Der senatorische Adel im spätantiken Gallien

Die folgende Untersuchung über den senatorisdien Adel im spätantiken Gallien lag der Philosophischen Fakultät an der Uni

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Table of contents :
Einleitung 1
I. Gallien, Reich und Reichsaristokratie im vierten Jahrhundert 5
II. Die gallische Aristokratie in der Auflösung des Westreichs 43
III. Der senatorische Adel in den Reichen der Westgoten und Burgunder 84
IV. Die Senatoren im Merowingerreich 106
Anhang: Prosopographie zum senatorischen Adel im spätantiken Gallien 137
Quellen 228
Abkürzungen 231
Kartenskizzen 232
Stammbäume spätrömischer Senatorengeschlechter in Gallien
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Der senatorische Adel im spätantiken Gallien

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KARL FRIED RICH

STROHEKER

D E R SE N A T O RI S C H E A D E L IM S P Ä T A N T I K E N GALLIEN

A L M A

M A T E R

V E R L A G

T Ü B I N G E N

A lle Rechte Vorbehalten.

Veröffentlicht unter Autorisation Nr. 4953 de la Direction de l'Information, Baden-Baden Copyright 1948 by Alma Mater Verlag, Tübingen und Reutlingen Druck: Druckerei Tübinger Chronik, Tübingen

Dem A n d e n k e n des G r a f e n W o l d em a r U x k u l l - G y l l e n b a n d P r o f e s s o r d e r A l t e n G e s c h i c h t e in T ü b i n g e n

1 9 3 2 —1939

VORWORT Di e folgende Untersuchung über den senatorisdien Adel im spätantiken Gallien lag der Philosophischen Fakultät an der Universität Tübingen im Wintersemester 1943/44 als Habilitationsschrift vor. Sie wurde nach Kriegs­ ende durch die im zweiten Teil enthaltene Prosopographie erweitert. Besonderen Dank schulde ich für wertvollen Rat und vielfache Unter­ stützung Herrn Professor Dr. Vogt, Tübingen. Die Arbeit selbst soll dem Andenken meines Lehrers, des im Mai 1939 auf tragische Weise aus dem Leben gerissenen Professors der Alten Geschichte an der Universität^Tubin­ gen G raf Uxkull-Gyllenband, gewidmet sein. Er wäre am 17. April 1948 fünfzig Jahre alt geworden. F r e i b u r g i. Br., im April 1948.

INHALT Einleitung I. II.

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Gallien, Reich und Reichsaristokratie im vierten Jahrhundert Die gallische Aristokratie in der Auflösung des Westreichs

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III. Der senatorische Adel in den Reichen der Westgoten und Burgunder

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IV . Die Senatoren im Merowingerreich

106

Anhang: Prosopographiezum senatorisdien Adel im spätantiken Gallien

137

Quellen

228

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Abkürzungen . Kartenskizzen

231 .

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Stammbäume spätrömischer Senatorengeschlechter in Gallien

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EINLEITUNG M it dem senatorischen Adel Galliens wird im folgenden aus dem Gebiet der Spätantike ein Thema behandelt, das nach verschiedenen Richtungen hin kennzeichnende politische und geistige Entwicklungen dieses Zeitraums be­ rührt. Es stellt einen Ausschnitt dar aus der Geschichte der spätrömischen Reichsaristokratie, die sich nach dem Zusammenbruch des dritten Jahrhun­ derts unter Konstantin und seinen Nachfolgern neu gebildet hatte und dann als Trägerin des kaiserlichen Dienstes und des Großgrundbesitzes, vor allem im Westen, rasch zu einer beherrschenden Größe im Leben des spätrömischen Staates wurde. Darüber hinaus zeigt sich an den Senatoren Galliens auf eine für diese Epoche beispielhafte Weise das Wachsen eigenwilliger K räfte in der Oberschicht eines romanisierten Landes, ihre Stellung zum Reich und zum Reichsgedanken, ihre Einfügung in die germanisch-romanischen N aäifolgestaaten des Imperiumsund schließlich ihr Aufgehen in der neuen Welt des Frühmittelalters. Die Darstellung ließ sich dabei nicht auf die spätrömische Zeit beschränken. Der innere Zusammenhang gebot von selbst eine Fort­ führung durch die Staatenbildungen der Westgoten und Burgunder hindurch bis in das Merowingerreich hinein. Diese ersten germanischen Reichsgrün­ dungen auf gallischem Boden gehören ihrer Entstehung und ihrem inneren Aufbau nach noch in den Kreis der Spätantike. Im westgotischen und im burgundischen Staat überwiegen die spätrömischen Elemente diejenigen ger­ manischer Herkunft bei weitem. Auch im Merowingerreich blieben zunächst noch auf vielen Gebieten spätantike Traditionen lebendig, so besonders an den Königshöfen, in der von Laien getragenen Verwaltung, in der Kirche, im Rechtswesen und in der Wirtschafts Verfassung. Man hat Gallien mit Recht als Brücke zwischen Antike und Mittelalter im Abendlande bezeichnet. Mag auch die Geschichte dieses Landes vom vier­ ten bis 2um siebten Jahrhundert mit ihrer verwirrenden Fülle von Einzel­ heiten und den oft rasch aufeinanderfolgenden Veränderungen des macht­ politischen Bildes nicht leicht zu überblicken sein, so haben sich doch kaum irgendwo sonst im Westen die ausklingende Spätantike und das beginnende Frühmittelalter so nachhaltig berührt wie* gerade hier. In Gallien nahmen mit der Niederlassung der Westgoten in Aquitanien im Jahre 418 die ger­ manischen Staatengründungen auf römischem Boden ihren Anfang. Zu glei­ cher Zeit vollzog sich hier aber auch der Aufstieg einer selbstbewußten gal-

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Strohcker, Senatorischer Adel ,

lisch-römischen Aristokratie, die unter der Führung des Eparchius Avitus in der Mitte, des fünften Jahrhunderts die Leitung des Westreichs in ihre Hand zu bekommen suchte und sich dann nodi bis über das Ende des westlichen Kaisertums hinaus gegen die Germanen zur Wehr setzte. Das Erbe der römi­ schen Herrschaft in Gallien trat schließlich das Frankenreich an, das als ein­ zige germanische Macht die Jahrhunderte der Völkerwanderung überdauern sollte und den Kern der mittelalterlichen Staatenwelt in Europa abgab. In ihm traf das Germanentum unter besonders günstigen Voraussetzungen tait der Romania zusammen, aus beiden Kräften erwuchs hier ein neues, zu­ kunftsvolles Staatsgebilde. Allerdings ericheini schon um die Mitte des sechs­ ten Jahrhunderts das Fortleben der Spätantike auch im romanischen Süden des Merowingerreiches wesentlich schwächer als in den anderen Ländern am westlichen Mittelmeer. A uf der anderen Seite wurde, was viel entscheiden­ der ist, im Frankenreich die stetige Weiterentwicklung nie unterbrochen. Tiefgehende Umwälzungen, wie sie für Italien der Langobardeneinfall am Ende des sechsten Jahrhunderts, für A frika und Spanien die Eroberungen des Islam seit der Mitte des siebten Jahrhunderts mit sich brachten, erlebte das fränkische Gallien nicht. Was an spät antiken Überlieferungen hier noch fortjvirkte, ersthöpfte sich von selbst und wurde allmählich durch neue Vor­ stellungen und Formen ersetzt. Die dunklen Jahrzehnte des siebten Ja h r­ hunderts, in denen die merowingische Königsmacht zerfiel und jedes litera­ rische Leben erstarb, zeigen an, daß damals eine Epoche zu Ende ging und eine neue sich vorbereitete. Die Forschung der letzten hundert Jahre hat sich erfolgreich um die A u f­ hellung der kulturellen, rechtlichen, sozialen und wirtschaftlichen Zusammen­ hänge zwischen dem späten Imperium und dem Merowingerreich bemüht. Die geistige Kultur der Merowingerzeit zehrt in jeder Hinsicht von der des spätrömischen Gallien. Der Staat der Merowinger baut in vielen Teilen, am sichtbarsten in der Verwaltung und in der Kirche, auf den spätrömischen Voraussetzungen auf. Die Ausbreitung der Grundherrschaften und der A b­ hängigkeitsverhältnisse ist keineswegs erst für das Frankenreich charakteri­ stisch, auch in ihnen setzt sich die spätrömische Gliederung der Gesellschaft und Wirtschaft fort. Trotzdem findet man noch immer in vielen Darstellun­ gen eine zu scharfe Abgrenzung der spätrömisdien von der frühfränkischen Zeit, die dem Verständnis der Entwicklungslinien wenig förderlich ist. Die Gründe dafür liegen in der Wahl des Ausgangspunktes und des Zieles dieser Arbeiten. Sie untersuchen die gallischen Verhältnisse dieser Jahrhunderte ent­ weder von der Antike aus bis zum Ende des weströmischen Reiches oder rückblickend, mit Chlodwig beginnend, vom Mittelalter her. Diese A rt der Betrachtung wird unwillkürlich dadurch gefördert, daß der Untergang des Syagrius als des letzten römischen Machthabers in Gallien mit dem entschei­ denden Aufstieg der Merowinger zusammenfällt. Die Bedeutung der west­ gotischen und der burgundischen Staatsbildung, die Zeitlich und ihrem gan­ zen Aufbau nach diesen scheinbaren Einschnitt überbrücken, wird demgegen­

