtliche Folge der Rechtshängigkeit selbständige Bedeutung (ProzeßzinsenlS). Im übrigen erfaßt das Schadens- und Bereicherungsrecht des BGB den Ausgleich deIjenigen Nachteile, die dem Gläubiger durch die Vorenthaltung geschuldeten Geldkapitals entstehen. Das Öffentliche Recht kennt kein dem BGB vergleichbares materielles Gesetz. Seine Zinsregelungen sind auf (wenige) Einzelgesetze verstreut. Den wichtigsten Bereich bildet das für Geldforderungen elementare Abgabenrecht (AO); daneben ist das Sozial(versicherungs-)recht von Bedeutung. Der wesentliche Streitpunkt einer Verzinsung öffentlich-rechtlicher Geldforderungen dreht sich demzufolge um die entsprechende Anwendung der Zinsregeln des BGB bzw. der in diesen enthaltenen allgemeinen Rechtsgrundsätze26 • Die Rechtsentwicklung der Verzinsung im Steuerrechf7 ist durch eine schrittweise, aber nicht-lineare Annäherung an die sog. Vollverzinsung2l! gekennzeichnet. Als Eckdaten sind hervorzuheben: Die Reichabgabenordnung regelte 1919 eine "Teilverzinsung"29 von Nachzahlungen, Stundungen und Erstattungsansprüchen. 1934 wurde die Verzinsung de facto abgeschafft30 ; Leistungsverzögerungen wurden durch Säumniszuschläge sanktioniere I • Das
.. Vgl. zum Zins im Zivilprozeß Zimmermann, JuS 1991,229 ff. 2> Im Regelfall kommt der Schuldner durch die Klageerhebung bzw. Zustellung des Mahnbescheids in Verzug, sodaß die Prozeßzinsen von den Venugszinsen bereits konsumiert werden. 26 Zinsen sind zwar keine dem öffentlichen Recht fremde Erscheinung, vgl. G6tz, DVBI. 1961, 433; die Besonderheiten der öffentlichen Haushalte und der mit den Geldforderungen verbundenen öffentlichen Interessen verbieten jedoch eine pauschale Übernahme der rein auf wirtschaftlichen Erwägungen basierenden zivilrechtlichen Zinsvorschriften. 27 Vgl. dazu den Überblick bei Birk/Barth, Jura 1989, 288 f.; Krabbe, S. 15 ff.; Krose, FR 1988,1 f. 28 Einen Überblick über den Inhalt der neuen Zinsregelungen geben Birk/Banh, Jura 1989, 286 ff. Kritisch zur Vollveninsung Felix, DStR 1989,587 ff.; Kruse, FR 1988, 1 ff.; Sebiger/Dechant, in: FS Felix, S. 365 ff.; Krabbe, DStR 1991, 1042 ff. Zu den wirtschaftlichen und anderen praktischen Konsequenzenvgl. Klüger, DStZ 1989,211 ff.; Krose a.a.O. S. 9 ff. Im einzelnen unten S. 207 ff. 19 RGBI. 1919,1993. Vgl. § 104 Abs. 1 RAO (Verzugszinsen), § 105 RAO (Stundungszinsen), § 132 RAO (Erstattungszinsen). 30 RGBI. 1934,925. § 20 StAnpG 1934 (sog. Antizinsparagraph; Krabbe, S. 15). " §§ 1 - 3 StSäumnisG 1934 (RGBI. 1934,1271).
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4. Kap.: Vermögensrechtliche Aspekte
Steueränderungsgeset;i32 führte 1961 Erstattungs- und Aussetzungszinsen (wieder) ein; 1965 kamen Hinterziehungszinsen binzu33. Die Reform des Steuerrechts mit Erlaß der Abgabenordnung 197734 schrieb die sog. Teilverzinsung fest und regelte in § 233 AO ausdrücklich, daß eine Verzinsung von Steuerforderungen nur insoweit stattfindet, als dies gesetzlich geregelt ist. Schließlich führte das Steuerreformgesetz 199Q35 die sog. Vollverzinsung (§ 233a AO) ein. Mit ihr sollte ein weiteres Stück Steuergerechtigkeit geschaffen werden36, dessen Realisierung bislang alleine an der praktischen Undurchführbarkeit scheiterte. Erst die modemen Möglichkeiten der elektronischen Datenverarbeitung (EDV) versetzen die Finanzbehörden in die Lage, die erforderlichen Zinsberechnungen mit vertretbarem Aufwand durchzuführen 37 • Bezeichnend ist insoweit auch die Rechtsentwicklung im Sozialrecht. So lehnte das Reichsversicherungsamt die Verzinsung sozialrechtlicher Geldforderungen mit der Begründung ab, die Zinsberechnungen führten zu einer Überlastung der Versicherungsträge~. Das heutige Sozialrecht regelt die Verzinsung hauptsächlich an zwei Stellen: Nach § 27 SGB IV ist der Anspruch auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Sozialversicherungsbeiträge39 nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des vollständigen Erstattungsantrags mit vier vom Hundert zu verzinsen 40 • § 44 SGB I normiert einen entsprechenden Zinsanspruch bei Anspruch auf sozialrechtliche Geldleistungen41 • Weitere Zinsregelungen sind flankierend in solchen Gesetzen geregelt, die bestimmte Geldleistungen gewähren und die Behörde bei unberechtigter Leistungsverzögerung zur Verzinsung verpflichten42 •
"BGBI. I 1961,981 = BStBI. 1961,444. "BGBI. I 1965,377 = BStBI. I 1965,217 . .. BGBI. I 1976,613. 35 BGBI. I 1988, 1093. 36 Vgl. BirklBarth, Jura 1989,287 m.w.N.; Kmse, FR 1988,3 f. 37 Vgl. zu diesen praktischen Erwägungen im Hinblick auf die Vollverzinsung BT-Drs. VI/1982, S. 171; Kmse, FR 1988,2,8 f. 38 BSGE 22, 150 (156): vgl. auch die Nachweise bei Fischer, S. 171. Kritisch E. Weber, S. 140. 39 "Zu Unrecht entrichtete Beiträge sind zu erstatten, es sei denn, daß der Versicherungsträger ... Leistungen erbracht oder zu erbringen hat" (§ 26 Abs. 1 SGB IV). 40 Vgl. dazu ausführlich unten 1.2 c). 4' Vgl. hierzu den Überblick bei Hamischmacher, S. 31 ff. 42 Vgl. etwa § 99 Abs. 3 BauGB oder § 29 BLG; w. Nw. bei Fischer, S. 159 ff.
