Der scholastische Wortschatz bei Jean de Meun: Die Artes liberales 9783111328539, 3484520345, 9783484520349


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German Pages 229 [232] Year 1972

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VORWORT
INHALTSVERZEICHNIS
EINLEITUNG
A.WÖRTER UND BEGRIFFE
Β. ZUSAMMENFASSENDE BEMERKUNGEN
C. EXKURS: DIE VORLAGEN JEANS DE MEUN
LITERATURVERZEICHNIS
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Der scholastische Wortschatz bei Jean de Meun: Die Artes liberales
 9783111328539, 3484520345, 9783484520349

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B E I H E F T E ZUR Z E I T S C H R I F T FÜR R O M A N I S C H E P H I L O L O G I E BEGRÜNDET VON GUSTAV FORTGEFÜHRT

VON WALTHER

HERAUSGEGEBEN

VON KURT

129. Heft

GRÖBER

VON

WARTBURG

BALDINGER

GISELA HILDER

Der scholastische Wortschatz bei Jean de Meun Die Artes Liberales

MAX NIEMEYER VERLAG T Ü B I N G E N 1972

D7

ISBN 3-484-52034-5 © Max Niemeyer Verlag Tübingen 1972 Alle Rechte vorbehalten. Printed in Germany Herstellung durch Papierhaus Mack Grafischer Betrieb Schönaich Einband von Heinr. Koch Tübingen

Meiner Mutter in Liebe und Dankbarkeit zugeeignet

VORWORT

Die vorliegende Arbeit ist auf Anregung von Herrn Prof. G. Ineichen hin verfaßt worden, der sie in ihrer Entstehung verfolgte und förderte, indem er stets Zeit und Rat zur Verfügung stellte. Dafür sei ihm an dieser Stelle mein aufrichtiger Dank ausgesprochen. Kein geringerer Dank gebührt Herrn Prof. W. Richter, der die Studie vollständig eingesehen hat, mir nicht wenige Hinweise zu Fragen des Aufbaus und Inhaltes gab und in manchem Einzelpunkt klarer sehen half. Herrn Prof. K. Baldinger danke ich für die freundliche Aufnahme der Dissertation in die Beihefte der „Zeitschrift für Romanische Philologie" und dem Max Niemeyer Verlag für sein großes Entgegenkommen bei der Drucklegung. Ein weiteres Dankeswort richtet sich an die Mitarbeiter der Göttinger Universitätsbibliothek, die bereitwillig bibliographische Auskunft erteilten und Bücher beschaffen geholfen haben. Nochmals Herrn Prof. Richter gelten diese letzten Worte des Dankes, da er in unermüdlicher Hilfsbereitschaft gemeinsam mit mir die Korrekturfahnen gelesen hat. G.H.

VII

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort Einleitung

VII XI

A. Wörter und Begriffe 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37.

acordance affirmacion-negacion angle apaience aplanos arguer aucteur autentique cavillacion celestre-celestial cercle (astronomisch) cercle (mathematisch) circonference-circulier conclure conclusion consequence constellacion convertibilite-convertible creance defenir desputer determiner diffinicion-defenissement duplicite eclisse eclisser elenche entencion (estele) errant-(estele) erreur escorce-moele escrivain especial-general especiaument estuide excepcion

1 3 6 8 13 15 17 22 27 31 32 36 38 39 43 46 48 51 54 58 60 66 70 72 73 76 78 80 82 83 84 88 90 92 94 97 99

fichiee

figure IX

38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56.

Χ

figure de diccion generaument integument juigier lecture lire monteplier oposicion parabole pratique-theorique prouvable roe sillogime sofime-sofisterie ton transcrivre triangle universite zodiaque

102 104 106 110 113 116 127 128 129 130 136 141 145 148 155 161 162 164 168

B. Zusammenfassende Bemerkungen

170

C. Exkurs: Die Vorlagen Jeans de Meun

185

Literaturverzeichnis

197

EINLEITUNG

Die vorliegende Studie befaßt sich mit dem afr. „Rosenroman" (Rr), im besonderen mit der Fortsetzung Jeans de Meun (JdM). Ausgangspunkt der Untersuchung ist das Vokabular der artes liberales. Dieses Vokabular wird auf einen Bestand reduziert, der als scholastisch anzusprechen ist. Wichtig ist dabei die Frage, welche Bedeutung JdM als Vermittler dieses literarisch-gelehrten Wortschatzes im Afr. zukommt. Der Rr ist das Werk zweier Dichter. Guillaume de Lorris verfaßte den ersten Teil (Rr 1-4058), der, anknüpfend an spätantike allegorische Dichtung, wie sie bei Prudentius, Martianus Capella und Boethius begegnet, einen Versroman in freier Anlehnung an die antike Elegie, vor allem an ovidianische Liebeskunst und -lehre darstellt. An dieses ca. 1230 entstandene unvollendete Werk fügte JdM eine umfangreiche Fortsetzung (Rr 4059-21780), die Ende der siebziger Jahre ihren Abschluß gefunden haben dürfte. Während der erste Teil des Rr, über dessen Verfasser keine biographischen Details vorliegen, einen von klassischer Dichtung und höfischem Geist geprägten Poeten erkennen läßt, einen Schüler des im 12. Jh. in den französischen Kloster- und Kathedralschulen aufblühenden Humanismus, bezeugen die anschließenden Verse einen erheblichen Wandel der Mentalität, der weniger in dem zeitlichen Abstand einer Generation als in der Bildung des Verfassers seinen Grund findet. Dieser Behauptung seien, ehe sie näher begründet wird, als kontrastiver Leitfaden einige Aussagen gegenübergestellt, wie sie in Handbüchern anzutreffen sind, um JdM' Werk geistesgeschichtlich verständlich zu machen. Dort heißt es, JdM' Bildung beruhe auf der Enzyklopädie Alains de Lille, Johannes' von Salisbury und Jeans de Hauville, während er von der zeitgenössischen Scholastik unberührt geblieben sei (P. Zumthor im DLF). An anderer Stelle wird ausdrücklich gesagt: „JdM ist L i t e r a t , . . . nicht Universitätsphilosoph" (CurtEL 478). Dies trifft nicht zu. Allerdings sind JdM die auctores nicht weniger als Guillaume de Lorris vertraut; darüber hinaus aber kennt und verarbeitet er nicht nur literarische, sondern auch fachwissenschaftliche lt. Schriften des 12. und 13. Jh. in einem weitaus größeren Umfang, als Quellenstudien dies bisher nachgewiesen haben. Unbestreitbar ist der Rr in seiner Anlage der Dichtung Alans nachgebildet, und nicht wenige Verse gehen direkt auf diese zurück; auch der Charakter der Lehrdichtung bleibt durchweg gewahrt. Aber von einer Unterweisung in LiebesXI

dingen geht JdM zur Ausbreitung enzyklopädischen Wissens über, so daß in dem Teil, der mit dem Bericht von Faus Semblanz beginnt und mit Natures Beichte endet (Rr 10952-19326), die Allegorie häufig wissenschaftlicher Didaktik weicht; dies gilt erst recht für die Unterhaltung zwischen Raison, Fille Deu le souverain pere (Rr 5816), und dem Liebhaber (Rr 4221-7230). Nicht Liebeskasuistik bildet das zentrale Thema, sondern gesellschaftliche, ethische, theologische, philosophische, metaphysische, logische, astronomische, geographische und andere Probleme werden aufgeworfen und diskutiert. Selbst in den dazwischenliegenden Partien kommen zusammenhängende Erörterungen vor, die mit Alans Dichtung gar nichts zu tun haben. In diesem Zusammenhang ist es höchst interessant, einmal Lg' Quellenangaben durchzusehen. Es zeigt sich, daß er in Raisons Rede nur für den ersten, ethische Fragen behandelnden Teil Hinweise gibt, von denen man zudem nicht wenige anzweifeln muß. Für den Bericht von Faus Semblanz, der auf zeitgenössische Begebenheiten Bezug nimmt, stammen die einzigen Zitate Lg' aus den Schriften Guillaumes de St.-Amour, und diese sind nach 1250 entstanden. Vollkommen versagen Lg' Kommentar und Quellenbuch bei der umfangreichen Szene zwischen Nature und ihrem Priester Genius, in der allein Natures Beichte rund 4000 Verse umfaßt und kaum ein Gebiet der aristotelischen Naturalia ausläßt; dasselbe gilt für die bald mythologisch, bald christlich akzentuierte Beschreibung des Paradieses. — Wer nun Behauptungen wie denen von Zumthor und Curtius zustimmt und der Ansicht ist, JdM' Bildung beruhe im wesentlichen auf Literaten der zweiten Hälfte des 12. Jh., müßte auch in der Lage sein, die erwähnten Passagen, die immerhin mehr als die Hälfte von JdM' Roman ausmachen, quellenhistorisch auf die drei genannten Autoren oder ihren Wirkungskreis zurückzuführen. Es ergibt sich jedoch, daß zwar die äußere Form des von JdM verfaßten Teils allgemein und einzelne Rahmenpartien der antiken und mit. Dichtung verpflichtet sind, der Inhalt aber, besonders in den obengenannten Abschnitten, auf theologische, philosophische und vor allem naturwissenschaftliche Fachliteratur des 12. und besonders des vorgeschrittenen 13. Jh. zurückgeht. Wie sehr der Autor vom Geist des Universitätsbetriebes durchdrungen ist, zeigt nicht zuletzt seine Sprache. Die folgende Untersuchung wird deutlich machen, daß das wissenschaftliche Vokabular selbst in Partien begegnet, die inhaltlich auf rein literarischen Vorlagen beruhen. Wurde Guillaume de Lorris oben ein Schüler klassischer Studien des späteren 12. Jh. genannt, so stammt JdM' formale Bildung, worunter vorzüglich Grammatik, Rhetorik und Stilistik zu verstehen sind, aus derselben Schule, aber der Inhalt, den er in diese vorgegebenen Formen gießt, wie auch die fachliche Terminologie, die diese Inhalte bezeichnet, sind überwiegend Produkte der Hochscholastik. Die Wirkung, die der Rr seit seiner Entstehung bis in die Renaissance hinein ausgeübt hat, läßt sich an direkt greifbaren und indirekt erschließbaren Faktoren nachweisen. Für die Verbreitung spricht ein Bestand von mehr als XII

300 Hss., die z.T. noch aus dem 13. Jah. stammen. Dabei steht einem Überlieferungszweig, der ausschließlich den von Guillaume de Lorris verfaßten Teil enthält, ein anderer gegenüber, der den gesamten Rr erfaßt. So bezieht sich Guis de Mori Bearbeitung des Rr zunächst nur auf den ersten Teil des Werkes (1290). Dann aber gelangt auch JdM' Fortsetzung in seine Hände, und er überarbeitet sie in gleicher Weise in Versen. Ebenso gehört der ait. „Fiore", der JdM' Werk voraussetzt, noch in das 13. Jh. Neben diesem wohl frühesten Echo im Ausland steht eine etwa gleichzeitige flämische Übersetzung, der in der zweiten Hälfte des 14. Jh. die mittelenglische aus der Feder Chaucers folgt. Um die Jahrhundertwende entbrennt der Streit um JdM' Anerkennung zwischen seinen Parteigängern (u.a. Jean de Montreuil) und seinen entschiedenen Gegnern (darunter Christine de Pisan und Jean Gerson), welch letztere sein Werk für moralisch anfechtbar erklären. Ende des 14. Jh. arbeitet Jean Molinet den Rr in Prosa um und versieht ihn mit einem Kommentar. Knapp fünfzig Jahre später erfolgt die modernisierte Ausgabe durch C. Marot, die in kurzen Abständen mehrere Neuauflagen erlebt. Überhaupt finden sich bei Dichtern des 15. und noch im 16. Jh., z.B. bei Marguerite der Navarre, Spuren, die auf eine vorzügliche Vertrautheit mit dem Rr schließen lassen. Welche Eigenschaften des Rr und besonders des umfangreichen zweiten Teils haben den frühen und weitreichenden Ruhm des Werkes begründet? Der Umfang fällt nicht ins Gewicht; die Epen und historischen Romane des 12. Jh., die Reimchronik von Philippe Mouskes aus der Mitte des 13. Jh. sind bedeutend länger. Die Person der Autoren kann ebenfalls keine Rolle gespielt haben, denn sonst wären mehr biographische Einzelheiten bekannt. Die Dichtung selbst muß also auf Neuartiges innerhalb der Darbietung geprüft werden. Ein kurzer Blick auf die vor dem Rr in afr. Sprache abgefaßte Literatur zeigt, daß die schriftlich fixierte Volkssprache mehrere Jahrhunderte hindurch einzig kirchlichen Bedürfnissen diente, nämlich der Vulgarisierung von Schrifttext, Predigt und Heiligenviten. Selbst die älteste didaktische Literatur kann ihre Bindung an die Kirche nicht leugnen: der Gegenstand der Naturwissenschaft wird biblisch-allegorisch gedeutet. Epos und höfischer Roman bringen die Abkehr von rein christlicher Zielsetzung. Hier entsteht eine Poesie sui generis, der dennoch eine Beschränkung anhaftet, die sie über das gemeine Volk erhebt, obwohl dieses gerade Träger dieser Kunst ist: der Stoff stammt aus mythischen oder mindestens historisch weit zurückliegenden Berichten; Handlungsträger sind Helden, Idealpersonen. Weltliche Übersetzungsliteratur stellt im ersten Drittel des 13. Jh. geradezu eine Ausnahme dar. In den Rahmen allegorischer Dichtung reiht sich der erste Teil des Rr. Häufiger aufgegriffen wurde die bei Martianus Capeila vorgebildete Allegorie der artes liberales, die besonders in der Bearbeitung durch Henri d'Andeli ein beträchtliches Maß an Originalität besitzt, da hier, zwar allegorisierend, reale Gegebenheiten der französischen Bildungslage aufgegriffen, ja aktualisiert werden. Rutebeuf kann auf die Allegorie verzichten, er stellt Zeitgeschichte besonders kritisch im religiösen und XIII

sozialen Raum poetisch dar. Mit ihm aber ist dieser knappe literarhistorische Aufriß auch unmittelbar vor der Fortsetzung JdM' angelangt. Als Vulgarisator ist allein Brunetto Latini zu nennen, der einem breiten Publikum Philosophie, Politik-Ökonomie, Naturwissenschaft, Rhetorik und Logik zugänglich macht, Bereiche, die früher nur dem Lateinkundigen offenstanden. Doch stellt der „Tresor" ein Handbuch einführenden Charakters dar, das auf bedeutend ältere lt. Kompendien zurückgeht, während die eigentliche Leistung des Florentiners in der Zusammenstellung und Übersetzung des Materials besteht. Von Aktualität kann bei den vorwiegend theoretischen Abhandlungen keine Rede sein. Nun wird auch der besondere Reiz von JdM' Roman deutlich. Hier liegt allegorische Dichtung vor, noch dazu erotische, die das ovid-begeisterte ma. Publikum offenen Sinnes aufnahm. Zwar gilt dies auch für Guillaumes de Lorris ersten Teil; aber JdM verschiebt das Thema erotischer Lehrdichtung in Richtung auf eine enzyklopädische, vor allem die Naturalia, Logik, Bildungswesen und Gesellschaft erfassende Darstellung. Damit kommt er den Interessen einer breiteren Leserschaft entgegen, nicht minder jedoch den gebildeten und erst recht „aufgeklärten" Schichten, die seine Anspielungen auf zeitgenössische Begebenheiten verstehen und die oft scharfe Polemik grimmig lächelnd oder sich ereifernd vernehmen. Kurz, JdM hatte ein Lehrbuch in der äußeren Hülle erotischer Laszivität geschaffen, eine Streitschrift in allegorischer Verbrämung; er vereinte Aristoteles und Ovid, Antike und Gegenwartsgeschichte. Eine Analyse des Inhalts und der Quellen, die nicht im einzelnen vorgelegt werden kann, und ein Vergleich mit der älteren afr. Literatur fuhren zu dem Schluß, daß JdM sowohl mit den klassisch-literarischen Studien des 12. Jh. als auch mit den im engeren Sinne wissenschaftlichen Disziplinen der Universität des 13. Jh. vorzüglich vertraut war. Die linguistische Untersuchung ermöglicht es, differenziertere Aussagen zu dieser Feststellung zu liefern. Wie verhalten sich artes liberales und Scholastik zueinander, und wodurch rechtfertigt es sich, in einer Studie über JdM beide Begriffe zu verwenden? Der Grund liegt zunächst in der Person des Autors selbst (oben wurde schon auf seine Vertrautheit mit den Freien Künsten wie auch den Fachwissenschaften hingewiesen); außerdem ergibt sich die Nachbarschaft der Begriffe durch Frankreichs geistesgeschichtliche Lage im 12. und 13. Jh. Seit der Antike stellten die artes liberales den Ausgangspunkt aller weiteren Bildung dar. Das gesamte MA hindurch blieb das Unterrichtswesen an die Kirche, an Klosterschule und Bischofssitz gebunden, und meist waren es hervorragende Persönlichkeiten, die den Ruhm einer Schule oder Stadt entscheidend bestimmten. In Frankreich gilt dies fur Tournai und Laon besonders in der zweiten Hälfte des 1 l.Jh., für Chartres im 12. Jh., während gegen Ende des Jh. Paris gerade durch die Betonung der Logik eine immer bedeutendere Stelle einnahm. Bereits im 12. Jh. hatten sich Schwerpunkte der Unterweisung herausgebildet, Literaturzentren wie Angers, Meun-sur-Loire, Orleans und Tours, während in Chartres vor allem das Quadrivium und Philosophie platonischer Prägung gepflegt wurden.

Aus den höheren Schulen des 12. Jh. gingen die Freien Künste in den ersten Jahren des 13. Jh. in die Artistenfakultät der neugegründeten Pariser Hochschule über, wo sie unter dem Einfluß des bis zur Mitte des Jh. geschlossen vorliegenden aristotelischen Corpus eine Umstrukturierung erfuhren, die sich entsprechend dem aristotelischen Wissenschaftsbegriff vor allem durch die Betonung der Logik (als Methode der Einzeldisziplinen und als Forschungsobjekt Uberhaupt) und der Philosophia Naturalis auszeichnete. Auch mehrfach wiederholte Verbote des Papstes, Aristoteles in den Lehrplan aufzunehmen (nur die Ethik war akzeptiert), vermochten diese Studien nicht zu unterbinden, bis im Jahre 1255 die Beschäftigung mit allen bekannten aristotelischen Schriften sogar gefordert wurde. Diese Entwicklung zeichnet sich nach 1250 immer deutlicher ab. Da die Fortsetzung des Rr etwa in die siebziger Jahre fällt, ist es angebracht, von dem Vokabular der Freien Künste auszugehen, dieses aber auf einen Bestand zu reduzieren, der als scholastisch anzusprechen ist (vgl. ausführlicher S. 181—84, bes. S.183f.), weil er bestimmte Eigenheiten der Entwicklung wiederspiegelt, semantische Veränderungen gegenüber seiner Verwendung im Rahmen der artes liberales erkennen läßt, sich somit als Fachsprache aristotelischer Provenienz erweist (aristotelisch im weiteren Sinne des Wortes), vor allem wenn man berücksichtigt, daß die Pariser Artistenfakultät seit der Mitte des 13. Jh. zu einer Philosophischen Fakultät geworden war. Im zweiten Teil des Rr gibt es ca. 200 Wörter, die Begriffe, Tätigkeiten, Objekte und Eigenschaften aus dem Bereich der Freien Künste bezeichnen. Um JdM' eigenen Beitrag zu diesem Fachvokabular zu ermitteln, wurden zunächst Wörter und Begriffe ausgeschieden, die auch in älteren afr. Texten in derselben Semantik begegnen. Von diesem reduzierten Material (110 Termini) kamen zentrale Wörter und Begriffe der Hochscholastik und allgemein des Universitätsbetriebs für eine detaillierte Untersuchung in die engere Wahl. Ausschlaggebend für die Auswahl eines Wortes oder Begriffes für eine ausfuhrliche Erörterung waren folgende Kriterien: 1. Das erste Auftreten eines Wortes oder einer Bedeutung bei JdM, evtl. in anderen vorwiegend literarischen Texten, die nicht mit Sicherheit vor 1265 datiert werden können. 2. Die Stellung eines Wortes oder Begriffes im Lehrgebäude der Scholastik, die durch eine Untersuchung der Wort- bzw. Begriffsgeschichte in der afr. Literatur und nicht selten auch der des lt. MA aufgewiesen werden mußte. 3. Die Abhandlung von Themen und Thesen in fachlicher Terminologie, wie sie in der Zeit vor JdM in der afr. Literatur nicht begegnen, besonders wenn sie in gleichzeitigen lt. Schriften häufig vorkommen und somit Anhaltspunkte für die von JdM benutzten Quellen bieten. 4. Angaben der einschlägigen Handbücher, sofern sie in einem oder mehreren Fällen von meinem Material beträchtlich abweichen und nicht durch divergierende Aussagen eines anderen Handbuches als korrigiert gelten dürfen. XV

Das Hauptgewicht der Arbeit liegt auf der lexikalisch-semantischen Fragestellung. Die Morphologie bleibt unberücksichtigt, dgl. die metaphorische Verwendung eines Wortes oder Begriffes und die Frage nach den im zweiten Teil des Rr verwendeten Quellen. Für die Datierung der Primärtexte werden die Angaben der Herausgeber übernommen; wo diese fehlen oder einen sehr weitgefaßten Zeitraum nennen, werden Handbücher (der DLF, Bossuats Bibliographie und mit einigem Vorbehalt Levys Chronologie) konsultiert. Nichtedierte Werke (Angiers Versübersetzung der gregorianischen „Dialoge", Alard de Cambrais „Moralites des philosophes" und die anonyme „Introduction d'astronomie") müssen unberücksichtigt bleiben, da sie nur bruchstückhaft lexikalisch erfaßt sind. Da einige Stichproben in den einschlägigen Lexika nicht wenige Fehlangaben aufdeckten, war es unumgänglich, die Quellen selbst einzusehen, zumal es, abgesehen von Chretien, Wace und einigen Minores, kaum Autorenlexika gibt und die Glossare durchweg unvollständig sind. So wurden wichtige Werke des 12. Jh. eingesehen, um das schon vorhandene lexikalisch-semantische Material zu eliminieren. Aus dem 13. Jh. wurden vor allem Schriften herangezogen, in denen Erörterungen über die verschiedensten Wissenschaftsgebiete zu erwarten waren, d.h. didaktische und Übersetzungsliteratur. Nach einer Kontrolle von über 100 Texten (ca. 1160—1300) blieb ein großer Teil desjenigen Vokabulars übrig, das vor ca. 1265 lexikalisch gar nicht oder nicht in derselben Semantik, wie im Rr vorkommt. Um solche Erscheinungen richtig zu bewerten, wurden auch nach dem Rr verfaßte Werke kontrolliert, denn sie allein konnten zeigen, ob bei JdM ein Einzelfall vorliegt oder ob er .Neuerungen' bringt, die wenig später im Afr. und Mfr. geläufig sind. Fehlten Parallelen im Afr., mußte die lt. Literatur gesichtet werden, denn es zeigte sich bald, daß der afr. Wortschatz der artes liberales grundständig lateinisch ist. Da neben dem TLL, der die Literatur bis ca. 600 erfaßt, für spätere Zeiten nur dürftige lexikalische Hilfsmittel existieren, ferner eine Kontrolle der lt. Quellen allein dann sinnvoll schien, wenn vorzugsweise im galloromanischen Raum entstandene Werke eingesehen wurden, die aber das MltWb, wie Dr. O. Prinz mir freundlicherweise schriftlich bestätigte, nicht erfaßt, hieß dies, daß wieder die eigene. Lektüre der einzige gangbare Weg war. So wurden Texte von der Spätantike bis ins hohe MA herangezogen, überwiegend Werke von Franzosen oder in Frankreich wirkenden Ausländern, die das Literaturverzeichnis in Auswahl anführt. Durch dieses eklektische Verfahren erklären sich auch die recht unvollständige Dokumentation gerade für das Mit. und unsichere Angaben über Erstbelege; denn da lt. Quellen gesucht wurden, die JdM eingesehen haben konnte, wurde ein Zeitraum von fast 500 Jahren (Isidor bis Adelard von Bath) kaum berücksichtigt, der auf galloromanischem Boden allerdings kaum die Scholastik vorbereitende Schriften hervorgebracht hat.

XVI

A.WÖRTER UND BEGRIFFE

1. A C O R D A N C E 1

.melodischer A k k o r d '

16949 La font entr'aus leur annonies (sc. Ii cors dou ciel) Qui sont causes des melodies Ε des diversitez de tons 16952 Que par acordances metons En toutes manieres de chant Während acordance

seit dem 12. Jh. wiederholt in der Bedeutung .Freund-

schaft, Versöhnung' begegnet, k o m m t es als musikalischer 1.1. seltener vor. Das F E W nennt w e d e r Zeit noch A u t o r ; G f bringt z w e i Belege aus älteren afr. T e x t e n , LaC fugt einen weiteren, allerdings aus dem Ende des 13. Jh., hinzu; obige Stelle wird nirgendwo zitiert, wie überhaupt jeglicher Hinweis auf die fachterminologische V e r w e n d u n g des Wortes fehlt. ( a ) „ L e g e n d e de S. Brandaines": Et adies recommenchoient (sc. Ii oysiel) che verset aussi que par l'espasse d'une eure. Et sanloit que eile acordanche et cis sons fust aussi que chanchons de plaignement pour le doucheur (Brandan p. 71). ( b ) G u i l l a u m e de Lorris: Mout estoit bele l'acordance De lor piteus chant a οϊτ (sc. des oisiaus) ( R i 484 f.). ( c ) „ I m a g e du m o n d e " I I : De ceste est musique commune, qui s'aeorde a chascune si bien que par Ii furent les .vii. aiz concordees si comme eles durent. De ceste sont estraiz touz les chanz que 1' en chante en sainte eglise, et toutes les acordances de touz les estrumenz qui ont divers acordemenz et divers sons, et ou il a raison et entendement d'aucunes choses. Qui set la science de musique, il set l'acordance de toutes les choses (ImM II p. 83). ( d ) Mäitre Elie: 37 Achilles qui tant fu poissanz, / . . . 43 Dota Chiron un viel chenu, / . . . / 45 Cel qui l'aprist enz en s'enfance De son de harbe et d'acordance (ElieArs 37-46).

1

FEW I 13; T L I 108 f.; Gf I 76; LaC I 46; DuC I 48 b.

1

In den Texten ( a - b ) handelt es sich um melodischen Vogelgesang. Als bedeutsamer für den vorliegenden Zusammenhang und zugleich als umfassendere Ausführung der griechischen Auffassung einer sich im gesamten Kosmos ausbreitenden Harmonie, ferner als Schnittpunkt der beiden Bedeutungen .Freundschaft' und .Wohlklang' erweist sich der Ausschnitt aus der 2. Prosafassung der „Image du monde" (c). Der Text soll nicht die vielfältige Verwendung der Wurzel —cord—2 dokumentieren, sondern die Ausweitung des Begriffes acordance verständlich machen, der hier noch stärker als bei JdM den Stempel einer bestimmten Lehre trägt. Während JdM die Sphärenmusik mit irdischem Gesang in Verbindung bringt 3 , zieht der Verfasser von (c) die Instrumentalmusik in seine Erörterung mit ein, sieht in der Musik das Band aller sieben Künste und weitet ihren Einfluß auf die harmonische Abstimmung aller Dinge aus. Für unsere Untersuchung fällt (d) sicher aus, da die Abfassung dieser afr. Version der Ovidiana zeitlich in die Nähe der „Clef d'Amors", also ca. 1280 zu setzen ist. Ausführliche theoretische Abhandlungen über die Musik und ihre verschiedenen Wirkungsbereiche finden sich bei Martianus Capeila, in dem boethianischen Traktat „De musica", in Cassiodors „Institutiones", in Isidors Darstellung der artes liberales im 3. Buch der „Etymologiae", in Honore d'Autuns „Imago mundi", in Vincent de Beauvais* „Speculum doctrinale", um nur einige der im 13. Jh. sicher bekannten Werke zu nennen. Die mathematisch, im pythagoreischen Sprachgebrauch numerisch fixierbare Eigenschaft der Musik, die sich bis in die kleinsten Teile des Kosmos auswirkt, kann Anlaß fur die im Afr. vertretene doppelte Bedeutung von acordance sein, die eigentlich nur zwei Aspekte des Begriffes ,Harmonie' wiedergibt, nämlich in der Musik speziell, allgemein im menschlichen Umgang. *ACORDANTIA läfit sich nicht belegen, so daß das afr. Wort als vulgärsprachliche Bildung gelten darf 4 . Diese Annahme findet eine Stütze in den oben erwähnten und mit Hilfe der afr. Lexika zu ergänzenden Ableitungen von —cord—. DuC verzeichnet zwar ACCORDIA, aber auch nur in der dem Afr. vertrauteren Bedeutung .Vertrag, Abmachung'. In der lt. Literatur begegnen zahlreiche Bezeichnungen für die musikalische Harmonie, so das

2 acorder, concorder; acordance in zwei verschiedenen Bedeutungen; acordement. Offensichtlich liegt hier das gr. Etymon xop6rf,seit dem Kit. als CHORDA belegt, zugrunde. Trotzdem ist eine Kreuzung mit CONCORDIA, das ebenfalls beide Bereiche erfaßt, jedoch von COR, -DIS abgeleitet wird, nicht abzuschließen. Vgl. Walde-Hofmann I 271 f. 3 Vgl. die Ablehnung der pythagoreischen Lehre der Sphärenharmonie und ihre Widerlegung AlbMagnCael II 3, 10 (Borgnet IV 192-94). - Siehe auch P. Boyance: Les Muses et lTiarmonie des spheres. Fs. F. Grat (Paris, 1946) I 3 - 1 6 und G. Junge: Die Sphärenharmonie und die pythagoreisch-platonische Zahlenlehre. ClassMed 9 (1947) 183-94. 4 Zum afr. Suffix -ance vgl. Malkiel, Suffixes,und Franfois, La desinance -ance 1-15.

2

gr. Fremdwort SYMPHONIA5, seine wörtliche lt. Übersetzung CONSONANTIA 6 , ferner CONCORDIA7, CONCENTUS8, CONCINENTIA9 und HARMONIA10. Als musikalischer t.t. tritt acordance also einmal in der Mitte des 13. Jh. auf (c), dann bei JdM und wenige Jahre später in einem Text, der die musikalische Unterweisung des jungen Achill durch Chiron schildert (d). JdM' Vertrautheit mit dem fachtheoretischen Schrifttum der Musik wird sich erneut bei der Untersuchung von ton zeigen. 2. AFFIRMACION - NEGACION11 , Bejahung - Verneinung' 17329 Tout ce set il (sc. Deus) bien de chascune (sc. chose) Que de deus veies tendra l'une: 17331 Cete iia par negacion, 17332 Cete par affirmacion, Non pas si termineement Qu'il n'aviegne espeir autrement.

Affirmacion läßt sich in der afr. Literatur vor JdM nicht belegen12. (Gillierons Bedenken gegenüber dem Verfahren des DG, jeweils das erste Auftreten eines Wortes zu verzeichnen, ohne seine Existenz in früherer Zeit wenigstens in Erwägung zu ziehen, zumal wenn Ableitungen desselben Stammes bedeutend eher nachweisbar sind, gilt auch für die Angaben des FEW zu affermer13. Seine Beanstandungen sind grundsätzlich richtig, gehen aber an den Möglichkeiten lexikographischer Dokumentation vorbei. Er selbst begeht denselben Fehler wie der DG, indem er den Erstbeleg für affirmacion dem 14. Jh. zuweist.) — Den Angaben der Handbücher zu negacion ist kein neues Material hinzuzufügen.

5 6 7 8 9 10 11

ChalcTimComm 44, MartCap 2,107, GalfrVin 662, VincBell II, I 63. BoethMus 1,11, JohGarlPoet II 36, VincBell II, XVI 19, RogerBacDial p. 233 med. MartCap 8, 961, AdelardBath 2 6 , 1 6 ff., VincBell II, XVI19. MartCap 1,12, Anticlaud IV 480, VincBell II, XVI10. BoethMus 1,16. MartCap 1,11, AlanPN 284, HugoSVDidask II 16. affirmacion: FEW I 50 (verzeichnet nur das Verb); TL 1190; Gf 1136; LaC 1186; DG I 47; TLL 11221; MltWb I 359 f. negacion: FEW VII 8 2 - 8 5 ; TL VI 575 f.; Gf X 196; LaC VIII18; Fore IV 250. 12 Die halbgelehrte Form affermation (DialGreg p. 203) gehört als Übersetzung von ALLEGATIO einem anderen semantischen Bereich an und bleibt daher unberücksichtigt. 13 J. Gillieron: Les consequences d'une collision lexicale et la Iatinisation des mots fran9ais. Cinquantenaire de l'Ecole Pratique des Hautes Etudes. Melanges. Paris, 1921[BEHE, 230]. p. 5 5 - 7 4 , zu affirmer p. 73.

3

(a) Guernes de Pont-Ste-Maxence: „Obedience offristes ainz e subjectiun: En refui de 90 faites puis appellatiun; Tost turnastes vostre ,est' en la negatiun. / . . . " (GSThom 3341-43) (b) Brunetto Latini 14 : Et saches que cis argumens est en .ii. manieres, une ki est par la force de .iL contraires coses ke Ton dist tot ensamble l'un apres l'autre . . . ; l'autre maniere est par la force de .ii. choses ki sont contraires entr'aus par la force d'une negation, en ceste maniere: je di que cist hom ci a deniers u il n'en a nus (BrunL III 55,3). In beiden Fällen werden positive und negative Aussage einander gegenübergestellt, ohne daß die zwei polaren Begriffe genannt wären; dies geschieht erst im Rr. Im Kit. begegnet AFFIRMATIO nur in der Bedeutung .Behauptung, Versicherung' und NEGATIO als .Verneinung, Leugnung' eines Faktums, aber nicht zur Bezeichnung des Aussagemodus. Boethius führt durch seine Aristotelesübersetzungen beide Wörter als grammatisch-logische 1.1. in die lt. Sprache ein, und zwar zur Wiedergabe von gr. κ α τ ά φ α σ ι , ς - ά π ό φ α σ ι ς . Das Antithesenpaar AFFIRMATIO-NEGATIO gehört der logischen Terminologie an und bezeichnet die formalen Aussagemodi eines Satzes. (c)Boethius I S : Adfirmatio vero est enuntiatio alicuius de aliquo, negatio vero enuntiatio alicuius ab aliquo . . . : quare manifestum est, quoniam omni adfirmationi est negatio opposita et omni negationi adfirmatio. et sit hoc contradictio, adfirmatio et negatio oppositae (BoethHerm 1,6). Daneben bestand eine Verwendung der Dyas zur Charakteristik inhaltsbezogener Kategorien, wie Abelard berichtet (d) und Geoffroi de Vinsauf an Beispielen erläutert (e): (d) Quidam autem per .iacere sub affirmatione et negatione' finitum et infinitum vocabulum accipiunt, ut ,sedet\ ,ηοη sedet', quidam vero intellectus ab affirmatione et negatione generates; sed nos potius ea quae ab affirmatione et negatione dicuntur accipimus, essentias scilicet rerum de quibus per affirmationem et negationem agitur (AbaelDial p. 390). (e) Similiter et hac utatur cautela, ut observet duos generates modos dicendi fere quamlibet sententiam: uno modo scilicet .assignando propositum in proposito'; alio modo ^removendo propositum a proposito'; hoc est dicere, uno modo per affirmationem, uno modo per negationem (GalfVin II 3,101). 14 BrunL III 9, 3 steht negation als juristischer Terminus und bezeichnet das Leugnen eines Zeugen vor Gericht. 15 Vgl. auch die Definition Isid 2, 27, 3.

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Ferner wurden von diesen Verfahrensweisen formaler und inhaltlicher Prädikation durch die in kontradiktorischem Gegensatz zueinander stehenden Kategorien der AFFIRMATIO und NEGATIO Ausnahmebestimmungen aufgestellt für ihre Verwendung im theologischen Bereich, speziell für Aussagen über das Sein und Wesen Gottes 16 . Da es hier jedoch um die Erklärung von Rr 17331 f. geht, wird die weitere Erörterung auf die Verwendung von AFFIRMATIO und NEGATIO im formalen Bereich der Aussage beschränkt. Die Anwendung logischer Verfahrensweise auch in Bereichen der Philosophie und Theologie führte zu differenzierten Angaben PER AFFIRMATIONEM und PER NEGATIONEM hinsichtlich des Seins aller Dinge und schuf damit einen Übergang von formalen zu inhaltlichen Kategorien. (f)Honore d'Autun: Divina . . . bonitas . . . ex negatione omnium essentiarum in affirmationem totius universitatis essentiae . . . descendit (zitiert nach MltWb).

Die im Rr zu klärenden Begriffe stehen in einer umfangreichen Abhandlung über das liberum arbitrium des Menschen und die Providentia Gottes. Kurz zuvor hatte JdM die These derjenigen, die Gottes Wissen aus dem notwendigen Eintreffen zukünftiger Dinge herleiteten, dargelegt und als der Allmacht Gottes unwürdig verworfen (Rr 17267-312). Mit V. 17313 ff. referiert er eine weitere Lösung des Problems: Gott weiß den Verlauf der Dinge im voraus, aber nicht mit unfehlbarer Sicherheit, da die Entscheidungsfreiheit des Menschen anders bestimmen kann. Jedes Ding kann eintreffen oder nicht eintreffen, eine andere Möglichkeit gibt es nicht; nur diese zwei Wege stehen offen: Tout ce set il bien de chascune Que de deus veies tendra l'une. Ein Ding entscheidet sich für den Weg par affirmation, ein anderes fiir denjenigen par negation11, d.h. eines trifft ein, ein anderes jedoch nicht. Rr 17331 f. wiederholen also in scholastischer Terminologie eine Aussage, die V. 17327 f. in einfachen Worten gemacht wurde: . . . il set quel fin eus feront Ε s'eus seront ou ne seront.

16 . . . Quod igitur nulla forma coartatur vel definitur, quia nullo intellectu cognoscitur, rationabilius dicitur informe quam forma,quia, ut saepe dictum est, verius per negationem de Deo aliquid praedicare possumus, quam per affirmationem (JohScotDivNat 525 a). Vgl. JohSarMet 879 a; AlanHomines 9 p. 140,10 b p. 149 u. a.; siehe auch GrabmannGSM II 539. 17 Die Gliederung (DIVISIO) einer Aussage (ENUNTIATIO, PROPOSITIO) in verschiedene Aussageweisen (MODI ENUNTIANDI) kennzeichnet speziell scholasti sches Verfahren, und JdM wahrt die technische Wendung bis in die Präposition PER hinein. Vgl. JohSarMet 862 d; AlanHomines 10 b p. 149; AbaelDial p. 390 = (d); GalfrVin II 3 , 1 0 1 = (e); AlbMagn (zitiert MltWb) u. a. 5

3. ANGLE 1 8 ,Ein- und Ausfallswinkel von Strahlen' 18185 Ε les (sc. fantosmcs) peut Pen vocir jocr Entre l'ueil e le mirocr 18187 Par les diversitez des angles, Seit Ii meiens compoz ou scngles, D'une nature ou de diverse, En quei la fourme se reverse. 18247 Mais ne vueil or pas metre cures En dcsclareicr les figures Des miroers ne ne dirai Coment sont reflechi li rai, 18251 Ne leur angles ne vueil descrivre: / . . .

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Die Lexika nennen angle als Bezeichnung der Winkel eines Hauses, der Ecken des Schachbrettes und als Teil verschiedener phraseologischer Wendungen. Für eine Verwendung im naturwissenschaftlichen Bereich fehlt jeglicher Hinweis. Einige andere Bedeutungen sind nachzutragen. (a) Marbod: Beril est en Ynde trovee Ε par sis angles est formee (MarbodLap 393 f.). (b) „Image du monde" II: Dont vous en pouez veoir la nature par une figure quarree metre desus une reonde. Si les faites tourner andeus, les angles de cele qui ne scroit pas reonde prendroient divers lieus que la reonde ne quiert pas (ImM II p. 99 f.). (c) Hagin: . . . et il (sc. la creveice) est sur la faiture des bestes de I'iaue; et en sa partie est le euer de Tangle senestre et le vent de septentrion (Ezra 11 b). (d) Mahieu le Vilain: . . . pour quoy le dit air desus la ceinture est loing des deux autres causes de chaleur, e'est a ssavoir de l'angle la ou les rais rebondissent, et si est loing des estoilles (Meteora 15,17). (e) Or preuve geometrie par son octave conclusion du premier livre que tous les triangles done les .ij. costes sont egaux a .ij. costes de l'autre et leur fondement de Tun egal ou commun a l'autre, il couvient que les angles contenus des costes soient egaux (Meteora 155, 25).

18 FEW I 96; TL I 390;Gf I 291; LaC 1448; MltWb I 646-48. 19 Rr 19133 ff. werden von dieser Behandlung ausgeschlossen, da es sich um eine Häufung von Adynata aus dem Bereich der Mathematik zur mystischen Gottesbezeichnung handelt

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( 0 Leopold von Österreich: . . . Ii astronomiiens si prent le nature des pianettes en lor proprete et le singneur du signe de cescun d'iceus et de l'exaltacion et de le triplicate, et les Ileus des angles et des desous angles et des maisons caians (LeopA III 1,6).

Angle bezeichnet außer den in den Handbüchern genannten Gegenständen die Kanten eines Kristalls, des Beryll (a), die Kanten einer Vierecksäule (b) und die Himmelsrichtung, den Kardinalpunkt (c). Erst in einem Fachbuch der Astronomie, einer afr. Übersetzung der aristotelischen Meteorologika, deren Abfassung sicher nach 1260, wahrscheinlicher in dem Zeitraum von 1270—90 anzusetzen ist, so daß über eine Wechselwirkung zum Rr keine Aussagen gemacht werden können, tritt angle als naturwissenschaftlicher Terminus auf. Im astronomischen Bereich bezeichnet es den in der Atmosphäre verlaufenden Strahlungswinkel der Himmelskörper zur Erde (d), als mathematischer Terminus die Basiswinkel von Dreiecken (e). In dem 1271 verfaßten und vor 1324 ins Afr. übersetzten astronomischen Handbuch des Leopold von Österreich heißen die Winkel, die drei Planeten in ihrer Konstellation zueinander bilden, angles (Ο20· An beiden Stellen des Rr bezeichnet angle den Ein- und Ausfallswinkel von Strahlen, die auf einen Spiegel fallen und reflektiert werden; es handelt sich also um einen physikalischen, zur Optik gehörenden Vorgang, der, wie der weitere Kontext zeigt, in fachlicher Terminologie beschrieben wird. Im Lt. hingegen ist ANGULUS als geometrischer Terminus seit klassischer Zeit, als Begriff der Optik spätestens seit dem Hochmittelalter bekannt, d.h. zur Zeit von JdM' schriftstellerischer Tätigkeit verbreitet. (g) Arnold Saxo (ca. 1225): In . . . speculis . . . visus in aequalibus angulis reducuntur (zitiert nach MltWb).

(h) Albert: ex multiplicitate . . . angulorum radiorum caelestium (zitiert nach MltWb; vgl. auch RobGrSpec 74, 36).

Somit besitzt die Annahme größte Wahrscheinlichkeit, daß er als erster in der Vulgärsprache optische Probleme abhandelte und sich hierfür lt. Arbeiten beschaffte. Bei Lg fehlen Quellenhinweise für JdM' optische Abhandlungen völlig. Ob ihm also die ptolemäische „Optik" in der am sizilianischen Kaiserhof entstandenen Übersetzung durch den Admiral Eugenio vorlag21 oder ob 20 Vgl. auch triangle. 21 Vgl. C. H. Haskins; P. Lockwood: The Sicilian translators of the 12th century and the first Latin version of Ptolemy's „Almagest". HarvStudClassPhilol 21 (1910) 7 5 - 1 0 2 . - G. Govi (ed.): L'ottica di Claudio Tolomeo da Eugenio ammiraglio di Sicilia ridotta in latino. Torino, 1885.

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er sich auf zeitgenössische Traktate zur Katoptrik stützte, etwa eines Albert, Thomas oder Roger Bacon, kann nur eine detaillierte Quellenuntersuchung zeigen. 4. APARENCE22 .äußerer (falscher) Schein; Wahrscheinlichkeit' 12135 Si sont cordclier c b a n c , Tout scicnt il gros e carrc, Ε sac e tuit li autre frcre: N'i a nul qui prcudon n'apere. 12139 Mais ja ne verreiz d'aparcnce Conclure bone consequence 12141 En nul argument que Ten face, Se defauz existence efface; Toujouiz i trouvereiz sofime, Qui la consequence envenimc, Se vous avez soutilite D'entendre la duplicite. 12215 . . . chose qui n'a point de preuve, 12216 Fors d'aparence ou de contreuve. 12327 Faus Semblanz ainsinc le li preuve. Cil ne set respondre a la preuve, 12329 Ε veit touteveis aparence; / . . . 17155 Ε se les destinees tienent Toutes les choses qui avienent. Si con cist argument le preuve 17158 Par l'aparence qu'il i treuve / . . .

Die Angaben der Handbücher zu aparence sind sehr lückenhaft und oft auch falsch; einzig GamEW gibt die richtige, wenn auch knappe Information: .Schein4 (13. Jh. aus lt. APPARENTIA .Erscheinung'). TL, Gf und der DG führen als Erstbeleg Stellen aus Philippe de Beaumanoirs „Coutumes du Beauvaisis" an, also ausgerechnet einen Sonderfall fachterminologischer Verwendung. Gf zitiert außerdem faire aparence .prouver avec evidence' bei dem Renclus de Moiliens (s. u.). LaC kennt nur die Bedeutungen .Auftreten, äußere Erscheinung einer Person, einer Sache; offenkundige Wahrheit, Realität'. Die für alle Stellen des Rr zutreffende Bedeutung .Wahrscheinlichkeit' kennt Gf nicht vor dem 15. Jh. An allen Stellen des Rr handelt es sich um Aussagen aus dem Bereich der Logik (conclure, consequence, argument, preuve, etc. j; Rr 12329 und 12216 steht aparence im Gegensatz zu preuve, Rr 12139 zu bone consequence. Eine Übersetzung durch .prouver avec evidence' trifft sicher nicht zu. Einige neue Beispiele aus der afr. Literatur können hier weiterhelfen. 22

FEW I 106; TL 1423; G f l 317, VIII 137; LaC II 40; GamEW 41; DG 114; MltWb I 773; TLL II 259; Liddell-Scott 444.

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(a) Renclus de Moiliens: Car peu est de le gent eslite, Peu en est de ferme creanche: Les uevres en font apparanche (RencMolMiserere CCLXXI 5 - 7 ) . (b) „Bestiaire d'Amour": Telz gens sont plains de faille et bole, Car il sont de grant apparance, Si n'a en eulx point de substance (BestAmAnon 2980-82). (c) Pierre d'Abernon: Mes si sa religiun sulement Seit en aparance devant la gent, Ε seit en eovre maufesant, De Deu ert reprove par itant. (Secre 511-14; vgl. ds.ebd. 501) (d) Jean d'Antioche: La narracion sera provable se Ten voit et entent iceles choses en Ii qui ont appareissance de verite et de estre en la verite: si les dignites des persones sont gardees... (JeanAnt p. 230). (e) Philippe de Beaumanoir: . . . et se Ii sires, quant il est contrains a conter, nie les despens que Ii seijans met avant, il convient que Ii seijans les prueve, et en cel cas Ii seijans a deus voies de prouver: la premiere si est par prueves s'il les a; la seconde si est, s'il n'a prueves, par l'aparence du fet (Beauvais 820; vgl. ds.ebd. 239, 579, 582). ( 0 Egidio Colonna: Dont Ii roi et Ii prince, se il ne sont sages, il ne puent bien adrecier le pueple a bone fin, ainz sont rois de non et d'apparence et non pas selon verite (GouvRois 38, 32; vgl. ds.ebd. 18, 25; 113, 6). (a) ist aus semantischen Gründen von der weiteren Untersuchung auszuschalten, denn apparanche bezeichnet dort ein positives, reales Aufweisen von Fakten. Auch bei (b) handelt es sich nicht um einen logischen Kontext, aber das Gegensatzpaar .(äußere) prächtige Erscheinung' - .(innere, moralische) Hohlheit' zeichnet sich ab. Der Text stammt aus der Mitte des 13. Jh. (c) fällt zeitlich mitten in JdM' Schaffensperiode. Religiun en aparance und religiun en eovre bilden V. 5 1 2 f. eine Opposition wie V. 501 f. feintise d'aparance und aperte fesance. Immer noch handelt es sich um ethische, nicht logische Begriffe. Dieser Schritt ist in den achtziger Jahren des. 13. Jh. in der afr. Übersetzung der ciceronianischen „Rhetorik" vollzogen (allerdings appareissance, mit Suffixwechsel). Hier geht es um den Grad der Glaubwürdigkeit bei Berichten (d). Eine glaubwürdige Darstellung muß mindestens dem äußeren Schein nach der Wahrheit entsprechen.

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Die Texte von Philippe de Remi (e) sind nicht nur wegen der im Vergleich zum Rr späteren Abfassungszeit auszuschalten, sondern auch wegen der eng fixierten Bedeutung von aparence, .äußeres Erscheinungsbild, Evidenz', die das Wort hier als juristischen 1.1. ausweist. Wie in (b) und (c) tritt auch in (f) apparence im ethischen Bereich auf, und die Gegenüberstellung zu verite weist auf die negative Aussage hin. Mit Hilfe der bisherigen Aufschlüsse lassen sich die fraglichen Stellen des Rr erklären. Ein Faktum, das nicht beweisbar ist (Rr 12215), aber auch nicht der Wahrheit entspricht (Rr 12218), kann nur scheinbare Wahrheit, aparence, sein. Ein von Faus Semblanz geführter Beweis muß per definitionem ein Scheinverfahren sein (Rr 12327) und Verdacht falschen Scheins (=Faus Semblanz) erregen. Rr 17155 ff. geht JdM von der durch aparence bewiesenen Annahme, alles sei dem Schicksal unterstellt, aus, um die daraus resultierenden Folgen sogleich in Zweifel zu ziehen (Rr 17159-62) und durch weitere Überlegungen zu dem Schluß zu kommen, daß das Schicksal nicht die höchste Macht darstellt (Rr 17193 f.). Daraus wiederum geht klar hervor, daß es sich Rr 17158 um eine nur durch äußeren, und zwar falschen Schein bedingte Annahme handelte. Rr 12139 ist aparence Angelpunkt für ein geistreiches Wortspiel. Die Doppeldeutigkeit der sich daran anschließenden Aussage gibt JdM Rr 12146 selbst zu. Zieht man aparence zu der Satire auf die Ordensbrüder, so ist das Wort mit .(äußere) Erscheinung, Auftreten' wiederzugeben: Alle geben sich als edle Herren. - Gleichzeitig muß aber JdM die prägnante Bedeutung des Wortes im Bereich der Topik vorgeschwebt haben, .scheinbarer Beweis', so daß er ohne einen Bruch folgerichtig zu einer Erörterung logischen Beweisverfahrens übergehen konnte: Eine von einer Scheinwahrheit ausgehende Deduktion muß entsprechend den Gesetzen logischer Prädikamente zu einem Trugschluß fuhren, da die Prämissen nicht der Wahrheit entsprachen. Diese geradezu methodische Tirade aus dem Disputationswesen der Scholastik bedeutet in ihrer Anwendung auf das Verhalten der Mendikanten, daß sie nach außen hin ihre Religiosität zur Schau stellen, innerlich aber weit von der Frömmigkeit entfernt sind, oder, um Pares treffende Verbindung beider Überlegungen zu referieren: „Les moines qui n'ont de religieux que l'habit sont des sophismes ambulants. Iis n'ont de la vie religieuse que l'apparence exterieure" (ParelL 34). Die Richtigkeit dieser Folgerungen läßt sich festigen, wenn man den Weg der Bedeutungsverengung, wie sie im Afr. bei JdM vorliegt, an lt. Beispielen verfolgt. Morphologisch weist sich APPARENTIA als Verbalableitung der späteren Latinität aus. 23 Bei Tertullian findet es sich in der Bedeutung .Sichtbarwerden' 23

Vgl. Malkiel, Suffixes.

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(TertAdvMarc 1,19; gr-έπ ι φ ά ν ε La), also in deutlichem Bezug auf das Verb APPARERE. Im 4. Jh. begegnet es in übertragener Bedeutung, .äußere Erscheinung', bei Firmicus Maternus (FirmMath 5,8). Dieselbe neutrale Verwendung findet sich im zweiten Drittel des 13. Jh.: (g) Gilles de Lessines: . . . talis congregatio radiorum potent facere stellis ipsis apparentiam come sive caude (AegLess = Thorndike, Comets 105 med.).

In einem logischen Traktat des Petrus Hispanus steht APPARENTIA in positiver Verwendung, .Beweiskraft': ( h ) Quod autem in illo argumento nulla sit apparentia patet, quia cum dicitur: „Omnis homo est albus", necesse est quod tot animalitates intelligantur in subiecto quot sunt homines in quibus tenetur „homo" (PetrHispSumm VII 221-25).

In der Bedeutung ,Schein' tritt es dann in einer anonymen Quaestio aus dem Universitätsbetrieb auf, wo der Gegensatz zu VERITAS wegweisend ist: (i) Utium comua, que apparent in luna, sint ibi secundum veritatem sive secundum apparentiam (Sophismata p. 52).

Die vielfältige Verwendung von APPARENTIA in einem und demselben Zeitraum, ferner die gemeinsame Grundbedeutung durch die Ableitung von APPARERE legen den Schluß nahe, daß das Wort, ursprünglich völlig neutral, mit dem Aufkommen der Logik im 12. Jh. zu einem Fachterminus wurde, ohne jedoch die danebenstehenden Bedeutungen zu verdrängen. So steht es semantisch neben Wörtern wie OPINIO, SPECIES, die von Hause aus ebenfalls neutral, aber schon früh in der spezifischen Bedeutung .falsche Annahme, falscher Schein' begegnen, bezeichnenderweise aber im 13. Jh. APPARENTIA weitgehend Platz machen. Auch im 12. Jh. läßt sich das Wort in Kontexten nachweisen, in denen später ausschließlich APPARENTIA verwendet wird, aber nicht als Substantiv, sondern als Partizip: (j) Johannes von Salisbury: Hoc est utique quod sophistica pollicetur; est enim appaiens scientia, non existens; unde et sophista copiosusabapparente sapientia, sed non existente. Hec autem omnium disciplinarum emulatrix est, et sub earum specie suas omnibus tendiculas parat, incautosque subvertit (JohSarMet 929b).

Die Zuweisung dieses Terminus in den Bereich der Dialektik, speziell der sophistischen Syllogistik 24 , wird durch den Zusatz APPARENS SCIENTIA, NON EXISTENS unwiderlegbar. 24

Zur Unterscheidung von Dialektik-Logik-Sophistik etc. vgl. prouvable, sillogime, sofime.

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Entsprechend der gr. Dyas δ ο ξ α - ά λ η θ ε Lot tritt immer wieder der Gegensatz APPARENTIA—VERITAS auf, entsprechend der Gliederung κ α τ ά δ ό ξ α ν - χ α τ ' ούσ ι ctv SECUNDUM APPARENTIAM-SECUNDUM EXISTENTIAM und ähnlichen Wendungen. Eine Auswahl lt. Texte aus der Zeit von 1250—80 sei hier angefügt, um den typischen Tenor der damaligen Schuldisputationen zu zeigen und JdM* Vertrautheit mit der geläufigen Methode zu dokumentieren. (k) Vincent de Beauvais: Differt etiam a topica (sc. scientia divina=Metaphysica), quia ipsa non facit certitudinem, sed acquirit opinionem. A sophistica quoque per se differt, quia haec quaerit ipsam veritatem, ilia vero apparentiam (VincBell II, XVI 56).

(1) Albert: Locus materia videtur esse per similem huius phantasiam et apparentiam, licet non sit verum (zitiert nach MltWb).

(ni) Thomas: Sic enim intellectus ad falsum deducitur per apparentiam veritatis, sicut voluntas ad malum per apparentiam bonitatis (zitiert nach ThomLexic 72).

(n) Roger Bacon: Quidam autem magis appetunt istum sillogismum (sc. sophisticum) quam alium, set hujusmodi sunt apparentes et non existentes, cujusmodi sunt sophiste qui magis volunt videri et non esse, quam esse et non videri (RogerBacDial p. 324 inf.).

(o) Siger de Brabant: Proponebat (sc. sophista) secundo quod omnia quae nobis apparent sunt simulacra et sicut somnia, ita quod non simus certi de existentia alicuius rei. Et ad hoc sic arguebat. Nulli virtuti cui apparet aliquid quod est apparentia tantum, credendum est quod ita sit in re nisi alia virtus hoc diiudicet (SigerBrablmpossib II = Mandonnet II 77).

Als Zusammenfassung der Untersuchung ergibt sich für das Afr. folgendes: Während aparence im ersten Drittel des 13. Jh. das positive Auftreten einer Sache bezeichnet (a), begegnet es etwa seit der Mitte des Jh. in Opposition zu einem anderen Begriff positiven Inhalts, drückt also selbst Negatives aus, und zwar zunächst und auch später wieder auf ethischem Gebiet (b, c, f)· JdM transponiert aparence erstmalig in afr. Literatur in den Bereich der Topik, und zwar in Anlehnung an lt. Sprachgebrauch, und Anfang der achtziger Jahre kommt appareissance ebenso als logischer Terminus vor (d). Bei Philippe de Beaumanoir liegt speziell juristische Terminologie vor (e).

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5. APLANOS" ,nicht umherirrend, stetig' 16823 C'est Ii ceaus qui cueurt si a point Que d'erreur en son cours n'a point: 16825 Aplanos pour ce l'apelerent Oil qui point d'erreur n'i trouverent, 16827 Car aplanos vaut en grezeis Chose senz erreur en franceis. In der afr. Literatur läßt sich aplanos kein zweites Mal nachweisen. Allein die Tatsache, daß JdM eine Übersetzung beigibt, chose senz erreur, legt den Schluß nahe, daß seinen Lesern das Wort nicht geläufig sein konnte. Andererseits heißt dieses Vorgehen noch längst nicht, JdM sei des Griechischen mächtig gewesen; 26 vielmehr wird er eine Übersetzung von APLANOS—APLANES in zeitgenössischer oder älterer lt. Fachliteratur gefunden haben, was weiter unten noch zu präzisieren ist. ' Α π λ α ν ή ς .stetig, nicht umherschweifend' (als Substantiv .Fixsternhimmel') findet sich als Attribut der Fixsterne gegenüber den Planeten im platonischen „Timaios" und seiner Übersetzung durch Chalcidius, bei Macrobius, Autoren, die in ma. Lektürekanones keine seltene Erscheinung waren 27 . Im MA begegnet APLANES-APLANOS wiederholt bei Bernard Silvestre: (a)Alii vero mundum in duo dividunt: superius sc. et inferius aplanen. Quod (superius est) graeco nomine paradisus dicitur latino vero ortus, quia ab eo res oriuntur, . . . Quod vero aplanem est (i.e.) inferius, istam sc. caducam et inferiorem regionem, inferos dixerunt (BernSilvAen p. 29, 21-27). (b) Cur aplanon contra septenos inpetus orbes Volvat et anfractus per sua signa vagos (BernSilv II 8,9 f.; vgl. ds.ebd. II 3, 79). Der Wechsel zwischen der ersten und der konsonantischen Deklination des Substantivs legt nahe, daß selbst der in der Antike wohlbewanderte und hoch25 26

27

LiddeU-Scott 190; TLL II 240; MltWb I 749; DuC I 315 b. Zur Lage des Griechischen im MA: C. Cuissard: L'etude du grec a Orleans depuis le IXe siecle jusqu'au milieu du XVIIIe siecle. Orleans, 1883. - Thurot, Doctrines grammatical 108 f. - J.J. Baebler: Beiträge zu einer Geschichte der lateinischen Grammatik im Mittelalter. Halle, 1885. 67 ff.: Das Griechische im Abendlande. B.Bischoff: Das griechische Element in der abendländischen Bildung des Mittelalters. ByzZs 44 (1951) 27-55. - Elfving, Sequences 88. Auch ma. ein- und zweisprachige Lexika und Glossare, von denen das CGL eine gewisse Vorstellung vermitteln kann, geben dem Suchenden Material in die Hand. So verzeichnet ζ. B. CGL II 408 mehrere Lemmata des Stammes -χλαν-: χλανη-HICERROR VAGATIO, χλανηται-ERRATICI, «λανητης—ERRANS VAGUS, χλανος -ERRONEUS ERRATICUS SEDUCTOR, ηλανω-ERRO, «λανωυαι- ERROR. 13

berühmte Schüler und Lehrer angesehener Meister zum Griechischen keine Beziehung besaß. — Ein morphologisch korrekter, jedoch im Kontext syntaktisch falscher gr. Akkusativ fmdet sich bei Bernards Schüler Johannes von Salisbury: (c) Socrates sibi ex ara Veneris... vidit offerri cignum collem inserentem celo, rostro tangentem sydera, regionem que Aplane dicitur penetrantem (JohSarPolycr 433 c).

Einer solchen Erscheinung sollte kein allzu großes Gewicht beigemessen werden, da sich nicht beurteilen läßt, ob hier ein graphisch leicht erklärbares Versehen des Schreibers vorliegt (Übersehen eines waagerechten Striches über dem ,e' anstelle eines ,m') oder die im gr. Relativsatz geläufige Kasusattraktion des Subjektes; solche Erörterungen lassen sich hier nicht entscheiden und sind zudem für die vorliegende Fragestellung irrelevant. Ebenfalls bei Johannes von Salisbury begegnet der Zusatz APLANEM NULLIUS ERRORIS PARTICIPEM (JohSarPolycr 440 b). Bei Albert steht eine Erklärung des Himmels gegenüber den Sternen, wie sie in ähnlicher Formulierung in JdM' Vorlage gelautet haben mag: 28 (d)Est autem quaedam Mathematicorum opinio . . . quod scilicet circuli moveantur motu diurno deferente stellas: stellae autem moveantur motu qui est ab Occidente in Orientem et non circuli: et fit talis divisio inter circulos et stellas, quod secundum motum diurnum circuli moveantur, et non stellae: et secundum motum erraticum stellae moveantur, et non circuli. Isti enim duo motus sunt in superioribus, qui Graece vocantur π λ ά ν η ς et ά π λ ά ν η ς , hoc est, erraticus et sine errore (AlbMagnCael II 3, 9 = Borgnet IV 191).

Ein Blick auf den Artikel des „Catholicon" zeigt auch hier die Unsicherheit bei der Einordnung der Deklinationsklasse des Adjektivs: (e) APLAN OS: pianos quod est error vel vagatio: componitur cum a quod est sine: et dicitur aplanos vel aplane i.e. firmamentum quasi sine enore: quia semper movetur in eodem loco:

Außerdem sucht Johannes Baibus eine etymologisch-semantische Erklärung aus dem Griechischen durch Trennung in α privativum und PLANOS zu geben und zum Schluß denselben Terminus durch geläufigere Synonyma und Umschreibung verständlich zu machen. Dieses Lexikon kann zwar JdM nicht vorgelegen

28

Vgl. auch AlbMagnCael II 3, 7 (Borgnet IV 186) und ds.Caus I 4, 7 (Borgnet X 424). Die Erklärung von άχλανής durch SINE ERRORE mufi bereits im 12. Jh. bekannt gewesen sein, denn kurz vor 1200 schreibt Daniel von Morley: Prima quidem et propinquior terre est spera lune, s e c u n d a . . . , septima saturni, octava stellarum fix arum quam greci aplanon, quasi sine errore vocant (DanMorl p. 35 sup.).

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haben — es wurde ca. 1286 vollendet — wohl aber eins der im 11.—13. Jh. in Italien hergestellten Wörterbücher, z.B. das eines Papias oder Hugutio Pisanus29, deren Summe das „Catholicon" darstellt. Größere Wahrscheinlichkeit besitzt trotzdem die Annahme, daß er astronomische Traktate seiner Zeit oder allgemeiner gesprochen des 13.Jh. eingesehen hat.

6. ARGUER 3 0 .durch Gründe dartun, argumentieren' 6273 Ε si dit l'en une parole Comunement, qui mout est fole,/... 6277 Que les eneurs les meurs remuent; 6278 Mais eist mauvaisement argüent, Car eneurs n'i font pas muance, Mais eus font signe e demontiance Queus meurs en eus avant avaient Die afr. Lexika und auch das FEW verzeichnen zwar arguer ,eine Behauptung aufstellen, argumentieren' - Lg gibt es mit .raisonner' wieder - ; doch liegen die für diese Bedeutung angeführten Belege zeitlich ausnahmslos nach dem Rr. Obige Stelle wird nirgendwo zitiert. Gewiß läßt sich nicht behaupten, JdM verwende hier einen streng logischen Terminus, dennoch zeigt die Anlage der Partie, daß es sich um eine Erörterung, scholastisch gesprochen um eine vereinfachte Quaestio handelt. Eine Behauptung der Gegenseite wird referiert (Rr 6277), als falsch erklärt (6278) und in längerer Exposition als irrig erwiesen (6279 ff.). Einige afr. Texte, die sich mit ziemlicher Sicherheit in das letzte Viertel des 13. Jh. datieren lassen, zeigen in ihrer Häufigkeit, daß die von JdM verwendete Bedeutung geläufig geworden ist, und zwar in betont logischen Zusammenhängen. 29

30

Thurot, Doctrines grammaticales 97 ff., bes. 92; GT 135 f. - Das Lexikon des Papias, „Vocabulaiium" (ca. 1053), gibt es nur in Inkunabeln, deren eine (Venetiis, 1491) im Buchhandel zugänglich ist (Torino, 1966). Die Praefatio veröffentlichten L.W.Daly u.a.: Some techniques in Medieval Latin lexicography. Spec 39 (1964) 229-31. - Das ca. 1200 entstandene Werk des Hugutio Pisanus (Ugguccione da Pisa), allgemein unter dem Titel „Liber derivacionum" bekannt, dessen Aufschrift im Göttinger Cod.Philol. 227 „Hugwicio's Lexicon" lautet, wurde nie ediert An neueren Arbeiten seien genannt: R.W. Hunt: Hugutio and Petrus Helias. MRS 2 (1950) 174-78. - S.G.Mercati: Sul luogo e sulla data della composizione delle „Derivationes" di Ugguccione da Pisa. Aevum 33 (1959) 490-504. - L.W.Daly, a.a.O. 235f. - C.Riessner: Die „Magnae derivationes" des Uguccione da Pisa und ihre Bedeutung für die romanische Philologie. Diss. München, 1966. - G.Cremascoli: Termini del diritto langobardo nelle „Derivationes" e il presunto vocabolario latino-germanico di Ugguccione da Pisa. Aevum 40 (1966) 53-74. FEW 1138; TL I 524f.; Gf I 396 f., VIII181; LaC II 146f.; TLL II 551-55. 15

(a) „Chronique de St.-Denis": II avint a Paris que maistre Guillaume de Saint-Amor avoit fait un livre q u i . . . parloit contre les religieux et espe'ciaument contre les freres meneurs et les preescheurs. Tant disputerent et arguerent ensemble que il convint que le descort venist a la court de Rome (ChrDen IV 330). (b) „Clef d'Amors": S'ele veut arguer, argue Pour lie', qu'el ne soit esperdue; Preuve quant que ele prouvera, Nie quant qu'ele niera (ClefAm 1397-1400) 3 I . (c) Mahieu le Vilain: 3 2 Et le philosophe (sc. Aristoteles) argüe contre cest dit et dit que il ne semble pas estre raison que si grant plente de yaue comme la mer deviengne saxe, car . . . (Meteora 84, 30). (d) Jean d'Antioche: . . . il conduit ce qui est general: „En toute chose donques l'en doit especiaument eslire le governeor por art, non pas a la volee." Mais il avient sovent en ceste maniere d'arguer que plusors singularitez meinent a la preuve d'une autre singularite', si come . . . (JeanAnt p. 263). (e) Egidio Colonna: La .ii. science franche et Überaus si est logique qui enseigne la maniere d'argüer et de respondre (GouvRois 199, 39; vgl. ds.ebd. 200, 5 und 353, 13). (f) Drouart la Vache: Comment que je prueve et argüe, La verite's ne se remue, Et comment que nous vos dions Les diverses oppinions, Je tieng a la fin,... (DVache 6393-97). (g) Henri de Mondeville: La .6. (sc. chose) a noter est que l'en puet arguer encontre ce qui est dit: . . . (HMond 1683).

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Hingegen heißt arguer ClefAm 894 Jemandem mit Reden zusetzen' (TL zur Stelle). V.Väänänen: Ancien franfais „argüer" ,presser, harceler*. NeuphMitt 47 (1946) 97-104, zitiert dieselbe Stelle als Beleg seiner Behauptung „En outre, arguer se rencontre dans la vieille langue au sens de .raisonner, presser de paroles, blämer, accuser'" (p. 97). Gf weist eine Verwendung von arguer ,etablir par des preuves' erst Christine de Pisan zu.

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Ein Kommentar der Belegstellen erübrigt sich. Soviel ist jedenfalls festzuhalten, daß JdM hier ein seit dem 12. Jh. im Afr. nachweisbares Wort erstmals fachterminologisch im Bereich der Logik verwendet und diese Bedeutung von arguer in einem Zeitraum von 10—15 Jahren nach der Abfassung des Rr wiederholt vorkommt. Auf die noch immer nicht einhellig entschiedene Frage nach dem Etymon von arguer3,3und seiner semantischen Entwicklung seit dem Lt. - kit. ARGUERE hat mehr oder weniger deutlich nicht so sehr eine Tendenz zum logischen als zum juristischen Bereich — kann im Rahmen dieser Arbeit nicht eingegangen werden. Im MA jedenfalls finden sich zahlreiche Belege für ARGUERE in derselben Verwendung wie arguer bei JdM. (h) Adelard von Bath: 34 . . . Ulas ipsas, quibus astantibus comitata superbit (sc. philocosmia)... tui iuris potius esse debere arguam. Quod sie colligo . . . (AdelaidBath 15, 6 ff.). 7. AUCTEUR 35 .Schriftsteller, Autor' 9187 Cist Hercules avait, selonc 9188 L'aucteur Solin, set piez de Ionc. 15215 D'autie part, dames enourables, S'il vous semble que je di fables, Pour menteeur ne m'en tenez, 15218 Mais aus aueteurs vous en prenez Qui en leur livres ont escrites Les paroles que j'en ai dites. 15395 Cete (sc. la misericorde), se Ii aueteurs n'i ment, Percerait pierre d'aimant 33 34 35

Vgl. BlochW 35, GamEW 48, Dauzat 45, REW 52. Vgl. auch AegLess (Thomdike, Comets HO med.). FEW 1172; TL I 687; Gf VIII 241 f.; LaC II 311; DG 166. Allgemeinere Arbeiten zu den AUCTORES im MA: PaetArts 53-55, PaetAnd 13-30 und 37 Α. 1, jedoch Uberholt und korrigiert durch Rand, Classics 249-69; Renaiss XHe 147-69; A. Viscardi: Lettura degli ,auctores' moderni nelle scuole medievali di grammatica. Fs. A. Monteverdi (Modena, 1959) II, 867-73. - S.Battagüa: La tradizione di Ovidio nel medioevo. In: La coscienza letteraria del Medioevo II, 23-50. Napoli, 1965. Zu AUCTOR und AUCTORITAS p. 34-37. - Immer noch zu benutzen: M.Manitius: Analekten zur Schulgeschichte des Mittelalters. Mitteilungen d. Gesellsch. f. dtsch. Erziehung»· u. Schulgeschichte 16 (1906) 35-49; 232-77. - GrabmannGSM II 13-24. Zum Unterricht an der Artistenfakultät vgl. die von J.Koch unter dem Titel „Artes liberales" herausgegebenen Beiträge (Leiden-Köln, 1959). Speziell sprachliche Untersuchungen: ChenuAutor 81-86, PareScol 23-25, ParelL 15-17; Billanovich 143-55; Artikel „Auteur" in RevEsth 19 (1966) 407-12. Nur für das Afr.: Ricken 89 ff. 17

Aucteur begegnet in afr. Texten seit dem letzten Drittel des 12. Jh. so häufig, daß eine Diskussion der verschiedenen Bedeutungsnuancen schon an einer Auswahl von Belegstellen möglich scheint. Eine ebenso ausführliche Sichtung für AUCTOR durch die Jahrhunderte erübrigt sich, da bereits in klassischer Zeit die im Rr anzusetzende Bedeutung Schriftsteller', besonders .klassischer Autor' vorliegt. (a) Benoit de Ste-Maure: Tant chevauchierent, tant parlerent Que es rues de Troie entrerent Onques nus hom a icel jor, ς ο nos recontent Ii autor, N'aveit oi'anceis parier De si grant joie demener. (Troie 4853-58; vgl. ds.ebd. 914) Lt. Vorlagen, besonders nach Dares Phrygius und Dictys Cretensis.

