Der Simplicissimus und sein Dichter: Gesammelte Aufsätze [Reprint 2011 ed.] 9783111648538, 9783484100787


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German Pages 269 [272] Year 1950

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Table of contents :
I. Der Simplicissimus Teutsch
II. Der „Simplicissimus Teutsch“ als verhüllte Religionssatire
III. Die deutsche Robinsonade aus dem Jahre 1669
IV. Das finstere Licht
V. Grimmelshausen und die Ortenau
VI. Versuch eines Bildungsgangs des Simplicissimusdichters
VII. Grimmelshausens Reise nach Nürnberg
VIII. Grimmelshausen Barbarossa
IX. Grimmelshausen und das Barock
X. Grimmelshausen und die Illustrationen seiner Werke
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Der Simplicissimus und sein Dichter: Gesammelte Aufsätze [Reprint 2011 ed.]
 9783111648538, 9783484100787

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DER SIMPLICISSIMUS UND SEIN DICHTER

Gesammelte

Aufsätze

von J. H. Schölte

MAX N I E M E Y E R V E R L A G TÜBINGEN

1950

Alle Rechte, auch das der Übertragung in fremde Sprachen, vorbehalten Copyright by Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1960 · Printed in Germany Enßlin-Druck Reutlingen

Vorwort Von verschiedenen Seiten wurde dem Herrn Verleger und mir nahe gelegt, aus meinen Grimmelshausen-Aufsätzen eine Auswahl zusammenzustellen. Objektiv betrachtet, ist das sinnvoll zu nennen: sie ziehen sich über einen Zeitraum von mehr als fünfunddreißig Jahren hin und erschienen in verschiedenen Ländern und Sprachen. Infolgedessen ist es für jüngere Forscher nahezu unmöglich, zu meinem gesamten Grimmelshausenwerk Stellung zu nehmen und daher im Interesse der Forschung, ihnen durch eine Zusammenstellung des Wesentlichen entgegenzukommen. Dies bedingte Inhalt und Form des vorliegenden Buches: ich habe versucht, vor allem dasjenige auszuwählen, dessen allgemeinere Kenntnisnahme sich empfiehlt, und midi dabei bestrebt, einen solchen Aufbau zu treffen, daß Verschiedenartiges sich zu einem Ganzen rundet. Ohne Schwierigkeiten ging das nicht. Als ich vor vierzig Jahren durch Anregung von außen dazu kam, ein Lieblingsstudium meiner Studentenzeit wieder aufzunehmen, und eine sprachliche Grimmelshausenuntersuchung anstellte, mußte ich erfahren, daß ohne weit ausgreifende Vorarbeiten eine philologisch zu verantwortende Abhandlung über auch nur einen Teil von Grimmelshausens Sprache nicht möglich war. Ich suchte mir eigene Wege, um für Grimmelshausenforschung überhaupt ein brauchbares Fundament zu schaffen. So kam ich zu Fragen, die primär keineswegs mein Interesse hatten, bio- und bibliographische Probleme, und schrieb ein Buch, das wohl ungefähr alle Vorfragen der Forschung berührte. Es hat nach allem, was seitdem von den immer zahlreicher werdenden Forschern, die in den Nachworten zu den verschiedenen Aufsätzen zur Sprache kommen werden und von denen ich einleitenderweise jetzt nur Bechtold, Batzer und Oeftering, Törnvall, Borcherdt und Günther, Petersen und seine Schüler, unter denen besonders Koschlig, nenne, über die verschiedenen Sektoren der Probleme der Grimmelshausenforschung geschrieben worden ist, nur mehr historischen Wert. Für die Stellung dieses Werkes innerhalb der Grimmelshausenphilologie referiere ich das Urteil Manfred Koschligs, der in seinem vorläufig abschließenden bibliographischen Werk folgende Charakteristik

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Vorwort

gibt: „Der erste, der in dieser philologisch-bibliographischen Methode voranschritt, war J. H. Schölte; durch seine P r o b l e m e hat er den Weg gewiesen; ihm verdanken wir die erste grundlegende Untersuchung der tiefgreifenden sprachlichen Unterschiede der frühen SimplicissimusAusgaben." Kompliziert wurde meine Stellung innerhalb der Forschung dadurch, daß nach dem Tode des verdienten, aber nicht zur Veröffentlichung gekommenen Forschers Gustav Könnecke, der als Archivar eben für die Seiten, die ich mehr oder weniger notgedrungen in meine Untersuchungen hineinbezogen hatte, das Biographische und das Bibliographische, ein besonderes Interesse gehabt hatte und mehr als vierzig Jahre suchte und sammelte, der auf Grimmelshausen bezügliche Nachlaß mir anvertraut wurde. Er war mit dem Vorstand der Gesellschaft der Bibliophilen übereingekommen, daß dieser Verein seine umfangreichen Grimmelshausenbücher herausgeben würde. Als während des ersten Weltkriegs sein Tod diese Pläne vereitelte, wandte sich dieser Vorstand an mich. Die Biographie konnte ich in zwei Bänden, Weimar 1926 und 1928, mit Anmerkungen und Nachwort erscheinen lassen: es ist ein Arsenal an Tatsachen, das der Forschung eine Stellungnahme zu Grimmelshausens Persönlichkeit erleichtert. Die Herausgabe der Bibliographie wurde durch die Ungunst der Zeiten verhindert. Das Manuskript ging während des zweiten Weltkriegs nach Deutschland zurück. Es scheint mir fraglich, ob die umfangreiche Handschrift je zum Druck gelangt; manches ist durch Koschligs Arbeit überflüssig geworden. Als zentrale Ergebnisse meiner Sorgfalt um Grimmelshausen und die Sprache seiner Werke sehe ich meine Ausgaben an: „Courasche" 1923, „Springinsfeld" 1928, „Vogelnest" 1931 und besonders die dreigliedrige Simplicissimusausgabe, von der „Simplicissimus Teutsch" 1938, „Continuation 1939 und der abschließende Band unter dem Titel „Simpliciana" 1943 erschien und alles bringt, was im „Barock-Simplicissimus" von Grimmelshausen selbst ist, außerdem das „Rathstübel Plutonis", den „Bart-Krieg" und den „Teutsdien Michel". Darum herum liegen dann mehr als fünfundzwanzig Aufsätze, unter denen ich zu wählen hatte. Es war klar, daß es sich zum Beispiel nicht empfahl, einen Aufsatz aufzunehmen, den ich noch immer für einen der besten halte: „Einige sprachliche Erscheinungen in verschiedenen Ausgaben von Grimmelshausens Simplicissimus und Cour as die": das Ergebnis desselben ist so widerstandslos in die Forschung übergegangen, daß er den jüngeren Forschern nichts bringt, was sie nicht audi an anderer Stelle lesen können; wer sich für den Aufsatz unter historischem Gesichtspunkt

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Vorwort

interessiert, muß dann nur den vierzigsten Band der „Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur" zur Hand nehmen. Andere Aufsätze gibt es, die ich nur in Umarbeitung verantworten kann, weil ich infolge anderer und eigener Untersuchung früher geäußerte Meinungen zu revidieren hatte: ich habe die mir gebotene Gelegenheit gern ergriffen, solche Korrekturen an mir selbst vorzunehmen, um in diesem Buch möglichst abschließende Auffassungen zu geben. Mit besonderer Freude nahm ich einen Aufsatz auf, der für Deutschland Neues bringt, Ergebnisse der vierziger Jahre, die, nach Kriegsende in Amerika erschienen!, jetzt auch in Grimmelshausens eigenem Lande zur Diskussion gestellt werden. Möglichst knapp gehaltene Verantwortungen über neue oder geänderte Meinungen bringen die Nachworte zu jedem der zehn Aufsätze. Die nicht aufgenommenen Arbeiten werden, wo es mir nützlich schien, in den Nachworten genannt; öfters ist auch der Inhalt derselben in andere verarbeitet worden. So hoffe ich, der deutschen Wissenschaft ein Buch zu schenken, das der Jugend gewidmet sei. Amsterdam, Jahreswende 1948/1949. / . H.

Schölte

Der Simplicissimus Teutsch

SIMPLICISSIMUS m t f c f

/

f e t y a m e n Vaganten / g e n a n t ütfcldfjfor < 5 f c r n f t t t ton ftucWaim / t o o u n f c toetcfcer g e f t a f t @ r n e m l i ( f r rabiffeSQM f o m t t w n / toas e r D e r i n n gefefetti / geiernrf / erfa&r tη u n d α φ fieftaiitaD/aut& toarumb er fofc&e toicDnr fregtoifltg q u i t t i r t · üfcMisPlttßicf/mib mätmiß Ι ί φ » u m l i e f e 311 l e f e i t . Sln^aegfbm S3on G e r m a n

S c h l e x f h b i m

v o n Sulsforc.

ttlonpelflart/ © r t r w t t u p 3o&amt © W o n / 3 m 3 « S l r M p c LXIX

Faksimile des Titelblatts der Erstausgabe des „Simplicissimus Teutsch".

Der Dreißigjährige Krieg war noch nicht lange im Gange, als an einem Sommertag — es muß im Juni des Jahres 1622 gewesen sein — ein Spessarter Bauer bewaffnet die Umgebung seines Hofes rekognoszierte. Er wohnte schon nicht mehr im eignen Heim, sondern hauste sicherheitshalber mit seiner Familie im dichtesten Teil des Waldes auf einer kleinen Lichtung, wohin er audi das Wichtigste seines Besitztums gebracht hatte. Plötzlich sah er nach einer Wegbiegung eine bewaffnete Gestalt zu Pferd herannahen; er hatte seine Muskete bereits gerichtet und den Hahn gespannt, als sich herausstellte, daß es eine Frau war, die hilfesuchend um sich blickte. Nachdem er seine Flinte gesichert hatte, begab er sich zu ihr, um ihr mit seinem Rat beizustehen. In ihrer Nähe bemerkte er den Reichtum ihres Gewandes, die Schönheit ihrer Erscheinung. Sie flehte ihn um Hilfe an: es war dringlich notwendig, sie unverzüglich zu wohlmeinenden Frauen zu bringen, um ihr in ihrem höchstschwangeren Zustande zu helfen. Er führte sie zu seinem primitiven Lager und übergab sie der Sorgfalt seiner Frau. Keine halbe Stunde später hatte sie einen Knaben geboren. Die Geburt kostete aber der Mutter das Leben. Der Bauer nahm das Kind in seine Familie auf, die, als es in der Gegend etwas ruhiger wurde, nach dem Hof zurückkehrte. Dort wuchs das Kind mit dem Töchterchen des Bauern auf. Für Unterricht war keine Gelegenheit, was aber auch nicht als Mangel empfunden wurde. Statt dessen bekam der Junge die Aufgabe, die Schafe zu hüten. Er fand eine alte Flöte, übte sich im Spiel und glaubte mit seiner Musik die Wölfe in erwünschter Entfernung zu halten. So war er etwa zehn Jahre alt geworden, als der Krieg sich von neüem dem Spessartgebiet näherte. Aufs unerwartetste wurde der Hof von einer Truppe Kürassiere überfallen und geplündert. Sie marterten den Bauern und zwangen ihn, alles, was Wert hatte, herauszugeben. Den Frauen erging es noch schlechter. Alles Vieh wurde fortgetrieben. In diesem Tumult gelang es dem Knaben, unbemerkt zu entwischen und sich in die Wälder zu retten. Als es Abend zu werden anfing und die Bäume sich gespenstisch gestalteten, erwachte seine Angst von neuem. Er floh auf gutes Glück immer tiefer in den W a l d hinein, wagte aber nirgends sich hinzulegen, bis er todmüde an eine Hütte kam, aus der beruhigende Töne sein Ohr trafen. Er schlich

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näher heran und sah einen großen Mann mit schwarzem Bart und verwirrten Haaren, in eine vielfach geflickte Kutte gekleidet, während eine schwere Kette Hals und Leib bedrückte. Der Anblick war wenig geeignet, ihn zu beruhigen, und audi die Worte des Klausners, die ihm seine Angst zu nehmen suchten, hatten wenig Erfolg. Die Ermüdung entlud sich in einer Ohnmacht, aus der Hunger und Durst ihn wieder emportrieben. Speise und Trank kräftigten sein Vertrauen. So schlief er beruhigt und erquickt von neuem ein. Um Mitternacht erwachte er wieder und hörte den Klausner das Lied singen, das auf S. 84 f. mitgeteilt wird. An dieses Lied von der lobpreisenden Nachtigall schließt sich ein Gespräch voller Mißverständnisse, aus dem es dem Einsiedler allmählich deutlich wird, daß der ihm völlig unbekannte Knabe ohne jeglichen Unterricht herangewachsen ist, ohne Kenntnis von Gut und Böse, von Gott und seinen Geboten. Er beschließt, ihn bei sich zu behalten, um ihn taktvoll auf den guten Weg zu bringen. Simplicius, so wird er von ihm passend genannt, lernt beten und singen, lesen und schreiben; die Anfangsgründe der christlichen Heilslehre werden ihm beigebradit. Audi mit der Welt bringt der Einsiedler seinen Zögling in Berührung, allerdings nur insoweit er ihn an Sonn- und Feiertagen veranlaßt, um Mitternacht aufzustehen, um zusammen in das nächstgelegene Dorf zu wandern, dessen Pfarrer Vertrauensperson des Einsiedlers ist und es später beim Knaben wird, aus dessen Mund denn audi der Einsiedler hört, daß es sein bluteigener Sohn ist, dem er die Anfänge sittlicher Erziehung beibringt. Nach zwei Jahren nimmt dieses idyllische Leben ein Ende. Der Einsiedler, der seinen Tod herannahen fühlt, nimmt Simplicius mit sich, sagt ihm, er möge eine Schaufel nehmen, indem er selbst eine Hacke trägt. Zusammen graben sie für den Todesmüden die Ruhestätte. Simplicius empfängt seine letzten Lehren: „Suche dich selbst zu erkennen, hüte dich vor böser Gesellschaft und bleibe standhaftig." Darauf legt sich der Einsiedler in das frische Grab, schließt wortlos die Augen, um sie nidit mehr zu öffnen. Die Trauer über den Verlust des vertrauten ältern Kameraden ist tief und kaum zu ertragen. Nach einigen Tagen, als eine Linderung eingetreten ist, begibt sich Simplicius zu dem Pfarrer, der ihm rät, die Einsiedelei zu verlassen, aber die Erinnerung ist zu stark. Er setzt die gemeinsamen religiösen Übungen jetzt allein fort, bis der Winter kommt und er, sei es auch ungerne, beschließt, sich wiederum mit dem Pfarrer in Beziehung zu setzen. Der Weg ist aber nicht mehr sicher: allenthalben wird geplündert. Als er in seine Hütte zurückkehrt, ist audi dort