I. Veninsung als Bestandteil der Vermögensordnung
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Diese Rechtsentwicklung zeigt, daß der (Verwaltungs-) Rechtsordnung eine bestimmte Zinsregelung nicht "vorgegeben" ist, vielmehr rechts- und haushaltspolitischeErwägungen des Gesetzgebers über die wirtschaftliche Saldierung der Vermögensverschiebungen im öffentlichen Recht befinden. Sie macht aber auch deutlich, daß ein Rückgriff auf die zivilrechtlichen Zinsregeln nur mit Zurückhaltung möglich ist, will man den vielschichtigen Besonderheiten des Verwaltungsrechts Rechnung tragen. bb) Ausblendung der Ansprüche des Staates gegen den Bürger Schon nach geltendem Zinsrecht hat der Staat vielfache Zinsansprüche, wenn der Bürger seine Geldschulden, insbesondere Abgabenforderungen, nicht begleicht. Bis zur Steuerfestsetzung werden etwa Steuernachforderungen verzinst (§ 233a AO), danach gleichen z.B. Stundungszinsen (§ 234 AO) oder Aussetzungszinsen (§ 237 AO) den finanziellen Vorteil aus, den der Steuerschuldner durch die Vorenthaltung des geschuldeten Steuerbetrages erhalten bzw. sich verschafft hat. Ergänzt werden diese Zinsansprüche durch Säumniszuschläge (§ 240 AO), die als Druckmittel zur Zahlung anhalten, wirtschaftlich gesehen aber den Verzugszinsen ähneln43 • All diese staatlichen Ansprüche müssen in der vorliegenden Untersuchung außer Betracht bleiben44 • Die vermögensrechtlichen Aspekte der Vorleistungspflicht sollen nur daraufhin untersucht werden, inwiefern der Staat die Vorteile auszugleichen hat, die ihm durch die sofortige Vollziehung seiner Leistungsbescheide erwachsen. Die zitierten Zinsforderungen verschärfen indessen die Privilegien des Staates. An dieser Stelle soll daher der Hinweis genügen, daß die Vorleistungspflicht des Bürgers bei staatlichen Geldforderungen nicht nur durch die Vollstreckungsmöglichkeit instrumentalisiert, sondern durch finanzielle Nachteile bei Nichterfüllung auch zusätzlich sanktioniert wird.
43 Hamischmacher, S. 19 . .. Vgl. hie\"LU etwa Dom, Zinsanspriicheöffentlicher Zuwendungsgeber, Der Gemeindehaushalt 1990,141 ff.; Heintschel v. Heinegg, NVwZ 1992,522 ff.
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4. Kap.: Vennögensrechtliche Aspekte
cc) Ausblendung der Ansprüche wegen Verzögerung der Erfüllung sog. primärer Geldforderungen Innerhalb der Zinsansprüche des Bürgers ist eine weitere Differenzierung erforderlich. Hier ist zwischen sog. primären Geldforderungen und Erstattungsansprüchen zu unterscheiden. Unter primären Geldforderungen werden solche Ansprüche des Bürgers verstanden, die das Gesetz ihm im Rahmen der Leistungsverwaltung (erstmals) gewährt, z. B. Ansprüche auf Sozialhilfe, Wohngeld u.ä. Diese Geldforderungen unterscheiden sich von den Erstattungsansprüchen darin, daß letztere eine vorhergehende - rechtswidrige - staatliche Geldforderung voraussetzen, was der Verzinsungsproblematik ein besonderes Gewicht verleiht: Es ist nämlich von Bedeutung, ob der Staat eine Geldleistung nur vorenthält oder sogar seinerseits rechtwidrig Geld verlangt45 • Im ersten Fall nutzt er "eigenes", im zweiten Fall "fremdes" Geld. Das Problem der Verzinsung öffentlich-rechtlicher Geldforderungen wird zumeist im Hinblick auf die Verzögerung dieser "primären" staatlichen Geldleistungen (Beamtenbezüge, sozialrechtliche Ansprüche, Entschädigungsansprüche u.ä.)46 diskutiert47 • Der Erstattungsanspruch tritt demgegenüber in den Hintergrun Vgl. Schoch, S. 1193.
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4. Kap.: Vennögensrechtliche Aspekte
Unrecht erfolgte Vermögensverschiebungen\36. Das ergebe sich aus der begrenzten Funktion des vorläufigen Rechtsschutzes 137. Soweit damit etwa die (Rück-) Zahlung zu Unrecht vorenthaltener (empfangener) Gelder gemeint ist, bestehen auch keine Bedenken. Wenn aber auch weitergehende Sanktionen, wie Schadensersatz oder eben Zinsen, gemeint sein sollen l38 , ist einzuwenden: Die aufschiebende Wirkung wird unterlaufen, wenn der Bürger nachher doch an die suspendierte Rechtspflicht erinnert wird. Es besteht dann eine faktische Folgepflicht139, oder besser -obliegenheit, will der Bürger nachteilige Folgen vermeiden. Er trüge letztlich doch das Fehlentscheidungsrisiko. Die Lösung liegt hier im materiellen Recht: Wenn die Rechtsordnung die unberechtigte Kapitalnutzung durch den Bürger sanktionieren will, muß sie - wenn schon kein Sofortvollzug angeordnet wird - dem Staat ausdrücklich einen Anspruch auf Zahlung von "Verzugs"- oder" Aussetzungszinsen" gewähren. Die für den umgekehrten Fall erwogene Alternative einer analogen Anwendung etwa des § 288 Abs. 1 BGB kommt zugunsten des Staates schon deshalb nicht in Betracht, weil eine solche Ermächtigungsgrundlage mit einer Analogie zum Zivilrecht auf tönernen Füßen steht l40 • (3) Wenn aber die Zwischenregelung im Rahmen des § 80 Abs. 1 VwGO "folgenfrei" bleibt, kann darin eine "zinsfreie Vermögenszuweisung" an den Bürger gesehen werden. Ist damit aber die Zuweisung an den Staat im Rahmen des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ebenfalls zinsfrei? Das ließe sich damit begründen, daß von einer Übernahme des § 945 ZPO in den Regelungsbereich des § 80 VwGO nicht nur zugunsten, sondern auch zu Lasten des Bürgers abgesehen wurde l41 • Bemerkenswert ist, daß § 65 Abs. 5 des Regierungsentwurfs zur FGO eine dem § 945 ZPO vergleichbare Schadensersatzregelung für den Fall vorsah, daß die Klage zur Herabsetzung der Abgabenschuld führt 142 • Diese Regelung wurde gestrichen, weil hier die Amtshaftung ausreichen sollte l43 •
Schoch, S. 1193. Schoch, S. 1194. 131 Das bleibt bei Schoch, S. 1193 f. unklar. 139 Vgl. Erichsen/Klenke, DÖV 1976,837 f. I " Vgl. zur generellen Unanwendbarkeit zivilrechtlicher Nonnen als Ennächtigungsgrundlage Wüt1enberger, DAR 1983, 156; Anschütz, VerwArch. 14 (1906), 315 ff., 329 ff.; Krey, S. 242 ff. 141 Papier, VerwArch. 1973,404. 142 Vgl. BT-Drs. 4/1446 S. 12 f., 51,66; hierzu Schoch, S. 1732; BGHZ 39,77. 143 Das ist allerdings fraglich, vgl. unten S. 250 ff. 136
137
D. Das Modell des "materiellen Zwischenrechts"
233
(4) Jedoch sind die Regelungen des § 80 und des § 123 VwGO strukturell nicht vergleichbar. Im ersten Fall wehrt der Bürger einen Eingriff ab, im zweiten Fall möchte er seine Rechtsposition ausweiten. Während aber beim bloßen Nicht-Leisten bereits das Rechtsinstitut des Verzugs befriedigende Lösungen bereithältl44 , bedarf es für die vorzeitige Vollstreckung einer Ausgleichsregelung, weil hier vom status quo abgewichen wird l45 • § 945 ZPO als verschuldensunabhängige, nachprozessuale Risikoverteilung knüpft also an den vorläufigen Titel an l46 , den die einstweilige Anordnung dem Bürger verschafft, der aber - zugunsten des Bürgers - in § 80 VwGO nicht erzeugt wird. Außerdem: § 80 Abs. 1 VwGO schafft einen Ausgleich zur Regelungsmacht der Verwaltung, wovon § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wiederum abweicht. Die einseitige Orientierung des § 945 ZPO an dem Vollzugsrisiko ist daher nicht geeignet, die differenzierende Interessenabwägung in § 80 VwGO haftungsrechtlich zu beeinflussen l47 • (5) Hier kann man entgegenhalten, daß der Bürger, der auf einen rechtswidrigen Steuerbescheid vorleistet, mit seinem Geld öffentliche Aufgaben finanziert, die dem anderen Bürger, der nicht vorleisten muß, zugute kommen. Indessen: Vergleichsmaßstab muß der § 80 Abs. 1 VwGO sein: Jeder Steuerschuldner kommt gleichermaßen in den Genuß der zinsfreien Nutzung von Geldern in der "Zwischenphase" des Suspensiveffekts, wie er beim Sofortvollzug hinzuzahlen muß. Eine absolute Saldierung kann es dabei nicht geben; die individuellen Nachteile einer solchen Pauschalierung sind hinzunehmen. Eine uneingeschränkte Verzinsung wie im Zivilrecht ist im öffentlichen Recht nicht geboten, weil die öffentlichen mit den privaten Interessen nicht gleichgesetzt werden dürfen. (6) Die öffentlichen Interessen, besonders die vorgenannte Sicherung der Haushaltsplanung, gebieten es nicht, den Ertrag aus der Nutzung rechtswidrig erlangten Geldes einzubehalten. Das in § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zum Ausdruck kommende Interesse des Staates, Gelder, auf die sich die öffentlichen Haushalte stützen, nicht auf längere Zeit zu entbehren, kann sich nur auf solche
'44 Vgl. Bettermann, JZ 1960,545; Lüke, NJW 1978,84; Schach, S. 1734. Grunsky, JuS 1982, 179. 12
Vgl. E. Weber, Ers!attungsanspruch, S. 142 f.; Hamischmacher, S. 237.
m Vgl. oben S. 235.
,>4 So Czybulka, NVwZ 1983, 128. m So Keßler, NJW 1974,538. 2'" Vgl. zur wirtschaftlichen Betrachtungsweise in diesem Zusammenhang deutlich Keßler, NJW 1974,538. m Keßler, NJW 1974,538. m Vgl. Kirchhof, in: HStR IV, § 88, Rn. 10 m.w.N. Unberiicksichtigtb1eibt dabei die Steuerung der Geldmenge und des Geldkreislaufs als währungspolitische Aufgabe des Staates.