(b) Wace: Pur ceo firent bien e saveir / . . . / Ki escristrent premierement, Ε Ii auctur plenierement, Ki firent livres e escriz Des nobles faiz e des bons diz, Que Ii barun e Ii seignur Firent de tens ancianur (Rou 7-14). Lt. schreibende Chronisten.

(c) Benoit de Ste-Maure: Ε quant ses genz furent venues Ε ses navies atornez,/.../ Si out treis mile nefs au meins: De ce nos fait l'autor certains. (BenDucsNorm 37001-05; vgl. ds.ebd. 36384) Lt. Chronik, in diesem Falle vom Herausgeber III p. 189 A.2 als Guillaume de Jumiege ausgewiesen.

(d) Marie de France: Gileberz cunta icel fait A l'autor quil nus a re trait (MFcePurg 205 7f.; vgl. ds.ebd. 1401) L t Vorlage

(e) Aimon de Varennes: Ne dois ameir se ne seis cui." ,,Ai ge manre force d'atrui? Jai avez vos lut en l'actor Que nus n'ait force contre amor." (Florimont 7641-44; vgl. ds.ebd. 4315) Klassischer Autor, Schulschriftsteller (=Ovid). 18

( 0 „Dolopathos": . . . C'un philosophe Ii que'ist Qui les .vii. ars Ii apriist,/. · ./ Et par le senz k'il aprendroit Des au tors et de l'escriture, Entendroit reson... (Dolop 1249-54). Schulautoren. (g) Guillaume LeClerc: Li clers fu nez de Normandie, Qui auctor est de cest romanz (GuilLeClercBest 34 f.). Verfasser. (h) Henri d'Andeli: Savez por qui est la descorde: Qu'il ne sont pas d'une science; Quar Logique qui toz jors tence, Claime les autors autoriaus Et les clers d'Orliens glomeriaus. (HAndArs 4 - 8 ; vgl. ds.ebd. 32, 34, 243, 250 u.ö.) Schulautoren. (i) Guillaume de Lorris: Si en puis bien traire a garant Un auctor qui ot non Macrobes (Rr 6 f.). Klassischer Autor. (j) „Image du monde" II: En l'autre lingne qui est en milieu que midis tranche par mi, en la fin devers oriant, si comme dient Ii aucteur, est paradis terrestre (ImM II p. 105). Lt. Vorlagen. (k) Aldobrandino da Sienna: . . . il (sc. ce livre) entrait a tiesmoignage les auteurs d'astronomie, de natures et de medecine de coi Ii livres parole (RegC Proeme 3,19; vgl. ds.ebd. 3, 29). Medizinschriftsteller wie Hippokrates, Galen u.a. (1) Rutebeuf: Puis qu'auteurs et auctoritez S'acordent que c'est veritez Qui est oiseus de legier peche, Et eil s'ame trahist et treche. Qui sanz ouvrer sa vie fine,/... / Por ce me vueil a oevre metre (Ruteb IX 1-7). Nicht näher bekannte Autoritäten, möglicherweise aus Sentenzensammlungen zitiert.

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(m) Brunetto Latini: . . . car cist livres est compiles seulement de meivilleus dis des autours ki devant nostre tans ont traitie de philosophie (BrunL I 1, 5; vgl. ds.ebd. I 33; I 136,1). Antike Fachschriftsteller und Klassiker.

(η) „Chronique de St.-Denis": Ci avons descrit le siege de toute Gaule au mieus que nous povons, selon les livres des anciens aucteurs (ChrDen 116). Antike Autoren, offensichtlich Caesar und Plinius Maior.

Mit Ausnahme von (e) bezeichnet aucteur im 12. Jh. allgemein die lt. Quellen, die den Verfassern das Material zu ihren eigenen Arbeiten liefern (a—d), und diese Bedeutung kommt auch im 13. Jh. wiederholt vor (j—k, m—n). Daneben tritt erstmals Ende des 12. Jh. (e) und dann häufiger aucteur .klassischer Autor, Schulautor' (f, h), speziell als Autorität fur Behauptungen des Schreibers selbst (i, 1). Eine wenig geläufige Verwendung findet sich in (g). Der Verfasser selbst nennt sich auctor. Nach mit. wie auch afr. Sprachgebrauch des 12. und beginnenden 13. Jh. kann das Wort hier nichts anderes als .Schreiber, Verfasser' ohne jeglichen Autoritätsanspruch heißen. Trotzdem verbindet sich mit der Bezeichnung auctor ein nicht zu verkennender Wertanspruch, der in der ma. Bildungslage seine Begründung findet. Guillaume LeClerc erwähnt selbst seinen klerikalen Status; dieser wiederum genoß zu seiner Zeit das nahezu ausschließliche Privileg höherer Bildung; er verstand es, zu lesen und zu schreiben. So mag es als Zeichen besonderer Gelehrtheit gelten, wenn dieser clerc .Verfasser' einer wissenschaftlichen Anspruch erhebenden Tierkunde ist. Die in großer Vielfalt im MA aufgestellten Kanones anerkannter und empfohlener Schulautoren36 nennen heidnische und christliche Schriftsteller in bunter Reihenfolge ohne Rücksicht auf die Chronologie, und typisch fur das gesamte MA bleibt die Feststellung, daß sie alle als gleichwertig gelten, Autoritäten sind. Kataloge des 13. Jh. verzeichnen neben sog. klassischen Autoren (nicht im modernen Sinn, sondern Autoren der Antike und des beginnenden MA) auch einige moderne lt. Schriftsteller, worunter die lt. Dichter des 12. und frühen 13. Jh. zu verstehen sind, Bernard Silvestre, Alain de Lille, Gautier de Chätillon, Petrus Riga, Matthieu de Vendome, Geoffroi de Vinsauf u. a., aber die ancien behalten den Vorrang. Die einschränkungslose Approbation literarischer Produkte der Vergangenheit kann nur aus der Überlegung verstanden werden, daß sie der Nachwelt ein Totum an Wissen vermittelten und umgekehrt ein Verwerfen Uberlieferter Aussagen einem Sakrileg gleichkäme, was auf theologischem Gebiet für die 36

Ausführlich behandelt solche ma. Kanones CurtEL 58-64; 265-69; 459-61; vgl. auch GrabmannGSM II 59-64; Rand, Classics 259 ff.; Viscardi, a. a. O.; PareScol 24. 20

christlichen Autoritäten tatsächlich bis ins 13. Jh. hinein zutraf. Das zog die Konsequenz nach sich, daß kein Lebender seine eigene Ansicht als authentisch ausgeben durfte; ein Universitätslehrer hatte als Kommentator anerkannter Autoritäten, nicht als Propagator eigener Thesen aufzutreten. Daher allein wird Roger Bacons Polemik gegen Albert und Alexander Haies verständlich, die sich nicht als MAGISTRI, sondern als AUCTORES gebärdeten: 37 (o) Iste (sc. Albertus) per modum authenticum scripsit libros suos, et ideo totum vulgus insanum allegat eum Parisius sicut Aristotelem, aut Avicennam, aut Averroem et alios autores (zitiert nach PareScol 24).

Die enge inhaltliche Bindung des Begriffes Autor an den der juristischen Sphäre zugehörigen Terminus authentisch, wie sie besonders im 13. Jh. deutlich wird, mag durch spitzfindige und darum nicht richtigere Spekulationen von Seiten der Grammatiker und allgemein sprachlich orientierter Schriftsteller — ein Verfahren, das sich von Piatos „Kratylos" über Isidors „Etymologiae" bis in zahlreiche ma. grammatische Traktate verfolgen läßt — eine weitere Stütze erhalten haben. Hier wie in zahlreichen anderen Fällen zeigt sich das „Catholicon" als Sammelbecken sehr alter grammatischer Tradition, die sich von Priscian über Isidor, Papias, Ugguccione da Pisa, Alexandre de Villedieu, Evrard de Bethune bis ins späte 13. Jh.erst reckt. 38 In diese Kette gliedern sich zwischen die Grammatiken des beginnenden 13. Jh. und das „Catholicon" die „Synonyma" des auch auf anderen Gebieten der Grammatik tätigen und in der Mitte des 13. Jh. in Paris lehrenden Johannes von Garlandia ein. (p) Evrard de Be'thune: Auetor ab augendo nomen trahit, ast ab agendo Actor, ab autentim, quod Graecum est, nascitur autor, Cui jungas hic et haec: meritorum au tore relicta. (EvrBethGr IX 107-09)

(q) Johannes von Garlandia: Invenit autor; agit actor, res ampliat auetor. Autor ab autentim sine c; de se dicit actor, Α sine ν ab ago venit; auetor ab augeo cum c. (JohGarlSyn 1580 b)

(r) „Catholicon": AUCTOR: . . . Quando vero signat authentem i.e. autoritatem est communis generis, et debet scribi per u. et sine c. ut hic et hec autor: et derivatur tum ab autentum . . . . 37 38

Vgl. GilsonPhilos 505 f.; ChenuAuth 258-83; Mandonnet I 45 A. 1 und 46 A. 3-4. Ende des 14. Jh. wurde das „Catholicon" zu einem lt.-afr. Lexikon verarbeitet, das Roques im Rahmen seines nicht vollendeten Planes, alle fr. Lexika des 12.-15. Jh. zu edieren, publizierte (=RoLex II). 21

secundum vero secundam significationem philosophi et inventores artium: ut Plato Aristoteles Priscianus et quelibet excellentes persone debent dici autores. secundum vero tertiam. Virgilius et Lucanus et etiam Ovidius. ceteri poete debent dici autores qui ligaverunt carmina sua pedibus et metris...

Die Form, in der sich JdM Rr 9188 und 15395 auf einen aucteur beruft, würde man im modernen Sprachgebrauch als (unvollständige) Zitate bezeichnen. Solin, unbedeutender Autor der zweiten Hälfte des 3. Jh., Kompilator einer nichtsdestoweniger vielgelesenen Erdbeschreibung „Collectanea rerum memorabilium", die im MA sehr beliebt war,39erscheint in einem Kanon von Schulautoren aus dem Ende des 12. Jh. 40 - Die Quelle für Rr 15395 f. vermochte auch Lg nicht ausfindig zu machen. Neben diesen für Einzelfakten angeführten Autoren besitzen die Rr 15218 summarisch genannten aucteurs eine weitaus gravierendere Bedeutung; sie stellen die Instanzen dar, auf die sich JdM in seiner Apologie berufen kann, die er, um den mit Sicherheit zu erwartenden Angriffen wegen allzu freizügiger Darlegung die Spitze zu brechen, gleich in sein Werk einfügt. Der Dichter, der sich durchaus als Autor seines Romans fühlt, und zwar in d;r ma. Auffassung des Wortes, weist — wenigstens formal - die Würde eines aucteur zurück und begnügt sich mit deijenigen eines Kompilators, da er sich einzig auf diesem Wege der Verantwortung entziehen kann, dem Risiko, von den immer wachen Wärtern der theologischen, moralischen und gesellschaftlichen Tabus belangt zu werden.

8. AUTENTIQUE41 .beglaubigt, anerkannt, echt' 6627 Ε se tu sez riens de logique, 6628 Qui bien est science autentique, Puis que Ii grant seigneur i faillent Li petit en vain s'i travaillent. 16196 . . . Si con Tulles le nous remembre, Au livre de sa Retorique, 16198 Qui mout est science autentique. 42

39 40 41

42

Schanz-Hosius III 224-27. - H. Walter: Die „Collectanea return memorabilium" des C.Julius Solinus. Wiesbaden, 1969. (Hermes Einzelschr., 22). CurtEL 59f. - Rr 5857 wurde Solin schon einmal zitiert. FEW fällt aus; TL 1 686 f.; Gf VIII 241; LaC II 325; DuC I 506 f.; Liddell-Scott 275; MltWbl 1280-83. Zu autentique im Rr vgl. ParelL 18; allgemein zu .authentisch' im MA vgl. Renaiss Xlle 147-49. Ein dritter Beleg findet sich in einer umfangreichen Interpolation hinter Rr 11222, die Lg III 313 druckt; wegen der unklaren Zuordnung wird die Stelle nicht berücksichtigt

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Die Angaben der Handbücher zu autentique lassen wegen der geringen Belege und der unvollständigen Bedeutungsskala eine Diskussion der Stellen des Rr nur unvollkommen zu. Einzig Gf verzeichnet das Adjektiv in einem ähnlichen Zusammenhang, wie es bei JdM der Fall ist, aber erst bei Oresme. Der Rr wird nirgendwo erwähnt. (a) Cartularium (1211): Et pour ce que la cose jugie ne soit mise en oublianche, ele sera commandee a autentique escripture (zitiert nach Gf).

(b) Gautier de Coinci: Aucune foiz, aucun d'aus dit Que maint miracle sunt escrit Qui ne sont vrai ne autentique. (PGCoins 272, 475-77; vgl. ds.ebd. 178, 590)

(c) Henri d'Andeli: Autentique, Qode, Digeste, Li fet les chaudiaus por sa teste; Quar ele (sc. Rectorique) a tant d'avocatiaus,/.../.../ Que toz Ii pais en est plains (HAndArs 366-71).

(d) Pierre de Fontaines: L'Autentique dist:... (PierreFont XXXI 3; vgl. ds.ebd. XXXIII 31 und 33).

(e) „Chronique de St.-Denis":43 Narses fu premierement garde des instrumens et des autentiques imperiaus (ChrDen 1127).

(f) Philippe de Beaumanoir: Pour ce que Ii seaus de la baillie est autentiques et creus de ce qui est par Ii tesmoignie en letres, Ii baillis n'est pas sages qui soigneusement ne le garde (Beauvais 52).

Der älteste nachweisbare Beleg stammt aus juristischen Akten des frühen 13. Jh., also aus nichtliterarischen Dokumenten; dort heißt ein gesetzlich verbürgtes, echtes Schriftstück autentique escripture (a). Ähnliche Verwendung liegt in ( 0 vor. Wenn Narses die Position eines garde... des autentiques imperiaus (e) innehatte, so bezeichnen die autentiques hier wie auch in (c) und (d) das Corpus der justinianischen Gesetzesnovellen. Nicht in juristischer, sondern in theologischer Sphäre bewegt sich Gautier de Coinci mit seiner Behauptung, die Wundertaten der Gottesmutter seien nicht 43

In der l t Fassung steht: primo cartularius fuit (Aimoin).

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(faktisch) wahr und nicht (durch kirchliche Autorität) verbürgt (b). Theologie und in noch größerem Umfang die Jurisprudenz sind die Bereiche, in denen in der Zeit vor und auch nach dem Rr autentique vorkommt. Beide Bereiche werden aber Rr 6628 und Rr 16198 nicht berührt. Die Bedeutungsentwicklung von autentique läßt sich am besten im Lt. verfolgen. Die Heimat des Begriffes .authentisch' ist das Rechts-, speziell das Urkundenwesen. Schon früh ging gr. α ύ θ ε ν τ ι χ ο ' ς in die It. Sprache über. Seit Tertullian bezeichnet das Adjektiv AUTHENT1CUS die Urschrift im Gegensatz zur Kopie. In juristischer Fachsprache heißt die wörtliche lt. Übersetzung der Gesetzesnovellen Justinians AUTHENTICAE ORDINARIAE, um sie von der paraphrasierenden Epitome des Julian von Neapel abzuheben. 44 Den Gedanken der Garantie, Verbürgtheit, Beglaubigung trägt AUTHENTICUS in das christliche Lt. hinein. 45 Die inhaltliche Nähe des Begriffs AUCTOR (im juristischen Sinn Urheber einer Handlung und damit Gewährsmann für diese) stellt AUTHENTICUS neben AUCTORITAS 4 6 , so daß die Bedeutungsübertragung etwa mit .Berufungsinstanz im dogmatischen Bereich' zu umreißen wäre. AUTHENTICUS (Substantiv) heißt bei Claudianus Mamertus und Sidonius Apollinaris jeder beliebige Kirchenschriftsteller 4 . 7 So wird es verständlich, wenn im MA neben den Juristen auch Theologen und Historiker in der Berufung auf ihre Quellen sich des quasi-juristischen Ausdrucks .authentisch' bedienen. Die Kirche nimmt außerdem eine Abstufung der Glaubwürdigkeit ihrer Vorlagen vor; so nennt Vincent de Beauvais im Prolog seines „Speculum naturale" nacheinander 1) die Bibel, 2) die kirchlichen Kanones und die Patres, 3) die heidnischen und ma. .Philosophen' (=Autoren). 48

Daß die Bedeutung ,echt, anerkannt' mit dem systematischen Ausbau des Lehrbetriebs an Klosterschule und Universität von dem theologischen Schrifttum auch auf andere Wissenschaftszweige übergeht, darf nicht verwundern. AUTHENTICUS bezeichnet an der Artistenfakultät jeden kanonisierten Autor der Antike, jedoch nicht immer des MA. 49 Kritik an Autoritätengläubigkeit zeigt die ironische Bemerkung Johannes' von Salisbury:

44 45 46 47 48

49

Vgl. A. Allgeier: Authentisch auf dem Konzil von Trient. Eine wort- und begriffsgeschichtliche Untersuchung. HistJb 60 (1940) 142-58, bes.p. 142. ChenuAuth 259. Billanovich 143-55, AUCTORISTA. Vgl. W.L.Grant: Some addenda to Souter's „Glossary". Manuscripta 10 (1966) 106 f. Die Dichotomie AUTHENTICA-MAGISTRALIA kennzeichnet Aussagen der als gültig anerkannten Väterliteratur gegenüber denjenigen zeitgenössischer ma. Theologen, die geringere Autorität besitzen. Vgl. CurtEL 458 f.; ChenuAuth 258-83; Thurot, Doctrines grammaticales 103 A.2.

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(g) Quis autem, nisi insulsus aut ingratus, propositum habebit autenticum, eo quod illud Coriscus, Brisso protulit aut Melissus, eque omnes ignoti, nisi quatenus a Aiistotile exempli gratia nominati sunt? (JohSarMet 890 a). (h)Quid enim dubitat qui iuratus in verba magistri non quid, sed a quo quid dicatur attendit? . . . Quicquid enim ille (sc. doctor) protulit, autenticum et sacrosanctum est (JohSarPolycr 653 d). LIBER AUTHENTICUS bezeichnet ein offiziell für die Lektüre zugelassenes Werk (i) — und dies galt eben nur von .authentischen' Autoren — wie umgekehrt ein LIBER NON AUTHENTICUS das einem anerkannten Schriftsteller als unecht abgesprochene Buch (j) oder eine nicht mustergültige Vorlage meint (k). (i) Etienne de Tournai (in einem Klagebrief an den Papst über die schlechten Sitten an den Schulen, ca. 1200): Omissis regulis artium abjectisque libris autenticis artificum muscas inanium verbulorum sophismatibus suis tamquam aranearum tendiculis includunt (ChartUP p. 48 Nr. 48). (j) Guillaume de St.-Amour: Similiter de loanne Damascene, qui licet monachus esset, tarnen non tantum in Sacra Scriptura, verum etiam in Iiberalibus artibus docebat scholares, ut legitur in libro „De mirabilibus Beatae Virginis", quem librum non vidimus, nec credimus authenticum esse (GuillStAmCollectiones 402). (k) Albumasar: . . . non scripto ullo autentico quod ego mea lingua invenerim, sed doctorum tantum sua cuiusque sentencia paratur (sc. Uber) (Albumaslncipit). Im Unterricht werden zur Erläuterung grammatischer Regeln Stellen aus .authentischen' Dichtern angeführt, AUTHENTICA EXEMPLA, daneben aber auch selbstgebildete Beispiele, EXEMPLA FAMILIARIA oder EXEMPLA DOMESTICA: (1) Matthieu de Vendome: Zeuma . . . e s t . . . Et ne videar prodigus exemplorum, uno authentico inducto, unum familiare sufficiat, hoc scilicet ad laudem: . . . (MattVind I I I ; vgl. ds. ebd. II 20). Bisweilen wird EXEMPLUM geradezu als Aussage einer AUTENTICA PERSONA definiert: (m) Johannes von Garlandia: Exemplum est dictum vel factum alicuius autentice persone dignum imitatione (JohGarlPoet I p. 888 inf.).

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In der Dichtung kommt es vor, daß einem ma. Rhythmus ein VERSUS AUTHENTICUS, d. h. ein nach klassischem Metrum gebauter Vers angehängt wird. (n) Johannes von Garlandia: Contingit aliquando versum autenticum adiungi rithmo, de quo superius nihil dictum est: ad hoc dicendum quod versus appositus non facit diversam speciem, quia versus apponitur illo rithmo in quarto loco (JohGarlPoet II 56).

Eine noch weitere semantische Ausdehnung des Epitheton AUTHENTICUS erfolgt in der zweiten Hälfte des 13. Jh. s0 Bei Gilles de Lessines dient es der Charakteristik nicht näher bezeichneter Professoren, Roger Bacon nennt den Averroes-Kommentar zu Aristoteles AUTHENTICUS; für die Juden gilt Rabbi Jonathan, für die Griechen Arat als Autorität (nach Robert de Melun) sl . Bezeichnend für die Akzentverschiebung innerhalb der Wertigkeit von Personen und Werken der Vergangenheit und zugleich wegweisend für die Deutung der beiden Stellen des Rr sind Vincent de Beauvais' Darlegungen im Prolog seines „Speculum naturale": (o) Praeterea quoniam artifici cuilibet in sua facultate discentem oportet credere, secularium seientiarum studiosis scholaribus, ut in eis proficiant, necesse est primitus Philosophis earum inventoribus, vel peritis ac discretis tractatoribus fidem adhibere. Verbi gratia, Prisciano in grammatica, Aristoteli in Logica, Tullio in rhetorica, Hippociati in medicina... Denique decretum Gelasii Papae, quo scripta quaedam approbantur, quaedam vero reprobantur, hie in ipso operis initio ponere volui, ut lector inter authentica et apocrypha discernere sciat, sieque rationis arbitrio quod voluerit eligat, quod . . .

Jeder Kenner seines Faches verdient es, daß man seinen Behauptungen Glauben schenkt, am meisten aber die .Philosophen', die die betreffende Disziplin .erfanden': dies gilt für Priscian in der Grammatik, Aristoteles in der Logik, Cicero in der Rhetorik und Hippokrates in der Medizin. Mit der Anerkennung des wichtigsten Vertreters einer Wissenschaft ist aber die des von ihm vertretenen Faches eng verbunden. Wenn JdM Logik und Rhetorik als science autentique bezeichnet, kann dies nur heißen, daß er beide Fächer der artes liberales als im Wissenschaftsbetrieb seiner Zeit offiziell anerkannte Disziplinen betrachtet. Science autentique 50

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Über die im 14. Jh. im Mfr. erfolgte semantische Erweiterung von autentique, die im lt. Sprachgebrauch jedoch bereits im 12. Jh., im 13. Jh. bei Johannes von Garlandia (m) und dann im „Catholicon" begegnet, handelt G.Raibaud: Sens oubliis du mot .authentique'. RevUniv 47, 2 (1938) 243-46. - F.Schalk: Authentique'. RF 71 (1959) 174-79 untersucht das Wort für die Zeit vom 17. Jh. an, M. Wandruszka: .Echt' - .authentique'. ZfS 66 (1956) 68-80 im modernen Sprachgebrauch. Vgl. ChenuAuth 275.

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heißt also an beiden Stellen nichts anderes, als was JdM in anderem Zusammenhang in weniger technischen Termini mit sciences prouvees, raisonables e demontrees (Rr 18641 f.) wiedergibt, in denen ein clerc bewandert ist und durch deren Kenntnis er sich vor seiner Umwelt auszeichnet. Eine semantische Einengung der sciences prouvees auf die Naturwissenschaften läßt der Kontext nicht zu, da allgemein von der letreüre (Rr 18639) eines clerc, de· ciple e maistre (Rr 18653) die Rede ist. s 2 Unter der Voraussetzung der Gleichwertigkeit der Begriffe art und science53 läßt sich auch die Alchimie zu den anerkannten Wissenschaften zählen, die Rr 16084 art veritable heißt. Letzteres stellt keinen bloßen Analogieschluß dar, sondern ist als scholastischer Topos nachweisbar. In dem „Libellus de alchimia" von Albert findet sich im 3. Kapitel der Satz: Probat artem alchimiae esse veram s4 .

9. CAVILLACION" .sophistische, trügerische Rede' 1 8 1 1 1 . . . quant l'uis Ii o'ist (sc. Venus) ouvrii, Peüst a tens ses reins couvrir, Bien eüst escusacions 18114 Par queusque cavillacions, Ε controuvast autre achaison Pour quei Mars vint en la maison.

Cavillacion läßt sich in literarischen Texten aus der Zeit vor dem Rr nicht belegen56, und weitere Vorkommen im 13. Jh. fallen allzu spärlich aus, als daß an ihnen der Verwendungsbereich des Wortes bestimmt werden könnte, obwohl der Kontext bei JdM deutlich für eine Ubersetzung durch .Ausrede, spitzfindige Argumentation' spricht. In den Lexika begegnet stereotyp die Wiedergabe durch .subtilite' de mauvaise foi, langage subtil'. Littre zeigt eine Richtung

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Dies gilt aber fur Eustache Deschamps, der einmal die Geometrie als ars bien

autentiques bezeichnet, an anderer Stelle matematiques, geometrie etc. als Un53

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terabteilungen der sciences tres certaines anführt (beide Texte zitiert nach Ricken 44 und 69). Zu diesem Schluß kommt Ricken 54 Α. V, und PareScol 46 f. fuhrt dasselbe für ARS-SCIENTIA im 12. Jh. aus, spricht aber für das Lt. von einer Trennung der Begriffe im 13. Jh. Zitiert nach PareScol 46 Α. 1. FEW II 1, 558; TL II 77 f.; Gf IX 12; LaC III 285; Littre I 1540; TLL III 647 f. Gf gibt karillation ohne Kontext aus einem offensichtlich nichüiterarischen Text von 1253 an; die Bedeutung steht damit offen. Eine vom November 1255 datierende pikardische Charta hingegen läßt an der fachterminologischen Verwendung von chavillations keinen Zweifel. Vgl. den Text unter exception (a). - Eine Notiz über .cavillation' im frühen 16. Jh. bringt M.Fran^on in seinem Aufsatz „Notes sur le vocabulaire: poete, poesie, humaniste, traduire, cavillation". BHR 29 (1967) 159-61.

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auf, aus der Klärung geschaffen werden kann: „Terme de barreau et de controverse". In den Meteorologika referiert Aristoteles bei einer Abhandlung über das Verhalten der vier Elemente zueinander eine gegenteilige These des Empedokles, die er selbst für unzutreffend hält, da sie von einer falschen Voraussetzung ausgehe. Offensichtlich handelt es sich um einen wissenschaftlichen Disput. (a) Mahieu le Vilain: Mais se le feu et l'air estoit si grant comme tout ce qui est puis la terre en amont, il n'aroient nulle egalite de vertu selonc la proporcion de la quantite d'entre le feu et l'air d'unne part et I'yaue et la terie de l'autre, si comme nous avon dit, car trop seroient le feu et l'air grans, pour quoy ceste cavillation, prise selonc l'oppinion Empedocles, ne vaut riens (Meteora 12, 28). In juristischer Fachliteratur wird auf den Vorzug schriftlich fixierter Verzichtserklärungen hingewiesen, da andernfalls mout de cavillacions vorgetragen werden könnten. Unter diesen cavillacions versteht Philippe de Remi wohl Einwände, feinsinnige, gesuchte Auslegungen: (b) Les renonciacions qui sont mises es letres sont bonnes, car s'eles n'estoient Ten pourroit mout de cavillacions metre avant contre les letres (Beauvais 1103). Da weitere Belege für das Afr. vor 1300 nicht vorliegen, kann vielleicht eine Untersuchung von CAVILLATIO exaktere Schlüsse ermöglichen. In vorklassischer Zeit nur in der Bedeutung ,Spott, List' verwendet, hat Cicero nach Senecas Angabe CAVILLATIO als Ubersetzung von gr. σοφ ι σ μ α eingeführt", und er selbst setzt es mehrfach im Zusammenhang mit anderen Begriffen der Logik. (c) Seneca: Quid vocentur Latine sophismata, quaesisti a me. Multi temptavemnt illis nomen imponere, nullum haesit: videlicet, quia res ipsa non recipiebatur a nobis nec in usu erat, nomini quoque impugnatum est. Aptissimum tarnen videtur mihi, quo Cicero usus est: cavillationes vocat; quibus quisquis se tradidit, quaestiunculas quidem vafras nectit, ceterum ad vitam nihil proficit, neque fortior fit neque temperantior neque elatior (SenEp 111, 1 f.). Dieser Bericht findet eine Bestätigung bei dem Juristen Julian, der den σωρ LTης S8 als Sonderfall der CAVILLATIO (= σ ο ' φ ι σ ρ α ) folgendermaßen definiert: 57 58

Entweder ist die Schrift, nach der Seneca zitiert, verlorengegangen, oder er gibt mündliche Tradition weiter; in den erhaltenen Schriften Ciceros existiert CAVILLATIO nicht als logischer Terminus. Der SORITES wird auf den Eristiker Eubulides zurückgeführt - vgl Diogenes Laertios II 108 - ; und damit ist die Sphäre des Wortes eindeutig umrissen. 28

(d) Ea est natura cavillationis, quam Graeci σωρ ΐ τ η ν appellant, ut ab evidenter veris pet brevissimas mutationes disputatio ad ea, quae evidenter falsa sunt, perducatur (JulianDig SO, 17,65).

Durch Boethius wird CAVILLATIO geradezu zum Fachterminus der Sophistik: (e) Necessitas . . . et probabilitas et cavillatio formae quaedam sunt, quae dum inventionibus assistant, necessaria vel probabilia vel cavillatoria faciunt argumenta (BoethTopCic 1 p274, 35).

In demselben Sinne erläutern zwei Kommentatoren des Martianus Capeila aus dem 9 J h . , Johannes Scotus Eriugena und Remi d'Auxerre, die Begriffe SOPHISMA und CAVILLATIO, d.h. ohne jegliche Wertung in malam partem (vgl. Haureau p. 11). Etwa zwei Jahrhunderte später zeigen sich andere Aspekte. Petrus Damiani ereifert sich in einem „Dominus vobiscum" überschriebenen Buch gleich im 1. Kapitel „Quod sancta simplicitas mundi philosophis jure praefertur" über die Gelehrten, von denen er Plato, Pythagoras, Nikomachos und Euklid namentlich erwähnt, schließlich auch über die Rhetoren, die er in ihrem Fach folgendermaßen charakterisiert: ( f ) . . . cunctos sane rhetores cum suis syllogismis et sophisticis cavillationibus indignos hac quaestione decerno (PetrDam 233).

Johannes von Salisbury berichtet über den Unterricht seines Lehrers Bernard Silvestre: (g) . . . figuras gramatice, colores rethoricos, cavillationes sophismatum, et qua parte sui proposite lectionis articulus respiciebat ad alias disciplinas, proponebat in medio (JohSarMet 854 c-d;vgLds.ebd. 881 c).

Piene de Celle schreibt in einem Brief an Johannes von Salisbury lobend Uber Paris: (h) Ο beata scola, ubi Christus docet corda nostra verbo virtutis sue, u b i . . . ! Ibi plus vita confert quam lectio, plus prodest simplicitas quam cavillatio (ChartUP p. 24 Nr. 22).

Während bei Petrus Damiani die CAVILLATIONES zum Repertoire der Rhetoriker gehören und bei Bernard Silvestre zum ordentlichen Lehrprogramm des Triviums, ereifert sich nur wenige Jahre später Petrus Cantor über die .modernen Theologen': (i) Ecce quia modernorum theologorum arguit disputationem qui pugnas verborum et quasdam cavillationes quaerunt, veritate Dei etiam manifests, qui disputant ut illaqueant potius quam discernant et inquirant (zitiert nach A. Landgraf. TheolRev 51 (1955) 350).

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Der Grund fur den Übergang zu einer pejorativen Bedeutung .Spitzfindigkeit, Wortklauberei' liegt auf der Hand. Die immer stärkere Betonung der Logik und ihre dialektischen Auswüchse fordern die Literaten der alten humanistischen Schule im letzten Drittel des 12. Jh. zu heftigen Angriffen heraus, in denen dann CAVILLATIO nicht mehr Fachterminus, sondern einfach verächtliche Bezeichnung für eine Arbeitsmethode der Dialektiker ist. S9 Der Übergang von .Spitzfindigkeit' zu .List, Betrug' erfolgt nicht viel später. Aufschlußreich ist ein Brief des Pierre de Blois, in dem er von einem jungen Mann berichtet, der (j) grammatice et auctorum scientia pretermissa volavit ad versutias logicorum, ubi non in libris, sicut solet, dialecticam didicit, sed in scedulis et quaternis. Non est in talibus fundamentum scientie litteralis, multisque perniciosa est ista subtilitas, quam extollis (zitiert nach PaetAnd 22 A. 31). CAVILLATIO wird geradezu Synonym von VERSUTIA, FALLACIA; dies allerdings nicht in der Fachsprache. Neben der verflachten Bedeutung steht nämlich weiterhin unangefochten der logische Terminus CAVILLATIO. 6 0 (k) Roger Bacon: . . . et ideo intelligendum est quod si terminus addatur signo inmediate et in ydemptitate casus et numeri, ita quod sit subjectum et materia distribucionis, confunditur confuse et distributive; et tunc excluduntur omnes cavillaciones que possunt fieri (RogerBacDial p. 276 med.). (1) „Catholicon": CAVILLO: . . . quod est aliquantulum decipere. et proprie pertinet istud verbum maxime ad sophistas. qui verbum verum scienter impugn ant: et falsum scienter affirmant. Gewiß war sich der sonst in logischer Fachsprache so sicher verfahrende JdM des Verwendungsbereiches von cavittacion bewußt - escusacions, preuve, 59

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Zwar ist die semantische Abwertung nicht erst im 12. Jh. erfolgt, wohl aber lag die Tendenz gerade um 1200 nahe. Jede wohlaufgebaute, straff angelegte Argumentation muß einem Laien als .Trick' erscheinen. - Zu analoger Verwendung in früherer Zeit vgl. CGL II 571, 42: CABULLATIO (v.l. CAVILLATIO) VERSUTIA. Johannes von Salisburys Lehrer Guillaume de Conches wendet sich an einer Stelle des „Dragmaticon" gegen Leute, die Aristoteles Thesen der Elementenlehre zuschreiben, die jener nie vertrat: Non huius sententiam super hoc exponerem nisi quosdam de nostris timerem, qui Aristotelis coquina indigni se illius filios flngunt; qui si seminarium alicuius falsi susceperint, multis cavillationibus illud ampliflcant, et non pro veritate, sed pro sua parte pugnant (zitiert nach Lemay, Abu Ma'shar 183 f.). Bücher mit den Titeln „Summa", „Cavillationes", „Quaestiones Sabbatinae" finden sich Mitte des 13 J h . in den Bologneser Notariatskreisen. Vgl. G.Cencetti: Studium fuit Bononie. Note sulla storia dell'Universita di Bologna nel primo mezzo secolo della sua esistenza. StM 7 (1966) 781-833, obige Angabe p. 806. 30

jurer möchte man als Hinweise fur die Sphäre von Gericht und Disputation betrachten, die ja in früheren Zeiten sehr viel enger verknüpft waren —; da er sich aber trotz aller Götternamen in sehr bürgerlichem Milieu bewegt, ferner seine misogyne Tirade gerade Verachtung bezeugende Benennungen erfordert, scheint es nicht unmöglich, daß er cavillacion bewußt als schillernden Ausdruck hier einsetzte.61 10. CELESTRE - CELESTIAL62 ,am Himmel befindlich, himmlisch' 17506 Toujourz feront Ii cors celestre Selonc leur revolucions Toutes leur transmutations, / . . . 17880 Vers les ceaus arriers m'en retour, Qui bien font quanque faire deivent Aus creatures, qui receivent 17883 Les celestiaus influences Selonc leur diverses sustances. 1 8 0 1 9 . . . Qui (sc. les nues) pour le monde soulacier, Ausinc com pour aler chacier, Un arc en leur poing prendre seulent, Ou deus, ou treis, quant eles veulent, 18023 Qui sont apelez ars celestres.

Weder ist celestre eine Neuschöpfung des 13. Jh. — es begegnet in Texten seit dem 11. Jh. — noch steht es bei JdM in besonderer Bedeutung. Dennoch scheint eine kurze Erörterung seiner Verwendung angebracht, denn in allen Handbüchern herrscht die Ansicht, afr. celestre komme nur in religiöser Sphäre vor. Das FEW führt dazu aus: „(das Wort) hat denn auch bis ins 16. Jh. nur die religiöse Bedeutung; erst seit der Renaissance wird es auch auf ciel .firmament' bezogen". Doch findet man unter dem Stichwort CORPUS (FEW II 2, 1215) die Angabe „corps celeste .astre' (seit 13. Jh.)". 63 61 62 63

Vgl. Rr 21498 sofime, Rr 12139 aparence und die Ausführungen in den entsprechenden Artikeln. FEW II 1, 34; TL II 100; Gf II 10; LaC III 292 f.; TLL III 67-72. Vgl. auch celestiaus influences Rr 18558 und cors celestre Rr 17094,17578, 18909. CAELESTIS tritt schon bei heidnischen Autoren häufig als Epitheton von IGNIS (Lukrez), ASTRA (Ovid), ARCUS (Plinius) u.a. auf. Für die l t Literatur des 13. Jh. sei nur auf AlbMagnMeteora III 4, 4 (Borgnet IV 669), RogerBacDial p. 218, AegLess (Thorndike, Comets 116) hingewiesen. Zwar werden in einem Zitat bei Thomas den Sternen göttliche Attribute zugeschrieben - caelestium corponim, quae vocat corpora divina propter sui perpetuitatem (zitiert nach ThomLex 190). Dies aber geschieht durch den Zusatz von DIVINA, so daß also nicht CAELESTIS bereits den Hinweis auf die Göttlichkeit enthält Für die betreffenden Verse des Rr fallt eine theologische Interpretation a priori aus, da es sich um rein naturwissenschaftliche Erklärungen handelt

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Die späten Datierungen der anderen Lexika sind damit jedoch nicht erklärt. Für die genannten Stellen im Rr weist der gesamte Kontext auf eine Verwendung in astronomischem Gebiet hin. Ob JdM erstmals das Epitheton in nichtreligiösem Zusammenhang im Afr. setzte, läßt sich nicht genau bestimmen. Weitere Belege fallen ebenfalls in die zweite Hälfte des 13. und den Anfang des 14. Jh. (a) „Roman d'Alexandre": . . . Ii Egiptien furent eil qui plus s'en traveillierent, car il estudiierent tant en l'inquisesion des chozes celestiaus et humainnes qu'il parvindrent a la certainite de la noble science ke l'en apele astrenomie (AlexPr 7, 21-27). (b)„Viellart, ensi afiert il que tu muiies, quant il ne te souffist mie de savoir les chozes tenienes, mais vius jugier les secres celestiaus teus que nus sages ne s'en doit entremetre" (ebd. 32, 20-25). (c) JdM: 6 4 Donques se destinee est hantee . . . ou par . . . ou par les celestiaus mouvemens des estoilles ou par . . . (JdMBoeth IV pr. 6, S3). (d) Leopold von Österreich: Li glorieus dieus... mist le tene en my le chiel ties sagement par tel maniere que Ii corps celiestre empraintassent en Ii les vertus et les effecs qu'il avoient rechiut de leur createur (LeopA Prol. 1; vgl. ds. ebd. 5). Die Abfassungszeit von (a) und (b) erschließt der Herausgeber aus dem internen Grunde, daß auf das „Speculum historiale" von Vincent de Beauvais angespielt wird, ferner aus der äußeren Tatsache, daß einige Codices noch aus dem 13. Jh. stammen. JdM' Übersetzung der boethianischen „Consolatio" gilt allgemein als um die Jahrhundertwende abgefaßt, und das 1271 in lt. Sprache geschriebene Handbuch der Astronomie wurde vor 1324 ins Afr. Ubertragen.

11. CERCLE 6 s (astronomisch) 1) .Umlaufbahn von Planeten'2) .Himmelsgewölbe, Sternenhimmel' 3) .Umdrehung des gesamten Himmels, Weltenjahr'

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BoethCons IV pr. 6, 13: Sive igjtur... fatum exercetur seu anima seu . . . caelestibus siderum motibus seu . . . FEW II 1, 703-05; TL II 124 f.; Gf II 20, IX 19; LaC III 309-11. Im Kit. bezeichnen CIRCULUS und ORBIS wie cercle unter anderem auch die Bewegung der Himmelskörper, seit dem frühen MA auch das aus dem Gr. entlehnte GYRUS, so daß auf den l t Sprachgebrauch nicht näher einzugehen ist 32

16000Trestoutes les choses qui sont 16001 Desouz le cercle de la l u n e / . . . 16801 Dou ciel ne me dei je pas plaindre, Qui toujourz tourne senz sei feindre, 16803 Ε porte en son cercle poli Toutes ses esteles ο Ii. 16814 Mais ne l'en peuent si gaider Qu'il (sc. Ii ciaus) ja pour eus cueure si lenz Qu'il n'ait en trente e sis mile anz, / . . . / . . . / 16819 Un cercle acompli tout entier, Selonc la grandeur dou sentier Oou zodiaque a la grant roe Qui seur lui d'une fourme roe. 16903 Seur le ciel chascun jour aquierent (sc. les planetes) Les porcions qui leur aflerent 16905 A leur cercles enteriner. Kein Lexikon verzeichnet fur die afr. Literatur eine Verwendung v o n cercle im astronomischen Bereich. Das FEW nennt als frühesten Beleg einen mfr. Text (Oresme); TL gliedern das Lemma nicht semantisch und fügen ein Beispiel des Rr unter der allgemeinen Bedeutung .Kreis' ein; Gf und LaC scheinen nur andere Bedeutungen von cercle zu kennen. — Diese Angaben lassen sich durch neues Material korrigieren und beträchtlich ergänzen. ( a ) B e n o i t de Ste-Maure: En quatre paiz est devise Li mondes toz: c'est Orienz, Meridfös e Occidenz, Septentrion; en 90 contient Li cercles qu'Abismes sostient (Troie 23130-34). (b)C'est orient, meridies, Ε Occident, qui vient enpres Septemtrien: en ceo s'estent Tuz li cercles del firmament (BenDucsNorm I 5 1 - 5 4 ) . (c) „Petite Philosophie": La terre par la Deu avise En eine zones bei se devise; Zones cercles u compas sunt, Ε Deu compassa tut le mund (PPhil 393-96; vgl. ebd. 417). (d)La planete premer est dite Lune, ver les autres petite, / . . . / . . . / Ele fet sun curs a estrus El premer cercle pres de nus (ebd. 1805-10; vgl. ebd. 1842).

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(e) „Image du monde" II: Et court chascune (sc. planete) par miracle el Armament, et fait son cercle, l'une grant et l'autre petit (ImM II p. 155; vgl. ebd. p. 157). ( 0 Brunetto Latini: . . . tout autresi sont compasse li cercle des elimens et des planetes et du firmament, si k'il sont trestout reont, li un dedens l'autre (BrunL 1108,3; vgl. ds.ebd. 1108,2). (g)Hagin: Le tiers (sc. chapitres) es regars des degrέs et la force de leur conjoignement et leur changement e t . . . les parties des quartiers du cercle et les .12. maisons (Ezra ProL p. 31,17). (h)Mahieu le Vilain: Car il distrent que il fait son cours pres du soleil...; mais quant il (sc. l'estoille comee) vient en un point de son cercle, adonc est il le plus esloignie du soleil (Meteora 31,30). (i) Toutes les planetes font leur erre par un cercle que Ten appelle le cercle des bestes, c'est le zodiace. Et est zodiace un cercle que les astronomiens entendent u ciel ou les .xij. signes sont, et par cest cercle vont toutes les planetes (Meteora 33,28-29). (j)JdM: 6 6 . . . ou queure par le cercle des estoilles en touz les lieus (JdMBoeth IV m. 1, 7; vgl. ds.ebd. IV m. 6,4). (k) Leopold von Österreich: Li premiers traities est des esperes et de lor cercles et lor mouvemens (LeopA Prol. 10; vgl. ds. ebd. III 1,1). Die älteste Verwendung von cercle im Weltenraum und zugleich die einzigen Belege des 12. Jh. stammen aus Erdeinteilungen, und die Texte weisen sich durch die Konformität ihrer Angaben als Zitate geographischer Kompendien aus. 67 Die Erde besteht aus vier Teilen, Ost, Süd, West, Nord; außerhalb dieses Kreises, cercle, erstreckt sich der unendliche Abgrund, abismes (a). Dieselben Fakten bringt Benoit de Ste-Maure in (b), mit der Variante, daß die Erdquadranten sich innerhalb des Himmelskreises ausdehnen. Eine andere Einteilung, die auf Parmenides zunickgeht, erfolgt nach Zonen oder Gürteln, die

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BoethCons IV m. 1,14: recurrat astri circulum . . . und ds. ebd. IV m. 6, 7: Non sol rutilo concitus igne/ Gelidum Phoebes impedit axem. Zu den antiken Theorien über die Erdgestalt und -einteilungen vgl. die Artikel „Geographie" RE-Suppl. IV 521-685 (F.Gisinger) und „Karten" im Kleinen Pauly III 130-35 (F. Lasserre), ferner H. Berger: Geschichte der wissenschaftlichen Erdkunde der Griechen. Leipzig, 1903 . 34

sich kreisförmig um die Erde legen (c), und zwar werden sie von Nord nach Süd aufgezählt: nördliche Zone, Sommerwendekreis, Äquator, Winterwendekreis, südliche Zone. Während bislang von geographischen, nicht kosmischen Größen die Rede war, begegnen (d) erstmalig die Bedeutungen .Mondumlaufbahn' und .Sonnenbahn', die im 13. Jh. wiederholt auftreten ( e - f , h, j-k). Brunetto Latini kennt neben der Bezeichnung der Planetenbahnen auch die der Elemente 68 und des gesamten Himmels (f). Bei Abraham Ibn Ezra (g) heißt cercle erstmals in afr. Literatur .Tierkreis', und in dieser Bedeutung kommt cercle gleich wenige Jahre später erneut vor (i). Vgl. zodiaque S. 168 f. Die angeführten Beispiele zeigen, daß cercle Rr 16001 und 16905 in einer Bedeutung steht, in der es seit den zwanziger Jahren des 13. Jh. bekannt war, nämlich als Bezeichnung der Umlaufbahnen von Planeten. Den (obersten) Himmel, d.h. die supralunare Welt oder den eigentlichen Sternenhimmel69 bezeichnet das Substantiv, wie es scheint, erstmals bei Brunetto Latini (f). JdM fugt den bislang aufgewiesenen Bedeutungen von cercle eine weitere hinzu, indem er denjenigen Weg, den der Sternenhimmel zurücklegen muß, bis ein jeder Planet seine Ausgangsposition wieder erreicht hat, cercle nennt, in der Sprache der Astronomen das in der Antike viel diskutierte sog. Platonische70 oder Große Jahr oder Weltenjahr71, das auch in der scholastischen Fachliteratur seinen Niederschlag fand72.

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Übergang der vier Elemente von einem zum andern und Rückkehr zum ursprünglichen Status, also genauer „zyklische Verwandlung". Für die fachliche Erklärung von Rr 16803 f. vgl. PareIL217, zu ci'e/ds.ebd. 217-27. ό μέγας ίνιαυτός, von dem aber schon vor Plato die ionischen Naturphilosophen Kenntnis besaßen. Vgl. Duhem I 6 5 - 8 5 , 1 6 5 - 6 7 , 2 7 5 - 9 6 . Im Lt. MAGNUS ANNUS (Cicero, Vincent de Beauvais), MUNDANUS ANNUS (Macrobius), SOLARES ANNORUM (AlBitr VI 1). Die astronomischen Schriften der Araber und Griechen lagen dem Westen durch die lt. Übersetzung des Gerhard von Cremona (ca. 1170) vor. Vgl. FJ.Carmody: The Arabic Corpus of Greek astronomers and mathematicians. Quadr 2 (1958) 5-15. Allgemeine Hilfsmittel zur Astronomie im ΜΑ: F.J.Carmody: Arabic astronomical and astrological sciences in Latin translation. A critical bibliography. Berkeley - Los Angeles, 1956. Rez.: Spec 32 (1957) 3 3 9 - 4 1 (E.S.Kennedy). - J.M.Millas Vallicrosa: Las traducciones orientales en los manuscritos de la Biblioteca Catedral de Toledo. Madrid, 1942. - L.Thorndike: Latin treatises on comets. Chicago, 1950. - R.Lemay: Abu Ma'shai and Latin Aristotelianism in the 12th century: the recovery of Aristotle's „Natural Philosophy" through Arabic astrology. Beyrouth, 1962. (Publ. Fac. Arts and Sciences: Oriental Series, 38). Rez.: CCM 8 (1965) 214 f. (G.Beaujouan). - C.H. Haskins; P.Lockwood: vgl. p. 7 A.21. Mehrere von Arabern angefertigte astronomische Schriften wurden in l t Übersetzung für die vorliegende Arbeit herangezogen (vgl. Literaturverzeichnis).

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12. CERCLE 73 (mathematisch) .Kreis' 19127 Car el (sc. la pucele) sot des qu'el le portait, Don au porter se confortait, Qu'il (sc. Crist) iert l'espere merveillable Qui ne peut estre terminable, Qui par touz leus son centre lance, Ne leu n'a la circonference; Qu'il iert li merveilleus triangles Don l'unite fait les treis angles, Ne li trei tout entierement Ne font que l'un tant seulement; 19137 C'est li cercles trianguliers, C'est li triangles circuliers Qui en la vieige s'ostela. Cercle bezeichnet seit seinem Auftreten in der afr. Literatur (12. Jh.) bis zum Rr die verschiedensten runden Gegenstände, begegnet jedoch nie als mathematischer Terminus 74 . Im Rr findet es sich zwar neben weiteren geometrischen Begriffen, aber in einer fortlaufend metaphorisch zu deutenden Partie. Ob cercle im mathematischen Bereich konkret erst bei Oresme auftritt (Gf)> kann ich nicht beurteilen, da die eingesehene Literatur fast ausschließlich vor 1300 fällt. Die Angaben der Lexika zu cercle und seinen verschiedenen Bedeutungen lassen sich beträchtlich erweitern. (a) Benoit de Ste-Maure: Itant savom bien que li münz Est tuz egaus e tuz roünz; Li granz Occeans l'avirone, Si cum la lettre dit e sume, Ausi cum cercle en roiindesce (BenDucsNorm I 29-33). (b)Papst Gregor: Lo queil cant tinrent li crueil G o t h e . . . si lo comanderent asteir en un liu, et li ensengierent un cercle en la terre, defors lo queil il n'osast en nule maniere lo piet fors traiie (DialGreg 129,19).

73 74

Vgl. S. 32 A.65, femer TLL III 1107 f. Die folgende sprachliche Dokumentation geht von cercle als mathematischem Terminus aus, ohne die vorliegende mystische Übertragung zu berücksichtigen. Im Lt. tritt CIRCULUS in klassischer Zeit, häufiger seit der Spätantike auf. Die Angaben des TLL lassen sich für die Zeit nach 600 durch Isid 3,12,1; PsBoethGeom 90,1243; RogerBacDial p. 313; „Catholicon" (Lemma CIRCULUS) - dies nur als Auswahl - ergänzen. 36

(c) „Image du monde" II: Par tel esgart et autresi est la terre assise en mi le ciel si igalment qu'autresi est ele loing du ciel en haut comme en bas. Ausi comme est Ii poinz du compas, qui est mis el milieu du cercle, c'est a dire qui el plus bas est assis (ImM II p. 92). (d)Brunetto Latini: Puis ke l'en sot la grandeur du cercle de la terre, lors fu il chose provee ke son espes est la tierce partie de sa grander, et son compas est le moitie de son espes, c'est la siste partie de son cercle (BrunL 1109, 2). (e)Mahieu le Vilain: De rechief, nous diron des foudres . . . ; et ces autres empraintures qui appairent en figure de cercle pour l'especete de l'air, c'est a ssavoir l'arc ou ciel et la coroune du soleil et de la lune, q u i . . . (Meteora 4,5). (0JdM 7 5 : Trompe est longue et droite; buisine est courte et reflechist en li meisme si comme partie de cercle (JdMVeg III 5; vgl. ds. ebd. IV 41). (g)Egidio Colonna: . . . que les garnisons et les fossez entor l'ost l'en doit fere en semblance de cercle, quer roonde figure entre les autres prent plus et puet plus contenir (GouvRois 387, 35). (h)JdM*: Car aussi comme des cerclez qui se tournent entour un meismes cardinal, cil qui est plus dedens se joint a la simplece du milieu et est aussi comme uns cardinals des autres cerclez (JdMBoeth IV pr. 6, 64-66). (i) Henri de Mondeville: Est a noter que se la plaie qui est a coustre est es paupieres eu greigneur angle . . . il couvient que 1'aguille soit ploie en la maniere de demi cercle (HMond 1105). Das Weltenmeer legt sich kreisförmig um die runde Erde (a). Goten stecken auf der Erde eine runde Fläche ab, aus der sich der Gefangene nicht fortbewegen darf (b). Die im Mittelpunkt des Firmaments ruhende Erde gleicht der Spitze eines Zirkels, der in Kreismitte aufgesetzt wird (c) 7 7 .

75 76 77

Veg III 5: . . . tuba quae directa est appellatur; bucina quae in semet aereo circulo flectitur. BoethCons IV pr. 6,15: Nam ut orbium circa eundem cardinem sese vertentium qui est intimus ad simplicitatem medietatis accedit ceterorumque extra locatorum veluti cardo quidam circa quem versentur exsistit Auf die logisch anfechtbare Form dieses Vergleiches, Erläuterung eines Kugelsystems durch flächige Figur, braucht nicht weiter eingegangen zu werden. Das Tertium comparationis liegt klar vor Augen. 37

Nicht als planimetrischen, sondern als stereometrischen Terminus setzt Brunetto Latini cercle (d), wo es Radius, Durchmesser und Umfang der Erde zueinander in Relation stellt. Diese Stelle verdient insofern besondere Beachtung, als das FEW wie auch Gf cercle .Peripherie eines runden Körpers' erst für das Mfr. (Oresme) verzeichnen. Zu den in Form eines Kreises am Himmel sich abzeichnenden Erscheinungen gehören der Regenbogen und die Korona von Sonne und Mond (e). Das Signalhorn hat eine gekrümmte, mit dem Kreisbogen vergleichbare Form (0· Egidio Colonna empfiehlt, kreisförmig Gräben und Garnisonen um das Heer herum anzulegen, da eine runde Fläche am meisten Menschen fassen kann (g). Von um dieselbe Achse rotierenden Kreisen kann der innere wiederum zum Angelpunkt weiterer (epizyklischer) Kreisbewegungen werden (h). Der Arzt, der bei Wunden in Höhlungen wie Augenwinkel, Mund- oder Naseninnern eine Naht legen muß, soll dazu eine gebogene Nadel benutzen (i). Sieht man von den Bedeutungen ,Helmreif, Ring' etc., also Übertragungen der Kreisvorstellung auf Objekte, was die Handbücher reichlich belegen, ab, finden sich noch genügend Beispiele, in denen cercle zum Vergleich, zur Erläuterung der runden Form herangezogen wird. Als wissenschaftlicher Gegenstand jedoch, als Begriff der Mathematik kommt das Wort vor dem Rr nicht vor.

13. CIRCONFERENCE - CIRCULIER78 .Umfang' - .kreisförmig' 19132 o n t e x , 19138 ^

unter

cercle, mathematisch)

Während CIRCUMFERENTIA und CIRCULARIS seit dem 5. nachchristlichen Jh. in lt. Texten begegnen und im MA häufig und nicht nur in mathematischen Fachschriften vorkommen 79 , scheinen afr. Formen vor dem Rr nicht belegt zu sein. Brunetto Latini spricht einmal von movemens circuleres (a), da aber weder die genaue Abfassungszeit des „Tresor" und noch weniger die der betreffenden Partie des Rr festliegen, steht nur so viel mit Sicherheit fest, daß 78 circonference: FEW II 1, 705; TL II 439; Gf IX 96; TLL III 1140. circulier: FEW II 1, 702; TL II 441; Gf IX 98; TLL III 1106. 79 Hier sei nur eine kleine Auswahl von Belegen ftir die Zeit nach 600 vorgelegt: CIRCUMFERENTIA: C. CORPORIS (=SPHAERAE) (RobGrSph 11, 11); C. ORIZONTIS, C. SPHAERAE (SacroBoscoSphaer a); C. CIRCULI (JohGarlPoet I p. 947 f.). - Vgl. BernSilv I 4, 5; II 3,33; AlBitr II 14; AlbMagnMotib I 4 (Borgnet X 327). CIRCULARIS: - I A THEOREMATA (PsBoethGeom 91, 1257); FIGURA C. (SacroBoscoSphaer c); MOTUS C. (AegLess = Thorndike, Comets 116 med.). Diese Beispiele dokumentieren ausschließlich die konkrete Verwendung beider Wörter. Zur Metaphorik vgl. die nächste Anmerkung.

38

circulier nicht vor 1260, circonference außer bei JdM im ganzen 13. Jh. nicht auftritt. (a) Brunetto Latini: Delis est forme compile en tel maniere que a son compliement n'a pas mestier ne tens ne movemens, car . . . ; ja soit ce que aucun movement sont en tens, toutevoies son compliemens est dehors tens, s'il ne fust circuleres (BrunL II 46,9).

Hier bezeichnet movemens circuleres eine zyklische Bewegung in der Zeit, so daß JdM circulier wie auch circonference erstmals in afr. Literatur im mathematischen Bereich verwendet zu haben scheint. Selbst Belege aus dem ersten Viertel des 14. Jh. zeigen beide Wörter in nichtmathematischem Kontext. Henri de Mondeville spricht von einem halbkreisförmigen Einschnitt, da so die Wunde sich nicht zu schnell schließt: ( b ) . . . et cele actration est miex faite quant ele est faite ο incision un poi circulaire que s'ele estoit droite, car la semicirculaire est tousjours ouverte, et la droite close (HMond 2179).

Bei einer Aufzählung der (konzentrischen) Himmelssphären nennt Leopold von Österreich als erste den alles umfassenden Himmel, also den supralunaren Raum, anschließend den Tierkreis und so fort: (c) II sont lo esperes celestiiennes: Ii premiere est Ii flrmamens c'est circonference, Ii seconde si est Ii espere des 12 signes, Ii 3e si e s t . . . (LeopA 11, 1).

Offensichtlich hat JdM seine Formulierung des mystischen Gottesvergleiches direkt aus lt. Texten übernommen80.

14. CONCLURE81 .folgern, einen Schluß ziehen' 4084 . . . quant el (sc. Esperance) fait bon sillogime, Si deit Ten aveir grant peeur, 4086 Qu'el ne conclue le peeur, Qu'aucune feiz Γ a Ten veü, S'en sont maint este deceü. 80

81

Die Grundform DEUS EST SPHAERA, CUIUS CENTRUM UBIQUE, CIRCUMFERENTIA NUSQUAM ist bei zahlreichen ma. Autoren und in Glossen zu finden und wird bald Empedokles, bald Sokrates, dann Hermes Trismegistus, ja sogar Cicero zugeschrieben. - Vgl. K. Sneyders de Vogel: „Le cercle dont le centre est partout, la circonference nulle part" et le Roman de la Rose. Neoph 16 (1931) 2 4 6 - 4 9 ; 17 (1932) 211 f. Die Liste der in diesen Beiträgen genannten Referenzen kann bedeutend erweitert werden. Siehe auch S. 189 A.16. FEW II 2 , 1 0 1 0 f . ; TL II 6 5 5 - 5 7 ; Gf II 220 f., IX 145; LaC IV 156; DG I 490; TLL IV 77 f.

39

12140 (Kontext unter aparence) Die Angaben der Lexika zu conclure sind mit Ausnahme der des FEW und des DG unvollständig oder falsch. TL scheinen nur die Bedeutungen .überführen; überwinden, besiegen' zu kennen, und GF Belege für conclure .folgern, einen logischen Schluß ziehen' liegen zeitlich sehr viel später als der Rr; LaC kennt nur andere Bedeutungen. Während CONCLUDERE seit Cicero als logischer Terminus geläufig ist, läßt sich für das Afr. eine solche Verwendung vor JdM mit Sicherheit nicht nachweisen 8 2 . (a)Brunetto Latini: Simple conclusion est quant Ii parleour conclust ce k'il vieut par la force d'une chose ki est dite devant moi (BrunL III 62,8; vgl. ds.ebd. II 39,6). (b)Mahieu le Vilain: Or veult le philosophe conclurre par ce qui a este dit devant que l'arc en ciel ne peut estre treible (Meteora 153,23 f.; vgl. ds.ebd. 153, 35). (c)Jean d'Antioche: Quar puis qu'il a concuilli le governement de la nave et des chars et de la chose publique, autresi come s'il fust ensi es autres choses, il concluit ce qui est general: „En toute chose donques l'en doit especiaument eslire le governeor por art, non pas a la volee" (JeanAnt p. 263). (d)Egidio Colonna: . . . l'en quide que une reson ou un argument conclue bien et verite et soit bone qui ne conclut pas bien de verite (GouvRois 200, 1 f.). ( e ) a n o n y m e s Pamphlet (Ende 13. Jh.): Ciertes, je m'i acors, maisje pour voir suppose Que qui plus tient des mors plus aimme sens que glose. Et Ii monne en ont tout: si puis conclure et ose Que l'amours de leur mors les point sour toute cose. (Mendiants 101-04;vgl.ebd. 111). (OJdM83: Ce meismes poons nous conclurTe de toute maniere de fortune (JdMBoeth II pr. 6, 67; vgl. ds.ebd. Ill pr. 10, 55).

82

83

Barljos 820 ist auszuschließen, da hier se conclure in der Bedeutung ,(nach längerer Überlegung) zu einem Ergebnis, einem Schluß kommen' steht; es liegt kein logischer Kontext vor. Ein Kind überlegt, warum sein Vater es im Hause in strengem Gewahrsam hält. BoethCons II pr. 6, 20: idem de tota concludere fortuna licet. 40

In die Abfassungszeit des zweiten Teils des Rr dürfte Brunetto Latinis „Tresor" fallen - genauere Aussagen sind z. Zt. nicht möglich - , und dort findet sich conclure zweimal, einmal davon in einer theoretischen Abhandlung zur Syllogistik (a). Wie schnell sich nach ca. 1275 das logische Vokabular in der Vulgärsprache ausbreitete, zeigt die Tatsache, daß sich allein für das letzte Viertel des 13. Jh. acht weitere Belege bei fünf verschiedenen Autoren bieten, deren Zahl höchstwahrscheinlich noch vergrößert werden kann. Rr 4084 ff. stellen eine fortlaufende logische Metapher dar. Nach der Trennung von Bei Acueil bleibt dem Liebenden nichts anderes als die Hoffnung, die Amor ihm als ständige Begleiterin versprochen hatte; aber auch ihr vermag er kein unbedingtes Vertrauen zu schenken, da sie schon manchen täuschte (Rr 4063—76). — Diese Überlegungen werden nicht nur in logischen Termini, sondern geradezu in einem syllogistischen Beweisverfahren metaphorisch vorgetragen. Nach einer Regel, die über Boethius auf Aristoteles zurückgeht, muß die Schlußfolgerung notwendig negativ oder speziell ausfallen, wenn eine der Prämissen negativ und speziell ist; niemals wird sie positiv oder allgemein sein können: Peiorem semper sequitur conclusio partem 84 . Selbst wenn die Hoffnung ein gutes Schlußverfahren (bon sillogime) nahelegt, muß er sich auf einen Trugschluß gefaßt machen, daß sie nämlich eine negative Konklusion herbeifuhrt (conclue lepeeur); konkret gesprochen: die Hoffnung des jungen Mannes auf Erfüllung seiner Liebe kann sich als nichtig erweisen, wie er es bei anderen mehrfach erlebte. Dennoch glaubt er die Hoffnung gut genug zu kennen, um sich bei dem Gedanken zu trösten, daß ihr selbst daran gelegen sein sollte, ihren Anhängern im Disput einen positiven Schluß zu ermöglichen (que le meilleur de la querele Eüst... ), d. h. die Hoffnung soll sich als positiv erweisen, soll ihm seine Geliebte zuführen. Auch Rr 12139 ff. geben eine von Aristoteles dem MA tradierte Fixierung logischer Deduktionsweise wieder. Kein auf dem äußeren Schein (aparence) der Prämissen basierendes Schlußverfahren (argument) führt zu einem logisch korrekten Schluß (bone consequence), wenn defauz existence efface; dann nämlich liegt ein Trugschluß (sofime) vor, der eine einwandfreie Deduktion (consequence) unmöglich macht (envenime). — Was aber heißt se deffauz existence efface? Die Schuld an dieser scheinbar undurchsichtigen Formulierung liegt nicht bei JdM, sondern sie hat ihren Grund in der umständlichen scholastischen Ausdrucksweise, denn es wird sich gleich zeigen, daß er sich streng an die offizielle Terminologie hält. Für jede einfache Aussageform bestehen die Qualitätskategorien Realität (EXISTENTIA) und Negation (NON-EXISTENTIA, PRIVATIO),und sie müssen in ein und derselben Behauptung sowohl formal als auch inhaltlich übereinstimmen, wenn eine solche Behauptung zu weiteren Deduktionen ver84

Vgl. ParelL 35 f.

41

wendet werden soll. Anders gesagt: stimmt ein Begriff nicht mit dem von ihm Bezeichneten überein, sei es, weil das Bezeichnete ein anderes ist 85 , sei es, daß es gar nicht vorhanden ist (g—i), oder werden Aussagen Uber generelles und spezielles Sein nebeneinandergestellt, um daraus einen Schluß abzuleiten, oder werden nicht durchgehend dieselben Prädikamente verwendet, so erfolgt kein regulärer Syllogismus, sondern seine entartete Sonderform, der Sophismus. (g) Abelard: Sed nec proprie dici possunt vel consequentiae propositiones vel orationes huiusmodi enuntiationes, quae ea nomina quae rebus ut existentibus imposita sunt, continent, ipsis tarnen rebus non existentibus, veluti si animali vel homine destiucto vel nondutn creato talis fleret consequential ,si homo est, est animal' (AbaelDial p. 281).

Eine solche Aussage, mag sie auch inhaltlich falsch sein, kann dennoch formal ihre Richtigkeit behalten: ( h ) Ubi autem nominis causa periit, nomen quoque in ipsis remanere non potest. Sed licet in enuntiatione proprietas orationis vel propositionis non remaneat, sententiae tarnen firmitas non mutatur (ds.ebd.).

In dieselbe Richtung weist ein Aristoteleszitat bei Albert: (i) Nulla enim res sciri potest nisi per esse suum, et esse varium incertam facit Cognitionen! (AlbMagnCaus II 1, 7 = Borgnet X 445).

Diese Regel beherrscht JdM meisterhaft. Seine Ausführung über die Cordeliers, Barres und andere Reguläres lassen sich zu dem Syllogismus verdichten: Der Mann ist Ordensgeistlicher. — Der Mann tritt als preudon auf. - Also ist der Ordensgeistliche ein preudon - Der Trugschluß liegt darin, daß die inhaltlichen Kategorien wechseln; neben einer Aussage über die essentia steht eine über den habitus; aus beiden erfolgt eine Deduktion hinsichtlich der qualitas oder, mit anderen Worten, Accidens und Substanz werden nicht geschieden. Wieder einmal läßt sich JdM' Verfahren beobachten, zunächst mit normalen Ausdrücken eine Situation zu schildern, sie dann aber nochmals in scholastischem Vokabular prägnant86 oder gar in übertragenem Sinn wiederzugeben 87 .

85 86 87

Zum Spezialfall der FIGURA DICTIONIS vgl. figure de diction und die dort zitierten lt. Texte. Vgl. affirmation, autentique. Vgl. aparence, duplicite. 42

15. CONCLUSION88 ,Schlußfolgerung' 11051 Ne sont ne religieus ne monde; U font un argument au monde 11053 Ou conclusion a honteuse: Cist a robe religieuse, Donques est il religieus. Cist aigumenz est touz fieus, I . . . I 11058 La robe ne fait pas le moine. Nepourquant nus n'i set respondre, Tant face haut sa teste tondre, Veire rere au rasoir d'elenches, Qui barat trenche en treze branches; Nus ne set si bien distinter Qu'il en ose un seul mot tinter. 19098 Don je faz tel conclusion: Puis que vous come^astes estre Par la volente vostre maistre, Don fait estes e engendre, I . . . I 19103 N'estes pas de mortalite Ne de corrupcion quite Dou t o u t , . . . 19607 (Kontext unter creance)

Während CONCLUSIO als rhetorischer wie auch als logischer 1.1. seit dem Kit. vorkommt, scheint conclusion in der afr. Literatur vor JdM nicht belegt zu sein89. In der Folgezeit hingegen häufen sich die Beispiele. (a) Brunetto Latini = conclure (a) (b) Mahieu le Vilain = angle (e)

(c)Jean d'Antioche: Conclusion est proposicion qui est prov6e par argumenz, si come s'aucun provast par autres proposicions que le ciel fust torneable (JeanAnt p. 262).