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alles, was Wert hat, gestohlen. Vor Ermüdung fällt er in einen tiefen Schlaf, in dem ein allegorischer Traum auf seine Zukunft hinweist, die wechselvollen Schicksale des Soldatenlebens. Nach dem Erwachen findet er einen Brief, den der Einsiedler für ihn zurückgelassen hat und in welchem ihm geraten wird, die Hütte zu verlassen. Er begibt sich auf den Weg und kommt in das ausgeplünderte Gelnhausen, setzt seinen Weg fort nach der Festung Hanau, wo er als Landstreicher ins Gefängnis geworfen wird. Zum Glück ist der Pfarrer auch unterdessen nach Hanau gekommen: dieser ist in seine Familienverhältnisse eingeweiht und weiß, daß der Gubernator sein Onkel ist. Auf seine Empfehlung hin nimmt dieser ihn als Pagen in seinen Dienst, aber Simplicius steht der Gesellschaft ebenso unwissend wie ungeschickt gegenüber: nichts entspricht dem Bild, das der Einsiedler ihm von dem Guten und Erstrebenswerten hinterlassen hat; wenn er frei seine Meinung äußert, hält man ihn für verrückt. Umgekehrt kommt ihm die Welt wie ein Narrenhaus vor. Eine Mahlzeit, bei der er aufzuwarten hat, eine Tänzerei, deren Zeuge, eine Liebesepisode, deren unerwünschter Zusdiauer er ist, scheinen seine Auffassung zu rechtfertigen. Aber die Welt gibt den Ton an, nidit die Einfalt der Klausnerhütte. Der Gubernator kommt dazu, ihn in ein Narrengewand, Kalbsfell mit Eselsohren, zu kleiden. Von nun an heißt er Simplicius Simplicissimus. Wo er aber ein anderes Aussehen bekommen hat, zeigt auch die Welt einen anderen Aspekt. Die Narrenkleidung gibt seinen Worten eine neue Geltung. Wo er nun das Recht hat, ungescheut die Wahrheit zu sagen, kommt er zur Einsicht, daß es manchmal weltklug ist, mit dieser Wahrheit zurückzuhalten. Als Narr lernt er den gesellschaftlichen Nutzen des Spiels und der Verstellung kennen; die Maske macht ihn schlau. Der Pfarrer erkennt die Gefahren dieser geänderten Lebenshaltung und rät dem Gubernator, dem Neffen eine bessere Erziehung geben zu lassen. Aber auch daraus sollte nicht viel werden. Kaum ist der neue Zustand eingetreten, da wird er auf einem Spaziergang von kroatischen Freibeutern überfallen und mitgenommen: als Pferdejunge lernt er stehlen und betrügen. Bald sieht er eine Gelegenheit zur Flucht. Er lebt eine zeitlang im Walde und nährt sich von Raub und Diebstahl. Von neuem wird er überfallen, jetzt von kaiserlichen Truppen. Da geht es ihm etwas besser, besonders dadurch, daß er einen altern rechtschaffenen Freund, Herzbruder, gewinnt, der ihn und sein Leben günstig beeinflußt. Aber das Glück währt nicht allzu lange: Herzbruder stirbt, und Simplicissimus steht wiederum allein dem nackten, feindlichen Leben gegenüber. Sein hübsches Knabenantlitz veranlaßt einen Rittmeister, ihn in Mädchenkleider zu stecken. Nun ist er

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sowohl von männlicher wie von weiblicher Seite der Verführung ausgesetzt. Die Schlacht bei Wittstock im September 1636 gibt ihm die Freiheit zurück. Mit einem altern Soldaten findet er Quartier in einem Kloster in Westfalen. Es folgt eine Zeit materiellen Wohlstandes: er verfügt über das Talent, Kriegsbeute zusammenzubringen, und genießt als der Jäger von Soest einen etwas zweifelhaften Ruhm. Dies ist in breiten Zügen der Inhalt der ersten zwei Bücher des Romans, dessen Titelblatt am Anfang dieses Aufsatzes faksimiliert wiedergegeben wird. Der Verfasser versteckt sich hinter dem Pseudonym GERMAN SCHLEIFHEIM VON SULSFORT, während die Hauptperson schon auf dem Titelblatt als MELCHIOR STERNFELS VON FUCHSHAIM bezeichnet wird. Beide Namen klingen gleich pompös, haben auch eine gewisse metrische und klangliche Verwandtschaft. Vermutlich war es von vornherein die Absicht, auf ein Spiel mit Namen hinzudeuten, denn uns ist aus der Fortsetzung dieses Romans ein „Beschluß" bekannt, der datiert ist: „Rheinnec den 22. Apprilis Anno 1668", während diese Erweiterung schwerlich vor dem Jahre 1669, dem Erscheinungsjahr der Stammdichtung, geschrieben wurde. Das Datum vom 22. April 1668 bekommt besondere Bedeutung dadurch, daß der Frankfurter Meßkatalog Ostern 1668 ankündigt: „Der Abentheurliche Simplicismus, das ist Beschreibung deß Lebens eines so geheissenen seltzamen Vaganten, genandt Melchior Sternfelß von Fuchshain, wo und welcher Gestalt er in diese Welt kommen, was er darinnen gesehen, gelernet, erfahren und überstanden, auch warum er solche wieder quittiret, von Herman (!) Schleifheim von Sulsfort. Mompelgart bey Johan Fillion, in 12." Dieses Zusammentreffen der ersten Ankündigung des „Simplicissimus" mit der Datierung des „Beschlusses" kann kein Zufall sein, nur darf daraus nicht gefolgert werden, daß das Buch Ostern 1668 gedruckt vorlag. „Die Titelaufnahmen für den Frankfurter Katalog", sagt Manfred Kosdilig in „Grimmelshausen und seine Verleger", Leipzig 1939 S. 68 Fußnote, „erfolgten teils nach vorgelegten Originalen, teils aber auch nur nach vom Verleger rechtzeitig einzuliefernden Titelkopien; eine solche lag offenbar der ersten Simplicissimus-Anzeige im Frankfurter Ostermeß-Katalog von 1668 zugrunde." Wir haben uns also die Situation so vorzustellen, daß Ostern 1668 das Manuskript des „Simplicissimus Teutsch" vorlag, daß aber der Drucker noch im Drucken begriffen war, es unter Angabe eines wenig genauen Titels anzeigte und erst zur Herbstmesse imstande war, Exemplare zu liefern: da wurde nämlich derselbe Druck, nun als „Der Abentheurliche Simplicissimus

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Teutsch", nochmals angezeigt. Als Jahreszahl wurde 1669 gewählt, eine im Buchhandel nicht ungewöhnliche Vordatierung. W ä h r e n d der Drucker mit dieser Erstausgabe beschäftigt war, kam dem Verfasser die Idee einer Fortsetzung, die ebenfalls noch mit der Jahreszahl 1669 erschien. Das Faksimile des Titelblatts bringt S. 50, während der dritte Aufsatz in dieser Reihe sich eingehend mit dieser Erweiterung der Stammdichtung beschäftigt. Sie erschien separat, aber auch als Teil der zweiten A u f l a g e des „Simplicissimus Teutsch", wie die Ankündigung zur Ostermesse 1669 und erhaltene Exemplare beweisen. Zugunsten dieser plötzlich auftauchenden Fortsetzung behielt der Verfasser seinen obenerwähnten „Beschluß" zurück: er hat aber für den „Simplicissimus Teutsch" nicht weniger Geltung als für die „Continuatio". In diesem „Beschluß" nun erklärt Η. I. C. V. G., P. zu Cernhein: „Dieser Simplicissimus ist ein Werde von SAMUEL GREIFNSON VOM HIRSCHFELD, massen ich nicht allein dieses nach seinem Absterben unter seinen hinderlassenen Schrifften gefunden, sonder er bezeugt sich audi selbst in diesem Buch auff den keuschen Joseph, den er gemacht, und in seinem Satyrischen Pilger auff diesen seinen Simplicissimum, welchen er in seiner Jugend zum theil geschrieben, als er noch ein Mußquetirer gewesen; auß was Ursach er aber seinen Namen durch Versetzung der Buchstaben verändert, und GERMAN SCHLEIFHEIM VON SULSFORT an dessen statt auff den Titul gesetzt, ist mir unwissent." Aus dieser Stelle ist manches zu folgern. Die beiden hier genannten Schriften „Der keusche Joseph" und „Des Abentheurlichen Simplicissimi Satyrischer Pilgram", beide von SAMUEL GREIFNSON VOM HIRSCHFELD, gehen dem „Simplicissimus Teutsch" voran, wurden audi eher in den Meßkatalogen angezeigt bzw. angekündigt. Der „Satyrische Pilgram" ist eine dreiteilig aufgebaute moralische Schrift, der „ Keusche Joseph" ein unterhaltsamer biblischer Roman. Ihnen gegenüber ist der „Simplicissimus Teutsch" sozusagen die Synthese: die im „Pilgram" didaktisch vorgetragene Moral liegt ihm zugrunde, an Unterhaltsamkeit wird der „Joseph" in ihm weit übertroffen. Daneben gibt uns der Verfasser noch einen wertvollen Ausblick: er habe den „Simplicissimus Teutsch" zum Teil geschrieben, „als er noch ein Mußquetirer gewesen": die Soldatenschicksale des Helden laufen, wie an anderer Stelle belegt werden wird, tatsächlich mit denen des Verfassers parallel. Ebenso zuverlässig belehrend dieser „Beschluß" mit Rücksicht auf den Charakter der drei genannten Schriften ist, zeigt sie auch dem aufmerksamen Leser den Weg in der Verfasserfrage. Dabei hat man begreif-

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licherweise von der Unterschrift und der Datierung auszugehen. Es fällt auf, daß das Spiel durch „Versetzung der Buchstaben", worauf der „Beschluß" hinweist, mühelos CERNHEIN und RHEINNEC als Anagramme von RENICHEN, die alte Namensform für das im Renchtal gelegene RENGHEN, enthüllt. Der P(rätor) bzw. Schultheiß von Renchen war seit 1667 - der 22. April war dabei entscheidendes Datum gewesen: genau ein Jahr später unterzeichnete Η. I. G. V. G. den „Beschluß - HANS JACOB CHRISTOFFEL VON GRIMMELSHAUSEN. Damit haben wir den Schlüssel zu den Verfasser-Anagrammen. Wir haben die Namensform CHRISTOFFEL VON GRIMMELSHAUSEN zugrunde zu legen. Das ist berechtigt: Hans Jacob, wofür wir auch Johann Jacob finden, sind Vornamen; Christoffel oder Christoph ist Familienname. Der Großvater des Dichters väterlicherseits, Melchior, ein gut situierter Bädcermeister in Gelnhausen, verzichtete auf das Adelsprädikat und nannte sich Melchior Christoph; auch der Vater des Dichters wird Johannes Christoph genannt. In der dritten Generation wird aber der Zusatz „von Grimmelshausen" wieder üblich: der ältere Bruder, Caspar Christoph von Grimmelshausen, wird 1635 als Schöffe von Gelnhausen erwählt; der jüngere, Johannes Jacobus Christoph von Grimmelshausen, tritt am 13. Februar 1648 als Gevatter bei der Taufe des Töchterchens eines Offenburger Regimentskameraden auf und heiratet am 30. August des nächsten Jahres ebenfalls in Offenburg die Tochter des Wachtmeister-Leutnants des Schauenburgischen Regiments, in welchem Johann Jacob Christoph von Grimmelshausen als Schreiber gedient hatte, während er jetzt als Secretarius des Eiterischen Regiments bezeichnet wird. Auch in der vierten und fünften Generation kommt die Verbindung Christoph von Grimmelshausen vor. Wenn wir die Buchstaben von CHRISTOFFEL VON GRIMMELSHAUSEN als 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17.18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28 numerieren, so ergibt 5. 24. 18. 25. 10. 11. 15. 16. 20. 4. 9. 14. 22. 7. 28. 12. 13. 19. 2. 17. 3. 26.1. 23. 8. 27. 21. 6 den Namen des angeblichen Verfassers SAMUEL GREIFNSON VOM HIRSCHFELT, 15.10. 16. 18. 24. 28. 5. 1. 2. 11. 20. 17. 9. 23. 27. 4. 19. 12. 13. 14. 26. 25. 21. 22. 8. 7. 3. 6 den disqualifizierten Verfasser GERMAN SCHLEIFHEIM VON SULSFORTund 18.10.11.1. 2. 4. 7. 3. 5. 6. 20.16. 28. 8. 27. 21. 22. 12. 13. 14. 9. 25. 15. 26. 23. 24. 17.19. die Hauptperson MELCHIOR STERNFELS VON FUGSHAIM. Kleine orthographische Abweichungen bedeuten noch weniger, als daß Grimmelshausen sich bald Jacob, bald Hans, zuweilen Christoph, zu. weilen Christoffel nennt.