111. Anspruchsgrundlagen für die Verzinsung
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bäude erwirbt. Gibt er das Geld ohne Gegenleistung an den Bürger weiter (als Sozialleistung), dann kommt eben dieser in den Genuß einer entsprechenden Verwendung. Eine Verzinsung läßt sich jedenfalls nicht schon deshalb ausschließen, weil der Staat als Träger hoheitlicher Gewalt das Geld nutzt. bb) Der tatsächliche Ertrag der Kapitalnutzung durch den Staat Dieser Nutzen ist es aber, den es näher zu untersuchen gilt. Das BVerwG sagt dezidiert, die öffentliche Hand verfüge über die ihr zustehenden Mittel stets im Interesse der Allgemeinheit, was eine nutzbringende Anlegung meist ausschließe2S9 • Dem ist aber mit KeßlerUlO entgegenzuhalten, daß die öffentliche Hand gerade im Interesse der Allgemeinheit verpflichtet ist, mit dem Geld im Rahmen des wirtschaftlich üblichen zu arbeiten. Der Staat nimmt in vielfältiger Weise am Wirtschaftsleben teil und erzielt dabei oft entsprechende Erträge261 • Die Verfügung im Allgemeininteresse sagt nichts über die Nutzung aus, sondern nur über den mit der Verwendung der Gelder verfolgten Zweck. Natürlich gibt der Staat das Geld zu anderen Zwecken aus als der Bürger. Die Verzinsung setzt jedoch nicht an der Gegenleistung an. Entscheidend ist vielmehr, daß sich der Staat auch auf dem Kapitalmarkt bewegt, Subventionsdarlehen vergibt, selbst Kredite aufnimmt262 und immer dort Aufwendungen erspart, wo er zusätzliche Gelder einnimmf63• So hat die Rechtsprechung auch keine Bedenken, der öffentlichen Hand (Verzugs-) Zinsen in Höhe von 2 % über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bank zuzusprechen264 : Der Staat müsse seinen Kapitalbedarf durch Aufnahme von Krediten zu bankmäßigen Bedingungen befriedigen, soweit keine anderen Haushaltsmittel zur Verfügung stünden 265 • Warum dieser Umstand im umgekehrten Fall einer Verzinsung zugunsten des Bürgers nicht mehr gelten soll, ist nicht ersicht-
BVerwG, NJW 1973,2122. Keßler, NJW 1974, 537 f. 261 Man denke nur an die Gewinne der Bundesbank als Finanzspritze des Bundeshaushalts; hierzu Kirchhof, in: HStR IV, § 88, Rn. 287 ff. Zur wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand jüngst Ehlers, JZ 1990, 1090 f. (zum tatsächlichen Ausmaß). 262 Vgl. § 13 HGrG. 14,75 % des Bundeshaushaltswurden 1988 aus Kreditaufnahmen finanziert; vgl. Finanzbericht 1990, S. 168. 263 Vgl. auch Büttner, BB 1970,236: Öffentlich-rechtliche Körperschaften seien zu verzinslicher Anlage aus dem Gesichtspunkt sorgfältiger Haushalts- und Kassenführung verpflichtet. 264 Vgl. BVerwG, ZBR 1964, 339; DöD 1969,235; BayVBI. 1972, 387; weitere Nw. bei Czybulka, NVwZ 1983, 127 in Fn. 30. 26' Kritisch Czybulka, NVwZ 1983, 128. 2>9
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260
4. Kap.: Vermögensrechtliche Aspekte
lich266 • Der Gebrauchsvorteil liegt auf der Hand: Wenn der dauerverschuldete267 Staat mit dem rechtsgrundlos erlangten Kapital des Bürgers tatsächlich allgemeinwohlorientierte Aufgaben erfüllt, tritt dieses Geld lediglich an die Stelle anderen Kapitals, das entweder aus Kreditaufnahme gestammt oder andere "Löcher" im Haushalt gerissen hätte. So oder so läßt sich jeder Kapitaltransfer des Staates mit dessen Kreditaufnahme in Verbindung setzen. Demgegenüber kann auch nicht angeführt werden, die Verwendung des Geldes für öffentliche Aufgaben schütze dieses vor dem "Zugriff der Verzinsung". Die Geldbeschaffung ist alleine Sache des Steuergesetzgebers. Eine Nichtverzinslichkeit des Erstattungsbetrages qualifiziert diesen als eine im Hinblick auf Art. 104 ff. GG problematische "Zwangsanleihe"268 oder einen " Zwangskredit n 269. cc) Das öffentliche Interesse an dem Verbleib des Ertrags im Staatshaushalt Ein reines Finanzierungsinteresse des Staates wurde soeben aus verfassungsrechtlichen Gründen abgelehnt. Aber auch der Gesichtspunkt einer geordneten Haushaltsplanung schlägt nicht durch. Wenn nämlich schon mit der Rückzahlung des "Stammkapitals" gerechnet werden muß (der Leistungsbescheid ist noch nicht bestandskräftig), so gilt gleiches für etwaige Zinsen. Praktikabilitätsgesichtspunkte waren zwar oft richtungweisend in der Zinsdebatt~70; die modemen Zinsregelungen der §§ 233a AO, 27 Abs. 1 SGB zeigen aber, daß der Staat sehr wohl in der Lage ist, die Verzinsung haushaltsmäßig zu bewerkstelligen.
266 2G7 260
266. 269
270
Czybulkll, NVwZ 1983, 128 deutet hier den Grundsatz der Gleichbehandlung an. Vgl. zur Staatsverschuldung instruktiv Wille, in: Der Staat der Zukunft, S. 39 ff. Vgl. hierzu BVertUE 4,7 (Investitionshilfegesetz); dazu Kirchhof, in: "SIR IV, § 88, Rn. Vgl. kritisch Krose, FR 1988,5 f. Vgl. oben S. 203 ff.
ill. Anspruchsgrundlagenfiir die Verzinsung
261
dd) Der Eingriff in den privaten Haushalt durch die Vorenthaltung des Ertrags Demgegenüber wirkt der Eingriff in den privaten Haushalt271 schon schwerer. Unabhängig von der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG in diesem Fall bedeutet die Vorenthaltung des Kapitalertrags eine berechenbare Minderung des privaten Vermögens. Besonders in den Fällen, wo die Erfüllung der Abgabenpflicht nur durch Kreditaufnahme bewerkstelligt werden kann272 , drängt sich der Ausgleich des erlittenen Zinsnachteils auf. Aber auch sonst wirft Geld immer eine Rendite ab, weil heute niemand mehr sein Geld "unter das Kopfkissen legt"273. ee) Die "Folgewirkungen" der Verzinsung und Nichtverzinsung Letztlich ist das hier favorisierte Ergebnis - die vollständige "Ertragsabschöpfung" nach dem Rechtsgedanken des § 818 Abs. 2 BGB 274 - an den "Folgewirkungen" zu messen. Wenn der Staat eine solche Verzinsung gewärtigen muß, wird er vorsichtiger mit dem Sofortvollzug umgehen275 • Das ist eine positive Konsequenz, weil bereits dargestellt wurde, daß der Sofortvoll-
271 Der Aspekt des "privaten Haushalts" wird oft übersehen, obwohl die privaten gegenüber den öffentlichen Haushalten nicht weniger komplex sind und ebenfalls eine stringente Haushaltsplanung erfordern, vgl. H. Rapin (Hg.), Die privaten Haushalte - Daten und Fakten, 1990; dies. (Hrsg.), Die privaten Haushalt" im Spiegel sozialempirischer Erhebungen, 1990. 272 So die Konstellation in dem von BVerwGE 69, 366 entschiedenen Fall. Nach der hier vorgelegten Argumentation muß es verwundern, daß die oben bei Fn. 197 nachgewiesenen Anmerkungenzu dieser Entscheidung diese sich aufdrängendenGedanken nicht aufgeworfenhaben. 273 Kritisch zu der wirtschaftlichen Herleitung der Verzinsung äußert sich Suhr, ARSP 1983, 327 f. In seiner sozialphilosophischenAbhandlung stellt er der Vorverlegung der Nachfrage den Nutzen aus dem Aufschub der Nachfrage entgegen. Wer also Geld verleiht, der braucht dieses Geld jetzt nicht und sollte froh sein, daß ihm jemand das Geld so lange authebt, bis er (der Verleiher) das Geld braucht. Auf unseren Fall ist diese (nicht nur ironische) These jedoch nicht übertragbar. Der Bürger "verleiht" das Geld im Rahmen seiner Vorleistungspflichtja nicht freiwillig. Vielmehr ist davon auszugehen, daß er das Geld selbst gebraucht hätte. Als Tauschmittel ist es aber nicht nur später weniger wert; es konnte in der Zwischenzeit auch nicht durch einen günstigen "Tausch" vermehrt werden. Darin liegt der eigentliche Schaden. 2" Mit diesem Ergebnis erübrigt sich ein weiteres Eingehen auf die Problematik, ob der Sofortvollzug gegen Art. 92 GG verstößt. Die möglicherweise endgültige Vermögenszuweisung der Vorleistung erweist sich als reversibel. 27S Dieser Ansatz liegt auf der Linie einer ökonomischen Theorie des Rechts, vgl. Posner, in: Journal of Legal Studies 1 (1972), S. 305 ff.; 2 (1973), S. 399 ff.; Fezer, JZ 1986, 817 ff.; Oll/Schäfer, JZ 1988,213 ff.
