Der Rhein / Le Rhin: Eine politische Landschaft zwischen Deutschland und Frankreich 1815 bis heute [Bilingual ed.] 3515121137, 9783515121132


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French, German Pages 260 [262] Year 2018

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Table of contents :
INHALT
(Hélène Miard-Delacroix und Guido Thiemeyer)Einführung
19. JAHRHUNDERT
(Stéphanie Kaproth)Une crise musicale du Rhin ?Compositions évoquant le fleuve autour de 1840
(François Walter)Le Rhin comme figure paysagère de la nation
(Nils Bennemann)Kartographische Ordnungsvorstellungen in denbadisch-französischen Rheinkarten 1828–1840
(Peter Friedemann)Die Grubengesellschaft „Vieille Montagne“ (Altenberg)in transnationaler Perspektive 1805–1865
ZWISCHENKRIEGSZEIT UND ZWEITER WELTKRIEG
(Jean-François Eck)La création du port autonome de Strasbourg en 1926Une manifestation française de puissance dans un espacerhénan interdépendant
(Karin Trieloff)Die „Affäre Rouzier“ und die deutsch-französische Verständigungspolitikim Herbst 1926
(Stefan Goch)Die gegenseitige Wahrnehmung von Franzosen und Deutschenwährend der RuhrbesetzungEine Fallstudie für den Raum Gelsenkirchen
(Brigitte Braun)Die nationale Besetzung einer LandschaftDer Film Der Rhein in Vergangenheit und Gegenwart (1922)und der Kampf um den Rhein
(Luc Jeanvoine)La prise de possession de l’usine alsacienne de Graffenstadenen 1940–1944 par Magdeburger WerkzeugmaschinenfabrikOrigines et conséquences
NACH 1945
(Sylvain Schirmann)Qui régit le transport rhénan depuis 1945 ?Concurrence ou complémentarité entre les organisations internationales,les Etats et les acteurs privés sur le Rhin de 1945 à nos jours
(Martial Libera)Les relations des chambres de commerce françaises et allemandessur le Rhin supérieurDe 1945 à la fin des années 1970
(Anne Marie Corbin)„Die andere Wacht am Rhein“Der Kampf gegen die Atomkraft in den siebziger Jahren des20. Jahrhunderts diesseits und jenseits des Rheins
(Claudia Hiepel)Euroregionen am RheinZur ‚Relativierung‘ der Grenze durch grenzüberschreitendeZusammenarbeit
(Fabrice Gireaud)Der Eurodistrikt Straßburg-OrtenauEine neue lokale Kooperationsform in Europa?
(Rainer Hudemann)Städte in der Rhein-RegionZur Multiperspektivität transnationaler Konflikte und Verflechtungen
AUTORINNEN UND AUTOREN
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Der Rhein / Le Rhin: Eine politische Landschaft zwischen Deutschland und Frankreich 1815 bis heute [Bilingual ed.]
 3515121137, 9783515121132

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Der Rhein / Le Rhin Eine politische Landschaft zwischen Deutschland und Frankreich 1815 bis heute / Un espace partagé entre la France et l’Allemagne de 1815 à nos jours

herausgegeben von / édité par Hélène Miard-Delacroix, Guido Thiemeyer

14 Geschichte Franz Steiner Verlag

SR des Deutsch-Französischen Historikerkomitees

Hélène Miard-Delacroix, Guido Thiemeyer Der Rhein / Le Rhin

schriftenreihe des deutsch-französischen historikerkomitees Herausgegeben im Auftrag des Vorstands des Deutsch-Französischen Komitees für die Erforschung der deutschen und französischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts von Hélène Miard-Delacroix und Guido Thiemeyer band 14

Der Rhein / Le Rhin Eine politische Landschaft zwischen Deutschland und Frankreich 1815 bis heute / Un espace partagé entre la France et l’Allemagne de 1815 à nos jours herausgegeben von / édité par Hélène Miard-Delacroix, Guido Thiemeyer

Tagung des Deutsch-französischen Historikerkomitees Düsseldorf, 29. September bis 1. Oktober 2016

Franz Steiner Verlag

Gedruckt mit Hilfe der Anton-Betz-Stiftung der Rheinischen Post e. V., Düsseldorf, und des Landschaftsverbands Rheinland, Köln.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2018 Druck: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany ISBN 978-3-515-12113-2 (Print) ISBN 978-3-515-12114-9 (E-Book)

INHALT Hélène Miard-Delacroix und Guido Thiemeyer Einführung .........................................................................................................

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19. JAHRHUNDERT Stéphanie Kaproth Une crise musicale du Rhin ? Compositions évoquant le fleuve autour de 1840 .............................................. 17 François Walter Le Rhin comme figure paysagère de la nation ................................................... 29 Nils Bennemann Kartographische Ordnungsvorstellungen in den badisch-französischen Rheinkarten 1828–1840 ................................................ 49 Peter Friedemann Die Grubengesellschaft „Vieille Montagne“ (Altenberg) in transnationaler Perspektive 1805–1865 ......................................................... 59 ZWISCHENKRIEGSZEIT UND ZWEITER WELTKRIEG Jean-François Eck La création du port autonome de Strasbourg en 1926 Une manifestation française de puissance dans un espace rhénan interdépendant ........................................................................................ 75 Karin Trieloff Die „Affäre Rouzier“ und die deutsch-französische Verständigungspolitik im Herbst 1926 ................................................................................................... 87 Stefan Goch Die gegenseitige Wahrnehmung von Franzosen und Deutschen während der Ruhrbesetzung Eine Fallstudie für den Raum Gelsenkirchen .................................................... 101

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Inhalt

Brigitte Braun Die nationale Besetzung einer Landschaft Der Film Der Rhein in Vergangenheit und Gegenwart (1922) und der Kampf um den Rhein ............................................................................ 149 Luc Jeanvoine La prise de possession de l’usine alsacienne de Graffenstaden en 1940–1944 par Magdeburger Werkzeugmaschinenfabrik Origines et conséquences ................................................................................... 165 NACH 1945 Sylvain Schirmann Qui régit le transport rhénan depuis 1945 ? Concurrence ou complémentarité entre les organisations internationales, les Etats et les acteurs privés sur le Rhin de 1945 à nos jours ........................... 179 Martial Libera Les relations des chambres de commerce françaises et allemandes sur le Rhin supérieur De 1945 à la fin des années 1970 ....................................................................... 191 Anne Marie Corbin „Die andere Wacht am Rhein“ Der Kampf gegen die Atomkraft in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts diesseits und jenseits des Rheins ............................................ 205 Claudia Hiepel Euroregionen am Rhein Zur ‚Relativierung‘ der Grenze durch grenzüberschreitende Zusammenarbeit ................................................................................................. 219 Fabrice Gireaud Der Eurodistrikt Straßburg-Ortenau Eine neue lokale Kooperationsform in Europa? ................................................ 233 Rainer Hudemann Städte in der Rhein-Region Zur Multiperspektivität transnationaler Konflikte und Verflechtungen ............. 243 Autorinnen und Autoren .................................................................................... 257

EINFÜHRUNG Hélène Miard-Delacroix und Guido Thiemeyer Der Rhein ist vieles: Eine Wasserstraße, die seit der Antike eine wichtige Rolle für die Europäische Transport-Infrastruktur spielte, eine politische Grenze, an der die Akteure verschiedener politischer Räume aufeinander stießen, ein Kulturraum, der sich wiederum von anderen Kulturräumen in Europa und der Welt unterscheidet. Nicht zuletzt deswegen haben sich die deutsche und französische Geschichtswissenschaft schon früh für den Rhein interessiert und dieses Interesse ist bis heute ungebrochen. Etwas idealtypisch idealisierend lassen sich in der europäischen Rhein-Historiographie verschiedene Phasen unterscheiden. Das 19. und frühe 20. Jahrhundert war geprägt von einem stark nationalen Blickwinkel. Die politischen und militärischen Auseinandersetzungen um den Rhein und seine Grenzen (nicht nur) zwischen Frankreich und Deutschland fanden auch in der Geschichtsschreibung beider Nationen ihren Niederschlag. Die These vom „Deutschen Rhein“ oder der französische Anspruch auf die linksrheinischen Gebiete wurde auch von der Geschichtsschreibung unterstützt, ja Historiker waren wichtige Akteure in dieser Auseinandersetzung. Es ging darum, die jeweils nationale Erzählung zu unterstützen und zu rechtfertigen. Diese Perspektive wurde in der Mitte der 1930er Jahre gebrochen durch das Buch über den Rhein von Lucien Febvre.1 Der neue Ansatz bestand darin, dass der Rhein nun nicht mehr als „Deutscher Strom“ oder „Frontière Naturelle“ gesehen wurde, sondern als „Europäischer Fluss“. Febvre zeigte die durch den Wasserweg erzeugten vielfältigen Verflechtungen nicht nur zwischen Deutschen und Franzosen, sondern bezog auch Schweizer, Niederländer und Belgier mit ein. In der Hochphase des Nationalismus in Europa in der Zwischenkriegszeit leitete er damit einen Paradigmenwechsel ein, dessen politische und kulturelle Bedeutung erst nach dem Zweiten Weltkrieg deutlich wurde. Ziel war es nun nicht mehr, Nationen zu konstruieren, indem ihre Grenzen und Ansprüche formuliert wurden, sondern um die Überwindung des klassischen Nationsbegriffes. Hierin liegt bis heute die Bedeutung des Buches von Lucien Febvre, dem eine ganze Generation von Historiker(inne)n aus Europa gefolgt ist. Bisweilen wurde dabei übersehen, dass die Meistererzählung von der Nation ersetzt wurde durch eine neue Erzählung, in deren Zentrum „Europa“ stand. Wenn allerdings der Rhein für „Europa“ steht, was bedeutet das dann für den Süden des Kontinents, für den Osten und den Norden? Die Problematik des Begriffes „Europa“ liegt damit auf der Hand. In der neueren Historiographie wird der Rhein daher nicht mehr mit dem Begriff „Europa“ verknüpft, sondern als „Espace Partagé“ bezeichnet. Es geht nun 1

Lucien Febvre, Le Rhin. Histoire, mythes et réalités. Nouvelle édition établie et presentée par Peter Schöttler, Paris, Perrin, 1997.

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Hélène Miard-Delacroix und Guido Thiemeyer

darum, die vielfältigen politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Beziehungen innerhalb des vom Fluss geprägten Raumes zu untersuchen. Der Rhein-Raum wird nun als hybrides Ordnungsmodell gesehen, in dem verschiedene Akteure mit unterschiedlichen Interessen und geistigen Hintergründen aufeinandertrafen. Dieser Ansatz hat den Vorteil, dass die bislang dominierenden, politisch motivierten Interpretationen abgelöst werden zugunsten einer durch wissenschaftliche Kategorien geprägten Sichtweise. Zudem können so die bislang nur am Rande wahrgenommenen verschiedenen Sektoren der Beziehungen (Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur) in ihren Besonderheiten, aber auch und gerade in ihren Widersprüchen wahrgenommen werden. Politisch motivierte Konstruktionen wie die vom „Deutschen Rhein“, den „Frontières Naturelles“ oder eben auch jene von „Europa“ werden so vermieden. Gleichzeitig werden aber nationale oder europäische Motive in der Interpretation nicht eliminiert, sondern als bedeutende Faktoren und Einflusskräfte im RheinRaum wahrgenommen und in ein Gesamtbild eingegliedert. Hinzu kommt, dass in diesem vergleichsweise kleinen Raum auch die allgemeinen globalen und europäischen Strukturen und Prozesse sichtbar gemacht, konkretisiert und in den größeren Zusammenhang eingeordnet werden können. Der Rhein erscheint dann nicht mehr als deutsch-französischer oder europäischer Raum, sondern als Region mit eigenen, hybriden, zum Teil zuwider laufenden Strukturen und Prozessen. Unter diesen Prämissen hat sich die Rhein-Forschung in den letzten Jahren sehr lebhaft entwickelt. Gemäß dem allgemeinen Trend in der Geschichtswissenschaft zu einer methodischen Differenzierung lassen sich vier Schwerpunkte identifizieren: a) Besondere Aufmerksamkeit fand zuletzt die Grenzforschung.2 Mit primär gesellschaftsgeschichtlichen und regionalgeschichtlichen Ansätzen wurde die Bedeutung politischer Grenzen in Frage gestellt. Insbesondere so genannte „sensible“ Regionen gerieten verstärkt in den Blickpunkt der Forschung, Südtirol, Oberschlesien oder eben auch der Oberrhein. Das zentrale Ergebnis für die Oberrhein- und Elsass-Region ist, dass die politische Grenze zwischen Deutschland und Frankreich eine wichtige Rolle für den Alltag der Menschen spielte, durch transnationale gesellschaftlich-kulturelle Kontakte allerdings immer, auch zu Zeiten deutsch-französischer Konfrontation relativiert wurde. Die Ergebnisse der gesellschafts- und regionalgeschichtlichen Grenzforschung korrespondieren daher mit den Ergebnissen der Forschungen zur internationalen Geschichte, die ebenfalls in den letzten Jahren die Bedeutung transnationaler Verflechtungen und den damit tendenziell einhergehenden Bedeutungsverlust politischer Akteure thematisiert hat. b) Ein zweiter wichtiger Forschungszweig, der sich in den letzten Jahren intensiv mit dem Rhein und seiner Geschichte auseinandergesetzt hat, ist die kulturwis2

Peter Schöttler, Du Rhin à la Manche. Frontières et relations franco-allemandes au XXe siècle, Paris, PUFR éditions, 2017. Birte Wassenberg, Joachim Beck (Dir.), Vivre et penser la coopération transfrontalière (Vol. 4): les régions frontalières sensibles. Contribution du cycle de recherche sur la coopération transfrontalière de l’Université de Strasbourg et l’Euro-Institut de Kehl, Stuttgart, Steiner 2011.

Einführung

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senschaftlich orientierte Umweltgeschichte.3 In diesem Kontext wurde nach der kulturellen Konstruktion von Naturlandschaften am Rhein und ihren Veränderungen gefragt. Es handelt sich um einen interdisziplinären Ansatz, in dem Forschungen der Literaturwissenschaften, Geschichts- und Kulturwissenschaften zusammenkommen. Im Kern geht es darum, dass der Rhein und seine Darstellungen in der Geschichte Quellen zur Erforschung geistiger und kultureller Strömungen sind. Der Fluss und seine Gestaltung durch den Menschen werden als Projektionsfläche von jeweils zeitgenössischen Weltbildern, Wünschen und Idealen interpretiert. c) Ein weiterer Schwerpunkt der Rhein-Forschung in den letzten Jahren war die politische Geschichte.4 In diesem Kontext wurden vor allem politische Organisationen sowie Institutionen der rechtlichen Regulierung am Rhein in den Blick genommen. Besondere Aufmerksamkeit erlangte in diesem Zusammenhang die Zentralkommission für die Rheinschifffahrt, die 1815 im Kontext der Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress gegründet wurde und bis heute existiert. Sie wurde in den letzten Jahren mit den für die europäische Integrationsgeschichte nach 1945 entwickelten Kategorien neu untersucht und bewertet. Zwei Aspekte standen hierbei vor allem im Zentrum: Einerseits die institutionelle Struktur, die bereits im 19. Jahrhundert deutliche Merkmale dessen aufweist, was im 20. Jahrhundert als Supranationalität bezeichnet wurde, zweitens die intensive Standardisierung in technischer, betrieblicher und rechtlicher Hinsicht, die im Rahmen dieser Organisation bereits im 19. Jahrhundert vollzogen wurde. Am Rhein, so lassen sich die Ergebnisse zugespitzt zusammenfassen, vollzog sich in wirtschaftlicher, zum Teil auch in politischer Hinsicht jene Integration bereits im 19. Jahrhundert, die nach 1945 für Westeuropa insgesamt charakteristisch werden sollte. d) Schließlich hat sich in den letzten Jahren auch die Wirtschaftsgeschichte intensiver mit dem Rhein beschäftigt.5 Der Strom wird hier als wesentlicher Faktor für die wirtschaftliche Entwicklung der Rhein-Region im 19. und 20. Jahrhundert gesehen. Ziel ist es, die langfristigen, transnationalen wirtschaftlichen 3

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Marc Chioc, The Rhine. An Eco-Biography, 1815–2000, Seattle, University of Washington Press, 2002. Christof Mauch, Thomas Zeller (Eds.), Rivers in History. Perspectives on Waterways in Europe and North America, Pittsburg, University of Pitsburg Press, 2008. Simon Schama, Landscape and Memory, New York, Vintage Books, 1996. Guido Thiemeyer, Isabel Tölle, Supranationalität im 19. Jahrhundert? Die Beispiele der Zentralkommission fuer die Rheinschifffahrt und des Octroivertrages 1804–1832, in: Journal of European Integration History, vol. 17 (2011), S. 177–196. Jean Marie Woerling, Sylvain Schirmann, Martial Libera (Dir.), Commission Centrale pour la Navigation du Rhin. 200 ans d’histoire 1815–2015, Strasbourg, Commission Centrale pour la Navigation du Rhin 2015. Martial Libera, Sylvain Schirmann (Dir.), La Commission centrale pour la navigation du rhin. Histoire d’une organisation internationale, Paris, L’Harmattan, 2017. Ralf Banken, Ben Wubs (Eds.), The Rhine. A Transnational Economic History, Baden-Baden, Nomos, 2017. Hein Klemann, Ben Wubs, River Dependence. Creating a transnational Rhine Economy, 1850–2000, in: Jan Otmar Hesse, Christian Kleinschmidt, A. Reckendrees, Ray Stokes (Eds.), Perspectives on European Economic and Social History, Baden-Baden, Nomos, 2014, S. 219–245.

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Hélène Miard-Delacroix und Guido Thiemeyer

Entwicklungen in den Blick zu nehmen, die dazu führten, dass das Rheinland von Rotterdam bis Basel bis heute eine der wirtschaftlich führenden Regionen in Europa ist. Unter der Führung von Wirtschaftshistorikern der Universitäten in Frankfurt am Main und Rotterdam wurden bislang sechs Konferenzen organisiert, auf denen vor allem deutsche und niederländische Historiker verschiedene Aspekte der wirtschaftlichen Bedeutung des Rheines in den letzten zweihundert Jahren untersuchten. Im Zentrum standen der Rhein als Verkehrsinfrastruktur, als Zentrum der chemischen und der Energiewirtschaft und als wirtschaftlicher Integrationsraum. Ausgehend von diesem Forschungsstand verfolgt die Publikation ein doppeltes Ziel. Zum einen geht es darum, neuere, auf Archivalien gestützte Forschungen zu publizieren. Viele der vor allem jüngeren Autorinnen und Autoren (Nils Bennemann, Karin Triloff, Fabrice Gireaud, Martial Libera) publizieren hier erstmals Ergebnisse aus größeren Forschungsprojekten. Ergänzt werden diese durch Beiträge von etablierten Wissenschaftlern, die ihre Forschungsschwerpunkte vertiefen und so neue Erkenntnisse gewinnen konnten. Zweitens soll die deutsch-französische Perspektive in der Rhein-Forschung gestärkt werden. Alle Beiträge untersuchen daher ihren Gegenstand je aus deutscher und französischer Perspektive. Besonders reizvoll sind in diesem Kontext jene Beiträge, die das klassische Narrativ von der deutsch-französischen Konfliktgeschichte zwischen 1815 bis 1945 und der Verständigungsgeschichte von 1945 bis heute aufbrechen. (Bennemann, Trieloff, Hudemann, Goch, Corbin). 19. JAHRHUNDERT Die Wahrnehmung und Konstruktion des Rhein-Raumes im Sinne des Nationalismus in der Mitte des 19. Jahrhunderts stehen im ersten Teil des Buches im Mittelpunkt. Stéphanie Krapoth zeigt an zeitgenössischen Kompositionen (Rheinische Symphonie von Schumann und „Rheingold“ von Wagner) und ihren Gestaltungselementen wie die deutsche Nation in Abgrenzung zu Frankreich konstruiert wurde. François Walter spürt in seinem Beitrag jenen Kräften nach, die im 19. und 20. Jahrhundert verschiedene metaphysische Bedeutungen für den Rhein schufen. Deutsche, englische und französische Autoren projizierten verschiedene Inhalte in die Landschaft – es gibt wohl kaum eine Landschaft in Europa, mit der eine solche Vielzahl an politischen und kulturellen Bildern konnotiert wurde. Eine andere Perspektive ergibt sich, wenn man die von Nils Bennemann untersuchte badisch-französische Kooperation im Kontext der kartographischen Erfassung des Rhein-Stromes in Betracht zieht. Auch wenn die grenzüberschreitende technische Kooperation gut funktionierte, wurde auch diese von gegenläufigen kulturell geprägten Denkmustern auf beiden Seiten beeinflusst. Im von ökonomischen Kategorien dominierten Bereich der Zinkindustrie, so zeigt der Beitrag von Peter Friedemann, gab es eine intensive Verflechtung zwischen dem nordfranzösischen, dem belgischen Raum und dem Ruhrgebiet. Nationale Diskurse scheinen in diesem Sektor keine oder eine stark untergeordnete Rolle gespielt zu haben. Insgesamt be-

Einführung

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tonen alle vier Beiträge die Verflechtung von nationaler Abgrenzung und Konfrontation am Rhein auf der einen, wirtschaftlicher und kultureller Kooperation auf der anderen Seite. ZWISCHENKRIEGSZEIT Insbesondere die Zwischenkriegszeit wird inzwischen als Höhepunkt des Nationalismus in ganz Europa gesehen, so auch am Rhein. Die französische Regierung versuchte nach der Wiedergewinnung des Elsass für Frankreich, den Rhein als Wasserstraße mit Zugang nach Rotterdam für die Region zu erschließen. Eine wichtige Rolle spielte hierbei der Hafen von Strasbourg, wie Jean-François Eck zeigt. Dieser wurde nach 1918 gezielt als Instrument genutzt, um französischen Reedern eine dominante Rolle im Rheinverkehr zu ermöglichen – vor allem auf Kosten der Deutschen und der Niederländer. Auch wenn dieses Konzept Ende der 1920er Jahre scheiterte, prägte es doch die französische Rhein-Politik nach „Versailles“ und war gewiss wichtiger Bestandteil der deutsch-französischen Konfrontationsgeschichte am Rhein nach dem Ersten Weltkrieg. In der Mitte der 1920er Jahre wurde auf der Regierungsebene eine Verständigungspolitik zwischen Frankreich und dem Deutschen Reich eingeleitet. Der Beitrag von Kathrin Trieloff zeigt, dass diese diplomatische Entspannung nicht direkt auf der gesellschaftlichen Ebene ankam. Am Beispiel der „Affaire Rouzier“ zeigt sie die erheblichen zivilgesellschaftlichen Spannungen im französisch besetzten Rheinland auf und fragt insbesondere nach dem Zusammenhang zwischen regionalen gesellschaftlichen und diplomatischen Konflikten. Demnach kam die diplomatisch eingeleitete Entspannung auf der lokalen Ebene im Rheinland nicht an. Genau umgekehrt betont Stefan Goch in seiner Untersuchung über die gesellschaftliche Dimension des Ruhr-Konfliktes 1923/24, dass die Spannungen auf diplomatisch-militärischer Ebene zwischen Deutschen und Franzosen in Gelsenkirchen nur geringe Auswirkung auf die Einstellung der Zivilbevölkerung gegenüber den französischen und belgischen Besatzern hatte. Im Zentrum des Interesses, so betont er, standen für die Zivilbevölkerung die Sorge um den Arbeitsplatz, der Kampf um Nahrungsmittel und die Inflation. Die Kooperation zwischen französischen Offizieren und deutscher Zivilverwaltung hingegen habe in Gelsenkirchen auch während des „Ruhrkampfes“ recht gut funktioniert. Dagegen wiederum zeigte Brigitte Braun, dass in dem UFA Kulturfilm „Der Rhein in Vergangenheit und Gegenwart“, auch wenn dieser primär der Unterhaltung und Zerstreuung diente, politische Inhalte transportiert wurden. Die hier gezeigten antifranzösischen Ressentiments waren auch prägend für eine Reihe von Folgeprodukten, die ebenfalls die deutsch-französische Konfrontation am Rhein in den frühen 1920er Jahren thematisierten. Einen besonderen Aspekt hat Luc Jeanvoine untersucht, der die Besitznahme der französisch-elsässischen Industrie durch deutsche Unternehmen im Zweiten Weltkrieg am Beispiel von de Graffenstaden untersucht. Gerade auch hier wurden jenseits der politisch-militärischen Konflikte auch die langfristigen Konsequenzen in Bezug auf Transfer und Verflechtung von Ressourcen im Grenzraum deutlich.

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Hélène Miard-Delacroix und Guido Thiemeyer

NACH 1945 Nach 1945 veränderten sich die Beziehungen und Verflechtungen im Rheinland erheblich. Sylvain Schirmann zeigt, dass sich die deutsch-französische Rivalität der Zwischenkriegszeit in Bezug auf die Rheinschifffahrt auflöste und durch neue Formen der Konkurrenz ersetzt wurde: Die neu geschaffenen europäischen Organisationen, die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (ab 1951) und die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (ab 1958) erhoben jeweils den Anspruch, auch die Binnenschifffahrt auf dem Rhein zu regulieren. Dies stieß auf den Widerstand der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt, deren Aufgabe dies seit 1815 gewesen war. Auch auf gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Ebene setzten neue Entwicklungen ein: Das Rheinland erwies sich einmal mehr als ein Raum von besonders dichter Verflechtung. Das gilt für die Beziehungen zwischen den regionalen Handelskammern am Oberrhein, die Martial Libera in seiner gerade erschienenen Habilitationsschrift untersucht hat. Auch hier zeigt sich ein ambivalentes Bild zwischen Kooperation und Konkurrenz, das insgesamt typisch für eng verflochtene Wirtschaftsräume ist. Nicht nur in Bezug auf die organisierte Wirtschaft, auch in gesellschaftlicher Hinsicht entwickelte sich die Rhein-Region nach 1945 als Verflechtungsraum, in dem politische Grenzen eine deutlich geringere Rolle spielten als vor dem Zweiten Weltkrieg. Anne-Marie Corbin zeigt dies an der Protestbewegung gegen die am Oberrhein auf deutscher, französischer und schweizerischer Seite geplanten Kernkraftwerke. Es entwickelte sich eine grenzüberschreitende Protestkultur, in der die alemannische Sprache eine Renaissance erlebte. Während aber die Proteste am Oberrhein prägend für den gesamten Atom-Diskurs in der Bundesrepublik und in der Schweiz wurden, war das für Frankreich nur bedingt der Fall. Die besondere Intensität grenzüberschreitender gesellschaftlicher Kontakte in diesem Zeitraum zeigte sich aber auch an der Entstehung der Euregios, die Claudia Hiepel untersucht hat. Sie hatten ihren Ursprung im deutsch-niederländischbelgischen Grenzgebiet am Niederrhein, wurden aber schnell auf den Oberrhein ausgeweitet. Charakteristisch war, dass die Euregios von gesellschaftlicher und kommunalpolitischer Ebene angestoßen wurden. Das war der wesentliche Unterschied zum so genannten Eurodistrikt in Straßburg und der Orthenau. Dieser wurde im Januar 2003 durch Staatspräsident Jacques Chirac und Bundeskanzler Gerhard Schröder angestoßen. Fabrice Gireaud wirft einen eher skeptischen Blick auf diese Form der Kooperation und betont vor allem die entstehenden Probleme, die darauf zurückzuführen seien, dass die Kooperation von „oben“, von den Regierungsspitzen, und nicht von „unten“, aus der Gesellschaft heraus entstanden sei. Ein anderes Beispiel für die komplexen Prozesse der Verflechtungen am Oberrhein liefert der Beitrag von Rainer Hudemann. Er zeigt am Beispiel der Stadtplanung und Architektur im deutsch-französischen Grenzraum, wie bestimmte Gestaltungelemente, die für eine der beiden Nationen in verschiedenen Epochen typisch waren, ihren Weg in die jeweils andere Kultur fanden. So kehrten beispielsweise Haussmannsche Gestaltungskonzepte aus Paris über den Umweg über Berlin nach Straßburg, das ab 1918 wieder französisch war, zurück. Hudemann entwickelt am

Einführung

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Beispiel des Städtebaus zudem Kategorien zur Erforschung von grenzüberschreitenden Verflechtungen, die für künftige Arbeiten Orientierung bieten können. Insgesamt wurde deutlich, dass das Rheinland ein hybrider Raum war: Er wurde, je nach Kategorie, durch wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Akteure und ihre kulturell geprägten Denkmuster bestimmt. Dies jedoch ist auch eine Vereinfachung: Es kommt in einem weiteren Schritt darauf an, Kategorien zur Erforschung des Rhein-Raumes zu entwickeln, die sich jenseits der klassischen politischen Kategorie vom „Grenzraum“ bewegen. Der Rhein-Raum entwickelte eine eigene Dynamik, in der die politischen Grenzen nicht irrelevant waren, aber doch keineswegs so bestimmend, wie die national fixierte Geschichts- und Politikwissenschaft immer noch suggeriert.

19. JAHRHUNDERT

UNE CRISE MUSICALE DU RHIN ? Compositions évoquant le fleuve autour de 1840 Stéphanie Krapoth Résumé La contribution examine des compositions allemandes et françaises de divers genres, datant toutes des environs de l’échauffourée de 1840. Des chants populaires ou des mélodies plus élaborées, des compositions symphoniques, de la musique de salon ou des marches militaires prennent le Rhin pour thème, en usant d’accents plus ou moins romantiques et/ou chauvins. Une Rheinromantik apolitique s’observe des deux côtés du fleuve, alors que la sensibilité, voire la susceptibilité nationale à son sujet s’avère beaucoup plus marquée en Allemagne que chez les poètes et les compositeurs français. Côté allemand, le Rhin est évoqué plus souvent et de manière plus variée, et il est élevé en symbole national. Mutatis mutandis, l’asymétrie politique entre la France et l’Allemagne se retrouve donc dans le domaine musical.

Zusammenfassung Der Beitrag behandelt deutsche und französische Kompositionen verschiedener Art, die in der Zeit der Rheinkrise von 1840 entstanden sind. Salon- und Marschmusik, Volks- und Kunstlieder, symphonische Kompositionen oder gar die Gattung der Oper thematisieren um 1840 den Rhein mit mehr oder weniger romantischen und/oder chauvinistischen Akzenten. Eine unpolitische Rheinromantik ist den französischen und deutschen Stücken gemeinsam, während die nationale Empfindlichkeit, was den Fluss betrifft, in Deutschland deutlich spürbarer ist als bei den französischen Dichtern und Komponisten. Auf deutscher Seite wird der Rhein öfter und vielfältiger thematisiert und stärker zum nationalen Symbol erhoben. Die politische Asymmetrie findet sich mutatis mutandis in der Musik wieder.

La crise diplomatique de 1840, au sujet de la frontière du Rhin, fut déclenchée par la France, de même que l’échauffourée littéraire contemporaine et sa traduction dans les Beaux-Arts1. Sa traduction dans le domaine musical est peut-être moins connue. La tension entre Français et Allemands s’exprime aussi autour de 1840 à travers un certain nombre de morceaux de musique, certains célèbres, d’autres moins, à l’instar des compositeurs. Sans aucune ambition d’exhaustivité, cette contribution s’appuie sur un corpus contenant des compositions de divers genres, des chants populaires, des marches militaires, des Kunstlieder, ainsi qu’un opéra. 1

Nicolas Beaupré, « Le Rhin. Histoire(s), espace(s), identité(s) », Le Rhin. Une géohistoire, dossier n° 8044, Documentation photographique, mai 2005, p. 12 ; Tanja Baensch, Un petit Berlin ? Die Neugründung der Straßburger Gemäldesammlung durch Wilhelm Bode. Göttingen, V&R Unipress, 2007, p. 49.

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Stéphanie Krapoth

Du fait de sa diversité même, cet ensemble de compositions devient révélateur de l’ambiance dans la création musicale autour de 1840. Cette version écrite doit hélas se passer d’une partie des illustrations sonores à cause des problèmes de droits de reproduction. Nous indiquons cependant quelques liens en note vers des enregistrements accessibles en ligne. Examinons de quelle manière l’univers de la musique traduit les sensibilités française et allemande au sujet du Rhin. UNE RHEINROMANTIK APOLITIQUE FRANÇAISE ET ALLEMANDE Nos résultats d’analyse s’appuient sur des fonds musicaux conservés en FrancheComté, ainsi que sur des compositions allemandes célèbres. En ce qui concerne les fonds régionaux, ont été répertoriées des compositions des années 1780 à 1870 environ2. La Bibliothèque d’études et de conservation de Besançon et le fonds ancien du Conservatoire du pays de Montbéliard recèlent des trésors musicaux appartenant à des genres divers. Les compositions proviennent parfois de périodiques et sont reliées dans des recueils factices, car regroupant des morceaux non conçus comme un ensemble à l’origine. Dans ces recueils hétéroclites, on rencontre beaucoup de musique de salon. Il s’agit de morceaux pour piano, de mélodies pour voix et piano, de musique de chambre instrumentale ou de danses (souvent des rondes) : tous genres fort prisés à l’époque. Les musiques vocales sont des morceaux bucoliques, des romances, des berceuses, des extraits d’opéras comiques et des chants humoristiques comme par exemple un sur la « déménageomanie » des années 1820. Certains textes sont pieux. Un grand nombre, prenant pour cadre d’autres régions et d’autres peuples, relève de l’exotisme, ou célèbre des métiers. Enfin, on relève aussi des chants de soldats ou de guerre en général, sur lesquels nous reviendrons dans la partie suivante. Nous avons cherché des références au Rhin dans les morceaux proposant des portraits musicaux de peuples ou de personnages. L’œuvre de la compositrice Loїsa Puget (1810–1889), prolifique, rassemble de nombreuses romances, des chansonnettes, des prières, publiées dans les années 1830 et au début des années 18403. Une de ses romances s’intitule « La batelière du Rhin ». La page de garde représente une batelière, ses deux rames sur l’épaule, en train de quitter son bateau. Quant au texte, la voix relate, en trois couplets, le sort de Mina la batelière. Le narrateur lui fait une plaisanterie sans finesse aucune, lui faisant croire que sa chaumière aurait brûlé et que son amant l’aurait abandonnée – ni l’un ni l’autre n’étant finalement le cas. Comprenant le leurre, Mina se remet à ramer, guillerette. La musique, dans le rythme berçant de six croches, est parsemée d’éléments chromatiques et de nuances du tempo. Dans cette musique de salon galante, dédicacée à une jeune aristocrate, le Rhin fournit juste le décor. 2 3

Catalogue des fonds musicaux anciens conservés en Franche-Comté, Tome 1, Belfort/Aix-enProvence, ACCOLAD/EDISUS, 2000. Loїsa Puget, « La batelière du Rhin », Schott/Moissonnier, 1842, MDc [Inv.132(8), coll. More-Pradher], n° 834 ; Loїsa Puget, « Romances », 1837, ibid.

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Côté allemand, toute une poésie au sujet du Rhin ~ Rheinlyrik commence à fleurir dès 1802, sous l’emprise napoléonienne. Comme François Walter l’a également développé dans sa contribution à cet ouvrage4, Clemens Brentano, Achim von Arnim et Friedrich Schlegel explorent le Rhin, multiplient les éloges de la beauté sauvage de la rive allemande, tout en dédaignant les territoires rhénans français. Lorsque Dumas et Nerval font un voyage en Allemagne en 1838, ils constatent cette Rheinromantik décidément allemande, s’en étonnent un peu et stimulent une production littéraire française à laquelle appartiennent par exemple les lettres fictives de Victor Hugo, intitulées tout simplement Le Rhin, de 1842. Des deux côtés, les débuts de la Rheinromantik n’ont rien de politique ni de nationaliste, mais s’avèrent internationaux, touristiques, voire européens. Avec la crise de 1840, apparaît au grand jour le hiatus entre les manifestations diverses du nationalisme et les liens déjà tissés entre les peuples d’Europe, notamment au niveau artistique5. L’opéra Das Rheingold ~ L’or du Rhin de Richard Wagner et la 3e Symphonie, dite rhénane de Robert Schumann, sont postérieurs à la crise de 1840, mais montrent justement la persistance de la Rheinromantik du côté allemand, défiant les turbulences politiques, plus éphémères. La place accordée au Rhin par Richard Wagner est particulièrement intéressante. Tout d’abord, concernant les détails de la composition, le mot leitmotiv, associé à l’origine à une technique de composition de Richard Wagner, est devenu courant en français, et ce, même au-delà de l’univers de la musique, ce qui montre sa prégnance. Et concrètement, dans L’or du Rhin (1854) comme dans Le crépuscule des dieux (débuts de composition 1848, création 1876), certains des leitmotive dépeignent des vagues. Ce matériau musical est constitué par des arpèges, c’est-à-dire des accords parfaits brisés, à peine enrichis. Pour être reconnaissable comme leitmotiv, le matériel musical reste identique à chaque utilisation, à part sa transposition dans différentes tonalités selon le contexte6. Ensuite, au niveau de la grande geste compositrice, le livret de ce qui devient L’anneau du Nibelung est quasiment achevé en 1852 : le dernier opéra de la trilogie se nomme Götterdämmerung (Le crépuscule des dieux), avec un prélude Rheingold, (L’or du Rhin). Le choix du Rhin n’a rien d’anecdotique. Le début du prologue propose une naissance du monde par le son : des notes qui s’agrègent progressivement pour faire émerger le thème du Rhin. À la fin du prologue, Siegfried s’embarque dans un voyage musical intitulé par Wagner lui-même : Siegfrieds Rheinfahrt ~ Voyage de Siegfried sur le Rhin. Et à la toute fin de la Götterdämmerung, les filles du Rhin et le thème du Rhin reviennent dans un dénouement s’ouvrant à un nou-

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François Walter, « Le Rhin comme figure paysagère de la nation », dans ce volume. Roland Alexander Ißler, « Romantik, Rhein und Rheinromantik: Reisende erschließen die Flußlandschaft », in : Michael Fischer / Ferdinand Hörner, Lied und populäre Kultur. Song and Popular Culture. Deutsch-französische Musiktransfers, Jahrbuch des deutschen Volksliedarchivs Freiburg Bd. 57 (2012). Berlin, München, Münster, New York, Waxmann, 2013, p. 113–121, ici p. 113–115. Cité d’après Richard Wagner, Der Ring des Nibelungen. Vollständiger Text mit Notentafeln der Leitmotive, Julius Burghold (éd.), Mainz/München, Goldmann/Schott, 1980, citation en page annexe non numérotée.

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veau commencement. Pour le compositeur allemand, pas de doute : dans les vagues du Rhin coule la légende de l’humanité tout entière7. Le choix par Wagner de ce contenu mythique montre donc bien la portée symbolique que revêt le fleuve pour les soubassements culturels de la nation allemande, développés en l’occurrence par un compositeur. Passons à l’attitude d’un autre compositeur, au parcours et au style très différents : Robert Schumann (1810–1856). Protestant originaire de Saxe, Robert Schumann a fait en 1829 un premier voyage en bateau sur le Rhin. Plus d’une décennie plus tard, en 1842, dans le lied Auf dem Rhein, Robert Schumann utilise un texte du poète peu connu Karl Immermann. Le poème condense en peu de mesures la légende de l’or du Rhin, et la musique évite d’imiter des vagues, pour enchaîner d’un bout à l’autre des blocs d’accords hiératiques, peut-être pour suggérer l’ancienneté de la légende ancestrale. Chez Robert Schumann, le Rhin est donc aussi le gardien du célèbre trésor de la tradition germanique, mais il l’exprime par des moyens musicaux très différents. Qui plus est, il les multiplie et les varie d’un morceau à l’autre. En 1840, il évoque l’archaїsme de Cologne dans Im Rhein, im heiligen Strome, n° 6 du recueil Dichterliebe ~ L’amour d’un poète. Ainsi, tout du long de ce lied, un motif pointé passe par toutes les tessitures, ce qui rappelle les techniques de contrepoint de Johann Sebastian Bach8. Une dizaine d’années plus tard, en 1850, Robert Schumann devient directeur musical de la ville rhénane de Düsseldorf. Avant d’intégrer sa nouvelle fonction, Robert visite Cologne avec sa femme, et Clara note dans son journal que « der Anblick des grandiosen Doms […] auch bei näherer Besichtigung unsere Erwartungen übertraf » ~ « même en la contemplant en détail, la grandiose cathédrale dépassait toutes nos attentes »9. À la fois sous le coup de cette impression et à titre d’hommage, le compositeur choisit dans sa troisième symphonie de traduire musicalement l’ambiance de sa nouvelle région d’activité. Cette composition est attendue, et Schumann achève la symphonie en deux mois en novembre-décembre 1850, pour diriger lui-même la création en février 185110. Le critique de la Rheinische Musikzeitung remarque l’intention de « hier und da ein Stück Leben wiederzugeben » ~ « rendre par-ci par-là un moment de vie ». L’auteur du compte-rendu entend cela de manière concrète par rapport à la région ; il associe à la musique des mouvements centraux « ein behäbiges Rheinlandleben […], schöne Wasserfahrten zwischen rebengrünen Hügeln und freundliche Winzerfeste […], gothische Dome, Prozessionen, stattliche Figuren in den Chorstühlen » ~ « la vie rhénane tranquille […], de belles balades sur l’eau, entre de verdoyantes collines plantées de vignes, d’amicales fêtes de vignerons, des cathédrales gothiques, des processions, des sculptures imposantes dans les stalles »11. Il considère globalement que : 7 8 9 10 11

Martin Gregor-Dellin / Michael von Soden, Hermes Handlexikon. Richard Wagners Leben, Werk, Wirkung, Düsseldorf, Econ, 1983, p. 178–180. https://www.youtube.com/watch?v=O8CAw7uomcE (consulté le 27 décembre 2017). Berthold Litzmann, Clara Schumann, ein Künstlerleben nach Tagebüchern und Briefen. Bd. 2 Ehejahre 1840–1856. Leipzig, Breitkopf & Härtel, 6e éd. 1920, p. 227. Arnfried Edler, Robert Schumann, München, Beck (Wissen), 2009, p. 106. Cité d’après Ibid., p. 107.

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« Die neue Tondichtung unseres verehrten Componisten […] entrollt uns […] ein Stück rheinischen Lebens in frischer Heiterkeit » ~ « La nouvelle poésie musicale de notre compositeur vénéré déploie devant nous une part de la vie rhénane avec une gaieté toute alerte »12. Toutefois, l’appellation « symphonie rhénane » a été forgée ultérieurement et non par Schumann lui-même, bien qu’il soit avéré qu’il a été impressionné par la cathédrale de Cologne dont la construction est en train de s’achever. Schumann la voit à deux reprises en septembre et novembre 1850, et il a pu comprendre l’édifice comme symbole de l’unité culturelle de l’Allemagne, à qui l’unité politique fait encore défaut13. Par rapport à la symphonie, il est raisonnable de ne pas chercher des liens trop simples entre des observations sur la composition et des phénomènes extramusicaux comme les caractères de la région ou de la population rhénane. Ce genre d’association est tout à fait possible et souvent tentant, mais reste foncièrement subjectif, d’autant que le compositeur livre peu d’indices à ce sujet. Finalement, c’est surtout la réception qui s’avère intéressante pour notre approche, à savoir l’appellation « symphonie rhénane » par un contemporain de Schumann, les références que les auditeurs de l’époque veulent y voir, et qui répondent sans doute à une certaine attente du public régional envers un nouveau compositeur de renom. Ces interprétations témoignent donc surtout des représentations du Rhin au sein de la population rhénane elle-même, mais qui sont ensuite prêtées à un compositeur originaire d’une autre région. Au fond, nous avons ici affaire au Rhin en tant que révélateur de représentations réciproques de différentes régions allemandes. Pour passer des grandes formes comme la symphonie et l’opéra à des compositions d’ordre plus intime, les morceaux utilisant la légende de la Lorelei fournissent une matière intéressante exprimant elle aussi la Rheinromantik allemande. Il s’agit d’un personnage féminin légendaire habitant le rocher d’ardoise de 132 mètres, presque vertical, qui domine le Rhin près de St-Goarshausen. L’endroit représente traditionnellement un passage dangereux pour la navigation et, dans la légende, le chant de sirène de la Lorelei attire les navigateurs vers l’abîme. Mettant ce personnage en exergue, l’air, sur un texte de Heinrich Heine, devient célèbre. Le poème datant de 1823 est publié pour la première fois en 1824 et intègre en 1827 le Buch der Lieder. En 1838, Friedrich Silcher compose l’air destiné à être chanté sur ce texte. Friedrich Silcher (1789–1860) joue un rôle important pour l’évolution des chants populaires allemands, créant de nombreux airs intégrant le patrimoine culturel allemand et restés très connus au 20e siècle, où il était courant qu’ils soient chantés à l’école primaire et dans les chorales des années de collège et de lycée. Ayant toujours insisté sur la différence de niveau entre les chants populaires ~ Volkslieder et d’autres à teneur artistique, avec accompagnement du piano, ~ Kunstlied, Friedrich Silcher a lui-même récolté les premiers et composé les seconds. 12 13

Rheinische Musikzeitung 1/1851, n° 37 du 15 mars 1851, p. 293, cité d’après Joachim Draheim, préface à la partition de la symphonie, p. IV. Joachim Draheim (éd.), Robert Schumann, 3. Symphonie Es-Dur, « Rheinische » op. 97, 1850, Wiesbaden, Leipzig, Paris, Breitkopf & Härtel, 2001, préface p. VI.

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L’exemple retenu est représentatif du genre Volkslied ; or ce qui nous intéresse est d’évaluer dans quelle mesure la question rhénane est alors sensible dans la moyenne de la population. En suivant le lien indiqué en note, on pourra vérifier si l’air de Friedrich Silcher sur le poème « Ich weiß nicht, was soll es bedeuten » lui est encore familier14. Le rythme 6/8 est traditionnellement employé pour des berceuses et devient ici un moyen d’évoquer le bercement par les vagues du fleuve. Le principe de composition est celui d’un simple Strophenlied : les trois couplets musicalement identiques relatent le naufrage des bateliers perdus par le chant de la sirène Lorelei. Le texte de Heine associe l’histoire triste au vague à l’âme cher aux romantiques, en posant la question de sa Bedeutung. Ce terme intraduisible de la langue allemande interroge la signification profonde et peut faire penser à la fleur bleue des romantiques. La composition de 1838 est antérieure à la crise du Rhin ; elle montre l’ancrage déjà existant d’un imaginaire du Rhin et devient emblématique. Cette fonction apparaît d’autant plus significative compte tenu du fait que jusqu’à la fin du siècle, on dénombre plus de quarante versions musicales du poème15 ! Dans la dernière partie, il sera question des autres Lorelei, datant précisément de 1840. Pour terminer cette partie sur l’imaginaire durablement associé au Rhin en Allemagne, un dernier indice : le Rheinweinlied, d’après un texte de Matthias Claudius (1740–1815). La composition de 1857 est d’une certaine ampleur : intitulée « ouverture festive », elle requiert un ténor solo, un orchestre et un chœur16. Le texte évoquant le vin, les vignes, le paysage du fleuve, témoigne donc des stéréotypes associés au fleuve qui correspondent exactement à la Rheinromantik qui se perpétue pendant une bonne partie du 19e siècle en Allemagne. Nous venons d’en rassembler des indices pour le monde de la musique. Dans l’ensemble, chez les compositeurs cités, un certain nombre de morceaux illustre la Rheinromantik allemande, et si nous en avons également relevé du côté français, elle se déploie moins et revêt moins d’importance pour le sentiment national. Jusqu’ici, nous avons évoqué des compositions romantiques dépourvues de tonalités hostiles. Passons à un autre registre pour voir si l’asymétrie se vérifie. LE RHIN COMME OCCASION DE FAIRE ENTENDRE DES TONALITÉS BELLIQUEUSES L’univers militaire et guerrier est le domaine par excellence où s’expriment les antagonismes par rapport aux pays ennemis. Pour les compositeurs aussi, le Rhin peut fournir des occasions de verser dans un registre musicalement belliqueux. Dans le recueil bisontin déjà mentionné, Fromental Halévy (1799–1862) propose un air 14 15 16

https://www.youtube.com/watch?v=lm8LnGz2oVE (consulté le 27 décembre 2017). Katja Czarnowski, « Die Loreley », Étienne François / Hagen Schulze (Hg.), Deutsche Erinnerungsorte. München, Beck, 2001, vol. 3, p. 488–502, ici p. 490. Robert Schumann, Festouvertüre mit Gesang (Tenor Solo) über das Rheinweinlied für Orchester mit Chor, op. 123 (1852–1853), Simrock 1857 ; version citée Breitkopf 1887, http://imslp. org/wiki/Rheinweinlied-Ouverture,_Op.123_(Schumann,_Robert)

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faisant l’éloge de Charles VI et de la nation française. Daté de 1843, ce chant est extrait d’un opéra. Dans l’ensemble, les compositions du recueil combinent volontiers les registres amoureux et militaire, comme par exemple chez Louis-Barthélémy Pradher (1781–1843). Dans les compositions françaises versant dans le genre guerrier ou militaire, les références explicites au Rhin s’avèrent rares, contrairement à ce à quoi on aurait pu s’attendre en songeant à la théorie des frontières naturelles. Une vision idéale encore parfois invoquée de nos jours voit la France comme dotée de limites naturelles que sont les mers, les montagnes ou des fleuves. À l’Est, le Rhin est susceptible de revêtir cette fonction, comme le montre la politique des réunions du 17e siècle et aussi l’échauffourée de 1840. Mais, justement, du fait de sa situation périphérique, le Rhin est moins porteur de symboles pour la nation et le royaume français que la Loire, la Seine ou le Rhône. Il en va tout autrement pour l’Allemagne, qui attache tout un univers de légendes à ce fleuve. Cette asymétrie se retrouve au niveau musical dans le genre guerrier. Côté français, la marche Le régiment de Sambre et Meuse, connue à partir de 1870 en France, évoque deux autres rivières de l’Est. Et Rhin et Danube, qui est la marche officielle de la 1ère armée française du général de Lattre de Tassigny en 1945 mais difficile à dater, aurait peut-être été composée en 1944. Mais à la fin de la Seconde Guerre mondiale, le contexte est différent de celui de 1870–1871 : l’affrontement dépasse de loin l’antagonisme franco-allemand. Côté allemand, citons comme exemple incontournable car représentatif le chant intitulé Die Wacht am Rhein ~ « La garde du Rhin ». Le poème de Max Schneckenburger date une fois de plus de 1840, l’air de Carl Wilhelm de 1854, et le chant se diffuse rapidement. L’Empire de 1871 n’a pas d’hymne officiel. Il est intéressant d’observer que deux chants s’imposent alors comme des hymnes officieux de l’État impérial : Heil Dir im Siegerkranz et Die Wacht am Rhein. Le texte du premier est de Heinrich Harries, écrit en 1790, et s’inscrit donc à l’origine dans le contexte des guerres révolutionnaires. Tout en célébrant la gloire de l’Empereur allemand, ce chant emprunte l’air de l’hymne anglais God save our gracious Queen/King17. Le texte Die Wacht am Rhein est quant à lui directement lié à l’échauffourée de 1840, et l’air a été créé spécifiquement pour ce texte18. Le chant a épousé étroitement le sentiment national allemand, avec sa composante anti-française marquante et marquée pendant tout le 19e siècle. Représentatif du chauvinisme allemand, ce chant martial se caractérise par les indices suivants : l’air démarre par des accords parfaits en arpèges montants, ce qui lui confère un caractère de fanfare, d’autant que ce motif revient dans la dernière ligne du chant19. Le texte, cette fois-ci, évoque la présence d’un ennemi dont il s’agit de se protéger, et la manière dont la population allemande a l’intention de le faire. La dimension sacrée est présente à travers les termes « Himmelsaun » ~ prairies célestes, « heil’ge » ~ sacrée. Certains aspects du fleuve sont même pris pour témoins de la volonté des Allemands de se proté17 18 19

Les phénomènes d’emprunt et de parodie dans les hymnes nationaux mériteraient un développement à part entière, qui dépasse le cadre de cette contribution. Sur la genèse de Heil Dir im Siegerkranz https://www.bpb.de/gesellschaft/kultur/sound-desjahrhunderts/209559/heil-dir-im-siegerkranz (consulté le 7 janvier 2018). https://www.youtube.com/watch?v=zikcHnimsxk (consulté le 27 décembre 2017).

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ger : dans l’avant-dernier couplet, la plage ne doit pas être foulée par l’ennemi ; le couplet ultime affirme que la « Woge rinnt » ~ la vague s’écoule comme un signe de durée et de force immuable, au même titre que le serment et les drapeaux brandis par les hommes. Côté français, les indices relevés sont beaucoup plus dilués (pour verser ici dans une métaphore aquatique), parce que la portée symbolique du fleuve est moindre. Bien qu’à différents moments du 19e siècle, la France se trouve dans la situation du militairement ou diplomatiquement perdant, les revendications patriotiques sont moins attachées à l’image du Rhin. Côté allemand, les références relevées sont explicites et expressives, à la fois par rapport au fleuve et à son rôle pour l’identité allemande en construction. Le moment 1840 joue-t-il alors un rôle particulier à cet égard ? LE RÔLE DU MOMENT 1840 POUR L’ANCRAGE DU RHIN COMME SYMBOLE NATIONAL Côté français, les résultats musicaux sont maigres en ce qui concerne le moment 1840. Le poème de Musset Nous avons eu votre Rhin allemand, il a tenu dans notre verre fournit un premier indice : il est mis en musique ultérieurement, par Pepito François Martin Creus. Pour ce que nous avons pu en savoir, celui-ci est directeur de l’harmonie d’un établissement d’enseignement privé (St-Nicolas de Vaugirard) et compose par ailleurs des œuvres pour piano, des mélodies et des pièces pour orchestre20. Mort en 1926, il a nécessairement créé l’air destiné au poème quelque temps après 1840. Le second indice se construit également par la négative : le chant patriotique Sambre et Meuse date de 1870, a été arrangé en marche militaire en 1879 et évoque deux autres cours d’eau, non pas le Rhin, afin de susciter des sentiments patriotiques et attiser l’ardeur de défendre la patrie française. Last but not least, il date de 1870, moment où l’antagonisme franco-allemand atteint un premier paroxysme – il est donc nettement postérieur à 1840. La « guerre du Rhin » de 1840, comme la crise de cette année a pu être appelée21, ne joue donc aucun rôle pour l’ancrage de l’identité française, et guère plus pour le développement de sentiments germanophobes chez les musiciens français. Du côté des compositeurs allemands, a déjà été évoquée la Lorelei très connue de Silcher et nous voudrions ici compléter par des exemples moins connus : Clara et Robert Schumann ont tous deux composé leurs Lorelei, à plusieurs reprises : la Lorelei est tantôt une sorcière, tantôt une sirène, habitant une forêt ou sur le rocher. La composition de plusieurs lieder, datant tous des environs de 1840, serait-elle un autre indice d’une sensibilité allemande accrue par rapport à tout ce qui a trait au fleuve à ce moment-là ? Dans la composition de Clara Schumann, des motifs descendants finaux dépeignent musicalement l’engloutissement d’une barque causé

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http://data.bnf.fr/14756438/jose_creus/ (consulté le 4 janvier 2017). Nicolas Beaupré, « Le Rhin », art.cit., p. 12.

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par un chant de sirène. Toute la composition exprime de l’inquiétude22. Chez Robert Schumann, l’accompagnement imite des vagues montantes et descendantes23. Dans « Waldesgespräch », le n° 3 du Liederkreis d’après des textes d’Eichendorff (1842), le texte présente une variante de la légende : cette fois-là la Lorelei devient une sorcière habitant un château qui domine le Rhin24. Il existe d’autres exemples attestant l’accumulation de lieder citant le fleuve autour de 1840, dont certains ne se référent pas à la légende de la Lorelei. De fait, Robert Schumann compose trois lieder évoquant directement le fleuve : rappelons que, selon ce qui a été montré plus haut, les textes utilisés n’ont d’emblée rien de politique mais illustrent la richesse du symbole que représente le Rhin côté allemand, richesse susceptible d’être réinvestie comme soubassement de volontés politiques25. Et les dates de ces compositions : 1840 par deux fois et 1842 pour la dernière, renforcent le diagnostic d’une attention particulière portée au fleuve autour de cette période. D’autant que le premier voyage sur le Rhin de Schumann, datant de ses années d’études (1829), est nettement antérieur ; quant à sa prise de poste à Düsseldorf, occasionnant d’autres voyages sur le fleuve dans les années 1850, elle est, elle, sensiblement postérieure aux trois lieder. Des facteurs biographiques ne peuvent donc ici servir d’éléments d’explication. Celle-là résiderait plutôt dans une sensibilité, voire une susceptibilité accrue par rapport au Rhin autour de 1840, et l’univers musical allemand en réserve encore une preuve saisissante. Le poème de Nikolaus Becker « Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein » ~ « Qu’ils ne s’en emparent pas, du libre Rhin allemand » a été publié une première fois le 16 septembre 1840 dans la Trierische Zeitung. Il s’agit d’un journal peu diffusé au-delà de la ville de Trêves, ce qui fait que cette première parution fut peu remarquée. Les six couplets insistent par anaphore, en reprenant dans un couplet sur deux les vers initiaux « Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein », pour vanter ensuite les atours et les atouts du fleuve : sa nature, ses cathédrales, ses habitants. Les six couplets multiplient les expressions fleuries. Côté allemand, le poème, rapidement populaire, est publié à nouveau le 8 octobre 1840 dans la Kölnische Zeitung et connaît une réception enthousiaste26. À la fin de la même année, une brochure de seize pages sort à Wesel, également en Rhénanie. Dans cette brochure, différents airs sont convoqués pour servir de base musicale au poème de Nikolaus Becker. Il s’agit donc de parodies. En musique, on désigne par ce terme tout à fait neutre la reprise d’un matériau musical d’une autre composition. Cette pratique est courante dans la composition depuis la fin du Moyen Âge. L’initiateur, P. J. Beumer, par ailleurs auteur d’un ouvrage sur l’Em22 23 24 25 26

Clara Josephine Schumann, « Lorelei », in : Sechs Lieder op. 13 (1843), Erstdruck Breitkopf & Härtel, 1990, p. 34–39 ; https://www.youtube.com/watch?v=xxAipBbMzDw (consulté le 27 décembre 2017). Robert Schumann, « Lorelei », op. 53 n° 2 ; https://www.youtube.com/watch?v=gZTdNQSf-PQ (consulté le 27 décembre 2017). Robert Schumann, « Waldesgespräch », op. 39 n° 3 ; https://www.youtube.com/watch?v= 7MwZ3PMnajA&list=RD7MwZ3PMnajA&t=25 (consulté le 27 décembre 2017). « Im Rhein, im heil’gen Strome », n° VI, in : Dichterliebe de Heinrich Heine (1840), n° 52 ; « Sonntags am Rhein », op. 36 n° 1 (1840), in : Lieder und Gesänge op. 51, n° 4 (1842). Roland Alexander Ißler, Romantik, op. cit., p. 119–120.

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pereur Frédéric Guillaume III et éditeur d’un répertoire de marches militaires, s’en explique dans la préface du fascicule. En substance, il renvoie au fait que ce texte serait chanté à travers toute l’Allemagne, sur différents airs, et il en déduit donc qu’il s’agirait d’un « lied allemand, d’un lied du peuple, d’un lied pour le présent, et d’une réponse au caquètement des coqs gaulois »27. Selon l’auteur, il s’agirait d’un chant « essentiel » ~ « Kernlied ». Sa réception unanime prouve pour lui que son peuple a préservé le sens de son « Deutschthum » ~ de sa « germanité » et serait prêt à prendre les armes pour le défendre le cas échéant, comme un seul homme28. Le sens de son entreprise consistant à adapter le texte aux airs les plus populaires de l’époque serait qu’il se répande le plus rapidement possible. L’auteur indique également ses favorites parmi les huit versions musicales. S’il émet pour finir le vœu d’un avenir pacifique, il considère aussi que le texte de N. Becker serait un vigoureux chant de combat29. De fait, jusqu’à la fin du 20e siècle, il a connu une postérité certaine, ayant été mis en musique par des inconnus et des compositeurs confirmés, dont Franz Liszt. En tout et pour tout, on dénombre plus de 70 versions30. Examinons de près les airs parodiés par Beumer en 1840. L’ensemble s’avère hétéroclite, utilisant des chants d’époques différentes. Les textes originels font référence aux choses militaires, à la vie du soldat, mais aussi à la nature et à l’amour. Parmi eux l’on relève un chant de chasse, un appel au duel d’amour courtois, une marche lente remontant au début du 18e siècle. Le quatrième est un chant de guerre de l’époque napoléonienne, dans le cinquième, également un chant militaire, un soldat fait l’éloge de son manteau qu’il porte depuis 30 ans. S’ensuit un air du compositeur à succès Johann Friedrich Reichhardt (1752–1814), sur un texte du 16e siècle. Le septième chant est un air célébrant la forêt de Thuringe. Le dernier, « O Straßburg », sur un texte du 18e siècle et un air de 1828, parodie un hymne à la ville de Strasbourg et à tous les soldats qui y sont enterrés. À l’instar des textes, les airs sont musicalement très différents : de rythme tantôt ternaire, tantôt binaire, les chants sont plus ou moins longs, certains à caractère de fanfare, d’autres rappelant plutôt les lieder sacrés de Bach, comme dans la composition de Johann Friedrich Reichhardt qui vient d’être citée. En somme, que prouve cette ardeur musicale déployée par Beumer, autour d’un poème patriotique médiocre ? Nous dirions que justement la qualité médiocre du texte, et la parodie qui fonctionne parfois mal, suscitant des répétitions presque comiques, sont révélatrices d’une préoccupation sérieuse. En Allemagne, avant comme après 1840, il est difficile de prendre du recul par rapport à la question du Rhin, parce que les sentiments identitaires en gestation aspirent à l’unification politique, à la consolidation du cadre territorial. Tout cela rend impossible toute ouverture sur la question rhénane. Musicalement, la multiplication des parodies al-

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Nikolaus Becker, « Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein ». Mit acht Melodien nach den beliebtesten Volksweisen bearbeitet. Wesel, I. Bagel, 1840, préface p. 3. [traduit par nos soins] Ibid.. Ibid., p. 4. Roland Alexander Ißler, Romantik, op. cit., p. 121.

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lemandes peut donc s’interpréter comme signe d’un acharnement, ou pour le moins d’une insistance, sur un sujet tenant à cœur, beaucoup plus qu’en France. CONCLUSION À l’issue de cette étude, nous constatons qu’autour de 1840, il existe bel et bien un intérêt certain pour le Rhin chez les compositeurs français et allemands. Le nombre de morceaux, la diversité des genres musicaux et des moyens de composition employés montrent la richesse de ce corpus, sur un plan à la fois historique et musicologique. Le croisement des deux disciplines stimule lui aussi la réflexion. Examiné de plus près, le corpus de compositions françaises et allemandes illustre et traduit l’asymétrie entre la France et l’Allemagne au sujet du Rhin. En Allemagne, les compositions autour de 1840 appartiennent à divers genres : chant populaire, Kunstlied, symphonie ou opéra. Le fleuve stimule l’imagination musicale, en convoquant les registres romantique, guerrier et amoureux. Tantôt la facture est simple, voire basique, tantôt plus élaborée. Des compositeurs parmi les plus célèbres de l’époque romantique ont accordé leur attention à ce thème, y revenant parfois dans plusieurs Lieder, comme nous l’avons vu à l’exemple du couple Clara et Robert Schumann. En France la richesse est moindre : les musiques appartiennent au genre galant ou guerrier en général. Moins nombreuses, elles proviennent de compositeurs moins connus. Elles sont intégrées dans des collections consacrées à certains genres, ici la marche militaire et la romance. Le Rhin y figure comme un sujet parmi d’autres. À leur manière, ces indices musicaux confirment que la France s’accommode de l’attribution des territoires rhénans à la Confédération germanique, qu’elle n’en fait plus un casus belli en 1840. Les compositeurs allemands, et non les moindres, se font beaucoup plus entendre. L’escarmouche politique se voit donc traduite et sublimée par la création et la pratique musicales. CORPUS DE COMPOSITIONS P. J. Beumer, « Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein » (Nikolaus Becker). Mit acht Melodien nach den beliebtesten Volksweisen bearbeitet, Wesel, I. Bagel, 1840. José Creus († 1926), Nous avons eu votre Rhin allemand (Alfred de Musset), s. l. n. d. Loїsa Puget (1810–1889), La batelière du Rhin, pour voix et piano, Mainz/Paris, Schott/Moissonnier, 1842. Robert Schumann (1810–1856) – Symphonie Nr. 3 Es-Dur, op. 97, Joachim Draheim (éd.) Studienpartitur, Wiesbaden, Leipzig, Paris, Breitkopf & Härtel, 2001. – « Im Rhein, im heil’gen Strome », n° VI in : Dichterliebe de Heinrich Heine (1840), n° 52 ; – « Sonntags am Rhein », op. 36 n° 1, 1840 ; – « Auf dem Rhein », texte de K. Immermann, in : Lieder und Gesänge op. 51, n° 4 (1842) ; – « Lorelei », W. Lorenz, in : Romanzen und Balladen op. 53, n° 2 ; – « Waldesgespräch », in : Liederkreis de Eichendorff (1842), Leipzig 1842, n° 3 ;

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– Festouvertüre mit Gesang (Tenor Solo) über das Rheinweinlied für Orchester mit Chor, sur un texte de Matthias Claudius (1740–1815), op. 123 (1852–1853), Bonn, Simrock 1857. Clara Josephine Schumann (1819–1896), « Lorelei », in : Sechs Lieder op. 13 (1843), Erstdruck Wiesbaden, Leipzig, Paris, Breitkopf & Härtel, 1990. Philipp Friedrich Silcher (1789–1860), « Lorelei » (1838), in : Volkslieder, Faksimile der Prachtausgabe von 1891, Kassel, Basel, Bärenreiter, 1989, p. 37–38. www.youtube.com pour les liens aux enregistrements.

RÉFÉRENCES BIBLIOGRAPHIQUES Katja Czarnowski, « Die Loreley », in : Étienne François, Hagen Schulze (dir.), Deutsche Erinnerungsorte, München, Beck, 2001, vol. 3, p. 488–502. Arnfried Edler, Robert Schumann und seine Zeit, Laaber, Laaber, 1982, 3e éd. 2008. Arnfried Edler, Robert Schumann, München, Beck (Wissen), 2009. Michael Fischer, Ferdinand Hörner, Lied und populäre Kultur. Song and Popular Culture. Deutsch-französische Musiktransfers, Berlin, München, Münster, New York, Waxmann, 2013. Martin Gregor-Dellin, Michael von Soden, Hermes Handlexikon. Richard Wagners Leben, Werk, Wirkung, Düsseldorf, Econ, 1983. Roland Alexander Ißler, « Romantik, Rhein und Rheinromantik: Reisende erschließen die Flußlandschaft », in : Michael Fischer, Ferdinand Hörner, Lied und populäre Kultur. Song and Popular Culture. Deutsch-französische Musiktransfers. Jahrbuch des deutschen Volksliedarchivs Freiburg Bd. 57 (2012), Berlin, München, Münster, New York, Waxmann, 2013, p. 113–121. Le Rhin : un modèle ? Dossier spécial, Revue d’Allemagne et des pays de langue allemande, tome 36, n° 1, janvier–mars 2004. Bernard Shaw, Ein Wagner-Brevier. Kommentar zum Ring des Nibelungen. Frankfurt, Suhrkamp, 1973. Peter Wapnewski, « Das Nibelungenlied », in : Étienne François, Hagen Schulze (éd.), Deutsche Erinnerungsorte. München, Beck, 2001, vol. 1, p. 159–169.

LE RHIN COMME FIGURE PAYSAGÈRE DE LA NATION François Walter Résumé Cet article s’interroge sur le processus de construction du Rhin comme figure paysagère de la Nation. D’abord paysage pittoresque par excellence, avec ses accessoires romantiques, le fleuve est progressivement approprié comme emblème de la Nation allemande. Son instrumentalisation peut être suivie lors des grandes crises franco-allemandes (les années 1840, la guerre de 1870–71 et les guerres mondiales). Le Rhin est de plus en plus personnifié comme incarnation historique de la Nation. Son statut de fleuve frontière est érigé en doctrine du côté allemand et critiqué comme mystification idéologique du côté français. Plus récemment, après 1950, cette figure paysagère savamment construite tombe en désuétude et semble relayée par d’autres images liées à la patrimonialisation du paysage rhénan. À travers la dimension patrimoniale et sa composante environnementale, le Rhin participe de plus en plus à des enjeux transnationaux et post nationaux susceptibles de contribuer à de nouvelles formes de citoyenneté.

Zusammenfassung Dieser Artikel beschäftigt sich mit den Prozessen, die zur Entstehung des Rheins als „landschaftliches Wahrzeichen der Nation“ geführt haben. Längst stellte der Rhein ein Musterbeispiel malerischer Landschaft dar und wurde im Laufe der Zeit zum Sinnbild der Deutschen Nation. Seine Instrumentalisierung kann seit den großen Deutsch-Französischen Krisen (1840er Jahre, Krieg von 1870–71 und Weltkriege) verfolgt werden. Der Rhein wurde immer stärker personifiziert und als geschichtliche Verkörperung der Nation verstanden. Sein Status als Grenzfluss wurde von den Deutschen als regelrechte Doktrin aufrecht erhalten und von französischer Seite her aber stark als ideologische Täuschung kritisiert. Nach 1950 veraltet das herkömmlich geschickt konstruierte Emblem allmählich und scheint durch andere gesellschaftlich geprägte Bedeutungen abgelöst zu werden, die ebenfalls mit einer „Patrimonialisierung“ der Rheinlandschaft verknüpft sind. Der denkmalpflegerische sowie der ökologische Aspekt des Rheins stellen diesen immer mehr ins Zentrum grenzüberschreitender und postnationaler Herausforderungen. Insofern vermag der Rhein bei der Entstehung neuer Formen von Staatsbürgerschaft mitzuwirken.

Après la guerre franco-allemande de 1870–1871, à la veille de Noël, on a pu lire sous la plume de l’écrivain Friedrich Hofmann (1813–1888), par ailleurs rédacteur du périodique familial à grande diffusion Die Gartenlaube, les lignes suivantes : « Grâce à Dieu, voilà que le fleuve allemand [le Rhin] a de nouveau droit, de sa source à la mer, de se parer sur les deux rives de sapins de Noël. Les Français étaient incapables de le comprendre précédemment car chez eux aucun arbre ne scintille

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pareillement »1. Par cette petite phrase, deux symboles se rejoignent : le Rhin allemand, l’arbre de Noël allemand. Il est vrai que le modèle du sapin domestique illuminé sera valorisé tardivement en France, quand la diaspora alsacienne y introduira les pratiques de la patrie perdue. Mais, sur le moment, pour les Français, l’arbre a pu revêtir une connotation très négative, associé qu’il est à l’occupation allemande. C’est que la propagande a largement fait usage d’images noëliques : Guillaume II à Versailles autour d’un gigantesque sapin, les soldats célébrant Noël en pays conquis, la mine rubiconde. Du côté français, le curé Alphonse Chabot le déplorait : « Qui de nous n’a contemplé, avec larmes, en 1870, l’arbre de Noël de nos ennemis insolents et vainqueurs ? Ces hommes du Nord abattaient les rares sapins de nos bosquets et en détachaient la cime. Dressée dans un tonneau, cette cime devenait leur arbre de Noël. Ils suspendaient à ses branches des pommes au lieu d’oranges, et des saucisses en guise de guirlandes : le tout était éclairé par des chandelles fumeuses. C’était plutôt lugubre2 ! » Même à Strasbourg, l’introduction d’un sapin étincelant dans l’église Saint-Thomas où se tient le service religieux de la garnison allemande est perçue par d’autres observateurs comme « une supercherie germanique destinée à toucher le cœur des Strasbourgeois3 ». Le Noël allemand tout comme le sapin ont pu s’appréhender sous l’angle du « lieu de mémoire ». Weihnachten a d’ailleurs droit à un article dans le grand recueil dirigé par Etienne François et Hagen Schulze4. Le Rhin, lui, n’y figure pas comme tel. Il est d’ailleurs assez singulier que peu d’objets naturels et aucun paysage n’aient été retenus par les concepteurs de ce monument que constituent les Deutsche Erinnerungsorte. Le Rhin n’a-t-il pas tout pour correspondre à la définition du « lieu », telle que l’a proposée, voici plus de trente ans, Pierre Nora ? Pour exister, celui-ci doit être simultanément matériel, symbolique et fonctionnel. Le Rhin incarne sans doute tout cela à la fois, il est plus qu’un simple « lieu d’histoire » par le « rebondissement de [ses] significations », par le « buissonnement imprévisible de [ses] ramifications »5. Dans le cas précis cependant, le concept de « figure paysagère » semble plus efficient. Il se comprend par référence aux tropes du langage telles qu’elles ont été mobilisées par Hayden White, à savoir une métalangue de l’histoire présente tout

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Article de l’Illustrierte Zeitung du 23 décembre 1871, cité par Martina Eberspächer, Der Weihnachtsmann : zur Entstehung einer Bildtradition in Aufklärung und Romantik, Stuttgart, Books on Demand, 2002, p. 483. Pour le contexte, voir, Alain Cabantous / François Walter, Noël : une si longue histoire …, Paris, Seuil, 2016, p. 148–150. Alphonse Chabot, La nuit de Noël dans tous les pays [1907], Pithiviers, chez l’auteur, 1912, p. 136. Texte de 1876 cité par Gérard Leser, Noël – Wihnachte en Alsace : Rites, coutumes, croyances, Strasbourg, Éditions du Rhin, 1989, p. 84. Doris Foitzik, « Weihnachten » in : Etienne François / Hagen Schulze (Hg.), Deutsche Erinnerungsorte, 3 vol., Munich, Beck, 2001, ici vol. 3, p. 154–168. Pierre Nora, (dir.), Les lieux de mémoire, vol. 1, Paris, Gallimard, 2003 (collection Quarto), p. XXXV.

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particulièrement dans le discours sur la nation au 19e siècle6. A fortiori, ces mêmes figures de style sont utiles pour mettre en évidence les équivalences ou les analogies entre le paysage et les populations qui y vivent. En cela, cette métalangue paysagère a l’avantage de rapprocher les deux grandes catégories de pensée trop souvent dissociées et antagonistes qui structurent le rapport de la culture occidentale à l’extériorité : Nature et Culture. Les « figures paysagères » prétendent dépasser cette dichotomie et échapper ainsi à la naturalisation des rapports au territoire comme à la « culturalisation » excessive de leur inscription spatiale7. Le concept de « figures paysagères » est opératoire à différentes échelles8. Il est certes d’abord pensé pour rendre compte du rapport de la Nation au paysage mais s’avère, le cas échéant, transposable à d’autres espaces. En cela, il permet d’obvier à une difficulté certaine, inhérente au lieu de mémoire, à savoir sa difficile exportation et intégration à une perspective transnationale ou post-nationale9. Dans les développements qui suivent, nous laisserons cependant de côté l’une des échelles fondamentales de la valorisation des lieux symboliques, celle des cités rhénanes. Assurément, les villes du Rhin peuvent se comprendre comme de véritables « lieux de mémoire » notamment par leur inscription mythique dans le temps long de l’histoire. Mais le Rhin lui-même est certainement une métaphore de l’Allemagne par substitution analogique ; il est aussi synecdoque de la nation en renvoyant à une totalité. Il partage en outre avec la forêt allemande la propriété d’être métonymie de la germanité. Il convient de rappeler à quel point un paysage de forêt incarne la figure paysagère de la nation. Der deutsche Wald fait aussi partie des lieux de mémoire retenus par Etienne François et Hagen Schulze10. L’auteur de l’article, Albrecht Lehmann, relève que la forêt partage avec le football et la voiture la première place des « symboles de masse » dans la culture allemande. La forêt est même une métaphore de la nature dans les mentalités collectives. Sa mythologie s’est trouvée investie par les folkloristes qui, dès le début du 19e siècle se sont attachés à trouver une cohérence identitaire à la nation allemande. Sur une continuité fictive et construite avec les anciens Germains a prospéré le nationalisme. La forêt allemande est en ce sens aussi une forêt idéologique. La forêt française, quant à elle, demeure utilitaire. Albrecht Hayden V. White, Metahistory – The Historical Imagination in Nineteenth-Century Europe, [7th print.], Baltimore [etc.], The Johns Hopkins University Press, 1990. 7 Voir une expérience similaire chez Bernard Debarbieux « Le lieu, le territoire et trois figures de rhétorique », L’Espace géographique, 1995, n° 2, p. 97–112. 8 Ce que nous avons détaillé dans François Walter, Les figures paysagères de la nation : territoire et paysage en Europe (16e–20e siècle), Paris, EHESS, 2004. 9 Difficulté repérée par Rainer Hudemann, « Transnationale Erinnerung : Methoden – Strukturen – Faktoren », in : Benoît Majerus [e. a.], Dépasser le cadre national des « lieux de mémoire » : Innovations méthodologiques, approches comparatives, lectures transnationales, Bruxelles, Peter Lang, 2009, p. 263–274. 10 Albrecht Lehmann, « Der deutsche Wald », in : François/Schulze, Erinnerungsorte, op. cit., p. 187–200. Lehmann est aussi l’auteur de Von Menschen und Bäumen : die Deutschen und ihr Wald, Reinbek, Rowohlt, 1999. Voir aussi, Jeffrey K. Wilson, The German Forest : Nature, Identity, and the Contestation of a National Symbol, 1871–1914, Toronto, University of Toronto Press, 2012. 6

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Lehmann caricature sans doute en empruntant l’argument à Fernand Braudel : selon l’historien français, un ouragan qui déracine 50.000 arbres est considéré comme une opportunité en France, les paysans étant ravis de s’épargner ainsi l’effort du défrichement11. En Allemagne, le même événement extrême est une calamité. Bien évidemment la vision actuelle de la forêt dans l’imaginaire collectif a beaucoup évolué. Selon Lehmann elle conserve ses caractéristiques esthétiques tout en perdant sa charge idéologique. C’est toute l’ambiguïté de la perception actuelle des espaces boisés comme espace de détente et de loisirs, valorisé par l’imaginaire écologique qui a relégué la vision nationaliste démodée. Ce rapport privilégié aux arbres ayant déjà été souvent étudié, le mentionner permet simplement de rappeler qu’il est possible de dater et de suivre ensuite l’évolution d’une figure paysagère12. On doit par ailleurs se demander si l’Allemagne peut véritablement se prévaloir d’un paysage national13. La taille et la diversité du pays empêche à l’évidence d’y trouver un paysage dominant à partir duquel tout l’imaginaire du territoire aurait été structuré. C’est pourquoi il faut parler d’un « paysage improbable » quand on traite la question identitaire. Déjà Friedrich Ratzel a écrit des pages d’anthologie sur le paysage allemand14. Dans un livre publié une première fois en 1898 et réédité à six reprises, il ne manque pas de souligner la diversité du sol germanique et son absence d’unité du point de vue de l’histoire géologique. Sa prédilection va aux formes douces du paysage de moyenne montagne (Mittelgebirgslandschaft) qui occupent l’essentiel du territoire, entre la plaine de Basse-Allemagne et les Alpes15. L’expérience visuelle y est tout autre que dans les Alpes parce que les dimensions latérales l’emportent sur la hauteur. Ratzel s’est aussi risqué à faire de l’espace germanique un espace mal borné à l’Est et à l’Ouest. L’Allemagne serait en quelque sorte un espace qui n’est pas terminé16, contrairement à la France qui, elle, disposerait de frontières naturelles17. D’une certaine manière, la moyenne montagne vient donc rivaliser avec le Rhin dans le jeu compliqué des figures paysagères. Le Rhin aurait pu assumer le rôle de lieu essentiel de la germanité, ne serait-ce que par les légendes qui se rattachent

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Lehmann, Der deutsche Wald, op. cit., p. 190. Lehmann cite à l’appui de sa thèse le roman de Michel Tournier, Le roi des Aulnes dont Tournier lui-même résume le propos dans « Der Baum und der Wald », in Bernd Weyergraf, Waldungen : die Deutschen und ihr Wald, Berlin, Akademie der Künste, 1987, p. 26–27. L’historien italien Momigliano esquisse l’hypothèse d’une « tradition tacitéenne ». Voir Arnaldo Momigliano, Les fondations du savoir historique, Paris, Les Belles lettres, 1992, au chapitre V, notamment p. 141–142 pour les citations. Voir Walter, Les figures, op. cit., p. 47–49 J’ai abordé ce thème dans François Walter, « Allemagne – France. Des paysages nationaux improbables », in Hélène Miard-Delacroix [e. a.], Espaces de pouvoir, espaces d’autonomie en Allemagne, Villeneuve d’Ascq, Presses Universitaires du Septentrion, 2010, p. 67–91. Friedrich Ratzel, Deutschland : Einführung in die Heimatkunde, 5. Auflage, Berlin, Leipzig, de Gruyter, 1921. Il s’agit d’une reprise de l’édition originale de 1898. « Als diese hinauszitternden Wellenhöhen », telle est l’expression complète (Ibid., p. 48). « Daher ist es als Machtgebiet am spätesten und als Völkergebiet überhaupt nicht ‚fertig’ geworden ». Ibid., p. 140. Ibid., p. 146.

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à l’environnement du fleuve18. D’autres estiment que la forêt de Teutberg ou la Thuringe correspondraient mieux à ce que l’on attend d’une topographie accordée à la légende et à l’histoire. Or, ni la Thuringe, ni la Saxe, malgré la charge symbolique liée à la présence de Luther, n’ont incarné dans l’histoire l’idéal du paysage germanique. Aucune n’a accédé au statut d’« Arcadie sacrée du nationalisme allemand »19. Reste le Rhin. Mais de quel Rhin s’agit-il ? Des sources au delta, le fleuve coule sur 1233 km. Les géographes ont découpé le cours en sections : Rhin antérieur (Vorderrhein) ; Rhin postérieur (Hinterrhein) ; Rhin alpin (Alpenrhein) ; lac de Constance (Bodensee) ; Haut-Rhin (Hochrhein) à la frontière entre la Suisse et l’Allemagne de Constance à Bâle ; Rhin Supérieur (Oberrhein), de Bâle à Bingen ; Rhin moyen (Mittelrhein), de Bingen à Bonn ; Rhin inférieur (Niederrhein) jusqu’à la mer que le fleuve atteint en se divisant en trois bras. Or, les références aux figures paysagères ne concernent qu’un fragment de cet immense parcours. Elles concernent avant tout le Rhin supérieur par les enjeux politiques qui lui sont liés au cours de l’histoire et le Rhin moyen du fait de l’investissement symbolique opéré durant la période romantique. Et même, il faut le reconnaître, il y a focalisation sur le Haut Rhin moyen, soit les 65 km de Bingen à Coblence, qui constituent à peine 5 % de son cours ! LA CONSTRUCTION D’UNE FIGURE PAYSAGÈRE Une grammaire du paysage Si l’on cherche à constituer la grammaire de ce paysage rhénan, le point de départ est sans doute de l’ordre de la sensation. Mais, au-delà de l’esthétique, parler de figure paysagère oblige à dépasser l’imagination littéraire et, plus trivialement, celle de type touristique. Il est vrai qu’un ensemble d’images est naturellement évoqué dans les attentes que les visiteurs manifestent dès qu’ils atteignent le fleuve. Déjà Roland Barthes se gaussait du réductionnisme érigé en méthode par le Guide Bleu pour masquer la réalité des conditions sociales et des classes par une « mythologie bourgeoise de l’homme » où les hommes n’existent que comme « types » meublant un « gracieux décor romanesque »20. Citons par exemple l’avant-propos du traducteur français de quelques légendes collationnées par Wilhelm Ruland (1869–1927). Le Rheinisches Sagenbuch a été publié pour la première fois en 1896 puis sans cesse réédité. Traduite dans de nombreuses langues, une sélection des récits est publiée en français vers 1920. On lit : « Lorsque le bateau, après avoir dépassé Bonn, atteindra le Siebengebirge, quand tu apercevras les sommets boisés de Sept-Montagnes, leurs 18 19 20

Voir ses réflexions conclusives dans William R. Hutchison / Hartmut Lehmann, Many Are Chosen : Divine Election and Western Nationalism, Minneapolis, Fortress Press, 1994, p. 296. Hartmut Lehmann, « Martin Luther as National Hero in the Nineteenth Century », in, J. C. Eade (ed.), Romantic Nationalism in Europe, [Canberra], Humanities Research Centre, 1983, p. 181–201. Roland Barthes, « Le Guide bleu », Mythologies [1957], Paris, Seuil, 1970, p. 122–123.