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Man würde dem Künstler Grimmelshausen Unrecht tun, wollte man diese Buchstabenversetzungen, die in seiner Schriftstellerei einen noch bedeutend größeren Umfang haben, als leeres Spiel betrachten. Sie sind für ihn Symbol für die Wandelbarkeit alles Irdischen: das „Panta rhei" des Heraklit lebt darin weiter, aber als Grundlage auch die „constantia" der römischen und die „staete" der mittelalterlichen Tugendlehre. „Bleibe standhaftig!" war die Lehre, die der Einsiedler mit besonderm Nachdruck seinem Sohn empfahl. Dem Leben in der Welt fehlt nach Grimmelshausens Ethik alle und jede Beständigkeit: „Adjeu Welt, dann bey dir ist nichts beständiges", lautet eine der Weltabsagen im Schlußkapitel des „Simplicissimus Teutsch". Die „Continuatio" findet dafür noch eine Verstärkung in ihrem Eingangsgedicht: Ο wunderbares thun! Ο unbeständige stehen Wann einer wähnt er steh, so muß er fürter gehen, Ο schlüpfferigster Standt! dem vor vermeinte Ruh Schnell und zugleich der Fall sich nähert zu Gleich wie der Todt selbst thut; was solch hinflüchtig Wesen Mir habe zugefügt, wird hierinnen gelesen; Worauß zusehen ist daß Unbeständigkeit Allein beständig sey, immer in Freud und Leid. Neben dieser allgemeinen Lehre enthüllt das Anagrammspiel des „Simplicissimus Teutsch" noch eine zweite versteckte Tendenz des Verfassers: aus seinem offiziellen Namen lassen sich nicht nur zwei Verfassernamen seines Romans bilden, sondern audi der seiner Hauptperson. Abermals wird der autobiographische Einschlag betont: der „Simplicissimus Teutsch" bringt erlebte Dichtung. Wir haben den Helden des Romans verlassen, als er im Kloster Paradeis in Soest den Gipfel weltlichen Ansehens erstiegen hatte. Ähnlich wie im ersten Buch wird im dritten ein retardierendes Moment eingelegt. Dort war es das Traumsymbol des Soldatenlebens, das mit der Abgeschiedenheit der Einsiedelei aufs stärkste kontrastierte, hier ist es eine Episode, die zu den Abenteuern des grünen Jägers einen nicht weniger schroffen Gegensatz bildet. Simplicissimus hat eine Begegnung mit einem ehrbar gekleideten, heftig gestikulierenden Manne, der der Welt seine Strafe androht. In der Nähe erkennt der Jäger von Soest in ihm „einen Phantasten, der sich überstudirt und in der Poeterey gewaltig verstiegen" hatte. Er kündigt die Erweckung eines „Teutschen Helden" an,

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der den allgemeinen Frieden und die Vereinigung aller christlichen Bekenntnisse bringen wird. Im nädisten Aufsatz wird diese Episode näher unter die Lupe genommen werden. Auf das Leben des Simplicissimus hat sie keinen Einfluß. Er fährt fort, sein Augenmerk aufs Weltliche zu richten und, um sich auch für später sicher zu stellen, bringt er ein ansehnliches, teils gefundenes, teils zusammengestohlenes Vermögen nach der reichen Handelsstadt Köln. Zwar erweist sich später audi dieser Versuch, der Unbeständigkeit des Lebens irgendwelche Sicherheit abzugewinnen, als eitel, aber vorläufig beruhigt sich der Jäger bei dieser klugen Maßnahme. Sie gereicht ihm indessen sofort zum Nachteil, weil er auf dem Rüdeweg von einer schwedischen Truppe überfallen wird. W o es ihm finanziell besser ergeht, hat audi die Gefangenschaft ein günstigeres Ansehen; sein Ehrenwort verschafft ihm eine nicht allzu beschränkte Bewegungsfreiheit: er darf jagen, kann sich durch Fecht- und Musikstunden bilden und unter der Hand sich seinen galanten Abenteuern widmen. Aber audi diese schlagen ihm weniger gut aus: als er bei der Tochter eines Obersten im Bett angetroffen wird, benutzt der erzürnte Vater die Situation, das überraschte Paar unverzüglich von einem herbeigeschafften Pfarrer an Ort und Stelle trauen zu lassen. Er macht sich auf den Weg, angeblich um den Kölner Schatz zu holen, mit dem aber der Vertrauensmann durchgegangen ist. So ist er wieder genötigt, sich in Dienstbarkeit zu begeben, und im vierten Buch finden wir ihn als Begleiter zweier junger Edelleute in Paris. Dort scheint sein Glücksstern sich wieder heben zu wollen. Ein mondäner Arzt Dr. Canard nimmt ihn in seine Dienste, wodurch er nicht nur die Tricks medizinischer und quacksalberischer Mittel, sondern auch das vornehme Pariser Gesellschaftsleben unter dem Sonnenkönig kennen lernt. Als Orpheus feiert er Triumphe in einer Liebhaberoper und wird als „Beau Alman" bei vornehmen, ja fürstlichen Damen ein gern empfangener Gast. Aber auch hier erweist das Scheinglück sich als vergänglich. Arm und krank verläßt er die Großstadt, schlägt sich als Theriakkrämer mühsam durchs Leben, bis er in Philippsburg wieder Musketier wird. Von neuem kreuzt sowohl das Gute wie das Böse seinen Weg: das Gute in der Gestalt des jüngeren Herzbruders, das Böse in der Person seines früheren westfälischen Konkurrenten Olivier, des Jägers von Werle. Nachdem er mit diesem verruchten Straßenräuber eine Zeitlang gehaust hat, bekommt Herzbruder stärkeren Einfluß auf ihn und nimmt ihn mit sich auf eine Wallfahrt nach Einsiedeln. Zu der reinen Treuherzigkeit seines Freundes hat sich aber Simplicissimus auch im fünf-

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ten Buch bei seiner Bekehrung zum Katholizismus nodi nicht durchgerungen. Aber sozial geht es ihm wieder besser. Herzbruder verhilft ihm sogar zu einer Kompagnie, so daß er sich „Herr Hauptmann" anreden lassen darf. Im Krieg wird Herzbruder verwundet. Zusammen begeben sie sich nach Griesbach im obern Renchtal, wo dem Verwundeten leider keine Heilung beschieden ist. Auch der jüngere Herzbruder stirbt. Dem abenteuernden Simplicissimus scheint aber das Leben noch einmal wieder zu winken. Seine ihm in Westfalen aufgezwungene Frau ist indessen gestorben. E r erlebt ein Abenteuer mit einer Dame „mehr mobilis als nobilis", Hauptperson einer spätem Grimmelshausensdien Schrift, „Courasche". Schlimmer ergeht es ihm bei einer Schwarzwälder Bauerndirne, da er, um sein Ziel zu erreichen, von neuem das Joch der Ehe auf sich nehmen muß. Aus einer vielseitigen, aber nicht immer verbürgten Vaterschaft weiß er sich schließlich kaum mehr herauszufinden. Auch dieses abenteuerreiche fünfte Buch enthält eine kontrastierende Episode: am Mummelsee führt ein Wassergeist Simplicissimus in die an Wundern der Schönheit so reichen unterirdischen Gebiete, deren geordnetes Geisterleben idyllisch zu dem menschlichen Treiben auf der Erdoberflädie im Widerspruch steht. Der Fürst der Gewässer schenkt ihm einen Stein, der, sobald er die Erde berührt, dort einen Sauerbrunnen entstehen läßt. Aber audi diese Gabe erweist sich in Menschenhänden als wenig segensreich. Noch nehmen die Abenteuer kein Ende: mit einem schwedischen Obristen begibt Simplicissimus sich nach Moskau, wo er Leiter einer Pulverfabrik wird und dem Czaren wichtige Dienste erweist. Über Asien, Ägypten, Venedig, Rom und die Schweiz kehrt er nach dem Schwarzwald zurück. Die Einsamkeit bringt ihn zur Einkehr: „Dein Leben ist kein Leben gewesen, sondern ein Todt; deine T a g e ein schwerer Schatten, deine J a h r ein schwerer Traum, deine Wollust schwere Sünden, deine Jugend eine Phantasey und deine Wolfahrt ein Alchimisten-Schatz, der zum Schornstein hinaußfährt und dich verläst, ehe du dich dessen versihest." Das Lesen erbaulicher Schriften bestärkt ihn in dieser Auffassung von der Eitelkeit der Welt. E r zieht sich, wie einst sein Vater, in eine Einsiedelei zurück, oben auf dem Mooskopf über dem Renchtal, Oppenau gegenüber. „Ich wohnete auff einem hohen Gebürg die Μοβ genant", erzählt Simplicissimus in d e r „Continuatio", „so ein stück vom Schwartzwald, und überal mit einem finstern DannenW a l d überwachsen ist, von demselben hatte ich ein schönes Außsehen gegen Auffgang in das Oppenauer Thal und dessen Neben-Zincken; gegen Mittag in das Kintzinger Thal und die Grafschafft Geroltzeck, alwo dasselbe hohe Schloß zwischen seinen benachbarten Bergen das Ansehen

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hat, wie der König in einem auffgesetzten Kegel-Spill; gegen Nidergang kondte ich das Ober- und Unter-Elsaß übersehen, und gegen Mitternacht der Nidern Marggraffschafft Baaden zu, den Rheinstrom hinunter: in welcher Gegend die Statt Straßburg mit ihrem hohen Münster-Thum gleichsamb wie das Hertz mitten mit einem Leib beschlossen hervor pranget." Wie sich Grimmelshausen hier als Beobachtungskünstler erweist, so beschließt er seinen „Simplicissimus Teutsdi" als Stilkünstler mit den Posaunentönen des „Adjeu Welt" und „Behüt dich Gott Welt", in denen die düstere Weltverachtung des Beichtvaters Karls des Fünften durch die Jahrhunderte klingt. Die Gliederung der Handlung des „Simplicissimus Teutsch" in fünf Bücher verdient unsere Aufmerksamkeit. Der Psychologe Jung ist der Meinung, daß im fünfgliedrigen Bau des klassischen Dramas eine Urform alles menschlichen Träumens und Dichtens vorliegt. Diese Ansicht könnte auch für den Simplicissimus Teutsdi zutreffen. Das erste Buch, Geburt und Jugend des Helden, Herkunft des Namens Simplicius, hat deutlich den Charakter der „Exposition", wobei die erste Berührung mit der Welt am Hof des Hanauer Gubernators das „erregende Moment" der Dramaturgie bedeutet. Im zweiten erleben wir, wie Simplicius intensiver mit der Welt in Berührung kommt, wobei der Gegensatz zwischen naiver Einfalt und Weltgewandtheit sich peinlich verstärkt, was zum Namen Simplicissimus führt: die sogenannte „steigende Handlung". Das dritte Buch, der „Jäger von Soest", ist dramentechnisch der „Höhepunkt". Im vierten folgt die „Peripetie": aus den Lustbarkeiten des Pariser Aufenthalts bleibt nur Armut und Krankheit zurück: das Zusammenleben mit Olivier als „Merodebruder" ist „fallende Handlung". Das fünfte Buch, in dem der Held sich aus den sich häufenden Abenteuern zurückzieht, um der Welt zu entsagen, könnte als „Katastrophe" gelten, wobei der Parallelismus mit dem Leben des Vaters, das gleichfalls in einer Einsiedelei seinen Abschluß findet, der dramatischen Konstruktion eine kunstvolle Symmetrie verleiht. Erwägen wir weiter, daß in den drei Hauptbüchern, dem der „Exposition", dem des „Höhepunkts" und dem der „Katastrophe", je ein kontrastierender Höhepunkt geschaffen wird, so hält es schwer, im Bau des „Simplicissimus Teutsdi" eine primitive Naturanlage im Sinne Jungs zu erkennen. In die alte Tradition, „Simplicissimus" in der überwucherten Gestalt, die ihm immer schwächer werdende Fortsetzungen und verunzierende Schnörkel, -um von den moralisierenden Erweiterungen späterer Herausgeber nicht zu sprechen, gegeben hatten, paßte die