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über gewöhnlich verkannt, obwohl zum Beispiel das Westgotenreich von Toulouse durch seine Rechtsaufzeichnungen noch tief in die fränkische Zeit hinein nachgewirkt hat. Und selbst da, wo das Fortbestehen von Einrich­ tungen und Zuständen aller A rt festgestellt wird, schenkt man den Menschen, von denen die spätrömischen Vorstellungen und Traditionen weitergetragen wurden, zu wenig Beachtung. In der Geschichte des spätrömischen Gallien spielen die senatorischen Ge­ schlechter des Landes eine hervorragende Rolle. Seit dem ausgehenden vier­ ten Jahrhundert wuchsen die dem Senatorenstand angehörenden gallischen Grundherren allmählich iu einer geschlossenen Adelsschicht zusammen, die gegenüber der Reichsregierung in Italien die gallischen Interessen energisch vertrat und dabei zweimal aus den eigenen Reihen einen Kaiser aufstellte. Diese Aristokratie verschwand keineswegs mit dem Imperium aus Gallien. Sie lebte unter den Westgoten und Burgundern, ja selbst noch unter den Merowingern weiter. Verfolgt man diese Spuren durch, die Jahrhunderte, so ergeben sich Zusammenhänge, die sich über die ganze Spätantike hin er­ strecken. Es lassen sich gallische Adelshäuser erkennen, die, im vierten und fünften Jahrhundert groß geworden, sich auch unter westgotischer und burgundischer Herrschaft behaupten konnten und dann im sechsten Jahrhun­ dert im Leben des Frankenreiches erneut eine bedeutende Stellung einnaiv* men. Vornehmlich durch die Senatoren, die späten Erben einer großen Ver­ gangenheit, trat Rom als geistige Macht mit den Westgoten, Burgundern und Franken in Gallien in Berührung. Als hohe, in der spätrömischen Verwal­ tung geschulte Beamte wirkten sie beim Aufbau der germanischen Staaten mit, als Träger spätrömischer Bildung wußten sie noch lange die Verbindung mit dem Geistesgut der Antike aufrechtzuerhalten, als Bischöfe schließlich bestimmten sie weiterhin Zusammensetzung und Haltung des gallischen Epi­ skopats in hohem Maße. Aber auch diese am Alten hängende Aristokratie konnte sich den Kräften der werdenden, andersgearteten Epoche nicht auf die Dauer verschließen. Indem sie sich mit den neuen Strömungen und der sich verändernden Umwelt auseinanderzusetzen hatte, wandelte sie sich selbst. Saturninius Secundus Salutius und Gregor von Tours, die beiden G al­ lier, von denen am Anfang und am Ende unserer Darstellung die Rede sein wird, verdeutlichen durch ihren inneren Abstand voneinander den tiefen Wandel des Lebensgefühls, wje er sich im Laufe von zwei Jahrhunderten auch in der gallischen Oberschicht vollzog. D ort der Freund Julians und wie dieser selbst ein hochgebildeter Anhänger des Heidentums, der im Dienste des» Imperiums weite, Teile der Mittelmeerwelt kennenlernte, dem römi­ sche Heere den Kaiserpurpur antrugen, — hier der Bischof von Tours, einer der ersten Würdenträger des Merowingerreiches, den zwar noch seine Her­ kunft aus einem alten Senatorengeschlecht und seine bescheidene Bildung mit der römischen Vergangenheit verknüpfte, der aber nie über das fränkische Gallien hinauskam und in seiner geistigen Gesamterscheinung doch mehr dem frühen Mittelalter als der Spätantike angehört. Um die Wende vom

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sechsten zum siebten Jahrhundert w ar dann audi im senatorisdien Adel Gal­ liens die Verbindung mit der spätrömischen Welt, aus der er stammte, so lose geworden, daß sie sein völliges Aufgehen in der neuen fränkischen Reichsaristokratie nicht mehr länger aufzuhalten vermochte. Für eine Darstellung der Senatoren im spätantiken Gallien steht neben Rechtsquellen, Inschriften, Chroniken und Heiligenlegenden vor allem das reiche gallische Schrifttum dieser Jahrhunderte zur Verfügung. In ihm spre­ chen von Ausonius bis auf Gregor von Tours viele Generationen dieser A ri­ stokratie selbst zu uns und geben uns einen Einblick in ihr Denken und Füh­ len, in ihre äußeren Lebensumstände und in ihre geistigen Grundlagen. In der neueren Literatur findet man eine Vielzahl von Problemen, die diese A r­ beit angehen, in größerem Zusammenhang oder für sich behandelt. Die deut­ sche Wissenschaft hat sich seit dem Ausgang des vorigen Jahrhunderts auf diesem Gebiet besonders um die Ausgabe der Quellen und um die Geschichte der germanischen Völker auf gallischem Boden verdient gemacht. H ier ragen Namen wie Theodor Mommsen, dessen Lebenswerk sich auch auf diese späte Zeit erstreckte, Bruno Krusch und Ludwig Schmidt hervor. Die Forschung der Franzosen hat uns mit N . D. Fustel de Coulanges, Camille Ju llian und Ferdinand Lot in glänzender Weise Bild und Entwicklung des spätrömischen und fränkischen Gallien nähergebracht. Bedeutende Gelehrte anderer N atio­ nen wie Sir Samuel Dill, Godefroid Kurth und Johannes Sundwall schlos­ sen sich an. Aber erst in jüngster Zeit hat die Fachwissenschaft Begriff und Grenzen der Spätantike überhaupt näher bestimmt und in ihr statt einer blassen Übergangszeit eine Epoche von eigener Größe sehen gelernt, von der wie von einem Brennpunkt alles ausstrahlt, was späterhin europäische Geschichte und europäische Kultur heißt. Und wenn uns auch heute noch trotz Seeck, Bury und Stein eine Darstellung in großem Stile fehlt, so be­ sitzen wir doch geistvolle Werke wie das Christopher Dawsons mit dem be­ zeichnenden Titel „The making of Europe“ und Henri Pirennes „Mahomet et Charlemagne“ , in denen die inneren Zusammenhänge dieses Zeitraums und seine Verknüpfung mit dem frühen Mittelalter aufgezeigt werden. Aber die Spätantike birgt noch weite Gebiete in sich, die auf eine eingehendere Untersuchung warten. In diesem Sinne soll im folgenden versucht werden, den senatorisdien Adel des spätantiken Gallien in seiner Gesamtheit als ge­ schichtliche Erscheinung zu würdigen.