88 89

FEW II 2, 1011 f.; TL II 657; Gf IX 145; DG I 480; TLL IV 79 f. Die „Dialoge" des Papstes Gregor in ihrer afr. Versübersetzung durch Angier sind noch unediert. Pope gibt ihrer Untersuchung über Angiers Sprache ein Glossar wichtiger Wörter bei, und dort verzeichnet sie p. 93 conclusion nach einer Hs., jedoch ohne Kontext. Dasselbe gilt für Clorans Dissertation, der Textauszüge kommentiert und darunter p. 79 auch conclusion nennt. Somit läfit sich keine semantische Zuordnung in logischen oder rhetorischen Bereich durchführen, weshalb dieses frühe Vorkommen unberücksichtigt bleiben muii. 43

(d)JdM 90 : . . . car la conclusion ensuivant est neis toute apparant, car . . . (JdMBoeth IV pr. 2,60; vgl. ds.ebd. Ill pr. 10, 20 und IV pr. 4, 34 und 37).

Die häufige Verwendung des Wortes im letzten Viertel des 13. Jh. — die Belege erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit — trägt auch hier zur Stützung der Behauptung bei, daß das logische Vokabular, einmal in die Volkssprache eingeführt, in kurzer Zeit weitere Verbreitung fand. Zwar hat der Einwand seine Berechtigung, daß es sich ausnahmslos um Übersetzungen aus dem Lt. oder aus lt. Vorlagen zusammengestellte Enzyklopädien handelt, in denen CONCLUSIO ein geläufiges Wort sein durfte. Aber auch in der Zeit vor dem Rr existierten diese lt. Texte, ohne daß sie Übersetzer fanden. Somit scheint das Auftreten eines bestimmten fachlichen Wortschatzes im Afr. an die Auswahl der zur Bearbeitung herangezogenen Texte gebunden zu sein, und diese Auswahl wiederum darf als kennzeichnend für die Interessen der jeweiligen Epoche gelten, so daß die Annahme berechtigt erscheint, daß die für lernfreudige Laien aufgestellten Kompendien einen nicht geringen Beitrag zur Verbreitung des Fachvokabulars leisteten, und einer dieser ersten und wohl der einflußreichste Vulgarisator hieß Jean de Meun. Ähnlich wie es für aparence dargelegt wurde, scheint der demselben Fachbereich angehörige Terminus conclusion höchst geeignet, eine Verbindung von der Scheinwelt der Hypokriten zu dem Scheinverfahren sophistischer Deduktion herzustellen. Wieder sieht sich der Leser mit Rr 11051 ff. in eine scholastische Übung versetzt, deren Vokabular auf logische Disputation hinweist 91 . Propositio: Die Leute tragen Gewänder. Assumptio: Die Gewänder sind typisch kirchliche Gewänder. Conclusio: Die Leute sind fromm 92 . Die Folgerung, die jene Ordensleute ihrer Umwelt nahelegen, erklärt JdM — ausgerechnet durch den Mund von Faus Semblanz93 — als beschämend und falsch. Die Wahrheit sagt, daß jene verderbten Leute, angetan mit dem Mantel der Scheinheiligkeit, echte Frömmigkeit vortäuschen wollen. Rr 19098 steht in einer umfangreichen Partie, die JdM nach der lt. Überset90 91

92 93

BoethCons IV pr. 2, 24: nam etiam quod est consequens p a t e t argument, conclusion, argumenz fieus, respondre, elenche, distinter. Hier wird nur auf Rr 11051-58 eingegangen; zur Erklärung der folgenden Verse vgl. elenche. Im Deutschen läßt sich die Folgerung nicht so treffend wie im Afr. wiedergeben. Hier muß religieus einmal mit .kirchlich', einmal mit .fromm' übersetzt werden. Offensichtlich liegt ein Bruch in der Konzeption von Faus Semblanz durch den Dichter vor. Hier äufiert sich JdM. Wenn nämlich Faus Semblanz seine Rolle konsequent spielte, dürfte er nicht die Hypokriten abfällig beurteilen, denn er zählt ja selbst zu ihnen, ist ihr Exponent Noch einmal verläßt er die ihm zugedachte Rolle, als er sich für einen Guillaume de St-Amour und gegen die Bettelorden ausspricht

44

zung des platonischen „Timaios" durch Chalcidius gestaltete und deren Text Lg IV 322 abdruckt. Während Chalcidius sich eng an das gr. Original hält 94 , zeigt sich JdM hier als poetischer Bearbeiter und Ausgestalter seiner lt. Vorlage, ohne ihren Rahmen zu verlassen. Rr 19097 f. hat er selbst hinzugefügt. So gliedert sich die Ansprache des Schöpfers an seine Kreatur in zwei gleichgroße Teile (Rr 19083-97; 19098-112). Gerade die Einteilung eines Themas in Untergruppen (DISTINCTIO, DIVISIO) gehört zur Methode scholastischer Disputationen95. Die Wiedergabe der Konjunktion QUAPROPTER im platonischen Dialog steht auch ein bloßes δ ι ' a. als relativischer Anschluß (PlatTim 41b) — durch puis que dürfte JdM zu schwach gewesen sein, und so setzt er in Übernahme des scholastischen Usus hinzu: Don je faz tel conclusion: . . . (Rr 19098). Rr 19599 bildet den Abschluß einer schulmäßigen Erörterung, in der JdM selbst die Antworten der fiktiven Gesprächspartner erteilt. Das Thema lautet: Handelt ein Mensch im Sinne Gottes, wenn er nicht zur Vermehrung des Menschengeschlechtes beiträgt? — Der gesamte mehr als 1000 Verse umfassende Vortrag des Genius soll als abschließende Zusammenfassung einer Diskussion, difinitive sentence (Rr 19504), als endgültige, bindende Antwort auf ein im voraufgehenden Teil der Rr ausfuhrlich erörtertes Problem angesehen werden. Nach einer längeren Exposition leitet der Dichter den Einwand (OBIECTIO) eines Gesprächspartners mit der in Disputationen üblichen Formel ,si quis autem contra arguat dicens quod . . . ' oder einfach .quaeritur contra' (Rr 19599: S'il iert qui dire vousist Que . . . ) ein. Dieser gliedert sich in zwei Teile: Que Deus le vouleir en tousist a) a l'un par grace, b) a I'autre non (Rr 19600 f.). Das erste Glied wird dann zum Ausgangspunkt eines Exkurses (DIGRESSIO) zur Begründung, weshalb Gott jemandem aus Gnade den Wunsch zur Zeugung genommen haben könnte (Rr 19602—06). Nach diesem etwas weitschweifigen Exempel greift der Autor wieder ein, gibt seine Unfähigkeit zu einer Erwiderung (RESPONSIO) zu (Rr 19609) und kommt auf seine frühere Folgerung zurück: Si ravrai ma conclusion Que tout aille a perdicion (Rr 19607 f.).

94

95

Die Einführung der Natura, deren Kompetenz gegenüber der göttlichen abgegrenzt wird, ist jedoch Zusatz des Übersetzers, und ihre Übernahme durch JdM zeigt, daft er die lt. Fassung, nicht das gr. Original zur Hand hatte. Eine Diskussion der überaus wichtigen Frage nach der Herkunft des Zusatzes bei Chalcidius wie auch der Ausformung der bei ihm noch real verstandenen Natura zur alles beherrschenden Göttin Nature bei JdM mufi aus thematischen und Platzgiünden unterbleiben. GrabmannGSM II 16-21. - Vgl desputer.

45

16. CONSEQUENCE96 .Schlußfolgening, logischer Schluß' 633S Autre raison i ra, beau maistre, Pour quei Ii mauvais n'ont pas estre, 6337 Qui bien entent la consequence: Qu'il ne sont pas en ordenance En quei tout leur estre mis ont Trestoutes les choses qui sont; Don il s'ensuit a cler veiant Que Ii mauvais sont pour neient. 12140 . . . . ι ·> ι AA (Kontext unter aparence)

Die Angaben der Handbücher zu consequence weichen beträchtlich voneinander ab. Das FEW verzeichnet das Wort als logischen t.t. seit ca. 1240; TL zitieren nur den Rr; die Belege von Gf und LaC stammen aus späteren Texten, und auch da nicht aus logischem Bereich. (a) Pierre de Fontaines: Ce qui a este receu contre la reson de droit ne doit pas estre tret a consequence. Es choses qui sont establies contre la reson de droit, ne poons-nos pas ensuivre la riule de droit (PierreFont Appendix XIV1).

(b)JdM 97 : . . . il ne p u e t . . . veoir la nature des chosez ne la consequence des raisons (JdMBoeth IV pr. 2, 40; vgl. ds.ebd. III pr. 9, 36).

(c) Leopold von Österreich: Mercure senefle raison et parolles, et par consequence le bouche, le langue, avoec le participacion des autres pianettes; Saturne le rate . . . (LeopA III 1, 2).

In den mir zugänglichen Texten98 läßt sich consequence als logischer Terminus vor dem Rr nicht nachweisen. In (a) liegt der juristische Fachausdruck traire a consequence, ,rechtswirksam werden lassen', vor. JdM braucht das Wort in seiner Übersetzung der boethianischen „Consolatio" vom Ende des 13. Jh. noch zweimal (b), und in (c) kommt nur die Verbindung par consequence als Konjunktion vor — übrigens fällt das letztgenannte Werk bereits

96 97 98

FEW II 2,1063-65; TL II 734; DG I 508; TLLIV 403. BoethCons IV pr. 2,16: nec rerum naturam nec consequentiam potest considerate rationum. Für consequence gilt dasselbe wie für conclusion A.89. gesagte. Pope 122 und Cloran 79 verzeichnen das Wort in der afr. Übersetzung der gregorianischen „Dialoge" durch Angier, jedoch ohne Kontext, so dafi die Frage, ob dort ein logischer Terminus vorliegt, offenbleiben muß.

46

in das 14. Jh. Somit dürfte JdM der erste und gleichzeitig für das 13. Jh. der einzige Autor sein, der consequence in logischem Kontext verwendet. Im Lt. existiert CONSEQUENTIA zwar seit klassischer Zeit, aber im Bereich der Logik findet es sich erst in Schriften des Chalcidius und Boethius. Im MA ist das Wort Cassiodor, Johannes von Salisbury, Abelard und Thomas geläufig, um nur einige Autoren zu nennen, und Abelard setzt CONSEQUENTIA neben CONSECUTIO, ohne daß sich ein Bedeutungsunterschied feststellen ließe". In einer umfangreichen Darlegung (Rr 6291 ff.) sucht die personifizierte Raison dem jungen Liebhaber klarzumachen, woher das Übel, maus, in die Welt kam bzw. wo seine Ursache nicht zu suchen ist und wie man es zu definieren hat. Während sie zunächst den Kern des Problems nach der escriture ^Boethius?) 100 referiert, geht sie Rr 6300 bereitwillig zu einer regulären Beweisführung über (preste sui que raison i truisse, Rr 6303), da sie - wohl mit Recht — annimmt, ihr Zuhörer halte nicht jede auctoritez fur wahr. In Wirklichkeit aber folgt gar keine Durchleuchtung des Themas mit neuer Argumentation, sondern die Darstellung kreist ununterbrochen um den Boethiustext, allerdings mit Einstreuung logischen Vokabulars101 und in straffer Gliederung. Eine Erläuterung von Rr 12139 ff. erübrigt sich hier, da der Zusammenhang unter aparence und conclure behandelt wurde. Zur Ergänzung und genaueren Definition von consequence in diesem Kontext scheint es angebracht, eine zutreffende Beobachtung von Pare zu referieren und sie durch parallele Verwendungen aus lt. Literatur zu festigen. Nachdem Pare die Anlage eines Syllogismus nach Aristoteles beschrieben hat (premisses — conclusion ou consequent), fährt er fort: „Cette disposition artificielle des propositions est destinee a rendre plus manifeste la consequence, c'est a dire la relation necessaire qu'il y a, objectivement, entre les deux premieres verites et la troisieme . . . La consequence n'est done pas la conclusion comme Γ a cru Langlois. Elle est le lien logique qui rattache la conclusion aux premisses..." (ParelL 30 f.). Rr 12140 und 12144 heißt consequence demnach nicht .Ergebnis einer Schlußfolgerung' als Synonym zu conclusion, sondern es bezeichnet das Schlußverfahren als Ganzes, die logische Verkettung von PROPOSITIO MAIOR, PROPOSITIO MINOR und CONCLUSIO. Nicht die abschließende Folgerung erweist sich als unkorrekt, wenn die Prämissen nicht der Wahrheit entsprechen — natürlich wird auch sie falsch ausfallen — sondern die gesamte Beweisführung, consequence, weicht von den Regeln ab. 99 100

101

JohSarMet 868 und 882 a; AbaelDial p. 254, p. 278 u. ö.; ThomLexic 214 zitiert eine Stelle aus dem thomistischen Sentenzenkommentar. Dieselbe Lehre des Malum als einer privatio des Bonum trägt Alain de Lille vor, und sie findet sich in noch manchem ma. Werk, so daß Boethius nicht unbedingt, wie Lg meint, hier JdM' Quelle sein mufi. Vgl. AlanHomines 6 bp. 131.

Rr 6323, 6329, 633S raison, 6325 prouver, 6337 consequence und am Ende don il s'ensuit... que 6341. 47

(d)Chalcidius: Est igitur universae rei anima fatum in substantia positum. est item data huic informatio rem omnem recte gerendi, lex, quae in munere atque actu posita factum continet, habens textum et consequentiam talem: si hoc erit, sequetur illud. E r g o , . . . (ChalcTimComm 152). (e)Johannes von Salisbury: Interim Willelmum Suessionensem, qui ad expugnandam, ut aiunt sui, logice vetustatem et consequentias inopinabiles construendas et antiquorum sententias diruendas machinam postmodum fecit, prima logices docui elements (JohSarMet 868 c - d ) . ( 0 Abelard: Neque enim dialecticus curat sive vera sit sive falsa inferentia propositae consequentiae, dummodo pro vera earn recipiat ille cum quo sermo conseritur (AbaelDial p. 278).

17. CONSTELLACION 1 0 2

.Stand der Gestirne'

17059 Si dit l'en que les destinees Leur orent teus morz destinees, I . . . I 17062 Des lors qu'il furent conceii; Ε qu'il pristient leur nacions 17064 En teles constellacions, Que par dreite necessite, / . . . 17069 Leur couvient tel mort receveir. Die Dokumentation der Lexika zu constellation weist beträchtliche Lücken auf; die einzigen Belege sind die Stelle aus dem Rr und eine weitere aus der zeitlich viel jüngeren afr. Fassung der „Chirurgie" von Henri de Mondeville. Darüber hinaus zitiert Gf das Wort ohne Kontext aus einer Hs. der „Moralites des philosophes" von Alart de Cambrai 1 0 3 . — Diese Angaben lassen sich durch zwei weitere Texte ergänzen.

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FEW II 2, 1083; TL II 746; Gf IX 169; DG I 513; DuC II 556 c; TLL IV 507 f. J. Payen bereitet eine seit 1958 angekündigte Ausgabe des noch unedierten Textes vor, bemerkt in einem Aufsatz von 1965, sie werde „bald", 1966 sie werde „sehr bald" erscheinen; z. Zt. (Winter 1969) vermag ich sie nicht nachzuweisen. Arbeiten über Alart de Cambrai: R. Bargeton: Le livre de philosophie et de moralite. These Nogent-le-Rotrou, eine unzugängliche Maschinenschrift, deren Resume in den Positions des Theses de l'Ecole des Chartes (1942) 9 - 1 3 erschienen ist. J. Payen: Le „Dit des .vii. vertus" de Watriquet de Couvin et „Le livre de philosophie" d'Alard de Cambrai. Ro 86 (1965) 386-93; ds.: Le „Livre de philosophie et de moralite" d'Alard de Cambrai Ro 87 (1966) 145-74. Als Abfassungszeit nennt der Herausgeber in der letztgenannten Studie p. 156 vage

(a)„Roman des sept sages": Li .vij. sage esgarderent contreval en la lune et estoiles, et chascuns garda bien parfitement en la lune et estoilles, et virent les constellations et les muances du corz (SagesPr p. 7).

(b)Mahieu le Vilain: Car nous voion une constellation que l'en appelle Delphis, qui est en la voie de lait, aucunne fois levee a mie nuit, aucunne fois au matin (Meteora 45, 27; vgl. ds. ebd. 35, 2).

(c)Henri de Mondeville: C'est le chapistre de la doctrine artificiel de faire incisions necessairez et profltablez selonc medecine et cyrurgie ou cors humain a tout propos. Du temps de la constellacion. Du temps . . . De la partie de la constellacion (HMond 2133).

Die Abfassung einer späten Prosaauflösung des „Roman des sept sages" fällt ebenfalls in JdM' Schaffensperiode (a). Die Übersetzung der aristotelischen Meteorologika läßt sich nur unscharf zwischen 1270 und 1290, wahrscheinlicher in die siebziger Jahre datieren (b). Für einen Arzt besitzen die Konstellationen insofern Bedeutung, als die Festsetzung des Zeitpunktes einer Operation auch von ihnen abhängt, da sie über Gelingen und Scheitern bestimmen können (c). In der lt. Literatur begegnet CONSTELLATIO nicht vor dem 4. Jh., dann aber mehrfach, und in ma. Texten finden sich zahlreiche Belege 104 . Die von JdM referierte (si dit l'en que... ) und kurz darauf widerlegte (mais je sai bien... ) Lehre von der unbedingten Abhängigkeit des Lebenslaufes eines Menschen von der Planetenkonstellation in der Stunde seiner Geburt hat schon den Widerspruch Isidors, evtl. noch früherer Autoren hervorgerufen. Als Verfechter dieser Anschauung gelten die Astrologen, von Isidor wie auch von Johannes von Salisbury als „mathematici" bezeichnet, und Isidor spricht verächtlich von einem „superstitionis genus", während der Eng-

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1220-60; andere Datierungen lauten: 1268 (Levy, Chronologie) oder „letztes Drittel des 13. Jh." (DLF), so daß Alarts Werk etwa gleichzeitig mit dem zweiten Teil des Rr entstand. Es darf nicht nur als wahrscheinlich, sondern als sicher gelten, daß nach der Veröffentlichung durch Payen Zusätze zu dieser Arbeit notwendig werden, ohne jedoch die Ergebnisse in Frage zu stellen, es sei denn, es böte sich die höchst unwahrscheinliche Gelegenheit, sowohl den Rr als auch die „Moralites des philosophes" exakter, als es z. Z t möglich ist, zu datieren. Ich nenne nur Isid 9, 23 f., JohSarPolycr 442 c - d , BernSüvAen p. 5, 7 ff., Albumas VII 4, VincBell I, III 34, SacroBoscoSphaer b, RobGrLibArbitr 205, 10, ThomAqu (ThomLexic221), AegLess (Thorndike, Comets 155), SigerBrab (Mandonnet II 37). Das entsprechende Lemma des „Catholicon" läßt wieder einmal bestimmte Erklärungen über Hugutio Pisanus und Papias bis zu Isidor verfolgen.

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länder diese Sterngucker gar als „stulti" apostrophiert. Ein Artist des 13. Jh. zitiert diese Lehre nur noch als „poeta dicit", und tatsächlich findet sich eine poetische Ausspinnung des Themas in der allegorischen Aeneisinterpretation von Bernard Silvestre, der sich für seine Darlegung auf die „philosophia" beruft 1 0 5 : (d)Tradit namque philosophia nativitatem pueri secundum constellationes i.e. stellarum effectus vitia movere. Constellationes autem dicit effectus stellarum quos habent dum accedunt (BernSilvAen p. 5, 7 ff.). Ihre Begründung finden die Angriffe auf einen kosmischen Determinismus, wie ihn Fachschriften des 12. und 13. Jh. durchweg ablehnen 1 0 6 , in der Bemühung, das liberum arbitrium für die Christen zu retten und das heidnische Fatum durch göttliche Vorsehung zu ersetzen. Und doch muß es im letzten Drittel des 13. Jh. eine bedeutende Schule oder, vorsichtiger ausgedrückt, einflußreiche Vertreter des antiken Fatalismus gegeben haben, denn sonst hätte nicht JdM diese These vorgetragen und Etienne Tempier sie 1277 in seiner Irrtumsliste verdammt: (e) (Condemnamus) Quod, in hora generationis hominis in corpore suo et per consequens in anima, que sequitur corpus, ex ordine causarum superiorum et inferiorum inest homini dispositio inclinans ad tales actiones vel eventus. - Error, nisi intelligatur de eventibus naturalibus, et per viam dispositionis (ChartUP 473 p. 555 Nr. 207). Nun gilt es zwar als communis opinio, daß jenes Verurteilungsdekret neben thomistischen und anderen Irrlehren vor allem die der lt. Averroisten treffen sollte, als deren Hauptvertreter Siger de Brabant und Boetius de Dacia gelten, aber hier muß doch festgestellt werden - zwar nur für einen Einzelfall — daß Siger de Brabant sich ganz orthodox verhält, wenn er besagte Anschauung kritisiert und seine Gründe darlegt, warum sie n i c h t zutrifft:

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Bekanntlich umfaßte PHILOSOPHIA in der Antike alle möglichen Zweige der Wissenschaft, so daß darunter auch Astronomen und Astrologen - die Begriffstrennung fällt sehr unklar aus, wenn sie überhaupt durchgeführt wird - zu verstehen sind. Daß die Lehre aus den Reihen der arabischen Aristoteleskommentatoren und ihrer Nachfolger stammt, wird niemand bezweifeln. In einem Fall läßt sich ein solcher Vertreter auch namentlich fassen, nämlich in einem anonymen Traktat „De erroribus philosophorum" (1260-74), wo eine Liste der Iniehren des Al-Kindi aufgestellt wird: 1. Quod simpliciter omnia futura dependent ex conditione coelestium corporum. 4. Quod omnia de necessitate contingunt 13.Quod corpora coelestia dirigunt operationes nostras voluntaries a principio usque in finem. (Mandonnet II 20 f.)

( f ) Si autem hoc dicunt propter fatum et constellationem quam poeta dicit necessario trahere voluntatem . . . hoc dictum imperitorum est et malitiae solatium. Probatum e s t . . . quod facit quod ex constellatione necessitatem non imponit propter ties causas,... (SigerBrab = Mandonnet II 37). Zeigt sich JdM in seinen Äußerungen über den Wert der Gestirnpositionen konform mit den Lehren zeitgenössischer Wissenschaftler und denen der Kirche - ebenso finden sich Gedanken über die Lebenslänge (Rr 16979—90) in gleichzeitigen Arbeiten 107 —, so trägt er Rr 17077—86 Modifikationen zur Frage des Fatums vor, die auf der Irrtumsliste von 1277 stehen, nämlich daß sich der Mensch durch besondere Nahrung und andere Vorsichtsmaßnahmen vom Zwang der Gestirne befreie. (g)(Condemnamus) Quod homo per nutritionem potest fieri alius numeraliter et individualiter (ChartUP 473 p. 552 Nr. 148). Argumentationen ähnlich den von JdM vorgetragenen zur Aufrechterhaltung der Willensfreiheit trotz einzelner nicht von der Hand zu weisender Vorankündigungen des Himmels (im Rahmen der Naturereignisse, bei Krankheiten etc.) bringt das oben schon zitierte „Speculum astronomiae" im Anschluß an die Diskussion über die Länge des Lebens. Ehe aus solchen Ansätzen Schlüsse für JdM' Position in den Dogmenstreitigkeiten gezogen und Mutmaßungen über die Datierung des Rr durch die Relation zu den Pariser Irrtumslisten geäußert werden, muß durch Sichtung weiteren Materials ein festerer Boden fur so grundlegende Aussagen geschaffen sein. 18. CONVERTIBILITE - CONVERTIBLE 108 .Austauschbarkeit' .austauschbar' 17213Car il s'ensuit, se chose est veire, Donques est ele necessaire 107

108

Ad nativitates autem me transfero, quae pars videtur caeteris aptius vel acrius pungere liberum arbitrium: et apparet quod invicem sese destruant, neque ullatenus se non posse compati videantur, praecipue quantum ad partem illam quae pertinet ad mores animi. De scienda namque quantitate vitae n a t i . . . jam dictum est, quod non judicatur quantum oporteat vivere de necessitate, sed ultra quod vita ejus non protenditur ex natura: abbreviari enim possunt dies hominis, non augeri (AlbMagnSpecAstr XIII = Borgnet X 645). — Borgnet druckt das Werk zwar unter den albertinischen Texten ab, jedoch ist die Zuordnung umstritten; Mandonnet I 245 plädiert für eine Autorschaft von Roger Bacon; GlorRep I 75 merkt an: „Attribut aussi a Roger Bacon. Probablement du chancelier Philippe". FEW II 2,1134; TL II 818; Gf IX 190; DuC II 584 b; nur für convertible DG I 534. Vgl. auch Pare'IL 39 f. Die sinnentstellende Interpunktion von Lg zwischen Rr 17230 und 17233 muß, wie ParlScol 102 A.3 richtig sah, korrigiert werden, wie es oben vorgenommen wurde.

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17215 Par la convertibilite De veir e de necessite: / . . . 17221 Certes il dirait chose veire, Mais non pas pour ce necessaire; I . . . I 17224 La chose n'est pas avenue Par necessaire avenement, Mais par possible seulement; Car, s'il est qui bien i regart, C'est necessite en regart, E non pas necessite simple, Si que ce ne vaut une guimple: Ε se chose a venir est veire, Done est ce chose necessaire. Car tele verite possible 17234 Ne peut pas estre convertible Avec simple necessite Si come simple verite.

Die Lexika geben für convertibilite und convertible nur die entsprechenden Stellen aus dem Rr an, und zwar in der richtigen Bedeutung ,Vertauschbarkeit', ,vertauschbar', während die Übersetzung in Lg' Glossar (.faculti de se changer' und ,qui a la faculte de se changer') falsch ist. Weitere Belege für das Afr. fehlen; einzig das FEW zitiert noch Oresme für convertible. Diese Angaben treffen zu, lassen sich jedoch durch ein weiteres Beispiel ergänzen, das allerdings erst den achtziger Jahren des 13. Jh. angehört und convertible in der von Lg fälschlich JdM zugewiesenen, aber für das Afr. bislang nicht nachgewiesenen Bedeutung .veränderlich, wandelbar' verwendet. (a)Jean d'Antioche: Mes le pechie des angels ne pooit avoir remede ne reconciliement, car il ne se peuent repentir ne retraire de chose qu'il aient faite, por ce que lor nature n'est point muable ne convertible (JeanAnt p. 214).

Der Grund für den Sturz der Engel liegt in ihrer unveränderlichen Natur, die ihnen nicht erlaubt, für ihr Vergehen Buße zu tun; muable und convertible stehen hier als Hendiadyoin nebeneinander. Außerdem begegnet convertissables als Übersetzung von CONVERTIBILIS in einem lt.-afr. Lexikon vom Ende des 14. Jh. (RoLex II 2411). Welche Bedeutung hier vorliegt, kann mangels eines Kontextes nicht entschieden werden. In der lt. Literatur findet sich CONVERTIBILIS nicht vor dem 2. Jh. (ApulDogmP III p. 331 f.), CONVERTIBILITAS sogar erst im 5. Jh. (AugEp 169, 11), aber nur in der Bedeutung .veränderlich', .Veränderlichkeit'. Ebenso verwenden es im 12. Jh. Bernard Silvestre und Johannes von Salisbury109. Auch DuC scheint keine andere Bedeutung zu kennen. 109 52

BernSilv I 2, 61 und 108; JohSarMet 845 d.

Hier geht es jedoch um die logischen Termini CONVERTIBILITAS - CONVERTIBILIS, und diese existieren vor dem Jahre 600 offensichtlich nicht. Wann die Bedeutungserweiterung erfolgte, läßt sich nicht ausmachen, ist hier auch irrelevant. Im 12. Jh. umschreibt Abelard in einem logischen Traktat „De divisionibus" den Begriff .Austauschbarkeit' noch durch CONVERSIONS PROPRIETAS (AbaelDial p. 578). Thomas hingegen verwendet CONVERTIBILITAS (erstmalig?) mehrfach (ThomLexic 242). Das Adjektiv hat häufigere Verwendung gefunden 110 . (b)Pierre de Poitiers: Ad quod dicendum quod non est idem Trinitas et trium unitas, sed est quasi quedam allusio et ethimologia vocabulomm non convertibilis (PetrPictSent I 32, 12-14).

(c)Matthieu de Vendöme: Iste enim tropus (sc. methonomia) reciprocus est sive convertibilis. Continens pro contento ponitur (MattVind III 31).

(d)Sophisma (12.Jh.): Quidquid predicatur de uno solo est individuum. Quod vera sit, sic probatur. Predicatur de uno solo iste terminus et est descriptio individui. Ergo est convertibilis cum suo descripto (Sophismata p. 23).

Zwei Wörter (Begriffe) gelten in der Logik als austauschbar, wenn das (der) eine Subjekt, das (der) andere Attribut (Prädikatsnomen) ist und durch ihre Vertauschung der Inhalt der Aussage unverändert bleibt. Ein Ereignis, das eingetreten ist, gilt nach der Argumentation eines fiktiven Diskussionspartners auch als unbedingt notwendig, da ,wahr' und .notwendig' austauschbare Epitheta darstellen (Rr 17213—16). Auf das Problem des liberum arbitrium angewendet hieße dies, daß alle Dinge, die eintreten, auch so kommen mußten, d.h. daß Gott es so vorherbestimmte und dem Menschen damit keine Entscheidungsfreiheit bleibt. Gegen solchen Determinismus wendet sich JdM, indem er eine Unterscheidung zwischen absoluter und bedingter Notwendigkeit von Boethius übernimmt (necessite simple — necessite en regart, Rr 17228 f.) — ein Verfahren übrigens, das geradezu an logische Disputationen erinnert - , und so kann er die Deduktion eines Gesprächspartners (Rr 17231 f.) als falsch hinstellen, denn nicht jede Aussage über ein zukünftiges Ereignis m u ß wahr sein, sondern sie kann wahr sein, so daß

110

Im 13. Jh. verwenden es Albert (AlbMagnMotib II 1 = Borgnet X 333; dsCaus II 1 , 5 = Borgnet X 441), Thomas (ThomLex 185 und ThomLexic 242), Roger Bacon (RogerBacDial p. 248 supr. und 348 infr.), Bonaventura (BonavSent I Dist XXI art. 1 qu. 1 , 2 = Ed. Quaracchi I 379), um nur die bekanntesten Vertreter der Hochscholastik zu nennen. 53

nicht eine möglicherweise wahre Aussage mit unbedingter Notwendigkeit gleichzusetzen ist, was jedoch für die einfache Wahrheit zutrifft.

19. CREANCE 1 1 1

.unbewiesene Ansicht, Meinung'

17131 Mais il (sc. Deus) set quant il avendront, Coment, e quel chief il tendront, Car s'autrement estie peüst I . . . I 17135 II ne serait pas touz poissanz, I . . . I 17137 N'il ne serait pas souverains, I . . . I 17139 N'il n'en savrait ne que nous fomes, Ou cuiderait avec les omes, 17141 Qui sont en douteuse creance, Senz certainete de science. 18047 . . . toutes choses tris petites, / . . . 18050 Si granz, si grosses sont veües, / . . . / . . . / 18053 Que Ten les peut lire e conter De si loing que, qui raconter Le voudrait e l'avrait veü, Ce ne pourrait estre creii D'ome qui veü ne l'avrait, Ou qui les causes n'en savrait; 18059 Si ne serait ce pas creance, Puis qu'il en avrait la science. 19599 Ε s'i] iert qui dire vousist Que Deus le vouleir en tousist A l'un par grace, a l'autre non; Pour ce qu'il a si bon renon, N'onques ne cessa de bien faire, Don Ii redevrait il bien plaire Que chascuns au trete 1 fe'ist Si qu'autel grace en Ii meist. Si ravrai ma conclusion Que tout aille a perdicion. Je ne sai pas a ce respondre, 19610 Se fei n'i veaut creance espondre; Car Deus . . . Die Verwendung von creance112 im religiösen Bereich wird von der folgenden Untersuchung ausgeschlossen, da es sich bei JdM um rein logische Terminologie handelt, was noch näher auszuführen ist. Da die Handbücher geringe oder 111 112

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FEW II 2, 1303 f.; TL II 1 0 1 8 f . ; G f I I 359, IX 241; LaC IV 370f.; MLLM 280. Vgl. auch ParelL 38 f. Creance dürfte das Ergebnis einer sehr frühen vulgärsprachlichen Entwicklung, wohl eine Verbalableitung sein. Malkiel, Suffixes 49 nennt eine Form CREANTIA, und zwar mit unterschiedlicher Bedeutung zu verschiedenen Zeiten: .credit' (1219), .credence' (1289), .credibility' (1324). Diese dürfte jedoch weniger ein

gar keine Hinweise geben, muß die lt. Literatur zur Klärung mitherangezogen werden. In keinem der eingesehenen afr. Texte tritt creance in entfernt ähnlichem Sinne wie im Rr auf, etwa im Gegensatz zu science oder in Verbindung mit anderen Begriffen, die .Meinen, Ansicht, Vermutung' ausdrücken 1 1 3 . In einer gewissen Nähe zum Rr steht creance bei Philippe de R e m i 1 1 4 . Er behauptet, eine Zeugenaussage besitze nur dann Wert, wenn das Wissen oder die Annahme auf sicherer Basis ruhe, d . h . letztere müsse so einsichtig sein, daß man die Annahme als sicher gelten lasse. (a)Donques puet l'en savoir que nus dis de tesmoins ne vaut s'il ne parole de certain, comme de savoir ou de croire par certaine cause, et que la cause soit si clere par quoi on le croit, que l'en voie que la creance est certaine (Beauvais 1234). Zwar spricht er von savoir und croire, doch entspricht diese Gegenüberstellung nicht der von creance und science im Rr, denn während das Gericht sich zuweilen mit einleuchtenden Vermutungen zufriedengeben muß, der Sphäre der Evidenz ein weites Feld einräumt, wie es schon für aparence deutlich wurde, verlangt die Wissenschaft, speziell die Naturwissenschaftlicheres Wissen durch empirische Untersuchung. Somit bleibt z. Zt. nichts anderes übrig, als JdM auch für einen mehrere Jahrzehnte umfassenden Zeitraum den Primat einer besonderen Verwendung von creance zuzusprechen.

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mit. Beleg für creance als umgekehrt eine ,forme refaite' nach dem afr. Wort sein. Auch die der lt. Morphologie entsprechende Form CREDENTIA existiert. Das MLLM fuhrt sie mit den Varianten CREANTIA, CRAANT1A, CRAANCIA an, auch für das 13. Jh. in der Bedeutung .croyance heretique*. - Die im Rr anzusetzende Bedeutung .Ansicht, unbegründete Meinung' vermag ich in den mit. Ableitungen des Stammes CRED- nicht nachzuweisen. Bei Brunetto Latini bezeichnet einmal fole creance die übertriebene Selbsteinschätzung eines Menschen im Hinblick auf die eigene Macht (BrunL II 60, 3). Nach der „Clef d' Amors" gilt als Feigling und sieht sich getäuscht, wer der Meinung ist (creanche), er könne durch Zauber Liebe festhalten (ClefAm 1316). In beiden Fällen geht es um unbegründete, sich schließlich als falsch erweisende Ansichten, ohne daß solchem Meinen ein gesichertes Wissen gegenübergestellt würde. Seine Schrift faßte er höchstwahrscheinlich nach der Vollendung des Rr ab, und außerdem gehört sie zu ausgesprochen juristischer Fachliteratur. Die Ausnahme ist insofern gerechtfertigt, als 1) hier erstmals nach dem Rr eine Scheidung zwischen sicherer und unfundierter Aussage erfolgt, wie das Gerichtswesen sie nun einmal erfordert; 2) Philippe de Remis Schrift schon früher gelegentlich konsultiert wurde und noch mehrfach Material liefern wird, gerade in solchen Fällen, wo außer dem Rr kein Text vor 1 2 6 0 - 7 0 ein bestimmtes Wort oder eine bestimmte Bedeutung aufweist. Solche Belege können für Versuche einer exakteren Datierung des Rr Gewicht erhalten. 55

Gottes Voraussicht darf niemand in Zweifel ziehen, da er sonst seine Allmacht in Frage stellte und ihn auf einem Grad des Wissens einstufte, wie ihn die Menschen besitzen, die über die zukunftigen Ereignisse nur vage Vermutungen äußern können; eine solche Annahme käme einer Gotteslästerung gleich. — Daß Rr 17141 mit creance nicht der religiöse Glaube gemeint ist, zeigt 1) daß Objekt dieser creance nicht Gottes Wesen, Existenz oder Handeln ist, sondern der Verlauf der Zukunft, 2) daß douteuse creance durch den Gegensatz certainete de science zu einem minderwertigen Verhalten herabsinkt, in dem kein Orthodoxer religiöse Überzeugung wird sehen wollen. Niemand wird Berichten aus dem Gebiet der Katoptrik Glauben schenken (ce nepourrait estre creü, Rr 18056), ohne e n t w e d e r selbst die verschiedenen Spiegelbilder gesehen oder die Gründe für ihr Entstehen erfahren zu haben. Wird aber eine dieser Voraussetzungen erfüllt, handelt es sich nicht mehr um Glauben (creance) an besagte Erscheinungen, sondern um das sichere Wissen (science) von ihnen. Praxis und Theorie (Rr 18057 f.) sind für JdM wie schon für Aritstoteles diejenigen Wege, auf denen Erkenntnis erworben und Wissenschaft begründet werden kann. Verschafft die Empirie in der Sammlung von Erfahrungstatsachen die vorwissenschaftliche (vorphilosophische) Stufe der Erkenntnis, die in sich schon einen gewissen Wert besitzt, so erhebt die Frage nach dem „Warum" dieser Erscheinungen das Ergebnis auf wissenschaftliches Niveau. Rr 19599 hat JdM die Begründung eines anonymen Gesprächspartners angeführt, warum Gott manche Menschen von der Zeugungspflicht entbunden haben könnte (vgl. conclusion), ohne aber für seine eigene Person diese Lösung als bindend anzuerkennen. Das Ergebnis dieser Deduktion, mangels beweisbarer Argumente hypothetisch, kann keine logische Konsequenz darstellen, sondern nur eine Annahme, eine bloße Vermutung (creance, Rr 19610), die einzig im christlichen Glauben (fei) ihre Auslegung findet; absolut sicheres Wissen aber vermittelt der Glaube nicht. Diese Erklärungen von creance im Rr gewinnen volles Licht, wenn man JdM' Argumentation auf dem Hintergrund der antiken Philosophie betrachtet. Auf eine Darlegung der akademischen, der peripatetischen und der hellenistischen Erkenntnistheorien im Detail wird verzichtet, zumal einige Ausschnitte des „Timaios" und des dazu von Chalcidius verfaßten Kommentars ausreichen, um für JdM' Auffassung von creance eine hinreichende Ausgangsbasis zu schaffen. Die platonische Einteilung der Seele in drei verschiedene Kräfte, Vernunft, Mut und Begehren, hatte Aristoteles vereinfacht und nur das Vernunftlose vom Vernünftigen geschieden; RATIO und SENSUS — auf die besonders von der Stoa ausgebaute Pathoslehre kann nicht weiter eingegangen werden — standen somit einander polar gegenüber. Hier interessiert nur die RATIO, der erhabenste und führende Seelenteil, das η γ ε μ ο ν ι χ ο ν . Dieser wiederum 56

besitzt zwei grundsätzliche Fähigkeiten, die des Erkennens und die des bloßen Meinens: (b)Tali igitur humani corporis exaedificatione aeternae animae duos circuitus addidisse dicit deum, qui circuitus animae opera sunt, quorum alter intelligentia est, alter opinio (ChalcTimComm 203).

Dazwischen schieben sich die weder vom Verstand als richtig anerkannten noch vom bloßen Gefühl hervorgerufenen .richtigen Meinungen' (RECTAE OPINIONES, ChalcTimComm 213), denen die Vernunft ihre Zustimmung gegeben hat und die an anderer Stelle VERAE OPINIONES heißen: ( c ) . . . et recte tarnen movetur idem hie motus intimae mentis, nascuntur verae opiniones et credulitate dignae. Nec tarnen satis certa provenit et firma cognitio, siquidem inter scientiam et opinionem sit ampla distantia (ChalcTimComm 104).

Soweit die für die vorliegende Untersuchung notwendige Einteilung bei Chalcidius, die übrigens auch Isidor übernimmt (Isid 2 , 2 4 , 1 f.). Das übergroße Mißtrauen, das Plato den durch die Sinne vermittelten Eindrücken entgegenbrachte, klingt deutlich aus den Worten des ma. Akademikers Adelard von Bath, in denen er sensualistische Urteile als animalisch, nicht menschenwürdig bezeichnet: ( d ) O argumentum perspicuum, quod magis cani quam homini conveniens est! Sed nec huic credendum est (sc. odorato), cum saepissime fallat Quod enim fallax est, verum quidem incidere potest, certificare autem non potest. Unde nec ex sensibus scientia, sed opinio oriri malet. Hinc est, quod familiaris meus Plato sensus irrationabiles vocat (AdelardBath 13,16 ff.).

Zu der Dyas SCIENTIA-OPINIO tritt als dritte Stufe des Erkennens die FIDES (in nicht-theologischer Verwendung). Johannes von Salisbury ordnet sie in Berufung auf einen Magister Hugo (sicher Hugues de St.-Victor) zwischen SCIENTIA und OPINIO ein, da sie (e) per vehementiam certum assent, ad cuius certitudinem per scientiam non accedit (JohSarMet 924 b).

Dieselbe Skala erscheint bei Vincent de Beauvais, nur in anderer Anordnung: ( 0 Est enim scientia certa rerum notitia, opinionem et fidem transcendens (VincBell II, V 44).

Kein weiter Schritt führt von der Einteilung der Seele in verschiedene Befähigungen zu der Differenzierung der höchsten Fähigkeit, der RATIO, an Hand von Wahrheitskriterien — welche Sicherheit auch immer sie gewährleisten 57

mochten - in SCIENTIA-FIDES-OPINIO und von dort zu einer nach festen Regeln ausgebauten Wahrheitsfindung in der Logik. Diesen Schritt hatte Aristoteles selbst vollzogen, und die Nachfolger des Begründers der Stoa bauten sie zu einem weitverzweigten System aus. Die grundständige Terminologie aus der Erkenntnisphilosophie blieb dabei unverändert. Ein Wissen, das eine logische Deduktion als solches erwiesen hat, heißt SCIENTIA par excellence. Eine solche Herleitung liefert jedoch nur dann eine einwandfreie Schlußfolgerung, wenn die Prämissen unzweifelbar sichere Aussagen darstellen (vgl. aparence, conclure, conclusion). Arbeitet man im Beweisverfahren mit wahrscheinlichen Behauptungen, mit Aussagen, deren Wahrheitsgehalt ungeklärt ist, so bewegt man sich aus dem Bereich der eigentlichen Logik in den der Dialektik, wo nicht die SCIENTIA, sondern die OPINIO regiert, wo jeglicher Schluß nicht mehr als Wahrscheinlichkeit für sich beanspruchen kann (vgl. prouvable)us. Noch ein Schritt weiter, und man befindet sich im Bereich der Sophistik (vgl. sofime). Schließt man die Sophistik als entartete Sonderform der Logik aus, so bleibt wieder die Dyas SCIENTIA-OPINIO bestehen, erstere Ergebnis eines regulären syllogistischen Schlusses, letztere dasjenige eines von unsicheren Voraussetzungen ausgehenden Schlußverfahrens. Für OPINIO-OPINATIO können auch FIDES, PROBABILITAS oder VERISIMILITUDO in derselben Bedeutung erscheinen. Roger Bacon schildert ein dialektisches Beweisverfahren folgendermaßen: (g) Ista conclusio est geometrica, set premisse sunt dyalectice, et illacio dyalectica; iste tarnen syllogismus est sophisticus, non simpliciter, set secundum quid, quia apparet facere seientiam de conclusione cum non faciat, set solum fidem (RogerBacDial p. 326 sup.).

Im Rr findet sich anstelle von creance auch das Synonym opinion decevable (Rr 17350). 20. DEFENIR 116 .definieren' 4373 Prier vous vueil dou defenir (sc. amour), Si qu'il m'en puist meauz souvenir, 4375 Car ne Γο'ί defenir onques. 4667 Se la (sc. amour) vouliez defenir, Pour fol me pourTaie tenir Se volentiers ne l'escoutaie. 115

116

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Vgl. L. Lachance: Saint Thomas dans l'histoire de la logique. In: Etudes d'histoire litteraire et doctrinale du XIHe siecle. Paris, 1932. (Publ. Inst Etudes Medievales d'Ottawa, 1). S. 6 1 - 1 0 3 . Zur Trennung von Logik (SCIENTIA) und Dialektik (FIDES, OPINIO) vgl. S. 8 3 - 8 8 . FEW III 30; TL II 1281; Gf II 457; LaC V 16 und 195; DG I 658.

16078... la fourme . . . Qui devise entr'aus leur sustances Par especiaus diferences, 16081 Si come il pert au defenii, Qui bien en set a chief venir. 21575 (Kontext unter difßnicion)

Die Angaben der Lexika zu defertir sind ohne Ausnahme entweder unvollständig oder falsch. Das FEW nennt zwar seine Verwendung als philosophischen Terminus, bringt aber für das Afr. einzig diffiner bei Gilles le Muisit, einem Autor des 14. Jh. TL trennen den logischen Fachbegriff nicht von der allgemeinen Bedeutung .näher bestimmen, erklären'. Bei Gf und LaC fehlt ein Verweis auf den logischen Bereich ganz, und der DG behauptet: „L'anc.fran9· ne connait que .definir',... et l'emploie au sens de .finir'." In einer frühen Prosaübersetzung der „Dialoge" des Papstes Gregor (12. Jh.) steht defenir nur in der sehr allgemeinen Bedeutung .näher erläutern, genauere Angaben machen', und Objekt ist nicht ein Begriff, sondern der Inhalt einer vollen Aussage" 7 . Wie Rr 4373,4375 und 4667 verwenden auch Richard de Fournival und Drouart la Vache defenir in Bezug auf die Liebe; ihre Eigenschaften, positive und negative, sollen dem Uneingeweihten verständlich gemacht werden. (a) Richard de Fournival: Ceste maniere d'amour selonc ce que je puis savoir par maistre Jehan de Garlande et pai les conditions ki sont en Ii defenist et descrist en tele maniere. Amours e s t . . . (ConsausAm 10 f.).

(b)Drouart la Vache: Puis qu'Amours vous ai defenie, II est raisons que je vos die Dont Amours est dite ou clamee. Amours est d'amer apelee (DVache 287-90; vgl. ds. ebd. 115).

Es handelt sich also nicht strikt um den logischen Terminus .definieren', sondern um eine Schilderung. JdM bezeichnet seine von Alain de Lille inspirierte Kette von Adynata zur .Definition' Amors schlicht description (Rr 4292). So dürften in (a) defenir und descrivre, in (b) deviser, defenir und dire dasselbe ausdrücken, nämlich die Erläuterung der Liebe. Es scheint also, daß JdM mit Rr 16081 und 21575 erstmals defenir als logischen t.t. verwendet hat. Der gesamte Kontext trägt den Stempel aristotelischer Definitionslehre. Nach ihm läßt sich ein Ding (Begriff) nur dann defi117

DialGreg 199, 8 und 24; 258,19. Aus der Versbearbeitung von Gregors „Dialogen" durch Angier (1212-14) verzeichnet Pope 104 definer .expliquer'; vgl. conclusion A.89.

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nieren, wenn zugleich sein Gegenteil bekannt ist. Beide Dinge (Begriffe) müssen demselben Bereich angehören und die größtmögliche Opposition in diesem Bereich bilden: . . . τ α γάρ π λ ε ί σ τ ο ν αλλήλων δ ι ε σ τ η κ ό τ α των έ ν τψ α ύ τ ψ γ ε ν ε ί ε ν α ν τ ί α ο ρ ί ζ ο ν τ α ι (AristCat 6 a 18)11β. In dieser Verwendung begegnet defenir m.W. erst wieder im 14. Jh., und zwar in der afr. Fassung von Henri de Mondevilles „Chirurgie": (c) Cynirgie est exposee et deffenie de diverses gens selonc ce qui leur monte es testes, ou selonc divers r e g a r s ; . . . Les uns la deffenissent ansi: Cyrurgie e s t . . . (HMond 559 f.).

21. DESPUTER119 .disputieren, schulmäßig erörtern' 11483 En toz ces cas e en semblables, / . . . / . . . / 11486 Qui de mendicity veaut vivre Faire le peut, non autrement, Se eil de Saint Amour ne ment, 11489 Qui desputer soulait e lire Ε preeschier de la matire Α Paris avec les devins. 17125 Ε si pourrait bien aueuns dire, 17126 Pour desputer de la matire, Que Deus n'est mie deeeiiz Des faiz qu'il a devant seiiz.

Zwar existiert desputer in afr. Literatur seit dem 12. Jh., jedoch bringen die Lexika mit Ausnahme von TL gar keine oder nur ganz wenige Belege, und TL ordnen ihr zahlenmäßig beschränktes Material nicht nach Verwendungsbereichen, so daß unter einem Lemma Textstellen zu den verschiedenen Bedeutungen ,mit Worten streiten, disputieren, debattieren' stehen. Zur Beantwortung der Frage, ob desputer bei JdM im Zusammenhang mit den zu seiner Zeit üblichen schulmäßigen Disputationen oder allgemeiner mit bestimmten Erscheinungen des Universitätslebens steht, scheint es angebracht, die seit dem letzten Viertel des 12. Jh. und erst recht im 13. Jh. zahlreichen Belege nach dem jeweiligen Verwendungsbereich zu sondern. Objektive Kriterien für den Entscheid, daß desputer eine Erörterung, Diskussion etc., aber nicht eine regelrechte Disputation' (s.u.) bezeichnet, lassen sich verständlicherweise nicht aufstellen. Immerhin kann eine solche Zuordnung mit einiger Gewißheit erfolgen, wenn 1) der Kreis der Sprecher und (oder) 2) das besprochene Problem aus dem Kontext zu erschließen sind (ist). Die 118 119

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PareScol 39 gibt je ein Zitat ähnlichen Inhalts aus albertinischen und thomistischen Schriften. FEW III 98; TL II 1719; Gf IX 393; LaC V 142; DG I 759; DuC II 883; TLL V 1, 1443 ff.

zeitliche Einordnung bietet, obwohl das Einsetzen solcher schulischen Übungen chronologisch hinreichend sicher fixiert werden kann, geringere Sicherheit, da man stets anachronistische Begriffsübertragung in Erwägung ziehen muß. 1) allgemeine und nicht-wissenschaftliche Erörterung: (a) Guernes de Pont—Ste-Maxence: De multes choses unt entr'els despute (sc. Ii reis e Thomas), Dunt um ne m'a encore acointie n'acerte (GSThom 4391 f.). Unterredung, die im Streit endet. (b)Philippe de Beaumanoir: De tex i a qui s'i acordent, Et de tex qui mout s'en descordent. Longuement entr'eus desputerent (Manekine 333-35). Beratung der Richter in einem Rechtsfall. 2) fachliche, nicht-wissenschaftliche Besprechung: (c) Benoit de Ste-Maure: Assez en furent desputant Fisicien, maistre sachant (BenDucsNorm 30174 f.). Arzte beraten den Grund eines unbekannten Todesfalles. (d)„Chronique de St.-Denis": Apres ce, fu parle et dispute par devant les messages l'apostoile de la clameur des prestres des diverses paroisses (ChrDen III 45). Unterredung in Dingen der Kirchenverwaltung. (e)Drouart la Vache: La premiere (sc. question) est: se marie Pueent bien amer loiaument Lasecondeest:.../.../.../ Despute avons longuement (DVache 3698-703). Ein Liebespaar wendet sich in Fragen der Liebeskasuistik an die Landesfürstin als höhere Instanz. 3) Diskussion in wissenschaftlichen Disziplinen: ( 0 Beneit: Pruz devint e enpernant Ε en dergie bien desputant Pur sey defendre (BSThom 76-78). Gespräch Uber Fragen aus einem erlernten Fachgebiet. 61

(g) „Roman des sept sages": En apres ces .iij. anz, le (sc. le fils le roi) tindrent il (sc. les sept sages) mout grand terme et tant que il desputoit ja a eus touz de toute clergie (SagesPr p. 5). Bedeutung wie (f).

(h)„Chronique de St.-Denis": Si la (sc. question) proposa premierement un moyne nomme Jehan de Jherusalem, et eile fu disputee mais ne fu pas determinee (ChrDen II 140). Eine Bischofskonferenz spricht über das Thema „Herkunft des Hl. Geistes".

(i) Egidio Colonna: (Ii philosophe) . . . troverent le langage du latin si p a r f e t . . . qu'il peüssent soufisaument exprimer cen qu'il savoient... dont il voloient parier et desputer (GouvRois 198,18). Die lt. Sprache eignet sich besonders zur Erörterung fachlicher Probleme.

(j) Angier: . . . Ii ainz dit diacre Piere I . . . I Od qui lu Dialoge ainz dit En desputant mist en escrit, / . . . /(VGreg 2797-800). Diskussion theologisch-ethischer Fragen in Dialogform.

(k)JdM 120 : . . . la ou tu (sc. Philosophie) desputaies... avec moy de la science des chosez humaines et divines (JdMBoeth I pr. 4,10). Bedeutung wie (j).

4) Thematisch gebundene Streitgespräche zwischen zwei Parteien: (1) Gautier de Coinci: Queque dyable desputoient As angeles, qui mout triste estoient Quant ne savoient raison rendre Par quoi il peüssent desfendre Ne desrainier la lasse d'ame (Miracles I Mir. 42, 245-49). Streit um den Besitz einer Menschenseele.

(m)Chardry: Nos clers a lu (sc. Nachor) desputerunt, Ε ben se defendrunt Si ke eil se feindra, Ε conclus se tendra, 120

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BoethCons I pr. 4, 3: in qua (sc. bibliotheca) . . . de humanarum divinarumque rerum scientia disserebas.

Ε dirra, par dreite clergie, Ke nostre est la meillure vie (ChardryJos 1205-10). Vertreter der jüdischen und der christlichen Religion diskutieren Glaubensfragen (ebenso ds.ebd. 1SS4; B&J 5776 und 6015; B&JPr LXXII 34 und LXXXVII 26). (n)„Chronique de St.-Denis": A lui (sc. a l'evesque) dispute saint Gregoire archevesque de Tours et le seurmonta et conclut merveilleusement (ChrDen 1191). Auseinandersetzung in der Trinitätsfrage mit einem Arianer. (o)Mouskes: L'apostoles,.../.../.../ Envoia dont prou clers en France Pour disputer as mescreans Et contre les popelikans (Mouskes 1278-83). Der päpstliche Nuntius soll sich mit französischen Häretikern auseinandersetzen. (p)„Chronique de St.-Denis": Tant disputerent et arguerent ensemble que il convint que le descort venist a la court de Rome (ChrDen IV 330). Guillaume de St.-Amour ereifert sich gegen die Mendikanten. 5) desputer als Vorgehen der Logik (theoretisch): (q)Mouskes: Dyaletike est tierce (sc. ars) apries Qui fait les clers auqes en grids De counoistre le voir del faus Et desputer les fait entr' aus (Mouskes 9728-31). (r) Jean d'Antioche: Quar ce que nos aprenons en gramaire de droitement parier, et ce que logique nos enseigne esgarder en desputant le voir dou faus (JeanAnt p. 217). (s) Brunetto Latini: Dont (sc. des .iii. sciences) la premiere est dyaletique, et ensegne tender, contendre, et desputer (BrunL I 5,2). 6) Disputationen an der Universität (praktisch): (t) Henri d'Andeli: Mes un petit la (sc. Haute Science) tint a fole, Que quant el despute en s'escole, El lesse la droite clergie Et come la philosophie (HAndArs 87-90).

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(u)Rutebeuf: Si distrent, entre gas et geux, Teiz moz con vos m'orreiz conteir; Siecles i fut nomeiz et Deus; De ce pristrent a desputeii (Ruteb XXVI 29-32).

(v) Pierre d'Abernon: . . . demi an continueit Les lesyuns son mestre a espleit Ε sagement se aveit en lisant, Ε queinte e humble fu en desputant, En cunseil e parole ensement, Dunt fu preise de tute gent Ke de tute Puniversite Loenge e amur aveit gaignέ (StRichaid 501-08). Richard vertritt seinen Professor an der Universität Bologna während einer Krankheit in Vorlesungen und Disputationen.

Methodologische Fragen über das Disputieren begegnen nicht vor der Mitte des 13. Jh. (q—s), dann aber gleich bei verschiedenen Autoren. Ebenso findet die Praxis um etwa dieselbe Zeit ihren Eingang in die Literatur (t—v). Eine schulmäßige Disputation verläuft im Normalfall folgendermaßen (DISPUTATIO ORDINARIA): Der Lehrer (MAGISTER) stellt das Thema (QUAESTIO, THEMA, THESIS); er selbst oder einer der Schüler bringt Einwände (OBIECTIONES) dazu vor. In besonders schwierigen Fällen wird er nochmals eingreifen (INTERVENIRE) und schließlich das Ergebnis vortragen (CONCLUDERE). Es besteht die Möglichkeit, daß er bei der nächsten Vorlesung das Thema nochmals aufgreift und die Lösung in definitiver Form gerafft vorlegt (DETERMINARE)121. Die „Flores biblici" eines nicht näher bekannten Magisters Radulfus gewähren einen Einblick in die Disputationstechnik, wie sie schon Ende des 12. Jh. vorlag. Zwar handelt es sich um theologische Erörterungen, aber die Form blieb die gleiche, auch bei der Anwendung in anderen Disziplinen. (w) Disputatio est rationis inductio ad aliquid probandum vel contradicendum. In omni autem disputatione legitima convenit esse interrogationem, responsionem, propositionem, afflrmationem, negationem, argumenta, argumentationem et conclusiones (zitiert nach GrabmannGSM 19).

Je nach Art des gestellten Themas können Kürzungen oder Erweiterungen der Gliederung vorgenommen werden. DISPUTATIO LEGITIMA heißt die regelrechte, nach einem bestimmten Schema verlaufende Disputation. Als DISPUTATIO IN FORMA steht eine in streng syllogistischer Weise vorge121

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Vgl. GlorRep 117; GrabmannGSM II 13-24; Renaiss Xlle 128-132, ferner die Artikel conchire, determiner, lecture, lire.

hende Disputation einer DISPUTATIO EXTRA FORMAM gegenüber, die sich in freierer Form abspielt. Nach dieser knappen Darlegung über die Schulpraxis werden auch die Stellen des Rr leichter faßbar. Guillaume de St.-Amour122, seit der Mitte des 13.Jh. ordentlicher Professor an der theologischen Fakultät der Universität Paris und höchst aktiver Parteigänger der Weltgeistlichkeit gegenüber den Bettelorden, hatte in den fünfziger Jahren mehrere Schriften, darunter „De periculis novissimorum temporum" und „Contra Pseudo-Praedicatores Hypocritas", gegen die Mendikanten, besonders die Dominikaner,verfaßt, die den Papst bewogen, 1256 diese Werke und 1257 deren Verfasser selbst mit dem kirchlichen Bann zu belegen. Wie JdM sagt, hat er seine Ansichten über die Zulässigkeit des Mendikantenstatus auch in seinen Lehrveranstaltungen vorgetragen. Die von einem Theologieprofessor ausgeübten Funktionen umfaßten nach Rr 11489 f. 1) lire, 2) desputer, 3) preeschier, die Vorlesung über ein gegebenes Thema, die Disputation hierüber im Kreis der Studenten und den Vortrag in Predigtform vor den anderen Professoren und Schülern. Diesen Usus bestätigen Berichte verschiedener Autoren des 13. Jh. So schreibt Thomas in seinem „Breve principium de commendatione" 123 : (x)Omnes igitur doctores Sacrae Scripturae esse debent alti per vitae eminentiam, ut sint idonei ad efficacitei praedicandum; q u i a . . . Debent esse illuminati, ut idonee doceant l e g e n d o , . . . Muniti, ut errores confutent d i s p u t a n d o , . . . Et de his tribus officiis, scilicet praedicandi, legendi et disputandi d i c i t u r , . . . (ThomAqu IV p. 493 f.).

Die umfangreiche Diskussion über göttliche Vorsehung und menschliche Willensfreiheit (Rr 17101 ff.) kann, obwohl für ein Laienpublikum verfaßt (17106), geradezu als Modell einer Disputatio gelten. JdM ist sich dieser besonderen Schwierigkeit durchaus bewußt, wenn er betont, er werde in Rücksicht auf die Allgemeinverständlichkeit seiner Argumentation die Einwände der Gegner selbst beantworten (17109 f.). Die einwandfreie Handhabung

122

123

Neben der Gesamtausgabe (Konstanz, 1632) gibt es eine neuere Ausgabe der „Responsiones" durch E. Faial: Les „Responsiones" de Guillaume de SaintAmour. AHDL 18 (1950-51) 337-394. Dokumente zum Verlauf der Auseinandersetzung zwischen Guillaume und der Kirche bringt ChartUP Nr. 288, 314-16, 332, 339, 342, 353, 356-57, 412. ParelL 164-69 und PareScol 1 6 5 - 7 4 gibt einen biographischen Abriß mit Kurzbibliographie. Vgl. auch E. Anitchkof: Joachim de Flore et les milieux courtois. Roma-Paris, 1931. S. 3 6 8 - 7 7 . Über Guillaumes Wirkung auf die zeitgenössische afr. Literatur siehe A. Serper: L'influence de Guillaume de St.-Amour sur Rutebeuf. RomPhilol 17 (1963-64) 391-402. Aussagen desselben Inhalts von Petrus Cantor und Roger Bacon zitiert PareScol 35 A.l.

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scholastischer Schulmethode mag an einer Gliederung des Anfangs der Diskussion gezeigt werden. Quaestio:

Wie vereinbaren sich Vorbestimmung des Schicksals und göttliche Vorsehung mit menschlicher Entscheidungsfreiheit? (Rr 17102-05).

Responsio:

Allem Anschein zum Trotz können beide nebeneinander bestehen (Rr 17111 f.).

Confirmatio:

Wenn alles mit Notwendigkeit geschähe, erhielten die einen keinen Lohn für gute Taten, die andern keine Strafe für ihr unrechtmäßiges Handeln, da jegliches Tun vom Geschick unveränderlich bestimmt wäre (Rr 17113—24; zweigliedrig in je 6 Vv. angelegt).

Argumentum contra: Gott weiß alle Ereignisse im voraus, er kennt die Zeit ihres Eintreffens, ihren Verlauf und ihr Ziel (Rr 17125—32). Confirmatio: Wenn dies nicht zuträfe, spräche man Gott seine Allmacht ab, und das hieße Gotteslästerung begehen (Rr 17133—46). Conclusio:

Also ergibt sich als Schlußfolgerung, daß jegliches Tun vorherbestimmt ist (Rr 1 7 1 4 7 - 5 4 ) .

Responsio:

Wie sollte Gott, obige Argumentation vorausgesetzt, Menschen für ihr Tun lohnen und strafen? (Rr 17155 ff.).

Es läßt sich nicht bestreiten, und an noch weiteren Partien des Rr ließe es sich beweisen, wie gut JdM mit dem damaligen Schulwesen vertraut war. Dies ist ohne langjährige Praxis kaum vorstellbar, so daß der Schluß naheliegt, er habe längere Zeit an der Universität selbst zugebracht. Die Frage, in welcher Form das geschah, muß zunächst offenbleiben.

22. DETERMINER 1 2 4 .darlegen, definieren' 4425 Car eil qui va delit querant, Sez tu qu'il se fait? II se rent, Comme sers β chaitis e nices, Au prince de trestouz les vices; Car c'est de touz maus la racine,

124

66

FEW III 57; TL II 1832; Gf II 687; LaC V 168; TLL V 1, 801-04. Vgl. oben S.64.

4430 Si con Tulles le determine Ou livre qu'il fist de Vieillecc. 17727 Des destinees plus palasse, 17728 Fortune e cas determinasse, Ε bien vousisse tout espondre, Plus oposer e plus respondre, Ε mainz essemples en de'isse, Mais.. . 17734 Bien est ailleurs determine.

Determiner, seit dem 12. Jh. belegt, begegnet zunächst nur in den Bedeutungen .zeitlich abgrenzen; festsetzen, beschließen; (sich) entscheiden; enden'. ,Erwähnen, berichten' heißt es erst in der zweiten Hälfte des 13. Jh., und von den hierzu bei TL zitierten vier Stellen läßt sich in zwei Fällen mit Sicherheit behaupten, daß die entsprechenden Texte nach der Vollendung des Rr entstanden125. Als Synonym von defenir kommt es jedenfalls vor dem Rr nicht vor. In ähnlicher Verwendung wie Rr 4430 findet sich das Verb in einer juristischen Fachschrift der fünfziger Jahre des 13. Jh. und in der afr. Fassung der aristotelischen Meteorologika. (a) Pierre de Fontaines: Une lois escrite determine bien ce que tu me demandes qui einsi dit: ,,Οη ne puet pas entendre que eil soit dampnez de larrecin, ne de rapine, ne de chatel tolu qui, por ce qu'il avoit pris plus que eil ne devoit par non de creuz, fu condampnez par le prevost ä rendre au doble ce qu'il avoit receu plus qu'il ne devoit, por quoi il ne pert pas respons" (PierreFont XIII 16; vgl. ds. ebd. XIV 12).

(b)Mahieu le Vilain: Et quant nous aron passe ces choses, nous determineron, se nous poon, en autel maniere des bestes et des planetes, generaument, et de chascune espece par soy (Meteora 4, 10).

(a) führt ein schriftlich Fixiertes Gesetz an, das die endgültige, rechtskräftige Formulierung eines Straffalles enthält; in (b) gibt der Verfasser an, in welcher Form er bei seiner fachlichen Abhandlung vorzugehen gedenkt. JdM Ubersetzt Ende des 13. Jh. eine Passage aus der boethianischen „Consolatio philosophiae", in der von der göttlichen Vorsehung die Rede ist, folgendermaßen126:

125

126

Die afr. Fassung von Egidio Colonnas Schrift „De regimine prineipum" wie auch die der ovidianischen „Remedia amoris" gehören den achtziger Jahren des 13. Jh. an. Einzig die Sammlung afr. Lais, aus der ein weiterer Beleg stammt, kann nur ungenau in das 13. Jh. datiert werden. BoethCons V pr. 4 , 1 : sed haudquaquam ab ullo v e s t r u m . . . satis diligenter ac firmiter expedite.

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( c ) . . . mais encorez n'a eile (sc. la Dieu pourveance) pas este . . . assez diligemment ne fermement determinee ne despeciee de nul de vous (JdMBoeth V pr. 4, 5).

Die Wiedergabe des lt. Textes erfolgt mit großer Genauigkeit, einzig EXPEDITA wird, offensichtlich in der Absicht zu verdeutlichen, durch zwei Ausdrücke, determiner und despecier, übersetzt. Wie im Rr heißt determiner hier .erklären, definieren'127. Als grammatisch-rhetorischer 1.1. begegnet DETERMINARE seit dem ersten nachchristlichen Jahrhundert. Es wird synonym zu DEFINIRE verwendet und bezeichnet das Definieren einzelner Begriffe. Boethius übersetzt im aristotelischen Organon δ ι ο ρ ι ζ ε ι ν , - ε σ θ α ι . , π ρ ο σ ο ρ ι ζ ε ι ν mit DETERMINARE. In weiterem Sinne steht das Verb auch in der Bedeutung .aufzeigen, darlegen' seit Tertullian. Lt. Texte des MA zeigen, daß es einerseits als Synonym von DEFINIRE auftritt, andererseits diese Definition in eine umfangreichere Abhandlung übergeht, wenn es sich um Diskussion und Lösung eines gestellten Problems handelt. Boethius zitiert die aristotelische Definition für ,Wort': ( d ) . . . nunc verbum diligentissima definitione determinat (sc. Aristoteles). .Verbum autem est quod . . . ' (BoethHerm 1 p. 55, 19 f.).

Der unbekannte Verfasser der pseudo-boethianischen Geometrie definiert SCALENON nach Euklid als ungleichseitiges Dreieck: (e)Scalenon igitur ab Euclide tria habens latera inaequalia determinatus est (PsBoeth Geom 65,872).

Nach Adelard von Bath besteht die erste und wichtigste Aufgabe der Arithmetik in der Definition des Zahlbegriffes: (f) In primis etenim numerum definit (sc. arithmetica) et eum collectionem unitatum vel quantitatis aceivum ex unitatibus profusum esse determinat (AdelaidBath 24,11).

Alain de Lille faßt die widersprechenden Ansichten der Autoritäten über die Natur der Engel zusammen: (g)Hanc tarnen auctoritatum contrarietatem sie determinare possumus dicentes angelos maioris dignitatis et Deo familiariores per quorum ministerium hec nuntiata sunt, ex parte ea cognovisse antequam complerentur (AlanHomines 142 p. 280). 127

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Die Angabe eines lt.-afr. Lexikons vom Ende des 13. Jh., DISTERMIN AVIT-determiner (RoLex I, Douai, 809), ist fur unsere Zwecke nicht brauchbar, da sie keine semantische Zuordnung erlaubt. Eindeutig ist die Angabe eines weiteren Lexikons, allerdings aus der Zeit um 1330, PREFINIRE-defwm/ner (RoLex I, Rom, 4339).

Albumasar setzt sich zur Aufgabe, seine Beobachtungen über die Himmelskörper zu einer Abhandlung über ihre Eigenschaften zusammenzufassen128: (h)His itaque positis cum huiusmodi celestium virium scientie infinita fere materia videatur et artem determinare et artiflci suos prescribere terminos convenit u t . . . (Albumas III 2).

Ein Blick auf die scholastische Disputationspraxis hat gezeigt, daß DETERMINARE den sich fakultativ an die CONCLUSIO anschließenden letzten Teil der QUAESTIO bezeichnet. Der Lehrer skizziert nochmals das Problem, trägt die vorgebrachten Einwände und Zwischenlösungen vor und formuliert das Ergebnis in definitiver Form 129 . Jetzt läßt sich der Verwendungsbereich von determiner im Rr genauer ermitteln. Mit dem Livre de Viellece (Rr 4431) meint JdM die ciceronianische Schrift „Cato Maior de senectute", einen zwischen Cato Censorius, Laelius und Scipio Minor über das Alter geführten Dialog. Die fiktive Diskussion ermöglicht es Cicero, seine Vorstellungen oder besser die seiner gr. Vorlagen über das Altern des Menschen in geschlossener Abhandlung vorzulegen (a con Tulles le determine, Rr 4430) 130 . In seiner umfangreichen Abhandlung über menschliche Willensfreiheit und göttliche Vorsehung (Rr 17101 ff.) hatte JdM schon mehrfach Gelegenheit, das Fatum in seine Überlegungen einzubeziehen131. Auch Fortuna wurde, allerdings nur sehr knapp, erwähnt (Rr 17543 ff.) 132 . Vom Zufall (cas) war jedoch nicht die Rede. Darum gliedert der Verfasser exakt: Über das Geschick hätte er noch ausführlicher sprechen mögen und Fortuna und CASUS definieren — eine Definition der destinees hatte er nämlich schon Rr 17538 ff. gebracht —, aber mit einem allgemeinen Verweis auf die darüber vorliegende Literatur muß er sich aus Zeitmangel begnügen. Wieder weisen Wörter wie espondre, oposer, respondre, essemple, finer (rondure) den Weg, in welchem Rahmen die angekündigte Diskussion zu suchen wäre; JdM denkt an eine schulmäßige Disputation.