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Vorstellung primitiver Volkskunst gut hinein: die geniale Arbeit eines im Kriege verwilderten Musketiers, der, als er einmal schreiben gelernt hatte, nur seine Feder anzusetzen brauchte, um Meisterwerke zu schaffen. Die kunstvolle Tektonik jedoch, die sich sowohl in dem Parallelismus zwischen dem ersten und fünften Buch äußert wie in den kontrastierenden Einlagen im ersten, dritten und fünften Buch, widersetzt sich, sogar wenn wir nicht wüßten, daß das Leben des Simplicissimusdichters trotz seiner Kriegsschicksale weit geordneter verlief, dieser Auffassung. Das wird noch deutlicher durch eine ergänzende Bemerkung anläßlich des fünften Buchs. Als Simplicissimus als Krankheitsbegleiter Herzbruders nach Griesbach kommt, begegnet er eines schönen Tages auf einem Spaziergang im Rendxtal einem Bauern, der eine Geiß am Strick führt. Es entwickelt sich ein Gespräch, bei dem sich herausstellt, daß dieser Bauer der Pflegevater aus dem Spessart ist, den die Kriegsnot in den achtzehn Jahren, die seit ihrer Trennung verlaufen sind, mit seiner Familie nach dem Schwarzwald verschlagen hat. Von ihm erfährt Simplicissimus seine vornehme Herkunft: sein Vater sei der Hauptmann Sternfelß von Fuchsheim gewesen, seine Mutter Susanna Ramsay, Schwester des Gubernators von Hanau, und weil der „Knan" - der Spessarter Dialektausdruck für „Vater" - dem ihm plötzlich zugefallenen vornehmen Knaben einen Namen habe geben müssen, habe er ihn nach sich selbst Melchior mit Vornamen genannt. Dies ist genau das, was Aristoteles „Anagnorisis" nannte, die nachträgliche Einsicht in die Voraussetzungen der Handlung. Grimmelshausen muß also bewußt in seinem „Simplicissimus Teutsch" die Gesetze der klassischen Dramaturgie befolgt haben. Obgleich zum größten Teil Autodidakt und in seiner Schriftstellerei auf Volkskunst eingestellt, war er offenbar so renaissancistisch geschult, daß er souverän für seinen selbsterlebten Bildungsroman eine klassische Struktur wählte. Sie hat aber noch einen andern Aspekt. Da er sich das „ridendo dicere verum" zur Stilform gewählt hatte und seine Simplicissimusfigur, ähnlich wie schon sein Vorgänger, der „Pilgram", satirischen Charakter hat, ist es zweckmäßig, den dramatischen Bau, der obenstehend vom weltlichen Standpunkt analysiert wurde, nun als Satire zu betraditen. W e n n Simplicissimus an Lebenserfahrung zunimmt, bedeutet das zu gleicher Zeit, daß er sich weiter von Gott entfernt: die steigende Handlung im zweiten Buch ist also ebenfalls ein W e g hinunter, der dritte Akt, das Leben des Jägers von Soest, Höhepunkt und Tiefstand in einem, das Elend im vierten Buch die Möglichkeit zur Einkehr und die Abwendung

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von der Welt im fünften Buch, die Guevaraschen Posaunen der Weltentsagung, Höhepunkt. Der Satyr nimmt seine Maske ab, wenn Grimmelshausen dann selbst wieder das Wort nimmt, um zu schließen: „Gott verleyhe uns allen seine Gnade, daß wir allesampt das jenige von ihm erlangen, woran uns am meisten gelegen, nemlich ein seeliges Ende." Der „Simplicissimus Teutsch" ist vor allem ein religiös gerichtetes Buch, das durch tiefes Eindringen in das menschliche Leben von dem Weltlichen abzuleiten sucht; zwischen dem Prinzip des Guten, das im ältern und jüngern Herzbruder verkörpert ist, und dem des Bösen, wofür der unheilbar sündige Olivier steht, sucht Simplicius seinen Weg, verfällt als Mensch in menschliche Sünden, findet aber zu Gott zurück, indem er gegen Ende die verzweifelte Frage stellt: „Aber nun du Ο mein arme Seel was hastu von dieser gantzen Räiß zu wegen gebracht?" Da gibt es nur eine Antwort, sich zu besinnen und sich zu bekehren. Darum hatte Grimmelshausen das Recht, sein Buch nicht bloß „überauß lustig", sondern auch „männiglich nutzlich" zu nennen. Die Lebensanschauung, die er als angehender Vierziger im „Satyrischen Pilgram" didaktisch niedergelegt hatte, kennzeichnet audi den „Simplicissimus Teutsch".

Nachwort Dieser erste Aufsatz in der Reihe ist die erweiterte Übersetzung eines Artikels, der unter dem Titel „Simplicius Simplicissimus" in der niederländischen Zeitsdirift „De Gids", Jahrgang CV (1941) erschien. Für die Erweiterung benutzte ich „Grimmelshausens Simplicissimus Teutsch als Grundlage für die Familie der ältesten Simplicissimusdrucke" in „Neophilologus" X X I I I (1939). Eine Zusammenstellung von Grimmelshausens Anagrammen findet man in „Zonagri Discurs von Waarsagern, Ein Beitrag zu unserer Kenntnis von Grimmelshausens Arbeitsweise in seinem Ewigwährenden Calender mit besonderer Berücksichtigung des Eingangs des Abentheurlichen Simplicissimus" in „Verhandelingen der Koninklijke Academie van Wetenschappen, Afdeeling Letterkunde", Amsterdam 1921. Die Zitate sind nach „Grimmelshausens Simplicissimus Teutsch", in „Neudrucke deutscher Literaturwerke des XVI. und XVII. Jahrhunderts" Nr. 302-309, Halle (Saale) 1938, mit Ausnahme des Zitats, das sich auf die Einsiedelei im Schwarzwald bezieht; dieses findet man in der „Continuatio", „Neudrucke" Nr. 310 bis 314, Halle (Saale) 1939, S. 8.

Der „Simplicissimus Teutsch" als verhüllte Religionssatire

Handschriftprobe des Dichters unter einem Brief, den er als Schauenburgischer Schaffner am 17. Januar 1654 unterschrieb, nach dem Original im Badischen Generallandesarchiv, Karlsruhe.

Wer von der alten Universitätsstadt Besanjon den Doubs stromaufwärts verfolgt bis da, wo er die bezeichnende Schleife bildet, die dem Departement Form und Namen gegeben hat, trifft kurz vor der Krümmung einen linken Nebenfluß, die Alaine, deren malerisches Tal von dem alten Städtchen Montbeliard beherrscht wird. Zur Römerzeit als Möns Peligardi schon ein strategisch wichtiger Punkt, erreichte Montb61iard in der Geschichte Europas seine Hauptbedeutung als Bollwerk und Zufluchtsort des Protestantismus. Das hing mit seiner Regierung zusammen. Gegen Ende des vierzehnten Jahrhunderts, als das Grafengeschlecht Montbeliard in der männlichen Linie ausgestorben war, kam es infolge eines Familienvertrags an die Herzoge von Württemberg. Schon in ihrer gräflichen Zeit hatte die württembergische Dynastie im linksrheinischen Gebiet Interessen begründet, indem Graf Ulrich der Dritte 1324 Sthloß und Herrschaft Horbourg im Elsaß kaufte. Später kamen dann Schloß und Herrschaft Riquewihr und die Grafschaft Montb61iard hinzu. Diese linksrheinischen Enklaven, die seitdem auf deutscher Seite regelmäßig mit den deutschen Namen Horburg, Reichenweier und Mömpelgard bzw. Mompelgard, Mompelgart, Monpelgart bezeichnet werden, dienten durchweg jüngeren Mitgliedern des regierenden Hauses und verwitweten Fürstinnen zum Aufenthalt, waren auch in Zeiten der Not ein willkommenes Refugium. Als Herzog Ulrich 1519 vom Schwäbischen Bund aus Stuttgart vertrieben wurde, wandte er sich nach Mömpelgard, um erst fünfzehn Jahre später in sein Herzogtum zurückzukehren und es als Lehen vom Kaiser Ferdinand zurückzuempfangen. Während dieses Mömpelgarder Aufenthalts war er mit dem schweizerischen Reformator Guillaume Farel bekannt geworden und hatte unter seinem Einfluß in der Grafschaft die neue Religion eingeführt. Seitdem blieb Montbeliard eine Hochburg des Protestantismus. Ihre Bedeutung in Glaubenssachen trat in ein besonders helles Licht, als im Verlauf des Jahrhunderts Graf Friedrich von Württemberg-Montbeliard zwei berühmte Theologen, den Nachfolger Calvins Theodor Beza und den rührigen Jakob Andreae, dahin einlud, um in Gegenwart vornehmer weltlicher und geistlicher Zeugen die Vorzüge des Kalvinismus und des Luthertums gegeneinander abzugrenzen. Um in dieser so aktuellen Frage möglichst zu einer Entscheidung zu

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kommen, hatte der Landesherr die beiden hervorragendsten Disputatoren unter den damaligen Reformierten und Lutheranern aufgefordert, in seiner Residenz die Degen ihrer theologischen Gelehrsamkeit und Dialektik zu kreuzen. Vom 21. bis zum 28. März 1586 sah Montbeliard eine ansehnliche Gesellschaft in seinen Mauern versammelt, die in gespannter Erwartung der Debatte und ihrem Ausgang entgegensahen. Das Programm war reichhaltiger noch als bei dem berühmten Maulbronner Religionsgespräch, das schon fast ein Vierteljahrhundert zurücklag. Vom Abendmahl, von der Christologie, der Taufe und der Prädestination sollte die Rede sein, überdies von der Zulässigkeit von Bildern und Altären in der Kirche, vom Kirchengesang mit oder ohne Begleitung der Orgelmusik. Die „Acta colloquii Montis Belligartensis", die im Jahr darauf in Tübingen veröffentlicht wurden, gestatten noch heute eine klare Einsicht in die vorhandenen Gegensätze, die sich auch hier nicht überbrükken ließen. Schon die heilige Handlung der Taufe hatte für beide Gegner eine durchaus verschiedene Bedeutung. Der Lutheraner verband mit ihr die beruhigende Uberzeugung absoluter Heilsgewißheit: sie sei eine heilige Handlung, eine Gnade, objektive Garantie der reellen Wiedergeburt. Beza erblickte in der Taufe nur die Möglichkeit derselben: sie könne Aussicht auf das ewige Heil geben, sei aber nur wirksam in den Auserwählten; die Gnadenwahl sei das Entscheidende. Wenn das wirklich der Fall sei, meinte Andreae, so treibe Gott in der Taufe nur sein Spiel mit den Menschen. Nachdem Andreae die Nottaufe durch Frauen verteidigt, Beza sie bestritten hatte, wandte sich das Gespräch der Prädestination selbst zu. Beza trug die reformierte Auffassung vor, worauf Andreae scharf entgegnete, er habe gesprochen, als ob er nidit bloß im heimlichen Rate Gottes mitgesessen und alles mit angehört hätte, was die heilige Dreieinigkeit über die Schöpfung des Menschen beratschlagt habe, sondern als ob er dabei auch selbst deren Ratgeber gewesen wäre. Einigung erwies sich als unmöglich. Die Lutheraner weigerten sich, den Reformierten „dexteras fraternitatis" zu reichen, boten ihnen aber „ dexter as humanitatis" an. Wenn sie jene ablehnten, erklärte Beza, so verzichte er seinerseits auf den Handschlag der Freundschaft. Die Bedeutung des Mömpelgarder Religionsgesprächs war trotz des enttäuschenden Ausgangs, wie Otto Ritsehl in seiner „ Dogmengeschichte des Protestantismus", Band IV, Göttingen 1927, S. 129 flgg., hervorhebt, groß und nachhaltig: „Der Unterschied, der in der Auffassung der Taufe zwischen den Lutheranern und den Reformierten bestand, war

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zum ersten Mal in seiner ganzen Bedeutung auf dem Religionsgespräch zu Mömpelgard hervorgetreten und seitdem den Theologen beider Konfessionen lebendig bewußt und deutlich. Das zeigt sich auch darin, daß man noch ein Jahrhundert später immer wieder auf diese Auseinandersetzung zwischen Andreae und Beza zurückkam und nach wie vor die damals unter ihnen herausgestellten Streitpunkte verhandelte" (IV, S. 174.) Dieses Jahrhundert, in weldiem der Klang des Namens Mömpelgard in weiteren Kreisen die Vorstellung dogmatisch-protestantischer Gegensätze zu suggerieren pflegte, kennzeichnet sich in dem ganzen Gebiet, das zwischen den württembergischen Enklaven und dem Stammland liegt, durch fortwährende kleine Verschiebungen der Grenzen zwischen den Bekenntnissen und Abstufungen innerhalb derselben. Sie lassen sich für die weltliche Hälfte am besten von der Hauptstadt des Elsaß aus beleuchten. Schon vor der Reformation war Straßburg Zentrum humanistischer Bestrebungen gewesen. Sie knüpfen sich in Verbindung mit dem niederländischen Humanisten Erasmus an die ebenfalls berühmten Namen Jakob Wimpfeling und Sebastian Brant, später an die eines Jakob Sturm und eines Matthias Bernegger. Schon 1520 war in Straßburg der Protestantismus eingedrungen, seit 1529 wurde im ehrwürdigen Münster der Gottesdienst nach dem neuen Glauben abgehalten. In Sturm verkörpern sich die Haupttendenzen des protestantischen Gymnasiums, in Bernegger die der damals noch jungen Universität. Die von Wimpfeling geadelte Tradition läßt sich bei beiden deutlich erkennen. In stärkerem Maße Humanist als Protestant, suchte Sturm die kirchliche Erziehung mit seinen humanistischen Idealen in Einklang zu bringen. Die Zeit war dieser Synthese aber nicht günstig. Glaubensgegensätze verschärften sich, statt sich abzuschleifen, und besonders das Luthertum erstarrte zeitweilig in den engen Fesseln intellektuell überprüfter Dogmatik. Es wurde eine strenge kirchliche Disziplin eingeführt in kampfbereiter Abwehr gegen den Kalvinismus sowohl wie gegen den Katholizismus, schließlich auch gegen die synkretistischen Versuche eines Galixtus und seiner Gesinnungsgenossen. Mit dieser Lage hatte der Späthumanismus Berneggers zu rechnen. Durch den Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges wurde dies alles akut. Seine „Tuba pads" (1621) war der etwas verspätete Versuch, dem Unheil zu steuern, allenfalls durch Überredung die Fürsten Deutschlands, zumal die katholischen, davon abzuhalten, sich in den entfesselten Religionskrieg zu stürzen. Für ihn bedeutete dieser konfessionelle Kampf an erster Stelle eine Bedrohung der Kultur und des Staatswohls. Dem gegenüber stellte er