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4. Kap.: Vennögensrechtliche Aspekte
zug zwar verfassungsgemäß, aber deshalb nicht unproblematisch ist. Gerade die Verzinsung vermag die Nachteile, die dem Bürger zugunsten einer reibungslosen Rechtsverwirklichung auferlegt werden, zu kompensieren 276 • In dieser Gesamtschau von prozessualen, verfassungsrechtlichen und vermögensrechtlichen Aspekten um die Vorleistungspflicht des Bürgers wird das Gleichgewicht, die Waffengleichheit zwischen Staat und Bürger wieder hergestellt. Der Einnahmeeffekt des versagten Zinses wäre demgegenüber nicht zu rechtfertigenm . Eine dogmatisch nicht zwingende Verkürzung der Rechtsposition des Bürgers kann die parlamentarische Debatte über dessen substituierten Beitrag am Staatshaushalt nicht ersetzen.
276 Weil der Bürger allerdings auch keine Vorteile haben soll, wäre die Höhe der Verzinsung an dem "Mindestschaden" zu orientieren, der auch in den modemen Zinsregelungen zum Ausdruck kommt: Zwischen 4 % (§ 27 Abs. I SGB IV) und 6 % (§ 238 AO). RGZ 151, 123 und der BGH NIW 1961, 452; 1962, 1148 gewähren im Zivilrecht den "üblichen Zinssatz". rn Ob der Staat andererseits wieder diese Zinsausflille durch die Einführung einer "Zinssteuer" kompensieren würde, mag hier dahinstehen. Zum einen müßte dafür ein (politisch nicht einfaches) parlamentarisches Gesetzgebungsverfahren durchlaufen werden; z\Jm anderen ist die rechtliche Zulässigkeit einer solchen (Sonder-?) Abgabe noch unklar. Vgl. zur Zinssteuer als Kompensation der Staatsverschuldung Wille, in: Der Staat der Zukunft, S. 48.
Zusammenfassung I.
Der Sofortvollzug staatlicher Geldforderungen ist prinzipiell verfassungsgemäß, die damit intendierte Vodeistungspflicht des Bürgers im Prozeß der Rechtsverwirklichung gerechtfertigt. Sie bezieht sich aber nur auf bestimmte, klar abgegrenzte Geldforderungen. Für diese besteht im Fall einer rechtsgrundlosen Einnahme eine Pflicht des Staates zur Entrichtung angemessener Zinsen als Kapitalertrag.
11. 1. Zentrale Ausgangsnorm ist § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Danach entfällt die aufschiebende Wirkung der Rechtsbehelfe gegen die Anforderung öffentlicher Abgaben und Kosten. Diese staatlichen Geldforderungen sind also "sofort vollziehbar" . Der SoJortvollzug wird durch das Instrumentarium der Verwaltungsvollstreckung (§§ 1, 3 VwVG) bewerkstelligt: Ohne einen gerichtlichen Titel zu erstreiten, vollstreckt die zuständige Verwaltungsbehörde die Geldforderung, falls der Bürger als vermeintlicher Schuldner nicht freiwillig leistet. § 80 VwGO bildet so die Nahtstelle zwischen Rechtsschutz und Rechtsverwirklichung. Dabei wirken Verwaltung und Rechtsprechung gewissermaßen "arbeitsteilig" in der Rechtsverwirklichung zusammen.