128 129 130

131 132

Vgl. auch VincBell II, III 4; AbaelDial p. 380; AlexVDDoctr 1547; MatthParisChron II p. 476 f. Vgl. oben desputer, ferner PareScol 33 f., ParelL 23-27. Diese Erklärung zeigt, daß determiner Rr 4430 nur ungenau gefaßt wird, wenn man es allgemein mit .raconter' wiedergibt, wie TL u. a. es tun. Die Übersetzung in Lg' Glossar, .demontrer, expliquer' - vielleicht sollte .exposer' hinzugefügt werden - trifft den Inhalt bedeutend besser. destinee(s): Rr 17155,17194, 17202, 17725. Eine ausfuhrliche Schilderung von Göttin Fortuna gab JdM am Anfang seiner Romanfortsetzung (Rr 4783 ff.), allerdings ohne jeglichen Bezug auf eine metaphysische Fragestellung.

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23. DEFENISSEMENT - DIFFINICJON' 3 3

Begriffsbestimmung, Definition'

5767 De l'amour don jc ticng ci conte, Se tu veauz que je te raconte 5769 Queus est li defenissemenz, C'est natureus enclincmenz / . . . 17493 C'est la presente vision, Car qui la diffinicion De pardurablcte deslic, Ce est possession de vie Qui par fin nc peut estre prise, Trestoute ensemble, senz devise. 21573 Ainsinc va des contraires choses13*: Les unes sont des autres gloses; Ε qui l'une en veaut defenir, De l'autre li deit souvenir, Ou ja, par nule entencion, 21578 N'i metra diffinicion; Car qui des deus η'a quenoissance Ja n'i quenoistra diference, Senz quei ne peut venir en place 21582 Diffinicion que Ten face. Defenissement begegnet als Synonym von diffinicion kein zweites Mal in der afr. Literatur 135 . Abgesehen von TL geben die Auskünfte aller anderen Lexika zu diffinicion Anlaß zu Korrekturen. Das FEW verzeichnet die Bedeutung .Begriffsbestimmung' bereits für das 12. Jh.; Gf übersetzt diffinicion Rr 2 1 5 7 8 durch ,fin' und definicion Troie 2 5 7 0 7 (a) durch .conclusion'; LaC und Gf zitieren das Wort in der hier vorliegenden Bedeutung erst aus Texten, die zeitlich nach dem Rr liegen. Auf das Hapax legomenon defenissement braucht nicht näher eingegangen zu werden. Es darf als Doublette vulgärsprachlicher Bildung zu diffinicion gelten; die Stellung im Reim läßt fast annehmen, daß JdM es selbst bildete. Desgleichen erübrigt sich eine Untersuchung von DEFINIT10, da es seit dem Kit. in der bei JdM anzusetzenden Bedeutung auftritt.

133

134

135 70

defenissement: TL II 1281; Gf II 457. diffinicion: FEW III 30; TL II 1287 f.; Gf II 462, IX 290; LaC V 196; TLL V 2, 353 f. Vgl. auch ParelL 31 f. Erläuterung des aristotelischen Beweisverfahrens unter defenir zur Stelle. - Gf muß die gesamte Partie mißverstanden haben, wenn er trotz der Fachtermini contraires choses, defenir, diference den logischen Charakter der Verse nicht erkannte und diffinicion hier mit ,fm' übersetzte. Gf II 457 zitiert das Wort aus einer Charta von 1272 in der Bedeutung ,Tod'.

(a)Benoit de Ste-Maure: Dites la definition, Ε apres si parfmeron Com 90 seit acompli e fait" (Troie 25707-09). Odysseus fordert von seinen Mitkämpfern endgültige Stellungnahme hinsichtlich der Heimfahrt. (b)Saint Bernard: (Ii sapience ki de deu est) selonc la diffinicion saint Iaike est primiers chaste; et apres paisivle (SSBern 60, 29). Jakobus schildert den Gläubigen die von Gott kommende Weisheit. (c)Papst Gregor: Az queis paroles encor met apres une generale diffinition disanz: Totes choses sont sogetes a vaniteit, et totes choses s'en vont a un liu. De la terre sont faites, et en la terre ensemble soi retornent (DialGreg 196, 23; vgl. ebd. 198, 22). Allgemeingültige Aussage. (d)Jean d'Antioche: Les choses que lor difinicion est diverse, eles meismes sont diverses, et por ce que la difinicion de l'envious est diverse de cele dou sage, Fenvious n'est pas sage (JeanAnt p. 264). Die Definition des Neidischen wird der des Gebildeten, Weisen gegenübergestellt (e)Drouart la Vache: Tele est la dyffinicions D'Amours: Amours est passions Ou maladie . . . (DVache 137-39; vgl. ds.ebd. 7231). (f) Henri de Mondeville: Ces dites diffinicions ou descripcions et pluiseurs autres que les practiciens metent de cyrurgie,... s'acordent en une meisme sentence (HMond 561; vgl. ds.ebd. 1424). Auffallenderweise tritt diffinicion vor 1200 nur in der allgemeineren Bedeutung .nähere Angabe' auf (a—c). Nach einem Zeitraum von ca. 70 Jahren, für den keine Belege vorliegen 136 , findet es sich erstmals bei JdM und dann häufiger als logischer 1.1. (d—f)· Diese Beobachtung trifft mit der fur andere logische Begriffe gemachten zusammen, daß sie vor dem Rr nicht nachweisbar sind 137 . 136 137

Die Angabe von Pope 104 diffinition·.definition' aus der afr. Übersetzung der gregorianischen Schriften durch Angier kann aus den oben unter conclusion A.89 angegebenen Gründen nicht berücksichtigt werden. Vgl. die Artikel affirmation, aparence, arguer, cavillacion, conclure, conclusion, consequence, convertibüite, convertible, creance, defenir, determiner, duplicite, 71

24. DUPLICITE' 38 .Doppelsinn' 12146 (Kontext unter aparence)

Von den Lexika verzeichnen nur TL, Gf und der DG duplicite .Doppelsinn', und die einzige Belegstelle ist die oben zitierte des Rr. Diese Angabe bedarf einer Vervollständigung und einer exakteren Formulierung. Duplicite tritt auch im mathematischen Bereich auf 139 . (a)Alexandre de Villedieu: Chascune figure posec Devant atrei vers la doublee; Et s'ilec treuves unite Qui viengne de duplicite, Yccele figure adcnte La figure que est precedente; Et si la pose eu premier lieu Qu'apres ches figures iert veu (AlgT 488-95).

In der afr. Fassung des „Carmen de algorismo" (ca. 1275) handelt es sich um Anleitungen zum Wurzelziehen;duplicite bezeichnet eine mit Zwei multiplizierte Zahl. Den semantischen Bereich von duplicite läßt TL' Übersetzung .Doppelsinn' nicht erkennen. GF umständliche Paraphrase 140 zeigt, daß er, wie auch bei diffmicion Rr 21578, den logischen Anwendungsbereich verkennt, wenn er eine Bedeutung .Zweideutigkeit, Arglist' zugrundelegt. Der Trugschluß, die Scheinheiligen seien fromme Leute, war durch ihr unklares Verhalten herbeigeführt worden; sie gaben sich als ehrenwerte Männer, obwohl sie im Innern verderbt waren, und diese Zweideutigkeit hatte JdM mit deijenigen im Vorsatz eines sophistischen Schlusses verglichen 141 . Abhandlungen über syllogistisches und sophistisches Schlußverfahren zeigen, daß als einer der MODI ARGUENDI IN D1CTIONE eben jene DUPL1CITAS (gr. άμφ L βολ ία,seit Cassiodor auch mit der Variante AMPHIBOLOG1A des lt. Fremdwortes) fungiert:

138 139 140

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elenche, especialiti, figure de diccion, prouvable. Hinzu kommt eine beträchtliche Anzahl solcher Termini, die nicht im einzelnen besprochen wurden. TL II 2099; Gf IX 419; DG I 802; TLL V 2, 2276. - Vgl. auch ParelL 34. Diese Verwendung von DUPLICITAS begegnet erstmals bei Boethius (BoethArith 1, 32, p. 69, 10), dann ζ. B. Algoritmi p. 2, RogerBacDial p. 222 sup. u.a. „etat ou caractere de ce qui est double; caractere de celui dont les pensees ou les sentiments secrets different de ceux qu'il fait voir". D. h. Gf interpretiert bereits die logische Metaphorik bei JdM; aber ein Lexikon hat zunächst die konkrete Übersetzung des diskutierten Wortes anzugeben. Vgl. die Artikel aparence, conclure.

(b)Johannes von Salisbury 142 : Subiungit his arguendi modos qui sunt in dictione; ut equivocatio, amfibologia, compositio, divisio, accentus, figura dictionis (JohSarMet 930 b).

Ein in beiden Prämissen vorkommendes tragendes Wort verursacht, wenn es jedesmal in anderer Bedeutung verwendet wird, einen Trugschluß, da die Syllogistik drei, aber nicht mehr Termini zuläßt. Steht aber ein und dasselbe Wort in zwei verschiedenen Verwendungen, so arbeitet man mit vier Begriffen, und das ist wider die Regel.

25. ECLISSE 143 .Ausbleiben, Verschwinden4 5353 Pour ce n'est preuz l'amour de Ii (sc. de Fortune), N'onc a preudome n'abeli, N'il n'est pas dreiz qu'il abelisse, 5356 Quant pour si po chiet en eclisse.

Die Angaben der Handbücher zu eclisse sind , sowohl was die Datierung als auch was die Semantik für die konkrete Verwendung des Wortes betrifft, meist zutreffend. Für die übertragene Bedeutung hingegen bedarf die Behauptung des FEW .cessation, disparition momentanee de qn., de qc. (seit 14. Jh.)' einer Korrektur. Während eclisse in der konkreten Bedeutung seit dem frühen 12. Jh. häufig begegnet 144 , darf die metaphorische Verwendung als seltene Erscheinung gelten. In der zeitlich vor dem Rr liegenden Literatur kommt sie m. W. einzig bei Gautier de Coinci vor: (a)Ainz qu'ovrir welle le grant livre Qui mout me done et mout me livre Grant matere longe et prolipse De la pucele qui l'eclipse, Le grant broillaz et l'opscurte Jeta dou mont par sa purte, Canter vos veil deus chanfonnetes (Miracles I Pr. 2 , 1 - 7 ) . Die Gottesmutter hat durch ihre Reinheit alles Dunkel der Welt gebannt

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Vgl. auch VincBell II, III 91 (Text unter figure de diccion (a)). FEW III 204; TL III 14; Gf IX 422; LaC V 282; DG I 825; TLL V 2, 48; Latham 160. Die in den Handbüchern angeführten Belege lassen sich für das 12. und 13. Jh. beträchtlich vermehren: MarbodLap 606; FetRom III 12, 13 Z.24; ImM II p. 58, p. 161, p. 170; ChrDen I 207, 264 und 277; B&J XCIV 32; Meteora 120, 24 und 25 und 30.

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E t w a s anders liegt der Fall im R r . Während bei Gautier de Coinci eclisse die Vorstellung des moralischen Dunkels und des Elends auf der Welt bedeutet, also die äußere Wirkung der konkreten Sonnen- oder Mondfinsternis in den Meta-Bereich erhebt, geht JdM von dem subjektiven Sein des verdunkelten Himmelskörpers aus, das tatsächlich ein (scheinbares) Nicht-Sein darstellt. So kann er das Verhalten der wankelmütigen F o r t u n a mit dem eines Planeten gleichsetzen, denn auch sie zeigt der Welt zwei Gesichter: oft begünstigt sie den Menschen, aber bei dem geringfügigsten Anlaß (pour si po) zieht sie sich zurück und wird unsichtbar (chiet en

eclisse).

ECLIPSIS, gr. F r e m d w o r t und Synonym zu D E F E C T U S SOLIS ( L U N A E ) , kennen schon kit. Autoren als astronomischen t . t . ; je einmal als Vergleich und als Metapher begegnet es vor 6 0 0 (FacundDefens 6 , 5 p. 6 7 9 c ; GregTurMart III 1 0 ) . Der konkrete Gebrauch des Wortes im MA bedarf keiner näheren Erläuterung 1 4 5 , wohl aber lohnt ein Blick auf seine metaphorische Verwendung 1 4 6 . ( b ) Alain de Lille: Praedictarum vero gemmarum aliae ad tempus nova Dei miracula, novo sui luminis sole, visibus offerebant; ad tempus autem, suae coruscationis eclipsi, videbantur a diadematis exsulaie palatio (AlanPN 283). Die personifizierte Natura trägt ein Diadem, dessen funkelnde Edelsteine mit dem Sonnenlicht in Konkurrenz treten, dann wieder ähnlich einem verdunkelten Himmelskörper unsichtbar werden. ( c ) Haec vestium ornamenta quamvis plenis suae splendicitatis flammarent ardoribus, earumdem tarnen splendor sub puellaris splendoris sidere (sc. Naturae) patiebatur eclipsim (ds.ebd. 287). Der Prunk der Gewänder mußte dennoch hinter der mädchenhaften Schönheit von Göttin Natura zurücktreten. (d)Sic oculus cordis carnis caligine caecus languet, et eclipsim patiens, agit otia solus (ds.ebd. 308 fin.). Es handelt sich um die Charakteristik des Geizigen. (e)Non tarnen omnino Naturam sentit avaram (sc. equus quartus), Immo dote sua qua se tueatur habundat, In nullo paciens eclipsim muneris huius (Anticlaud IV 1 6 4 - 6 6 ) . Natura versagt ihren Geschöpfen ihre Gaben nicht. ( 0 Hec saliunca rosas, hec nubes nubilat astra Virtutum, cuius tenebris paciuntur eclipsim (ds.ebd. IV 326 f.). Die Sterne der Tugend erlöschen. 145

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Vgl. Isid 3, 53, 2; GerbAstrolab II 2; JohSarPolycr 418 c; AlBitr II 18; RobGrSph 1 3 , 1 3 ; SacroBoscoSphaer d; AlbMagnMeteora I 2, 6 (Borgnet IV 4 9 7 ) ; Sophismata 8 6 - 8 8 u. a. Latham gibt aus englisch-irischen Quellen für das Jahr 1170 ECLIPSIS .failure, extinction, intermission' an. - Auch das „Catholicon" verzeichnet ECLIPSIS: . . . defectus solis vel lune vel alterius rei.

(g)Ab hoc etiam opere demolientium emulorum arceatur accessus, ne eonim venenosis obiectaminibus eclipsim nostri operis patiatur igniculus (ds. Homines Ρτοΐ. 1 p. 120). Angriffe von Neidern sollen das anspruchslose Strahlen (IGNICULUS, Bescheidenheitstopos) von Alans Werk nicht ganz zum Erlöschen bringen. (h)Gautier de Chätillon: Si verum subtilius libet intueri, iam defecit dignitas et libertas cleri; Roma prorsus cecidit in eclipsim veri et, si non cecidit, potuit cecidisse videri. (GCastCarm VII 1 0 , 1 - 4 = Strecker II) In Rom ist die Wahrheit gleich einem Gestirn untergegangen. (i) Geoffroi de Vinsauf: Carminis ingressus, quasi verna facetus, honeste Introducat earn (sc. materiam). Medium, quasi strenuus hospes Hospitium sollemne paret. Finis, quasi praeco Cursus expleti, sub honore licentiet illam. Omni parte sui modus omnis carmen honoret, Ne qua parte labet, ne quam patiatur eclipsim. (GalfVin 71-76) Einleitung, Hauptteil und Schluß des Werkes müssen wohlausgewogen sein, damit sein Werk nicht an irgendeiner Stelle abfällt. (j) Johannes von Garlandia: nam sumus antipodes quos veri semita solis ambit et illustrat gracia carne tua. Sepe sed excecat mundum caligo minorem, dum velut eclipsi cecus oberrat homo. Umbram tenene sordis nostrique reatus eximis eclipsim, lucida sole tuo. (JohGarlEpith X 535-40) Wie ein durch Finsternis verdunkeltes Gestirn als blind gelten kann, so auch der in Sünde irrende Mensch. Die Gottesmutter aber beseitigt durch ihren Glanz die irdische Finsternis. (k) Bonaventura = eclisser (g) Ohne daß auf die Frage nach der Herkunft und Tradition preziöser Metaphern und vor allem der Stellung Alans in diesem Rahmen eingegangen werden könnte, bleibt festzuhalten, daß 1) die metaphorische Verwendung mit einer Ausnahme (g) nur in der Dichtung begegnet, 2) Alan hierin eine zentrale Rolle zufällt, 3) zu erwägen ist, ob nicht (a) und (j) auf eine gemeinsame Quelle 1 4 7

147

Evtl. wiederum Alan, dessen theologische Schriften für die vorliegende Arbeit nicht vollständig eingesehen wurden. 75

zurückgehen und JdM zwar nicht von einem Text, wohl aber der Handhabung Alans gerade in der Metaphorik sich hat inspirieren lassen. 26. ECLISSER 1 4 8 .unsichtbar werden' 4783 C'est Γ amour qui vient de Fortune, 4784 Qui s'eclisse come la lune Que la terre obnuble e enombre Quant la lune chiet en son ombre. Die Angaben der Lexika zu eclisser sind für das 13. und das frühe 14. Jh. recht unvollständig. Bei dem einzigen Beispiel konkreter Verwendung, das TL zitieren, liegt zudem eine Bedeutungserweiterung vor (a); Gf bringt nur Belege zu eclisser in übertragener Bedeutung; der DG führt als Erstbeleg den Rr an, und bei LaC fehlt das entsprechende Lemma ganz. ( a ) „ D o o n de Mayence": Le soleil rougi tous et mua son semblant, Et Ii vent estriverent, la terre ala croullant, Les nues de lassus alerent eclipsant (DoonM 5387-89). Im Gefolge von Stutm und Erdbeben verdunkelten sich die Wolken. Dies ist, mindestens für das 13. Jh., der einzige Beleg für eine Verwendung des Verbs außerhalb des astronomischen Bereichs; in allen andern Fällen lautet die Übersetzung .unsichtbar werden'. (b)„Image du monde" II: Vous avez oy 9a devant comment ele (sc. la lune) re^oit lumiere la moitie du soleill entiere. Mais quant il couvient qu'ele eclipse, clarte ne Ii vient de nulle part (ImM II p. 168). (c) Hagin: Et la malice de la lune si est sur .11. faces. L'une si est quant ele est eclipsee (Ezra 44 b). (d) „Roman d'Alexandre": . . . por l'amour dou tres grant empereor Ii. solais escurci et devint eclypsies (AlexPr p. 2 5 8 , 5 - 7 ) . (e)Mahieu le Vilain: Et pour ce qu'il est fait ainsi comme nous avon dit, c'est a ssavoir par refraction de veue faite en l'air condempse,... et pour ce apert il cause pour quoy halo n'est fait de la disposite du soleil et de la lune (Meteora 142,1). 148

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FEW III 204; TL III 14; Gf IX 423; DG I 825; DuC III 9; MLLM 365; Latham 160.

( 0 Leopold von Österreich: . . . et est toute Ii Lüne eclipsee quant Ii eclipses est en le longaice plus longe par dedens 4°, mais en celi longaice qui est plus pres eile est eclipsee desous 5 (LeopA II 3, 4).

ECLIPSARE hat als ma. Verbalableitung zu gelten; der TLL verzeichnet das Verb nicht. Im 13. Jh. findet es sich bei zahlreichen Autoren, aktivisch .verdunkeln, zum Verschwinden bringen', wie auch medial, .verschwinden, unsichtbar werden'149. In übertragener Bedeutung steht ECLIPSARE nach einstimmiger Angabe von DuC und dem MLLM in Petrus' de Vineis Briefen (12. Jh.); Latham belegt es aus engl.-irischen Quellen für 1256. (g) Bonaventura: Prima claritas, scilicet scientiae philosophicae, magna est secundum opinionem hominum mundalium; sed de facili eclipsatur, nisi homo caveat sibi a capite et Cauda draconis. Si aliquid interponatur inter ipsum et solem iustitiae, patitur eclipsim stultitiae (BonavDonSpirit IV 12 = Ed. Quaracchi V 475).

Auch das Intensivum ECLIPTIC ARE erscheint als Synonym zu ECLIPSARE: (h)Jean de Hauville,so: . . . aulica rodit Serra virum mores, et laudis eclipticat astrum Livor, et in tenebris ingloria pallet honestas, Et virtus titulos, sua mater pignora perdit (Architrenius p. 287) Das Hofleben verdirbt die Menschen, wo Neid den Stern des Lobes zum Erlöschen bringt.

Für die metaphorische Bedeutung von eclisser scheint der Rr das früheste Beispiel zu bringen; später häufen sich die Belege. Verständnisschwierigkeiten bieten sich nicht. Die auf Fortuna (=Reichtum) gegründete Liebe wechselt wie das Mondlicht. Ebenso wie dieses, von der Erde verdunkelt, nachdem es den Erdschatten passiert hat, genauso hell wie zuvor erstrahlt, bringt Armut diese Liebe zum Erlöschen, und erneute Gunst Fortunas facht sie wieder an.

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ECLIPSARE: GerSilt (Thorndike, Comets 193 med.); Al-Bitr XVI 2 und 3. ECLIPSARI: AlbMagnMeteora I 2, 6 (Borgnet IV 498 sup.) u. ö.; Al-Bitr II 18; AegLess (Thorndike, Comets 106 inf.) u. a. Die Nähe des sprachlichen Ausdrucks zu einer Stelle aus Alans „Anticlaudianus" - vgl. eclisse (Ö - muß nicht unbedingt auf Zufall beruhen. Vgl. auch PetrEboli 54.

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27. ELENCHE I S I

.Gegenbeweis, Widerlegung'

11061 (Kontext unter conclusion) ELENCHUS, gr. Fremdwort, das, abgesehen von Sueton, erst im Splt. geläufig wird — selbst dort erscheint es noch wechselnd in gr. und lt. Schrift —, bezeichnet ein zur Widerlegung einer aufgestellten Behauptung eingeleitetes Beweisverfahren. Da die aristotelische Schrift „De sophisticis elenchis" , s 2 jedoch im MA stets nur prägnant als „Elenchi" zitiert wurde, zählt ELENCHUS in den meisten Fällen nicht zum syllogistischen, sondern zum dialektischen Bereich. Äußerungen von zwei Autoren des 13. Jh. über den ELENCHUS sollen stellvertretend für zahlreiche weitere s t e h e n l s 3 . (a) Vincent de Beauvais: Et dicitur .elenchus* ab Aristotele .contradictio unius et eiusdem, non nominis tantum, sed rei et nominis, non synonymi, sed eiusdem, ex his quae data sunt de necessitate, non connumeratio quod est in principio, secundum idem, ad idem, similiter et in eodem tempore' (VincBell II, III 96). (b)Roger Bacon: Nunc apperiendum est quid sit locus sophisticus, quid fallacia, et quomodo different, quid sophisticus, sillogismus, quid paralogicus, quid peralencus, et quid elencus, quia non est redargucio vera sine elenco vero, nec redargucio appaiens sine elencho appar e n t i . . . Elenchus est sillogismus cum contradiccione conclusionis (RogerBacDial p. 328). Von den afr. Handbüchern geben nur T L und Gf Hinweise zu elenche. Die beiden Texte, die außer dem Rr das Wort enthalten, stammen aus dem zweiten Drittel des 13. Jh., und in beiden Fällen handelt es sich um allegorische Dichtung. (d) Henri d'Andeli: . . . Elenche et les .ij. Logiques, Parealmaines et Topiques, I . . . Et Porfire vindrent le cors Por fere Aristote secors (HAndArs 216 f., 222 f.). 151 152

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FEW fällt aus; TL III 31; Gf III 22, TLL V 2, 352. Vgl. ParelL 36 f. Boethius fafit ihren Inhalt folgendermaßen zusammen: multa enim sunt quae in sophisticis elenchis contra eos qui argumentis fallacibus verae rationis viam conantur evertere determinant, quemadmodum faciendae essent propositiones et quemadmodum invenienda argumentorum fallacia (BoethHerm 2, p. 132, 9). Vgl. auch BernSUv II 14, 75; Anticlaud III 34 ff.; JohSaiMet 919 b; EvrBethGr VIII122; JohGarlPoet I p. 899 sup. und 939 sup.; ThomLexic 358; „Catholicon" unter ELENCHUS.

(d)„Mariage des sept arts": J'emprunterai deniers sus mes vielles logiques, Apres sus mes elenches et puis sus mes topiques, Apres . . . (MariageArts 77-79). Dyaletique höchstpersönlich erklärt, sie werde sich die für die Hochzeit notwendige Aussteuer beschaffen, indem sie auf ihre ,Werkzeuge' Kredit aufnähme. In dem unserem Textausschnitt voraufgehenden Teil des Rr hatte Faus Semblanz den Schluß, der Träger geistlicher Gewänder müsse notwendig auch fromm sein, als falsch erwiesen (vgl. conclusion). Dann fährt er fort: Und doch könne selbst der erfahrenste Disputator hierauf nichts erwidern. Der Kontext bleibt eindeutig im logischen Bereich, wie Wörter wie respondre, barat (= FALLACIA), distinter zeigen. Wie aber sind Rr 11060—62 zu erklären? V. 11060 soll offensichtlich als Angriff gegen den Klerus verstanden werden, der durch seine Tonsur einen Beweis seiner hohen Gelehrtheit bot, wobei bisweilen die Corona das einzige Zeichen solcher Bildung blieb 154 . Diese Interpretation deckt sich mit der V. 11058 geäußerten Kritik la robe ne fait pas le moine. Das Scheren der Haare wird dann V. 11061 ad absurdum geführt: Das Haar soll nicht nur zur Corona geschnitten, sondern total rasiert werden, sozusagen, um ein Summum an Wissenschaft zu dokumentieren. Und dies geschieht mit einem rasoir d'elencheslss.

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Einen massiven Angriff gegen den Klerus, der zahlreiche auch im Rr angeschnittene Punkte erwähnt, sogar bis in die sprachliche Formulierung hinein, bringt die 3. Versredaktion der „Image du monde": Et Ii clerc, qui savoir devroient Les biens, por avoir se desvoient, Ne n'i entendent nes que bestes; Ne sevent fors rongnier lor testes. Maint clerc ce font ore haut tondre Qui petit savroient respondre A nul mot de droite clergie, / . . . . . . il ne sont ne clerc ne Iai. D'andous ce sont mis en delai. La teste en a la rogneiire, Mes lor sen sont d'autre nature. La rogneiire ne fait mie Lo clerc, ainz lo fait sa clergie: Cil est clers qui clergie entent; La tonsure n'i fait niänt (ImM III 31-37,47-54 = p. 486). Die Schneide eines Messers, hier rasoir, erscheint in der mit Literatur nicht selten als Metapher für die Schärfe eines Denkprozesses, vor allem in der Logik. Ähnliche Verwendungen lassen sich außer bei kit Autoren bei Alan nachweisen, von denen eine Formulierung rasoir d'elenches besonders nahekommt, ohne dafi man jedoch mehr als eine Inspiration für JdM darin sehen sollte: Quid plura? nummus

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Hier steht die Untersuchung an dem Punkt, an dem konkrete und metaphorische Bedeutung der Aussage zusammentreffen, wie dies analog für aparence (Rr 12139) zutraf. Kenntnisse in der sophistischen Elenktik und dem scholastischen Vorgehen möglichst feiner Distinktion der einzelnen Gegenbeweise besaßen in vorzüglichem Maße die Weltgeistlichen, die mit der Universität und ihren ständigen Disputationsübungen in Verbindung standen. Diese aristotelische Elenktik gliederte sich in dreizehn Unterabteilungen; darauf spielt die Metapher Qui barat trenche en treze branches an IS6 . (e)Roger Bacon: Dividitur autem locus sophisticus in .xiij. locos sophisticos sive fallacies. Aliquis fit secundum equivocacionem; aliquis secundum amphibologiam; aliquis secundum composicionem et divisionem; aliquis secundum accentum; aliquis secundum figuram diccionis; et iste fallacie vocantur in diccione (RogerBacDial p. 330 med.).

Der Inhalt des Textausschnittes läuft auf die Aussage hinaus, daß selbst die in der Logik, speziell in der sophistischen Elenktik am besten bewanderten Gelehrten nicht imstande sind, die Scheinwelt der Hypokriten zu entlarven. 28. ENTENCION157 .tieferer Sinn, Bedeutung' 11858 Or vous ai dit dou sen l'escorce, 11859 Qui fait l'entencion repondre, Or en vueil la moele espondie: Par Pierre veaut le pape entendre Ε les clers seculers comprendre, / . . .

Entencion kommt zwar in afr. Literatur seit dem frühen 12. Jh. vor, aber in der vorliegenden Bedeutung verzeichnet das FEW das Wort erst für das Ende des 13. Jh., LaC noch später, während TL ausschließlich Philippe de Thäon anfuhren. Der Rr wird nirgendwo erwähnt. Gf scheint eine Verwendung von entencion .Bedeutung' gar nicht zu kennen.

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vincit, nummus mundum regit, nummus imperat universis. Quid prodest cum Ptolomaeo subterfugientis astronomie fugas consequi subtilitatis curriculo;... cum Tullio, orationem rhetoricis colorum stellare sideribus; cum Aristotele, ancipiti dialecticae gladio a veris falsa dividere;... (AlanPN 306 fin.). - Vgl. auch Anticlaud I 21: (Natura) freta sue scalpro racionis. - Ähnlich auch Gautier de Chätillon: Subinfertur logica grandi supercilio, Discolor sententiis et accincta gladio, Per quam falsum resecat logicorum ratio. (GCastCarm III 9, 2 - 4 = Strecker II) Sperrung jeweils von mir. AristSophElench I 4 (=165b, 2 3 - 2 6 und 166b, 20-22). FEW IV 747; TL III 568 f.; LaC V 410.

(a)Philippe de Thäon: Ε saciez del leün une altre ententiun, Que il at itel sort Que a uiz uverz dort. Saciez 90 signefie Le fiz Sainte Marie (PhThBest 3 2 7 - 3 2 ; vgl. ds.ebd. 927). (b)Benoit de Ste-Maure: Qui tele interpretation, Tele glose e tele entention I donerent des reis humains E s t . . . (BenDucsNorm 7908-11). (c)Drouart la Vache: Car dou non, si com je recors, La droite dyffinicion Nous enseigne l'entencion, Si come Avicenes tesmoigne (DVache 7230-33). Die reale Bedeutung, der tiefere Sinn einer metaphorischen Aussage (Rr 11856 f.) wird Rr 11861 ff. erläutert ( e s p o n d r e ) . Schon V. 11855 hatte JdM angekündigt, er werde den Text aus dem „Evangelium e t e r n u m " l s 8 referieren (raconte) und auslegen (senefie). Entenciort ist scholastischer Terminus (INTENTIO). und in Zusammenhängen wie dem vorliegenden des Rr entsprechend zu übersetzen 1 5 9 .

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Eine ausführlichere Darstellung der Unruhen, die Girardo di Borgo San Donnino durch seine mit einer Einleitung versehene Neuausgabe des „Evangelium eternum" von Gioacchino da Fiore in Paris und Rom heraufbeschwor, als Lg sie in seinem Kommentar III p. 325 f. gibt, findet sich ParelL 180-86 und C. Ottaviano: Joachimi Abbatis „Liber contra Lombardum" (Scuola di Gioacchino da Fiore). Roma, 1934. (Reale Accademia d'Italia. Studi e Documenti, 3). S. 2 9 0 - 9 9 . Die 31 in Gioacchinos Text und dem „Introductorium" seines Herausgebers gefundenen und auf Antrag Pariser Theologen vom Papst verdammten Irrtümer verzeichnet das ChartUP Nr. 243 p. 2 7 2 - 7 6 . Für die neuere Literatur zum Joachimismus allgemein sei auf die Fachbibliographien verwiesen. Hier kann nur eine knappe Auswahl informativer Arbeiten genannt werden. H. Denifle: Das Evangelium aeternum und die Commission zu Anagni. Archiv für Litteratur- und Kirchengeschichte des Mittelalters 1 (1885) 4 9 - 1 4 2 . - E. Anitchkof: Joachim de Flore et les milieux courtois. Roma, 1931. (Coli, di Studi Meridionali). - M.E. Reeves: The penetration of Joachism into northern Europe. Spec 29 (1954) 7 7 2 - 93. - A. Crocco: Gioacchino da Fiore, la piu singolare ed affascinante figura del medioevo cristiano. Napoli, 1960. (Collana ,1 grandi ideali dello spirito', 1). - R. Daniel: A re-examination of the origins of Franciscan Joachitism. Spec 43 (1968) 6 7 1 - 7 6 . Vgl. ParelL 23. 81

29. (ESTELE) ERRANT - (ESTELE) FICHIEE 160 .Wandelstern' .Fixstern' 20327 S'i verrait toutes les esteles Cleres e reluisanz e beles, 20329 Seient erranz, seient fichiees, En leur esperes estachiees. Die Bezeichnungen der Planeten und Fixsterne im Afr. fehlen in den Lexika entweder ganz, oder die Dokumentation weist Lücken auf. Das FEW und LaC scheinen weder errant noch fichie im astronomischen Bereich zu kennen 1 6 1 ; die ausführlichsten, wenn auch nicht vollständigen Angaben finden sich bei TL; Gf bringt einen Beleg zu errant, aber nicht aus dem Rr, und fichie begegnet bei ihm nicht als Epitheton von Sternen, wohl aber die gelehrte Variante fixe, die er,wie auch TL III 1885, falschlich erst bei Oresme verzeichnet. ERRANS-ERRATICUS und FIXUS sind sowohl in antiker als auch in mit. Literatur geläufige Attribute zu STELLA, SIDUS etc. 162 . (a) „Introductoire d'astronomie": (le soleil) tenant toujours le milieu de cette grande route des corps errants (zitiert nach Gf). (b)Mahieu le Vilain: Et nous apelon les corps du ciel les planetes, les estoilles fichies (Meteora 5, 2; vgl. ds.ebd. 5, 13 und 16). (c) Leopold von Österreich: Et Ii orbes et Ii espere d'ipelles estoilles fixes tourne et coupie de celi espere en orient cescun 100ansun degret selono Ptholome (LeopA 11, 2; vgl. ds.ebd. 11,1). Die Abfassung des „Introductoire d'astronomie" setzt Levy, Chronologie, für ca. 1270 an, die afr. Übersetzung der aristotelischen Meteorologika dürfte in 160

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errant: FEW IV 824 f.; TL III 778; Gf III 332 f., IX 501; LaC V 450 f.; TLL V 2, 809. fichie: FEW III 506-12; TL III 1813-15; Gf III 782, IX 615; LaC VI 204; TLL VI 1, 719. Die neu aus dem Lt. entlehnte Form erratique, die FEW III 241 als seit dem 13. Jh. bekannt verzeichnet, läfit sich chronologisch genauer fassen. Der m. W. älteste Beleg hierfür ist eine Stelle aus JdM' „Tresor" (zitiert bei Gf und LaC), so dafi die Datierung „ca. 1300" oder sogar „Anf. 14. Jh." lauten mufi. Die Angaben von TL III 767 und Gf III 327 zu einer dritten Variante, enable, sind durch den Verweis auf Ezra Prol. p. 31,12 zu ergänzen. STELL(A)E ERRANTES: Isid 3, 67; EvrBethGr VII 22; AegLess (Thorndike, Comets p. 106 sup.); STELLE ERRATICE: ds.ebd. p. 105 sup.; Albumas II 1; PLANETAE id est ERRATICAE, SIDERA FIXA: Isid 3, 63; STELL(A)E FIX(A)E: Isid 3, 62; GerbAstrolab II 12 u.ö.; AlBitr I 3; Albumas III 1; SacxoBosco- Sphaer a.

die späten siebziger Jahre fallen, so daß die Frage nach der Priorität im Verhältnis zum Rr offenbleiben muß. 30. ERREUR 163 unregelmäßige Bewegung (der Planeten)' 16824 Τ 16826 r (Kontext unter aplanos) 16828 J

Die Lexika verzeichnen zwar erreur seit dem 12. Jh., aber nur in der Bedeutung ,action de marcher, temps de la marche, chemin' und im Mfr. auch .voyage'. Hinweise auf den astronomischen Bereich fehlen vollkommen; auch die Beispiele aus dem Rr sucht man vergeblich164. In der lt. Literatur bezeichnet ERROR bei Lukrez die unstete Bewegung der Atome; bei Cicero begegnet bereits SIDERUM ERRORES und dann häufig im Splt. bei Apuleius, Macrobius, Chalcidius, Martianus Capeila, um nur einige Autoren zu nennen. ERROR heißt die ungleichmäßige Bewegung der Planeten und Kometen im Gegensatz zu deijenigen der Fixsterne, die sich ununterbrochen in festen Bahnen bewegen. (a)Isidor: Planetae stellae sunt quae non sunt flxae in caelo, ut reliquae, sed in aere feruntur. Dictae autem planetae α π δ τ η ς π λ ά ν η ς id est ab errore. Nam interdum in austmm, interdum in septentiionem, plerumque contra mundum nonnumquam cum mundo feruntur (Isid 3, 71, 20).

Der Himmel, genauer, entsprechend der antiken und ma. Vorstellung, die supralunare Sphäre, vollfuhrt eine so exakte Bewegung (cueurt si a point), daß sich keine Abweichungen (erreur) davon feststellen lassen. Und eben weil sie keinerlei Unregelmäßigkeiten, kein Umherschweifen erkennen konnten, nannten die Griechen diesen obersten Himmel α π λ α ν ή ς .nicht umherirrend, stetig' (sertz erreur). Rr 16824 heißt die Himmelsbahn cours. Dann kann nicht ein danebenstehendes erreur ebenfalls den zurückzulegenden Weg bezeichnen, zumal erreur durch Negation von cours ausgeschlossen wird. Hier wie auch in Rr 16826 und 16828 heißt senz erreur .ohne Abweichung (von der Umlaufbahn)'. Wo auch immer π λ ά ν η ς und ά π λ α ν η ς erklärt werden, findet sich im lt. Kontext ERROR'". Es liegt nahe anzunehmen, JdM habe in seiner Adaptation erreur als Fremdwort aus dem Lt. übernommen. 163 164 165

FEW IV 824 f.; TL III 7 8 0 - 8 2 ; Gf III 332, IX S02; U C V 451 f.; TLL V 2, 815. Vgl. auch (esteile) errant .Planet* unter errant-ftchii. Vgl. die unter aplanos angeführten lt. Belege.

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31. ESCORCE - MOELE 166 ,äußere Erscheinung, Form — wesentlicher Inhalt, Kern' 11858-60 (Kontext unter entenciori) Die Angaben der Handbücher zu der übertragenen Bedeutung von escorce und moele bedürfen der Ergänzung. Das FEW scheint escorce als Metapher nicht zu kennen; TL erwähnen den Rr, Gf den „Roman de Renart" (c), LaC Bernards Predigten. Damit erschöpft sich die Dokumentation. Für eine metaphorische Verwendung von moele gibt es nur Verweise auf den Rr. In den folgenden Texten steht escorce als Metapher und vereinzelt auch im Vergleich. (a)Chretien de Troyes: Ce fu Cliges qui an lui ot San et biaute, laigece et force, Cist ot le fust a tot l'escorce. (Cliges 2786-88; vgl. ds.ebd. 5180) Das Summum an äußerer Schönheit und inneren menschlichen Werten ist mit dem Besitz von Kernholz und Rinde gleichzusetzen. (b)Saint Bernard: Quant Ii apostles fut pervenuz al nouuillon, si ne preisat il mies molt l'escorce ancor fust ele molt bele quant il d i s t . . . (SSBern 109,10). Das Auffinden des Nufikerns macht die Schale überflüssig, ähnlich wie Christus, den Körper nichts achtend, den Geist als das Lebenselement bezeichnete. (c)„Roman de Renart": Or saura il trop de barat, Renars, s'il ne nous let l'escorce. (Renart III 58 f.; vgl. LexRen p. 68) Fell des Fuchses. (d)Jean Renart: Si ressemble l'arbre et l'escorche Qui dehors verdoie et flourist Et par dedens meurt et pounist, Que la mouele est seiche et vaine:

166

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escorce: FEW XI 328-30; TL III 964-66; Gf III 423; LaC VI 13. moele: FEW VI 1, 632-39; TL V 1468-70; Gf X 162; LaC VII 396; TLL VIII 602; NGML 321 f.

Ou euer n'a mie la fontaine Le let que Ii enfans alecte, Puis que pitie en est hors traicte. (Galeran 564-70; vgl. ds.ebd. 2451 f.) Eine Amme, die das Kind zwar liebevoll, aber mit der Flasche ernährt, ihm keine Muttermilch geben kann, gleicht einem äußerlich blühenden, innerlich verfaulenden Baum. (e) „Sont, fait il, desve my amy, Qui me vont mariant a force? Donner m'en pueent bien l'escorce Et Ii fuz dessouz en soit leur. Arbres a escorce meilleur Que le fust a nature fierce (Galeran 6820-25). Gegenüberstellung von äußerer Schönheit und inneren Werten mit Rinde und Kernholz. ( 0 Gautier de Coinci: Mout se vantent de letreüre, Mais n'entendent de l'Escriture Ne Pefficace ne la force. De la nois vont runjant l'escorce, Mais ne sevent qu'il a dedens. I . . . I Ne sevent tant que brisier sacent L'escaille et le noiel fors sachent. Petit vaut noiz qui ne l'escaille; Li noialz gist desoz l'escaille. L'Escriture n'entendent mie. La croste en ont et nos la mie. (Miracles I Mir. 11, 214-24) Die Nichtchristen verstehen die Bibel wie Leute, die sich mit der Νußschale zufriedengeben, ohne weiter nach dem Kern zu suchen. (g) „Roman de Laurin": „Laurin, dist Ii hermites, se vous vous fussiez bien donne garde du songe si vous fussiez miex gardez, et vous dirai c o m m e n t . . . A ce vous di je bien que ce fu la samblance de vostre vie que vous veTstes et vous n'i entendites fors que en l'escorce (Laurin 9247-52). Einen Traum real verstehen zu wollen, ohne das Gleichnis zu erfassen, heißt nur Äußerlichkeiten aufnehmen. (h)Ellebaut: Si sera l'uevre renfusee Por ce qu'entendre nel porront Li plusor qui lirre l'orront De liex en liex fors que l'escorce. En la matere a tant de force Que ja lais hom n'i verra goute S'aucuns hom ne Ii espont toute Qui bien saiche Anthiclaudiens (Ellebaut 4—11).

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Ohne einen Kommentar versteht der Leser Alans „Anticlaudianus" nur in seiner äußeren Form, nicht aber seine tiefere Bedeutung.

(i) „Clef d'Amours": Lc riche est partout bien venu Et le povre pour fol tenu. Fame qui se les genz escorchc N'en prise rien ne mes Pescorche (ClefAm 1 2 7 1 - 7 4 ) . Dem Reichen fliegen die Dirnen entgegen, die nur das Äufierc (= Geld) schätzen.

Schaltet man die Fälle (c) und (i) als volkstümliche Bedeutungsübertragungen von der weiteren Untersuchung aus und übergeht (g), wo der gegenteilige Begriff zu escorce fehlt, der Sinn jedoch ungetrübt bleibt (s.u.), so lassen sich vom äußeren Bild her grundsätzlich zwei Gegensatzpaare erkennen: Baumrinde (escorce) - Kernholz/Mark (fust (a, e). mo'elle (b, d), mat ere (g)); Nußschale (escorce) - Nußkern (nouuillon (b), noiel (f)). Wichtiger noch scheint eine Sonderung der Texte nach ihrem bedeuteten Inhalt, da festgestellt werden soll, ob im Rahmen literarischer Interpretation vor JdM escorce und ein Komplementärbegriff auftreten. Hier zeigt sich, daß das Gegensatzpaar escorce-fust (a, e) an Bildhaftigkeit eingebüßt hat und zur Phrase wurde: fust et escorce heißt .alles, vollkommen' (a); escorce sanz fust (Cliges 5180) oder die Trennung beider Bilder in (e) gibt einen qualitativen Unterschied im ethisch-ästhetischen Bereich an, und dasselbe gilt für escorce sans moelle (Galeran 2451 f.). Es bleiben also (b) und (f—h), in denen eine Aussage oder ein Text der Auslegung gegenüberstehen. In (b) geht es um biblische Gleichnisse und deren eigentliche Bedeutung; in ( 0 um die Hl. Schrift und die Unfähigkeit der Nichtchristen, sie zu interpretieren; in (g) um die Deutung eines Traumes, der nur nach den äußeren Ereignissen aufgefaßt worden war; in (h) um einen Kommentar zu Alans allegorischem Epos „Anticlaudianus". In die letztgenannte Gruppe von Beispielen reiht sich auch der vorliegende Ausschnitt aus dem Rr ein. Eine mystisch verbrämte Behauptung aus Gioacchino da Fiores „Evangelium eternum" (Rr 11856 f.) legt JdM in ihrem tieferen Sinn, der den realen Inhalt der Aussage aufdeckt, dar (Rr 11861—73). Gegen Pares Behauptung, Metaphern vom Typ escorce-moele seien den Scholastikern geläufig gewesen und sie bezögen sich normalerweise auf die Moralisatio (ParelL 23), muß gesagt werden, daß eine solche Formulierung falsche Vorstellungen erweckt. Die Bildersprache ist nicht eine typische Erscheinung oder gar eine Erfindung der Scholastik 167 ; die ethische Belehrung ist nicht ihr Hauptanliegen. 167

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Es sei denn, man ließe auch in diesem Rahmen die Scholastik in der Spätantike beginnen. Aber so versteht Pare den Begriff nicht, denn gerade er sucht in seinen Arbeiten den Einfluß der damaligen Wissenschaft auf JdM nachzuweisen.

Reale Aussage und tieferer Schriftsinn sind Begriffe der theologisch-philosophischen Hermeneutik und erst in i h r e m G e f o l g e der literarischen Hermeneutik, und sie lassen sich weit über die Scholastik hinaus in die frühere lt. Literatur verfolgen 1 6 8 . Dies soll an einigen Texten des MA dargelegt werden. (j) Johannes Scotus: Intuere itaque huius parabole medullam (JohScotDivNat 1014 d). Tieferer Sinn eines biblischen Gleichnisses. (k)Alain de Lille: At, in superficiali litterae cortice falsum resonat lyra poetica, sed interius auditoribus secretum intelligentiae altioris eloquitur, ut exteriore falsitatis abjecto putamine, dulciorem nucleum veritatis secrete intus lector inveniat (AlanPN 296). Nicht der poetische Text, sondern die durch ihn bedeutete verborgene Wahrheit besitzt den eigentlichen Wert. (1) Solos artifices quos fama beavit adulta Laude nec a fama discessit gloria facti, Hec scriptura tenet, minime dignata fateri Gramaticos humiles, qui sola cortice gaudent, Quos non dimittit intus pinguedo medulle. (Anticlaud II 5 0 7 - 1 1 ) Als Vorbilder für sein eigenes Werk lehnt der Verfasser Autoren ab, die, ohne zum Kern einer Aussage vorzudringen, sich mit dem bloßen Wortlaut zufriedengeben. (m)Garnier de Rochefort: Cum per integumenta verborum Synagogae locutus est Deus, et in eis dura et aspera praecepit; ut: Qui fecerit hoc vel illud, morte moriatur, quasi medullam inter paleas ministravit. Sed quando per doctores Ecclesiae sublato cortice litterae medulla intelligentiae subjectis manifesta e s t , . . . (GarnRocSerm 628 a - b ) . Die Kirchenlehrer sind es, die den tieferen Sinn der gleichnishaften Sprache Gottes erklären. (n)Etienne de Tournai: Litterarum superficiem attendens, non medullam (zitiert nach dem NGML). Kritik an oberflächlicher Schriftauslegung ohne Vordringen zum Kern der Aussage. ( o ) Vincent de Beauvais: Multorum librorum florem quendam atque medullam in unum volumen conpegi (VincBell I Prol.). Der Verfasser arbeitete gelungene literarische Darstellungen und ihren tieferen Gehalt in sein Werk ein. 168

Der TLL bringt Belege bei Gellius (lmal) und dann zahlreiche bei den christlichen Autoren wie Tertullian, Hieronymus, Augustin u. a.

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(ρ) Bonaventura: Ideo sub cortice littcrac apcrtae, occultatur mystica et profunda intelligentia (zitiert nach ParcIL 23). Mystische Interpretation eines vorliegenden Schrifttextes.

Die Auswahl zeigt, daß das Auftreten des Gegensatzes .wörtliche Aussage — tieferer Sinn' sich keineswegs auf die eigentliche Scholastik beschränkt (j—m) und daß es sich ebensowenig durchweg um Moralisatio handelt, sondern mehrfach, und zwar in den verschiedensten Jahrhunderten, um die Auslegung theologischer Schriften (j, m—n, p). Es ist bezeichnend, daß Thomas zwar MEDULLA wiederholt in übertragener Bedeutung, aber nie zur Bezeichnung literarischer Interpretation verwendet 169 . Übrigens wendet auch JdM escorce-moele bei der Erklärung einer religiösen Schrift an. Daß er trotzdem seine Alan-Lektüre nicht verleugnet, bezeugen die Texte (k—1), und zwar reicht die Parallelität bis in das Gegensatzpaar CORTEX-MEDULLA hinein 170 .

32. ESCRIVAIN 17 ' .Schriftsteller. Autor' 15180 Tout ne seit il semblable gloire De celui qui la chose fait 15182 Ε de l'escrivain qui le fait Veaut metre proprement en livre, / . . . 16170E fust Platons ou Aristotes, Algus, Euclides, Tholomees, Qui tant ont or granz renomees 16173 D'aveir este bon escrivain, / . . , ' 7 2

Die Handbücher verzeichnen escrivain für das 12.—13. Jh. ausschließlich in der Bedeutung .Schreiber, Sekretär' 173 . Das FEW gibt ca. 1300 für das erste Auftreten der Bedeutung .celui qui compose des livres. auteur' an; Dauzat, Littre und BlochW nennen gar das 16. Jh.; einzig GamEW gibt die zutreffende Zeitangabe, allerdings ohne Belege. Zwar korrigierte Denomy 23 f. 1 7 4 die Angabe

169 170 171 172

173 174

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Vgl. ThomLexic 679. Zur allegorischen Deutung literarischer Texte vgl. integument. FEW XI 330 f.; TL III 1009; Gf IX 523; LaC VI 23; Littre III 457 f.; Dauzat 254; BlochW 210; GamEW 342. Rr 17835 wird von der Untersuchung ausgeschlossen, da die Semantik sich nicht eindeutig klären läßt; Rr 19635 fällt wegen metaphorischer Verwendung des Wortes aus. Vgl. die Trennung von SCRIPTOR-COMPILATOR-COMMENTATOR und AUCTOR bei GilsonPhilos 505 f., die aber für die Texte des Rr nicht zutrifft The vocabulary of Jean de Meun's translation of Boethius* „De consolatione philosophiae". MSt 16 (1954) 19-34.

für das 1 6 . J h . d u r c h d e n Hinweis a u f J d M ' Ü b e r s e t z u n g d e r b o e t h i a n i s c h e n „ C o n s o l a t i o " und stützt d a m i t die A n g a b e des F E W ; w e i t e r e s Material erlaubt j e d o c h , die D a t i e r u n g b e t r ä c h t l i c h h i n a u f z u s e t z e n . ( a ) G a u t i e r de C o i n c i : Le seelant euer de mon sain De s'iaue daint abevrer cele Qui enfanta virge pucele. Ades fuisse ses escrivains, Mais mout tost sui, quant escri, vains. (Miracles I Mir. 11, 2 2 9 8 - 3 0 2 ) Der Verfasser möchte Gedichte über die Gottesmutter verfassen, ihr S c h r i f t s t e l l e r sein, und dafür erbittet er ihren Beistand. ( b ) R i c h a r d de F o u r n i v a l : Mais les gieus, les deduis, et Ies soulas ke il faisoient laiens ne porroit nule bouce raconter ne nus escrivens escrire (ConsausAm 39). Heiterkeit und Vergnügen der im Hause Amors Anwesenden könnte niemand erzählen und kein D i c h t e r beschreiben. (c)Rutebeuf: Se j'estoie bons escrivains, Ainz seroie d'escrire vains Que j'eüsse dit la moitie De l'amor et de famistie Que Dieu moustroit (Ruteb XLII1 9 8 5 - 8 9 ) . Rutebeuf hält seine s c h r i f t s t e l l e r i s c h e n Fähigkeiten für zu gering, als da£ er die göttliche Liebe in seinem Werk erschöpfend darstellen könnte. (d)Jean d'Antioche: E t le soverain philozophe Aristot aüna et mist ensemble en un leu tous les anciens escrivains de cest art, venant jusques a celui prince et maistre troveor .Tysyas (JeanAnt p. 2 3 9 ; vgl. ds.ebd. p. 2 3 8 und 253). Aristoteles stellte die Werke der vor ihm lebenden S c h r i f t s t e l l e r Uber Rhetorik zusammen. (e)JdM175: Mais certez maint homme qui tres noble furent en leur temps sont mis en oubli par faute d'escripvains (JdMBoeth II pr. 7, 4 6 ) . Zählt m a n zu diesen w o h l eindeutigen Belegen die beiden Stellen des R r hinz u , o h n e den nicht vollständig g e s i c h e r t e n F a l l R r 1 7 8 3 5 zu berücksichtigen,

175

BoethCons II pr. 7, 13: Sed quam multos clarissimos . . . viros scriptorum inops delevit oblivio!

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so zeigt sich, daß escrivain .Autor' auch vor 1300 bei fünf verschiedenen afr. Schriftstellern insgesamt neunmal vorkommt, und zwar seit dem ersten Viertel des 13. Jh. Sollte die Übersetzung .Autor' von escrivain (Rr 15182) durch den Kontext noch nicht genügend gerechtfertigt scheinen, kann die lt. Vorlage, eine Stelle aus Sallusts „Coniuratio Catilinae", als weitere Stütze herangezogen werden. Dort heißt es: ( f ) ac mihi quidem, tametsi haudquaquam par gloria sequitur scriptorem et auctoxem rerum, tarnen in primis arduom videtur res gestas scribere: primum quod facta dictis exequenda sunt; dein quia . . . (SallCat 3, 2).

AUCTOR RERUM ist die in der Geschichte handelnde Person, der Held, während SCRIPTOR RERUM den Berichterstatter solcher Taten bezeichnet, den Historiographen, und als solcher fühlt sich Sallust am Ende seiner Karriere. Ein Argument dafür, daß JdM in Sallust einen Autor, nicht einen Schreiber sah, bringt Rr 15178, wo er von der autorite Saluste spricht; Autorität besitzt ein angesehener Klassiker, aber kein Kopist. Daß Rr 16173 escrivain mit .Autor' zu übersetzen ist, bedarf bei den in den voraufgehenden Versen aufgezählten antiken Gelehrten und Schriftstellern keiner Erläuterung. 33. ESPECIAL - GENERAL 176 ,νοη besonderer-, von allgemeiner Art' 11437 Vez ci les cas especiaus: Se Ii on est si bestiaus Qu'il n'ait de nul mestier science, I . . . I A mendiance se peut traire. 10944 Pour noz genz oster de doutance, Comant je que tu leur enseignes, 10946 Au meins par generaus enseignes, En quel leu meauz te trouveraient. 16080 (Kontext und Erläuterung unter defenir) 18978 Tout vait a son comencement 18979 Cete regle est si generaus Qu'el ne veaut defaillir ver aus.

Zwischen den Angaben der Handbücher zu einer antithetischen Verwendung von especial-general bestehen hinsichtlich der Datierung beträchtliche Differenzen. Das FEW gibt für especial das Jahr 1150 an, während Gf 1281 nennt 176

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especial: FEW XII 152 f.; TL III 1167 f.; Gf IX 539; LaC VI 50 f.; DG 2075. Vgl. ParelL 31 f. general: FEW IV 97 f.; TL IV 2 4 2 - 4 4 ; LaC VI 385.

und TL auf Philippe de Beaumanoir verweisen. Für general zitiert das FEW Brunetto Latini, TL den Rr. ( a ) „ S o m m e du Code": Deuz gajos est l'uns generauz e l'autre especiauz. Gajos generauz e s t . . . (SommeC 7 6 , 1 9 f.). (b) Pierre de Fontaines: Les letres ä l'apostoile ou au prince sont Ii mandement que il font a la requeste d' aucun ou d ' a u c u n s . . . ou quant aucune chose est mandee . . . ; tex choses ne font pas droit general, mes especial es besoignes et entre les persones por quoi les letres sont donees, si comme lois escrite dit (PierieFont Appendix X I ) . (c)„Livre de jostice et de plet": Perre, par achoison de s'indulgence, apela. L'en demande se Ten doit obeir a son apel, et Ton dit que non, puisque la cause fut commisez sanz apeau; quar especial commandemant apetice general (Jostice p. 13). (d)Pierre d'Abemon: Estre ceo, une fln generale I ad e une autre especiale (sc. Ii liver); La tierce est propre entendu: Deu me doint ke me seit rendu La generale verraiment Ke jeo vendrai ke tote gent En fussent trestuz amendez Ke l'averunt οϊ ou regardez. Le especiale fin ke mon quer sent Est pur saluz e amendement De mes especiaus amis (LumereLais 607-17). (e) Brunetto Latini: Et sont aucun art ki sont generaus, et aucun ki sont especiaus, c'est particulers, et aucun sont sans division (BrunL II 2, 2; vgl. ds. ebd. III 49, 3 - 4 ; 50, 3; 53, 15). ( 0 Pierre d ' A b e m o n : Ore comence l'especiale Respunce apres la generale. Quatre reis s u n t : . . . (Secre 155-57; vgl. ds.ebd. 2267). (g)Charta von 1281: Plener poter et epeciau commandement (zitiert nach GO(h)Jean d'Antioche: Les generaus manieres ou les principaus parties de rethorique sont .iii.: la demoustrative, la deliberative et la judicial (JeanAnt Prol.p. 218).

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(i) Philippe de Beaumanoir: S'il avient qu'aucuns ne vueille mie fere procuracion si general, ele puet estre fete especial, c'est a dire que li procureres n'avra pouoir en sa procuracion fors en la cause pour laquele il sera envoies (Beauvais 141).

(j) Egidio Colonna: . . . .ii. maneres de droiture et de justice. L'une si est droiture de loy que il apele justise general. L'autre si est droiture d'ouvelete que l'en apele justise especial (GouvRois 43, 16; vgl. ds.ebd. 347, 10).

(k) Henri de Mondeville: Environ le .2. principal, c'est a savoir environ la cure de flus de sane, .2. choses sont a entendre: premierement environ aucunes choses generaulz; .2. environ aucunes choses especiaux (HMond 664).

Eine Gegenüberstellung von especial-general in Texten des 12. Jh. (FEW) vermochte ich nicht festzustellen. Der früheste Beleg (a) stammt aus dem Anfang des 13. Jh., der zeitlich folgende (b) ist ca. 50 Jahre jünger, und von der zweiten Hälfte der sechziger Jahre an häufen sich die Beispiele. Es muß jedoch betont werden, daß die Mehrzahl der Fälle sich in juristischen, nicht literarischen Texten findet (a-c, g, i—j). Die ältesten Belege literarischer Verwendung begegnen bei Pierre d'Abernon (d, f) und Brunetto Latini (e), also zu einer Zeit, in die auch die Fortsetzung des Rr fällt. Bei JdM kommt das Antithesenpaar general-especial nicht wörtlich vor, aber an den betreffenden Stellen läßt sich das zweite Glied aus dem Kontext ergänzen. Nachdem Faus Semblanz allgemein über das Verhalten der Mendikanten gesprochen hat (Rr 11269 ff.), führt er Rr 11437 ff. die Sonderfälle (cas especiaus) an, in denen er es für zulässig hält, wenn jemand seinen Lebensunterhalt durch Betteln erwirbt. Nature hat Rr 18971 ff. das Wesen der in der sublunaren Zone existierenden Dinge im einzelnen charakterisiert, und zum Schluß faßt sie ihre Ausführungen in einer Regel zusammen: Tout vait a son comencement, die in ihrer allgemeinen Formulierung alle Details erfaßt. Zur Information der Liebenden fordert Amours Faus Semblanz auf, wenigstens durch allgemeine Hinweise (generous enseignes) bekanntzugeben, an welchen Orten man ihn antreffen könne. 34. ESPECIAUMENT177 ,im einzelnen, speziell' (im Gegensatz zu .allgemein') 11227 Di nous plus especiaument Coment tu setz desleiaument, 177

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FEW XII 152 f.; TL III 1168; Gf IX 539; LaC VI 51; DG 2075. Vgl. auch generaument.

Ne n'aies pas dou dire honte, Car... 18273 Car trop i ra longue ma tire, Ε si serait grief chose a dire, Ε mout serait fort a l'entendre, S'il iert qui le seiist aprendre 18277 A genz lais especiaument, Qui nou dirait generaument Die Dokumentation für especiaument in Opposition zu generaument und ähnlichen Bezeichnungen, kurz, in antithetischer Verwendung fällt bescheiden aus. TL, Gf und LaC verzeichnen es als Glied eines Gegensatzpaares überhaupt nicht; der DG berücksichtigt einzig die Morphologie; nur das FEW nennt das Jahr 1276. Diese Angabe erfordert eine Korrektur. (a)Papst Gregor: . . . car se ie de totes persones specialment et les paroles volsisse tenir, celes raconteies par vilain us ne receveroit pas covenablement Ii grefes del escrisant (DialGreg Prol. I p. 8, 5). Der lt. Text lautet SPECIALITER VERBA TENERE. Sinngemäße und wörtliche Wiedergabe (= SPECIALITER) von Aussagen stehen einander gegenüber. (b)Pierre d'Abernon: . . . come Aristotle lui ad tuche En le espistle ki ad mande Α Alisandre generaument, Dunt treite apres especiaument (Secre 91-94). (c)Mahieu le Vilain: Or avon nous dit des vens et de leur generation et de leur substance et de leurs proprietes generaument et especiaument (Meteora 111, 34). (d)Baudouin de Conde: Ne je ne puis en ces escris Noumer cascun speciaument, Mais je vos di generaument Que . . . (BCond£ XXI 350-53). (e)Jean d'Antioche: par le segont menbre il rent la raison de son conseil, et moustre quel profit peut avenir comunaument et especiaument de ceste science (JeanAnt p. 220). 178

Rr 4805, 5106, 18141, 21173 und 21771 drückt especiaument eine Steigerung gegenüber dem Vorhergesagten aus, .besonders, vorzüglich*. So verwendet JdM das Wort in seiner Vegetiusübersetzung zur Wiedergabe von PRAECIPUE (JdMVeg III Prol.). 93

( 0 Philippe de Beaumanoir: Nous avons parle des vertus que Ii baillif doivent avoir generaument. Or veons d' aucunes choses qu'il doivent fere especiaument (Beauvais 22 fin.).

(g)Egidio Colonna: Et ja soit cen que nos avons dit mult general en cest primier livre des mouvemenz de courage, toutes voies nos en dinons eu tierz livre plus especiaument (GouvRois 121, 2).

Bei (a) fehlt der specialment entgegengesetzte Ausdruck, kann jedoch leicht aus dem Kontext ergänzt werden. Mit dem ersten Auftreten der Antithese generaument-especiaument befinden wir uns am Ende der sechziger Jahre des 13. Jh., und auch (c) fällt höchstwahrscheinlich noch in die Abfassungszeit des Rr, sicher in die siebziger Jahre. Wie in (a) fehlt auch Rr 11227 ff. der Gegenbegriff, ohne daß der Text dadurch unverständlich würde. Faus Semblanz hatte zunächst von den zahlreichen Metamorphosen seines Auftretens berichtet, und daraufhin fordert Amours ihn auf, sein Treiben detaillierter (plus especiaument) bekanntzugeben. Mit einem Verweis auf vorhandene Literatur hatte JdM seine Darlegung über die Katoptrik abgebrochen (Rr 18252), zählt dennoch auf, was er nicht im einzelnen erörtern kann, um dann besonders zu betonen, welch großes Verdienst jemanden erwarte, der sich darauf verstände, diese Fakten einem Laienpublikum nicht nur in allgemeiner Beschreibung, sondern im Detail (especiaument) zu erläutern. 35. ESTUIDE179 .Kolleg, Universität' 18681 Quiconques tant a gentillece D'orgueil se gart e de parece, 18683 Aille aus armes ou a l'estuide, Ε de vilenie se vuide.

Das FEW und TL bezeugen estuide .Universität' erstmalig bei Henri de Mondeville. Die Belege der anderen Lexika stammen aus noch späterer Zeit. Diese Angaben verlangen eine beträchtliche Korrektur. (a) Gau tier de Coinci: Povrement vivent escolier Et s'ont plus painne que colier. / . . .

179 94

FEW XII 312 f.; TL III 1496 f.; Gf III 661, IX 568; LaC VI 119 f.; DuC VI 3950; MLLM 995.

Trop sont prelat vilain et rude A celz qui viennent de t'estude. S'uns de celz vient qui estudient, ,,Ne te conois. Qui es tu?" dient (Miracles I Mir. 11,1083 f., 1089-92). (b)Pierre d'Abernon: Universitez apparaillez, Estudie en citez establiez, Ε en tun regne le suffrez (Secre 1158-60). (c)La terre pur ceo tantost lessa (sc. Richard) / . . . / . . . / Ε a l'estodie tantost s'est mis A Oxeneford, puis a Paris (StRichard 318-22). (d)„Chronique de St.-Denis": En ce meisme temps (1283) il fu si grant descort, a Paris, entre les nations des Anglois et des Picars escoliers, que Ten cuidoit bien que l'estude se deust du tout departir de Paris (ChrDen V 66). (e)Egidio Colonna: Dont li rois doit fere qu'en son reaume ait mult de sages hommes et de sages clers, et qu'il i ait grant estude la ou Ten Use diverses sciences (GouvRois 315,15). ( 0 Henri de Mondeville: Je Henri de Mondeville, cyrurgien . . . estudiant et demourant en la tres clere cite de Paris, et tres excellent estuide . . . pourpose a ordener b r i e m e n t . . . toute l'operation de cyrurgie manuel (HMond 3; vgL ds.ebd. 13 = lire (m)). Während in (a) und (c) nicht volle Sicherheit besteht, ob estude das Studium allgemein oder den Studienort selbst bezeichnet — obwohl letztere Auslegung mindestens den Grad großer Wahrscheinlichkeit besitzt 1 8 0 —, dürfte für alle anderen Textstellen die Übersetzung,Kolleg, Universität' zutreffen. Demnach wäre das früheste Auftreten von estuide als Bezeichnung der Universität in die späten sechziger Jahre des 13. Jh. vorzudatieren. Während im MA bis zum Beginn des 13. Jh. Schule und Unterricht nahezu ausschließlich SCHOLAE (Plural!) hieß, kommt mit der Gründung der Universität der Name STUDIUM (GENERALE) immer mehr in Gebrauch 1 8 1 . (g)Evrard de Bethune: Hinc schola dicatur, quia mens ibi sollicitatur Circa doctrinam doctoris suscipiendam. Affectus mentis ad discendum Studium sit, 180

181

Die Vita des später kanonisierten Richard berichtet, er habe außer den Universitäten Oxford und Paris auch Bologna besucht und sei nach seiner Rückkehr nach Oxford zum Universitätskanzler gewählt worden. Vgl. GrabmannGSM II 13-24; Renaiss Xlle 57 f. 95

Ast exercitium labor artis continuatus, Et tarnen improprie Studium scola dicitur esse. (EvrBethGr XII 239-43)

(h) Gregor IX (1229): Intellecto sane, quod i n t e r . . . regem Francorum . . . et magristros et scolares Parisiens e s . . . dissensione suborta, iidem magistri cum scolaribus dampnis et injuriis tacesciti a Parisius discesserunt, Studium alio transferendo . . . nos utilitatibus proventuris ex studii revocatione Parisius aspirantes et volentes incomoditatibus . . . obviare, venerabilibus fratribus nostris... damus Uteris in mandatis, u t . . . (ChartUP Nr. 69 p. 126; vgl. ebd. Nr. 247 p. 279).

(i) Johannes von Garlandia: Ista mira quando scripsi Tunc scripture favet isti Studium Parisius. Hoc magister tunc Galterus Pie rexit, prudens erus, Pius cancellarius. (JohGarlStella 910-15; vgl. ds. Poet I p. 901 med.).

(j) Guillaume de St.-Amour: Item constat, quod Monachi non possunt fieri solemnes Magistri Scholastici, nisi diu studuerint in studio generali (GuillStAmCollect 403).

Diese Liste ließe sich beliebig erweitern, doch die Auswahl erfüllt ihren Zweck, nämlich zu zeigen, daß in der lt. Literatur die Universität Paris seit ihren ersten Anfängen als STUDIUM bezeichnet wurde. Auch Rr 18683 läßt sich nicht ohne Bedenken behaupten, JdM denke hier an die Universität. Allerdings steht der Vers in einer längeren Abhandlung über den Geistesadel (gentillece), der dem nichtssagenden Geburtsadel gegenübergestellt und als ihm weit überlegen bezeichnet wird. Zwei Wege führen nach JdM zum Erwerb dieses edlen Sinns, armes und estuide, oder, um mit geläufigen Begriffen einer noch nicht allzuweit zurückliegenden Zeit zu sprechen, chevalerie und clergieI82. Vorbilder für den werdenden Ritter sind die Helden des Artuskreises (Rr 18697—710), für den angehenden .Geisteswissenschaftler' die antiken philosophes (Rr 18719 ff.). Die Beschäftigung mit den Wissenschaften bildet den Studierenden nicht nur fachlich, sondern sie macht ihn vor allem zu einem moralisch hochstehenden Menschen, ja die Vertrautheit mit den choses dou monde (Rr 18645) legt ihm geradezu die Ve φ flichtung menschlicher Bildung auf: Par quei tuit clerc, deciple e maistre, Sont gentill ou le deivent estre (Rr 18653 f.). Solche Kenntnisse der antiken Autoritäten vermittelte vor allem die Universität.

182

96

Vgl. E. Köhler: „Clergie". ZrP Beih. 97 (1956) 37-65; Ricken 33 ff.