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L G A L L I E N , REICH U N D RE IC H SA R IS T O K R A T IE IM V IE R T E N J A H R H U N D E R T Als um die Wende vom drittel! zum vierten Jahrhundert die römische Welt durch Diokletian neu geordnet wurde, konnte das gallische Land schon auf eine lange Zeit römischer Herrschaft zurückblicken. Die Geschichte des römischen Gallien begann im Jahre 12 1 v. Chr. Damals entschloß sich Rom nach vierjährigen schweren Kämpfen^ die es für seinen Bundesgenossen Massilia gegen die mächtigen Keltenstämme der Arverner und Allobroger ausgetragen hatte, zur endgültigen Festsetzung in Südgallien. Die Gründe dazu waren zwingend. Massilia besaß nicht die K raft, um von sich aus allein die wichtige Landverbindung von Italien nach Spanien zu sichern. So wurde jetzt die vom Genfer See bis zu den Pyrenäen reichende Provinz Gallia Narbonensis geschaffen. In erster Linie auf den Schutz seiner Ver­ bindungslinien am Mittelmeer bedacht, hat sich damit das römische Reich in Gallien zunächst auf die Gebiete am Mittelmeer und das ihm zugekehrte Rhonetal beschränkt. Erst Cäsar ist mit seinen Feldzügen in den kontinen­ talen gallischen Raum hineingestoßen und hat ihn 'in seiner ganzen Aus­ dehnung der römischen Herrschaft unterworfen. Von da an gehörte Gallien ein halbes Jahrtausend lang zum Imperium Romanum. Es wurde zum wich­ tigsten Gliede des Reiches im Westen und erhielt für alle Zeiten die Züge eines romanisierten Landes. Schon Cäsar bemühte sich um die vorläufige Regelung der gallischen Verhältnisse, die endgültige Neuordnung blieb aber Augustus Vorbehalten. Von ihm stammte die drei Jahrhunderte in Geltung bleibende Gliederung Galliens in die alte Narbonensis, die dem Senat zurück­ gegeben wurde, die Tres Galliae, die durch kaiserliche Statthalter verwaltet wurden, und die militärisch besetzten germanischen Grenzprovinzen. Wah­ rend in der Narbonensis ein dichtes Netz römischer Kolonien eine rasche Romanisierung förderte, so daß nach dem bekannten Worte des älteren P li­ nius diese Landschaften schon im ersten Jahrhundert n. Chr. eher Italien als einer Provinz glichen, baute in den Gebieten nördlich und westlich davon die römische Organisation auf den Vorgefundenen einheimischen Stammes­ gemeinden auf. Die lange, ununterbrochene Dauer der römischen Herrschaft ließ aber auch im mittleren und nördlichen Gallien den Einfluß Roms zu voller Wirkung kommen. Am Ende des dritten Jahrhunderts besaßen nicht nur der Süden, sondern auch die Tres Galliae und die germanischen Grenzpro­

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vinzen eine städtische Gliederung. Auch hier hatte also die Romanisierung inzwischen große Fortschritte erzielt, wenn auch nicht überall in gleichem Maße. Die durch Diokletian vorgenomfnene neue Verwaltungseinteilung des gallischen Landes paßte sich dem an, indem sie das jetzt durch und durch römische Aquitanien mit der alten Narbonensis zur Diözese von Vienne ver­ einigte, während die in weiten Teilen schwächer romanisierten nordgallischen und germanischen Provinzen in der dioecesis Galliarum zusammengefaßt wurden12). Die Romanisierung Galliens vollzog sich unter dem kraftvollen Schutz der römischen Rheinarmee. Die Rheingrenze, zunächst ein Ausfallstor gegen Germanien, wurde nach dem Mißlingen der germanischen Politik des A u ­ gustus eine der wichtigsten Verteidigungslinien, des Reiches. H ier waren stets ansehnliche Streitkräfte versammelt, um den germanischen Drude gegen den nordwestlichen Eckpfeiler des Imperiums abzuwehren. Erst in den Wir­ ren* des dritten Jahrhunderts wurde Roms Stellung am Rhein ernsthaft er­ schüttert. Das Dekumatland ging verloren (um 260), alamannische und frän­ kische Scharen überschritten die Grenzen und drangen bis in das südliche Gallien vor. In dieser Not griffen die Gallier zur Selbsthilfe. Das gallische Teilreich des Postumus und seiner Nachfolger (259 bis 274) suchte von sich aus die Rheingrenze zu halten und erlag erst der unter Aurelian wieder­ erstarkten Reichsgewalt. Nach dem Tode dieses Herrschers traf Gallien ein neuer, harter Schlag. Der große Germaneneinfall des Jahres 276, der Fran­ ken und Alamannen bis zu den Alpen und Pyrenäen brachte, wurde zu einer der schwersten Katastrophen in der gallischen Geschichte. Wohl konnte Kaiser Probus am Rhein wie an den anderen Grenzen die bedrohlichsten Gefahren abwenden, aber sein frühes Ende raubte dem Reiche die Früchte seiner Siege. Als Diokletian im Frühjahr 285 die Alleinherrschaft errungen hatte, traf er sofort Maßnahmen, die der hohen Bedeutung Galliens für das Imperium gerecht wurden. E r sandte seinen fähigen Feldherrn Maximian in das von Bagaudenunruhen geschüttelte Land und erhob ihn nach deren Niederwerfung (286) zum gleichberechtigten Mitregenten in der Stellung eines Augustus. Maximian und sein späterer Cäsar Konstantius haben sich auch weiterhin große Verdienste um den gallischen Reichsteil erworben. In erfolgreichen Kämpfen gegen die Germanen wurde Roms Macht am Rhein wiederhergestellt und die Grenzbefestigung erneut ausgebaut. Um das Ja h r 300 herrschten in Gallien nach langer Zeit wieder geordnete Verhältnisse, und nicht mit Unrecht konnten zeitgenössische Panegyriker die beiden H err­ scher als Retter und Helfer Galliens feiern, die das Land zu seinem eigenen Heile wieder zum Gehorsam gegenüber dem Reich zurückgeführt hatten*). 1) H. Nesselhauf, Die spätrömisdie Verwaltung der gallisch-germanischen Länder (Abh. d. preuß. Akad. d. Wissensdi., phil.-hist. K l. 19)8, 2), Berlin 1938, 5 ff. 2) Paneg. Lat. 7, 8, 3. — C. Jullian, Histoire de la Gaule IV *, Paris 1924, 570 ff.; VII, Paris 1926, 3 ff. O. Seedc, Geschichte des Untergangs ' der antiken Welt I*, Berlin 1910, 23 ff. E. Stein. Geschichte des spätrömischen Reiches I, Wien 1928, 93 ff. F. Altheim. Die Soldatenkaiser, Frank­ furt a. M. 1939, 63 ff., 176 f.; Die Krise der alten Welt III, B e rlin '1943, 177 ff.