a) Durch die Garantie effektiven Rechtsschutzes in Art. 19 Abs. 4 GG sind die (Verwaltungs) Gerichte in den Prozeß der Rechtsverwirklichung eingebunden: Weil die mit der Umsetzung des Rechts in die soziale Wirklichkeit verbundene Schaffung "vollendeter Tatsachen" der vorgenannten Garantie i.d.R. widerspräche, wenn sie vor der Entscheidung über einen Rechtsbehelf erfolgte, avanciert die richterliche Rechtserkenntnis auch im Verwaltungsrecht zur "Vollstreckungsvoraussetzung " . b) Der "Anteil" der Verwaltung an der Rechtsverwirklichung wird deutlich, wenn man sich die Funktion des Leistungsbescheides vor Augen führt:
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Zusammenfassung
aa) Der Leistungsbescheid bedeutet eine autoritative Rechtsbehauptung der Behörde. Die Verwaltung behauptet mit ihm, zur Forderung des Geldbetrages berechtigt zu sein. Diese Behauptung ist nicht wie die eines privaten Gläubigers imperfekt, sondern autoritativ; mit ihr wird "der Ball der Rechtsverwirklichung ins Rollen gebracht" (Anstoßfunktion des Verwaltungsakts). Für den Staatsbürger entsteht so die Obliegenheit, sich gegen die Behauptung zur Wehr zu setzen, will er nicht deren ungeprüfte Realisierung riskieren. Anders gewendet: Die Behörde hat die Behauptungsmacht, der Bürger die Anfechtungsmacht. Dieses Verfahrens zur Sicherung der Rechtsverwirklichung bedarf es immer dort, wo bestimmte öffentliche Aufgaben ihrer Natur nach nicht ausgehandelt werden oder der zufälligen Befolgung überlassen bleiben dürfen. bb) Der Leistungsbescheid hat einen feststellenden (Geschuldet sind 1.000,DM) und einen befehlenden (Zahle 1.000,- DM) Bestandteil. Die Feststellung der Rechtslage wirkt konstitutiv; der Leistungsbescheid ist kein "deklaratorischfeststellender" Verwaltungsakt. Vielmehr stellt er eine Zahlungspflicht fest, die so vorher nicht bestand. Er ist aber nicht streitentscheidender, sondern streiteröffnender Natur. Das zeigt sich insbesondere darin, daß erst das Verhalten des Bürgers - je nachdem, ob er von seinem Anfechtungsrecht Gebrauch macht die Verbindlichkeit des Leistungsbescheides herbeiführt. c) Solche Realisierung bestrittenen Rechts beseitigt, besser gesagt: ignoriert die Ungewißheit über das Fordern- bzw. Behaltendürfen des Geldes bis zur gerichtlichen Klärung. Das führt zu einer Vorleistungspflicht des Bürgers: es wird "vor der gerichtlichen Klärung geleistet". Solche "vorgerichtliehe Rechtsverwirklichung" zielt darauf, unter Umgehung der (mitunter langwierigen) gerichtlichen Kontrolle das von der Forderung umfaßte Vermögen (einstweilen) von dem privaten in den öffentlichen Haushalt zu verschieben. 2. Anders ist es beim Regelvollzug. Darunter wird hier die Rechtsverwirklichung in den Fällen verstanden, in denen eine bestrittene (und rechtshängige) Forderung erst dann realisiert wird, wenn ihre Berechtigung gerichtlich festgestellt wurde. Hier zeigt sich, daß die Gegenüberstellung von Verwaltungsvollstreckung und zivilprozessualer Zwangsvollstreckung nicht den Kern der Rechtfertigungsfrage trifft. Eine Vorleistungspflicht des Bürgers ergibt sich nicht, weil die Verwaltung ihre Geldforderungen selbst vollstreckt (Abgrenzung der Verwaltungsvollstreckung von der Zivilvollstreckung), sondern weil sie dies ohne "gerichtliche Bestätigung" ihrer Berechtigung tut (Abgrenzung des Sofortvollzugs gegenüber dem Regelvollzug). Anders ausgedrückt: Die "Rechtfertigungsgrenze " der Vorleistungspflicht verläuft nicht horizontal bzw. vertikal zwischen den beiden Vollstreckungsgebieten, sondern diagonal durch diese.
Zusammenfassung
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Orientiert man das System der RechtsvelWirklichung an dem Zeitpunkt der richterlichen Entscheidung über die Berechtigung der Forderung, kann man von einer "dualen Vollzugsordnung" sprechen, die sich in Regel- und Sofortvollzug gliedert. 3. Wenn der Staat bestimmte Geldforderungen - öffentliche Abgaben und Kosten - in dem beschriebenen Sinne sofort vollzieht, dann tut er dies aus folgenden Gründen: Erstens ist er auf den "stetigen Eingang" dieser Gelder angewiesen. Zur Sicherung einer geordneten Haushaltsplanung müssen die prognostizierten Einnahmen sofort und nicht erst nach dem (auch in zeitlicher Hinsicht ungewissen) Ausgang eines gerichtlichen Verfahrens den staatlichen Kassen zufließen. Zweitens wird dadurch eine rechtsmißbräuchliche Rechtsbehelfseinlegung - wenn schon nicht vermieden, so doch - in ihren Auswirkungen begrenzt. Der ansonsten eintretende automatische Suspensiveffekt entlallt bei der Anforderung dieser Gelder. Dies schafft zugleich ein Stück Abgabengerechtigkeit, weil grds. alle Abgabenschuldner zunächst einmal zahlen müssen. Eine nach dem Grad der Zweifel an der Berechtigung des Leistungsbescheides differenzierende Suspensivregelung wäre dagegen nicht normierbar, jedenfalls nicht effizient. Das führt zum dritten Grund für den Sofortvollzug. Eine nach Effizienzgesichtspunkten gestaltete VelWaltungsrechtsvelWirklichung kommt ohne generalisierte Sofortvollzugsregelung nicht aus. Gerade dort, wo die "tabellarische" Festlegung der Erhebungsvoraussetzungen ein wichtiges Indiz für die Berechtigung des Staates bietet (wie bei vielen Steuern, Gebühren und Beiträgen), wäre eine Einzelfallentscheidung über den Sofortvollzug (gern. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) ineffizient. Zumindest in diesen Fällen liegt die einstweilige ÜbelWindung der rechtlichen Zweifel an der Berechtigung der Vermögensverschiebung im öffentlichen Interesse. Dieses übelWiegt das private Interesse detjenigen Schuldner, die auf eine zweifelhafte staatliche Geldforderung hin vorleisten müssen. Für Einzelfallgerechtigkeit sorgt hier auch der vorläufige Rechtsschutz (§ 80 Abs. 5 VwGO). Letztlich dient bei diesen staatlichen Geldforderungen die "Befreiung" der Vermögensverschiebung von den Unwägbarkeiten der (gerichtlichen) Rechtskontrolle auch der Schaffung fundamentaler finanzieller Ressourcen des Staates, in einem weiteren Sinne also der "Staatsräson". III.