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mit Johannes Petrus von Ferrara als Ideal die Überkuppelung sektarischer Gegensätze im Christentum durch die mächtige Hand eines weltlichen Herrschers auf: „Erstehen möge ein tüchtiger Kaiser wider jene, welche den ganzen Erdkreis einst um äußerer Ehre, jetzt um ihrer Habsucht und Raubgier willen zerrüttet und den Bestand des Reiches und aller Länder vernichtet haben." Audi gegen das Schisma im Lager der Protestanten selber richtet er scharfe Worte: „Nichts erbittert so die Gemüter der Protestanten unter einander und macht sie den hinterlistigen Anschlägen der Widersacher so zugänglich, als dieser religiöse Zwiespalt und der daraus entstehende unversöhnliche Haß. Das bezeugt die endlose Reihe der theologischen Schriften und Gegenschriften, nach Lipsius die einzige Ernte der Frankfurter Messe." Dennoch ist Bernegger der protestantischen Glaubensspaltung gegenüber versöhnlicher als gegen die Jesuiten. Hinsichtlich der Gegensätze zwischen Kalvinisten und Lutheranern ist ihm noch ein Rest des Optimismus geblieben, der das Mömpelgarder Religionsgesprädi veranlaßte und sidi beim Leipziger sogar in Taten auswirken zu wollen schien. In den wichtigsten Stücken, meint er, stimmt j a die Theologie der Lutheraner und Kalvinisten überein, und da, wo die Ansichten noch auseinandergehen, handelt es sich um Dinge, die dem Unwissenden nichts schaden, dem Wissenden nicht viel nützen. Dadurch werde die Grundlage des Glaubens nicht erschüttert: „Also fort mit jener gehässigen Streitsucht, die nur auf Dünkel und Eigennutz beruht; sind ja doch die schärfsten Streitbolde von Charakter um nichts besser als andere, häufig aber noch schlechter; was Gott uns nicht hat wissen lassen wollen, das wollen wir gern nicht wissen; was er in seinen Worten offenbart hat, wollen wir uns bemühen, so zu erkennen, daß wir gegen die Nichtwissenden oder Irrenden keinen Haß tragen; denn das hauptsächlichste Hindernis der christlichen Eintracht scheint mir der Umstand zu sein, daß wir unser eigentliches Menschtum hassen, von dem j a der Irrtum unzertrennlich ist." Dies ist der Grundton der „Tuba pacis". Aber audi härtere Klänge schallen aus ihr. Sie richten sich gegen die Gegenreformation, besonders gegen den Jesuitismus. Hier glaubt er unlautere Absichten zu erkennen, während er in den Gegensätzen innerhalb des Protestantismus nur Verirrung sieht. Scharf verurteilt Bernegger den Versuch, den ungarischen Religionsfrieden als null und nichtig zu erklären, weil Licht und Finsternis, Wahrheit und Lüge nicht zu vereinigen seien und sich mit Ketzern kein Pakt schließen lasse. Bernegger will unerörtert lassen, wer eigentlich Ketzer sei. Er will versuchen, über den Parteien zu stehen, sich,

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mit Seneca zu reden, keinem zu eigen geben. Sein Ideal ist höher gerichtet: „Der Religionsfriede hat nicht den Zweck, Licht und Finsternis, Wahrheit mit Lüge zu vereinen, sondern daß jeder in seiner Meinung gewiß für sich lebe und in der Ausübung seiner Religion niemand den anderen störe, die Finsterlinge sich ihrer Finsternis erfreuen, die Hellen ihres Lichts, im übrigen aber mit allen Menschen Frieden haben." Geradezu unversöhnlich klingt die „Friedensposaune", wo Bernegger von dem Brief des Bischofs Khlesl an den Erzherzog Matthias auf seine eigentlichen Glaubensfeinde übergeht: „Solche Treulosigkeit und Wortbrüchigkeit möge man dem Papst und den Jesuiten überlassen, die seit dem Konstanzer Konzil genug Beweise davon gegeben haben, aber von sich selbst diese schlimmen Berater fern halten, die jetzt nur darum in der Behandlung der Kalvinisten und der Lutheraner einen Unterschied machen, um sie einzeln zu vernichten." Die Herrschsucht des Papstes, der Hochmut der Kardinäle, die Habgier der katholischen Geistlichkeit sei der eigentliche Grund der Kriegshetze; Annaten, Palliengelder, Taxen, Indulgenzen, mönchische Einsammlungen, Exemptionen und Immunitäten der Klöster seien ihre Mittel. „Und solchen Mißbräuchen", ruft Bernegger aus, „wollen die katholischen Fürsten Deutschlands ihre Waffen leihen." Zumal den Fürsten von Bayern und Österreich gilt seine Warnung: ihre Dynastien hätten ja seit Jahrhunderten den Übermut und die Tücke der Päpste aufs bitterste erfahren. Daß diese Angriffe auf die Politik der katholischen Kirche nicht ohne Erwiderung bleiben konnten, liegt auf der Hand. Aber audi in protestantischen Kreisen, so sehr die Schrift verschiedentlich gelobt wurde, verlor Bernegger an Boden. Die Straßburger Lutheraner waren nicht auf Versöhnung, sondern auf verschärfte Ablehnung des Kalvinismus eingestellt. Lutherische Eiferer wie Joh. Konr. Dannhauer und Joh. Dorsch hatten das Ohr nicht bloß der kirchlichen, sondern audi der weltlichen Behörde. Berneggers nächste Kollegen, wie Joh. Chr. Schmidt und Joh. Heinr. Boeder, bekannten sich zur lutherischen Orthodoxie. Schärfer als je zuvor standen die Bekenntnisse einander gegenüber. Und wie es in Straßburg war, so war es an den protestantischen Fürstenhöfen der Umgebung. Die Fürsten von Mömpelgard, Reichenweier und Horburg verwandten große Sorgfalt auf die Wahl ihrer Geistlichen, die meistens aus Tübingen bezogen wurden, und sorgten für den Schulunterricht in orthodox-lutherischem Sinne. Unter so bewandten Umständen mußte es in Straßburg und Umgebung besondere Aufmerksamkeit erregen, als ein Prinz aus dem orthodox-lutherischen Hause von Württemberg-Mömpelgard eine erklärte

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Kalvinistin heiratete. Es war Prinz Georg, der am 5. Oktober 1626 auf Sdiloß Montb61iard geboren war, Sohn des Herzogs Ludwig Friedrich von Württemberg und der Anna Eleonora von Nassau-Saarbrücken. Die am 20. April 1648 in Mömpelgard gefeierte Heirat mit Anna de Coligny war um so wichtiger, als es allen Anschein hatte, daß einst die Regierung der linksrheinischen Besitzungen in seine Hände kommen würde, was audi nach dem Ableben seines älteren Bruders Leopold Friedrich (1631—62) geschah. Die Hochzeit war für Mömpelgard ein Ereignis. Das Festmahl fand im Rathaus statt, der Bürgermeister und die neun, Schöffen schenkten als Trauzeugen dem Bräutigam eine silberne Platte nebst Schenkkanne und belebten das Fest durch ihre Gegenwart. Das junge Paar bezog Schloß Horburg, das dem Prinzen Georg kraft väterlichen Besdilusses als Eigentum zugewiesen worden war. Infolge des Ehekontraktes ging es aber nebst einem bedeutenden Jahrgeld in den Besitz der Prinzessin über. Die Braut stammte aus vornehmem, sei es audi nicht fürstlichem Hause. Ihr Familienname hatte einst in der französischen Geschichte eine bedeutende Rolle gespielt, als ihr Urgroßvater, der Admiral Gaspard de Coligny, sidi an die Spitze der Hugenotten stellte und erfolgreich gegen die katholische Hofpartei kämpfte. Er wurde eins der ersten Opfer der blutigen Bartholomäusnacht. Auch ihr Vater hieß Gaspard de Coligny, war Marschall im französischen Heer, starb aber verhältnismäßig jung, so daß ihre Erziehung der Mutter, Anna de Polignac, und der älteren Schwester Henriette de Coligny, in deren Haus die verwitwete Marschallin mit ihrer jüngeren Tochter Aufnahme fand, zufiel. Von dieser Umgebung liest man nicht viel Gutes. Henriette nahm teil an der damals in Frankreich herrschenden literarischen Bewegung schriftstellernder Frauen; es wird aber von ihr gesagt, daß sie weniger durch ihre Gedichte als durch die Leichtfertigkeit ihrer Sitten bekannt gewesen sei. W a r ihre erste Ehe, mit einem Grafen von Hadington, schon kein Erfolg gewesen, audi in der zweiten ging es ihr nicht besser. Nun war allerdings dieser zweite Gatte, der Belforter Kommandant Graf de la Suze, wenn man den unterhaltenden Berichten Tallements des Reaux Glauben schenken darf, nicht besonders gut beleumundet. „C'est un homme ou jamais il n'y a eu ni rime ni raison." Reich muß er aber gewesen sein. Er hatte hundert Personen in seiner Umgebung und hundertfünfzig Hunde, mit denen er aber nie etwas zu fangen pflegte, außerdem eine Menge schlechter Pferde. Über seine Lebensgewohnheiten verlautet bei Tallement Sonderbares: „II buvoit un temps du vin, un autre de la bi£re et un autre de

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l'eau. On dit qu'il est assez plaisant en debauche. Apris une ivrognerie celebre a Brissach, comme il s'en retournoit, un troupeau de codions l'ayant renverse sur le pont, lui passa sur le corps et il criait: .Quartier, cavalerie, quartier'!" Diese Ehe wurde ebenfalls geschieden; Henriette gab sogar dabei den Glauben ihrer Familie und ihres Mannes auf und wurde katholisch, „afin de ne se trouver avec un epoux ni dans ce monde ni dans l'autre." Audi über die Braut selbst ist das Urteil ungünstig. Tallement des Reaux berichtet, sie habe vor der Ehe ein Verhältnis mit einem Geheimschreiber des Königs, dem Marquis de Vineuil, gehabt. Merkwürdige Nachrichten gibt es über den Zustand ihrer Gesundheit: „Mademoiselle de Coligny avoit eu en son enfance une maladie la plus etrange du monde; eile gravissoit, quand son mal la prenoit, le long d'une tapisserie, comme un chat, et faisoit des choses si extraordinaires qu'on ne savoit qu'en croire." Das kalvinistische Bekenntnis der Braut wurde vor der Ehe kontraktlich geschützt: ihr väterliches Erbe, Schloß und Herrlichkeit Claix-Saint-Germain, wurde ihr nur unter der Bedingung zuerkannt, „qu'elle resterait dans la religion reform6e et qu'elle continuerait a payer au pasteur de cette 6glise, qui logerait au chateau, une pension annuelle de 100 livres." Die Verbindung der Anna de Coligny mit dem Grafen vonWürttemberg-Montbeliard war keine standesgemäße. Sie stieß bei dem Familienhaupt, Herzog Eberhard dem Dritten, auf Widerstand. Graf Georg begab sich deshalb im Februar 1648 nach Stuttgart, um die Bedenken gegen die vorgenommene Heirat möglichst zu überwinden. Es gelang. Entscheidend scheint für den Herzog gewesen zu sein, daß Georg sagte, er hätte sich gebunden, seine Verpflichtung sei geweiht, indem er seiner Dame bereits den Brautkuß gegeben habe. So schrieb denn auch der Herzog seinem Schwager Leopold Friedrich, dem regierenden Grafen von Mömpelgard und Vater des Bräutigams, daß jeder Widerstand nutzlos sei: „signum osculi" sei als Symbol einer unlöslichen Verpflichtung anzusehen. Dennoch sind die Historiographen Mömpelgards sich darüber einig, daß diese Heirat eine richtige Torheit war. Schon die Verschiedenheit der Bekenntnisse schuf zahlreiche Schwierigkeiten. Georg war ein starrer orthodoxer Lutheraner, der es als seine Pflicht ansah, seine Frau in den Vorzügen der Augsburger Konfession zu unterrichten, zumal in der Aussicht, daß er einmal zur Regierung über Mömpelgard berufen sein würde; sie war eine ebenso überzeugte Kalvinistin, der überdies Vermögensverlust drohte, wenn sie den Glauben ihres Hauses aufgab. Dem Gatten gelang es, den Sieg davonzutragen. Weih-