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Als Cäsar einst neben anderen seiner Günstlinge auch Galliern die senatorische Wurde verschafft hatte, wurde ihm diese Aufnahme von „H albbarbaren“ in den Senat als Verstoß gegen den patrius mos zum schweren Vorwurf gemacht8). Mit diesem willkürlichen Vorgehen war er seiner Zeit vorausgeeilt. Ein Jahrhundert nach ihm w ar es allerdings schon zur gewohn­ ten Erscheinung geworden, daß auch Gallier unter den Senatoren waren. In dieser Entwicklung drückte sich die fortschreitende Romanisierung der gal­ lischen Oberschicht aus; sie hatte demgemäß in der Narbonensis früher und umfassender eingesetzt als in den Tres Galliae. Im narbonensischen Gallien gab es schon zu Cäsars Zeit Männer aus der einheimischen Bevölkerung, die dem Ritterstande angehörten, und nicht viel später auch Senatoren, von denen der eine oder andere schon vor der Mitte des ersten Jahrhunderts n. Chr. bis zum Konsulat aufst.eigen konnte4). Unter den letzten Kaisern des julisch-klaudischen Hauses und unter den Flaviern stellte die Gallia Narbonensis zusammen mit dem ebenfalls schon tief romanisierten Süd­ spanien den Hauptanteil der aus den Provinzen kommenden Senatoren5). In den Tres Galliae dagegen, wo dçr römische Einfluß noch nicht so wirksam war, begann diese Entwicklung erst später. Die maßvolle Politik Roms hatte hier den einheimischen Adel, selbst da, wo er sich zu Anfang den neuen Herren gegenüber feindselig eingestellt hatte, nicht aus seiner alten Stellung verdrängt, sondern ihn im Gegenteil durch weitherziges Entgegenkommen für die römische Sache zu gewinnen verstanden6). Diese kluge Haltung hat dazu geführt, daß sich Gallien in seiner Gesamtheit rasch in das Imperium einzüfügen lernte. Die gallischen Aristokraten hatten bald nach der Unter­ werfung des Landes unter die römische Herrschaft das Bürgerrecht erhal­ ten7) und begannen sich schon unter Augustus und seinen Nachfolgern in ihrer Mehrheit als Römer zu fühlen. Die senatorische Laufbahn blieb ihnen aber noch verschlossen, so daß es außerhalb der Bürgerstadt Lugudunum in der Gallia Comata keine Senatoren gab8). Kaiser Klaudius, dem sein Ge­ burtsland Gallien besonders am Herzen lag, hat jedoch auch dieses Hinder­ nis weitgehend beseitigt. Im Jahre 48 setzte er sich für die Erteilung des ius honorum an die gallischen Großen ein, und der Senat billigte es zunächst den Häduern zu, die man schon zur Zeit der Republik als Brüder und Bluts­ verwandte des römischen Volkes bezeichnet hatte8). Nach der Mitte des ersten Jahrhunderts mag also den Galliern diesseits und jenseits der Grenze V , 3) Sueton. Ju l. 76, 3; vgl. 80, 2. 4) H. Dessau, Hermes 4$ (19x0) 10 f. A. Stein, Der römische Ritterstand (Münchn. Beitr. z. Papy­ rusforsch. u. ant. Rechtsgesdh. 10), München 1927, 383 ff. / 5) Vgl. S. J. De Laet, De samenstelling van den Romeinschen Senaat gedurende de eerste eeuw vin het principaat (Rijksuniversiteit te Gent, Werken uitgegeven door de Faculteit van de Wijsbegeerte en Letteren 92), Antwerpen 1941, 281. B. Stech, Senatores Romani, qui fuerint inde a Vespasiano usque ad Traiani exitum (Klio Beiheft to), Leipzig 1912, 176. 6) Vgl. z. B. F. Münzer R E XIII 1696 f. (Lucterius). 7) Dazu Tac. Ann. 1 1, 23, 1; vgl. 3, 40, 1. , 8) In seiner Rede für das ius honorum der Gallier erwähnt Kaiser Klaudius, dafi cs schon vor dem Jahre 48 n. Chr. Senatoren aus Lyon gab, C IL XIII 1668, II 29. . 9) Tac. Ann. 1 1 , 23 ff. CIL XIII 1668. Vgl. M. P. Charlesworth CAH X 676 f., dort 976 f. weitere Literatur.

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der Narbonensis der Weg zu den hohen römischen Wurden in gleicher Weise offengestanden sein. Dabei ist es jedoch auffallend, in welchem Maße auch nach Klaudius unter den Senatoren gallischer Abstammung die Männer aus den Tres Galliae der Zahl nach zurücktreten; die überwiegende Mehrheit kam nach wie vor aus der Narbonensis10). Der städtereiche, Römertum und Mittelmeerwelt enger verbundene Süden wird sich von Reichsdienst und Reichswürden mehr angezogen gefühlt haben als das ländliche Mittel- und Nordgallien. Die Berichte Casars über den inneren Aufbau der Völkerschaften Galliens zur Zeit der römischen Eroberung haben mit den Schilderungen, die Salvian aus dem spätrömischen Gallien des fünften Jahrhunderts entwirft, viele Züge gemeinsam. Im sechsten Buche seines gallischen Krieges zeidmet Cäsar in eindrucksvollen Sätzen ein Bild der feudalen Gliederung des Keltentums im freien G allien11). Die breite Masse der Bevölkerung war demnach ver­ schuldet, mit drückenden Abgaben belastet und der Willkür der Mächtigen' ausgeliefert. Sie hatte keinerlei Einfluß auf die politischen Geschehnisse; ihre Lage ließ sich nahezu als rechtlose Unfreiheit bezeichnen. Um so beherrschen­ der war dafür die Stellung der keltischen Oberschicht. Neben der Priester­ schaft der Druiden, welche die Beziehungen zu den Gottheiten vermittelte, die geistige Führung der Volker in ihren Händen hielt und auch mit richter­ licher Gewalt in staatliche und private Angelegenheiten eingriff, stand ein kriegerischer Adel. Im Verlauf der Kämpfe Cäsars mit den Galliern begeg­ net uns mancher dieser aus altem Geschlecht stammenden Großen. Ihre Macht beruhte auf ihrem Besitz und der mitunter nach Tausenden zählenden Schar ihrer Hörigen und Gefolgsleute. Vor anderen bekannt sind der Helvetier Orgetorix und der Häduer Dumnorix, denen ihr adeliges Ansehen, ihr auf skrupellose Weise aus den öffentlichen Einkünften gemehrter Reichtum, ihre berittenen Gefolgschaften und nicht zuletzt ihre vielverzweigten verwandt­ schaftlichen Beziehungen zu anderen gallischen Adelsgeschlechtern eine weit über ihre eigene civitas hinaus gewichtige Stellung sicherten12). Diese Cha­ rakteristik ließe sich weithin auch auf das spätrömische Gallien zur Zeit Salvians anwenden. Wohl hatten mehrere Jahrhunderte römischer Herrschaft genügt, um die gallische Oberschicht völlig zu romanisieren. Das Druidentum war im fünften Jahrhundert kaum noch dem Namen nach bekannt; jetzt lenkte der christliche Bischof die Seelen. Und an Stelle des alten kel­ tischen Adels hatten nun römische Senatorengeschlechter Reichtum und Grund­ besitz des Landes in ihren Händen. Aber wie einst in vorrömischer Zeit, so seufzte auch jetzt die gallische Bevölkerung unter dem Druck einer mäch­ tigen Oberschicht. Nam plebes paene servorum habetur loco, quae nihil

audet per se, nullo adhibetur consilio, plerique, cum aut aere alieno aut magnitudine tributorum aut iniuria potentiorum premuntur, sese in servi10) H. Dessau, a. O. n ff. A. Stein, a. O. 385 f. S. J. De Laet, a. O. 283 f. 11) Cäsar Bell. Gall. 6, 13, 1 ff. 12) Cäsar Bell. Gall. 1, 2, 1 ; 3, 4 f.; 4, 2; 9, 3; 18, 3 tf. und sonst.