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versants couverts de vignobles, quand tu verras se dresser les vieilles et pittoresques ruines des ‘bourgs’ témoins de l’époque héroïque des chevaliers-pillards, une émotion s’emparera de ton être au spectacle de ces admirables paysages que le savant [Alexandre de] Humboldt, après avoir parcouru l’univers, mit au nombre des sept merveilles du monde »21. Les ruines des Burgen correspondent parfaitement aux accessoires du pittoresque tel que l’esthétique le formalise dès 1780. A priori le pittoresque n’est pourtant pas une invention allemande22. N’est-ce pas « à la culture anglaise que nous devons d’avoir élevé le paysage rhénan au rang d’incarnation du paysage sauvage dans la conscience européenne » ?23 Une telle vision esthétique anime les « sensations » de ce « voyageur enthousiaste » qu’a été Gérard de Nerval. En 1852, il a réuni sous le nom de « Lorely » – que nous appelons plus volontiers Loreley, la « fée du Rhin » selon Nerval – ses impressions de plusieurs voyages allemands où le Rhin exerce sa fascination : « J’ai mis le pied une fois encore sur le Steamboat du Rhin. – C’est toujours la Lorely qui m’appelle »24. Ici le paysage est un écrin, mieux encore la scène de théâtre de l’histoire, celle des villes et des châteaux. À la limite le paysage est un tableau : « C’est là l’impression dont on est saisi tout d’abord, toute cette nature a l’air artificiel. Ces arbres sont découpés, ces maisons sont peintes, ces montagnes sont de vastes toiles tendues sur châssis, le long desquelles les villageois descendent … ». Une sorte d’illusion qui le ramène à la rêverie de Heinrich Heine, ce « conte des vieux temps que je ne puis chasser de mon esprit ». Selon ce que rapporte Gérard de Nerval, Heine enfant « s’imaginait que tous les soirs il y avait des domestiques qui venaient rouler les prairies comme des tapis » et qui « serraient les arbres dans un magasin, et qui, le lendemain matin, avant qu’on ne fût levé dans la nature, remettaient toute chose en place, brossaient les prés, époussetaient les arbres … »25. Avant Nerval, Victor Hugo est l’auteur d’une fiction littéraire sous la forme de « lettres à un ami ». Il a voyagé en Allemagne à plusieurs reprises entre 1838 et 1840, découvrant tardivement la section la plus pittoresque de la vallée et ses Burgen (qui inspireront Les Burgraves). Pour lui, le Rhin est un « fier et noble fleuve, violent, mais sans fureur ; sauvage, mais majestueux » dont il ne fait pas systématiquement un fleuve allemand mais plutôt un fleuve européen, multiculturel et unificateur : « C’est un noble fleuve, féodal, républicain, impérial, digne d’être à la fois français et allemand. Il y a toute l’histoire de l’Europe considérée sous ses deux grands aspects, dans ce fleuve des guerriers et des penseurs, dans cette vague 21 22 23

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L’œuvre originale compte environ 400 pages avec des légendes classées selon les lieux. Seul un choix est publié dans Wilhelm Ruland, Légendes du Rhin, Köln, Hoursch & Bechstedt, [vers 1920]. Marie-Claire Hoock-Demarle, « Le Rhin romantique », in : Pierre Ayçoberry / Marc Ferro, (dir.), Une histoire du Rhin, Paris, Ramsay, 1981, p. 171–205. L’auteure cite Ann Radcliffe, Mary Shelley et Byron. Bernd Kortländer, « Le Burg comme signe : l’image du Rhin au cours du XIXe siècle dans la littérature européenne », in : Gennaro Toscano (textes réunis par), Victor Hugo et le débat patrimonial : actes du colloque organisé par l’Institut national du patrimoine, Paris 2002, Paris, Institut national du patrimoine, 2003, p. 191–203 (citation p. 193). Gérard de Nerval, Lorely, Paris, le Divan, 1928, p. 137. Ibid., p. 53.

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superbe qui fait bondir la France, dans ce murmure profond qui fait rêver L’Allemagne. Le Rhin réunit tout »26. Si le paysage du Rhin va conserver son importance dans l’ordre de la métaphore, il prend au 19e siècle une acception de plus en plus nationale, exclusive, nationaliste, assez loin dans ses représentations d’un paysage réel, peu fidèle au demeurant à un paysage géographique. Ce Rhin imaginé pourrait parfaitement correspondre à l’impression de Gérard de Nerval à propos du voyage : « Ainsi, pour moi, déjà bien des contrées du monde se sont réalisées, et le souvenir qu’elles m’ont laissé est loin d’égaler les splendeurs du rêve qu’elles m’ont fait perdre »27. Un ancrage métaphorique Par un processus qui sert à étoffer la métaphore nationale, le Rhin va cumuler les fonctions de cœur, berceau et racines de l’âme germanique. La célèbre brochure de Ernest Moritz Arndt (1769–1860), publiée en 1813, « Der Rhein, Teutschlands Strom, aber nicht Teutschlands Gränze » (« Le Rhin, fleuve allemand et non pas frontière allemande »), est d’abord un appel à libérer le Rhin du joug français. L’auteur souligne que le plus vénérable et le plus allemand des fleuves ne doit pas devenir français, d’autant que la région rhénane est, proclame-t-il, « le berceau de notre culture »28. Le Rhin est aussi le Herzland par excellence, le cœur géographique de l’Allemagne où, selon un historien des années 1930, Gottfried Pfeifer, « convergent tous les fleuves du sang et de la civilisation allemande ». L’auteur de cette définition rendait compte du livre de Febvre sur le Rhin en reprochant précisément à l’historien français l’erreur fondamentale de ne pas avoir saisi « l’appartenance des pays rhénans au sol culturel et ethnique allemand »29. 26

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Victor Hugo, Le Rhin : lettres à un ami, Lausanne, Éditions Rencontre, 1968, p. 131–132. On retiendra l’épisode plaisant de sa visite d’une Burg (la ruine du Falkenburg à proximité de Bingen et son célèbre Maüsethurm sur le Rhin) où il prend un groupe de jeunes filles blondes pour des Anglaises. Elle se mettent à rire quand il leur adresse quelques paroles en mauvais anglais (« épiphonèmes admiratifs et ridicules : Beautiful view ! Very fine … ») et il découvre qu’elles sont françaises (ibid., p. 199–200). De plus, Hugo n’est jamais allé au Falkenburg. On est en plein dans la fiction littéraire. Nerval, Lorely, op. cit., p. 25. « Die Wiege eurer Bildung ». Edgar Quinet y aurait répondu en 1836 en revendiquant un Rhin gaulois : « Il faut le Rhin à la France. – Oui, ces monts sont à nous, notre ombre les domine ». Cité sans autre précision par le romancier historien Edouard Gachot, La dispute du Rhin, de l’Antiquité à nos jours, Paris, Payot, 1952, p. 280. On ne trouve pas ce texte chez les spécialistes de la question. R. Böschenstein, notamment, cite un poème de Quinet en 1836, beaucoup plus lyrique : « Mais ce fleuve profond où navigue le cygne, / Cette vallée en fleurs que parfume la vigne, / Ces bois, cette prairie et ces bords sont à nous. / Ils sont à nous, amis, par le sang de nos pères (…) ». Cité dans Renate Böschenstein, « Der Rhein als Mythos in Deutschland und Frankreich », Aurora, Jahrbuch der Eichendorff-Gesellschaft für die klassisch-romantische Zeit, 53, 1993, p. 25–46. Compte rendu de Gottfried Pfeifer, Rheinische Vierteljahrsblätter, 1936, p. 95–101. Ce texte est cité et commenté par Peter Schöttler dans sa remarquable introduction à la réédition de

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Le mythe du berceau des nations correspond dans l’ordre spatial à ce que représente dans le temps le mythe des origines30. Jusqu’aux 16e et 17e siècles, les principales monarchies ont prisé les descendances fabuleuses reliant le monarque régnant à l’histoire biblique (les descendants des fils de Noé dispersés après le Déluge) ou aux épopées antiques (Énée après la guerre de Troie). Ensuite, au moment où travaillent les historiens-généalogistes, on a plutôt cherché à structurer une véritable histoire dynastique finalisée par le roi en place31. Toute l’Europe s’efforce ainsi d’enraciner le présent dans le passé. N’est-ce pas là d’ailleurs pour une longue période la seule légitimité des historiens aux yeux des pouvoirs et du grand public ? Utiles pour appréhender les contextes sociaux de mobilisation du paysage, les métaphores de l’enracinement et du berceau ne doivent pas conduire à surestimer le poids de l’espace. Gérard Noiriel estime avec justesse que, dans les sociétés contemporaines, « c’est l’institutionnalisation des faits sociaux qui explique les permanences les plus importantes »32. Marcel Roncayolo a, quant à lui, toujours défendu l’idée selon laquelle « les rapports sociaux – et notamment dans les sociétés industrielles – ne sont pas d’essence territoriale »33. Échapper au déterminisme des métaphores botaniques (les racines de la nation) permet de s’intéresser aux modalités d’émergence des liens spatiaux34. C’est aussi un moyen de se libérer de l’esthétisme. La territorialité devient alors elle-même une idéologie construite progressivement au 19e siècle. Les références ruralisantes, l’idéalisation du paysan tout comme la vision patrimoniale du paysage naturel appartiennent à ce processus et lui servent de ressources. Le Rhin paysage D’une manière générale, le monde germanique est particulièrement réceptif aux médiations paysagères. Déjà, au 18e siècle, le mouvement préromantique Sturm und Drang s’enthousiasme pour les sites du cours moyen du fleuve entre Bingen et Coblence. Le poète Friedrich von Matthisson, l’historien Johannes von Müller,

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Lucien Febvre, Le Rhin. Histoire, mythe et réalités, Paris, 1997, p. 47–48. Il faudrait évoquer aussi la prétention allemande à constituer le cœur de l’Europe. Cette métaphore organique est très sollicitée au 19e siècle et au début du 20e, du poète Hölderlin à l’historien Karl Lamprecht (voir Ute Gerhard / Jürgen Link, « Zum Anteil der Kollektivsymbolik an den Nationalstereotypen », in Jürgen Link / Wulf Wülfing, Nationale Mythen und Symbole in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts : Strukturen und Funktionen von Konzepten nationaler Identität, Stuttgart, Klett Cotta, 1991, p. 16–20). Voir plus loin l’utilisation politique de cette thématique. Un exemple avec Claus Uhlig, « Nationale Geschichtsschreibung und kulturelle Identität: das Beispiel der englischen Renaissance », in: Bernhard Giesen (Hg.), Nationale und Kulturelle Identität, Frankfurt a. M., Suhrkamp, 1991, p. 169–191. « La tyrannie du national. Entretien avec Gérard Noiriel », in : L’histoire aujourd’hui, Auxerre, Éditions Sciences humaines, 1999, p. 113–118, p. 114. Marcel Roncayolo, Lectures de villes : Formes et temps, Marseille, Parenthèses, 2002, p. 23. Sur le paradigme botanique voir François Walter, « L’imaginaire du racinement », in : Laurier Turgeon (dir.), Territoires, Québec, Presses de l’Université Laval, 2009, p. 13–30.

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le théoricien des jardins Hirschfeld, le peintre Carus ou Goethe lui-même se sont exprimés sur le fleuve qui incarne le « génie tutélaire de l’Allemagne », selon Madame de Staël35, ou, à propos de son paysage merveilleux, digne selon certains du pinceau de Claude Lorrain36. Paysage idyllique italianisant dans un premier temps, le Rhin devient surtout le prototype du paysage pittoresque et sublime qu’apprécient tout particulièrement les voyageurs anglais. C’est l’écrivain Friedrich von Schlegel (1772–1829) qui passe pour le formalisateur du romantisme rhénan. Dans un texte de 1803, il explique comment la contemplation du fleuve « remplit chaque cœur allemand de mélancolie ». Parce qu’« il chute à travers les falaises avec une force inouïe, puis déverse ses remous à travers les vallées verdoyantes pour se perdre finalement dans le plat pays, le Rhin est l’image fidèle de notre patrie, de notre histoire et de notre caractère. »37 Dans ses lettres d’un voyage à travers les Pays-Bas et les régions rhénanes publiées en 1805, Schlegel explique combien le Rhin lui semble si admirable, parce qu’il participe de ces régions encore sauvages que l’on trouve en Europe. Le fleuve incarne le sublime qui, seul, peut susciter la contemplation de la nature. Deux composantes provoquent alors son admiration, le paysage et l’histoire : monument du temps héroïque de l’histoire humaine et en même temps monument encore plus grand de l’histoire de la nature, tel est, selon lui, l’antique fleuve de la patrie38. En resserrant l’échelle, le poète Clemens Brentano (1778–1842) « invente » en quelque sorte le haut lieu de la Loreley39. Ce rocher surplombe le Rhin à un endroit où sa largeur n’est que de 112 m. Un écho particulièrement puissant y attire les voyageurs. Le phénomène est attesté depuis le Moyen Âge avec la croyance à un peuple de lutins qui répercute les appels des humains. Dans son roman de 1801, Godwi, Brentano insère une ballade dans laquelle il personnifie le vieux nom du rocher pour en faire une ondine qui attire les bateliers. Réminiscence de motifs antiques (la nymphe des Métamorphoses d’Ovide) et de légendes médiévales (une sorte de Mélusine), ce thème est largement repris par la littérature et la musique. En 1802, Brentano et Achim von Arnim entreprennent ensemble un voyage sur le fleuve à la recherche de chants populaires. Peu à peu, le motif se précise. À partir de 1818, l’ondine est devenue une sirène aux cheveux blonds, fille du Rhin, qui chante au clair de lune. C’est au milieu des années 1820, avec notamment la Loreley (1824) de Heinrich Heine que le ro35 36

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Germaine de Staël, De l’Allemagne, Londres, John Murray, 1813, t. 1, p. 11. Encore un paysage où joue pleinement le code esthétique italianisant. Les ruines médiévales suscitent les réminiscences de la campagne romaine. Voir Rainer Gruenter, « Der Rhein », in: Heinke Wunderlich / Jean Mondot (Hg.), Deutsch-Französische Begegnungen am Rhein 1700– 1789, Heidelberg, Winter, 1994, p. 148–149. Friedrich Schlegel, « Reise nach Frankreich » [1803], in : Friedrich Schlegel (Hg.), Europa : eine Zeitschrift, Stuttgart, J. G. Cotta’sche Buchhandlung, 1963, t. 1, p. 15. Nous citons la traduction française d’après Kortländer, Le Burg, op. cit., p. 194. Briefe auf einer Reise durch die Niederlande, Rheingegenden, die Schweiz und einen Teil von Frankreich, 1805. Voir Katja Czarnowski, « Die Loreley », in François/Schulze, Erinnerungsorte, op. cit., vol. 3, p. 488–502. Sur les modèles littéraires, voir dans ce volume la communication de Roberto Zaugg.

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mantisme rhénan atteint son apogée ouvrant la voie à des épisodes marquants de l’histoire culturelle allemande40. La mystification est totale puisque les recueils de légendes allemandes publiés au 19e siècle attestent l’authenticité de l’évocation de Brentano et des ajouts de ses continuateurs. Le fameux rocher devient un haut lieu du voyage touristique. À partir de 1827, les bateaux à vapeur font le trajet entre Cologne et Mayence. Des travaux sont effectués au début des années 1830 pour faire sauter les récifs du Trou de Bingen (Binger Loch) et élargir le chenal navigable41. À la même époque la famille royale commence à racheter et à restaurer les Burgen selon des critères qui mettent en scène une certaine idée du Moyen Âge. Il n’empêche, comme l’a joliment écrit Bernd Kortländer, le Rhin allemand est surtout devenu « le plus large fleuve de signe d’Europe centrale »42. Comme ailleurs en Europe, la médiation des images et des émotions passe par la musique, la lithographie, puis la carte postale sans oublier les multiples recueils de récits de voyage ou de légendes et contes43. Le Rhin passe pour un « paysage purement atmosphérique »44. Quand Carl Gustav Carus contemple le Rhin à travers les ruines d’une chapelle en 1835, il avoue n’avoir jamais encore ressenti un tel sentiment de la patrie : « Ce fut pour moi comme si j’avais seulement maintenant trouvé une patrie, ma patrie »45. Il y a, estime-t-il, dans ce paysage les mêmes éléments que ceux qui nous saisissent si fortement en Italie : une nature grandiose et une terre qui renvoie à l’histoire universelle. « Cependant, pour moi c’est plus que l’Italie parce que c’est mon pays, c’est l’Allemagne … » On connaît bien sûr la formidable emprise du corpus épique dit « Nibelungen » dont le trésor immergé dans le Rhin devient au 19e siècle l’allégorie du génie et de la patrie allemande. Ce thème iconographique et littéraire, avant d’inspirer le grand cycle wagnérien, sert à affirmer l’identité germanique contre les prétentions de la France. Dès lors, le modèle wagnérien en musique, parce qu’il fait résonner les vieux mythes, ne pouvait qu’être reçu comme fondamentalement allemand46. 40 41

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Une quarantaine de versions d’un chant de la Loreley. Ibid., p. 490. La compagnie de navigation colonaise (Kölner Gesellschaft) transporte 50.000 passagers vers 1830 et deux millions en 1910. Voir Ulrike Pretzel, Die Literaturform Reiseführer im 19. und 20. Jahrhundert : Untersuchung am Beispiel des Rheins, Frankfurt a. M., Peter Lang, 1995, p. 46. Sur la navigation voir Horst Johannes Tümmers, Der Rhein. Ein europäischer Fluss und seine Geschichte, München, 1994, p. 226 s. et sur l’aménagement du Trou de Bingen p. 246. Voir aussi Clemens von Looz-Corswarem / Georg Mölich (Hg.), Der Rhein als Verkehrsweg. Politik, Recht und Wirtschaft seit dem 18. Jahrhundert, Bottrop, Verlag Peter Pomp, 2007. Kortländer, Le Burg, op. cit., p. 196. Nous dirions plutôt « fleuve de signes ». Kortländer mentionne à juste titre p. 203 la série allemande des vues pittoresques dont Das malerische und romantische Rheinland, Leipzig, Wigand, 1838. Il faudrait aussi aborder la mise en musique du Rhin. Sur ce thème, voir dans ce volume la contribution de Stéphanie Krapoth. Ibid., p. 196. Carl Gustav Carus, Tagebuch einer Reise im Jahre 1835, cité par Tümmers, Der Rhein, op. cit., p. 212. Notons que le contre-modèle verdien, celui de l’opéra italien, plus subtilement décodable puisqu’il ne fait jamais nommément référence à l’actualité de l’Italie ou à ses mythes fondateurs, se trouve beaucoup plus ouvert, ce qui ne l’empêche pas d’avoir été au cœur des attentes patriotiques au moment de l’unité italienne.

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LA FIGURE PAYSAGÈRE INSTRUMENTALISÉE Durant la première moitié du 19e siècle, le fleuve est l’objet d’un investissement politique intense. Déjà en 1813, Brentano écrit pour la scène du Burgtheater de Vienne un Festspiel sous le titre Am Rhein ! Am Rhein ! qui célèbre, après la bataille de Leipzig, la prochaine libération totale de l’Allemagne. Le recours aux images mythiques revient à l’ordre du jour lors des tensions franco-prussiennes des années 1840. En juillet 1840, Nikolaus Becker (1809–1845) lance son chant du Rhin dont la presse estime qu’il pourrait servir d’hymne national allemand, une sorte de « colognaise » répondant à la « marseillaise » avec son verset répétitif: « Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein » / « Ils ne doivent pas l’avoir, le libre Rhin allemand »47. Cri auquel renchérit le chant du Rhin à Becker de Ernst Moritz Arndt, toujours en 1840, où le fleuve proclame : « Voilà le temps nouveau et le peuple nouveau ; viens, orgueilleux, si tu cherches le combat, Germania t’attend »48. S’enchaîne alors ce qu’on a appelé une « bataille lyrique »49. Des prétentions guerrières de Becker, Alfred de Musset se gausse dans sa réponse scandée à chaque strophe par un rappel historique : « Nous l’avons eu, votre Rhin allemand » et qui se termine par un avertissement : « Craignez (…) de réveiller les morts » mais « Qu’il coule en paix, votre Rhin allemand ». Comme l’appel de Becker est dédié au poète et politicien libéral Alphonse de Lamartine, celui-ci se fend d’une réponse en vers intitulée « Marseillaise de la Paix » publiée en 1841 dans la Revue des Deux Mondes dont le leitmotiv est que les eaux du fleuve continuent de rouler librement et que des ponts unissent les deux rives. Du côté allemand, à la fin de 1840, est encore publiée la « garde sur le Rhin » (Die Wacht am Rhein) de Max Schneckenburger (1819–1849) et « Der Rhein » de Robert Pruss (1816–1872)50. Le premier crée un stéréotype durable ; il est un chant de guerre contre les Welches, avec référence à Hermann (Arminius) : « Aussi abondant que ton cours en eau, l’Allemagne l’est en sang de héros ». Le second évoque les paysages du fleuve aux eaux vertes et dorées qui baigne de belles cités, de prestigieux châteaux, la Lorelei et le dôme de Cologne avant d’appeler les Allemands à relever le front et à regarder fièrement devant eux parce que « libre et allemand restera notre Rhin ». Ce à quoi résonne un poème pacifique d’Edgar Quinet en 1846 : « Du Nil de l’Occident nous ne voulons qu’un bord, / Pour que les cieux 47

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Ernst Volkmann, Um Einheit und Freiheit 1815–1848, Leipzig, Reclam, 1936 (Politische Dichtung, Band 3), p. 141–142. Sur le contexte de la crise franco-prussienne de 1840, voir Arnold Ruge, Aux origines du couple franco-allemand : critique du nationalisme et révolution démocratique avant 1848, trad. de l’allemand, Toulouse, Presses univ. du Mirail, 2004, p. 58–63. Et aussi Irmline Veit-Brause, Die deutsch-französische Krise von 1840: Studien zur deutschen Einheitsbewegung, Köln, Phil. F., Diss, 1967. Lire aussi dans ce volume la contribution de Georg Mölich. Ibid., p. 143 : « Neue Zeit und neues Volk ist da ; komm, hoffart, willst du Streit, Germania ist da ». Voir Brunhilde Wehinger, « ‘Der Rhein ist eine Quelle der Poesie’ – Rheinromantik in Frankreich », in : Franz J. Felten (Hg.), Frankreich am Rhein – vom Mittelalter bis heute, Stuttgart, Franz Steiner Verlag, 2009, p. 143–179. Volkmann, Um Einheit, op. cit., p. 143 et 145.

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de France et les cieux d’Allemagne,/ Sous les eaux partageant l’astre, de Charlemagne, / Roulent ensemble au même port. »51 Il est probable cependant, qu’au-delà des contrastes entre pacifistes libéraux et va-t-en guerre nationalistes, l’opinion de part et d’autre de la frontière tend à percevoir le Rhin comme un enjeu conflictuel, voire comme susceptible de cristalliser les haines réciproques52. Le Rhin personnifié : Vater Rhein et Germania À cette phase de popularisation d’un paysage national dans la culture germanique contribuent aussi les arts visuels. Une toile de Moritz von Schwind (1804–1871) célèbre en 1848 notre père le Rhin (« Vater Rhein »)53. Cette personnification masculine remonte à une tradition antique qui fait des fleuves des dieux paternels. Elle est réactivée durant la première moitié du 19e siècle. Chez Schwind, elle s’amplifie sous la forme d’une fresque allégorique où l’on distingue les symboles des villes et des régions qui appartiennent à l’espace rhénan ainsi que ceux des autres cours d’eau du bassin. Ici plus question de frontière rhénane puisque la peinture monumentale accrédite la conception d’une vaste région autour du fleuve54. Quant au motif de la « garde sur le Rhin », il inspire encore de nombreuses représentations iconographiques. Un monument à Germania (le Niederwalddenkmal) est inauguré en 1883. Il devient vite l’un des sites les plus visités d’Allemagne avec un record absolu de cartes postales qui y sont expédiées, bien avant celui de Guillaume Ier au Kyffhäuser en Thuringe (édifié après 1890), la Suisse saxonne et la Wartburg55. On a pu considérer que ce monument procurait à l’Empire le centre de gravité qui lui manquait encore. C’est vers le Rhin que se tournent désormais les regards chaque fois que la construction de l’identité est à l’ordre du jour56. Le fleuve sert de creuset à la germanité.

Edgar Quinet, « Le Rhin », dédié à Lamartine, Revue des Deux Mondes, 4e série, n° 26, 1846, p. 932–936. 52 Selon l’expression de Michael Kißener, « Wie Völker hassen lernen : Deutsche und Franzosen im 19. Jahrhundert », in: Felten, Frankreich am Rhein, op. cit., p. 181–198. 53 Voir le catalogue d’exposition de Marie-Louise von Plessen (Hg.), Marianne und Germania 1789–1889. Frankreich und Deutschland. Zwei Welten – Eine Revue, Berlin, Argon, 1996, p. 40 et 55. Voir aussi à Düsseldorf la fontaine monumentale créée en 1897 sous le titre Vater Rhein und seine Töchter. 54 Sur le thème de Vater Rhein, voir Gertrude Cepl-Kaufmann / Antje Johanning, Mythos Rhein : zur Kulturgeschichte eines Stromes, Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, 2003, p. 253 ss. Le thème est bien sûr largement repris dans le catalogue de la récente exposition de Bonn. Voir, Marie-Louise von Plessen (Hg.), Der Rhein : eine europäische Flussbiographie, München, Prestel, 2016. 55 Selon une statistique touristique de 1899 publiée par Wilson, The German Forest, op. cit., p. 30. 56 C’est ce qu’affirment Cepl-Kaufmann/Johanning, Mythos Rhein, op. cit., p. 229. Ces auteurs estiment aussi que la construction du pont du chemin de fer à côté du Dôme de Cologne (le Hohenzollernbrücke) participe d’une symbolique proche en légitimant à la fois les innovations techniques mais aussi la présence prussienne sur le Rhin.

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À suivre Katja Czarnowski, on peut dire que la figure féminine de Germania se substitue en quelque sorte à Arminius et à la Loreley !57 Désormais, l’iconographie représente Germania sur un fond paysager où se dessine le fleuve Rhin. Elle domine le fleuve et prend la place de la Loreley ! Cette dernière menaçait les bateliers de son charme, celle-là désigne la France de la pointe de son épée ! Durant la Première Guerre mondiale, ce topos sera abondamment illustré, notamment à travers la carte postale. Le Rhin frontière58 L’imaginaire national s’appuie sur des limites ; il doit être borné. Le Rhin, plus que d’autres paysages, a été enjeu d’appartenances et de frontières. On sait que le Congrès de Vienne a voulu maintenir la France à l’écart du Rhin. Considérant ce recul sur les frontières de 1792, Victor Hugo le ressentait comme une injustice : « Infailliblement, un jour, bientôt peut-être, le Rhin sera la question flagrante du continent ». Plus explicites, d’autres passages laissent entendre que la rive gauche doit être française : « Toute cette rive du Rhin nous aime, – j’ai presque dit nous attend », ou encore : « La géographie donne, avec cette volonté inflexible des pentes, des bassins et des versants que tous les congrès du monde ne peuvent contrarier longtemps, la géographie donne la rive gauche du Rhin à la France »59. Indéniablement, au moment où la question rhénane s’actualise durant les années 1840, le Rhin s’inscrit dans un vaste programme de représentations symboliques liées au romantisme qui consacre le fleuve comme fleuve allemand. Cela implique que les deux rives soient allemandes et que le tracé fluvial dessine comme un ruban qui relie les États germaniques entre eux. Victor Hugo s’illusionnait en pensant « que le Rhin est beaucoup plus français que ne le pensent les Allemands », ce à quoi il ajoutait : « Les Allemands sont beaucoup moins hostiles à la France que ne le croient les Français »60. Assurément, les tensions des années 1840 puis la guerre de 1870 placent le Rhin au cœur de l’imaginaire national61. Le refus d’un Rhin frontière ou, au contraire, son acceptation, constitue en soi une variante de figures paysagères antagonistes. Déjà le titre de la brochure publiée

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Czarnowski, Die Loreley, op. cit., vol. 3, p. 495. Cette auteure pense en particulier à Lorenz Clasen et son tableau Germania auf der Wacht am Rhein 1860 mais cite aussi le monument de Rüdesheim. Nous n’aborderons pas dans le détail la question des frontières du Rhin dans l’histoire, objet d’une littérature pléthorique. On se référera à la synthèse de Tümmers, Der Rhein, op. cit. La frontière a constitué l’un des thèmes de prédilection des thèses durant les années 1920–30. Par exemple, Georg Hüpper, Von der Vierstromgrenze zur Rheingrenze : der Ausbau des französischen Festungssystem im 17. Jahrhundert vornehmlich unter Ludwig XIV. und die Gegenmaßnahmen der europäischen Mächte, Berlin, Krämersche Buchdruckerei Hermann Steffen, 1936. Hugo, Le Rhin, op. cit., p. 112 et p. 142. Ibid., p. 9–11. Ce que dit aussi Tümmers, Der Rhein, op. cit., p. 224.

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par Arndt en 1813, dans un contexte de réveil national anti-français en esquisse le programme : « Le Rhin, fleuve d’Allemagne mais pas frontière de l’Allemagne »62. Friedrich Ratzel, dans sa Géographie politique publiée en 1897, détaille toute une série de séquences qui sont autant de variations sur la manière dont les sociétés humaines s’approprient leur espace. L’auteur va très loin en insistant sur le caractère mouvant des frontières. Pour lui, le développement de l’organisme « État » implique que celui-ci « ne se laisse jamais complètement enfermer dans les frontières d’une surface donnée »63. Précisément, l’avancée et le recul des frontières sont un témoignage de vitalité. En l’occurrence, l’histoire n’est rien d’autre que l’adaptation de la vie du peuple au sol. Les peuples-nations luttent pour la vie en même temps que pour l’espace. Ils ont besoin, pour se réaliser, d’une croissance territoriale, sur le modèle de tous les organismes vivants. Suivant la formule d’un commentateur récent, « la maîtrise de l’espace signifie, en dernière instance, la mise au monde et la croissance de l’État, enfant mâle et incestueux de la terre et du peuple ».64 En outre, la notion, présente aussi chez Ratzel, d’enracinement est bien davantage qu’une analogie : « L’État, tel une plante en pleine croissance, tire de plus en plus de son sol sa nourriture et devient donc de plus en plus solidaire, de plus en plus tributaire de celui-ci ».65 La Première Guerre mondiale et les remaniements territoriaux qui en résultent confrontent en quelque sorte deux définitions de la frontière, l’une linéaire et l’autre mouvante et zonale. Or, les négociateurs de 1918–1919 ont nettement opté pour la fixité des frontières linéaires. Quant à la propagande, elle fait grand usage de métaphores nationales. En France, géographes et historiens ont participé à la campagne anti-allemande. Ainsi Camille Jullian (1859–1933), professeur au Collège de France, qui a mis son érudition au service de la cause nationale en publiant plusieurs opuscules. Sous le titre accrocheur « Le Rhin gaulois » (1915), il s’élève contre ce qu’il considère comme « travestissement de l’histoire »66. La mobilisation de l’expression « Rhin gaulois » sert en fait à critiquer la prétention adverse qu’il puisse exister un « Rhin germain ». Selon lui, le Rhin allemand relève de l’« annexion rétrospective » qui remet en cause l’existence même du limes romain ! En même temps, il reconnaît la force du verbe et le génie des patriotes des années 1840 car, « aucun emblème, aucune métaphore » n’a la force de ce slogan qui impose à l’âme populaire « l’emprise magique d’un talisman verbal ». Et de vitupérer contre le monument du Niederwald : « Placer le Rhin à l’ombre de la statue de la Germanie, ce n’est pas le symbole d’une patrie, c’est le signe d’une annexion à l’Allemagne des choses du passé ». Le Rhin, dit-il, fut toujours celtique ! La même année et chez le même éditeur, le géographe Onésime Reclus (1837–1916) publie « Le Rhin

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Le titre original est Der Rhein Teutschlands Strom, aber nicht Teutschlands Gränze [1813]. Friedrich Ratzel, Politische Geographie [1897], München, R. Oldenbourg, 1923, p. 175. Claude Raffestin, Géopolitique et histoire, Lausanne, Payot, 1995 p. 64. Ratzel, Friedrich, Géographie politique, éd. de Charles Hussy, Paris, 1988, p. 56 et 84. Il faut rappeler que Ratzel n’est pas l’inventeur du mot « géopolitique » qu’on lui attribue souvent à tort. C’est en fait le Suédois Rudolf Kjellen qui l’a utilisé pour la première fois en 1917. Camille Jullian, Le Rhin gaulois : le Rhin français, Paris, Attinger, [vers 1915].

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français »67. Ici, le ton est franchement haineux : « La bête puante est par terre ; on va se partager sa chair et ses os » (…) On les rognera sur toutes leurs frontières ». Et le Rhin sera une nouvelle frontière contre les « barbares ». En annexant « la Bavière rhénane et la Prusse rhénane, nous faisons œuvre morale », celle de « punir le méchant, contenir l’agité, ligoter le fou ». Et la conclusion : « Ce serait une félonie que de ne pas murer le cambrioleur dans son bouge ». Mystification idéologique ? L’historien Lucien Febvre reprend après la guerre un chantier défini en 1912–1913 pour aboutir en 1922 à la première édition de La Terre et l’évolution humaine68. Dans ce livre, il mène la critique de la notion de frontière naturelle. Que les nations modernes apparaissent selon son expression « comme de véritables personnes historiques et morales », soit69. Par contre, attention à ne pas les inscrire dans l’espace comme « une sorte de nécessité éternelle ». Les nations ont donc une « vie intérieure » mais il faut se garder de se laisser abuser par leur « forme », par « leur individualité physique ». Febvre critique la notion de « cadre prédestiné ». « Il n’y a plus rien de ‘donné tout fait’ à l’homme par la nature, d’imposé à la politique par la géographie. Il y a adaptation de l’homme à des possibilités, simplement. – Conception bien plus satisfaisante déjà évidemment, et bien plus riche que celle des ‘cadres naturels’ »70. Febvre retravaille cette hypothèse à propos du Rhin comme frontière, soit un projet qu’il perçoit d’emblée comme une « illusion, psychologique ou politique »71, nous dirions, une mystification idéologique. Publié en 1931, son livre est à l’origine une commande pour l’anniversaire d’une banque strasbourgeoise72. Mais il doit être lu aussi en parallèle comme réponse à l’ouvrage du théoricien de la géo67

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Onésime Reclus, Le Rhin français : annexion de la Rive gauche, sa moralité, sa nécessité, ses avantages, Paris, Attinger [vers 1915]. De nombreuses autres publications portent un titre proche. Les intellectuels se font les pourvoyeurs d’idées pour revendiquer qui la frontière du Rhin, qui le Rhin allemand. Il faudrait notamment évoquer la position de Maurice Barrès, Les Bastions de l’Est : Le Génie du Rhin (1921) et la controverse que cette conférence génère notamment avec la réplique de Ernst Bertram, Rheingenius und Génie du Rhin (1922). C’est ce qu’on a appelé le « combat pour le Rhin ». Voir aussi Böschenstein, Der Rhein als Mythos, op. cit., p. 44–45 et la présentation de Peter Schöttler au livre de Febvre, Le Rhin, op. cit., p. 26 s. Cet auteur évoque les travaux du Comité d’études chargé de fonder les revendications françaises pour garantir la sécurité du pays à sa frontière du Nord-Est. Voir Lucien Febvre, « Frontière : étude de vocabulaire historique » [1928], in : Pour une histoire à part entière, Paris, 1962, p. 11–24. Pour lui c’est la Révolution qui a instauré entre les nationalités « une espèce de fossé ». En d’autres termes, il est évident que la Révolution a affirmé les déterminants territoriaux de la nationalité. Lucien Febvre, La Terre et l’évolution humaine : Introduction géographique à l’histoire, Paris [1922] 1970, p. 323. Ibid., p. 332. Ibid p. 329. Febvre cite un passage de César comme étant l’initiateur de la conception des « cours d’eau allégués comme frontière » (p. 326). Nous utilisons l’édition du texte de Febvre dans sa version de 1935. Febvre, Le Rhin, op. cit.

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politique allemande, Karl Haushofer73. Lui aussi s’attaque à une certaine vision idéologique de la frontière du Rhin, celle de César et de ses successeurs qui ont voulu, pour l’Empire romain, une ligne de démarcation « primitive » de type linéaire, celle du limes Rhin et Danube. Il préconise de revenir à la conception du bassin du Rhin comme un tout, le système fluvial comme une unité74. À la norme de la Stromgrenze, le théoricien oppose le concept de Flußstaaten. Dans le cas précis, un espace où existe et se développe un « sentiment germanique du paysage » (germanisches Landschaftsgefühl), inhérent au destin (Schicksal) de l’Allemagne. Ce concept sert aussi à justifier la vision pangermaniste de l’espace vital (Lebensraum), puisque, selon lui, une telle conscience d’un paysage unitaire (das starke Einheitslandschaftsbewußtsein) englobe aussi bien le Schleswig du Nord, l’Alsace et la Lorraine, l’Autriche et de nombreux territoires à l’Est de l’Europe75. Le chapitre 4 du livre de Febvre s’intitule « Comment se fait et se défait une frontière »76. Deux sous-chapitres au titre expressif le scandent : d’abord « Du Rhin frontière de la France au Rhin fleuve de l’Empire français », ensuite « Du Rhin frontière d’Allemagne au Rhin fleuve allemand ». Febvre cherche à rompre autant avec la conception du Rhin frontière naturelle qu’avec celle du Rhin allemand pour développer sa thèse d’un Rhin de relations et d’un fleuve médiateur culturel. « Laissons à l’astuce des uns, à la candeur des autres, la ‘frontière naturelle’ : il n’y a de frontières qu’humaines »77. Et encore cette frontière ne relève pas exclusivement du fait que « deux dynastes, campés sur des terrains qu’ils exploitent, plantent à frais communs quelques bornes armoriées ». Une véritable frontière pour Febvre, c’est quand passé cette ligne, « on se trouve en présence d’un monde différent » avec des sentiments et des haines78. Dès lors, le Rhin ne devrait plus être allemand mais européen. L’historien est-il pour autant totalement débarrassé de préjugés francophiles ? Probablement pas. Du moins, sa conclusion demeure pessimiste : « Ainsi posée sur le terrain politique, dans les limites actuelles de nos mentalités nationales, la question du Rhin ne comporte pas de solution »79. La réception du livre par ses collègues allemands fut en tous les cas plutôt négative. En effet, pour les Rhénans, la construction mythique élaborée depuis 1840, semble s’écrouler en 1918. La rive gauche est occupée jusque vers 1930. Et même le célèbre rocher de la Loreley fait partie d’une tête de pont sur la rive droite de la zone démilitarisée de 1919. Le contexte d’occupation explique sans doute un regain de nationalisme. Le film est l’un des medias privilégié de l’offensive contre

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Voir Karl Haushofer, Der Rhein. Sein Lebensraum, sein Schicksal, 3 vol., Berlin, 1928–1931. « Einheitsvorstellung des Stromsystems als eines Ganzen, als einer einheitlichen, untrennbaren Lebensform ». Voir sa carte du bassin du Rhin. Les citations sont de Karl Haushofer, Grenzen in ihrer geographischen und politischen Bedeutung, Berlin, Kurt Vowinckel Verlag, 1927, p. 164. Ibid., p. 262–263. Chapitre écrit pour la réédition du livre en 1935. Febvre, Le Rhin, op. cit., p. 62–63. Ibid., p. 216. Ibid., p. 238.

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la « Verwelschung » (la francisation de la rive occupée)80. Parmi d’autres acteurs, les poètes rhénans se mobilisent pour publier une anthologie et lancer une revue. Et de réaffirmer l’homologie essentielle entre paysage et germanité : « Le destin de l’Allemagne, c’est d’être du Rhin, parce que la splendeur de l’Empire d’antan nous domine et nous engage. J’aime le Rhin, non seulement parce qu’il est un symbole mais aussi parce que son paysage a été, et est redevenu après une courte période d’oubli, le fond du destin de l’énergie de vie des Allemands. »81 Parallèlement, de nombreuses initiatives régionales relancent les travaux sur l’identité rhénane. C’est le cas du nouvel Institut für die geschichtliche Landeskunde der Rheinlande (dès 1920) à l’Université de Bonn qui multiplie les publications historiques au début des années 192082. Cependant, le fleuve perdra de sa force symbolique après la remilitarisation de la rive gauche en 193683. LE RHIN PATRIMONIALISÉ Que reste-t-il de l’engouement romantique et patriotique pour le paysage du Rhin ? De son instrumentalisation belliqueuse ? Comme d’autres figures paysagères, la charge symbolique et émotionnelle du Rhin a une histoire, celle que nous avons essayé de suivre dans cette communication. Un décalage s’installe progressivement entre l’expérience phénoménologique du paysage et les représentations qui l’accompagnent. L’image survit plus longtemps que son référent qui ne cesse de se transformer. C’est ce que constate Ulrike Pretzel au terme d’une analyse des formes littéraires des guides touristiques : « L’expérience paysagère romantique le long du 80

La propagande passe notamment par le film. Voir Brigitte Braun / Philipp Stiasny, « ‘… am Schluß wurde das Deutschlandlied von Allen stehend mitgesungen’ : der Rhein in Vergangenheit und Gegenwart (1922) und der Kampf um den Rhein », in Philipp Osten [e. a.] (Hg.), Das Vorprogramm : Lehrfilm/Gebrauchsfilm/Propagandafilm/unveröffentlicher Film in Kinos und Archiven am Oberrhein 1900–1970. Eine französisch-deutsche Vergleichsstudie, Heidelberg & Strasbourg, Rhinfilm, 2015, p. 141–166. 81 « Deutsches Schicksal ist es, Rheinländer zu sein, weil die vergangene Reichsherrlichkeit über uns steht mit ihrer Verpflichtung. Ich liebe den Rhein, nicht weil er nur Sinnbild ist, sondern weil seine Landschaft der Schicksalsgrund der deutschen Lebendigkeit war und nach kurzer Vergessenheit wieder geworden ist ». L’anthologie est de Leo Sternberg (Hg.), Der ewige Strom : Rheinische Erzählungen, Dortmund, Garten Eden, 1921. La revue porte un titre sans équivoque : Die Heimat! Le texte cité est publié dans Die Heimat, Jahrgang 4, Heft 2, Juli 1925, p. 152. Nous reproduisons d’après Friedmar Appel, Deutscher Geist und deutsche Landschaft : eine Topographie, Munich, Knaus, 1998, p. 181–182. 82 Voir par ex. Aloys Schulte (Hg.), Tausend Jahre deutscher Geschichte und deutscher Kultur am Rhein, Düsseldorf, Schwann, 1925. Et Peter Schöttler in Febvre, Le Rhin, op. cit., p. 29–32. Schulte est aussi l’auteur d’un gros livre traduit en français : voir Aloys Schulte, La France et la rive gauche du Rhin, Lausanne, Librairie Nouvelle, 1919. 83 À propos de monument, en réponse au message belliqueux porté par le fleuve, la construction d’une arche sur le Rhin comme monument à la paix est le projet d’un sculpteur dans le film de fiction « Paix sur le Rhin », un film de Jean Choux sorti en 1938, totalement passé inaperçu à l’époque. Voir Rémy Pithon, « Pacifisme intempestif d’un cinéaste genevois : Paix sur le Rhin », in Guerres et Paix : Mélanges offerts à Jean-Claude Favez, Genève, Georg, 2000, p. 519–532. Notons aussi que la Loreley de Heine fait partie des livres brûlés en 1933.

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Rhin est aujourd’hui une évidence qui, de fait, ne va pas du tout de soi. »84 Le changement paysager par les aménagements du fleuve, l’industrialisation, l’urbanisation et le tourisme de masse sont à l’opposé de l’expérience attendue85. Le paysage du Rhin est donc une survivance, un ensemble de restes bricolés, conservés par ce qu’on appelle aujourd’hui le patrimoine. À plusieurs reprises aussi, dans les préoccupations récentes, Vater Rhein a semblé bien atteint dans sa santé, notamment lors de catastrophes écologiques qui en ont fait un moribond. On se souvient de l’incendie d’un dépôt chimique près de Bâle en 1986 : les eaux utilisées pour lutter contre la catastrophe ont entraîné des insecticides, pesticides et autres poisons chimiques dans le fleuve. De Bâle à Coblence, les populations d’anguilles ont été décimées sans parler des microorganismes aquatiques détruits86. Enchâssées dans la problématique environnementale, c’est à son chevet que les régions bordières du fleuve s’activent désormais. Sur le cours du Rhin se situe inévitablement le premier site protégé de Prusse (le Drachenfelskegel et sa ruine dès 1828). À ce propos il s’avère instructif de consulter la liste des sites inscrits au patrimoine mondial de l’Unesco par les pays qui ont ratifié la Convention de 1972 pour la protection du patrimoine mondial culturel et naturel. L’Allemagne compte 41 sites dont 5 se situent le long du Rhin (12 % soit 1 site sur 8). Ces 5 sites sont exclusivement culturels avec Cologne, Spire, Brühl, un fragment du limes romain et bien entendu la Vallée du Haut-Rhin moyen, paysage culturel emblématique qualifié aussi de « Rhin romantique ». Il s’agit des 65 km du cours du fleuve entre Bingen et Coblence, reconnu en 2002 pour sa valeur patrimoniale géologique, historique, culturelle et industrielle. Les hauts lieux en sont le rocher de la Lorelei, les vignobles, les châteaux-forts et le patrimoine immatériel des légendes du Rhin. Dans la classification de l’Unesco dominent partout les paysages culturels. La part des paysages naturels est toujours restreinte : 7,5 % en Allemagne, 7,5 % en Pologne, 7 % en France (tous en dehors de la France métropolitaine) et 8 % en Italie. Elle atteint déjà 13 % au Royaume Uni, 14 % en Norvège, 25 % en Suisse et des proportions bien plus élevées en Amérique du Nord, 52 % aux USA et 55 % au Canada. Ces chiffres mériteraient de plus longs commentaires, car ils sont illustratifs des rapports entre Culture et Nature dans les pays concernés mais témoignent aussi d’un rapport au territoire, d’une histoire spécifique qui est celle des temporalités variables de l’humanisation des paysages. En Allemagne par exemple, parmi les paysages naturels, se trouvent des forêts anciennes de hêtres (comme Grumsin à la frontière polonaise), présentes aussi dans les parcs nationaux de Müritz dans le Mecklembourg, Hainich en Thuringe, 84 85 86

Pretzel, Literaturform, op. cit., p. 115. Sur la transformation du fleuve, voir le chapitre 2 de David Blackbourn, Die Eroberung der Natur : eine Geschichte der deutschen Landschaft, München, Deutsche Verlags-Anstalt, 2007, p. 97 s. Jelena Stefanovic, Als aus Basel « Tschernobâle » wurde. Die Bevölkerungsproteste in Folge der Chemiekatastrophe von Schweizerhalle am 1. November 1986, travail de licence non publié, Université de Bâle. Thème présent aussi dans l’exposition de Bonn. Voir Plessen, Der Rhein, op. cit., p. 251.

Le Rhin comme figure paysagère de la nation

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Jasmund à Rügen, et, plus proche de la vallée du Rhin qui nous intéresse, en Hesse, le parc national de Kellerwald-Edersee. Au-delà de cette vision patrimoniale, relevons en conclusion que les querelles pour le Rhin sous leurs diverses formes littéraires, politiques et idéologiques appartiennent au passé. Le Rhin patrimonialisé ou le Rhin objet d’attention des convaincus de l’écologie ne sont plus réductibles à un cadre national. Le fleuve s’inscrit désormais dans un contexte transnational, voire post-national. Enfin, dès les années 1950, l’idée du Rhin comme fleuve européen fait son chemin. On pense à la déclaration du général De Gaulle en 1945 : « Le Rhin était une barrière, une frontière, une ligne de combat … il peut redevenir un lien occidental. »87 Depuis, tant en Allemagne qu’en France, c’est dans une perspective européenne qu’ont été publiés d’innombrables ouvrages. Ainsi celui de l’écrivain journaliste Bernard Lefort (1951–2014) dont la première édition en 1992 s’intitule Le Rhin, mémoire d’Europe et la nouvelle édition en 2009 Le Rhin, fleuve-Europe88. En Allemagne, cependant, cette perspective cède souvent le pas à la déconstruction. Dans les titres apparaît fréquemment le « Mythos Rhein »89. On peut y voir un dépassement du cadre national dans lequel se sont forgées les figures paysagères du Rhin. Celles-ci correspondent à ces « schèmes de pensée et d’action partagées au sein d’un collectif » que Bernard Debarbieux appelle les imaginaires sociaux. Les figures paysagères sont autant d’imaginaires du paysage, soit des formes d’objectivation qui prennent un caractère instituant sur un mode phénoménologique. Elles ont un caractère « différentialiste » car elles peuvent fonctionner de manière instituante à différentes échelles (locale, régionale, nationale, transnationale). En effet, c’est par l’expression de différentes subjectivités (le sentiment d’appartenance des individus en interaction) que la figure paysagère devient opératoire. L’imaginaire du Rhin contribue à façonner des pratiques spatiales et les significations qu’on leur associe90. Le paysage du Rhin sert à fabriquer le collectif qu’est la nation allemande d’une part mais aussi, dans une moindre mesure, de manière réactive, la nation française. La frontière du Rhin n’est certes pas imaginaire mais elle devient, pour paraphraser une formule de Debarbieux, une « composante spatiale de l’imaginaire étatique du territoire, ce qui est différent ». Quand le Rhin accède au statut de patrimoine historique et écologique par le biais du label patrimoine mondial, on passe du national au post-national. La figure paysagère de la nation tombe en désuétude. Le processus passe par la relocalisation et la réhabilitation des contextes. Ainsi le Rhin s’articule désormais non plus sur 87 88 89

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Cité par Klaus Wenger, « Le Rhin, enjeu d’un siècle », in Ayçoberry/Ferro, Une histoire du Rhin, op. cit., p. 272. Bernard Lefort, Le Rhin, fleuve-Europe, Paris, Tetraedre, 2009. En 2016–2017, l’exposition de Bonn reprend le point de vue européen en proposant une biographie européenne du fleuve (Plessen, Der Rhein, op. cit.). Consulter surtout l’excellente synthèse déjà citée de Cepl-Kaufmann/Johanning, Mythos Rhein, op. cit.. Auparavant, le Mythos Rhein apparaît dans Hans Boldt [e. a.], Der Rhein : Mythos und Realität eines europäischen Stromes, Köln, Rheinland, 1988 ; dans les catalogues d’exposition comme Richard Gassen / Bernhard Holeczek (Hg.), Mythos Rhein, 3 Bd., Ludwigshafen, 1992. Entre guillemets, autant de formules empruntées au livre de Bernard Debarbieux, L’espace de l’Imaginaire : essais et détours, Paris, CNRS Éditions, 2015.

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des échelles nationales antagonistes mais sur d’autres références, comme celle d’un patrimoine mondial susceptible de conférer une nouvelle plus-value, certes moins idéologique, tout autant sociale qu’économique. Le Rhin pourrait donc jouer un rôle inédit, celui de susciter de nouvelles formes de citoyenneté, européenne peutêtre, biorégionale sans doute aussi par ses composantes environnementales.

KARTOGRAPHISCHE ORDNUNGSVORSTELLUNGEN IN DEN BADISCH-FRANZÖSISCHEN RHEINKARTEN 1828–1840 Nils Bennemann Zusammenfassung In diesem Beitrag wird der Frage nachgegangen, welche kartographischen Ordnungsvorstellungen der Rheingrenze sich in den frühen Karten Badens und Frankreichs äußerten. Hierzu wird danach gefragt, aus welchen Kontexten heraus sich die badisch-französische Kooperation ergab, welche Funktionen die Karten erfüllten und welche badischen und französischen Perspektiven auf die Rheingrenze sowie das eigene und fremde Territorium sich in den Karten spiegelten. Die badischfranzösischen Rheinkarten können als doppelte kartographische Ordnung der Rheingrenze verstanden werden. Auf der einen Seite zeigt sich in den Karten die gemeinschaftliche zugrundeliegende Vermessung und verweist damit auf die wissenschaftliche Kooperation zwischen den beiden Rheinanliegern in Fragen der Grenzziehung. Auf der anderen Seite jedoch blieben die eigenen Perspektiven der herstellenden Staaten erhalten und zeigten somit eine spezifisch badische beziehungsweise französische Sichtweise auf die Rheingrenze, das eigene und das fremde Territorium.

Résumé Cette contribution porte sur la représentation cartographique du Rhin au début du 19ème siècle en France et dans le pays de Bade. Quels sont les contextes de la coopération scientifique entre les deux pays ? Quelle a été la fonction de ces cartes ? Quel regard est porté sur l’autre pays et sur le propre territoire ? Les cartes du Rhin franco-badoises représentent le Rhin comme frontière dans une double perspective. D’un côté on voit une appréhension commune de l’espace et ainsi le reflet d’une coopération scientifique entre les deux pays lorsqu’il s’agit de tracer la frontière. De l’autre côté les cartes révèlent la permanence de la perspective propre à chacun des deux États et la spécificité de chacun des deux regards.

Ausgerechnet im Jahr 1840, zur Zeit der Rheinkrise, veröffentlichten sowohl Baden als auch Frankreich jeweils eine Karte des Rheins, der die Grenze zwischen den beiden Staaten bildete, in 18 Blättern im Maßstab von 1:20.000. Die Ursache für die Veröffentlichung lag allerdings nicht in der Forderung Frankreichs nach einer Revision der Ergebnisse des Wiener Kongresses und des zweiten Pariser Friedens begründet.1 1

Vgl. für die Rheinkrise noch immer: Irmline Veit-Brause: Die deutsch-französische Krise von 1840. Studien zur deutschen Einheitsbewegung. Köln 1967; Ferner: Wolf D. Gruner: Der Deutsche Bund, die deutschen Verfassungsstaaten und die Rheinkrise von 1840. Überlegungen zur deutschen Dimension einer europäischen Krise., in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte, 53 (1990), S. 51–78; Claudia Nowak: Was ist des Elsässers Vaterland?: Die Konstruktion regionaler und nationaler Identitäten in einer Grenzregion zwischen Frankreich und Deutschland in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (1813–1848), S. 50–169.

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Weder Paris noch Karlsruhe bezweckten mit der Veröffentlichung eine Beteiligung an der nationalistischen Konfrontation. Die Karten waren im Gegenteil Folge einer längeren wissenschaftlichen Kooperation zwischen Baden und Frankreich, die zur Ausführung der Bestimmungen des zweiten Pariser Friedens sowie der zwei folgenden Staatsverträge (1828, 1840) über die Grenzfestlegung zwischen beiden Staaten ins Leben gerufen worden war. Sie fußten auf den Ergebnissen einer gemischten Kommission mit Teilnehmern aus Baden und Frankreich, die dann jeweils in eine eigene Karte umgearbeitet wurden. Diese über viele Jahre in überarbeiteten Auflagen erschienenen Karten sind als „badisch-französische Rheinkarten“ der Gegenstand dieses Beitrages.2 Gerade im Bereich der Kartographie und im speziellen der Grenzkartographie erscheint diese langjährige Kooperation zwischen Baden und Frankreich bemerkenswert, sind Karten immer Konstruktionen eines Raumes und damit ein Zeichen nationalen und wissenschaftlichen Prestiges, sie symbolisieren die jeweiligen Herrschaftsverhältnisse und Staatskräfte und schaffen Handlungsräume.3 Die badischen und französischen Rheinkarten bildeten auch hier keine Ausnahme. In diesem Beitrag wird daher der Frage nachgegangen, welche kartographischen Ordnungsvorstellungen der Rheingrenze sich in den Ausgaben der Karten Badens und Frankreichs äußerten. Hierzu wird danach gefragt, aus welchen Kontexten heraus sich die badisch-französische Kooperation ergab, welche Funktionen die Karten erfüllten und welche badischen und französischen Perspektiven auf die Rheingrenze sowie das eigene und fremde Territorium sich in den Karten spiegelten. Bisher sind die Karten kaum Gegenstand der Forschung gewesen. Beiträge zur Geschichte des Vermessungswesens in Baden – zumeist aus einer institutionengeschichtlichen Perspektive – betonen den Status der erstmals 1828 erschienen Karte

2

3

Die badisch-französischen Rheinkarten sind in einer Vielzahl von Exemplaren in Bibliotheken, Archiven und anderen Institutionen überliefert. Die in diesem Beitrag besprochenen Kartenausgaben finden sich in der Biblioteque Nationale Universitaire in Strasbourg, vor allem die französischen Ausgaben der Karte. Sie sind zu großen Teilen als Digitalisat zugänglich, ergänzend werden Bestände der Archives Departementales du Bas-Rhin herangezogen. Die badische Ausgabe der Karte vom 1828 ist in einem hochauflösenden Digitalisat über die Universitätsbibliothek der Freien Universität Amsterdam zugänglich (http://imagebase.ubvu.vu.nl/getobj. php?ppn=330024655), die weiteren Ausgaben finden sich im Archiv der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt in Strasbourg. Vgl. Ute Schneider: Die Macht der Karten: eine Geschichte der Kartographie vom Mittelalter bis heute. Darmstadt 2006; Julia Angster: Erdbeeren und Piraten: die Royal Navy und die Ordnung der Welt 1770–1860. Göttingen u. a. 2012, S. 133; Ute Schneider: „Den Staat auf einem Kartenblatt übersehen!“ Die Visualisierung der Staatskräfte und des Nationalcharakters, in: Christof Dipper, Ute Schneider (Hg.): Kartenwelten: der Raum und seine Repräsentation in der Neuzeit. Darmstadt 2006, S. 11–25; David Gugerli, Daniel Speich: Topographien der Nation: Politik, kartografische Ordnung und Landschaft im 19. Jahrhundert. Zürich 2002; J. B. Harley: Maps, Knowledge and Power, in: Paul Laxton (Hg.): The New Nature of Maps. Essays in the History of Cartography. Baltimore 2001, S. 51–82; Chandra Mukerji: Visual Language in Science and the Exercise of Power: The Case of Cartography in Early Modern Europe, in: Studies in Visual Communications, 10/3 (1984), S. 30–45.

Kartographische Ordnungsvorstellungen in den badisch-französischen Rheinkarten

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„[a]ls erste eigentliche topographische amtliche badische Karte“4, gehen aber nur oberflächlich auf die Herstellungskontexte, kartographische Gestaltung und die späteren Ausgaben der Karte ein.5 In den Forschungen wird zwar die Existenz der französischen Ausgaben dieser Karten zur Kenntnis genommen sowie ihr Charakter als „Beispiel für Landesgrenzen überschreitende kartographische Kooperation“6, ohne diese jedoch in einem größeren Zusammenhang zu betrachten. Catherine Dunlop beschäftigte sich aus kartographiegeschichtlicher Perspektive mit der Grenzkonstruktion zwischen Deutschland und dem Elsaß und behandelt in diesem Rahmen kurz die badische Karte von 1828 als ein frühes Beispiel für systematische Aufnahmen der Grenze zwischen Frankreich und Deutschland und als Ausdruck einer friedlichen „cross-border commercial culture“.7 An diesen Gedanken schließt sich der Beitrag an und betrachtet die Karten im Kontext der wissenschaftlichen Kooperation beider Staaten. Es wird von der These ausgegangen, dass sich in den Rheinkarten eine doppelte kartographische Ordnungsvorstellung manifestierte: auf der einen Seite basierten die Karten auf einer bilateralen Kooperation, auf der anderen Seite jedoch blieben die Perspektiven auf das eigene und fremde Territorium vorherrschend. Daher verfährt der Beitrag in zwei Schritten. Zunächst wird der Herstellungskontext der Karten und ihr Gebrauch vorgestellt. Hier zeigt sich, dass die badisch-französische Kooperationsarbeit prägend für die Kartographie des Rheins im 19. Jahrhundert war. Im zweiten Schritt wird untersucht, wie sich trotz dieser Kooperation unterschiedliche kartographische Perspektiven auf den Rhein und die Grenzzone in diesen Karten artikulierten. DIE BADISCH-FRANZÖSISCHEN RHEINKARTEN ALS KOOPERATIONSARBEIT Die badisch-französischen Rheinkarten sind im direkten Zusammenhang mit dem Vollzug des zweiten Pariser Friedensvertrages und der Festlegung der Rheingrenze zu sehen.8 Sie werden hier, da sie auf beiden Seiten des Rheins in Folge der Grenzfestlegung und Grenzverträge herausgegeben wurden, als badisch-französische Rheinkarten bezeichnet. Damit soll – trotz der Unterschiede in der Darstellungs4

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A. Knäble: Die Entwicklung der amtlichen Topographie und Kartographie in Baden, in: Deutscher Verein für Vermessungswesen (Hg.): Hundert Jahre Badische Katastervermessung. Karlsruhe 1953 (Mitteilungen des deutschen Vereins für Vermessungswesen Landesverein Baden), S. 43–53, hier S. 44. Alois Klein: Die geodätische Festlegung der Grenzen am Oberrhein: 1750–1850. Karlsruhe 1976, S. 63–68. Irene-Annette Bergs: Alte und moderne Landkarten in der Badischen Landesbibliothek, in: Gerhard Römer (Hg.): Buch, Leser, Bibliothek. Karlsruhe 1992, S. 171–180, hier S. 179. Catherine Tatiana Dunlop: Cartophilia. Maps and the Search for Identity in the French-German Borderland. Chicago 2015, S. 29–31. Vgl. hierfür: Henrik Froriep: Rechtsprobleme der Oberrheinkorrektion im Großherzogtum Baden. Baden-Baden 1953; Johannes Gut: Die badisch-französische sowie die badisch-bayerische Staatsgrenze und die Rheinkorrektion., in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, 142 (1994), S. 215–232.

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form – auf ihre gemeinsame, kooperative wissenschaftliche Basis hingewiesen werden und die über einen Zeitraum von 50 Jahren erschienenen Karten als eine Kartengruppe verstanden werden. In der Literatur firmieren die badischen Ausgaben der Rheinkarte unter dem Begriff der „Rheingrenzkarte“ oder ab 1840 „Rheinlaufkarte“. Zur Festlegung der Grenze zwischen Baden und Frankreich war 1817 eine Grenzberichtigungskommission eingerichtet worden, die aus badischen und französischen Ingenieuren und Militärs bestand. Sie beendete 1827 ihre Arbeit, auf welcher der Grenzvertrag zwischen Baden und Frankreich im selben Jahr fußte.9 Der Vertrag verpflichtete Frankreich und Baden im Artikel 5, eine gemeinsame Rheinkarte herzustellen. So heißt es dort: Es soll im Lauf eines Jahrs gemeinschaftlich, und nach Maaßgabe der von den beiderseitigen Herrn Commissarien gegebenen Instruction eine Karte vom Rhein und dem angränzenden Landstriche beider Staaten aufgenommen werden, auf welcher die Eigenthumsgränze pünktlich zu bezeichnen ist, und welche sofort mit der von den Herrn Commissarien gutgeheißenen geometrischen Gränzbeschreibung gegenwärtigem Vertrag wird angehängt werden.10

Der Vertrag legte eine zusätzliche kartographische Darstellung der Grenze zu der schriftlichen Beschreibung des Grenzverlaufes fest. Die Verbindung von schriftlicher Grenzbeschreibung und Karte lässt sich spätestens seit dem 16. Jahrhundert belegen, zusätzlich war seit dieser Zeit auch die Verbindung von Flussbefahrungen und der Herstellung von Karten, die Nutzungsrechte von Gemeinde und Fürsten verzeichneten, am Rhein etabliert.11 Zugleich wurde im Vertragstext genauer spezifiziert, nach welchen Prinzipien die Karte hergestellt werden sollte. Das war zum einen die „Gemeinschaftlichkeit“ der Herausgabe der Karte, zum anderen die Herstellung der Karte nach einem von beiden Seiten akzeptierten Verfahren in Form einer gemeinschaftlich erarbeiteten Instruktion. Der Vertragstext sah hier eine enge Abstimmung hinsichtlich der Herstellungsmethode vor, um eine beiderseitige Akzeptanz des Kartenwerks zu erreichen. Die Kommunizierbarkeit der Ergebnisse über die Grenze hinweg war das entscheidende Kriterium, so dass die badischfranzösische Kooperation als Beispiel für die epistemische Tugend der „aperspektivischen Objektivität“ am Beginn des 19. Jahrhunderts gesehen werden kann.12 Im Jahr 1840 wurde der erste Staatsvertrag zwischen Frankreich und Baden durch einen zweiten ersetzt13, nachdem der Vollzug des ersten 1833 ausgesetzt 9 10

11

12 13

Froriep, Rechtsprobleme der Oberrheinkorrektion im Großherzogtum Baden (Anm. 8), S. 31 ff. Staatsvertrag zwischen dem Großherzogthum Baden und dem Königreich Frankreich wegen Berichtigung der Rheingränze und Herstellung des Eigenthums und Besitzstandes hinsichtlich der Rhein-Insel; Straßburg den 30. Januar 1827, in: Philipp Anton Guido von Meyer (Hg.): Staats-Acten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Bd. 1. Frankfurt am Main 21833, S. 469–475, hier S. 471. Vgl. Fritz Hellwig: Tyberiade und Augenschein. Zur forensischen Kartographie im 16. Jahrhundert., in: Jürgen F. Baur, Peter-Christian Müller-Graff, Manfred Zuleeg (Hg.): Europarecht, Energierecht, Wirtschaftsrecht. Festschrift für Bodo Börner. Köln [u. a.] 1992, S. 805–834; Heinz Musall: Die kurpfälzische Rheinbefahrung von Speyer bis Worms und die Rheinstromkarte vom Jahre 1580, in: Mitteilungen des historischen Vereins der Pfalz, 76 (1978), S. 147–157. Vgl. Lorraine Daston: Objectivity and the Escape from Perspective, in: Social Studies of Science, 22/4 (1992), S. 597–618, hier S. 599–600. Froriep, Rechtsprobleme der Oberrheinkorrektion im Großherzogtum Baden (Anm. 8), S. 70 ff.

Kartographische Ordnungsvorstellungen in den badisch-französischen Rheinkarten

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worden war14. Im Gegensatz zu den umfassenden Erläuterungen zur Herstellung der Rheinkarten im Vertrag von 1827 wurde dies 1840 en passant erwähnt und keine spezifischen Bestimmungen getroffen. Der Talweg des Rheins als Grenze sollte durch ein Protokoll mit begleitender „carte figurative“ bezeichnet werden (Artikel 4), ebenso sollten die Banngrenzen in diese Karte eingetragen werden (Artikel 9) und die Namensgebungen der Karte für die Rheininseln verbindlich sein (Artikel 10).15 Eine weitere Spezifizierung der angestrebten kartographischen Darstellung der Rheingrenze war nicht Teil des Vertrages. Erklären lässt sich dies mit den in Folge des ersten Vertrages erfolgten Herausgaben von Rheinkarten auf badischer wie auf französischer Seite, auf deren Grundlage alle weiteren fußten. Die Karte wurde auf französischer Seite mehr als doppelt so häufig aktualisiert und herausgegeben wie auf badischer. Es gab insgesamt neun Ausgaben von 1834 bis 1869, nur 1840 aber erfolgte die Veröffentlichung zeitgleich mit Baden. Ein Grund für diese im Vergleich zu Baden häufigere Neuauflage der Karte ist in den unterschiedlichen Gebrauchsszenarien zu sehen. Die französischen Wasserbauer nutzten sie für die regelmäßige Beobachtung der Flussveränderungen, die sie dann die Karte eintrugen. Spätere Ausgaben der französischen Karte wiesen ein gedrucktes Formular auf, in dem der zuständige Wasserbauer Zeitpunkt und untersuchten Flussabschnitt eintragen konnte.16 Durch diesen alltäglichen Gebrauch war eine häufigere Neuauflage der Karte notwendig. Die Herausgabe der Karte durch Baden hingegen erfolgte zeitnah zu den Unterzeichnungen der Grenzverträge von 1828 und 1840, wobei mit Ausnahme der ersten Ausgabe von 1828 jeweils der Zustand des Rheins zwei Jahre zuvor gezeigt wurde. Nach diesen Ausgaben folgten noch zwei weitere im Jahr 1854 und – dann als badisch-elsässische Karte – 1874. Herausgeberin der ersten Karte von 1828 war die im selben Jahr in die Oberdirektion des Wasser- und Straßenbaus integrierte badische Rheingrenzberichtigungskommission, ab der Ausgabe von 1840 war daher das technische Büro der Oberdirektion des Wasser- und Straßenbaus für die Herausgabe der Karte zuständig. Damit wechselte die Herstellung der Karte vom Ressort des Außenministeriums in das Innenministerium. Die 18 Kartenblätter zuzüglich zu den Titelblättern der Karte wurden in Karlsruhe lithographiert, zunächst noch im Schwarzdruck, späterhin wurden auch große Teile der Karte koloriert. Die Auflage der Karte von 1838/1840 betrug 120 Exemplare, für die Ausgabe von 1852 hingegen wurden 300 Exemplare plus zusätzliche Einzelblätter hergestellt.17 Mit vier Ausgaben über einen Zeitraum von etwa 50 Jahren bezweckte die badische Verwaltung nicht nur eine kartographische Darstellung der Rheingrenze in Bezug auf den Staatsvertrag. Die unterschiedlichen Jahrgänge der Karte in ihrer 14 15 16 17

Ebd., S. 69. Convention conclue à Carlsruhe, le 5 avril 1840, et destinée à fixer la limite de Souverainité entre la France et le Grand-Duché de Bade, in: Jules de Clercq (Hg.): Recueil des traités de la France, Bd. 4. Paris 1880, S. 517. Vgl. die französische Ausgabe von 1869: Bibliotèque Nationale et Universitaire Strasbourg (= BNUS), M.CARTE.213. Vgl. für die Auflagenstärke: Generallandesarchiv Karlsruhe (= GLAK), Best. 425 Zugang 1991/49, Nr. 2920, Anfertigung der Rheinkarten längs der elsässischen Grenze, 1850–1878.

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Abfolge dienten als Mittel für die Genese von Evidenz der Oberrheinkorrektion. Der badische Ingenieur Sauerbeck beschrieb diese Funktion nach der zweiten gemeinsamen Strombefahrung der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt 1861: „Was man nach der bisher eingehaltenen Art der Strombehandlung in Baden erreicht hat, das zeigen die Karten […]“.18 Damit bezog sich Sauerbeck, der selbst an der Rheingrenzkommission und der Anfertigung der Karten mitgewirkt hatte, nicht allein auf die badisch-französischen Karten.19 Im Sommer 1854 verfügte die badische Oberdirektion des Wasser- und Straßenbaues, dass Materialien für eine Herstellung einer Karte längs der Grenze Badens zur bayrischen Rheinpfalz gesammelt werden sollten, um diese „in gleicher Weise wie die längs der badisch-französischen Gränze [entlang]“ herzustellen.20 Die angefragte bayerische Regierung versagte allerdings ihre Mitwirkung mit Hinweis auf den „beschränkten Gebrauch dieser Karte“ aufgrund des kleinen Maßstabes von 1:20.000.21 Dennoch fungierte die badisch-französische Rheinkarte als Modell für die Anfertigung. Als Standard für die Karten des Rheins von Basel bis zur niederländischen Grenze setzten sich die badisch-französischen Rheinkarten im Rahmen der Arbeit der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt durch. Im Zuge der gemeinschaftlichen Befahrung des Rheins durch Techniker der Mitgliedsstaaten Baden, Frankreich, Bayern, Hessen, Nassau, Preußen und den Niederlanden 1861 wurde ein Antrag eingebracht, fortan die Rheinkarten nach diesem Muster zu zeichnen.22 Die so hergestellten Karten sollten als Mittel für den Nachweis wasserbaulicher Maßnahmen und damit Veränderungen des Flusslaufes auf der internationalen Ebene dienen. 1864, nach längeren Diskussionen, schlossen sich Preußen, Hessen und Nassau diesem Ansinnen an, womit außer den Niederlanden alle Mitgliedsstaaten ihre Karten im Maßstab 1:20.000 anfertigten.23 Das ursprünglich badisch-französische Projekt avancierte damit zu einem Standard für den Rhein von Basel bis Emmerich. KARTOGRAPHISCHE PERSPEKTIVEN Auch wenn die badisch-französischen Rheinkarten auf einer Kooperationsarbeit beruhten, spiegelten sich in ihrem Kartenbild eigene Perspektiven und prägten damit den kartographischen Blick beider Staaten auf die Rheingrenze. Wie Brian Har18 19 20 21 22 23

Vortrag Sauerbecks im badischen Handelsministerium [Abschrift], Karlsruhe, 05. August 1861, GLAK, Best. 428, Nr. 184. Vgl. Christoph Bernhardt: Im Spiegel des Wassers: Eine transnationale Umweltgeschichte des Oberrheins (1800–2000). Köln 2016, S. 138–145. Mündliche Bemerkung der Oberdirektion des Wasser- und Straßenbaus an das technische Bureau, Karlsruhe, 04. August 1854, GLAK, Best. 425 Zugang 1991/49, Nr. 339. Schreiben der Regierung der Pfalz an die badische Oberdirektion des Wasser- und Straßenbaus, Speyer, 03. Fenruar 1855, GLAK, Best. 425 Zugang 1991/49, Nr. 339. Antrag des Oberinspektors für die Rheinschifffahrt Bitter an die Mitglieder der Strombefahrungskommission, Mannheim, 25. April 1861, GLAK Best. 428, Nr. 184. Protokoll der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt, Session 1863, Protokoll Nr. XIII, Mannheim, 11. September 1863 und Session 1864, Protokoll Nr. XIII, Mannheim, 01. September 1864, CADLC (= Centre des Archives Diplomatiques La Courneuve), Best. 297QO, Karton 63.

Kartographische Ordnungsvorstellungen in den badisch-französischen Rheinkarten

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ley feststellt, sind Karten niemals wertfreie Abbildungen: „Both in the selectivity of their content and in their signs and styles of representation maps are a way of conceiving, articulating, and structuring the human world which is biased towards, promoted by, and exerts influence upon particular sets of social relations.“24 Im Folgenden sollen einige Beispiele untersucht werden, welche spezifische Perspektive die Karten über ihre gemeinsame Vermessung heraus aufwiesen. Die erste Ausgabe der Karte von 1828, die von Baden herausgegeben wurde, war mehr als eine reine Abbildung der Staatsgrenze.25 Mit dem aufwändigen Titelblatt, das den Kartenblättern vorausging, inszenierte das badische Büro der Rheingrenzkommission das badische Herrscherhaus als Garant für die Integration des eigenen Territoriums nach innen, die wirtschaftliche Prosperität auf Basis der Kooperation mit Frankreich und die Integrität des Staates Baden nach außen. Neben den offenkundigen außenpolitischen Erfordernissen der Grenzfestlegung artikuliert sich in der Karte daher – wie bei der durch Tulla (1770–1828) vorangetriebenen Rheinkorrektion – die Identitätsbildung des nunmehr einheitlichen Territorialstaates.26 Die Verbindung von Kartographie der Rheingrenze und Herrscherhaus wird durch den gedruckten Titel der Karte hergestellt. Neben dem allgemeinen Kartentitel „Topographische Karte des Rheinstromes […]“ heißt es dort „In Stein gestochen auf Hoechsten Befehl Sr Koeniglichen Hoheit LUDWIG Grossherzogs zu Baden.“. In dem auf das Titelblatt folgenden Übersichtsblatt wird dies erneut aufgenommen, der Eigenname des Großherzogs aber zusätzlich mit einer aufgehenden Sonne unterlegt. Die folgenden 18 Kartenblätter, die die Rheingrenze zeigten, bezogen demnach ihre Autorität durch die Berufung auf das badische Herrscherhaus. Die friedliche Koexistenz zwischen Baden und Frankreich, auf dem Titelblatt repräsentiert durch zwei zueinander zugeneigte Frauenfiguren mit Füllhorn als Zeichen wirtschaftlicher Prosperität27, wird ebenfalls von der Garantie des Großherzogtums Baden abhängig gemacht. Beide Figuren sind nämlich nicht nur einander zugeneigt, sondern ihre Blicke sind auf das Großwappen des Großherzogtums Baden gerichtet, das beide Figuren räumlich voneinander trennt.28 Das große Staatswappen geht auf das Jahr 1807 zurück, das heißt auf die Zeit der Mitgliedschaft Badens im Rheinbund und nach der Arrondierung des Staatsgebietes durch die napoleonische Politik in Europa. In ihm spiegelt sich der Wunsch nach heraldischer Repräsentation des neuen Gesamtstaates Baden.29 Die endgültige Festlegung der Rheingrenze, der Vollzug des Friedens mit Frankreich im Geiste der Kooperation zur Erlangungen wirtschaftlicher Prospe24 25 26 27 28 29

Harley, Maps, Knowledge and Power (Anm. 3), S. 53. U. a. abrufbar auf der Seite Universitätsbibliothek der Freien Universität Amsterdam: http:// imagebase.ubvu.vu.nl/cdm/ref/collection/krt/id/873 [Letzter Zugriff: 24.01.2017]. Vgl. hierfür: David Blackbourn: Die Eroberung der Natur: eine Geschichte der deutschen Landschaft. München 2007, S. 117. Vgl. hierzu schon: Dunlop, Cartophilia. Maps and the Search for Identity in the French-German Borderland (Anm. 7), S. 29–30. Ich möchte an dieser Stelle einen Dank an meinen Kollegen Dr. Olav Heinemann aussprechen, der mir in Fragen der Heraldik mehr als nur hilfreich war. Johann Siebmacher, Otto Titan von Hefner: Siebmacher’s großes Wappenbuch. Die Wappen der Souveraine der deutschen Bundesstaaten. Nürnberg 1854, S. 36–38.

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rität und die Integration des badischen Staates verknüpfte sich mit dem badischen Großherzog als Institution, der die in der Karte repräsentierte Ordnung garantierte. Im Titelblatt artikulierte sich das Selbstbewusstsein des badischen Staates, zugleich verweist es auf das Bedürfnis nach der Schaffung von Identität und Legitimität. Die Karte von 1828 und ihr Titelblatt nehmen damit eine Sonderstellung im Kontext aller badisch-französischen Rheinkarten ein. Die späteren badischen und französischen Ausgaben der Karte verzichteten auf derartig repräsentative Titelblätter: Die Arbeit der Grenzkommission wurde in Baden nach 1828 in die Tätigkeit der Oberdirektion des Wasser- und Straßenbaus integriert30, womit sie zwar auf Dauer gestellt wurde, im Gegenzug aber auch ihre Sonderstellung innerhalb der badischen Verwaltung einbüßte. Weder die Kartenausgabe Frankreichs von 1834 noch die auf dem Staatsvertrag begründete Ausgabe von 1840 auf badischer und französischer Seite griffen die Bildsprache wieder auf. Sowohl die französische als auch die badische Ausgabe der Karten bedienten sich bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts hinein einer spezifischen Perspektive auf das eigene und das fremde Territorium. Das Mittel hierfür war die Orientierung der Karte. Seit dem 15. Jahrhundert setzte sich eine Nordung von Landkarten als Standard durch.31 Für Flusskarten, die auch praktisch zur Planung von Flussbauten eingesetzt wurden, spielte dies aber aus Erwägungen der Handhabbarkeit keine Rolle. Gotthilf Hagen, der Verfasser des Handbuchs der Wasserbaukunst und hochrangiger preußischer Beamter in der Bauverwaltung schrieb über die Orientierung dieser Karten: In welcher Richtung man den Strom zeichnet, wäre an sich ziemlich gleichgültig, doch empfiehlt es sich unbedingt, auch in dieser Beziehung eine gewisse Gleichmässigkeit zu beobachten. Von der Orientirung nach dem Compas, also etwa so, dass die Nordlinie jedes Blatt von unten nach oben schneidet, muss abgesehn werden, da es immer Bedingung ist, eine möglichst lange Stromstrecke auf dasselbe Blatt zu bringen.32

Außerdem empfahl Hagen eine Ausrichtung gemäß der Leserichtung. Die Karten des Rheins aus Baden und Frankreich am Beginn des Jahrhunderts folgten nur zum Teile diesem im letzten Drittel des Jahrhunderts von Hagen verschriftlichten Hinweis in Bezug auf die Orientierung. Dies führte dazu, dass die Orientierung der Karte Einfluss auf die kartographische Sicht des eigenen und des fremden Territoriums hatte. Die 1840 in Frankreich erschienene Karte wählte nicht den Weg der Leserichtung. Der Fluss war im Querformat, fließend von rechts nach links, also entgegen der Leserichtung eingezeichnet, die Karte war geostet. Diese Ausrichtung – im Gegensatz zu der Bemerkung Hagens – war nicht „gleichgültig“. Durch diese Entscheidung, wenn man die Beschriftungen betrachtet, wirkte es, als ob der Betrachter der Karte seinen Standpunkt in Frankreich einnahm und von dort aus über den Rhein nach Baden schaute. Die badische Karte aus dem Jahr 1840 hingegen wählte 30 31 32

Froriep, Rechtsprobleme der Oberrheinkorrektion im Großherzogtum Baden (Anm. 8), S. 65–69. Schneider, Die Macht Der Karten (Anm. 3), S. 73–75. Gotthilf Hagen: Handbuch der Wasserbaukunst, 2. Teil: Die Ströme, Bd. 1. Berlin 31871, S. 217.

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eine andere Perspektive. Die Karte war gewestet, sodass der Betrachter hier vom badischen Territorium nach Frankreich schaute und damit die Leserichtung von links nach rechts präferierte. Anhand früherer und späterer Karten lässt sich zeigen, dass die Auswahl dieser Orientierung keine beliebige Entscheidung war. Bereits 1834 hatte Frankreich eine Karte in drei Blättern ebenfalls im Maßstab 1:20.000 herausgegeben, die aber genordet war und damit weder einen Standpunkt im französischen noch im badischen Territorium eingenommen hatte.33 Ab dem Ende der 1850er-Jahre zeichnete auch die französische Verwaltung die Grenzkarte mit einer Orientierung nach Westen, sodass fortan beide Karten den Standpunkt des Betrachters in Baden verorteten.34 Die Entscheidung für die Orientierung der Karte erscheint damit als bewusster Reflexionsprozess. So spiegelten die Karten anfänglich eine spezifisch badische oder spezifisch französische kartographische Perspektive auf die Rheingrenze. Diese unterschiedlichen Perspektivierungen unterminierten allerdings nicht den Charakter der Karte als Kooperationsarbeit. Die gemeinsame Datenbasis der Karte zeigte sich in beiden Ausgaben im Kartenbild, auch wenn dadurch große Teile Badens – im Gegensatz zu Frankreich – als „weißer Fleck“ beziehungsweise mit „Silences“ in der Karte dargestellt sind.35 Das Kartenblatt 3 der badischen Ausgabe zeigt dies: In den französischen Gebieten jenseits des Rheins füllen Wälder, Gemeinden und Straßen das Kartenblatt, während das badische Territorium östliche der Gemeinde Schliengen nicht abgebildet ist – ein Befund der sich auf den meisten der 18 Kartenblätter bestätigen lässt, ebenso für die französische Ausgabe von 1840. Im Fokus des Vorhabens standen der Fluss und sein unmittelbares Umland zur Festlegung der Rheingrenze, eine Füllung des scheinbar leeren Raumes mit zusätzlichen Daten aus den Landesvermessungen wurde nicht vorgenommen, auch wenn Baden dadurch als „weißer Fleck“ erschien. Die Stille der Karte an der Stelle von Baden resultierte hier nicht aus politischen Motiven, sondern aus dem spezifischen Herstellungskontext der Karte.36 Trotz der unterschiedlichen Perspektiven blieb der Charakter der Kooperationsarbeit erhalten. Unterschiedliche Perspektiven auf das jeweils andere Territorium äußerten sich in den Benennungen von Verkehrsinfrastrukturen, die in die Karten eingetragen waren. Karten verfügen über eine Benennungsmacht, in der sich politische und soziale Vorstellungen spiegeln.37 So benannte das erste französische Kartenblatt von 1840 die „Route No. 19 de Paris à Bâle“, also die Verbindungsstraße zwischen der französischen Hauptstadt und der Schweiz, und markierte damit zugleich den Weg von der Rheingrenze in die Metropole und Hauptstadt. Das politische Zentrum 33 34 35

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Die drei Blätter besaßen dementsprechend ein großes Format von 376×75, 336×75 und 300×75. Vgl. Archives Departementales du Bas-Rhin (= AD BR), 3M/PLAN1. AD BR, 3M/PLAN7. Vgl. „Silences“ und weißen Flecken: J. B. Harley: Silences and Secrecy. The Hidden Agenda of Cartography in Early Modern Europe, in: Paul Laxton (Hg.): The New Nature of Maps. Essays in the History of Cartography. Baltimore 2001, S. 83–107; Schneider, Die Macht Der Karten (Anm. 3), S. 108–119. Für die Klassifizierung unterschiedlicher „Silences“ vgl.: Harley, Silences and Secrecy. The Hidden Agenda of Cartography in Early Modern Europe (Anm. 35), S. 85. Gugerli, Speich, Topografien Der Nation (Anm. 3), S. 75 ff.