36. EXCEPCION 1 8 3

,Ausnahme'

4689 Ε seit entr'aus comunite De touz leur biens en charite, Si que par nule entencion 4692 N'i puisse aveir excepcion. 19648 Ainz vont bestournant la charrae, Ε conferment leur regies males 19650 Par excepcions anormales, / . . . 20743 Tuit iront a procession, 20744 Senz faire i point d'excepcion, Par les rosiers e par les roses, Quant j'avrai les lices descloses. Die Information der Handbücher zu excepcion bedarf einiger Präzisierung. Das FEW wie auch BlochW nennen als Zeit des ersten Auftretens das 13. Jh., ohne Belege hinzuzufügen; TL bringen neben einem Verweis auf den Rr nur einen sehr unscharf datierbaren Text. Für den juristischen Verwendungsbereich gibt das FEW das Jahr 1265, T L eine Stelle bei Philippe de Remi an; Gf zitiert für das 13. Jh. ausschließlich aus Gerichtsakten, und der DG bringt mit dem Hinweis „ X l l e s. „Livre de Jostice"" nicht den ältesten Beleg. (a)Charta von November 1255: Toutes ches choses weut et otroie et quite a tous jours Engerrans mes ainsnes fius et mes hoirs si com eles sunt deseure escrites, et ausi jou comme il renoncheons a toutes exceptions, a toutes bares et a toutes chavillations et a toutes choses ki aidier nous ponoient contre le teneur de cest present escrit (zitiert nach GossenPic 139). (b)Pierre de Fontaines: Li privilege sont perdurable, car ce sont lois privees, ce est que il doivent tosjors durer se il sont donne pour avoir exception, quar se Ten ne plaide point contre celui qui a tel privilege, il n'a mestier de proposer exception (PierreFont Appendix X 7; vgl. ds.ebd. X 4). (c) Charta von 1260: Ε renuncierent les diz vendours a toutes les resons e a toutes les exceptions qu' encontre ceste lettre peussent estre obicez (zitiert nach Gf V 552). (d)„Livres de jostice et de plet": Et en cest ban est tenuz eil qui re^ut la chose, tot soit la chose perdue sanz sa cope . . . Johan dit que c'est droit que Ii mestres ait exception (Jostice p. 121 f.; vgl. ebd. p. 156 und p. 284).

183

FEW III 272; TL III 1532; Gf III 678, IX 579; LaC VI 130; BlochW 244; DG 995; TLL V 2, 1223-25. 97

(e) Mehrere datierte Chartae, deren älteste aus dem Jahre 126S stammt (zitiert Gf IX 579). (OJean d'Antioche: Quar maintes actions ou ouvraignes sont forcloses et enostees par les excepcions et les enostances des juges (JeanAnt p. 244). (g)Philippe de Retni: Autant valent excepcions dilatoires comme dire resons qui ne servent fors que du plet delaier. Et les resons qui descendent a l'autre fin, l'en les apele excepcions peremptoires (Beauvais 236; vgl. ds.ebd. X 7). (h)Jacques de Baisieux: „He, Jakes, c'or m'en dis la somme, Quel gens puelent fiez rechevoir?" Toute gens, ce vos di je voir, Fors serf et de religion (Clerc e lai ont l'exception), Et puceles, dames ausi, Se Ii sires le vuet ensi. (Jacques de Baisieux 172-78) 184 (i) Drouart la Vache: Et se la vostre oppinion Est voire, sanz exception, Que chascuns soit amez qui aimme, / . . . (DVache 1491-93). Die ältesten und bei weitem zahlreichsten Belege fur excepcion finden sich unbestritten in juristischen Texten als technische Termini, und zwar sowohl in Gerichtsakten, die Gf zum großen Teil heranzog (a, c, e), als auch in juristischen Handbüchern (b, d, g) und juristischen Kontexten (f) 1 8 s . Somit scheint es, daß JdM excepcion erstmals in erweiterter Bedeutung und in einem rein literarischen Werk verwendet hat, und die zeitlich nächste Parallele bringt Drouart la Vache (i). Auch die lt. Lexika bezeugen, daß EXCEPTIO als Begriff des Gerichtswesens auftritt, aber seit Cicero auch in Übertragung auf nicht-juristische Sphäre 184

185

98

Jacques de Baisieux gehört nach A. Dinaux: Trouveres, jongleurs et menestrels du nord de la France et du midi de la Belgique. Bruxelles, 1863. Τ. IV p. 381 in die zweite Hälfte des 13. Jh. - Vom Inhalt her läßt sich die Chronologie bedeutend enger fassen, denn die frühesten Versionen der Ovidiana in afr. Sprache und allgemein erotischer Dichtung - ich denke an die „Clef d'Amorf', die afr. Übersetzung der „Ars amandi" durch Meister Elie, die Bearbeitung der „Remedia amoris" durch Jacques d'Amiens, Gedichte von Baudouin de Conde etc. - sind nicht vor ca. 1280 entstanden und setzen durchweg den Rr voraus. Excepcion ist hier juristische Metapher, wie es schon der Titel des Gedichts, „C'est des flez d'amours", ankündigt Zu der juristischen Terminologie des MA aus dem Lt. vgl Heinimann, Abstrakta 31 ff.

erscheint; die fachterminologische Verwendung bleibt jederzeit, auch im MA, neben der in weiterem Sinn gebrauchten bestehen186. Eine der vielen Arten der Liebe, so erklärt Raison, heißt Freundschaft (Rr 4680 ff.); volenti comune... senz descordance und comunite... de biens charakterisieren sie; es gibt kein Gesetz, das durch irgendeine besondere Auslegung (par nule entencion) ein Privileg, eine Ausnahmebestimmung (exception) von diesen Satzungen menschlicher Gemeinschaft zuließe. Der juristische Hintergrund ist unverkennbar. Die euphemistische Periphrase der Homosexualität durch exceptions anormales (Rr 19650), .ungewöhnliche Ausnahmen von der Regel', steht bei JdM eindeutig als grammatische Metapher, wie in den folgenden Versen Wörter wie regies, dreit sen, escriture, lecture, die die Metapher weiter ausspinnen, erkennen lassen187. Hier hat JdM trotz aller Imitation selbständig gestaltet, denn seine Vorlage hatte denselben Inhalt in die Sphäre des Gerichtswesens transponiert. (j) Alain de Lille: Qui autem a regula Veneris exceptionem facit anormalem, Veneris privetur sigillo (AlanPN 320 med.). (k)Cum omnia lege suae originis meis legibus teneantur o b n o x i a . . . fere omnia tributarii iuris exhibitione legitima, meis edictis regulariter obsequuntur; sed ab hujus universitatis regula, solus homo anomala exceptione excluditur qui pudoris trabea deum datus . . . in suae dominae majestatem litis audet excitare tumultum (ds. ebd. 294).

Rr 20744 erscheint exception inhaltlich vom juristischen Bereich vollständig gelöst; nur die Formulierung senz faire i point d'excepcion erinnert daran, daß exception ursprünglich sinntragendes Substantiv war, und selbst dies gilt nicht mehr für Drouart la Vache (i), wo die Wendung sanz exception zum Adverb erstarrte und von nun an .ausnahmslos' heißt. Der Ansatz für die Entwicklung vom Fachterminus zur Phrase zeigt sich erstmals im Rr. 37. FIGURE188 .Zahlzeichen, Ziffer' 12790 Se maistie Algus 189 Ii bien contanz I vousist bien metre ses eures 186

187 188 189

Als juristischer Terminus: CassiodVariae II 30,1; VincBell II, VIII 114; GuillStAmRespons 95; ThomLexic 388 Nr. 2. Allgemeine Bedeutung: MattVind IV 47; AlexVDDoctr 2226; RogerBacDial p. 293 med. u. a. Über grammatische Termini in metaphorischer Verwendung vgl. CurtEL 128 und 416; Lehmann, Parodie 106-09. FEW III 5 1 2 - 1 4 ; TL III 1837-39; MLLM 425; Latham 190. Zu dem arabischen Mathematiker Al-Chwarismi, der in ma. Literatur durchweg als Algus-Argus erscheint, vgl. Lg III 329 f. Sacro Bosco schreibt: Hanc igitur

99

12792 Ε venist ο ses dis figures, Par quei tout certefie e nombre, Si ne peiist il pas le nombre Des granz contenz certefier, Tant seiist bien monteplier.

Von den Lexika verzeichnen einzig das FEW und TL, jedoch beide mit unvollständigen Belegen, figure als Zeichen der einstelligen Zahlen in der Mathematik seit dem 13. Jh. Die Angaben sind zu ergänzen. (a)Alexandre de Villedieu: A ches .vii. especes savoir Doit chascun en memoire avoir Letres, qui figures sunt dites, •ix., qui en tel sens sunt escrites: 9. 8. 7. 6. 5. 4. 3. 2. 1. (AlgT 9 2 - 9 6 ; vgl. ds.ebd. 111, 125, 133, 199 f. u.ö.)

(b) Henri de Mondeville: Comment tous les nombres de ceste cyrurgie soient senefies par nombre et par figure d'augorime pour plus brief e s t r e , . . . (HMond 30). Gemeint ist die Numerierung der einzelnen Kapitel.

Figure .Ziffer' kommt im Afr. selten vor. Die Abfassungszeit von Alexandre de Villedieus „Carmen de algorismo" in der Vulgärsprache und die des Rr fallen etwa zusammen, so daß die Prioritätsfrage offenbleibt. Aber selbst wenn die Fertigstellung des afr. Algorithmus vor JdM' schriftstellerischer Tätigkeit zu fixieren wäre, dürfte es als sicher gelten, daß er selbst das Wort aus lt. Texten in die Vulgärsprache übernahm, denn in einem signifikanten Detail, der Angabe von neun bzw. zehn Zahlzeichen, gehen die Texte auseinander (s.u.). Der früheste mir bekannte Hinweis auf eine Verwendung von FIGURA .Zahlzeichen' in der lt. Literatur findet sich im MLLM und bei Latham (12. Jh.), allerdings ohne entsprechende Belege. (c) Johannes von Salisbury: Si quis opera nature, que ex elementis vel materia constant et forma, pertractet cum phisico, ratiocinandi viam ab indicio sensuum mutuatur. Si vero cum mathematico figuras abstrahat aut numeros p a r t i a t u r . . . (JohSarMet 921 c).

(d)Algoritmi: Dixit algoritmi: Cum vidissem yndos constituisse .ix. literas in universo numero suo . . . volui patefacere de opere quod fit per eas aliquid quod esset levius discentibus . . . Fecerunt igitur .ix. literas, quarum figure sunt he . . . (Algoritmi p. 1). scientiam numerandi compendiosam edidit philosophus nomine Algus, unde algorismus nuncupatur, vel ars numerandi, vel introductio in numerum (SacroBoscoNum p. 1 f.).

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(e) Johannes von Sevilla: U t . . . autem hunc mentis conceptum propter disciplinam facilius exprimerent doctrine servientes .9. figuras invenerunt... Que figure, et earum numerus, et ordo hec sunt 9. 8. 7. 6. 5. 4. 3. 2. 1. (JohHispAlg p. 27 f.). ( 0 Alain de Lille: Hic pictura loquens scripto clamansque figuris Muta tarnen, totam numerandi predicat artem. (Anticlaud III 299 f.) (g)Thersites numerum non vires auxit Achivis, Inops virtutis, garrulitate potens: Sic inter scacos alphinus inutilis exstat Inter aves bubo, fucus et inter apes; Inter narrantes cifram, juvat esse figuras Et vult multoties anticipare locum. (AlanParab 427 inf.) (h)Alexandre de ViUedieu 1 9 0 : Haec algorismus ars praesens dicitur; in qua Talibus Indorum fruimur bis quinque figuris. 0. 9. 8. 7. 6. 5. 4. 3. 2. 1. Primaque significat unum: duo vero secunda: Tertia . . . (AlexVDAlg p. 73) (i) Vincent de Beauvais: Ad numeros istos repraesentandos inventae sunt novem figurae tales, 1. 2. 3. 4. S. 6. 7. 8. 9. quae ad differentiam Latinarum scribendae sunt a dextra in sinistram . . . Inventa est igitur decima figura talis, sc. o, quae cifra appellatur (VincBell II, XVI 9). (j) Sacro Bosco: Est autem numeratio cujuslibet numeri per figuras competentes artificialis representatio . . . Jux ta igitur novem limites inveniantur novem figurae, novem digitos representantes; quae tales sunt 9. 8. 7. 6. 5. 4. 3. 2. 1. Decima flgura dicitur theta, vel circulus, vel cifra, vel flgura nihili quia nihil significat (SacroBoscoNum p. 3). Ohne auf eine detaillierte Diskussion von JdM' Quellen zur Stelle eingehen zu wollen, sei kurz angemerkt, daß die Überlieferung den Indern die Erfindung der neun Zahlzeichen zuschreibt (a, d—e), während das zehnte Zahlzeichen, die Null (arab. sifr, lt. CIFRA 1 9 1 ), arabische Schöpfung ist (i—j). 190

191

Der Herausgeber zitiert in einer Anmerkung die Glosse eines Kodex zur Stelle: „Hae necessariae figurae sunt Indorum characteros". Der unbekannte Kommentator hat nur übersehen, daß Alexandre de Villedieu auch die Null miterwähnt, also nicht von indischer, sondern von arabischer Tradition herkommt. Den modernen linguistischen Terminus ,Nullphonem' hat bereits Alan seiner Bedeutung nach gekannt, wenn er behauptet, das „H" sei kein Buchstabe, sondern es nähme den Platz einer Null ein, sei zwar ein Zeichen, täusche aber seine Zugehörigkeit zum Alphabet nur vor:

101

38. FIGURE DE DICCION 1 9 2 .doppelte Bedeutung eines Wortes, die zum Trugschluß führt' 21491 Ainsinc con fait Ii oiselierres, Qui tent a l'oisel come lierres, E l'apele par douz sonez, Muciez entre les boissonez, Pour lui faire a son brei venir, Tant que pris le puisse tenir. Li fos oiseaus de lui s'aprime, Qui ne set respondre au sofime Qui l'a mis en decepcion 21S00 Par figure de diccion, Si con fait li cailliers la caille, Pour ce que dedenz la reiz saillc. Die folgende Untersuchung soll keinen Beitrag zur Ausführung und Bewertung logischer Metaphern bei JdM liefern, sondern die Herkunft des hierzu verwendeten logischen Vokabulars in der afr. und, falls von dieser Seite kein hinreichender Aufschluß möglich scheint, in der lt. Literatur verfolgen. Lg gibt zu Rr 21491 ff. weder im Anhang der Textausgabe noch in seinen Untersuchungen zu den Quellen des Rr Erläuterungen. Im Glossar steht unter diccion nur die wenig aussagende Übersetzung , m o t f i g u r e Rr 2 1 5 0 0 ist nicht verzeichnet. Eine Kontrolle der Handbücher fallt ebenfalls negativ aus. Sie bringen zwar sowohl diccion193 als auch figure™ unter anderem als grammatisch-rhetorische Termini, aber dies hilft für das Verständnis der Stelle nicht weiter. Wörter wie respondre und sofime weisen vielmehr auf logischen Bereich h i n l 9 s .

192 193

194 195

. . .Qua ratione, quibus causis Η littera non sit Cum sibi pretendat scripturam, nomen et usum Sed cyphri loca possideat solumque figure Ius sibi deffendens, elementi preferat umbram. (Anticlaud II 436-39) Zur Bezeichnung von Vögeln, Buchstaben etc. in ihrem Rang durch .Null' vgl. Alverny, Alanus 51 und Anmerkungen. diccion: FEW III 71; TL II 1913; Gf IX 378; TLL V 2,1006-1008. figure: FEW III 512-14; TL III 1837-39; TLL VI 1, 731 ff. .(einzelnes) Wort": Eracl 6287, Dolop 1347 f., BestAmAnon 127, HMond 2003. Auf DVache 5815 ff., wo ebenfalls fortlaufende logische Metaphorik vorliegt, kann nicht eingegangen werden, da der Text den Rr voraussetzt. Vgl. den Kontext unter sillogime (h). .Ableitung einer Bezeichnung': PhThComp 747,1187 und 1202; .grammatische Wortform': Mouskes 9704; ,Sinnfigur':ChrDen I 231 etc. Pare scheint der einzige zu sein, der den Sachverhalt richtig beurteilte (ParelL 37 A.I.).

102

FIGURA DICTIONIS als Übersetzung von gr. τ ρ ό π ο ς , σχήμα und die Untergliederung in Wortfigur (FIGURA VERBORUM) und Sinnfigur (FIGURA SENTENTIARUM, - ELOCUTIONIS) kennt schon das Kit. 196 . Die Verwendung der FIGURA DICTIONIS als eines von mehreren MODI ARGUENDI auf logischem, speziell sophistischem Gebiet darf, gerade wegen ihres immer häufigeren Auftretens in scholastischer Fachliteratur, mit dem Eindringen des Aristotelischen Organon ins westliche Abendland in Verbindung gebracht werden. In einem Kapitel über die FIGURAE PARALOGISMORUM schreibt Vincent de Beauvais, nachdem er im Anschluß an die aristotelische Topik die MODI ARGUENDI in solche SECUNDUM DICTIONEM und andere EXTRA DICTIONEM gegliedert hat 197 : (a)ln dictione sunt sex (sc. modi arguendi), scilicet aequivocatio, amphibologia, compositio, divisio, accentus, figura dictionis (VincBell II, III 91).

Eine Definition der FIGURA DICTIONIS geben Thomas (b) und Roger Bacon (c). (b)pigura dictionis, prout hie sumitur, est similitude unius dictionis ad alteram, sicut aliquid dicitur ad figuram alterius factum quod ei assimilatur: unde fallacia figurae dictionis est deceptio proveniens ex eo quod aliqua dictio similis alteri dictioni videtur habere eumdem modum significandi, cum tarnen non habeat (ThomAquFall = Mandonnet IV S20). (c)Sequitur de fallacia figure diccionis, et est figura hie similitude vocis, vel duarum vocum vel unius ad seipsam. Causa apparencie est similitudo hujusmodi: causa nonexistencie est diversitas eorum que sunt similia. Fallacia figure diccionis est decepcio proveniens ex similitudine: fiunt vero hujusmodi paralogismi secundum hunc locum, . . . (RogerBacDial p. 343 inf.).

Noch ausführlicher und exakter in der Terminologie fällt eine andere Erklärung bei Roger Bacon aus (vgl. den Text unter elenche (e)). Es ergibt sich also, daß eine FIGURA DICTIONIS einen von mehreren möglichen Anlässen darstellt, durch die ein sophistischer Schluß, ein Trugschluß herbeigeführt wird. Es wurde bereits festgestellt, daß ein korrekter, ein syllogistischer Schluß nur dann zustandekommt, wenn die in den Prämissen gemachten Aussagen der Realität entsprechen und demselben Prädikationsbereich angehören198. Die Eigenart einer Wort- oder Sinnfigur besteht aber ge196

197 198

DICTIO bei mit. Autoren: HugoSVProp 146, 2105 und 150, 2191; AbaelDial p. 114 f. (Definition von DICTIO); JohSaiMet 848 b; Anticlaud II 450; ThomU x 309. - FIGURA: Isid 2,21, 1; AlbCassFlor V 1; HugoSVProp 146, 2103; 151, 2194; AlexVDDoctr 2361 und 2364. Vgl. auch das „Catholicon" (DICTIO, FIGURA). Dieselbe Einteilung führte schon JohSarMet 930 b durch (Text unter duplicite (b)). Vgl. auch BonavMystTrin qu. 3 art. 2 (Ed. Quaracchi V 76). Vgl. aparence, conclure, conclusion, sofime.

103

rade darin, daß sie etwas anderes bedeutet, als sie konkret aussagt; bezieht sich nun die in der einen Prämisse aufgestellte Aussage auf den realen Inhalt eines der tragenden Begriffe und diejenige der anderen auf die m e t a p h o r i sche Bedeutung ebendesselben Begriffes, so kann kein reguläres Schlußverfahren erfolgen, da die Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Wendet man diese Kenntnis auf die Interpretation des Ausschnittes aus dem Rr an, so verläuft der Gedankengang folgendermaßen: Die alten liebeserfahrenen und immer noch liebestollen Weiber fangen die schmachtenden Galane in ihren Netzen wie der Vogelfanger den Vogel, indem er aus seinem Versteck im Gebüsch heraus lockende Töne erklingen läßt (Rr 21491-96). Der Vogel (= Liebhaber) in seiner Torheit bringt es nicht fertig, das sophistische Verfahren, das ihn zu einem falschen Schluß durch Doppeldeutigkeit veranlaßt, zu durchschauen und darauf zu erwidern (Rr 21497—500). Unter der figure de diccion sind die Lockrufe der alten Weiber zu verstehen, zweideutig insofern, als sie einerseits angenehme Empfindungen zu erwecken scheinen, tatsächlich aber das Opfer seiner Freiheit berauben und ihrem eigenen Willen unterwerfen. Die Konsequenz der Töne, die da locken (positiv!), in Wirklichkeit aber verlocken (negativ!), muß notwendig ein Trugschluß sein, da in jeder der Prämissen unter den Tönen etwas anderes verstanden wird. Die kunstvolle Gestaltung der Verse 21451 ff., der Übergang von realistischkrüder Schilderung des Wesens und Treibens der alten Dirnen über einen Vergleich zur Metapher und wieder zum Vergleich, steht hier nicht zur Diskussion. Zweifellos ist die Ausführung gerade der logischen Metaphorik JdM' Werk, aber inspiriert hierzu hat ihn Alan, wie an so mancher anderen Stelle. (d)lllic (sc. in veste Naturae) perdix nunc aeriae potestatis insultus, nunc venatorum sophismata, nunc canum latratus propheticos a b h o r r e b a t . . . Illic coturnicem figurae draconis ignorantcm fallaciam, imaginariae vocis decipicbant sophismata (AlanPN 285).

Merkwürdig und bislang noch ungeklärt bleibt die Beobachtung, daß hier ein Fachvokabular erstmalig in der Vulgärsprache auftritt, und dies gleich in metaphorischer Verwendung, während normalerweise der umgekehrte Weg eingeschlagen wird.

39. GENERAUMENT 199 .im allgemeinen' (im Gegensatz zu .besonders') 18278 (Text und Erläuterung unter

especiaument)

20369 Mais or palons des beles choses Qui sont en ce bei pare encloses: 199

FEW IV 97 f.; TL IV 2 4 2 - 4 4 ; G f l X 692; LaC IV 3 8 5 ; T L L V I 2, 1 7 7 6 - 7 8 .

Vgl. auch especiaument.

104

20371 Je vous en di generaument, Car taire m'en vueil erraument 200 . In den Lexika fehlt meist ein Hinweis auf die antithetische Verwendung von generaument, und w o er gemacht wird, stammt der Beleg aus dem 14. Jh. Die Editoren trennen in den entsprechenden Artikeln nicht den allgemeinen vom antithetischen Gebrauch des Adverbs. (a)„Somme du Code": Pueis que dit avem cores alcuns pot querre heretajo generalment, orem direm cores om pot querre totes choses singularment (SommeC 6, 18). (b)Angier: Dom ne me pleist plus avant traire, Car trop en i avreit a faire Trestot Ii miedre romangour Qui seit el mond uy en cest jour, Si totes les vousist descrire. Et por itant n'en voeil plus dire, Fors qe sanz ςο generaument, / . . . (VGreg 1617-23). (c)Brunetto Latini: A ce meisme s'acorde bien Tulles, et dist que demoustrement est quant Ii parleours loent et blasment home generaument ou partiement (BrunL III 2, 9). (d)Philippe de Remi: N'aves pas celui seulement Ne celui fait recovrement; Mais generalment trestous ciaus Qui de euer vous servent sont saus (Manekine 5759-62). (e)Pierre d'Abernon = especiaument ( 0 Mahieu le Vilain = determiner (g)

ds.

= especiaument

(b) (b) (c)

(h).,Clef d'Amors": Finalment tu doiz supposer Tout generalment, sanz gloser, Que toutes fames ont grant joie Quant aueuny d'amer les proie (ClefAm 281-83).

200

Zu Rr 5447 amer generaument im Sinne von amour-charite als viel diskutiertem ma. Thema vgl. Pare'IL 88 f.

105

(i) Baudouin de Conde = especiaument (d) (j) Philippe de Remi

= especiaument ( 0

Wie man sieht, kennt das Afr. mehrere polare Ausdrücke zu generaument: Singularment (a); especiaument (e, g, i—j); in Periphrase chascune espece par soy (0;partiement (c), das den Gegensatz ,im allgemeinen — zum Teil' ausdrückt. In (b) findet sich der konträre Ausdruck im Kontext: der Verfasser kann unmöglich alle (totes) Wohltaten einzeln beschreiben, weshalb er sich darauf beschränkt, allgemeine Fakten vorzulegen (dire generaument). Dasselbe gilt für (d): generalment ciaus wird den einzelnen Bezeichnungen celui ne celui gegenübergestellt. In (h) ist der Begriff des Details in gloser enthalten, das hier, losgelöst vom theologischen Bereich, allgemein .genauer erklären, ausführen' heißt. Im Lt. begegnet die Gliederung einer Aussage in SPECIALITER — GENERALITER seit der Klassik und im Μ Α bei Boethius (BoethHerm 2, 45, 31), Cassiodor (Cassiodlnst 23, 21), Isidor (Isid 2, 4, 7), in der pseudo-boethianischen Geometrie (PsBoethGeom 58, 774 f.), bei Gautier de Chätillon (GCastCarm X 6, 1 = Strecker II), Gilles de Lessines (AegLess = Thorndike, Comets 134) etc. Variationen finden sich in der Form SPECIALITER—SINGULARITER (JohSarPolycr 438 b), GENERALITER—PRINCIPALITER (Albumas 1). 40. INTEGUMENT201 .übertragene Auslegung, Deutung' 7162 Ε qui bien entendrait la letie, Le sen verrait en l'escriture Qui esclarcist la fable ocure; La verite dedenz reposte Serait clere s'ele iert esposte; Bien l'entendras se bien repetes 7168 Les integumenz aus poetes: La venas une grant paitie Des secrez de philosophie.

V. 7168 bringt den ersten und einzigen Beleg für integument in der afr. Literatur des 13. Jh. Ein Blick auf die mit. Literatur zeigt, daß sowohl INTEGUMENTUM als auch sein Synonym INVOLUCRUM bereits im 12. Jh. bekannte Ter201

FEW IV 736; TL IV 1410; Gf IV 596; TLL VII 1, 2088 f. Vgl. auch PareScol 27 f., ParelL 19-22; CurtEL 21 I f f . ; Renaiss Xlle 120 f.; M.D.Chenu: „Involucrum". Le mythe selon les theologiens medievaux. AHDL 22 (1955) 7 5 - 7 9 ; M.-T. d'Alverny: Le cosmos symbolique du Xlle siecle. AHDL 20 (1953) 3 1 - 8 1 , bes. p. 35 und A.l; S.Battaglia: La tradizione di Ovidio nel medioevo. In: La coscienza letteraria del Medioevo II (Napoli, 1965) 2 3 - 5 0 .

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mini waren, so daß die Annahme, JdM habe lt. Texte über Dichterinterpretation eingesehen, gerechtfertigt scheint. Zwar begegnen INTEGUMENTUM und INVOLUCRUM oder beide Wörter als Hendiadyoin schon in kit. Literatur in übertragener Bedeutung, aber dort bleibt die Vorstellung ,Hülle, Schleier' greifbar, und es handelt sich nicht um allegorische Auslegung. (a) Cicero: . . . in oratione Crassi divitias atque omamenta eius ingeni per quaedam involucra atque i n t e g u m e n t a perspexi, sed ea contemplari cum cuperem, vix aspiciendi potestas fuit (CicDeOrat 1, 35; vgl. auch MartCap 5, 470 2 0 2 ).

Diese findet sich erst bei den Kirchenvätern, bei Pseudo-Origenes, Ambrosius, Augustin u. a. INVOLUCRUM scheint im MA zunächst das geläufigere Wort zur Bezeichnung bildhafter Darstellung zu sein. Für die Zeit seines Auftretens in der Literatur ist die Bemerkung Guillaume de St.-Thierrys aufschlußreich, der von INVOLUCRUM als einem VOCABULUMINUSITATUM spricht. Außerdem macht er Abelard den Gebrauch des Wortes zum Vorwurf mit der Begründung, er folge in dieser Terminologie Johannes Scotus, der das irdische Dasein INVOLUCRUM genannt habe und dafür der Häresie verdächtigt wurde (nachweisen läßt sich das Wort bei Johannes Scotus jedoch nicht). Drei von Alverny, Cosmos 35 Α. 1 angegebene Abelard-Zitate bezeugen den Gebrauch von INVOLUCRUM noch vor der Mitte des 12. Jh. Bei Richard de St.-Victor begegnet es mehrfach, aber seit Bernard Silvestres allegorischem Aeneiskommentar scheint es durch INTEGUMENTUM weitgehend verdrängt worden zu sein. (b) Bernard Silvestre: I n t e g u m e n tum vero est genus demonstrationis sub fabulosa nairatione veritatis involvens intellectum, unde et involucrum dicitur (BernSilvAen p. 13).

Er setzt also einen wahren Kern in fabulöser Gestaltung voraus, der durch einen besonderen Auslegungsprozeß, INTEGUMENTUM, freigelegt werden soll. Daß überhaupt ein solches Verfahren erprobt wurde, hat einerseits in den wiederauflebenden Studien des 12. Jh. seinen Grund, andererseits und damit verknüpft in den apologetischen Bestrebungen der Kirche, die auch die heidnischen Autoren, bei denen sie so tiefes Wissen entdeckte, als Lektüre für Christen retten wollte. Wer in den ovidianischen Fabeln und in vergilianischer Mythologie die Allegorese, in ihren Dichtern Philosophen und Künstler zugleich erblickte 203 , konnte ohne Gewissensbisse zum Kodex greifen, sein 202 203

Sperrung hier und im folgenden von mir. Nunc vero haec eadem circa philosophicam veritatem videamus. Scribit enim (sc. Veigilius) in quantum est philosophus humanae vitae naturam. Modus vero agendi

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Wissen vertiefen und sein Interpretationsvermögen schärfen. Als drittes kommt die ma. Neigung zur Mystifikation und umgekehrt zur Aufdeckung eines tieferen Sinngehaltes gerade bei metaphysischen,zur Metapher tendierenden Themen hinzu, wie es jahrhundertelang an dem platonischen „Timaios" geschätzt und geübt wurde. Bezeichnend für diesen Vorgang sind die Worte, die ein anonymer Chartrenser Kommentator des „Timaios" seiner Interpretation vorausschickt: (c)lncipit Thimeus Piatonis. Plato per in volucrum cuiusdam convivii tiactat predictam materiam. Volens enim per positivam iusticiam accedere ad naturalem, de qua intendit, inducit Socratem magistrum suum pridie Thimeo cum quibusdam aliis dedisse epulum, id est tractatum de positiva iusticia (zitiert nach Chenu, Involucrum 76). In der zweiten Hälfte des 12. Jh. wird diese Art von Textauslegung, auch MORALISATIO genannt oder einfach GLOSSATIO, zu einem der wichtigsten Bestandteile des Grammatikunterrichts. Die bildhafte Sprache Alans bietet in einer Abhandlung über poetische Darstellungsweise und ihren tieferen philosophisch-moralischen Gehalt eine ganze Skala von Variationen des Terminus INTEGUMENTUM. So spricht er durch den Mund der personifizierten Natura 2 0 4 von den UMBRATILIA POETARUM FIGMENTA, von PALLIATIO, FICTURA, von dem Gegensatz zwischen der SUPERFICIALIS LITTERAE CORTEX und dem SECRETUM INTELLIGENTIAE ALTIORIS bzw. NUCLEUS VERITATIS SECRETAE, ja das zerrissene Gewand der Sprecherin selbst steht symbolisch für das ehrfurchtslose Verhalten der Geschöpfe, die ihrer Mutter die VESTIMENTA entreißen und sie bloß darstellen: (d)Jam ex explicatis potes elicere, quid mysticum figuret scissurae figurata parenthesis: cum enim ut diximus, plerique homines in suam matrem vitiorum armentur injuriis, inde inter se et ipsam maximum chaos dissensionis firmantes, in me violentas manus violenter injiciunt, mea sibi particulatim vestimenta diripiunt, et quam reverentiae deberent honore vestire, me vestibus orphanatam (quantum in ipsis est) cogunt

204

talis est: sub integumento describit quid agat vel quid patiatur humanus spiritus in humano corpore temporaliter positus. Atque in hoc scribendo naturali utitur ordine, atque ita utrumque nanationis ordinem observat, artificialem poeta, naturalem philosophus (BernSilvAen p. 3). AlanPN 296, abgedruckt Lg III 277 f. - Unter (d) folgt der anschließende, aber bei Lg nicht vorgelegte Text. - Garnier de Rochefort, Zeitgenosse Alans und langjährige! Abt von Clairvaux, weist sich in seinen Predigten und ebenfalls in dem ihm zugeschriebenen Traktat „Contra Amaurianos" als guter Kenner der literarischen und besonders der theologischen Schriften Alans aus. In seinem „Sermo in apparitione domini" fallen in kurzer Abfolge Begriffe wie INTEGUMENTA, CORTEX und MEDULLA (vgl. den Text unter escorce-moele (m)).

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meretricaliter lupari: hoc ergo in t e g u m e n t o per hanc scissuram depingitur, quod in solius hominis vitiosis insultibus, mea pudoris ornamenta scissionis contumelias patiuntur (AlanPN 296).

Naturas Reue gibt in ihrer fortlaufenden Allegorese selbst das Exemplum eines INTEGUMENTUM. Von INTEGUMENTUM als poetischer, bildhafter Schöpfung ist hier nicht wörtlich die Rede, wohl aber — und hier zeigt sich wieder der Sprachschöpfer Alan — an einer anderen Stelle desselben Werkes: (e)Quamvis enim plerique auctores sub integumentali involucro aenigmatum, ejus (sc. Cupidinis) naturam depinxerint, tarnen nulla ceititudinis nobis reliquerunt vestigia (AlanPN 298 med.).

Im 13. und 14. Jh. bildeten u. a. die ovidianischen „Metamorphosen" das Objekt allegorischer Auslegung. Faral, Arts poetiques 44, verzeichnet aus einem Kodex den Titel „Liber i n t e g u m e n t o r u m fabularum Ovidii Metamorphoseon a Magistro Johanne Anglico compositus". Andere, von Faral ebd. angeführte und einem gewissen Thomas Walley Anglicus zugeschriebene Ovidbearbeitungen tragen die Überschrift: „ I n t e r p r e t a t i o Metamorph. Ovidii secundum sensum moralem" und „ E x p o s i t i o n e s fabularum Ovidii". Nicolas Trivet, eine Generation jünger als JdM und bekannter Ovidkommentator, nennt sein Werk „ I n t e r p r e t a t i o n e s sive allegoriae fabularum Ovidii Nasonis" (Faral ebd. 45). Auch unter den Werken Johannes' von Garlandia befindet sich ein im elegischen Maß verfaßtes Gedicht „ I n t e g u m e n t a Ovidiana", das er in einer späteren Abhandlung, dem „Accentuarium", erwähnt: ( f ) I n t e g u m e n t a canit alius ne philosophantem Fabula d e c i p i a t , . . . (zitiert nach Faial ebd. 43) (g)Morphosis Ovidii parva cum clave Johannis Panditur et presens cartula servit ei. Nodos secreti denodat, clausa revelat, Rarificat nebulas, i n t e g u m e n t a canit. (JohGarllnteg 5 - 8 ; vgl. ds.ebd. 61)

In seiner „Poetik" gibt er Anweisungen technischer Art zur Verwendung der Allegorese: ( h ) . . . si narracio fuerit obscura, per fabulam appositam vel per apologum clarificetur per i n t e g u m e n t u m quod est Veritas in specie fabule palliata. Et notandum quod omnis apologus est fabula, sed non convertitur (JohGarlPoet I p. 928 sup.).

Vincent de Beauvais spricht von den INTEGUMENTA ausschließlich als Mittel zu moralischer Erbauung, die besonders den Geistlichen gefällt: 109

(i) . . . de caeteris autem praecipue, quae magis ad medicinam corporis pertinent, si forsitan inciderent (sicut Doctoribus nostris mos est) breviter transire. Hoc est igitur quod licet multis etiam a fratribus placeat, eo quod totum per quasdam rerum similitudines et integumenta figurarum ad aedificationem morum, referri valeat (VineBell I Prol.). (j) Extat autem et MythologiaFulgentii, de qua etiam integumentorum causa moralium, hoc in loco nonnulla inserere volui (VincBell II, III 124). Während der Herausgeber von Alans „De planctu Naturae" die richtige Entscheidung traf, indem er IN TEGUMENTO (d) (zwei Wörter) schrieb, sollte in dem folgenden Ausschnitt aus Alberts „De motibus progressives" INTEGUMENTUM, nicht IN TEGUMENTUM stehen (ich gebe Borgnets Text wieder): (k)hi enim qui fabulam de Atlante texuere, dixere Atlantem pedes habere stabiles et firmiter immobiles super terram, et non dicunt fabulosum mendacium, sed potius in tegumentum fabularum, ab intelligentia quadam volunt dicere, unde sine aliquo immobili fit motus coeli (AlbMagnMotib 14 = Borgnet X 327). Zentrum allegorischer Interpretation ist der Grammatikunterricht; das zeigt auch der Text des Rr (en noz escoles) mit seinem Vokabular: parabole (7154), sen-fable-verite ( 7 1 6 3 - 6 5 ) , couvrir, vestir (7177 f.), alles Termini der GLOSSATIO. Dieses Verfahren bildet den Gegenpol zu der von Raison vertretenen und befolgten Methode, Dinge mit ihrem realen Namen zu belegen und nicht den Weg euphemistischer Periphrase205 vorzuziehen, wie es andere Leute für vornehm und schicklich halten.

41. JUIGIER 206 1. ,fiir etw. halten, als etw. bezeichnen' 2. ,etw. beurteilen, über etw. urteilen'. 5857 Ce fu eil (sc. Socrates), bien le dit Solin, Qui par le respons Apolin 5859 Fu juigiez dou mont Ii plus sages. 6197 Ε puis qu'il (sc. Nerons) la vit desmembree, I . . . I 6199 La beaute des membres juija. He! Deus! Con ci felon juige a! N'onc de l'ueil lerme n'en issi, I . . . I 6203 Mais, si come il juijait des membres, Comanda il que . . . 11169 Senz faille traitres sui gie (sc. Faus Semblanz), 11170 Ε pour larron m'a Deus juigie. 205 206

glose (Rr 6958, 7080, 7184) und gloser (6934, 7082) kommen in der afr. Literatur vor JdM nie in der Bedeutung »Periphrase, euphemistisch umschreiben' vor. FEW V 56-59; TL IV 1845-51; Gf IV 669, X 52 f.

110

20606 Ε des doiz juigiez les natures, Les queles sont plus vertueuses; 20608 Juigiez des pierres precieuses, Ε puis... Die Verwendung von juigier im nicht-juristischen Bereich wird in den Lexika entweder gar nicht verzeichnet oder in ihrem ersten Auftreten zu spät datiert. Das FEW kennt die drei Bedeutungen .prononcer un avis, un jugement sur' (juger), .enoncer une opinion sur' (juger de) u n d .prendre pour' (juger qc. ä + Subst.) nicht vor dem 16. Jh. Dieselben Verwendungen haben T L mit einer Ausnahme (s. u. 3) erstmals im Rr festgestellt. Beträchtliche Korrekturen erweisen sich hier als notwendig. (a)Marbod: Tut ert colure come sane (sc. l'Yotrophie), I . . . I Si ke tuz ceus ky le verunt Α eclypse le jugerunt (MarbodLap 603-06). (b)Benoit de Ste-Maure: „Siie", fait il (sc. Diomedes), „vostre merci. Conter savez e mieuz jugier: Ci nos porreiz aveir mestier (Troie 6442-44). ( c ) . . . Qu'il sache un ovre bei tiaitier, Bel deflner e dreit jugier, Chose oscure, forte e coverte, Gent declairier e faire aperte (BenDucsNorm 13311-14). (d)Guernes de Pont-Ste-Maxence: Mais um faiseit les portes del burc tutes guaitier; Ε pur quei um le fist, nel vus sai aeuintier. Purquant sulunc le tens en poum bien jugier (GSThom 2026-28). (e)„Partonopeus de Blois": Molt ai oi'diie Sovent Qui tost juge, tost s'en repent (Partonop 8257 f.). ( 0 Dames font toutes ä amer, Celes toutes a refuser; Mais Ii gloton connoissent celes, Et jugent dames solonc eles (ebd. 8387-90). (g)„Renaut de Montauban": Mandes tot vostre effors entor et environ, I . . . I •C. .M. homes menes ο le roial dragon, Issi com jugeront de vostre cort baron (RenMontaub p. 12). (h)Aldobrandino da Siena: Or, convient qui jugier velt, qu'il ne gart mie seulement ä .1 ensegnement que dit avons, mais a .ij. ou a .iij.,... (RegC 202,2). 111

(i) Brunetto Latini: . . . car en ce k'ele (sc. ame) done vie au cors de Thome est apielee ame, et en ce k'ele a volente d'aucune chose est apielee corages, et en ce k'ele juge droitement est apielee raison (BrunL I 15,2).

(j) „Chronique de St.-Denis": . . . ils surent bien que ils ne pourroient avoir longue duree encontre si grant pueple: pour ce, jugierent plus profitable chose ä cesser que ä combattre (ChrDen I 10). ( k ) . . . je te prie . . . que tu ne me despises pas et que tu ne me juges pas moins digne estre de ton lit et de tes embracemens (ChrDen I 70).

(1) „Barlaam et Josaphat": . . . quant vous regardes le corps bei par dehors et bien vestu ou vous le vees lait et mal vestu, si le jugies par l'abit (B&JPr XX 17 f.).

(m)Mahieu le Vilain: . . . mais seulement u cercle de la voie du lait sont entre les grans estoilles petites entresemees, si que nul n'i peut jugier nul semblant d'aucunne figure (Meteora 48, 7).

(n)Baudouin de Conde: Drois dist: Li preudons chevaliers Les doit escouter voulentiers, La primiere fois pour aprendre A quoy leur parier voura tendre, Ou au bien dire ou a mesprendre; Ce doit jugier cuers droituriers (BConde XX 436-41).

(o) „Roman d'Alexandre" = celestre (b) (p)Egidio Colonna: La seconde vertu si est, qu'il sache bien jugier des voies que il pense, et troeve la quele vaut mielz a son propre avoir (GouvRois 37, 13).

(q)JdM 207 : Ο tu maistraisse, que juiges tu donques de ce? (JdMBoeth I pr. 4, 77).

(r) Henri de Mondeville: Tout le cervel est jugie froit et moiste par regart resonnable, mes le premier ventrail est jugie chaut et sec au regart des autres parties de l u i . . . Et eel ventrail est jugie chaut et moiste au regart des autres .2. parties (HMond 186 f.).

207

BoethCons I pr. 4, 22: Quid igitur, ο magistra, censes?

112

(s) Le ventrail du milieu est plus petit que les autres .2., ou quel est la vertu resonable estimative, qui juge et devise et ordenne les choses qui li sont offertes par le premier ventrail de ('imaginative (HMond 187).

Es zeichnen sich also für juigier, wo es außerhalb der Gerichtssphäre begegnet, vier verschiedene Bedeutungen ab: 1. .allgemein ein Urteil abgeben, eine Meinung äußern' (b—e, h—i, m); diese Verwendung darf als die im 12. Jh. geläufigste gelten. 2. ,über etw. urteilen, etw. beurteilen' (f, 1, n, o—q, s). Tatsächlich tritt diese Bedeutung im 12. Jh. nur einmal ( 0 auf, und (1) stammt aus einem vor 1275 fertiggestellten Text, so daß ein, vielleicht sogar zwei Fälle JdM' Fortsetzung des Rr vorangehen. Die Beispiele dokumentieren immerhin, obwohl sie nur eine Auswahl darstellen, daß juigier .beurteilen' erst seit dem letzten Viertel des 13. Jh. häufiger auftritt. 3. .halten für etw., als etw. bezeichnen' (a, k, r). Wieder geht der Verwendung dieser Bedeutung im Rr ein Beleg aus dem 12. Jh. voraus (a), evtl. ein zweiter, denn die afr. Fassung der großen französischen Chroniken wurde Anfang der siebziger Jahre begonnen. TL verzeichnen drei weitere Belege aus der Zeit vor dem Rr. 4. ,etw. für gut befinden' ig, j). Auch diese Bedeutung kennt das FEW erst seit ca. 1450. Zwar treten die beiden für den Rr nachgewiesenen Bedeutungen vor 1270 nur selten auf, dennoch läßt sich nicht behaupten, JdM habe sie zum ersten Mal verwendet (TL) oder sie begegneten nicht vor Henri Etienne (FEW).

42. LECTURE 208 .Lektüre, das Lesen von Texten' 19657 Cil qui tel maistresse (sc. Nature) despisent, Quant a rebours ses regies lisent, Ε qui pour le dreit sen entendre Par le bon chief nes veulent prendre, 208

FEW V 235; TL V 300; Gf IV 753, X 69; LaC VII 159; DG 1387; DuC IV 54; Fore III 720; MLLM 592. Zum höheren Unterricht vgl. GrabmannGSM II 13-24; Renaiss Xlle 2 1 3 - 3 9 ; P.O.Kristeller: Der Gelehrte und sein Publikum im Mittelalter und in der Renaissance. Fs. Bulst (Heidelberg, 1960) 2 1 2 - 3 0 , bes. 2 1 4 - 1 7 . Zur Verwendung grammatischer Termini als Metaphern vgl. den für das MA sehr dürftigen Abriß bei CurtEL 416.

113

Ainz parvertissent Tescriture 19662 Quant il vienent a la lecture; / . . .

Die folgende Untersuchung soll keinen Beitrag zur Metaphorik bei JdM bringen, sondern das Wort lecture lexikalisch und semantisch in der afr. Literatur verfolgen und die reale Basis der grammatischen Metapher aufdecken. Es würde zu weit führen, die Dokumentation der Lexika zu lecture im Detail zu referieren. Das Ergebnis lautete, daß lecture erstmals bei Gilles le Muisit (ca. 1350) vorkommt, und zwar in der Bedeutung ,Lesung, Vorlesung' (TL); Gf nennt diese Bedeutung sogar erst für 1498. Die Tätigkeit des Lesens, private Lektüre bezeichnet lecture nach einstimmiger Angabe des FEW und Gf seit 1495. Keins der Handbücher verweist auf den Rr, ausgenommen LaC, und dort wird das Wort dem juristischen Bereich zugewiesen und soll .chevalier en lois' bedeuten. (a)JdM209: . . . comme cist eust ainsi sa sentence amendee, voire neis par contraignance lessiee, sa lecture fut en si grant despit que a paine peut il plus estre receus a autre choses appartenans a logique (JdMAbael 115). Gemeint ist eine Vorlesung des Guillaume Champeaux über Logik, gegen die Abelard bedeutsame Einwände vortrug.

(b)ds. 210 : Et me demenda Ii ungs . . . que il m'estoit avis de la lecture des livres de divinite (ds. ebd. 214). Es geht um Abelards Privatlektüre theologischer Texte.

Welche genaue Bedeutung von lecture 19662 vorliegt, ergibt sich, wenn man die entsprechenden lt. Wörter, LECTIO und LECTURA, untersucht und außerdem den Grammatikunterricht jener Zeit - denn darum handelt es sich trotz gegenteiliger Behauptung bei LaC (s.u.) - in seinen Eigenheiten kennenlernt. Während LECTIO seit der Klassik unter anderem sowohl die Tätigkeit des Lesens als auch den Lesestoff selbst bezeichnet, verzeichnet Forc LECTURA als Hapax legomenon, und zwar bei einem splt. Grammatiker, der es auch nicht im fortlaufenden Text setzt, sondern als Exemplum für eine bestimmte grammatische Erscheinung zitiert (ProbArtMin 800). Nach DuC und dem MLLM gibt es LECTURA nicht vor dem 14. Jh., in der Bedeutung .Vorlesen'

209

210

AbaelEp 9 8 : . . . cum hanc ille conexerit, immo coactus dimiserit sententiam, in tantam lectio ejus devoluta est neglegentiam, ut jam ad cetera dialectice vix admitteretur. AbaelEp 191: Ubi cum me quidam . . . interrogavisset, quid mihi de divinorum lectione librorum v i d e r e t u r , . . .

114

sogar erst seit 1454 (vgl. hierzu die Korrektur unten A. 211). Hingegen fand ich in einer Studienordnung des Jahres 1255 unter anderem folgende Anweisung: (c)lncipientes autem post festum beati Dyonisii tan to posterius aliis suos libros terminent, quanto tardius aliis ineeperint. Unusquisque bona fide secundum suam estimationem proportionabit librorum suorum portionem secundum portionem temporis sue lecture statuti (ChartUP Nr. 246 p. 278). Immer wieder stößt man bei der Lektüre, besonders von Autoren des 12. Jh., auf Einteilungen des Lernprozesses, die sich auf einen gemeinsamen Kern reduzieren lassen. Hugues de St.-Victor spricht von einer Zweiteilung in LECTIO und MEDITATIO, wobei ersterer das größere Gewicht zufällt: (d)Duae praeeipue res sunt, quibus quisque ad scientiam instruitur: videlicet lectio et meditatio, e quibus lectio priorem in doctrina obtinet locum (HugoSVDidask I 1 = Kol. 741). Johannes von Salisbury gliedert die LECTIO in LECTIO MAGISTRI und LECTIO DISCIPULI, fügt als vierte Form die ASSIDUITAS OPERIS hinzu, die allerdings weniger eine weitere Objektkategorie als eine Modalkategorie darstellt: (e)Precipue autem sunt ad totius philosophie et viitutis exercitium, lectio, doctrina, meditatio et assiduitas opens. Lectio vero scriptorum preiacentem habet materiam; doctrina . . . (JohSarMet 853 a; vgl. ds.ebd. 853 d). ( f ) Ingenii natura potens cito possidet omnes Artes, si fuerit ista sequela comes: Auditus verbi, librorum lectio, solers Cura, quies studiis apta, fidelis amor (ds. Enth 167-70). Vincent de Beauvais bringt die Norm, ein dreiteiliges Schema, und setzt gleich die entsprechenden Verbalformen hinzu: (g)Lectionis genus triplex est, scilicet docentis, discentis, per se inspicientis. Dicimus enim Lego librum Uli, & Lego Iibrum ab illo, & Lego librum (VincBell II, I 27). Der theologische wie auch der grammatische Unterricht gliederte sich also in den Lehrvortrag, einen gemeinsamen Übungskursus und die selbständige häusliche Nachbereitung oder Rückbesinnung 2 1 1 .

211

Vgl. desputer und lire. Es gibt noch eine weitere Verwendung von LECTURA, die aber für den vorliegenden Text des Rr ausscheidet, da sie sich auf biblische Unterweisung bezieht. Abhandlungen über einen Bibeltext heißen allgemein COMMENTARIA; hat der Dozent sie selbst verfaßt, gelten sie als EXPOSITIONES, stellen sie Vorlesungsnachschriften, REPORTATA, von Studenten dar, bezeich115

Kehren wir zum Rr zurück. Falls das Vokabular des Kontextes, regle, maistresse, lire, dreit sen, escriture, noch nicht deutlich genug den Bereich der Grammatik charakterisiert, um LaC' Zuordnung in die Jurisprudenz zu widerlegen, so führt ein Vergleich mit JdM' frei bearbeiteter Vorlage, einem Ausschnitt aus Alans „De planctu Naturae", zu der unabweisbaren Bestätigung dieser Interpretation: (h)Solus homo meae moderationis citharam aspernatur; et sub deliiantis Orphei lyra delirat: humanum namque genus a sua generositate degenerans, in conjunctione generum barbarizans, venereas regulas immutando, nimis irregulari utitur metaplasmo: sicque homo a venere tiresiatus anomala, directam praedicationem in contrapositionem inordinate convertit. A Veneris igitur orthographia homo deviando recedens, sophista falsigraphus invenitur (AlanPN 294 inf.)·

Durch eine Übertragung in verschiedene Meta-Bereiche geißelt Genius im Namen von Göttin Nature anomales geschlechtliches Verhalten, sei es Enthaltsamkeit von der Zeugung, sei es die am Beispiel des Orpheus demonstrierte Homosexualität, weil solches Tun wider die Natur sei. Nature hat als Lehrmeisterin (maistresse) ihre Ordnung (regies) gesetzt, die von den Menschen verkehrt wird (a rebours... lisent), weil sie der Meinung sind, den tieferen Sinn (dreit sen) des Textes (escriture) zu erfassen, wenn sie ihn bei ihrer nachträglichen Privatlektüre (lecture) in ihrer perversen Art verdrehen (parvertissent).

43. LIRE212

.unterrichten, Vorlesung halten'

Der folgende Artikel verfolgt ein doppeltes Ziel, 1) das Wort lire in seiner Anwendung auf die Universitätspraxis, speziell das Dozieren an der Universität zu verfolgen; 2) die viel diskutierte, nicht endgültig geklärte Bedeu-

212

net man sie als LECTURAE (GlorRep I 16). - Diese Ausführungen sind insofern unvollständig, als LECTURA auch Vorlesungen und Kommentare zu Schrifttexten bezeichnet, und zwar bereits im 13. Jh. Der italienische Chronist Salimbene schreibt in seiner 1283 abgeschlossenen Chronik: . . . Adae de Marisco, cujus lecturam super Genesim audivi ab eo (Salimbene p. 126). - (Bonaventura) fecit leoturam super totum Evangelium Lucae (ds. p. 129). - . . . Henricus sextus, qui fuit Imperator . . . , amicus fuit abbatis Joachym de ordine Floris, ad quem etiam scripsit „Lecturam Isaiae super oneribus" ipso petente (ds. p. 176). Da das letztgenannte Werk nach O. Holder-Egger, Italienische Prophetien des 13. Jahrhunderts, Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde IS (1890) 1 4 1 - 7 8 , nicht von dem Abt Joachim selbst, sondern in (italienischen ?) joachitischen Minoritenkreisen kurz nach 1250 verfaßt ist, läßt sich LECTURA .Vorlesung, Kommentar' vom 15. Jh. (so DuC und das MLLM, s.o. S. 114) bis in die Mitte des 13. Jh. vordatieren. FEW V 2 4 2 - 4 4 ; TL V 5 0 5 - 1 1 ; Gf X 86 f.; DuC IV 60; Forc III 725; NGML 86 f. Vgl. auch PareScol 25 f., ParelL 18 f.

116

tung der Verbindung clerc lisant erneut zu überprüfen. Beide Fragestellungen treffen sich in der Entwicklung, die das Verb lire im Verlauf seines Auftretens in afr. Texten von der Bezeichnung privaten Lesens, der Schriftlektüre, zum öffentlichen Lesen, dem Lehrervortrag, durchmachte. j 213

7099 Car Piatons lisait en s'escole Que donee nous fu parole Pour faire noz vouleirs entendre. 11489 (Kontext und Erläuterung unter desputer) 12352 J'ai de divinite congie, 12353 Veire, par Deu! pie^'a leü. 12803 (Text unter pratique -

theorique)

12815 . . . Mais tant a que je ne finai Que la science en la fin ai 12817 Don bien puis en chaiere lire. 13497 Car bien sai que cete parole Sera leü en mainte escole . / . . . 13503 Ε quant de mei departireiz, 13504 Se Deu plaist, encore en lireiz, Ε en sereiz maistres con gie, 13506 Je vous doing de lire congie, Maugre trestouz les chanceliers, / . . . 13515 Mais que ma Ιβςοη seit leiie, Quant vous l'avreiz bien retenue. 20633 Car Ιβςοη a bries moz leiie Plus est de legier retenue. Die Lexika verzeichnen ohne Ausnahme lire ,enseigner, professer' seit ca. 1150 (FEW) bzw. seit dem „Aeneasroman" (TL, Gf), machen aber keinen Unterschied zwischen der konkreten und der übertragenen Anwendung und arbeiten außerdem die Wendung clerc lisant unter .lehren' mit ein. (a) „Aeneasroman": Amors a escole m'a mise, I . . . I Amors, molt sai bien ma lefon; Or ne m'as leü se mal non, Del bien me redevroies lire (En 8183-87). (b)Benoit de Ste-Maure: En Amors a trop grevos maistre; Trop par lit grevose Ιεςοη (Troie 18450 f.). 213

Die Stellen, an denen lire metonym die Schule Amors bezeichnet, werden aus Platzgriinden und vor allem,weil sie für die Wortgeschichte keine neuen Aspekte ergeben, nicht ausgeschrieben: Rr 4369, 5757,10648,13028.

117

( c ) A i m o n de Varennes: Amors vos gucrrait, qui est sage. I . . . I Voire, mout me bat an s'escole: Dou mal m'a il assez aprise. Dirai li que dou bien me lisse (Florimont 8 4 4 4 - 4 8 ) . ( d ) G u i o t de Provins: Teil soloient li dcvin estrc Que Ii boin clcrc et li boin mcstre Lisoicnt por Deu puremcnt, Et en verai entendement Tenoient cscolles loaus (GuiotBible 2 2 9 5 - 9 9 ) . ( e ) „ B a r l a a m et J o s a p h a t " : . . . Ainz cuides bien que ge t'ensain Ε que te lisse tel lefon Qui ost de toi la sospcfon I . . . I Ou tcscors est e nuit e jor (B&J 1 5 8 2 - 8 6 ) . ( 0 Henri d'Andeli: Ele (sc. Astrenomie) fust ja toute esgaree, Ne fust mestre Gautiers li preus, I . . . I L'Englois qui lut sor Petit Pont, Qui por povrete se repont (HAndArs 4 0 1 - 0 5 ) . (g)Rutebeuf: Or guerroient (sc. li Jacobin) por une escole Ou il vuelent a force lire. (Ruteb II 15 f.; vgl. ds.ebd. III 52). ( h ) „ L i v r e de j o s t i c e et de p l e t " : . . . por ce deffant Ii papes Honoires et Ii rois de France que celes lois ne soient leues ä Paris (Jostice p. 331). ( i ) Pierre d ' A b e r n o n : A Oxeneford tost s'en ala, Ε en decrez noblement lut la. (StRichard 555 f.; vgl. ds.ebd. 504 =desputer

(ν))

( j ) „ C h r o n i q u e de St.-Denis": Si ne lisoit-on pas tant seulement en celle noble cite des sept sciences liberaux, mais de decres, de loys et de phisique, et sus toutes les autres estoit leue par plus grant ferveur et par plus grant estude la saincte page de theologie (ChrDen IV 139). ( k ) E g i d i o C o l o n n a = estuide

118

(e)

(1) Drouart la Vache: . . . Car, selonc les maistres lisans En fisique, .iii. soufisans Raisons i a par quoi il dient Que li cors d'amer affeblient (DVache 7213-16).

(m)Henri de Mondeville: Or voudrai done mettre et desclairier en cest livre en a p e r t . . . toutes les oeuvres que j'ai peu apercevoir . . . et toutes les choses que je poi comprendre de bien a Paris et a Monpellier, en ouvrant et en lisant et en oiant par plusieurs ans et en lisant cyrurgie communement en chascun des ces lieux et en la seule estuide de medecine a Montpellier (HMond 13).

Tatsächlich läßt sich kein Beleg für lire .enseigner' ausfindig machen, der zeitlich vor dem „Aeneasroman" läge. Sieht man aber den Kontext genauer durch, ergibt sich, daß alle Texte des 12. Jh. (a—c) ausnahmslos mit lire die Belehrung Gott Amors bezeichnen, also das Verb in einen Bereich transponieren, der seit der Antike poetischer Topos ist. Angewendet auf den konkreten Unterricht tritt lire erstmals in einem Werk aus den ersten Jahren des 13. Jh. auf (d), und zwar in einer Kritik an dem verderbten Klerus, der, während er in früheren Zeiten kostenlos (porDeu) lehrte, jetzt nur nach dem Geld schielt. In (e) läßt sich über die Art der Unterweisung keine genauere Angabe machen, seit (f) jedoch besteht an einem Bezug auf die Pariser Universität kein Zweifel mehr. Das Lokalkolorit (Petit Pont = Universitätszentrum (0), Anspielung auf bekannte historische Fakten (Streben der Mendikantenorden nach Lehrstühlen an der Pariser Artistenfakultät (g)), wörtliche Erwähnung von Paris (h, j), Oxford und Bologna (i), Empfehlung zur Einrichtung von Universitäten (k), Bezug auf Dozenten der Medizin (maistres lisanz en fisique (1)) und genauer der Chirurgie von Montpellier (m) weisen eindeutig auf den Lehrbetrieb der neuentstandenen Universitäten hin. In (c) kann Guiot de Provins speziell an Theologieprofessoren denken — devins lautet später im Rahmen der Universität die offizielle Bezeichnung der Magister an der Theologischen Fakultät. LEGERE findet sich vereinzelt in der Antike zur Bezeichnung des üblichen Grammatikunterrichts, in dem Texte laut vorgetragen wurden. DuC weist auf Beda hin, für das MA verzeichnet das NGML seine Verwendung seit ca. 1140. Für das 12. Jh. findeich keinen Beleg außer je einer Stelle bei Bernard Silvestre (n) und Johannes von Salisbury (o); doch sind diese Angaben nicht verbindlich, da der größere Teil des gesichteten Materials dem 13. Jh. angehört. (n)Quicquid Roma legit, quidquid studuistis Athenae, Quicquid Chaldaei dogmatis Indus habet, Quicquid Aristoteles divino pectore sensit Cumque Platonistis Pythagorea cohors, / . . . (BernSilv II 1 4 , 7 1 - 7 4 )

119

(o)Sed quia legendi verbum equivocum est, tarn ad docentis et discentis exercitium quam ad occupationem per se scrutantis scripturas;.. . (JohSarMet 853 d).

Seit der Einrichtung der Universität Paris häufen sich die Fälle in lt. Texten, von denen eine knappe Auswahl vorgelegt sei. (p)Petrus Parisiensis Episcopus (1213): (ordinaverunt).. . Videlicet, quod cancellarius sacramenta fidelitatis vel obedientie vel aliam obligationem aliquam pro licentia legendi danda non ex iget ab aliquo lecturo Parisius (ChartUP Nr. 16 p. 75).

(q)Guillaume de St.-Amor: Sed cum publice & solemniter. . . dimisissem actum legendi coram magistris Scholaribus, reversurus adlicclcsiam Belvacensem... (GuillStAmRespons 94).

(r) Robert Kilwardby: , 0 magister te non legente Parisius dicendum est ve scolaribus ve'. Circa hanc orationem quattuor inquiruntur. Primum est de hac parte ο magister. Secundum est de hiis duobus ablativis te non legente. Tcrtium . . . (Sophismata p. 47 f.).

Für den Rr lassen sich drei Hauptgruppen für den Anwendungsbereich von lire .lehren' aufstellen: 1. ,Vortrag halten, lehren (allg.)' (Rr 7099, 20633); 2. ,Dozieren an der Universität' (Rr 11489; metaph. 12353); 3. ,Belehrung Amors' (Rr 4369, 5757, 10648, 13028). Nicht eindeutig der Gruppe 2. oder 3. sind folgende Fälle zuzuordnen, in denen es sich zwar um Unterweisung in Liebesdingen handelt, das Vokabular des Kontextes aber auf eine Transposition des Themas auf Universitätsebene hinweist: Rr 12803, 12817, 13498, 13504, 13506. 13515. II. Vor einer detaillierten Diskussion der einzelnen Texte scheint es angebracht, kurz die Positionen zu umreißen, die in verschiedenen wissenschaftlichen Beiträgen in der Frage des clerc lisant erreicht worden sind 214 . Zunächst ging es ausschließlich um die Interpretation der Wendung bei Wace. G. Paris berührt in seiner ausführlichen Rezension zu Andresens Ausgabe von Waces „Roman de Rou" diesen Punkt 21s , ohne auf seine Problematik einzugehen: „Le mot de clerc lisant n'est pas clair pour nous; mais il semble bien que Wace ait fait des etudes completes a Paris" (p. 594). 214 215

Zusammenfassung der Ergebnisse bis ca. 1953, in sehr knapper Form und ohne eigene Stellungnahme, bei Ricken 204. Ro 9 (1880) 5 9 2 - 6 1 4 .

120

Mehr als 50 Jahre später gibt Francis im Vorwort ihrer Edition der „Vie de Sainte Marguerite" ihre Unsicherheit zu, wie clerc lisant bei Wace zu verstehen sei. Für Rou III 180 stellt sie die Übersetzungen LECTOR (als geistlichen Rang) oder ,professeur' zur Auswahl, für Rou I 172 .lettre, savant' als ungenaue Wiedergabe von COSMOGRAPHUS einer Vorlage216. Ronsjö kommt in seiner Ausgabe der „Vie de Saint Nicolas" insofern über Francis hinaus, als er auf eine andere Stelle aus Waces „Brut" verweist, in der von einem clerc de lettres die Rede ist, und in den Zusätzen lisant bzw. de lettres eine bloße Verstärkung des Wortes clerc sieht, so daß er bei der allgemeinen Paraphrase ,savant, celui qui est verse dans les etudes' bleibt. Er fügt hinzu, außer bei Wace sei ihm die Verbindung clerc lisant nicht begegnet 217 . Legge kommt zehn Jahre darnach in einer Miscelle erneut auf das Problem zurück. Sie lehnt eine Übersetzung von ,Lehrer' ab, erklärt aber auch Francis' Erläuterung von clerc lisant Rou I 172 als COSMOGRAPHUS für unzutreffend. Zwei neu von ihr hinzugefundene Belege (a, h), ferner eine Variante zu einem Vers der „Chevalerie Vivien" (g) führen sie zu dem Schluß, in Rou III 180 nenne sich Wace einen „clerk of the Minor Orders", während Rou I 172 „the words seem to be used . . . as the equivalent of jongleur', perhaps of a superior kind" 218 . Im darauffolgenden Jahr sucht Francis nochmals die Biographie Waces zu präzisieren, ohne daß sie von Legges Beitrag hätte Kenntnis nehmen können; sie argumentiert nur mit den beiden Stellen aus Waces „Roman de Rou". Ihr früherer Vorschlag, in dem clerc lisant einen LECTOR zu sehen, überzeugt sie nicht mehr, da ihr LECTOR als geistlicher Rang nicht bekannt sei; sie schlägt daher den vageren Ausdruck ,lettre, intellectuel' für Rou III 180 vor. Für die andere Stelle kommt sie auf ihr altes Ergebnis, den COSMOGRAPHUS, zurück und führt weiter aus, man habe in Wace den .professeur, celui qui se consacrait aux etudes historiques' zu sehen, denn sein Hauptwerk stelle Historiographie dar, während die übersetzten Heiligenviten unter die Gattung .serventois' fielen 219 . Insgesamt bringt der Aufsatz eine Wiederholung der mehr als zwanzig Jahre zuvor aufgestellten Hypothesen. H.-E. Kellers in demselben Jahr erschienene Arbeit „Etude descriptive sur le vocabulaire de Wace" (Berlin, 1953) gibt Ronsjö Unrecht, Rou III 180 clerc lisant mit .savant lettre' zu übersetzen, und er geht auf Francis' erste Wiedergabe durch Jecteur' zurück (p. 187 A. 11), erläutert zusätzlich ,fonction 216 217 218 219

Ε. A. Francis (ed.): Wace. La Vie de Sainte Marguerite. Paris, 1932. p. VI f. E. Ronsjö (ed.): La Vie de Saint Nicolas par Wace. Poeme religieux du Xlle siecle. Lund, 1942. p. 16 A.2. M. D. Legge: .Clerc lisant'. MLR 47 (1952) 5 5 4 - 5 6 . Ε. A. Francis: Note sur un terme employe par Wace, avec observations sur la Chronologie de ses oeuvres. Fs. Roques (Paris, 1953) II 8 1 - 9 2 . Zu clerc lisant p. 8 4 - 8 6 . 121

ecclesiastique pendant les offices dans l'eglise'. Rou 1172 übernimmt er ebenfalls ihre Interpretation ,professeur' (p. 74 A. 3). U. Ricken hat bei der Zusammenstellung des Materials für seine Arbeit „ .Gelehrter' und .Wissenschaft' im Französischen" (Berlin, 1961) weitere Verwendungen von clerc lisant gefunden und in einem kurzen Abriß zusammengestellt (p. 204-08). Sein Ergebnis, das er selbst nicht ohne Zweifel vorträgt, lautet: „Es bleibt zu klären, ob die vielfach belegte Verwendung von clerc lisant zur Bezeichnung gelehrter Gewährspersonen nur auf lisant .lehrend' in vielleicht dieser Bedeutung sahen wie clerc lisant bei Guillaume de Lorris oder auch einfach auf lisant .lesend, lesekundig' zuriickgeht. Vieles spricht dafür, daß vorwiegend dieser zweite Aspekt wirksam war. Nur der Lesekundige hatte Zugang zum Quell aller gelehrten Kenntnis, zur schriftlichen Überlieferung, auf die immer und immer wieder zur wissenschaftlichen Bekräftigung einer Angabe verwiesen wird", (p.206). So weit die bisherigen Forschungsergebnisse. Vor einer Auseinandersetzung mit den Verfassern obiger Beiträge scheint es jedoch angebracht, das von Ricken aufgefundene und von mir ergänzte Material vorzulegen. (a)Gaimar. Idonc out le secle dure De la Jesu Nativite Huit cenz e trente seit anζ Si com distrent les clers lisanz (EstEngleis 2381-84).

(b)Benoit de Ste-Maure: troevent bien Ii cler lisant, Ε ancore est aparissant, C'onques en terre n'ot cite Que la (sc. Troie) resemblast de beaute (Troie 2993-96).

(c)Wace: Pur Danaus, un ancesur, I . . . I Se flrent Daneis apeler Pur lur lignage remembrer; U de Danube, un fluni mult grant, Qu'Ester claiment Ii clerc lisant, K i . . . (Rou 167-73). (d)Nies fud al premerein Henri Ε pere al tierz, tuz treis les vi, Treis reis Henriz vi e cunui Ε clerc lisant en lur tens fui (Rou III 177-80).

(e)„Anseis de Carthage": Et de Luiserne i vint rois Aquilans, De barberie Ii fors rois Alestans Et de Palerne Sinagons, Ii puissans, 122

De Salorie B u t o r s , . . . / . . . / Cascun de chaus fu Ii pooirs si grans, Nel porroit dire nus clers, tant soit lisans. (Anseis 2156-62) ( 0 „Bueve de Hantonne" I: Desous Beorges a Ii rois de gent tant, Nel diioit clers en gramaire lissant (Bueve I 8241 f.). (g)„Chevalerie Vivien": De toutes terres en i a venu tant Ne vous diroit nus juglere qui chant, Tant en i a et de divers sanblant (ChevVivien 219-21) 2 2 0 . (h)„Aiol et Mirabel": Al monstier Sainte Crois s'en vint esrant. Prestre, moigne, canoine et clerc lissant L'ymage baptisierent de maintenant. (Aiol 384-86; vgl. ebd. 390: . . . Moyses, Ii clers sachans) (i) „Bueve de Hantonne" III: Desous Maiorge a Ii rois de gent tant, Nel diroit clers en gramaire lisant (Bueve III 9924 f.) 2 2 1 . (j) „Florence de Rome": Seignors, ja fut uns tens, tesmoig des clers lisanz, Que toz Ii mondes fu envers Rome apendanz (FlorRome 14 f.). ( k ) „ B o e v e d e Haumtone": Ne fist unkes deu clerc si bien lisant Ke vus set dire, tant est l'asemble grant (Boeve 3677 f.). (1) Guillaume de Lorris: . . . ne fine de trespasser (sc. Ii Tens), Que Ten ne puet neis penser Queus tens ce est qui est presenz, Sei demandez as clers lisanz (Rr 367-70). (m)Mouskes: Par Ii (sc. Gramare) sont clerc adroit lisant. Et boine clergie aprendant, Quar sans gram are ne puet nus De haute clergie avoir l'us (Mouskes 9706-09). 220 221

v. 1. zu V. 220 nach Legge 555: Ne le savroit dire nus clers lisant. v. 1. zu V. 9925 nach Ricken 205: Nel diroit clers ne grans maistres lesanz. 123

(n)„Maugis d'Aigremont": Li vespres aprocha et jorz va declinant Et les bestes s'esmurent dont il i avoit tant 222 Que ne le porroit dire nul clerc tant soit lisant (MaugisAigr 968-70).