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tutem dicant. nobilibus in hos eadem omnia sunt iura, quae dominis in ser­ vos . Diese Worte Cäsars könnten auch Salvian entnommen sein. Bei diesem hören wir wiederum von drückenden Lasten und Steuern, von Willkür und Ungerechtigkeit der Großen, welche die Hilfsquellen des Staates zu ihrem Nutzen verwenden und sich selbst der Belastung entziehen. Wir sehen, wie die Bauern in großer Zahl ihre Unabhängigkeit auf geben und sich und ihr Eigentum adeligen Großgrundbesitzern überantworten, um in ihrem ge­ drückten Dasein wenigstens deren Schutz zu genießen1*). Wiederum treten gallische Adlige mit einem bewaffneten Gefolge auf, dem sie sich wie in der keltischen Zeit durch ein gegenseitiges Treueverhältnis verbunden fühlen. Ihnen gehört das Land, aus ihren Reihen kommen auch die hohen Reichs­ beamten in Gallien. Als Patrone vertreten sie ihre civitates nach außen, als Bischöfe walten sie ihres geistlichen Amtes, greifen aber mitunter auch in die politischen Geschehnisse ein und wahren ihre richterlichen Befugnisse. Wiederum sind die führenden gallischen Adelsgeschlechter durch die engsten Bande des Blutes untereinander verbunden. So herrscht in Gallien in den Jahrzehnten, in denen das Westreich zerfällt, ähnlich der keltischen Vorzeit eine mächtige weltlich-kirchliche Aristokratie, die alle einflußreichen Posi­ tionen im Lande besetzt hält. Die schonende Behandlung, die einst der keltische Adel nach der Erobe­ rung des Landes durch die Römer erfahren hatte, die Tatsache, daß seine Nachkommen schon früh in die führenden Schichten des Reiches einbezogen worden waren, geben zu überlegen, in welchem Umfange man berechtigt ist, zwischen den sich in vieler Hinsicht gleichenden Erscheinungen am An­ fang und am Ende der römischen Herrschaft in Gallien Verbindungslinien zu ziehen. Zw ar brachte in der Narbonensis der lang anhaltende Einfluß, den das griechische Massilia als Einfaüstor fremden Volkstums und fremder Gedanken ausübte, und die Anlage zahlreicher Städte römischen und latinischen Rechts seit dem Ende der Republik im Leben der Völkerschaften des Rhonetales und der Mittelmeerküste tiefgehende Veränderungen mit sich. Schon in der frühen Kaiserzeit hatte das römische Südostgallien seine Ein­ gliederung in die Stadtkultur der Mittelmeerwelt vollzogen. Dagegen wirk­ ten sich im Keltenlande nordwestlich davon, schon innerhalb des Loire­ bogens, die neuen Strömungen nur langsam und abgeschwächt aus. Mittel­ und Nordgallien blieb das Land eines bodenständigen, adeligen Großgrund­ besitzes und mit ihm erhielt sich auch die soziale Verfassung. „Wie Cäsar die gallischen Gemeinden vorfand, mit einer in völliger politischer wie ökono­ mischer Abhängigkeit gehaltenen Volksmasse und einem übermächtigen Adel, so sind sie im vesentlidien auch unter römischer Herrschaft geblieben1314).“ Andererseits sind die dreieinhalb Jahrhunderte, die zwischen der Eroberung Galliens durch Cäsar und dem Beginn der spätrömischen Epoche liegen, ein 13) Salvian. De gubern. Dei 4, 20 ff.; 30 ff. 5, 28 ff.; 38 ff. 14) Th. Mommsen, Römische Geschichte V 7, Berlin 1917, 84. — VglT U. Kahrstedt, Kultur­ geschichte der römischen Kaiserzeit, München 1944, 127 f.

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langer Zeitraum. Er hat genügt, um das Gesicht der römischen Welt von Grund auf zu wandeln. An seinem Ende ist die alte Oberschicht, mit der Rom sein Reich auf gebaut hatte, schon längst verschwunden15). D arf man unter diesen Umständen in den auf ihre altadlige Abstammung stolzen Sena- torengeschlechtern des spätrömischen Gallien die Nachkommen der romanisierten keltischen Aristokratie der frühen Kaiserzeit sehen? Gewiß, manche der spätrömischen Adelshäuser in Gallien rühmen sich eines uralten Stamm­ baums und einer sehr langen Bewährung im Reichsdienst. So begründete in der Mitte des fünften Jahrhunderts ein Angehöriger des gallischen Hoch­ adels in einem Briefe an einen Standesgenossen seinen ererbten Anspruch auf ein hohes Reichsamt (dignitas hereditaria) mit dem Hinweis darauf, daß schon sein Vater und Schwiegervater, sein Großvater und sein Urahn hohe Stellungen im kaiserlichen Dienst bekleidet hätten18). Aber es ist aufschluß­ reich, auf wen diese selbstbewußten Vertreter der senatorischen Reichsaristo­ kratie im damaligen Gallien ihre Ahnenreihen zurückführten. Da finden wir keine heldenhaften Gestalten der keltischen Vorzeit, wie etwa Vercingetorix, oder auch nur alteingesessene Geschlechter ihrer gallischen Heimat. Wenn uns Ausonius dafür Beispiele bietet, indem er seihen Schwiegervater Attusius Lucanus Talisius von den Gründern der Stadt Bordeaux und den Rhetor Attius Patera von den Druiden der Belenustempels in Bayeux abstammen läß t17), so handelt es sich doch wohl in beiden Fällen um keine Senatoren­ familien. Die Häuser des gallischen Hochadels dagegen, die sich vor anderen als Träger römischer Traditionen fühlten, beriefen sich gerne auf glänzende Gestalten der römischen Vergangenheit. So sahen in der zweiten H älfte des fünften Jahrhunderts der praefectus praetorio Galliarum Polemius in dem Historiker Tacitus und der vir spectabilis Leo aus Narbonne in dem Rhetor M. Cornelius Fronto ihre Ahnherren18). Die Pontii, ein im vierten und fünf­ ten Jahrhundert bedeutendes Adelsgeschlecht an der unteren Garonne, führ­ ten sich offenbar auf einen römischen Heerführer aus der Zeit der mithridatischen Kriege zurück19). Diese phantasievolle Ausgestaltung des eigenen Stammbaums w ar auch sonst in der spätrömischen Reichsaristokratie üblich, zumal in Rom selbst. Schon unter der Republik hatten hier patrizische Häuser die Anfänge ihrer Geschlechter bis in mythische Zeiten zurückverlegt20), und die Spätantike wollte nicht dahinter zurückstehen. Wenn am Ende des vierten Jahrhunderts die stadtrömischen Albini D. Clodius Albinus, den Gegenkaiser unter Sep­ is) Hierzu A. Stein, a. O. 359. 16) Sid. ep. i, 3, i. Zum folgenden C. Jullian, a. O. VIII 128 ff. 17) Auson. 15, 10, i ff. (vgl. Prosop. Nr. 380). 1 6, 5, 7 ff. C. Jullian, a. O. 129 A. 4. 18) Sid. ep. 4, 14, i (an Polemius). 8, 3, 3 (an Leo). 19) Vgl. Sid. carm. 22, 158 ff. C. Jullian, a. O. 129 A. 6. A. Loyen, Sidòine Apollinaire e: l’esprit précieux en Gaule aux derniers jours de l'empire, Paris 1943, 89. — Die Pontii dürften aus Italien gekommen sein. Hier hatten sie noch später Grundbesitz, Paul. Noi. ep. 32, 17. Vgl. auch CIL X 1702, wo der consularis Campaniae Pontius Proserius Paulinus als ab origine patronus von Puteoli genannt wird. 20) L. Friedländer — G. Wissowa, Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms I 19, Leipzig 1922, 120 f.