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Frankreichs erhielt damit eine Präsenz in der Karte. In der badischen Ausgabe 1840 fand diese Route nach Paris keine Erwähnung und wurde lediglich als „Strasse von Belfort“ in deutscher Sprache bezeichnet. Diese Benennungsmacht in Karten zeigte sich auch in der veralteten Bezeichnung „Canal in Verbindung mit dem Canal Monsieur“ in der badischen Karte, der in der französischen Ausgabe die Bezeichnung „Canal du Rhône au Rhin, branche de huningue [sic!]“ trägt. Die Umbenennung des Kanals erfolgte 1830 mit der Julimonarchie, die sich damit von der Bourbonenherrschaft absetzen wollte. Diese Beispiele zeigen die unterschiedlichen Perspektiven auf das eigene und das fremde Territorium, die sich in den Karten wiederspiegelten. ZUSAMMENFASSUNG In diesem Beitrag wurde gezeigt, dass die beiden Rheinkarten des Jahres 1840 auf eine gemeinschaftliche Kooperation zwischen Baden und Frankreich zurückgingen. In den Staatsverträgen über die Rheingrenze von 1828 und 1840 einigten sich beide Staaten darauf, eine Karte der Grenze nach einheitlichen Kriterien zu veröffentlichen, die auf den Arbeiten der gemeinsamen Grenzberichtigungskommission fußte. Das Produkt dieser Kooperation wurde über mehrere Jahrzehnte überarbeitet veröffentlicht und avancierte so zu einem Planungs- und Nachweismittel der Rheinkorrektion. Das Ergebnis dieser Kooperation war ab der Mitte des 19. Jahrhunderts für den gesamten Flusslauf von Basel bis zur niederländischen Grenze ein Standard für die Herstellung von Flusskarten, die auf der internationalen Ebene in der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt zum Einsatz kommen sollten. Trotz dieser kooperativen Basis besaßen die Karten ihre jeweils eigenen Perspektiven auf die Rheingrenze. Mit dem Titelblatt der Karte von 1828 präsentierte die badische Regierung das Herrscherhaus als Garant der Integrität des Gesamtstaates, zugleich aber auch des Friedens mit dem französischen Nachbarn. Die Ausrichtungen der französischen und badischen Ausgabe sowie die Einzeichnung der Infrastrukturen zeigen, dass die Staaten trotz der Kooperation ihren Blick auf das eigene und das fremde Territorium besaßen. In diesem Beitrag wurden einzelne Beispiele aus den Karten von 1840 herausgegriffen. Für eine weitere Schärfung der hier präsentierten Ergebnisse wäre eine umfassendere vergleichende Untersuchung der Kartenausgaben Badens und Frankreichs in synchroner und diachroner Perspektive lohnenswert, ebenso wie eine genauere Betrachtung der Kooperation der Grenzkommission in Bezug auf die Kartenherstellung anhand der archivalischen Überlieferung. Die badisch-französischen Rheinkarten können vor dem Hintergrund dieser Beobachtungen als doppelte kartographische Ordnung der Rheingrenze verstanden werden. Auf der einen Seite zeigt sich in den Karten die gemeinschaftliche zugrundeliegende Vermessung und verweist damit auf die wissenschaftliche Kooperation zwischen den beiden Rheinanliegern in Fragen der Grenzziehung. Auf der anderen Seite jedoch blieben die eigenen Perspektiven der herstellenden Staaten erhalten und zeigten somit eine spezifisch badische beziehungsweise französische Sichtweise auf die Rheingrenze, das eigene und das fremde Territorium.

DIE GRUBENGESELLSCHAFT „VIEILLE MONTAGNE“ (ALTENBERG) IN TRANSNATIONALER PERSPEKTIVE 1805–1865 Peter Friedemann Zusammenfassung Aus rechtsgeschichtlicher Perspektive und mit Blick auf die sozio-ökonomischen Voraussetzungen in diesem Vierländereck zwischen Maas und Rhein, zwischen Aachen, Mayen und Oberhausen, erkennt man günstige Bedingungen und Handlungsspielräume für transnationale Kooperationen. Es gab weder von staatlicher Seite noch aufgrund besonderer wirtschaftlicher Interessenlagen, regionale Gegenkräfte, die den ausgeprägten Willen zur Industrialisierung in diesem Raum auszubremsen wünschten oder es versuchten. Auf preußischer Seite war der Aufbau einer modernen industriellen Zinkproduktion mit der Unterstützung durch Kapital, egal welcher Provenienz, durchaus willkommen. Vor allem war das „know how“, das technische Wissen der Fachkräfte aus den bereits weiter modernisierten Regionen im westlichen Europa, gefragt. Die traditionell reibungsloseren Kooperationen „Unter Tage“ im Bergbau haben, in Verbindung mit der französischen Wirtschaftsverfassung von 1791 und dem Berggesetz von 1810, eine positive Wirkung in der Frühindustrialisierung auch auf die Zinkbranche ausgestrahlt.

Résumé Dans la perspective de l’histoire du droit, la région Meuse-Rhin entre Aix-la-Chapelle, Mayen et Oberhausen est caractérisée par la présence de conditions favorables et d’espaces d’action pour une intense coopération transfrontalière. Il n’y pas eu, au niveau régional, de volonté expresse ou de tentative de freiner l’industrialisation de cet espace, ni de la part de l’État, ni de la part d’intérêts économiques particuliers. Du côté prussien, le développement d’une industrie moderne du zinc, à l’aide de capitaux quelle que soit leur origine, était souhaitée. C’est surtout le savoir-faire technique d’une main d’oeuvre spécialisée qui était recherché. La constitution économique de 1791 en France et la loi sur le secteur minier en Prusse, s’ajoutant aux traditions de coopération moins visible dans ce domaine, ont eu un effet positif au moment des débuts de l’industrialisation, notamment dans le secteur du zinc.

Seit dem „Rheinbuch“ von Lucien Febvre1 ist es nach dem II. Weltkrieg weitgehend Konsens, dass der Rhein ein europäischer Strom ist, dass nicht die jeweilige Sicht der angrenzenden Nachbarn, sondern „Europa“ im Focus stehen sollte. In dieser rheinisch-politischen Landschaft, die als ein historisch bedingt, „hybrides Ordnungsmodell“ bezeichnet werden kann (G. Thiemeyer), sollte diese Hybridität 1

Febvre, Lucien, Der Rhein und seine Geschichte (1931/35). Herausgegeben und übersetzt mit einem Nachwort von Peter Schöttler, Frankfurt/New York 32006.

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aus transnationaler und regionalgeschichtlicher Perspektive aber noch besser ausgelotet, historisiert werden, gleichsam um zu vermeiden, dass die Zeiten primär im eignen Geist bespiegelt werden2. Umso mehr sind empirische Untersuchungen zur frühen europäischen Industrialisierung im nordwesteuropäischen Raum von Nord-Pas-de Calais, über Lothringen, Belgien, zwischen Maas und Rhein und dem Ruhrgebiet ein Desiderat der Forschung3. Geht man im Sinn der 15. Tagung des Deutsch-Französischen Historiker Komitees im Herbst 2016 in Düsseldorf davon aus, dass die politische Landschaft des Rheins im 19. Jahrhundert nicht nur ein Spiegelbild unterschiedlicher nationaler Interessen und Konfrontationen bezeugen kann, sondern in der Tat auch nachhaltige „transnationale Kooperationen“4, dann sind weitere Belege, bzw. empirische, sozial- und regionalgeschichtliche Fallstudien, jedenfalls erwünscht.

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Vgl. ibd., insbesondere S. 251 f.. Es ist zwar legitim, wenn Historiker auf Umbrüche der eigenen Gegenwart durch Rekonstruktion und Konstruktion von Vergangenheit reagieren (so Jürgen Osterhammel in einem Nachruf zum Tod des Historikers Ernst Schulin FAZ 15.2.2017, S. 11.). Auf die Gefahren solcher im Grunde normativer Methoden hat aber schon Goethe aufmerksam gemacht. Vgl. Faust. Eine Tragödie. 4. Kapitel. Dumoulin, Michel / Elvert, Jürgen / Schirmann, Sylvain (Hg.), Encore ces chers voisins. Le Benelux, l’Allemagne et la France au XIXe et XXe siècles, Stuttgart 2014; vgl. die Bibliographie der Studien von Jean-François Eck zu diesem Thema, in: Berger, Françoise u. a. (Hg.), Industrie, Territoires et Culture en Europe du Nord-Ouest XIXe–XXe Siècles. Mélanges en l’honneur de Jean-François Eck, Roubaix 2015, S. 255–261; siehe auch: Jean-François Eck / Peter Friedemann, Unternehmen und Raum im kontinentalen Nordwesteuropa von der Mitte des 18. bis zum Ende des 20. Jahrhunderts, in: Francia Bd. 41 (2014), S. 275–300; Kellenbenz Hermann, Wirtschaft- und Sozialentwicklung des nördlichen Rheinlands seit 1850, in: Petri, Franz / Droege, Georg (Hg.), Wirtschaft und Kultur im 19. und 20. Jahrhundert, Rheinische Geschichte, Düsseldorf 1979, Bd. 3, S. 51. Mit Blick auf die Zeit der französischen Besetzung des Rheinlands 1794–1815 hat auf solche Defizite kürzlich auch der Bochumer Wirtschaftsund Technikhistoriker Wolfhard Weber hingewiesen. Er sprach bezogen auf die Geschichte des deutschen Bergbaus von einer noch wenig erforschten Phase und zugleich davon, dass es linksrheinisch vor dem erst aufkommenden Nationalgefühl ein „gemeinsames Freiheits- und Wissenschaftsinteresse“ und eine „überwiegend konfliktlosen Zusammenarbeit mit deutschen Bergbeamten“ gegeben habe. Vgl. Weber, Wolfhard (Hg.), Geschichte des deutschen Bergbaus. Salze, Erze und Kohlen. Der Aufbruch in die Moderne im 18. und frühen 19. Jahrhundert, Bd. 2, Münster 2015, S. 300. Die im selben Band gemachten Ausführungen von Jakob Vogel (Lille/ Köln) zum Stellenwert des deutschen Bergbaus zu Beginn des 19. Jahrhunderts und seiner engen Verbundenheit mit anderen europäischen Bergregionen unterstreichen, dass empirische zuverlässige Informationen für die Frühindustrialisierung defizitär sind. Ibd., S. 11 ff. Guido Thiemeyer hat kürzlich einen engen Zusammenhang zwischen Ideen einer überstaatlichen Ordnung seit dem Wiener Kongress und der Thematik „Europäische Integration“ beschrieben und begründet. Sein historischer Überblick wird unter der Überschrift „Internationalismus und Europäische Integration im 19. Jahrhundert 1815–1914“ eingeleitet. Ein Beispiel ist die 1815 gebildete „Zentralkommission für die Rheinschifffahrt“, die die Aufgabe hatte, den Schiffsverkehr auf dem Rhein zu regeln: Guido Thiemeyer, Europäische Integration, Köln, Weimar, Wien 2010; Thiemeyer, Guido / Tölle, Isabel, Supranationalität im 19. Jahrhundert? Die Beispiele der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt und des Octroivertrages 1804– 1832, in: Journal of European Integration History, vol. 17 (2011), S. 177–196.

Die Grubengesellschaft „Vieille Montagne“ (Altenberg)

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Die Geschichte der „Galmei-Bergwerke am Altenberge“5, der 1837 gegründeten „Société Anonyme de la Vieille Montagne“ (SVM), ist nun repräsentativ für solche „transnationale Verflechtungen“ am Mittelrhein und dies aus mehreren Gründen: –



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Das frühe 19. Jahrhundert weist, wie nicht immer hinreichend berücksichtigt wird, zwei besonders nachwirkende gegensätzliche vorgeschichtliche Entwicklungslinien auf. Diese sind mit der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in England beginnenden „Industriellen Revolution“ und der „Französischen Revolution“ von 1789 verknüpft. Die Übergangsphase von der vorindustriellen Produktion zur industriellen Produktion, eine „schleichende Wende zur Industrialisierung“6, fußt auf dieser, auch als „Doppelrevolution“ charakterisierten Entwicklung. Kann die Geschichte der „Société Anonyme des Mines et Fonderie de Zinc de la Vieille Montagne“ (SVM), der Vieille Montagne, deshalb sogar als Beispiel für eine kosmopolitisch, industrielle Phase in der europäischen Frühindustrialisierung („cosmopolitisme industriel“) gelten7? Sind damit etwa nachhaltige kosmopolitische, demokratische Ideen der politischen Aufklärung gemeint, die erst schrittweise von den sich steigernden nationalen Strömungen seit Sieg und Niederlage Napoleons bedroht wurden? Werden an diesem Beispiel sogar weitere, die genannten Prozesse begleitende und überlagernde, globale Denkrichtungen sichtbar8? In den neueren unternehmens- und technikgeschichtlichen Studien u. a. Rondo Cameron, Susan Becker, Margareta Anna Devos und Arnaud Péters9, wird der Ausgangspunkt der westeuropäischen industriellen Zinkproduktion eng verbunden mit der Grubengesellschaft de la „Vieille Montagne“. Wenn man nun versucht, neben den unternehmensgeschichtlichen, auch weitere, vor allem so-

Zu dieser Formulierung vgl. Heinrich Achenbach, Das französische Bergrecht und die Fortbildung desselben durch das preußische allgemeine Bergesetz, Bonn 1869, S. 83: „Eine […] sehr wichtige Concession auf Grund des Gesetzes vom 28. Juli 1791 war durch kaiserliches Decret vom 24. März 1806 an Jacques Daniel Dony zu Lüttich in Betreff der Galmei-Bergwerke am Altenberge erteilt worden“. Reinhart Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution. Allgemeines Landrecht, Verwaltung und soziale Bewegung von 1791 bis 1848, Stuttgart 31981, S. 15. Vgl. E. Flavien, Mines et fondries de zinc de la Vieille Montagne dans les grandes usines de Turgan, Paris 1883, S. 209. Vgl. Jürgen Osterhammel / Niels. P. Petersson, Geschichte der Globalisierung. Dimensionen. Prozesse. Epochen, München 2003, S. 41–45; vgl. Sebastian Conrad u. a. (Hg.), Globalgeschichte. Theorien, Ansätze, Themen, Frankfurt a. M./New York, 2007. Mit Blick auf einige Ökonomen (Adam Smith) und Völkerrechtler (Saint Pierre, Gabriel Bonnot de Mably) schien sich im Sinne Kants sogar bereits eine „Weltfriedensordnung“ anzubahnen. Cameron, Rondo E., La France et le développement économique de l’ Europe 1800–1914, Paris 1981; Becker, Susan, Multinationalität hat verschiedene Gesichter. Formen internationaler Unternehmenstätigkeit der Mines et Fonderies de Zinc de la Société anonyme de la Vieille Montagne und der Metallgesellschaft vor 1914, Stuttgart 2002; vgl. auch Devos, Margareta Anna, Kapitalverflechtungen in der Montanindustrie zwischen dem westlichen Deutschland und Belgien von etwa 1830 bis 1914 (Diss. Phil), Bonn 1986; Brion, René / Moreau, Jean-Louis, De la mine à Mars. La genèse d’Umicore, Bruxelles 2006; Arnaud Péters, La Vieille – Montagne (1806–1873). Innovations et mutations dans l’industrie de zinc, Liège 2016.

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zialgeschichtliche und traditionsgebundene Aspekte in den Focus zu rücken, könnten sich neue Antworten auf diese Fragen ergeben. Methodisch soll an Fernand Braudel, Lucien Febvre u. a. Vertreter der „Annales Schule“ angeknüpft werden. Begreift man nämlich den Übergang von vorindustriellen zu modernen Produktionsweisen, als „histoire totale“ und aus langer Sicht (longue durée), letztlich als komplexen Prozess von Strukturen und Bedingungen, dann müssten gerade zu Beginn der Industrialisierung, in der Phase der sogenannten „Proto-Industrialisierung“, auf unterschiedlichen, interdisziplinären Feldern (mikro- und makroökonomisch), sehr vielfältige Prozesse in den Blick geraten. Kann man im Sinne Braudels die im Zuge der Industrialisierung sich abzeichnende „Dynamik des Kapitalismus“ besser erkennen und verstehen lernen10? Historiographisch gesehen sind in den neueren Publikationen vor allem zur deutschen und internationalen Bergarbeitergeschichte Studien zur Zinkindustrie eher stiefmütterlich vertreten11. Die neueren, engagiert und mit Empathie geschriebenen, ohnedies gemeinhin wenig beachteten lokalgeschichtlichen Untersuchungen, werden sogar mehr oder weniger ganz übergangen12.

In der gebotenen Kürze möchte ich versuchen, wenigstens einige der rechtsgeschichtlichen-, geografischen- und wirtschaftsgeschichtlichen Aspekte anzudeuten, die an anderer Stelle vertieft werden müssten.

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Vgl. dazu die Vorlesungsreihe von Fernand Braudel, Die Dynamik des Kapitalismus, Stuttgart 1986. Vgl. Klaus Tenfelde, Sozialgeschichte der Bergarbeiterschaft an der Ruhr im 19. Jahrhundert, Bonn-Bad Godesberg 1977; Brüggemeier, Franz-Josef / Rommelspacher, Thomas, Blauer Himmel über der Ruhr. Geschichte der Umwelt im Ruhrgebiet 1840–1990, Essen 1992, S. 19 f.; Reif, Heinz, Die verspätete Stadt. Industrialisierung und Politik in Oberhausen 1846–1929, Köln 1992, S. 27–28, 50, 252, 392 f.; Uekötter, Frank, Von der Rauchplage zur ökologischen Revolution. Eine Geschichte der Luftverschmutzung in Deutschland und den USA 1880–1970, Essen 2003; Lutz Engelskirchen, Zink: das achte Metall. (= Forschungsbeiträge zu Handwerk und Technik. 16). LWL-Freilichtmuseum Hagen, Essen 2006; Toni Pierenkemper, Der Bergbau-Leitsektor der deutschen Industrialisierung, in: Tenfelde, Klaus / Pierenkemper, Toni (Hg.), Geschichte des deutschen Bergbaus, Bd. 3: Motor der Industrialisierung, Münster 2016, S. 88–89; Von den älteren deutschsprachigen Studien sind zu nennen: Wiese von, Leopold, Beiträge zur Geschichte der wirtschaftlichen Entwicklung der Rohzinkfabrikation, Frankfurt a. M. 1902; Hillmann, Walter, Die wirtschaftliche Entwicklung der deutschen Zinkindustrie mit besonderer Berücksichtigung der Rentabilität der deutschen Zinkhütten-Aktiengesellschaften (Phil. Diss.), Bonn-Leipzig 1911; Wiedenfeld, Kurt, Ein Jahrhundert Rheinischer Montan-Industrie 1815–1915, Bonn 1916. Seit einigen Jahren haben zahlreiche Historiker beiderseits des Mittelrheins zwischen Aachen, Lüttich, Mayen, Köln, Königswinter, Bergisch-Gladbach, und Oberhausen sowie der „deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens, de Duitstalige Gemeenschap van Belgie, la communauté germanosphone de Belgique“ ein wachsendes Interesse am Erzbergbau und speziell der Zinkindustrie sowie der Geschichte und Strategie der SMV gezeigt. Die an anderer Stelle veröffentlichte Bibliographie belegt das lebhafte Interesse an einer Erinnerungskultur im lokalgeschichtlichen Rahmen.

Die Grubengesellschaft „Vieille Montagne“ (Altenberg)

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DER RECHTGESCHICHTLICHE RAHMEN Weil für das linke Rheinufer nach der Besetzung durch Frankreich 1794 und auch nach der „Versetzung der Preußen an den Rhein“ (Nipperdey) auf dem Wiener Kongress, nach Bildung der Rheinprovinz 1820, das französische Bergrecht bis zur preußischen Bergrechtsreform von 1865 Gültigkeit besaß13, könnte dieser Raum, diese politische Landschaft des Rheins und speziell des Mitteilrheins, möglicherweise, so wie gesagt die Hypothese, an diesem Beispiel der Entwicklung der SVM, interessante neue Nachweise der Pluralität und Hybridität von Verflechtungsprozessen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bieten. Der Standort „Galmei-Bergwerke am Altenberge“, „Vieille Montagne“, oder schlicht der „Altenberg“ bei Aachen, war seit Jahrhunderten wegen des hohen Zinkgehalts bekannt, hatte unter allen wechselnden Regierungsformen, zuletzt im ehemaligen österreichischen Herzogtum Limburg, immer wieder Anlass und Gegenstand rechtstaatlicher Auseinandersetzungen gegeben. Nach der Französischen Revolution 1789 und der schrittweisen Besetzung des linken Rheinufers durch Frankreich sowie der Vereinigung mit der Französischen Republik 1794, änderten sich linksrheinisch die bergrechtlichen Zuständigkeiten. Das unter den Bourbonenkönigen Ludwig XIII. bis Ludwig XVI. missbrauchte Bergregal wurde abgeschafft. Der Staat hatte gegenüber dem Bergbau weniger Rechte. Auf dem linken Rheinufer wurden Bergwerke auf der Grundlage des Berggesetzes vom 7. Juli 1801 naturrechtlich begründet, standen „á la disposition de la nation“, wurden Gegenstand des unverletzlichen Eigentums im Sinne des Code Napoléon (Artikel 552 vom 21.3.1804). Hier wirkte offensichtlich die maßgebliche Lehre der Französischen Revolution, die vom Abbé Siéyès formulierte und begründete Unterscheidung zwischen verfassungsgebender (pouvoir constituant) und verfassungsgegebener (pouvoir constitué) Gewalt, das zeitlose Prinzip der modernen Staatstheorie, nach14. Auch Bergwerke und Gräbereien standen letztendlich der Nation und nicht der Obrigkeit zu. Nur mit Zustimmung der Nation sollte Bergbau betrieben werden können. Die Vorrangstellung der Grundeigentümer bei der Nutzung der Bodenschätze wurde allerdings nur prinzipiell sichergestellt. Sie sollten ein Vorzugsrecht bei Erteilung einer Konzession haben, vorausgesetzt die Tiefe war nicht weiter als 30 Fuß. Nur tiefer liegende Schätze blieben im Besitz des Staates. Im Gegensatz zum Bergbau der deutschen Staaten, in denen das Bergregal, die alten Bergordnungen und das Direktionsprinzip, das ständisch-korporative System des monarchischen Obrigkeitsstaates weiterhin – letztlich bis 1865 – Gültigkeit besaßen, hatte das demokratische Legitimationsprinzip des modernen Verfassungsstaates auch Kaiser Napoleon für rechtens befinden müssen: „Napoleon selbst mit seinen zahlreichen Armeen kann sich nicht 13

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Vgl. Lück, Heiner, Die Entwicklung des Deutschen Bergrechts und der Bergbaudirektion bis zum Allgemeinen (Preußischen) Berggesetz 1865, in: Weber, Wolfhard (Hg.), Geschichte des deutschen Bergbaus, Bd. 2: Salze, Erze und Kohlen. Der Aufbruch in die Moderne im 18. und frühen 19. Jahrhundert, Münster 2015, S. 194–199. Vgl. dazu Knut Ipsen, „Pouvoir constituant“ – relevant für den EU-Verfassungsvertrag?, in: Wirtschaft und Gesellschaft in Staat und Gegenwart. Gedächtnisschrift für Peter J. Tettinger, Sonderdruck Carl Heymanns Verlag 2017.

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eines Acker bemächtigen, denn, das Eigentum eines einzigen verletzten, heißt das Aller zu verletzten“, kommentierte Napoleon den Entwurf einer von ihm geleiteten Staatsratssitzung vom 18. November 180915. Am 21. April 1810 wurde das Berggesetz angenommen. Auf diesen rechtlichen Grundlagen erfolgte die Übertragung des Altenbergs durch kaiserliches Dekret bereits am 17. Dezember 1805 an den Abbé und Chemiker Jean Jacques Daniel Dony (Lüttich) für den Zeitraum von fünfzig Jahren gegen die jährliche Steuer (redevance) von 40.000 Francs16. Der Bergbau gewann größere Freiheiten gegenüber früheren Zeiten. Inwieweit von einem „liberalen französischen Berggesetz“ gesprochen werden kann, das zu DDR Zeiten auch als „Epochengesetz des Bergrechts und Kapitalismus der freien Konkurrenz“ bezeichnet wurde17, wird vor allem in Frankreich sehr viel differenzierter betrachtet als in Deutschland18. Fokussiert auf die erst 1864/65 erfolgte Novellierung des „Direktionsprinzips“, wird die linksrheinische Rechtsentwicklung hierzulande zuweilen als willkommene Folie für die preußische Bergrechtsreform und Ausgangspunkt der Liberalität ohne staatliche Direktion, als enthistorisiertes Argument, gleichsam als eine deduktive Heilsformel, benutzt19. Für diesen Zusammenhang genügt die Feststellung, dass das französische Berggesetz 1810 eine nicht unwesentliche Voraussetzung dafür schaffen konnte, dass die ewigen Auseinandersetzungen gerade um den „Altenberg“ nachhaltig, allerdings erst 40 Jahre später nach heftigen juristischen Auseinandersetzungen, ruhig gestellt wurden. Erst seitdem konnten die „Galmei-Bergwerke am Altenberg“, 1837 umgewandelt in eine Aktiengesellschaft (SVM), endgültig den Weg zum europäischen Marktführer der industriellen Zinkindustrie einschlagen. Bevor darauf eingegangen wird, ist noch kurz auf einen anderen besonderen, für die Entwicklung des Unternehmens ebenfalls bedeutenden rechtsgeschichtlichen Aspekt einzugehen. Auf dem Wiener Kongress war hinsichtlich der im Gebiet auf dem Altenberg bei Aachen lagernden als besonders wertvoll angesehenen Galmeibestände20, eine

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Diese Formulierung von Napoleons, wird zitiert bei Herr, Gustav, Die Beziehung des preußischen Allgemeinen Berggesetzes zum älteren deutschen und zum französischen Bergrecht, in: Zeitschrift für Bergrecht 106, 1965, S. 67. Die Konzession wurde am 24. März 1806 durch Napoleon bestätigt. Vgl. Le Hon, Bericht über die Concession des Altenberger Grubenfeldes. Vorgetragen am 10. April 1849 in der Sitzung des Verwaltungsrathes der Gesellschaft der „Vieille Montagne“, Aachen 1853, S. 24. Zu Dony vgl. Alvin, A., Dony, Jean-Jacques-Daniel (1759–1819), in: Biographie Nationale, VI, Bruxelles 1878, S. 127–131. Mücke, Manfred, Die Französische Revolution und das Bergrecht, in: Neue Bergbautechnik 20 (1990), S. 76. Thépot, André, Les ingénieurs des Mines du XIXe siècle: Histoire d’un corps technique d’État Tome I: 1810–1914, Paris 1998; Garçon, Anne-François / Belhoste, Bruno (Hg.), Les ingénieurs des mines: cultures, pouvoirs, pratiques, Colloques des 7 et 8 octobre 2010, Paris 2012. Farrenkopf, Michael / Przigoda, Stefan, Die preußische Bergrechtsreform (1851–1865). Soziale und ökonomische Konsequenzen aus transnationaler Perspektive, in: Bergbau 9 (2015), S. 406–411. An anderer Stelle (Aufsatz im Anschnitt) wird darauf anhand der Denkschrift des Grafen Le Hon (FN 16), einer in der deutschsprachigen Literatur bislang wenig bekannten Quelle, noch näher eingegangen. Bergmännischer Sammelbegriff für nicht-sulfidische (schwefelfreie) Zinkerze.

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historisch einmalige diplomatische Lösung eines eigentlich zwischenstaatlichen Konfliktes getroffen worden. Da sich die beiden Signatarmächte, die Niederlande und Preußen, nicht darüber einigen konnten, wer nun die Nachfolge der seit 1794 im französischen Besitz befindlichen Erze antreten bzw. diese fördern und ausbeuten darf, kam es im Vertrag von Aachen 26. Juni 1816 zu einer bis 1919 geltenden, politisch einmaligen neutralen, nichtstaatlichen Lösung. Es wurde vertraglich festgelegt, dass das schmale Gebiet um Moresnet und Kelmis (frz. La Calmine), der seit den Römerzeiten für die Produktion von Blei und Kupfer bedeutende sogenannte „Altenberg“, das „établissement national de la vieille Montagne“, keinem der beiden nationalen Mächte zugedacht, vielmehr neutral verwaltet werden sollte21. Der wichtigste Bezirk der Galmeibestände war von nun an nicht mehr zersplittert, nicht mehr zwischen verschiedenen Konzessionären aufgeteilt, sondern in der Hand eines einzigen Konzessionärs22. Der Neutralitätsstatus hat die unternehmerischen Strategien der Firmenleitung SVM gestützt und es ermöglicht, dass nach weiteren juristischen Querelen, seit Mitte des 19. Jahrhunderts zielstrebiger als zuvor transnationale Kooperationen verfolgt werden konnten. Das Verfügungsrecht über die Bodenschätze des Altenberg lag eben nicht bei einem der Staaten (Die Königreiche Preußen und der Vereinigten Niederlande sowie ab 1830 Belgien), sondern beim Grundeigentümer, d. h. in diesem Fall dem Rechtsnachfolger der Person Dony, nämlich der SVM. Nicht das System des traditionellen Bergregals, das in Preußen das Verfügungsrecht des monarchische Obrigkeitsstaat, war die Rechtsquelle, die Legitimität verlieh, sondern die im Namen der Nation (des pouvoir constituant) vor Jahren verliehene 21

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Zahlreiche Sonderrechte wurden für die Einwohner ersonnen. Das kleine nur 3,26 qkm (326 Hektar) große Gebiet von Neutral-Moresnet mit gerade einmal 250 Einwohnern im Jahr 1815 (1901 wurden 3433 Bewohner gezählt), wurde fortan von zwei Ländern verwaltet. Als Belgien 1830 selbständig wurde, änderte sich an der Verwaltungsform nichts. Anstelle von Holland, bestellten nunmehr Belgien und Preußen, jeweils einen Kommissar. Beide zusammen bildeten die „oberste Behörde“. Die Einwohner gehörten weder zu den Niederlanden noch zu Preußen. Sie waren weder dienst- noch noch steuerpflichtig, zogen folglich nicht nur Dienstunwillige an, sondern begünstigten indirekt auch den Schmuggel zollfreier Waren. In diesem kleinen Gebiet wurden der Code Civil und sein außerordentlich strenges Strafrecht (Code Pénal) angewandt. In dem auch „Vierländereck“ (Deutschland, Holland, Belgien, Neutral-Moresnet) genannten Flecken, gab es neben Spuren einer Esperantobewegung eine eigene Spielbank, einen eigenen Postdienst mit eigenen Briefmarken. Zu erkennen sind innovative sozialpolitische Maßnahmen für die Arbeiterschaft, wenngleich auf „paternalistischer“ Grundlage. So entbehrten diese, im Verlauf der Entwicklung, häufig rechtlicher Grundlagen, somit ein einklagbarer Anspruch auf den Zugang zu den formal vorgesehen Unterstützungs-und Fürsorgekassen, die Anmietung von verbilligtem Wohnraum, die Aufnahme pensionierter Arbeiter im Altersheim u. a. m. Vgl. Ruland, Zum Segen S. 226. Inwieweit es sich bei dem neutralen Status nur um eine Episode ohne größere historische Bedeutung gehandelt hat, gleichsam um eine diplomatische Verlegenheitslösung, um einen „lokalgeschichtlichen Treppenwitz der Geschichte“, ist bislang in der Forschung umstritten. Politisch wird das Ereignis aber besonders in lokalgeschichtlichen Untersuchungen allerdings immer wieder instrumentalisiert. Vgl. Wintgens, Leo, Neutral-Moresnet-Neutre. Grundlage der Gemeinde Kelmis-Neutre-Moresnet-Hergenrath. Echos aus einem europäischen Kuriosum (= Documents d’Histoire, vol 2), Aachen 2010.

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Konzession an den Grundeigentümer (der pouvoir constitué). Die der Leitung der SVM gegebene Gewalt beruhte, so der Schlusssatz der Denkschrift, auf dem „unantastbaren Eigenthum“ es kann „durch keine, auf das Recht und nicht auf die Gewalt gestützte regelmäßige Macht wieder in Frage gestellt werden23. Der noch junge 1830 gegründete belgische Staat hatte juristisch letztlich die wirtschaftliche und erfolgreiche Entwicklung dieser Firma auf dem Gebiet des Erzbergbaus ohne staatlichen Primäreinfluss, positiv flankiert und geschützt. Aus wirtschaftshistorischer Perspektive wird die Zinkhütte Neutral-Moresnet rechtsrheinisch am Ende des 1850er Jahre bereits als transnationales Unikat wahrgenommen: Für Kohlen und Thon hat sie nur einen mäßigen Transport und ist schließlich dadurch in Vortheile, dass ihre meist in der nächsten Umgebung (auf dem neutralen Gebiete) ansässigen Arbeiter fast nur auf dem von dem Establissement zu Moresnet gebotene Beschäftigung angewiesen sind. Es tritt deshalb daselbst selten oder nie Mangel an Arbeitskräften ein, was sonst beim belgischen Betriebe, besonders während der heißen Jahreszeit, häufig sehr störend wird24.

DER GEOGRAFISCHE RAHMEN: „DIE ERDE IST UNSERE HAUT, DIE SPUREN UNSERER ALTEN VERLETZUNGEN ZU BEWAHREN“25 Der Raum zwischen Rhein und Maas wird auch als „Zwischenregion“ bezeichnet, „in der alte Wirtschaftsformen … auf neue Produktionstechniken … prallten“26. Sie sollte nicht aus dem Blickwinkel nationaler Zentren betrachtet werden, wie sie sich schrittweise erst im 19. Jahrhundert geformt haben (Preußen, Niederlande, Belgien, Frankreich)27. Es gab und gibt in diesem Raum zwischen Maas und Rhein, zwischen Lüttich, Aachen und den im engeren Sinn hier interessierenden Streifen Moresnet, Kelmis (seit 1919: davor Neutral Moresnet28) und Neu-Moresnet (vor 1830: Preußisch Moresnet) an der Grenze zwischen den Niederlanden, Belgien und der Rheinprovinz Preußen (um 1830) ein über nationale Grenzen hinweg reichendes sozio-kulturelles Potential, das auch die Entwicklung der Zinkindustrie europaweit 23 24 25 26

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Le Hon (Anm. 16), S. 56 in der deutschen und Seite 54 in der französischen Fassung. Vgl. Berg- und Hüttenmännische Zeitung, Freiberg 19. Jahrgang (1860), S. 30. Braudel, Fernand, L’identité de la France. Espace et Histoire, Paris 1986, S. 25. Fickers, Andreas / Lejeune, Carlos / Ruland, Herbert (Hg.), Zwischen Fortschrittsglauben und Modernisierungsängsten. Industrialisierung und revolutionäre Bewegungen, in: Lejeune, Carlo (Hg.), Grenzerfahrungen. Eine Geschichte der deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens. Bd. 3. Civil Code, beschleunigte Moderne und Dynamiken des Beharrens (1794–1919), Eupen 2017, S. 92–117. Lejeune, Carlo (Hg.), Grenzerfahrungen. Eine Geschichte der deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens. Bd. 3. Civil Cod, beschleunigte Moderne und Dynamiken des Beharrens (1794–1919), Eupen 2017, S. 106. Vgl. Pabst, Klaus, Neutral-Moresnet. Ein Dorf ohne Staatsangehörigkeit (1815–1915), in: 150 Jahre Regierung und Regierungsbezirk Aachen. Beiträge zu ihrer Geschichte, hrsg. Vom Regierungspräsidenten in Aachen, Aachen 1967, S. 45–57; Wintgens, Leo, Neutral-MoresnetNeutre. Grundlage der Gemeinde Kelmis-Neutre-Moresnet-Hergenrath. Echos aus einem europäischen Kuriosum (= Documents d’Histoire, vol 2), Aachen 2010.

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beeinflusst hat. Seit Jahrhunderten, ob unter spanischer, österreichscher, oder französischer Zugehörigkeit gab es wirtschaftlich und familiär, verteilt auf kleine und mittlere Unternehmen u. a. auf die Tuch-und Textil-, Glas-, Kupfer-, Eisen-, und Kunsthändler, bei hoher interregionaler Mobilität der Arbeiterschaft, transnationale Verflechtungen bis in die Gegenwart29. Lithografien zeitgenössischer namhafter Künstler, die auch für die SVM in ihrem Expansionsbereich am Mittelrhein im weiteren Sinn tätig waren, vermitteln räumliche Bezüge und illustrieren einen bildlichen Eindruck von der Übergangsphase von der traditionellen und industriellen Produktionsweise, der sogenannten „Verlandschaftung“30. Im Raum Kelmis und den anliegenden Ortschaften um den „Altenberg“, startete und entwickelte sich das wirtschaftliche Zinkhüttenwesen zunächst in diesem Bereich und dann, Mitte des 19. Jahrhunderts, links- und rechtsrheinisch über Neuwied ins Bensberger Erzrevier31. Zunächst galt es Zollfragen zu lösen, da eine zollfreie Einfuhr von Zinkblech auch über das neutrale Moresnet ins Rheinland nicht genehmigt worden war. Da der französische Markt lange noch stagnierte, der preußische Markt aber verschlossen blieb, solange hier exorbitante Zölle zu entrichten waren, mussten Wege gefunden werden, wie Einfuhrbeschränkungen für Zinkprodukte überwunden werden konnten. Schrittweise gelang dies im Rahmen von transnationalen Fusionsverträgen zwischen der SVM, der „Société de la Prusse Rhénane“ und der belgischen Gesellschaft „De la Meuse et Valentin-Cocq“ aufgrund flexibler Unternehmensstrategien32. Trotz massiver Konkurrenz erreichte die Firmenleitung der SVM es, deutsche Produktionsstandorte in Mülheim, Essen Borbeck, Oberhausen zu gewinnen und darauf aufbauend in der Take-Off Phase weiter zu expandieren. Um der rasant zunehmenden Nachfrage nach Zink nachkommen zu können, musste darüber hinaus in ausländische Erzbergwerke zahlreicher europäischer Länder investiert werden. Zur SVM gehörten schließlich neben Deutschland, Frankreich, und Belgien, Erzbergwerke in Schweden, Italien und Afrika. Blickt man nur einmal in chronologischer Reihenfolge auf die Orte, in denen der Name der Vieille Montagne in den nächsten 100 Jahren im Zusammenhang mit Zinkproduktion erwähnt wird, ohne Differenzierung zwischen Zinkwalzwerken, Zinkweißfabriken, Zinkwalzwerken, Röstereien, Kohlewerken, Tongruben und Galmeigruben, erkennt man anhand der Standorte den erfolgreichen Verdrängungsprozess der Konkurrenz, bzw. einen äußerst dynamischen Expansionsdrang der SVM.

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Vgl. Jean-François Eck. Quelques aspects économiques et financiers entre Nord-Pas-de-Calais, Wallonie et Rhénanie du Nord-Westphalie aux XIXe et XXe siecles, in: Dumoulin, Michel / Elvert, Jürgen / Schirmann, Sylvain (Hg.), Encore ces chers voisins. Le Benelux, L’Allemagne, et la France en Europe aux XIXe au XXIe siècles. Studien zur Geschichte der Europäischen Integration, Nr. 7, Stuttgart 2014, S. 211–220. Bei Maugendre ist eine enge Verknüpfung von Landschaft und Industrie zu erkennen. Die arbeitenden Personen werden „verlandschaftet“, ihre Tätigkeiten sind in einen erzählerischen, anekdotischen oder stimmungsvollen Kontext eingebettet. Arbeitsprozesse bleiben meistens unklar; Innenraumdarstellungen kommen nur äußerst selten vor. Vgl. Geurts, G. / Ommer, H. / Stahl, H. (Hg.), Das Erbe des Erzes. Die Gruben auf den Gangerzlagerstätten im Erzrevier Bensberg, Bd. 2, Köln 2004, S. 17. Vgl. Susan Becker, S. 94–97.

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1808 Zinkhütte St. Léonhard (Vorstadt von Lüttich) (erste Zinkhütte). 1820 Walzwerke von Hom und Houx in Frankreich und Zinkhütte in Moresnet (Gründungen der Berggesellschaft Dony § Cie). 1837 Galmeigrube Neutral-Moresnet. 1838 Walzwerke von Bray (Département Seine-et Oise)33. 1838 Walzwerke von Tilff bei Lüttich. 1838 Zinkhütte Angleur bei Lüttich an der Ourthe (1880 geschlossen). 1853 Fusion mit den Gesellschaften: Rheinpreußen; Valentin Cocq; Société de la Meuse; Société Flône und den in ihrem Besitz befindlichen Hütten und Steinkohlenwerken. 1853 Gruben im Bensberger Distrikt (Bergisches Land). 1855 Abtretung des Gesellschaftsvermögens der Zinkweißfabriken in Brüssel an die SVM und Levallois Paris und Colladios (Belgien). 1855 Zinkhütten in Mülheim. 1855 Zinkhütten Oberhausen. 1855 Zinkhütten in Borbeck. 1857 Ammeberg am Wetternsee (Schweden). 1871 Viviez (Département de Aveyron, errichtet 1857). 1871 Sicherung von Anteilen an Gruben in Sardinien Iglias. 1872 Abtretung der Felder von Hammam in der algerischen Provinz Kontantine. 1883 der Grubenfelder der Société des Zincs Français (Départemetn du du Gard und l’Hérault (Aufkauf nach Liquidation). 1887 Erwerb des Walzwerk Hautmont (Département du Nord. In der Nähe von Maubeuge und der belgischen Grenze). 1889 Baelen-Wezel bei Antwerpen (Canal de Campine). Bau einer Blenderösthütte. 1899 Bergamon (Italien). Die SVM besaß um 1900 zerstreut in Belgien, Frankreich, Sardinien, Algerien, Tunesien, Schweden, Deutschland, Italien und Spanien insgesamt ca. 32 Werke und ein Personal „von etwa 300 technischen und Verwaltungsbeamten und von 10.990 Arbeitern“ ohne Beschäftige von Subunternehmen34.

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Vgl. die Lithographie von Maugendre (1870), in: Gilles, José, La „Vieille Montagne“ à Brayet-Lû, O. O. 2004. (Frei zugänglich als PDF im Internet), S. 1; Weitere Literatur: Maugendre, Adolphe, Société anonyme et Fonderies de Zinc de la Vieille Montagne. Album de 35 Vues 1850–1851, Bruxelles 1853 (vorhanden im LVR-Industriemuseum. Zinkfabrik Altenberg. Rheinisches Landesmuseum für Industrie- und Sozialgeschichte, Oberhausen); Maugendre, Adolphe, Société anonyme et Fonderies de Zinc de la Vieille Montagne. Album de 38 Vues 1850–1851, Bruxelles 1853 (vorhanden im Ruhrlandmuseum Essen); Maugendre, Adolphe, Album des usines et établissement de la société anonyme des usines et fonderies de zinc de la vieille Montagne Bruxelles 1855. (46 Vues dessiné après nature & lithographié par A. Maugendre; vorhanden in der RWTHA/UB Aachen). Wiese (1902), S. 100 f.

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SOZIOÖKONOMISCHE ASPEKTE Wenn man sich mit der Unternehmensgeschichte der 1837 gegründeten Aktiengesellschaft Vieille Montagne auf dem Weg zum Weltmarktführer aus technikhistorischer und wirtschaftsgeschichtlicher Perspektive eingehender befassen könnte, etwa die in den Studien von Rondo Cameron, Margareta Anna Devos und Susan Beck und jetzt Arnaud Péters einzusehenden Tabellen zur Kapitalentwicklung, der Rohzinkproduktion, der Auslandsinvestitionen und des Zinkabsatzes über mehrere Jahrzehnte bis zu Beginn der NS- Zeit sowie Fragen technologischer Innovationen berücksichtigen würde35, wäre die historische Prägung dieses Raumes, dieser „Zwischenregion“, durch sozio-ökonomische Faktoren auch aus vorindustrieller Zeit nicht zu übersehen (siehe die Lithographien von Maugendre). Das kann hier nur noch gestreift werden. Das zugunsten von Jean-Jacques Dony patentierte sogenannte „Belgische Röstverfahren“, mit dem das Produkt Zink auf dem europäischen Kontinent erstmals in St. Léonhard (Lüttich) und bald massenhaft und gewinnbringend hergestellt werden konnte, fußte auf gewachsenen sozio-ökonomischen Traditionen und angehäuftem Erfahrungswissen. Seit dem 18. Jahrhundert sind im Untersuchungsraum auf vielen Feldern der Wirtschaft innovative Bestrebungen zu beobachten, um Verfahrensweisen zu entwickeln, die langfristig eine konsequente Innovationspolitik ermöglicht haben. Um einige Beispiele zu nennen: In Lüttich gab es seit dem 14. Jahrhundert eine florierende Waffenfabrikation, die bis ins 19. Jahrhundert handwerklich betrieben wurde. Aufgrund neuer technischer Verfahrensweisen gelang es in der Frühindustrialisierung die internationalen Verbindungen neu zu justieren und die Waffenfabrikation so zu erweitern, dass es zu einem regen Austausch von Wissen und fachmännischem Personal speziell bis ins Ruhrgebiet nach Essen, Mülheim, Hattingen und Bochum (Dahlhausen) kommen konnte36. Ohne Zweifel spielen beim Aufstieg der SVM zu einem weltweit operierenden Unternehmen auch familiäre Netze und Hintergründe eine Rolle. Es gelang von Beginn an, theoretisch gewendet, vorhandenes ökonomisches Kapital auf geschickte Weise durch kulturelles und soziales Kapital, ganz im Sinne einer Definition von Pierre Bourdieu, zu ergänzen. Ein Blick auf die Liste des Verwaltungsrates aus dem Jahr 1849 führt im Vorstand drei Namen auf, die einem seit der Gründung der AG im Jahr 1937 über mehrere Generationen im Verwaltungsrat der SVM hinweg begegnen. Es sind dies die Namen Jacques Mosselmann (geb. 1730), sein Sohn François Mosselmann, Graf Le Hon und Charles Auguste Louis de Morny (1811–1865), Charles Auguste Louis de Morny (1811–1865), Sohn von Hortense de Beauharnais, ein Halbbruder Napoleon III, erfolgreicher Rübenzuckerfabrikant mit besten Beziehungen zur bürgerlichen belgischen Elite und Finanzwelt. François Mosselmann, der sein Kapital durch Verbindungen zur Waffenindustrie in napoleonischer Zeit und im Rahmen der Säkularisierung kirchlichen 35

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Vgl. Cameron, La France. (Anm. 9),S. 345; Margarita Anna Victor Devos, Kapitalverflechtungen in der Montanindustrie zwischen dem westlichen Deutschland und Belgien von etwa 1830 bis 1914 (Diss. Phil), Bonn 1986, Becker (S. 66, 305–307) FN 9; Péters, La Vielle Montagne, (Anm. 9). Seeling 1976. Vgl. Köllmann, Wolfgang / Korte, Hermann / Petzina, Dietmar / Weber, Wolfhard (Hg.), Das Ruhrgebiet im Industriezeitalter Bd. 1, Düsseldorf 1990, S. 64.

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Besitztums erheblich erweitern konnte, ist es zu verdanken, dass der frühzeitig in finanzielle Schwierigkeiten geratene Konzessionär des Altenbergs, der Chemiker J. Dony, bis zu seinem frühen Tod (1819) noch weiter arbeiten konnte. Er verstand es später eine seiner außergewöhnlich weltoffenen Töchter, die 1808 geborene Fanny Mosselmann, mit dem 1792 geborenen Grafen Le Hon, der von 1830–1843 das Amt des ersten Botschafter Belgiens in Paris bekleidete, zu verheiraten37. Es war schließlich dem von Graf Le Hon erstellten Gutachten zu verdanken, dass der SVM jener quasi öffentlich-rechtliche Status nach zahlreichen Rechtsstreitigkeiten zugebilligt wurde. Beziehungen und Netze wurden in dieser Firma weitläufig und rechtzeitig geknüpft und gepflegt. Das schuf letztlich auch die Voraussetzungen für die Gestaltung der Absatzmärkte am Mittelrhein. Das Rheinland, die Eifel (linksrheinisch)38, das Bergischen Land (rechtsrheinisch)39, war von alters her reich an Bodenschätzen (Holz, Blei, Eisen, Kupfer und eben auch Galmei), diese Gewerbelandschaften wurden von der Holz- und Steinfertigung, vom Erzbergbau und speziell dem Kupfer geprägt und boten gute Voraussetzungen für die Entwicklung neuer Märkte, technischer Innnovationen und neuer kleinerer und mittlerer Unternehmungen auch für die Zinkbranche. Die wirtschaftsgeschichtliche Bedeutung für den industriellen Fortschritt der Zinkindustrie lässt sich ermessen, wenn man sich die wachsenden Absatzmärkte für Zink in der Frühindustrialisierung vor Augen führt. Die seit dem frühen 19. Jahrhundert zu beobachtenden Anwendungsmöglichkeiten von Zinkblech und Zinkdrähten z. B. für Dächer, Dachfirsten, Dachrinnen, Regenrohre, Haushaltsgegenstände im Alltag, wie Waschbretter, Gefäße aller Art, Vasen, Kerzenleuchter, Gießkannen, etc. erweiterten sich zunehmend. Zink fand auch in der Photographie (Druckplatten für die Photozinkographie, einem Vorläufer der modernen Photographie) frühzeitig Verwendung. Dasselbe gilt im sanitären Bereich und im Gesundheitswesen, bei der Herstellung pharmazeutischer und kosmetischer industrieller Produkte zum großen Teil als Nahrungsergänzungsstoffe für Mensch und Tier. Vor allem bestand ein hoher Bedarf an Zink im Schiffbau und in der Verwendung neuer Farben auf Zinkbasis nicht nur im Bauwesen, sondern auch in Kunst und Malerei40. Diese schrittweise wachsenden, vielseitigen Absatzmärkte werden erst allmählich Gegenstand der wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Forschung. Im Einzelnen kann das hier nicht mehr ausgeführt werden. Besonders intensiv gestaltete sich, das sollte noch betont werden, die Einflussnahme der SVM auf dem rechtsrheinischen

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Vgl. Kalthoff, Carl Heinz, Erfolg durch geniale Männer und eine schöne Frau. Die Vieille Montagne: Belgische Ursprünge des bergischen Bergbaus, in: Rheinisch-bergischer Kalender: Jahrbuch für das Bergische Land, Jahrgang 1987, S. 77–86. Vgl. Hörter, Fridolin, Das Bergwerk Silbersand im Nettetal, in: Mayener Beiträge 14 (2010), S. 43–53; Hörter, Peter, Bergwerk Silbersand bei Mayen, in: Eifelvereinsblatt 17 (1916) 87/89. Stahl, Herbert u. a. (Hg.), Das Erbe des Erzes, Bd. 1–5, Bergisch – Gladbach 2003–2014. Vgl. Dumoulin, Michel / Laloux, Pierre-Olivier, Les Stoclets: Microcosme d’ambitions et de passions, Prologue de Philippe Stoclet, Bruxelles 2011, S. 41–47; Laloux, Pierre-Olivier / Péters, Arnaud, Adolphe Stoclet et l’introduction du procédé Leclaire en Belgique (1845–1855), in: Eck, Jean-François / Tilly, Pierre(Hg.), Innovations et transferts de technologie en Europe du Nord-Ouest aux XIXe et XXe siècles, Bruxelles 2011, S. 179–194.

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Gebiet41. Die Vorgeschichte, der in der Tat langjährigen und guten Verbindungen zu zahlreichen Personen im mittleren Rheinland, nicht nur im Aachen-Eupener Raum, etwa zu den hier tätigen Unternehmerfamilie Hoesch und Haniel, deren Verwandtschaft mit dem britischen Stahlunternehmer W. Cockeril, was die Anwerbung englischer und belgischer Fachkräfte, die der Puddel- und Walz- und Schweißmeister, etwa erleichterte, spielte eine wichtige Rolle42. Ebenso die Kontakte zur Société des Charbonnages et Hauts Fourneaux de l’Espérance-Seraing. Die Unternehmensleitung der SVM war im Grunde seit ihrem Bestehen (1837) bestrebt, Auslandsinvestitionen zu tätigen, frühzeitig über Neutral-Moresnet einen zollfreien Export nach Preußen zu organisieren, wenngleich zuweilen freilich vergeblich43. Die Unternehmensstrategien waren differenziert und nicht ohne Geschick. Die Beteiligung an den Zinkwerken in Eppinghofen über Mülheim/Ruhr, Borbeck bis Oberhausen waren jeweils langfristig überwiegend mit dem Kapital ausländischer Banken strategisch eingefädelt worden44. Mit Hilfe z. B. einer Schein AG, einer „entreprise éphémère“, der „Société des mines et usine sà zinc de la Prusse“ (Rhein-Preußen) mit der sie alsbald 1853 fusionieren sollte, verfolgte die SVM ab Mitte des 19. Jahrhunderts von nun ihre wirtschaftlichen Interessen auf deutschem Boden, ob zu Nutzen des industriellen Strukturwandels im rheinisch-westfälischen Industriegebiets im Sinne der Produktivkräfte in der Zinkbranche, steht auf einem anderen Blatt45. Von gewinnbringender industrieller Zinkproduktion aus Sicht der Unternehmen kann ohnehin erst seit Mitte der 1850er Jahre die Rede sein. Im Vergleich zur Eisen-und Stahlindustrie, der eigentlichen „Wiege der Ruhrindustrie“, die etwa in Oberhausen auf das Jahr 1758 zurückgeht46, also ein Jahrhundert später. 41

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Der Bergische Geschichtsverein Rhein-Berg e. V. hat das Verdienst solche Kontakte ausführlich belegt zu haben. In Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv Bergisch Gladbach sind in fünf sorgfältig recherchierten und professionell gestalteten Bänden mehrere Gruben der Erzlagerstätten im Revier Bensberg, wo möglicherweise schon zur Zeit der Römer Bergbau betrieben worden sei, eingehend untersucht worden. (Anm. 38). Vgl. dazu die Studien von Hans Seeling, Über Wallonen in Berg-, Hütten-und Eisenwerken zwischen Duisburg und Dortmund, in Duisburger Forschungen Bd. 23, Duisburg 1976, S. 106– 150; Wallonische Industriepioniere in Deutschland. Historische Reflexionen mit 140 Abbildungen,, Lüttich 1983; Les Wallons, pionniers de l’indutrie allemande. Considérations historiques, Liège, Wahle 1984; Télémaque, Fortuné, Michiels, der Phoenix und Charles Détillieux – Belgiens Einflüsse auf die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands im 19. Jahrhundert. Schriften zur rheinischen Wirtschaftsgeschichte, Band 38. Hg. Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv Köln, 1996. Susan Becker, Multinationalität, (Anm. 9) S. 91 ff. Teichmann, Gabriele, Das Bankhaus Oppenheim und die industrielle Entwicklungim Aachener Revier von 1836 bis 1855, in: Manfred Köhler / Ulrich Keith (Hg.), Banken, Kultur und Politik. Beiträge zur Geschichte der deutschen Banken im 19. und 20. Jahrhundert, Essen 1995, S. 9–23; vgl. Reif FN 10, S. 27 (Die Rolle des Schaafhausenschen Bankvereins). Vgl. C. Reinhard u. a., Bergbau zwischen Schmelztal, Aegidenberg, Brüngsberg, Nonnenberg und Qirlenbachn in: Arndt, Claudia Maria (Hg.), Von Wasserkunst und Pingen. Erzbergbau im Rhein-Siegkreis und seiner Umgebung, Bd. 25, Siegburg 2005, S. 37. Zeppenfeld, Burkhard, Die Ereignisse: Von der Gründung bis über die Schließung hinaus, in: Landschaftsverband Rheinland (Hg). Rheinisches Industriemuseum, St. Antony-Die Wiege der Ruhrindustrie. Ein „Wirtschaftskrimi“ um die erste Eisenhütte im Revier. Begleitbuch zur Ausstellung in der St. Antony Hütte, Münster 2008, S. 35–87.

ZWISCHENKRIEGSZEIT UND ZWEITER WELTKRIEG

LA CRÉATION DU PORT AUTONOME DE STRASBOURG EN 1926 Une manifestation française de puissance dans un espace rhénan interdépendant Jean-François Eck Résumé En dotant, après 1919, le port de Strasbourg d’un statut qui l’assimile à un port maritime, les pouvoirs publics entendaient en faire une vitrine de modernité pour la France de l’Est et affirmer la puissance française sur le Rhin. L’examen des archives disponibles révèle des réalités plus complexes. Certes le port, confié à des administrateurs de premier plan, favorisé dans la distribution des crédits publics, soutenu par un aménagement de la législation douanière qui renforce ses liens avec Anvers, double sa superficie et se dote d’installations accueillant des trafics porteurs (charbon, pétrole, potasse). Son trafic le classe temporairement au troisième rang en France en 1928–1930. Toutefois les fragilités demeurent. L’industrialisation espérée marque le pas. Bientôt la crise, puis la menace de guerre découragent les implantations. Les succès remportés semblent surtout éphémères. En définitive la période a vu s’affirmer entre les ports rhénans des complémentarités dans un espace qui se caractérise moins par les rivalités que les interdépendances.

Zusammenfassung Nach dem Ersten Weltkrieg verlieh eine neue Verordnung dem Straßburger Hafen den Status eines Seehafens. Die französischen Behörden wollten hiermit ein Schaufenster der neuen Zeit in Ostfrankreich aufbauen und die nationale Macht auf dem Rhein sichern. Doch kommen aus den verfügbaren Archivalien andere Wirklichkeiten hervor. Gewiss konnte der Hafen viele Erfolge verzeichnen: Es war das Ergebnis seiner wirksamen Verwaltung, der Ausschüttung wichtiger Staatskredite und der Verwandlung der Zollpolitik, die die Beziehungen mit Antwerpen enger machte. So verfügte der Hafen über eine doppelt so große Oberfläche und über moderne Einrichtungen, die für Waren wie Kohle, Erdöl und Kali gut geeignet waren. Zwischen 1928 und 1930 rangierte er in Bezug auf den Verkehr an der dritten Stelle unter den französischen Häfen. Doch überdauerten viele Schwächen. Die erwünschte Industrialisierung kam zögerlich voran. Bald ließen Wirtschaftskrise und dann der drohende Krieg von neuen Gründungen absehen. So erwiesen sich die vorigen Erfolge als vergänglich. Insgesamt jedoch gab es zwischen den Rheinhäfen in der Zwischenkriegszeit mehr Ergänzungstendenzen und Interdependenzen als Konkurrenz und Rivalität.

Lorsqu’entre en application, au début de 1926, la loi créant le Port autonome de Strasbourg, votée par le Parlement un an et demi auparavant, l’heure semble venue de la réconciliation entre la France et l’Allemagne, marquée par l’entrée de cette dernière à la SDN et par la prochaine signature d’un traité de commerce entre les

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deux anciens adversaires. Telle n’est pourtant pas la mission assignée à la nouvelle institution. Ainsi le rapporteur au Sénat du projet de loi, Albert Mahieu, la décrit comme une « œuvre nationale, conséquence nécessaire de notre victoire, qui consiste à tirer profit largement de cette activité pour le développement de nos régions de l’Est et du Sud-Est »1. Aujourd’hui encore on y voit souvent un instrument de domination au service d’une politique de puissance, voire d’un impérialisme recouvrant un désir de revanche destiné à satisfaire les intérêts alsaciens. Mais ne peut-on y trouver aussi l’expression d’une volonté modernisatrice ? Et l’affirmation de la puissance ne s’accompagne-t-elle pas de la recherche de complémentarités entre le port alsacien et ses voisins dans un espace rhénan où les interdépendances comptent autant que les rivalités ? Qu’en est-il en réalité ? La consultation des archives disponibles2 permet d’apporter quelques éléments de réponse. Nous le ferons en montrant l’originalité de l’organisme créé par la France en 1926, puis en analysant la manière dont il a été mis au service des objectifs divers, parfois contradictoires, de la politique rhénane de la France, enfin en dressant un bilan des résultats qu’il a obtenus à la veille de la Seconde Guerre mondiale. UNE CRÉATION ORIGINALE « Strasbourg port de mer » : telle est l’expression figurant dans les textes, et notamment dans la loi promulguée le 26 avril 1924. Comment comprendre ce choix apparemment saugrenu qui qualifie de maritime un port éloigné des côtes de la mer du Nord de 570 km ? Pourquoi cette assimilation ? Jusqu’où a-t-elle été poussée ? En fait la formule adoptée pour la création du Port autonome de Strasbourg n’est pas neuve. Elle ne fait que transposer, avec un décalage chronologique de quatre années, à un port fluvial situé à l’intérieur des terres le cadre fixé en 1920 pour les grands ports maritimes. Dans certains dossiers de préparation de la loi destinée à Strasbourg, on s’est même borné à biffer sur le texte imprimé les mentions « Bordeaux » et « Le Havre » pour les remplacer par l’indication manuscrite « Strasbourg »3.

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Journal officiel, Débats parlementaires, Sénat, annexe au procès-verbal de la séance du 20 mars 1924, p. 27. Ancien ingénieur des Ponts et Chaussées, représentant de la France à la Commission centrale pour la navigation du Rhin, sénateur du Nord, Albert Mahieu devient ministre de l’Intérieur du gouvernement Tardieu en 1932. Pour l’essentiel, celles du Port autonome de Strasbourg conservées aux Archives départementales du Bas-Rhin (désormais ADBR) complétées par les séries consultables aux Archives diplomatiques, site de La Courneuve (désormais AMAE), ainsi que par les délibérations de l’Assemblée permanente des présidents de chambres de commerce, consultables au Service des archives de la Chambre de commerce et d’industrie de Paris. Comme le souligne Antoine Beyer dans une communication inédite à la 6th Transnational Rhine Conference, Rotterdam, 14–16 avril 2016 qu’il nous a aimablement permis d’utiliser, « How to cope with state intervention in municipal property ? The creation of the Autonomous Port of Strasbourg in 1926 and its effects on the port administrations of Strasbourg and Kehl (1918–1926) ».

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Pour justifier ce choix, le rôle des géographes s’avère déterminant. Les dossiers rassemblés après 1919 s’appuient sur leurs études, publiées autour de la guerre4, pour montrer, à grand renfort de cartes, statistiques et barèmes commerciaux, que, pour une denrée comme le charbon remontant le fleuve depuis Rotterdam ou Anvers, les prix pratiqués restent compétitifs avec ceux des charbons débarqués à Dunkerque, Le Havre ou Rouen gagnant leur destination par voie ferrée à l’intérieur d’un vaste hinterland allant de l’Alsace à la région lyonnaise et de la Champagne à la Suisse. Pour que le port de Strasbourg puisse y tenir son rôle, il faut en étendre et moderniser les installations. À cette fin, a été inséré dans le traité de Versailles l’article 65 qui, en rassemblant dans un même organisme les ports de Strasbourg et de Kehl sous l’autorité d’un directeur obligatoirement français nommé par la Commission centrale du Rhin durant six années, procure le délai nécessaire à l’achèvement des travaux d’extension. Faute de le tenir, il faudrait déposer auprès de la Commission une demande de prolongation pour une durée maximale de trois années supplémentaires, ce qui, compte tenu des tensions entre ses membres, n’irait pas sans difficultés. Il est donc urgent de doter le port d’un statut permettant une avancée rapide des travaux. C’est l’objet de la loi promulguée en avril 1924, quelques jours avant la victoire électorale du Cartel des gauches. Elle associe l’État à la municipalité de Strasbourg, transposant les dispositions prévues en 1920 pour les ports maritimes. Avant 1914 en effet, le port de Strasbourg, comme d’autres de l’espace rhénan, était de statut municipal. En France par contre, les ports maritimes sont gérés par les chambres de commerce. Comme, à Strasbourg, les autorités consulaires n’interviennent pas dans les affaires portuaires, on ne pouvait les associer à l’État. Aussi, préalablement au projet de loi, une convention a-t-elle été passée entre l’État et la municipalité, fixant leurs droits et obligations respectifs. L’État prend à sa charge tous les travaux d’extension et s’engage à doubler la superficie disponible, tandis que la Ville administre le port par l’intermédiaire d’un conseil où elle dispose, tout comme lui, de 6 représentants, tandis que la Chambre de commerce, le Conseil général du Bas-Rhin et les ouvriers du port n’en ont chacun qu’un. Ce conseil vote le budget annuel soumis à l’approbation ministérielle, propose au gouvernement le nom du directeur, donne son avis sur les chefs de service désignés par le ministre des Travaux publics. Par un autre trait, le Port autonome de Strasbourg mérite de retenir l’attention : le recours à l’économie mixte. Les années 1920 voient en France la création de nombreuses sociétés de ce type qui associent capitaux publics et privés à l’intérieur d’entreprises autonomes dotées de la personnalité juridique. Certaines, de vastes dimensions, sont chargées de l’équipement hydroélectrique, de l’aménagement des voies navigables ou de l’approvisionnement en hydrocarbures. D’autres, dans un cadre municipal, assurent la distribution d’électricité, la construction de logements bon marché ou l’équipement en transports collectifs. Deux décrets-lois pris par le gouvernement Poincaré en 1926 en encouragent la formation. En Alsace, cette 4

Notamment les articles intitulés « Le port de Strasbourg » publiés dans les Annales de géographie par Paul Léon (1903) 61, p. 67–72 et par Lucien Gallois (1919) 156, p. 414–421, tous deux conservés aux ADBR (59 J 18).

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vogue rencontre d’autant plus d’écho qu’elle correspond à une tendance préexistante. Dès avant 1914, les communes ont utilisé cette formule pour développer l’éclairage public dans de grandes agglomérations comme Mulhouse et Strasbourg, mais aussi des villes moyennes ou des régions rurales, reprenant des sociétés fondées par des industriels locaux associés à des groupes allemands ou suisses de l’industrie électrotechnique. Parallèlement, en 1902, René Koechlin propose d’associer capitaux publics et privés pour construire à Kembs un grand barrage sur le Rhin combiné au creusement d’un canal latéral de Strasbourg à Bâle5. Dès avant la guerre, existe donc en Alsace une tendance davantage marquée que dans le reste de la France pour confier à l’économie mixte de multiples tâches. Le Port autonome de Strasbourg en est le prolongement. Pour le diriger on choisit des hommes de premier plan, conformément à la politique qui les attire prioritairement vers les départements recouvrés. Ses directeurs successifs, Auguste Detoeuf puis Gaston Haelling, en sont des exemples caractéristiques. Leurs personnalités ressort bien de leur correspondance conservée dans les archives du Port autonome. Nés à trois ans d’intervalle, en 1883 et 1886, ils sont presque contemporains. Leur carrière est parallèle, pour ne pas dire identique. Polytechniciens, membres du corps des Ponts et Chaussées, d’abord affectés dans des ports de l’ouest français, ils sont durant la guerre mobilisés dans le Génie. Detoeuf organise à Rouen le trafic sur la Basse-Seine, tandis qu’Haelling, à l’état-major du maréchal Foch, travaille aux clauses du traité de paix concernant la navigation rhénane. Tous deux ont le grade d’ingénieur des Ponts et Chaussées au moment où, relativement jeunes (36 ans pour Detoeuf, 39 ans pour Haelling), ils deviennent directeurs du port de Strasbourg, respectivement en 1919 et 19236. Mais les ressemblances s’arrêtent là. Appartenant à une famille de marchands de liqueurs de Saint-Omer, natif de Lens, Detoeuf n’a pas de liens avec la France de l’Est alors qu’Haelling est le fils d’un médecin alsacien établi en banlieue parisienne après 1871. Curieux de tout, Detoeuf entretient de multiples contacts dans le monde scientifique. Il paraît mal adapté aux réalités quotidiennes, soucieux de réfléchir à l’avenir de la science, à la portée de l’exemple américain ou l’évolution du capitalisme français. En fait, cette « conscience du patronat français », pour reprendre le titre d’un article bien connu7, qui sera après son départ de Strasbourg directeur général de Thomson-Houston, ne néglige pas pour autant les mandats d’administrateur au sein de très nombreux groupes. Contrairement à lui, Haelling semble entièrement absorbé par ses occupations professionnelles. Multipliant les conférences et articles de revues, auteur d’un ou5 6

7

Bernard Vogler / Michel Hau, Histoire économique de l’Alsace. Croissance, crises, innovations : vingt siècles de développement régional, Strasbourg, La Nuée bleue, 1997, p. 223–227. Bulletin du PCM (Association professionnelle des ingénieurs des Ponts et Chaussées et des Mines), janvier 1928, p. 19 et 27. Les autres informations sont tirées des notices de dictionnaires biographiques (pour Detoeuf : Pierre Lanthier, notice dans Jean-Claude Daumas (éd.), Dictionnaire historique des patrons français, Paris, Flammarion, 2010, p. 237–239 ; pour Haelling : Jean-Pierre Kintz (éd.), Nouveau dictionnaire de biographie alsacienne, t. XIV, Strasbourg, Fédération des sociétés d’histoire et d’archéologie d’Alsace, 1989, p. 1365–1366). Richard F. Kuisel, « Auguste Detoeuf, concience of French industry: 1926–1947 », International review of social history, 20 (1975) 2, p. 149–174.

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vrage de référence paru en 1921, Le Rhin politique, économique, commercial8, il ajoute à ses fonctions au Port autonome des charges d’enseignement, voyage beaucoup, répond sans tarder aux demandes de recommandations qu’il reçoit. C’est un homme aussi occupé que puissant, ce qui lui vaut le qualificatif ironique de « dieu du Rhin » de la part de Paul Vidal, inspecteur général des Ponts et Chaussées et beau-père de l’historien Marc Bloch9. Certes il devient, après son départ de la direction du Port autonome en 1938, directeur général d’une grande entreprise nationale, la Société de construction des Batignolles, alors dans une phase difficile de son histoire. Mais il n’en reste pas moins fondamentalement attaché à l’Alsace. Nommé préfet du Bas-Rhin par le général de Gaulle durant quelques mois lors de la Libération, il préside ensuite la Cellulose de Strasbourg et la Société alsacienne de développement économique destinée à attirer vers la région de nouveaux investissements industriels. Habitués à travailler ensemble, se tutoyant, proches l’un de l’autre, les deux hommes gèrent au quotidien le Port autonome, avec l’appui du ministère des Travaux publics qui les y a désignés. C’est en effet Yves Le Trocquer, alors chef de cabinet du ministre Albert Claveille, qui, l’ayant remarqué lors d’une tournée d’inspection en Basse-Seine, fait nommer Detoeuf directeur du port, encore inconnu à Strasbourg où son nom est écorché en « Detauf »10. De même, Haelling, membre des délégations qui suivent l’application des clauses du traité de paix, est nommé directeur des ports de Strasbourg et de Kehl par Yves Le Trocquer devenu ministre. Lui aussi n’est pas connu des autres grandes administrations, notamment du Quai d’Orsay dont le sous-directeur des Affaires commerciales Jacques Seydoux l’appelle « M. Hélingue »11. Avec d’autres comme René Mayer, représentant de l’État au conseil d’administration du Port autonome, ou René de Peyrecave, directeur de la Compagnie générale pour la navigation du Rhin, ils appartiennent à une même génération. Nés entre 1883 et 1895, encore jeunes, dotés d’une solide formation (les grandes écoles d’ingénieurs, l’École libre des sciences politiques, seul de Peyrecave n’ayant fait « que » HEC, au diplôme alors dépourvu de prestige), ayant pris une part active, parfois glorieuse, à la guerre (Detoeuf, blessé en 1915, est décoré de la croix de guerre, de Peyrecave a été officier d’aviation et chef d’escadrille), soucieux de réalisations concrètes face à l’Allemagne, ils seront ensuite appelés à de hautes fonctions (la direction générale des usines Renault pour de Peyrecave, la Compagnie du chemin de fer du Nord pour Mayer, avant son engagement dans la France libre, les 8

9 10 11

Publié chez Eyrolles en 1921, avec une préface d’Albert Claveille, 296 p. ; 2e édition, en collaboration avec Jean Majorelle, en 1930. Le publiciste et homme politique Eugène Florent-Matter, proche de la Ligue des patriotes, auteur avant 1914 d’ouvrages sur le sentiment pro-français en Alsace-Lorraine, écrit à Haelling le 22/2/22 en avoir recommandé l’achat aux bibliothèques de la Ville de Paris (ADBR, 59 J 60). ADBR, 59 J 60, Paul Vidal à Gaston Haelling, 18/12/22, sollicitant une entrevue pour un ami qui rédige une thèse sur l’économie du pétrole. ADBR, 59 J 58, Millerand, commissaire général de la République, au maréchal Foch, commandant en chef des forces alliées et associées, 7/7/19. AMAE, 108 CPCOM, dossier 9, compte rendu d’une réunion sur la demande de prolongation de l’organisme commun Strasbourg-Kehl, 9/12/25.

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postes ministériels, puis la présidence du Conseil sous la Quatrième République). Pour eux, le Port autonome forme une étape dans l’accès aux grandes responsabilités. Mais comment celui-ci s’acquitte-t-il de la mission qui lui a été impartie ? UN RÔLE MULTIFORME AU SERVICE DE LA POLITIQUE RHÉNANE DE LA FRANCE La tâche du Port autonome de Strasbourg est d’autant plus ardue qu’il doit atteindre simultanément des objectifs d’ordre diplomatique et militaire, mais aussi économique, les uns situés à l’échelle nationale, d’autres au niveau régional, voire local. Cette diversité et les inévitables contradictions qui en découlent reflètent la multiplicité d’orientations de la politique rhénane de la France et la pluralité des centres de pouvoir qui y interviennent : ministères comme les Travaux publics, les Affaires étrangères, la Guerre, grandes administrations comme le Commissariat général de la République à Strasbourg. Entre eux, tout est prétexte à rivalités et conflits, feutrés ou ouverts, plus ou moins arbitrés par la présidence du Conseil : les choix effectués pour tel ou tel poste, les lieux de réunion, enfin, plus profondément, la conception même de la politique rhénane. En 1919–1920, aux Affaires étrangères, on est fort dépité que, lors de la désignation des représentants français à la Commission centrale du Rhin, les Travaux publics en aient obtenu à la fois la présidence (Albert Claveille) et trois sièges sur quatre, le dernier revenant au Commissariat général et à son directeur des services du Commerce et de l’Industrie Erwin Berninger. Des désaccords existent aussi sur le lieu où doivent se tenir les réunions consacrées à la politique rhénane : tandis qu’Albert Claveille souhaiterait que ce fût Paris, le Commissariat général préférerait Strasbourg. Plus grave encore : les grands projets, pour le ministère des Travaux publics, se limitent à des réalisations matérielles, tandis que les Affaires étrangères privilégient le rééquilibrage des forces entre les pays riverains du fleuve. La politique rhénane manque d’unité et de cohérence. Les objectifs assignés au Port autonome le montrent à l’évidence. Le premier consiste à réaménager l’espace rhénan à travers une forte impulsion donnée au trafic portuaire. Jusqu’en 1914, celui de Strasbourg demeurait médiocre face aux ports allemands voisins, notamment Mannheim que beaucoup en Alsace estimaient abusivement favorisé par les autorités allemandes en tant que point terminal de la navigation sur le Rhin et port d’approvisionnement de la Suisse. Désormais un rôle particulier doit revenir à Strasbourg, en tant que « véritable port d’importation de l’Est de la France » pour reprendre une expression empruntée par Detoeuf aux géographes proches de Vidal de La Blache12. Pour ce faire, la législation douanière facilitera l’acheminement vers Strasbourg des produits importés depuis Rotterdam et Anvers. Dès les lendemains de l’armistice, la chambre de commerce demande que les approvisionnements destinés à Strasbourg et transitant par la voie rhénane échappent à la surtaxe d’entrepôt et 12

ADBR, 59 J 18, texte intitulé « Strasbourg port de l’Est », vraisemblablement destiné à un article ou une conférence, 3/5/21.

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à la surtaxe d’origine qui frappent depuis 1892 tous les produits importés d’outremer ou du reste de l’Europe par des ports non français. Bien entendu, les ports français de la Manche et de la mer du Nord s’y opposent vigoureusement par l’intermédiaire de leurs chambres de commerce et des compagnies ferroviaires qui les desservent, notamment la Compagnie du chemin de fer du Nord et son directeur de l’exploitation Paul-Émile Javary. Lorsque, participant pour la première fois à l’Assemblée permanente des présidents de chambres de commerce, Strasbourg présente ses « vœux relatifs au traité de paix », sa demande est écartée de l’ordre du jour parce que, comme le déclare par la suite le président de la Chambre de commerce de Lyon, « on a décidé de ne pas [l’y] mettre (…) parce que nous n’étions pas d’accord »13. Un an plus tard, après de laborieuses discussions, on parvient à une transaction : les produits destinés à Strasbourg en provenance d’Anvers sont exemptés des surtaxes d’entrepôt et d’origine à condition de ne pas être entreposés dans un port intermédiaire (importations dites « en droiture »), sauf pour six catégories de produits majoritairement coloniaux pour lesquels des bourses existent au Havre et à Dunkerque. Ce système est étendu en 1921 aux importations faites par tous les ports belges, puis à celles empruntant la voie ferrée vers Thionville. Quant à Rotterdam qui, étant donné la neutralité observée par les Pays-Bas pendant la Première Guerre mondiale, ne dispose pas en France du même capital de sympathie qu’Anvers, il doit attendre, pour bénéficier de cet avantage, avril 1939, date à laquelle la configuration des rapports internationaux impose de faire droit aux revendications néerlandaises. D’autre part, la réorganisation de l’espace rhénan implique que la concurrence faite à Strasbourg par les ports allemands soit bridée. Strasbourg reçoit le droit d’utiliser les installations de plusieurs d’entre eux. Kehl, placé sous administration commune avec lui jusqu’en juillet 1928, après une prolongation de dix-huit mois obtenue de la Commission centrale du Rhin, lui procure les longueurs de quais et superficies nécessaires à ses travaux d’extension, et donc les moyens de « prendre sa revanche »14. La flotte rhénane qui y est basée, naguère composée exclusivement de navires appartenant à des armements allemands, est désormais propriété de compagnies françaises, dont la Compagnie générale pour la navigation du Rhin, contrôlée par l’État associé à des collectivités publiques, de grands réseaux ferroviaires (Alsace-Lorraine et Est, mais pas le Nord, défenseur, on l’a vu, des intérêts dunkerquois) et des entreprises chargées de tâches d’intérêt général comme les Potasses d’Alsace ou l’Office des houillères sinistrées du Nord et du Pas-de-Calais. Mais, en plus de son rôle dans la réorganisation de l’espace rhénan, le Port autonome de Strasbourg doit permettre la modernisation économique, tant de l’Alsace que de l’ensemble de la France. Pour ce faire, il faut d’abord améliorer les liaisons entre Strasbourg et son arrière-pays en renforçant les équipements existants ou en 13 14

Archives de la Chambre de commerce de Paris, Assemblée permanente des présidents de chambres de commerce, séance du 27/1/19, p. 146–148. C’est l’industriel de la chimie Jean Coignet qui préside à cette date la Chambre de commerce de Lyon. Selon l’expression employée par le secrétaire général de la Chambre de commerce Marc Lucius dans des conférences à la Faculté de droit de Strasbourg (Le Rhin et le port de Strasbourg, Paris, Dunod, 1928, p. 60).

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en créant de nouveaux. Deux hommes politiques jouent ici un rôle de premier plan. Le premier, Alexandre Millerand, lors d’un passage au Commissariat général de la République riche en initiatives de toutes sortes15, esquisse les axes d’un véritable plan d’équipement : amélioration des voies navigables reliant Strasbourg au reste de la France, les canaux de la Marne au Rhin et du Rhône au Rhin qui seront mis à gabarit supérieur ; percée des Vosges par une voie ferrée joignant Mulhouse à Remiremont en franchissant par tunnel le col de Bussang. Le second, André Tardieu, ministre des Travaux publics dans le gouvernement de Raymond Poincaré en 1926–1928, poursuit la réalisation du plan projeté auparavant et l’améliore sur plusieurs points. Le halage électrique est introduit sur les canaux de l’Est et du Nord, aux frais de l’État, des chambres de commerce et des municipalités riveraines, ce qui réduit de moitié la durée du trajet par rapport à la traction animale. Le projet esquissé avant la guerre de canal latéral au Rhin entre Strasbourg et Bâle et de grand barrage hydro-électrique est relancé. Enfin les travaux d’extension et de modernisation du port de Strasbourg sont poursuivis énergiquement, le ministre se rendant sur place pour l’inauguration du nouveau bassin aux Pétroles le long duquel s’installent une centrale d’électricité et la Société alsacienne des carburants. Il paraît significatif que le Port autonome de Strasbourg assume une large part de cette action modernisatrice, souvent éclipsée par les luttes politiques, affrontements idéologiques et échecs diplomatiques de l’entre-deux-guerres16. Outre les approvisionnements en pétrole et la fourniture d’électricité, Strasbourg doit jouer un rôle important pour la mise à disposition de la collectivité nationale d’autres sources d’énergie et de matières premières. Le charbon, majoritaire dans le trafic portuaire avant la guerre, était pour l’essentiel redistribué vers le reste de l’Empire allemand et la Suisse. Pour qu’il bénéficie à l’ensemble de l’économie française, on installe de puissants équipements, dont un appareil à transbordement de cokes, et on recherche avec le Kohlensyndikat un accord à long terme permettant la poursuite des livraisons de charbon à des conditions avantageuses. Après un premier échec dû au désir des Allemands de se réinstaller à Strasbourg où ils disposaient avant 1914 d’un quasi-monopole, André Tardieu charge René Mayer, ancien représentant de l’État au conseil d’administration du Port autonome, de mener les négociations. Elles débouchent sur une convention, signée à Essen en 1930, prévoyant l’acheminement vers Strasbourg, sur base paritaire, des charbons de la Ruhr, à des prix abaissés par une prime à la charge du Trésor français, puis leur livraison dans douze départements. Son application est confiée à un nouvel organisme, la SICAP (Société d’importation des charbons et autres prestations),

15 16

Isabelle Lespinet-Moret, « Alexandre Millerand haut-commissaire de la République à Strasbourg, mars 1919 – janvier 1920 : l’expérience globale », Les cahiers du Comité d’histoire (2010) 12, p. 25–34. Pourtant complète, la biographie de François Monnet, Refaire la République. André Tardieu, une dérive réactionnaire (1876–1945), Paris, Fayard, 638 p., n’évoque pas le rôle joué par André Tardieu avant son arrivée à la présidence du Conseil et la mise œuvre de la « politique de prospérité ».

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présidée par René de Peyrecave17. C’est enfin Strasbourg qui devient le principal port d’expédition des potasses extraites du gisement du Haut-Rhin, base d’une production d’engrais indispensables à la modernisation agricole, en partie exportés par l’intermédiaire d’Anvers à des prix fixés en accord entre la Société commerciale des potasses d’Alsace et le Kalisyndikat allemand. Témoignant d’un bel optimisme, Marc Lucius, secrétaire général de la Chambre de commerce de Strasbourg, affirmait en 1928 : « Le Rhin sera le baromètre de la force de la vitalité française. C’est pourquoi nous sommes convaincus qu’en défendant la navigation rhénane, nous défendons en même temps les intérêts supérieurs et permanents de la France » ?18. Les réalités répondent-elles à ces espoirs ? DES RÉSULTATS EN DEMI-TEINTE Malgré les attentes qu’il a suscitées, le Port autonome de Strasbourg n’a pas obtenu que des succès. De sérieuses déconvenues rendent le bilan moins brillant qu’on pouvait l’espérer. Parmi les aspects positifs, le premier, non des moindres dans un domaine où le prestige compte autant que les réalités, est d’avoir fait du port de Strasbourg une vitrine attractive pour les visiteurs, illustres ou non, français ou étrangers, isolés ou en groupe. Ses directeurs successifs les accueillent volontiers, leur montrant les travaux en cours d’exécution, suscitant eux-mêmes des visites en une véritable action de lobbying. C’est le cas par exemple de directeurs d’administrations portuaires comme Bordeaux-Bassens ou Le Havre ou bien d’élus de villes appartenant à l’hinterland de Strasbourg comme Belfort ou Reims. Lors du vote du statut du port, Lucien Lamoureux, rapporteur à la Chambre du projet de loi, en fait une visite approfondie. Certains sont attirés par le caractère spectaculaire des réalisations. D’autres saisissent la possibilité de discuter affaires comme Henry de Peyerimhoff, président du Comité des houillères de France, de passage pour un conseil d’administration de Pechelbronn. D’autres encore, par leurs hautes fonctions, attirent les intervenants. Ainsi, le ministre du Commerce Eugène Raynaldy, en voyage en Alsace en septembre 1924, est reçu par la Chambre de commerce de Strasbourg, puis préside un banquet d’une soixantaine de convives. Les intervenants s’y pressent, car le moment est crucial : à la conférence de Londres, le président du Conseil Edouard Herriot n’a pu obtenir des anciens alliés de la France, en échange de l’évacuation de la Ruhr, la prolongation de la franchise douanière de cinq ans accordée par l’article 68 du traité de Versailles aux départements recouvrés pour leurs exportations vers l’Allemagne. Présent dans l’assistance, Humbert de Wendel 17

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ADBR, 59 J 90, présentation de la convention au conseil d’administration du Port autonome par Gaston Haelling, 27/9/30. Auparavant René Mayer a quitté le service public pour la vice-présidence de la Compagnie du chemin de fer du Nord et le conseil d’administration de la banque Rothschild. Sur les négociations, voir René Mayer, études, témoignages, documents, réunis et présentés par Denise Mayer, Paris, PUF, 1983, p. 34–35 et 381–384. Sur la SICAP, voir Sylvain Schirmann, Les relations économiques et financières franco-allemandes 1932– 1939, Paris, Comité pour l’histoire économique et financière, 1995, p. 109 et suivantes. Le Rhin et le port de Strasbourg, op. cit., p. 22.