(o)„Galiens li restores": De toute nostre gent ne sont que VI vivant: Roullant et Olivier sont, ie vous voy creant, Et Turpin l'archevesque le sage clerc lisant, Sanson et Guillemer et Richart le vaillant. (GaliensRestore p. 140, 7 - 1 0 )

Zwei Großgruppen lassen sich trennen: 1. Clerc lisant bezeichnet einen noch näher zu definierenden Gebildeten; 2. Clerc lisant bildet ein Glied eines Unsagbarkeitstopos223. Zwar erlauben einige Texte, die Beschäftigung des jeweiligen clerc lisant genauer festzulegen, so ζ. B. von Chronisten bzw. Komputisten (a, j, 1) und von Kosmographen (b—c) zu sprechen, daneben stehen jedoch Texte wie (d, h, o), wo eine klare Entscheidung schwerfällt224. In (d) und (h) clerc lisant mit Legge für einen Angehörigen des niederen Klerus zu halten, verbietet das Fehlen jeglicher Anhaltspunkte für eine solche Interpretation. Die Verfasserin ging wohl von (h) aus, sah in den dort aufgestellten kirchlichen Rängen eine feste Hierarchie, und da clerc lisant am Versende stand, mußte es hier und deshalb auch bei Wace einen „clerk of the Minor Orders" bezeichnen. Dagegen läßt sich Verschiedenes vorbringen: lisant findet sich, abgesehen von (d), in allen zitierten Stellen am Versende, und in der Hälfte der Fälle nimmt clerc die vorletzte Position ein, so daß der Versbau für die Interpretation keine Hilfe bietet. So mag clerc lisant am Ende einer Abfolge geistlicher Titel zusammenfassend ,und sonstige gelehrte Männer' heißen. Gegen den niederen Klerus spricht ferner eine Stelle, die Legge offensichtlich nicht bekannt war (o). Erzbischof Turpin heißt dort sage clerc lisant — und dieser Rang gehört doch wohl kaum zu den niederen der Kirche. Legt man hingegen ohne eine Differenzierung in Chronisten, Geographen etc. für die hier angeführten Belege die Bedeutung .Gebildeter, Gelehrter' zugrunde, finden alle noch offenstehenden Fragen ihre Antwort. Wace hatte in Paris studiert und betrieb seine wissenschaftlichen Studien, Vorbereitung zu seinen Chroniken, zur Zeit der drei englischen Könige mit Namen Heinrich (d). 222 223 224 124

v. 1. im Codex Ρ zu V. 9 7 0 : . . .joglere qui chant. Zu den Unsagbarkeitstopoi vgl. CurtEL 168-71. Zu (m) vgl. unten A.226.

Turpin gehört allein durch seine Position als Erzbischof zu den mit hervorragendem Wissen begabten Personen (o). Die Tatsache, daß clerc lisant bereits ca. 60 Jahre nach seinem ersten Auftreten zum festen Bestandteil einer vor allem im Epos immer wiederkehrenden Wendung wurde, setzt voraus, daß der Inhalt dieser Verbindung feste Vorstellungen erweckte, also clerc lisant in der zweiten Hälfte des 12. Jh. zu einem allgemein bekannten Begriff geworden war, und solch ein Schlagwort, wenn ich es einmal so nennen darf, kann nicht je nach seinem Kontext verschiedene Bedeutungen besitzen, sondern es wird eher einen vageren, aber dafür breiter verwendbaren Inhalt aufzeigen. Diese Überlegungen decken sich mit dem oben für die konkrete Verwendung von clerc lisant deduzierten Ergebnis, die Wendung allgemein mit .Gebildeter, Gelehrter' wiederzugeben. Bleibt der Einwand, ob nicht in clerc lisant der Lehrer, der Dozent zu sehen sei, da doch lire im Afr. auch .unterrichten' heißt. Ricken glaubt „ohne Zweifel" eine Verbindung mit dem Lehrbetrieb aufstellen zu können. Er verweist auf die LECTIO als Hauptbestandteil des scholastischen Unterrichts, auf JdM' Übersetzung von LICENTIA DOCENDI durch congie de lire, zitiert aus JdM' „Testament" maistres lisans und sieht auch in clers lisanz (1) mit einiger Wahrscheinlichkeit Universitätslehrer (p. 204 f.). Doch beachtet Ricken die Datierung und die Gattungszugehörigkeit der Werke, aus denen er seine Belegstellen gewinnt, nicht. Ebenso läßt er die Bedeutungsentwicklung von afr. lire unberücksichtigt225. 1. Bezeichnenderweise gehören die Werke, denen die Belegstellen entstammen, abgesehen von dem Epigonenepos (o) und von (m) 226 , einem etwa hundert Jahre umfassenden Zeitraum an (1140—1240), so daß ein Verweis auf scholastisches Vokabular von JdM - das Ricken z.T. aus Werken des Dichters zitiert, die Jahrzehnte nach dem Rr abgefaßt wurden — für eine Beweisführung unbrauchbar ist. 2. Die angeführten Textstellen stammen ausnahmslos aus Chroniken, höfischen Romanen und in der Mehrzahl aus Chansons de geste, in denen a priori von Unterricht und erst recht von Universitätsvorlesungen nicht die Rede ist, wenn man von einigen allgemeinen Bemerkungen über die Erziehung der jugendlichen Helden absieht. 3. Die voraufgehende Untersuchung über die Geschichte des Wortes lire in der afr. Literatur hat gezeigt, daß es im 12. Jh. nur metaphorisch die Belehrungen Amors bezeichnet, also einen poetischen Topos der Antike fortfuhrt und erst bei Henri d'Andeli eindeutig auf den Universitätsbetrieb hinweist. Mit der „Bataille des sept arts" befinden wir uns aber in einer Zeit,

225 226

Dies kommt für sein Ergebnis aber nicht zum Austiag, da er durch weitere Belege zu einer richtigen Interpretation gelangt. Bei Mouskes liegt nicht die feste Wendung clerc lisant vor, sondern es handelt sich um eine Partizipialkonstruktion.

125

in die der bis auf weiteres letzte Beleg für clerc lisant fällt (l) 227 . Es darf als sehr wahrscheinlich gelten, daß eine seit ca. 100 Jahren nicht gerade selten verwendete Formel nicht plötzlich eine andere Bedeutung annimmt, genauer gesagt, clerc lisant im ersten Teil des Rr anstelle des Gebildeten den Hochschuldozenten bezeichnete. Ferner sei daraufhingewiesen, daß das bei JdM festgestellte scholastische Vokabular bei Guillaume de Lorris sich nicht nachweisen läßt. Der Formelcharakter der Verbindung clerc lisant und ihre Semantik gewinnen noch von anderer Seite einiges Licht. Eine Kontrolle der Epitheta zu clerc führt zu dem Schluß, daß das Wissen als besonderes Attribut des clerc immer wieder erscheint: clers merveillos e sages e escientos (Troie 45 f.) clers de letres (BenDucsNorm 29163) clers de mult grant escient (ds. ebd. 29202) clers sages e bien letrez (Graal 4150) clers sages d'astrenomie (ds. ebd. 7548) clerc sachanz (Aiol 390) clers de mon savoir (Miracles I, Mir. 18, 174) clers e sages hom (HAndArist 520) Clers dit autretant conme sages (ImM III 65) sages clers (BrunL I 2, 3) 228 Sein gründliches Wissen aber erwirbt der clerc durch intensive Lektüre der lt. Autoren, so daß gramaire gelegentlich sogar prägnant die Bedeutung ,1t. Text' annimmt 229 . (p)„Florence de Rome": Bien i (sc. en l'abaie) ot cent nonainz, qui lisent de gramaire (FlorRome 5504).

Dieser Text kann wiederum als Beleg dafür dienen, daß in (f) und (i) clerc en gramaire lisant sicher nicht einen Lehrer oder Professor meint, der Grammatik lehrt. Eine Abwandlung des Unsagbarkeitstopos läßt auch für clerc lisant als feste Formel erkennen, daß clerc den Studenten, den Gebildeten bezeichnet und nicht nur den Magister: (q)Baudouin de Conde: Sous ciel n'a clerc, tant seuist lire N'estudiier parfitement, 227 228 229

(o) wurde oben schon als Ausschnitt eines Epigonenwerks charakterisiert, und außerdem ist die Datierung sehr unsicher. Weitere Beispiele bei Ricken. Vgl. TL IV 530-33.

126

Qui tous les biens del fondement Vous euist en un jour descris (BConde XXI 346-49).

Die Untersuchung führt zu dem Ergebnis, das Ronsjö ohne weitere Materialkenntnis außer Waces Werken durch bloße Analogie zu einer anderen Verbindung clerc de lettres vermutet hatte und das Ricken trotz verschiedener falscher Umwege (s.o.) für wahrscheinlich hält, nämlich daß lisant synonym zu sage, sachant, letre etc. steht und clerc lisant allgemein den Gebildeten, Gelehrten aufgrund seiner Fähigkeit, lt. Texte zu lesen, bezeichnet, aber nicht mit der Lehrtätigkeit an Schule und Universität in Verbindung gebracht werden darf, jedenfalls nicht in den oben angeführten Textausschnitten des 12. und 13. Jh. 44. MONTEPLIER230 .multiplizieren' 12796 (Kontext unter figure)

Während monteplier .vermehren* seit dem Beginn des 12. Jh. vorkommt, verzeichnet das FEW das Verb als mathematischen Terminus im Rr als Hapax legomenon für das Afr., und der nächste Beleg fände sich im Mfr. bei Christine de Pisan. TL verweisen nur auf den Rr, Gf bringt keinen Beleg vor Christine de Pisan. Diese Angaben bedürfen einiger Ergänzungen und Korrekturen. (a)Guernes de Pont-Ste-Maxence: Tuz les biens qu'il (sc. Ii reis) m'ad fait ne purreit nuls nuncier. Nis s'um les poeit tuz en cent multiplier, Ne dei jo la dreiture de Deu pur 90 laissier. (GSThom 3 4 3 1 - 3 3 )

(b)Brunetto Latini: La premiere de ces .iiii. siences s'est arismetike, ki nous ensegne conter, nombrer, et joindre l'un conte sour l'autre, et mutepliier Tun parmi l'autre, e t . . . (BrunL I 3, 5).

(c) Alexandre de Villedieu: Se tu veus ton sens enploier En aprandre a mouteploier, Escri tout ton nonbre premier Que tu voudras mouteploier; / . . . (AlgT 3 2 8 - 3 1 ; vgl. ds.ebd. 333, 336 f., 345 u.ö.)

230

FEW VI 2, 204 f.; TL VI 3 6 7 - 7 0 ; Gf V 379.

127

(d)JdM 231 : Mais eil meismes nombrez de ans et chascuns nombres qui pai celui puet estre montepliez ne puet estre comparez a la durance de pardurabletez (JdMBoeth II pr. 7, 56).

Selbst wenn es sich in (a) und (d) nicht um zu einer Rechenoperation verwendete absolute Zahlen handelt, sondern um gezählte Objekte (biens (a);nombrez de ans (d)), liegt doch der mathematische Begriff der Multiplikation zugrunde. Nicht sicher, dennoch höchst wahrscheinlich war der „Tresor" einige Jahre vor dem Rr abgeschlossen; auch der mathematische Traktat, afr. Übersetzung von Alexandre de Villedieus „Carmen de Algorismo", fällt noch in JdM' Schaffenszeit. Von einem Hapax legomenon kann nicht die Rede sein.

45. OPOSICION232 .Gegenüberstellung von Gestirnen' 18933 Ε font les neis e font les grelles (sc. Ii cors celestre), Une eure grosses, autre grailles; Ε noz autres impressions, 18936 Selonc leur oposicions, Ε selonc ce qu'il s'entresloignent, Ou s'apressent ou se conjoignent.

Von den Handbüchern verzeichnen nur das FEW und TL oposicion als astronomischen 1.1., aber das FEW kennt es nicht vor dem 15. Jh., und TL führen nur den Rr und Eustache Deschamps an. Tatsächlich konnte kein weiterer Beleg für das 13. Jh. gefunden werden, wohl aber in einem Text des 14. Jh. (a) Leopold von Österreich: Et quant elles (sc. les estoilles fixes) sont orienteles du Soleil dusques a le quareure elles sont muistes, et puis lueques a l'opposicion elles sont caudes, et a l'autre quadrant elles sont seques (LeopA I 2, 118). ( b ) E t la diversite entre ces 2 auges est Ii equacions dou centre de le Lüne, Ii quelle n'est nule quant le Lüne est en le conjonction u en le opposicion du Soleil, car adonques est tout 1 Ii lingne de le moiiene et de le vraie auge (ds.ebd. II 2, 9).

In der lt. Literatur vor 600 kommt OPPOSITIO ,Gestirnposition' nicht vor. Das älteste von mir aufgefundene Beispiel stammt aus einem Werk des frühen 12. Jh. 233 .

231 232 233

BoethCons II pr. 7 , 1 6 : at hie ipse numerus annorum eiusque quamlibet multiplex . . . comparari non potest. FEW VII 375 f.; TL VI 1156 f.; Latham 323. Aus englisch-irischen Quellen gibt Latham OPPOSITIO als astronomischen Terminus erstmals für das Jahr 1120 an.

128

(c)Adelard von Bath: Haec enim . . . zodiacum in duodecim partes rata ratione dispertit, stellarum magnitudinem, polorum oppositionem, axium extensionem non ignorat (AdelardBath 32,7). Im späten 12. Jh. und erst recht im 13. Jh. häufen sich die Belege 2 3 4 .

46. PARABOLE 2 3 5

1. .Allegorie, Gleichnis' 2.,Sprüche Salomos'.

7153 Si dist l'en bien en noz escoles 7154 Maintes choses par paraboles Qui mout sont beles a entendre; Si ne deit l'en mie tout prendre A la letre quanque Ten ot. 11277 Car Salemons tout a delivre Nous a escrit en un sien livre 11279 De Paraboles, c'est le titre, Tout droit au trentieme chapitre: / . . . Als Allegorie wird parabole von den Lexika einstimmig erstmalig im Rr verzeichnet. TL gibt außerdem an, der Titel Paraboles k o m m e bei JdM zum ersten Mal als afr. Übersetzung für Salomos „Sprüche" vor. Hierzu sind durch neues Material leichte Korrekturen möglich. (a)„Livre de jostice et de plet": Salamon dit en paraboles et Geroismes l'espont, et dit essi que eil s'apoie ä son san, qui ce que Ii plest a dire ou a fere met devant les establissmant a sages (Jostice p. 10). (b)Mahieu le Vilain: Or devon nous savoir que unes manierez de philosophes furent anciennement qui s'entremistrent de traitier divinite par maniere de paraboles et de semblans; et uns autres philosophes furent qui traitierent de nature par raison humaine. Les philosophes qui traitierent par semblans et par paraboles de divinite, done les uns furent Eziode et Osmer et Orphee, et distrent que la mer avoit en soy meismes principes, et la terre aussi (Meteora 72, 18-20). Homer, Hesiod und Orpheus hätten in Anlehnung an die biblischen Gleichnisse metaphorisch Uber naturwissenschaftliche Dinge gehandelt.

234 235

Albumas III 4; AIBitr II 5; VincBell I, XV 9; SacroBoscoSphaer c und d; ThomLex 548 f., ThomLexic 775 u.a. FEW VII 6 0 3 - 0 6 ; TL VII 186; G f X 269; LaC VIII 176; Fore IV 494; DuC V 78; Latham 331. Vgl. S.Battaglia: Dall'esempio alia novella. In: La coscienza letteraria del Medioevo (Napoli, 1965) II 5 3 2 - 3 6 : La parabola. Speziell für den christlichen Bereich: Löfstedt, Latin 8 1 - 8 4 . 129

In kit. Literatur begegnet PARABOLA seit Seneca, und auch im Mit. wird das Wort nicht selten gebraucht 236 .

47. PRATIQUE - THEORIQUE 237 .Praxis - Theorie' (als Zweige der Philosophie) 12801 Bele iere e jenne e nice e fole, N'onc ne fui d'Amours a escole 12803 Ou l'en leüst la theorique, 12804 Mais je sai tout par la pratique: Esperiment m'en ont fait sage, Que j'ai hantez tout mon aage. Das FEW verzeichnet beide Glieder des Gegensatzpaares pratique-theorique erstmals bei Aldobrandino da Siena; TL (abgesehen von einem Beleg aus dem nicht näher datierbaren Lyoner Ysopet), Gf und der DG nennen für pratique Brunetto Latini, für theorique zitieren Gf wie auch der DG kein Beispiel vor dem Rr. Weitere Texte stammen erst aus dem 14. Jh. Korrekturen durch beträchtliche Ergänzung des Materials erweisen sich als notwendig. (a)Benoit de Ste-Maure: Cist trei ordre 238 , qui bien l'espunt, Sai que par düble veie vunt: L'une .practicia' est nomee, Eisi est dite e apeUe; / . . . Auntif sunt qui si fakement Vivent au siecle auntivement, Ε vie auntive est apelee; 236

237

238

Zur Bezeichnung der „Sprüche" Salomos: 1197 (Latham). Im theologischen Bereich: JohSarPolycr 679 a. Im grammatischen Bereich: HugoSVProp 155, 2294 und 2298; EvrBethGr 1121 f.; JohGarlPoet I p. 908 med.; VincBell II, I 43; „Catholicon" unter dem Lemma PARABOLA. Beide Bereiche verbindend: AlexVDDoctr 2563-69. pratique: FEW IX 274-76; TL VII 1695 f.; Gf X 398; DG 1792; Fore IV 767. theorique: FEW XIII, 306; Gf VII 706; DG 2146; Fore VI 89. Vgl. GrabmannGSM II 28-54: Ungedruckte Wissenschaftseinteilungen und Wissenschaftslehren. - ds.ebd. II 235-49: Das „Didascalicon" Hugos von St.-Victor, eine .Hochschulpädagogik' für das 12. Jh. - M.-T. d'Alvemy: La Sagesse et ses sept Filles. Recherches sur les allegories de la Philosophie et des arts liberaux du IXe au XHe siecle. Fs. F. Grat (Paris, 1946) I 245-78. - O. Pedersen: Theorica. Α study in language and civilization. OassMed 22 (1961) 151-66. Zum Rr S. 162. — F. Alessio: La filosofia e le ,artes mechanicae' nel secolo XII. StM 6 , 1 (1965) 71-161. - Ricken 103-12; Zeller, Philosophie II 2,176 ff. Gemeint sind Gottvater, Jesus und der Hl. Geist.

130

L'autre veie est d'autre maniere, Mult est plus estieite et plus flere, / . . . / . . . / .Teorica', fait Ii abes Martins, L'apele e nome li Latins; Ceste ne ν ait par planece, Car trop i est grant la roistesce; / . . . Icist dementres qu'il sunt vif Sunt apele contemplatif; Ε ceste vie contemplative Qui... (BenDucsNorm 11175-78, 11185-87, 11191-98, 11211-14) (b)Angier: Phisitien tot ensement, Qui onqor ore honestement En ceste vile par phisique Gaaigne son vivre en practiqe (zitiert nach Cloran 72). (c)Aldobrandino da Siena: Phisique est .i. science par lequele on counoist toutes les manieres du cors de l'hom . . . et poons dire que ceste science a .ij. parties: l'une des parties est apelee theorike, et l'autre pratike (RegC Proeme 6, 27). (d)Brunetto Latini: Et 90U apertient a la premiere science de philosophie, c'est a theorika, selonc ce ke li livres parole ci apres . . . La seconde partie ki traite des vices et des viertus est de precieuses pieres . . . ; et QOU apiertient a la seconde et a la tierce partie de philosophie, c'est a pratike et a logike. La tierce p a r t i e . . . ensegne a home parier selonc la doctrine de retorike, et coment li sires doit governer ses gens ki souz li s o n t . . . ; et tout ce apertient a la seconde science de philosophie, c'est pratike (BrunL I 1, 2-4). Toute la premiere ce est theorike, et est cele propre science ki nous ensegne la premiere question, de savoir et de conoistre la nature de toutes coses celestiaus et terrienes... Pour ce fu il bien raisnable cose ke ceste sience de theorike fesist de son cors .iii. autres sciences, pour demoustrer les .iii. diverses natures que jou ai devisees. Et ces sciences sont apielees en lor non theologie, phisike, et mathematike (ds. ebd. 1 3, 1). Pratique est la seconde science de philosophie, ki nos ensegne ke l'en doit faire et quoi non. Et a la verite dire ce puet estre en .iii. manieres;... Mais puis ke li ancien sage cognurent ces .iii. diversites, il covint k'il trovaissent en pratique .iii. manieres de science pour adrecier les .iii. manieres de governer soi et autrui, ce sont etique, iconomike, politique (ds. ebd. I 4 , 1 - 2 ) . (e) „Introductoire d'astronomie": Et sera enqueneres de practike et de phisike (zitiert nach GO· ( 0 Jean d'Antioche: . . . philosophie est departie en .ii. parties generaus selonc le double entendement de l'arme, ce est en theorique et en pratique. La theorique si est science de veyr

131

et de legarder soutilment les choses visibles, et vaut tant a dire theorike come veable et de veyr . . . La theorique est devisee en .iii. parties: naturele, mathematique et devine. La pratique est science d'ovrer les choses proposees et necessaires au governement de l'umain lignage, et Ten la peut apeler active ou actuate, ce est a dire ovrable ou d'ovrer (JeanAnt Prol. p. 215).

(g) Henri de Mondeville: Ou non de Nostre Seigneur,... est commencie la pratique de cyrurgie de par Henri d'Esmondeville, son cyrurgien, roboree par theorique, faite a l'utilite de commun, commencie a Paris (HMond 1).

(h) Leopold von Österreich: Queconque cose est en che livre dit si est dit pour le theorique: Ii pratike de ceste science est explikie et exposee es canons et es riules des canons (LeopA Prol. 9).

Im 12. Jh. läßt sich nur die lt. Form nachweisen (a), und die Tatsache, daß der Autor Übersetzung und Erklärung hinzufügt (auntif, vie auntive — contemplatif, vie contemplative), führt zu dem Schluß, daß er aus einer lt. Vorlage zitiert und in der Volkssprache die Bezeichnungen noch nicht bekannt waren. Über (b) können keine genaueren Aussagen gemacht werden, da nur einige Verse in Auswahl aus der Reimfassung der gregorianischen „Dialoge" publiziert wurden (vgl. conclusion Α. 89). So viel läßt sich immerhin erkennen, daß es sich wie auch bei (c) und (g) um eine Unterteilung der Medizin in einen praktischen und einen theoretischen Zweig handelt; dasselbe gilt in (e) und (h) für die Astronomie. Bei Brunetto Latini (d) und nicht viel später bei Jean d'Antioche (f) treten zum ersten Mal in afr. Sprache ausführliche Darstellungen einer Einteilung der Philosophie auf. Als Übersetzungslehnwörter von gr. θ εωρ η τι. κ η τ ε χ ν η - π ρ α χ τ ι χ η τ έ χ ν η begegnen seit Seneca (SenEp 95, 10) PHILOSOPHIA CONTEMPLATIVA PHILOSOPHIA ACTIVA, und an die Stelle von CONTEMPLATIVA kann auch SPECULATIVA treten. Das Substantiv THEORIA verwenden Cicero und Laktanz noch in gr. Graphie; bei Hieronymus stehen THEORIA (HierEzech 12, 40) und THEORICE (HierEp 30, 1; Substantiv und zunächst gr. dekliniert) erstmals als Fremdwörter im Lt.; PRACTICA (VITA) kommt sogar erst bei Fulgentius vor. Im MA jedoch sind die substantivierten Adjektive THEORICA-PRACTICA eine geläufige Erscheinung. Zwei sich mehr oder weniger gegenseitig beeinflussende Einteilungsschemata der Philosophie hat die gr. Antike der Nachwelt vermittelt. 1. Die Gliederung in Physik-Ethik-Logik (wozu es weitere Unterteilungen gab), die, wohl von Platoschülern aufgestellt, von der Stoa übernommen und weiter ausgebaut, in der lt. Literatur, bes. bei den Kirchenvätern, bis Boethius und im MA bei Cassiodor, Isidor, Alkuin, Johannes Scotus, Johannes von Salisbury, sporadisch auch bei Albert und Bonaventura begegnet. 2. Die von Aristoteles aufgestellte Zweiteilung in theoretische und praktische Philosophie, neben der als eigenständige, obwohl der Praxis angegliederte, stark betonte Abteilungen 132

die Logik und die ARTES MECHANICAE standen (auch diese Komplexe wurden bis in Einzelheiten hinein gegliedert, s.u.)· Diese Einteilung vermittelte Boethius dem Abendland 2 3 9 ; beide Schemata erläutert, mit manchen Unkorrektheiten in der Terminologie, Isidor (Isid 2, 24). Grabmann referiert das Einteilungsschema der Philosophie, das Radulfus Ardens ca. 1200 aufstellte 2 4 0 : THEORICA

(0 physica

theologia

mathematica arithmetica musica geometria astronomia

LOGICA

ETHICA solitailadomesticapblitica

grammatica dialectica rhetorica

MECHANICA victuaria laniflcaria axchitectoria suffragatoria medicinaria negotiatoria patrocinaria (GrabmannGSM I 254) Im Prinzip dieselbe Gliederung erkennt man bei Hugues de St.-Victor; die vier Hauptgruppen sind dieselben wie bei Radulfus Ardens: dreiteilige THEORICA, dreiteilige ETHICA (= PRACTICA) (hier SOLITARIA, PRIVATA, PUBLICA genannt), siebenteilige MECHANICA (mit schwankenden Untergruppen), aber zweiteilige LOGICA, und zwar mit einer Trennung in GRAMMATICA (22-gliedrig) und RATIO DISSERENDI, d.h. Dialektik und Rhetorik fallen hier zusammen 2 4 1 . (j) Rursus intelligentia, quoniam et in investigatione veritatis, et in morum consideratione laborat, earn in duas species dividimus; in theoricam, id est speculativam; et practicam, id est activam: quae etiam ethica, id est moralis appellatur. Scientia vero, quia opera humana prosequitur, congrue mechanica, id est adulterina vocatur (HugoSVDidask I 9, Kol. 747). Desgleichen bedient sich Vincent de Beauvais der aristotelischen Wissenschaftseinteilung: (k)Nam propter inveniendam Sapientiam, inventa est Theorica; propter virtutem Practica; propter Necessitatem Mechanica . . . Theorica interpretatur contemplativa, Practica activa, Mechanica adulterina, Logica sermocinalis (VincBell II, I 9). 239 240

241

GrabmannGSM II 30. Während Grabmann das unedierte „Speculum universale" 1101 datierte, haben neuere Forschungen ergeben, daß das Werk rund ein Jahrhundert jünger ist Vgl. Ghellinck, Mouvement theologique 176 A.l. HugoSVProp 192 f., 200-202; bes. 206.

133

Nur für die T H E O R I C A führt Bernard Silvestre die drei Unterabteilungen an: (1) .Praesidet' i. e. sapientia theoricac i. e. theologiae et mathematicae et philosophicae. Ita praesidet quod in theorica continetur sapientia et pro sapientia theorica inventa est (BernSilvAen p. 36, 2 - 5 ) . N e b e n diesen mehr oder weniger differenziert durchgeführten theoretischen Wissenschaftseinteilungen begegnet in T e x t e n , die nicht im engeren Sinne zur philosophischen Fachliteratur gehören, das Begriffspaar PRACTICATHEORICA nicht selten, um die wissenschaftliche Seite einer Fachdisziplin v o n der Praxis abzuheben. (m)Bernard Silvestre: Eo igitur in loco Physin residere super aspiciunt theoricae et practicae individuo filiarum consortio cohaerentem (BernSilv II 9, 53). THEORICA und PRACTICA personifiziert als Töchter der PHYSIS (= PHILOSO PHIA). ( n ) A l a i n de Lille: Jam ex hoc meae doctrinae artificio, cupidinariae artis elucescit theorica, per librum vero experientiae, tibi practicam poteris comparare (AlanPN 300 med.). Metapher: Liebeskunst. (o)Albumasar: Septem inquit sunt omnis tractatus in inieiis Auctoris intentio: opens utilitas: nomen auctoris: nomen libri: locus in ordine diseiplinarum: species inter thcoricam & practicam: partitiones libri (Albumas I 2). Astronomie. ( p ) J o h a n n e s v o n Garlandia: Tria genera sunt que circa artem musicam versantur; unum genus est quod instrumentis agitur, aliud quod fingit carmina, tercium quod instrumentorum opus carmenque diudicat, scilicet theorica (JohGarlPoet I p. 886 inf.). Musik. (q)Mundi, Christe, salus veraque physica, Falli vulneribus nescia practica Concepte meritis, pectoris ulcera Mundes, qui regis ethera (ds. ebd. II 61 = 8 4 8 - 5 1 ) . PRACTICA = Medizin. Eine eklektische Haltung n i m m t Bonaventura ein, w e n n er einerseits die akademisch-stoische Dreiteilung nennt, andererseits d i e Ethik mit der aristotelischen Terminologie ( M O R A L I S SIVE P R A C T I C A ) belegt:

134

( r ) . . . sic in ipsa illuminatione philosophiae, quoniam illuminat aut ad cognoscendas causas essendi, et sic est physica;aut rationes intelligendi, et sic est logica; aut ordinem vivendi, et sic est moralis sive practica (BonavReduct IV p. 242 sup.).

Jetzt wird an den afr. Texten kenntlich, daß den Ausführungen von Jean d' Antioche ( 0 das aristotelische Einteilungsprinzip, Gliederung der theorique in naturele (PHYSICA), mathematique (MATHEMATICA) und devine (METAPHYSICA=THEOLOGIA) und der pratique als auf die euvres dou cors bezogene Wissenschaft, zugrundeliegt. Komplizierter erweist sich Fall (d). Äußerlich bedient sich Brunetto Latini der akademisch-stoischen Dreiteilung in Physik (theorikej, Ethik (pratike) und Logik (logike); schaut man aber genauer hin, so zeigt sich, daß er die nachplatonische Form mit peripatetischem Inhalt füllt. Die Unterteilungen der theorike weichen in keinem Punkt von den Wissenschaftsteinteilungen des Radulfus Ardens (i) oder Hugues de St.-Victor ab; grundlegende Verschiebungen jedoch hat der Autor für die pratike vorgenommen. Zwar wahrt auch er die Dreigliederung in Ethik, Ökonomik, Politik, schwellt aber die letzte erheblich an, indem er sie nochmals unterteilt, und zwar in science politique en oevre (= Mechanik) und science politique en langue (= Grammatik, Dialektik, Rhetorik). Durch diese Subsumierung erreicht er eine Zusammenfassung aller praktischen Disziplinen mit Ausnahme der Logik, der er eine Sonderstellung einräumt 242 und unter der er, wie die drei Untergruppen zeigen, in Wahrheit die Syllogistik versteht: dialetique, efidique, sophistique (dialektisches, apodeiktisches, sophistisches Schlußverfahren). Die Verwendung von theorique-pratique bei JdM findet ihren Platz neben Texten wie (b—c, e, g—h) bzw. in lt. Literatur (m—q), d.h. Trennung einer Fachdisziplin in ihren theoretischen und praktischen Bereich. Einen Sonderfall gegenüber allen afr. Beispielen stellt der Ausschnitt aus dem Rr insofern dar, als hier, analog zu wirklichen Wissenschaften, von einer escole d'Amours (12802) und science die Rede ist, über die Vorlesungen abgehalten werden können (Don bien puis en chaiere lire, Rr 12817). Die Annahme besitzt hohe Wahrscheinlichkeit, daß JdM die Metapher frei nach Alan (n) gebildet hat. 242

Ihre Stellung gegenüber den anderen Wissenschaften läßt sich aus aristotelischen Schriften nicht eindeutig eruieren; möglicherweise sah er in ihr keine eigentliche Fachdisziplin, sondern die zur Forschung überhaupt notwendige Methodologie. So führt Gundissalvi in seiner ca. 1150 entstandenen Einteilung der Philosophie aus: Sola ergo logica est sciencia que docet per notum pervenire ad cognicionem ignoti, quod postea probabitur; quare logica naturaliter precedit omnes partes philosophie theorice et est necessaria Ulis ad acquirendum v e r u m . . . . Set pars et instrumentum simul est logica. Grammatica vero instrumentum est philosophie, quantum ad docendum, non quantum ad discendum — sine verbis enim philosophia potest sciri sed non doceri. - Logica vero, secundum quod utilis est ad veritatem in se et in aliis scienciis inveniendis, instrumentum, set secundum quod philosophia subiecti eius disposiciones inquirit, sicut et de ceteris, pars eius est (GundissDivPhilos 18 f.).

135

48. PROUVABLE243

.wahrscheinlich, e i n l e u c h t e n d begriindbar'

4841 Ne sai se tu le pourras crcire, Touteveis est ce chose voire, Ε si la treuve Ten escrite: Que meauz vaut aus genz e profite Fortune parverse e contraire Que la mole e la debonaire. Ε se ce te semble doutablc, 4848 C'est bicn par argument prouvablc, Car.. . 6623 N'est ce done bien chose prouvable Que sa roc (sc. de Fortune) n'est pas tenable, Quant nus ne la peut retenir, Tant sache a grant estat venir? 15293 One riens η'en dis, mien escient, Coment qu'il m'aut contrariant, Qui ne seit en escrit trouve Ε par esperiment prouve, 15297 Ou par raison au meins prouvable, A cui qu'el seit desagreable. D i e Ü b e r s e t z u n g v o n prouvable

lautet in allen Handbüchern, a u c h in Lg' Glos-

sar ,qu'on p e u t prouver, certain, prouvable', u n d S t e l l e n d e s Rr ( T L führen BrunL an) g e l t e n als Erstbelege. Das F E W verweist auf B r u n e t t o Latini, an anderer Stelle soll diese B e d e u t u n g nicht vor 1 2 8 5 e x i s t i e r e n 2 4 4 . F e r n e r gibt G f an, prouvable

.probable' habe sich nur im K a n a d i s c h e n erhalten.

Ü b e r diese D a t i e r u n g e n k a n n m a n h i n a u s k o m m e n , u n d die S e m a n t i k bedarf einer g r u n d l e g e n d e n Korrektur, u n d zwar nicht nur für prouvable

im Rr.

( a ) „ L i v r e d e j o s t i c e et de plet": Note que provance de cors par droit est aprovee; et l'en dit que ce qui est sanz preu n'est pas; et sentence donne par error provable pot estre rapele'e (Jostice p. 208; vgl. ebd. p. 214). ( b ) B r u n e t t o Latini: La seconde (sc. science) est dyaletike, ki nous ensegne prover nos dis et nos paroles, par tele raison et par teus argumens ki donent foi as paroles ke nous avons dites, si k'eles samblent vöires et provables a estre voire (BrunL I 4, 8). 243 244

FEW IX 4 0 3 - 0 7 ; TL VII 2002 f.; Gf VI 445; LaC VIII 469; DG 1829; Littre VI 562; Fore IV 874 f. Die widersprüchlichen Angaben unter den Lemmata PROBARE und PROBABILIS lassen auf eine Unsicherheit in der Beurteilung der Semantik schließen. Bezeichnend ist die Kritik an dem Lemma von Aalma (i); laut FEW IX 407 A.3 ist eine Glossierung von PROBABILIS durch provable „unzureichend". Unser Artikel wird zeigen, daß die Semantik des lt.-afr. Lexikons völlig korrekt ist, nicht aber die des FEW und anderer Lexika.

136

(C)0r sachies que cis argumens et Ii autre samblable sont necessaire en ceste maniere: s'il a le marge, done fu il navres; mais li voirsamblables est ensi: s'il a mout de poudre sor ses sollers, done a il ale' tongue voie. Ites argumens est provables mais il ne sont pas necessaires, car on poroit bien avoir poudre sour sa chaucemente sans estre ale ne poi ne grant, mes marge ne poroit nus avoir sans navreure (ds. ebd. III 56, 6). (d)Jean d'Antioche 2 4 5 : lei comense la provable constitucion de la judicial maniere (JeanAnt Prol. p. 212). (e)ds.246: La narracion sera provable se l'en voit et entent iceles choses en li qui ont appareissance de verite et de estre en la verite (ds. ebd. p. 230). ( 0 Egidio Colonna: Mes vroie noblece si est Selon les vertus et les biens de l'ame, quer e'est vraie noblece qui aorne le courage de l'omme de bones mours, et bien est provable chose que ceus qui sont nobles selon la quidance du pueple soient noble selon verite, quer il sont en estat la ou il afiert qu'il soient meillors et plus sages des autres (GouvRois 262, 9). (g)Lt.-afr. Lexikon (ca. 1330): PROBABILIS - provable (RoLex I, Rom, 4408). (h)Lt.-afr. Lexikon (ca. 1350): PROBABILIS - provable (RoLex I, Paris, 6785). (i) Lt.-afr. Lexikon (Ende 14. Jh.): PROBABILIS . . . LE - provables (RoLex II = Aalma, 9702). Im Afr. existieren nicht, wie im Nfr., zwei zu verschiedenen Zeiten aus dem Lt. entlehnte bzw. neu als gelehrte Bildung ins Fr. übernommene Adjektive vom Stamm PROB-, ,prouvable — beweisbar' und .probable — wahrscheinlich' 2 4 7 . .Beweisbar' heißt bei JdM demontrable (Rr 4 2 8 0 ) . Im Kit. k o m m t PROBABILIS in den Bedeutungen .glaubhaft, wahrscheinlich' und .annehmbar, gut' vor, und s y n o n y m zu OPINABILIS, CREDIBILIS verwendet es auch Thomas (ThomLex 6 4 7 , ThomLexic 893). Roger Bacon definiert: (j) Probabile autem est quod videtur omnibus, et de quo nec vulgus nec sapiens opinatur contrarium; probabile pluribus est de quo sapientes opinantur contrarium (RogerBacDial p. 313 inf.). 245 246 247

Vgl. Ciclnvent 1, 8, 10: CONSTITUTIO CONIECTURALIS (vgl. auch ds. ebd. 1, 14, 19). Der lt. Text lautet: Probabilis erit narratio, si in ea videbuntur inesse ea quae soient apparere in veritate, si personarum dignitates servabuntur. Probable ,qui a une apparence de verite' existiert laut FEW seit ca. 1380, laut Littre VI 450 seit dem 14. Jh. 137

Der Bereich, in dem Begriffe wie .wahrscheinlich, evident, beweisbar' etc. gesucht werden müssen, ist die Logik mit ihren Unterabteilungen Dialektik und Rhetorik oder, wie Hugues de St.-Victor es ausdriickt, die RATIO DISSERENDI: (k) Ratio disserendi integrales partes habet, inventionem et iudicium; divisivas vero, demonstrationem, probabilem, sophisticam. Demonstratio est in necessariis aigumentis, et pertinet ad philosophos. Probabilis pertinet ad dialecticos et ad rhetores. Sophistica ad sophistas et cavillatores (HugoSVDidask II 30 = Kol. 764). (1) Johannes von Salisbury: Itaque ad demonstrandi scientiam non aspiret, cui probabilia nota non fuerint. Demonstrative (sc. scientie) ergo principia necessaria sunt; dialectice probabilia. Sola enim probabilitas dialectico sufflcit. Unde Cicero in secundo Tusculanarum: Nos qui sequimur probabilia, nec ultra quam quod verisimile occurrit, progredi possumus et refeilere sine iracundia et refelli sine pertinacia parati sumus (JohSarMet 871 b-c). (m) Vincent de Beauvais: Elementa vero quibus haec scientia (sc. Logica) verificatur, quinque sunt, scilicet Demonstrativa, Topices, Sophistica, Rhetorica, Poetica. Demonstrativae proprium est, dare scientiam certissimam de proposita quaestione, Topicae vero rationibus probabilibus, vel verisimilibus, de re dubia fidem facere. Sophistica vero . . . (VincBell II, III 3). Hugues de St.-Victor legt die dreiteilige Dialektik vor, bezeichnet ihre Glieder als DEMONSTRATIO - PARS PROBABILIS - PARS SOPHISTICA, und gleichzeitig teilen er und Johannes von Salisbury den Anwendungsbereich dieser verschiedenen Argumentationsweisen mit. Die DEMONSTRATIO gewährt die höchste Sicherheit und wird von den Philosophen angestrebt; nur den Grad der Wahrscheinlichkeit kann das GENUS PROBABILE für sich beanspruchen, dessen sich Dialektiker und Rhetoren bedienen, und jederzeit müssen sie darauf gefaßt sein, von anderer Stelle widerlegt zu werden; die sophistische Argumentation hat mehr als Form logischen Trainings denn als eigentliche Disziplin zu gelten, wird daher auch oft geringschätzig abgetan 2 4 8 . Die Verachtung Johannes* von Salisbury gegenüber den Astrologen, die er als Vertreter einer PROBABILIS MATHESIS apostrophiert (JohSarPolycr 442 c), und überhaupt gegenüber all denjenigen, die sich mit einleuchtenden, aber nicht beweisbaren Darlegungen begnügen, zeigt seine ironische Frage: (n)Poetas, historicos, oratores, mathematicos probabilis mathematicae quis ambigit esse legendos, maxime cum sine his viri esse nequeant vel non soleant litterati? (JohSarPolycr 655 c)

248

Vgl. cavillacion.

138

Die Angaben von Vincent de Beauvais führen noch einen Schritt weiter, denn er ordnet die RATIONES PROBABILES der Topik zu. Eine Schrift dieses Namens findet sich im aristotelischen Organon, und Cicero faßte sie kommentierend in einem ebenfalls „Topica" überschriebenen Werk zusammen 249 . Hier erfährt man, daß die zur Erläuterung einer umstrittenen Frage angeführten Begründungen entweder aus der Sache selbst gezogen oder von außen an sie herangetragen werden; und zu letzterer Gruppe zählen u.a. Zeugenaussagen, glaubwürdige historische Überlieferung, durch die Zeit gefestigte Erfahrungstatsachen: (o)Sed quoniam ita a principio divisimus, ut alios locosdiceremus in eo ipso de quo ambigitur haerere, de quibus satis est dictum, alios adsumi extrinsecus, de eis pauca dicamus . . . Haec ergo argumentatio, quae dicitur artis expers, in testimonio posita est. Testimonium autem nunc dicimus omne quod ab aliqua re externa sumitur ad faciendam fidem. Persona autem non qualiscumque est testimoni pondus habet; ad fidem enim faciendam auctoritas quaeritur; sed auctoritatem aut natura aut tempus adfert (CicTop 72 f.; vgl. auch Isid 2, 30, 14 f.).

Festzuhalten ist aus diesem Text vor allem, daß das Gerichtswesen in diese für die Rhetorik und Dialektik geltenden Regeln einbezogen wird, denn in der Antike bildete die forensische Rhetorik den Kern der Redekunst überhaupt. Aber auch für den Redner allgemein gelten Ciceros Empfehlungen, wenn er einen glaubhaften Vortrag halten will: (p) Quoniam igitur invenire primum est oratoris, quid quaeret? - Ut inveniat, quem ad modum fidem faciat eis quibus velit persuadere, et quem ad modum motum eorum animis adferat. — Quibus rebus fides fit? - Argumentis quae ducuntur ex locis aut in xe ipsa insitis aut adsumptis. - Quos vocas locos? - In quibus latent argumenta. - Quid est argumentum? - Probabile inventum ad faciendam fidem. - Quo modo igitur duo genera ista dividis? - Quae sine arte putantur, ea remota appello, ut testimonia; insita, quae inhaerent in ipsa re (CicPartitOr 5 f.).

ARGUMENTUM definiert er also als PROBABILE INVENTUM AD FACIENDAM FIDEM. Und FIDES bedeutet hier nichts anderes als das, was JdM an anderer Stelle als creance bezeichnet (s. o. S. 54), während Übersetzungen wie demontrance, preuve vollkommen abseits liegen. Nach diesem Exkurs in die gr. Logik wird die Verwendung von prouvable in den afr. Texten verständlicher. Evidente Beweise aus dem Bereich der Rechtssprechung ergeben sich durch wahrscheinliche, glaubwürdige, aber nicht immer absolut gesicherte Argumentation, so daß in den Fällen (a) und (d) provable ,evident, einleuchtend' heißen muß, nicht .beweisbar'. Für (b) wird die-

249

Da es hier nicht um eine Untersuchung der Quellen des Rr geht, bleibt die Frage offen, ob JdM sein Vokabular aus der ciceronianischen oder der boethianischen „Topik" bezog.

139

selbe Folgerung unterstützt durch Wendungen des Kontextes wie argumens ki donent foi (FIDES = creance, s.o.) und (paroles) samblent voires et provables a estre voires. Im Fall (c) klärt sich die Bedeutung von provable ebenfalls durch die Charakteristik des Arguments als voirsamblables... pas necessaires, und die angeführten Exempla stützen dieses Ergebnis. Bei Jean d'Antioche (e) liegt der Fall der zivilen Rhetorik vor, und provable .wahrscheinlich' ergibt sich sowohl aus dem Text der lt. Vorlage als auch aus dem afr. Kontext choses... qui ont appareissance de verite. Auf ( 0 trifft zu, was Roger Bacon (j) als Definition von PROBABILE vorlegt. Hier liegt der Fall einer ARGUMENTATIO EX LOCIS EXTRINSECUS ADSUMPTIS vor: die empirische Erfahrung legt den wahrscheinlichen Schluß nahe, daß ein Mensch adliger Geburt auch wirklich edel sei, zumal ihn sein Stand gegenüber dem gemeinen Volk auszeichnet. Beweisen läßt sich eine solche Folgerung nicht. Im Rr hält Raison einen Vortrag über das wechselhafte Verhalten Fortunas und gelangt zu dem Ergebnis, Unglück diene den Menschen mehr als Glück (Rr 4844—46). Sollte dies dem Gesprächspartner zweifelhaft (doutable) vorkommen und er der Aussage keinen Glauben schenken (creire), will Raison ihre Behauptung durch Anführung von Gründen glaubhaft (prouvable) machen. Diese Argumente bestehen aber nicht aus notwendig gesicherten Beweisen, sondern aus einer Beschreibung des Wirkens Fortunas. Fachterminologisch gesprochen liegt ein aus internen Gründen sich ergebendes dialektisches Schlußverfahren vor, ARGUMENTUM EX EFFECTIS bzw. CAUSARUM EVENTUS, das Cicero folgendermaßen theoretisch formuliert: (q)Ducuntur etiam argumenta ex eis rebus quae quodam modo adfectae sunt ad id de quo quaeritur. Sed hoc genus in pluris partis distributum est. Nam alia coniugata appellamus, alia ex genere, alia ex forma, alia ex similitudine, alia ex differentia, alia ex contrario, alia ex adiunctis, alia ex antecedentibus, alia ex consequentibus, alia ex repugnantibus, alia ex causis, alia ex effectis, alia ex comparatione aliorum aut parium aut minorum (CicTop 11; vgl. ds. PartitOr 7).

Dieselbe Erklärung trifft für Rr 6623 chose prouvable zu. Die unaufhaltsame Bewegung von Fortunas Rad hat als glaubwürdige Tatsache zu gelten, da die Folge bekannt ist: nus ne la peut retenir (= ARGUMENTUM EX CONSEQUENTIBUS). Rr 15293-98 bilden einen Teil von JdM' Apologie, nicht selbst für sein Werk verantwortlich zu zeichnen, sondern nur Autoritäten benutzt zu haben. Der Rr enthält keinerlei Aussagen, die nicht durch schriftliche Autoritäten zu stützen wären (Rr 15295), auf experimentellem Wege bewiesen werden könnten (15296), durch Vernunftgründe als wahrscheinlich gelten dürften (15297). Aus der Dreigliederung wird eine Abstufung innerhalb der Sicherheit der betreffenden Aussagen ersichtlich. 140

Für die Benutzung der AUCTORITATES bedarf JdM keiner Entschuldigung; die Partien über die NATURALIA verlangen ebensowenig eine Autorisation, da sie, als zu den sciences prouvees gehörig (vgl. autentique), empirisch faßbar sind, und die Anerkennung der Praxis neben der Theorie hatte Aristoteles das 13. Jh. ja gelehrt; die mindere Sicherheit von Aussagen, die mittels der raison erfolgen, kennt JdM sehr wohl, und darum setzt er auch, eben um vernunftgemäße Begründungen von schriftlichen Vorlagen und exakt beweisbarer Wissenschaft abzuheben, au meins hinzu. Die Glaubwürdigkeit stellt das Minimum an Aussagekraft dar, das der Verfasser seinen Lesern zumuten will.

49. ROE 250 1. .Kreisbahn von Planeten', metonym .Planet' (16811) 2. .Kreisbahn des Zodiakus' (16821). 16807 Va s'en le monde deduiant (sc. Ii ciaus), Comenpant son cours d'orient, Ε par Occident s'achemine, Ne de tourner arriers ne fine, 16811 Toutes les roes ravissant, Qui vont contre lui gravissant, Pour son mouvement retarder; Mais ne l'en peuent si gaider I . . . I 16816 Qu'il n'ait en trente e sis mile anz, / . . . / . . . / 16819 Un cercle acompli tout entier, Selonc la grandeur dou sentier 16821 Dou zodiaque a la grant roe Qui seur lui d'une fourme roe.

Als Bezeichnung kreisförmiger Bewegungen am Himmel verzeichnen die Lexika roe nicht vor dem 14. Jh. Gf und LaC zitieren Stellen aus dem „Perceforest"; das FEW gibt gar das Jahr 1392 an. Außer dem vorliegenden Text des Rr geht ein weiterer Beleg den obigen Angaben voraus. Es handelt sich um JdM' Übersetzung der boethianischen „Consolatio", genauer gesagt, um eine lyrische Partie des genannten Werkes: ( a ) 0 tu feseur de la roe qui porte les estoiles...

251

(JdMBoeth I m. 5,1).

Dieser ORBIS STELLIFER ist der Tierkreis mit seinen Sternbildern, Rr 16821 zodiaque genannt.

Hinzu kommt die Glosse eines afr.-lt. Lexikons, dessen Abfassung etwa 1330 anzusetzen ist: 250 251

FEW X 490-96; Gf VII 216 f.; LaC IX 250; Fore V 259. Vgl. PareScol 59, ParelL 218. BoethCons I m. 5, 1: Ο stelliferi conditor orbis, / Q u i . . .

141

(b)ORBIS - cercle vel roe (RoLex I, Rom, 3964). Der Tierkreis beschreibt einen großen Bogen, grant roe, und zwar groß im Vergleich zu den Bahnen der sieben Planeten, die sich epizyklisch auf ihm bewegen. Ähnlich schreibt Johannes von Salisbury: (c)Zodiacus bis sex obliquat signa rotatu, Aequalesque sibi non sinit esse dies. / . . . / . . . / Septem terra vagis excentrica subjacet astris, Quam tarnen ut centrum maximus orbis habet. (JohSarEnth 1067-72) Wenn der obere Himmel auf seinem täglichen Weg von Ost nach West die seinen Weg kreuzenden und sich in entgegengesetzter Richtung bewegenden roes (Rr 16811) mit sich reißt, so kann roes nur metonym die Planeten selbst bezeichnen, sicher nicht ihre jeweiligen Bahnen. Aufschlußreich erweist sich hier die knappe Durchsicht der Verwendung von lt. ROTA in ähnlichem Bereich. (d) Ennius" 2 : Inde patefecit radiis rota Candida caelum, (zitiert Isid 18, 36, 3) (e)Lukrez: Hic neque tum solis rota cerni lumine largo altivolans poterat nec magni sidera mundi nec maie nec caelum nec denique terra neque aer nec similis nostris rebus res ulla videri. (Lucr 5,432-35; vgl. ds.ebd. 5,564) ( 0 Seneca: cur, Phoebe, tuos rapis aspectus? nondum serae nuntius horae nocturna vocat lumina Vesper; nondum Hesperiae flexura rotae iubet emeritos solvere currus. (SenThy 793-97) Westliche Richtung der Sonnenbahn. (g)Testor nitentis flammeam Phoebi rotam superosque testor: Herculem in terris adhuc moritura linquo. (SenHercOet 1022-24). 252

Dieser Vers soll Isidors Herleitung von ROTA erklären: Ideo autem rotis quadrigas currere dicunt, sive quia mundus iste circuli sui celeritate transcurrit, sive propter solem, quia volubili ambitu rotat; sicut ait Ennius:... (s. o.). Bei Ennius wie auch bei Lukiez im folgenden Beispiel dürfte ROTA die Sonnenscheibe bezeichnen.

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Sonnenwagen = Sonne. (h)video nitentem regiam clari aetheris Phoebique tritam flammea zonam rota (ds. ebd. 1438 f.). Sonnenwagen = Sonnenbahn. (i) Valerius Flaccus: pone rota breviore soror densaque sequuntur Pliades et madidis rorantes crinibus ignes. (ValFlacc 5, 414 f.; vgl. auch ds.ebd. 3, 559) Sonnenwagen = Sonnenbahn. (j) Apuleius: Cum primum rota solis lucida diem p e p e r i t , . . . (ApulMet 9, 28) Sonnenscheibe, Sonnenwagen. (k)Prudentius: Miratur orbem sub pedibus situm (sc. Agnes), spectat tenebras aidua subditas, ridetque solis quod rota circuit (PrudPerist 14, 94-96). Sonnenwagen = Sonne. (1) Claudian: lam summum radiis stringebat Lucifer Haemum Festinamque rotam solito properantior urget Tandem Rufini visurus funera Titan: / . . . (ClaudRufin 2, 336-38) Wagen des Morgensterns (= Venus). (m)Sequenz (13. Jh.): Obviam volabunt sancti Suo pio redemptori (sc. Christo), Cum mundi rota ab igne Tota coeperit ardere Sive Flammaconcremare (zitiert nach Norberg, Manuel 156). Erdkreis 253 . (n)Hymnus (aus undatierter Genesisparaphrase): Posuit solis rotam atque lunam micantia 253

Vgl. ds. ebd. 160: „ROTA MUNDI = ORBIS TERRAE = cercle du monde". Wenn die Autorschaft des Thomas von Celano für diese Sequenz zutrifft, wurde sie vor dem Rr verfaßt.

143

nec non astra in facie poll rutila (zitiert nach Elfving, Sequences 156). Sonnenscheibe. (ο) Thomas: Sed oculus non gloriosus non potest inspicere solem in rota sua propter magnitudinem claritatis (zitiert nach ThomLexic 979). Die Sonne in ihrer Bahn = metonym fur Gott. Zunächst fällt auf, daß die (beliebig zu erweiternden) Beispiele mit geringen Ausnahmen (j, o ) 2 s 4 aus der Dichtung stammen — eine Kontrolle lt. Prosa fiel negativ aus (s.u.). Daraus erklärt sich auch die oft nicht sauber herauszuschälende Semantik. Eine Analogie der Form zu der eines konkreten Rades führte zur Bezeichnung des Sonnenrades, der Sonnenscheibe (vgl. A. 252), wie überhaupt zur Erklärung von Bewegungen der Himmelskörper gern das Bild des Rades herangezogen wird.

(p)Isidor: Axis est septentrionis linea recta, quae per mediam pilam sphaerae tendit; et dicta axis quod in ea sphaera ut rota volvitur, vel quia ibi plaustrum est (Isid 3, 36). (q) Vincent de Beauvais: Ut autem haec, & alia de circulis in orbe maiori contentis evidentius pateant: Intelligamus nos qui super faciem terrae residemus esse in centro id est mundi medio. Et firmamentum . . . Deinde imaginemur in eo Septem puncta . . . Polus quidem proprie dicitur ilia pars axis, quae excedit rotam, unde hac similitudine extremitas firmamenti polus dicitur, quia sicut rota circa axem, ita firmamentum circa lineam volvitur quandam intellectualem (VincBell I, III 17). Die mythische Vorstellung eines Helios, der auf seinem von vier Pferden gezogenen Wagen täglich über den Himmel fährt 2SS , brachte eine weitere Metapher. Das zunächst konkret gedachte Rad (ROTA) bezeichnet κ α τ ά a u v e x ß o x n v d e n gesamten Wagen (ROTA=CURRUS) 2 S 6 und in weiterer 254

255 256

Das poetische ROTA als Bezeichnung der Sonnenscheibe in Apuleius' „Metamorphosen" zu finden, zeugt nicht dafür, daß das Wort auch in die Prosa Eingang fand, sondern umgekehrt für den gehobenen, nicht selten „rhetorisch zugestutzten und poetisch angehauchten" Stil des apuleischen Romans (vgl. Schanz-Hosius III 113). Bei Thomas bildet ROTA SOLIS einen mystischen Gottesvergleich, dem auch poetisches Vokabular angemessen ist. - Zur Auffassung der Sonne im Altertum vgl. den Artikel „Helios" RE VIII 5 8 - 9 3 (Jessen), zum vorliegenden Problem besonders Sp. 86. Vgl. H. Hunger: Lexikon der griechischen und römischen Mythologie. Wien, 1959 s . 132f. In der Dichtung ist dies eine geläufige Erscheinung auch für das konkrete Fahrzeug bei Properz, Ovid u. a. (vgl. Lewis-Short).

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Übertragung κατ ' ά ν τ ο ν ο μ α σ Lav den Sonnengott, die Sonne selbst. Es leuchtet ein, daß dieser Vorgang sich besonders in der Poesie lokalisieren läßt. Der poetische Charakter von Naturas Beschreibung der Rotation der Himmelskörper, aufgezeigt am Verhalten des personifizierten Himmels als agens (Dou ciel ne me deije pas plaindre, / . . . 16801 ff.), ist unverkennbar: (Ii ciaus) tourne senz sei fendre, / . . . porte... toutes ses esteles ο Ii... Va s'en le monde deduiant... Bei aller Exaktheit der astronomischen Angaben gelang es JdM, die Himmelsbewegung dichterisch zu formulieren, und „ wie die Verwendung von roe zeigt, wahrt er den poetischen Tenor bis in die stilistischen Einzelheiten hinein. 50. SILLOGIME 2 "

.logisches Schlußverfahren'

4084 (Text und Erklärung unter conclure)

Laut Gf, LaC und dem DG verwendet JdM zum ersten Mal in afr. Literatur sillogime (weitere Belege fehlen); das FEW gibt außerdem „Mitte des 13. Jh.", jedoch ohne Referenzen, an. Eine Trennung in konkreten und metaphorischen Gebrauch des Substantivs fehlt überall. Außerdem erfordert die Datierung eine Korrektur. (a)„Barlaam et Josaphat": Par tes nuges e par tes diz, Cil qui ert an mal anvaiz, C'est de tot error en esbimes, Fait argumenz e silogismes Dont nostre loi puisse reprendre Ε la loi as paiens desfendre (B&J 8703-08). Religionsgespräch in Form einer Debatte.

(b)Jean d'Antioche 2s8 : L'argumentacion est le despliement de l'argument par paroles ordenees. L'aigumentacion est divisee en .ii. manieres: l'une est apelee sylogisme, et l'autre est apelee entremene (JeanAnt p. 262).

(c) Henri de Mondeville: Car sans art ne saroit nul ordener medecine competent a la maladie; mes il avendroit aussi com a ceus des quiex le Philosophe parle en la fin du .2. d'Elenches, les quiex 257 258

FEW XII 485; Gf X 733; LaC IX 435; DG 2110; Fore V 799. Vgl. auch ParelL 33 f. Am Rande der Handschrift steht die Anmerkung: „Nota quod hie actor facit differenciam inter entremene et entimeme, sicut patet infra, forte primam pro inductione et secundam pro entimemate capiendo".

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achetoient .i. sillogisme sophistique par le quel conneu il disoient communement, ne ne pouoient aler, car il savoient autre sillogisme ordener (HMond 549).

(d)„Ave Maria an couples": FRUCTUS descendi lassus, Qui en ton cors fu espandus. Douce vierge, pure et saintime; Par toi anemis fu vaincus De Dieu le pere de vertus, Qui li forma tel silogime Dont point ne conut la sofflme. Mes la consequence en l'abisme 259 Li demoustra li roys Jhesus (Ave Maria XII 1 - 9 )

Damit läßt sich die Verwendung von sillogime in den Anfang des 13. Jh. vordatieren. Als Metapher jedoch scheint das Wort nicht vor dem Rr aufzutreten; zur Chronologie des Gedichtes, aus dem (d) stammt, bemerkt der Herausgeber einzig, daß das Manuskript nach 1332 erstellt wurde (p. 353 Α. 1). Der reguläre Syllogismus besteht nach Aristoteles aus drei Teilen, den beiden Prämissen und dem Schlußsatz. (e)Martianus Capeila: Hoc totum, quod constat ex duobus sumptis et illatione, ratiocinatio a nobis, a Graecis σ υ λ λ ο γ ι σ μ ό ς appellator, est ergo ratiocinatio ex duobuspluribusve concessis ad id, quod non conceditur, necessaria perventio (MartCap 4, 406).

(0 Isidor: Syllogismus Graece, Latine aigumentatio appellator... Syllogismus igitur est propositionis et adsumptionis conflrmationisque extrema conclusio aut ex ambigentis incerto, aut ex fiducia conprobantis (Isid 2, 9,1).

Um zu einem logisch korrekten Schluß zu gelangen, müssen fur die Voraussetzungen bestimmte Regeln formaler Art eingehalten werden (vgl. conclure p. 41 f.). Von der Sicherheit der Aussage in der Propositio maior und der Propositio minor hängt konsequenterweise die der Schlußfolgerung ab. Gestaffelt nach dem Grad der realen Aussagekraft gibt es drei verschiedene Schlußverfahren: 1) den eigentlichen Syllogismus ( σ υ λ λ ο γ ι σ μ ό ς α π ο δ ε ι κ τ ι κ ό ς » SYLLOGISMUS DEMONSTRATIVE), der die größte Garantie richtiger Aussage bietet; 259

A. Langfors publizierte das Gedicht im An schluß an das „Ave Maria en rouma.ns" von Huon de Cambrai. Memoires de la Societe Neophilologique 4 (1906) 319-62. Das anonyme „Ave Maria an couples" findet sich p. 354-60.

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2) den rhetorisch-dialektischen Schluß(ενθύμημα,SYLLOGISMUS DIALECTICUS), der von wahrscheinlichen Prämissen ausgeht ( έ ξ ε ι κ ο τ ώ ν , Ε PROBABILIBUS); 3) den sophistischen Schluß (SOPHISMA), der aufgrund falscher Voraussetzungen auch zu einem falschen Schluß, einem Trugschluß, führt. Letzteren nennt Boethius SYLLOGISMUS MENDAX: ( g ) . . . quos (sc. sophistas) fallaces argumentatives Latine possumus dicere, qui per huiusmodi propositiones quae verum inter se falsumque non dividunt mendaces colligunt syllogismos (BoethHerm 1 p. 82, 5).

Übrigens scheint, daß logische Metaphern vor JdM im Afr. nicht üblich waren. Für die lt. Literatur des 12. Jh. würden allein Alans und Gau tiers de Chätillon Werke Dutzende von Beispielen beitragen. Der „Grecismus" des Evrard de Bethune aus dem Anfang des 13. Jh. bringt in weiterer Ausspinnung der Einleitungsverse der horazischen „Ars poetica" eine Abfolge von Adynata, in die er auch logische Metaphern einarbeitet 260 . Für den Rr sei auf Artikel wie aparence, cavillacion, conclure, conclusion, consequence, duplicite, figure de diccion, elenche, sofime verwiesen. Etwa um 1290 verfaßte Drouart la Vache sein „Livres d'Amours", das eine umfangreiche Passage logischer Metaphorik enthält: ( h ) E t por ce qu'Amours equivoque Dictions est, ou je vos moque, Pour ce l'equivocacion Oste la comparacion Et la fait joindre a tex especes, Qui sont dou tout en tout diverses. Or ne puet domques dire nus Que pai magis et par minus Comparatives dictions, Soit faite comparacions Entre les equivoques choses, S'au commun non raporter oses, Par qui sont equivoques dites. Se dictions compose, dites, Plus c'une proposicion, C'est male comparacion, Et se eil nons plus que cist cors Est simples, dites: c'est decors. (DVache 5815-32).

Diese Beobachtungen und ferner der Tenor von (d) lassen vermuten, daß das „Ave Maria" nicht vor 1300 abgefaßt wurde. 260

EvrBethGr Prooem. p. 1, 9. Während grammatische Termini in ihrer Übertragung in andere Bereiche auch schon im 12. Jh. nicht selten vorkommen - vgl. CurtEL 416 und Lehmann, Parodie 4 9 - 5 4 ; 106-09 - , kenne ich logische Metaphorik ausschließlich bei Alan und Gautier de Chätillon.

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51. SOFIME261 ,Trugschluß, Sophismus; Betrug' 8915 „Se Ii fumiers est laiz par enz, Dehors en est plus beaus paranz; Tout ainsinc les dames se perent Pour ce que plus beles en perent Ou pour leur laidures repondre." Par fei! ci ne sai je respondre, Fors tant que tel decepcion Vient de la fole vision Des eauz qui parees les veient, Par quei Ii cueur si s'en desveient Pour la plaisant impression De leur imagination, Qu'il n'i sevent aperceveir Ne la men;onge ne le veir, 8929 Ne le sofime deviser, Par defaut de bien aviser. 12143 (Text und Erläuterung unter aparence) 21498 (Text und Erläuterung unter figure de diccion)

Die Handbücher verzeichnen zwar sofime seit Benoit de Ste-Maure und bringen Belege aus verschiedenen späteren Texten, jedoch ist die Information insofern gering, als sie keinerlei Anhaltspunkte für die verschiedenen Verwendungsbereiche und Bedeutungen des Wortes geben. Da eine semantische Differenzierung bereits im Griechischen greifbar ist, von wo aus das Wort in die lt. und dann in die afr. Sprache übernommen wurde, scheint es angebracht, in diesem Fall von den frühesten Belegen für σόφ L σμα auszugehen262. Entsprechend dem Etymon σοφός,weise, klug, geschickt' zeigen die ältesten Verwendungen der substantivischen Ableitung σόφ ι σμα die Tendenz positiver Aussage. Bei Pindar, Herodot, den Tragikern und teilweise noch bei Piaton heißt σόφ ι σ μ α ,gut überlegter Vorschlag, kluge Behauptung'. Gegen Ende des 5.Jh., z.B. bei Thukydides, Euripides, wird der Umschlag ins Pejorative deutlich, .listiger Plan, Trick, Täuschung'. Zum logischen Terminus wirdodcp ι σμα in der zweiten Hälfte des 4. Jh., zunächst vereinzelt bei Piaton, Demosthenes. Als fester Bestandteil logischer, speziell eristischer Beweisführung begegnet es seit Aristoteles und in den hellenistischen Philosophenschulen. Dort steht es in der Bedeutung .trügerisches Argument, Trugschluß, Sophismus'. Im Lt. tritt SOPHISMA einmal bei Cicero als logischer 1.1. auf, dann erst wieder bei Seneca, Gellius, Martianus Capeila und Späteren; das Wort scheint 261 262

FEW XII104; Gf X 688; LaC IX 448; DuC VI 299 b; Fore V 566; Liddell-Scott 1622. Vgl. ParelL 3 2 - 3 4 ; GrabmannGSM II 112 {f.: Sophismata logicalia. Auf eine detaillierte Angabe der gr. Texte wird verzichtet und allgemein auf die großen gr. Lexika verwiesen.

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keine weite Verbreitung gefunden zu haben, während es im MA zum geläufigen Vokabular zählt. Ob Cicero die gr. oder die lt. Graphie verwendete, steht nicht fest. ( a ) . . . contorta et aculeata quaedam sophismata (sie enim appellantur fallaces conclusiunculae) (CicAcad 2, 75). Nicht weniger verächtlich äußert sich Seneca über die sophistische Argumentationsweise, deren Gewinn er nicht einsieht: (b)Sic ista sine noxa deeipiunt, quomodo praestigiatorum acetabula et calculi, in quibus me fallacia ipsa delectat... Idem de istis captionibus dico: quo enim nomine potius sophismata appellem? (SenEp 45, 8; vgl. ds.ebd. 111, 1 f., siehe cavillacion (c)). Gellius berichtet, daß sophistische Gespräche während eines Gelages zum Zeitvertreib dienten: ( c ) . . . captiones, quae sophismata appellantur, mente agitabamus (GellNoctAtt 18, 13, 2). Martianus Capeila spricht speziell von stoischer Sophistik, aber die von ihm angeführten Fragen sind nicht in der Stoa zu Hause, sondern die Stoiker haben sie aus einem schon fest begründeten Repertoire der megarischen Eristik übernommen: (d)Stoica circumeant ludantque sophismata sensus Perdita non umquam cornua fronte feiant (MartCap 4, 327, 7 f.; vgl. ds.ebd. 4, 423, 19). Nach Boethius bedienen sich die Sophisten, die er FALLACES ARGUMENTATORES nennt, trügerischer Beweisverfahren (MENDACES SYLLOGISMI), und um diese zu widerlegen, verfaßte Aristoteles sein Werk „De sophisticis elenchis" 2 6 3 . Isidor stellt die dialektische der sophistischen Schlußfolgerung gegenüber, die er als SOPHISMA FALSARUM CONCLUSIONUM charakterisiert (Isid 2, 28, 1). Zu den drei die ungetrübte Erkenntnis verhindernden Redeweisen zählt Johannes von Salisbury auch die Sophismen 2 6 4 :

263 264

BoethHerm 1 p. 82, 5 = sittogime (g). Von den zahlreichen Belegen für SOPHISMA als logischen Terminus in mit. Texten seien einige Stellen in Auswahl zitiert: AbaelDial p. 181; AdelardBath 4, 21; AdamBals XXXV; PetrHispSumm VII 3, 27; RobGrArbitr 159. 149

(e) Horum autem maxime necessaria est cognitio, quia in omnibus que prepediunt intellectum tria solent pre ceteris accusari; hec autem sunt scemata, adiunctis tropis oratorum sophismata, que fallaciarum nube obducunt animos auditorum; et rationum diversitas, que preiacet in animo dicentis et rectam in tell ige η tie cognita parat viam (JohSarMet 849 c; vgl. ds.ebd. 850 b).