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nachten 1662 trat Gräfin Anna von Montbeliard zum lutherischen Bekenntnis über. Einige Monate vorher, am 15. Juni 1662, hatte Graf Georg die Regierung über die linksrheinischen Besitzungen des württembergischen Hauses angetreten. Die Bekehrung der Herrin von Mömpelgard wurde dem Volke durch den Druck kundgetan. Das Schriftstück hat noch heute seine Bedeutung. Ihr Bekenntnis richtet sich an Gott: „Tu ne m'as refus6 aucune de tes graces; j'ai reju le bapteme ä Chätillon, oü j'ai eu pour parrain le feu due de la Force, pour marraine ma tante la duchesse, a present de la Force; j'ai re^u depuis l'age de neuf ans, toutes les annees, trois et jusqu'a six fois le sacrement de la Cene. Si je suivois mon coeur, je dirois: Je crois aux Ecritures, a ta parole, je crois ä Jesus-Christ crueifie; mais puisqu'aujourd'hui il faut de ^cessite choir une confession, je dirai ingenuement que je n'ai rien vu de plus conforme ä la parole de Dieu que celle des Reform6s de France. Je supplie ceux qui desirent de voir ma confession, de la lire comme je 1'ai fait imprimer." Es ist deutlich, daß sich in dem erzwungenen Glaubensübertritt eine Tragödie abspielt, und es liegt nahe, die Geistesumnachtung, die das Alter der Anna de Coligny kennzeichnete, damit in Zusammenhang zu bringen. Dem Hause Württemberg-Montbeliard hat die Verbindung mit der Hugenottenfamilie de Coligny keinen Segen gebracht: die drei Töchter, welche die Gräfin bei ihrem Tode am 13. Januar 1680 hinterließ, hatten die mysteriöse Nervenkrankheit geerbt. Eine derselben konnte die Trennung von der Mutter so wenig ertragen, daß sie seit dem Todestage alle Nahrung standhaft von sich wies und ihr neun Tage darauf freiwillig in den Tod folgte. Mutter und Tochter wurden aus Reichenweier, wo sie gestorben waren, nach Mömpelgard überbracht und fanden daselbst in dem Grabgewölbe der Kirche Saint-Maimbceuf ihre letzte Ruhestätte. Auch der einzige Sohn aus dieser unseligen Ehe, mit dem die Linie Württemberg-Montbeliard erlosch, scheint erblich belastet gewesen zu sein: „Son immoralitd, si tristement celebre", sagt einer der obenangedeuteten Historiographen, „peut fort bien n'avoir eu d'autre origine que l'insanite maternelle." Der Ruhm des religionsversöhnlichen Städtchens sank immer tiefer herab.

Wie das Mömpelgarder Religionsgespräch aus dem Jahr 1586 und der Glaubenskonflikt 1662 im Zusammenhang mit Berneggers pazifistischen Bestrebungen ideenhaft ihren Niederschlag gefunden zu haben scheinen in Grimmelshausens „Simplicissimus Teutsch", so läßt

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sich zwischen der Residenz des Grafen Georg und der Universitätsstadt, von der die „Tuba Paris" ausging, im Persönlichen eine Brücke schlagen in Gestalt des Dichters Jesaias Rompier von Löwenhalt. Er tritt am 23. September 1628 in den Lichtkreis des Straßburger geistigen Lebens, dessen Mittelpunkt Matthias Bernegger war. Sieben Jahre vorher hatte die feierliche Eröffnung der Universität unter dem Rektorat des angesehenen Mediziners Melchior Sebitz stattgefunden. Er übertrug am 6. August 1628 Bernegger dieses Amt, der dadurch Gelegenheit bekam, seine wissenschaftlichen, rhetorischen und organisatorischen Gaben, die er seit 1613 der Akademie hatte zugute kommen lassen, voll zu entfalten. Seine Rektoratsrede ist das schönste Zeugnis wissenschaftlicher Begeisterung und der daraus entspringenden Zuversicht: „Selbst die Kriegesstürme und schwarzen Wolken, die eine Zeitlang den Himmel des Elsaß verfinstert haben und jetzt über ganz Deutschland lagern, können auf die Dauer doch nicht unsere Studien stören oder vernichten, vielmehr entwickeln sich diese gedeihlich weiter. Das zeigt am besten Straßburgs jüngste Vergangenheit. Wie in den Niederlanden mitten in der Not des Krieges und der Belagerung Leiden seine Universität errichtet hat und eine glänzende Pflegestätte aller edeln Künste geworden ist, so hat auch unsere gesegnete Argentina diese ihre Akademie, den Sitz der Musen und wahrer Frömmigkeit, welcher durch der Väter Sorge und freigebiges Wohlwollen bis dahin erhalten worden ist, durch die neuen kaiserlichen Privilegien erhöht und denkt jetzt daran, neue hervorragende Kräfte heranzuziehen und der jungen Universität noch größeren Glanz zu verleihen. Möge diesen hochherzigen Bestrebungen Gott im Himmel seinen Segen geben." Hatte Bernegger damals noch die Lehrkanzel der Geschichte inne, nach einigen Jahren vertauschte er sie mit der der Beredsamkeit und erreichte damit seine fruchtbarsten Wirkungen. Zu den bedeutendsten Gelehrten Westeuropas stand er in persönlicher Beziehung, der König von Frankreich belohnte einen ihm gewidmeten Panegyricus mit einer goldenen Medaille, der feinsinnige Heidelberger Hofrat Lingelsheim war seit Jahren sein vertrauter Freund, Hugo de Groot bemühte sich, ihn der jungen Amsterdamer Hochschule zuzuführen. Junge, besonders schriftstellerisch begabte Talente, wie Opitz und Harsdörffer, Zincgref und Mosdierosch, Roberthin und Czepko, fanden bei ihm Leitung und Förderung. So kam auch Rompier zu ihm. Woher er stammte, ist umstritten. Die Geburtsangabe der Matrikel las man früher als Neapolitanus (Wiener-Neustadt), neuerdings als

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Zeapolitanus (Dinkelsbühl). Die Fortsetzung dieser Ausführungen wird zeigen, daß nur die ältere Auffassung richtig sein kann. Von Jugend auf hatte sich Rompier in Gedichten versucht und sprachlichen Studien seine besondere, persönliche Liebe entgegengebracht. In Straßburg schloß er sich dem Philologen Johannes Freinsheim, dem Historiker Johann Heinrich Boeder, den jungen Dichtern Andreas Hecht und Peter Samuel Thiederidi, dem Schriftsteller Johann Michael Moscherosch, dem Sprachgelehrten Johann Heinrich Schill, später dem Dichter-Philologen Johann Matthias Schneuber und dem jungen Mediziner Johannes Küffer an. Aus diesen Kreisen ging 1633 die Aufrichtige Gesellschaft von der Tannen hervor, als deren Vater Bernegger, als deren Begründer Rompier, als deren erste Mitglieder Freinsheim, Hecht und Thiederich anzusehen sind. In ausgesprochenem Gegensatz zur Fruchtbringenden Gesellschaft verfolgte Rompier bei seiner Gründung eine eigene Vereinspolitik: Exklusivität, nicht nach dem Stande, sondern nach dem Volkstum, einfache Bürgerlichkeit und Aufrichtigkeit. Die Zielsetzung war rein patriotisch und betont ethisch. Der Tannengesellschaft hat Rompier stark seinen persönlichen Stempel aufgedrückt. An ihr und durch sie zu wirken war ihm Lebensaufgabe, ein gottgewolltes Werk. Er identifiziert mit den Idealen der Gesellschaft seine Mission als Dichter. Sein „Reim-gebüsch" bringt das unverhüllt zum Ausdruck, indem er das Titelblatt und das Titelkupfer des Bandes durch einen Bibelspruch trennt, der sich unverkennbar auf seine Gesellschaft und ihr Hauptideal bezieht: Der HERR lasst es den Aufrichtigen gelingen. Spr. S. 2, 7. Dieses Lebensmotto des Dichters ist zugleich Name, Motiv und Ideal seiner Schöpfung. Sein Pseudonym klingt wie die Bezeichnung eines Propheten: W a h r m u n d v o n d e r T a n n e n . Aus Erwähnungen seiner Gesinnungsgenossen läßt sich ebenfalls auf das Ungewöhnliche seiner Persönlichkeit schließen. Die ausgesprochene Exklusivität bei der Auswahl der Gesellschaftsmitglieder mußte dazu beitragen, seine Sonderstellung zu akzentuieren: „Soll gut honig gemacht werden, so müsen nicht weftzen, premen, hummelen, und horneisen in den bienenkorb kommen." Das ging deutlich gegen die „Fruchtbringende Gesellschaft", wie auch die heimische Tanne ein Gegensymbol der

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dort gewählten Palme war. Er ist denn audi nicht zum Mitglied der angesehenen zentraldeutschen Gesellschaft gewählt worden, während seinem unbedeutenden Mitkämpfer Johann Matthias Schneuber und dem nicht weniger extravaganten Philipp von Zesen diese so ersehnte Auszeichnung wohl zu teil wurde. Audi seine sprachreinigenden Bestrebungen und seine absonderliche Orthographie waren geeignet, ihn als Sonderling zu exponieren. In der Abgeschlossenheit seines kleinen Zirkels machte Rompier Schule. Schneuber Schloß sich seiner Orthographie an und stellte ihn als sprachlichen Reformator neben Paul Schede-Melissus: „In dem jähr 1602 ist Melissus gestorben, und hat sich meines wissens, under allen denen, die nachgehende sich der teutsdien sprach und reim-kunst beflissen, dises werks (als zwar eyner schlechten dodi gerechten und zur vollkommenen reynigkeit der Sprach nothwendigen sadi) niemand angenommen, alß die aufrichtige gesellsdiaft von der Tannen, welche in dem Jahr 1633 gepflantzet worden. U n d ist nicht zu läugnen, daß Herr Jesaias Rompier der erste gewesen, der umm dise zeit von der vorschwebenden gewonheyt zuschreiben abgesprungen, und eyne neüe, mit der alten rechten eygenschaft der sprach bässer übereyn-stimmende art auf die bahn zu bringen, sich understanden." Schneuber fühlte Rompiers Sonderorthographie offenbar als ein Wagnis. Er vermied denn auch die extremen Eigenheiten und suchte das gute Recht der Reform zu beweisen: „Etlich jähr seind also verflossen, daß bei underschidenen gelegenheyten unsere meynungen an tag kommen. Die verständige haben sie mit keynem grund verwerfen können, die meysten aber haben dafür gehalten, es seye eyne unmögliche sadi, daß solche erneüerung gegen der allzu grossen mänge eynen fästen fuß sätzen solte. W i e w o l wir nun selber oft erwähnt, es seie wenig daran gelegen, man schreibe sonst oder so, es gehe audi weder das Römisch Reich noch die wolfahrt deß Vatterlands an, so seind uns doch die fehler deß gemeynen gebrauche so groß, und die gründ der neüen Schreibart so scheinbar fürkommen, daß wir dem zusprächen guter Freunden, uns der durchgehenden gewohnheyt nach zubequämen, keynen platz haben gäben können. U n d bin ich sonderlich, nachdem obgedaditer Melissus mir ohngefährd in die hände kommen, in der gefaßten meynung so gesteift worden, daß ich keyne scheu mehr getragen, dem Wahrmund von der Tannen beständige gesellschaft hierinnen zu leysten." Die distanzierte Stellungnahme Schneubers, seine doppelte Berufung auf Schede-Melissus, seine Charakterisierung der bedingten Bedeutung der angestrebten Reform und der offenbar überstarken Widerstände,