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prévient : « La non-prolongation du 68 aurait des répercussions très graves sur la Moselle »19. D’autres interventions portent sur des questions juridiques, fiscales ou financières. La visite ministérielle permet des échanges de vues et d’informations sur tous les problèmes du jour. Le deuxième aspect positif est le renforcement des liens entre Strasbourg et ses partenaires de l’espace rhénan. Parmi eux, s’impose le cas d’Anvers. Un comité paritaire, institué dès 1920, rassemble des représentants belges et français. Siégeant alternativement dans chacune des villes, il suit les questions d’intérêt commun, notamment le remorquage gratuit entre Anvers et Dordrecht pris en charge par le gouvernement belge pour compenser l’allongement de distance qui désavantage Anvers par rapport à Rotterdam dans ses relations avec Strasbourg. À Anvers une large part du trafic se fait avec le port alsacien : aux entrées, les céréales, les bois, la cellulose ; aux sorties, la potasse pour laquelle Anvers détient un quasi-monopole. Entre les deux ports, l’interdépendance est évidente. Inversement, à l’autre extrémité du couloir rhénan, les rapports avec Bâle, d’abord distants, s’améliorent au fil du temps. Même si certains spécialistes des questions de navigation critiquent le projet de Grand canal d’Alsace, le grand patronat suisse de la chimie et des matériaux de construction le soutient pour les approvisionnements à bas prix qu’il doit procurer. Grâce à la création du Port autonome, les interdépendances l’emportent sur les rivalités. Enfin, troisième élément positif, la rapidité de l’essor du trafic portuaire, du moins jusqu’en 1930 : Une étude faite au début des années 1950 en souligne la progression20. Les tonnages, aux entrées comme aux sorties, croissent régulièrement, sauf en 1921 par suite de la crise qui affecte toutes les économies développées. Leur taux de croissance annuel moyen de 1920 à 1930, identique à celui des crédits publics exprimés en francs constants, atteint le rythme très élevé de 14,6 %. Cet essor distingue Strasbourg des ports rhénans allemands. Tandis qu’en 1930 le trafic y représente près du triple de celui d’avant la guerre, Duisburg-Ruhrort, Mannheim et Ludwigshafen enregistrent un recul ou une stagnation. La tendance est analogue face aux autres ports français : classé 6e en 1913, Strasbourg devient 3e en 1928, derrière Marseille et Rouen, mais avant Le Havre et Dunkerque. Enfin, à Strasbourg, le trafic est moins déséquilibré qu’ailleurs en faveur des entrées : formant 84 % du total en 1919, elles sont ramenées à 54 % en 1930. Les choix faits dès l’immédiat après-guerre semblent donc justifiés. Des éléments négatifs assombrissent pourtant ce tableau. L’essor du trafic portuaire s’avère fragile. Dès 1931, la crise suscite un tassement, puis un repli que ne compense pas la reprise conjoncturelle d’avant-guerre. En 1938 le recul est de 15 % par rapport à 1930, moindre certes qu’à Rouen, Bordeaux ou Dunkerque, contrastant cependant avec Marseille ou Le Havre dont le trafic continue à progresser. Strasbourg qui se

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ADBR, 59 J 18, notes manuscrites au crayon, peut-être de Gaston Haelling, 15/9/24. André Trinquet, Le port autonome de Strasbourg, grand port français sur le Rhin, préface de René Graff, Strasbourg, Imprimerie des Dernières nouvelles de Strasbourg, 1951, XI–442 p. L’auteur est chef de l’administration générale du Port autonome.

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situait au 3e rang en 1928 redescend au 4e dix années plus tard. La part très élevée des matières premières et des produits énergétiques, davantage affectés par la crise que d’autres catégories de denrées, semble responsable de cette évolution, ainsi que les tarifs préférentiels accordés aux ports concurrents par les compagnies ferroviaires qui gênent le développement de trafics rémunérateurs comme les bois de Scandinavie ou les céréales d’Amérique. À ces déconvenues s’en ajoutent d’autres. Les compagnies de navigation lancées en 1919, à grand renfort de crédits publics et traitements préférentiels, périclitent. Peu rentables par suite de leur taille ou d’une gestion non rationalisée, certaines doivent être renflouées comme la Société française de remorquage sur le Rhin, filiale de la CGNR. De plus, Strasbourg peine à s’affirmer comme « grand port de la France de l’Est ». Ses relations avec la Lorraine restent difficiles. En 1921, la Chambre de commerce de Nancy critique la dispense des surtaxes d’entrepôt et d’origine qui lui a été accordée ainsi qu’à Thionville, y voyant « deux poids et deux mesures : l’une pour les départements d’Alsace et de Lorraine dont les industries sont à peu près intactes, l’autre pour les départements sacrifiés, nord de la Meurthe-et-Moselle et Ardennes notamment, qui le seraient une fois de plus »21. Enfin, malgré l’ampleur des réalisations, le port de Strasbourg peine à constituer autour de lui un véritable pôle industriel. En 1930, son conseil d’administration s’alarme du retard mis par des entreprises comme Saint-Gobain à leurs projets d’installation. Certains membres en rendent responsables les tensions sociales ainsi que l’alliance entre les autonomistes alsaciens et le parti communiste qui a permis à ce dernier de conquérir l’hôtel de ville. Une vigoureuse passe d’armes oppose à ce sujet le premier adjoint Michel Walter et ceux qui jugent « logique que des industriels hésitent à s’installer dans un port où la main-d’œuvre qu’ils emploieront sera sous l’influence communiste et leurs biens sous la menace »22. Devenu enjeu dans les luttes politiques, le Port autonome subit aussi les répercussions des tensions internationales. À partir de la remilitarisation de la Rhénanie, sa situation exposée en cas de conflit exerce un effet dissuasif sur les investissements. Les autorités militaires font différer un projet d’implantation de raffinage pétrolier au profit du centre installé depuis quelques années à Donges, en Basse Loire. En 1939, l’activité industrielle strasbourgeoise n’est guère supérieure à son niveau d’avant 1914. Les minoteries, tanneries, brasseries et chocolateries sont nombreuses, mais le tissu productif manque d’industries fabriquant des produits intermédiaires et des biens d’équipement, une lacune qui renvoie aussi à un trait de mentalité, car la bourgeoisie d’affaires reste identique à ce qu’elle a toujours été : dominée par le négoce, la banque, l’armement naval, mais pauvre en industriels.

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AMAE, 27 RC 122, Lucien Dior, ministre du Commerce, à Aristide Briand, président du Conseil, rapportant les propos du député de Nancy Georges Mazerand, 21/3/21. ADBR, 59 J 90, séance du conseil d’administration, p. 9, intervention de Georges Becker, propriétaire des Grands moulins de la Ganzau, 15/1/30.

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CONCLUSION Quelle est la portée, en définitive, de la création du Port autonome de Strasbourg ? Il paraît vain de la réduire à une dimension politique et diplomatique et d’y voir seulement l’affirmation de la présence française sur le Rhin ou d’une volonté de revanche sur l’Allemagne de la part des Alsaciens, sauf sans doute en ce qui concerne Kehl. Le port a été aussi un outil de modernisation au service d’une collectivité nationale qui, vue au prisme strasbourgeois, semble moins passéiste qu’on le dit parfois. D’autre part, dans l’espace rhénan, les interdépendances, davantage que les rivalités, ont permis au port alsacien de remporter la plupart de ses succès. Enfin, ultime remarque, l’évolution observée ici est riche en éléments de continuité. L’absence de surtaxes d’entrepôt et d’origine pour les importations acheminées par le Rhin perpétue pour Strasbourg la situation d’avant 1914, dans un Empire allemand plus ouvert sur l’extérieur que la France méliniste. La recherche de l’industrialisation portuaire, difficile durant l’entre-deux-guerres, le reste après 1945. L’encadrement par l’État des échanges de charbon et de potasse mis en place dans les années 1930 préfigure, avec d’autres méthodes, les réalisations des années 1950. On pourrait trouver d’autres traits semblables. Ils forment autant d’incitations à replacer l’étude du Rhin dans la longue, voire la très longue durée.

DIE „AFFÄRE ROUZIER“ UND DIE DEUTSCH-FRANZÖSISCHE VERSTÄNDIGUNGSPOLITIK IM HERBST 1926 Karin Trieloff Zusammenfassung Der Beitrag zeigt, wie ein Wirtshausstreit zwischen französischen Besatzungssoldaten und deutschen Einwohnern im rheinhessischen Germersheim in der nach wie vor angespannten Situation des Jahres 1926 zu einer außenpolitischen Belastung zwischen dem Deutschen Reich und Frankreich werden konnte. Die mit den Verträgen von Locarno eingeleitete Verständigungspolitik zwischen Deutschland und Frankreich war auf der lokalen Ebene nicht unmittelbar zu erkennen. Während das Jahr 1926 zu einem Jahr der Entspannung für die deutsch-französische Außenpolitik werden konnte, war dies auf besetztem Gebiet nicht unbedingt unmittelbar zu merken.

Résumé L’article montre comment une bataille entre un habitant allemand de Germersheim et un officier français a déclenché une crise diplomatique entre la France et l’Allemagne. Il n’a alors pas une relation directe entre la politique de coopération dans le contexte des accords de Locarno d’un côté et le niveau régional de l’autre. Bien que l’année 1926 fût un pas décisif de détente entre les deux pays les tensions dans la Rhénanie persistaient.

Noch sind die Reden der Staatsmänner in Genf nicht ganz verklungen; noch zittert in uns allen leise Hoffnung, daß jetzt, nach Genf und Thoiry sich alles wenden müsse, da zerreißt wieder einmal eine jener Schreckensnachrichten die ganze Friedensstimmung, die geeignet ist, das Verständigungswerk res tlos in F rage zu stellen.1

Die Ereignisse jener Schreckensnachricht, von der hier die Rede war, hatten sich in der Nacht vom 26. auf den 27. September 1926 zugetragen und sollten als „Affäre Rouzier“ Bekanntheit erlangen. Sie hatten sich ereignet, nur zwei Wochen nachdem die „Verträge von Locarno“ in Kraft getreten waren. Diese Abkommen besiegelten nicht nur Deutschlands Beitritt zum Völkerbund, sondern werden gemeinhin auch als Wendepunkt im deutsch-französischen Verhältnis gewertet.2 In jener tragi1 2

O. V., So geht es nicht weiter, in: Pfälzische Rundschau 27 (1926), Nr. 265 vom 28.09.1926, S. 1. (Hervorhebung im Original) Zur Bedeutung der „Verträge von Locarno“ für das deutsch-französische Verhältnis in der Zwischenkriegszeit vgl. Ralph Blessing, Der mögliche Friede. Die Modernisierung der Außenpolitik und die deutsch-französischen Beziehungen 1923–1929, München, Oldenbourg, 2008; Vgl. auch Patrick O. Corhs, The Unfinished Peace after World War I. America, Britain and the Stabilisation of Europe. 1919–1932, Cambridge (u. a.), Cambridge Univ. Press, 2006,

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schen Nacht war es im pfälzischen Germersheim, einer Kleinstadt in der Nähe von Landau, zu einem Wirtshausstreit gekommen, dem ein junger Germersheimer, Emil Müller, zum Opfer fiel. Geschossen hatte ein Unteroffizier der französischen Besatzungsarmee, Pierre Rouzier, der im Laufe der Nacht weitere Schüsse abgab. Dabei verletzte er noch zwei andere Männer, einen von ihnen schwer. Die Umstände der Tat waren höchst unklar und offensichtlich bereits zeitgenössisch schwer zu rekonstruieren. Bis heute ist offen, welchen Anteil die Deutschen an der Eskalation des Streites hatten, ob diese aus reinem „Deutschenhass“3 Opfer Rouziers wurden oder aber dieser bedroht worden war und glaubte sich verteidigen zu müssen. Indizien weisen jedoch daraufhin, dass weder die Deutschen vollkommen unschuldig in den Streit geraten waren, noch, dass die Situation für Rouzier so bedrohlich gewesen wäre, dass der Gebrauch seiner Waffe gerechtfertigt war.4 Die deutsche Seite ging trotz der uneindeutigen Sachlage von einer willkürlichen Mordtat eines Besatzungsangehörigen an einem deutschen Bürger aus. Der Germersheimer Bürgermeister wandte sich als Reaktion auf die Ereignisse mit einem Telegramm, in dem er die Rechtlosigkeit im besetzten Gebiet anprangerte, direkt an den Völkerbund. Dieses Telegramm ließ er ebenfalls der deutschen Presse zukommen, ohne zunächst eine Untersuchung des Vorfalls abzuwarten und sich mit seiner Regierung über das weitere Vorgehen abzustimmen.5 Diese eigenmächtige Vorgehensweise erregte nicht nur in Berlin Unmut, auch in Paris wurde sein Verhalten verurteilt: „La démarche inconsidérée et inacceptable (…) marque (…) l’état d’esprit des fonctionnaires locaux.“6 Ohnehin war auf französischer Seite von Beginn an eine gänzlich andere Version des Tathergangs angenommen worden. Hier ging man davon aus, dass Pierre Rouzier von den Deutschen angegriffen worden war, so dass

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S. 259–279; Peter Jackson, Beyond the Balance of Power. France and the Politics of National Security in the Era of the First World War, Cambridge (u. a.), Cambridge Univ. Press, 2013, S. 469–515. Jackson beschreibt, anders als gemeinhin angenommen, dass auch in Frankreich Ideen einer auf internationalem Recht beruhenden Ordnung entstanden waren, die nach dem Ersten Weltkrieg zunehmend Einfluss auf die französische Sicherheitspolitik gewinnen sollten. Vgl. ebd., S. 1–14; Alexander Wolz, Die Rheinlandkrise 1936. Das Auswärtige Amt und der Locarnopakt 1933–1936, München, Oldenbourg, 2014, S. 35–87. Siehe hier auch zur schwindenden innenpolitischen Unterstützung der Bemühungen um eine deutsch-französische Annäherung Ende der 1920er Jahre in Deutschland. So lautet es in einem deutschen Ermittlungsbericht. Vgl. Michael Kißener, Wie Hass verbindet: Frankreich nach 1871, Deutschland nach 1918, in: Jörg Zedler, „Was die Welt im Innersten zusammenhält“. Gesellschaftlich-Staatliche Kohäsionskräfte im 19. und 20. Jahrhundert, München, Utz, 2014, S. 147–163. Vgl. auch Bericht des Präsidiums der Regierung der Pfalz an das Staatsministerium des Äussern in München, Betreff: Erschiessung Deutscher durch Franzosen in Germersheim vom 29. September 1926, S. 1–7, hier S. 4, in: Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (im Folgenden PA/AA), R 74336, Bes. Rheinland, Ausschreitungen in Germersheim, 2. Fall, Bd. 1. Zum Versuch einer nachträglichen historiographischen Rekonstruktion des Tathergangs vgl. Julia Röttjer, Der Fall Rouzier. Schriftenreihe zur Geschichte der Stadt Germersheim Bd. 3, Germersheim, Chroma Druck & Verlag, 2009, S. 13–17. Vgl. ebd., S. 20–21. Telegramm v. Berthelot an die französische Botschaft in Berlin vom 2.10.1926, in: Archives diplomatiques (im Folgenden AD), Europe 1918–1929, Rive Gauche du Rhin, 175.

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er aus Notwehr zur Waffe gegriffen habe. Noch am 27. September erreichte das französische Außenministerium ein Telegramm des Vorsitzenden der Interalliierten Rheinlandkommission, Paul Tirard, in dem es heißt: „Le Sous-Lieutenant Rozier (sic!) (…) a été attaqué par des civils allemands (…). Pour se défendre, cet officier a fait usage de son revolver (…).“7 Nicht nur der Vorfall selbst sorgte auf diplomatischer Ebene für Aufregung und fand sogleich sowohl in der französischen als auch deutschen Presse viel Beachtung, sondern mit mindestens ebenso großem Interesse wurde in beiden Ländern das Ende des Jahres stattfindende Gerichtsverfahren, das für Aufklärung des Tatherganges sorgen sollte, verfolgt.8 Daher soll der „Prozess Rouzier“, wie das anschließende Gerichtsverfahren zeitgenössisch tituliert wurde9, im Folgenden als Beispiel dienen, anhand dessen weiterführend der Frage nach Zusammenhängen von Lokal- und internationaler Geschichte nachgegangen wird.10 Hierbei soll es um die Rezeption der Ereignisse in Germersheim und die unterschiedlichen Intentionen gehen, mit denen sie ausgelegt und interpretiert wurden. Wie an dem zitierten Zeitungsausschnitt aus der Pfälzischen Rundschau zu sehen ist, wurden die Vorgänge auf besetztem Gebiet in zweierlei Hinsicht mit den Gesprächen auf internationaler Ebene in Beziehung gesetzt: Einerseits ist von den Verhandlungen Mitte der 1920er Jahre, in denen die Nachkriegspolitik der Siegermächte neu justiert wurde, eine unmittelbare Rückwirkung für das besetzte Gebiet erwartet worden, andererseits wurde den Vorgängen im Rheinland auch zugesprochen, die Politik auf internationaler Ebene beeinflussen oder gar durchkreuzen zu können. Auch die wenigen historiographischen Beiträge, die bisher zur „Affäre Rouzier“ vorliegen, heben vor allem hervor, wie die Vorfälle in Germersheim geeignet waren, die „große Politik“

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Telegramm v. Tirard an das franz. Außenministerium vom 26.9.1926, in: ebd; Allgemein zur Besetzung des Rheinlandes vgl. Martin Schlemmer, Die Rheinlandbesetzung (1918–1930) vom 2.10.2015, URL: http://www.rheinische-geschichte.lvr.de/themen/Das%20Rheinlan...% 20Jahrhundert/Seiten/DieRheinlandbesetzung.aspx?print=true (30.01.2017); Zur franz. Besatzungspolitik und zur franz. Besetzung der Pfalz vgl. u. a. Wilhelm Kreutz / Karl Scherer (Hg.), Die Pfalz unter französischer Besetzung (1918/19–1930). Beiträge zur pfälzischen Geschichte, Bd. 15, Kaiserslautern, Institut für pfälzische Geschichte und Volkskunde, 1999; Anna-Monika Lauter, Sicherheit und Reparationen. Die französische Öffentlichkeit, der Rhein und die Ruhr (1919–1923), Essen, Klartext, 2006. Zu den Reaktionen in der deutschen und französischen Presse vgl. Röttjer, Der Fall Rouzier, S. 25–28. So der Titel einer von der deutschen Verteidigung verfassten Broschüre. Vgl. Friedrich Grimm, Der Prozeß Rouzier vor dem Kriegsgericht in Landau dargestellt auf Grund der gesamten deutschen und französischen Untersuchungsakten von der deutschen Verteidigung, Kaußler, Landau 1926. Zur Verknüpfung von Mikro- und Makroebene in der Geschichtswissenschaft vgl. u. a. Angelika Epple, Globale Mikrogeschichte. Auf dem Weg zu einer Geschichte der Relationen, in: Ewald Hiebl / Ernst Langthaler (Hg.), Im Kleinen das Große suchen. Mikrogeschichte in Theorie und Praxis. Jahrbuch für Geschichte des ländlichen Raumes 9 (2012), Innsbruck/Wien/ Bozen, Studienverlag, 2012, S. 37–47; Christian Meier, Notizen zum Verhältnis von Makround Mikrogeschichte, in: Karl Acham / Winfried Schulze (Hg.), Teil und Ganzes. Theorie der Geschichte. Beiträge zur Historik Bd. 6, München, dtv, 1990, S. 111–140.

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infrage zu stellen und vor Ort die internationale Politik zu konterkarieren.11 Darüber hinaus wird gezeigt werden, wie unterschiedlich die Regierungen der beiden Länder auf die durch die „Affäre Rouzier“ ausgelöste Krise reagierten: Während auf französischer Seite letztendlich das Interesse an einer zwischenstaatlichen Verständigung überwog, bemühte sich die deutsche Politik den Vorfall zu nutzen, um die französische Besatzungspolitik zu diskreditieren und ihre eigene Position im politischen Gefüge der europäischen Nachkriegsordnung zu stärken. Der Vorfall war der Höhepunkt einer Reihe von Ereignissen in dieser Stadt, denen ein besonderes Konfliktpotential beigemessen wurde und die daher mit Sorge nicht nur auf lokaler Ebene, sondern auch in Berlin vom Auswärtigen Amt verfolgt worden sind. Schon im Juli 1926 hatte es in Germersheim Zusammenstöße zwischen der deutschen Bevölkerung und der französischen Besatzungsmacht anlässlich eines Kriegerfestes gegeben.12 Die Aufmerksamkeit, welche den Konflikten auch außerhalb des besetzten Gebietes zuteilwurde, lässt sich auch an einer Rede des um eine deutsch-französische Annäherung bemühten Außenministers Gustav Stresemann erkennen. In dieser legte Stresemann Wert darauf, dass die Untersuchung noch in vollem Gange sei und daher ein abschließendes Urteil noch nicht gefällt werden könne. Er betonte, „(…) daß der Fall vom deutschen Standpunkt aus gesehen nicht so günstig und einwandfrei liegt, wie es nach den ersten Meldungen den Anschein hatte13“ und räumte durchaus ein, dass die Deutschen vermutlich ihren Teil zur Eskalation des Zusammentreffens beigetragen hatten. Der getötete Emil Müller war den Behörden nicht unbekannt, so soll er keine Auseinandersetzungen mit den Franzosen gescheut haben und wahrscheinlich Anhänger der Nationalsozialisten gewesen sein.14 Die französische Seite hatte schon zuvor Störungen durch nationalistische Gruppen in der Pfalz registriert, und auch Stresemann hatte einen gewissen Einfluss von Nationalsozialisten mit Sorge beobachtet.15 Dennoch nahm er den Vorfall als Anlass, ein baldiges Ende der Besatzungszeit zu fordern. Vor allem aber machte er deutlich, dass er ein friedliches Auskommen mit dem französischen Nachbarn durch Zusammenstöße wie die in Germersheim für gefährdet hielt und warb dafür, „(…) daß sich die Restzeit der Besatzung noch möglichst reibungslos abspielt und nicht zu einer dauernden Gefahrenquelle für die von 11

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Verwiesen sei hier insbesondere auf Röttjer, Der Fall Rouzier, außerdem: Michael Kißener, Germersheim im 20. Jahrhundert, in: Ders., Germersheim im 20. Jahrhundert. Wege einer Festungsstadt in die Mitte Europas, Ulbstadt-Weiher u. a., Verlag Regionalkultur, 2008, S. 11– 85; Ders., Wie Hass verbindet; Dieter Riesenberger, Eine Rede Gustav Stresemanns zum „Fall Rouzier“, in: Francia. Forschungen zur westeuropäischen Geschichte 22 (1995/1996), S. 183–190. Vgl. Röttjer, Der Fall Rouzier, S. 9–11. Gustav Stresemann, Redemanuskript, o. D. [ca. Oktober 1926], in: PA/AA, R 28359 k, Büro Reichsminister, Besetzte Rheinlande, Bd. 10. Ebenfalls abgedruckt bei Riesenberger, Eine Rede. Siehe hier auch zur Kontextualisierung der Rede, deren unmittelbarer Entstehungskontext nicht überliefert ist. Kißener, Wie Hass verbindet, S. 159; Ders., Germersheim; Röttjer, Der Fall Rouzier, S. 21– 25, 43 Telegramm v. Berthelot an die französische Botschaft in Berlin vom 2.10.1926; Röttjer, Der Fall Rouzier, S. 24, 25.

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den Regierungen angestrebte(n) (sic!) Politik der Entspannung und der Befriedung wird.“ Auch brachte Stresemann in dieser Rede seine Überzeugung zum Ausdruck, „daß die Aufrechterhaltung der Besatzung nicht weiter angängig ist, daß ein Okkupationsregime, es mag noch so gemildert werden, an sich mit der von allen beteiligten Regierungen angestrebten Entspannung und Befriedung nicht vereinbar ist.“16 Mit einer außenpolitischen Annäherung zwischen Deutschland und Frankreich wurde von deutscher Seite sogleich die Erwartung verbunden, dass die Besetzung zu einem früheren Ende kommen könnte, als vertraglich geregelt. Bekanntlich stellte die Okkupation der Rheinlande, wie sie 1919 im Vertrag von Versailles und dem Rheinlandabkommen, einem zugehörigen Abkommen zur Regelung der Rheinlandbesetzung, niedergelegt worden war, einen Kompromiss zwischen den Siegermächten des Weltkrieges dar, der vor allem die divergenten Positionen Frankreichs und Großbritanniens miteinander in Einklang bringen sollte. Statt französischen Annexionsforderungen nachzugeben, hatte man sich auf eine Besetzung geeinigt, die von den Alliierten gemeinsam ausgeübt werden sollte, deren oberstes Regierungsorgan mit der Interalliierten Rheinlandkommission ein interalliiertes, ziviles Organ darstellte und die von Beginn an zeitlich beschränkt war.17 Trotz dieser Beschränkung von längstens 15 Jahren hatte sich die deutsche Seite von Anfang an um eine vorfristige Aufhebung bemüht. Jeder sich bietende Anlass wurde genutzt, um auf die „unhaltbare Lage“ der rheinländischen Bevölkerung aufmerksam zu machen.18 Frankreich zeigte dagegen wenig Interesse, die so mühsam ausgehandelte Besetzung früher zu beenden als vorgesehen. Ganz im Gegenteil hatte die Pariser Regierung noch 1923 mit der Ruhrbesetzung unter Beweis gestellt, dass Ihre Ambitionen deutlich über das hinausgingen, was der Versailler Vertrag vorsah.19 Die jahrhundertealte Rivalität erklärt auch die besondere Erbitterung, mit der Konflikte zwischen Besatzern und besetzter Bevölkerung insbesondere in der französischen Zone ausgefochten wurden.20 Auch die Kriegserfahrungen, und mit ihnen die deutsche Besatzung in Frankreich, spielten hierbei eine Rolle. Besonders zu Beginn der Besetzung waren die Bilder des Schreckens und der Verwüstung, die während des Krieges auf dem Territorium Frankreichs stattgefunden hatte, präsent und prägten mit das Auftreten der französischen Besatzungssoldaten gegenüber der deutschen Zivilbevölkerung.21

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Stresemann, Redemanuskript. Christoph Steegmans, Die finanziellen Folgen der Rheinland- und Ruhrbesetzung 1918–1930, Stuttgart, Steiner, 1999, S. 19–20. So beispielsweise Konflikte aufgrund des Absingens der deutschen Nationalhymne auf besetztem Gebiet. Vgl. hierzu u. a. Schreiben des Preußischen Ministeriums des Innern an das Auswärtige Amt vom 30.7.1926 betreffs des Vorfalls mit dem Rektor Bertram in Rüdesheim, in: PA/AA 74611, Bes. Rheinland, Verbot von Zeitungen pp, Bd. 4. Zur Ruhrbesetzung vgl. Georges-Henri Soutou, Vom Rhein zur Ruhr: Absichten und Planungen der französischen Regierung, in: Gerd Krumeich / Joachim Schröder (Hg.), Der Schatten des Weltkriegs: Die Ruhrbesetzung 1923, Essen, Klartext, 2004, S. 63–83. Vgl. Kißener, Wie Hass verbindet, S. 155. Vgl. Nicolas Beaupré, Das Trauma des großen Krieges 1918–1932/33. Deutsch-Französische Geschichte Bd. 8, Darmstadt, WBG, 2009, S. 142–148.

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Als mit den „Verträgen von Locarno“ eine außenpolitische Entspannung zwischen Deutschland und Frankreich ausgehandelt wurde, hatte dies offenbar eine unmittelbare Rückwirkung auf das besetzte Gebiet – jedoch eine andere, als zunächst erwartet. Denn die auf internationaler Ebene ins Werk gebrachte Entspannungspolitik war nicht ohne weiteres bis auf die lokale Ebene durchgedrungen oder auf das besetzte Gebiet übertragbar. Während von den Rheinländern eine baldige Räumung erwartet, oder zumindest vernehmlicher als zuvor gefordert wurde, schienen die französischen Truppen bemüht, ihre Position auf besetztem Gebiet abzusichern und zu behaupten. Vielleicht sahen sie ihre Stellung durch die internationalen Verhandlungen bedroht oder in Frage gestellt und sicher wird das neue Selbstbewusstsein in der rheinländischen Bevölkerung vielfach Anlass für Verunsicherung, wechselseitige Provokationen und Irritationen gegeben haben.22 Jedenfalls soll es im Jahr 1926 zu mehreren Zwischenfällen mit der Besatzungsmacht gekommen sein.23 Dass dies vor allem für die französische Zone galt, hing sicher mit den unterschiedlichen Interessen der Alliierten am Rhein zusammen. Während die Franzosen von Beginn an mit besonderem Interesse für die Besetzung des Rheinlandes eingetreten waren, zeigten die Briten mehr Zurückhaltung.24 Auch der Zusammenstoß zwischen Rouzier und den jungen Deutschen in Germersheim wurde schon von den Zeitgenossen mit Locarno in Zusammenhang gesetzt. Sarkastisch zeigte die satirische Wochenzeitschrift „Simplicissimus“ eine Karikatur, auf der ein in Anzug gekleideter Herr zu sehen ist, der in der einen Hand einen Spazierstock und in der anderen eine noch rauchende Schusswaffe hält. Ihm folgt ein zweiter Herr und beide blicken zurück auf einen am Boden liegenden Mann. Unter der Zeichnung ist zu lesen: „Es hat sich doch manches gebessert – französische Offiziere erschießen jetzt schon in Zivil deutsche Bürger.“25 Groß war nicht nur das öffentliche Interesse unmittelbar nach der Tat des französischen Unteroffiziers, sondern auch an der Verhandlung vor dem französischen Militärgericht selbst, die am 17. Dezember 1926 in Landau begann. Grundsätzlich hatte trotz der Besetzung des Rheinlandes die deutsche Gerichtsbarkeit bestehen bleiben können. Dies wurde mit Artikel 3c des Rheinlandabkommens festgelegt.26 Dennoch wurde die deutsche Justiz durch die Besatzungsmächte überwacht, die daneben auch eine eigene Gerichtsbarkeit installierten, so dass sich ein Nebeneinander 22 23 24 25 26

Vgl hierzu auch die Ausführungen in der Rede v. Gustav Stresemann, ders., Redemanuskript. Vgl. Riesenberger, Eine Rede, S. 183. Zur britischen Besatzungspolitik vgl. Elspeth O’Riordan, The British Zone of Occupation in the Rhineland, in: Conan Fischer / Alan Sharp (Hg.), After the Versailles Treaty. Enforcement, Compliance, Contested Identities, London/New York, Routledge, 2008, S. 21–55. Siehe die Karikatur von Eduard Thöny im Simplicissimus 31 (1926), H.29, S. 384. Eine Abbildung bei Kißener, Germersheim, S. 23. Die Regelungen waren im Rheinlandabkommen recht knapp gehalten, so dass hierzu im Nachhinein Verordnungen (im Besonderen Verordnung Nr. 2) in Kraft traten. Vgl. Rheinlandabkommen vom 28. Juni 1919, abgedruckt in: O. V., Das Rheinlandabkommen und die Ordonnanzen der Interalliierten Rheinlandkommission in Coblenz (Nr. 1–257, in Französisch und Deutsch). Mit einem Auszug aus zugehörigen Schriftstücken, Berlin, Carl Heymanns Verlag, 1924, S. 5–10, hier S. 6.; Verordnung 2. Verordnung der Interalliierten Rheinland-Kommission, betreffend die Gerichtsorganisation (Straf- und Zivilgerichtsbarkeit), in: ebd., S. 26–37.

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von deutschen und alliierten Gerichten ergab. Während die einheimische Bevölkerung in der Regel27 den deutschen Gerichten unterstand, so waren die Angehörigen der Besatzungsmächte der Gerichtsbarkeit ihrer eigenen Armeen unterstellt. So eindeutig diese Regelung auf den ersten Blick erscheinen mag, in der Praxis ergaben sich schnell Konflikte.28 Waren an einem Vorfall sowohl Deutsche als auch Alliierte beteiligt, fiel die Zuständigkeit an die jeweiligen alliierten Militärgerichte.29 Somit war klar, dass für den „Fall Rouzier“ ein französisches Gericht zuständig war. Um den verwickelten Fall möglichst rasch aufzuklären, hatte sich schon im Vorfeld ein reger diplomatischer Austausch zwischen den französischen und deutschen Stellen entwickelt. Und man hatte sich darauf geeinigt, dass auch die deutsche Seite die Gelegenheit bekommen sollte, ihre Erkenntnisse in das Verfahren einzubringen. Auch alle von den Deutschen ermittelten Zeugen sollten im anstehenden Verfahren zu Wort kommen können, denn der französischen Regierung war daran gelegen, den Vorfall möglichst gründlich und objektiv aufzuklären.30 Sie empfahl dem französischen Oberkommando sogar eine gemeinsame, deutsch-französische Untersuchung31, zu der es jedoch nicht kommen sollte.32 Angeklagt wurde Rouzier wegen Mordes sowie einfacher und schwerer Körperverletzung. Daneben erhob das Gericht Anklage gegen sechs Deutsche, unter anderem gegen die beiden Verletzten. Ihnen wurde Beleidigung, Bedrohung und Provokation Rouziers vorgeworfen. Auch wurden einige von ihnen wegen Körperverletzung eines anderen französischen Soldaten in der bewussten Nacht angeklagt und zwei von ihnen wegen eines Zwischenfalles in Sondernheim. Hier war es bei einer Tanzveranstaltung ebenfalls zu Auseinandersetzungen mit französischen Soldaten gekommen. So beschränkte sich die französische Anklageschrift nicht nur auf die Ereignisse in der Nacht vom 26. zum 27. September, sondern bezog sich eben27

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Personen, für welche die deutsche Gerichtsbarkeit nicht zuständig war, waren laut Rheinlandabkommen: „Die Streitkräfte der alliierten und assoziierten Mächte und die ihnen zugeteilten Personen (…) sowie sämtliche von diesen Truppen angestellte oder in ihren Diensten befindlichen Personen “ (Artikel 3d) und „Wer sich eines Verbrechens oder Vergehens gegen Personen oder Eigentum der Streitkräfte der alliierten und assoziierten Mächte schuldig macht, kann vor die Militärgerichte dieser Truppen gezogen werden“ (Artikel 3e). Besonderes Konfliktpotential bargen Konstellationen, in denen sich die Zuständigkeit der alliierten Gerichte auch auf Deutsche erstreckte. Zur Aufteilung der Kompetenzen zwischen deutschen und Besatzungsgerichten vgl. o. V., Denkschrift über die Ausübung der alliierten Militärgerichtsbarkeit in den besetzten Gebieten, o. D., in: PA/AA, R74383, Bes. Rheinland, Bestellung von Verteidigern; Ernst Fraenkel, Military Occupation and the Rule of Law, in: Ernst Fraenkel, Gesammelte Schriften Bd. 3, Hg. v. Gerhard Göhler unter Mitarbeit v. Dirk Rüdiger Schumann, Baden-Baden, Nomos Verlagsgesellschaft, 1999, S. 139–317, hier S. 162–162, 179–181, 258–267. Siehe S. 267 zu Fällen, in denen strittig war, welchem Gericht diese zuzuordnen waren. Vgl. Verordnung 2, Artikel 2, § IV. Telegramm v. Berthelot an die französische Botschaft in Berlin vom 2.10.1926. Vgl. Riesenberger, Eine Rede, S. 184. Zu den Konflikten zwischen den deutschen und französischen Prozessbeteiligten im Vorfeld des Hauptverfahrens vgl. Röttjer, Der Fall Rouzier, S. 35, 36. Unruhe mag auch auf die Person des deutschen Verteidigers Friedrich Grimm zurückzuführen sein, Vgl. ebd, S. 7, 8. Auf diesen wird auch an späterer Stelle näher eingegangen.

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falls auf einen früheren Vorfall bei dem, laut Anklage, zwei Deutsche einen anderen französischen Soldaten misshandelt haben sollen. Einer der beiden Täter soll auch an dem Zwischenfall in Germersheim beteiligt gewesen sein.33 Da es nun nicht nur zur Anklage Rouziers, sondern auch einiger Deutscher gekommen war, bedurfte es eines deutschen Verteidigers.34 Zunächst fiel die Wahl auf den Rechtsanwalt Karl Führ, der von der deutschen Regierung für die Verteidigung Deutscher vor Besatzungsgerichten im besetzten Rheinland eingesetzt wurde.35 Dieser wandte sich wiederum an einen Kollegen, Friedrich Grimm, der ebenfalls häufig als Verteidiger vor Gerichten der Besatzungsmächte auftrat und sich insbesondere in Verfahren im Zusammenhang mit der Ruhrbesetzung hervorgetan hatte.36 Dieser Umstand mag nicht ohne Folge für den Prozessverlauf gewesen sein, fürchtete zumindest der französische Prozessführer, Hauptmann Tropet, eine Politisierung des Verfahrens durch Grimm. Auch die deutschen Behörden antizipierten zum Teil einen ungünstigen Einfluss durch die Verteidigungsstrategie Grimms auf den Prozessverlauf.37 Aufgrund der angespannten Ausgangssituation mag das Interesse für das Gerichtsverfahren nicht erstaunen. Nicht nur die deutschen Behörden vor Ort, sondern auch das Auswärtige Amt nahmen Anteil an den Verhandlungen und deren Verlauf wurde von einem Beobachter direkt aus dem Gerichtssaal per Telegramm an das Auswärtige Amt weitergeleitet.38 Germersheim war den Beamten in Berlin bereits ein Begriff, hatte es hier nur wenige Monate zuvor Zusammenstöße zwischen Bevölkerung und Besatzungsarmee wegen eines Kriegerfestes gegeben. Wer zu diesem Zwischenfall im Juli 1926 den Ausschlag gab – ob die Deutschen gegenüber der Besatzungsmacht eine provokative Haltung eingenommen hatten oder, so wie es die Germersheimer angaben, das friedliche Fest von französischen Soldaten gestört worden war – blieb unklar. Jedenfalls soll sich Pierre Rouzier bereits hier besonders hervorgetan haben und ab diesem Zeitpunkt den Germersheimern häufiger aggressiv gegenübergetreten sein.39 Friedrich Grimm griff in seiner Verteidigung minutiös jede einzelne Situation auf, in der Rouzier die deutschen Bürger unrechtmäßig bedroht oder misshandelt haben soll.40 Wahrscheinlich erregte er insbesondere mit einer Broschüre das Missfallen 33 34 35 36 37 38 39 40

Karl Führ, Erinnerungen an den Rouzier-Prozeß, o. D., in: LA Speyer, Best. V 169, Nr. 15. Vgl. Röttjer, Der Fall Rouzier, S. 33–37. Vgl. Schreiben des Reichministers für die besetzten Gebiete an den Oberlandesgerichtsrat Dr. Führ, Berlin vom 2.2.1926, in: LA Speyer, Best. V 169, Nr. 20. Vgl. Röttjer, Der Fall Rouzier, S. 52, FN 116. Vgl ebd., S. 35, 36 Vgl. Telegramm Heberlein aus Landau (Pfalz) an Auswärtiges Amt – Geheimrat Friedberg vom 19.12.1926, Ankunft: 20.12.1926, in: PA/AA, R 74339, Bes. Rheinland. Ausschreitungen. Germersheim 2. Fall, Bd. 4. Vgl. Riesenberger, Eine Rede, S. 183, 184; Für detaillierte Informationen zum Kriegerfest siehe Röttjer, Der Fall Rouzier, S. 9–11. Grimm, Der Prozeß Rouzier, o. S. Grimm, ein ausgesprochener Frankreichkenner, reüssierte erst in der Weimarer Republik, wenig später in der NS-Diktatur wie auch nach 1945 als Anwalt der politischen Rechten. Einen Exkurs zu Friedrich Grimm findet man bei Julia Röttjer, Der Fall Rouzier, S. 34–36. Für weitere Informationen zu Grimm siehe auch Kristian Buchna, Nationale Sammlung an Rhein und Ruhr. Friedrich Middelhauve und die nordrhein-westfälische FDP 1945–1953, München, Oldenbourg, 2010, S. 53–62; Elke Mayer, Verfälschte Ver-

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der Besatzer, in der er die von deutscher Seite zusammengetragenen Informationen zum Tathergang zusammenfasste, diese als erwiesene Tatsachen hinstellte und sie vor Beginn der Verhandlung vor dem Gerichtsgebäude verteilen ließ.41 Die Befürchtungen des Hauptmanns Tropet über eine Politisierung des Prozesses mögen deshalb nicht unberechtigt gewesen sein. In seinen Memoiren schrieb sich Grimm dagegen eine ganz andere, sehr viel vermittelndere Rolle in seinem Wirken in der Zwischenkriegszeit zu: Für die Aufrechterhaltung des Friedens (…) schien mir allerdings eine Revision der Verträge von 1919 unumgänglich notwendig zu sein. (…) Als oberstes Ziel aber schwebte mir die deutsch-französische Verständigung vor, ohne die ich keine dauernde Befriedung Europas für möglich hielt. Meine ganze Tätigkeit war also stets darauf gerichtet, den richtigen Zeitpunkt und die richtigen Männer für die Verwirklichung dieser Verständigung herauszufinden.42

Neben Friedrich Grimm sorgten auch die Behörden vor Ort bei den französischen Besatzungsbehörden für Unmut, denn sie sollen bei der Flucht von wichtigen Kronzeugen auf das rechtsrheinische Gebiet geholfen haben.43 Während der Ermittlungen waren einige Zeugen (es war von bis zu elf Personen die Rede) auf rechtsrheinisches Gebiet geflohen. Vom Germersheimer Bürgermeister hatten sie eine Bescheinigung erhalten, welche ihnen eine Unterstützung durch das Deutsche Rote Kreuz ermöglichte. Von den mit dem Fall befassten deutschen Behörden auf Landes- und Reichsebene wurde dies aus politischen Gründen nicht begrüßt und sorgte immer wieder für Unruhe, auch während des Prozesses.44 Der zweite deutsche Verteidiger, Karl Führ, schrieb später, dass er, als es während der Gerichtsverhandlung auf die Flüchtigen und ihre Unterstützung durch deutsche Stellen zu sprechen kam, ausgerufen habe: Wenn der Anklagevertreter die Frage aufwerfe, ob die Deutschen jenseits des Rheins berechtigt seien, ihre vor der französischen Justiz geflohenen Landsleute zu unterstützen, so sei ich berechtigt daran zu erinnern, welche ungeheuerliche seelische Belastung es für einen Deutschen sei, sich auf deutschem Boden von einem französischen Militärgericht aburteilen zu lassen.45

An dieser Aussage lässt sich ablesen, wie aufgeladen die Situation allein schon durch die Konstellation einer von den Franzosen ausgeübten Rechtsprechung gegenüber der deutschen Bevölkerung war. Für die hier verfolgte Fragestellung lässt sich festhalten, dass jede Seite der jeweils anderen vorwarf, die Unabhängigkeit der Justiz nicht zu respektieren und den Prozess als politisches Verfahren betreiben zu wollen. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass beide Prozessparteien dies ironischerweise gerade selbst

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gangenheit. Zur Entstehung der Holocaust-Leugnung in der Bundesrepublik Deutschland unter besonderer Berücksichtigung rechtsextremer Publizistik von 1945–1970, Frankfurt a. M., Peter Lang, 2003, S. 183–189. Kißener, Wie Hass verbindet, S. 161. Friedrich Grimm, Frankreich-Berichte, 1934–1944. Hrsg. vom Kreis seiner Freunde, Bodmann/Bodensee, Hohenstaufen Verlag, 1972, S. 19. Vgl. Kißener, Wie Hass verbindet, S. 159; Röttjer, Der Fall Rouzier, S. 19. Vgl. ebd. Führ, Erinnerungen.

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taten, indem sie den Vorfall bewusst mit anderen Geschehnissen auf besetztem Gebiet in Verbindung brachten und so einen größeren Zusammenhang konstruierten. Während die deutsche Verteidigung Pierre Rouzier durch die Aufzählung aller angeblicher Fehltritte gegenüber der Germersheimer Bevölkerung als brutalen Unruhestifter zu kennzeichnen suchte, versuchte die Anklagevertretung mit der Aufnahme weiterer Vorfälle wie der Tanzveranstaltung in Sondernheim zu belegen, dass junge Männer die Sicherheit der Besatzungstruppen in Germersheim gefährdeten. So trugen beide Seiten zu einer Politisierung des Prozesses bei und verkomplizierten die ohnehin schon schwierige Ausgangslage. Das Urteil des Gerichts am 21. Dezember 1926 sorgte für Furore: Es sprach Rouzier frei, habe der Unteroffizier doch, so meinte das Gericht, in Notwehr gehandelt. Die deutschen Angeklagten wurden dagegen zu Haftstrafen zwischen drei Monaten und zwei Jahren verurteilt. Die deutschen Stellen reagierten mit Entrüstung und Verwunderung auf das Urteil, auch wenn man während der laufenden Untersuchung einen Freispruch Rouziers zumindest in Betracht gezogen hatte.46 Von einer Annäherung im deutschfranzösischen Verhältnis war wenig zu spüren, obwohl das Urteil von maßgeblichen französischen Politikern wie Paul Tirard, dem französischen Kriegsminister Painlevé und sogar dem Außenminister Briand betroffen aufgenommen wurde und diese eine Revision in Betracht zogen.47 Von deutscher Seite wurde ebenfalls gleich nach Prozessende ein Revisionsverfahren gefordert, was jedoch aus rechtlichen Gründen nicht möglich war und letztendlich von der Regierung in Paris abgelehnt wurde, auch weil man die Sache nicht länger in der Schwebe halten wollte.48 Zwar bestand die Möglichkeit, bei dem französischen Präsidenten eine Begnadigung zu erbitten. Doch ein solches Gesuch lehnten die deutschen Behörden kategorisch ab, hätte dies doch eine Anerkennung des Urteils, das als politisch motiviert galt, bedeutet. So zeigte sich der Reichsminister für die besetzten Gebiete, Johannes Bell, der in Personalunion passenderweise zugleich als Reichsjustizminister amtierte, in einem Schreiben an Gustav Stresemann gegenüber einem Begnadigungsgesuch an den französischen Präsidenten, Gaston Doumergue, skeptisch, mit der Begründung, dass mit einer Begnadigung „unsere Hauptforderung, nämlich angemessene Sühne der von Rouzier an deutschen Staatsbürgern verübten Vergehen, völlig unbefriedigt bleiben (…) würde.“49 In Paris entschloss man sich jedoch auch ohne ein offizielles Gesuch der deutschen Regierung zur Begnadigung der verurteilten Deutschen, und zwar schon am 25. Dezember 1926, also nur vier Tage nach Urteilsverkündung.50 Einem der geschädigten Deutschen – dem schwer verletzten Josef Mathes – zahlte das französische Kriegsministerium einige Monate später zudem eine Entschädigung von 10.000 Francs und Rouzier wurde wohl zu einem späteren Zeitpunkt unehrenhaft 46 47 48 49 50

Röttjer, Der Fall Rouzier, S. 38. Kißener, Germersheim, S. 24. Riesenberger, Eine Rede, S. 186. Schreiben des Reichsministers für die besetzten Gebiete Dr. Bell an Dr. Stresemann, Auswärtige Amt Berlin vom 23.12.1926, in: PA/AA, R 74339, Bes. Rheinland. Ausschreitungen. Germersheim 2. Fall, Bd. 4. Röttjer, Der Fall Rouzier, S. 40.

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aus der Armee entlassen.51 Dieses Eingreifen der französischen Regierung lässt vermuten, dass sie das Urteil der eigenen Militärgerichtsbarkeit für nicht angemessen hielt und zumindest angesichts der gegenwärtigen Politik seit Locarno als kontraproduktiv wertete. In der Tat hatte der Reichskommissar für die besetzten Gebiete, Ernst Freiherr Langwerth von Simmern, schon am 24. Dezember 1926 in einem Telegramm an das Auswärtige Amt von einem Besuch bei Paul Tirard zu berichten gewusst, dass dieser „stark beeindruckt durch (das) Urteil (in) Landau“ gewesen wäre und „sofort entsprechende Schritte bei zuständigen Pariser Stellen getan und in unserem Sinne zu wirken gesucht habe.“52 Der deutsche Botschafter in Paris wurde prompt beauftragt, die französische Regierung über die Erwartung Berlins in Kenntnis zu setzen, dass diese sogleich alles daran setzen werde, das Urteil des Militärgerichts aufzuheben. Doch die nach Paris gerichtete Erwartung eines Eingreifens entsprach nicht nur einer Sorge um die zaghafte Annäherung zwischen beiden Ländern, sondern folgte auch mit Hinweis auf eine „Welle der Entrüstung“, die als Folge des Urteils durch Deutschland gehen werde53, dem Kalkül, politischen Druck auf die Gegenseite auszuüben. Die innenpolitische Lage in Frankreich war angespannt und der deutsche Botschafter in Paris wusste zu berichten, dass Briand „neuerdings mit seiner Politik auf größere Schwierigkeiten stößt“ und dieser „sich (…) sehr vorsehen (müsse), in irgendeiner Spezialfrage sich zu kompromittieren.“54 Dass eine Aufhebung des Urteils, selbst wenn dies nur über die Begnadigung der Verurteilten geschehen konnte, als einen sichtbaren Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz gedeutet werden konnte und die Regierung in Paris vor beträchtliche Hürden stellte, war offenbar einkalkuliert. So schrieb Gustav Stresemann in seiner Antwort an Bell, dass es von der „Weltöffentlichkeit nicht anders aufgefasst werden (könnte), als daß die französische Regierung damit das ganze Vorgehen ihrer Militärjustiz desavouier(en)“55 würde. Dies zeigt, wie sehr Stresemann auf ein offizielles Vorgehen spekulierte, um die Illegitimität des Urteils zu betonen. Doch bei der Option, den Weg der Begnadigung zu wählen, wurde von deutscher Seite größter Wert darauf gelegt, dass eine solche von der französischen Regierung eigenständig und unverzüglich durchgeführt werden müsse, ohne dass die Verurteilten zuvor ein Gnadengesuch einreichen oder ihre Revisionsanträge zurückziehen müssten.56 Die entscheidende Aufmerksamkeit innerhalb der Reichsregierung richtete sich insofern auf eine möglichst sichtbare De-Legitimierung des Urteils und, wenigstens 51 52 53 54 55 56

Vgl. Kißener, Germersheim, S. 25. Telegramm von Langwerth an das Auswärtige Amt vom 24.12.1926, in: PA/AA, R 74339, Bes. Rheinland. Ausschreitungen. Germersheim 2. Fall, Bd. 4. Vgl. Fernschreiben des Auswärtigen Amtes an Germadiplo in Paris vom 21. Dezember 1926, in: ebd. Telegramm des Botschafters in Paris von Hoesch an des Auswärtige Amt vom 22.12.1926, Ankunft am 22.12.1926, in: Akten zur deutschen auswärtigen Politik (ADAP) 1918–1945, B, Bd. I,2, Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht 1968, S. 642–643. Schreiben Dr. Stresemanns an Dr. Bell, Reichminister für die besetzten Gebiete vom 24.12.1926, in: PA/AA, R 74339, Bes. Rheinland. Ausschreitungen. Germersheim 2. Fall, Bd. 4.. Vgl. Telegramm des Auswärtigen Amtes (gez. Reichsminister Stresemann) an Germadiplo in Paris vom 23. Dezember 1926, in: ebd.

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mittelbar, einer Diskreditierung der französischen Militärgerichtsbarkeit in der Besatzungszone und damit der Besetzung des Rheinlandes an sich. Ziel war eine „sichtbare Genugtuung“57 für die aufgebrachte deutsche Bevölkerung Auch auf andere Weise versuchte man auf deutscher Seite Kapital aus den Ereignissen zu schlagen. Karl Führ erinnert sich, er sei nach dem Prozess einem „durch und durch deutschgesinnten Bekannten in freudigster Stimmung“ begegnet, der meinte, man habe doch einen Sieg errungen, denn es hätten vierzig deutsche und ausländische Zeitungsleute dem Prozess beigewohnt, „sodaß sich die ganze Welt ein Urteil habe bilden können, und durch das Urteil werde endlich offenbar, daß die französische Besetzung der Rheinlande nicht länger andauern könne.“58 Tatsächlich war das Urteil, aber auch schon der Vorfall selbst, nicht nur von der französischen und deutschen Presse aufgenommen worden, sondern beispielweise auch in regelmäßigen Berichten in der „Times“ in London kommentiert worden, der wiederum die vielfältige Instrumentalisierung des Prozesses auffiel. Über die Berichterstattung in der deutschen Presse hieß es an dieser Stelle: „Spur to Propaganda. From the first day every effort has naturally been made to obtain as much capital as possible out of the trial.“59 Der Artikel analysiert, wie die „Affäre Rouzier“ in Deutschland nicht nur von der Presse, sondern auch von den Politikern selbst, in vielfältiger Weise herangezogen wurde, um die Besatzungspolitik im Rheinland zu diskreditieren und ihr Ende zu fordern.60 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich keine direkte Koppelung erkennen lässt, bei der sich die auf oberster Ebene eingeleitete außenpolitische Annäherung durch die Locarno-Verträge auf der untersten Stufe, in regionalen und lokalen Zusammenhängen, fortsetzte. Während das Jahr 1926 zu einem Jahr der Entspannung für die deutsch-französische Außenpolitik werden konnte, war dies auf besetztem Gebiet nicht unbedingt unmittelbar zu merken. Sicherlich, eine „Versöhnung“ zwischen Besatzern und besetzter Bevölkerung konnte weder in Berlin noch Paris „erzwungen“ werden, allzumal der „Affäre Rouzier“ gerade dem deutschen Nationalismus in die Hände spielte;61 es überrascht nicht, dass die Erinnerung an den Tod Emil Müllers aus Germersheim vor allem von den Nationalsozialisten wach gehalten wurde.62 Zum Großteil wurde das Urteil als ein deutlicher Rückschlag in der politischen Annäherung zwischen Deutschland und Frankreich

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Von einer solchen spricht Stresemann in seinem Schreiben an Bell. Vgl. Schreiben von Stresemann an Bell vom 24.12.1926. Führ, Erinnerungen. Landau Verdict. From our own Correspondent, in: The Times (London, England), Donnerstag, den 23.12.1926, S. 10. Auch Julia Röttjer kommt zu dem Schluss, dass die lokalen Behörden sowie das Reichsministerium für die besetzten Gebiete den Vorfall teilweise nutzten, um die Forderung nach einem Abzug der französischen Truppen aus der Pfalz zu untermauern und dabei auch konfrontativ gegenüber der Besatzungsmacht auftraten. Dies stand der Politik des Auswärtige Amtes entgegen, das auch in dieser Sache ein Zusammengehen mit Frankreich verfolgte und hierüber auf eine Räumung des besetzten Gebietes zielte. Vgl. Röttjer, Der Fall Rouzier, S. 43. Vgl. Kißener, Wie Hass verbindet, S. 159–163. Vgl. Röttjer, S. 23, 24.

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gewertet.63 Umso bedeutsamer erscheint daher, dass sich der französische Präsident zu einer Begnadigung der verurteilten Deutschen entschloss, um das gemeinsame außenpolitische Ziel einer Verständigung zwischen den beiden Ländern nicht zu gefährden. Während deutsche Stellen vor allem mit Blick auf die innenpolitische Stimmung im Rheinland wie im Reich zwischen Unversöhnlichkeit und Deeskalation schwankten, versuchte Paris die Folgen des Urteil angesichts seiner politischen Dimensionen rasch abzumildern, auch wenn man hierdurch Gefahr lief, der Interpretation Vorschub zu leisten, man stelle sich damit gegen die eigene Militärjustiz, mittelbar sogar gegen die eigenen Besatzungsbehörden. So trug der „Prozess Rouzier“ letztlich trotz seiner vermeintlich dramatischen Verletzung deutscher Interessen in erster Linie dazu bei, die Legitimität der französischen Militärgerichtsbarkeit infrage zustellen und damit mittelbar die Position der interalliierten Okkupation weiter zu schwächen.

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Vgl. ebd., S. 38.

DIE GEGENSEITIGE WAHRNEHMUNG VON FRANZOSEN UND DEUTSCHEN WÄHREND DER RUHRBESETZUNG Eine Fallstudie für den Raum Gelsenkirchen Stefan Goch Zusammenfassung Der Aufsatz vertritt die These, dass die deutsch-französische Konfrontation während des so genannten Ruhrkampfes zwischen 1923 und 1925 vor allem auf der politischen Ebene stattfand. Der Alltag der Arbeiterschaft im Raum Gelsenkirchen hingegen wurde viel mehr durch Probleme bestimmt, die nicht unmittelbar mit der Besetzung des Ruhrgebietes durch belgische und französische Truppen zusammenhing. Die Erinnerung an den Ruhrkampf wurde allerdings in Deutschland ausschließlich von der politischen Ebene dominiert.

Résumé L’article montre que la confrontation franco-allemande à la Ruhr entre 1923 et 1925 était surtout un problème politique. La vie quotidienne des ouvriers à Gelsenkirchen par contre était dominé par des problèmes qui n’étaient pas directement liés à l’occupation par les troupes franco-belges. La mémoire du Ruhrkampf par contre à été exclusivement dominé par la confrontation politique.

Zeitgenössisch und bis weit in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ist die gegenseitige Wahrnehmung von Franzosen und Deutschen während der Ruhrbesetzung meist aus einer Perspektive „von oben“ und aus der Sicht der Herrschenden1 betrachtet worden. Frankreich wurde unterstellt, dass es ihm „um den Rhein, den deutschen Strom“ ging, „den wollten sie haben“. Dies stellte man auch in eine lange historische Erzählung und sah die Ruhrbesetzung in der „französischen Sinnesart“ begründet.2 Deutschland wiederum wurde vorgehalten, die Niederlage im Ersten Weltkrieg nicht akzeptiert, bei den Reparationen nicht korrekt gehandelt und die Ruhrbesetzung provoziert und mitverschuldet zu haben.3 Die (begrenzte) neuere 1 2 3

Zur Historiographie der Ruhrbesetzung Christoph Cornelißen, Vom „Ruhrkampf“ zur Ruhrkrise: Die Historiografie der Ruhrbesetzung, in: Gerd Krumeich / Joachim Schröder (Hg.), Der Schatten des Weltkriegs. Die Ruhrbesetzung 1923, Essen 2004, S. 25–45. Vgl. z. B. Paul Küppers, Bochum unter fremder Gewalt in den Jahren der Ruhrbesetzung 1923– 1925, Bochum 1930, S. 7 ff. Zurückgeführt auf ein „über die Geschlechter“ dahingehendes Ringen bei Hans Spethmann, Der Ruhrkampf 1923 bis 1925, Berlin 1933, S. 1. Z. B. resümierend Annette Becker, Les Cicatrices rouges 14–18. France et Belgique occupées, Paris 2010, S. 321. Zeitgenössische Sicht und Propaganda: Un An d’Occupation. L’oeuvre Franco-Belge dans la Ruhr en 1923, Düsseldorf 1924 (SHD GR 7 N 2668) übergreifend.

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Historiographie sieht die Zusammenhänge differenzierter, aber doch eher aus der Perspektive der Haupt- und Staatsaktionen.4 Das lokale Beispiel des Raumes Gelsenkirchen soll zeigen, wie die milieuhaften fragmentierte Ruhrgebietsgesellschaft die Besatzer wahrnahm und wie andererseits die Besatzungstruppen die Eliten des Ruhrgebiets, die Ruhrgebietsbevölkerung und deren Not wahrnahmen.5 Dabei ist von Interesse, welche Einstellungen die Arbeiter- und Zuwanderergesellschaft des Ruhrgebiets gegenüber den ausländischen Besatzungstruppen entwickelte. Festzustellen ist beispielsweise, dass sich viele aus Polen stammende Arbeitskräfte in den französischen Bergbau abwerben ließen. Nachdem schon 1909 polnischstämmige Bergarbeiter aus dem Ruhrbergbau ins nordfranzösische Steinkohlenrevier gekommen waren, gingen während der Ruhrbesetzung und der Massennotstände um 100.000 polnischstämmige Bergarbeiter in die nordfranzösischen Montandepartements.6 Auch wurden die Polen von deutscher Seite der Kollaboration mit den Besatzern verdächtigt.7 4

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Überblick z. B. Conan Fischer, Arbeitgeber, Arbeitnehmer und das Scheitern des passive Widerstandes, in: Mitteilungsblatt des Institut für soziale Bewegungen (2001) 26, insbesondere S. 89–94. Interessante Ausnahmen Klaus Wisotzky, Die Ruhrbesetzung 1923 bis 1925 im Spiegel von Flugblättern und Karikaturen, in: Ingrid Wölk / Klaus Wisotzky (Hg.), Fremd(e) im Revier!? Zuwanderung und Fremdsein im Ruhrgebiet. Ein Projekt der Kulturhauptstadt Europas Ruhr 2010, Essen 2010, S. 260–281; Klaus Wisotzky, Der „blutige Karsamstag“ 1923 bei Krupp, in: G. Krumeich / J. Schröder, Schatten, 2004, S. 265–288. Dieser Beitrag ist entstanden im Kontext einer Geschichte des Ersten Weltkrieges in Gelsenkirchen, die der Kollege Daniel Schmidt und ich erarbeiten und die das „unberechenbare Jahrzehnt“ vom Beginn des Ersten Weltkrieges bis zum Ende der Ruhrbesetzung behandeln wird. Ich danke Daniel Schmidt für die Überlassung von Rechercheergebnisse aus dem Landesarchiv NRW. Vgl. Karin Hartewig, Das Unberechenbare Jahrzehnt. Bergarbeiter und ihre Familien im Ruhrgebiet 1914–1924, München 1993. Für diese lokale Fallstudie wurden zunächst lokale Quellen und französische Quellen zur Besetzung im Raum Gelsenkirchen aus dem SHD herangezogen. Quellenkritisch ist zu bemerken, dass so vor allem Unterlagen ausgewertet werden, die aus den politisch-administrativen und militärischen Institutionen stammen. Vor dem Hintergrund der Einschränkung des Versammlungsrechts und der Pressezensur ist es nur begrenzt möglich, Einstellungen der Masse der Bevölkerung zu recherchieren, allerdings reflektieren die Quellen der verschiedenen Obrigkeiten natürlich mindestens das Verhalten der Bevölkerung. Auf eine ältere Auswertung der Tageszeitungen wurde zurückgegriffen: Doris Plieth, Der Ruhrkampf im Spiegel der Presse mit besonderer Berücksichtigung Gelsenkirchens (mit methodischem Anhang), Wuppertal 1961 (Examensarbeit). Nathalie Piquet, Charbon-Travail forcé-Collaboration. Der nordfranzösische und belgische Bergbau unter deutsche Besatzung 1940 bis 1944, Essen 2008, S. 36–44 und S. 68 zu wenig gesicherten Erkenntnissen über polnische Bergarbeiter im belgischen Bergbau Vgl. Christoph Kleßmann, Polnische Bergarbeiter im Ruhrgebiet 1870–1945. Soziale Integration und nationale Subkultur einer Minderheit in der deutschen Industriegesellschaft, Göttingen, 1978; Nicolas Beaupré, Les grandes Guerres 1914–1945, Paris 2012, S. 356; Edmond Gogolewski, Les Polonais en France avant la Second Guerre mondial, in: Revue du Nord (1979) 242, S. 649–662 und Janie Ponty, Polonais méconnus. Histoire des travailleurs immegrés en France dans l’entredeux-guerres, Paris 1988; für Belgien Jean-Louis Deleat, Huit siècles d’exploitation charbonnière en Wallonie, in: Tijdschrift voor de Geschiedenis van Sociale Bewegingen (1993) 3, S. 91– 99. Vgl. K. Hartewig, Jahrzehnt, 1993, S. 70–73. Nach D. Plieth, Ruhrkampf, 1961, S. 70, allgemein Christoph Nonn, Kleine Migrationsgeschichte von Nordrhein-Westfalen, Köln 2011, S. 69 f.

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Andererseits führte die Ruhrbesetzung nach dem Ersten Weltkrieg offensichtlich zu einer „nationalen Welle“ und es bildeten sich verschiedene Gruppierungen, die als Vorläufer und Wegbereiter der Nationalsozialisten zu gelten haben. Kommunistische und linksradikale Organisationen nutzten die Ruhrbesetzung für ihre Politik. Ausgegangen wird von der Hypothese, dass im Unterschied zu den (lokalen) Eliten und dem schmalen Bürgertum in der Arbeiterschaft trotz der Erfahrung des Ersten Weltkrieges nationale Ressentiments nur eine begrenzte Bedeutung hatten.8 Die bürgerkriegsähnlichen Zustände im Ruhrgebiet während der Ruhrbesetzung waren in erster Linie auf die sozialen Notlagen zurückzuführen. Selbst Zeitgenossen waren in ihren Formulierungen eher vorsichtig, wenn Sie unter dem aktivistische Begriff „Ruhrkampf“ eher von der Leidensgeschichte berichteten, „dass in den Jahren 1923 bis 1925 der Kampf an der Ruhr von allen Kreisen der Bevölkerung zum Wohle des gesamten Deutschtums erduldet und durchlitten wurde“.9 Der lokale Bezug auf das Gebiet der Stadt Gelsenkirchen, die in der gegenwärtigen Gestalt erst 1928 durch Zusammenschluss der Städte Gelsenkirchen (mit der 1924 überwiegend eingemeindeten Bürgermeisterei Rotthausen) und Buer und dem Amt Horst geschaffen wurde, als Fallbeispiel für das Ruhrgebiet erlaubt eine „größere Genauigkeit in der Erfassung des Strukturellen“ und erhält ihre Berechtigung und Notwendigkeit dadurch, dass erst die regionalen Differenzierungen allgemeiner Prozesse die Identifizierung von allgemeinen Zusammenhängen ermöglichen.10 ÜBERGREIFENDE ENTWICKLUNG Die Auseinandersetzungen um die Reparationen zwischen Deutschland und Frankreich, die schon im Frühjahr 1921 zur Besetzung Duisburgs und auch zu Vorbereitungen für eine mögliche Besetzung des Ruhrgebiets geführt hatten11, verschärften sich nach dem Wechsel im Amt des französischen Ministerpräsidenten von dem in der Reparationsfrage konzilianteren Aristide Briand zu dem „Hardliner“ Raymond Poincaré im Januar 1922. Seit Ende 1922 zeichnete sich ab, dass eine weitere Besetzung des Ruhrgebietes drohte, auch weil die Schwerindustrie des Ruhrgebiets

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In der zeitgenössischen Schrift Spione, Spitzel, Verräter: Freunde und Freundinnen der französisch-belgischen Besatzung. Aus der Leidenschronik der Rhein- und Ruhrbevölkerung, Essen 1926 werden zwar zahlreiche so genannte Verräter und Spione genannt und angeprangert, dieses Phänomen sollte allerdings nicht überbewertet werden. H. Spethmann, Ruhrkampf, 1933, S. 16. Natürlich setzt eine solche Regionalforschung voraus, dass die Region nicht als autonom im Sinne eines romantisierenden, lokalpatriotischen Regionalismus, sondern als in eine Gesamtentwicklung eingebettet betrachtet wird. Vgl. Wolfgang Köllmann, Zur Bedeutung der Regionalgeschichte im Rahmen struktur- und sozialgeschichtlicher Konzeptionen, in: Archiv für Sozialgeschichte (1975) 15, S. 45 f., 49. Vgl. Otto Dann, Die Region als Gegenstand der Geschichtswissenschaft, in: Archiv für Sozialgeschichte (1983) 23, S. 652–662. Note au sujet de l’Attitude probable de l’Allemagne en cas d’Occupation prochaine du Bassin de la Ruhr, 27.4.1921, in: SHD, 7 N 2613; auch SHD, 7 N 2664 und 2674. Vgl. StArchiv Ge, Ge 1716.

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als Bedrohung gesehen wurde.12 Am 11. Januar 1923 marschierten französische und belgische13 Truppen unter dem Kommando von General Jean-Marie Degoutte von den rechtsrheinischen Brückenköpfen Düsseldorf und Duisburg wegen rückständiger Reparationsleistungen des Deutschen Reiches ins Ruhrgebiet ein, um sich ein „produktives Pfand“ für die Reparationen zu sichern. Das Ruhrgebiet wurde bis zur Lippe im Norden, im Osten bis Dortmund und im Süden bis zu den Gebieten zwischen Ruhr und Wupper ohne größere Schwierigkeiten besetzt, der französische Kriegsminister beglückwünschte seinen General für gute Arbeit.14 Zwar sollten nach den Planungen der Besatzungsmächte während der Besetzung die deutschen Gesetze in Kraft bleiben und die Polizei weiter ihren Dienst versehen, aber das konnte angesichts des für die Beamtenschaft angeordneten Verbotes der Kooperation mit den Ententemächten nicht funktionieren.15 Zudem misstrauten die Besatzungsmächte der militärähnlichen Polizei, vermuteten Deutschlands Wiederaufrüstung und befürchteten einen Revanchekrieg.16 Und der ausdrückliche Befehl für deutsche Polizisten, französische Offiziere (und auch alliierte Fahnen) militärisch zu grüßen, was in Anlehnung an die deutsche Besatzungspraxis während des Weltkrieges verlangt wurde, führte zu zahlreichen Zusammenstößen.17 Die Besetzung, die sich abgezeichnet hatte, traf das Ruhrgebiet nicht unvorbereitet: Das Kohlensyndikat war noch in der Nacht des 9. auf den 10. Januar von Essen nach Hamburg ausgewichen und Behörden, Unternehmen und Gewerkschaf12

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Stanislas Jeannesson, Poincaré, la France et la Ruhr 1922–1924. Histoire d’une occupation, Strasbourg 1997. Zu weitergehenden Zielen von Poincaré z. B. Georges-Henri Soutou, Vom Rhein zur Ruhr: Absichten und Planungen der französische Regierung, in: G. Krumeich / J. Schröder, Schatten, 2004, S. 63–83; Analyse des deutschen Bedrohungspotentials unter Berücksichtigung der Schwer- bzw. Rüstungsindustrie im Ruhrgebiet und einer möglichen Besetzung des Ruhrgebietes, in: SHD, 4 N 96. Die Rolle Belgiens ist bislang nur begrenzt untersucht worden. Vgl. Rolande Depoortere, La question des réparations allemandes dans la politique étrangère de la Belgique après la Première Guerre Mondiale 1919–1925, Brüssel 1997, zur Ruhrbesetzung S. 193–275 eher als Diplomatiegeschichte. Zur politischen Entwicklung älter Klaus Pabst, Der Ruhrkampf, in: Walter Först (Hg.), Zwischen Ruhrkampf und Wiederaufbau, Köln 1972, S. 11–50 f. General Jean Marie Degoutte (1866–1938) war ein Vertreter der Besetzung des gesamten Ruhrgebietes, der nach dem Dawes-Plan von 1924, der den Rückzug der Franzosen vorsah, seine Abberufung verlangte. SHD, 9 YD 777. Lob vom Kriegsminister vom 20.1.1923, in: SHD, 7 N 3492. Vgl. S. Jeannesson, Poincaré, 1997, S. 78–83. Nachfolger von Degoutte wurde im Oktober 1924 General Marie Louis Adolphe Guillaumat (1863–1940). SHD, 9 YD 648; Ernennung in SHD, 7 N 3492. Daniel Schmidt, Schützen und dienen. Polizisten im Ruhrgebiet in Demokratie und Diktatur, Essen 2008, S. 81. Bei den Besetzungen von 1921 waren die deutschen Behörden im besetzten Gebiet ermächtigt worden, mit den Besatzungstruppen zusammenzuarbeiten. K. Pabst, Ruhrkampf, 1972, S. 18 f. SHD, 7 N 2613, Dossier zur deutschen Armee und ihrer Ausrüstung vom 24.1.1923; Communiqué vom 24.3.1923; Note vom 23.5.1923, in: SHD, 7 N 2613. Verordnung 3, in: StArchiv Ge, Buer 1447, Note vom 23.5.1923, in: SHD, 7 N 2613. Vgl. Fritz Gehb, Mit Peitsche und Bajonett. Aus der Buerschen Besatzung seit 13. Januar 1923 bis 19. Juli 1925, Buer 1925, S. 17; allgemein Gerd Krumeich, Der „Ruhrkampf“ als Krieg: Überlegungen zu einem verdrängten deutsch-französischen Konflikt, in: G. Krumeich / J. Schröder, Schatten, 2004, S. 14.

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ten hatten sich darauf geeinigt, zunächst alle Weisungen der Besatzung abzulehnen und nur der Gewalt zu weichen ohne selbst Gewalt anzuwenden.18 Auf die Besetzung reagierte die deutsche Reichsregierung am 19. Januar 1923 mit dem „passiven Widerstand“, der wohl zunächst milieuübergreifend als legitimer Widerstand gegen fremde Besatzung oder auch als Fortsetzung des Krieges begriffen wurde.19 Verbände und Institutionen der Selbstständigen, Unternehmerverband und Gewerkschaften riefen gemeinsam zur Unterstützung des passiven Widerstandes auf. Als Wortführer der Industriellen des Ruhrgebiets verweigerte Fritz Thyssen unter Berufung auf eine Weisung des Reichskohlenkommissars die Lieferung von Reparationskohle und schließlich auch Geschäfte mit den Besatzungstruppen, woraufhin er und weitere Industrielle von einem Kriegsgericht in Mainz zu hohen Geldstrafen verurteilt wurden. Das Vorgehen der Besatzer provozierte Proteste und ein gemeinsames Vorgehen von Unternehmen und Gewerkschaften, die mit dieser „Einheitsfront“ meinten, auch die deutsche Republik und ihre sozialpolitischen Errungenschaften zu verteidigen.20 Schließlich ruhte die Produktion im Ruhrgebiet. Nachdem die letzten Rohstoffe verarbeitet waren, wurden mit Hilfe der Staatsgelder zur Finanzierung des passiven Widerstandes und damit eben auch der Löhne vor allem die Erhaltung der Produktionsanlagen und Aus- und Vorrichtungsarbeiten durchgeführt. Für Monate soll der passive Widerstand die sozialen Gegensätze überdeckt haben und zu einer gemeinsamen Front aus Unternehmen, Freien und Christlichen Gewerkschaften, Beamten, Behörden, Bahn und Post geführt haben. Gerade auch auf der betrieblichen Ebene funktionierte durch die mit den Reformen der Novemberrevolution zumindest ansatzweise eingeübte Kooperation gemeinsames Vorgehen.21 Angesicht der Stärke kommunistischer, unionistischer und syndikalistischer Betriebsräte gerade auch im nördlichen Ruhrgebiet, im Ruhrgebiet stellten Unionisten und Syndikalisten über 30 % der 1922 gewählten Betriebsräte im Raum Gelsenkirchen gut 40 %,22 war man sich bei der Obrigkeit bezüglich des Verhaltens der Arbeiterschaft aber nicht vollständig sicher, und so richtete man in Kontinui18 19

H. Spethmann, Ruhrkampf, 1933, S. 6 f.; K. Pabst, Ruhrkampf, 1972, S. 19. Klaus Tenfelde, Bürgerkrieg im Ruhrgebiet 1918–1920, in: Karl-Peter Ellerbrock (Hg.), Erster Weltkrieg, Bürgerkrieg und Ruhrbesetzung. Dortmund und das Ruhrgebiet 1914/18–1924, Dortmund 2010, S. 13. Auch schon K. Pabst, Ruhrkampf, 1972, S. 20. 20 C Fischer, Arbeitgeber, 2001, S. 96; K. Pabst, Ruhrkampf, 1972, S. 20 f. Vgl. Darstellung bei Hans Spethmann, Zwölf Jahre Ruhrbergbau. Aus seiner Geschichte von Kriegsanfang bis zum Franzosenabmarsch 1914–1925, Bd. 4: Der Ruhrkampf 1923 bis 1925. Das Ringen um die Kohle, Berlin 1930, S. 108–117. Zu Recht wurde diese Zusammenarbeit nur als vorübergehend eingeschätzt. Einschätzungen in: SHD, 7 N 2661. 21 Christian Kleinschmidt, Rekonstruktion, Rationalisierung, Internationalisierung: Aktive Unternehmensstrategien in Zeiten des passiven Widerstands, in: G. Krumeich / J. Schröder, Schatten, 2004, S. 136; K. Pabst, Ruhrkampf, 1972, S. 22, 31; C. Fischer, Arbeitgeber, 2001, S. 97 ff. 22 Martin Martiny, Arbeiterbewegung an Rhein und Ruhr vom Scheitern der Räte- und Sozialisierungsbewegung bis zum Ende der letzten parlamentarischen Regierung der Weimarer Republik 1920–1930, in: Jürgen Reulecke (Hg.), Arbeiterbewegung an Rhein und Ruhr. Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung in Rheinland-Westfalen, Wuppertal 1974, S. 252; Larry Dean Peterson, The Policies of the KPD in the Free Labour Unions of Rhineland and Westphalia 1920–1924, New York 1979, S. 343, Gelsenkirchen nach Stefan Goch, Sozialdemokratische

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tät zu der früheren Bespitzelung von Organisationen der Arbeiterbewegung eine „Zentrale Nord“ als geheime staatliche Organisation zur Unterstützung des passiven Widerstands in Münster ein, die Informationen aus dem Besatzungsgebiet sammelte, aber auch Sabotageaktionen unterstützte.23 Allerdings war man sich bei den Behörden klar, dass ein aktiver Widerstand aussichtslos war und dass man allzu aktive Widerstandshandlungen vermeiden musste.24 Die Besatzungsbehörden reagierten auf den passiven Widerstand mit der Übernahme der Eisenbahnen zur Abfuhr der Kohle, der Abriegelung des Besatzungsgebietes, verschärfter Ahndung von Widerstand bzw. Nichtbefolgung von Befehlen, der Ausweisung der deutschen Polizei aus dem Besatzungsgebiet und weiteren massenhaften Ausweisungen von öffentlich Bediensteten, etwa 70.000 Personen. Insgesamt sollen an Rhein und Ruhr bis zum 1. Oktober 1923 etwa 130.000 Personen ausgewiesen worden sein.25 BESETZUNG GELSENKIRCHENS In Horst traf am Morgen des 11. Januar 1923 eine Radfahrer-Abteilung französischer Alpenjäger als Vorhut ein, bis zum Abend waren es 1.380 Soldaten, 39 Offiziere und 274 Pferde, die die Gemeinde unterbringen musste.26 Bis Ende 1923 war Horst dann von mehreren Hundert Soldaten besetzt, ab April 1923 kamen belgische Truppen hinzu und schließlich wurde Horst Teil des belgischen Besatzungsgebietes, obwohl immer noch auch französische Soldaten in der Gemeinde blieben. Die Belgier blieben mit neun Offizieren und 350 Soldaten bis Juni 1924 und ließen nur drei belgische Gendarmen zurück, die bis Oktober 1924 blieben.27 Insgesamt bemühten sich die Besatzungstruppen in Horst offensichtlich, die normale Bevölkerung nicht zu sehr gegen sich aufzubringen. Auf Klagen des Horster Amtmannes Dr. Wilhelm Schumacher zu Übergriffen französischer Besatzungssoldaten antwortete der Ortskommandant Anfang April 1923:28 „In Beantwortung Ihres Schreibens vom 28. März, eingegangen am 3. April, beehre ich mich, Ihnen mitzuteilen, dass

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Arbeiterbewegung und Arbeiterkultur im Ruhrgebiet. Eine Untersuchung am Beispiel Gelsenkirchen 1848–1975, Düsseldorf 1990. Gerd Krüger, Der „bestgehaßte“ Beamte der Arbeiterkreise in Gelsenkirchen. Kriminal-Wachtmeister Heinrich Kölpin (1878–1965), in: Stefan Goch (Hg.), Städtische Gesellschaft und Polizei. Beiträge zur Sozialgeschichte der Polizei in Gelsenkirchen, Essen 2004, S. 154–170, hier S. 165 ff. Sabotage Aktionen wie die Sprengung des Rhein-Herne-Kanals oder die Störung des Bahnverkehrs im Einzelnen z. B. bei H. Spethmann, Jahre, Bd. 4, 1930. Brief des westfälischen Oberpräsidiums vom 14.3.1923, in: LAV, Reg. Arnsberg 14426. S. Jeannesson, Poincaré, 1997, S. 204; G. Krumeich, Ruhrkampf, 2004, S. 20; K. Pabst, Ruhrkampf, 1972, S. 22 f.; Befehle der Besatzungsmacht, 47. Division zur Beschlagnahmung, Abfuhr und Sicherung von Kohle und Koks in: StArchiv Ge, Buer 1447. Chronik über die Besetzung der Gemeinde Horst-Emscher bei französischen und belgischen Ruhreinbruch 1923–1925, o. O. o. J. S. 2. Zum problemlosen Einmarsch Communiqué vom 12.1.1923, in: SHD, 7 N 263. Chronik, o. J., S. 5; Bericht vom 16. September 1933, in: StArchiv Ge, Ge 1799. Zeitungsausschnitt Neueste Nachrichten, 12.4.1923, in: StArchiv Ge, Buer 1459.

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ich die Zwischenfälle, über die sie mich unterrichtet haben, tadele. Es sind strenge Anordnungen erteilt worden, damit sich solche Vorkommnisse nicht wiederholen. Die Rittmeister-Kommandanten werden sich Mühe geben, die Schuldigen zu ermitteln und es werden Maßnahmen (Sanktionen) gegen Sie ergriffen werden. Ich würde Sie bitten, in ähnlichen Fällen mich alsbald davon zu unterrichten, um die Nachforschungen nach den Schuldigen zu erleichtern. Ich erkenne mit Ihnen die korrekte Haltung der Bevölkerung von Horst an, wie Sie mit mir anerkennen werden, dass außer den militärischen Notwendigkeiten wir uns bemühen, die durch sie vertretende Bevölkerung nicht zu belästigen.“ Die Stadt Gelsenkirchen, wo man schon bei den Drohungen einer Ruhrbesetzung von 1921 vorübergehend und dann erneut kurz vor der Besetzung Anfang 1923 ein Besatzungsamt bei der Stadtverwaltung eingerichtet hatte,29 wurde am 11. Januar 1923 von einem kleinen Trupp Belgier an der Kanalschleuse und im Stadtgebiet von französischen Truppen besetzt. Der Aufmarsch wurde aus manchem Fenster eher neugierig beäugt und begleitet von hunderten Kindern.30 Der Gelsenkirchener Oberbürgermeister Carl von Wedelstedt schilderte am 16. Januar 1923 seine erste Begegnung mit dem für Gelsenkirchen zunächst zuständigen Divisionskommandeur der 11. französischen Division, General Jean Vidalon, einem militärisch und politisch erfahrenen General31, die offensichtlich recht sachlich vor sich gegangen war:32 „Der Divisionskommandeur, General Vidalon, erklärte mir, dass nunmehr auch Gelsenkirchen als besetzt zu gelten hätte und zu seinem Befehlsbereich gehörte. Die bekannte, jetzt an zahllosen Stellen der Stadt klebende Verordnung des französischen Oberbefehlshabers müsste also auch in Gelsenkirchen Anwendung finden und befolgt werden; das gelte insbesondere bezüglich des Belagerungszustandes und der Übertragung der obersten Gewalt auf die französischen Militärbehörden. General Vidalon erklärte aber ausdrücklich, dass er von dieser ihm zustehenden Gewalt einen möglichst geringen Gebrauch zu machen wünschte, dass er allen seinen Untergebenen auch die strengste Anweisung gegeben hätte, ein korrektes Verhalten der Zivilbevölkerung gegenüber zu beachten. Das gleiche Verhalten erhoffte er aber auch in umgekehrter Richtung, und er wünschte, dass die deutschen Behörden im Bereich ihrer Zuständigkeit auf die Bevölkerung in diesem Sinne einwirken. [Absatz] Ich habe dem General erwidert: Wie er als französischer Offizier dem ihm gegebenen Befehl entsprechend handelte, so hätte ich als deutscher Beamter die Pflicht, für das Recht und die Interessen meines Landes und meiner Stadt einzutreten. Ich erhöbe deshalb entschieden Einspruch gegen die Besatzung von Gelsenkirchen und gegen die Unterstellung unserer Bevölkerung unter fremde Gewalt. General Vidalon nahm Kenntnis von dem Einspruch, entgegnete aber, dass er nur seine Befehle zur Ausführung zu bringen hätte und betonte nochmals, dass er keineswegs schroff vorzugehen wünschte. [Absatz] Über das .

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Gelsenkirchen im Ruhrkampf, Gelsenkirchen o. J. (masch. aus der Verwaltungsbücherei), in: StArchiv Ge, HB 777, S. 3, 136. Nach Zeitungsberichten D. Plieth, Ruhrkampf, 1961, S. 38 f. Zu Jean Vidalon (1869–1959) SHD, 13 YD – 1352. Stellungnahme zur Besetzung der Stadt durch fremde Truppen, in: StArchiv Ge, Ge 3148. Vgl. Gelsenkirchen im Ruhrkampf, in: StArchiv Ge, HB 777, S. 9 f.