Eine treffende Beschreibung der Logik im Vergleich zur Sophistik bringt Alan: ( f ) Sic logice vires artis subtiliter huius Argumenta premunt logiceque sophismata vincunt: Hec probat, ista facit; hec disputat, impetrat illa Omne quod esse potest: sic utraque vera videri Falsa cupit, sed ad hoc pictura fidelius instat. (Anticlaud I 126-30)

Ebenfalls bei Alan und später z.B. bei Albert findet sich die Übertragung von SOPHISMA aus dem logischen in den optischen Bereich, so daß das Wort die Bedeutung .optische Täuschung' annimmt, wobei aber da? Vokabular des Kontextes eindeutig daraufhinweist, daß es sich um die metaphorische Verwendung eines logischen Terminus handelt (SOPHISMATA SOLVERE, MENTIRE, DECIPERE, CONCLUDERE). (g)Alan: Vestis (sc. Prudencie) erat filo tenui contexta, colorem Non mentita suum nulloque sophismate visum Decipit, immo rubor nativus inhebriat illum. (Anticlaud I 303-05; vgl. ds.ebd. II 202)

(h)Albert: . . . ergo circulus apparens in nube major deberet esse quam sol vel luna vel alia Stella vaporem irradians. Haec autem et his similia sophismata solvi de facili possunt, si secundum veritatem sciatur motus egressus lucis a corpore luminoso (AlbMagnMeteora III 4, 4 = Borgnet IV 670).

Auch die nicht fachgebundene Bedeutung ,Fehler, List, Betrug' kommt in mit. Texten vor, so in der pseudo-boethianischen „Geometrie" (PsBoethGeom 56, 742), bei Gautier de Chätillon (GCast Carm IX 5, 1 = Strecker II) und Alan (AlanPN 307 inf.). Die von DuC erwähnte positive Bedeutung .Weisheit, Wissen, Bildung' konnte ich bei mit. Autoren nicht feststellen. Im hohen MA stellten die SOPHISMATA wissenschaftlich ernstzunehmende philosophische Arbeiten dar, was schon die Tatsache unterstreicht, daß Professoren der Artistenfakultät wie Siger de Brabant, Pierre d'Auvergne, Siger de Courtrai, Boetius von Dacien, Simon von Faversham u.a. als Verfasser von SOPHISMATA auftreten; alle Genannten betätigten sich ebenfalls als Aristo-

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teleskommentatoren, übrigens auch Thomas. Sophismataliteratur begegnet bereits in der Fiühscholastik. Über eine theoretische Behandlung von Logik und Elenktik ging diese Literatur allerdings sehr bald hinaus, so daß schließlich jegliche Anwendung studierter Theorien in einer Disputationsübung SOPHISMA hieß. Siger de Courtrai z.B. behandelt weniger logische als grammatische Themen unter der Bezeichnung SOPHISMA. Zwar wird die logische Grundform beibehalten, aber vor allem gegen Ende des 13. Jh. und im angehenden 14. Jh. werden die SOPHISMATA zu QUAESTIONES DISPUTATAE philosophischen Inhalts, abgehalten im Rahmen der Artistenfakultät; sie gelten also als wissenschaftlich wertvolle Literaturgattung. Ein Dokument aus der Zeit vor 1252 bezeugt, daß die Disputation von SOPHISMATA Gegenstand der Studienordnung der Pariser Universität war (ChartUP Nr. 201 p. 227-30). Übertreibungen dieses Verfahrens kennt bereits das 12. Jh., wie es durch die Polemik Johannes' von Salisbury und Alexanders Neckham deutlich wird 265 . Nachdem festgestellt wurde, daß sowohl die pejorative als auch die fachterminologische Verwendung von σόφ ι σμα ins Lt. übergegangen ist, während sich die ursprüngliche, positive Bedeutung z. Zt. nicht nachweisen läßt, soll die afr. Literatur auf Belege für sofime durchgesehen werden. (i) Benoft de Ste-Maure: Mult est Ii deables giingnos Ε mult par est achaisonos. Argumenz set faire od soffime, Kar es ceus fu e en abisme (BenDucsNorm 25666-69).

(j) Guernes de Pont-Ste-Maxence: Mais Ii sainz arcevesques idunc Ii graanta Que, salve la fei Deu, les custumes tendra. Li reis jure les oilz ja eil moz n'i sera; Car sofisme, ςο dit, e grant engin i a. (GSThom 4 1 3 1 - 3 4 ; vgl. ds.ebd. 4158).

(k)Aimon de Varennes: „Fille", fait ele, „il m'est avis Qu'en petit d'oure avez empris. A sosoier vos entendez: Or sai ge bien que vos l'amez. / . . . / . . . / Ainz mais ne m'en dei's le disme, Or m'en ais contei Ia solfisme (Florimont 7923-30).

(1) „Roman de Renart": De gramaire Ii demandai, De soffime et de question: 265

Nach Grabmann, Sophismataliteratur 2 ff. - Vgl. caviltocion.

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Ne me sot respondre un boton (sc. Tybert). Quant ge l'oi fait de tot conclus, Ge m'en p a r t i , . . . (Renart XII 6 3 6 - 4 0 ) .

(m)„Vie de St.-Thomas": Puis s'est turnez au roi de France (sc. Ii rois Henris), Ε dist: „Oez grant decevance, Cum ore muet descord e scisme Par wenelaz e par sofisme! (SThom III 5 9 - 6 2 ) .

(n)Henri d'Andeli: Equo si respont en la tor (sc. de Logique) Des granz cops que Pen fiert entor (sc. li autor), Car toutes i gietent lor rimes. Ele se desfent de sofimes: Sovent les fet cheoir envers Et il li relancent lor vers. (HAndArs 4 1 8 - 2 3 ; vgl. ds.ebd. 192)

(o)Brunetto Latini: La tierce science de logike est sophistique, ki ensegne prover ke les paroles ke Ten dist soient veraies; mais ce prueve il par mal engin et par fausses raisons et par sophismes, c'est par argument ki ont samblance et coverte de verite, mais n'i a cose se fausse non (BrunL I 5, 4).

(p)JdM 2 6 6 : Moult a cy conseil de saige homme que nous estrivions contre la jangle de celui aus argumens et aus sophismes desquelz tout li mondes n'osa pas contrester (JdMAbael 967).

Im 12. Jh. tritt sofime nur in der Bedeutung ,List, Trug' auf ( i - k ) . Der Teufel hat während seines Aufenthaltes in Himmel und Hölle so viele Erfahrungen gesammelt, daß er alles, wenn auch nur mit List, beweisen kann (i); in seinem Disput mit Thomas von Canterbury fürchtet König Heinrich einen Hinterhalt, denn der Erzbischof garantierte seine Unterwerfung unter die königliche Gewalt mit dem einzigen Vorbehalt, „soweit es die Gott gebotene Ehre erlaubt" (j, m); die Königstochter vermag ihre Liebe zu dem verkleideten Florimont lange vor ihrer Umgebung geheimzuhalten, indem sie nur andeutungsweise oder in zweideutigen Bemerkungen (solfisme) davon spricht (k). Weder Branche XII des „Roman de Renart" noch Henri d'Andelis allegorisches Gedicht lassen sich genauer als in den Zeitraum eines Vierteljahrhunderts datieren. Im „Roman de Renart" wird direkt auf die sieben Künste und den grammatischen Schulunterricht Bezug genommen (Renart XII 644 ff.), so daß

266

AbaelEp 827 f.: Ο sapientis consilium, ut contra ejus verbositatem contendamus, cujus argumentis vel sophismatibus universus obsistere mundus non posset!

152

hier, mit der nötigen Einschränkung, die ein Tierepos auferlegt, sofime als logischer 1.1. auftritt (1). Dasselbe gilt für (n), aber mit dem Unterschied, daß es sich hier um eine Allegorie handelt: Die Autoren, die im Kampf gegen die personifizierte Logik deren Turm belagern, greifen mit Versen und Reimen, ihren Waffen, an, während die Logik mit Sophismen zurückschlägt, um sich zu verteidigen. Die erste theoretische Abhandlung über Logik in afr. Sprache schrieb Brunetto Latini (o), und auch in Abelards Brief (p) geht es um die sophistische Argumentation eines Gegners, die widerlegt werden soll. Etwa im zweiten Viertel des 13. Jh. läßt sich sofime erstmals im logischen Bereich nachweisen, während es bis zu diesem Zeitpunkt ausschließlich in der Bedeutung ,Trug' aufgetreten ist. Die älteste konkrete Verwendung des Terminus findet sich bei Brunetto Latini, und JdM geht noch einen Schritt weiter, indem er das Wort unter Beibehaltung des logischen Vokabulars in andere Bereiche transponiert. Rr 8915 ff. kann man von einer dreistufigen Entwicklung von konkreter zu metaphorischer Ausdrucksweise sprechen. 1) Frauen staffieren sich prächtig aus, um ihre Häßlichkeit zu verbergen (Rr 8917-19); 2) solches Verhalten ist mit dem Misthaufen zu vergleichen, der stinkt, wenn er dies auch nach außen hin verdeckt (8915 f.); 3) die Frauen heißen also schön aufgrund ihres äußeren Aussehens, d.h. aufgrund einer optischen Täuschung des Betrachters, der Wahres nicht von Falschem zu scheiden vermag (8920-30); 4) in derselben Lage befindet sich jemand, der mit einem Sophismus konfrontiert wird. Respondre, deviser, menqonge-veir kennzeichnen den logischen Hintergrund der Metapher. Dieses Verfahren JdM', den Widerspruch zwischen äußerem Erscheinungsbild und konkreter Wahrheit in logisches Vokabular zu fassen, wurde schon mehrfach beobachtet 267 . Zum Schluß müssen noch einige Worte über das Hapax legomenon sofisterie268 gesagt werden, denn weder das FEW, das das Wort mit ,subtilite trompeuse, argumentation captieuse' wiedergibt, noch Gf, der es durch ,emploi du sophisme* paraphrasiert, haben das Richtige erfaßt. Lg kommt der Wahrheit bedeutend näher, wenn er in seinem Glossar sofisterie mit .fausse science' übersetzt. Es handelt sich hier offenbar nicht um einen logischen Terminus, sondern um eine pejorative Ableitung (kenntlich an dem Suffix -erie) von SOPHISMA in seiner positiven Bedeutung ,Kunst, Wissen*. Auch die von Pare aufgestellte Verbindung zu einem alchimistischen Traktat Alberts, in dem die Alchimisten DECEPTORES heißen, trifft nicht zu. Der einzige von Forc für SOPHISTRIA verzeichnete Beleg ist aus semantischen Gründen auszuschalten. Wenn Hieronymus die Schlange als SOPHISTRIA CALIDISSIMA bezeichnet, übernimmt er ein gr. Hapax legomenon platoni267 268

Vgl. aparence, conclure, duplicite, figure de diccion. FEW XII 104 f.; Gf X 689; DuC VI 299; Fore V 567; Latham 445. Vgl. ParelL 70.

153

scher Prägung aus dem „Euthydemos" (297 c); dort geht es um die von Herakles gebändigte Hydra, die, weil ihre Häupter ständig nachwuchsen, als .trügerisch' apostrophiert wird; der Mythos wird jedoch auf die aporetische Lage eines Diskussionspartners übertragen, der nach Beantwortung einer Frage neue Probleme wie Schlangenköpfe wachsen sieht. Σο φ ι σ τ ρ ι α ist hier also Femininum ζυσοφ ι σ τ ή ς · Auch das von Grabmann, Sophismata 41 ff., diskutierte SOPHIST(E)RIA fällt nicht in diesen Rahmen, da dies die theoretische Seite der Sophismataliteratur im grammatisch-logischen Bereich erfaßt. Latham bringt aus englischirischen Quellen den einzigen mir für SOPHIST(E)RIA im MA zugänglichen Beleg, und zwar in der Bedeutung, die das FEW und Gf fälschlich Rr 16146 erkennen wollen, .sophistry, trickery'. Doch stammen beide Belege erst aus dem 15. Jh.: SOPHISTRIA (1428), SOPHISTERIA (1500). Der von DuC erwähnte, John Wiclif zugeschriebene, aber im Corpus seiner Werke nicht aufgefundene Traktat „Super Sophistria" fiele ebenfalls aus dem hier behandelten zeitlichen Rahmen heraus. Rr 16017 ff. hatte JdM von der Rivalität zwischen Nature und Art gesprochen, die in Wahrheit gar keine ist, da Nature sich stets als überlegen erweist; die Imitation bleibt hinter der Schöpfung zurück. Zwar vermag die Kunst naturähnliche Gegenstände zu fabrizieren, aber ihnen fehlt das Lebenselement (Rr 16062 ff.). Voraussetzung für eine Verwandlung der einzelnen Gattungen (espieces) wäre die Rückführung auf die Elemente (matire prumeraine), und dazu bedarf es der Wissenschaft (science, 16075), chemischer Analyse. Diese existiert in Form der Alchimie, die echte Wissenschaft darstellt (art veritable, 16084; vgl. autentique). Durch sie werden die einzelnen Dinge so verwandelt, daß sie einer anderen als der bisherigen Gattung angehören (16094 f.). So lautet das Ergebnis, das die Kompetenzen von Art und Nature voneinander abhebt: Die elementare Veränderung, die auch den Wechsel von einer zur andern Gattung bewirkt, bleibt Nature vorbehalten, während Art die fertigen Gegenstände (pieces) in ihrer äußeren Form (figure) abwandeln kann (16109-12). Und wieder kommt JdM auf die Alchimie zurück (16133 ff.). Wer mit ihren Verfahrensweisen vertraut ist (eil quid'alkimie sont maistre, 16136), besitzt die Fähigkeit, durch die Auflösung der einzelnen Formen (fourmes, 16142, = figure, 16111) in ihrer Konsistenz anders zusammengestellte und damit auch durch andere Formen ausgezeichnete Metalle zu bereiten. Dies können aber nicht diejenigen bewerkstelligen, qui euvrentde sofisterie. Soviel ist durch den betonten Gegensatz mais... eil klar, daß die Alchimisten damit nicht gemeint sein können, die kurz zuvor noch maistre (16136) hießen und sich mit einem Fach befassen, das JdM als art veritable bezeichnet. Aber von Leuten, die sich mit einer falschen Wissenschaft (sofisterie) im Gegensatz zu der als art veritable beschriebenen Alchimie befassen, war in der gesamten Passage nicht die Rede. 154

Der Widerspruch klärt sich, wenn man eine Kontamination verschiedener Vorlagen durch JdM annimmt, und zwar einer, die die Alchimie als hohe Kunst, als wahre, experimentell vorgehende Wissenschaft preist, und einer zweiten, die in der Alchimie gerade im Gegensatz zur Natur Teufelswerk, Kurpfuscherei sieht. Beide Beurteilungen existieren in ma. alchimistischen Traktaten. Die gegen die Alchimie vorgebrachten Einwände klingen Rr 16065 ff. an. Sie bringt es nicht fertig, die Dinge auf ihre Grundstoffe zu reduzieren, was aber für die Verwandlung der Gattungen unabdingbare Voraussetzung ist (16067 - 7 2 ) . Und selbst wenn die Analyse gelänge, wäre science nötig, um die Elemente in richtiger Mischung bei vorgeschriebener Temperatur erneut zusammenzustellen (16073—80). Wer dieses Wissen nicht besitzt, verfährt mit sofisterie. Hier scheint sich der Kreis zu schließen. Die positive Bewertung der Alchimie läßt sich aus JdM' Darlegung sauber herausschälen, und zwar ist der Schnitt hinter Rr 16082 anzulegen, denn mit V. 16083 setzt die spezielle Thematik der Alchimie als echter Wissenschaft ein, und sie wird ohne Bruch bis Rr 16144 durchgezogen. Assoziierende Gedankenfiihrung mit nicht immer konsequenter Ausrichtung darf bei JdM als nicht ungewöhnliche Erscheinung gelten; seinen oft recht umfangreichen Exkursen fehlt so manches Mal die logische Motivation, und selbst wenn diese durch Fortspinnung eines angeschnittenen Themas bedingt sind, gelingt es ihm nicht immer, sie widerspruchslos in den Kontext einzufügen. Hier muß eine allgemeine Ausführung genügen, da es nicht darum geht, JdM' Darstellungsweise auf ihre inhaltliche Kohärenz zu prüfen, sondern einzelne Begriffe in ihrer Bedeutung zu klären. Dazu sind bisweilen, wie in diesem Fall, Umwege über die Textinterpretation unvermeidlich.

52. TON 269 .Intervall von Tönen' 16951 (Kontext unter acordance)

Für eine allgemeine Information über ton im 12.—13. Jh. kann nur das FEW benutzt werden, da Gf wie auch LaC entweder die Verwendung des Wortes als eines musikalischen Terminus nicht kennen oder die angegebenen Belege aus der Zeit nach dem Rr stammen. Das FEW verzeichnet die Bedeutung 269

FEW XIII 2, 3 3 - 3 5 ; Fore VI 117 a; MLLM 1032. Zur antiken Musiktheorie: G. Wille: Musica Romana. Die Bedeutung der Musik im Leben der Römer. Kap. XII: Die spätantiken lateinischen Musiktheoretiker (p. 594 ff.). Amsterdam, 1967. - Artikel „Musik" im Kleinen Pauly III 1485-96 (U. Klein). - Ennis, Cassiodor 129 f.

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.Tonhöhe von Musikinstrumenten' erstmals für Alberichs „Alexanderroman", als .Melodie eines Liedes' in „Renaut de Montauban", in der allgemeinen Bedeutung .Laut, Klang' Ende des 14.Jh. Ergänzungen und Korrekturen der Angaben erweisen sich als unumgänglich. (a)„Roman d'Alexandre": Li quarz (magestres) lo duyst corda toccar Et rotta et leyra clai sonar Et en toz tons corda temprar, Per se medips cant ad levar (AlexAlberic 100-103). (b)„Aiol et Mirabel": II vienent a Orliens, passent le pont, I . . . I Et crient lor enseinges a tres haut ton: „U estes Loeys, Ii fieus Charlon? (Aiol 2363-66). (c) Francois corent as armes et as adous; Aiols Ii flex Elie en ot le ton, Grant ioie ot de la g u e r r e , . . . (ebd. 2372-74). (d) „Renaut de Montauban": Li bons rois Karllemaine s'escria a haut ton: - „Baron, dist l'empereres, entendes ma raison! (RenMontaub p. 12; vgl. ebd. p. 14 und p. 77) (e)„Anseis de Carthage": Adont se turent, n'i ot noise ne ton (Anseis 66). ( f ) Monjoie escrie clerement a haut ton (ebd. 4579). (g)„Maugis d'Aigremont": Seingnour, or escotez, n'i ait noise ne ton, / . . . (MaugisAigr 1) ( h ) „ D o o n de Mayence": La mere Jhesu Crist reclama ä haut ton. (DoonM 178; vgl. ebd. 8057) (i) Or te requier je, Dieu, par ton saintisme non, Que me donnez oir la vois et le cler ton Que je oi'orendroit chä dedens ä bandon: Moult me sembla Doet, mon petit enfanchon (ebd. 1744-47). (j) Jean Renart: Si lui aprint ses bons paareins Laiz et sons, et baier des mains, Toutes notes sarrasinoises, Chansons gascoignes et fran;oises,

156

Loerraines, et laiz bretons, Que ne failli n'a moz n'a tons, Car elle en sot l'usage et l'art. (Galeran 1167-73; vgl. ds.ebd. 1981)

(k) „Bueve de Hantonne" III: Buevon escrient hautement a haut ton (Bueve III 3153).

(1) „Petite Philosophie": De Jovis desque a Saturne, Un demi tun sun curs aturne; Des iloc desque a signifer, Treis demi tuns resunt cler: Joignez ices ensemblement, Set tuns i avrez veirement (PPhil 1965-70).

(m)Gautier de Coinci: Talens m'est pris orendroit Qu'a mout haut ton De la plus haute qui soit Vous die un nouvel son. (Miracles I Ch. 6 , 1 - 4 ; vgl. PGCoins p. 565, 400) (n)A chanter pristrent un haut ton (sc. les verges) Si deliteus qu'il n'est nus hom Qui raconter le seiist mie. (Miracles I Mir. 19, 367-69; vgl. PGCoins p. 304, 60)

(o)„Bueve de Hantonne" II: ΕηΙεηάέ$ moi, n'i ait noise ne ton (Bueve II 18708). (p)Li fieus Soibaut en a of le ton (ebd. 16839).

(q)Henri d'Andeli: De la note du premier fa Montoient dusqu'en cc sol fa. Li douz ton diatessaron, Diapente, diapason, Sont hurtez de diverses gerbes (HAndArs 178-82).

(r)Mouskes: Biaus cors, boins cors et de bon ton, Plains de melodie par son, Ki te cornera nul jor mais. (Mouskes 8048-50; vgl. ds.ebd. 7506)

An Hand der Textstellen lassen sich mehrere Gruppen konstituieren, die eine semantisch einheitliche Verwendung von ton zeigen: 157

1) ä haut ton ,mit lauter Stimme', meist mit dem Verb (es-Jcrier verbunden, begegnet stets am Versschluß und hat gerade wegen seiner stereotypen Verwendung als feste epische Formel zu gelten (b, d, f, h, k), die Gautier de Coinci in seine Dichtung übernahm (m). 2) n'iait (ot) noise ne ton, wo noise und ton als Hendiadyoin zu verstehen sind, ,kein Lärm und kein Geräusch', gehört ebenfalls zum festen epischen Repertoire (e, g, o). 3) .Geräusch, Klang von Gegenständen'. So bezeichnet ton in (c) den durch Waffenklirren hervorgerufenen Kriegslärm, in (r) den weittragenden Klang des Horns, in (p) übertragen die Nachricht von etwas. 4) ,Laut, Stimme von Menschen'. Die Mutter erkennt ihr verlorengeglaubtes Kind am Klang der Stimme (i). 5) ,Melodie eines Liedes'. Im Gegensatz zum Liedtext (mot bzw. ditj heißt die Melodie ton (j), oder eine von Frauenstimmen intonierte Melodie wird ohne Bezug auf den Text selbst haut ton genannt (n). 6) .Intervall zwischen zwei Tönen der Tonleiter'. Alexander wird in den artes liberales unterwiesen. Im Musikunterricht lernt er, ein Saiteninstrument in allen Tonlagen zu beherrschen (a). — Die durch die Rotation der Planeten geriebene Luft bewirkt nach antiker Auffassung einen Ton, der entsprechend der Geschwindigkeit der jeweiligen Bewegung höher oder tiefer ist. Die Intervalle der von den um die Erde kreisenden Planeten hervorgerufenen Töne entsprechen denen der diatonischen Tonleiter; es gibt fünf Ganzton- und zwei Halbtonschritte, insgesamt also set tuns (1). — Die Begleiter der personifizierten Musik locken aus ihren Instrumenten Akkorde vom Intervall (ton) einer Quart, Quint und Oktave hervor (q). Abgesehen von dem fragmentarischen „Alexanderroman" kommt ton im gesamten 12. Jh. als musikalischer Terminus nicht vor, sondern nur in festen Formeln zur Bezeichnung eines Geräusches, einer Stimme etc. Die Bedeutung .Melodie eines Liedes', die das FEW seit „Renaut de Montauban" verzeichnet, begegnet nicht vor Jean Renart. Als Fachbegriff der Musik, zu der nach antiker Vorstellung auch die Sphärenmusik gehört, läßt es sich Anfang des 12. Jh. bei Alberic de Pisanson und dann erst wieder in den zwanziger Jahren des 13.Jh. nachweisen. Um exakt die Bedeutung von ton im Rr festlegen zu können — daß es sich um einen musikalischen 1.1. handelt, zeigen Wörter wie armonie, melodie, acordance, chant - , bedarf es eines kurzen Exkurses über die Verwendung von TONUS in lt. musiktheoretischen Schriften. Das aus dem Gr. übernommene Fremdwort TONUS, seit Vitruv und dann bei Chalcidius, Macrobius, Martianus Capeila und anderen splt. Schriftstellern belegt, findet sich allgemein als Synonym von SONUS270, aber auch, was hier speziell interessiert, in verschiedenen Bedeutungen im Bereich der Musik. 270

MartCap 9, 931; Isid 19, 22, 6; GCastCarm IX 1, 3 (Strecker II); VincBell II 1,64 u. a.

158

1) TONUS bezeichnet das Intervall zwischen zwei benachbarten Ganztönen, das auch den geringeren Tonumfang eines Halbtons (HEMITONIUM) und eines Vierteltons (DIESIS) annehmen kann (s). Die Oktave, in antiker Terminologie zwei Tetrachordgruppen (= TOTA HARMONIA), besteht aus sechs Ganztonschritten bzw. fünf Sekunden und zwei Halbtonschritten (t). Die Quinte (DIAPENTE) umfaßt einen Ton mehr als die Quart (DIATESSARON) (u). (s) Martianus Capella: Dico quicquid rite sonuerit aut tonum esse, aut hemitonium aut quartam partem toni, quae diesis appellator, verum tonus est spatium cum legitima quantitate, qui ex duobus sonis diversis inter se invicem continetur (MaitCap 9, 930). ( t ) Totius harmoniae toni sunt sex, id est quinque toni et duo hemitonia (ds. ebd. 7, 736).

(u)Chalcidius: Rursum diapente adversum diatessaron symphoniam praecellit uno tono: quippe diapente constat ex tribus tonis et hemitonio, diatessaron vero ex duobus tonis et hemitonio, id est dimidio tono (ChalcTimComm 46).

2) Als zweite Bedeutung von TONUS findet man die Grundoktave des Tonsystems (DIAPASON) ( v - x ) , die sich nicht in zwei gleichgroße Intervalle aufteilen läßt, da sie aus einer Quarte und einer Quinte besteht. (v)Martianus Capella: Novem vero ad octo ε π ο γ δ ό ο υ numeri efficiunt iunctionem, tantumque pensat in numeris, quantum symphonia diapason in melicis, quae tonon (v.l.,tonum') facit, qui est consonae unitatis continua modulatio (MartCap 2,108).

(w)Cassiodor: Tonus est totius constitutionis armonicae differentia et quantitas, quae in vocis accentu sive tenore consistit (zitiert nach Ennis, Cassiodor 130).

(x)Alan: Qua racione toni pars altera semper habundet, Transgrediens partem reliquam ne possit in equas Distribui partes tonus integer, immo parumper Excedat pars una toni superetque minorem Et proprio vincat pars altera comate limma, / . . . (Anticlaud III 4 3 9 - 4 3 ; vgl. MacrSomn 2, 1, 2 0 - 2 2 und Isid 3, 20, 7)

3) Um den diatonischen Tonraum so systematisch wie möglich einzuteilen, wird jeder Halbton der Oktave zum Ausgangspunkt einer neuen sog. Transpositionsskala (TONUS, HARMONIA) gemacht, so daß sich schließlich ins159

gesamt fünfzehn Skalen konstruieren lassen, deren höchste das Hyperlydische, die tiefste das Hypodorische sind. (y)Cassiodor: Toni veto sunt quindecim: hypodorius, hypoiastius . . . (zitiert nach Ennis, Cassiodor 130).

(z)Isidor: Tonus est acuta enuntiatio vocis. Est enim harmoniae differentia et quantitas, quae in vocis accentu vel tenore consistit: cuius genera in quindecim partibus musici dividerunt, ex quibus hyperlydius novissimus et acutissimus, hypodorius omnium gravissimus (Isid 3, 20, 7 ff.).

Die platonische Auffassung einer alles durchziehenden und belebenden Weltenseele, die selbst in der Musik ihren Ursprung nahm, führte zu der Vorstellung, alles Lebende sei von Musik durchdrungen. Die Musik veranlaßt die Planeten zu ihren kreisförmigen Bewegungen, die ihrerseits entsprechend der jeweiligen Geschwindigkeit verschiedene Töne hervorrufen. Diese Töne der sieben Planeten, die konzentrisch um die unbewegte Erde rotieren, gehen auf dasselbe Tonsystem zurück, wie es sich für irdische Musik feststellen läßt, d.h. auch sie bilden bestimmte Intervalle. In der afr. Literatur begegnet diese Theorie erstmalig in der „Petite Philosophie" (1) und wenig später in Henri d'Andelis „Bataille des sept arts" (q), die mit Sicherheit auf lt. Vorlagen wie Martianus Capeila, Boethius, Cassiodor zurückgehen oder auf solche des hohen MA, wie z.B. Alan (x), wahrscheinlicher aber auf Kompendien von der Art der „Imago Mundi" des Honore d'Autun: (a')De sono planetamm. Hi Septem orbes cum dulcisona harmonia volvuntur ac suavissimi concentus eorum circuitione efficiuntur. Qui s o n u s . . . A terra usque ad lunam est tonus, a luna usque ad Mercurium, semitonium; a Mercurio . . . Quae simul iuncta Septem tonos efficiunt (HonorAuglmago I 80 f. = Kol. 140).

In die Mitte des 13. Jh. fallen die „Specula" von Vincent de Beauvais, deren Angaben über die Sphärenmusik sich auffallend mit denen von Honore d'Autun decken: ( b ' ) A terra itaque usque ad flrmamentum coelestis musica mensuratur, ad cuius exemplar etiam nostra fuisse affirmatur. In terra namque fit tonus . . . (es folgen die Planetenabstände wie oben (a'); VincBell I, XV 26).

Die Bedeutung .Oktave' fällt für Rr 16951 aus, denn ein Lied setzt sich nicht nur aus Oktavintervallen zusammen. Auch an die verschiedenen Tonarten griechischer Prägung dürfte kaum zu denken sein, wohl aber lassen sich die verschiedenen Tonintervalle (Halb- und Ganztöne) zu Akkorden fügen, aus denen 160

Gesang entsteht. Mit voller Sicherheit kann die Bedeutung bei JdM nicht herausgearbeitet werden, da seine Angaben zu knapp ausfallen. Daß es aber um Fachvokabular aus dem Bereich der Musik geht, daran besteht kein Zweifel.

53. T R A N S C R I V R E 2 7 1

.abschreiben, kopieren 4

11807 Α Paris n'ot ome ne fame, Ou parvis devant Nostre Dame, Qui lors aveir ne le peüst, 11810 A transcrivie s'il Ii pleüst. La trouvast par granz mespreisons Maintes teles comparaisons: / . . . Nach den Angaben der Handbücher k o m m t transcrivre im 13. Jh. nur als Bezeichnung von Abschriften juristischer Texte vor. Den ältesten Beleg hierfür datieren Gf und das FEW auf das Jahr 1234, der DG nennt Philippe de Remi, während transcrivre laut FEW das Kopieren beliebiger Texte erst seit 1 5 3 0 bezeichnet. Diese Angabe trifft nicht zu. (a)Charta von 1234: Cist perchamin est tancris de ces Iectres. (zitiert nach GO (b) Philippe de Beaumanoir: Que fera il done quant la premiere court la ou il venra pledier retenra sa procuracion? II doit requerte a la court que sa procuracions li soit transcrite mot a mot et Ii tianscris seeles du seel de la court (Beauvais 165). (c)JdM272: Cil qui n'y avoient pas este commencierent a acourre par estrif a la seconde et a la tierce Ιβςοη et furent, en leur commencement mesmement, mout curieux de transcrire les gloses que je avoye commanciees le premier jour (JdMAbael 253). (d)ds.273: . . . car il disoient que il devroit souffire a la dampnacion du livie, ce que je 1'avoye ose lire communement, sans estre loe de l'auctorite de l'apostoille et de l'Eglise et 1'avoye ja bailie a plusseurs a transcripre (ds. ebd. 1001).

271 272

273

FEW XIII 2, 201; Gf X 799; DG 2181; Fore VI 144. AbaelEp 221: Hii qui non interfuerant ceperunt ad secundam et terciam lectionem certatim concurrere et omnes pariter de transcribendis glosis, quas prima die inceperam, in ipso eorum initio plurimum solliciti esse. ds. ebd. 860: . . . ad damnationem libelli satis hoc esse debere, quod . . . ad transcribendum jam pluribus eum ipse prestitissem;... 161

(e)Charta von 1297: Tout ce que nous veismes estre contenu es dites lettres feismes transcrire de mot a mot (zitiert nach GO·

Allerdings findet sich der älteste Beleg für transcrivre .kopieren' in juristischen Texten, also nichtliterarischen Dokumenten (a),und begegnet wiederholt in ähnlichen Kontexten (b, e) 274 . Die Behauptung des FEW jedoch, außerhalb der Gerichtspraxis transcrivre seit dem 16. Jh. anzusetzen, läßt sich nicht halten. Im Rr berichtet JdM von Gioacchino da Fiores Werk „Evangelium eternum", das der Franziskaner Girardo di Borgo San Donnino im Jahre 125 4 275 zusammen mit einem von ihm selbst verfaßten „Liber introductorius" herausgegeben und der Papst mit dem Bann belegt hatte 276 . In dem ersten Brief von Abelards Autobiographie „Historia calamitatum", den JdM 1284 übersetzte, spricht der Verfasser in(c) von Vorlesungsskripten, die er abwesenden Studenten zur Verfügung stellte, in (d) von einer Schrift, die er anderen zum Abschreiben Uberließ, ohne die Beglaubigung von Papst und Kirche abzuwarten, weshalb sie wenig später verdammt wurde 277 . Es gibt also mindestens drei Belege des 13. Jh., in denen transcrivre das Kopieren von Texten ganz allgemein bezeichnet. 54. TRIANGLE278 .Dreieck' 19138 /(Kontext unter circonference)

Ohne die metaphorische Bedeutung von triangle im Rr zu berücksichtigen, soll im folgenden Artikel das Substantiv im Afr. verfolgt werden. Das Voka274

275 276 277 278

Im Lt. begegnet TRANSCRIBERE seit kl. Zeit; im MA kommt es in juristischen Texten vor (ChartUP Nr. 13 p. 73 für das Jahr 1210) und in mystischem Vergleich (ThomLexic 1110); Vincent de Beauvais glossiert TRANSCRIBI mit TRANSFERRI (VincBell II, I 64). Zur Datierung vgl. Lg III 325. Vgl. die genaueren Angaben S. 81 A. 158. Höchstwahrscheinlich spielt Abelard auf sein 1121 verurteiltes Werk „De unitate et trinitate divina" an (GilsonPhilos 281). FEW XIII 2, 250f.; Gf X 808; Fore VI 165 (TRIANGULUS), 180 (TRIGONUM). Das aus dem Gr. übernommene Fremdwort TRIGONUS-TRIGONUM-TRIGONIUM wie auch das l t Übersetzungslehnwort TRIANGULUS-TRIANGULUM existieren synonym nebeneinander, und dennoch läßt sich ein gewisser Unterschied in der Verwendung, mindestens für die Zeit bis zur Spätantike, feststellen. TRIANGULUS, seit Cicero belegt, scheint das ältere Wort zu sein (Forc verzeichnet TRIGONUM-TRIGONUS seit der augusteischen Zeit), aber es kommt zunächst fast nur in Vergleichen formaler Art vor, während die Fachschriftsteller das gr.

162

bular mit Begriffen der Planimetrie und Stereometrie weist eindeutig auf mathematische Herkunft der Metapher hin. Die Lexika bieten nur beschränkte Angaben für triangle im 13. Jh. Die Datierung des Erstbelegs trifft nicht zu. Das FEW kennt das Wort seit ca. 1270, verweist wie auch Gf auf den Rr und Henri de Mondeville und nennt außerdem Ezra (s.u.). Ferner fehlt eine Sonderung der Textstellen unter semantischen Gesichtspunkten. (a)Vilard de Honnecourt: Ki velt faire .i. letris por sus lire evangille, ves ent ci le mellor maniere que io sace: premiers a par tierre .iii. sarpens et puis une ais a .iii. conpas deseure et par deseure .iii. sarpens d'autre maniere, et colonbes de le hauture des sarpens, et par deseure .i. triangle (VilHon 7). (b) Hagin: Et la .21e. si est le triangle et ses estoiles sont .4. (Ezra 34, 6). (c)Et il montera en ses faces premieres une flgure de fame, c'est esclarcissans, et la keue du poisson de la mer en samblance de serpent, et le chief du triangle et faiture de buef (ds.ebd.37, 15). (d)Mahieu le Vilain: Or ymagineron nous une autre ligne, qui va droit de l'eul au soleil sans estre refrainte, que nous appelleron par ces .ij. bous et le milieu .a. e .b. Or avon nous .iij. triangles, l'un..a.g.b., l'autre .a.z.b. et l'autre .a.d.b., qui sont fondees sus la ligne .a. e .b., car .a. e .b. est leur refraignement commun (Meteora 155, 20). (e)JdM279: Aucune fois doit on faire les herberges en fourme quarree et aucune fois en fourme de triangle (JdMVeg I 23). (Ods.280: Apres on leur doit dire qu'il se mettent en esquarrie soudainement, et puis se redoivent mettre en triangle, et ceste maniere d'ost apeloit Ten anciennement ber^ueil (ds. ebd. I 26).

279 280

Fremdwort vorziehen: Manilius und Firmicus Maternus im astronomischen, Varro im mathematischen, Vitruv und Columella im formalen Bereich. Als mathematischer Terminus findet sich TRIANGULUS-TRIANGULUM bei Frontin und Columella, dann bei Martianus Capeila, Boethius, Isidor, und im MA überwiegt das lt. Übersetzungslehnwort. - Vgl. auch E. Norden: Dreieck. Ein Beitrag zur Geschichte des Fremdwörtergebrauchs im Altertum. In: Kleine Schriften zum klassischen Altertum. Berlin, 1966. p. 165-78. Veg I 23: Interdum autem quadrata, interdum trigona, interdum semirotunda... castra facienda sunt Veg I 26: Tertio praecipiendum, ut quadratam aciem repente constituant, quo facto in trigonum, quem cuneum vocant, acies ipsa mutanda est. 163

(g)Henri de Mondeville: La paitie ossue (sc. du neis) est composte de .2. os fais en maniere de triangle ensemble joins, des quiex les extremites sont plus agues en la partie du nes qui est par dessus vers le front (HMond 237). ( h ) L e o p o l d v o n Österreich: Les estoilles du Triangle sont de Mercure (LeopA I 2,100). Das „Skizzenbuch" des Architekten Vilard de Honnecourt entstand nach Aussage des Herausgebers zwischen 1 2 3 0 und 1260. Der zitierte Ausschnitt gibt eine Anleitung zur Herstellung eines Lesepultes. Wie die drei Schlangen, das aus drei (ineinanderverschlungenen?) Kreisen bestehende Brett und die drei Tauben steht auch die dreieckige Deckfläche des Pultes als Symbol der göttlichen Trinität (a). Ebenfalls in (c, e - g ) werden verschiedene Objekte mit der Gestalt eines Dreiecks verglichen. In (b) und (h) ist Triangle Eigenname und bezeichnet ein Sternbild. Als mathematischer Terminus tritt triangle erstmalig, und zwar in konkreter Verwendung, in den „Meteora" (d) auf. Die Abfassungszeiten des Rr und dieses astronomischen Handbuches dürften etwa zusammenfallen.

55. UNIVERSITE 2 8 1

.Hochschule, Universität 4

11492 Ja ne m'ai'st ne pains ne vins S'il n'avait en sa verite (sc. Guillaume de St-Amour) 11494 L'acort de l'Universite Ε dou peuple comunement Qui oait son preeschement. 281

FEW XIV 52 f.; Gf VIII 117 f., X 823; Fore VI 399. Die Literatur zur Entstehung der ma. Universitäten und speziell der von Paris ist sehr umfangreich, weshalb auch nur einige einschlägige Handbücher und grundlegende Aufsätze, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, genannt seien: Dokumente fur die Universität Paris von 1200-86: ChartUP vol. 1. - Unentbehrliches Handbuch mit Angabe der im Paris des 13. Jh. tätigen Theologen und ihrer Werke (mit bibliogr. Angaben): GlorRep. 2 vol. - H. Denifles Standardwerk „Die Universitäten des Mittelalters bis 1400" verdient trotz der 2. Auflage von Rashdalls „The universities of Europe in the Middle Ages" und d'Irsays höchst inform mativem Werk „Histoire des universites franijaises et etrangeres des origines ä nos jours", fur Details konsultiert zu werden. Vgl. die gedrängte Darstellung bei L.J.Daly: The medieval university (1200-1400). New York, 1961. Rez.: CL 55 (1962) 181 (Haipom); Manuscripta 6 (1962) 176 f. (MacKinney); CB 40 (1963) 15 (Welch). - G. Post: Alexander III, the .licentia docendi* and the rise of the universities. Fs. Haskins (Boston-New York, 1929) 2 5 5 - 7 7 . - A. Masnovo: Guglielmo d'Auvergne e l'Universitä di Parigi dal 1229 al 1231. Mel. Mandonnet (Paris, 1930) II 191-232. - E. Behler: Die Entstehung der mittelalterlichen Universität von Paris. Fs. Michels (Münster, 1963) 294-321.

164

11791 Ε se ne fust la bone garde 11792 De l'universite qui garde La clef de la crestiente, Tout eiist este tourmente, / . . . 11825 L'Universite, qui lors iere Endormie, leva la chiere; Dou bruit dou livre s'esveilla. Das FEW verzeichnet das erste Auftreten von universite .Körperschaft der an einer Hochschule Lehrenden' seit ca. 1255, Gf nennt Rutebeuf; beide Angaben dürften sich decken. An der Datierung ist eine nur geringfügige, an der Semantik eine tiefergreifende Korrektur vorzunehmen; auffallend scheint das Fehlen jeglicher Auskunft darüber, seit wann unter universiti nicht mehr die bloße Gemeinschaft der Lehrer (und Studenten), sondern das Unterrichtswesen und die gesamte Hochschulinstitution verstanden wurden. (a) Dokument ( 1 2 4 6 ) 2 8 2 : Come nos oions novelement unes constitutions fetes et establies sus certeins articles, nos mandons a vostre universite que desor en avant usez des devant dites constitutions en jugemenz et en escoles; nos vous envoions soz nostre bulle et si vos mandons . . . (ChartUP Nr. 153 p. 189). (b) Rutebeuf: Mes Orguex, qui toz biens esmonde, I a tant mis iniquite Que par lor grant chape roonde Ont verse l'Universite (sc. li Jacobin). Chascuns d'els deiist estre amis L'Universite voirement, Quar l'Universite a mis En els tout le bon fondement (Ruteb II 21-28). (c)Pierre d'Abernon = estuide (d)

ds.

= desputer

(b) (v)

(e)„Chronique de St.-Denis": En celuy temps (ca. 1208) flourissoit ä Paris philosophie et toute clergie . . . Si n'estoit tant seulement pour la paix et la delitablete du lieu . . . mais pour la paix et pour la franchise que le bon roy Loys avoit tousjours portee, et que le roy Phelippe son fils portoit aux maistres et aux escoliers et ä toute l'universite (ChrDen IV 139).

282

Die lt. Fassung beginnt: universitati vestre per apostolica scripta mandamus, quatinus. . . 165

( 0 Item, en celluy temps (1260), commence grant turbacion de l'Universite de Paris, contre les povres religieus estudians en theologie, par l'entichement du devant dit Guillaume Saint-Amor (ebd. IV 374).

Bei (a) handelt es sich zwar nicht um einen literarischen Text, sondern um ein Dokument, einen Brief des Papstes Innozenz an die Pariser „Universität", der in lt. und afr. Sprache abgefaßt wurde; er wird hier im Auszug vorgelegt, da dies die einzige mir im 13. Jh. bekannte Stelle ist, in der universite die Körperschaft der Pariser Professoren bezeichnet, welche Bedeutung das FEW als einzige — und zwar bei Rutebeuf, wo mir gerade diese Übersetzung nicht einleuchtet - für das Afr. anführt. Wie Orguex sollte auch Universite in (b) als Personifikation verstanden werden — dasselbe gilt übrigens für Rr 11792 und 11825 —, aber eine Personifikation der Gesamtheit der Dozenten scheint widersinnig. Die Jakobiner haben durch ihr vehementes Streben nach Lehrstühlen an der Artistenfakultät nicht die UNIVERSITAS MAGISTRORUM, wohl aber die Bildungsstätte allgemein in ihrer Existenz gefährdet; außerdem sollten sie der Universite wohlgesonnen sein, weil sie die Grundlagen ihrer Ausbildung geschaffen hat. Auch hier geht der Dank weniger an die Professoren als an die höhere Ausbildung an sich. Eine wichtige Aufgabe des Herrschers besteht in der Sorge um die Bildung seiner Untertanen (c); darum wird ihm empfohlen, neue Studienstätten (estuide) in den Städten zu gründen und Universitäten zu errichten. Hier dürfte die moderne Bezeichnung der Hochschule zutreffen, denn es ist sowohl an das Gebäude selbst als auch an die Organisation der Studien überhaupt gedacht. (d) und (e) gehen in der Wendung tonte l'universite auf eine gemeinsame Vorstellung zurück, die sich am besten aus (e) eruieren läßt: Paris gilt seit dem ersten Jahrzehnt des 13. Jh. als blühendes Bildungszentrum, und zwar besonders darum, weil die französischen Könige Dozenten, Studenten und ä toute l'universite mit Wohlwollen entgegenkamen. Hier wie auch in (d) ist über Lehrpersonal und Schüler hinaus die Bildungseinrichtung als solche gemeint. Der später kanonisierte Richard tut sich während seiner Studienzeit in Bologna unter den Studenten derart hervor, daß sein Lehrer ihn im Krankheitsfall zu seinem Vertreter ernennt; und diese Aufgabe erfüllt er zum Lob aller Beteiligten. Der Ubergang zur anonymen Einheit, zum prägnanten Begriff universite dürfte spätestens in (f) vollzogen sein: die Hochschule gerät in Unruhe aufgrund der Angriffe Guillaumes de St.-Amour gegen die Bettelorden. Wie in (c) und ( 0 ist auch Rr 11494 Universite geradezu der Eigenname der Bildungsstätte, die Lehrer und Studenten zusammenbringt und unter sich begreift. Und wenn es heißt, Guillaumes de St.-Amour später als ketzerisch verdammte Lehre habe die Zustimmung von universite und peuple besessen, so will das nichts anderes besagen, als daß das einfache Volk wie auch die 166

Akademiker, kurz die gesamte Pariser Bevölkerung seine Behauptungen billigte. Im Splt. begegnet UNIVERSITAS als Bezeichnung der Gesamtheit bestimmter Berufe im Sinne von Korporationen. Als ältestes Dokument, das die in Paris konstituierte MAGISTRORUM SCHOLARIUMQUE SOCIETAS als UNIVERSITAS erwähnt, gilt ein Brief Papst Innozent' aus dem Jahre 1208 oder 1209 (ChartUP Nr. 8 p. 67 f.), und als handelnde Person tritt die Verbindung von Pariser Lehrern und Studenten erstmals in einer Schenkungsurkunde des Jahres 1221 auf 283 : ( g ) . . . nos universitas magistrorum et scolarium Parisiensium . . . quicquid juris habemus vel habuimus in loco Sancti J a c o b i . . . fratri Matheo priori suisque fratribus ordinis Predicatorum . . . conferimus et donamus (ChartUP Nr. 42 p. 99).

Doch gibt es ältere Texte, die allgemein von einer UNIVERSITAS sprechen und zweifellos auf die Gesamtheit der in Paris Lehrenden und Lernenden zu beziehen sind. So schreibt Papst Innozenz III in einem Brief (1205), in dem er den Besuch des byzantinischen Kaisers in Paris ankündigt und den Herrscher gut zu empfangen bittet: (h)Universis magistris et scolaribus Parisiensibus . . . Volentes igitui imperatorem eundem tanto benignius in suis petitionibus exaudire . . . universitatem vestram rogamus attente et hortamur per apostolica vobis scripta mandantes . . . (ChartUP Nr. 3 p. 62 f.).

Ein Schreiben des Pariser Bischofs Petrus (1213) beginnt: (i) Universitär vestre notum facimus quod . . . (ChartUP Nr. 16 p. 75).

Der päpstliche Legat Robert de Coupon verfugt im Jahre 1215: (j) Ut autem ista inviolabiliter observentur, omnes qui contumaciter contra hec statuta nostra ire presumpserint, nisi infra quindecim dies a die transgressionis coram universitate magistrorum et scolarium, vel coram aliquibus ab Universitate constitutis presumptionem suam curaverint emendare, legationis qua fungimur auctoritate vinculo excommunicationis innodabimus (ChartUP Nr. 20 p. 79).

In der zweiten Hälfte des 13. Jh. tritt UNIVERSITAS quasi als Eigenname und ohne den Zusatz MAGISTRORUM ET SCOLARIUM häufig auf, wie es 283

Zur Datierung der Pariser Universitätsgriindung: Allgemein: ChartUP p. VIII ff.; Glorl^p I 11; E.R.Curtius: Das mittelalterliche Bildungswesen und die Grammatik. RF 60 (1947) 1 - 2 6 , p. 24. Nach RashdallUniv I 294 ff. hat die Universität inoffiziell seit 1170, offiziell nach 1200 existiert, nach IrsayUniv I 7 1 - 7 3 bestand sie erst 1261 als Universität im heutigen Sinne.

167

der (a) zugrundeliegende Text erkennen läßt und z.B. Guillaume de St.-Amour in seiner Verteidigungsschrift zitiert: (k)ltem dixit, quod non permitterent aliquem in aliqua Facultate, nisi prius iuraret, quod se tcneret cum Universität«:, contra omnes in quocumque statu fuerint (GuillStAmRespons 105)

Diesen Entwicklungsstand des Wortes UN1VERSITAS lassen auch die ersten vulgärsprachlichen Verwendungen erkennen, so daß, abgesehen von der Interpretation der afr. Texte (a—0, durch lt. Dokumente ein weiterer Anhaltspunkt für die Hypothese gegeben ist, daß universite spätestens seit 1255 nicht, wie das FEW behauptet, die Gesamtheit der Lehrerschaft bezeichnet, sondern die Universität als Bildungsstätte, zu der natürlich auch die Dozenten gehören.

56. ZODIAQUE 2 8 4 ,Zodiakus, Tierkreis' 16821 (Kontext unter cercle (astronomisch))

Während ZODIACUS in klassischen, spätantiken und mit. Texten eine geläufige Erscheinung ist 585 , verzeichnet das FEW das erste Auftreten von zodiaque für ca. 1240, Gf nennt Eustache le Moine, der DG gar den Rr. — Das Auffinden weiterer Texte ermöglicht eine nicht unerhebliche Vordatierung. (a)Philippe de Thaon: . . . Unt enz el ciel truvee Une veie esguardee, Par quei Ii soleilz vait Ε tuz tens sun curs fait. Li Griu dient par num Qu'at num ,zodiacum'; En Latin apelum Pur veir .signiferum'; En franceise raisun .Signeportant' at num. (PhThComp 353-62; vgl. ds.ebd. 397).

284 285

FEW XIV 666; Gf X 875; DG 2269; Fore VI 456. Im MA begegnet ZODIACUS bei Isidor (Isid 3, 45 u. ö.), Adelard von Bath (AdelardBath 32, 5), Hugues de St.-Victor (HugosSVProp 51, 56), Johannes von Salisbury (JohSarPolycr 440 b), Al-Bitrüji (AlBitr I 14 f.), Evrard de Bethune (EvrBethGr VIII 339), Vincent de Beauvais (VincBell II, I 66 ZOA), Robert Grosseteste (RobGrSph 14, 22), Gilles de Lessines (AegLess = Thorndike, Comets 106), im „Catholicon" u. a.

168

(b)„Petite Philosophie": Ε ja soit ςο ke le firmament De l'est le trei en le Occident, Par si grant force nepurquant Encuntre le mund va errant Ke les duze signes trescurt, Dunt le zodiac tent sa curt, En vint e set jurs cuntenanz, Ε sun cercle en dis e nof anz. (PPhil 1835-42; vgl. ebd. 1858, 1866, 1876, 1907 u.ö.) (c)Eustache le Moine: II n'ot homme jusqu'a .s. Jake, Qui tant seüst de dyodake, Del firmament ne de l'espere (EustM 27-29). (d)Brunetto Latini: La quarte science est astronomie, ki nous ensegne trestot l'ordenement du ciel et du firmament, et des estoiles, et le cours des .vii. planetes par son zodiaque, c'est par mi les .xii. signaus (BrunL I 3, 8; vgl. ds.ebd. 1110, 2).

(e)„Introductoire d'astronomie": Des signes qu'il deviserent el zodiake . . . (zitiert nach Gf)· (OMahieu le Vilain = cercle (astronomisch) (i) (g) Leopold von Österreich: Li espere des 12 signes si est a le quelle comparee aucune estoille est dite estre en tel u en tel signe. Li pol de celi (c'est dou zodiac) qui est septentrionel, se differe et a distance du pol de le grant espere 24 parties au aises (LeopA I 1, 3; vgl. ds.ebd. I 1, 4 und 13). Während Philippe de Thaon (a) noch die lt. Form und Deklination wahrt 2 8 6 , erscheint zodiaque in der „Petite Philosophie", die der Herausgeber um 1221, Levy, Chronologie, um 1 2 3 0 datiert, gleich mehrmals. Seit dem Ende der sechziger Jahre des 13. Jh. häufen sich die Belege bei verschiedensten Autoren, überwiegend bei Fachschriftstellern.

286

Zu lt. Wörtern in afr. Texten vgl. die Züricher Dissertation von O. Müller: Das lateinische Einschiebsel in der französischen Literatur des Mittelalters. Zürich, 1919. 169

Β. ZUSAMMENFASSENDE BEMERKUNGEN 1 .

Für JdM' Bewertung als eines Vermittlers fachlicher Terminologie im Afr. und zugleich für weitere Folgerungen über die Entwicklung des Bildungswesens vom 12. zum 13. Jh. ist es überaus wichtig festzustellen, wie sich dieses Vokabular auf die Einzeldisziplinen verteilt, ferner welche Wörter und Begriffe bei ihm ,neu'2 sind und welche schon früher in afr. Literatur vorkommen, drittens in welchem Umfang und bei welchen Autoren sie vor dem Abschluß des Rr auftreten. Was die Verteilung auf die einzelnen Bereiche der artes liberales betrifft, so sind von den grammatisch-rhetorischen Termini3 aucteur, auctorite, entencion, juigier, reciter in der im Rr anzusetzenden Bedeutung bereits vor 1200 bekannt. Seit den zwanziger Jahren des 13. Jh. kommen escrivain, prolixement, titre hinzu, seit ca. 1250 entituler, während von den übrigen Wörtern einige erst in Texten aus JdM' Schaffensperiode auftreten (metaphore, parabole, similitude, texte), andere außer bei ihm nur in anderen Verwendungsbereichen begegnen (autentique, escorce-moele, excepcion, glose, gloser, juigierres, transcrivre) oder bei ihm allein in der gesamten afr. Literatur vorkommen (declarance, integument, lecture, prolixite). Ca. 65 % des grammatisch-rhetorischen Vokabulars lassen sich also in der vorliegenden Bedeutung nicht sicher vor 1265 nachweisen oder begegnen außer bei JdM nicht wieder vor 1300. Nicht wenige Termini hat JdM erstmals aus anderen Bereichen in das Vokabular des Grammatikunterrichts übernommen. Autentique tritt vor 1265 nur 1

2

3

Während bislang eine Auswahl scholastischer Termini des Rr im Detail untersucht wurde, sollen für die folgende Übersicht auch nicht im einzelnen vorgelegte, aber in gleicher Weise untersuchte Wörter und Begriffe herangezogen werden, um eine breitere Grundlage für weitere Schlüsse zu bieten.FUr dieses Kapitel wird der von 200 auf 110 Termini reduzierte Bestand des bei JdM verwendeten Vokabulars der artes liberales zugrundegelegt (= 100%). Damit macht das S. 1 - 1 6 9 vorgelegte Material ca. 30 % des Wortschatzes aus dem Bereich der Freien Künste und ca. 60 % des im engeren Sinne scholastischen Vokabulars aus. Zur Vereinfachung der Terminologie werden ,neu' und .Neuerungen' dasjenige Vokabular bezeichnen, das JdM benutzt und das in der afr. Literatur vor 1265 nicht nachweisbar ist. Die Zweige Grammatik und Rhetorik werden nicht getrennt behandelt, da der Grammatikunterricht sowohl das rein sprachliche Verständnis der AUCTORES als auch die formale und inhaltliche Interpretation der Texte umfaßte.

170

in Jurisprudenz und Theologie auf (vgl. S. 22—27). Excepcion, eine direkte Anleihe bei Alan (vgl. S. 99), und transcrivre (vgl. S. 161 f.) kommen im gesamten 13. Jh. nur in juristischen Texten vor. Aus der Theologie entlehnte JdM die Dyas escorce-moele, die den bloßen Wortlaut der Bibel von der Exegese, dem tieferen Sinn, abhebt, und bezeichnet damit eine beliebige Textinterpretation (vgl. S. 84-88). Glose und gloser hatte schon das 12. Jh. .säkularisiert', aber der Autor des Rr geht noch einen Schritt weiter und verwendet die Wörter in der Bedeutung .Euphemismus, euphemistisch paraphrasieren' (Rr 6934, 6958 u. ö.). Bis zur Mitte des 13. Jh. hieß nur die Bibel texte, und zwar der authentische Wortlaut der Hl. Schrift im Gegensatz zu der kommentierenden Glosse (glose). Nicht religiöse Literatur nennt erst wieder Mahieu le Vilain texte, wenn er vom Aristotelestext spricht. Das Vokabular des Grammatikunterrichts gliedert sich entsprechend der Einteilung in LECTIO, GLOSSATIO und MEDITATIO folgendermaßen. Der Magister hält einen Vortrag (lire), dessen Mängel in allzu weitschweifiger Darlegung (prolixite, prolbcement) bestehen können. Im Zusammenhang mit Büchern oder Textauszügen treten Wörter wie entituler, texte, titre, transcrivre auf, bei der Frage nach der Herkunft eines Werkes aucteur, auctorite, autentique, escrivain. Die Beschäftigung mit dem Buch kann als private Lektüre (lecture) erfolgen, oder im Unterricht wird ein Text laut vorgetragen (reciter). Alle übrigen Wörter und Begriffe gehören der GLOSSATIO an. Nur excepcion .Ausnahme von einer grammatischen Regel' zielt auf den eigentlichen Sprachunterricht, während sich die anderen Termini im Zusammenhang mit der Interpretation ergeben: die Erläuterung des Textes, um das Verständnis zu erleichtern (declarance, glose, gloser), das Aufdecken des tieferen, auch allegorischen oder mystischen Sinnes (entencion, escorcemoele, integument, metaphore, parabole, similitude) und schließlich die allgemeine Beurteilung von Werk und Autor (juigier, juigierres). Der Wortschatz der GLOSSATIO macht die Hälfte des gesamten grammatisch-rhetorischen Vokabulars aus, und, was nicht ohne Interesse ist: diese Terminologie läßt sich mit zwei Ausnahmen (entencion, juigier) in der afr. Literatur vor 1265 nicht belegen. Mit der Annahme lt. Vorlagen ist hier Vorsicht geboten, wenn man bedenkt, daß JdM selbst wohl Maitre es Arts war. Aus der dritten Disziplin des Triviums, der Logik, begegnen seit dem Beginn des 13. Jh. einzig oposer, respondre, sofime. Den ersten umfangreicheren Beitrag zum logischen Wortschatz bringt Henri d'Andeli (desputer, logicien), der aber Elenche, Logique, Sofime nur allegorisch verwendet. Da ein Auftreten in rein juristischen Texten nichts über die literarische Sprache aussagt, erfolgt der chronologisch nächste Zustrom logischer Termini zwischen 1265 und 1280, also in einer Zeit, da JdM wohl am Rr arbeitete (arguer, cavillacion, conclure, conclusion, especial-general, especialite-generalite, especiaument-generaument, particulier, pratique-theorique, prouvable, semblablecontraire, sofime). Selbst wenn man diese etwa gleichzeitigen Vorkommen 171

nicht mit in Erwägung zieht, ergibt sich, daß JdM neun Hapax legomena aus dem Bereich der Logik verwendet (affirmation, consequence, convertibilite, defenissement, demontrable, determinablement, sofisterie, termineement, theme) und vierzehn Wörter und Begriffe, die entweder vor 1280 in der vorliegenden Semantik nicht auftreten oder überhaupt nicht begegnen (aparence, convertible, creance, determiner, diffinicion, distinter, duplicite, elenche, figure de diction, negation, obicer, particularite, sillogime, singulier-especial). Es ergibt sich somit, daß etwa die Hälfte des von JdM verwendeten Wortschatzes lexikalische oder semantische .Neuerungen' des Autors selbst darstellt und ein weiteres Drittel in der Zeit von 1265—80, nie jedoch zuvor, in afr. literarischen Texten auftritt. Die logischen 1.1. JdM' können entsprechend der aristotelischen Einteilung der Logik in die Lehre von der richtigen Form der Unterhaltung (Dialektik im etymologischen Sinn des Wortes), der Urteilsfindung (Prädikation), des Schlußverfahrens (Syllogistik) und des Definierens und Beweisens (Apodeiktik) folgendermaßen aufgegliedert werden. In der hier zugrundegelegten Bedeutung begegnet die Dialektik seit der zweiten Hälfte des 12. Jh. in Form von QUAESTIONES an den Schulen, in charakteristischer, ausgebildeter Gestalt aber erst seit dem zweiten Drittel des 13. Jh. unter dem Namen DISPUTATIONES oder QUAESTIONES DISPUTATAE an den Universitäten. Dort werden die verschiedensten Themen behandelt, grammatische, logische, philosophische, sprachphilosophische, theologische, politische, juristische etc., wobei sich für die Verfahrensweise feste Schemata ergaben. Die Verben arguer, desputer, determiner, distinter, obicer, oposer, respondre stellen zentrale Begriffe für das typisch scholastische Vorgehen bei der Erörterung eines beliebigen Themas (theme) dar, und die Adverbien determinablement und termineement kennzeichnen die endgültige Formulierung des diskutierten Problems. Innerhalb der Prädikation gehören zu den rein kategorischen Urteilen affirmation und negation, die die positive bzw. negative Aussageform des einfachen Satzes angeben, gehören ferner Begriffe wie convertibilite und convertible, die die Austauschbarkeit tragender Substantive und Attribute eines Satzes bezeichnen, ohne daß durch dieses Vertauschen der Sinn der Aussage sich änderte. Verteilt auf die drei verschiedenen Untergruppen der Lehre über die zusammengesetzten Urteile, ergibt sich folgende Gliederung des Wortschatzes der Syllogistik. Regulärer Schluß: conclure, conclusion, consequence, sillogime; dialektischer Schluß: aparence, creance, prouvable; sophistischer Schluß: cavillacion, duplicite, figure de diction, sofime, sofisterie. In der Apodeiktik gehören zur Definition die Termini defenir, defenissement, diffinicion, zum Beweisverfahren demontrable und elenche. Der hohe Prozentsatz der durch den Rr der afr. Sprache zugänglich gemachten .Neuerungen' im logischen Bereich fällt sofort auf. Von den zehn dem Disputationswesen angehörenden Termini sind drei seit der ersten Hälfte des 172

13. Jh. bekannt, von den zwölf Ausdrücken der Syllogistik jedoch, von den vier aus dem Gebiet der Prädikation und fünf aus dem der Apodeiktik begegnet keiner ein zweites Mal vor den achtziger Jahren des 13. Jh. Keiner dieser Einzelgruppen, sondern dem Bereich der Logik überhaupt sind Termini wie logicien und logique zuzuordnen, die spätestens 1250 in afr. Texten nachweisbar sind. Im weiteren Sinne gehören auch die Bezeichnungen der praktischen und theoretischen Seite einer Disziplin hierher (pratique-theorique), die 1256 erstmals in der afr. Literatur, aber vor JdM nicht in übertragener Bedeutung vorkommen. Allgemein dem Verfahren der DISTINCTIO in Disputation und Beweisführung gehört die umfangreiche Zahl antithetisch verwendeter Wörter an, die, sofern sie vor dem Rr erscheinen, nur in juristischen Dokumenten auftreten, in literarischen nicht vor 1265. Dies läßt wiederum auf die bis ins MA noch deutlich spürbare enge Verbindung von ziviler und forensischer Rhetorik schließen. Solche Termini sind: especial-general, especialite-generalite, especiaument-generaument, particularite-some, particulier-(universel), semblable-contraire, simple-possible (en regart), singulier-(espece). Von den drei Termini aus dem Bereich der Arithmetik verwendet erstmals Brunetto Latini monteplier und some als 1.1. Beide Wörter wie auch figure begegnen in dem ca. 1275 abgefaßten „Algorithmus". Weitere Belege für die afr. Literatur fehlen. D.h. in einem Zeitraum von etwa 10 Jahren (1265—75) lassen sich alle drei Wörter zwei- bis dreimal nachweisen, und spätere Belege fallen bereits ins Mfr. Mit Ausnahme von angle und triangle, die auch in der afr. Übersetzung der aristotelischen Meteorologika als geometrische Termini vorkommen, haben alle im zweiten Teil des Rr nachweisbaren geometrischen Fachwörter (cercle, circonference, circulier, espere ,Kugel', triangulier) für das Afr. als Hapax legomena zu gelten. Die wenigen musikalischen 1.1., die JdM verwendet, lassen sich entweder bereits ein halbes Jh. vor der Abfassung des Rr nachweisen (ton) oder sind in fachterminologischer Verwendung seit ca. 1250 bekannt (acordance). Aus der Astronomie sind einzig comete und espere schon in Texten des 12. Jh. anzutreffen. Eclisser und eclisse begegnen in konkreter Bedeutung seit dem ersten Jahrzehnt des 13. Jh., cercle .Planetenbahn' und zodiaque seit den zwanziger Jahren, cercle .Sternenhimmel' und constellacion seit den sechziger Jahren des 13. Jh., angle .Einfallswinkel von Strahlen' und fichie außer im Rr nur in den „Meteora". Das Fremdwort aplanos ist ein Hapax legomenon, während celestre, errant, erreur, influence, oposicion, roe bei JdM erstmals im astronomischen Bereich begegnen, cercle bei ihm allein in der Bedeutung .Weltenjahr' auftritt und eclisse und eclisser in metaphorischer Verwendung stehen. Insgesamt bringt er also dreizehn von sechzehn astronomischen Termini lexikalisch oder semantisch erstmals in der afr. Literatur, und z.T. treten sie auch vor 1300 nicht wieder auf. 173

Unter den Wörtern, die dem Bereich der Universität allgemein angehören, ohne sich einer der Einzeldisziplinen angliedern zu lassen4, finden sich nur wenige, die nicht schon vor der Abfassung des Rr in der afr. Literatur existierten. Der Gegensatz clerc-laic tritt bereits vor 1200 auf. Ein beträchtlicher Teil dieses Wortschatzes ist spätestens in den zwanziger Jahren des 13. Jh. bekannt (escolier, estudier, estuide .Universität'?, maistre .Dozent'), und ein weiterer wird noch vor 1250 zugänglich (chancelier .Universitätskanzler', lire ,eine Vorlesung halten4). Spätestens 1254 heißt die Hochschule universite und seit dem Ende der sechziger Jahre estuide. Chaiere .Lehrstuhl' kommt in der Zeit vor 1300 nur bei JdM vor. Als höchst aufschlußreich für JdM' eigenen Beitrag zum scholastischen Vokabular im Afr. erweist sich ein Vergleich zwischen dem prozentualen Anteil der einzelnen Disziplinen einerseits und den .Neuerungen' lexikalischsemantischer Art eines jeden Fachbereichs andererseits.

Grammatik-Rhetorik Logik Arithmetik Geometrie Musik Astronomie Universität

Anteil am gesamten scholast. Vokabular

Anteil der .Neuerungen' im Fachbereich

ca. ca. knapp gut knapp ca. ca.

ca. ca.

65 % 85 % 100% 100%

ca.

80% 20%

23% 42% 3% 6% 2% 15% 9%

-

Zu einigen Punkten der Tabelle sind jedoch Einschränkungen zu machen, die den Leser vor falschen Schlüssen bewahren und für die weitere Untersuchung klarer sehen lassen. Allerdings nehmen die Fächer des Triviums den mit Abstand größten Raum ein, doch wird der Anteil des Quadriviums noch geringer, wenn hier ausnahmsweise, aber unumgänglich notwendig auf die Metaphorik Rücksicht genommen wird. Gemäß der befolgten Praxis, Wörter und Begriffe dort einzuordnen, wo sie ihrer konkreten Bedeutung nach zu suchen sind, wurden acordance und ton unter die Musik subsumiert. Tatsächlich sind beides musikalische t.t.; sieht man aber ihre spezielle Verwendung im Rr an, so zeigt sich, daß sie in einem Passus stehen, der von der Sphärenmusik handelt (Rr 16949 ff.). Für die Aufteilung unter die artes liberales mußten beide Wörter konsequenterweise unter dem Oberbegriff .Musik' erscheinen, wenn die Untersuchung aber zu dem exakten Verwendungsbereich des .neuen' Vokabulars übergeht, werden sie, 4

Das Vokabular des Disputationswesens wurde nicht in diese Abteilung aufgenommen, wiewohl solche Übungen an der gesamten Artistenfakultät und nicht weniger an der Theologischen Fakultät abgehalten wurden; es hat seinen Platz in der Dialektik, denn die Methode und nicht die diskutierten Inhalte war ausschlaggebend für den hierfür geprägten Wortschatz.

174

entsprechend dem Kontext, unter der Astronomie mitbehandelt. Jedenfalls spielt die Musik im Vokabular des Rr keine Rolle. Die gesamte Mathematik fällt ebenfalls aus. Alle der Geometrie zugehörigen Termini stehen in einer fortlaufend metaphorisch zu deutenden Partie (vgl. S. 38 f.); kein einziger läßt sich vor dem Rr belegen s . Auch das arithmetische Vokabular verdient keine weitere Untersuchung. Figure wie auch monteplier begegnen in einem Exkurs über die Erfindung der Arithmetik 6 , some im Zusammenhang mit der Erschaffung der Welt und ihrer Gliederung nach zahlenmäßigen Gesichtspunkten, d. h. in einem Kontext, der eine bestimmte These der Schöpfung darlegt. Was denjenigen Wortschatz betrifft, der allgemein dem Universitätsbetrieb angehört, so wurde schon deutlich, daß JdM hier wenige .Neuerungen' vornahm. Dies hat seinen Grund darin, daß das hierfür verwendete Vokabular grundständig aus dem Schul- und Verwaltungsbereich des 12. Jh. stammt und eine Bedeutungserweiterung auf den Raum der Hochschule erfuhr. Bei einem Autor wie JdM, der zahlreiche Gebiete des zu seiner Zeit einem immer breiteren Publikum zugänglich werdenden Wissens in seine Fortsetzung des Rr einarbeitete, einem vorzüglichen Kenner der antiken und mit. fachlichen wie auch schöngeistigen Literatur, einem Mann, der zugleich die lt. Sprache flüssig genug beherrschte, um mehrere lt. Schriften aus Klassik, Spätantike und MA in die Vulgärsprache zu übersetzen, kurz bei einem humanistisch gebildeten und in den Naturwissenschaften erfahrenen Schriftsteller ist a priori zu erwarten, daß das von ihm verwendete Fachvokabular, zumal zahlreiche ζ. T. noch aufzuweisende lt. Vorlagen seinem Werk zugrundeliegen, zu einem hohen Prozentsatz aus lt. Fremd-, Lehn- und Übersetzungslehnwörtern besteht. Aus diesem Grunde dürfte eine Sichtung des vor 1265 im Afr. nicht nachweisbaren Wortschatzes manche Aufschlüsse darüber ermöglichen, wie der Autor bereits bekannte Begriffe in die Vulgärsprache umsetzt. Noch lohnender wird eine Prüfung desjenigen Vokabulars sein, das im Afr. als lt. Fremdwort auftritt, dessen Etymon jedoch in der im Afr. vorliegenden Bedeutung in lt. Texten aus Antike und Spätantike nicht begegnet; denn so ist ein verhältnismäßig zuverlässiger Hinweis gewonnen, daß die von JdM benutzten Vorlagen aus dem hohen MA und nicht aus der Antike stammen. Wörter wie acordance, creance, escrivain, fichier, juigierres treten, allerdings mit anderer Semantik, auch vor JdM im Afr. auf; es sind meist durch volkssprachliche Suffixe kenntliche Nominal- und Verbalableitungen. Dasselbe 5

6

Wenn sich das gesamte geometrische Vokabular JdM' auf einen geschlossenen Passus, einen mystischen Gottesvergleich, konzentriert, ferner diese Termini mit Ausnahme von angle und triangle ausnahmslos lt. Fremdwörter sind, die im Afr. nur hier vorkommen, dann besitzt der Schluß größte Wahrscheinlichkeit, daß JdM eine lt. Vorlage benutzt hat. Vgl. S. 99-101 und S. 187 f.