Mit diesen Gründen ist die Vorleistungspflicht des Bürgers aber noch nicht (hinreichend) gerechtfertigt. Sie erklären nur, warum der Staat seine Geldforderungen in bestimmten Fällen sofort vollzieht, nicht jedoch, ob er dies auch tun
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Zusammenfassung
darf. Das wiederum ist eine Frage des Prozeß-, Verfassungs- und materiellen Rechts, die dabei im Zusammenhang betrachtet werden müssen. 1. Die Vorleistungspflicht ist erstens daraus gerechtfertigt, daß sie nur einen sachlich begrenzten Bereich von Geldforderungen umfaßt. § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO stellt gegenüber § 80 Abs. 1 VwGO die Ausnahme dar. Damit zieht das (Verwaltungs-) Prozeßrecht eine erste Grenze, welche für den Sofortvollzug einen erhöhten Rechtfertigungsbedarf auslöst. Grund der Vermögensverschiebung darf nur Einnahme (ggfs. mit dem Nebenzweck der Kompensation bei den Vorzugslasten), nicht Lenkung sein. Das bloße Finanzierungsinteresse des Staates genügt aber nicht. Entscheidend ist vielmehr die Kombination von "stetigem Mittelfluß" und "überwiegender Wahrscheinlichkeit der Berechtigung". Daraus folgt, daß der Anwendungsbereich des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf die "klassischen" Abgaben (Steuern, Gebühren und Beiträge) sowie die öffentlichen (Verfahrens-) Kosten beschränkt ist. Alle sonstigen staatlichen Geldforderungen, die den vorgenannten Anforderungen nicht gerecht werden, weil sie entweder nicht der allgemeinen staatlichen Haushaltsplanung dienen oder die Frage ihrer Berechtigung mit weiteren Unsicherheitsfaktoren belastet ist, sind demnach nicht gern. § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sofort vollziehbar. 2. In veifassungsrechtlicher Hinsicht ergibt sich die Rechtfertigung der Vorleistungspflicht aus einer Betrachtung des Leistungsbescheides vor dem Hintergrund des Richterspruch- und Gesetzesvorbehalts. Mit diesen Bestandteilen des Gewaltenteilungsgrundsatzes steht die Vorleistungspflicht im Einklang, wenn man den Sofortvollzug als arbeitsteiligen Prozeß der Rechtsverwirklichung ansieht, wie er eingangs beschrieben wurde. a) Der Erlaß eines Leistungsbescheides bedeutet keine Rechtsprechung im materiellen Sinne und verstößt daher nicht gegen Art. 92 GG. Als autoritative Rechtsbehauptung hat er weder den Charakter einer "Streitentscheidung" , noch ist er "verbindlich"; zudem handelt die Behörde hier in "eigener Angelegenheit", nämlich ihrem Vollzugsauftrag im Verwaltungsrecht gerecht zu werden. Das gilt auch für den Sofortvollzug. Die in der "vorgerichtlichen Rechtsverwirklichung" liegende Vermögensverschiebung mit ihrer Kapitalertragsnutzung ist nicht verbindlich, weil - wie später gezeigt wurde - diese Nutzung wertmäßig durch die Zubilligung von Zinsen für den Bürger kompensiert wird. Eine Saldierung dieser Rechtsposition ist auch statthaft: Durch den Zinsanspruch des Bürgers bleibt die Entscheidung über die Vermögensverschiebung "in der Schwebe"; ohne einen solchen Anspruch hätte die Verwaltung dagegen über den Kapitalertrag endgültig disponiert. Den maßgeblichen Rechtsschutz, der die Endgültigkeit der Verwaltungsmaßnahme verhindert (Reversibilität),
Zusammenfassung
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bietet hier nicht der Suspensiveffekt eines Rechtsbehelfs, sondern die Einklagbarkeit der Verzinsung. Auch unter dem Gesichtspunkt der "Richtigkeitsgarantien " richterlicher Tätigkeit kommt dem Richter nicht das "erste" oder gar "einzige" Wort bei der Durchsetzung staatlicher Geldforderungen zu. Anlaß für einen "Richterspruchvorbehalt" zur Gewährleistung einer "richtigen", "rechtsnahen" Rechtsverwirklichung besteht in den Fällen des Betätigungsverbots (die Behörde darf überhaupt nicht handeln) und der Betätigungssperre (die Behörde braucht eine "richterliche Erlaubnis") für die Verwaltung. Ein Betätigungsverbot (Richtermonopol i. e. S. ) scheitert bereits daran, daß die Vermögensverschiebung als Normvollzug typische exekutivische Agende ist. Aber auch die Betätigungssperre (Richtermonopol i.w.S.) kommt hier nicht zum Tragen, weil diese einen spezifischen Persönlichkeitsbezug des Eingriffs voraussetzt, welcher beim Sofortvollzug staatlicher Geldforderungen nicht vorliegt. Vielmehr verbleibt es hier bei der Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG: der Richter hat das "letzte" Wort). b) Der Erlaß eines Leistungsbescheides ist auch nicht von einer gesetzlichen "Zulassung" dieser Handlungsform im Einzelfall abhängig. Eine Mißachtung des Gesetzesvorbehalts kann nicht darin gesehen werden, daß die Ermächtigung zur Geldforderung vielfach keinen ausdrücklichen Hinweis auf die Art und Weise ihrer Durchsetzung enthält. Ein solcher Handlungsformvorbehalt ist jedenfalls für die vorliegende Konstellation abzulehnen, weil der Leistungsbescheid als autoritative Rechtsbehauptung keine spezifische Eingriffswirkung zeitigt. Wenn sich der Bürger gegen den Leistungsbescheid wehrt, ist seine Rechtsposition jedenfalls im Regelvollzug nicht nachteilig. Die Rollenvertauschung im Prozeß schadet ihm weder im Hinblick auf die Beweislast noch in Bezug auf die Verteilung der Prozeßkosten. Und daß er sich wehren sollte, kann nicht mit dem Hinweis auf eine Hemmschwelle zum Eingriffwerden, weil die oben skizzierte Anstoßfunktion auch eine staatsbürgerliche Obliegenheit im Prozeß der Rechtsverwirklichung begründet. Diese Mitwirkung des Bürgers an der Rechtsverwirklichung zeigt, daß dieser als Rechtssubjekt ernst genommen wird und die Rechtsordnung ihm nur das Stück Verantwortung abverlangt, das im demokratischen Rechtsstaat auch seinen eigenen Interessen dient. Für den Sofortvollzug gilt nichts anderes: § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO stellt insoweit eine eindeutige gesetzliche Äußerung dar, die jedenfalls für die öffentlichen Abgaben und Kosten den Weg der Durchsetzung per Leistungsbescheid vorzeichnet. c) Es verbleibt daher bei der im Text vorgenommenen Einschätzung der rechtsstaatlichen Determinanten des Sofortvollzugs: Der Gesetzgeber hat durch
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Zusammenfassung