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Verhalten der in Gelsenkirchen bisher einquartierten französischen Offiziere und Mannschaften war bis jetzt in der Tat auch keine Klage zu führen.“ Weiter betonte der Oberbürgermeister in der Stadtverordnetenversammlung am 18. Januar 1923, dass jeder aktive Widerstand auch bis hin zum Abreißen französischer Anschläge unsinnig wäre. Pathetisch beschwor er die „Einheitsfront aller Deutschen“:33 „Sind die Nachrichten nicht herzerhebend, die wir über den eisernen Widerstand der Arbeitgeber sowohl wie der Arbeitnehmer den feindlichen Befehlen gegenüber erhielten? Solche Beispiele beharrlichen Mutes und festen Zusammenstehens müssen und werden ansteckend wirken und zu unserer inneren Einigung vielleicht mehr beitragen, als alles was seit Jahren gesprochen und geschrieben ist. Die deutsche Arbeit, der deutsche Gedanke gehören zusammen, sie in feindliches Joch zu schmieden wird niemals möglich sein.“ Die Stadtverordnetenversammlung beschloss nach der Rede des Oberbürgermeisters einstimmig eine Protestnote gegen die Besetzung. Dabei wurde auch eine Verweigerungshaltung gegenüber den Besatzungstruppen formuliert:34 „Umso mehr aber muss deutsche Ehre und Würde dadurch gewahrt werden, dass jede Gemeinschaft mit Angehörigen der an dem Einbruch in unser Industriegebiet beteiligten Staaten bis zum Ende dieses Einbruchs abgelehnt wird und jeder Kauf ihrer Waren vermieden wird. [Absatz] Dem allgemeinen Empfinden der Bevölkerung gibt die Stadtverordnetenversammlung Ausdruck, indem sie erklärt, dass der fremden Gewalttat gegenüber die unzerreißbare Gemeinschaft aller als Deutsche und Preußen nie tiefer empfunden worden ist als jetzt. [Absatz] Gerade in dieser Zeit schwerster Not bleiben wir der deutschen Republik unter allen Umständen treu.“ Am 24. Januar 1923 wurde die 11. Division durch die 47. Division mit General Joseph Laignelot ersetzt.35 Nach den Anweisungen zum passiven Widerstand, der zugesagten Erstattung der Auslagen für die Unterbringung der Besatzungstruppen durch das Reich und den in Gelsenkirchen gefassten Beschlüssen verweigerte Oberbürgermeister von Wedelstaedt die Durchführung von Anordnungen der Besatzungsmacht in formal korrekt gehaltenen Schreiben unter Verweis auf fehlende Zuständigkeiten, deutsche Hoheitsrechte und Anweisungen der Regierung.36 Im Nachhinein stellte die Stadtverwaltung fest, dass „die Besatzung, abgesehen von der verhältnismäßig kleinen Wache in der Hafengegend nicht in die Erscheinung“ trat.37 In der Bürgermeisterei Rotthausen trafen die Besatzungstruppen ebenfalls am 11. Januar 1923 ein. Hier sandten die Fraktionsvorsitzenden der Gemeindevertretung bereits am Tage der Besetzung dem kommandierenden General der Franzosen 33 34 35 36 37

Stellungnahme zur Besetzung der Stadt durch fremde Truppen, in: StArchiv Ge, Ge 3148. Vgl. auch übergreifend zur Instrumentalisierung G. Krumeich, Ruhrkampf, 2004, S. 17. Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 18. Januar 1923, in: StArchiv Ge, Ge 3148; Gelsenkirchen im Ruhrkampf, in: StArchiv Ge, HB 777, S. 10 f. Besatzungsamt, Beitrag zur Geschichte der Ruhrbesetzung, betrifft das Gebiet von Gelsenkirchen, 11. Juni 1926, in: StArchiv Ge, Ge 3148; zu Joseph Jean Baptiste Laignelot (1867–1940) SHD, 13 YD 544. Ablehnung der Anordnungen der Besatzungstruppen nachzuweisen ab 24. Januar 1924, in: StArchiv Ge, Ge 1726. Vgl. Stellungnahme zur Besetzung der Stadt durch fremde Truppen, in: StArchiv Ge, Ge 3148. Gelsenkirchen im Ruhrkampf, in: StArchiv Ge, HB 777, S. 14.

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eine Protestnote zu, wobei man sich gegen die ungerechtfertigte Besetzung wandte, aber mitteilte, dass man sich „im Interesse der schwer leidenden Bevölkerung“ der Gewalt füge.38 In Rotthausen stimmten die Kommunisten allerdings nicht mit und forderten die Einberufung des Gemeinderates, der nach der intransigenten Oppositionspolitik der Kommunisten, die die stärkste Fraktion in der Gemeindevertretung stellte, nicht mehr einberufen worden war. Politischen Auseinandersetzungen in Rotthausen führten zur Auflösung des Gemeinderates am 26. März 1923 und beschleunigten die Überlegungen und Verhandlungen zur Eingemeindung Rotthausens nach Gelsenkirchen und Essen. Schließlich ging mit der Verabschiedung des Eingemeindungsgesetzes am 18. Dezember 1923 der größere Teil Rottausens an die Stadt Gelsenkirchen, die schon am 30. Oktober die Verwaltung in Rotthausen übernommen hatte, und ein kleinerer Teil an Katernberg mit einem Gebietsaustausch mit Kray.39 In Rotthausen verweigerte die Zeche Dahlbusch die Lieferung von Kohle nach Frankreich, woraufhin der Zechendirektor am 21. Januar 1923 verhaftet wurde und die Belegschaft in Streik trat.40 Ähnlich lief es bei den anderen Zechen ab, die dann im Rahmen des passiven Widerstandes nur noch für den Eigenbedarf förderten, aber nicht verhindern konnten, dass Vorräte oder Halden nach Frankreich und Belgien transportiert wurden.41 Am 13. Januar 1923, einem Samstag, rückten französische Truppen der 47. Division von Gelsenkirchen und Essen aus in Richtung Buer und erreichten die Stadt gegen Abend. Die Besatzungstruppen wurden in Schulräumen und größeren Sälen untergebracht, die Offiziere bezogen Hotels. Beim Einzug der Truppen gab es Proteste aus der Bevölkerung, berichtet wird von „Verwünschungsrufen“ und dem Singen nationaler Lieder, ernste Zwischenfälle gab es wohl nicht. Jedenfalls wurde der Oberbürgermeister von Buer, Emil Zimmermann, gezwungen, sich am folgenden Montag beim General Laignelot für das Verhalten seiner Bevölkerung zu entschuldigen. Der erste Tag der Besetzung, der Sonntag, blieb in Buer ruhig.42 Am 16. Januar 1923 traten dann der Magistrat der Stadt Buer und die Stadtverordnetenversammlung zu einer Sondersitzung zusammen und beschlossen einmütig, auch gemeinsam mit den Kommunisten, eine Verurteilung der Besetzung der Stadt:43 „Magistrat und Stadtverordnetenversammlung von Buer legen gegen die Besetzung der Stadt durch französische Truppen einmütig und nachdrücklich Verwahrung ein. Sie erblicken darin einen Bruch des Rechts und des Friedens, um die deutsche Wirtschaft zu zerstören und die in ihr tätigen Menschen zu verelendigen. Wenn die damit verbundenen Gewaltmaßnahmen z. Zt. von der Stadt und der Bevölkerung auch 38 39

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Beitrag zur Geschichte der Ruhrbesetzung, betrifft die ehemalige Gemeinde Rotthausen vom 16. Juli 1926, in: StArchiv Ge, Ge 3148; StArchv Ge, Bürgermeisteramt Rotthausen 548. Zu den Auseinandersetzungen in Rotthausen zwischen dem 17 und 21. März 1921 H. Spethmann, Jahre, Bd. 4, 1930, S. 142 f. Aus den Quellen bei Hein Hoebink, Mehr Raum – Mehr Macht. Preußische Kommunalpolitik und Raumplanung im rheinisch-westfälischen Industriegebiet 1900–1933, Essen 1990, S. 78–86. Beitrag zur Geschichte der Ruhrbesetzung, betrifft die ehemalige Gemeinde Rotthausen vom 16. Juli 1926, in: StArchiv Ge, Ge 3148; StArchiv Ge, Bürgermeisteramt Rotthausen 548, 549. Schilderung im Einzelnen bei H. Spethmann, Jahre, Bd. 4, 1930. F. Gehb, Peitsche, 1925, S. 7 f., 10. Ebd.

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getragen werden müssen, so lassen wir doch keinen Zweifel darüber aufkommen, dass wir uns jederzeit unverbrüchlich mit dem Deutschen Reich verbunden fühlen, dass keine Gewalt oder sonstige Maßnahmen uns von ihm lösen kann.“ Nach einem Bericht des Oberbürgermeisters von Buer vom 9. Februar 1923 kam es dann gegen Anfang Februar 1923 zu Auseinandersetzungen mit den französischen Besatzungstruppen, die die Lieferung von Kohle und Holz verlangten. Ein Ultimatum ließ der französische Ortskommandant zunächst verstreichen, um die Angelegenheit im Gespräch mit dem Oberbürgermeister zu regeln. Dabei betonten dann beide Seiten, der französische Ortskommandant und der Oberbürgermeister, die Aufträge ihrer jeweiligen Regierung, die ihr Handeln bestimmen sollten. Gegenüber der Weigerung, die Besatzungstruppen zu beliefern, betonten die französischen Offiziere, dass aus ihrer Sicht Gewaltanwendung nicht zu verantworten sei, was der Oberbürgermeister genauso sah. Daraufhin erklärten die Vertreter der Besatzungstruppen, dass sie die gewünschten Lieferungen nun bei Privatleuten requirieren wollten. Der Oberbürgermeister befürchtete, dass man ihn dafür verantwortlich machen wollte, wenn es bei solchen Zugriffen zu Gewaltanwendung kommen würde.44 Buer ging dann im Mai/Juni 1923 über in den Bereich der belgischen Besatzung („Detachement Belge de la Ruhr“).45 Auch die Belgier erfassten zunächst die Beamtenschaft und die Offiziere der Armee im Stadtgebiet. Die belgische Besatzungsmacht achtete streng darauf, dass kein Alkohol an die Soldaten verkauft wurde, um Konflikte unter Alkoholeinfluss zu verhindern. Die Befehle und Verordnung der belgischen Besatzungsmacht in Buer vermitteln ab Mitte 1923 den Eindruck eines halbwegs eingeübten Verfahrens. Einerseits wurden Requirierungen vorgenommen, die Presse und auch öffentliche Aushänge wurden kontrolliert und im Zweifelsfall zensiert, öffentliche Veranstaltungen mussten genehmigt werden und wurden dabei oft auch Beschränkungen unterworfen. Insgesamt gab es nur noch wenige Proteste oder Weigerungen, Anweisungen der Besatzungsmacht zu befolgen, ebenso keine Hinweise auf ständige Auseinandersetzungen.46 Zu der in vielen Fragen relativ konfliktarmen Begegnung von französischen und belgischen Vertretern der Besatzungstruppen, die ihre Befehl meist mit der Formulierung „J’ai l’honneur …“ begannen, mit den kommunalen Behörden sowie auch Arbeitgebern und Arbeitnehmern vor Ort trug wohl auf ungewollte Weise der proklamierte passive Widerstand bei. Auf die Besetzung der Ruhrgebietsstädte hatte die Reichsregierung nämlich relativ routiniert reagiert vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit den Besetzungen im Westen des Reiches nach der Niederlage im Weltkrieg. Bereits wenige Tage nach dem Beginn der Besetzung war der Umgang mit Kosten der Besatzung, mit Requirierungen, mit Besatzungsschäden und 44 45 46

Bericht vom 9.2.1923, in StArchiv Ge, Buer 1459. Vgl. F. Gehb, Peitsche, 1925, S. 10. F. Gehb, Peitsche, 1925, S. 3. Nach LAV, Zentrale Nord, Nachrichtensammelstelle 35 war Buer ab Ende Juli 1923 von den Franzosen geräumt und nur noch von Belgiern besetzt. Befehl des „Poste de Buer“ der „Armeè Belge, Sûreté Militaire“ vom 28.2.1924 zur Erfassung der Beamtenschaft und auch Requirierungsbefehle, in StArchiv Ge, Buer 1458, weitere Befehle und Übersetzungen, in: StArchiv Ge, Buer 1459, 1460, 1461.

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mit den dabei anfallenden Verwaltungskosten geregelt. Auch in der Folgezeit wurden alle Schadensfragen ohne größere inhaltliche Auseinandersetzungen bürokratisch routiniert abgewickelt. In der Praxis der Kommunalverwaltungen entwickelte sich rasch trotz aller Ablehnung der Ruhrbesetzung und konkreter Maßnahmen ein geregelter Umgang mit den Besatzern. Die kleinteilige Reglementierung der Besatzungsmächte passte möglicherweise auch gut zu der preußischen Verwaltung, die gewohnt war, in den Grenzen eines Regelwerks zu funktionieren.47 Bezeichnenderweise musste sich die Stadtspitze Gelsenkirchens bereits in der Stadtverordnetenversammlung am 8. Februar 1923 scharf dagegen verwahren, dass ihr aus Teilen der Bürgerschaft vorgeworfen wurde, ein zu entgegenkommendes Verhalten gegenüber den Besatzungsbehörden zu zeigen.48 Auch kam es zunächst nicht zu größeren Auseinandersetzungen zwischen der überwiegenden Mehrheit der Arbeiterschaft und den deeskalierend vorgehenden Besatzungstruppen, die in den ersten Anordnungen ausdrücklich die Respektierung der sozialen Rechte der Arbeiterschaft zusagten. Bei den Franzosen war schon 1921 eingeschätzt worden, dass es bei der Masse der arbeitenden Bevölkerung nicht zu ernsthaftem Widerstand kommen würde, wenn Lebensmittelversorgung, Arbeit, Arbeitsrechte, sowie gewerkschaftliche Vertretung und auch das Streikrecht gewährleistet werden würden. Auch die Gefahr einer „Armée Rouge“ aus Kommunisten und linksradikalen Bergarbeitern befürchtete man nicht.49 In ihren Lageberichten erwähnten die französischen Truppen auch immer wieder über das Zusammentreffen mit Deutschen, die die Notwendigkeit einer Kompromissbildung betonten.50 REAKTIONEN DER BEVÖLKERUNG AUF DIE RUHRBESETZUNG In der „großen Politik“ setzte man in Deutschland wie in Frankreich dagegen auf Konfrontation und Eskalation. Die SPD und für die Besatzungsmächte eher unerwartet die Gewerkschaften gehörten dabei in Deutschland zu den energischen Befürwortern des passiven Widerstandes, auch weil sie um die in der Weimarer Republik 47

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Anweisungen, Regelungen, Umsetzung vor Ort in: StArchiv Ge, Buer 1471; kleinteilige Regelungen der Erstattung von Besatzungsschäden lt. Niederschriften über die Sitzungen der Rechnungsbeamten der Besatzungsämter, in: StArchiv Ge, Buer 381. Relativ normaler Schriftverkehr zwischen Stadtverwaltung und Besatzungsbehörden z. B. StArchiv Ge, Ge 1729, 1730; Sammlung von Anweisungen und Regelungen durch die (örtlichen) Besatzungsbehörden z. B. für den Gelsenkirchener Süden: StArchiv Ge, Ge 1773–1793, ähnlich auf der Ebene des Regierungsbezirks: LAV, Reg. Arnsberg, Besatzungsakten. Heroischere Darstellung des Verwaltungshandelns bei Paul Wentzke, Ruhrkampf. Einbruch und Abwehr im rheinischen-westfälischen Industriegebiet, Bd. 1, Berlin 1930, S. 217–264. Protokollauszug, in: StArchiv Ge, Ge 3148. Note au sujet de l’Attitude probable de l’Allemagne en cas d’Occupation prochaine du Bassin de la Ruhr, 27.4.1921, in: SHD, 7 N 2613. SHD GR 7 N 3489 (Rapports politiques établis par le Général Degoutte pendant la période d’occupation de la Ruhr): Dossier 4: 20.1.1923–1.2.1923; Dossier 5: 1.2.1923–17.2.1923; Dossier 6: 18.2.1923–15.3.1923; Dossier 7: 15.3.1923–17.4.1923; Dossier 8: 17.4.1923–5.6.1923; Dossier 9: 5.6.1923–30.7.1923.

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erreichten sozialen Errungenschaften fürchteten. Nach den Auseinandersetzungen in der Anfangsphase der Weimarer Republik war sicherlich auch eine Befürchtung, als national unzuverlässig zu gelten, ein Motiv für Sozialdemokraten und Freie Gewerkschafter, sich im passiven Widerstand hervorzutun.51 In Gelsenkirchen war die erste Reaktion auf die Besetzung, die von der Arbeiterschaft getragen wurde, ein am Vortag von einer größeren Versammlung der Gewerkschaften verkündeter halbstündiger Proteststreik am 15. Januar 1923, einem Montag,52 damit insgesamt aber eine doch eher symbolische Aktion. Dabei war die Arbeiterschaft Gelsenkirchens milieuhaften fragmentiert. So gab es ein katholisches Arbeitermilieus und Gruppen aus der Arbeiterschaft, die zum national-protestantischen Lager gehörten. Das große alte sozialdemokratische Lager war nach der bürgerkriegsähnlichen Anfangsphase der Weimarer Republik, der Enttäuschung zahlreicher Arbeiter über die Ergebnisse der Novemberrevolution und der Radikalisierung in Folge des KappLüttwitz-Putsches und der sozialen Not tief gespalten in eine im Raum Gelsenkirchen schwächere sozialdemokratische Richtung und eine stärkere wenig gefestigte kommunistische Richtung. Vor allem bei der politischen Linken handelten große Teile der Arbeiterschaft vor dem Hintergrund ihrer klassengesellschaftlichen Erfahrungen aus dem Kaiserreich, der repressiven Arbeitsbedingungen während des Weltkrieges und der Erfahrungen der Nachkriegszeit. So vermischte sich im nördlichen Ruhrgebiet Resistenz gegenüber den Besatzungsmächten nach vielen Krisenjahren seit Beginn des Ersten Weltkrieges und den bürgerkriegsähnlichen Ereignissen der Nachkriegszeit mit ökonomischen Streiks, lokalen Unruhen und Krawallen, Plünderungen, Erwerbslosen- und Hungerdemonstrationen. Eine Einheitsfront mit den Unternehmern oder auch mit den Institutionen des Staates kam für Teile der Arbeiterschaft nicht in Frage. Auch unterschieden sich die alltäglichen Erfahrungen der Arbeiterfamilien von den auf überbetriebliche Verhandlungen und komplexe sozial- und tarifpolitische Vereinbarungen zielenden Gewerkschaften.53 Die französische Besatzungsmacht sah zu Recht den Hauptwiederstand bei den Angestellten von Staat, Kommunen, Polizei und Bahn, während man bei der Arbeiterschaft vor allem „le desir [festellte] d’eviter le desordre et de travailler quel que soit l’employeur pour toucher son salaire et pouvoir subvenier á ses besoins“.54

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Franz Menges, Die Reaktion der sozialistischen Parteien in Deutschland und Frankreich (SPD und SFIO) auf die Ruhrbesetzung 1923, in Francia (1976) 4, S. 625–658; K. Pabst, Ruhrkampf, 1972, S. 33 f. Gelsenkirchen im Ruhrkampf, in: StArchiv Ge, HB 777, S. 8. D. Plieth, Ruhrkampf, 1961, S. 41, auf S. 76 heißt es: „Im allgemeinen lässt sich sagen, dass die Bevölkerung zu Anfang den Besatzungsmächten gegenüber viel Skepsis gezeigt hat. Aus dieser mehr oder weniger neutralen Haltung wurde aber, sobald Frankreichs Absichten keine verdeckten Karten mehr waren, der passive Widerstand, der aus der Bevölkerung selbst kam und erst später durch die Aufrufe des Reichspräsidenten, des Reichskanzlers und der Regierung überhaupt geschürt wurde.“ Überblick Stefan Goch, Arbeiter(bewegungs)kulturen im Ruhrgebiet: Ziele und kulturelle Praxis, in: Andreas Jacob / Gordon Kampe (Hg.), Kulturelles Handeln im transkulturellen Raum, Hildesheim 2014, S. 29–59, vgl. K. Tenfelde, Bürgerkrieg, 2010, S. 13–66. Mit Blick auf die Ruhrbesetzung Michael Ruck, Die Freien Gewerkschaften im Ruhrkampf 1923, Köln 1986. Bericht vom 6.2.1923, ähnlich 4.2.1923, 7.2.1923, in: SHD, 7 N 3492.

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Mit dem passiven Widerstand sollte die Politik der produktiven Pfänder unmöglich gemacht werden, indem jede Belieferung der Besatzungsmächte untersagt wurde. Dabei sollte auch eine Unterhaltung bzw. Versorgung der Besatzungstruppen oder der Handel mit Besatzungssoldaten unterbunden werden. Der Ortskommandant von Buer reagierte am 30. Januar 1923 nach einer Verordnung des Generals Laignelot mit dem Verbot von Aushängen zum Verbot des Verkaufs von Waren an Soldaten und erlaubte dies ausdrücklich. Es ist aber nicht ganz klar, ob der Verkauf von Waren an Besatzungssoldaten wirklich unterlassen worden war.55 Die Bürger von Buer ließen, wie vielerorts, ihren Unmut lieber gefahrlos an Schwächeren in der lokalen Gesellschaft aus:56 „Wehe aber, wenn sich doch irgendeiner der Bevölkerung den Fremdlingen näherte! Er setzte sich der Erbitterung der Mitbürger aus. Jene Mädchen wissen ein Lied davon zu singen, die mit französischen Soldaten eine kleine Partie auf einer Schiffsschaukel wagten: die erbosten Zuschauer verfolgten die Mädchen und schnitten ihnen die Haare ab.“ Es kam auch zu empörten Reaktionen von Teilen der Bevölkerung, wenn jemand sich zu sehr auf die Besatzungstruppen einließ. So soll ein Gelsenkirchener am 24. Januar 1923 eine Tracht Prügel bekommen haben, weil er sich während einer französischen Militärparade von einem Franzosen eine Zigarette hatte schenken lassen.57 Auf deutscher Seite wurden aber auch die Auseinandersetzungen um den Handel mit den Besatzungstruppen fortgeführt. Im nördlichen Ruhrgebiet mit dem Kreis Recklinghausen und auch mit der Stadt Buer riefen die Handelskammer und die Handwerkskammer am 20. Februar 1933 zum passiven Widerstand auf:58 „Einem von den maßgebenden Vertretungen des Handels, Handwerks und Gewerbes sowie den Beamten-, Angestellten- und Arbeiterorganisationen des Einbruchsgebiets in gemeinsamer Stellungnahme gefassten Beschlüsse entsprechend ergeht hiermit an alle Kaufleute, Handwerker und Gastwirte des Vestes Recklinghausen die Aufforderung, den Verkauf von Waren jeglicher Art sowie die Verabreichung von Speisen und Getränken und die Ausführung handwerklicher Dienstleistungen an die Besatzungstruppen und deren Angehörige sofort einzustellen. Pflicht eines jeden Handel- und Gewerbetreibenden ist es, die vorhandenen Waren nur an die deutsche Bevölkerung zum Verkauf zu bringen. [Absatz] Gleichzeitig wird von den Banken die Einstellung jeglicher Wechselgeschäfte in französischen und belgischen Francs gefordert. [Absatz] Dieser Aufforderung, hinter der die werktätige sowie die gesamte übrige Bevölkerung des Einbruchsgebiets steht, muss unbedingt und mit sofortiger Wirkung 55 56

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Schreiben an der OB Buer vom 30.1.1923, in: StArchiv Ge, Buer 1460. Bei F. Gehb, Peitsche, 1925, S. 11 heißt es etwas vorsichtig: „Nicht selten wurde Ihnen in den Geschäften sogar die Ware verweigert; nur unter Drohung konnten sie den Einkauf erzwingen.“ F. Gehb, Peitsche, 1925, S. 11; aus der Presse D. Plieth, Ruhrkampf, 1961, S. 77. Übergreifend auch Spione, 1926, S. 1 f. und im Denunziationsteil zahlreiche Beispiele (allerdings ohne Gelsenkirchen, Buer und Horst). Informationen über Einwohner des Ruhrgebiets wurden von der Zentrale Nord gesammelt. Dort sind auch verschiedene Frauen, die Kontakt zu Besatzungssoldaten hatten, erwähnt: LAV, Zentrale Nord, Nachrichtensammelstelle 21 mit entsprechenden Listen. Vgl. K. Hartewig, Jahrzehnt, 1993, S. 309 f. Gerd Krüger, „Wir wachen und strafen“ – Gewalt im Ruhrkampf von 1923, in: G. Krumeich / J. Schröder, Schatten, 2004, S. 244. Flugblatt, in: StArchiv Ge, Buer 1459.

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Folge geleistet werden.“ Allgemein wird für das Ruhrgebiet berichtet, dass spätestens im April/Mai 1923 dieser Boykott des Einzelhandels und auch der Gaststätten endete.59 Bereits gegen Mitte März 1923 meldete die eher misstrauische französische Besatzungsmacht in der Masse der Bevölkerung eine weitgehende Beruhigung und auch einen nachlassenden Widerstand in der Arbeiterschaft, der es um die Bewältigung der alltäglichen Lebens unter schwierigen Bedingung ging.60 Auch wenn es so scheint, dass vor Ort die zentralen Personen auf deutscher und französisch-belgischer Seite eher in gesitteter Art und Weise ihre jeweiligen Standpunkte austauschten, so dürfte in weiten Teilen der Öffentlichkeit manche alltägliche Auseinandersetzung mit Besatzungssoldaten nur begrenzt verstehbar gewesen sein, denn mindestens in Teilen der deutschen Öffentlichkeit war nicht bekannt und auch wenig vorstellbar, wie sich die deutschen Truppen im besetzten Nordfrankreich während des Weltkrieges verhalten hatten. Brutales Vorgehen der Besatzungstruppen im Ruhrgebiet, das vor diesem Erfahrungshintergrund von Offizieren und auch von einzelnen Besatzungssoldaten erfolgte, erschien so willkürlich.61 Mit der Ruhrbesetzung trafen auch grundlegend unterschiedliche Sichtweisen auf den Weltkrieg und seine Folgen aufeinander. In Frankreich wurden die Kriegsschäden (nicht nur in Nordfrankreich) auf 33 bis 57 Milliarden Goldmark geschätzt, ohne weitere Kriegsfolgekosten wie Besatzungskosten, Renten etc. Angesichts der für sie geklärten Kriegsschuldfrage hielten Frankreich und Belgien die Reparationszahlungen für ihren Wiederaufbau für gerechtfertigt.62 Diese Zusammenhänge 59

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Auch vom mindestens deutschnationalen Propagandisten Friedrich Grimm, Vom Ruhrkrieg zur Rheinlandräumung. Erinnerungen eines deutschen Verteidigers vor französischen und belgischen Kriegsgerichten, Hamburg 1930, S. 126 f.; auch P. Wentzke, Ruhrkampf, Bd. 2, 1932; S. 138 f. Bericht vom 15.3.1923, in: SHD, 7 N 3489; Communiqué vom 24.3.1923, in: SHD, 4 N 96: „… l’ensemble de Population reste calme. Les rapports s’améliorent constamment entre les troupes et les habitants.“ Auch K. Pabst, Ruhrkampf, 1972, S. 23, 38 f. stellt fest, dass „der patriotische Schwung der ersten Monate bereits im Frühjahr 1923 nach[ließ]“. Bis zu neueren Veröffentlichungen: Yves Buffetaut / Maud Dagmey-Lacment, Le Nord en Guerre, Louviers 2014; Jean Vavasseur-Desperriers, La Grande Guerre: Le Front, De l’Invasion à la Libération du Territoire 1914–1918, in: Laurent Warlouzet (Dir.), Histoire des Provinces Françaises du Nord 1914–2014, Arras 2016, S. 11–27; Ders., La Grande Guerre des Civils du Nord, in: Ebd., S. 29–42. Überblick bei N. Piquet, Charbon, 2008, S. 33–36. Das deutsche Besatzungsregiment in Nordfrankreich wird geleugnet in Wilhelm Wiedfeld, Gequälte Nation. Das Buch vom Ruhrkampf, Duisburg 1933, S. 178 f. Die Erfahrungen der Besatzungssoldaten dürften nur schwer erforschbar sein. Die Biografien der hier genannten französischen Offiziere zeigen große Ähnlichkeiten auf. Sie alle hatten auch schon vor dem Ersten Weltkrieg auf unterschiedlichen Kriegsschauplätzen gedient und hatten umfassende Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg. Vgl. Quellenhinweise jeweils bei erster Erwähnung. Kurzzeitig war General Alphonse Edouard Caron (1862–1951) als Komandant für Buer zuständig, er hatte seine Jugend in Frankreichs Norden verbracht. SHD, 13 YD 863. Schon K. Pabst, Ruhrkampf, 1972, S. 11 f.; G. Krumeich, „Ruhrkampf“, 2004, S. 9 f. Der französische Nachrichtendienst zitierte am 4. Januar 1924 Loyd George: „Der Deutsche hat sich noch nicht in die Gegenwart hineingefunden. Er klammert sich an die geschwungene Vergangenheit und merkt nicht, dass er sich aus der Gesellschaft der weiterstrebenden Völker ausschließt.“ Zum Jahrestag der Ruhrbesetzung hieß es im Nachrichtendienst vom 13. Januar 1924: „Ein Jahr Ruhrbesetzung, der Sieg des Rechtes“.

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versuchte die Besatzungsmacht der deutschen Bevölkerung immer wieder deutlich zu machen, wenn Schäden in den während des Weltkrieges von Deutschen besetzten Gebieten beziffert wurden wie die Kosten des Wiederaufbaus von Wohnstätten und Fabrikanlagen sowie zur Wiedergewinnung verwüsteter Ackerflächen.63 Nicht nur in solchen Fragen der Einschätzung des Krieges und seiner Folgen lieferten sich beide Seiten eine von der Besatzungsmacht auch mit Zeitungsverboten geführte Propagandaschlacht, um die Bevölkerung des Besatzungsgebiets für sich einzunehmen.64 Neben Plakaten, Flugschriften und einzelnen Publikationen erschien der „Nachrichtendienst“ als „Berichtigungs- und Informationsblatt“ der französischen Besatzungstruppen, herausgegeben vom französischen Pressedienst in Düsseldorf. Der Nachrichtendienst wurde am 1. März 1923 gegründet, die Einstellung erfolgte am 3. Dezember 1924. Zum Jahreswechsel auf 1924 hieß es zum Zweck des Nachrichtendienstes:65 „Unsere Zeitung ist von den französischen Behörden gegründet worden, um in klarer, ehrlicher Weise der Ruhrbevölkerung unsere Ansichten, Anschauungen und Ziele darzustellen, da sie im Spiegel der deutschen Presse meist nur in beabsichtigter Entstellung zu finden sind. Damit haben wir aber nie den Wunsch verbunden, die deutsche Bevölkerung des Landes von ihren natürlichen auch von einem Ausländer geachteten Gefühlen abzubringen. Nichts wäre uns lieber, als dazu beizutragen, die Ansicht zu verbreiten, dass die Zeit des Hasses vorbei ist, dass es endlich, zum Heile beider Länder, zu einer Verständigung kommen muss, von der wir nur fordern, dass sie auch die berechtigten Ansprüche der Opfer des Krieges berücksichtigt und im Übrigen von dem Gedanken der gemeinsamen Arbeit für eine Zukunft der Gerechtigkeit, der Friedensliebe und der Heiligkeit der Verträge ausgeht.“ Zum französischen Nationalfeiertag 1923 hieß es unter Hinweis auf die Zerstörungen in Nordfrankreich „Recht und Wiedergutmachung“ im Nachrichtendienst.66 Zum 10. Jahrestag des Beginns des Weltkrieges wurde ein in Nordfrankreich brandschatzendes Deutschland karikiert.67 Immer wieder nahm der Nachrichtendienst auch Stellung gegen rechtsextreme, völkische, antisemitische und faschistische Gruppierungen und wünschte eine demokratischere deutsche Republik, die den Einfluss alter Eliten, des Militarismus und des Kapitals beseitigte.68

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Wiederholt in dem Nachrichtenblatt, aber auch in Broschüren wie: Frankreich an der Arbeit, Wiederaufbau der zerstörten Gebiete, 1923. Z. B. Nachrichtenblatt, 21.6.1923: Vergleich der Besatzungen in: Moritz Föllmer, Der Feind im Salon, Eliten, Besatzung und nationale Identität in Nordfrankreich und Westdeutschland 1914–1930, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift (2002) 61, S. 1–24 in der gerade nicht die Arbeiterschaft vorkommt. S. Jeannesson, Poincaré, 1997, S. 166–176; K. Wisotzky, Ruhrbesetzung, 2010, S. 260–281. Auflistung der Zeitungsverbote im Raum Gelsenkirchen bei D. Plieth, Ruhrkampf, 1961, S. 26–29; Gelsenkirchen im Ruhrkampf, in: StArchiv Ge, HB 777, S. 149 f. und zur Propaganda S. 183 ff. Zur Verteilung französischer Flugblätter zu den Kosten des Wiederaufbaus in Frankreich SHD, 7 N 2613, Schreiben des französischen Kriegsministers an den kommandierenden General der Besatzungstruppen vom 12.2.1923, in: SHD, 7 N 3491. Nachrichtendienst, 1.1.1924. Nachrichtendienst, 14.6.1923. Nachrichtendienst, 3.8.1924. Nachrichtendienst, 11.8.1923 zur deutschen Republikgründung.

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So war in der Anfangsphase der Besatzungszeit bei den Besatzungssoldaten wie bei der deutschen Bevölkerung die Stimmung recht aufgeheizt und führte wohl auch alltäglich zu Konflikten. Allerdings konnten an einem Sonntag im Februar in Gelsenkirchen friedliche Straßenszenen beobachtet werden, die dann von französischen Besatzungssoldaten willkürlich auseinandergetrieben wurden.69 Im ersten halben Jahr der Besatzungszeit kam es dabei auch zu Vorfällen, die für einige Bürgerinnen und Bürger aus Gelsenkirchen tödlich endeten. Am 2. Februar wurde ein französischer Gendarm im Gelsenkirchen verletzt.70 Am 5. März 1923 wurde der Bergmann Groote aus Polsum, der auf der Zeche Westerholt arbeitete, erschossen.71 Der Vorarbeiter Heinrich Heitkamp wurde am 30. Juli 1923 in der Hafenschenke von belgischen Soldaten tödlich verletzt.72 Am 26. April 1924 wurde eine Frau namens Wanda Wegzynowski bei einem Verkehrsunfall mit einem französischen Auto getötet.73 Der 80jährige Wilhelm Weber starb am 23. August 1923, nachdem er nach einem Stoß eines französischen Soldaten von einem Müllwagen überfahren worden war.74 Der städtische Friedhofswärter Friedrich Schatta starb am 5. Oktober 1923 nach dem Bauchschuss eines französischen Postens am 10. September 1923 in Röhlinghausen.75 In Horst wurde der Schuhmacher Julius Ricken am 24. Juni 1923 von einem belgischen Posten erschossen, am 26. Juni 1923 starb der Zechenbote Prinz, und der Arbeiter Wiescherhoff aus Gladbeck starb bei einer Passkontrolle belgischer Soldaten.76 Jenseits der Vorfälle mit tödlichem Ausgang finden sich nur relativ wenige Berichte über konkrete Auseinandersetzungen zwischen Mitgliedern der Besatzungstruppen und der Bevölkerung.77 Bei einem solchen Vorfall am 8. Mai 1923 war es wohl zu einer Auseinandersetzung zwischen Passanten und einem französischen Offizier auf dem Gelsenkirchener Bahnhof gekommen, bei dem dann der Offizier einen Arbeiter geschlagen hatte. Daraufhin mussten zunächst die Hilfspolizei und dann die Feuerwehr den Offizier vor einer aufgebrachten Menge in Sicherheit bringen. Das Besatzungsamt der Stadt Gelsenkirchen stellte 1926

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Bericht eines Beobachter aus den Niederlanden vom 26.2.1923, in: SHD, 7 N 2613; Untersuchungen und Schriftverkehr dazu in: SHD, 7 N 2665. Note au Sujet des Attentats et Attaques possibles contre le Corps d’Occupation de la Ruhr, in: SHD, 7 N 2613. Protestnote der Deutschen Regierung vom 24. März 1923, in: Verhandlungen des Reichstages, Band 378, S, 38 f. Gelsenkirchen im Ruhrkampf, in: StArchiv Ge, HB 777, S. 133; Besatzungsamt, Beitrag zur Geschichte der Ruhrbesetzung, betrifft das Gebiet von Gelsenkirchen, 11. Juni 1926, in: StArchiv Ge, Ge 3148. Besatzungsamt, Beitrag zur Geschichte der Ruhrbesetzung, betrifft das Gebiet von Gelsenkirchen, 11. Juni 1926, in: StArchiv Ge, Ge 3148; Gelsenkirchen im Ruhrkampf, in: StArchiv Ge, HB 777, S. 134. Besatzungsamt, Beitrag zur Geschichte der Ruhrbesetzung, betrifft das Gebiet von Gelsenkirchen, 11. Juni 1926, in: StArchiv Ge, Ge 3148; Gelsenkirchen im Ruhrkampf, in: StArchiv Ge, HB 777, S. 132; LAV, Reg. Arnsberg, 14507. Gelsenkirchen im Ruhrkampf, in: StArchiv Ge, HB 777, S. 134. Chronik o. J. Vorfälle bei Begegnungen mit Besatzungssoldaten in Berichten in: StArchiv Ge, Ge 1729.

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30 Misshandlungen während des passiven Widerstands und 23 Misshandlungen durch Besatzungstruppen nach Ende des passiven Widerstands fest.78 Erhebliche alltägliche Schwierigkeiten brachten Einquartierung der Besatzungssoldaten mit sich. Dabei stellte die Nutzung von Schulen für die Unterbringung von Soldaten ein besonderes Problem dar, weil dies den Unterrichtsbetrieb erheblich beeinträchtigte. Auch die Requirierung von Fahrzeugen, Baumaterialien oder Lebensmitteln auch bei Privatleuten erzeugte immer wieder Auseinandersetzungen. Manche Familie aus der schmalen Oberschicht hatte auch zu klagen, weil in ihren großzügigen Häusern Offiziere einquartiert wurden.79 Auch in recht alltäglichen Konflikten bemühte sich die Besatzung um Deeskalation. So schrieb der Ortskommandant Pleven am 25. Januar 1925, also schon nach zwei Jahren andauernder Besatzung, an den Gelsenkirchener Oberbürgermeister:80 „Ich habe die Ehre Ihnen mitzuteilen, dass die Franzosen welche am Stadtgarten wohnen, sich darüber beklagen, dass Kinder, welche anscheinend besseren Familien zugehören, Ihnen die Zunge herausstrecken, lange Nasen machen und Schweine rufen, wenn Sie ihnen begegnen. [Absatz] Ich messe dieser Angelegenheit keine sehr große Bedeutung bei, jedoch haben die französischen Kinder den Befehl erhalten, sich den deutschen Kindern, welchen Sie begegnen sollten, sich ganz korrekt zu verhalten. [Absatz] Ich bitte Sie daher, um uns gegenseitig in dieser Hinsicht Ärger zu ersparen, ihren jungen Untertanen dieses Quartieres die elementaren Regeln der Höflichkeit in Erinnerung bringen zu lassen.“ Ganz alltäglich und konkret versuchten die französischen Besatzungstruppen die Bevölkerung für sich einzunehmen, indem sie eine zusätzliche Versorgung mit Lebensmitteln, insbesondere auch für Frauen und Kinder, die nicht von der Versorgung durch die Betriebe profitierten, organisierte.81 Um diese Versorgung der deutschen Bevölkerung mit Lebensmitteln gab es erhebliche propagandistische Auseinandersetzungen: Während die Besatzungsmächte nachzuweisen versuchten, dass die Versorgung sich verbesserte oder ausreichend war, versuchten deutsche Stellen nachzuweisen, dass die Lebensmittelversorgung wesentlich schlechter geworden war, was auch zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes der

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Besatzungsamt, Beitrag zur Geschichte der Ruhrbesetzung, betrifft das Gebiet von Gelsenkirchen, 11. Juni 1926, in: StArchiv Ge, Ge 3148. Berichte, in: StArchiv Ge, Ge 3148; zahlreiche Einzelfälle in: StArchiv Ge, Ge 1751, 1752, 1756, 1760, 1761, 1762, 1763, 1764, Listen z. B. in 1481 Für Gelsenkirchen StArchiv Ge, Ge 1799; Gelsenkirchen im Ruhrkampf, in: StArchiv Ge, HB 777, S. 153–163. Für Horst Beispiele in: Chronik o. J., auch zu belegten Schulräumen P. Wentzke, Ruhrkampf, Bd. 1, 1930, S. 331. Schreiben, in: StArchiv Ge, Ge 1791. Conan Fischer, Soziale Verwerfungen im Ruhrkampf durch Hunger und Evakuierung, in: G. Krumeich / J. Schröder, Schatten, 2004, S. 156 f. Vgl. Schreiben des Generalquartiers vom 5. Februar 1923 zur Versorgung der Bevölkerung mit Milch angesichts der Übernahme des Eisenbahnverkehrs durch die Besatzungstruppen, in: StArchiv Ge, Buer 1447: „Die Stadtverwaltungen werden in vorkommenden Fällen den Kommandanten der Armee davon Mitteilung machen, wenn Lebensmittel notwendig sind. Diese werden Sie weitergeben an die Militärkommissare oder an die Repräsentanten der Eisenbahnen an ihren Orten diese werden die nötigen Anweisungen geben, dass die Militärzüge die notwendigen Lebensmittelwaggons befördern.“

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Bevölkerung, besonders bei Kindern geführt hätte.82 Die Befürchtungen, dass die Besatzungstruppen mit ihren auch real vorhandenen Bemühungen im Bereich der Lebensmittelversorgung zumindest Teile der Bevölkerung für sich gewinnen könnten, formulierte ein Bericht zu Ereignissen in Horst und Buer vom 3. Februar 1923, der wohl vom Bueraner Oberbürgermeister selbst stammte:83 „Ein Truppenteil hat Küche mit Kochgelegenheit für Massenspeisung und Räume zur Bespeisung von armen Kindern angefordert. Die Forderung wurde mit dem Bemerken abgelehnt, dass die Stadt selbst bestens eingerichtete Volksküchen besäße und die Bespeisung minderbemittelter Personen und Kinder im Gange sei. Da beobachtet wird, dass tatsächlich Kinder und Erwachsenen bei den Truppenküchen Essen abholen, wird als Gegenmaßnahme Bespeisung von Kindern in gefährdeten Stadtteilen durch örtliche Frauenvereine mit Unterstützung der Stadt und der Landwirtschaft sofort eingerichtet.“ Der Konflikt ging allerdings weiter, im Bericht vom 9. Februar heißt es: „Da die Lehrer den Kindern untersagt haben, bei den französischen Speisekesseln Essen abzuholen, haben die Franzosen dem Publikum in propagandistischer Weise vorgehalten, die Lehrer und Pfarrer schädigten die arme Bevölkerung, indem sie ihnen das Essen vorenthielten. Leider haben auch einige Eltern bei den Lehrern Protest erhoben. Durch Lieferung städtischen Essens wird eine Gegenpropaganda entwickelt, die allerdings, da das Essen unentgeltlich geliefert werden muss, sehr teuer werden wird […] Ferner haben sich die Gewerkschaften bereit erklärt, auf die Arbeiterfrauen und Kinder einzuwirken, dass sie sich nicht an dem Essen beteiligen.“ Der Regierungspräsident in Münster reagierte am 18. Februar 1923 auf solche Berichte mit der Aufforderung zu Gegenmaßnahmen:84 „Wenn die Franzosen versuchen, durch unentgeltliche Verabreichung von Essen aus ihren Feldküchen die unbemittelte Bevölkerung für sich zu gewinnen, so muss dem mit allen Mitteln entgegengearbeitet werden. Als Gegenpropaganda wird unbedingt mit der Lieferung von städtischem Essen begonnen werden müssen. Die Kosten sind aus der Ruhrspende zu bestreiten.“ Im Bericht aus Buer vom 16. Februar 1923 ging es um die Lebensmittelversorgung. Dabei lehnte offensichtlich die Kaufmannschaft in Buer Geschäfte mit den Franzosen ab, obwohl diese wesentlich billigere Lebensmittel bereitstellen und auch deutsche Lebensmittellieferungen mit ihren Lebensmittellieferungen gemeinsam transportieren wollten. Wiederum ging es auch um die Versorgung unterernährter Kinder. Es konnte berichtet werden, dass etwa 1.000 Kinder nun über die konfessionellen Kinderhorte mit einem Essen versorgt werden konnten. Aber offensichtlich ließen sich immer noch Teile der Bevölkerung von den Besatzungstruppen versorgen, was möglichst verhindert werden sollte:85 82 83 84 85

Z. B. Nachrichtendienst, 19.8.1923, 24.8.1923; La Situation Alimentaire en Allemagne, Une Mise au Point, 1926 (SHD GR 7 N 2668). Bericht „Von Nr. 5“ vom 3.2.1923, in: StArchiv Ge, Buer 1459. Schreiben Regierungspräsident Münster vom 18.2.1923 an OB Buer, in: StArchiv Ge, Buer 1459. Bericht „Von Nr. 5“ vom 16.2.1923, in: StArchiv Ge, Buer 1459. Vgl. Bericht des Oberbürgermeister, weitergegeben durch den Regierungspräsidenten an das Oberpräsidium am 25.2.1923, in: LAV, OP 5007, Bl. 146–149. Ähnlich für April Conan Fischer, The Ruhr Crisis 1923–1924, Oxford 2003, S. 117.

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„Im Übrigen soll zur Abwehr durch die Lehrerschaft ständig kontrolliert werden, welche Kinder zu den Truppenküchen gehen. Androhungen mit Strafen sind nicht zu empfehlen, weil viele Eltern den Lehrern Schwierigkeiten machen. Dagegen soll auf die namentlich festgestellten Eltern seitens der Pastöre, der Lehrer, der Gewerkschaftsführer und sonstiger auf sie Einfluss besitzenden Personen eingewirkt werden. Parole: Ein Verräter ist, wer sein Kind anstatt zum deutschen Hort zur französischen Truppenküche schickt.“ Letztlich zeigen Lebensmittelunruhen und Plünderungen und auch Statistiken zum Gesundheitszustand der Bevölkerung, dass die Menschen im Ruhrgebiet trotz der konkurrierenden Bemühungen um die Lebensmittelversorgung hungerten. Allerdings dürfte das auch darauf zurückzuführen sein, dass einerseits die Währung völlig ruiniert war und die Inflation galoppierte und andererseits die Lebensmittelhersteller ihre Waren angesichts der Geldentwertung horteten und eine erhebliche Ungleichverteilung zu beobachten war. Unter diesen Bedingungen kamen natürlich zunehmend Menschen zu den Verkaufs- und Verteilstellen der Besatzungstruppen.86 AUSEINANDERSETZUNGEN UM DIE POLIZEI Während bei den etwa 330.000 Einwohnern des Raumes Gelsenkirchen nur wenige folgenschwere Auseinandersetzungen dokumentiert sind, erfolgten die größten Konflikte mit der Polizei, weil diese militärähnlich bewaffnete Schutzpolizei im besetzten Gebiet den Besatzungsmächten die größte Sorgen bereiteten. So verlangte das französische Generalsquartier in Anweisung Nr. 6 eine Liste der Angehörigen der Schutzpolizei und eine ständige Uniformierung der Polizisten, auch außerhalb der Arbeitszeit, um diese erkennen zu können.87 Nach kleineren Auseinandersetzungen in der Folge der Anweisung der preußischen Regierung vom 24. Januar 1923 zur Befehlsverweigerung gegenüber den Besatzungstruppen kam es am 12. Februar 1923 in Gelsenkirchen zu einer Schießerei zwischen französischen Gendarmen und Polizisten, bei der Polizeiwachtmeister Hermann Hutmacher getötet und zwei Gendarmen verletzt wurden.88 Nach einer ersten Darstellung von Oberbürgermeister von Wedelstedt war der Polizeiwacht86 87 88

Z. B. Bericht vom 13.8.1923, in: SHD, 7 N 3493. Ein „sehr geringer und wenig wertvoller Teil der Bevölkerung“ nach Gelsenkirchen im Ruhrkampf, StArchiv Ge, HB 777, S. 184. Übergreifend K. Hartewig, Jahrzehnt, 1993, S. 175–188. Anweisung, in: StArchiv Ge, Buer 1447. Zur Geschichte der Gelsenkirchener Polizei: S. Goch, Gesellschaft, 2005. Zu Befürchtungen der französischen Besatzungsmacht: Note vom 23.5.1923, in: SHD, 7 N 2613. D. Schmidt, Schützen, 2008, S. 82; Bericht OB, „Zur Geschichte der Ruhrbesetzung“ vom 3. Mai 1926, in: StArchiv Ge, GE 3148; Gelsenkirchen im Ruhrkampf, in: StArchiv Ge, HB 777, S. 15 ff., 132; Besatzungsamt, Beitrag zur Geschichte der Ruhrbesetzung, betrifft das Gebiet von Gelsenkirchen, 11. Juni 1926, in: StArchiv Ge, Ge 3148. Vgl. Aussage in: LAV, Reg. Arnsberg 14512. Vgl. F. Grimm, Ruhrkrieg, 1930, S. 156; P Wentzke, Ruhrkampf, Bd. 1, 1930, S. 345. Zur französischen Sicht auf die Anweisungen der preußischen Regierung: Note vom 23.5.1923, in: SHD, 7 N 2613; Telegraphenbericht Degoutte an Ministerien vom 13.2.1923, in: SHD, 7 N 2666; Bericht an den Kriegsminister vom 12.2.1923, in: SHD, 7 N 3491.

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meister Schuld an dem Vorfall, später setzte sich eine andere Sichtweise durch.89 Im Zusammenhang mit diesem Vorfall kam es zu weiteren Auseinandersetzungen französischer Soldaten mit Polizeibeamten, die zu Misshandlungen von Polizeibeamten führten, als am 12. Februar in Buer der Polizeibeamte Schneider einen Oberschenkelschuss erlitt und seine Kollegen Damitz und Krock verprügelt wurden.90 Entsprechend der Verordnung von General Degoutte zur Kollektivhaftung, die bei Handlungen gegen die Besatzungstruppen die Verhaftung der örtlich Verantwortlichen und hohe Geldbußen vorsahen, wurden der Oberbürgermeister, der Bürgermeister, der Polizeipräsident und der Polizeikommandeur sowie der Reichsbankdirektor am 13. Februar 1923 verhaftet.91 Wegen der Verhaftungen, gegen die die Stadtverordnetenversammlung beim kommandierenden General protestierte, traten die städtischen Beamten und Angestellten am 13. Februar 1923 in einen 24stündigen Streik, und auch die Beamten und Angestellten öffentlicher Einrichtungen protestierten gegen die Verhaftungen.92 Einstimmig protestierte die Gelsenkirchener Stadtverordnetenversammlung gegen die verhängte Geldbuße von 100 Mio. Mark.93 Beim einige Tage andauernden Eintreiben der Geldbuße durch Besatzungstruppen kam es an mehreren Stellen der Stadt zu Auseinandersetzungen.94 Als dann die Strafzahlung eingetrieben war, verabschiedete sich der zuständige französische General – in einem städtischen Bericht heißt es zu seinen Äußerungen beim Abschied: „Er habe sich bemüht, die angeordneten Maßnahmen möglichst wenig streng zu gestalten. Noch weniger hätte er nicht tun dürfen, ohne ihnen den Charakter der Sanktionen zu nehmen.“ Der General verabschiedete sich mit den Worten „Ich darf nicht sagen: ‚Auf Wiedersehen‘“95 Solche Auseinandersetzungen führten zu Entwaffnung und Ausweisung der staatlichen Schutzpolizei aus dem Besatzungsgebiet, am 14. März 1923 insgesamt, in Gelsenkirchen schon am 2. März 1923, nachdem Verhaftungen und Ausweisun-

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Schilderung des OB von Wedelstedt zu seiner Verhaftung im Februar 1923, in: StArchiv Ge, Buer 1484; vgl. StArchiv Ge, Ge 1799. Protestnote der Deutschen Regierung vom 24. März 1923, in: Verhandlungen des Reichstages, Band 378, S, 38 f.; Vgl. F. Gehb, Peitsche, 1925, S. 17 ff.; W. Wiedfeld, Nation, 1933, S. 175; S. Jeannesson, Poincaré, 1997, S. 202. Allgemein G. Krumeich, Ruhrkampf, 2004, S. 16, 19; zu Ge Bericht in: StArchiv Ge, Ge 1729; Protest der Stadtverordnetenversammlung, in: StArchiv Ge, Ge 3148; Bericht OB, „Zur Geschichte der Ruhrbesetzung“ vom 3. Mai 1926, in: Ebd.; Gelsenkirchen im Ruhrkampf, in: StArchiv Ge, HB 777, S. 16. Vgl. Schriftverkehr in: StArchiv Ge, Ge 1726. Bericht an den französischen Kriegsminister vom 13.2.1923, in: SHD, 7 N 3491. Auch F. Grimm, Ruhrkrieg, 1930, S. 156 f.; P. Wentzke, Ruhrkampf, Bd. 1, 1930, S. 345 f., 355 f. Stellungnahmen, in: StArchiv Ge, Ge 3148; Entschließung in: LAV, Reg. Arnsberg 14512. Protokollauszug, in: StArchiv Ge, Ge 3148; Gelsenkirchen im Ruhrkampf, in: StArchiv Ge, HB 777, S. 20. Berichte in: Bericht in: StArchiv Ge, Ge 1729, 2724; Besatzungsamt, Beitrag zur Geschichte der Ruhrbesetzung, betrifft das Gebiet von Gelsenkirchen, 11. Juni 1926, in: StArchiv Ge, Ge 3148; Gelsenkirchen im Ruhrkampf, in: StArchiv Ge, HB 777, S. 23–31. Das französische Militär ging „vigoureusement“ vor. Bericht an den Kriegsminister vom 13.2.1923 und vom 17.2.1923, in: SHD, 7 N 3491. Gelsenkirchen im Ruhrkampf, in: StArchiv Ge, HB 777, S. 30 f.

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gen schon nach den Ereignissen vom 12. Februar erfolgt waren.96 Für Recklinghausen und den Stadt- und Landkreis Gelsenkirchen hatte der kommandierende General schon am 28. Februar 1923 per Verordnung die Schutzpolizei aufgelöst und die Ablieferung aller Waffen und allen Materials angeordnet. In Horst wurde die Schutzpolizei am 9. März 1923 ausgewiesen, ebenso in Buer.97 Die Stadt Gelsenkirchen wurde aufgefordert, für Ihr Gebiet eine städtische Polizei von 200 Mann zu bilden. Die neuen Polizeibeamten mussten mehr als sechs Monate in der Gegend wohnen oder dort verheiratet sein und für die Einstellung war eine Genehmigung einzuholen. Die Polizisten mussten am Kragen eine Ordnungsnummer tragen, damit sie von den Besatzungstruppen identifiziert werden konnten. Die neuen Polizisten durften mit einem Revolver bewaffnet sein. Da die Aufstellung einer neuen Polizei nicht ganz kurzfristig zu bewerkstelligen war, wurde die ausgewiesene Polizei zunächst provisorisch durch eine Bürgerwehr, die Feuerwehr und die Berufsfeuerwehr von Rheinelbe ersetzt. Erst gegen Mitte 1923 wurde eine Ersatzpolizei aufgestellt, die sich hauptsächlich aus der ortansässigen Arbeiterschaft, oft gewerkschaftlich organisiert, rekrutierte.98 AUSEINANDERSETZUNGEN MIT DER KOMMUNALVERWALTUNG Angesichts des mit dem passiven Widerstand eingeschlagenen Konfrontationskurses verhängten die Besatzer am 29. Januar 1923 einen verschärften Belagerungszustand und verhafteten Spitzenbeamte und Unternehmer, die ihren Anweisungen nicht Folge leisteten. Unter den Verhafteten war auch Oberbürgermeister von Wedelstedt, der die Besatzer mit Weigerungen, Anordnungen auszuführen provoziert und sich auch geweigert hatte, eine Liste der bei den Einwohnern der Stadt und der Polizei vorhandenen Waffen an die Besatzungsmacht abzuliefern. Der Oberbürgermeister wusste, was er tat und wartete auf seine Verhaftung für die er schon einen Koffer mit dem Nötigsten bereitgestellt hatte, auch ein Buch von Agnes Miegel lag zur Unterhaltung bereit. Die Verhaftung vollzog sich dann im Zusammenhang mit der Schießerei zwischen Polizei und Gendarmen öffentlichkeitswirksam nach einer militärischen Besetzung des Rathauses, wobei der Oberbürgermeister zu Recht darauf verwies, dass die Schutzpolizei eine staatlichen und keine kommunale Ein96

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Bericht in: StArchiv Ge, Ge 1729; Anweisungen für Buer in: StArchiv Ge, Buer 1447; D. Schmidt, Schützen, 2008, S. 83; Bericht, in: StArchiv Ge, Ge 3148; Gelsenkirchen im Ruhrkampf, in: StArchiv Ge, HB 777, S. 18 ff., 143 Nach Bericht vom 2.3.1923, in: SHD, 7 N 3492: „Le désarmement de la Schupo est très favorablement accueilli dans le milieux des ouvrières avances.“ Chronik, o. J.; F. Gehb, Peitsche, 1925, S. 19 f. Note vom 23.5.1923, in: SHD, 7 N 2613; Bericht in: StArchiv Ge, Ge 1729; Besatzungsamt, Beitrag zur Geschichte der Ruhrbesetzung, betrifft das Gebiet von Gelsenkirchen, 11. Juni 1926, in: StArchiv Ge, Ge 3148; Gelsenkirchen im Ruhrkampf, in: StArchiv Ge, HB 777, S. 144; StArchiv Ge, Bürgermeisteramt Rotthausen 548. Vgl. D. Schmidt, Schützen, 2008, S. 86 ff.; P. Wentzke, Ruhrkampf, Bd. 1, 1930, S. 258; Schriftverkehr zum Selbstschutz, in: StArchiv Ge, Ge1741. Nach dem Bericht vom 15.7.1923 war die Polizei ab 13. Juli im Dienst, in: SHD, 7 N 3492.

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richtung wäre. Mit dem Oberbürgermeister wurde Bürgermeister Antoni und Polizeipräsident Stieler sowie ein Schupo-Kommandant, der später freigelassen wurde, festgesetzt. Die Männer kamen ins Polizeigefängnis nach Recklinghausen wo sie, wie der Oberbürgermeister selbst berichtete, nicht schlecht behandelt wurden. Der französische General begann sogar mit den Beamten auf Deutsch zu sprechen, man einigte sich dann aber darauf, sich auf Französisch zu unterhalten, da der Oberbürgermeister diese Sprache offensichtlich gut verstand. Der General bemühte sich um einen sachlichen Umgang mit dem Oberbürgermeister und machte klar, dass er natürlich dem kommandierenden General Degoutte unterstand, der über die Vorfälle mit den zwei verletzten Gendarmen offensichtlich sehr ungehalten war.99 Selbst unter diesen Bedingungen bot General Laignelot Oberbürgermeister von Wedelstedt eine Wohnung in einem Hotel an, das dieser allerdings erst annahm, als auch beiden Mitgefangenen, Bürgermeister Antoni und Polizeipräsident Stieler, davon profitieren konnten. Die drei Gefangenen kamen zwar nicht in einem Hotel unter, aber immerhin in Recklinghausen im evangelischen Lehrerseminar, das von der französischen Besatzungsmacht als Lazarett genutzt wurde. Hier konnten die Bueraner zwei Schulräume nutzen, die mit Hilfe der Stadt Recklinghausen auch gemütlich eingerichtet wurden. Die Franzosen verließen sich auf das Wort der Bueraner, nicht zu entfliehen. Von Wedelstadt beschrieb seine Situation am 18. Februar 1923: „… so sind wir alle […] in leidlicher Freiheit und Bequemlichkeit, dürfen allerdings nur auf dem Grundstück selbst spazieren gehen.“ An anderer Stelle heißt es: „Wir führen ein faules Dasein, essen, trinken und schlafen mehr als sonst, aber ein Vergnügen ist das nicht.“100 Die nächste Verhaftung des Gelsenkirchener Oberbürgermeisters erfolgte am 28. Dezember 1923 wegen eines Artikels, den er zum Weihnachtsfest in den Tageszeitungen veröffentlicht hatte und der die Besatzungspolitik kritisiert hatte. In dem Artikel in der Gelsenkirchener Allgemeinen Zeitung vom 24. Dezember 1923 hatte von Wedelstedt ein düsteres Bild der Lage gezeichnet und dabei auch antidemokratische Argumentationsmuster bedient:101 „Es sieht jetzt in Deutschland und besonders in Gelsenkirchen nicht so aus, als ob wir viel Anlass hätten, ein fröhliches Weihnachtsfest zu feiern: das Reich ganz machtlos nach außen, aber auch im Inneren ohne rechte Kraft und Autorität, dazu in äußerster finanzieller Bedrängnis, seine Einheit, sein fester Zusammenhalt bedroht – Parteihader und Parteiegoismus, jeder Verständigung über das, was jetzt allen Deutschen gemeinsam sein sollte, im Wege und hier noch immer fremde Besatzung, die für sich Befehlsgewalt über Deutsche – Behörden wie Privatpersonen – in Anspruch nimmt, die mitten im deutschen Gebiet Grenzen geschaffen hat, um Zölle zu erheben und den Verkehr von 99

Schilderung des OB zu seiner Verhaftung im Februar 1923, in: StArchiv Ge, Buer 1484; vgl. StArchiv Ge, Ge 1799. Französische Darstellung in: SHD, 7 N 2661. Agnes Miegel war eine ostpreußische Heimatdichterin und spätere Unterstützerin des NS-Regimes. 100 Zitate in: Schilderung des OB zu seiner Verhaftung im Februar 1923 und Brief an den zurückgebliebenen Stadtbaurat Arendt, in: StArchiv Ge, Buer 1484; vgl. StArchiv Ge, Ge 1799; Gelsenkirchen im Ruhrkampf, in: StArchiv Ge, HB 777, S. 17 f. 101 Schriftverkehr und GAZ, 24.12.1923, in: StArchiv Ge, Ge, 1799. OB, Zur Geschichte der Ruhrbesetzung vom 3. Mai 1926, in: StArchiv Ge, GE 3148.

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Menschen und Gütern zu beschränken und zu kontrollieren, die sich der wichtigsten Eisenbahnlinien unseres Gebietes bemächtigt hat, so dass schon jetzt infolge mangelnder Vertrautheit mit dem kompliziertesten und feinmaschigsten Bahnnetz der Welt dieses nicht mehr den Verkehr bewältigen kann, der darauf angewiesen ist. Dazu Arbeitslosigkeit von einer Dauer und einem Ausmaße wie sie nie zuvor bestanden haben, infolgedessen in zahllosen Familien bittere Not, der vom Reich und von der Stadt nur in unzureichendem Maße abgeholfen werden kann, daher begreifliche Unzufriedenheit, die von Verführern und Verbrechern noch geschürt und für ihre Zwecke ausgenutzt wird.“ Auf die Kritik an der Besatzungsmacht antwortete der französische Stadtkommandant Guyot102 mit einem zynischen offenen Brief mit Hinweisen auf die jahrzehntelange deutsche Besetzung Elsass-Lothringens und die eigene Schuld Deutschlands an der Krise, der in mehreren Schaufenstern ausgehängt wurde. Am 15. Februar 1924 wurde der Oberbürgermeister vor einem französischen Kriegsgericht zu zehn Monaten Gefängnishaft verurteilt, wurde allerdings schon am 18. April 1924 entlassen. Von der Amtsführung weiter ausgeschlossen konnte ihn die mittlerweile neugewählte Stadtverordnetenversammlung erst im September 1924 wieder begrüßen.103 Ähnlich, wenn auch nicht für so lange Zeiträume erging es den Spitzenbeamten der anderen Teile Gelsenkirchens. Weigerungen, Befehle der Besatzungsmacht – es ging um die Beleuchtung des Bahnhofs Buer-Nord – auszuführen, führten in der Stadt Buer am 18. Februar 1923 dazu, dass Oberbürgermeister Emil Zimmermann nach einer kurzen Verhaftung zuvor zum zweiten Mal verhaftet wurde. Darauf reagierte die Bueraner Bevölkerung mit einem 24stündigen Streik und zeigt damit übergreifend Abwehrwillen. Nachdem seitens der Stadt Buer eine Lösegeldzahlung abgelehnt worden war, diese aber von einem Privatmann bezahlt wurde, wurde der Oberbürgermeister zunächst freigelassen und später im März wegen Nichterfüllung eines französischen Requisitionsbefehls erneut zu einer hohen Geldstrafe verurteilt.104 Oberbürgermeister Zimmermann wurde in der Besatzungszeit insgesamt viermal verhaftet.105 Der Amtmann von Horst, Wilhelm Schumacher, wurde ebenfalls verhaftet, zu 3 Monaten Gefängnis verurteilt und aus dem Besatzungsgebiet ausgewiesen.106 Nicht nur die Spitzenbeamten, auch viele „kleinere Beamte“ und öffentlich Bedienstete bekamen die Besatzungsmacht zu spüren. Zunächst unterlagen aufgrund einer Verfügung des kommandierenden Generals Degoutte vom 7. Februar 1923 alle Personalmaßnahmen einer Genehmigungspflicht durch den Stadtkommandanten. Diese Beamtenkontrolle wurde in Gelsenkirchen genau umgesetzt und 102 Guyot wurde Ende September 1923 Nachfolger von Carrot bis Ende Januar 1924. Gelsenkirchen im Ruhrkampf, in: StArchiv Ge, HB 777, S. 87 f. 103 Bericht OB, Zur Geschichte der Ruhrbesetzung vom 3. Mai 1926, in: StArchiv Ge, Ge 3148; Gelsenkirchen im Ruhrkampf, in: StArchiv Ge, HB 777, S. 82. Vgl. F. Grimm, Ruhrkrieg, 1930, S. 232 f. 104 F. Gehb, Peitsche, 1925, S. 14 f. Der OB wurde von Friedrich Grimm verteidigt. F. Grimm, Ruhrkrieg, 1930, S. 67–70. Bericht vom 19.2.1923, in: SHD, 7 N 3492. 105 Bericht in: StArchiv Ge, Ge 1799. Vgl. F. Grimm, Ruhrkrieg, 1930, S 67–70. 106 Bericht vom 16. September 1933, in: StArchiv Ge, Ge 1799.

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die Stadtverwaltung immer wieder zu Einhaltung der Regeln ermahnt, wenn z. B. die Benachrichtigungen nicht ausreichend genau vorlagen oder nicht in doppelter Ausführung. Nach dem Londoner Abkommen beantragte die Stadt Gelsenkirchen das Ende der Beamtenkontrolle, die aber geringfügig abgewandelt aufrechterhalten wurde. Im Februar 1925 erfolgte noch eine umfassende Kontrolle der Polizeibeamten, wobei es auch zu Ablehnungen kam, weil die Besatzungstruppen in bestimmten Beamten eine Gefährdung sahen. So wurde auch die Wiedereinsetzung von Polizeipräsident Stieler abgelehnt. Die Beamtenkontrolle ist in Gelsenkirchen bis in den Mai 1925 nachweisbar.107 Jenseits dieses direkten Zugriffs kam es notwendig nach den Weisungen der Reichsregierung zum passiven Widerstand zu ständigen Konflikten zwischen Beamten und der Besatzungsmacht. Die Beamten erwiderten auf die Befehle der Besatzungstruppen:108 „Ich habe die Ehre, Ihnen zu erklären, dass ich deutscher Beamter bin und nur die Befehle einer deutsche Behörde erfülle.“ Die Verweigerung von Anweisen hatte oft die (vorübergehende) Verhaftung zu Folge. Die wiederholten Verhaftungen öffentlich Bediensteter hatte sicherlich einige Signalwirkung auf Angestellte und Beamte von Stadtverwaltung und öffentlichen Einrichtungen.109 Die Auseinandersetzungen mit öffentlich Bediensteten betrafen nicht nur Stadtverwaltungen und Polizei, sondern ebenso das (staatliche) Telegrafenwesen und den (staatlichen) Bahnbetrieb, den Franzosen und Belgier für Ihre Zwecke benötigten. Allerdings bekam die französische Eisenbahnregie das Verkehrssystem des Ruhrgebiets nach Verhaftungen und Ausweisungen von Bahnbeamten bald in den Griff, nur gestört durch manche Sabotageakte.110 MORD AM LEUTNANT COLPIN In Buer und in der Folge auch für das besetzte Ruhrgebiet insgesamt verschärfte sich im März 1923 die Situation durch eine Bluttat: Am Abend des 10. März 1923, einem Samstag, wurden zwei französische Offiziere, Leutnant Pierre Marie Ernest Colpin und der technische Offizier Augustin Francois Gabriel Joly in Buer erschossen.111 Auf deutsche Seit wurde nach Zeugenaussagen behauptet, dass die Mörder zu spät angetroffene französische Alpenjäger gewesen wären. Auf französischer Seite wurden zwei Deutsche für den Mord verantwortlich gemacht. Die beiden Ver107 StArchiv Ge, Ge 501, 502. 108 Weigerung der kommunalen Beamten, Befehle der Besatzungstruppen auszuführen, z. B. in StArchiv Ge, Ge 1729, 1730. Beispielhaft zitiert vom Horster Telegraphendirektor, nach: Chronik, o. J. 109 Z. B. Chronik, o. J.; Bericht OB, Zur Geschichte der Ruhrbesetzung vom 3. Mai 1926, in: StArchiv Ge, Ge 3148. 110 Darstellung von Zwangsmaßnahmen und Eingriffen sowie Auseinandersetzungen mit deutschen Bediensteten in: F. Gehb, Peitsche, 1925, S. 12 ff. Zum Vorgehen der Besatzungstruppen S. Jeannesson, Poincaré, 1997, S. 197–201. Vgl. zur zunehmenden Sinnlosigkeit des Eisenbahner-Widerstandes M. Ruck, Gewerkschaften, 1986, S. 274 f. 111 Bericht an den Kriegsminister vom 11.3.1923 und 12.3.1923, in: SHD, 7 N 3489, auch in: SHD, 7 N 3491, 7 N 3492. Vgl L’Quest-Eclaire, 13.3.1923. Deutsche Quellen: F. Grimm, Ruhrkrieg, 1930, S. 157; Siegfried Doerschlag, Buer, Dokumente und Tatsachen, Berlin 1923.

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dächtigten, Burghoff und Wittershagen, sollen nach ihrer Verhaftung auf der Flucht erschossen worden sein. Nach der deutschen Darstellung waren diese Männer zu Unrecht schwer misshandelt und dann ermordet worden.112 Der Ortskommandant für Buer, Oberst Carrot, verhängte am Tag nach den Morden eine Ausgangssperre, verbot Veranstaltungen und Zeitungen, kappte Telefonund Telegrafenverbindung und ließ höhere Beamte, darunter der Oberbürgermeister und der Sparkassendirektor sowie Bürger als Geiseln verhaften. Mehrere Bürger aus Buer wurden misshandelt.113 Am 11. März 1923 wurde der aus Gelsenkirchen stammende Kranführer Paul Fabeck in Buer von einer französischen Patrouille unter ungeklärten Umständen erschossen.114 Die Bluttat von Buer bewegte auch die „große Politik“. Der französische Kriegsminister Maginot verlieh den beiden Ermordeten posthum das Kreuz der Ehrenlegion, Colpin wurde zum Ritter der Ehrenlegion ernannt.115 Der Mord an Leutnant Colpin erzeugte in Frankreich und insbesondere in seiner Heimat auch deshalb besondere Emotionen, weil er aus der Nähe von Lille stammte, wo wenige Jahre zuvor die deutsche Besatzung gewütet hatte.116 Auch in Deutschland wurden die Ereignisse in Buer bis auf die nationale Ebene wahrgenommen und heftig kritisiert. Reichspräsident Friedrich Ebert schickte ein Telegramm an den Magistrat der Stadt Buer:117 „In tiefer Empörung über die unerhörten, unmenschlichen Bluttaten 112 Deutsche Darstellung S. Doerschlag, Buer, 1923. Französische Darstellung auch in L’QuestEclaire, 13.3.1923 und auch La voix du Nord, 12.11.2010; Nord Éclair, 12.11.2010. In der Buerschen Zeitung erschienen nach einem vorübergehenden Verbot auf Weisung des Generals Laignelot (angeblich?) freiwillige Aussagen von Zeugen des Mordes, die jedenfalls keine französischen Soldaten als potentielle Mörder gesehen haben wollten. Eine seltsame Erklärung für die Täterschaft von französischen Alpenjägern liefert einen Bericht der Stadt Gelsenkirchen vom 16. September 1933. Darin heißt es: „Falls es sich um einen oder mehrere Bueraner gehandelt hätte, würde nach diesseitiger Auffassung der oder die Täter sich jetzt im Zeichen der nationalen Erhebung bestimmt gemeldet haben oder die Angehörigen der etwa inzwischen verstorbenen Täter hätten jetzt sicherlich der Öffentlichkeit Mitteilung davon gemacht.“ In: StArchiv Ge, Ge 1799. Vgl. französische Version in: Bericht an den Kriegsminister vom 13.3.1923, Annexe au Communiqué vom 24.3.1923, in: SHD, 4 N 96; SHD 7 N 3489: Dossier 6: 18.2.1923–15.3.1923; Telegraphen-Nachrichten an das Kriegsministeriums, 11.–13.3.1923, in SHD, 7 N 2666; Bericht an den Kriegsminister vom 12.3.1923, in: SHD, 7 N 3491, 7 N, 3492. Vgl. Annette Becker-Deroeux, Das Begräbnis des Leutnants Colpin in Lille am 21. März 1923, in: G. Krumeich / J. Schröder, Schatten, 2004, S. 257. 113 S. Doerschlag, Buer, 1923, S. 10 ff.; Bericht vom 16.3.1923, in: StArchiv Ge, Buer 1459. Auch die GAZ wurde verboten, weil dort die Alpenjäger als Täter benannt wurden. Kommandierender General an GAZ vom 15.3.1923, in: LAV, OP 5007, Bl. 239. Vgl. D. Plieth, Ruhrkampf, 1961, S. 67 f. Zu Edmond Alexandre Carrot (1869–1950) SHD, 13 YD 1066. 114 Protest in der Stadtverordnetenversammlung am 15.3.1923, in: StArchiv Ge, Ge 3148; Besatzungsamt, Beitrag zur Geschichte der Ruhrbesetzung, betrifft das Gebiet von Gelsenkirchen, 11. Juni 1926, in: Ebd.; Gelsenkirchen im Ruhrkampf, in: StArchiv Ge, HB 777, S. 134 f.; S. Doerschlag, Buer, 1923, S. 12. Hinweis im Bericht zum 11.3.1923. in: SHD, 7 N 2613 115 A. Becker-Deroeux, Begräbnis, Essen 2004, S. 257. Vgl. C. Fischer, Ruhr Crisis, 2003, S. 171 f.; S. Doerschlag, Buer, 1923, S. 10. 116 La voix du Nord, 12.11.2010; Nord Éclair, 12.11.2010. Vgl. N. Beaupré, Nicolas, Guerres, 2012, S. 536 117 F. Gehb, Peitsche, 1925, S. 30 f.; S. Doerschlag, Buer, 1923, S. 20 f.

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des französischen Militärterrors gegenüber den friedlichen, schuldlosen Bürgern Ihrer Stadt bitte ich Sie, den Hinterbliebenen der so grausam Ermordeten meine herzliche Teilnahme zu übermitteln. Es wird alles geschehen, von den betroffenen Familien materielle Not fernzuhalten.“ In einer Stadtverordnetenversammlung in Buer am 20. März verurteilten der Stadtverordnetenvorsteher, der Sozialdemokrat Karl Surkamp, und der inzwischen freigelassene Oberbürgermeister Emil Zimmermann das französische Vorgehen scharf und betonten die friedlichen Absichten der Arbeiterbevölkerung. Allerdings bemühte die Besatzungsmacht sich auch schon bald um eine Entschärfung der Situation. General Laignelot lockerte die Ausgangssperre schon ab 18. März 1923 wieder („la population des BUER ayant fait preuve de correction lors des funérailles de 2 Officiers français assassinés“). Zum 1. April wurden alle Maßnahmen „Auf Grund der guten Haltung der Bevölkerung der Stadt Buer“ aufgehoben.118 Pierre-Marie Colpin wurde in seiner Heimatstadt Flers bei Lille als Soldat „Mort pour la France“, also als Opfer des Weltkrieges bestattet, womit nicht nur eine Kontinuität des Krieges seit 1914 inszeniert wurde, sondern in seiner Heimatregion auch ein Zusammenhang zwischen deutscher Besatzung Nordfrankreichs und Ruhrbesetzung hergestellt wurde. Das Begräbnis Colpins begann mit der Überführung der Leichen in seine Heimatstadt in Nordfrankreich in Gegenwart der kommandierenden Generals Degoutte. An dem Trauerzug in Nordfrankreich in Gegenwart von Marschall Louis Franchet d’Espèrey als Repräsentanten der französischen Regierung und der Armee nahmen 10.000 Menschen teil. Bei der Beerdigung in Flers wurde noch einmal versinnbildlich, dass die Deutschen an diesem Krieg, den Grausamkeiten in den von Deutschen besetzten Gebieten und eben nun am Tod dieses mustergültigen Soldaten und gläubigen Katholiken, der nur seine gerechtfertigten Aufgaben durchgeführt hatte, schuldig waren.119 Während in der Bundesrepublik im öffentlichen Bewusstsein die Ruhrbesetzung kaum mehr eine Rolle spielt und in Gelsenkirchen-Buer der Mord an Pierre Marie Ernest Colpin kaum mehr bekannt sein dürfte, erinnerten in Frankreich die anciens cobattants auf dem Friedhof von Flers-Bourg, dem Heimatort Colpins, der in Villeneuve d’Ascq aufgegangen ist, anlässlich der Renovierung der Gedenkstätte für die Opfer des Ersten Weltkrieges ausführlich an den Tod Colpins, dessen Name sich dort sogar auf zwei Denkmalen findet. Bei einer Gedenkfeier am 11. November 2010 wurde an Leutnant Colpin („assassiné par les Allemands“), seinen Lebenslauf und auch an die große Beerdigung vom 16. März 1923 erinnert. Auch wurde erwähnt, dass die beiden Täter gefasst und von Gendarmen getötet worden waren. In Lille und Flers erinnern Straßennamen an Leutnant Colpin.120 Ähnliche Vorfälle, die überregionale Bedeutung erlangten, dürften nicht gerade zur Beruhigung der Bevölkerung im besetzten Gebiet beigetragen haben. Große 118 Verordnungen in: StArchiv Ge, Buer 1460. Zur ruhigen Lage in Buer am 14. März 1923 Bericht in SHD, 7 N 2666. 119 Zur symbolhaften Bedeutung A. Becker-Deroeux, Begräbnis, 2004, S. 257–263; A. Becker, Cicatrices, 2010, S. 315 ff. Vgl. L’Quest-Eclaire, 13.3.1923. 120 La voix du Nord, 12.11.2010 (ziemlich wörtlich beim französischen Wikipedia-Artikel!); Nord Éclair, 12.11.2010.

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Bedeutung erlangten zum Beispiel ganz in der Nähe Gelsenkirchens die „Karsamstag-Vorfälle“ bei der Firma Krupp, wo am 31. März 1923 ein kleiner Trupp Besatzungssoldaten Lastwagen beschlagnahmen wollte und die Situation eskalierte. Dabei starben 13 Arbeiter.121 Vorfälle, bei denen Deutsche durch die Besatzungstruppen zu Schaden kam, stärken natürlich den Widerstand und nationale Kräfte. HUNGER, RADIKALISIERUNG UND KOMMUNISTISCHE POLITIK In der Arbeiterregion Ruhrgebiet war für Masse der Bevölkerung die sich 1923 dramatisch verschlechternde Lebenssituation das zentrale Problem. Während im Ruhrgebiet die von den Besatzungsmächten unterstützte separatische Bewegung wenig Resonanz fand,122 trugen vor allem die Kommunisten und linksradikale Kräfte zur Radikalisierung bei. Auf der politischen Linken sah man einen neuen imperialistischen Krieg drohen und glaubte an eine neue Phase des revolutionären Kampfes. Für die im Ruhrgebiet starke, aber wenig gefestigte KPD kam eine Einreihung in eine Einheitsfront nicht infrage. Internationalistisch traten deutsche und französische Kommunisten mit der Parole Parole „Schlagt Poincaré an der Ruhr und Cuno an der Spree“ an. Es blieb zunächst überwiegend bei verbalen Protesten, die aber bei den französischen Kommunisten nicht auf großes Interesse stießen. Propaganda unter Soldaten, auch durch französische Kommunisten, blieb wohl recht begrenzt. In Rotthausen beschwerte sich die Besatzungsbehörde allerdings über kommunistische Wandanschläge, die sich an die Soldaten richteten.123 Eine KPD-Kundgebung mit 3.000 bis 4.000 Teilnehmern gegen den französischen Imperialismus und den deutschen Kapitalismus fand Anfang Februar in Gelsenkirchen statt.124 Unter den Ruhrarbeiter war die kommunistische Propaganda zunächst nicht recht erfolgreich, da wegen der Fortzahlung der Löhne und der Veränderung der Arbeitsbedingungen, wenn in den Betrieben nur noch Notstandsarbeiten oder Aus- und Vorrichtung anstanden, Not und Unzufriedenheit sich in Grenzen hielten. Zudem ließ sich die Besatzungsmacht nicht allzu sehr provozieren.125 Der „Blutsonntag“ in Essen bei der Firma Krupp Ende März 1923 wurde dann für einen Kurswechsel der Kommunisten genutzt. Die Kommunisten inszenierten sich als die wahren Vertreter nationaler Interessen gegen Ruhrbesetzung und Großkapital. In diesem Kontext gehört auch die „Schlageter-Rede“ des führenden Kommunisten Karl Radek, in der er am 21. Juni 1923 vor dem Exekutivkomitee der Kommunis121 K. Wisotzky, Karsamstag, 2004, S. 265–287; vgl. K. Wisotzky, Ruhrbesetzung, 2010, S. 264. 122 K. Pabst, Ruhrkampf, 1972, S. 35–47. 123 Ebd., S. 34 ff.; Joachim Schröder, Deutsche und französische Kommunisten und das Problem eines gemeinsamen Widerstandes gegen die Ruhrbesetzung, in: G. Krumeich / J. Schröder, Schatten, 2004, S. 169–175; Siegfried Bahne, Die KPD im Ruhrgebiet in der Weimarer Republik, in: J. Reulecke, Arbeiterbewegung, 1974, S. 321 f. Vgl. Karl Dietrich Erdmann, Alternativen der deutschen Politik im Ruhrkampf, in: Klaus Schwabe (Hg.), Die Ruhrkrise 1923. Wendepunkt der internationalen Beziehungen nach dem Ersten Weltkrieg, Paderborn 1985, S. 29; Rotthausen nach: StArchiv Ge, Bürgermeisteramt Rotthausen 547. 124 Schreiben des Polizeipräsidenten vom 5.2.1923, in: STAM, Reg. A Nr. I Pa 265. 125 J. Schröder, Kommunisten, 2004, S. 177 f.

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tischen Internationale den idealistischen Sabotage-Einsatz des von den Franzosen hingerichteten Faschisten Albert Leo Schlageter lobte und der Hoffnung Ausdruck gab, dass auch die kleinbürgerlichen Schichten zur KPD als Wahrerin nationaler Interessen finden würden.126 Angesichts der Verschlechterung der sozialen Situation nach dem Zusammenbruch der Reichsmarkunterstützungsaktion der Reichsbank im April 1923 fielen die kommunistischen Parolen auf fruchtbareren Boden und es kam zu Streiks mit mindestens 300.000 Beteiligten. Letztlich dürften aber nicht die nationalistischen Parolen verfangen haben, sondern die sich zuspitzende soziale Krise trieb Teile der Ruhrarbeiterschaft auf die Straße.127 Die krisenhafte Entwicklung machte die KPD „zum Sammelbecken aller Unzufriedenen“.128 In der zweiten Maihälfte des Jahres 1923 riefen dann KPD und die gerade im nördlichen Ruhrgebiet starke linkskommunistische bzw. linksradikale „Union der Hand- und Kopfarbeiter“, die schwankend zwischen kommunistischer Gewerkschaft und Einheitsorganisation ihr zentrales Büro im Gelsenkirchener Süden unterhielt, vor dem Hintergrund der sich verschärfenden Versorgungskrise zu einen Berg- und Hüttenarbeiterstreik auf. Nach kommunistischen Angaben beteiligten sich 500.000 Berg- und 120.000 Metallarbeiter. Besonders im Raum Bochum-Gelsenkirchen war dieser Ausstand, der allerdings wohl nur begrenzt kommunistisch gesteuert war, mit Ausschreitungen und Unruhen verbunden.129 Am 23. Mai 1923 kam es zu einer Auseinandersetzung am Gelsenkirchener Hauptbahnhof zwischen einer plündernden bzw. in Geschäften und an Marktständen willkürlich neue Preise festsetzenden Menschenmenge und der provisorischen Polizei. In die Auseinandersetzung mischten sich dann auch französische Soldaten ein und gingen vor allem gegen die Ersatzpolizei vor, wobei einige Feuerwehrleute erheblich verletzt wurden. In der Nacht und am folgenden Tag kam zu gewalttätigen Ausschreitungen und Plünderungen, bezeichnenderweise vor allem bei Lebensmittelgeschäften. In der Nacht wurde auch das Gelsenkirchener Polizeipräsidium gestürmt und unter dem Jubel der Menge Mobiliar und Akten verbrannt. Bei den Unruhen, die die Ersatzpolizei kaum in den Griff bekam, gab es sechs oder sieben Tote und viele Verletz-

126 Ebd., S. 181; Hans Hecker, Karl Radeks Werben um die deutsche Rechte: Die Sowjetunion und der „Ruhrkampf“, in: G. Krumeich / J. Schröder, Schatten, 2004, S. 187–205; Marie-Luise Goldbach, Karl Radek und die deutsch-sowjetischen Beziehungen 1918–1923, Bonn 1973, S. 116–125. Vgl. Peter Berens, Die ‚Atomisierung‘ der KPD zwischen 1923–1927 am Beispiel des KPD-Bezirks Ruhrgebiet, Essen 2016, S. 107 f. 127 J. Schröder, Kommunisten, 2004, S. 180 f. Zur antifranzösischen Agitation der Kommunisten Bericht vom 9.5.1923, in: SHD, 7 N 3492. 128 Ossip K. Flechtheim, Die Kommunistische Partei Deutschlands in der Weimarer Republik, Offenbach 1948, S. 88. 129 S. Bahne, KPD, 1974, S. 322 f.; Karl F. Gesau, Syndikalismus in der Ruhrbergarbeiterschaft zu Beginn der Weimarer Republik 1918–1925, Münster 1983, Anhang, S. 123; Rudolf Rettig, Die Gewerkschaftspolitik der KPD von 1918 bis 1925 unter besonderer Berücksichtigung der Auseinandersetzung mit den freien Arbeitergewerkschaften, Hamburg 1954, S. 211. Zum Streik in Ge: Gelsenkirchen im Ruhrkampf, in: StArchiv Ge, HB 777, S. 57 ff.