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timius Severus, zu den Ihren zählten21), so mag das nodi glaubhaft erschei­ nen. D ie im Briefwechsel des Hieronymus erscheinende, ebenfalls aus Rom stammende Adlige Paula war dagegen in der Wahl ihrer Ahnen weniger be­ scheiden. Ihr Vater Rogatus sollte angeblich von Agamemnon abstammen, ihre Mutter Blesilla von ,den Scipionen und Gracchen, während ihr Gatte Toxotius die Julier und Aeneas zu seinen Vorfahren zählte2223). In ähnlicher Weise leitete sich Fabiola von den berühmten Fabiern her, während sich Rufius Valerius Messala, der gleichfalls um die Wende vom vierten zuin fünf­ ten Jahrhundert in Rom lebte, bis auf den sagenhaften Freiheitshelden P. Valerius Publicola aus den Anfängen der Republik zurückführte28). Man sieht, ein Gleichklang des Namens konnte genügen, um in einer bekannten Größe der Vergangenheit den Stammvater des eigenen Geschlechtes zu fin­ den. Vielfach bedeutete aber der Ahnherr, den man für sich in Anspruch nahm, zugleich auch Ausdruck und Vorbild des eigenen Wollens und der eigenen Haltung. D ie-der Senatstradition ergebene stadtrömische Aristo­ kratie des ausgehenden vierten Jahrhunderts sah ihre Vorfahren in den Scipionen, Gracchen und Fabiern, der dem Bildungsgedanken in besonderem Maße zugewandte Adel im spätrömischen Gallien in Tacitus und Fronto. Als schließlich im sechsten Jahrhundert der Glaube schwerer wog als Tra­ dition und Bildung, suchte man seine Ahnen unter den Blutzeugen der Kirche24). Bisweilen hat man schon in der Spätantike über diese prunkvollen Stamm­ bäume gelächelt25), denn die wahre Vergangenheit dieser Adelshäuser war meist dunkler und weniger ruhmvoll, als man sich den Anschein geben wollte. Einige der vornehmsten stadtrömischen Geschlechter, wie die Anicii, 'die Albini und die Volusiani, konnten sich wohl mit Recht auf eine tiefer in die Prinzipatszeit zurückführende Reihe adliger Vorväter berufen26). Aber selbst die bekannten Symmachi, die am Ende des vierten Jahrhunderts hervor­ ragende Vertreter träditionsbewußten Römertums stellten, waren keine alte Senatorenfamilie. Ihr ältester uns bekannter Angehöriger, Aurelius Julianus Symmachus, Konsul 330, erscheint noch im Jahre 319 als Inhaber eines rit­ terlichen Reichsamtes. E r kam demnach aus dem Ritterstande oder w ar viel­ leicht sogar hoch niederer H erkunft27). Im spätrömischen Gallien läßt sich kein einziges senatorisches Geschlecht mit Sicherheit über die Zeit Konstan­ tins des Großen zurückverfolgen. Der von den schon genannten Pontii als generis princeps und Erbauer des Stammsitzes in* Südwestaquitanien ver­ 21) SHA Clod. Alb. 4, 1 f. Dazu O. Seeck, Jahrb. f. klass. Philo). 36 (1890) 633. 22) Hieron. ep. 108, 3, 1; 4, 1. 23) Hieron. ep. 77, 2, 3. Rut. Nam. 1, 271 f. 24) So leitete sich am Ende des sechsten Jahrhunderts der aus gallischem Senatorengeschlecht stammende Bischof Gregor von Tours von Vettius Epagathus ab, der im. Jahr« 177 zu Lyon das Martyrium erlitten hatte. Greg. Tur. Lib. vit. patr. 6, i ; vgl. Euseb. Hist. ecd. j, 1, 9 f. 25) Amm. Marceli. 28, 4, 7 zum stadtrömischen Adel des ausgehenden vierten Jahrhunderts. 26) Vgl. die Stammbäume bei O. Seeck, MG A A VI i , X C I, C LX X V . 27) O. Seeck, a. O. X X X IX ff., dazu Hermes 41 (1906) $33 f., wo er die Frage aufwirft, ob die Symmachi nicht sogar reichsfremder Abstammung waren und erst um die Wende vom dritten zum vierten Jahrhundert das römische Bürgerrecht erhielten.

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ehrte Pontius Paulinus lebte in der ersten H älfte des vierten Jahrhunderts*8). Die familia Sabini, zu der nach der Mitte des fünften Jahrhunderts Eutro­ pius, ein Freund des Apollinaris Sidonius und zugleich einer der letzten In ­ haber der gallischen Präfektur, gehörte, benannte sich wahrscheinlich nach Sabinus, dem Konsuln des Jahres 316**). Die Sy agrii, die am Ende der römischen Herrschaft in Gallien eine so bedeutende Rolle spielen, treten zum ersten Male mit Fl. Afranius Sy agrius, Konsul 381, in Erscheinung30). Audi das Geschlecht des Kaisers Avitus und die mit ihm verwandten Apolli­ nares, die beide zu den bedeutendsten Häusern im spätrömischen Gallien zu zählen sind, lassen sich erst mit dem ausgehenden vierten Jahrhundert fassen31). So gewinnt man den Eindrude, daß gerade in Gallien den stolzen senatorisdien Adel der Spätantike der Herkunft nach nur noch wenig mit der dortigen Oberschicht früherer Jahrhunderte verband. In diese Richtung weist auch die Beobachtung, daß in der Zusammensetzung der Reichsaristo­ kratie seit dem Ende des zweiten Jahrhunderts die Länder des Westens zu­ gunsten Afrikas und des Ostens sehr stark zurücktreten, so daß sich von Kaiser Marcus bis auf Diokletian nur zwei gallische Angehörige des Senats nachweisen lassen3*). Der allgemeine Niedergang des dritten Jahrhunderts hatte das vordem so blühende gallische Land besonders hart getroffen; als es zu Ende ging, waren als Folge der Germaneneinfälle, der Bürgerkriege und der Bauernunruhen weite Gebiete entvölkert und einstmals bedeutende Städte wie Augustodunum (Autun) verödet. Die Trümmer dey Landsitze und die zahlreichen Münzschatzfunde aus jener Zeit lassen uns das Los der gallischen Aristokratie ahnen88). Von einem vielleicht bezeichnenden Einzel­ schicksal berichtet der Dichter Ausonius aus der Überlieferung seiner eigenen Familie. Es handelt sich um Caecilius Argicius Arborius, seinen Großvater mütterlicherseits, der einem vornehmen Geschlechte aus der Gegend von Autun entstammte. In den gallischen Wirren um das Jah r 267 hatten dessen18 * 18) Dieser älteste uns bekannte Pontius Paulinus (Prosop. N r. 287) war wohlderGroßvater des Meropius Pontius Paulinus (Prosop. N r. 291), des späteren Bischofs von Noia, vgl. A. Loyen, a. O. 88 f. 29) Sid. ep. 3, 6, 3. O. Seeck, R E IA 1597. Ob dieser Sabinus Gallier war, wissen wir nicht. 30) Zu Fl. Afranius Syagrius Prosop. N r. 368, zu den Syagrii allgemein A. Coville, Recherches sur l'histoire de Lyon du V me siècle au I X me siècle (430—800), Paris 1928, 5 ff. 31) Avitus ist zwischen 395 und 400 geboren, A. Loyen, a. O. 66. Nach Sid. carm, 7, 154 ff. kam er aus einem sehr vornehmen Geschlecht, aber wir kennen nicht einmal Namen und Stellung seines Vaters. Vgl. zu ihm Prosop. Nr. j8. — Die Apollinares nennt Th. Mommsen MG AA V III, XL VII eine familia non vetusta. Sie treten mit Apollinaris, praef. praet. Gail. 408/10 (Prosop. Nr. 20), dem Großvater des Dichters Apollinaris Sidonius, zum ersten Male in den Vordergrund. Nach Sid. ep. 1, 3, 1 war ein noch älterer Angehöriger des Geschlechts im kaiserlichen Hofdienst, wahrscheinlich am Ende des vierten Jahrhunderts in Gallien. Vgl. Stammbaum I. 32) Vgl. P. Lambrechts, La composition du sénat Romain de l'accession au trône d’Hadrien è la mort de Commode (Rijksuniversiteit te Gent, Werken uitgegeven door de Faculteit van de Wijsbegeerte en Letteren 79), Antwerpen 1936, 183 ff. ; ders., La composition du sénat Romain de Septime Sévère à Dioclétien (Diss. Pann. I 8), Budapest 1937, 79 ff., dazu allerdings auch die k ri­ tischen Bemerkungen von F. Vittinghoff, Gnomon 15 (1939) 506 ff. und J. Gagé, Rev. des ét. lat. 1$ (1937) 221. 33) Hierzu C. Jullian, a. O. VII 13 ff. A. Grenier bei T . Frank, An economic survey of ancient Rome III, Baltimore 1937, 496, $76 ff.; ders., Archéologie gallo-romaine'II (Manuel d’archéologie VI 2, 2), Paris 1934, 933 f. Allgemein M. Rostovtzeff, Gesellschaft und Wirtschaft im römischen Kaiserreich (The social and economic history of the Roman Empire, übers, von L. Wickert) II, Leipzig o. J., 143 ff.