die Normierung zahlreicher Ansprüche eine Grundlage für die staatlichen Geldforderungen geschaffen. Er hat darüber hinaus den Sofortvollzug als verwaltungsprozessuale Kategorie (§ 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) generell anerkannt und mit dem VwVG ein korrespondierendes Verfahrensrecht für die Verwaltung geschaffen. Die Realisierung der Geldforderungen in den vorgezeichneten Bahnen ist Aufgabe der Verwaltung. Der Sofortvollzug ist eine besondere Form des Gesetzesvollzugs, welcher der vollziehenden Gewalt obliegt. Die Rechtsprechung nimmt ihre Kontrollfunktion beim Sofortvollzug in zweifacher Hinsicht wahr: Zum einen entscheiden die (Verwaltungs-) Gerichte im Streit um die Berechtigung der Geldforderung (durch Urteil im Anfechtungsprozeß), zum anderen gewähren sie einstweiligen Rechtsschutz (§ 80 Abs. 5 VwGO) gerade im Hinblick auf die sofortige Realisierung. Die allenthalben zu beobachtende Sensibilisierung der Gewaltenteilung mag in Bereichen finaler Programmierung (Planungs- oder Ermessensentscheidungen) zu einem funktionsgerechten Wandel der Handlungs- und Entscheidungsformen geführt haben. Im Bereich der klassischen Abgabenverwaltung indessen läßt zumindest der Vollzug keinen Spielraum für Kompromisse. Die Kooperation findet hier im normativ gebundenen Rechtsverwirklichungsprozeß zwischen Behörde, Bürger und Gericht statt, der - wie gesehen - genügend Raum zur Berücksichtigung öffentlicher und privater Interessen bietet. 3. Ein Aspekt der Rechtfertigung der Vorleistungspflicht bleibt. In vermögensrechtlicher Hinsicht ist zu verhindern, daß der Staat aus seinen Privilegien mehr Vorteile zieht, als zur Erreichung des vorgegebenen Zwecks nötig ist. Ein solcher Vorteil wäre gegeben, wenn der Staat den Kapitalertrag aus dem Gebrauch rechtsgrundlos erlangten Geldes behalten dürfte. Dem ist durch die Begründung eines Zinsanspruchs für den Bürger entgegenzutreten. Das ergibt sich nicht zuletzt aus den "Gründen des Sofortvollzugs". Hierbei ist aber - der Rechtslage entsprechend - zwischen den verschiedenen Rechtsgebieten der staatlichen Geldforderungen zu unterscheiden. a) Im Steuerrecht sorgen die §§ 233a, 236 AO für eine beschränkte Zinspflicht des Staates. Ebenso stellt § 27 Abs. 1 SGB IV eine abschließende Zinsregelung auf dem Gebiet des Sozialrechts dar. In den verbleibenden Fällen ist dagegen § 818 Abs. 2 BGB analog anzuwenden. Danach sind die Gebrauchsvorteile rechtsgrundlos erlangter Gelder "herauszugeben", d.h. dem Wert entsprechend (in Form von "Zinsen") zu ersetzen.
Zusammenfassung
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b) Diesem Zinsanspruch steht nicht der Einwand entgegen, § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erlaube den Sofortvollzug und weise dem Staat somit auch den Kapitalertrag zu. Ein solches "materielles Zwischenrecht" des Staates läßt sich nicht begründen. Vielmehr richtet sich die materielle Zuweisung des Fehlentscheidungsrisikos nach den tauglichen Anspruchsgrundlagen einer Verzinsung. Danach kommen zwar weder Verzugs- noch Prozeßzinsen und auch keine Zinsen als Schadensersatz oder Entschädigung in Betracht. Jedoch läßt sich eine Abschöpfung des Kapitalertrags über den Gesichtspunkt des Gebrauchsvorteils begründen. c) Maßgebend hierfür ist eine wirtschaftliche Betrachtung der Vermögensverschiebung. Geld hat im öffentlichen Recht keine andere Funktion als im Zivilrecht. Eine Verzinsung läßt sich nicht schon deshalb ausschließen, weil der Staat als Träger hoheitlicher Gewalt das Geld nutzt. Entscheidend ist also nicht, welche Zwecke er mit dieser Nutzung verfolgt, sondern daß er sich wie andere Rechtspersonen auf dem Kapitalmarkt bewegt. So gesehen bedarf nicht der Zinsanspruch des Bürgers einer ausdrücklichen Anspruchsgrundlage, sondern müßte die Verwendung des Kapitalertrags durch den Staat gesetzlich angeordnet sein. Weil eine solche Ertragszuweisung weder in § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO noch in den materiell-rechtlichen Abgabenerhebungsvorschriften und auch nicht in einer rechtsgrundsätzlichen Anwendung des § 233 AO gesehen werden kann, steht der Ertrag demjenigen zu, aus dessen Geld er gezogen wurde (wirtschaftliche Einheit von Stammkapital und Zins). Bei der sofortigen Vollziehung eines bestrittenen, rechtswidrigen und später aufgehobenen Leistungsbescheides ist es das Geld des Bürgers, das der Staat nutzt. Sich dieses Geld zu eigen zu machen, hieße einen rechtswidrigen Zustand über das erforderliche Maß zu perpetuieren. Letztlich überwiegt hier das Interesse an der Abwehr dieses Eingriffs in den privaten Haushalt das öffentliche Interesse an dem Verbleib des Ertrags im Staatshaushalt. IV. Nimmt man diese drei Gesichtspunkte des Verfassungs-, Prozeß- und materiellen Rechts zusammen, dann ist die Vorleistungspflicht des Bürgers ausreichend gerechtfertigt. Das wäre indessen nicht der Fall, wenn - wie in der gerichtlichen Praxis - § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zum Einfallstor fiskalischer Interessen des Staates und der damit verbundene Eingriff in die privaten Haushalte die staatlichen Privilegien durch die Vorenthaltung des Kapitalertrags noch vertiefen würde. Weder die Verwaltungsvollstreckung noch die Abgabenerhebung begegnen in ihren belastenden Wirkungen prinzipiellen Bedenken. Der
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Zusammenfassung
Leistungsbescheid erweist sich als Paradebeispiel für das "hoheitliche Moment im Verwaltungsrecht der Gegenwart" (Hill). Erst der kumulative, nicht kompensierte Eingriff ist nicht mehr zu rechtfertigen. Auf ihn kann aber der modeme, leistungsorientierte Staat verzichten, ohne seine Funktionsruchtigkeit zu gefährden. Selbst eine Belastung des Staatshaushalts mit neuen Zinsforderungen in zweistelliger Millionenhöhe ließe sich finanzieren, werden so doch auch Vertrauensdefizite in der öffentlichen (Finanz-) Verwaltung abgebaut. In diesem Sinne Chancen und Risiken der Rechtfertigung staatlichen Handeins in einem klassischen Bereich der Eingriffsverwaltung aufzuzeigen, war das Ziel der vorliegenden Abhandlung.
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