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te.130 Selbst die Beobachter der „Zentrale Nord“ hielten die Auseinandersetzung für eine Teuerungsrevolte, die nur von Kommunisten und Franzosen geschürt worden wäre, wobei sie feststellten, dass die Kommunisten im „Lumpenproletariat“ aber auch in dem von den Gewerkschaften organisierten Selbstschutz immer mehr Unterstützung fänden.131 Bei der Erstürmung des Polizeigebäudes hatte der nach der Ausweisung der Polizei gebildete Selbstschutz versagt und löste sich weitgehend auf. An seine Stelle trat vorübergehend ein proletarischer Selbstschutz bzw. eine Sicherheitswehr aus (freien, kommunistischen und christlichen) Gewerkschaftsmitgliedern, der die Lage aber selbst in den Augen der Gelsenkirchener Kaufmannschaft und doch zum Ärger des damit seines Einflusses auf die Polizei beraubten Oberbürgermeisters in den Griff bekam. Diese Sicherheitswehr wurde teilweise in eine Ersatzpolizei überführt, die ab 2. Juli 1923 ihren Dienst aufnahm. Für Gelsenkirchen wurden zunächst 250 Mann vorgesehen, später stieg diese Zahl auf 550, auch unter Einbeziehung von Rotthausen.132 Vor allem in der zweiten Jahreshälfte 1923 mit der galoppierenden Inflation und der Aufgabe des passiven Widerstandes kam es zu zahlreichen Demonstrationen und Unruhen, in denen sich die KPD unter heftigen internen Streitigkeiten weiter radikalisierte.133. Ihren bei den Stadtverordnetenwahlen am 4. Mai 1924 aufgrund der Radikalisierung der Arbeiterschaft gewonnenen Einfluss nutze die KPD aber nur, um in der Stadtverordnetenversammlung Gelsenkirchens „Lärmszenen“ zu provozieren134. Bei der Einführung der neugewählten Stadtverordneten erklärte die Gelsenkirchener KP: „Die Kommunistische Partei Deutschlands ersieht in der heutigen Form der Stadtparlamente die verkörperte bürgerlich kapitalistische Gesellschaft. Sie sind Instrumente der herrschenden Klasse zur Unterdrückung des 130 Besatzungsamt, Beitrag zur Geschichte der Ruhrbesetzung, betrifft das Gebiet von Gelsenkirchen, 11. Juni 1926, in: StArchiv Ge, GE 3148; Gelsenkirchen im Ruhrkampf, in: StArchiv Ge, HB 777, S. 36 ff.; Bericht der Rheinelbe-Feuerwehr, in: StArchiv Ge, Ge 1729; Schreiben OB an Stadtkommandanten vom 26. Mai 1923; Bericht vom 25.5.1923, in: LAV, Reg. Arnsberg 14512. Vgl. K. Pabst, Ruhrkampf, 1972, S. 36.; H. Spethmann, Jahre, Bd. 4, 1930, S. 171 f. Angehörige der Rheinelbe-Feuerwehr wurden am 17. August 1923 verhaftet und aus dem Besatzungsgebiet ausgewiesen, darunter auch Feuerwehrleute, die 1906 beim Bergwerksunglück im nordfranzösischen Courrieres jenseits aller nationalen Spannungen geholfen hatten. Vgl. Michael Farrenkopf / Peter Friedemann (Hg.), Die Grubenkatastrophe von Courrières 1906. Aspekte transnationaler Geschichte, Bochum 2008; Heinz-Otto Sieburg, Die Grubenkatastrophe von Courrières 1906: Ein Beitrag zur Sozialgeschichte der Dritten Republik und zum deutsch-französischen Verhältnis um die Jahrhundertwende, Wiesbaden 1967. 131 Meldung vom 1.6.1925, in: LAV, Zentrale Nord, Nachrichtensammelstelle 29. 132 Schriftverkehr zum Selbstschutz und den Sach- und Personenschäden, in: StArchiv Ge, Ge 1741; Gelsenkirchen im Ruhrkampf, in: StArchiv Ge, HB 777, S. 43–63. Vgl. Bericht des Oberbürgermeisters vom 25.5.1923, in: LAV, Reg. Arnsberg 14512. 133 S. Bahne, KPD, 1974, S. 323 f.; O. K. Flechtheim, Partei, 1948, S. 104; P. Berens, Atomisierung, 2016, S. 101; J. Schröder, Kommunisten, 2004, S. 182. In den Stadtverordnetenversammlungen zerfielen die KPD-Fraktionen durch interne Richtungskämpfe. Bericht über die KPDGeneralversammlung am 24.8.1924, in: STAM Reg. A Nr. I Pa Mr. 259,1; Verwaltungsbericht der Stadt Buer für das Jahr 1922/1923, Buer 1923, S. 11. 134 So die Meinung des Oberbürgermeisters lt. Verwaltungsbericht der Stadt Buer für das Jahr 1923/1924, Buer 1924, S. 7.

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Proletariats.“ Die Kommunisten erklärten sich für nicht an die Gepflogenheiten des Parlaments und die Schweigepflicht gebunden und wuschen sich nach der Vereidigung mit Handschlag demonstrativ die Hände und verließen schließlich den Ratssaal unter Singen der Internationale.135 Schon im Verlauf des Jahres 1924 verringerte sich durch die verfehlte Revolutionsstrategie der KPD und die Erschöpfung der Arbeiterschaft angesichts der materiellen Not der Einfluss der KPD im Ruhrgebiet nicht nur ausweislich der Wahlergebnisse erheblich. Auf der Unterbezirkskonferenz der Gelsenkirchener KPD am 25. Januar 1925 musste festgestellt werden, „dass von einem Bestehen einer Parteiorganisation eigentlich gar nicht mehr die Rede sein könne“.136 Bei einer Ende Februar 1925 stattfindenden Funktionärskonferenz in Gelsenkirchen wurde festgestellt, „dass man bei weiterer Entwicklung von der Kommunistischen Partei als einer Sekte reden werde.“137 NATIONALISTISCHER WIDERSTAND UND TERROR Bei der politischen Rechten ging die Agitation über nationale und nationalistische Argumentationsmuster hinaus. Die Nationalisten stammten überwiegend aus dem deutschnationalen Lager und dem Organisationsgeflecht extrem nationalistischer, rassistischer, faschistischer und völkischer Kleingruppen. Hier wurde beispielsweise über antifranzösische Ressentiments hinaus rassistisch gegen („farbige“ bzw. „schwarze“) Kolonialsoldaten argumentiert, obwohl solche Soldaten bei der Ruhrbesetzung nicht eingesetzt waren.138 Weiterhin gab es im Lager der Rechten auch ein rechtsextremistisches und nationalistisches Potenzial von Freikorps-Angehörigen, durch den Weltkrieg entwurzelter junger Männern mit militaristischen Prägungen, für die die Niederlage im Weltkrieg und deren Folgen zu einem Statusverlust geführt hatten. Eine obrigkeitsstaatlich anerzogene Verachtung des Proletariats und dessen Bewegungen suggerierte in der unruhigen Anfangsphase der Weimarer Republik hier die Vorstellung eines Bürgerkrieges, in dem die Ruhrbesetzung die Fortsetzung des Weltkrieges bedeutete.139 Bei solchen extremistischen Kleingruppen ging man auch vom passiven zum aktiven Widerstand über. In der „Zentrale Nord“ wurden diese Gruppen unterstützt und benutzt, Sabotageakte vor allem an den Verkehrswegen geplant und durchgeführt.140 Die wenigen, aber durchaus spektakulären Sabotageaktionen an Verkehrswegen wie Bahnlinien oder Kanälen blieb 135 Schreiben des Gelsenkirchener OB vom 6.6.1924 und vom 23.6.1924, in: STAM Reg. A Nr. I Pa 259,1. 136 Schreiben der Polizeidirektion Ge vom 2.2.1925 und vom 4.2.1925, in: STAM Reg. A Nr. I Pa 254. 137 Schreiben der Polizeidirektion Ge vom 6.3.1925, in: STAM Reg. A Nr. 341, Ebenso im Bericht der Polizeidirektion Ge vom 6.3.1925, in: LAV, Reg A 14353, Bl. 255. 138 Nach LAV, Zentrale Nord, Nachrichtensammelstelle 30 und 33 waren keine Kolonialtruppen im Ruhrgebiet eingesetzt. 139 Vgl. K. Tenfelde, Bürgerkrieg, 2010, S. 35. 140 Gerd Krüger, „Wir wachen und strafen“ – Gewalt im Ruhrkampf von 1923, in: G. Krumeich / J. Schröder, Schatten, 2004, S. 238.

Die gegenseitige Wahrnehmung von Franzosen und Deutschen

131

letztlich relativ bedeutungslos, da diese Aktivitäten recht stümperhaft ausgeführt wurden oder von den Besatzungsmächten verhindert werden konnten.141 Für den Raum Gelsenkirchen erlangte der Tod des aus Buer stammenden Ludwig Knickmann während der Ruhrbesetzung lokale Bedeutung, weil er während des „Dritten Reichs“ als Märtyrer der nationalsozialistischen Bewegung inszeniert wurde, ähnlich wie die Glorifizierungen um Leo Albert Schlageter oder Horst Wessel. Nach Ludwig Knickmann wurde eine SA-Standarte benannt, das Parteihaus der NSDAP war nach ihm benannt, Orte seines Lebensweges wurde als Erinnerungsorte gestaltet, er wurde auf dem an seinem Todestag 1934 eingeweihten Ehrenmal für die Opfer des Weltkrieges in Buer verewigt, und jährlich erinnerten Gedenkfeiern an seinen „Freiheitskampf“. Am 21. Juni 1923 war Ludwig Knickmann bei Marl bei dem Versuch, illegal über die Grenze zwischen besetztem und unbesetztem Gebiet zu gelangen, von belgischen Soldaten getötet worden, nachdem er mit seinem Begleiter Karl Jackstien, einem späteren SA-Oberführer, drei belgische Besatzungssoldaten erschossen hatte. Zu dem Vorfall gab es zwei Versionen – die belgische zu einem Lebensmittelschmuggel und die deutsche, von den Nationalsozialisten heroisierte, von dem Versuch eines Sabotagekommandos, einen Spitzel der Besatzungstruppen ins unbesetzte Gebiet zu entführen. Nach späteren Darstellungen sollen die Mitglieder der Gruppe um Ludwig Knickmann, die am 11. April 1923 auch einen Anschlag auf die Nordbahn in Buer verübt hatte, bereits in der NSDAPP organisiert gewesen sein.142 Die NSDAP entstand im Raum Gelsenkirchen um die Jahreswende 1922/23 im Geflecht völkischer Gruppierungen, wo der „Völkisch-Soziale Block“ bei der Stadtverordnetenwahl von 1924 in Buer

141 K. Pabst, Ruhrkampf, 1972, S. 27; Note au Sujet des Attentats et Attaques possibles contre le Corps d’Occupation de la Ruhr, in: SHD, 7 N 2613. Vgl. Communiqué vom 24.3.1923, in: SHD, 4 N 96; Note sur les sabotages de voies ferrées exécutes dans la Ruhr et en Rhenanie par les Allemands pendant le 1e semestre de 1923 vom 12.7.1924, Note sur les Organisations allemandes, qui ont exécute les sabotages des voies ferrées en Rhénanie et dans la Ruhr en 1923 vom 13.7.1924, in: SHD, N 2614. 142 Heinz-Jürgen Priamus, Die Reihen noch nicht fest geschlossen: Entstehung und Aufstieg der NSDAP in Gelsenkirchen, in: Heinz-Jürgen Priamus (Hg.), Deutschlandwahn und Wirtschaftskrise: Gelsenkirchen auf dem Weg in den Nationalsozialismus, Teil 1, Essen 1991, S. 78 f.; Heinz-Jürgen Priamus / Holger Germann, Die Anfänge des Nationalsozialismus in Buer, in: Stefan Goch (Hg.), Buer – Geschichten einer Stadt, Essen 2014, S. 163–186. G. Krüger, Beamte, 2004, S. 167 sieht aufgrund der Kontinuitäten der Arbeit der Zentrale Nord die Vermutung einer versuchten Entführung von Unterstützern der Ruhrbesetzung als wahrscheinlich an. Zur Inszenierung Heinz-Jürgen Priamus, Helden- und Totenfeiern. Normiertes Totengedenken als Feiertag, in: Heinz-Jürgen Priamus / Stefan Goch, Stefan (Hg.), Macht der Propaganda oder Propaganda der Macht? Inszenierung nationalsozialistischer Politik im „Dritten Reich“ am Beispiel der Stadt Gelsenkirchen, Essen 1992, S. 21–41, bes. S. 25–38, dort die Vermutung zu Lebensmittelschmuggel. Vgl. SHD, GR 7 N 3489 (Rapports politiques établis par le Général Degoutte pendant la période d’occupation de la Ruhr), Dossier 9: 5.6.1923–30.7.1923; Meldung in: SHD, 7 N 2667.

132

Stefan Goch

einen Sitz errang.143 Diese Entwicklung bestätigte Befürchtungen der Besatzer, wohl auch im Zusammenhang mit der Abwehr von Sabotageakten.144 WAHLEN UNTER DER BESATZUNG Unter den Bedingungen der Ruhrbesetzung fanden 1924 auf allen politischen Ebenen allgemeine Wahlen statt, in denen sich einerseits die Einschätzungen der wahlberechtigten Bevölkerung zur Anfangsphase der Weimarer Republik im Ruhrgebiet und zu ihrer sozialen Lage sowie andererseits natürlich auch die Stellung zur Ruhrbesetzung manifestierten. Die Wahlen fanden relativ unbeeinflusst durch die Besatzungsmächte statt, die allerdings Wahlkampf und Wahlergebnis genau beobachteten. Zu den Wahlen im Mai 1924 teilten so die Besatzungsbehörden mit, dass sie sich in keiner Weise in den Wahlkampf und die Wahlen einmischen wollten. Unter Plakaten und Anschlägen sollte nur ein Verantwortlicher stehen und „die Würde der Besatzungsbehörden und die Sicherheit der Truppen“ durfte nicht bedroht werden. „Es ist keine Vorzensur eingerichtet; auch ist keine Genehmigung nachzusuchen.“145 Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung im Raum Gelsenkirchen am 4. Mai 1924146 Gelsenkirchen abs. Wahlberechtigte

In %

116.648

abs.

Horst

in %

Sitze

48.875

gültig

92.366

79,0

SPD

8.666

9,4

729

0,8

USPD

Buer

Sitze

abs.

in %

Sitze

12.022

38.692

80,1

9.932

82,6

5

4.170

10,7

5

983

9,9

4















143 Vgl. Verwaltungsbericht Stadt Buer 1923/1924, S. 14, 18 und 22. Vgl. Carl Böhmer, Kampf und Sieg der NSDAP in Gelsenkirchen, in: Paul Große-Boymann, Gelsenkirchen. Die Stadt und ihre Lebensgesetze. Die Geschichte Groß-Gelsenkirchens seit der Industrialisierung, Gelsenkirchen 1939, S. 548 f. Ausführlich Wilfried Böhnke, Die NSDAP im Ruhrgebiet, Bonn 1974: Im Ruhrgebiet waren die Wegbereiter der NSDAP völkisch-antisemitische Rechtsabspaltungen der DNVP. (S. 32) Rechtsabspaltung der DNVP war die Deutsch-völkische Freiheitspartei/Freiheitsbewegung, die 1924 ein Wahlbündnis mit der NSDAP eingegangen war und im Ruhrgebiet als Völkisch-sozialer Block kandidierte. (S. 66 und 70 zu dem überdurchschnittlichen Abschneiden in Buer). Vgl. Peter Hüttenberger, Die Anfänge der NSDAP im Westen, in: W. Först, Ruhrkampf, 1972, S. 53 ff., wo auf Ursprünge bis zum Alldeutschen Verband verwiesen wird. Nationalsozialistische Bestrebungen soll es im Gelsenkirchener Süden bereits 1922/1923 gegeben haben. Angeblich sollen SA-Abteilungen in Buer und Gelsenkirchen bereits im Frühjahr 1923 gegen die französisch-belgische Ruhrbesetzung gegründet worden sein.. 144 So wurden in Gelsenkirchen im April und Mai 1924 verschiedene Gruppen verhaftet, insbesondere um einen Maurer Heinrich Koops, der eine Ortsgruppe der NSDAP gründen wollte. F. Grimm, Ruhrkrieg, 1930, S. 209 f. 145 Pressemeldung, in: StArchiv Ge, Ge 1728, dort auch Schriftverkehr zur Gewährleistung eines reibungslosen Wahlkampfes. 146 S. Goch, Arbeiterbewegung, 1990, S. 295 f.

133

Die gegenseitige Wahrnehmung von Franzosen und Deutschen Gelsenkirchen abs.

In %

Buer

Sitze

abs.

Horst

in %

Sitze

abs.

in %

Sitze

KPD

30.007

32,5

19

12.121

31,3

16

3.686

37,1

14

Zentrum

24.893

26,9

16

10.123

26,2

13

2.940

29,6

11

DDP

4.170

4,5

1

1.574

4,1

2







DVP

11.736

12,7

7













DVP & DNVP DNVP Völk.-soz. Block







3.097

8,1

4

1.103

11,2

5

5.905

6,4

4



















1.271

3,2

1







zus.

58

48

36

Wahlen zum Reichstag am 4. Mai 1924 in Gelsenkirchen147 Gelsenkirchen abs. Wahlberechtigte gültig

in %

117.927 92.156

Buer abs.

Horst in %

48.930 78,1

abs.

Reich in %

in %

12.097

39.264

80,7

10.174

85,0

76,4

SPD

8.156

8,9

4.313

10,9

959

9,3

20,6

KPD

32.366

35,0

12.607

32,1

3.886

37,9

12,6

USPD

.917

0,9

576

1,6

161

1,6



Zentrum(&BVP)

25.798

27,9

9.807

24,9

2.877

28,9

16,6

DVP

12.448

13,5

2.042

5,2

1.011

9,8

9,2

DNVP

6.653

7,2

3.788

9,6

438

4,3

19,5

DDP

2.122

2,4

1.340

3,4

94

0,9

5,5

Polen

1.212

1,3

326

0,9

275

2,7



Vökisch&NSDAP

1.225

1,7

1.138

2,9

216

2,1

6,5

Wahlen zum Reichstag am 7. Dezember 1924 in Gelsenkirchen148 Ge abs. Wahlberechtigte

Buer in %

119.776

abs.

Horst in %

47.711

abs.

Reich in %

in %

12.351

gültig

92.879

77,6

37.981

82,4

9.882

80,0

77,1

SPD

15.962

17,2

6.628

17,4

1.426

14,4

26,0

KPD

18.519

19,9

8.078

21,3

2.564

26,6

9,0

584

0,6

88

0,3

18

0,2



27.538

29,6

10.223

26,8

2.984

30,2

17,4

USPD Zentrum (& BVP)

147 Ebd., S. 296. 148 Ebd., S. 296.

134

Stefan Goch Ge abs.

DNVP

Buer in %

abs.

Horst in %

abs.

Reich in %

in %

8.794

9,5

6.310

16,6

828

8,4

20,5

DVP

14.225

15,4

2.330

6,2

1.214

12,3

10,1

DDP

3.191

3,4

1.317

3,5

144

1,5

6,3

Polen

1.005

1,1

143

0,4

147

1,4

626

1,6





603

0,7





146

1,5

Deutsch-völk. Block Ns. Freiheitsbew.

Wahlen zum Preußischen Landtag am 7. Dezember 1924 in Gelsenkirchen149 Ge abs. Wahlberechtigte

Buer In %

abs.

119.776

Horst In %

abs.

47.711

In %

12.015

gültig

92.624

77,1

38.257

80,2

9.889

82,3

SPD

15.807

17,1

6.606

17,3

1.436

14,5

KPD

18.594

20,1

8.495

22,2

2.641

26,7

USPD Zentrum DNVP

595

0,6

113

0,3

25

0,3

27.297

29,5

10.866

28,4

3.218

32,5

8.682

9,4

6.561

17,1

834

8,4

DVP

14.374

15,6

2.320

6,1

1.248

12,6

DDP

3.170

3,4

1.324

3,4

146

1,5

Polen

1.006

1,1

143

0,4

138

1,4





543

1,4





599

0,7





129

1,3

Deutsch-völk. Block Ns. Freiheitsbew.

Wahlen zum Provinziallandtag am 29. November 1925 in Gelsenkirchen150 Gelsenkirchen abs. Wahlberechtigte

in %

120.668

Buer abs.

Horst in %

abs.

in %

50.502

gültig

66.247

54,9

23.931

47,4

SPD

10.496

15,8

3.878

16,2

.796

12,9

KPD

13.563

20,5

5.656

23,6

1.726

28,1

USPD Zentrum DDP

149 Ebd., S. 296 f. 150 Ebd., S. 297.

6.142

244

0,4

77

0,3

16

0,3

20.962

31,6

7.346

30,7

2.334

38,0

948

1,3

521

2,2

51

0,8

3,0

135

Die gegenseitige Wahrnehmung von Franzosen und Deutschen Gelsenkirchen abs. DVP DNVP Deutsch-völk. Freiheitsb.

in %

Buer abs.

Horst in %

abs.

in %

13.486

20,4

1.275

5,3

848

13,9

3.892

5,9

2.856

11,9





239

0,4

183

0,8

30

0,5

Reichspräsidentenwahlen (1. Wahlgang: 29. März 1925, 2. Wahlgang: 26. April 1925) in Gelsenkirchen151 Gelsenkirchen abs.

in %

Buer abs.

Horst in %

abs.

Reich in %

1. Wahlgang Wahlberechtigte

121.676

48.127

gültig

86.002

70,7

31.826

66,7

9.639

Braun (SPD)

15.969

18,6

5.764

18,1

1.423

14,8

29,0

Thälmann (KPD)

15.321

17,8

6.410

20,2

2.139

22,1

7,0

186

0,2

134

0,4

29

0,3

3,7

Dr. Held (BVP) Dr. Hellpach (DDP) Dr. Jarres (DVP & DNVP) Ludendorff (NSDAP) Dr. Marx (Zentrum)

1.919

2,2

909

2,8

124

1,3

5,8

23.099

26,9

7.624

24,0

2.848

29,5

38,8

771

0,9

1.049

3,3

175

1,8

3,7

28.714

33,4

9.922

31,2

2.901

30,2

14,5

45,3

2. Wahlgang Wahlberechtigte

122.505

48.127

gültig

94.644

76,7

37.204

77,4

9.172

Dr. Marx (Zentrum, SPD, DDP)

45.308

47,9

15.103

40,6

4.077

44,5

Thälmann (KPD)

13.070

13,8

5.516

14,8

1.530

16,8

6,4

Hindenburg (NSDAP, DVP, DNVP, BVP)

36.266

38,3

16.585

44,6

3.545

38,7

48,3

Die politischen Wahlen in Gelsenkirchen zeigten auch unter der Besatzung wieder die fragmentierte Struktur politischer Lager und Milieus, die sich in der Zeit nach dem Weltkrieg aus den alten Strukturen der Vorkriegszeit fortentwickelt hatte. Die Arbeiterbevölkerung orientierte sich einerseits am Lager des politischen Katholizismus, und andererseits an der sich als sozialistisch verstehenden Arbeiterbewegung, wo seit der Anfangsphase der Weimarer Republik die Kommunisten domi151 Ebd., S. 297.

136

Stefan Goch

nierten. Auch band das Lager der nationalen und vor allem protestantischen Kräfte einen Teil der Arbeiterschaft, angesichts der Ruhrbesetzung blieben rechtsextreme und nationalistische Parteien aber (noch) außerordentlich schwach. HAUPTMANN ETIENNE BACH UND DIE GEMEINSAME ERINNERUNG AN DIE OPFER DES WELTKRIEGES Die kleinteilige Reglementierung des alltäglichen Lebens wurde vor Ort von Offizieren in einer Besatzungsbehörde für Zivilangelegenheiten durchgeführt. Zeitweise wirkte dort Etienne Pierre Bach (1892–1986), der bis zu seiner Einberufung zum Militär Theologie studiert hatte. Er hatte den Weltkrieg als Leutnant der Alpenjäger erlebt, war anschließend im besetzten Gebiet bei Trier und als Capitaine bei der Ruhrbesetzung eingesetzt.152 Im Ruhrgebiet engagierte er sich nach dem „Dattelner Abendmahl“ am Karsamstag 1923153 an dem er mit deutschen Christen teilgenommen hatte, für ein friedliches Zusammenleben. In Gelsenkirchen verhinderte er im Juni 1923 nach eigener Aussage bei einer der Demonstration einen Schießbefehl und führte eine friedliche Konfliktlösung herbei.154 Am 4. November 1923 (einem Sonntag), aus Anlass des katholischen Allerseelentag (am 2. November) zur Erinnerung an die Verstorbenen und kurz vor dem Jahrestag der Beendigung des Weltkrieges und inmitten großer Not sowie der mit der Aufgabe des passiven Widerstandes verbunden Krise fand dann auf Bachs Veranlassung eine Gedenkveranstaltung für die Gefallenen des Weltkrieges statt. Das Besondere an der Veranstaltung, die vom französischen Militärbischof Paul Rémond zelebriert wurde, war, dass hier aller Toten, der französischen und der deutschen Toten gedacht wurde.155 Allerdings verweigerten sich offizielle Vertreter der Stadt diesem gemeinsamen Gedenken. Ein Vertreter der Stadt sprach am Tag der Gedenkfeier mit Leutnant Bach und übermittelte dem Oberbürgermeister zwei Fragen des Stadtkommandanten zur umgehenden Beantwortung. Die eine betraf ein Unglück auf der Zeche Hibernia, zu dem der Besatzungsgeneral wissen wollte, wie er die Witwe und ihre Kinder unterstützen könnte. Bei der zweiten Frage hieß es:156 „Heute Vormittag habe eine Totenfeier auf dem Friedhof in Hessler stattgefunden. Zu dieser Feier sei der Herr 152 Fotos im StArchiv Ge, FS I, 184, 185, 188, 196, 198, 199, 200, 201, 202. Zur Anwesenheit in Gelsenkirchen Gelsenkirchen im Ruhrkampf, in: StArchiv Ge, HB 777, S. 101 mit der Übersicht der Besatzungsoffiziere in Gelsenkirchen. 153 Martin H. Jung, Wagnis Versöhnung. Das „Dattelner Abendmahl“. Etienne Bach, Gertrud Kurz und die „Kreuzritter für den Frieden“, Aachen 2014; Martin H. Jung, Etienne Bach, das Dattelner Abendmahl und die Friedenskreuzritter, in: Jahrbuch für Westfälische Kirchengeschichte (2014) 110, S. 201–236; vom gegenwärtigen Pfarrer: Thomas Mämecke, Das „Dattelner Abensmahl“ von 1923. Erinnerung an eine legendäre Episode aus der Zeit der Ruhrbesetzung, in: Kirche im Revier (2007) 20, S. 12–20. 154 T. Mämecke, Abendmahl, 2007, S. 12–20; M. H. Jung, Wagnis, 2014, S. 18; M. H. Jung, Bach, 2014, S. 205, 229. 155 Erwähnt, nicht der besondere Charakter, in: Gelsenkirchen im Ruhrkampf, in: StArchiv Ge, HB 777, S. 185. 156 In: StArchiv Ge, Ge 1782.

Die gegenseitige Wahrnehmung von Franzosen und Deutschen

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Oberbürgermeister eingeladen gewesen. Der General Guyot habe sehr bedauert, dass weder der Herr Oberbürgermeister, noch sonst ein Vertreter der Stadtverwaltung zugegen gewesen sei. Wenn das doch der Fall gewesen wäre, und der Herr Oberbürgermeister oder sein Vertreter sich unter dem anwesenden Publikum befunden hätte, so wäre es sehr erwünscht gewesen, dass der betr. Herr sich durch Hervortreten zu erkennen gegeben hätte. Insbesondere habe auch der anwesende Bischof seinem Bedauern Ausdruck gegeben, dass kein deutscher Vertreter zugegen gewesen sei. Die Totenfeier sollte nicht einen ausgesprochen französischen Charakter tragen, vielmehr sollte sich die Feier auch auf die deutschen gefallenen Krieger beziehen. Aus diesem Grunde seien auch zwei „Kronen“ [Aufsteller für Trauerkränze] vorhanden gewesen, von denen die eine für die französischen und die andere für die deutschen Krieger bestimmt waren. [Absatz] Allgemein knüpfte Leutnant Bach daran die Bemerkung, dass ihm die beiden Vorgänge sehr peinlich seien, da er immer und auch jetzt noch ehrlich bestrebt gewesen sei, eine Verständigung zwischen den beiden Gruppen herbeizuführen, oder wenigstens zu erleichtern. Er würde es sehr bedauern, wenn seine Bestrebungen durch die Vorgänge der bezeichneten Art von deutscher Seite beeinträchtigt würden.“ Die „Gelsenkirchener Zeitung“ und die „Gelsenkirchener Allgemeine Zeitung“ berichteten am 6. November 1923 gleichlautend über eine Veranstaltung:157 „Als Allerseelentag veranstaltet die hiesige französische Besatzung gestern morgen [falsch: vorgestern] im Stadtgarten [nicht auf dem Friedhof Hessler] eine öffentliche Feier zum Gedächtnis für die Kriegsgefallenen aller Nationen, die, wie von beteiligter Seite berichtet wird, stark besucht war. Als Symbol war ein Feldgrab errichtet mit zwei Kränzen am namenlosen Kreuz, deren einer den französischen, deren anderer den deutschen Gefallenen gewidmet war. Dieser letztere wurde am Schluss der Feier einem Kommando von sechs Mannschaften der blauen Polizei übergeben, um ihn nach dem deutschen Heldenfriedhof [auf dem Friedhof Hessler] zu überbringen. Die Gedächtnisrede hielt der französische Armeebischof, der Hochwürdigste Herr Bischof Remond von Düsseldorf, der morgens von einer Truppendelegation empfangen und durch die Stadt zum Stadtgarten geleitet wurde. In seiner Rede proklamierte der Bischof den Gedanken, dass trotz aller Schwierigkeiten zwischen den Völkern die Ehrfurcht für die Gefallenen sie eine. Die Veranstaltung solle ein Werk der Annäherung sein, in Himmel werde es keine Grenzen der Nationen mehr geben und dort oben würden alle Krieger eine große Familie bilden. Die Feier schloss mit einer Heiligen Messe und dem Gebet für die Gefallenen.“ Auf überlieferten Bildern158 ist ein in Frankreich allgemein bekannter Text von Viktor Hugo zu solchen Gefallenenfeiern zu lesen: „Ceux qui pieusement sont morts pour la patrie ont droit qu’à leur cercueil la foule vienne et prie.“ – Diejenigen, die fromm für das Vaterland gestorben sind, haben ein Anrecht, dass die Menge zu ihrem Sarg kommt und betet. Etienne Bach gründete nach seinen Erfahrungen im Weltkrieg und in der Besatzungszeit die christliche Friedensbewegung „Chevaliers de la Paix“ und wirkte für 157 Zeitungsausschnitt, in: StArchiv Ge, Ge 1730; GZ und GAZ vom 6.11.1923. Vgl. M. H. Jung, Wagnis, 2014, S. 19. 158 Fotos im StArchiv Ge, FS I, 00184, 00185, 00188, 00196, 00198–00202.

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die Friedensarbeit der Kirchen, woraus der „Christliche Friedensdienst“ mit unterschiedlichen Zweigorganisationen entstand. INFLATION Für das alltägliche Leben der Bevölkerung stellte vor allem die sich 1923 verschärfende Inflation das zentrale Problem dar. Gegen Ende April / Anfang Mai 1923 beschleunigte sich die Inflation nochmals und ging in ihre letzte Phase über.159 Die Ruhrbesetzung verkomplizierte die Situation noch. Da einerseits die Versorgung des besetzen Gebietes mit Zahlungsmittel Schwierigkeiten bereitete, andererseits „Eingriffe“ der Besatzungsmächte, also wohl Beschlagnahmungen, befürchtet wurden, genehmigte der Reichsfinanzminister am 4. März 1923 den Städten, Landkreisen und auch großen Betrieben sowie Gemeinschaftseinrichtungen die Ausgabe von Notgeld.160 Als dann im Juli 1923 die Versorgung Gelsenkirchens mit Geld stockte, setzten hektische Bemühungen um die Schaffung von Notgeld ein. Nachdem andere Kooperationen gescheitert waren, wurde schließlich nach telegraphischer Genehmigung des Reichsfinanzministers Notgeld für den Stadt- und Landkreis Gelsenkirchen gedruckt und ausgegeben. Da auch andere Einrichtungen Notgeld druckten, entstand eine chaotische Situation.161 Unter diesen Bedingungen wurde der passive Widerstand nun immer schwächer, auch die Geschäftswelt, die Ruhrindustrie und die Gewerkschaften traten nun für Verhandlungen ein.162 Die galoppierende Geldentwertung führte zu immenser Not der Bevölkerung, die nun hungerte und ums alltägliche Überleben kämpfte, vielfach auch mit Plünderungen auf dem Markt oder bei Lebensmittelgeschäften. Fast täglich kam es zu Demonstrationen und Unruhen immer wieder mit Toten und Verletzten, so Mitte Oktober 1923 und Anfang November 1923 an verschiedenen Stellen der Stadt Gelsenkirchen, am 24. November 1923 wurden beispielsweise in Gelsenkirchen 150 Geschäfte geplündert, ein Bäcker starb, 27 Menschen wurden verletzt.163 Wegen der rapiden Geldentwertung steigerte sich die Not der Bevölkerung derartig, dass die Städte sich zur Ausgabe von Naturalzuschüssen wie Brotgutscheinen oder Mahlzeiten gezwungen sahen, um den Besatzungstruppen nicht die Möglichkeit der Beschlagnahme größerer Geldmengen zu ermöglichen.164 Am 29. November 1923

159 Berichte des Militärs von Juni und Juli zu Preissteigerungen, in: SHD, 7 N 3492, zu August, September, Oktober, in: SHD, 7 N 3493. 160 Verordnung in: StArchiv Ge, Ge 1596. 161 Schiftverkehr in: Ebd. 162 Das muss selbst zugeben F. Grimm, Ruhrkrieg, 1930, S. 124, danach als „elastischer Wiederstand“ bezeichnet. Vgl. P. Wentzke, Ruhrkampf, Bd. 2, 1932, S. 71 ff., 137 ff. Als Niederlage M. Ruck, Gewerkschaften, 1986, S. 253. Aus französische Sicht: Note vom 6.9.1923. in: SHD, N 2613. 163 Z. B. Berichte vom 24., 26. und 28.11.1923, in: SHD, 7 N 3493; Gelsenkirchen im Ruhrkampf, in: StArchiv Ge, HB 777, S. 70 ff., 75 ff. 164 Verwaltungsbericht Stadt Buer 1922/1923, S. 93; Gelsenkirchen im Ruhrkampf, in: StArchiv Ge, HB 777, S. 79.

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betrug der Tagesverdienst eines Vollarbeiters in Buer (nur 2.000 gegenüber etwa 50.000 Erwerbslosen) 4 Billionen Mark, die den Wert einer Goldmark hatten. Ein Erwerbsloser erhielt 1,2 Billionen und ein Fürsorgeberechtigter (also Familienangehörige) 0,5 Billionen. Gleichzeitig kosteten drei Pfund Brot 1,05 Billionen, ein Pfund Margarine 4 Billionen, ein Pfund Schweinefleisch 4 Billionen und ein Liter Milch 0,28 Billionen.165 Zum Jahresende 1923 stellte der Gelsenkirchener Stadtmedizinalrat Dr. Friedrich Wendenburg für die kommunale Vereinigung für Gesundheitsfürsorge im rheinisch-westfälischen Industriegebiet Daten zur gesundheitlichen und sozialen Lage der Bevölkerung zusammen.166 Danach hatten knapp 58 % aller Kinder hatten keine Möglichkeit der ärztlichen Versorgung, 76 % der Kinder erhielten aufgrund von Geldmangel keine Versorgung mit Milch, für 6 % der Kinder konnte zeitweise Milch gekauft werden und 18 % der Kinder konnten täglich etwas Milch trinken. In Gelsenkirchen mussten die Fürsorgerinnen, die die Familien von Neugeborenen besuchten, feststellen, dass bei knapp 40 % der Familien keine ausreichende Wäsche vorhanden war und bei etwa 26 % der Familien fast keine Wäsche zur Verfügung stand. Ähnliches wurde aus Buer und Horst berichtet. Es waren nicht nur Lebensmittel nahezu unerschwinglich geworden, die Versorgung der Bevölkerung mit Gas und Elektrizität war wegen der stillliegenden Betriebe eingeschränkt, ebenso die Versorgung mit Hausbrand. Kleinkriminalität, Plünderungen und immer wieder Hungerdemonstrationen gehörten zum Alltag.167 Am 15. November 1923 erfolgte der Währungsschnitt mit der Ersetzung der „Papiermark“ durch die „Rentenmark“. Mit der Ausgabe der Rentenmark am 15. November 1923 und der Währungsreform stabilisierte sich die deutsche Wirtschaft ab Ende 1923. Die Währungsreform änderte aber im Ruhrgebiet zunächst nichts, da die neuen Zahlungsmittel nicht in das besetzte Gebiet hineinkamen. Weil die Papiermark ihre Geldfunktionen völlig verloren hatte, schloss sich die Stadt Buer mit dem Landkreis Recklinghausen und den Städten Bottrop, Gladbeck und Osterfeld zur „Vestischen Notgeldgemeinschaft“ zusammen, die wertbeständiges Notgeld herausgab, was mit der Stabilisierung der deutschen Währung allerdings rasch wieder überflüssig wurde. Schrittweise und unter erheblichen Schwierigkeiten wurde 1924 das Notgeld ausgetauscht.168

165 P. Große-Boymann, Gelsenkirchen, 1939, S. 523. Zur Teuerung vgl. auch F. Gehb, Peitsche, 1925, S. 71. Beispiele der Not in: P. Wentzke, Ruhrkampf, Bd. 2, 1932, S. 196 ff. 166 Im Folgenden nach Zusammenstellung, in: StArchiv Ge, Ge 3148; O. Keiner, Gesundheitliche Ruhrschäden, in: Deutsche Zeitschrift für öffentliche Gesundheitspflege (1925/26) 1/2, S. 21–28. 167 C. Fischer, Verwerfungen, 2004, S. 149–167. 168 Verwaltungsbericht Stadt Buer 1922/1923, S. 124, P. Große-Boymann, Gelsenkirchen, 1939, S. 342; StArchiv Ge, Ge 1596.

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ABBRUCH DES PASSIVEN WIDERSTANDES, ENDE DER BESETZUNG, ERSCHÖPFUNG Mit der Finanzierung des passiven Widerstandes hatte das Deutsche Reich die von der Kriegsfinanzierung angeschlagene Währung endgültig ruiniert. Eine Regierung der Großen Koalition mit Reichskanzler Gustav Stresemann, die im August 1923 das Kabinett Cuno abgelöst hatte, sah sich Ende September 1923 daher zur Aufgabe des passiven Widerstandes gezwungen, auch weil ihrer Einschätzung nach der Abwehrwille der Bevölkerung nachließ und nationale Propaganda kaum noch Wirkung zeigte. Schließlich wurde die von der Ruhrbevölkerung sehnlich erwartete Beendigung des passiven Widerstandes am 26. September 1923 verkündet, letztlich eine bedingungslose Kapitulation. Die außenpolitische Niederlage, die Zerrüttung der Währung und die allgegenwärtige Not stürzten das Deutsche Reich in eine tiefe Krise (Putschversuch Hitlers; Rebellion der „Schwarzen Reichswehr“, Separatistenunruhen, kommunistische Aktionen in Sachsen und Thüringen).169 Mit dem Zusammenbruch des passiven Widerstandes musste auch geregelt werden, dass nun doch Reparationskohle nach Frankreich und Belgien geliefert wurde. Dazu wurde ein Bündel von sechs Einzelverträgen (23. November 1923 – 3. September 1924) zwischen der Montanindustrie des Ruhrgebiets, die auch ihre Interessen nach Restrukturierung verfolgte, und der „Mission interalliée de Contrôle des Usines et des Mines (MICUM)“ geschlossen. Die unter Führung von Hugo Stinnes durch eine Sechserkommission der wichtigsten Montankonzerne ausgehandelten Verträge sahen die Lieferung von Reparationskohle und Zahlungen für die bei den Besatzungsmächten entstanden Kosten während des passiven Widerstandes vor und ermöglichten damit die Wiederingangsetzung der stillgelegten Betriebe. Diese Verhandlungen der Schwerindustrie fanden in Abstimmung mit der Reichsregierung statt, die nach dem Ende der Ruhrbesetzung einen wesentlichen Teil der Kosten der Ruhrindustrie für Lieferungen und Zahlungen an die Besatzungsmächte übernahm.170 Nach einer Übergangszeit, in der noch Zuschüsse gezahlt wurden, kam der Absatz der Ruhrzechen nach dem Ende des passiven Widerstandes noch nicht wieder in Gang.171 Ab etwa Mitte Oktober erfolgten daher bei den Zechen gegen den Willen der französischen Besatzungsmacht, die natürlich an der Wiederaufnahme der Produktion und der Zahlung der Reparationen interessiert war, Massenentlas169 Vgl. besonders zu den Ereignissen im Ruhrgebiet K. Hartewig, Jahrzehnt, 1993, S. 232–240; Karin Hartewig, Wie radikal waren die Bergarbeiter im Ruhrgebiet 1915/16–1924?, in: Klaus Tenfelde (Hg.), Sozialgeschichte des Bergbaus im 19. und 20. Jahrhundert. Beiträge des internationalen Kongresses zur Bergbaugeschichte in Bochum 3.–7. September 1989, München 1992, S. 623–640; L. D. Peterson, Policies, 1979, S. 525–542. Bericht vom 12.9.1923, in: SHD, 7 N 3493; Aufhebung der Widerstandsverordnung, in: StArchiv Ge, Bürgermeisteramt Rotthausen 548; zum Vorgehen der Kommunisten Bericht vom 10.7.1923, in: SHD, 7 N 3492. 170 K. Pabst, Ruhrkampf, 1972, S. 15. 171 Am 22. Oktober endete die Rhein-Ruhr-Hilfe. Jakob Sieglar, Lage des Arbeitsmarktes, Arbeitslosigkeit usw., in: Erwin Stein (Hg.), Gelsenkirchen, Berlin 1924, S. 8 f.; Verwaltungsbericht Stadt Buer 1922/1923, S. 13, P. Große-Boymann, Gelsenkirchen, 1939, S. 522; F. Gehb, Peitsche, 1925, S. 70.

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sungen; außer Consolidation stellten alle Zechen des Gelsenkirchener Südens die Förderung ein, bei den Gußstahl- und Eisenwerken wurden fast alle Beschäftigten entlassen.172 Die Zahl der Erwerbslosen schnellte empor. Unter Einschluss der Familienangehörigen waren im Dezember 1923 etwa 85 % der Bevölkerung Buers auf Erwerbslosenfürsorge angewiesen, in der Stadt Gelsenkirchen etwa 75 % der Bevölkerung.173 Hungerdemonstrationen, Teuerungsunruhen und Plünderungen gab es nun in allen Teilen Gelsenkirchens fast täglich, beispielsweise am 27. Oktober 1923 in Gelsenkirchen mit 5 Verletzte, am 8. November 1923 in Schalke mit zwei Toten und dann am 24. November in Gelsenkirchen mit vielen Verletzten.174 Nur langsam stabilisierte sich die deutsche Wirtschaft ab Anfang 1924, Kohleförderung und Produktion kamen im Ruhrrevier wieder in Gang. Nach dem Abbruch des passiven Widerstandes war die Ruhrbesetzung dann vor Ort relativ unauffällig. Zum Stand von 1. Juni 1924 gab die Verwaltung der Stadt Buer an, dass in der Stadt 40 Offiziere und 800 Mannschaften und Unteroffiziere mit 40 Pferden stationiert waren, dazu kamen acht Angehörige der MICUM und sechs der Eisenbahn-Regie. Dabei waren insgesamt 48 Einzelquartiere mit 90 Zimmern belegt, allerdings waren aus ihren Wohnungen nur 2 Familien mit insgesamt 12 Personen verdrängt worden. Die Gesamtzahl der Wohnhäuser betrug zu diesem Zeitpunkt in Buer 5.923 und die Zahl der Zimmer 69.611. Am 20. September 1924 waren in Buer und Horst noch zehn Offiziere, 320 Unteroffiziere und Mannschaften, sechs Gendarmen, fünf Angehörige der MICUM und sechs Angehörige der Regie untergebracht.175 Anfang 1924 befanden sich im südlichen Gelsenkirchener Gebiet noch 2.615 Angehörige der Besatzungstruppen, der MICUM, der Eisenbahn-Regie mit 263 Pferden, die in 16 Massenquartieren und 294 Einzelquartieren untergebracht waren.176 Ende März 1925 waren noch 775 Angehörige der Besatzungstruppen im südlichen Teil Gelsenkirchens.177 In der gesamten Besatzungszeit wurden im südlichen Gelsenkirchen 119 Wohnungen mit 497 Zimmern belegt, bei einer Großstadt mit über 200.000 Einwohnern (mit Rotthausen).178 Mit der Verabschiedung des Dawes-Planes vom August 1924 zur Regelung der Reparationszahlungen wurden der französischen Sanktionspolitik die Grundlagen entzogen, und Frankreich und Belgien verpflichteten sich, die besetzten Gebiete zu 172 Zu den Stilllegungen in Gelsenkirchen und dem Protest der Arbeiterschaft Bericht vom 27.10.1923, Lage im November Bericht vom 8.11.1923 und Berichte vom Oktober 1923, in: SHD, 7 N 3493. Vgl. J. Sieglar, Lage, 1924, S. 8; Verwaltungsbericht Stadt Buer 1922/1923. Vergl. Schreiben zur Stilllegung der Schachtanlagen in: STAM BAB A 17–85. Befehl von Degoutte gegen Massenentlassungen und Betriebsschließungen, in: Nachrichtendienst, 18.11.1923. 173 Verwaltungsbericht Stadt Buer 1922/1923, S. 99 f.; Gelsenkirchen im Ruhrkampf, in: StArchiv Ge, HB 777, S. 73 f. 70 % nach J. Sieglar, Lage, 1924, S. 8 f.; P. Große-Boymann, Gelsenkirchen, 1939, S. 522. Vgl. F. Gehb, Peitsche, 1925, S. 70. Allgemein K. Hartewig, Jahrzehnt, 1993, S. 74 f. 174 Meldung vom 27.10.1923, in: SHD, GR 7 N 2667; LAV, Reg. Arnsberg, 14352, Bl. 82, 86–91. 175 Aufstellung in: StA Ge, Buer 1471. 176 Bericht in: StAG e, Ge 1799. 177 Bericht in: StAG e, Ge 1799. 178 Gelsenkirchen im Ruhrkampf, in: StArchiv Ge, HB 777, S. 91, 120.

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räumen. Am 20. Juli 1925 verließen die letzten französischen Soldaten das Ruhrgebiet, die Stadt Gelsenkirchen hatten sie schon am Tag vorher verlassen.179 In Buer erfasste man die Schäden an Wohnungen und ihrem Inventar bei Abzug der belgischen Truppen mit penibel aufgestellten Inventarlisten.180 Obwohl es natürlich Auseinandersetzungen über den Zustand der requirierten Wohnungen gab, stellte das Gelsenkirchener Besatzungsamt 1926 fest:181 „Im Allgemeinen kann gesagt werden, dass die Angehörigen der Truppe sich einer schonenderen Nutzung der Wohnungen befleißigt haben als die französischen Eisenbahnerfamilien. [Absatz] Trotzdem waren nach dem Abrücken der Truppen größere Fehlmengen bei dem eingelieferten Material, namentlich an den kleineren Gebrauchsgegenständen wie Wäsche, Porzellan, Bestecks usw. festzustellen.“ In den Massenquartieren, vor allem Schulen, waren die erwartbaren Abnutzungen festgestellt worden. Es gab auch recht freundliche Schilderungen – so berichtete die Leiterin des städtischen Lyzeum in Gelsenkirchen zur Besetzung ihrer Schule und ihrer Dienstwohnung:182 „Ich blieb noch während des ganzen Vormittages [während der Besetzung des Schulgebäudes] im Schulhaus, dauernd mit Anfragen, Wünschen und Forderungen bemüht; persönlichen Belästigungen war ich nicht ausgesetzt, konnte auch in Ruhe die Akten und Möbel meines Arbeitszimmers in Sicherheit bringen. [Absatz] Der Zustand, in dem die Franzosen das Haus nach ihrem Abzug zurückließen, war besser als hätte erwartet werden können. […] Meine persönlichen Erlebnisse mit den Franzosen in meinem Hause während dieser Zeit sind äußerst interessant, können hier aber nicht berichtet werden. In die Schule bin ich selten und immer nur auf Anforderung der Franzosen gekommen, wenn Sie meiner Hilfe zu bedürfen glaubten. Der Verkehrston mit mir ist bei Soldaten, Unteroffizieren und Offizieren uneingeschränkt höflich, oft verbindlich gewesen. […] Weit bedauerlicher als das Verhalten der Franzosen war das der einheimischen Bevölkerung gegen die Schule und gegen mich persönlich. Statt das Lyzeum als heimatlosen Flüchtling mit offenen Armen aufzunehmen, wurde es von Schulhaus zu Schulhaus gehetzt. Rektoren, Lehrer und Elternschaft der dem Lyzeum zugewiesenen Schulhäuser protestierten in Sitzungen, Versammlungen und die Eltern zum Teil auch in Straßenaufläufen. Die Katholiken von Schalke wiesen in großer Erregung die Einquartierung des Lyzeums, ‚das zur Altstadt gehöre‘ ab. […]“ Vom städtische Fuhrpark in Gelsenkirchen hieß es:183 „die Benutzung dauerte bis zum Abzug der Franzosen. Letztere haben in der Zwischenzeit ständig unsere Werkstätten mitbenutzt, ohne dass größere Schwierigkeiten entstanden sind.“ Nach dem Ende der Besatzung war der Nachkriegsboom der Steinkohle zu Ende und es erfolgten die während des passiven Widerstandes geplante Rationali179 Besatzungsamt, Beitrag zur Geschichte der Ruhrbesetzung, betrifft das Gebiet von Gelsenkirchen, 11. Juni 1926, in: StArchiv Ge, Ge 3148. 180 Z. B. StArchiv Ge, Buer 1483. 181 Besatzungsamt, Beitrag zur Geschichte der Ruhrbesetzung, betrifft das Gebiet von Gelsenkirchen, 11. Juni 1926, in: StArchiv Ge, Ge 3148; Gelsenkirchen im Ruhrkampf, in: StArchiv Ge, HB 777, S. 122, beispielhafte Schäden bis S. 127. 182 Bericht, in: StArchiv Ge, Ge 3148. 183 Bericht, in: StArchiv Ge, Ge 3148.

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sierungs- und Mechanisierungsmaßnahmen, die noch vor der Weltwirtschaftskrise im Steinkohlenrevier zu Arbeitslosigkeit und fortgesetzter Not führten.184 Während die Ruhrunternehmen Unterstützungen des Reiches erhielten, wurden soziale Errungenschaften aus der Anfangszeit der Weimarer Republik für die geschwächten Arbeitnehmer und Gewerkschaften nach zum Teil heftigen Arbeitskämpfen wie dem erfolglosen Maistreik von 1924 wieder beseitigt, wobei sich sogar die Gelsenkirchener Stadtverwaltung mit Unterstützungsmaßnahmen für die Streikenden und Ausgesperrten gegen die Arbeitgeber stellte. Zwar wurde prinzipiell am 8-Stunden-Tag festgehalten, jedoch die Einführung des 10-Stunden-Tages und des Zweischichtsystems grundsätzlich ermöglicht. Es kam zu Arbeitszeitverlängerung bis zu 60 Stunden. Auch vor diesem Hintergrund kam es zu Entlassungen bei der Schwerindustrie bei spürbarem Lohnabbau. So waren 1924 die Machtverhältnisse in den industriellen Beziehungen zugunsten der Schwerindustrie wiederhergestellt, die Gewerkschaften geschwächt und die Radikalisierung der Arbeiterschaft durch die erfahrenen Enttäuschungen gedämpft.185 Auch diese materiellen und sozialen Probleme führten rasch zum Vergessen der Ruhrbesetzung und vor dem Aufstieg der Nationalsozialisten spielte in der Arbeiterschaft die nationale Frage keine besondere Rolle mehr. GESCHICHTSPOLITIK ZUM „RUHRKAMPF“ Dagegen erschienen in zahlreichen Städten des Ruhrgebiets, so auch im Raum Gelsenkirchen, bald nach dem Ende der Ruhrbesetzung Darstellungen der Ereignisse des „Ruhrkampfes“ wie die Besatzungszeit nun allgemein bezeichnet wurde. In den meist offiziösen, im Umfeld der Stadtverwaltungen und mit Hilfe der Materialien der Behörden entstandenen Schilderungen wurden die Ereignisse als ungerechte französisch-belgische Gewaltmaßnahme dargestellt, gegen die sich die Bevölkerung in nationaler Einheit friedlich zu wehren versucht hatte. In Buer erschien 1925 von Fritz Gehb „Mit Peitsche und Bajonett, Aus der Buerschen Besatzung seit 13. Januar 1923 bis 19. Juli 1925“. Im Geleitwort von Oberbürgermeister Emil Zimmermann der vermeintlich objektiven und leidenschaftslosen Schrift nannte er die Besatzung eine „Schreckenszeit“ und bezeichnete die Darstellung als eine „Anklage gegen unerhörte fremdländische Willkür, ausgeübt an einer wehrlosen 184 C. Kleinschmidt, Rekonstruktion, 2004, S. 133–147; K. Hartewig, Jahrzehnt, 1993, S. 84–108. 185 Überblick C. Kleinschmidt, Rekonstruktion, 2004, S. 142; K. Hartewig, Jahrzehnt, 1993, S. 215, 283; Resümee in: K. Hartewig, Bergarbeiter, 1992, S. 623–64. Z. B. Lagebericht 14.– 21.1.1924, in: SHD, GR 7 N 2668 zu Auseinandersetzungen um 8-Studen-Tag in Gelsenkirchen und erfolglosem Aufruf der KPD zum Generalstreik. Die Franzosen hatten immer wieder betont, die deutschen Gesetze und auch die Arbeitnehmerrechte unangetastet zu lassen. Z. B. zum Ende des passiven Widerstandes Nachrichtendienst, 7.10.1923, 18.11.1923 und zur Strategie der Unternehmen Nachrichtendienst, 13.10.1923: „Die deutschen Industriellen wollen die Kosten auf die Arbeiterklasse abwälzen“. Auch zur langsamen Wiederaufnahme der Arbeit Nachrichtendienst, 15.11.1923. Zum Verhalten der Stadtverwaltung mit Gewährung von kleinen Lebensmittelkrediten und Suppenküchen Gelsenkirchen im Ruhrkampf, in: StArchiv Ge, HB 777, S. 93 ff.

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und seiner friedlichen Arbeit dienenden Bevölkerung“.186 Für Gelsenkirchen finden sich neben den Schadensbilanzen in den Akten des Besatzungsamtes zwei inhaltlich und sprachlich sehr ähnliche maschinenschriftliche Manuskripte, eins aus der früheren Verwaltungsbücherei, nach dem Inhalt aus den 1920er Jahren stammend, und ein „Beitrag zur Geschichte der Ruhrbesetzung, Stadtteil Gelsenkirchen“ aus dem (nicht mehr existierenden) heimatgeschichtlichen „Kulturmuseum Heimaterde“, der im Wesentlichen aus einer in den Archivalien überlieferten Darstellung zweier Verwaltungsmitarbeiter von 1926 („zusammengestellt nach dem Aktenmaterial des Besatzungsamtes und dem Gedächtnis“) besteht und auf eine Verfügung der Feststellungsbehörde in Düsseldorf vom 27. August 1933 um drei Seiten ergänzt wurde.187 Konkrete, aber nicht ganz einheitliche Angaben lieferten die Besatzungsämter aus ihren Unterlagen zur Abrechnung von Schäden. Für Buer wurden im November 1925 1.761 Schadenersatzansprüche, rund 50 Personenschadensanträge und neun Tote genannt.188 Für den Zeitraum bis gegen Mitte 1924 erfasste die Stadt Buer 112 Personen, die mit der Besatzungsmacht aneinandergeraten waren und jenseits von Verwundungen und Todesfällen überwiegend kurzzeitig verhaftet worden waren (wegen gegen die Besatzungsmacht gerichteter Propaganda, Abreißen von Besatzungsplakaten, illegalem Waffenbesitz und mehrheitlich Verstößen gegen Anweisungen der Besatzungsmacht).189 Für die Stadt Gelsenkirchen wurden unter Berücksichtigung der eingemeindeten Teile der alten Bürgermeisterei Rotthausen etwa 3.500 Sachschäden gezählt und bis Ende 1924 36 Personenschäden, davon 6 Tote. In Horst wurde 3 Tote und mehrere Verletzte, manche eher leicht festgestellt.190 Weiterhin wurden 178 Gelsenkirchener gezählt, die in französische Gefängnisse kamen, davon 90 angeblich aus politischen Gründen. Ausgewiesen wurden dort 448 Beamte der Schutzpolizei, 70 Eisenbahner darunter 28 Eisenbahner-Familien, und insgesamt 43 Privatpersonen sowie 15 Industriellenfamilien aus

186 F. Gehb, Peitsche, 1925, S. 3. 187 Gelsenkirchen im Ruhrkampf, in: StArchiv Ge, HB 777 und Beitrag zur Geschichte der Ruhrbesetzung, Stadtteil Gelsenkirchen, Übersicht über Vorgänge aus der Besatzungszeit in der Stadt Gelsenkirchen (zur Verfügung der Feststellungsbehörde zu Düsseldorf I F. gen. Vom 27. August 1933), in: StArchiv Ge, HB 1732, die darin genannten Anlagen fehlen, dürften aber weitgehend den hier ausgewerteten Archivalien entsprechen: Besatzungsamt, Beitrag zur Geschichte der Ruhrbesetzung, betrifft das Gebiet von Gelsenkirchen, 11. Juni 1926, in: StArchiv Ge, Ge 3148. 188 Bericht von Stadtbauführer Fels vom 25.11.1925, in: StArchiv Ge, Buer 294. Dazu hieß es: „Von ganz unschätzbarem Werte sind die durch die fremden Eindringlinge vernichteten Menschenleben und die durch unerhört grausame Maßnahmen der Gewaltherrscher an Leib und Leben dauernd geschädigten deutsche Staatsbürger.“ 189 In: StArchiv Ge, Buer 1474 werden in einer recht dünnen Akte die Erstattungen für „Übergriffe der Besatzungsmächte gegen Beamte, Zivilpersonen und Privateigentum“ nachgewiesen. 190 StArchiv Ge, Ge 1731; Aufstellungen in Gelsenkirchen im Ruhrkampf, in: StArchiv Ge, HB 777; Chronik, o. J. Tote: Paul Fabeck, Wilhelm Weber [Unfall?], Heinrich Heitkamp, Friedrich Schatta; Burghoff, Wanda Wegrzynowski-Unfall) Zusätzlich wurden für Rotthausen offensichtlich der Elektriker Wesenmeyer und der Heizer Tombrink zu den Ruhrkampf-Toten gezählt.

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Rotthausen.191 Im Raum Gelsenkirchen lassen sich weiterhin drei Vergewaltigungen nachweisen.192 Insgesamt sollen seit Januar 1923 im besetzten Ruhrgebiet nach deutschen Angaben 137 Menschen Opfer der belgischen und französischen Besatzungstruppen geworden sein.193 Eine Bilanz von Übergriffen der Besatzungsmächte zeigt aber für eine Besatzungszeit von etwa zweieinhalb Jahren, die notwendigerweise mit Auseinandersetzungen verbunden war, bei aller Unterschiedlichkeit der Wahrnehmung und Berichte, dass letztlich die Zahl von Toten und Verletzten sowie vergewaltigten Frauen relativ gering blieb, ebenso auch die Sachschäden. Selbst die Zahl der Toten und Verletzten bei ökonomisch, sozial oder politisch verursachten bzw. motivierten Unruhen in Gelsenkirchen war höher.194 Dabei ist trotzdem jede Gewalttat unentschuldbar, aber die Anzahl der Personenschäden ist absolut nicht hoch, ohne Aufrechnung auch im Verhältnis zu der deutschen Besatzung in Nordfrankreich, die von französischer Seite immer wieder, aber eher erfolglos, angeführt wurde.195 Als harte Zwangsmaßnahme musste so der Oberbürgermeister der Stadt Buer im Geleitwort der Darstellung der Besatzungszeit darauf hinweisen, dass es nach dem Diebstahl einer französischen Fahne, die anlässlich des französischen Nationalfeiertages gehisst worden war, „sämtliche Gastwirtschaften in Buer-Mitte während dreier heißer Sommerwochen geschlossen bleiben“ mussten.196 Mit ihren mehr oder weniger öffentlichen Schriften bemühte sich die Obrigkeit bzw. die seit dem Weltkrieg kaum ausgewechselte Beamtenschaft, die auch die Maßnahmen der Besatzungsmächte am stärksten getroffen hatte, die Deutungshoheit über die Ruhrbesetzung zu erlangen und mit nationalistischen Argumentationsmustern Ursachen, Verantwortlichkeiten und Folgen des Ersten Weltkrieges und der Kriegsniederlage zu verschleiern. Nach einer Konferenz von Verwaltungsleitern des Rheinisch-Westfälischen Industriegebiets im April 1926, auf der man sich mit der öffentlichen Darstellung der Ereignisse der Ruhrbesetzung befasste, schrieb der Essener Oberbürgermeister Franz Bracht am 22. April 1926 „an die Mitglieder der Vereinigung der Städte, Landkreise und Gemeinden des R. W. I.“ und forderte die kommunalen Behörden auf, historische Darstellung der Ereignisse 191 Bericht vom 16. September 1933, Auflistung, in: StArchiv Ge, Ge 1799; Gelsenkirchen im Ruhrkampf, in: StArchiv Ge, HB 777, S. 181; F. Grimm, Ruhrkrieg, 1930, S. 169. 192 In Gelsenkirchen wurde am 27. September 1923 ein Mädchen von 2 belgischen Soldaten vergewaltigt. in Horst wurde eine Hausangestellte am 7. Oktober 1923 durch belgische Soldaten vergewaltigt. Bericht vom 16. September 1933, in: StArchiv Ge, Ge 1799. 193 Spione, 1926, S. 1. 194 Z. B. Chronik in: Gelsenkirchen im Ruhrkampf, in: StArchiv Ge, HB 777. 195 Vgl. Stanislas Jeannesson, Übergriffe der französischen Besatzungsmacht und deutsche Beschwerden, in: G. Krumeich / J. Schröder, Schatten, 2004, S. 207–231; G. Krüger, Gewalt, 2004, S. 233–255. Zu unterschiedlichen Zählungen im Bereich von etwa 120–150 Toten N. Beaupré, Guerres, 2012, S. 536; A. Becker, Cicatrices, 2010. Die deutschen Verbrechen in Nordfrankreich sind bis zur Gegenwart Thema populärer Veröffentlichung: Y. Buffetaut / M. Dagmey-Lacment, Nord, 2014. Die Abbildungen in: H. Spethmann, Jahre, Bd. 5: Der Ruhrkampf 19023 bis 1925 in Bildern, Berlin 1931 erzeugen auch nicht den Eindruck allgegenwärtiger Verwüstungen der Besatzungstruppen. Aufrechnung in: Nachrichtendienst, 24.8.1923, 26.8.1923. 196 F. Gehb, Peitsche, 1925, S. 3.

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zu erstellen:197 „In den schweren Tagen des Ruhrkampfes, den man von vornherein als eins der wichtigsten Ereignisse der vaterländischen wie der europäischen Geschichte erkannte, wurde früh der Wunsch nach einer Bearbeitung des ganzen Zeitabschnitts mit seinen Leiden und Sorgen aber auch mit seinem ruhmreichen Ringen laut. Insbesondere nach der Räumung wurde diese Forderung auch amtlich wiederholt, ohne doch über eine Erörterung der verschiedenen Möglichkeiten hinaus zukommen. Von den Reichsministerien vor allem wurden die beteiligten Kreise schließlich auf eigene Arbeit verwiesen, da nur im Lande selbst der vorhandene Stoff richtig verwertet werde. […] Beabsichtigt ist eine einheitliche Bearbeitung des Quellenstoffes nach den Grundsätzen der Statistik und der Geschichtswissenschaft für das gesamte Gebiet, das in den Jahren 1921 bis 1925 über die Bestimmungen des Versailler Diktats und des Rheinlandabkommens hinaus von französischen und belgischen Truppen besetzt war.“ Als beispielhaft wurde die Arbeit zu Düsseldorf von dem dortigen Archivdirektor Dr. Paul Wentzke genannt.198 Auch eine Arbeit aus Witten und die Darstellung aus Buer wurden als Beispiele erwähnt. Die Städte, darunter auch Gelsenkirchen, wurden aufgefordert, zunächst recht rasch bis zum 1. Juni 1926 Materialsammlungen auf eigene Kosten zu erstellen. Bezeichnenderweise sollten Kommunalpolitiker, die angesichts der Zusammensetzungen der Stadtverordnetenversammlungen durchaus andere historische Einschätzungen haben konnten, nicht beteiligt und informiert werden:199 „Da es sich hiernach für das einzelne Mitglied [Verwaltungsleiter der kommunalen Körperschaften] um verhältnismäßig geringe Aufwendungen handelt, über die der Verwaltungsleiter wohl selbstständig im Rahmen seiner Zuständigkeit verfügen kann, erscheint eine Befassung der gemeindlichen Körperschaften mit der Bewilligung dieser Mittel nicht erforderlich.“ Bereits am 12. April 1926, offensichtlich sofort nach der Verwaltungsleiter-Konferenz, war die Gelsenkirchener Verwaltung vom Oberbürgermeister vor dessen Urlaub beauftragt worden, bis zum 1. Mai entsprechende Materialien zur Ruhrbesetzung zusammenzutragen.200 Obwohl man in Buer bereits eine Darstellung hatte, übersandte Oberbürgermeister Zimmermann am 5. Mai 1926 eine umfangreiche Gliederung für eine noch ausführlichere Darstellung.201 Im Juni 1927 mahnte allerdings das preußische Ministerium des Inneren vor dem Hintergrund geänderter außenpolitischer Beziehungen zu Vorsicht bei der Herausgabe von Materialien zur Ruhrbesetzung, da möglicherweise „bedeutsame öffentliche Interessen Schaden leiden“ könnten.202 Als Produkt der erinnerungspolitischen Bemühungen erschien 1930 und 1932 das zweibändige Werk „Ruhrkampf – Einbruch und Abwehr im rheinischen-west-

197 StArchiv Ge, Ge 3148, auch StArchiv Ge, Buer 1448. Vgl. C. Cornelißen, Ruhrkampf, 2004, S. 34. 198 Diese dann offizöse Darstellung etwas unterschätzt bei M. Föllmer, Feind, 2002, S. 21. 199 StArchiv Ge, Ge 3148; auch StArchiv Ge, Buer 1448. 200 StArchiv Ge, Ge 3148. Das Ergebnis dürfte die Darstellung vom Juni 1926 sein. 201 StArchiv Ge, Buer 1448. 202 Schreiben des Preußischen Ministers des Inneren vom 14. Juni 1927 und erneute Mahnung des Regierungspräsidenten Münster von 29. Dezember 1927, in: StArchiv Ge, Buer 1448.

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fälischen Industriegebiet“ des Archivdirektors Dr. Paul Wentzke aus Düsseldorf.203 Auf der Sitzung der Verwaltungsleiter des Rheinisch-Westfälischen Industriegebiets am 25. März 1931 in Düsseldorf erhielt Dr. Wentzcke Gelegenheit, sein Werk zu präsentieren, musste dabei aber eingestehen, dass „der Absatz im Buchhandel den Erwartungen nicht entsprochen“ habe. Er bat darum, dass die Städte sein Buch in größerer Zahl erwerben und als Geschenk verwenden sollten.204 Aus Kreisen der Antidemokraten entstanden auch weitere Darstellungen zum „Ruhrkampf“. So bat der zeitlebens rechtsextreme Jurist Friedrich Grimm (1888– 1959) für eine dann 1930 erschienene antifranzösische Darstellung 1927 den Bueraner Oberbürgermeister um Informationsmaterial zur Ruhrbesetzung, da er ihn während der Ruhrbesetzung vertreten hatte.205 Auch in der arbeitgeberfreundlichen und antidemokratischen Geschichte Hans Spethmanns „Zwölf Jahre Ruhrbergbau“206 befassen sich zwei der fünf Bände und der Bildband mit der Ruhrbesetzung, wobei offensichtlich – wenn es keine Irrtümer sind – auch vor Verfälschungen – im Gelsenkirchener Falle eine falsche Deklarierung der Gedenkfeier für alle Opfer des Weltkrieges als „französisches demonstratives Begräbnis in Gelsenkirchen“ – nicht zurückgeschreckt wird.207 SCHLUSS Die Geschichts- und Erinnerungspolitik von Obrigkeit und Antidemokraten erreichte nur Teile der Arbeiterschaft, für größere Teile der Arbeiterschaft waren materielle und soziale Fragen wichtiger als nationale, für sie war die Ruhrbesetzung nur eine Episode in einem unberechenbaren Jahrzehnt und sie litten nach der Ruhrbesetzung unter dem Verlust der ohnehin begrenzten sozialen Errungenschaften der Novemberrevolution und dann der ersten Strukturkrise der Steinkohlenbergbaus. Während in der „großen Politik“, in der veröffentlichten Meinung sowie auch in den Köpfen der an der Ruhrbesetzung auf beiden Seiten Beteiligten nationale Urteile, Vorurteile und Stereotype fortlebten, verlief das alltägliche Leben der Arbeiter 203 P. Wentzke, Ruhrkampf, Bd. 1, 1930 und Bd. 2, 1932. Vgl. Schriftverkehr, in: StArchiv Ge, Buer 1448. Vgl. auch im größeren Zusammenhang H. Spethmann, Jahre, Bd. 3, 1929 und Bd. 4, 1930. Zur frühen (gewerkschaftlichen) Kritik M. Ruck, Gewerkschaften, 1986, S. 20. Auch die späte posthume Publikation Ludwig Zimmermann, Frankreichs Ruhrpolitik von Versailles bis zum Dawesplan, Göttingen 1971, beruhend auf Recherchen im besetzten Frankreich während des „Dritten Reichs“ passt in dieses Muster. Von der „anderen Seite“: Lothar Erdmann, Die Gewerkschaften im Ruhrkampfe. Im Auftrage des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes, Berlin 1924. 204 Niederschrift über die Sitzung der Verwaltungsleiter im rheinisch-westfälischen Industriegebiet am 25. März 1931, in: StArchiv Ge, Buer 1448. 205 Am 30. März 1927. Grimm erhielt die Darstellung von Fritz Gehb lt. StArchiv Ge, Buer 1448. Vgl. dann sein Buch F. Grimm, Ruhrkrieg, 1930. 206 H. Spethmann, Jahre, 5 Bde., 1928–1931. Auch solche eine Darstellung: W. Wiedfeld, Nation, 1933. 207 Im Vergleich der Bilder in: H. Spethmann, Jahre, Bd. 5, 1931: Abb. 83 und 84 und dagegen Fotos im StArchiv Ge, FS I, 184, 185, 188, 196, 198, 199, 200, 201, 202.

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und ihrer Familien doch anders. Hier musste ein Weg gefunden werden, mit dem Alltag klar zu kommen, der beherrscht wurde von Sorgen der Lebensbewältigung oder von Sorgen, die gar nicht so eindeutig bestimmten Verantwortlichen zugerechnet werden konnten. Dramatisiert wurde die Ruhrbesetzung erst durch eine nachträgliche Erinnerungspolitik, die von einer wenig demokratisierten Administration und auf Revanche sinnenden Reaktionären und Antidemokraten betrieben wurde. Spätestens nach dem Nationalsozialismus und dem Zweiten Weltkrieg erlosch in der Bundesrepublik und im Ruhrgebiet die offensichtlich nicht sehr fest etablierte Erinnerung an die Ruhrbesetzung, es blieb eine ihrem historischen Kontext entkleidete Erinnerung an die große Inflation und Inflationsangst. In Frankreich gibt es notwendigerweise eine ganz andere hier nicht zur Debatte stehende Erinnerungskultur an die Weltkriege und ihre Opfer. Insgesamt ist aber an die Stelle der inszenierten „Erbfeindschaft“ europäische Normalität, manchmal fast „Erbfreundschaft“ getreten, manchmal etwas gleichgültig, wohl aber nicht mehr aggressiv national. Das ist vielleicht nicht die beste, aber dann doch eine ziemlich gute Vergangenheitsbewältigung.

DIE NATIONALE BESETZUNG EINER LANDSCHAFT Der Film Der rhein in Vergangenheit unD gegenwart (1922) und der Kampf um den Rhein Brigitte Braun Zusammenfassung Wie bereits im Ersten Weltkrieg wurde auch in den 1920er Jahren das Medium Film dazu genutzt, politische und nationale Anliegen in einen Bereich zu tragen, der vorzugsweise der Unterhaltung und Entspannung diente. Dies gilt auch für die deutsch-französischen Auseinandersetzungen um das besetzte Rheinland und damit auch um den Rhein. Exemplarisch hierfür steht die Entstehungsund Rezeptionsgeschichte des Ufa-Stummfilms „Der Rhein in Vergangenheit und Gegenwart“ von 1922, der die Rheinlandschaft mit seinem dokumentarischen Modus ganz bewusst politisierte. Für sein vorwiegend deutsches Publikum konstruierte und visualisierte dieser Film eine einheitliche Geschichte ohne Brüche, die dem Publikum zahlreiche Argumente bot, den Rhein als „deutschen Fluss“ zu vereinnahmen. Die musikalische Begleitung im Kinosaal unterstützte diese Lesart und emotionalisierte das Publikum noch zusätzlich. Es verwundert deshalb nicht, dass der Film auf Wunsch der französischen Armee im Rheinland verboten wurde.

Résumé Dans les années vingt, tout comme lors de la première guerre mondiale, le cinéma fut utilisé à des fins politiques et nationalistes dans un milieu jusqu’alors principalement dédié au divertissement et à la détente. Cela est par exemple vrai au sujet des disputes entre l’Allemagne et la France à propos de l’occupation de la Rhénanie par la France et par conséquent du Rhin. Le film muet produit par l’Ufa en 1922 « Der Rhein in Vergangenheit und Gegenwart » est un exemple représentatif. Tourné à la façon d’un film documentaire et s’adressant à un public majoritairement allemand, le film, avec son histoire bien construite, apporte de nombreux arguments en faveur d’une version du Rhin « fleuve allemand ». La musique accompagnant la projection du film dans les salles renforçait cette vision tout en jouant sur l’émotion des spectateurs. Il n’est donc pas surprenant que, sur ordre de l’armée française, le film fût interdit dans la région du Rhin.

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Brigitte Braun Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein.1

Der Rhein – schon seit dem Mittelalter zwischen Frankreich und Deutschland militärisch-ideologisch umkämpft und spätestens seit dem 19. Jahrhundert stark national und emotional besetzt – blieb auch in der Weimarer Republik „Kristallisationspunkt kollektiver Vorstellungen und Gefühle“.2 Als „nationale Landschaft“ in Deutschland ein komplexes Gebilde aus Erinnerungen, Bildern und Empfindungen, konnte er im politischen Diskurs der frühen 1920er Jahre als Projektionsfläche dienen.3 Der von der Universum Film AG (Ufa) 1922 hergestellte Film Der rhein in Vergangenheit unD gegenwart materialisierte diese Erinnerungen, Bilder und Emotionen, die politischen Spannungen, Konflikte und Prozesse, die kulturellen Implikationen und trug dazu bei, „dass die vorgestellte Welt sichtbar im Alltagsleben verwurzelt“ wurde.4 Er konstruierte und visualisierte für sein Publikum eine einheitliche Geschichte ohne Brüche, die ihm zahlreiche Argumente bot, den Rhein als „deutschen Fluss“ zu vereinnahmen. Indem der Film den Rhein – wenn auch verhalten – auch als Brennpunkt und Reibungsfläche der deutsch-französischen Beziehungen zeichnete, positionierte er sich nicht nur als Teil der zeitgenössischen Rhein-Diskussion, sondern bot sich gerade in der Anfangsphase des „Ruhrkampfes“, als es noch wenige aktuelle Aufnahmen aus der Konfliktregion gab, als Teil der Propagandabemühungen um Rhein und Ruhr an.5

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Gedichtzeile aus „Der deutsche Rhein“ von Nikolaus Becker, 1840. Die folgenden Ausführungen beruhen auf einem Kapitel meiner Dissertationsschrift: Brigitte Braun, Politik im Kino. Deutsche und französische Filmpolitik und Filmpropaganda im besetzten Rheinland, 1918– 1925, Universität Trier, 2017. Aus veränderter Perspektive: Brigitte Braun, Philipp Stiasny: „… am Schluß wurde das Deutschlandlied von Allen stehend mitgesungen“. Der Rhein in Vergangenheit und Gegenwart (1922) und der Kampf um den Rhein. In: Philipp Osten et al. (Hg.): Das Vorprogramm: Lehrfilm/Gebrauchsfilm/Propagandafilm/unveröffentlichter Film in Kinos und Archiven am Oberrhein 1900–1970. A25 Rhinfilm: Heidelberg, Strasbourg 2015, pp. 141–166, http://archiv.ub.uni-Heidelberg.de/volltextserver/19129/1/Braun_Stiasny_Rhein.pdf. Auch in französischer Sprache verfügbar. Waltraud Linder-Beroud, ‚„Immer hör’ vom Rhein ich singen …“. Der Rhein – ein Strom deutschen Gefühls‘, in: Rolf Wilhelm Brednich / Heinz Schmitt (Hg.), Symbole. Zur Bedeutung der Zeichen, Münster, Waxmann, 1997, S. 267–284, hier S. 267. Zur „nationalen Landschaft“ vgl. Rainer Guldin, Politische Landschaften. Zum Verhältnis von Raum und nationaler Identität, Bielefeld, Transcript, 2014, insbesondere ab S. 252. Guldin (wie Anm. 3), S. 12. Benedict Andersen, Imagined communities: reflections on the origin and spread of nationalism, London, Verso, 2006, S. 158. Paul Egon Hübinger, „Die Anfänge der französischen Rheinpolitik als historisches Problem“, in: Historische Zeitschrift 171 (1951), S. 21–45. Klaus Pabst, Der „Historikerstreit um den Rhein“, in: Jürgen Elvert / Susanne Krauß (Hg.), Historische Debatten und Kontroversen im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart, Franz Steiner, 2002; S. 70–81, hier S. 71. Zum Rheinlandanspruch aus französischer Sicht: Werner Kern, Die Rheintheorie der historisch-politischen Literatur Frankreichs im Ersten Weltkrieg, Diss. Saarbrücken 1973. Wilhelm Kreutz, „Französische Rheintheorie und französische Kulturpolitik im besetzten Rheinland nach dem Ersten Weltkrieg“, in: Tilman Koops (Hg.), Das Rheinland in zwei Nachkriegszeiten: 1919–1930 und 1945–1949, Koblenz, Bundesarchiv, 1995, S. 19–38.

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Unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg belastete kein anderes Thema die Beziehungen der beiden Nachbarländer Deutschland und Frankreich so sehr wie die Besetzung des gesamten linksrheinischen Gebiets. Ein Teil der französischen Öffentlichkeit beanspruchte auch den Rhein aus historischen und sicherheitspolitischen Gründen als „natürliche“ östliche Landesgrenze.6 Da sich Briten und Amerikaner diesem Anspruch während der Friedensverhandlungen widersetzten, wurde eine zwölfjährige Besetzung des Rheinlandes beschlossen und im Rheinlandabkommen festgeschrieben. Unter die Kontrolle der von Frankreich dominierten Interalliierten Hohen Rheinlandkommission (IRKO) gestellt, diente das Gebiet als Sicherheitspuffer für Frankreich und Belgien sowie als Faustpfand zur Durchsetzung der im Versailler Vertrag fixierten Reparationszahlungen. Frankreich versuchte in den ersten Jahren der Besetzung mittels einer „pénétracion pacifique“, einer „friedlichen Durchdringung“, die linksrheinische Bevölkerung für den französischen Standpunkt zu gewinnen und unternahm große propagandistische Anstrengungen, um dieses Ziel zu erreichen: Seine kulturpolitische Propaganda wollte den Rheinländern ihre Zugehörigkeit zum französischen Kulturkreis deutlich machen.7 Um zumindest eine Loslösung des Rheinlandes vom Reich zu erreichen, unterstützte Frankreich die separatistischen Bewegungen in den linksrheinischen Gebieten.8 Die deutsche Regierung beharrte dagegen auf der Zugehörigkeit des Rheinlandes zum Reich und versuchte ihrerseits, ihre politischen und wirtschaftlichen Standpunkte darzulegen. Die deutsche Propagandatätigkeit berief sich auf die Formel Ernst Moritz Arndts aus den Befreiungskriegen gegen Napoleon, derzufolge der Rhein „Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze“ sei.9 Eine umfangreiche, behördlich unterstützte publizistische Tätigkeit, die sich in Zeitungen, Büchern, Vortragsveranstaltungen und Filmen niederschlug, sollte dazu dienen, den historiografischen Deutungskampf in diesem Sinne für sich zu entscheiden.10 Auch der Film, das damals modernste Massenmedium, wurde als Propagandainstrument

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Anna-Monika Lauter, Sicherheit und Reparationen. Die französische Öffentlichkeit, der Rhein und die Ruhr (1919–1923), Essen, Klartext, 2006. Gerhard Brunn, „Französische Kulturpolitik in den Rheinlanden nach 1918 und die Wiesbadener Kunstausstellung des Jahres 1921“, in: Peter Hüttenberger (Hg.), Franzosen und Deutsche am Rhein 1789–1918–1945, Essen, Klartext, 1989, S. 219–241. Martin Schlemmer, „Los von Berlin“: Die Rheinstaatbestrebungen nach dem Ersten Weltkrieg, Köln, Böhlau, 2007. Vgl. dazu Franziska Wein, Deutschlands Strom – Frankreichs Grenze. Geschichte und Propaganda am Rhein 1919–1930, Essen, Klartext, 1992. Wein (Anm. 9). Zuletzt auch: Peter Collar, The propaganda war on the Rhineland. Weimar Germany, Race and Occupation After World War I, London, I. B. Tauris, 2012. Wichtigster Akteur der deutschen Kulturpropaganda ist die Rheinische Volkspflege, vgl. dazu Klaus W. Wippermann, Politische Propaganda und staatsbürgerliche Bildung. Die Reichszentrale für Heimatdienst in der Weimarer Republik, Bonn, Bundeszentrale für politische Bildung, 1976.