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Vater und Großvater Besitz und Leben verloren. Ihm selbst gelang die Flucht nach Südwestgallien, wo er sich zunächst mit einer kümmerlichen Existenz begnügen mußte84). Es ist sehr wahrscheinlich, daß diese wilde Anarchie der ausgehenden Prinzipatszeit im sozialen Leben Galliens einen tieferen Ein­ schnitt herbeiführte als einstmals die Eroberung des Landes durch die Römer oder später die Gründung der germanischen Staaten. Die Neuordnung des Reiches unter Diokletian und seinen Nachfolgern brachte jedoch auch für Gallien wieder bessere Zeiten. Maximian, Diokle­ tians Mitkaiser, gab dem Lande seine innere Ruhe und äußere Sicherheit wieder. In jener Zeit wurde die Verteidigung Galliens neu organisiert, vor allem am Rhein, aber auch an der Atlantikküste, die seit dem Ende des dritten Jahrhunderts durch germanische Unternehmungen zur See gefährdet w ar85). Trier, in der Nähe der bedrohten germanischen Grenze gelegen, wo schon* das gallische Teilreich des Postumus und seiner Nachfolger seinen Mit­ telpunkt gehabt hatte, wurde unter Maximian wieder Kaisersitz und wuchs rasch zu einem der bedeutendsten Zentren des Reiches heran. Im Chrono­ graphen von 354 ist die Stadt neben Rom, Alexandria und Konstantinopel allegorisch als Siegerin über die Germanen dargestellt. Gallien fühlte sich vom Reiche nicht verlassen, solange dort ein Kaiser residierte86). Ebenso wie Maximian wandte dann auch das konstantinisdie Herrscherhaus, vor allem in seinen Anfängen unter Konstantius I. und Konstantin L , dem gallischen Lande seine besondere Aufmerksamkeit zu. Beide Herrscher erfreuten sich unter den Galliern größter Beliebtheit34 3738 *36 ). Unter Konstantins Sohn Konstans hatte sich schließlich die Lage an der Rheingrenze so sehr gefestigt, daß län­ gere Jahre hindurch keine militärischen Operationen mehr notwendig waren. Und als' in der Mitte des vierten Jahrhunderts die Usurpationen des Magnen­ tius und Silvanus wiederum das Eindringen der Germanen in Gallien be­ günstigt hatten, sicherten die glänzenden Waffentaten Julians die gallischen Grenzen des Reiches aufs neue. Nachdem im Jahre 367 Valentinian I. seinen Sitz in Trier aufgeschlagen hatte, wurde die Stadt noch einmal für einige Jahrzehnte der Verwaltungsmittelpunkt des Westens. Auch dieser Kaiser hat seine Herrschertätigkeit voll in den Dienst der Verteidigung Galliens gestellt, die Rheinbefestigungen noch einmal neu angelegt und das Ansehen der römischen Waffen durch erfolgreiche Feldzüge über den Strom gewahrt. Unter ihm und seinem Sohne Gratian erreichte das spätrömische Trier, domicilium principum darum, urbs Gallorum opulentissima, seine höchste Blüte88). Die feste, zielbewußte Grenzpolitik der Herrscher des vierten Ja h r­ hunderts bedeutete für die Gallier eine dankbar entgegengenommene Sidie34) Auson. 15, 6, 2 ff. 3j) Vgl. H. Nesselhauf, a. O. 48 ff. 36) Ober das sp'ätrömische Trier jetzt Rau RE VI A 2340 ff. Zum Chronographen von 354 vgl. O. Seeck R E III 2477 f. 37) Hierzu Eutrop. Brev. 10, 1, 3; 3, 2. C. Jullian, a. O. VII 72 ff., 99 ff. A. Piganiol, L ’em­ pereur Constantin, Paris 1932, 43 ff. 38) Trier als domicilium principum darum bei Amm. Marceli. 15, 1 1, 9, als urbs Gallorum opulentissima noch /bei Salvian. De gubern. Dei 6, 75. — Vgl. allgemein C. Jullian, a. O. VII passim.

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rung ihres Daseins. Unter ihrem Schutze erhoben sich Städte und Landsitze wieder aus den Trümmern, H andel und Gèwerbe wurden neu belebt und die Bevölkerung wuchs wieder an. So sparten die gallischen Panegyriker nicht an Lob für die Retter ihrer Heimat. „Nicht durch die Fluten des' Rheins, sondern durch den Schrecken, den .dein Name verbreitet, werden wir geschützt!“ , rief ein G allier Konstantin zu, und nicht anders klang es, wenn von den Siegen Julians gesprochen w urde59). Wenn sich, wie wir sahen, keines der großen Senatorengeschlechter im spätrömischen Gallien über das beginnende vierte Jahrhundert zurückverfolgen läßt, so liegt dies nicht nur in der dürftigen Quellenlage begründet. Es ist zugleich ein Hinweis auf die tiefgreifenden sozialen Veränderungen in den unruhigen Zeiten des Soldatenkaisertums. Der alte Senatsadel w ar ihnen im großen und ganzen erlegen. Das gilt nicht nur für Gallien, son­ dern auch für das gesamte Imperium. Die spätrömische Reichsaristokratie hatte so mit dem Senatorenstand der Vergangenheit, dessen Namen sie trug und dessen Tradition sie fortsetzen wollte, wenig mehr gemeinsam. Sie w ar im wesentlichen ein Neuadel, der sich seit Konstantin dem Großen bildete und auf dessen Entstehung und Zusammensetzung das Kaisertum entschei­ denden Einfluß ausübte40). Gewiß enthielt die neue Oberschicht auch alte senatorisdie Familien, vor allem in Rom selbst, wo von den führenden Häu­ sern die Erinnerung an die einstige Größe des Senats stets gepflegt worden war. Dazu traten Angehörige ritterlicher Geschlechter, aus denen sich der Senatorenstand von jeher vorzugsweise ergänzt hatte41). Aber zu diesen Resten der alten Aristokratie kamen jetzt laufend Elemente aus den mitt­ leren und unteren Schichten der Reichsbevölkerung. Besonders erstrebens­ wert war der Aufstieg in den ordo senatorius für die Kurialen, die sich auf diese Weise ihrer drückenden Verpflichtungen entledigen konnten. Gegen das Uberhandnehmen dieser Versuche hatte die kaiserliche Gesetzgebung des vierten und fünften Jahrhundets einen ununterbrochenen K am p f zu füh­ ren45). Doch selbst: Männer einfachster Herkunft waren bei der Bildung des neuen senatorischen Reichsadels in großer Zahl vertreten. A u f sie griffen die Herrscher des vierten Jahrhunderts, besonders Valentinian I., bei der Aus­ wahl der Würdenträger des Imperiums in ganz anderem M aße als früher und auch später zurück und führten sie damit in den obersten Stand ein. Kaiserliche Gunst und eigene Tatkraft oder Rücksichtslosigkeit ebneten ihnen den Weg bis zu den höchsten Stellen45). 39) Paneg. 6, 1 1, 1. Mamert. grat. act. Jul. 3 f. — C. Jullian, a. O. 88 ff. A . Grenier bei T . Frank, An economic survey III 592 ff. 40) Zum spätrömisch'en Senat vgl. £ . Kuhn, Die städtische und bürgerliche Verfassung des Römischen Reichs bis auf die Zeiten Justinians I, Leipzig 1864, 174 ff. Ch. Lécrivain, Le sénat romain depuis Dioclétien à Rome et à Constantinople, Paris 1888. O’ Brien Moore R E Suppl. VI 79J ff. E. Stein, a. O. 183 ff., 337 ff. A. Piganiol, L ’Empire chrétien, Paris 1947, 34j ff. 41) A. Stein, a. O. 195 ff. 42) Vgl. CTh 12, i De decurionibus, passim. Ch. Lécrivain, a. O. 37 ff. 43) C J 12, i, 9 (Valentinian I. und Valens 364/5): Libertorum filios adipisci clarissimam digni* tatem non prohibemus. Vgl. Amm. Marceli. 28, 1, 42. Aus Ammianus Marcellinus, Libanius und Symmachus ließe sich eine lange Reihe von Emporkömmlingen unter den hohen Reichsbeamten des vierten Jahrhunderts zusammenstellen.