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das Hervorheben des Mutes, der für sein Eintreten für Rompier erforderlich sei, das alles läßt deutlich erkennen, wie exponiert dieser in seiner Umgebung dastand. Wie Schneuber sich, sei es auch in bedingtem Umfang und in betonter Stellungnahme, im Sprachlich-Orthographischen zu Rompier bekennt, so fand dieser in der Gesellschaftsgründung einen Nachahmer in seinem Zögling Prinz Georg von Württemberg-Mömpelgard, der im achten Jahr seiner Regierung in seiner Residenz eine Akademie gründete, welcher allerdings nur ein kurzes, unbedeutendes Leben beschieden war. Wann Rompier zum Mömpelgarder Hof in Beziehung gekommen ist, läßt sich nicht genau feststellen. Es wird die Witwe des 1631 gestorbenen regierenden Grafen Ludwig Friedrich gewesen sein, die ihn für ihre Kinder als Erzieher engagierte. Nach dem Tode ihres Gatten, mit dem sie nur sechs Jahre verheiratet gewesen war, blieb die Fürstin von Württemberg-Mömpelgard, Anna Eleonore aus dem Hause Nassau-Saarbrücken-Weilburg, in recht sorgenvollen Verhältnissen zurück. Für mehrere Kinder lag ihr die Erziehung ob, den aus der ersten Ehe des verstorbenen Grafen stammenden und zur Nachfolge bestimmten Friedrich Leopold, der damals sieben Jahre alt war, ihr eigenes fünfjähriges Söhnchen Georg und ein paar Schwesterchen. Außerdem kam die Kriegsdrohung ihren Besitzungen immer näher. Schon 1633 war sie genötigt, mit ihren Kindern Montbeliard zu verlassen, um in der Schweiz, dem einzigen Lande, das in Mitteleuropa von den Verheerungen der Religionskriege verschont geblieben war, einen Aufenthalt zu suchen. Sechs Jahre lebten sie in Biel. Aber auch, als sie 1639 nach Mömpelgard zurückkehrten, blieb die Lage gefährlich. Sie beschloß den Schutz der französischen Krone anzurufen und schickte zu dem Ende ihre beiden Söhne, die indessen neunzehn und siebzehn Jahre alt geworden waren, nach Paris. Dort war kurz vorher Ludwig der Dreizehnte gestorben, der fünfjährige Ludwig der Vierzehnte, zunächst unter der Vormundschaft seiner Mutter Anna von Österreich, an die Regierung gekommen. An die Regentin wandte sich die Deputation aus Mömpelgard um Schutz. Sie bestand aus den beiden Prinzen und ihrem Begleiter Rompier. Dieser bezieht sich auf die gemeinsame Reise des Jahres 1643, als er Veranlassung hat, über die geistigen Vorzüge seiner Zöglinge zu sprechen: „J'en parle", sagt er, „comme sgavant, et le voyage, que j'ai eu l'honneur de faire avec Vos Altesses, seroit pour convaincre mon silence, si mes ressentimens ne disoient ä tous le monde qu'il n'appartient qu'ä vos bontez de faire

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conquestes, et a vos actions des miracles." Vielleicht läßt sich aus diesen verherrlichenden Worten audi der Erfolg der Pariser Reise herauslesen· Sie finden sich in der Widmung, die den Gedichtband Rompiers begleitete: „Des Jesaias Rompiers von Löwenhalt erstes gebüsdi seiner Reim-getichte, Getruckt zu Strasburg, bey Joh. Phil. Mülben in dem 1647ten jar Chrl.er z.," und lauten: „Den Durchleiichtigen Hochgebornen Fürsten und Herren, Herrn Leopold-Friderichen, und Herrn Georgen, Heertzogen von Wirtenberg und Teck, Grafen zu Montbelgard, Meinen genädigen Fürsten und Herren." In gereimten Alexandrinern werden die Fürsten auf deutsch, in prosaischer Fassung auf französisch angeredet. Dies entspricht der politischen Lage: deutsche Fürsten herrschen über französische Untertanen. Rompier motiviert diesen Übergang ins Französische: Die leüth, die ihr beherrscht, seyn meiner sprach unkündig, Drum mach ich es hiernach Frantzösisch mehr ausfindig; Wiewol ich solcher art mich sonst nicht vil befleiß, Der ich das währte Teütsdi amm maisten lieb und preiß. Wichtiger als die politischen Folgen der Pariser Reise ist für die Literaturgeschichte eine Begegnung, die Rompier auf seiner Reise hatte. In denselben Tagen nämlich, als er in Paris weilte, war audi Philipp von Zesen, wohl ebenfalls in politischer Verwendung, dort zugegen. So traf der Begründer der Aufrichtigen Tannengesellschaft und Vorkämpfer für Reinheit der deutschen Sprache mit dem Spradiund Orthographiekünstler Zesen, der kurz vorher die Deutschgesinnte Genossenschaft errichtet hatte, zusammen. Sie haben ihre Ideen ausgetauscht, es wurde eine Beziehung gelegt, die ihren Ausdrude darin fand, daß Rompier als sechzehntes Mitglied, kurz nach Harsdörffer, noch vor Moscherosdi, Klaj und Birken, in Zesens Sprachgesellschaft eintrat. Sein Gesellschaftsname dort, „Der Freie", korrespondiert mit seinem Straßburger Pseudonym „Wahrmund von der Tannen", der Zusatz „aus Österreich" beweist, daß es unmöglich ist, ihn für einen geborenen Dinkelsbühler zu halten. Daß Rompier in Paris mit Zesen zusammentraf, läßt sich aus der „ Adriatischen Rosemund" herauslesen. Dieser arkadische Roman ist zum Teil autobiographisch: die Hauptperson Markhold, Ritter von Blauen, ist mit Philipp von Zesen, dessen Vorname die Pferdefreundschaft und dessen Familienname die blaue Farbe anzeigt, identisch. Markholds

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Pariser Reise ist datenmäßig für Zesen selbst zu belegen. In der Pariser Episode der „Rosemund" heißt es (Neudruck, S. 33): „Nachdähm nuhn diser lust-wal verrücktet, und si sämtlich von der Kutschen abgesässen waren, so nahm Markhold von diser lustigen geselschaft, ohne sonderliches wort-gepränge, seinen absdiihd: und kahm noch selbigen abend zu seinem träu-liben W a h r m u n d v o n d e r T a n n e n . Diser hohch-erfahrne und grund-gelährte Fräund, dehr sich der grohßmächtigen Deutschinnen, durch aus-arbeitung ihrer Helden-sprache, so träflich verdihnt gemacht hat, unterhihlt ihn mit einem zwahr lustigen und doch auch nützlichen gespräche eine gute zeit." Auch hier läßt sich der Finger auf das historische Faktum legen: wie wir aus Zesens Leben wissen, daß er 1643 in Paris war, so lehrt uns die Mömpelgarder Geschichte, daß Rompier zur selben Zeit da weilte. Die Bestätigung ihrer persönlichen Bekanntschaft bringt Zesens Schreiben an Rompier dd. 8. März 1645. In ähnlicher Weise, wie Rompiers Gedichtband in unverhüllter Form auf den Pariser Aufenthalt anspielt, widerspiegelt sich Zesens Begegnung mit ihm daselbst in romanhafter Verkleidung in der „Adriatischen Rosemund". So aufschlußreich diese Tatsache ihres Zusammentreffens in literarhistorischer Hinsicht ist, auch für die Ergründung der Verhältnisse, die den Hintergrund von Zesens Roman bilden, ist die Feststellung wichtig. Rompiers Pariser Reise bedeutete vermutlich zu gleicher Zeit die Beendigung seiner Mömpelgarder Hofmeisterstelle. Wir finden ihn einige Jahre später am Hofe des Markgrafen Friedrich des. Fünften von Baden-Durlach, dem er nach Basel ins Exil folgte, wo er mit den beiden Schwestern des Markgrafen Anna und Elisabeth rege literarische Beziehungen pflegte. Prinz Leopold Friedrich trat die Regierung über Mömpelgard, Reichenweier und Horburg an, Prinz Georg vollendete in Paris seine Ausbildung. Die Trennung Rompiers von seinen vormaligen Zöglingen kommt in dem Gedicht zum Ausdruck, das er ihnen zum Neujahr 1645 widmete:

Gelegenheit und Zeit hält mich ietz einngeschräncket, Erlaubet meinem lauff nicht solchen weiten räum, Derhalben reit ich nur mit angezognem zaum Eüdi underweil zu hof, mein lehen zuempfangen, Das ist: um eüre huld ernäülich anzulangen, Damit mein ab-seyn mich in kein vergessen b r i n g . . .

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Aber auch später läßt sich die Beziehung Rompiers zu Georg von Württemberg-Mömpelgard noch weiter verfolgen. Als dieser nämlich seine Braut Anna de Coligny heimführte und mit ihr und ihrer Mutter über Basel nach Montbeliard reiste, wurde dem Dichter Gelegenheit geboten, der fürstlichen Gesellschaft seine Aufwartung zu machen. Wir erfahren dies aus einem Brief, den er aus Basel am 15. April 1648 an den Straßburger Professor Boeder schrieb und in welchem er sich auf die bevorstehende Mömpelgarder Hochzeitsfeier bezieht: „Des Hertzog Georgen von Wirtemberg (:dessen braut, samt ihrer Frau muter, und anderen verwanten, als sie näulich hie gewäsen, sich nicht weniger als er gnad- und huld-reich gegen mir erzaigt:) seine Hochzeit, zu deren ich etwaß rechtschaff ens zumachen, billich hoch verbunden wäre, komt mir dergestalt fast aillend auf den hals, daß ich nicht wol weys, wie ich nur meinen sachen darinnen thun will; angesehen, daß ich noch weder erfindung oder anfang darinnen gemacht." Rompier gehörte zu den Hochzeitsgästen: „Zu dem fürstlichen bejlager nach Montbelgard", schreibt er am 23. Mai 1648 an Boeder, „hat ich sehr bös wätter und weg gehabt: sonst ist alles (:Gottlob:) trefflich wol abgegangen." Ein schrofferer Gegensatz als zwischen dem Mömpelgarder und Badener Hof dichter, dem Sprachgesellschaftler und Sektierer Rompier einerseits, dem Volksschriftsteller und Autodidakten, dem synkretistisch eingestellten, vom Protestantismus zurückgetretenen Grimmelshausen läßt sich kaum denken. Im „Teutschen Michel" kommt der Antagonismus zum Ausdrude. Schon der Titel ist Satire. Er richtet sich gegen Gelehrsamkeit, insoweit sie vom Deutschtum abführt. Während Rompiers Gedichtband in einer französischen Widmung am Anfang, in französischen und lateinischen Widmungsgedichten am Schluß internationale Sprachkenntnisse demonstriert, betont Grimmelshausen, „daß einem drumb an der Vollkommenheit nothwendig nichts abgehen müsse, wann er gleich nur seiner Mutter Sprach redet und verstehet". Wenn er seinen „Teutschen Michel" in humoristischer Selbstverspottung „Pralerey und Gepräng" nennt, so ist er sich bewußt, daß er in eigener Sache kämpft: „Zwar ists eine gewisse Anzeigung einer vortrefflichen Gedächtnus, wann ein Mensch viel Sprachen lernen und behalten kan, und dahero zu schliessen, ein solcher werde auch im übrigen keinen höltzern Kopff haben, in welchem sich kein Hirn befindet; Aber in Warheit dieser Wahn betreugt offt." Es hat einen tieferen Sinn, daß Grimmelshausen für die Abfertigung dieser „Sprachhelden" die Formel gebraucht, die er im „Vogelnest" (Neudruck S. 74)

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ausdrücklich als einen der Kerngedanken seines „Simplicissimus" bezeichnet und in den selbstentworfenen Kupfern des „Barock-Simplicissimus" als Leitsatz seiner Bildbeigaben zum Ausdrude bringt. Das zweite Kapitel des „Teutsdien Michel" wird damit in dieselbe blutwarme Lebensnähe gerückt, wie sie aus der eingezeichneten Losung „der W a h n betreügt" mit dem so charakteristischen Umlaut auf dem ü und der an seine Handschrift gemahnenden Federführung spricht. Inneres und Äußeres gehen hier ineinander über. Der Simplicissimusdichter wurzelt tief in seiner Zeit, verbindet die besten Traditionen des sechzehnten Jahrhunderts mit einer fernen Zukunft. Er ist ein Apologet der guten alten Zeit, aus welcher zwei Hauptelemente sich ihm in verklärtem Lichte zeigen: die alte, ungeteilte, mensdilidi-verständnisvolle Religion und das von welsdien Einflüssen unberührte Deutschtum. So gehört er geistesgeschichtlich sowohl mit Angelus Silesius zusammen wie mit Logau. Zu gleicher Zeit aber stand er mitten im Leben. Sein extravertiertes Wesen behütete ihn vor der Gefahr einer theoretischen Stellungnahme. Er war ein Kämpfer, der die Waffen der Zeit gebrauchte, um die Zeit zu bekämpfen. Wenn er als Rendiener Schultheiß sich die Allongeperücke aufsetzte und sein 'modisches Gewand anzog, um kraft seines Eides „die Gerichte ordentlich zu halten", so änderte dies nichts an seiner alten, als Soldat erworbenen, als Weinbauer und Gastwirt erprobten, bodenständigen Gesinnung. Und so war es mit seinen Schriften. Daß er dieselben modisch ausstaffierte und in zunehmendem Maße dem Geschmack des Publikums entgegenkam, geschah kraft der Lebenserfahrung, die ihn gelehrt hatte, daß man, um einen zu überzeugen, ihm auf halbem W e g e entgegenkommen müsse. Die Vergleichung des „Barock-Simplicissimus" mit dem „Simplicissimus Teutsch" legt diesen Grundsatz bloß: er häufte nicht deshalb die Epitheta und unterstrich die Unanständigkeit, weil er zunehmend redselig und zotig wurde, sondern weil er aus dem Leben gelernt hatte, daß man den Menschen nahe kommen muß, um auf sie zu wirken. Er spielte mit ihnen wie ein Schachmeister mit seinen Figuren. Er täuschte sie zu ihrem eigenen Wohl: Es hat mir so wollen behagen Mit Lachen die Wahrheit zu sagen. Das ist audi seine Haltung in der „pralerhafften Scartecken", die auf dem Titelkupfer bildlich zum Ausdruck kommt: in Narrenverkleidung

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djuä^i Gedicht aus einem im Badischen Generallandesarchiv in Karlsruhe bewahrten handschriftlichen Liederbuch der Prinzessinnen Arnia und Elisabeth von Baden; dieses Gedicht der Prinzessin Elisabeth gibt eine Charakteristik des Jesaias Rompier von Löwenhalt.