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entdeckt und genutzt.11 Wie kein zweites Medium war er dazu geeignet, Vergemeinschaftungsprozesse in Gang zu bringen12. DER RHEIN WIRD ZUM FILMPROJEKT Spätestens im Frühjahr 1921 plante die Universum Filma AG (Ufa) „eine umfassende und allgemeinverständliche Darstellung des Rheins in seinen geographischen, historischen und wirtschaftlichen Beziehungen.“13 Die Ufa, 1917 auf militärisch-staatliche Initiative hin gegründet, war damals der größten deutsche Filmkonzern, der nicht nur Spiel- und Dokumentarfilme herstellte, sondern auch eine Kinokette und einen Filmverleih besaß.14 Dies bescherte der Ufa eine enorme Macht, konnte sie doch sicher sein, ihre Filme solange sie wollte in den wichtigsten Städten Deutschlands spielen zu können. Inhaltlich verantwortlich für den Film Der rhein in Vergangenheit unD gegenwart war der Geograph und Drehbuchautor Felix Lampe, der seit 1919 für die Kulturfilm-Abteilung der Ufa arbeitete. Ebenfalls seit 1919 leitete er das Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht im Preußischen Kultusministerium, wo er für die Vergabe von Lehrfilmanerkennungen zuständig war.15 Beim Rheinfilm arbeitet er zusammen mit Walther Zürn sowie mit dem Leiter der Ufa-Trickabteilung Sven Noldan.16 Der rhein in Vergangenheit unD gegenwart war der erste Film der Ufa, der versuchte, „aus Bildern, wie sie unverändert im strengen Lehrfilm verwendet werden können, und gestellten historischen Szenen, wie sie für den Spielfilm allein 11

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Vgl. zum Film als Propagandamedium im Rheinland: Wilhelm Kreutz, „Der Film als Medium des deutsch-französischen Propagandakampfs im besetzten Rheinland der 1920er Jahre“, in: Wilhelm Kreutz / Karl Scherer (Hg.), Die Pfalz unter französischer Besetzung (1918/19–1930), Kaiserslautern, Institut für pfälzische Landesgeschichte, 1999, S. 281–332. Friedrich P. Kahlenberg, „Frankreichbild uns besetztes Rheingebiet in der deutschen Dokumentarfilmproduktion der Weimarer Republik. Eine Forschungsaufgabe“, in: Centre de Recherches Relations Internationales de l’Université de Metz (Hg.): Problèmes de la Rhénanie 1919–1930. Die Rheinfrage nach dem Ersten Weltkrieg. Actes du Colloques d’Otzenhausen. Metz, 1975, S. 109–131. Braun (Anm. 1). Frank Bösch, „Disziplinierung der Gefühle? Krieg und Film im 20. Jahrhundert“, in: Frank Bösch / Manuel Borutta (Hg.), Medien und Emotionen. Zur Geschichte ihrer Beziehungen seit dem 19. Jahrhundert, Frankfurt a. M., Campus, 2006, 217–240. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA) PK I. HA, Rep. 87B, Nr. 24745, Brief der Ufa an das Preußische Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forste, 1.7.1921. Ausführlich zur Ufa vgl. Klaus Kreimeier, Die Ufa-Story. Geschichte eines Filmkonzerns, Frankfurt a. M., Fischer, 2002. Der sogenannte „Lampe-Schein“ hat Auswirkungen auf die Höhe der Lustbarkeitssteuer, die die Kinos pro verkaufter Eintrittskarte zahlen müssen. „Svend Noldan – Dokumentarfilm-Regisseur. Biofilmografie“, in: CineGraph Lexikon zum deutschsprachigen Film, hrsg. von Hans-Michael Bock, Lg. 20, München, Edition Text + Kritik, 1992. Noldan gilt als Erfinder der Kartentrickanimation, vgl. auch: Ralf Forster, „Animierte Karten. Nachgestellte Kriege und symbolische Landnahmen in deutschen Dokumentarfilmen 1921–1945“, in: Peter Haslinger / Vadim Oswalt (Hg.), Kampf der Karten. Propaganda- und Geschichtskarten als politische Instrumente und Identitätstexte, Marburg, Herder-Institut, 2012, S. 171–181.

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in Frage kommen, unter Zuhilfenahme von Trickaufnahmen (lebende Karten usw.) eine neue Einheit zu schaffen“.17 Lampe und Zürn verknüpften so die kulturpolitischen und pädagogischen Anliegen des Kultur- und Lehrfilms mit den wirtschaftlichen des Industriefilms und der Tourismuswerbung und den politischen eines Propagandafilms. Sie zeichneten den Lauf des Flusses von der Quelle bis zur Mündung nach und stellten neben Landschaften und Städten auch seine geschichtliche, kulturelle und wirtschaftliche Bedeutung mithilfe von dokumentarischen Aufnahmen, Kartentrickbildern, Klassiker-Zitaten und Spielszenen vor.18 Ebenso ambitioniert wie die filmästhetische Umsetzung waren die mit dem Film verfolgten Interessen und die anvisierten Zielgruppen: In einem Schreiben an das Preußische Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten, in dem die Ufa um Unterstützung ersuchte, führte sie aus, was ihr vorschwebte. Dem Inland sollte der Film Aufklärung geben, „was es an seinem Rhein besitzt“, „den rheinischen Gebieten eindrücklich vor Augen [führen], was für sie der Anschluss an Deutschland bedeutet“ und dem Ausland zu Bewusstsein bringen, „von welcher Wichtigkeit der Rhein für Deutschland ist.“19 Diese Intentionen waren auch dem fertigen Film anzumerken, weshalb die Presse fragte, ob der Film eine Auftragsarbeit sei – etwa für die Reichszentrale für Heimatdienst oder die Fremdenverkehrswerbung.20 Seine politisch-aktuelle Stoßrichtung blieb deutlich sichtbar, obwohl der Film sich sachlich, objektiv und in großen Teilen auch neutral gab.21 Das musste er auch, sollte er doch gleichzeitig als Lehr- und Unterrichtsfilm funktionieren, dessen Adressaten auch Schüler waren, denen er geschichtlich-geographisches Wissen vermitteln wollte.22 DER RHEIN – HISTORISCH UND GEOGRAFISCH GESEHEN Der Film Der rhein in Vergangenheit unD gegenwart gliedert sich in sieben Teile. Der erste ist historisch angelegt und trägt die Überschrift „Aus Sage und Geschichte“.23 Ausgehend von Kartentrickbildern, die Bevölkerungsbewegungen 17 18

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„Der Rhein in Vergangenheit und Gegenwart“, in: Film-Kurier, Nr. 234, 23.10.1922. Zum kartografischen Film: Brigitte Braun / Ralf Forster, „Zwischen Wissensvermittlung und Propaganda Suggestive Kartografie im deutschen Film nach 1918“, in: Stephan Günzel / Lars Nowak (Hg.), KartenWissen. Territoriale Räume zwischen Bild und Diagramm, Wiesbaden, Reichert, 2012, S. 397–419. Klaus Kreimeier, „Geographisch-politisches Laufbild. Der rhein in Vergangenheit unD gegenwart (D 1922, Regie Felix Lampe, Walter Zürn)“, in: Filmblatt, Nr. 19/20, Sommer/Herbst 2002, S. 46–56. GStA PK I. HA, Rep. 87B, Nr. 24745, Brief der Ufa an das Preußische Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forste, 1.7.1921. „Der rhein in Vergangenheit unD gegenwart“, in: Lichtbild-Bühne, Nr. 43, 21.10.1922. Vgl. Braun/Forster (Anm. 19), S. 401–403. Vgl. Dorit Müller, „Zwischen Forschung, Unterricht und Populärkultur. Filmisches Wissen und Orte früher Filmkultur.“, in: Gudrun Sommer / Vinzenz Hediger / Oliver Fahle (Hg.), Orte filmischen Wissens. Filmkultur und Filmvermittlung im Zeitalter digitaler Netzwerke, Marburg, Schüren, 2011, S. 309–330, dort S. 313–317. Die folgenden Ausführungen zu Der rhein in Vergangenheit unD gegenwart basieren auf einer 35 mm-Kopie im Bundesarchiv-Filmarchiv (BA-FA) mit einer Länge von 2088 Meter. Die

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und sich ändernde Grenzverläufe am Rhein veranschaulichen und mit ihrem Gestus der sachlich-nüchternen Informationsvermittlung die wesentliche narrative Autorität sind,24 schlägt der Film mithilfe nachgespielter Szenen einen Bogen von der „grauen Vorzeit“ mit Pfahlbauten am Bodensee über die Römerzeit und das Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert. Bereits dieser erste Teil zeichnet eine imaginäre Landkarte von Erinnerungsorten. Alles, was geeignet dazu ist, die eigene – deutsche – Geschichte zu veranschaulichen, wird eingetragen. Vergangenheit und Gegenwart begegnen sich, indem die aktuellen Affekte, Motivationen und Intentionen bestimmen, was erinnert wird und was nicht.25 Arnim der Cherusker, im 19. Jahrhundert als Hermann der Cherusker popularisiert, wird zu einem wesentlichen Wendepunkt in der Geschichte des „deutschen“ Rheins.26 Mit ihm, so klärt der Zwischentitel auf, beginnen sich die Germanen in der Varusschlacht von den Römern zu befreien. Nach einer kurzen Episode aus der in den Vogesen spielenden Sage von Walther und Hildegunde heißt es im Zwischentitel: „Nun umgeben germanische Gaue den Rhein von der Quelle bis zur Mündung.“ Vom Mittelalter Karls des Großen und Barbarossas und der Beschwörung einer kulturellen Blütezeit springt die Chronologie ins 17. Jahrhundert: Das Reich, so heißt es, sei längst in kleine Territorien „zerbröckelt“ und „Reibungen zwischen ihnen entzündeten, vom Auslande geschürt, das Feuer des 30-jährigen Krieges“. Im Zwischentitel folgt ein markanter und vielsagender Tempuswechsel: „Nun waren Quelle und Mündung dem Reiche verloren. […] An den Mittelrhein aber drängt sich Frankreich heran.“ Angerissen und damit dem Vergessen entrissen wird der Einmarsch der französischen Rheinarmee unter General Ezéchiel Mélac im Jahr 1688, unter dessen Kommando zahlreiche Städte und Ortschaften – darunter Heidelberg, Mannheim, Worms und Speyer – verwüstet und in Brand gesteckt wurden. Bilder vom Heidelberger Schloss sowie eine Trickaufnahme des Brandes sind mit dem Zwischentitel verknüpft: „Planvoll verwüstet Mélac die Rheinpfalz, denn verödetes Land am Rhein sollte Frankreich vor Deutschland sichern“ und schließen an den noch in den 1920er Jahren in der Region präsenten Ruf Mélacs als „Mordbrenner“ an. Mit der Anklage Frankreichs einher geht die Beschwörung der Bedeutung des Elsass für die deutsche Kultur: Auch unter französischer Herrschaft sei „das geistige Band zu Deutschland“ erhalten geblieben, und gerade im Elsass habe Goethe, auf dessen Leben und Werk der Film auch an anderen Stellen rekurriert, „deutsche

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Zitierung der Zwischentitel folgt dem Wortlaut der Zensurkarte B. 6791 vom 8.12.1922 (BAFA, Schriftgutsammlung). Die Zitate der Zwischentitel werden im Folgenden nicht gesondert ausgewiesen. Da der Rheinfilm der Zensurbehörde mehrmals vorlag, existieren unterschiedliche Zensurkarten, die im Wortlaut leicht voneinander abweichen. Die im Frühjahr 1923 gezeigten Kopien des Films beruhten wahrscheinlich auf der Zensurfassung von Dezember 1922, die eine Länge von 2102 Meter hatte. Dank für den Hinweis an Philipp Stiasny. Vgl. Forster (Anm. 17). Vgl. Aleida Assmann, Erinnerungsräume. Formen und Wandel des kulturellen Gedächtnisses, München, C. H. Beck, 1999, S. 265. Vgl. zu Arminius bzw. Hermann: Andreas Dörner, Politischer Mythos und symbolische Politik. Sinnstiftung durch symbolische Formen am Beispiel des Hermannsmythos, Opladen, VS Verlag, 1995, S. 314–361 sowie im Kontext „nationaler Filme“ auch Philipp Stiasny, Das Kino und der Krieg. Deutschland 1914–1929, München, Edition Film + Kritik, 2009, S. 321–322.

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Art und Kunst“ lieben gelernt. Das Ende dieser „Großerzählung“, der Absteckung von Erinnerungsorten, markieren die Napoleonischen Kriege. Den historischen Teil beschließt die Rheinüberquerung von Marschall Blücher und seiner Armee am 1. Januar 1814, die – was ungesagt bleibt, doch als bekannt vorausgesetzt wird – das Ende von Napoleons Herrschaft und die Zurückdrängung der französischen Revolutionsheere vom Rhein markiert. Verweise auf die Geschichte sowie Reenactments finden sich auch in den folgenden Teilen des Films, doch gibt nun statt der historischen Chronologie die Geographie – der Lauf des Rheins von der Quelle bis zur Mündung – die Ordnung vor. Der zweite Teil, „Der Strom im Hochgebirge“, legt dementsprechend sein Augenmerk auf das Quellgebiet des Rheins in der Schweiz und die Bodenseeregion. Der dritte Teil, „Die mittelrheinische Tiefebene“, visualisiert den Oberrhein mit den elsässischen – und somit für Deutschland nach dem Krieg verlorenen – Städten Colmar, Mühlhausen und Straßburg. Es folgen Freiburg, Karlsruhe, Mannheim und Heidelberg. Informationen über die Wirtschaftsleistung der Städte, über ihre Kultur und Geschichte werden eingestreut. Erneut wird auf die Plünderung Heidelbergs und die Zerstörung des Schlosses hingewiesen. Im vierten Teil, „Rheinhessen und Rheingau“, verbindet der Film mit der Vorstellung von Worms einen weiteren historischen Exkurs und verweilt bei der Nibelungensage als wichtigem deutschen Erinnerungsort.27 Weiter geht es in die Gutenberg-Stadt Mainz und nach Wiesbaden. Hier wird das einzige Mal die französische Besetzung des Rheinlands nach dem Ersten Weltkrieg thematisiert: „Wiesbaden gehört zum Mainzer Brückenkopf und somit zum besetzten Gebiet.“ Zu sehen ist eine paradierende Truppe auf einer Straße mit Zuschauern, aufgenommen aus einer Totalen. Der nächste Zwischentitel lautet: „Wachtparade der Wiesbadener schwarzen Truppen.“ In einer etwas näheren Einstellung ist sehr kurz eine Militärkapelle, zu der auch einige dunkelhäutige Soldaten zählen, zu sehen. Im Gefüge des Rheinfilms erscheint der aktuelle, kaum eine halbe Minute lange Hinweis auf die Anwesenheit französischer Besatzungstruppen und speziell auf die „schwarzen Truppen“ beinahe wie eine Randbemerkung.28 Dass diese Randbemerkung in einem vollen Kinosaal in Zeiten der Schwarze-Schmach-Kampagne rassistische und anti-französische Leidenschaften aktivieren würde, muss den Machern des Films klar gewesen sein, weshalb dieser Teil auch nicht für den Vertrieb in den 27 28

1922 beginnt die Ufa mit der Produktion eines zweiteiligen Nibelungen-Films unter der Regie von Fritz Lang. Ausführlich zum Problem des Einsatzes von französischen Kolonialtruppen im Rheinland – bekannt als sogenannte „Schwarze Schmach“ vgl. u. a. Gisela Lebzelter, „Die ‚Schwarze Schmach‘. Vorurteile – Propaganda – Mythos“, in: Geschichte und Gesellschaft 11 (1985), S. 37–58. Christian Koller, ‚Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt.‘ Die Diskussion um die Verwendung von Kolonialtruppen in Europa zwischen Rassismus, Kolonial- und Militärpolitik (1914–1930), Stuttgart, Steiner, 2001. Jean-Yves Le Naour, La honte noire. L’Allemagne et les troupes coloniales françaises 1914–1945, Paris, Hachette, 2003. Iris Wigger, Die „Schwarze Schmach am Rhein“. Rassische Diskriminierung zwischen Geschlecht, Klasse, Nation und Rasse, Münster, Westfälisches Dampfboot, 2007. Zu den Filmen über die „Schwarze Schmach“ vgl. Tobias Nagl, Die unheimliche Maschine. Rasse und Repräsentation im Weimarer Kino, München, Edition Text+Kritik, 2009, S. 154–220 sowie Kreutz (Anm. 11).

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besetzten Gebieten vorgesehen war. Ohne Übergang springt der Film nach dieser kurzen Sequenz zum Thema Weinbau im Rheingau. Viel deutlicher als im Film selbst evozierte die Ufa die Schwarze-SchmachKampagne in ihrem Programmheft, dessen Text auch in der Fachzeitschrift Bildwart erschien. Dort schrieb Edgar Beyfuß, Vertriebsleiter der Ufa-Kulturabteilung, in unverhohlen revanchistischer Manier zu den Bildern von der „Wachtparade der Wiesbadener schwarzen Truppen“: „Wiesbaden, einer der schmucksten Badeorte unserer Heimat, heute geschändet und entweiht durch die Besetzung mit schwarzen ‚Söhnen‘ der ‚Grande Nation‘.“ Und zum im Film folgenden Niederwalddenkmal schrieb er: „Heute blickt die Germania von ihrem Sockel herab auf schwarze Gestalten, die sich mit rheinischen Weinen die Hirne benebeln. – Nun ist wieder der Kampf um den Rhein entbrannt – noch gibt kein Deutscher die Hoffnung auf, den deutschen Rhein frei zu sehen.“ Der fünfte Teil konzentriert sich auf „wehrhafte Städte und Burgen im rheinischen Schiefergebirge“ und zeigt die Loreley, die Burgen Katz und Maus sowie die Städte Bacharach und Boppard im Mittelrheintal. Hier dominiert der touristische Blick, der sich schon im 19. Jahrhundert etabliert hat. Der sechste Teil behandelt den „Niederrhein“ mit Bonn, Köln, Düsseldorf und dem Ruhrgebiet. Beim Halt in Bonn zeigt der Film neben dem Beethovenhaus auch kommentarlos das Denkmal Ernst Moritz Arndts. Groß im Bild erscheint dafür der Denkmalsockel mit zwei eingehauenen Sätzen: Aus dem 1812 verfassten „Vaterlandslied“, das zum Freiheitskampf der Deutschen und zur Rache an Tyrannen und Verrätern aufrief, stammt der Anfangsvers „Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte“; indem das Lied auf die Hermannsschlacht anspielt, nimmt die Erzählung des Rheinfilms einen bereits zu Beginn verwendeten Faden wieder auf.29 Neben dem Liedvers steht auf dem Sockel Arndts Formel „Der Rhein, Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze“.30 Nachdem die Naturlandschaft nochmals dezidiert national konnotiert worden ist, macht sie der nun folgenden Industrielandschaft Platz. „Eine gewaltige Symphonie der Arbeit, deutschen Geistes und deutscher Schaffenskraft braust uns hier entgegen“, heißt es im Zwischentitel. An dieser Stelle konnte der zeitgenössische Zuschauer problemlos an die Lage im Ruhrgebiet anknüpfen. Der letzte Teil führt schließlich nach Holland ins Gebiet der Rheinmündung; es wird auch auf den „Friedenspalast im Haag“ und „die Hauptstätten der holländischen Freiheitskämpfe“ verwiesen. Die politische Konnotation konnte auch hier 29

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Zur Bedeutung der Figur Hermann bzw. Arminius für die Konstruktion antirepublikanischer und nationalistischer Mythen in der Weimarer Republik und zur Verschmelzung mit dem Helden des Nibelungen-Mythos zur Figur Siegfried-Arminius siehe Dörner sowie Stiasny (wie Anm. 27). In einer leicht abweichenden Zensurfassung wird Arndt in einem Zwischentitel auch als „Dichter der Freiheitskriege“ bezeichnet, und es folgt eine Strophe aus einem nicht genauer benannten Gedicht: „Steigt zum Gipfel die Bedrängnis, Dann mein Volk erwacht Dein Geist, Jener altgerman’sche Sturmwind, Der aus Felsgrund Tannen reißt. Der aus Varus’ Legionen, Der einst um Napoleon pfiff, Und noch jeder war verloren, Der Dir nach dem Leben griff!“ Zensurkarte zu Der rhein in Vergangenheit unD gegenwart B. 6791/6908 vom 8.12.1922, ausgefertigt am 4.3.1924 (BA-FA, Schriftgutsammlung).

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rasch gelingen. Während der Berliner Protestkundgebung gegen die Ruhrbesetzung wurde dort gemeinsam das Niederländische Dankgebet mit dem Schlusssatz „Herr mach uns frei“ gesprochenen, das aufgrund seiner Bitte um göttlichen Beistand in der Schlacht vielen Zeitgenossen noch aus dem Ersten Weltkrieg wohlbekannt war und immer wieder auf Versammlungen gesungen wurde.31 Der Film endet mit dem Blick auf ein Passagierschiff, das aufs Meer hinaus fährt, mit Bildern der Ruhe und Weite. Die letzten Zwischentitel lauten: „Wie der Strom wird zum Meere, so greift auch des Menschen weitschauendes Wirken über das heimische Land hinaus … Weltumspannend – der deutschen Heimat getreu.“ REZEPTION Seine erste Aufführung erlebte der Rheinfilm in einer geschlossenen Pressevorstellung in Berlin am 22. Oktober 1922. Der Film-Kurier hob danach vor allem die neuartige Form hervor und würdigte den Versuch der Kulturabteilung der Ufa mit der Wortschöpfung „Populehrfilm“.32 Einen Monat später, anlässlich der Uraufführung am 29. November 1922 in den Kammerlichtspielen in Berlin, bei der der Film in einer leicht gekürzten Fassung gezeigt wurde, billigten die Filmkritiker dem Film „namentlich der Gefühlswerte wegen, […] die mit dem Begriff des Rheines, dem Wein und dem Sang am Rhein, nicht zuletzt der augenblicklichen Lage des Rheinlandes fest verbunden sind“, gute Erfolgsaussichten zu.33 Das Publikum reagierte tatsächlich begeistert: Der Film, der bei der Uraufführung von den volkstümliche Rheinliedern des Nebe-Quartetts begleitet wurde, erntete „Beifallsstürme, wie sie dieses Haus seit Fridericus Rex nicht mehr gesehen hat.“34 Die Ufa war sich dabei der emotionalen Sprengkraft bestimmter Motive – gerade in Verbindung mit musikalischer Untermalung – durchaus bewusst: „Als irgendwo am Rhein Besatzungstruppen gezeigt wurden, verstummte das Orchester, um die patriotische Stimmung des Publikums nicht zu unkluger Ekstase hinzureißen“, heißt es im Bericht weiter. Die Sequenz, die im vierten Teil des Films Besatzungssoldaten in Wiesbaden zeigt, war nur für das Publikum außerhalb des besetzten Rheinlandes bestimmt. „In Sorge, alle irgendwie französischen Augen anstößig sein könnenden Scenen zu ver-

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Die erste Wochenschau, die nach der Besetzung des Ruhrgebietes am 11. Januar 1923 herauskam, die Deulig-Woche vom 16. Januar, verwies in den Titeln zu dieser Protestkundgebung auf dieses dort gesprochene Gebet. Zensurkarte B.06916 vom 16.1.1923, 132 m, jf. (BA-FA, Schriftgutarchiv). Der rhein in Vergangenheit unD gegenwart. In: Film-Kurier, Nr. 234, 23.10.1922. Vgl. auch Dr. Th., „Der rhein in Vergangenheit unD gegenwart“, in: Der Film, Nr. 43, 22.10.1922. Hi., „Der Rhein-Film“, in: Vossische Zeitung (Berlin), Nr. 572, 3.12.1922. Vgl. u. a. auch Berliner Börsen-Courier, Nr. 565, 2.12.1922. Zur Premierenplanung des Rheinfilms auch Bundesarchiv Berlin (BAB) R 32/201, Bl. 75, Ufa an Reichskunstwart, 24.11.1922. Fritz Olimsky, „Erstausaufführung des Rheinfilms“, in: Berliner Börsen-Zeitung, 30.11.1922 (Schriftgutsammlung der Stiftung Deutsche Kinemathek – SDK). Zur geplanten Aufführung auch: BAB R 32/201, p. 75, Ufa an Reichskunstwart, 24.11.1922.

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meiden“, hatte die Ufa entschieden, sie in den für die Vorführung in den besetzten Gebieten vorgesehenen Kopien zu streichen.35 Während der Film in den Kinos anlief, spitzten sich im Dezember 1922 und Januar 1923 die deutsch-französischen Auseinandersetzungen um ausstehende Reparationszahlungen zu. Am 11. Januar besetzen belgische und französische Truppen das Ruhrgebiet, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Die Gewalt eskalierte, der „Ruhrkampf“ begann. Spätestens ab diesem Zeitpunkt rückten der Rhein und die Besetzung wieder verstärkt in den nationalen Fokus. Die Zeitungen füllten sich mit Berichten über die Ereignisse an Rhein und Ruhr, Vortragsreisende zogen durch das Land und sammelten Spenden für die Ruhrhilfe. Das Publikum hungerte nach aktuellen Bildern, die es jedoch erst Anfang Februar in der Wochenschau gab.36 In dieser äußerst angespannten Situation, in der der deutsche Erinnerungsort „Rhein“ in aller Munde war, schien der Film wie gerufen zu kommen. In Berlin wurde er gar nicht erst abgesetzt und lief über mehrere Monate hinweg in mindestens einem der Ufa-Kinos. Anlässlich der am Sonntag, den 4. Februar 1923, in allen ihren Berliner Theatern veranstalteten Sondervorführungen zugunsten der Ruhrhilfe zeigte die Ufa gleich in zwei Kinos ihren Rheinfilm. Begleitet wurden diese Vorstellungen durch Reden von Reichstagsabgeordneten.37 Obwohl der Rheinfilm auf der Inhaltsebene die neue Situation im Ruhrgebiet nicht behandelte, eignete er sich offenbar hervorragend als Katalysator patriotischer Gefühle. Tatsächlich wurde der Film zunächst auch im besetzten Gebiet gezeigt und erst am 15. Februar 1923 von der Interalliierten Hohen Rheinlandkommission (IRKO) für das gesamte besetzte Gebiet verboten, da er geeignet sei, „die Würde der Besatzungsstreitkräfte wegen seines für Frankreich beleidigenden Inhalts zu beeinträchtigen“.38 Auslöser des Verbots war eine Vorführung in Bonn am 26. Januar 1923.39 Dort kam es zum Aufruhr im Kinosaal, sodass der Bonner Oberdelegierte sich angesichts der herrschenden Situation genötigt sah, bei der IRKO das Verbot des Films zu beantragen.40 Die Presse reagierte entrüstet auf dieses Verbot: 35 36

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BAB R 1602/2151, p. 489. Deutschen Kameramännern war das Filmen im besetzten Ruhrgebiet verboten, weshalb die Deulig-Wochenschau auf Aufnahmen seines französischen Kooperationspartners Pathé angewiesen war. Die erste Wochenschau mit aktuellen Bildern zeigte den Einmarsch französischer Truppen in Essen, vgl. Deulig-Woche 5/1923, Zulassungskarte B.6958 vom 30.1.1923 (BAFA, Schriftgutsammlung). Vgl. ausführlich: Brigitte Braun, „Mit Fridericus Rex gegen Franzosen und Belgier. Nationales Kino im Ruhrkampf 1923“, in: Filmblatt Nr. 42 (2010), S. 66–85. „Der Rheinfilm der Ufa“, in: Film-Kurier, 16.2.1923 Archives Nationales Paris (AN), AJ9/5463, Dossier Le Rhin, Telegramme an die Oberdelegierten der Kreise und die Französische Rheinarmee über Verbot des Films vom 15.2.1923. BAB R 1601 I neu/1361, 19.2.1923, Der Reichskommissar für die besetzten rheinischen Gebiete. Der Film lief erstmals am Freitag, den 26. Januar 1923 im Kino Modernes Theater in Bonn. Für Sonntagvormittag, den 28. Januar kündigte die Volkshochschule Bonn eine Extra-Veranstaltung in diesem Kino an. Doch schon ab Samstag erging ein Vorführverbot. Möglicherweise hat der Bonner Oberdelegierte Reaktionen auf den Film als „Kundgebung“ aufgefasst, die für den 26. Februar ausdrücklich verboten worden waren. Vgl. Bonner Zeitung, Nr. 14 vom 27.01.1923 (Werbeanzeige und Bericht) sowie Bonner Zeitung, Nr. 15, 29.01.1923. Über Störungen der Vorstellung wurde nicht berichtet. AN AJ9/5463, Dossier Le Rhin, 30.1.1923.

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„Soweit ist es mit Deutschland gekommen“, wetterte der Film-Kurier, „daß es sich die Vorführung von Bildern seines größten Stromes im eigenen Lande untersagen lassen muß.“ „Wie weit aber muß es mit den Franzosen gekommen sein,“ überlegte das Blatt weiter, „daß sie einen Bildstreifen, der eine sachliche, auf historische Forschung beruhende Wiedergabe geschichtlicher Ereignisse ist […], als Schädigung für Frankreich ansehen.“41 Die Publikumsreaktionen auf den Film am Rhein und die seitens der Ufa zur Verfügung gestellte Programmbroschüre rechtfertigte das Verbot in französischen Augen durchaus. Wie bewusst der Film dazu genutzt wurde, nationale Einheit zu stiften und zu mobilisieren, zeigt ein Überwachungsbericht des französischen Delegierten Mennetier aus Ludwigshafen, der eine Vorführung des Films im unbesetzten Mannheim am 12. Januar 1923, also kurz nach der Ruhrbesetzung, beschrieb. Bereits das Filmplakat besaß laut seiner Aussage deutliche Anklänge an die „Wacht am Rhein“. Zu sehen war ein deutscher Soldat, der mit seinen Füßen auf beiden Seiten des Rheins stand, während ein französischer Soldat vergebens versuchte, den Rhein mit seinen Händen zu fassen. Das im Kino verteilte Programm zitierte ganz aktuell anlässlich der Ruhrbesetzung auf der Titelseite aus dem Aufruf des Reichskanzlers Wilhelm Cuno „An das deutsche Volk“ und programmierte den Rheinfilm als „Stimmungsbild für die heutige deutsche Heimat“ und „im Zeichen [der] inneren Erhebung“, die Cuno gefordert hatte. Mennetier berichtete von einem festlich geschmückten Saal, passender Orchestermusik, den Gesangseinlagen eines Quartetts und Rezitationen aus den Werken Goethes und ging besonders auf Frankreich streifende Szenen des Films ein, wie die Zeit der Befreiungskriege, des deutsch-französischen Kriegs und der Besetzung des Rheinlandes sowie natürlich auf den Ruhrteil des Films, um festzustellen, dass besonders die patriotische und nationalistische musikalische Begleitung und Rezitation beim Publikum Begeisterung auslösten und am Ende schließlich auch Teile des Publikums „Deutschland, Deutschland über alles“ sangen.42 Der Film funktionierte auch in anderen Städten am Rhein ähnlich. In Karlsruhe, wo der Film Anfang März 1923 lief, überschlug sich die Berichterstattung: „Nach jedem Teil erhob sich begeisterter Beifall“, hieß es im das Karlsruher Tagblatt. Das Haus war voll, die Stimmung gehoben und „am Schluß wurde das Deutschlandlied von Allen stehend mitgesungen“, berichtete die Zeitung. „Diese spontane Kundgebung reiht sich würdig all denen an, die in diesen Tagen in ganz Deutschland stattfanden, und bezeugt von neuem, daß noch deutsche Herzen für das deutsche Vaterland schlagen!“43 Ende Januar 1923 wurde der Rheinfilm auch in Heidelberg gezeigt, wo der Kinobesitzer Drukker den größten Saal der Stadt, die Stadthalle, mietete und den 41 42 43

„Verbot des ‚Rheinfilms‘ im besetzten Gebiet“, in: Film-Kurier, 17.3.1923. AN AJ 9/5463, Compte-rendu, Ludwigshafen, 15.1.1923. Der Bericht spricht von 600–700 Zuschauern im Saal. „Der rhein in Vergangenheit unD gegenwart“, in: Karlsruher Tagblatt, 4.3.1923. Dort auch das folgende Zitat. Dank an Philipp Stiasny, der diesen und die folgende Berichte im Rahmen des Interreg-Forschungsprojekts „Der Oberrhein im Gebrauchsfilm (1900–1970)“ recherchiert hat.

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Film dort mehrmals täglich vorführte, weil sein eigenes Kino, das „Neue Theater“ in der Hauptstraße, zu klein war. In einer Anzeige in den Heidelberger Neuesten Nachrichten hieß es dazu: „Der Film hat in Berlin und anderen Großstädten vor überfüllten Häusern stürmischen Beifall gefunden und spontan machtvolle Kundgebungen auch bei Nichtkinobesuchern hervorgerufen. […] Der Besuch für Erwachsene und Jugendliche wird aufs Wärmste empfohlen.“44 Nach der Entspannung der politischen Lage bemühte sich die Ufa 1924 um eine Zulassung des Films auch in den besetzten Gebieten. Am 10. Mai 1924 entschied die IRKO, dass nur der geografische Teil des Films in den besetzten Gebieten gezeigt werden durfte, während die historischen Bilder „wegen ihrer Frankreich beleidigenden Inhalte“ auch weiterhin verboten blieben.45 In Deutschland wurde der Film noch in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre für Schulvorführungen genutzt und erreichte damit auch weiterhin ein großes Publikum.46 MUSIK ALS EMOTIONALER VERSTÄRKER Die Hinweise auf den Kontext der Ruhrbesetzung, die Sticheleien gegen Frankreich und auch die Anspielung auf die „Schwarze Schmach“ im Film selbst reichen allein nicht aus, um die „machtvollen vaterländischen Kundgebungen“ bei Vorführungen des Rheinfilms zu erklären. Ein enorm wichtiger und von den Zeitgenossen auch so empfundener Faktor für die affektive Wirkung von Filmen war die Musik, die die Bilder und Texte begleitete und die im Kino der Stummfilmzeit in unmittelbarer Begegnung mit dem Publikum entstand. So beschwor auch der Rheinfilm die Gemüts- und Stimmungswerte, die mit dem Fluss, seiner Mythologie und Symbolik verknüpft waren, wesentlich durch Musik: Es war diese Musik, die – wenn sie wirkungsvoll eingesetzt wurde – das Publikum akustisch und emotional in ihren Bann schlug.47 Bereits die Musikbegleitung bei der Berliner Premiere Ende November 1922, bei der das damals sehr bekannte Nebe-Quartett neben romantischem Liedgut auch Studenten- und Volkslieder zum Besten gab, wurde in der Presse hervorgehoben: „Die schönen Rheinlieder verfehlten ihren Eindruck beim Publikum nicht, und da auch der Film selber schon, namentlich in seinen Kulturbildern, starke Gefühlswerte hat – besonders Blücher erweckte frenetischen Beifall –, so war diese Premi44 45 46 47

Anzeige für Der rhein in Vergangenheit unD gegenwart, in: Heidelberger Neueste Nachrichten, 1.2.1923 („Jugendliche“ im Original fett). Anzeige für Der Rhein in Vergangenheit und Gegenwart, in: Freiburger Zeitung, 5.5.1923. AN AJ 9/5463, 10.5.1924, Mitteilung über Wiederzulassung des geographischen Teils an die Delegierten. Walter Steiner, Französischer Geistesdruck am Rhein, Berlin, Verlag Rheinischer Beobachter, 1927, S. 135. Vgl. Müller (Anm. 22); Barbara Hanke, Geschichtskultur an höheren Schulen von der Wilhelminischen Ära bis zum Zweiten Weltkrieg. Das Beispiel Westfalen, Münster, LIT, 2011, S. 123, Fußnote 575. Der Abschnitt zur Musik zeichnet die Argumentation in Braun und Braun/Stiasny (Anm. 1) nach.

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ere ein großer Erfolg.“48 Auch ein besonderer Effekt – nämlich das Innehalten der Musiker als ein Kulminationspunkt emotionaler und mentaler Anspannung – wurde bei der Berliner Vorführung angesprochen, wo das Orchester sein Spiel angesichts der auf der Leinwand gezeigten Besatzungssoldaten unterbrach, „um die patriotische Stimmung des Publikums nicht zu unkluger Ekstase hinzureißen.“49 Der französische Delegierte Mennetier aus Ludwigshafen verwies in seinem Bericht über die Vorführung des Rheinfilms im Januar 1923 in Mannheim zum einen auf den festlichen Rahmen der Veranstaltung mit Rezitationen aus Goethes Werken; zum anderen aber ebenfalls explizit auf die starke Wirkung der Orchestermusik und der Gesangseinlagen; die patriotische und nationalistische Begleitung des Films habe große Begeisterung bei den 700 bis 800 Besuchern im Saal ausgelöst und dazu geführt, dass Teile des Publikums am Ende „Deutschland, Deutschland über alles“ sangen.50 Das 1841 von Heinrich Hoffmann von Fallersleben im Exil geschriebene „Deutschlandlied“ war nur wenige Monate zuvor, im August 1922, von Reichspräsident Friedrich Ebert zur Nationalhymne bestimmt worden. Im besetzten Rheinland war das Absingen des Liedes untersagt.51 In Heidelberg waren zum Film „Gesangsvorträge von den Herren Robert Moser und Rinderspacher vom Stadttheater Heidelberg“ zu hören.52 Wie in Mannheim klang die Vorstellung im Deutschlandlied aus.53 In Karlsruhe erklang zu Beginn zunächst Ludwig van Beethovens Triumphmarsch zum Trauerspiel Tarpeia; der Rheinfilm wurde danach „von äußerst stimmungsvoller Musik und von trefflich vorgetragenen Gesängen“ begleitet.54 In Freiburg spielte die Hauskapelle „die alten schönen Rheinlieder […] im Verein mit einem Männergesangsquartett und einer Solistin“.55 Welche Lieder und Melodien den Rheinfilm in den Kinos begleiteten und die patriotische Begeisterung anfeuerten, ist im Einzelnen nicht bekannt – und war auch von den jeweiligen Bedingungen vor Ort, den Möglichkeiten der Kinobetrei48 49 50

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Hi., „Der Rheinfilm“, in: Vossische Zeitung (Berlin), Nr. 572, 3.12.1922. Fritz Olimsky, „Erstaufführung des Rheinfilms“, in: Berliner Börsen-Zeitung, 30.11.1922 (SDK, Schriftgutsammlung). AN AJ 9/5463, Bericht des Delegierten Mennetier aus Ludwigshafen vom 15.1.1923. Zur Rolle der Musik vgl. Sarah Zalfen / Sven Oliver Müller, „Eine Fortsetzung des Krieges mit musikalischen Mitteln? Hegemoniale Funktionen von Musik im Europa der Weltkriege“, in: Sarah Zalfen / Sven Oliver Müller (Hg.), Besatzungsmacht Musik. Zur Musik- und Emotionsgeschichte im Zeitalter der Weltkriege (1914–1949), Bielefeld, Transcript, 2012, S. 9–30. Vgl. dazu Karin Trieloff, Provokation oder Brauchtum. Das Deutschlandlied im besetzten Rheinland (1919–1930), Masterarbeit FU Berlin (2013). Das Lied entstand im Rahmen der deutsch-französischen Rheinkrise um 1840. Die Verse „Deutsche Frauen, deutsche Treue, / Deutscher Wein und deutscher Sang“ spielen zwar auf den auf den Rhein an, aber das Wort „Rhein“ kommt im Lied nicht vor. Anzeige für Der rhein in Vergangenheit unD gegenwart, in: Heidelberger Neueste Nachrichten, 1.2.1923. Vgl. die Besprechung von Der rhein in Vergangenheit unD gegenwart, in: Heidelberger Neueste Nachrichten, 30.1.1923. Eine identische Besprechung erschien auch in der Badischen Post (Heidelberg) vom 30.1.1923. Filmbesprechung im Karlsruher Tagblatt, 4.3.1923. Filmbesprechung in der Freiburger Zeitung, 8.5.1923.

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ber und der engagierten Musiker abhängig. Der Film selbst liefert allerdings Anhaltspunkte: Im dritten Teil, zu Bildern Heidelbergs, werden in den Zwischentiteln gleich drei Studentenlieder zitiert: „Alt Heidelberg, Du feine“ nach dem Gedicht von Victor von Scheffel von 1852, „Bemooster Bursche zieh ich aus“ von Gustav Schwab (1814) und „Ich lobe mir das Burschenleben“, aufgezeichnet von Christian Wilhelm Kindleben im 18. Jahrhundert. Im vierten Teil über Rheinhessen und den Rheingau werden zwei Lieder zitiert: Goethes 1813 vertontes Gedicht „Ergo bibamus“ und Matthias Claudius’ „Rheinweinlied“ (um 1776). Im sechsten Teil dürfte es bei der Erwähnung von Ernst Moritz Arndts „Vaterlandslied“ (1812) nicht beim zitierten Vers, „Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte“, geblieben sein. Vermutlich folgten noch weitere Teile des Liedes.56 Die Musik, die im Kino in Verbindung mit bestimmten Bildern zu hören war, wurde von den Franzosen im besetzten Gebiet aufmerksam verfolgt, weil sie unkontrollierbare Emotionen auslösen konnte.57 Es wurden neben Filmen auch Musikstücke verboten, beispielsweise das Abspielen von Militärmärschen und Nationalhymnen durch das Kinoorchester.58 Die im Rheinfilm zitierten Studentenlieder zeigen zwar, dass keineswegs alle Lieder darauf abzielten, antifranzösische Ressentiments zu fördern. Gleichwohl mochte auch die Verwendung solcher Studentenlieder dazu beitragen, als typisch deutsch geltende Gemüts- und Stimmungswerte zu wecken und die mit dem Rhein assoziierte Trias aus Wein, Weib und Gesang national aufzuladen. BELEHRUNG, PROPAGANDA – TOURISMUSWERBUNG? Auch wenn der Film auf den ersten Blick rein historisch-geografisch-belehrend erscheint, als ein unpolitischer Kulturfilm mit einem leicht patriotischen Beiklang: Der rhein in Vergangenheit unD gegenwart zeichnet das Werden des „deutschen“ Stroms aus dezidiert deutscher Sicht nach, frei nach dem Motto: „Der Rhein, Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze.“ Für die Zuschauer, die den Film Ende 1922 und vor allem Anfang 1923 vor dem Hintergrund der Ruhrbesetzung sahen, bot er damit einen sehr eindeutigen politischen Subtext an. Die Rhetorik ist subtil, doch war sie für die deutschen und französischen Zeitgenossen gut interpretierbar. Der Rheinfilm beschwor die Bilder, die Mythen, die Geschichte des Rheins als einer deutschen Landschaft im „raunenden Imperfekt“, wie Klaus Kreimeier schreibt.59 Einem Imperfekt also, der von einer besseren Zeit als der Gegenwart erzählte – und der sich dazu anbot, aus dieser Vergangenheitsform Handlungsanweisungen zur Veränderung der Gegenwart abzuleiten. Der Film nutzte die im kulturellen Gedächtnis etablierten Bilder, die den Rhein zum Symbol der deutschfranzösischen Erbfeindschaft und der nationalen Einheit Deutschlands stilisierten, 56 57 58 59

Viele Verszeilen wurden auch immer wieder in den anlässlich der Ruhrbesetzung entstandenen Filmen verwendet. Vgl. Braun (Anm. 36). Vgl. Zalfen/Müller (wie Anm. 50). Vgl. Kreutz (Anm. 11), S. 328–329. Kreimeier (Anm. 18).

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beschwor die Motive der deutschen Rheinromantik und des patriotisch-nationalistischen Denkens der Befreiungskriege herauf, die sich schon im 19. Jahrhundert im Kampf um den Rhein vermischt hatten, und aktualisierte sie für sein Publikum. Trotz aller französischen Versuche, sei es unter Ludwig XIV. oder unter Napoleon, den Rhein als strategisch wichtige „natürliche Grenze“ für sich zu gewinnen und zu halten, so zeigte der Film, war es den Deutschen immer wieder gelungen, den Rhein zu „befreien“, zuletzt 1870/71. Die beschriebenen Wechselwirkungen zwischen Der rhein in Vergangenheit unD gegenwart und der Besetzung des Rheinlandes und des Ruhrgebiets, zwischen nationalen „Kundgebungen“ im Kino und dem Zitieren populärer Musikstücke im Film sollen nicht überdecken, dass der Rheinfilm neben einem nationalen, didaktisch-pädagogischem Anliegen auch sehr deutlich ein touristisches Anliegen hatte: Der von Anfang an für das Publikum im deutschen Reich, in den besetzten Gebieten und im Ausland geplante Film zeigte auch eine in hohem Maß idyllische Darstellung des Rheins. Die rheinische Landschaft, Sehenswürdigkeiten und Sagen wurden in Szene gesetzt und damit der Betrachter quasi ins schöne Rheinland eingeladen. Nach dem Erfolg von Der rhein in Vergangenheit unD gegenwart nahm die Zahl an Filmen, deren Handlung am Rhein angesiedelt war und die bereits im Titel auf populäre Lieder und Musikstücke anspielten, auffällig zu.60

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Grund dafür sind sicherlich die 1925 im Rheinland begangenen Rheinischen Jahrtausendfeiern zur Erinnerung an die militärische Eroberung des Herzogtums Lothringen durch den ostfränkischen König Heinrich I. 925. Zur Welle der Rheinfilme siehe auch Kreutz (Anm. 11), S. 294– 296; Brigitte Braun, „Zwischen Rheinlandpropaganda und Rheinromantik. Der Rhein im Film der Weimarer Republik“, in: Geschichte im Westen, 31 (2016), S. 145–167. Die Zahl der Rheinfilme stieg noch einmal signifikant anlässlich der vorzeitigen Räumung des Rheinlands im Jahr 1930.

LA PRISE DE POSSESSION DE L’USINE ALSACIENNE DE GRAFFENSTADEN EN 1940–1944 PAR MAGDEBURGER WERKZEUGMASCHINENFABRIK Origines et conséquences Luc Jeanvoine Résumé L’Usine de Graffenstaden, productrice de locomotives à vapeur, de machines-outils, d’instruments de levage, de pesage et de signalisation, appartenait depuis 1872 à un groupe industriel polyvalent, la Société Alsacienne de Constructions Mécaniques. La Magdeburger Werkzeugmaschinen Fabrik était une société spécialisée dans la fabrication de tours. Elle a été intégrée à l’appareil de guerre nazi par ses deux actionnaires, la Bank der Deutschen Luftfahrt, bras financier du Konzern Herrmann Göring et une propriété de celle-ci, la Junkers Flugzeug-und Motorenwerke. En s’installant à Grafenstaden en 1940, la Magdeburger Werkzeugmaschinen Fabrik élargit ses activités à l’ensemble de la machine-outil et y ajouta l’activité ferroviaire. En rachetant l’usine en 1943 à la Société Alsacienne de Constructions Mécaniques, elle renforça son rang au sein du Konzern Herrmann Goering. Après 1945, la Magdeburger Werkzeugmaschinen Fabrik et l’Usine de Graffenstaden ne maintinrent que les activités parfaitement intégrées dans la mondialisation.

Zusammenfassung Das Werk Grafenstaden im Elsaß war bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts Teil eines Industrieunternehmens, das u. a. Dampflokomotive, Werkzeugmaschinen, Kräne, Waagen und Signalgeräte herstellte. Die deutsche Magdeburger Werkzeugmaschinen Fabrik stellte ihrerseits nur Drehbänke her. Als letztere im Rahmen der NS-Expansionspolitik 1940 das Werk Grafenstaden übernahm, konnten Dampfloks und Fräswerkherstellungen als neue Produkte hergestellt werden. 1943 kaufte Magdeburger Werkzeugmaschinen Fabrik das Werk Grafenstaden auf und wurde damit zu einem prächtigen Unternehmen des Herrmann Göhring Konzerns. Nach 1945 konnten sowohl bei dem Werk Grafenstaden als auch bei der Magdeburger Werkzeugmaschinen Fabrik nur einzelne spezialisierte Fachbereiche überleben.

Le 30 septembre 1940, l’entreprise de Saxe-Anhalt Magdeburger Werkzeugmaschinenfabrik G.m.b.H. (Usine de machines-outils de Magdebourg S.A.R.L., ci-après MWF) installe la majeure partie de ses moyens de production dans l’Usine de constructions mécaniques de Graffenstaden (U.G.), localisée à 8 kilomètres au sud de Strasbourg. MWF comme l’U.G. déclarent pour activités principales la construction ferroviaire et la fabrication de machines-outils. Le but de cette contribution est de montrer en quoi ces activités identiques, qui se traduisaient en 1940 par des conceptions divergentes entre une entreprise issue du pôle industriel majeur

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de l’Allemagne centrale et une autre issue d’une région industrielle périphérique de la France, ont modifié les deux entreprises pendant leur période de cohabitation de 1940 à 1944 et, en conséquence, font sentir leurs effets aujourd’hui encore. 1872–1940 – L’ÉMERGENCE DES MODES DE PRODUCTION DE L’U.G. ET DE MWF En 1872 l’U.G., alors localisée dans l’Empire allemand, est une entreprise prospère qui réussit à s’adapter au marché allemand en fusionnant avec l’usine mulhousienne « André Koechlin & Compagnie » pour former la « Société Alsacienne de Constructions Mécaniques » (S.A.C.M.), en allemand Elsässische Maschinenbau Aktien Gesellschaft (El.M.A.G.)1. Les principaux bailleurs de fonds de la société sont bâlois. Ils agissent avec autant d’aisance dans l’aire germanophone que francophone. La prospérité financière permet de fonder une usine en France, à Belfort, en 1879 et donc de conserver le marché français. L’aisance face au marché allemand apparaît dans le fait qu’en 1891, l’U.G. soit l’un des onze membres fondateurs de la Chambre Patronale allemande de la Construction Mécanique (Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken)2. La S.A.C.M. cherche à satisfaire tous les besoins de ses clients, de telle sorte que les usines de Mulhouse, de Graffenstaden et de Belfort fabriquent à peu près tous les éléments de l’équipement public et privé. L’entreprise obtient de grandes marques de distinction, en particulier lors de l’exposition universelle de Paris en 1900. Cet évènement est perçu comme une consécration à Graffenstaden alors que dans le reste de l’Allemagne, beaucoup d’industriels le surnomment « le carnaval de la technique », en évoquant le fait que le retour sur investissement y soit nettement plus faible que le nombre de visiteurs. Leurs critiques aboutissent à l’organisation de l’Exposition de la machine-outil à Düsseldorf en 1902. Cet évènement majeur est le creuset des expositions spécialisées actuelles parce qu’il insiste sur trois points : spécialisation des entreprises sur un type de fabrication, catalogage de la production, normalisation. Un modeste atelier de construction mécanique de Magdebourg fondé en 1865, MWF, se conforme aux vues exprimées lors de l’Exposition de la machine-outil de Düsseldorf de 1902 et devient un important constructeur allemand de tours après sa transformation en société anonyme en 1910. Cependant, l’U.G. reste un constructeur polyvalent au sein de la S.A.C.M. On y discerne trois spécialités : construction ferroviaire, instruments de levage et machines-outils. Malheureusement, à partir de 1924, l’atelier de fabrication de locomotives travaille au tiers de sa charge. Il diversifie ses activités dans les années 1 2

Luc Jeanvoine, « L’usine de Graffenstaden au XXème siècle, une entreprise ancienne face au monde moderne », in : Annuaire de la Société d’Histoire des Quatre Cantons, Benfeld, 2008, vol. XXVI, p. 109. Günter Spur, Vom Wandel der industriellen Welt durch Werkzeugmaschinen, eine kulturgeschichtliche Betrachtung der Fertigungstechnik, München, Wien, Carl Hanser Verlag, 1991, p. 336.

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1930 en livrant du matériel pour les arsenaux et la marine3. La construction de locomotives maintient néanmoins sa rentabilité par la fabrication de pièces de rechange pour locomotives. La construction de machines-outils apparaît de plus en plus comme le secteur contra-cyclique de recours en cas de mévente ferroviaire prolongée. Malgré les menaces de guerre et le délabrement des bâtiments, l’U.G. modernise en permanence ses productions et juxtapose un atelier de construction d’aléseuses-fraiseuses4, un autre de fraiseuses5 et un dernier de construction de tours6, l’U.G. confirme ainsi son caractère polyvalent. Durant cette période, MWF, aiguillonnée par la concurrence, précède le progrès technique en se dotant en 1928 de l’engrenage hydraulique « Lauf-Thoma » désigné ainsi par l’association des noms du directeur et du concepteur7. Celui-ci assure automatiquement les changements de vitesse dans les moteurs de tours. L’appareil est susceptible de conquérir un vaste marché par sa capacité à gérer les différences de vitesse entre moteur et appareils ou entre appareils. Toutefois, depuis 1927, MWF est menacée par le regroupement de quatre fabricants de tours, Vereinigte Drehbank Fabriken (Union des constructeurs de tours), qui ont mis au point une gamme complète de tours construits de manière modulaire sur une base décimale8. MWF, affaiblie par les investissements consacrés à la mise au point de l’engrenage Lauf-Thoma, ne dispose pas des ressources financières permettant d’attendre les commandes en provenance de l’industrie. En conséquence, en 1936, MWF est rachetée par son concurrent direct, le fabricant de tours de Leipzig-Wahren, Pittler. Cette péripétie met fin à l’autonomie décisionnelle de MWF, elle passe à ce moment du rang de S.A. à celui de S.A.R.L. et devient un élément de l’appareil de guerre nazi9. En effet, l’actionnaire de Pittler est le constructeur d’avions de guerre Junkers Flugzeug-und-Motorenwerke A.G. dont le siège est à Dessau, qui lui-même appartient à la Banque du transport aérien S.A., Bank der deutschen Luftfahrt A.G., dont le siège est à Berlin-Schöneberg. Cette banque appartient au ministère du transport aérien du Reich, le Reichsluftfahrtministerium. Ce ministère et sa banque constituent les leviers d’action du Konzern Hermann Göring. On voit, en l’occurrence, 3

4 5 6 7 8 9

Correspondance entre le chef de l’administration civile en Alsace et le fondé de pouvoir pour la gestion des biens des ennemis du Reich, Rapport de la Rheinische Treuhand Gesellschaft A.G. pour la fixation du prix de vente de l’U.G. à MWF, Archives Départementales du Bas-Rhin, cote 683 D 1941, 1ère liasse, 1940 à 1942. L. Bourdin / A. Bouvier, « Les machines-outils ‘Graffenstaden’ », Bulletin de la Société Alsacienne de Constructions Mécaniques, 1937, N° 54, p. 29–46. Lucien Bourdin, « Vingt-cinq ans d’études et de progrès dans la construction des fraiseuses ‘Graffenstaden’ », Bulletin de la Société Alsacienne de Constructions Mécaniques, 1951, N° 58, p. 49–57. Lucien Bourdin, « Perfectionnements aux tours verticaux ‘Graffenstaden’ », Bulletin de la Société Alsacienne de Constructions Mécaniques, 1939, N° 57, p. 1–18. Lauf-Thoma-Getriebe, Magdeburger Werkzeugmaschinenfabrik A.-G, Archives Municipales d’Illkirch-Graffenstaden, fonds Suzeau, cote 6S11/6, datable de 1930. Spur, Vom Wandel, op. cit., p. 475. Pittler-Thoma Pumpen und Flüssigkeitsgetriebe, Pittler Werkzeugmaschinenfabrik Aktiengesellschaft. Leipzig-Wahren, Archives Municipales d’Illkirch-Graffenstaden, fonds Suzeau, cote 6S11, datable de 1936.

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l’État nazi démultiplier la puissance du modèle productiviste allemand sans consentir d’investissements, ces investissements ayant été mis en place par les entrepreneurs privés avant son intervention. 1940–1944, LA GREFFE PRODUCTIVISTE ALLEMANDE À L’U.G. Le 30 septembre 1940, à la suite de la décision de Junkers Flugzeug und Motorenwerke d’installer une usine de fabrication de moteurs d’avions de guerre sur le site originel de MWF à Magdebourg, MWF trouve en l’U.G. son site de repli. Alors que l’ingénieur Möbius et son équipe de techniciens et d’ingénieurs restent à Magdebourg pour y développer des machines spéciales qui permettront la mise au point d’une des premières machines-transfert aptes à fabriquer des grandes séries de cylindres de moteurs d’avion en 194410, MWF, à Grafenstaden, construit l’essentiel de sa gamme de tours universels et de tours revolver ainsi que des automates verticaux11 de conception plus récente12. Dans ce but, MWF utilise les compétences du meilleur spécialiste allemand dans le domaine de l’hydraulique, Ewald Dornhöffer, qui est nommé chef du bureau d’études à l’U.G. dès 194013. Dans cette nouvelle situation, les deux actionnaires de MWF sont, sur un capital de 10 millions de Reichsmark, la Bank der deutschen Luftfahrt A.G. pour 75 % du capital et Junkers Flugzeug-und-Motorenwerke pour 25 % du capital14. La campagne de Russie en 1942 est l’occasion du lancement de la plus importante commande ferroviaire de l’histoire mondiale : 15.000 locomotives simplifiées dites locomotives de guerre, modèle B. R.52 sont commandées, 6.500 seront effectivement construites15. Devant cette commande, MWF, le 1er août 1942, se voit obligée de faire passer son capital social de 10 à 20 millions de Reichsmark en faisant un appel de fonds auprès de ses deux actionnaires qui maintiennent leurs parts respectives au capital social16. MWF sera alors en mesure de construire quatre locomotives en même temps sur le même plan de cisaillage des tôles. Le temps de 10 11 12 13 14 15

16

Spur, Vom Wandel, op. cit.,.p. 492. F. Strunk, Arbeiten mit Mehrspindel-Drehautomaten, Archives Municipales d’Illkirch-Graffenstaden, fonds Suzeau, cote 6S11/6, 16ème document, Revue « Maschinenbau / Der Betrieb »,1941, N° 10, p. 425–428. Sternautomaten Mehrspindelige Horizontal-Automaten, Archives Municipales d’Illkirch-Graffenstaden, fonds Suzeau, cote 6 S11/6, datable de 1940–1944. Spur, Vom Wandel, op. cit., p. 477. Gewerbesteuer und Körperschaftsteur der Gemeinde Illkirch-Grafenstaden, Archives Départementales du Bas-Rhin, cote 341 D 775/1, 2ème chemise : dossier correspondant à MWF, 31ème document : déclaration d’impôt de MWF au titre du « Körperschaftsteur » datée du 25/08/1942. , présentation de la série de locomotives B. R.52. et , page consacrée à la société usine de Graffenstaden, in , Dampfmaschinen und Lokomotiven. Gewerbesteuer und Körperschaftsteur der Gemeinde Illkirch-Grafenstaden, Archives Départementales du Bas-Rhin, cote 341 D 775/1, 2ème chemise : dossier correspondant à MWF, 73ème et 74èmeème documents : déclaration d’impôt de MWF au titre du « Körperschaftsteuer » datée du 31/05/1943.

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la production unitaire semble alors révolu. Toutefois, ce programme de fabrication ne sera opérationnel qu’au moment où la nouvelle fonderie fonctionnera, c’est-àdire en 1943. Prévoyante dans le gain de place nécessaire à ses futures productions, MWF expulse dès 1940 la spécialité « instruments de levage » à l’usine de Mulhouse de la S.A.C.M.17. Elle conserve à Grafenstaden les fabrications conçues par la S.A.C.M. des fraiseuses18, aléseuses19 et tours20 et les intègre à sa technologie selon des modalités financières parfois litigieuses21. Juridiquement cela signifie que MWF a pallié les défauts de l’engrenage Lauf-Thoma – concernant le changement de vitesse des moteurs de machines-outils – en copiant, sans payer de licence, la technique équivalente mais mécaniquement plus sûre des trains baladeurs que l’on trouvait en usage en 1939 sur les fraiseuses fabriquées à Graffenstaden par la S.A.C.M.22. De 1940 à 1943, MWF utilise la licence de la société helvétique Maag dans le domaine du taillage d’engrenages, achetée par la S.A.C.M. en 193923, afin d’en développer des applications dans le domaine de la machine-outil et de la fabrication des essieux ferroviaires24. Durant cette période, MWF a donc investi 17 millions de Reichsmark pour la rationalisation de son exploitation25 comportant trois points essentiels : mise 17

« Historique du transfert du service « levage-pesage-signalisation » de Graffenstaden à Mulhouse en octobre 1940 », Service des Archives Municipales de Mulhouse, CERARE, fonds S. A. C. M., cote 97 A 265. 18 L. Bourdin / A. Bouvier, « Fraiseuses ‘genre raboteuses’ Graffenstaden », Bulletin de la Société Alsacienne de Constructions Mécaniques, 1937, N° 53, p. 17–18. L. Bourdin / A. Bouvier, « Fraiseuse multiple », Bulletin de la Société Alsacienne de Constructions Mécaniques, 1937, N° 53, p. 19–28. L. Bourdin / A. Bouvier, « Les machines-outils ‘Graffenstaden’ », Bulletin de la Société Alsacienne de Constructions Mécaniques, 1937, N° 54, p. 29–37. Lucien Bourdin, « Vingt-cinq ans d’études et de progrès dans la construction des fraiseuses ‘Graffenstaden’ », Bulletin de la Société Alsacienne de Constructions Mécaniques, 1951, N° 58, p. 49–57. 19 A. Bouvier, « Aléseuses-fraiseuses ‘Graffenstaden’ », Bulletin de la Société Alsacienne de Constructions Mécaniques, 1934, N° 45, p. 1–13. L. Bourdin / A. Bouvier, « Les machines-outils ‘Graffenstaden’ », Bulletin de la Société Alsacienne de Constructions Mécaniques, 1937, N° 54, p. 37–46. 20 A. Bouvier, « Tours verticaux ‘Graffenstaden’ », Bulletin de la Société Alsacienne de Constructions Mécaniques, 1935, N° 50, p. 23–37. 21 Lettre de Magdeburger Werkzeugmaschinenfabrik au bureau allemand des restitutions du land de Rhénanie-du-Nord-Westphalie à Münster datée du 7.1.1948, Hauptstaatsarchiv, Stuttgart, EA 6–006_Bü 332. 22 Lettre de Magdeburger Werkzeugmaschinenfabrik à l’entreprise Firma Lamellen und Kupplungsbau August Häussermann à Stuttgart-Obertürkheim, intitulée Auftragsbestätigung, datée du 6.6.1941, accompagnée de la brochure en français « Tours verticaux à deux montants Graffenstaden », elle-même tirée de Lucien Bourdin, « Perfectionnements aux tours verticaux ‘Graffenstaden’ », Bulletin de la Société Alsacienne de Constructions Mécaniques, 1939, N° 57, p. 1–18, Hauptstaatsarchiv, Stuttgart, EA 6–006 Bü 332. 23 Lucien Bourdin, « Perfectionnements aux tours verticaux ‘Graffenstaden’ », in : Bulletin de la Société Alsacienne de Constructions Mécaniques, 1939, N° 57, p. 1–18. 24 Th. Hanhart, « Taillage et rectification des engrenages de traction », in : Bulletin de la Société Alsacienne de Constructions Mécaniques, 1952, N° 60, p. 117–126. 25 Témoignage de Martin Donath auprès du ministère de l’économie du Land de WurtembergBade, 10/06/1948, in : Hauptstaatsarchiv, Stuttgart, cote EA 6–006_Bü 332.

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en place de la fabrication des locomotives en série, nouvelle fonderie pour disposer d’une fonte plus homogène, nouvelles halles pour accélérer la fabrication et la manutention des machines-outils, soit 20.000 mètres carrés de surface couverte disposant d’une installation électrique rénovée. En ajoutant au montant des investissements celui du prix d’achat de l’U.G., soit 15 millions de Reichsmark versés à l’ El.M.A.G.-S.A.C.M. en 1943, MWF estimera après-guerre la valeur de l’U.G. à 32 millions de Reichsmark26 au 23 novembre 1944, date à laquelle la direction allemande quitte l’usine de Grafenstaden. Au niveau micro-économique, le rachat de 1943 se traduit par un changement de raison sociale. Magdeburger Werkzeugmaschinenfabrik G.m.b.H., qui n’était qu’une S.A.R.L. depuis son rachat par Pittler en 1935, devient dès lors Grafenstaden Maschinenbau A.G., c’est à dire Construction mécanique de Grafenstaden Société Anonyme ou Gra.M.A.G. MWF, en déménageant de Magdebourg à Grafenstaden a donc regagné en autonomie, puisqu’elle a retrouvé son statut de Société anonyme perdu en 193627. Au niveau macro-économique, l’installation de MWF à Grafenstaden entre dans le cadre de la transformation de l’agglomération strasbourgeoise en région d’industrie lourde puisqu’elle s’accompagne du transfert de son fournisseur Mannesmann à Strasbourg-Koenigshoffen et de la création par son actionnaire Junkers Flugzeug und Motorenwerke de sa quinzième usine à Strasbourg-Meinau à l’emplacement des anciennes usines automobiles Mathis, actuelle succursale Citroën. Mais les évènements sont là. Depuis 1943, Gra.M.A.G. essaie ses locomotives sur le tronçon ferroviaire reliant Offenbourg, situé dans la plaine de Bade, à Haslach, situé dans la vallée de la Kinzig, gare importante du massif de la Forêt-Noire. Ceci d’ailleurs permet d’en inférer une adaptation des locomotives aux fortes rampes. Gra.M.A.G. loue à cet effet l’ancienne usine textile de Forêt-Noire Kautzmann & Jahn d’implantation contiguë à celle de la gare de Haslach. Le 23 novembre 1944, devant l’avancée des troupes françaises, la direction de Gra.M.A.G. quitte précipitamment l’U.G. restée toutefois indemne et transfère son siège social à l’ancienne usine textile de Forêt-Noire Kautzmann & Jahn. Le 27 novembre 1944, les installations ferroviaires d’Offenbourg sont inutilisables à la suite de bombardements aériens. Le 21 avril 1945, Haslach est à son tour occupée par l’armée française, Gra.M.A.G. est alors mise sous séquestre de l’administration française des domaines28. Dans ces circonstances, elle perd ses dernières machines et ses archives les plus précieuses. 26

27 28

« Memorandum der Länder der US-Zone zur Geltendmachung der französischen restitutionsansprüche auf die Erzeugnisse der Magdeburger Werkzeugmaschinenfabrik », Memorandum des régions de la zone d’occupation américaine pour répondre aux demandes de restitution formulées par la France portant sur les productions de MWF, après le 9/9/1948, in : Hauptstaatsarchiv, Stuttgart, cote EA 6–006 Bü 332. Copie d’extrait de registre du tribunal de commerce d’Illkirch section B N° 2 non datée, d’après un original daté du 22 juillet 1943, Staatsarchiv Freiburg in Breisgau, cote D5/1–3304. Fiche de renseignements sur la firme Grafenstaden Maschinenbau A.G., Haut-commissariat de la république française en Allemagne, Direction générale des affaires économiques et financières, service des réparations-restitutions, Bad Neuenahr, 29/07/1954, Staatsarchiv Freiburg in Breisgau, D5/1–3304.

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À PARTIR DE 1945, LES ÉVOLUTIONS PARALLÈLES DE MAGDEBURGER WERKZEUGMASCHINENFABRIK ET DE L’USINE DE GRAFFENSTADEN Certains dirigeants de MWF poursuivent une brillante carrière. L’ancien directeur technique de MWF, Ewald Dornhöffer, devient, en 1947, directeur technique de Waldrich à Cobourg en Bavière29. Il transforme cette entreprise en leader mondial de l’hydraulique et de la grande fraiseuse, en y réalisant ce qui constituait le programme initial de MWF à Graffenstaden30. Pour sa part, l’ingénieur commercial F. Strunk fonde la Neue Magdeburger Werkzeugmaschinenfabrik à Sinsheim sur l’Elsenz en Wurtemberg-Bade. Il rachète la licence de fabrication du tour le moins cher de MWF, le DU30 dont la licence avait été vendue à l’entreprise Schnellpressen Fabrik de Heidelberg. F. Strunk bénéficie d’un concours favorable de circonstances : l’appui de l’administration du Land de Wurtemberg-Bade, puis l’accord d’un réparateur agréé de machines-outils MWF, C. Wittigayer, qui y voit la stabilisation de l’écoulement de sa production et, enfin, l’opportunité consistant dans le fait que nombre d’entreprises allemandes ont dû livrer leurs machines MWF à la France au titre d’une plainte pour restitution relayée par l’administration militaire américaine dans sa zone d’occupation en Allemagne en 1948 et que ces entreprises doivent donc, en catastrophe, reconstituer leur parc de machines-outils. De toute évidence, elles achètent le DU30, c’est-à-dire le tour le moins cher de l’ancienne gamme MWF et le seul produit par la Neue Magdeburger Werkzeugmaschinenfabrik31. La plainte pour restitution était fondée d’un point de vue juridique sur le non-paiement par MWF de la licence d’utilisation des trains baladeurs inventés par la S.A.C.M., utilisation évoquée précédemment. Le ministre de l’Économie de la Tri-zone, Ludwig Erhard, a donc deux sujets de préoccupation en 1948. D’abord la suppression de l’inflation camouflée héritée du troisième Reich ; il règle le problème en dévaluant le Reichsmark de 93 % lors de la réforme monétaire. Son second problème est de donner aux Allemands les moyens de travailler. À cet effet, il obtient de l’administration militaire alliée, États-Unis en tête, le droit de conserver 50 % des machines fabriquées par MWF à Grafenstaden entre 1940 et 1944 et localisées dans la Tri-zone. La Neue Magdeburger Werkzeugmaschinenfabrik vit toujours après un dépôt de bilan dans les années 1980 marquant le passage de la fonction « Fabrication » à la fonction « Service-après-vente » sous le nom Werkzeugmaschinenbau Sinsheim G.m.b.H. à Sinsheim sur l’Elsenz. Elle appartient à un groupe de mutualisation des commandes et du Service après-vente DVS-Gruppe (Drehen-Verzahnen-Schleifen-Gruppe), formé par un consortium d’entreprises travaillant dans les domaines 29 30 31

Témoignage d’Ewald Dornhöffer, déposé devant notaire à Cobourg le 28 juillet 1948, Hauptstaatsarchiv, Stuttgart, EA6–006_Bü332. Spur, Vom Wandel, op. cit., p. 477. Lettre de Will Hehlinger, directeur financier de Gra.M.A.G. à la direction financière du Bade du nord à Karlsruhe rédigée à Haslach-Schnellingen comportant en annexe les explications au bilan de 1949 datée du 3/6/1949, Generallandesarchiv Karlsruhe, 466 Zugang 1981–75, 2081(1–5).

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du tournage, des engrenages et du rabotage. L’entreprise Pittler, rebaptisée Pittler T&S, appartient également à ce consortium. Dans le cadre de la mondialisation, Werkzeugmaschinenbau Sinsheim G.m.b.H. se consacre au service après-vente des tours commercialisés par DVS-Gruppe. La S.A.C.M. recouvre l’U.G. le 1er mai 1945, alors que l’armée française occupe l’usine depuis le 23 novembre 1944. La S.A.C.M. fait annuler la vente de l’U.G. réalisée en 1943 et en retrouve la pleine propriété. La construction ferroviaire se décline à nouveau de manière unitaire et non en série comme sous MWF. Toutefois, l’espoir du directeur technique Henri Gilliot, présent à Graffenstaden avant et après l’occupation allemande de 1940–1944, espoir qui consistait à reprendre à l’U.G. la fabrication unitaire des locomotives à vapeur qu’il avait par ailleurs dirigée à l’usine des Batignolles à Nantes32 et à l’usine S.A.C.M. de Cholet pendant l’occupation allemande de 1940–1944, est déçu par l’importation de locomotives américaines33. La construction ferroviaire disparaît en 1953 après la livraison destinée aux chemins de fer égyptiens de locomotives à vapeur pratiquant la combustion au mazout34. La tentative de reconversion dans les locotracteurs est arrêtée en 196135. Dès 1959, la S.A.C.M. s’unit à la filiale Alsthom qu’elle partage avec la Société Française d’exploitation du procédé Thomson-Houston, pour créer une nouvelle société, Rhénaméca à Ottmarsheim dans le Haut-Rhin, spécialisée dans la fabrication d’appareils destinés à l’industrie pétrolière. Rhénaméca dépose le bilan en 196436. La raison sociale S.A.C.M. disparaît alors37. 32

, « Usine des Batignolles, voie ferrée Nantes-Chateaubriant ». 33 J.-M. Combe, « La saga de la S.A.C.M., l’occupation. Derniers feux après 1945 », Rail magazine, 1965, n° 115, p. 12–20. 34 Henri Gilliot, « Locomotives 2-3-0, à chauffe au mazout, des chemins de fer de l’Etat égyptien », Bulletin de la Société Alsacienne de Constructions mécaniques, 1952, N° 59, p. 105– 112. Henri Gilliot, « Locomotives à vapeur 2-3-1, à grande vitesse, chauffées au mazout des chemins de fer de l’État égyptien (egyptian republican railways) », Bulletin de la Société Alsacienne de Constructions Mécaniques, 1954, N° 63, p. 87–96. 35 Jacques Payeur, « Locotracteur à moteur diesel de 150 CV et transmission hydraulique VOITH », Bulletin de la Société Alsacienne de Constructions Mécaniques, 1953, N° 61, p. 1–6. Jacques Payeur, « Locotracteurs diesel à transmission hydraulique VOITH », Bulletin de la Société Alsacienne de Constructions Mécaniques, 1954, N° 64, p. 106–116. Marius Wiederkehr, « Les locotracteurs de 200CV livrés aux mines domaniales de potasse d’Alsace », Bulletin de la Société Alsacienne de Constructions Mécaniques, 1956, N° 68, p. 91–101. Jacques Payeur, « Développement de la construction des locomotives et locotracteurs diesel à transmission hydraulique », Bulletin de la Société Alsacienne de Constructions Mécaniques, 1959, N° 71, p. 74–83. Jacques Payeur, « Locomotive d’usine de 600 ch. à moteur M.G.O. et transmission hydraulique Voith », Bulletin de la Société Alsacienne de Constructions Mécaniques, 1959, N° 72, p. 89–99. Luc Jeanvoine, L’Usine de Constructions mécaniques de Graffenstaden (1960–1986), thèse de doctorat soutenue à l’Université de Strasbourg en 2005, Lille, Atelier National de Reproduction des Thèses, 2005. 36 Service des Archives Municipales de Mulhouse, Archives du Centre Rhénan d’Archives et de Recherche Economiques (CERARE), cotes 97 A 1579 à 97 A 1624. 37 Luc Jeanvoine, « Le dépérissement de l’usine de Graffenstaden », Entreprises et Histoire, 2001, N° 27, p. 44. Luc Jeanvoine, « La fin de la SACM vue par un journal satirique », Entreprises et Histoire, 2001, N° 27, p. 113.

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De 1964 à 1969, l’U.G. passe à une ancienne filiale de la S.A.C.M., Alcatel, puis de 1969 à 1981, au groupe Compagnie Générale d’Électricité (C.G.E.) qui a racheté Alcatel. En 1969, le directeur général Georges Besse, du groupe mécanique d’Alcatel, puis de la C.G.E. dont dépend l’U.G., échafaude un projet consistant à unir la fonderie de l’U.G., héritée de MWF, aux presses Spiertz de Strasbourg-Meinau, modernisées entre 1940 et 1944 par le constructeur de presses allemand Schueller, afin de vendre des usines de fabrication de camions Renault à l’U.R.S.S. Ce plan opportuniste joue de la synergie réalisable entre deux entreprises dont la modernisation a été payée par l’effort de guerre allemand fourni pendant la Seconde Guerre mondiale. Toutefois, ce projet est abandonné en 1972, principalement parce que Spiertz stabilise mieux son chiffre d’affaires en s’alliant à Schueller plutôt qu’à la C.G.E.38. La division machine-outil de l’U.G. voit l’abandon de la fabrication des tours alors que cette compétence est attestée depuis environ 189439, comme celle des compresseurs, héritage de la grosse mécanique de l’usine de Mulhouse attestée depuis 192540. Elle concentre son activité sur la fabrication de fraiseuses à commande numérique suivant une évolution scandée par trois temps forts décrits ici. En 1981, l’État français intervient massivement dans l’industrie, son action porte le nom de « plan machine-outil » dans la branche évoquée41. Dans ce cadre, l’entreprise Huré transfère la gamme de fraiseuses produites sous la marque Huron, de l’usine de Bagneux dans les Hauts-de-Seine à Graffenstaden. L’U.G., à cette occasion, adopte la raison sociale « Huron machine-outil ». En 1986, l’État se désengage par l’abandon du plan machine-outil. « Huron machine-outil » procède à un dépôt de bilan pour licencier massivement et attirer les investisseurs privés. Le nouvel actionnaire, COMAU, filiale de F.I.A.T., commercialise en 1987 la gamme de fraiseuses Huron, en lui procurant une prestigieuse référence, à savoir l’équipement des usines de fabrication du moteur AlfaRomeo 222. Graffenstaden bénéficie ainsi des effets d’aubaine liés à l’appartenance à un grand groupe industriel puisqu’Alfa-Romeo appartient à F.I.A.T. Pourtant, en 1998, le désengagement de F.I.A.T. oblige l’entreprise à se concentrer sur la conception et la commercialisation de fraiseuses à commande numérique, la fabrication étant sous-traitée au mieux-disant industriel dans le cadre de la mondialisation. Actuellement « Huron machine-outil » appartient au groupe industriel indien Jiyoti. Dans ces conditions, le transfert de l’activité à Eschau, à 5 km au sud de Graffenstaden, est en cours. Pour sa part, la division engrenages de l’U.G. fabrique une production unitaire et non déclinable par gamme comme la machine-outil. Elle a donc un défi moins 38 39 40 41

Georges-Henri Soutou (dir.), Georges Besse, des grands projets aux restructurations industrielles, Paris, Institut d’Histoire de l’Industrie et Éditions Rive Droite, 1999, p. 83–85. Ch. Ullmer / A. Bouvier, « La construction des machines-outils à la Société Alsacienne des Constructions Mécaniques », Bulletin de la Société Alsacienne de Constructions Mécaniques, 1924, N° 5, p. 3–10. Anonyme, « Nouvelles fabrications », Bulletin de la Société Alsacienne de Constructions Mécaniques, 1925, N° 9, p. 25. Jean-Claude Tarondeau, « Où en est l’industrie française de la machine-outil », Revue française de gestion, 1981, sept. – oct. Jean-Claude Tarondeau, « Le plan machines-outils répond-il aux besoins ? », Le Monde, 22 décembre 1981, p. 15–17.

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difficile à relever que celle-ci, celui de l’adaptation à la succession des marchés portant sur des utilisations différentes du produit. Les engrenages sont issus de la fonction taillage d’engrenages de tours, mise en place par la S.A.C.M. en 1939, et de l’extension de cette fonction au domaine ferroviaire, mise en place par MWF à partir de 194142. Le passage à un autre marché s’effectue autour de 1980, lorsque cette branche d’activité abandonne la traction ferroviaire pour se concentrer sur l’équipement des appareils de transmission de force dans le transport des hydrocarbures, dans l’industrie nucléaire et les turbines à gaz43. Comme les investissements de l’État français, dans le cadre du plan machine-outil, étaient strictement limités à cette branche, Graffenstaden-Engrenages trouve un investisseur allemand, Flender de Bocholt en Rhénanie-du-Nord-Westphalie, qui accepte de monter progressivement au capital tout en consacrant la totalité des bénéfices à la modernisation de l’entreprise de 1984 à 1989. Flender a été rachetée par Deutsche Babcock puis par Siemens44. Aujourd’hui qu’observons-nous ? MWF est devenue un rouage du Service après-vente d’un groupe allemand de construction mécanique voué à l’exportation45. Huron Machine-Outil est une société indienne de conception de machines-outils dont le marché est mondial. Graffenstaden-Engrenages appartient à une multinationale allemande dont les productions s’écoulent sur le marché international. Les trois entreprises occupent donc des niches d’excellence et ne doivent leur survie qu’à l’adaptation de cette excellence en vue de la satisfaction d’un marché mondialisé. Nous constatons que MWF, décapitée par la défaite allemande, a été confrontée à la logique de niche dès 1945 et n’a pas démérité face à la S.A.C.M. Toutes les autres activités évoquées, industrie ferroviaire, aléseuse, tours et compresseurs disposaient à des moments particuliers des moyens de se muer en niches adaptées à la mondialisation. L’abandon de la fabrication des tours en 1982, pourtant spécialité de l’U.G. reconnue depuis la fin du 19ème siècle est ressenti comme un abandon patrimonial46. Les synergies au sein de chacune de ces activités entre direction technique, financière et commerciale n’ont plus fonctionné par carence d’arbitrage au niveau hiérarchique supérieur. La S.A.C.M. a souffert du retour au pouvoir, en 1945, de ses anciens cadres, seules les solutions des années 1930 ont trouvé grâce à leurs yeux, à savoir la construction ferroviaire unitaire jusqu’à l’abandon des locotracteurs en 1961 et la reconversion dans l’industrie pétrolière jusqu’à la faillite de Rhénaméca en 196447. Constatons que seuls les fraiseuses et les engrenages ont dû leur survie à un savoir-faire technique que la concurrence n’a pas réussi à égaler. 42 43 44 45 46 47

Th. Hanhart, « Taillage et rectification des engrenages de traction », Bulletin de la Société Alsacienne de Constructions Mécaniques, 1952, N° 60, p. 117–126. Luc Jeanvoine, L’Usine de Constructions mécaniques, op. cit., p. 211. Luc Jeanvoine, « Quand la grande entreprise se transforme en PME : la naissance de Flender-Graffenstaden (1975–1993) », in : Michel Hau, Regards sur le Capitalisme rhénan, Presses Universitaires de Strasbourg, Strasbourg, 2009, p. 43–60. < service.dvs-gruppe.com/index.php ?id=470> Paul Wolff, « Le copiage sur les tours verticaux Graffenstaden », Bulletin de la Société Alsacienne de Constructions Mécaniques, 1962, N° 76, p. 72–77. Service des Archives Municipales de Mulhouse, Archives du Centre Rhénan d’Archives et de Recherche Economiques (CERARE), cotes 97 A 293.

La prise de possession de l’usine alsacienne de Graffenstaden

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En 1940, MWF a dû créer un tissu industriel lourd dans l’agglomération strasbourgeoise qui en était dépourvue. Aujourd’hui, la logique financière mondialisée fait reposer la stabilité d’une entreprise uniquement sur les synergies de compétences entre les ingénieurs techniques, financiers et commerciaux. La conjonction des énergies au service d’un objectif clair, parce que partagé, permet de s’extraire du concret pour transformer l’idée en objet. Le travail de chacun est devenu l’accomplissement de tous. Cette conception émerge de plus en plus, alors que décline la géographie industrielle héritée. À Magdebourg, aujourd’hui, un centre commercial et ludique est implanté sur le site originel de MWF et à Illkirch-Graffenstaden, un secteur d’habitat collectif a remplacé l’U.G. Les mutations conceptuelles se lisent aussi dans le paysage.

NACH 1945

QUI RÉGIT LE TRANSPORT RHÉNAN DEPUIS 1945 ? Concurrence ou complémentarité entre les organisations internationales, les États et les acteurs privés sur le Rhin de 1945 à nos jours Sylvain Schirmann Résumé Au lendemain de la Seconde Guerre mondiale, la CCNR retrouvait ses droits sur le Rhin. Le contexte avait cependant changé. La création de la Commission économique des Nations unies pour l’Europe en 1947 et ses attributions en matière de transport et de développement économique du continent empiétèrent sur les compétences de l’instance rhénane. La volonté de l’Organisation internationale du travail (OIT) de doter la batellerie d’une sécurité sociale de la profession constitua une menace supplémentaire pour la CCNR, dont le rôle est de fixer les conditions de la navigation sur le Rhin. Davantage encore, c’est la naissance et le développement de l’Europe communautaire qui inquiétèrent la Commission centrale. Si les organisations des Nations-Unies s’effacèrent assez rapidement, la « rivalité » CCNR-Europe communautaire perdura. D’une phase de concurrence et d’affirmation des prérogatives réciproques, on est passé progressivement à un travail autant que possible en bonne intelligence et en quête d’un modus vivendi qui laisse sa place aux deux instances sur le Rhin. Une forme de complémentarité et de partage des rôles s’est ainsi développée. Le Rhin reste ainsi « un espace cogéré ».

Zusammenfassung Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt die ZKR ihre Rechte am Rhein zurück. Der Kontext hatte sich jedoch verändert. Die Schaffung der Wirtschaftskommission der Vereinigten Nationen für Europa im Jahr 1947 und ihre Zuständigkeiten auf dem Gebiet der Verkehrs- und Wirtschaftsentwicklung des Kontinents griffen in die Zuständigkeiten der Rheinbehörde ein. Die Bereitschaft der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die Binnenschifffahrt mit sozialer Sicherheit zu versorgen, stellte eine zusätzliche Bedrohung für die ZKR dar, deren Aufgabe es ist, die Bedingungen für die Rheinschifffahrt festzulegen. Mehr noch, die Entstehung und Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft beunruhigte die Zentralkommission. Wenn sich die Organisationen der Vereinigten Nationen schnell genug zurückzogen, wird die Rivalität zwischen Europäischer Gemeinschaft und ZKR weiter bestehen. Nach einer Phase des Wettbewerbs und der Bekräftigung der gegenseitigen Vorrechte ging man schrittweise zu einem größtmöglichen Zusammenleben in gutem Einvernehmen über und suchte nach einem Modus vivendi, der beiden Institutionen Raum lässt. Somit entwickelte sich eine Form der Komplementarität und Rollenverteilung. Der Rhein bleibt somit „ein mitverwalteter Raum“.