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D er senatorisdie Reichsadel der spätrömischen Zeit sollte nach dem 'Wil­ len der Herrscher alle führenden K räfte des römischen Staates in sich auf­ nehmen. In diese Richtung wiesen schon die Schritte, die Konstantin nadi seinem Siege über Maxentius im Jahre 3 12 unternahm. Damals wurden von ihm optimates viri aus allen Provinzen in de;i Senat eingeführt, „um Glanz und Würde des Senats nicht dem Namen nach, sondern in Wirklichkeit zu erhöhen, indem er aus der Blüte des ganzen Erdkreises bestehe“ 44). So ver­ schwand auch seit diesem Kaiser die althergebrachte Trennung zwischen senatorischer und ritterlicher Laufbahn im Reichsdienst. Wohl gab es weiter­ hin Ämter, die mit der ritterlichen Würde des Perfektissimats verbunden waren, aber sie wurden mehr und mehr auf die unteren Stufen der Beamtënhierardiie beschränkt454 ). In der ausgehenden Prinzipatszeit waren die Sena­ 6 toren aus der Verwaltung der Provinzen verdrängt und unter Gallienus auch vom Heeresdienst ausgeschlossen worden45). Jetzt setzte die umgekehrte Entwicklung ein. Noch vor dem Ende des vierten Jahrhunderts erhielten nacheinander alle führenden Stellungen in Verwaltung und Heer senatorischen Rang. Und selbst Angehörige untergeordneter Beamtenklassen wur­ den bei ehrenvollem Ausscheiden von den Kaisern vielfach in den Senatoren­ stand aufgenommen47). Der neue senatorisdie Reichsadel wurde damit zum eigentlichen Träger des Reichsdienstes. Ihm gehörten alle Inhaber der hohen Reichsämter an, sei es, daß sie schon von vornherein Mitglieder senatorischer Häuser waren oder aber erst durch die Bekleidung einer solchen Stellung die damit verbundene senatorisdie Würde erhielten. Die senatorisdie Reichsaristokratie, zu der sich auch die Kaiser selbst zähl­ ten48), fühlte sich als die Herrenschicht der römischen Welt. Sie setzte sich jetzt trotz der zahlreichen neuen Elèmente in ihren Reihen noch mehr als früher von der Masse der Reichsbevölkerung ab. Wenn in der Vergangen­ heit Brauch und Gesetzgebung der Vererbung des senatorisdien Rangs ge­ wisse Grenzen gesetzt hatten, so war der Senatorenstand des spätrömischen Reiches ein Erbadel. Eine möglichst in jeder Generation sich wiederholende Bewährung im Reichsdienst wurde wohl gerade von den führenden Sena­ torengeschlechtern angestrebt, war aber nicht mehr Voraussetzung für die Beibehaltung der Würde. War diese einmal auf dem Weg über den kaiser­ lichen Dienst erworben, so blieb sie für alle Zeiten bei den Nachkommen des neuen Senators49). Auch hierin zeigte sich die Neigung der spätrömischen Zeit zu kastenmäßiger Festlegung der einzelnen Bevölkerungsschichten. Diese führte dann mit der Ausweitung des Senatorenstandes nach der Mitte des 44) Nazar, paneg. 35, 2; vgl. paneg. 12, 20, 1. 45) Ch. Lécrivain, a. O. 24 ff. W. Enßlin RE X IX 680 ff. 46) E. Stein, a. O. 66 ff. F. Altheim, Krise III 188 ff. 47) Ch. Lécrivain, a. O. 18 f., 46 ff. 48) Vgl. CTh 9, 2, i (Julian 362); 14, 3 praef. (Arcadius und Honorius 397). 12, 1, 180 (Hono­ rius und Theodosius II. 416). 49) C J 12, i, ii (377): cum autem paternos honores invidere Eliis non oportet, a senatore vel solo clarissimo susceptum in clarissimatus sciendum est dignitate mansurum. CTh 6, 2, 13 (383): senatorium consecutus nostra largitate fastigium vel generis felicitate sortitus ,. . .

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vierten Jahrhunderts zur Bildung neuer Rangklassen innerhalb des Reichs­ adels. Höher als die clarissimi, deren Titel ursprünglich alle Senatoren schlechthin bezeichnet hatte, jetzt aber entwertet wurde, standen nun die (clarissimi et) spectabiles, über diesen wiederum die (clarissimi et) illustres, die in Zukunft den Hochadel der Senatsaristokratie bildeten. Aber auch noch innerhalb der einzelnen Rangklassen gab es sorgfältig beachtete Abstufun­ gen in großer Z a h l50). Schon Konstantin hatte dem neuen Senatorenstand besondere Lasten auf­ erlegt51). Eine sehr kostspielige Angelegenheit war die Bekleidung der Quästur bzw. Prätur in der Hauptstadt, der sich der junge clarissimus, der Sproß eines senatorischen Hauses, unterziehen mußte, ehe er in den Senat selbst eintreten konnte. Es handelte sich hier nur noch dem Namen nach um Ämter, in Wirklichkeit w ar es eine Art Abgabe für den Unterhalt der Spiele und öffentlichen Bauten, die von den welliger begüterten Senatoren als sehr drückend empfunden wurde und der man sich darum gerne zu entziehen suchte. A uf dem senatorischen Grundbesitz lastete die collatio glebalis, eine nach dem Vermögen abgestufte Sondersteuer, die neben der allgemeinen Grundsteuer zu bezahlen war. Außerdem hatten die Senatoren bei bestimm­ ten Anlässen das aurum oblaticium als Ehrengeschenk an den Kaiser zu ent­ richten52). Bedeutsamer jedoch als diese Pflichten waren die clarissimae pri­ vilegia dignitatis. Die Angehörigen des Senatorenstandes genossen den be­ sonderen Schutz der Kaiser, die auch durch ihre Gesetze bestrebt waren, Rechte und Ansehen des Reichsadels hochzuhalten58). Die Rechtsprechung billigte den Senatoren in mancher Hinsicht eine Sonderstellung zu. Der Grundsatz actor rei forum sequitur wurde für sie, die ihren Gerichtsstand in Rom hatten, so ausgelegt, daß sie in Zivilsachen nur in der Hauptstadt selbst vor dem praefectus urbi belangt werden konnten, wodurch sicher in vielen Fällen ein Verfahren überhaupt unmöglich gemacht wurde54). Im Strafrecht hatte sie ein Gesetz Konstantins des Großen in den Provinzen der ordentlichen Gerichtsbarkeit unterworfen. Aber seit 376 blieb den Provinz&atthaltern nur noch die Voruntersuchung; das Urteil selbst fällte der praefectus urbi unter Beisitz von fünf Standesgenossen. Folterung war bei Senatoren nicht zugelassen55). Von den schweren munera der Kurialen, die diese oft bis zur wirtschaftlichen Selbstaufopferung zu tragen hatten, waren die Senatoren, wo auch immer sie ihren Wohnsitz hatten, selbstverständlich frei. Ein in der Mitte des vierten Jahrhunderts erlassenes kaiserliches Gesetz befreite den senatorischen Grundbesitz auch von den munera sordida, extrajo) E. Stein, a. O. 337 ff. W. Enßlin R E III A 1552 ff. Berger R E IX 1070 ff. 31) Zosim. 2, 38. 52) O’Brien Moore R E Suppl. VI 797. O. Seedt R E IV 365 ff. Ch. Lécrivain, a. O. 70 f.,8i f. 53) CTh 9, 2, i (Julian 362): Jus senatorum et auctoritatem eius ordinis, in quo nos quoque ipsos esse numeramus, necesse est ab omni iniuria defendere. Vgl. im einzelnen Ch. Lécrivain, a. O. 80 f. 54) CTh 2, i, 4 (364). Zur Bewertung von C J 3, 24, 2 vgl. gegen Th. Mommsen, Römisches Staatsrecht IIa, Leipzig 1887, 1069 E. Stein,a. O. 183 A. 2. jj) CTh 9, i, i