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Bey leben galt ich nichts, man pflegt mein nur zu lachen. Jetz will man nach dem Todt mich gleichsam heilig machen. Daß ist der Weltt gebrauch: bald wenig bald zu viel, Wie das Teütsch Sprichwort laut, verderbet alle Spiel. Rompier war nun einmal, daran ist nicht zu zweifeln, ein Ritter von der traurigen Gestalt. Die Art, wie sein jüngerer Gesinnungsgenosse Schneuber, dessen poetische Begabung und deutschsprachliches Wissen sicher hinter seinem Vorbild zurückstanden, dessen gesellschaftlich normalere Anpassungsfähigkeit ihn aber besser in der Welt vorankommen ließ, über den Begründer der Tannengesellschaft schrieb, kennzeichnet bei aller Schätzung den Sonderling. Die gut gemeinte Grabschrift der Prinzessin Elisabeth verschärft dieses Bild. Das wichtigste Zeugnis in diesem Zusammenhang findet sich aber bei Grimmelshausens Brotherrn Dr. Johannes Küffer, dem Straßburger Mediziner und Herrn der Ullenburg, auf welcher der stellenlos gewordene Schauenburgische Schaffner Anstellung als Burgvogt und Rentmeister fand. Das war eben zu der Zeit, als sich in Mömpelgard die aufsehenerregenden Ereignisse abspielten, die den Regierungsantritt des Grafen Georg begleiteten und in der Druckschrift über die abgenötigte Konversion der Gräfin Anna ihren Weg zum Publikum fanden. Es ist leicht möglich, daß Grimmelshausen damals Rompier kennen gelernt hat. Küffer und er waren von der Universität her befreundet und werden sich auch später ab und zu gesehen haben, denn Küffer war sowohl bei den Markgrafen von Baden-Durlach wie bei den Württembergern Leibarzt. In seiner Bibliothek fand Grimmelshausen auf alle Fälle, wofern ihm das Buch nicht schon von früher her bekannt war, den Gedichtband Rompiers. Darin hat er ohne Zweifel das Huldigungsgedidit gelesen, womit sein Brotherr Rompier zu ehren gesucht hatte. Es ist unterschrieben: „Rompier, dein so lang ich leb, aigner diener und träuester freünd Johannes Küefer, etlicher Fürsten und Herren Leibmedicus." Das Gedicht, das unter den Widmungsversen des Bandes sicher nicht das schlechteste ist, schildert in den Eingangszeilen, die deshalb hier zitiert werden, die isolierte Stellung Rompiers, den Mangel an Erfolg, der sein Streben kennzeichnet: Es ist wahrhafftig zeit, daß Und weisest waß du weyst. Doch ist zur Weißheit auch Gedenckt wol iemand dein,

du dich nunmehr zeigest, Der Schweiger ist zwahr klug, das schweigen nicht genug. wan du beständig schweigest?

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Sih deine Folger an, die ich doch nicht darf nennen, Alweil ihr überwitz, und doppelt-harter sinn Legt beydes, danckbarkeit und angedencken hin: Für deinen Schuler will sich keiner mehr erkennen. In diesem Licht wird Grimmelshausen Rompier gesehen haben. Die Kenntnisnahme seiner Gedichte, die vielfach versifizierte Glaubenssätze sind, eine Glaubensüberzeugtheit zum Ausdruck bringen, die Grimmelshausens Sympathie unmöglich hat haben können, ein Übergewicht des Verstandesmäßigen über Gefühlsinnigkeit kundgeben, das dem späteren Simplicissimusdichter als Mangel an poetischer Begabung und Berufung hat vorkommen müssen, wird nicht dazu beigetragen haben, die Beleuchtung günstiger zu machen. Man weiß, daß das Dienstverhältnis zwischen Küffer und Grimmelshausen mit einem Bruch endigte und daß es mehr als wahrscheinlich ist, daß der „Simplicissimus Teutsch" im Doctor medicinae Canard eine Parodie auf den Straßburger Arzt enthält. Einzelheiten in der Schilderung bieten dafür reichlich Anhaltspunkte, gern benutzte Gelegenheiten, wo sich der Autor in anderen Schriften über Unzulänglichkeiten der medizinischen Wissenschaft äußert, stützen die Auffassung, daß Grimmelshausen im Dr. Canard einen Typus hat schaffen wollen, für den er im Leben das Vorbild fand. Dies entspricht den allgemeinen Schaffensgesetzen des Simplicissimusdiditers. Zahlreich sind die Stellen, sowohl im „Teutsehen Michel" wie audi sonst, aus denen sich entnehmen läßt, daß Grimmelshausen im Bereich des Sprachlichen gegen den Sprachgesellschaftler ähnliche Bedenken hatte wie gegen Canard im Medizinischen. Liegt es nicht nahe, daß er im Leben diesen Typus in Rompier vorfand? Vergegenwärtigt man sich dabei, daß die Jupiter-Parodie eingeleitet wird mit der Beschreibung: „wurde bald innen, daß ich a n s t a t t e i n e s Fürsten einenPhantasten g e f a n g e n hätte, der sich ü b e r s t u d i r t , und in der P o e t e r e y g e w a l t i g v e r s t i e g e n " , so kommt man leicht dazu, die Zweieinheit Jupiter: Teutsdier Held zurückzuführen auf Rompier als Verkündiger und Georg von Württemberg-Mömpelgard als projizierten Vollstrecker utopistischer Ideen. Zwischen Rompier und dem Grafen Georg einerseits, Bernegger und dem Grafen Friedrich anderseits dürfte also die Linie in der historischen Anregung laufen, die in der Jupiter-Episode Scherz und Ernst von einander trennt. Geschautes Leben, geschichtliche und aktuelle

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Wirklichkeit wird in den Dienst seiner Phantasieschöpfung gestellt. Nicht bloß die Wahrsagerin von Soest, die im Aufbau des Romans motivisch neben Jupiter steht, ist historisch, auch Jupiter und vielleicht gar der Teutsche Held erheben sich von einem geschichtlichen Hintergrund. Wie der Gubernator Ramsay aus der Geschichte in den Roman eingegangen ist, so ist etwas vom Dr. Küffer darin aufgenommen, und noch distanzierter etwas von Jesaias Rompier von Löwenhalt und vielleicht sogar von Georg von Württemberg-Mömpelgard. Nicht auf diese einzelnen Motive kommt es an, wohl aber auf die Lebensnähe, die der Roman nicht bloß suggeriert, sondern tatsächlich auch hat; sie wird sich um so deutlicher offenbaren, je besser wir die Voraussetzungen kennen lernen. Es läßt sich noch etwas anderes bemerken: in zunehmendem Maße zeigt sich, daß Grimmelshausen als bewußt schaffender Künstler bestimmte Absichten verfolgte und daß er als erfahrener Mann, als weitblickender Geist, als kundiger Gestalter über die Mittel verfügte, sie zu erreichen. Seine Gestaltungstechnik ist nichts weniger als naiv. Er wußte genau, worauf er zielte. Das ergibt sich auch aus der fiktiven Druckangabe Mömpelgard. Er war nun einmal bischöflich-straßburgischer Beamter, er hatte zum lutherischen Württemberg amtlich manchmal recht unangenehme Beziehungen, er fühlte sich als Glied einer ländlichen Schwarzwaldgemeinschaft und hegte eine Abneigung gegen städtisches Wesen. Seine Erinnerungen an den vornehmen Straßburger Arzt Dr. Küffer und den mit ihm verbundenen literarischen Kreis waren offenbar so unangenehm wie nur möglich. Zu ihnen gehörten „überstudirte und in der Poeterey gewaltig verstiegene Phantasten", deren Kunst ihm zu geschraubt und dürftig erschien, deren Hochmut ihn ohne Zweifel verletzte, deren Glaube ihm zu verstandesmäßig abgezirkelt war. Er haßte alle Unnatur, er verwarf neue Moden im Leben, in der Sprache, in der Dichtung. So wurde die Ortsangabe „Monpelgart" auf dem Titelblatt zum Symbol. Für einsichtsvolle Leser Südwestdeutschlands war es die Hochburg des Protestantismus seit dem Augsburger Religionsfrieden und noch weiter zurück. Wer eine Religionskarte von Deutschland mit den angrenzenden Gebieten aus der Zeit betrachtet, sieht Strasbourg, Montbeliard, Riquewihr und Horbourg als kalvinistische Einsprengsel von der Schweiz her in das ausgedehnte katholische Glaubensgebiet, das sich im Rheintal bis gegen Hessen und über die Donau hinüber bis gegen Stuttgart, Tübingen und Ulm ausdehnt. Noch lebte die Erinnerung an das Religionsgespräch von 1586, noch dauerte das Gerücht um die aufsehenerre-

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gende Konversion der Gräfin Anna de Montbeliard-Coligny. Es ist nunmehr sicher, daß die Angabe „Monpelgart" auf dem Titelblatt der Erstausgabe des „Abentheurlichen Simplicissimus Teutsch" aus dem Jahre 1669 ein Scherz des Verfassers ist, der in beabsichtigtem Gegensatz die Grundhaltung des Romans unterstreichen soll. Sogar der Verlagsort ist Satire.

Nachwort Dieser Aufsatz erschien in den „Publications of the Modern-Language-Association of America", Jahrgang LXI (1946). Für die Religionswirren im Elsaß und in den benachbarten Gebieten stützt er sich hauptsächlich auf Rodolphe Reuss, „L'Alsace au dix-septieme siecle", Paris 1897 und 1898, passim; C. Bünger, „Matthias Bernegger, Ein Bild aus dem geistigen Leben Straßburgs zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges", Straßburg 1893, u. a. SS. 183, 187, 188, 181, 253. A. Reifferscheid, „Briefe G. M. Lingelsheims, M. Berneggers und ihrer Freunde", Heilbronn 1889, u. a. SS. 846, 855, 907, 1004; L. Ensfelder, „Le Chateau de Riquewihr et ses Habitants" in „Revue d'Alsace" 1879, S. 91 ff.; P. E. Tüefferd, „Biographie du Prince George et d'Anne de Coligny, sa femme" in „Revue d'Alsace" 1885, S. 380 if. Weiter stützen sich meine Ausführungen auf Bibliothek- und Archivforschungen, hauptsächlich zu Straßburg, Karlsruhe, München, Gaisbach-Oberkirch, die, soweit es das in Rede stehende Thema betrifft, ihre Vorbehandlung fanden in zwei Aufsätzen: „Grimmelshausen und die Straßburger Tannengesellschaft" in „Dichtung und Volkstum" 1936 S. 324 ff. und „Wahrmund von der Tannen" in „Neophilologus" 1936 S. 265 ff. Für die Zitate aus Schneuber benutzte ich: „Joh. Matthias Schneubers Teutsche Gedichte" Straßburg 1644 und 1656, Exemplar der Preußischen Staatsbibliothek Berlin, für die aus Rompier: „Des Jesaias Rompiers von Löwenhalt erstes gebüsch seiner Reim-getichte", Straßburg 1647, ebenfalls das Exemplar der Preußischen Staatsbibliothek Berlin. Uber Rompier erschien eine Amsterdamer Dissertation: Anna Hendrika Kiel, „Jesaias Rompier von Löwenhalt, Ein Dichter des Frühbarock", Utrecht 1940; im Anschluß daran veröffentlichte Dr. Kiel „Unveröffentlichte Briefe des Jesaias Rompier von Löwenhalt an J. H. Boecler" in „Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins", N. F. LVI (1943) S. 232 ff. Der Blick auf die Problematik der Zeit wurde geschärft durch K. Vietor, „Probleme der deutschen Barockliteratur",

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Leipzig 1928. Die Zitate aus Grimmelshausens „Simplicissimus Teutsch" sind nach der im „Nachwort" zum ersten Aufsatz genannten Ausgabe u. a. SS. 214, 217, die aus dem „Teutschen Michel" nach dem dritten Band meiner Simplicissimus-Ausgabe, die in den „Neudrukken" Nr. 315—322 unter dem Titel „Grimmelshausens Simpliciana in Auswahl: Weitere Continuationen des Abentheurlichen Simplicissimi, Rathstübel Plutonis, Bartkrieg, Teutscher Michel" Halle 1943 erschien: es handelt sich speziell um die Seiten 167, 168, 198. Das Zitat über die „Fruchtbringende Gesellschaft" findet sich im „Ewigwährenden Calender", Nürnberg 1670, S. 176 (Exemplar in eignem Besitz). Die Begegnung zwischen Rompier und Zesen wurde zum ersten Mal nachgewiesen in „Philipp von Zesen" in „Veertiende Jaarboek van het Genootschap Amstelodamum", Amsterdam 1916 S. 103; vgl. auch „Philipp von Zesen in Frankrijk" in „Neophilologus" 1943 S. 202. Das Motiv, daß Rompier im Jahre 1643 die beiden jungen Grafen von Württemberg-Mömpelgard nach Paris begleitete (vgl. S. 28), scheint im Zusammenhang der Canard-Parodie Eingang in den Roman gefunden zu haben, wo Grimmelshausen seinen Helden ebenfalls als Reisebegleiter von zwei jungen Edelleuten („Simplicissimus Teutsch", Neudrude S. 291) nach Paris reisen läßt.

Die deutsche Robinsonade aus dem Jahre 1669

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