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gilt für logicien, das einmal im zweiten Drittel des 13. Jh. vorkommt. Alle anderen Wörter sind Hapax legomena: declarance, defenissement, determinablement, sofisterie, termineement. Die gelehrte Form declaration, Doublette von declarance, findet sich im Afr. auch nicht vor den achtziger Jahren, und selbst dort nur als juristischer t.t. Trotzdem muß declarance weder ein Neologismus um des Reimes willen noch unbedingt ein ad hoc gebildetes Buchwort sein. Ein wenn auch beträchtlich jüngeres lt.-afr. Lexikon (ca. 1350) gibt EXPLANATIO durch declerance wieder. Genauere Angaben über die Zeit von 1280-13S0 lassen sich mangels Materials nicht machen. Defenissement dürfte als vulgärsprachliche Nebenform des gelehrten Wortes diffmicion eine rein schriftliche Neuprägung des Autors sein (vgl. S. 70). Determinablement und termineement sind volkstümliche, möglicherweise von JdM selbst gebildete Ableitungen, und diese Annahme findet von verschiedenen Seiten eine Bestätigung. 1. Im Prolog seiner Boethiusübersetzung verwendet der Autor als dritte von demselben Stamm abgeleitete Form, und zwar in derselben Semantik, determineement1. 2. Das dem Adverb determinablement zugrundeliegende Adjektiv determinable setzt eine seit Jahrhunderten in der Vulgärsprache (in geringerem Maße im Lt. ebenfalls) erfolgte und nur gelegentlich in stark von lt. Vorlagen beeinflußten Texten lückgängig gemachte semantische Entwicklung der Nachfolgeformen von -BILIS voraus, nämlich den Ubergang von passiver zu aktiver Bedeutung8. 3. Die Anzahl der entsprechenden lt. Adverbien im hohen MA ist beträchtlich; in der Klassik begegnen sie fast gar nicht, erst vereinzelt seit der Spätantike. Als geläufigste Erscheinung hat DETERMINATE zu gelten, daneben erscheinen DEFINITIVE, DETERMINATIVE, TERMINATIVE. Somit erhält die Vermutung eine nicht geringe Stütze, daß die von JdM gebrauchten Adverbien innerfranzösische, vielleicht sogar seine eigenen Lehnübersetzungen nach lt. Vorbild sind, Neubildungen, deren beide Bestandteile vulgärsprachliche Eigenheiten aufweisen. Sofisterie kann formal eine vulgärsprachliche pejorative Ableitung von sofime/sofiste/ sofistre sein - Bildungen auf -erie gibt es im Afr. nicht wenige -;dennoch bin ich bis zum gegenteiligen Beleg zu dem Schlufi geneigt, daß hier lt. SOPHIST(E)RIA zugrundeliegt, -ERIA Suffix für feminine Ableitung aus dem Griechischen ist, und zwar möglicherweise ein Begriff aus der wissenschaftlichen Sophismataliteratur des Hochmittelalters, in der SOPHIST(E)RIA die theoretische Seite dieser Disziplin bezeichnet (vgl. S. 153-55). Das Vokabular, dessen lt. Entsprechungen in der vorliegenden Semantik erst im MA, frühestens bei Boethius auftritt, verteilt sich auf den Universitätsbereich 9 , auf die Fächer Arithmetik, Grammatik-Rhetorik, Astronomie und Logik. FIGURA .Zahlzeichen' kommt erst im Mit. vor; SUMMA verwendet zuerst Boethius als mathematischen Terminus. AUTHENTICUS begegnet in Altertum und Spätantike nur in juristischer und religiöser Sphäre; 1NTENTIO »Bedeutung* ist das Ergebnis ma. semantischer Entwicklung; GLOS-

7 8 9

Vgl Denomy 23. Nach Gf fiele der älteste Beleg für determineement erst ins 14. Jh. Vgl. Löfstedt, Studien 84-88: Adjektivische Verbaladjektiva auf -BILIS. Auf die mit der Universität in Verbindung stehende Terminologie braucht nicht eingegangen zu werden (vgl. S. 174).

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SARE existiert als Wort überhaupt erst seit dem MA, und LECTURA kann ich nur in einer Pariser Studienordnung (Mitte 13. Jh.) und bei Salimbene belegen. ANGULUS .Einfallswinkel von Strahlen' und OPPOSITIO .Gegenüberstellung von Gestirnen' kommen in lt. Texten vor dem Jahr 600 nicht vor; ECLIPSARE und INFLUENTIA sind überhaupt erst ma. Bildungen, und ECLIPSIS verzeichnet der TLL einmal in einem Vergleich, nicht aber als Metapher. AFFIRMATIO-NEGATIO sind Lehnübersetzungen der entsprechenden gr. Begriffe, die Boethius durch seine Aristotelcsübcrsetzungcn ins Lt. eingeführt hat. DEMONSTRABILIS und PARTICULARITAS belegt der TLL einzig bei Boethius, wie auch bei ihm erstmals DETERMINARE im Bereich der Logik auftritt. Einmal bei Sucton und dann erst wieder bei Boethius findet sich ELENCHUS. Alle anderen Termini, APPARENTIA, ARGUERE, CONVERTIBILIS, CONVERTIBILITAS, DUPLICITAS, SPECIAL1TASGENERALITAS, FIGURA D1CTIONIS, fallen vor 600 nicht unter die logische Fachterminologie, und selbst ein im MA lexikalisch belegtes CREDENTIA/CREANC1A/ CRAANTIA ist in den verschiedensten Bereichen verwendet, aber nicht in der Logik.

Der weitaus größte Teil der .Neuerungen' im Rr entfällt auf die logischen t.t., dann in etwa gleichgroßem Prozentsatz auf Grammatik-Rhetorik und Astronomie (vgl. S. 174). Auffallenderweise findet dieses für das Afr. erlangte Ergebnis eine direkte Parallele im Lt., nämlich daß der von JdM verwendete Wortschatz der Logik, ohne daß er in früheren afr. Texten anzutreffen wäre, auch im klassischen und spätantiken Lt. nicht vorkommt, mindestens in einem Drittel der Fälle nicht vor Boethius. Weiterhin verdient die Tatsache Beachtung, daß trotz Gelehrter wie Adelard von Bath, Guillaume de Champeaux und Abelard, trotz der Schulen von Laon und Chartres Termini wie APPARENTIA, CONVERTIBILITAS, FIGURA DICTIONIS im gesamten 12. Jh. offenbar nicht begegnen, hingegen bei Albert, Thomas, Roger Bacon, Robert Kilwardby, in der Sophismataliteratur keine ungewöhnliche Erscheinung sind, was sich für andere, auch im 12. Jh. schon vorhandene t.t. der Logik von selbst versteht. Analoge Feststellungen gelten für die Astronomie. Der genannte Fachwortschatz tritt z.T. erst im 13. Jh. auf; ANGULUS im optischen Bereich erstmals ca. 1225, dann häufiger bei Albert, Thomas und Robert Grosseteste; INFLUENTIA erst bei Sacro Bosco, Albert, Thomas, Gilles de Lessines 10 . Das lt. grammatische Vokabular war durchweg durch das Schulwesen des 12. Jh. ausgebildet, sofern es nicht schon seit der Antike existierte. Immerhin datiert der früheste mir bekannte Beleg für die Bezeichnung einer literarischen Autorität durch AUTHENTICUS aus der Mitte des 12. Jh., für die ma. Bildung GLOSSARE von 1156, und LECTURA kenne ich, abgesehen von einem bloßen Wortzitat bei Probus, das keine semantische Zuordnung ermöglicht, allein aus Universitätsakten von 1255 und aus Salimbenes Chronik 11 . Beträgt das Verhältnis der .Neuerungen' JdM' für Logik/Astronomie/Grammatik-Rhetorik in der afr. Sprache 85%:80%:65% (vgl. S. 174), so bleibt 10 11

Malkiel, Suffixes 162 A.31, bringt als einzigen datierten Beleg einen aus dem Jahre 1241. DuC und das MLLM geben keinen Beleg vor dem 14. Jh.

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zwar die Abfolge auch für das lt. Vokabular dieselbe, aber es ist nicht zu verkennen, welche zentrale Stellung die im MA neu bereitgestellte logische Terminologie innehat; das Gefalle beträgt hier 36%:28%: 15%. Der folgende Abschnitt befaßt sich mit dem zahlenmäßig geringen Vokabular, das schon vor 1265 nachweisbar ist, außerdem — und hier fällt die Zahl bedeutend höher aus — mit demjenigen, dessen erstes Auftreten etwa in die Abfassungszeit des zweiten Teils des Rr fällt, die hier, um eine nicht zu eng gefaßte Zeitspanne als Arbeitshypothese zugrundezulegen, auf ca. 15 Jahre (1267—82) angesetzt wird. Die Untersuchung zielt darauf, Stadien aufzuweisen, in denen das Fachvokabular in der afr. Literatur greifbar wird, andererseits und damit verbunden Werke zum Vergleich heranzuziehen, die in JdM' Schaffenszeit fallen, sofern in ihnen ebenfalls vorher nicht belegte scholastische Termini auftreten. Die große Bedeutung der artes liberales als Basis aller fachlichen Spezialisierung, ferner die vor der Errichtung der Universitäten zentrale Stellung von Grammatik und Rhetorik, die den Elementarunterricht ausmachten, läßt es methodisch unbedenklich erscheinen, hier beide Fächer zusammen mit dem Schul- bzw. Universitätsbetrieb zu betrachten, zumal schon festgestellt wurde, daß das Vokabular aus dem Bereich der Universität allgemein aus den Bezeichnungen der entsprechenden schulischen Tätigkeiten, Personen, Institutionen etc. übernommen wurde. Termini des Grammatikunterrichts wie aucteur, auctorite, entencion, glose-gloser, juigier, reciter und des Schulbetriebs überhaupt wie clerc, estudier,lernen', estuide .Lernen, Unterricht', laic, lire .lesen', maistre .Lehrer' liegen bereits im 12. Jh. vor. Den nächsten größeren Beitrag bringt Gautier de Coinci (ca. 1220—30): escorce, escrivain, titre für den Unterricht und im Rahmen der Universität escolier, estudier, estuide .Universität'?. In demselben Zeitraum finden sich auch escolier und prolixement. Etwa zehn Jahre später begegnen chancelier .Universitätskanzler' und lire .eine Vorlesung abhalten' erstmals bei Henri d'Andeli. Die „Image du monde" trägt ca. 1250 entituler und Rutebeuf 1254 universite bei. D.h. sofern die grammatisch-rhetorischen t.t. und die aus dem Universitätsbereich nicht um 1200 vorliegen, bringen außer Gautier de Coinci und Henri d'Andeli keine Autoren der ersten zwei Drittel des 13. Jh. nennenswerte .Neuerungen'. Der nächste Strom setzt in den siebziger Jahren ein. In fachterminologischer Verwendung liegt von dem logischen Vokabular im 12. Jh. nichts, im ersten Jahrzehnt des 13. Jh. ein geringer Bestand vor (oposer, respondre, sofime). Erst ein Vierteljahrhundert später kommen durch Henri d'Andeli desputer und logicien und als Allegorien Elenche, Logique, Sofime hinzu; konkret tritt logique dann ca. 1250 in der „Image du monde" auf. Aldobrandino da Siena fügt diesem Fundus ca. 1256 die Dyaspratique-theorique bei. Wieder erfolgen umfangreiche Ergänzungen erst ca. zehn Jahre später.

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Sieht man von den im 12. Jh. schon belegten Wörtern comete und espere ab, so trägt die „Petite Philosophie" in den zwanziger Jahren nicht wenig an Erstbelegen für den astronomischen Wortschatz bei: ton ,Tonintervall bei der Sphärenmusik', cercle .Planetenbahn' und zodiaque. Wohl Anfang der sechziger Jahre findet sich erstmals constellation, und mit diesen sechs Termini erschöpft sich der Bestand des vor dem Rr bekannten Vokabulars 12 . Weder arithmetische noch geometrische Termini lassen sich vor JdM nachweisen. Acordance tritt erstmals in der „Image du monde" (vor 1250) als musikalischer t.t. auf. Es ergibt sich, daß Gautier de Coinci und Henri d'Andeli für die ersten zwei Drittel des 13. Jh. diejenigen Autoren sind, die zum afr. Wortschatz des Triviums und der Universität einen beträchtlichen Beitrag leisteten. Die Fächer des Quadriviums fanden keinen Bearbeiter außer dem Anonymus der „Petite Philosophie", deren singuläre Stellung für frühe vulgarisierende astronomische Literatur stark betont werden muß. Diese Folgerungen verlangen insofern eine Präzisierung, als dies nicht heißen soll, das Vokabular des Triviums käme nicht auch in anderen Werken vereinzelt vor. Philippe Mouskes, die verschiedenen Redaktionen der „Image du monde" und vor allem Rutebeuf zeigen große Vertrautheit mit geläufigen Wörtern aus Grammatik, schulmäßigem Disputationswesen und Universitätseinrichtungen. Aber, wie gesagt, diese Termini verwenden sie nicht als erste, sondern sie lagen schon bei Gautier de Coinci oder Henri d'Andeli vor. Von den zwischen 1267 und 1282 entstandenen Werken kommen nur drei für einen sprachlichen Vergleich mit dem zweiten Teil des Rr in Betracht, Brunetto Latinis „Tresor", die Ubersetzung der aristotelischen Meteorologika durch Mahieu le Vilain und die afr. Fassung von Ciceros „Rhetorik" durch Jean d'Antioche. Für die Abfassungszeit dieser Schriften gibt es nur Näherungswerte, wobei der „Tresor" sich noch am ehesten chronologisch fassen läßt. Die Angaben lauten recht einheitlich: 1268 in Levys Chronologie und 126768 bei dem Herausgeber Carmody. Als Entstehungszeit der „Meteora" setzt der Herausgeber Edgren einen Zeitraum von 1270—90 an, hält die späten siebziger Jahre für das Wahrscheinlichste. Hs. Divergenzen innerhalb der Datierung von Jeans d'Antioche Werk erfordern einen Entscheid zwischen dem Jahr 1272 oder 1282. Der Herausgeber Delisle entscheidet sich für 1282, der DLF folgt ihm hierin, während Faral, Arts poetiques 49 Α. 1, diese Datierung in Zweifel zieht. Der „Tresor" kann also als das ältere Werk im Vergleich zu den Ubersetzungen von Mahieu le Vilain und Jean d'Antioche gelten, während sich über die chronologische Relation der beiden letztgenannten Werke keine genaueren Angaben machen lassen. Das bei Brunetto Latini und JdM, nicht aber in der früheren afr. Literatur nachweisbare scholastische Vokabular besteht vor allem aus logischen Termini. Desputer, logi· 12

Diese wie auch die folgenden Aussagen sind natürlich stets in Bezug auf das Vokabular des Rr zu verstehen.

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que, pratique -theorique, sofime sind auch vorher belegt, nicht aber conclure, conclusion, especial-general, especialite-generalite, generaument, particulier, semblable als polare Ausdrücke und prouvable .wahrscheinlich*. Hinzu kommen aus dem Gebiet der Arithmetik some und monteplier, cercle .Himmelsgewölbe' in der Astronomie und similitude als rhetorische Figur. Wie das Thema der „Meteora" erwarten läßt, verteilt sich das JdM und Mahieu le Vilain gemeinsame Vokabular zu etwa gleichen Teilen auf die Fächer des Quadriviums und die Logik, wobei sich natürlich auch Gemeinsamkeiten mit Brunetto Latini ergeben, während für Grammatik-Rhetorik nur metaphore, parabole, texte zu verzeichnen sind. Im Afr. .neue* logische Termini sind arguer und cavillacion; conclure, conclusion, especiaument-generaument, generalite waren bereits im „Tresor" belegt. Erstmals, und zwar in konkreter Bedeutung, treten in der Geometrie angle und triangle auf, in der Astronomie angle und (estoille) fichie, denn constellacion, cercle .Sonnenbahn' und .Tierkreis', comete und zodiaque finden sich auch in älteren Texten. Jeans d'Antioche sprachliche Übereinstimmungen mit JdM konzentrieren sich, entsprechend der Vorlage, nahezu auf einen Bereich. Abgesehen von eserivain und titre, seit Gautier de Coinci bekannten Wörtern, und juigierres .Kenner' (hier jedoch im Rahmen der bildenden Künste) gehört dieses gemeinsame Vokabular ausnahmslos der Logik an: apareissance, arguer, conclure, conclusion, desputer, diffinicion, especial-general, especiaument, logique, particulier, pratique-theorique, prouvable, semblable, sillogime, simple, singülier. Besonders fallen Wörter und Wortverbindungen auf wie apareissance, diffinicion, sillogime, simple-necessaire, singulier-general, die, soviel ich sehe, im Afr. in der vorliegenden Bedeutung nur noch bei JdM vorkommen (apareissance, sillogime) oder im Rr und dann erst wieder Ende des 13. Jh. Die Anzahl der Kongruenzen dürfte noch umfangreicher sein, denn diese Feststellungen basieren auf der Lektüre einer partiellen Ausgabe der Übersetzung; eine Gesamtausgabe liegt bislang nicht vor. T r o t z starker Ü b e r e i n s t i m m u n g e n des R r m i t den g e n a n n t e n Werken, vor allem m i t B r u n e t t o Latini u n d J e a n d ' A n t i o c h e in der Logik, m i t den „Met e o r a " in d e n N a t u r w i s s e n s c h a f t e n , t r o t z zahlreicher G e m e i n s a m k e i t e n m i t der a f r . Ü b e r s e t z u n g v o n Ciceros „ R h e t o r i k " ergibt sich, daß, abgesehen v o m „ T r e s o r " , a u f g r u n d des rein lexikalisch-semantischen B e f u n d e s eine relative C h r o n o l o g i e d e r S c h r i f t e n nicht aufgestellt w e r d e n k a n n u n d n o c h weniger Folgerungen über einen eventuellen E i n f l u ß auf d e n R r möglich sind. Die vielen u n l e u g b a r e n sprachlichen Ü b e r e i n s t i m m u n g e n h a b e n ihren G r u n d nicht in d e r gegenseitigen Beeinflussung der vier Werke, s o n d e r n in d e n lt. Vorlagen, die für die Ü b e r s e t z u n g e n herangezogen w u r d e n , die aber a u c h B r u n e t t o Latini u n d J d M in g r o ß e m U m f a n g übersetzend o d e r freier form u l i e r e n d ausgeschrieben h a b e n . G e r a d e für d e n Italiener, fur J d M u n d nicht weniger für J e a n d ' A n t i o c h e h a t die sichere K e n n t n i s d e r r h e t o r i s c h e n Schrift e n Ciceros das f u n d a m e n t a l e logische V o k a b u l a r geliefert, w o b e i diese Aussage für J d M , u m Mißverständnisse zu v e r m e i d e n , sogleich d a h i n g e h e n d präzisiert w e r d e n m u ß , d a ß nicht b e h a u p t e t w e r d e n soll, er beziehe seine logische T e r m i n o l o g i e v o n Cicero, s o n d e r n n u r , d a ß ihm Ciceros „ R h e t o r i k " u n d auch andere seiner Werke v e r t r a u t w a r e n . V o n den lt. Quellen z u m z w e i t e n Teil des R r wird in einem eigenen Kapitel die R e d e sein. Die d i s k u t i e r t e n E i n z e l p r o b l e m e u n d die k n a p p e Übersicht über die Ergebnisse ermöglichen weitere Schlüsse, die einerseits J d M ' geistige P e r s o n betref-

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fen und allgemeiner die Bildungslage im Frankreich des 12.—13. Jh. beleuchten. Der Dichter stammt aus Meun-sur-Loire, dürfte also seine erste Ausbildung in einer Gegend erfahren haben, die im 12. Jh. durch Kulturzentren wie Angers, Orleans und Tours einen über die Landesgrenzen hinausreichenden Ruhm genoß. Während das nördlich gelegene Chartres die Disziplinen des Quadriviums betont, eine Metaphysik platonischer Prägung entwickelt, blühen an der Loire die grammatisch-rhetorischen Studien bei der Klassikerlektüre. Ab 1140 hat Orleans den Primat inne, den es jedoch gegen Ende des Jh., übrigens nicht anders als Chartres schon früher, gegen das emporstrebende Paris verteidigen m u ß . Hier hat die Dialektik seit Abelards Schulgründung immer breiteren Raum gewonnen, die Artes wie auch die Theologie erfaßt und die Classici zurückgedrängt. Henri d'Andeli stellt diese Auseinandersetzung allegorisch in „La bataille des sept arts" (ca. 1230) dar, wo die personifizierte Logik von Paris aus gegen die aus Orleans vorrückenden Auetores zu Felde zieht. Paris mit seiner .modernen' Forschungsrichtung behält die Oberhand, doch bleibt Orleans noch bis in die Mitte des 13. Jh. Zentrum humanistischer Studien, wenn auch völlig im Schatten der inzwischen fest etablierten Universität Paris. In dieser Grundschulzeit, die etwa in die vierziger Jahre fallen dürfte, hat sich JdM mit der lt. Sprache vertraut gemacht und sie immer weiter gepflegt, bis er Jahrzehnte später in der Lage war, lt. Werke der Klassik wie auch der Gegenwart in die Volkssprache zu übersetzen. Nicht weniger gründlich hat er sich mit den klassischen und mit. Dichtern beschäftigt, sie in der damaligen Art allegorice interpretieren gelernt, ein Verfahren, das er, wie er im R r selbst sagt, rundweg ablehnt, und er hat ihren Stil so aufmerksam studiert, vor allem den Alans, daß er ihn mit Geschick nachzuahmen verstand. Das Gründungsjahr der Pariser Universität steht nicht genau fest; soviel ist jedenfalls sicher, daß sie noch im ersten Jahrzehnt des 13. Jh. ihre Statuten vom Papst erhielt, die der französische König bestätigte. Das Studium an der Artistenfakultät bildet die unumgängliche Voraussetzung für jede Weiterbildung in anderen Disziplinen. Von der starken Betonung der Logik nicht als eines Faches, sondern einer in allen anderen Wissenschaftszweigen verwendeten Methode war schon die Rede. Zwar ist zunächst von der aristotelischen Logik nur die durch Boethius' lt. Übersetzung übermittelte Logica vetus bekannt, aber als seit der Mitte des Jh. das gesamte Organon in lt. Sprache vorliegt, macht der Ausbau des als typisch scholastisch anzusprechenden Disputationswesens bedeutende Fortschritte. Zu derselben Zeit etwa (1255) wird das Verbot, die aristotelische Physik und Metaphysik zu lehren, das zugestandenermaßen schon beträchtlich früher übertreten worden war, aus den Lehrplänen gestrichen. Diese führen zwar auch im 13. Jh. unverändert Kanones antiker und mit. Autoren, aber an der Universität wird nicht die Grammatik und Rhetorik der alten 181

humanistischen Schule betrieben, sondern die Texte bilden den Ausgangspunkt für logische Erörterung grammatischer Probleme, wie dies besonders im letzten Viertel des Jh. die spekulativen Grammatiken zeigen. Roger Bacons Klage über die Verwilderung des damaligen Lt. ist keine Einzelerscheinung. Die Rhetorik wird, wenn auch nicht in demselben Maße wie in Italien, utilitaristisch umfunktioniert; sie ist nunmehr Hilfswissenschaft für Jus und Verwaltung, was sich an den zahlreichen artes dictaminis ablesen läßt. Ebenfalls durch die Aufhebung des Aristotelesverbotes gewinnen die Forschungen in den naturwissenschaftlichen Zweigen außerordentlichen Auftrieb. Diese grob skizzierte Lage der Universität wird JdM vorgefunden haben, als er Anfang der fünfziger Jahre zum Studium nach Paris kam 13 . Die Artistenfakultät muß er wie jeder andere absolviert haben, und dort hat er auch das Disputieren kennen und handhaben gelernt, wie sich an den verschiedensten Stellen des Rr zeigen ließ. Auch mit der Theologie hat er sich befaßt, wie wohl jeder Gebildete im MA, ja sein überlieferter Titel clerc weist daraufhin, daß er einem Orden angehörte. Seine Pariser Wohnung geht nach seinem Tod (1305) testamentarisch an die Franziskaner über. In den verschiedensten Zweigen der Naturwissenschaft wird er ebenfalls Vorlesungen gehört und selbst Lektüre gepflegt haben, denn seine Dichtung ist voll von Abhandlungen meteorologischer, mineralogischer, optischer, physikalischer, astronomischer, medizinischer und anderer Probleme. Vor allem ist zu bedenken, daß er die .Großen' der Scholastik, Albert, Thomas, Roger Bacon, Bonaventura, Robert Kilwardby, übrigens auch die .Häretiker', den Kreis der lt. Averroisten um Siger de Brabant, in Paris selbst hören konnte. Ihr Einfluß zeigt sich in manchen Lehren JdM', die auf der 1277 von Etienne de Tempier aufgestellten Irrtumsliste erscheinen. Schließlich liegt die Annahme nahe, der Dichter sei nach seinem Studium als Maftre es Arts an der Pariser Universität geblieben. So würde sich sein Titel maistreJehan deMeung erklären, wie auch zahlreiche andere Einzelbeobachtungen von daher neues Licht gewännen. Was läßt sich nun, nachdem einige Lebensumstände des Autors wie auch das französische Bildungswesen des 12. und besonders des 13. Jh. kurz aufgerollt worden sind, aus den Ergebnissen von S. 1—169 folgern und von der Tabelle S. 174 ablesen? Ferner, wie steht es mit dem Verhältnis der artes liberales zu der Scholastik? 13

Die Annahme von Zeit und Ort rechtfertigt sich insofern, als er von der Veröffentlichung und päpstlichen Verdammung des von Giraido di Borgo San Donnino herausgegebenen „Evangelium eternum" Gioacchinos da Fiore (1254) so ausführlich und kritisch berichtet, wie es nur ein Kenner und Augenzeuge tun kann. Auch sein Eintreten fiir Guillaume de St.-Amour, der erbittert gegen Gioacchino und die Bettelorden predigte und dafür vom Papst verurteilt wurde (125S), weist in dieselbe Richtung. Übrigens entnimmt JdM Guillaumes Werk „De periculis novissimorum t e m p o r u m " ganze Passagen für seine eigene Polemik gegen die Mendikantenorden. Auf weitere Belege für JdM' Kritik an zeitgenössischen Ereignissen kann nicht näher eingegangen werden, da dies zu weit vom Thema abführen würde.

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Die Aufteilung des Vokabulars unter die sieben Künste und den Hochschulbereich läßt erkennen, daß die Fächer des Quadriviums bei JdM kaum vertreten sind. Arithmetische Termini machen nicht einmal 3 % des scholastischen Wortschatzes aus (s.o. S. 175). Geometrische Termini begegnen mit zwei Ausnahmen ausschließlich in metaphorischer Verwendung (s.o. S. 175 A. 5). Aus der Musik findet allein die Sphärenmusik Erwähnung, die im Rahmen der Astronomie zu behandeln ist. Sie aber zählt nach der modernen Wissenschaftseinteilung nicht zum Quadrivium, sondern rückt als Naturerscheinung in die Nähe der Physica. Damit bestätigt sich am scholastischen Vokabular JdM' Paetows Behauptung, das Quadrivium sei in Frankreich im 13.—14. Jh. fast gar nicht betrieben worden 1 4 . Grammatisch-rhetorische 1.1. machen nicht ganz ein Viertel des scholastischen Wortschatzes aus, bringen dennoch zwei Drittel Neuerungen' im Fach, nur sind diese nicht lexikalische Neubildungen — die Wörter liegen im Lt. meist, im Afr. oft schon vor 1200 vor — sondern Bedeutungsübertragungen vom Schulbetrieb auf die Hochschule, was übrigens für die Termini des Universitätsbereichs in gleicher Weise gilt. Dieses Vokabular hat JdM als Knabe in der Schule gelernt, als Student an der Artistenfakultät weiter geübt und als Magister artium ebendort anderen vermittelt. Hier wird ein nicht unbedeutendes Ereignis sichtbar, ja lesbar, nämlich die erste Äußerung in der Volkssprache über die Verlagerung der artes von der Klosterschule in die Universität. Zahlreich wie in keinem anderen Fach der früheren artes liberales und ,neu' wie nur in den .Nebenfächern' Arithmetik und Geometrie ist das logische Vokabular im Rr. Der ungemein hohe Anteil der .Neuerungen', ferner die oben getroffene Feststellung, daß auch die lt. Entsprechungen vieler Wörter erst im 13. Jh. begegnen, zeigt, daß JdM für die betreffenden Partien direkt auf zeitgenössische Texte bzw. Dozenten oder Übungen zurückgreift, also seine unmittelbare Umgebung in die pichtung hineinträgt. Übrigens bestätigt der hohe Anteil der Logik am Wortschatz der Freien Künste die mehrfach aufgestellte Behauptung, die Logik sei nicht mehr Einzeldisziplin, sondern methodisches Verfahren aller Fachbereiche. Ein Bück auf die aristotelische Wissenschaftseinteilung (S. 133) läßt erkennen, daß in diesem Schema das Quadrivium als MATHEMATICA seinen Platz unter dem Oberbegriff THEORICA einnimmt, während das gesamte Trivium als LOGICA erscheint, somit die sieben artes liberales einen Teilbereich des aristotelischen Systems abdecken. Ist aufgrund dieser Beobachtung der Schluß erlaubt, die Artistenfakultät setze die Studien der Freien Künste, wie sie in Klosterschulen zunächst betrieben wurden, direkt fort, gerade wie das Vokabular von der Schule auf die Universität übergeht? Dies ist nicht der 14

PaetArts 8 f. Das Faktum ist richtig beobachtet, aber, wie ich meine, die Begründung ungenau formuliert; s. u. S. 184.

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Fall. Vielmehr hat sich allein die Bezeichnung erhalten. Die Institution selbst aber erfuhr unter dem Einfluß der bis ca. 1250 vollständig bekannt gewordenen aristotelischen Logik, Physik und Metaphysik eine Umstrukturierung, die der aristotelische Wissenschaftsbegriff notwendig machte. Die Artistenfakultät ist zu einer Philosophischen Fakultät geworden, so daß es gar nicht der realen Lage entspricht, wenn Paetow angibt, das Quadrivium sei im 13.— 14. Jh. in Frankreich kaum betrieben worden. Nein, es gab kein Quadrivium, auch kein Trivium im Sinne der früheren Freien Künste mehr, sondern die entsprechenden Fächer waren im Rahmen der aristotelischen Einteilung der Philosophie umgestaltet worden, wie auch das Vokabular der artes liberales sich zu einem scholastischen Vokabular gewandelt hatte.

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C. EXKURS: DIE VORLAGEN JEANS DE MEUN

Die voraufgehende Untersuchung bringt eine Anzahl von Feststellungen über die Frage nach den Quellen JdM'. Es zeigt sich, daß das linguistische Verfahren einen neuen Ansatz fur die Behandlung liefert. Das soll kurz ausgeführt und durch einige Beispiele illustriert werden. Vor fast achtzig Jahren hat E. Langlois (Lg), der Herausgeber des Rr, auch eine Quellenstudie über den afr. Roman verfaßt. Diese für ihre Zeit höchst verdienstvolle Monographie, die er .Origines et sources du „Roman de la R o s e " ' nannte, besitzt verschiedene methodische Schwächen und nicht unbeträchtliche Lücken. Diese Lücken sollen hier nicht geschlossen, wohl aber Wege und Richtungen aufgewiesen werden, in denen eine gezielte Untersuchung über JdM' Vorlagen sich zu bewegen hätte. Lg trennt, wie er selbst zugibt, nicht die direkte Quelle von irgendeiner antiken oder ma. Parallele oder bloßen Anklängen in Ausdruck und Inhalt, so daß, sofern die Vorlage nicht augenfällig als solche erwiesen ist, eine solche Angabe über JdM' Vorlage nichts aussagt. Lg geht häufig von namentlich erwähnten Autoren aus und stellt im Verlauf seiner Untersuchungen fest, daß die von JdM gemachten Aussagen in der genannten Schrift nicht zu finden sind oder anders lauten. Umgekehrt führt er umfangreiche Passagen auf einen im MA sehr bekannten antiken A u t o r zurück, weil der Inhalt der Texte sich weitgehend deckt oder der betreffende Dichter auch an anderen Stellen des Rr herangezogen worden ist. Daher kommt es, daß Lg bei Autoren wie Macrobius, Chalcidius, Boethius und Alan, um nur einige zu nennen, viel mehr liest, als diese Dichter zu dem afr. Roman beigetragen haben. Andererseits gelangt er zu Behauptungen wie der, Aristoteles sei kaum benutzt worden, weil sein Name an nur drei Stellen im Rr erscheint. Unbestritten besaß JdM durch die humanistische Schulung seiner Jugendzeit vorzügliche Kenntnis über die antiken Autoren, ja er benutzt sie auch dort, wo er sie nicht namentlich erwähnt. Ebensowenig läßt sich leugnen, daß er unter dem prägenden Einfluß Alans steht. Nur m u ß man beachten, wo und wie sich dieser Einfluß im Rr bemerkbar macht, und dann wird man sehen, daß er Anregungen für den Aufbau des Romans gegeben hat, JdM für die ersten paar tausend Verse seiner Fortsetzung, eben solange er noch wirklich eine Liebesallegorie entwirft, ganze Partien aus dem allegorischen Epos „De

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planctu N a t u r a e " übernimmt, auch den markanten, rhetorisch zugespitzten Stil Alans in der afr. Sprache zu treffen weiß — aber für den Inhalt des Hauptteils, dort, wo JdM eine Fachwissenschaft nach der andern in vereinfachter F o r m abhandelt, hat der Dichter Alan kaum irgendwo Pate gestanden. Direkte Anleihen bei antiken oder mit. Dichtern machen nur einen geringen Anteil in JdM' Fortsetzung des Rr aus. Die indirekte Vermittlung klassischer und spätantiker Autoren durch ma. Schriftsteller, durch Kompendien und Übersetzungsliteratur greifbar gewordene Werke der Griechen und Araber, dazu Kommentare, die immer und immer wieder geschrieben werden, ferner Predigten und Universitätsvorlesungen — dies sind die Materialien, die in den afr. Roman eingingen. Berichte aus klassischen Autoren führen oft nur ein ornamentales Leben, dienen als Exempla für aus dem Gegenwartsleben gegriffene Thesen und kritische Äußerungen. Es reicht bei weitem nicht aus, JdM* Inspiration bei den großen Literaten des 12. Jh., bei Alan, Johannes von Salisbury, Bernard de Silvestre oder Jean de Hanville, zu suchen. Auch dieses Jh. kannte bereits Logiker wie Abelard und Guillaume de Champeaux, Enzyklopädisten, wie sie in Chartres und der Viktorinerschule anzutreffen sind, Theoretiker von Literatur und Dichtung wie Matthieu de Vendöme. Die Theologen sind keineswegs beim Quellenstudium zu vernachlässigen, erst recht nicht der als häretisch verdächtige Kreis der Porretaner, dem auch Alan angehört; denn JdM* Auseinandersetzung mit Sekten, wie dies am Joachismus deutlich wird, seine Polemik gegen die Mendikantenorden und manche auf zeitgenössischen Irrtumslisten stehende Lehren des Dichters zeigen, daß er ein engagierter Dogmatiker oder mindestens ideengeschichtlich interessiert ist. Übrigens fehlt bei Lg jeglicher Hinweis auf Quellen zu der ausführlichen Beschreibung des Paradieses, die bald mythische, bald christliche Akzente aufweist. Einige dieser Stellen gehen auf die bislang kaum veröffentlichten Predigten Alans zurück, andere machen eine christliche Apologetik heidnischer arabischer Astronomie deutlich (vgl. S. 188 f.). Hinzu kommen die Literaten des 13. Jh., Geoffroi de Vinsauf, Alexandre de Villedieu und vor allem Johannes von Garlandia, der etwas zugespitzt von manchen Forschern als einsame humanistische Größe des 13. Jh. neben JdM und Dante genannt wird und noch in der Mitte des 13. Jh. Magister artium in Paris war. Den Enzyklopädisten Vincent de Beauvais mag JdM gekannt oder mindestens gelesen haben. Sicher aber hat er die naturwissenschaftlichen Schriften Roberts de Grosseteste gelesen, astronomische Fachbücher der Araber, die längst in lt. Übersetzung vorlagen, lt. Fassungen des aristotelischen Organon, der Naturalia und der metaphysischen Schriften, Kommentare aus der Nachfolgerschaft des Averroes, wie er an den Erörterungen in ι Form von Disputationen nicht selten selbst teilgenommen haben wird. Dasselbe gilt für die Sprachlogik, die Boetius von Dakien, Robert KUwardby und 186

Siger de Brabant besonders pflegten und in den sechziger und siebziger Jahren an der Universität lehrten. Vorlesungen der großen Theologen und Naturwissenschaftler Albert, Thomas, Bonaventura und Roger Bacon dürfte JdM persönlich in Paris gehört haben. Einige ausgewählte Stellen mögen die oben umrissenen methodischen Ansätze exemplarisch illustrieren. Zu der Beschreibung des Himmels und der sieben Planeten (Rr 16807—28) führt Lg im Anhang seiner Textausgabe (Lg IV 305) Stellen aus Chalcidius' Kommentar zum platonischen „Timaios", aus Macrobius' Erläuterung des ciceronianischen „Somnium Scipionis" und einen Ausschnitt aus Alberts Schrift „De caelo et m u n d o " an, von denen keine einzige der Darlegung im Rr gerecht wird. Macrobius berechnet nämlich das Weltenjahr mit 15000 Jahren, während JdM von 36000 spricht. Die von Lg vorgelegten Auszüge aus dem 1. Buch der albertinischen Schrift bringen zwar, wie der Rr, die Angabe von 36000 Jahren, aber im 2. Buch desselben Werkes, das Lg nicht erwähnt, finden sich fortlaufend bedeutend mehr Einzelheiten des Rr. Für Lg' Auszüge sei auf die Textausgabe des Rr verwiesen, während hier die entsprechenden Partien aus Alberts „De caelo et m u n d o " zum Vergleich mit JdM' Beschreibung folgen. ( a ) . . . ergo natura attribuit talem velocitatem circulis in quibus sunt fixae stellae. De motu autem qui vocatur ,aplanes' non tenent istae rationes: quia nos videmus quod in hoc motu est tardior sphaera major, et velocior est sphaera minor ut in omnibus vel in pluribus (AlbMagnCael II 3, 7 = Borgnet IV 186). ( b ) Est autem quaedam Mathematicorum opinio, quam viri exceilentes defenderunt et defendunt, cujus auctor Plato esse dignoscitur, quod scilicet circuli moveantur motu diurno deferente stellas: stellae autem moveantur motu qui est ab Occidente in Orientem et non circuli: et fit talis dh'isio inter circulos et stellas, quod secundum motum diurnum circuli moveantur, et non stellae: et secundum motum erraticum stellae moveantur, et non circuli. Isti enim duo motus sunt in superioribus, qui Graece vocantur π λ ά ν η ς et ά π λ α ν η ς hoc est erraticus et sine errore (ds. ebd. 113, 9 = Borgnet IV 191). ( c ) . . . sunt autem deprehensi tres motus in sphaera stellarum fixarum quorum unus est motus diurnus ab Oriente in Occidentem super polos mundi, completus in viginti quatuor horis. Et alter est motus stellarum fixarum ab Occidente in Orientem in Omnibus centum annis per unum gradum, completus in omnibus triginta sex milibus annis. Tertius autem motus . . . (ds. ebd. II 3, 11 = Borgnet IV 195).

Damit dürfte erwiesen sein, daß JdM die ma. Schrift, und nur sie, zum Ausgangspunkt seiner dichterischen Ausgestaltung gemacht hat. Rr 12790 spricht der Autor des Rr von dem .Erfinder' der Arithmetik AlChwarismi, dessen Name in ma. Texten durchweg verkürzt als ALGUS/ARGUS erscheint. Im Anschluß an einige Erläuterungen zu diesem frühen arabischen Mathematiker bringt Lg III 330 Verse aus dem altitalienischen „Fiore", in denen ebenfalls ,mastro Arghus' mit seinen zehn Zahlen auftritt. Ein 187

Verweis auf dieses Gedicht, gleichgültig, ob es Dante oder einem anderen Dichter der Trecentisti gehört, hilft aber keinen Schritt weiter für eine Quellenuntersuchung des Rr, denn das Gedicht ist in Anlehnung an den Rr entstanden. Hingegen gibt es mehrere speziell mathematische oder auch enzyklopädische Werke des 13. Jh. in lt. Sprache, in denen von der Herkunft der Zahlzeichen die Rede ist (vgl. S. 99—101). Ein so guter Latinist wie JdM brauchte nicht zu warten, bis die afr. Übersetzung von Alexandres de Villedieu „Carmen de algorismo" erschien 15 , sondern er konnte die ma. Originale direkt heranziehen. Mögliche Vorlagen sind also das lt. „Carmen de algorismo" (S. 101, h), Vincents de Beauvais „Speculum doctrinale" (ebd. i), Sacro Boscos „Tractatus de arte numerandi" (ebd. j; vgl. auch S. 99 f. A. 189), wenn nicht noch weitere im 13.Jh. zugängliche mathematische Fachschriften existierten, die ihm die entsprechende Information vermitteln konnten. Zur Sphärenharmonie (Rr 16949—53) fehlen bei Lg jegliche Angaben. Nun gibt es zwar aus den zwanziger Jahren einen afr. Text, die anonyme „Petite Philosophie", wo von den Abständen der einzelnen Planeten und den je nach Geschwindigkeit der Bewegung unterschiedlichen Tönen die Rede ist (vgl. S. 157 1). Aber diese frühe vulgarisierende Schrift geht für diese Angaben sehr wahrscheinlich auf Honores d'Autun „Imago mundi" zurück (S. 160 a'), während JdM offensichtlich Vincents de Beauvais „Speculum naturale" benutzte (ebd. b'), das seinerseits allerdings Stoff von Honore d'Autun übernommen hatte. Der Schluß, daß für den Rr nicht die Enzyklopädie des 12., sondern des 13. Jh. als Quelle in Frage kommt, stützt sich auf Vincents de Beauvais Zusatz gegenüber der „Imago mundi", die Sphärenmusik stelle das Vorbild für die irdische Musik dar. Zu den Rr 19177—90 namentlich Albumasar zugeschriebenen Ausführungen über die Jungfraungeburt gibt Lg keine Quelle an, da, wie er selbst sagt, Albumasar ihm nicht greifbar war. Aber auch wenn er das „Introductorium in astronomiam" eingesehen hätte, wäre er zu keinem Ergebnis gelangt. Nicht in der von Johannes Hispalensis 1133 in Spanien verfaßten und noch unedierten Übersetzung, auch nicht in der durch Hermann de Carinthia ca. 1140 entstandenen Kurzfassung, die in einer Inkunabel und zwei Frühdrucken zugänglich ist, stehen Angaben, die sich mit denen des Rr decken. Zwar ist im 6. Buch vom Sternkreis der Jungfrau die Rede, unter welchem Zeichen eine Jungfrau mit einem Knaben im Arm am Himmel aufsteigen soll, aber mehrere Einzelheiten des Rr und vor allem die christliche Deutung stehen dort nicht. Wie verschlungen die Wege sind, auf denen der arabische Traktat von Spanien nach Frankreich kam, durch wen der astronomische Bericht über das Sternkreiszeichen der Jungfrau mit christlicher Apologie versehen wurde 15

Diese wird übrigens nicht völlig sicher in die Mitte der siebziger Jahre datiert und nennt nicht zehn, sondern neun Zahlzeichen, geht also auf indische, nicht arabische Tradition zurück.

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und über welche Vermittlung JdM auf die im hohen MA weit verbreitete .Prophezeiung' Albumasars stieß, wurde an anderer Stelle ausgeführt 16 . Rr 17101—497 bringt JdM eine umfangreiche Erörterung über das Verhältnis menschlicher Willensfreiheit und göttlicher Vorbestimmung. Lg vermerkt im Anhang: „Tout le chapitre qui suit sur la prescience divine et le libre arbitre est emprunte ä Boece" (Lg IV 307), und er schreibt jeweils die Belege aus dem 5. Buch der „Consolatio" aus. Obwohl es keiner Erwähnung bedarf, daß Boethius zu den im MA meistgelesenen und kommentierten Autoren gehört, daß JdM die „Consolatio" auch vor seiner Übersetzung ins Afr. gekannt haben mag, läßt sich zeigen, daß der authentische Boethiustext JdM nicht vorgelegen hat. Wer sich durch eingehendes Studium des Rr auch mit JdM' Handhabung von Vorlagen vertraut gemacht hat, muß mißtrauisch werden, wenn Lg feststellt, daß der Dichter die sog. Belegstellen aus der „Consolatio" in buntem und oft sehr schnellem Wechsel bald aus dem 3. Kapitel entnommen hat, dann aus dem 6., gleich danach aus dem 4. und 5.17 Nun mag man einwenden, die freie Handhabung der Vorlage für die eigene Komposition sollte man dem Dichter nicht absprechen; das mag, wenn sich eine solche Behauptung auch nicht beweisen läßt, gelten. Aber aus linguistischer Sicht bieten sich Kriterien, die nicht von der Hand zu weisen sind. Dies soll an zwei Ausschnitten (Rr 17201—38; 17313—36) im einzelnen erläutert werden. Lg weiß außer dem Hinweis auf Boethius' Trennung des NECESSITAS-Begriffs in NECESSITAS SIMPLEX und NECESSITAS CONDICIONIS zu Rr 17201—38 keinerlei Vorlage aus der „Consolatio" anzugeben, und der von ihm IV 309 zu Rr 17313—50 zitierte Boethiustext hat nahezu nichts mit der Partie des Rr gemeinsam. Seltsamerweise spricht JdM von einer Distinctio in necessite simple und necessite en regart, während er in seiner später verfaßten Boethius-Übersetzung, wo ihm mit Sicherheit der spätantike Text vorlag, nicht necessite en regart, sondern necessite condicionnelle18 schreibt, entsprechend dem lt. NECESSITAS CONDICIONIS. Mag 16

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Vgl. G. Hilder: Abu Ma'shars „Introductorium in astronomiam" und der altfranzösische „Roman de la rose". Ein Beitrag zur Tradition arabischer Astrologie und ihrer christlichen Deutung im 12. und 13. Jahrhundert. Fs. W. Richter (Göttingen, 1970, Maschinenschrift) 5 5 - 8 5 . Erscheint ZrP 88 (1972). Lehrreich ist ein Fall wie Rr 11605-36, wo JdM an Hand des Matthäusevangeliums Textauszüge in einer Predigt Guillaumes de St.-Amour ergänzt und entsprechend der Abfolge in der Bibel umstellt. Daß er beide Schriften ineinanderarbeitet, beweisen Verse, die gegenüber dem Bibeltext als Ergänzungen zu gelten hätten, die aber Guillaumes Kommentar entnommen sind (Rr 11606 f., 11609 f. u. a.). Lg druckt III 322 f. den Text aus dem Matthäusevangelium ab, ohne jedoch den Leser gleichzeitig darauf aufmerksam zu machen, daß die Predigt „De phariseo et publicano concio" Guillaumes Ausgangspunkt fur JdM' Darstellung ist. Das Adjektiv condicionnel entstand gewiß in Anlehnung an die lt. Vorlage, denn in der gesamten afr. Literatur begegnet es kein zweites Mal. Aber es tritt auch

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auch dieser Wechsel im Ausdruck noch in Anbetracht einer zeitlichen Differenz von ca. 25 Jahren im Bereich des Möglichen liegen, so erregen andere Fakten den unabweisbaren Verdacht, daß JdM nicht die boethianische „Consolatio" zur Hand hatte. Folgende Wörter und Wortverbindungen sind in der entsprechenden boethianischen Partie terminologisch nicht nachweisbar: chose possible (17205) - chose necessaire (17232) 19 , avenement necessaire - avenement possible (17225 f.), convertibilite de veir ede necessite (17215 f.), convertible (17234), verite possible - simple verite (17233-36); eleccion (17318), addicion (17321), possibilite - necessite (17325 f.), parnegacion - par affirmation (17331 f.).

Zunächst ist generell festzustellen, daß die genannten Termini zum großen Teil antithetische Ausdrücke sind, wie sie typisch beim Verfahren der DISTINCTIO in scholastischen Disputationen auftreten. Ferner sei auf die bemerkenswerte Tatsache hingewiesen, daß Wörter wie addicion, convertible, convertibilite, eleccion, possible, possibilite im Afr. entweder gar nicht oder nicht in der im Rr vorliegenden Bedeutung vorkommen, daß auch die Dyas par affirmation - par negacion sich nicht belegen läßt, so daß die Annahme gerechtfertigt erscheint, JdM habe die lt. Begriffe in die Vulgärsprache übernommen. Bedenkt man andererseits, daß die Substantive POSSIBILE und POSSIBILITAS erst im Splt., und auch dort nur vereinzelt, auftreten; daß eine Opposition von AFFIRMATIO und NEGATIO vor dem 12. Jh. nicht zu finden ist; daß CONVERTIBILIS und CONVERTIBILITAS zwar in der Spätantike, aber nur in anderer Semantik, vorkommen, im logischen Bereich das Adjektiv gelegentlich im 12. Jh., das Substantiv nicht vor Thomas von Aquin zu belegen ist; daß aber alle Wörter spätestens in der zweiten Hälfte des 13. Jh. häufig und bei den verschiedensten Autoren begegnen, dann erscheint Lg' Behauptung, JdM habe Boethius direkt benutzt, immer fragwürdiger. Hinzukommt, daß die Wörter sich morphologisch (Ableitungen auf -IBILIS, -ITAS, -TIO) als späte Bildungen ausweisen, wie sie besonders die Scholastik in großem Umfang prägte. Es würde hier zu weit führen, wollte ich die schon bei Abelard greifbaren und immer wieder erörterten theoretischen Einteilungen der Aussagemodi in die Kategorien NECESSE-POSSIBILE-CONTINGENS-IMPOSSIBILE vorführen - auch die Untergliederung des NECESSE in NECESSARIUM PER SE und NECESSARIUM PER ACCIDENS wird vollzogen (VincBell II, III 42) - , sondern die Dokumentation soll auf die Modalkategorien im Rahmen der

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nicht erstmals bei Oresme bzw. im 14. Jh. auf, wie die verschiedensten Handbücher angeben. Zwar findet sich POSSIBILE einmal BoethCons V pr. 3, aber nicht als Substantiv in antithetischer Verwendung im Sinne von δυνοτόν-άυαγχαΐον, sondern als Prädikatsnomen (POSSIBILE EST). 190

Diskussion um das liberum arbitrium beschränkt werden, und auch dann bleibt die Auswahl exemplarisch ausgerichtet und zielt darauf, sowohl die Intensität deutlich zu machen, mit der dieses Problem immer wieder, und zwar mehr unter logischer als unter theologischer Blickrichtung, aufgegriffen wurde, als auch die Varianzbreite und Kongruenz des hierfür verwendeten Vokabulars erkennen zu lassen. Die enge Bindung bestimmter theologischer Thematik an logische Deduktion zeigt ein Kapitel der „Dialektik" Abelards, das unter dem Titel „De specierum diferentiis categoricarum" den Untertitel „De fato seu Providentia divina" führt (AbaelDial p. 217—22). A n anderer Stelle setzt er sich unter dem Titel „De locis" mit den Begriffen NECESSARIUM-VERUM-PROBABILE auseinander (ebd. p. 2 7 2 ff.), und dort erscheint auch eine abgrenzende Definition von PROBABILITAS (= POSSIBILE) - NECESSITAS - VERITAS: ( d ) . . . probabilitas autem casualis est et falsitati saepe adiuncta; necessitas autem determinata et incommutabilis Veritas eius constitit, unde non alia flrma est cuiuslibet ostensio nisi quae necessitate fulcitur (ds. ebd. p. 278). Johannes von Salisbury referiert nach Aristoteles die Charakteristika von CONTINGENS-POSSIBILE-NECESSARIUM-IMPOSSIBILE: (e) Sed ut ad alium migremus sensum, quo contingens non coequatur quidem, sed circumscribitur a possibili, quoniam minus est, et hie illi usui derogatum esse videbimus. Nam, ut ait in Analeticis: Contingere et contingens est quo non existente necessaiio, posito autem esse, nichil erit propter hoc impossibile. Hec autem significatio contingent deducit quidem necessarium, sed alias possibili coequatur. . . . illud solum iam dicitur esse contingens quod interdum evenit, alioquin neque propter amotam necessitatem neque propter assistentem possibilitatem, dicetur contingere (JohSarMet 901 b - d ) . Alan schreibt im Anschluß an die Trennung der NECESSITAS in NECESSITAS DETERMINATA und NECESSITAS ABSOLUTA 2 0 : ( f ) Item sic obicitur: hoc est necessarium; illud est possibile; ergo hoc potest esse verum cum illo. Quod quidem verum est si in eandem legem cadant necessitas et possibilitas; quia si aliquid est necessarium necessitate nature, reliquum possibile possibilitate nature (AlanHomines 111 = p. 246). Wenn er zwei verschiedene Aussagen als gleichermaßen wahr bezeichnet unter der Voraussetzung, daß beide Aussageweisen, die wahrscheinliche und die 20

Vgl. auch ds. ebd. 83 = p. 229 f., wo er eine Scheidung des POSSIBILE in SIMPLICITER POSSIBILE und POSSIBILE SECUNDUM SUPERIORES CAUSAS vornimmt, von einer POSSIBILITAS DETERMINATA (= POSSIBILITAS SECUNDUM SUPERIORES CAUSAS) im Gegensatz zur POSSIBILITAS ABSOLUTA (= POSSIBILITAS SECUNDUM INFERIORES CAUSAS) spricht. Darauf folgt eine Erörterung über das Verhältnis von VERUM und POSSIBILE zueinander.

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notwendige, denselben Bedingungen unterliegen, C A D A N T SUB EANDEM LEGEM, so drückt er damit nichts anderes aus, als was JdM mit convertible sagen will. Beide Behauptungen können in ihrem Wahrheitsgehalt gegeneinander ausgetauscht werden. Eine allerdings logisch straffer durchgeführte Erörterung ähnlich der im Rr, ähnlich auch den Darlegungen bei Boethius, ohne darum auf der „Consolatio" aufzubauen, bringt Robert Grosseteste in seinem Traktat „ D e libero arbitrio" 2 ': (g) Potest autem ad praedicta sic responded: Prim ο tarnen dividamus necessarium, ut quae sequuntur magis elucescant. - Dico igitur, quod est necessarium duplex: uno modo, quod non habet posse aliquo modo ad eius oppositum . . . - Istud enim posse non habuit neque ante tempus, neque in tempore ad non esse verum. Et tale est necessarium simpliciter. Est et alium necessarium, quod neque secundum praeteritum, neque secundum praesens, neque secundum futurum habet posse ad eius oppositum . . . Isto secundo modo est de scientia Dei, scilicet quod cum Deus scierit aliqua, non est possibile, ut postea nesciat hoc. Est tarnen possibile, quod ab aeterno scierit hoc et nescient, et ut sciat, quae nescit et nesciat, quae seit (RobGrLibArbitr p. 168 f.). Ideo dicendum, quod revera praedestinatio causa est necessaria et eius effectus necessarius. Est autem necessaria causa non simpliciter, sed condicionaliter, et habet necessitatem non praecedentem subiectum, sed subsequentem . . . Unde cum causatum proportionality debeat sumi cum causa, et causa non habet necessitatem simplicem, sed condicionalem, necesse est, si recte . . . debet sumi causatum, quod sumatur hoc modo: „Ergo . . . (ds. ebd. p. 197 f.). V o n Albert erfährt man in einem Absatz seiner „Summa theologica", daß der zweigliedrige NECESSITAS-Begriff auf Aristoteles zurückgeht und bei den verschiedenen Autoren unter unterschiedlichen Bezeichnungen auftritt: (h)Unde ad quaestionem, dicendum sicut praehabitum est, quod duplex est necessitas, ut docet Aristoteles, scilicet consequentis et consequentiae . . . Hanc necessitatem consequentiae propter jam dictam causam Boetius vocat necessitatem positionis, et Anselmus necessitatem o r d i n i s . . . Talis autem necessitas necessitatem absolutam non facit in consequente (zitiert nach PareScol 102 A. S). In dem möglicherweise Albert zuzuschreibenden „Speculum astronomiae" findet sich eine sowohl Robert Grosseteste (g) als auch dem Rr, weniger jedoch Boethius nahestehende Abhandlung über die NECESSITAS: (i) Si vero erit, non potest non esse, vel forte id non sequetur: nam de contingenti quod erit, et de quo verum est dicere quoniam erit antequam sit, semper possibile est et esse et non esse: sed quando est, jam non potest non esse: s i c u t . . . Omne 21

Vgl. auch die kurze Abhandlung „De scientia Dei", die inhaltlich ähnliche Gesichtspunkte bringt (RobGr p. 145-47). 192

enim contingcns sivc sit natum esse in pluribus, sive ad utrumlibet, semper antequam sit, potest esse et non esse . . . , sed quando est, jam revcrtitur ad naturam nccessarii, non quod prius fuerit neccssarium, sed quod necessario est quando est. Non enim idem est, omnc quod est esse necessario quando est, et simpliciter esse ex necessitate: antequam ergo sit, potest non esse, et tamcn crit: quia non est necesse illam potentiam ad actum rcduci (AlbMagnSpecAstr XIV = Borgnet X 647). In dieselbe Richtung weisen Roger Bacons Erörterungen. Nachdem er die VERITAS INCOMPLEXA und die VERITAS COMPLEXA erläutert hat, kommt er auf die beiden Formen der NECESSITAS zu sprechen 2 2 : (j) Dicit autem necessitatem essencialis, et hoc est duobus modis; quia ncccssarium quoddam per se, quoddam per accidcns. Per sc, quod non potest nec potuit nec potent falsum esse, ut ,deum esse*. Est necessarium per accidcns, quod non potest nec poterit, potuit tarnen, ut ,te fuisse' et omne dictum de preterito verum. Item, quedam est necessitas absoluta, quedam respectiva; nccessitas absoluta est que nullo adjuneto eget ad suam ncccssitatcm . . . ; respectiva que eget aliquo adjuneto . . . (RoberBacDial p. 264). Dieselben Fakten bringt, allerdings betont theoretisierend, ein anonymer Traktat der zweiten Hälfte des 13. Jh., der den Titel „De necessitate et contingentia causarum" führt. (k)Ulterius considcrandum quod necessitas qua causa ut in pluribus, non impedita, non est in potentia ad hoc ut impediatur, tempore quo non impedita, vel ut non causet effectum, tempore quo non impedita, non est necessitas simpliciter, sed secundum quid. Necessarium est enim quod impossibile est aliter se habere, impossibile autem privat potentiam ad actum, pro tempore praesenti et quocumque futuro, non habet rationem impossibilis simpliciter. Illud igitur quod est aliquale, et non habet potentiam ut aliter se habeat in praesenti, vel in aliquo determinate futuro, non est necessarium simpliciter, sed tantum quo seu pro tempore determinate . . . (Mandonnct II 127; vgl. ebd. 115). Wie man sieht, ist die Vielfalt der Attribute zu NECESSITAS beträchtlich. Alan stellt ABSOLUTA und DETERMINATA einander gegenüber ( 0 , Thomas ABSOLUTA und CONDICIONATA (ThomLex 522), Robert Grosseteste (g) wie auch Vincent de Beauvais — letzterer übrigens als einziger der hier vorgelegten Autoren in Berufung auf Boethius 2 3 — SIMPLEX und CONDICIONALIS. Der anonyme Traktat (k) gliedert durch Wendungen wie SIMPLICITER - SECUNDUM QUID, Roger Bacon (j) und ebenfalls Bona22

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Dieselbe Gliederung in NECESSITAS ABSOLUTA und NECESSITAS RESPECTIVA nimmt Bonaventura-in seinem Sentenzenkommentar vor (BonavSent I dist. 38 art. 2 qu. 1 = I p. 675). VincBeU I, XXIX 65. Wenn Albert (h) Boethius die Verbindung NECESSITAS POSITIONIS - offensichtlich Übersetzung von gr. θέσε L - zuschreibt, so bezieht sich diese Angabe nicht auf die „Consolatio", sondern auf seine logischen Schriften.

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Ventura (s.o. Α. 22) durch ABSOLUTA-RESPECTIVA.Letztere Formulierung steht der Wiedergabe im Rr durch necessiti en regart am nächsten, womit jedoch keineswegs gesagt sein soll, daß ausgerechnet einer der beiden Texte JdM vorgelegen hat. Noch ein Wort ist zu sagen über die Austauschbarkeit tragender Begriffe (CONVERTIBILITAS, CONVERTIB1LIS) in einfachen kategorischen Aussagen24. Beide Termini begegnen in betont logischen Abhandlungen, in denen aber, wie schon ausgeführt wurde, auch theologische Fragen erörtert werden. Das Substantiv vermag ich im 12. Jh. nicht nachzuweisen, wiewohl der Begriff als solcher vorliegt — Abelard verwendet zwar das Verb CONVERTERE, aber das Substantiv umschreibt er mit CONVERSIONIS PROPRIETAS (AbaelDial p. 578) — wohl aber tritt das Adjektiv vereinzelt auf 25 , das dann in der zweiten Hälfte des 13. Jh. als geläufiger Terminus gelten darf. Außer bei Thomas (ThomLex 242) findet es sich z.B. bei Roger Bacon (1) und Bonaventura (m). (1) Sciendum autem quod disjunccio aliquando conjungit terminos, aliquando oraciones et conclusiones, ut ,Sor est sanus' vel ,Sor est eger', terminos ut ,omne animal est racionale vel irracionale'; rationale vel irracionale convertuntur cum animali, convertibile cum homine est clericus vel laycus, gracia exempli dicatur; in sincategoreumaticis magis patebit hoc (RogerBacDial p. 248 sup.). . . . sicut in secunda figura ex affirmativis tenet argumentacio in terminis convertibilibus, licet non simpliciter, cum ibi sit fallacia consequentis (ds.ebd. p. 348 inf.). (m)ltem, hoc videtur a convertibili, quoniam istae duae convertuntur: nihil praeter Petrum currit, ergo solus Petrus currit: ergo et istae duae: nihil praeter Deum est Pater, et: solus Deus est Pater (BonavSent I dist. 2. art. 1 qu. 1 , 2 = Ed. Quaracchi I 379).

Die vorgelegten Texte (d—m), von denen auch nicht einer den Anspruch erhebt, von JdM für die Entwicklung der Frage über das liberum arbitrium herangezogen worden zu sein, zeigen immerhin so viel, daß der NECESSITAS-Begriff seit dem frühen 12. Jh. von zahlreichen Autoren, bald in rein logischen Abhandlungen, bald auch unter theologischem Aspekt, immer wieder diskutiert wurde. Daß nicht selten boethianische Argumente aufgegriffen werden, verwundert nicht, wenn man bedenkt, wie verbreitet seine logischen Schriften waren, die ja vor dem Bekanntwerden des aristotelischen Organon als Logica vetus den einzigen Zugang zu dem griechischen Logiker und Philosophen boten. Die Vertrautheit mit seinem theologischen Werk bezeugen die zahlreichen ma. Kommentare, und für die Popularität der „Consolatio" sprechen die seit dem 10. Jh. immer wieder verfaßten Übersetzungen in die Vulgärsprachen. 24

Für die Dyas affirmacion-negacion s. o. S. 3-5.

25

Vgl. oben S. 53 die Texte ( b - d ) und Α. 110. 194

Betrachtet man die vorzügliche Kenntnis des MA von den boethianischen Schriften, erinnert man sich ferner der bei JdM sonst wenig anzutreffenden Freiheit gegenüber einer Vorlage in der Abfolge der Argumentation und betont vor allem die zahlreichen Termini, die nicht im Afr., aber auch kaum oder gar nicht vor dem MA im Lt. begegnen, so scheint die direkte Benutzung der „Consolatio" geradezu ausgeschlossen. Folgende Lösungen ergeben sich für die entsprechende Partie des Rr: 1) JdM zog einen zeitgenössischen Kommentar des boethianischen Werkes heran; 2) er benutzte Vorlesungsskripten, REPORT ATA, die eine im Universitätsunterricht durchgeführte Auslegung eines Magisters wiedergeben; 3) Rr 17101—498 entstanden in Anlehnung an Diskussionen über das Thema „Göttliche Vorsehung und menschliche Entscheidungsfreiheit", die sich ihrerseits an die boethianische „Consolatio" anlehnten. Die Benutzung eines Kommentars, dessen Existenz nach den voraufgehenden Überlegungen nicht erst bewiesen werden muß, würde einerseits die zahlreichen wörtlichen Anklänge an das spätantike Original erklären, denn ein Kommentator pflegt seinen Autor auch zu zitieren. Ferner wären die sprachlichen Besonderheiten, die auf das hohe MA deuten, bei der Annahme eines zeitgenössischen Werkes verständlich. Was aber nicht einleuchtet, sind die gegenüber Boethius vorgenommenen Umstellungen. Ein Kommentator legt seinen Text χατδι λ ή μ μ α τ α aus; eingreifende thematische Verschiebungen dürften höchstens in Predigten vorkommen. Bei der Erwägung der zweiten Hypothese ergibt sich, daß ein Lehrervortrag über Boethius' Anschauung von der menschlichen Willensfreiheit sowohl die .moderne' Terminologie und die gelegentlich eingestreuten authentischen Zitate als auch das freie Verfahren innerhalb der Abfolge der Argumente erklären würde. Was dennoch dafür spricht, auch diese Annahme zu verwerfen, ist der Tenor, wenn ich es zunächst so allgemein formulieren darf, in dem JdM das Thema abhandelt. Hier liegt kein Kommentar, keine Predigt, auch nicht die GLOSSATIO eines Dozenten zugrunde, sondern eine Diskussion muß die Basis sein, aus der heraus Rr 17101 ff. entstanden 26 . Im Anschluß an den Artikel desputer (S. 66) wurde bereits gezeigt, wie streng, und zwar gemäß den festumrissenen Regeln scholastischer Disputationsweise JdM die gesamte Abhandlung gliedert. Und diese formalen Beobachtungen finden von linguistischer Seite eine so ausdrückliche Bestätigung, daß sich der Schluß geradezu aufdrängt, den afr. Text als das Ergebnis von Diskussionen anzusehen, wie sie als QUAESTIONES DISPUTATAE in der Hochscholastik usus waren. Gleich der erste Vers bringt das charakteristische Wort question (QUAESTIO), nennt das Problem, das gelöst (soudre — SOLVERE) werden soll. Vorschrifts26

Allerdings bringt auch Boethius seine Darlegung in Form eines Dialogs, aber besonders im S. Buch der „Consolatio" wird deutlich, daß das Gespräch nur scheinbar ist und die personifizierte Philosophie ein fertiges, in sich geschlossenes Expose vorträgt.

195

mäßig folgt Rr 17102—05 die Angabe des Themas. Zu einer Disputation gehört das Eingehen auf vorgetragene Einwände ( r a i s o n s . . . solues, 17109 f.). Ein solcher wird Rr 17125 f. mit den typischen Termini desputer, matire eingeleitet, und Rr 17153 f. bringen die Schlußfolgerung, die, in Anlehnung an lt. UNDE SEQUITUR, mit don sedeit il... ensivre beginnt. Argumenz, preuve, aparettce (17157 f.) gehören zum Fachvokabular im Bereich der Dialektik (s.o. S. 1 7 1 - 7 3 ) , ferner montrer (17351), oposer (17201), question (17283), respondre{ 17219, 17267, 17314, 17378) und response (17303), sentence (17287, 17293) und sentir (17313). Es fällt jedoch auf, daß nach dem mit Rr 17389 endenden Absatz dieser Wortschatz ausbleibt, daß mit Ausnahme der Verse 17493—97, die die boethianische Definition der Ewigkeit paraphrasieren, selbst Lg keine Stelle aus der „Consolatio" mehr anzugeben weiß, die auch nur irgendwie mit Rr 17390—492 in Verbindung zu bringen wäre. Aber gerade diese Tatsache bringt die letzte noch fehlende Erklärung für die Entstehung des Kapitels über die Vorsehung im Rr. JdM schreibt hier nicht nach Vorlagen, es sei denn, daß diese seine persönlichen Notizen wären, die er sich während Disputationen über das liberum arbitrium angefertigt hätte, eben um für die Erörterung in seinem Roman die verschiedenen möglichen Thesen referieren zu können. Wenn man jedoch bedenkt, daß er selbst die Stelle eines Maitre es Arts innehatte, dann liegt es noch näher anzunehmen, daß er aus eigener Lehrpraxis berichtet, möglicherweise unter seiner Leitung abgehaltene Diskussionen wiedergibt. So schreibt er kein fertiges Werk aus, sondern spricht aufgrund seiner eigenen Erfahrungen durch die Universität und an der Universität, die erst recht in der Hochscholastik ohne das Disputationswesen nicht vorstellbar ist. Die so erworbenen Kenntnisse sucht er, übrigens nach eigener Aussage (Rr 17106—10), einem weniger gebildeten Publikum nahezubringen. Während er aber Rr 17101—389 die Stellungnahmen anderer Diskussionspartner in vereinfachter Form darlegt, haben Rr 17397—492 als sein eigener Zusatz zu gelten; einzig Rr 17493—97 gehen nochmals auf Boethius zurück und bilden zugleich den Abschluß der Diskussion. Daß aber Rr 1 7 3 9 0 - 4 2 0 als Einlage exempli gratia, als ein für Laien bestimmter volkstümlicher Passus aus der Feder des Dichters selbst zu verstehen ist, schickt er unmißverständlich dem Exkurs voraus (Rr 1 7 3 9 0 - 9 6 ) . Rr 1 7 4 2 1 - 9 2 bringen dann die Zusammenfassung des Problems; denn wie er als Magister seinen Studenten nach vollendeter Diskussion das Ergebnis in geschlossenem Vortrag (DETERMINATIO) gerafft vorzulegen pflegt, hat JdM seinem Laienpublikum in allgemeinverständlicher F o r m klarzumachen, welche der vorgetragenen Meinungen die richtige ist, und hier spricht er auch gelegentlich in der ersten Person (17438).

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