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Créée au Congrès de Vienne en 1815, la Commission centrale de navigation sur le Rhin (CCNR) a longtemps défini seule le régime des transports sur le Rhin1. La Convention de Mannheim de 1869 en avait fixé le cadre. Cela n’empêcha pas les puissances riveraines de contrôler l’artère fluviale et de faire du fleuve un enjeu de leurs rivalités : entre le Royaume des Pays-Bas, la Prusse et la France d’abord au XIX° siècle, avant que s’en suivent deux périodes, l’une marquée par une domination allemande de 1871 à 1918, l’autre par l’hégémonie française à partir de 1918. Tout change en 1945. Si la CCNR est reconduite au lendemain de la Seconde Guerre mondiale, elle doit dorénavant composer avec d’autres organisations en charge des transports : les organismes interalliés tout d’abord, dans le cadre des zones d’occupation, amènent un nouvel acteur sur le Rhin, les États-Unis ; les Nations Unies ensuite créent un ensemble de structures importantes à plus d’un titre pour le transport rhénan. Dès les années 1950, une nouvelle réalité s’impose encore à elle : la naissance de l’Europe communautaire, son affirmation progressive et surtout sa perspective d’un marché de plus en plus intégré pose la question d’une politique européenne des transports. Pour affirmer ses prérogatives face à une telle diversité d’instances légitimes en matière de transports, la CCNR peut-elle compter sur ses États-membres ? Certains sont membres de toutes les organisations évoquées. Ou doit-elle s’appuyer sur les bateliers, les armateurs du Rhin attachés au régime issu de la Convention de Mannheim ? C’est le jeu entre ces différentes organisations qui imprima progressivement la réalité du transport rhénan à partir de 1945, un jeu fait de rivalités, d’alliances objectives, de complémentarités. La chronologie impose de s’intéresser d’abord aux organismes interalliés, avant d’aborder les relations entre la CCNR et les organisations des Nations-Unies. La menace la plus importante pour l’institution strasbourgeoise vient enfin, dès son développement, de l’Europe communautaire. I Les organismes interalliés eurent une existence éphémère en matière de navigation rhénane. Beaucoup plus conflictuels mais aussi plus fructueux pour la CCNR furent ses rapports avec les structures des Nations Unies. Si le siège de la CCNR reste à Strasbourg en 1945, la réalité du pouvoir sur le Rhin appartient dorénavant aux trois puissances occupantes riveraines de l’artère fluviale. Elles ont créé dans l’urgence des organismes pour à la fois faciliter le trafic et « nettoyer » le fleuve des débris, carcasses qui empêchent une naviga1

Sur cette question : Jean-Marie Woehrling / Sylvain Schirmann / Martial Libera (dir.), CCNR 1815–2015, 200 ans d’histoire, Strasbourg, CCNR, 2015, notamment les chapitres 4, 5 ; Willem van Eysinga / Henri Walther, La Commission centrale de navigation du Rhin, Strasbourg, CCNR, 1974 ; Gérard Kuster, Le statut international de la navigation du Rhin et la Communauté économique européenne, Strasbourg, mémoire IHEE, 1973 ; Centre universitaire des Hautes études européennes (dir.), Le Rhin, son évolution depuis la 2ème Guerre mondiale et son avenir, Actes du colloque des 27, 28 et 29 mai 1960, Strasbourg, Imprimerie strasbourgeoise, 1960.

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tion. Chaque puissance entend, dans sa zone, remplir cette mission. La France, par exemple, s’appuie sur son organisme qui siège à Mayence. Celui des Britanniques s’installe à Duisbourg. Eltville accueille celui des Américains et en même temps un comité tripartite commun aux trois Alliés occidentaux. Le 14 août 1945, le Rhine Interim Working Committee britannique obtient des prérogatives importantes. Il est chargé d’établir des prévisions en matière de trafic et de décider de l’utilisation de la voie fluviale. À lui d’harmoniser les règlements des trois zones et de réunir régulièrement les acteurs du trafic rhénan (États, militaires et compagnies fluviales). Il introduit ainsi une forme de dirigisme, là où la Convention de Mannheim prévoyait la liberté. Ce comité est transformé en février 1947 en Comité temporaire pour le trafic rhénan. Si les États riverains du Rhin y siègent avec un droit de vote, la CCNR y est, elle, admise comme observateur, sans droit. Cette situation prend fin en mars 1949 avec la perspective de la création de la République fédérale d’Allemagne (RFA). Le comité temporaire se dissout et l’instance strasbourgeoise prend en charge l’organisation du transport sur le Rhin. Mais la présence américaine au sein de la CCNR, tout comme celle du Royaume-Uni, prouve pleinement que la navigation rhénane n’est pas encore complètement abandonnée aux puissances riveraines. Au cours de cette période, la CCNR doit également faire face aux instances des Nations Unies. Elle se trouve d’abord confrontée à la Commission économique pour l’Europe des Nations Unies, créée le 20 mars 1947. L’objet de cette nouvelle structure concernait la reconstruction et le développement économique de l’Europe. L’organisation des transports européens faisait à ce titre partie de ses domaines de compétence. Dès mai 1947, elle envisage même la constitution d’une Commission européenne des transports qui voit le jour la même année. Dès lors surgit la question des rapports de la CCNR avec l’organisation des transports de la Commission économique pour l’Europe. Mais CCNR comme Commission économique dépendent également du Bureau international du Travail (BIT) qui a la haute main en matière de sécurité sociale et de conditions de travail des bateliers. C’est donc, en fin de compte, l’ensemble des relations entre la CCNR et les organisations internationales sises à Genève qu’il faut définir. Les questions sociales figurent au premier rang des discussions entre Strasbourg, la Commission économique pour l’Europe, le BIT et par conséquent le Comité économique et social des Nations Unies. Sur la question de la sécurité sociale et des conditions de travail des bateliers du Rhin, l’incompréhension résulte de la nécessité de faire figurer, ou non, la CCNR dans le processus d’élaboration d’un tel dispositif. Si pour la direction du BIT (c.-à-d. son directeur général), le concours de la CCNR était indispensable, les organisations plus paritaires (Conseil d’administration du BIT, ou encore Comité économique et social), estimèrent quant à elles, sous la pression des organisations socio-professionnelles, syndicats notamment, qu’une organisation non paritaire n’avait pas à y figurer. C’est grâce au soutien de la Commission économique pour l’Europe, et de son organisation des transports, que la CCNR put siéger à titre consultatif à la conférence tripartite. Il faut dire que, sur cette question, elle et la CCNR pouvaient être des alliés objectifs. Les deux instances avaient intérêt, pour des raisons opposées, à l’adoption d’une règlementation européenne uniforme sur les conditions de travail et les règles de sécurité sociale

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en matière de transport intérieur2. La première, située à Genève, pouvait en faire le point de départ d’une politique de concurrence en matière de transport ; la seconde, à Strasbourg, empêchait par ce biais d’imposer sur le Rhin des règles qui le placeraient en situation de concurrence défavorable par rapport à d’autres voies fluviales, voire d’autres modes de transport. Des divergences apparurent parfois sur ces questions avec certains États : la jeune Allemagne de l’Ouest fit ainsi remarquer dès 1950 qu’une règlementation sur le Rhin aurait de telles conséquences sur la navigation intérieure allemande qu’elle ne pourrait pas l’adopter si elle devait entraîner des charges sur les autres voies navigables d’Allemagne. De leur côté, Bruxelles et La Haye mirent en avant le régime du Benelux qui considérait les transports entre Anvers et Rotterdam comme des transports intérieurs. Pourrait-on alors leur imposer les mêmes règles sociales qu’aux transports internationaux sur le Rhin3 ? La complexité des questions à résoudre dans le cadre de ce régime redonna finalement poids et place à la CCNR. Les accords de 1949 qui règlent les modalités de sécurité sociale et de conditions de travail pour les bateliers instituèrent des commissions tripartites chargées de leur gestion. Ces organismes comprennent des représentants gouvernementaux, des employeurs et des salariés. Les mêmes accords prévoient l’instauration d’un organe arbitral permanent. Le secrétariat en est assuré par le secrétariat de la CCNR. L’instance strasbourgeoise put ainsi dès 1949 transformer une situation délicate au départ en renforcement de son rayonnement, puisqu’elle ne se prive pas d’utiliser les conférences tripartites consultatives (gouvernements, patronat, syndicats), que les accords permettent, pour en faire le lieu du dialogue social sur le Rhin. La CCNR assure également le secrétariat du Centre administratif international prévu par les accords de 19494. Un second point de friction entre Genève et Strasbourg concerne le modèle d’organisation des transports à l’échelle européenne. L’idée de la Commission économique pour l’Europe est d’utiliser au maximum et dans les meilleures conditions 2

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Sur ces discussions sociales, voir Archives de la CCNR, Protocole des séances, sessions de 1948, 1949, 1950. Les sessions de 1948 : 1re session du 6 au 8 avril 1948, 2e session du 30 juin au 1er juillet 1948, 3e session du 9 au 11 novembre 1948 ; les sessions de 1949 : 1re session du 1er au 3 mars, 2e session du 11 au 13 juillet, 3e session du 19 au 22 octobre, 4e session du 28 au 30 novembre ; les sessions de 1950 : 1ère session du 18 au 21 avril, 2e session du 11 au 13 juillet, 3e session du 25 au 27 octobre. Intervention de M. Steiermann, délégué de la RFA devant la CCNR, le 11 juillet 1950, Archives de la CCNR, Protocole des séances, 2e session, juillet 1950 ; voir également Archives de la CCNR, Protocole des séances 1950, 1re session, avril 1950, le protocole n° 9 du 20 avril 1950 sur les conditions économiques de la navigation. Également la lettre de la délégation néerlandaise au secrétaire général de la CCNR du 21 février 1950, jointe en annexe au précédent protocole. Enfin, Protocole des séances, 4ème session, novembre 1949, protocole 3, Débat autour d’une plainte de la Chambre de commerce de Rotterdam, le 28 novembre 1949. De longs débats et discussions sur la sécurité sociale des bateliers rhénans, leurs conditions de travail et le dialogue social, Archives de la CCNR, Protocole des séances 1949, 1re session, mars 1949, 2e session, juin 1949, protocole 2 du 28 juin 1949, 3ème session octobre 1949, protocole 2 du 31 octobre 1949, 4e session, novembre 1949, protocole 5, 28 novembre 1949. L’accord de 1949 concernant la sécurité sociale des bateliers rhénans a été adopté par la Conférence gouvernementale le 27 juillet 1950, en même temps que celui sur les conditions de travail des bateliers rhénans.

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possibles les moyens de transport disponibles, et d’orienter par des méthodes appropriées le trafic vers ceux qui sont économiquement les plus avantageux pour le monde européen. Partant de là, il s’agit également de procéder à des investissements rentables et notamment éviter le double investissement fort coûteux5. Grâce à cet effort, on peut déboucher sur une concurrence « saine » entre les différents modes de transport. L’OECE partage, à la même époque, les mêmes vues. Et Genève, comme le château de La Muette, a besoin, dans cette perspective, de la coopération de la CCNR. La Commission économique pour l’Europe insiste alors sur l’intérêt, pour la navigation rhénane, de participer à un tel dessein, tant dans son intérêt propre que dans celui de l’économie européenne. Il ne faut pas s’attacher, explique le directeur du Comité des transports de ladite Commission, « à des idées préconçues, s’arrêter à des formules qui ont pu, par leur ancienneté et les résultats heureux de leur application, paraître définitives, mais qui ne peuvent plus répondre aux besoins de l’heure dans une économie appauvrie par des destructions de la guerre et dont le rétablissement appelle une coordination de tous les moyens de transport »6. On l’aura compris, Genève souhaite que l’on revienne sur l’Acte de Mannheim, qui régit, depuis près de 80 ans, la navigation sur le Rhin. Cette position suscite maints débats au sein de la CCNR. Elle recueille l’assentiment des États-Unis et du Royaume-Uni. Sir Mance, le délégué britannique, explique ainsi que « quand dans la navigation rhénane, les choses auront été mises en ordre et qu’il en sera de même dans les chemins de fer, on pourra essayer de discuter des tarifs communs ou combinés »7. La perspective ne peut que plaire aux Américains puisque le système préconisé par la Commission économique pour l’Europe s’inspire de ce qui est en vigueur outre-Atlantique. Mais ce dirigisme de grande échelle – pour résumer la pensée du délégué suisse Schaller – irrite également de nombreux membres8. Ces États espèrent maintenir une fixation des tarifs rhénans sur la base d’une acceptation volontaire par la profession. C’est à cette fin que servent les nombreuses réunions de la navigation rhénane. Or Genève propose l’établissement de tarifs sur la base d’accords entre États ou de conventions internationales. Ces États souhaitent ainsi un exposé des mesures, suivi d’une analyse de ces mêmes mesures avant de remettre en question la Convention de Mannheim. Deux modèles d’organisation des transports s’affrontent ici dès la sortie de la guerre : celui de l’organisation des marchés sous tutelle d’une administration internationale qui organise une concurrence entre les différents modes de transport et qui, de ce fait, rationalise son organisation, et celui de la constitution d’un cartel privé de bateliers qu’une administration régionale place dans des conditions homogènes. Organisation d’après-guerre, contre organisation de l’entre-deux-guerres ! 5 6 7 8

Archives de la CCNR, Protocole des séances 1947, 2e session, mai 1947, protocole 9, 8 mai 1947. Archives de la CCNR, Protocole des séances 1950, 3e session, octobre 1950, protocole 2, 27 octobre 1950, Questions économiques. Le protocole 2 ci-dessus comporte un compte-rendu du Comité économique de la CCNR du 22–23 septembre 1950 à Bâle. Ibid. On peut également se référer à d’autres interventions du délégué suisse : le 20 avril 1950, le 12 juillet 1950, le 4 avril 1951.

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II Que faire, face à ces menaces ? La CCNR compte s’appuyer sur les acteurs de la navigation rhénane (États-membres, professionnels de la navigation, acteurs économiques rhénans) et favoriser une réécriture par les gouvernements de la Convention de Mannheim. Face aux difficultés économiques de l’espace économique rhénan au lendemain de la Seconde Guerre mondiale, confronté à certains États qui dans ces conditions souhaitent remettre en question le régime de la liberté sur le Rhin, la CCNR se soucie à la fois de la flotte rhénane et du développement de l’espace rhénan. Ses responsables demandent aux États membres, en juillet 1951, de créer une conférence économique de la navigation sur le Rhin. La première session de cette conférence se tient à Strasbourg de février à octobre 1952. Dès ses premiers travaux, elle cherche à instaurer les conditions d’un équilibre entre l’offre et la demande en matière de transport sur le Rhin. Mais elle tente également de favoriser la coopération avec les autres modes de transport de l’espace. Enfin, l’un de ses objectifs majeurs reste la proposition de mesures contre la crise du fret rhénan. Cela pourrait passer par des pools de trafic, voire des conventions sur le fret. Une seconde session de la conférence de juillet 1959 à octobre 1960 fait le point sur les réalisations obtenues depuis 1952. Peu de progrès ont été effectués en matière de lutte contre la crise. La CCNR envisage toujours de créer une structure qui organise la profession sur le Rhin, structure à laquelle l’adhésion des professionnels serait obligatoire. Elle aurait, pour l’organisation strasbourgeoise, l’avantage de réguler l’emploi, et d’équilibrer l’offre et la demande. Cette cartellisation qu’elle souhaite devra se faire hors de l’intervention des pouvoirs publics. Il faut cependant sonder gouvernements et consortiums de navigation. Mais, de ce côté-là, il y a moindre empressement. La conférence de 1963 tente de dépasser cet échec relatif. Elle se propose de créer une Union de navigation internationale rhénane (UNIR). Celle-ci regrouperait l’ensemble de la batellerie rhénane, par des mesures d’auto-organisation et d’autofinancement, pour résorber le déséquilibre entre offre et demande. Elle agirait sur les capacités, sur les constructions nouvelles et les déchirages de vaisseaux. Elle se préoccuperait de l’uniformisation du droit privé de la navigation. Derrière ce projet, il y a une motivation politique : peser sur la politique des transports de la jeune Europe communautaire avec le soutien de la CCNR. On retrouve les mêmes préoccupations dans la réforme de la convention de Mannheim. La construction européenne, tout comme les fortes croissances économiques des années 1950 obligent les États membres à reconsidérer le fonctionnement de la Convention de Mannheim. Souhaitée dès 1956 par la RFA, la révision de la Convention oppose Paris à Bonn. Signée le 20 novembre 1963, la modification de l’acte de Mannheim supprime la présidence permanente accordée jusqu’alors à la France au profit d’une présidence tournante entre les États. Le nouveau texte permet à la Suisse de régulariser sa situation d’État contractant. Les États-Unis se saisissent également des discussions autour de la révision de l’Acte pour quitter la CCNR en 1964. La principale évolution concerne cependant la fonction judiciaire de la CCNR. Dorénavant le nouveau dispositif confie les appels concernant

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la navigation rhénane à une Chambre des appels, composée d’un juge et d’un juge suppléant par État. Jusqu’alors le pouvoir exécutif et le pouvoir judiciaire étaient regroupés en la personne des commissaires. Les juges, nommés désormais pour six ans par la CCNR sur proposition des États, sont irrévocables. La création de cette instance judiciaire renforce l’intégration des États en supprimant la frontière étatique en matière pénale sur le Rhin. Elle permet aussi pour les États membres de la CEE de s’affranchir, pour la navigation rhénane, de la Cour de justice des communautés, car dès la naissance de l’Europe communautaire, il y a confrontation entre la CECA/CEE et la CCNR9. III Dès la création de la Communauté européenne du charbon et de l’acier (CECA), la CCNR avait déjà manifesté son intention de préserver un statut rhénan qui avait, pour elle, fait ses preuves tant sur le plan économique que politique. Elle avait non seulement à sauvegarder les intérêts de la batellerie rhénane, essentielle à l’économie européenne, mais également à défendre les prérogatives de la Suisse, État non membre de l’Europe communautaire. Elle souhaitait donc être associée aux mesures communautaires qui pouvaient influencer la navigation rhénane (politique tarifaire, par exemple). Il fallut plusieurs années pour parvenir à un modus vivendi avec la Haute Autorité de la CECA. L’accord de Petersberg de 1957 amena ainsi les États riverains du Rhin membres de la CECA à envisager l’harmonisation des frets nationaux. Des négociations s’ouvrirent ensuite entre la Haute Autorité et la Suisse pour étendre le dispositif de Petersberg à la Confédération. Mais la ratification n’aboutit pas. La CCNR prit dès lors des initiatives concluantes. Pour elle, la solution se trouvait dans un règlement d’ensemble à négocier dans le cadre de la Conférence économique de la navigation dont les travaux remontaient à 1952. Dès lors, au début des années 1960, des relations s’établirent entre CECA et CCNR : des observateurs CECA auxquels les ordres du jour furent communiqués à l’avance participèrent dorénavant aux sessions de l’instance internationale, si, bien évidemment, celles-ci s’intéressaient aux frets de l’acier et du charbon, seuls objets de la CECA. Les relations avec la CEE concernent bien sûr une échelle plus vaste. Les attributions du Marché commun en matière de transport inquiètent en effet les États non-membres des Communautés. À deux reprises, en 1959, puis en 1960, une délégation de la CCNR se rend à Bruxelles pour discuter avec la Commission et la Direction générale. Elles débouchent en 1961 sur un échange de lettres entre Walter Hallstein, le président de la Commission européenne, et le président de la CCNR, Fouques-Duparc. Le Conseil de la CEE ayant adopté le règlement relatif aux discriminations dans les transports, la CCNR arrête, en coopération avec la Commission, un règlement rhénan assurant – conformément au règlement communautaire – l’uniformité des dispositions applicables à la navigation sur le Rhin. 9

Voir Woehrling/Schirmann/Libera (dir.), CCNR (note 1), p. 158 et suiv.

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Celles-ci furent ensuite sont ensuite adaptées pour permettre à la Suisse d’accepter la règlementation. Bruxelles en fut mécontent et le règlement communautaire resta sans effet sur le Rhin. Si le traité CEE préconise l’élaboration d’une politique commune en matière de transport, celle-ci ne peut pas ne pas intéresser la CCNR. L’instance strasbourgeoise souhaite en effet s’y impliquer : elle espère que les projets de la profession des bateliers rhénans et les siens pourront contribuer à un régime durable et équilibré sur le Rhin. Cela amène Bruxelles à participer, par un observateur de la Direction générale des transports, aux travaux de la CCNR. Même si la CEE est méfiante à l’égard de la CCNR, cette participation permet au début des années 1960 de sauvegarder l’unité du système rhénan, la navigation suisse ne pouvant faire l’objet d’un arrangement particulier. Reçu le 6 juin 1961 à la Commission centrale, Walter Hallstein, le président de la Commission de la CEE, déclare au président de la CCNR, Jacques FouquesDuparc : « Nous ne saurions oublier que depuis bientôt cent ans l’Acte de Mannheim régit la navigation sur le Rhin selon des principes proches de ceux qui ont également inspiré notre traité de Rome. D’un côté comme de l’autre, on trouve, en effet, le principe de l’égalité de traitement, de l’absence de discriminations et surtout de la liberté que, comme vous le savez, nous souhaitons placer à la base de notre politique de transport à l’intérieur de la Communauté ». Le président Hallstein aspire surtout à apaiser des relations qui s’étaient crispées suite à l’entrée en vigueur du règlement 11 de la CEE et de l’orientation de sa politique des transports. Si Bruxelles ne souhaite pas de discrimination et entend exercer un contrôle sur le Rhin, elle aimerait également tendre vers une judicieuse répartition des tâches entre les différents modes de transport intérieurs par une concurrence accrue entre eux. Or pour la CCNR et les bateliers, les conditions d’une concurrence loyale ne sont pas remplies, puisque le transport ferroviaire bénéficie, dans la plupart des États de la CEE, de subventions étatiques. Un groupe de travail CEE-CCNR se réunit alors à Bruxelles, le 29 janvier 1963 pour tenter de trouver une solution. La Commission centrale y insiste sur trois aspects. Il faudrait selon elle établir un état des tarifs des différents modes de transport et analyser les répercussions de cette grille tarifaire sur la navigation rhénane. Mais elle développe également un argumentaire juridique. L’Acte de Mannheim interdisant aux États de taxer différemment les marchandises importées par la voie rhénane par rapport aux autres frontières, les États signataires du traité de Rome peuvent-ils dès lors combattre la navigation rhénane par le biais des chemins de fer pour l’essentiel nationalisés ? Enfin la CCNR interroge les États sur leur modèle d’organisation des transports nationaux. Les propositions élaborées par Bruxelles s’inscrivent dans le cadre d’une politique commune des transports. Elles visent à instaurer un système de tarifs à fourchettes applicables dans les trois modes de transport. Elles préconisent de réserver dans le cadre de la CEE un contingent pour le transport par voie routière. Elles envisagent l’harmonisation des dispositifs règlementaires et des délivrances d’autorisation pour les transports. Enfin la CEE souhaite lancer une enquête sur les coûts des infrastructures des différentes voies : fluviale, routière et ferroviaire.

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Dès lors – et ce à partir de l’automne 1963 – la question de la politique commune des transports de la CEE est l’objet de discussion entre les États membres de la CCNR. Suisses et Britanniques sont favorables au maintien des principes du régime rhénan : liberté de navigation et unité du régime. Ce régime est de surcroît antérieur d’un siècle au traité de Rome. Pour l’Allemagne et les Pays-Bas, les textes de Rome et de Mannheim ne sont pas incompatibles. La profession elle-même est plus que dubitative et à travers la Conférence économique de la navigation rhénane sort un contre-projet, celui de créer une Union de navigation internationale rhénane (UNIR). Les buts de l’UNIR seraient de sauvegarder les intérêts de la navigation rhénane auprès de toutes les autorités intéressées, d’encourager la discussion entre les professionnels de la navigation intérieure et de favoriser la politique commune des transports. L’Union compte agir sur les capacités, sur les constructions nouvelles et les déchirages de vaisseaux, sur l’uniformisation du droit privé de la navigation. Bref la profession envisage un cartel pour peser sur l’évolution de la politique des transports de la CEE et ce, avec l’aide de la CCNR. Mais cette proposition ne trouve qu’un accueil mitigé au sein de la CEE, alors qu’elle suscite un intérêt évident auprès de la Commission centrale. Au printemps 1965, Bruxelles fait à nouveau part de sa volonté d’harmoniser les régimes de transport entre les États membres de la CEE. Il lui appartient notamment d’assurer l’intégration des trois modes de transport des Six. Mais cette politique implique également des accords avec les États voisins de la Communauté, dont la Suisse. Le plan communautaire adopté par le Conseil le 22 juin 1965 souhaite parvenir à une organisation commune du marché des transports en trois étapes. Plusieurs domaines règlementaires sont concernés : l’accès à la profession, le contrôle de la capacité des transports, le régime des ententes, l’imputation du prix des infrastructures. Le rapprochement dans ces secteurs devra intervenir dans un délai de trois ans à partir de l’entrée en vigueur du système. L’harmonisation des conditions de concurrence proviendra de l’équilibre financier des chemins de fer qui devra être réalisé avant la fin de l’année 1972. Ce retour à l’équilibre marque l’achèvement de la deuxième étape. Les États disposent bien évidemment d’une clause de sauvegarde, si les intérêts économiques nationaux sont menacés au cours de la mise en place de cette harmonisation. L’application d’une telle politique suppose, sur bien des aspects techniques, des discussions avec la CCNR, car Bruxelles espère éviter les questions juridiques et institutionnelles, notamment celles relatives aux compétences respectives de la CEE et de la CCNR. Ces discussions posent des difficultés à certains États. La Suisse tout d’abord veut à la fois préserver le régime rhénan et résoudre le problème des États tiers, non membres de la CEE. Elle préconise, pour éviter toute incompatibilité entre certaines mesures et l’Acte de Mannheim, que les nouvelles règlementations ne soient introduites que par une convention conclue entre tous les États membres de la CCNR. Elle s’oppose plus particulièrement aux tarifs à fourchettes, évoqués par la Commission. La délégation suisse ne peut guère accepter qu’entre la CEE et la CCNR ne soient traitées que des questions techniques. Pour elle les attributions de l’instance strasbourgeoise sont également politiques. Et d’insister : « la compétence de la CCNR est totale et globale [sur les projets rhénans] et il ne peut y avoir de responsabilité différenciée et limitée aux questions techniques ». Ce point de vue

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est également partagé par le Royaume-Uni. Les États à la fois membres de la CCNR et de la CEE insistent sur le conflit de compétences entre les deux institutions, mais relèvent également que la CCNR a une responsabilité limitée au Rhin, alors que la CEE a une compétence générale sur les transports, qui s’étendent au Rhin, mais à bien d’autres voies également. Ces compétences, comme le relève le délégué allemand von Haeften en janvier 1967, « s’arrêtent à Bâle et ne s’étendent pas à la Suisse ». Une entente entre les deux institutions est donc indispensable. Cela suppose, pour le délégué belge Devadder, un acte commun, « une solution de fait qui pourrait éventuellement s’intégrer dans un plan général de la Communauté puisque les États membres de la CEE et membres de la CCNR sont liés par les deux traités et doivent pouvoir conjuguer leurs obligations de part et d’autre ». Mais pour la Suisse, il s’agit d’aboutir à ce que CCNR et CEE travaillent sur un pied de parfaite égalité. Dès le mois d’avril 1967, la Commission explique qu’à partir du 1er juillet 1968, tous les droits de douane auront été supprimés pour les marchandises circulant à l’intérieur de la CEE. À cette même date, le marché commun agricole sera réalisé. Ces dispositifs auront nécessairement des conséquences sur la politique des transports. Pour la Commission – et cela ressort de la réunion de travail entre la direction des transports de la CEE et une délégation de la CCNR – l’accès au marché s’applique à l’ensemble des voies navigables de la Communauté. Et donc au Rhin ! Et cet accès suppose une concurrence entre les différents modes de transport. Pour la CCNR, l’application des règles communautaires doit, comme le rappelle un courrier de von Haeften, alors président de la CCNR, conserver la pratique des pools sur le marché rhénan. D’autre part, la commission centrale souhaite être associée à l’élaboration des règles communautaires. Plusieurs pistes sont évoquées par la CCNR au début de l’année 1969. La conclusion d’un traité d’États permettrait de prendre des mesures de règlementation de la capacité et de modifier le régime de Mannheim. D’autres encore souhaitent que la CEE en tant que telle soit partie prenante de l’Acte de Mannheim. Toujours en janvier 1969, Bruxelles envisage d’utiliser un régime dérogatoire qui s’appliquerait au Rhin. Un régime international spécifique existant pourrait être évoqué dans tous les pays où un transport commence et prend fin en dehors du territoire de la CEE. Parmi ces régimes, si on se fie à l’article 9 de sa convention, pourrait figurer l’Acte de Mannheim. Cela éviterait l’application de régimes successifs. Des séances de travail communes entre la CCNR et la CEE au cours des années 1970 permettent d’aboutir à une règlementation acceptable sur la question du transit, de la capacité, des douanes et des questions sociales jusqu’à ce que la création du marché unique et de l’Espace économique européen relancent la question des rapports CCNR – Europe communautaire. Si les deux parties restent sur leurs positions, elles n’en veillent pas moins à éviter une confrontation directe. Leurs fréquentes oppositions se sont pour l’instant toujours soldées par un compromis pragmatique. Mais la question qui se profile depuis l’entrée en vigueur de l’Acte unique et du traité de Maastricht, c’est la question de savoir si la CCNR ne devait pas se transformer en une sorte d’organe technique de la Commission. Pour Bruxelles en effet le droit communautaire s’imposait aux États-membres, y compris en matière de transport rhénan. L’UE se trouvait donc en

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position de leadership par rapport à la CCNR. Mais pour cette dernière son autonomie est garantie non seulement par la Convention de Mannheim, par l’existence d’un État-membre non partie prenante à l’UE, la Suisse, et, par ses compétences acquises en presque deux siècles d’existence. Elle entend donc conserver prérogatives et identité propres. Elle est, de son point de vue, à l’opposé des lourdeurs administratives de l’administration de l’UE. Dès lors la seule issue possible reste l’échange de vues entre les deux organisations. Peut-on envisager un traité international entre l’UE et la CCNR ? L’instance strasbourgeoise le souhaite ; Bruxelles moins, ne répondant pas formellement à la proposition de la CCNR dans ce sens adressée à la Commission en 2010. Ou alors, comme le souhaite depuis 2003 la Commission, peut-on imaginer l’adhésion de l’UE (la Commission) à la CCNR et à la Commission du Danube, selon la recommandation faite par la Commission au Conseil en 2003 ? Les Etats de la CCNR sont cependant réticents à suivre cette perspective, car ils n’ont pas l’intention de laisser l’UE se substituer à la CCNR. À moins que l’UE n’accepte et adhère à l’Acte de Mannheim ! Difficile pour la Commission, sans remettre en question des éléments de sa politique des transports dans le cadre de la politique de concurrence. Dès lors les relations entre les deux organisations ne peuvent s’inscrire que dans le champ des coopérations concrètes : harmonisation règlementaire, observation du marché, arrangements administratifs, promotion du développement durable10. Au lendemain de la Seconde Guerre mondiale, la CCNR retrouvait ses droits sur le Rhin. Le contexte avait cependant changé. La création de la Commission économique des Nations unies pour l’Europe en 1947 et ses attributions en matière de transport et de développement économique du continent empiétèrent sur les compétences de l’instance rhénane. La volonté de l’Organisation internationale du travail (OIT) de doter la batellerie d’une sécurité sociale de la profession constitua une menace supplémentaire pour la CCNR, dont le rôle est de fixer les conditions de la navigation sur le Rhin. Davantage encore, c’est la naissance et le développement de l’Europe communautaire qui inquiétèrent la Commission centrale. La CECA avait des attributions précises en matière de fixation des prix des transports sidérurgiques et charbonniers qu’elle entendait appliquer, y compris sur le Rhin. La Communauté économique européenne (CEE) lança, quant à elle, dès le début des années 1960 une politique européenne des transports, dont la CCNR pouvait prendre ombrage, car elle était destinée à tous les modes de transport. Cette politique inquiétait la batellerie rhénane, qui esquissa en réponse une tentative de cartellisation de la navigation sur le Rhin. L’Acte unique en 1986 et la constitution du marché unique européen au début des années 1990, le traité de Maastricht en 1992 (notamment dans le premier pilier, les clauses consacrées à la liberté de circulation), tout cela conduisit à faire de la CCNR une institution « cernée ». Si les organisations des Nations Unies s’effacèrent assez rapidement, il n’empêche qu’elles contribuèrent à créer avec l’aide de la CCNR un « embryon » d’Eu10

Voir au sujet de cette partie 3, le chapitre 5 rédigé par Sylvain Schirmann, « La CCNR dans le contexte de la construction européenne 1963–2000 » et le témoigne de Jean-Marie Woehrling, ancien secrétaire général de la CCNR in : Woehrling/Schirmann/Libera (dir.), CCNR (note 1), p. 196–239.

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rope sociale le long du Rhin, par à la mise en place d’un régime unique de sécurité sociale des bateliers rhénans. Plus longue est la « rivalité » entre CCNR et Europe communautaire. D’une phase de concurrence et d’affirmation des prérogatives réciproques, on est passé progressivement à un travail autant que possible en bonne intelligence et en quête d’un modus vivendi qui laisse sa place aux deux instances sur le Rhin. Une forme de complémentarité et de partage des rôles s’est ainsi développée. Le Rhin reste ainsi « un espace cogéré ».

LES RELATIONS DES CHAMBRES DE COMMERCE FRANÇAISES ET ALLEMANDES SUR LE RHIN SUPÉRIEUR De 1945 à la fin des années 1970 Martial Libera Résumé De 1945 à la fin des années 1970, les relations entre les chambres de commerce frontalières françaises et allemandes sur le Rhin supérieur oscillent entre confrontation, coopération et concurrence. Elles suivent un cours propre, souvent distinct des relations interétatiques. Leurs rapports sont largement déterminés par des contraintes extérieures, comme la construction européenne ou la crise de 1973, auxquelles les compagnies s’adaptent en privilégiant plusieurs formes de « coopération consulaire transfrontalière ». Pour défendre leurs intérêts, elles mobilisent leurs réseaux, utilisent leur capacité d’expertise et interviennent aux niveaux de décision – locaux, régionaux, nationaux, franco-allemands, européens – les plus adaptés.

Zusammenfassung Zwischen 1945 und dem Ende der 1970er Jahre schwankten die Beziehungen der deutschen und französischen Industrie- und Handelskammern am Oberrhein zwischen Konfrontation, Kooperation und Konkurrenz und sie entwickelten sich recht unabhängig von den Beziehungen zwischen den beiden Staaten. Das Verhältnis der deutschen und französischen IHK wurde von äußeren Zwängen wie der europäischen Integration oder der Krise der 1970er Jahre bestimmt. Als Antwort auf diese Ereignisse entwickeln die IHK unterschiedliche Formen grenzüberschreitender Zusammenarbeit. Zur Verteidigung ihrer Interessen mobilisierten sie ihre Netzwerke, nutzten ihre Expertise und handelten auf der jeweils geeigneten (i. e. lokalen, regionalen, nationalen, deutsch-französischeen bzw. europäischen) Entscheidungsebene.

Acteurs parapublics, les chambres de commerce et d’industrie (CCI) – Industrieund Handelskammern –, font partie des corps économiques intermédiaires et représentent à ce titre les intérêts économiques, industriels et commerciaux de leur circonscription auprès des pouvoirs publics1. En France et en Allemagne, leurs statuts et leurs prérogatives sont proches. Les chambres de commerce ont très souvent été assimilées à des organes techniques, administratifs, n’intervenant pas dans les processus de décision. C’est ce qui explique, qu’à de rares exceptions près, les

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Voir Clotilde Druelle-Korn (dir.), Les corps intermédiaires économiques. Entre l’État et le marché, Limoges, Presses universitaires de Limoges, 2011.

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historiens, surtout en France, ont peu étudié les institutions consulaires2. Dans le champ des relations internationales et en particulier dans celui des rapports franco-allemands, le rôle des chambres de commerce paraissait également très subalterne. Sans être totalement fausses, ces représentations des chambres gagnent à être dépassées. C’est qu’en effet, tant du point de vue économique que politique, le rôle des chambres est loin d’être négligeable. En groupes de pression institutionnalisés, elles utilisent leurs vastes réseaux et leur expertise pour peser sur les décisions. Leur influence dépasse parfois même les frontières. Soit que l’importance de certaines chambres les conduit à mener une véritable politique internationale – c’est le cas, par exemple, de la CCI de Paris3 –, soit que ces compagnies se trouvent à proximité d’une frontière. C’est notamment le cas dans le Rhin supérieur. Les institutions consulaires qui y ont leur siège – en France, les chambres de Mulhouse, Colmar et Strasbourg, en Allemagne, celles de Fribourg-en-Brisgau, Lahr, Baden-Baden, Karlsruhe et Stuttgart – développent une politique transfrontalière, notamment faite de relations étroites avec leurs sœurs sises de l’autre côté de la frontière. À ce titre, elles sont actrices d’une véritable diplomatie patronale aux frontières4. Appréhender leurs relations revient évidemment à analyser leurs types de rapports – coopération, concurrence, voire confrontation – et l’évolution de ces derniers. Mais cela conduit également à comparer les relations consulaires frontalières avec les relations franco-allemandes, au niveau interétatique. Le sujet invite enfin à interroger les jeux d’échelle que les compagnies consulaires investissent pour affirmer leurs intérêts. Pour la clarté de l’exposé, les relations entre ces chambres seront historicisées en trois temps distincts : la période de l’immédiat après-guerre à la fin des années 1950, caractérisée par des relations asymétriques ; les années 1960, dominées par les enjeux européens ; les années 1970 et le début des années 1980, marquées par la crise.

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À l’exception, en France, de quelques travaux, parmi lesquels Claire Lemercier, Un si discret pouvoir. Aux origines de la chambre de commerce de Paris 1803–1853, Paris, Éditions La Découverte, 2003. En Allemagne, les études sur les chambres de commerce sont beaucoup plus nombreuses. Citons, par exemple, quelques ouvrages traitant de l’histoire de chambres bade-wurtembergeoises : Bernd Boll et Ursula Huggle (Hg.), Die Industrie- und Handelskammer Südlicher Oberrhein. Geschichte und Wirkungsfeld der Kammern Freiburg und Lahr, Freiburg, Selbstverlag der Industrie- und Handelskammer Südlicher Oberrhein, 1998 ; Wolfgang von Hippel et Frank Engehausen, 200 Jahre IHK Karlsruhe, Ubstadt-Weiher, Heidelberg, Basel, Verlag Regionalkultur, Institut für Unternehmensgeschichte, 2013 ; Harald Winkel, Geschichte der württembergischen Industrie- und Handelskammern Heilbronn, Reutlingen, Stuttgart/Mittlerer Neckar und Ulm 1933–1980. Zum 125jährigen Bestehen, Stuttgart, W. Kohlhammer, 1981. Voir plusieurs contributions dans La Chambre de commerce et d’industrie de Paris (1803– 2003), tome I : Histoire d’une institution, Genève, Librairie Droz, 2003, et Paul Lenormand (dir.), La Chambre de commerce et d’industrie de Paris (1803–2003), tome II : Études thématiques, Genève, Librairie Droz, 2008. Martial Libera, Diplomatie patronale aux frontières. Les relations des chambres de commerce frontalières françaises avec leurs homologues allemandes (1945 – milieu des années 1980), Genève, Librairie Droz, à paraître en 2018 (prix Pierre Pflimlin 2016) passim.

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LE TEMPS DES RELATIONS ASYMÉTRIQUES (DE 1945 À LA FIN DES ANNÉES 1950) De la fin de la Seconde Guerre mondiale à la création de la Communauté économique européenne (CEE) en 1957, les relations entre les chambres de commerce frontalières sont profondément asymétriques. À la Libération, les membres des compagnies françaises, expulsés en 1940, retrouvent leurs circonscriptions5. De leur côté, les chambres allemandes sont placées, à partir de 1945, sous la tutelle des autorités françaises d’occupation. Elles sont mises sous séquestre et leurs prérogatives sont, jusqu’à la création de la République fédérale d’Allemagne en 1949, très limitées6. Dans ce cadre, les initiatives entre compagnies consulaires ne peuvent venir que des chambres françaises. Leurs objectifs obéissent à une logique en partie contradictoire : dans l’immédiat après-guerre, elles sont animées d’une volonté de revanche mais l’interdépendance structurelle qui lie l’économie de l’Alsace à celle du Bade incite les compagnies alsaciennes à restaurer rapidement une coopération active avec leurs sœurs allemandes. Une volonté de revanche La volonté de revanche des compagnies consulaires alsaciennes vise à assurer en temps de paix la supériorité économique de l’Alsace sur le Bade. Bref, les membres des chambres françaises n’entendent pas se contenter de la défaite de l’Allemagne, ils tiennent également à gagner la paix. Pour ce faire, ils préconisent l’adoption de mesures à la fois politiques et économiques. Dès le 9 mai 1945, la chambre de commerce et d’industrie de Strasbourg et le directeur du Port autonome de Strasbourg réclament l’annexion définitive de Kehl à la France et, en particulier, celle de son port à celui de Strasbourg7. Pour les membres de la compagnie strasbourgeoise, l’annexion de Kehl à la France sera d’autant plus facile que la ville se trouve alors sous occupation française et que l’intégralité de ses habitants en a été expulsée. Les milieux consulaires justifient leur revendication par la concurrence déloyale que les activités portuaires de Strasbourg ont subie de la part du port de Kehl depuis sa construction en 1897, concurrence déloyale alors orchestrée par l’Allemagne impériale et entretenue ensuite par la République de Weimar puis le Troisième Reich. Pour la chambre de commerce de

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Sur l’exode forcé de 1940 et la reprise de la gestion des chambres par les Allemands, voir Pierre Eude, La chambre de commerce de Strasbourg pendant la guerre 1939–1944. Souvenirs, Strasbourg, Imprimerie alsacienne, 1949, 68 p. Voir les ouvrages cités en note 2. Courriers du directeur du Port autonome et du président de la CCI de Strasbourg au ministre des Travaux publics et des Transports, direction des voies navigables, 9 mai et 6 juin 1945, Archives départementales du Bas-Rhin (ADBR), 1356 W 47.

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Strasbourg, il est clair que l’annexion du port de Kehl constituera le moyen le plus sûr d’anéantir définitivement la concurrence portuaire du Bade8. L’initiative de la chambre et du Port autonome de Strasbourg obtient le soutien des industriels alsaciens et celui de la municipalité de Strasbourg. La compagnie strasbourgeoise bénéficie également d’une certaine influence auprès du gouvernement et de certains ministères. Elle a par ailleurs ses entrées auprès du Gouvernement militaire de la zone française d’occupation. La chambre de commerce et la municipalité de Strasbourg obtiennent ainsi que leur revendication soit reprise par le gouvernement français qui la soumet aux Alliés9. En vain. En 1949, les quatre puissances occupantes de l’Allemagne décident que le port de Kehl reviendra en 1953 à la République fédérale d’Allemagne, date de la rétrocession intégrale de la ville de Kehl à l’Allemagne. Pour autant, jusqu’en 1951, les milieux strasbourgeois dominent la gestion du port par le contrôle qu’ils exercent sur son conseil d’administration et font tout pour freiner son développement, tant sur le plan des infrastructures que sur celui du transport fluvial10. La nécessaire reprise des relations avec les compagnies allemandes Dès 1945 également, les chambres alsaciennes sont conscientes que la reconstruction de leur région ne pourra pas se faire sans la reprise des échanges économiques avec le Bade. Il existe en effet une très forte interdépendance économique entre ces territoires, fruit de leur histoire commune singulière. L’Alsace importe du Bade et, plus largement, d’Allemagne des machines-outils, des pièces de rechange pour ses machines tandis qu’elle exporte vers le Bade et le sud-ouest de l’Allemagne des biens de consommation et des produits agricoles. Reste qu’après-guerre, la reprise de ces échanges traditionnels bute sur une législation interalliée qui interdit à l’Allemagne d’échanger avec l’extérieur. La solution trouvée par les chambres de commerce d’Alsace, de Moselle et du territoire de Belfort, unies dans ce projet, consiste à mettre en place un système de clearing, qui permet d’organiser l’échange d’un certain nombre de produits et de matériels entre les régions frontalières françaises et la zone française d’occupation en dehors des plans généraux d’importation et d’exportation, gérés exclusivement par le gouvernement français. Sur l’autorisation de ce dernier, ces compagnies créent, à

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Note de la CCi de Strasbourg pour la séance du conseil municipal de Strasbourg (sans date, novembre 1947) ; note de Marc Lucius sur le port de Kehl (sans date, novembre 1947) ; procès-verbal de la séance du 27 novembre 1947 de la CCi de Strasbourg, ADBR, 1356 W 47. Courrier du ministère des Travaux publics et des Transports, direction des voies navigables, au président de la CCI de Strasbourg au, 22 juin 1945, ADBR, 1356 W 47. Note intitulée « Comment présenter la revendication française sur Kehl dans l’hypothèse où la demande d’annexion ne pourrait être maintenue », sans auteur, (note émanant d’un ministère ?), 14 septembre 1948, ADBR, 1356 W 47, et courrier du ministre des Affaires étrangères au directeur du Port autonome de Strasbourg, 2 décembre 1948, ADBR, 1356 W 42.

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l’automne 1946, un Office de compensation des chambres de commerce du Rhin et de la Moselle (OCCC)11. Dans l’esprit de ses initiateurs, le système de clearing doit surtout favoriser les provinces françaises. C’est pourquoi les chambres allemandes n’y sont pas traitées sur un pied d’égalité et ont un rôle très subalterne. Il faut attendre le printemps 1948 et la pression des événements – nouvelle politique anglo-américaine vis-à-vis des zones occidentales d’occupation ; pressions du GMZFO en faveur d’un traitement égalitaire des chambres badoises – pour que le système devienne véritablement paritaire avec la création, à Fribourg-en-Brisgau, d’une Kompensationsstelle der Industrie-und Handelskammern12. Dès lors, des deux côtés du Rhin, les chambres travaillent sur un pied d’égalité et entament une coopération fructueuse. Les années de bascule (1948–1949) Les années 1948–1949 marquent un moment de bascule dans les relations entre les chambres frontalières. Tandis que dans les milieux consulaires français les projets impérialistes et les velléités de contrôle s’effacent, les éléments structurels d’interdépendance économique s’affirment et prennent progressivement le dessus. Immédiatement après la création de la République fédérale d’Allemagne, les compagnies frontalières montent au créneau auprès de leur gouvernement respectif. Elles demandent le maintien d’un régime spécifique d’échanges frontaliers malgré la signature, depuis l’automne 1948, d’accords de commerce franco-allemands sans cesse renouvelés. Pour ce faire, elles mettent en avant la spécificité et l’importance des produits échangés dans le développement des régions transfrontalières. Elles obtiennent gain de cause. Même s’ils sont ensuite régulièrement révisés à la baisse, les accords frontaliers franco-allemands sont maintenus jusqu’en 1967, dix ans après la signature du traité de Rome, un an seulement avant la suppression des barrières douanières entre les six pays membres de la CEE13. C’est également à partir de 1948–1949 que les relations bilatérales entre les chambres de commerce frontalières se renforcent. Elles conduisent à des échanges réguliers et fructueux d’informations. Elles sont également l’occasion de partages d’expériences et de transferts de technologie. Enfin, elles revêtent une dimension

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Patrick J. Schaeffer, L’Alsace et l’Allemagne de 1945 à 1949, Metz, Centre de recherche Relations internationales de l’Université de Metz, 1976, p. 213–223. « Compte rendu d’un entretien ayant eu lieu le 18 juillet 1948 entre les représentants du gouvernement militaire français et des représentants des chambres de commerce et d’industrie du Bade Sud en vue de créer un office de compensation pour les transactions de compensation entre le Pays de Bade d’une part, et les départements du Rhin et de la Moselle d’autre part », ministère badois de l’Économie et du Travail, 19 juillet 1948, Archives départementales de la Moselle (ADM), 1547 Wd 327/1. Dans les années 1960, le régime frontalier franco-allemand est l’objet de mises au point régulières lors des séances plénières des CCI. À titre d’exemple, « Prorogation de l’accord frontalier franco-allemand », procès-verbal de la séance plénière de la CCi de Strasbourg, 10 mars 1967, ADBR, 1430 W 64.

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programmatique affirmée, fondée sur l’idée du renforcement de la coopération franco-allemande dans le cadre plus vaste d’une Europe en voie d’union14. Cette Europe en construction, les chambres alsaciennes et badoises y participent par la création, en 1949, de l’Union des chambres de commerce rhénanes (UCCR). Cette dernière comprend les chambres riveraines de sept pays : l’Autriche, la Belgique, la France, le Luxembourg, les Pays-Bas, la République fédérale d’Allemagne et la Suisse. L’association poursuit des objectifs économiques. Elle entend rétablir le transport fluvial sur le Rhin et dynamiser par là-même l’économie de l’espace rhénan. L’UCCR nourrit également des projets politiques. Les pays rhénans constituant à ses yeux le poumon économique de l’Europe occidentale, c’est autour de cet espace frontalier qu’elle entend fédérer les Européens. Mais l’Europe que l’Union préconise est une Europe des forces vives, une Europe des acteurs économiques, une Europe réactive, reflet de l’intérêt général des Européens, que les chambres de commerce lui paraissent les mieux à même de porter. Bref, à l’« Europe par le haut », à l’« Europe des États », qui est en train de se mettre en place avec le Conseil de l’Europe puis la Communauté européenne du charbon et de l’acier, l’UCCR privilégie une « Europe par le bas »15. À L’HEURE DE L’EUROPE COMMUNAUTAIRE (1957 – FIN DES ANNÉES 1960) Ce sont justement les avancées de la construction européenne et plus particulièrement la création, en 1957, de la Communauté économique européenne (CEE) qui transforment en profondeur les relations entre chambres frontalières. Des deux côtés du Rhin, les compagnies consulaires ont parfaitement intégré le fait qu’elles seront les premières impactées par l’union douanière, c’est-à-dire l’abaissement puis la disparition totale des barrières douanières entre les Six, prévue dans le cadre du Marché commun. Des réactions opposées au Marché commun Les réactions des chambres frontalières au Marché commun sont très proches des revendications de leur gouvernement respectif lors de la négociation du traité. De part et d’autre du Rhin, elles renvoient aux intérêts bien compris des institutions consulaires. 14 15

Martial Libera, Diplomatie patronale aux frontières (note 4). Sur l’UCCR, voir Martial Libera, « L’Union des chambres de commerce rhénanes : quelle communication pour peser dans les débats européens ? », in : Régis Boulat, Laurent Heyberger (dir.), Communication et entreprises (XVIIIe-XXIe siècles), Paris, Éditions Picard, à paraître en 2018 et Martial Libera, « L’Union des chambres de commerce rhénanes et l’organisation du marché européen (1949–1975) : entre Europe du libre-échange et Europe organisée », in : Jean-Daniel Boyer / Maurice Carrez (dir.), Marchés, réseaux commerciaux et construction de l’Europe, Paris, L’Harmattan, 2016, p. 109–123.

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En Alsace, les CCI demandent l’harmonisation des charges fiscales et sociales des Six qu’elles considèrent comme un préalable indispensable à toute réduction des tarifs douaniers. Dans le Bade-Wurtemberg, il n’en est pas question, car cela contribuerait à réduire l’avantage compétitif des entreprises allemandes. Les chambres frontalières sont également en désaccord sur la fixation du tarif extérieur commun. La moyenne arithmétique, voulue par les compagnies françaises, est critiquée par leurs sœurs allemandes qui la considèrent pénalisante pour leurs exportations, car trop élevée par rapport à leur tarif extérieur national. Les compagnies alsaciennes et du Bade-Wurtemberg s’opposent également sur l’association, ou non, des territoires d’outre-mer au Marché commun. Les premières y sont favorables tandis que les secondes s’y opposent. Les chambres badoises n’y voient aucun intérêt, leurs parts de marché en Afrique étant très réduites. De surcroît, elles craignent l’impact négatif qu’aurait, auprès de leur clientèle, leur participation à une politique qu’elles jugent empreinte de colonialisme. Enfin, les chambres alsaciennes sont favorables à une petite Europe, en d’autres termes à l’Europe des Six, et refusent toute participation à la zone de libre-échange (ZLE) proposée par les Britanniques. De leur côté, les compagnies badoises sont favorables à la création de la CEE à la condition expresse que celle-ci puisse ensuite être élargie et s’intégrer à la ZLE. Là encore, des intérêts économiques sont au cœur des prises de position. En Alsace, les chambres, plutôt protectionnistes, craignent la concurrence que représente la CEE qu’elles acceptent avec difficulté. Il n’est donc pas question à leurs yeux que le Marché commun constitue une étape vers plus de libéralisme, ce qu’impliquerait leur participation à un marché élargi sans tarif extérieur commun. Dans le Bade-Wurtemberg, les chambres sont conscientes de la compétitivité de leurs entreprises et de la qualité de leurs productions. Elles ne veulent donc pas limiter leurs exportations aux seuls territoires des Six mais entendent bien profiter d’un grand marché16. La nécessité de coopérations renforcées Au-delà de ces divergences, les compagnies alsaciennes et badoises sont conscientes de la nécessité de s’adapter à la nouvelle donne européenne. Celle-ci passera par davantage de coopération et de concertation sur des territoires dont la frontière commune ira forcément en s’effaçant. Dans cette perspective, les chambres frontalières participent à la création de structures à différentes échelles territoriales, leviers de leur influence auprès de décideurs plus nombreux. Au niveau européen, les chambres frontalières françaises et allemandes font partie de plusieurs associations consulaires européennes qui comprennent donc des chambres de tous les États membres et qui représentent l’intérêt général des CCI européennes. Elles sont ainsi membres de la Conférence permanente des chambres de commerce de la CEE, créée en 1958. Celle-ci est un relais des compagnies consu16

Sur tous ces points, Martial Libera, Diplomatie patronale aux frontières (note 4) et Thomas Rhenisch, Europäische Integration und industrielles Interesse : Die deutsche Industrie und die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Stuttgart, Franz Steiner Verlag, 1999.

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laires auprès de la Commission européenne. Par l’intermédiaire de la Conférence, les chambres européennes font part à la Commission de leurs vœux en matière de construction européenne – fiscalité, politique économique et sociale, aménagement du territoire, politique des transports – et lui donnent leur avis sur les politiques européennes décidées par les instances communautaires. Dans le même ordre d’idées, les chambres frontalières sont membres de la Conférence permanente des chambres de commerce et d’industrie auprès du Conseil de l’Europe, au sein de laquelle il est entre autres question d’enjeux environnementaux, en particulier en ce qui concerne la pollution des eaux du Rhin17. À partir du début des années 1960, les compagnies frontalières sont par ailleurs très actives à l’échelle transfrontalière. Avec la mise en œuvre des dispositions du traité de Rome, la coopération sur ces espaces aux frontières devient essentielle pour leur développement économique et l’aménagement des territoires. À cette date, les espaces transfrontaliers en constitution sont étroits, davantage morcelés qu’après 1945, lorsque la coopération frontalière des compagnies s’esquissait à l’échelle de l’Alsace et de la Moselle d’un côté, de la zone française d’occupation de l’autre. Il s’agit en fait de trouver, immédiatement de l’autre côté de la frontière, des partenaires avec lesquels gérer en commun les problématiques issues de la libéralisation des échanges. Au sud, les compagnies de Fribourg et de Mulhouse contribuent en 1963 avec les acteurs économiques bâlois, à la création de la Regio basiliensis18. Au centre de l’Alsace et du Bade, les chambres de Colmar et de Fribourg assistent les édiles politiques des deux villes dans l’institution en 1964 de la Communauté d’intérêts Moyenne Alsace – Brisgau (CIMAB)19. Plus au nord, la CCI de Strasbourg développe des relations privilégiées avec ses sœurs de Lahr et de Karlsruhe20. Par ces coopérations à différentes échelles territoriales, les compagnies frontalières poursuivent plusieurs objectifs : s’informer réciproquement ; favoriser les échanges économiques ; penser ensemble des problèmes qui se posent désormais de la même manière des deux côtés du Rhin, à l’exemple de l’aménagement du territoire et en particulier des questions d’infrastructure de transport – ponts, routes, voies ferrées – ; parvenir à un développement transnational des territoires qui soit harmonieux et équilibré ; enfin, mettre en place des politiques communes, comme 17

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Voir, par exemple, « Première réunion de la Conférence permanente des chambres de commerce des six pays du Marché commun », procès-verbal de l’assemblée plénière de la CCi de Strasbourg, 24 mars 1958, ADBR, W 58, et « Règlement intérieur de la Conférence permanente », compte rendu de la 15e assemblée plénière de la Conférence permanente des chambres de commerce de la Communauté économique européenne, 24 avril 1964, ADM, 1547 Wd 363. Fondation Jean Monnet pour l’Europe (éd.), La Regio Basiliensis, Lausanne, Fondation Jean Monnet pour l’Europe, Centre de recherches européennes, 1991. Courrier d’Adolf Sauter, secrétaire général de la CCi de Fribourg-en-Brisgau, à Georges Lasch, secrétaire général de la CCi de Colmar, a/s de la « Bildung einer Interessengemeinschaft für wirtschaftliche Zusammenarbeit des mittleren Elsass und des Breigaus », 4 mars 1963, ADHR, 2602 W 27. Martial Libera, « Les chambres de commerce du Rhin et de la Moselle et les prémices de la coopération transfrontalière économique entre la France et l’Allemagne (1945–1975) », in : Birte Wassenberg (dir.), Vivre et penser la coopération transfrontalière, volume 1 : Les régions frontalières françaises, Stuttgart, Franz Steiner Verlag, 2010, p. 233–245.

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dans le cas de l’enseignement professionnel pour lequel deux compagnies, celles de Strasbourg et de Lahr, créent, à partir du milieu des années 1960, des programmes binationaux sanctionnés par la délivrance de diplômes communs21. Deux autres compagnies, celles de Colmar et de Fribourg-en-Brisgau, décident même de coopérer de façon plus étroite encore. En 1959, elles concluent un jumelage, le premier d’une chambre de commerce française avec une homologue allemande. Poursuivant les objectifs classiques de la coopération transfrontalière, le jumelage est un atout précieux pour les deux chambres. Il leur permet d’abord d’être parfaitement informées de la situation dans l’autre circonscription et des projets de toutes sortes conçus par leur sœur. Il les amène ensuite à se pencher sur des problèmes concrets, à l’exemple des difficultés de circulation entre les deux villes. Il permet ainsi aux chambres de suivre des dossiers dont la décision dépend des pouvoirs publics des deux États. Grâce au jumelage, l’entraide entre compagnies devient véritablement effective. Chacune d’elles a ainsi la possibilité d’intercéder auprès de son administration nationale en faveur des ressortissants de l’autre compagnie. À la faveur du jumelage, les ressortissants de chacune des compagnies, intéressés par les échanges franco-allemands, ont également la possibilité de s’adresser directement aux services de l’autre chambre22. Le milieu des années 1960 constitue ainsi le point d’orgue du rapprochement entre les chambres. À partir de la fin des années 1960 et plus encore dans les années 1970, les relations entre les institutions consulaires se dégradent et se crispent. LA COOPÉRATION CONSULAIRE À L’ÉPREUVE DE LA CRISE DES ANNÉES 1970 La crise en est la principale responsable. Ses effets sont très différents de part et d’autre du Rhin. Ils creusent les écarts entre les économies alsacienne et badoise et aggravent la dépendance de la première vis-à-vis de la seconde. Cette dissymétrie économique conduit au recul de la coopération transfrontalière au profit de solutions nationales de sortie de crise. À ces enjeux économiques s’ajoute une marginalisation des chambres de commerce dans les structures de coopération transfrontalière.

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Martial Libera, « Die Verbindungen zwischen französischen und deutschen Industrie- und Handelskammern beiderseits des Rheins (1945–1975) : Eine andere Geschichte der deutschfranzösischen Beziehungen », in : Deutsch-Französisches Institut (Hg.), Frankreich Jahrbuch 2012. Deutsch-französische Beziehungen : Entwicklungslinien und Funktionswandel, Wiesbaden, Springer, 2013, p. 157–170. Martial Libera, « Les jumelages économiques franco-allemands. Le cas des chambres de commerce et d’industrie de Colmar et de Fribourg-en-Brisgau », Revue d’Allemagne et des pays de langue allemande, n° 1, 2017, p. 209–222.

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Une crise aux effets dissymétriques Le long du Rhin, les conséquences de la crise se font sentir avec plus d’intensité en Alsace que dans le Bade. La première est davantage touchée par la désindustrialisation. Pour l’essentiel, cela est dû au fait que l’Alsace comprend davantage de branches industrielles fragiles que sa voisine et que, dans bien des cas, l’équipement industriel y a été trop peu modernisé. Les industries de l’habillement, du cuir et du textile sont ainsi massivement touchées. Le « déclin industriel »23 frappe également les entreprises mécaniques et de la machine-outil. La forte désindustrialisation de l’Alsace par rapport à sa voisine se lit en creux dans l’évolution comparée des taux de chômage. À partir de la fin des années 1970, il pèse davantage en Alsace. Les jeunes en sont les principales victimes. Sur le plan du commerce extérieur également, l’Alsace marque divers symptômes d’insuffisance, qu’il s’agisse de la faiblesse de son taux de couverture, de l’étroitesse de son ouverture géographique ou de la fragilité et du manque de rentabilité de ses principaux postes à l’exportation. Au total, les effets dissymétriques de la crise accroissent la dépendance de l’Alsace envers le Bade-Wurtemberg. Aux marqueurs traditionnels de cette dépendance – les travailleurs frontaliers alsaciens s’employant en Allemagne et les implantations industrielles allemandes en Alsace, deux phénomènes qui prennent une ampleur considérable à partir des années 1970 – s’ajoutent désormais une certaine emprise foncière allemande en Alsace et la faiblesse du rayonnement urbain alsacien outre-Rhin. Le recul de la coopération entre chambres Dans ce contexte déprimé, les sorties de crise sont résolument envisagées sur un plan national. L’État français est alors décidé à prendre en compte les spécificités de l’Alsace en tant que région frontalière et entend la doter d’atouts lui permettant de rivaliser à armes égales avec le Bade-Wurtemberg. Pour ce faire, les chambres alsaciennes recommandent de dynamiser le commerce extérieur régional en introduisant en Alsace les méthodes commerciales allemandes, qui ont fait leur preuve. Un autre point vise à renforcer le tissu industriel alsacien en investissant les espaces au bord du Rhin. Bref, le glacis défensif d’autrefois fait désormais place à des complexes industriels de dernière génération24. En 1978, la centrale nucléaire de Fes-

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L’expression est de Bernard Vogler / Michel Hau, Histoire économique de l’Alsace. Croissance, crises, innovations : vingt siècles de développement régional, Strasbourg, La Nuée bleue, 1997, p. 347. Courrier de la CCi de Mulhouse à la CCi de Fribourg-en-Brisgau a/s du « projet d’implantation d’une aciérie électrique à Ottmarsheim », 22 mars 1974, Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg (désormais WABW), Y 62 Bü 255 H.

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senheim commence à produire de l’électricité. À côté de ces usines, les projets de zones industrielles fleurissent : trois dans le Haut-Rhin25, autant dans le Bas-Rhin26. Ces initiatives, qui traduisent bien la priorité des solutions nationales dans les schémas français de sortie de crise et d’expansion économique, sont imposées aux Allemands sans concertation préalable. Elles conduisent à une crispation des relations sur la frontière, notamment entre chambres de commerce. En Allemagne, on appréhende les effets délétères de ces projets sur le territoire : accroissement de la pollution fluviale et atmosphérique comme du bruit, mais aussi conséquences néfastes sur la qualité de l’habitat et la santé des populations, sur l’image de marque du tourisme local, fondé, grâce au thermalisme et à la Forêt-Noire, sur la nature et la pureté. Les réactions aux projets français sont donc vives. Les chambres badoises saisissent les ministères compétents du Land et du Bund,27 le Verband der chemischen Industrie28. Elles se renseignent sur la réglementation en matière de pollution auprès du Conseil de l’Europe, de la CEE et de l’Organisation de coopération et de développement économique29. Sans succès. Les chambres du Bade et du Wurtemberg prennent acte de la relative inefficacité de la coopération transfrontalière dans de nombreux domaines, en particulier pour les questions d’aménagement du territoire. À la fin de l’année 1974, le constat est amer. La coopération transfrontalière leur semble illusoire parce que les lois et réglementations sont pensées et destinées à s’appliquer dans un cadre strictement national qui ne prend nullement en compte la dimension transnationale de la coopération aux frontières. Quant aux autorités nationales, elles sont responsables devant leurs administrés mais en aucun cas devant ceux du pays voisin. Leur poids dans les hiérarchies politiques et administratives conduit en outre à faire valider prioritairement chaque projet par les pouvoirs publics centraux, les instances frontalières n’étant saisies qu’en cas d’accord sur le plan national. Bref, derrière la coopération affichée et portée haut, les compagnies badoises regrettent le maintien de pratiques, notamment adminis-

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Courrier de Hans Quester et de Paul Schäfer, président et secrétaire général de la CCi du Südlicher Oberrhein, à Günther Hartkopf, secrétaire d’État au ministère fédéral de l’Intérieur, au sujet de la coopération transfrontalière, 3 mai 1974, WABW, Y 62 Bü 255 H. « Aktennotiz betr. Industrieansiedlung im Elsaß, hier / Gespräche mit der ADIRA und der Kammer Straßburg », chambre de commerce du Südlicher Oberrhein, Ahhy, 2 janvier 1975, WABW, Y 62 Bü 255 H. Courrier du ministère fédéral de l’Économie à la CCi de Fribourg au sujet de « la planification régionale transfrontalière », 1er août 1974, courrier du ministère de l’Économie, des petites et moyennes Entreprises et des Transports du Land de Bade-Wurtemberg à la CCi de Fribourg a/s de la « coopération transfrontalière dans la région sud du Rhin supérieur », 16 août 1974, courrier du ministère fédéral de l’Aménagement du Territoire, de la Construction et de l’Urbanisme à la CCi de Fribourg a/s de la « coopération franco-allemande dans le domaine de l’aménagement du territoire », 27 août 1974, WABW, Y 62 Bü 255 H. Courrier du Verband der chemischen Industrie à la CCi de Fribourg, 2 janvier 1975, WABW, Y 62 Bü 255 H. Courrier de Karl Moersch, ministre d’État au ministère des Affaires étrangères, au président du Parlement allemand, au sujet de la « coordination dans le Rhin supérieur lors de l’instauration de grands projets », 13 novembre 1974, WABW, Y 62 Bü 255 H.

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tratives, centrées sur le seul espace national30. Sans doute ne sont-elles pas loin de partager l’avis du Spiegel, qui consacre au printemps 1977 un article à la coopération transfrontalière au titre choc : « Seule la pollution est transfrontalière »31. Pour les chambres badoises, il est vain d’essayer de continuer à réduire les barrières que constituent les lois nationales. Cette voie leur semble sans issue. De leur point de vue, la solution résiderait dans une dynamique véritablement constructive, telle la création d’une commission binationale chargée des questions d’aménagement du territoire. Il leur paraît donc essentiel d’obtenir que les instances de coopération frontalière, qui sont en 1974 et 1975 en pleine phase d’institutionnalisation, comprennent des structures réfléchissant à l’aménagement du territoire frontalier au sens large et que les compagnies consulaires soient représentées en leur sein32. Ces espoirs, partagés par les chambres alsaciennes, sont déçus. Le traité de Bonn, signé le 3 novembre 1975, qui institutionnalise la coopération transfrontalière sur le Rhin supérieur entre la France, la République fédérale d’Allemagne et la Suisse, qui définit les compétences des organismes décisionnels et en arrête la composition33, écarte en effet les CCi. Combiné aux difficultés économiques, ce recul de l’influence consulaire dans les dossiers de coopération transfrontalière conduit notamment les compagnies de Colmar et de Fribourg-en-Brisgau à désinvestir leur jumelage. CONCLUSIONS Les relations entre les compagnies alsaciennes et badoises de 1945 à la fin des années 1970 sont riches d’enseignements. Elles montrent d’abord une inversion radicale des rapports de force entre ces institutions consulaires. À l’immédiat après-guerre, lors duquel les chambres françaises dominent leurs homologues allemandes, s’opposent les années 1960 et plus encore les années 1970 qui marquent la montée en puissance des compagnies badoises. Celle-ci résulte notamment de ce que leurs entreprises diversifient considérablement leur commerce extérieur et brisent par là même les éléments structurels d’interdépendance économique entre l’Alsace et le Bade. Dans cette évolution, le rôle des contraintes extérieures est central. Les compagnies badoises ont mieux su profiter du passage à l’Europe que

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Courrier de Paul Schäfer, secrétaire général de la CCi de Fribourg, à Fr. Dole, président de la de Cologne au sujet de la coopération transfrontalière, 23 décembre 1974, WABW, Y 62 Bü 255 H. « Grenzüberschreitend ist nur der Schmutz », Der Spiegel, n° 20, 9 mai 1977. Cf. note 30. Les institutions nées du traité de Bonn se composent d’une commission intergouvernementale et de deux comités régionaux. L’un est dévolu à la coopération franco-allemande dans la partie Nord du Rhin supérieur, l’autre à la coopération trinationale autour de Bâle, Mulhouse et Lörrach. Sur ce sujet, Birte Wassenberg, « Die Entwicklungsgeschichte der grenzüberschreitende Zusammenrabeit am Oberrhein seit 1963 », in : Anita Prettenthaler-Ziegerhofer / Michael Kißener / Jan Kisber (Hg.), Zwischenräume. Grenznahe Beziehungen in Europa seit den 1970er Jahren, Innsbruck, Wien, Bozen, Studienverlag, 2011, p. 25–48, ici, p. 31. CCi

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leurs sœurs alsaciennes. De la même façon, elles ont mieux réussi à surmonter la crise des années 1970. Les relations des chambres avec leurs sphères publiques nationales sont également instructives. Alors que dans l’immédiat après-guerre et jusqu’au milieu des années 1950, les compagnies consulaires sont précurseurs en matière de reprise des relations franco-allemandes et parfois opposées à la politique suivie par les deux États, notamment dans le cas des échanges transfrontaliers, elles se rapprochent ensuite de leur gouvernement, que ce soit sur la construction européenne ou à propos des voies nationales de sortie de crise, même si elles regrettent que la coopération aux frontières soit décidée en haut lieu sans prendre en compte les intérêts locaux. On mesure ici clairement combien certaines contraintes extérieures déterminent les relations entre compagnies. Les chambres montrent enfin leur capacité à intervenir à différents niveaux de décision pour défendre leurs intérêts. Elles utilisent leurs réseaux et leur expertise et agissent à l’échelle – locale, régionale, nationale, franco-allemande, européenne – qui leur paraît la plus pertinente. En cela, elles sont en capacité de s’adapter rapidement à de nouveaux cadres institutionnels et économiques. La façon dont elles passent, dans l’après-guerre, d’espaces de coopération étendus, englobant l’Alsace, la Moselle, le Territoire de Belfort et la ZFO, à des coopérations resserrées sur des territoires étroits dans les années 1960 traduit leur compréhension fine des problématiques économiques induites par le traité de Rome.

„DIE ANDERE WACHT AM RHEIN“ Der Kampf gegen die Atomkraft in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts diesseits und jenseits des Rheins Anne-Marie Corbin Zusammenfassung Diesseits und jenseits des Rheins, in Baden und im Elsass, mobilisierten sich in den siebziger Jahren Bürgerinitiativen gegen die herrschende Euphorie des Atomzeitalters und den Bau von Kernkraftwerken. Sie unterstützten einander solidarisch. Ortsnamen wie Whyl am Kaiserstuhl, Marckolsheim und Fessenheim im Elsass wurden wegen ihres Widerstands bekannt. Derartige neue soziale Bewegungen traten spontan auf, und zahlreiche Initiativen versuchten, durch phantasievolle Aktionen öffentlich Aufmerksamkeit zu erregen. Demonstrationen und Platzbesetzungen waren an der Tagesordnung. Solidarität bekundeten auch Künstler, die in ihren Liedern, Zeichnungen und Filmen jener deutsch-französischen Bewegung im „Dreiecksland“ Ausdruck und Aussagekraft verliehen. Vor allem in Deutschland war die Bilanz dieser Bürgerinitiativen beachtlich, die auch 1980 zur Gründung der Partei der Grünen beitrugen.

Résumé De part et d’autre du Rhin, dans le pays de Bade et en Alsace, de nombreuses « initiatives de citoyens » (Bürgerinitiativen) se mobilisèrent dans les années 1970 contre l’euphorie de l’ère atomique et la construction de centrales. Whyl dans le Kaiserstuhl, Marckolsheim et Fessenheim en Alsace devinrent célèbres. Il y eut un grand mouvement de solidarité et de résistance. De tels « nouveaux mouvements sociaux » apparurent plus ou moins spontanément et essayèrent de se faire entendre par des actions très imaginatives. Manifestations et occupations du terrain étaient à l’ordre du jour. Des artistes s’engagèrent également avec leurs chansons, leurs dessins et leurs films pour soutenir ce mouvement franco-allemand dans le « Dreiecksland ». Le bilan fut surtout important en Allemagne avec la fondation du parti des Verts en 1980.

Im Jahre 1961 war Karl Bechert, Mitglied der SPD und Atomphysiker, einer der ersten Experten, der die Atomkraft infrage stellte. In den siebziger Jahren behauptete er: „Wohl kaum je ist der Wahnsinn und die Verantwortungslosigkeit heutiger Industrie- und Wirtschaftspolitik so deutlich geworden. Die Bevölkerung müsste aufstehen wie ein Mann.“1 Diesseits und jenseits des Rheins, in Baden und im Elsass (teilweise auch in der Schweiz), mobilisierten sich in den siebziger Jahren Bürgerinitiativen gegen 1

Zitiert nach Manfred Kriener, „Aufstehen wie ein Mann. Der lange Kampf gegen die Atomenergie in der Bundesrepublik. Eine Chronik“, in: Die Zeit 14 (2011), S. 22.

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die herrschende Euphorie des Atomzeitalters und den Bau von Kernkraftwerken. Sie unterstützten einander solidarisch. Ortsnamen wie Wyhl am Kaiserstuhl, Fessenheim und Marckolsheim im Elsass wurden wegen ihres Widerstands bekannt.2 Als „Dreyeckland“ wird die Gegend diesseits und jenseits des Rheins bezeichnet, d. h. das Elsass, die Nordwestschweiz und Südbaden. Diese drei Regionen verbindet nicht nur die räumliche Nähe, die ähnliche Umwelt und Landschaft mit Weinanbau, sondern eine gemeinsame Kultur, die auf der alemannischen Mundart beruht. So entstand ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das der gemeinsamen Umwelt- und Anti-Atomkraft-Bewegung zugutekam. Die Aktionen, die in den siebziger Jahren stattfanden, können unter dem Begriff „neue soziale Bewegungen“ subsumiert werden: Sie traten meistens spontan auf, und zahlreiche Initiativen versuchten, durch phantasievolle Aktionen öffentlich Aufmerksamkeit zu erregen. Demonstrationen und Platzbesetzungen waren an der Tagesordnung. Solidarität bekundeten auch Künstler, die in ihren Liedern, Zeichnungen und Filmen jener deutsch-französischen Bewegung im „Dreieckland“ Ausdruck und Aussagekraft verliehen. Vor allem in Deutschland war die Bilanz jener Bürgerinitiativen beachtlich, die auch 1980 zur Gründung der Partei der Grünen beitrugen, während die Bilanz in Frankreich eher spärlich ausfiel. EINE KOMPLEXE UND HETEROGENE BEWEGUNG Ab 1970 hatte „das Komitee zum Schutz Fessenheims und der Rheinebene“ die Deutschen zur Solidarität neben den Elsässern aufgerufen. Am 25. April 1971 versammelte eine Demonstration 15.000 Gegner des geplanten Kernkraftwerkes direkt an der deutschen Grenze. Zur gleichen Zeit waren auch eine Bleifabrik in Marckolsheim und ein Kraftwerk in Kaiseraugst in der Schweiz geplant.3 Im Kaiserstuhl in Wyhl sollte auch ein gigantisches Kraftwerk gebaut werden. Die Atomgegner wollten zeitgleiche Aktionen diesseits und jenseits des Rheins und also auch der Grenzen organisieren. Anfang der siebziger Jahre war die Anti-AKW-Bewegung besonders aktiv und erfinderisch. Im Elsass in Marckolsheim fand die erste Standortbesetzung statt (September 1974). Diejenigen, die auch gegen den Bau des Kraftwerkes in Wyhl waren, folgten diesem Beispiel (Februar 1975), indem sie den Bauplatz besetzten, wie es 1973 in Kaiseraugst in der Schweiz der Fall gewesen war. Bauern und 2 3

Es sei Walter Mossmann (1941–2015) für seine wertvollen Hinweise gedankt. Stefanie van de Kerkhof hat mich auf interessante Bücher und Artikel hingewiesen. Vgl. Guy Curdy, Kaiseraugst. Le défi. Vie et mort d’un projet de centrale nucléaire, Lausanne, Editions d’en bas, 2001; Baden-Württemberg und der NATO-Doppelbeschluss, Katalog zur Sonderausstellung im Haus der Geschichte Baden-Württemberg / [Hg.: Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Stuttgart]. Mit Beitr. von Bernd Holtwick, Stuttgart 2004; Stefanie van de Kerkhof, „Historische Friedensforschung – Eine Geschichte des Friedens?“, in: Peter Schlotter / Simone Wisotzki (Hg.), Friedens- und Konfliktforschung (AFK-Friedensschriften, 35), Baden-Baden, 2011, S. 381–409.

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Winzer befürchteten die schädlichen Auswirkungen des Kraftwerkes für ihre Produkte und vor allem ihren Wein: einerseits die gefährliche Bestrahlung, andererseits die vermehrte Nebelbildung durch Erhöhung der Temperatur des Rheins. Deshalb wollten sie öffentlich Aufmerksamkeit erregen, indem sie nicht nur Flugblätter verteilten, sondern eine riesige Traktordemonstration organisierten. Ihre Parolen: „Lieber heute aktiv als morgen radioaktiv“ und „Wir wollen kein zweites Ruhrgebiet am Oberrhein“.4 Sie legten Einspruch gegen diese Projekte ein und sammelten Unterschriften. Teilweise mit Unterstützung der Bevölkerung gelang es ihnen, gemeinsam Bürgerinitiativen zu gründen. Diese Gruppierungen entstanden damals, um auf ein konkretes Problem hinzuweisen, ohne einer bestimmten politischen Partei anzugehören. Sie funktionierten auf demokratischer Basis und wollten auf Politiker und Parteien Druck ausüben, sich Gehör verschaffen und ihre Interessen durchsetzen. Derartige Gruppierungen wurden noch zahlreicher nach den Veröffentlichungen des „Club of Rome“ im Jahre 1972 über die Grenzen des Wachstums und noch stärker nach der Ölkrise von 1973.5 Im Jahre 1976 waren in Deutschland 17 % dieser Bürgerinitiativen Problemen der Umwelt gewidmet, wie eine Information des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu, 1973 in Berlin gegründet) lautete. Ein Dokumentarfilm in zwei Teilen, von Freia Hoffmann und Walter Mossmann bearbeitet und Ende 1973 gesendet, vermittelt einen guten Eindruck von der Stimmung, die damals in derartigen Bürgerinitiativen vorwiegend herrschte, denn das Script beruht auf zahlreichen Interviews und vermag den Begriff „Bürgerinitiative“ auf den Punkt zu bringen: Angesichts des Funktionswandels der politischen Parteien, die nicht mehr den Willen der Bürger repräsentieren und vertreten, sondern in Verflechtung mit der Verwaltung erst dann reagieren, wenn sich der politische Wille der Bürger außerhalb der Parteien formuliert und organisiert, misst die Bürgerinitiative ihrer und anderen gleichgearteten Bewegungen wachsende und entscheidende politische Bedeutung zu. In solchen Interessengemeinschaften kann der Bürger konkret erfahren, was die Begriffe Demokratie und Politik bedeuten: Er lernt, seine eigenen Interessen und Bedürfnisse selbst in die Hand zu nehmen und Selbstbestimmung zu üben.6

Grundsätzlich waren viele Mitglieder jener Bürgerinitiativen ursprünglich nicht politisch aktiv und engagierten sich erst, um in gemeinsamen Aktionen ihre direkten Interessen durchzusetzen: „Ihre Aktionsformen waren in der Regel dem Prinzip der Gewaltfreiheit verpflichtet“, wie es auch in Frankreich der Fall war.7 Sie radikali-

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http://www.badisch-elsaessische.net/chronique.htms Roland Roth, „Neue soziale Bewegungen in der politischen Kultur der Bundesrepublik – eine vorläufige Skizze“, in: Karl-Werner Brand (Hg.), Neue soziale Bewegungen in Westeuropa und den USA. Ein internationaler Vergleich, Frankfurt/Main, Campus, 1985, S. 46. Freia Hoffmann / Walter Mossmann, „Bürger werden initiativ“, Manuskript einer Sendung für den Südwestfunk (30. September 1973), S. 10–11. Klaus Leggewie, „Propheten ohne Macht. Die neuen sozialen Bewegungen in Frankreich zwischen Resignation und Fremdbestimmung“, in: Karl-Werner Brand (Hg.), Neue soziale Bewegungen in Westeuropa und den USA. Ein internationaler Vergleich, (Anm. 5), S. 118.

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sierten sich aber im Laufe der Auseinandersetzung mit der Polizei und des eventuellen Misserfolgs ihrer Forderungen.8 Impulse bekamen die deutschen Bürgerinitiativen zusätzlich von der APO (Außerparlamentarische Opposition). Sich öffentlich, d. h. mit begründbaren Argumenten für eigene Interessen und emanzipatorische Ziele gegen administrierte einzusetzen, dafür ein Repertoire von öffentlichkeitswirksamen Protestformen entwickelt zu haben, gehört zur Mitgift der Protestbewegungen an die „gemäßigten“ Erben.9

Die Wirksamkeit der Bewegung sah aber diesseits und jenseits des Rheins unterschiedlich aus. In Frankreich hatte die erste große Demonstration 1971 in Fessenheim im Elsass mit der Unterstützung der Deutschen stattgefunden und schloss mit einem antinuklearen Fest ab, obwohl die Aktion nicht von Erfolg gekrönt war: Das Kraftwerk in Fessenheim wurde gebaut und besteht noch heute, im Jahre 2016. Erfolgreich war hingegen die Aktion gegen das Bleiwerk in Marckolsheim: „Französische Traditionen der action directe und des bäuerlichen Widerstandes, Gegenkultur-Happenings im Stil der Studentenrevolte der 60er Jahre, aber auch das wachsende Selbstbewusstsein des Regionalismus prägten den Aktionsstil.“10 Radkau fügt noch hinzu, dass die Elsässer zu jener Zeit dabei ein neues regionales Selbstbewusstsein entwickelten und für die Anti-AKW-Bewegung in der Bundesrepublik zum Vorbild wurden. Nach dem Ende der 68er-Bewegung war die „Neue Linke“ in Deutschland in eine depressive Phase zurückgefallen, vor allem innerhalb der „K-Gruppen“, der neomarxistischen Gruppen diverser Tendenzen, die sich der Lahmlegung ihres politischen Kampfes bewusst waren und am Rande der Gesellschaft verkümmerten. Es waren aber nur taktische Überlegungen, die Praxis des Entrismus in andere Organisationen und die Hoffnung, diese für politische Zwecke zu instrumentalisieren, die den KB (Kommunistischen Bund) bewegten, sich der Anti-AKW-Bewegung anzunähern. Bis 1975 etwa war die alternative Bewegung bei ihnen als zu „eskapistisch“ und als „Rückzug ins Private“ abqualifiziert worden.11 In der Alternativszene war eine Gegenkultur zur bundesdeutschen Gesellschaft entstanden, in der vor allem junge Leute neue Werte und den entsprechenden Lebensstil in Nischen entwickelten: 8

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Gretchen Dutschke, Wir hatten ein barbarisches schönes Leben. Rudi Dutschke. Eine Biographie, Köln, Kiepenheuer & Witsch, 1996, S. 382.„Es stoßen in der Anti-AKW-Bewegung konservatives Denken und progressives Denken zusammen. Teilweise verknoten sie sich ineinander. Aber allgemein ist es ein Widerstand gegen eine Tradition des Verhaltens, gegen eine Tradition der Unterordnung, etwas, was in den 60er Jahren begann, aber auf die Universitäten beschränkt war“ (Zitat von Rudi Dutschke). Roland Roth, „Neue soziale Bewegungen in der politischen Kultur der Bundesrepublik – eine vorläufige Skizze“, in Karl-Werner Brand (Hg.), Neue soziale Bewegungen in Westeuropa und den USA. Ein internationaler Vergleich, (Anm. 5), S. 45. Joachim Radkau, Die Ära der Ökologie. Eine Weltgeschichte, München, C. H. Beck, 2011, S. 213. Vgl. Silke Mende, „Nicht rechts, nicht links, nicht vorn“. Eine Geschichte der Gründungsgrünen, München, Oldenbourg Verlag, 2011, S. 224–226.

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Ob das Leben in gemeinsamen Wohngemeinschaften, die Arbeit in linksalternativen Läden und Antiquariaten, die politische Arbeit in Stadtteilzentren oder den Redaktionen von Alternativblättern – die soziale Praxis der Alternativbewegung war von Anfang an auch die der SpontiBewegung gewesen.12

Das Engagement in der Anti-AKW-Bewegung motivierte auch die nicht organisierte Linke und die Spontis aus Frankfurt/Main, deren Hauszeitung Pflasterstrand die Entwicklung ab 1977 dokumentierte. In Niedersachsen waren gar ähnliche Bewegungen 1978 imstande, die „Grüne Liste-Wählerinitiative für Umweltschutz und Demokratie“ (GLW) zu gründen. Von dem Verhalten der Männer enttäuscht, hatten Frauen auch zu jener Zeit angefangen, eigene Gruppen zu bilden: Die „Weiberräte“ konnten erste Erfolge verzeichnen. Sie wollten sich auf ihre Art und Weise an dem Anti-AKW-Kampf beteiligen, indem sie eine Argumentation entwickelten, die auf andere Frauen ausgerichtet war und sie über die Bedrohung des Lebens und die schlechten Zukunftsaussichten der nächsten Generationen informieren sollte. In einer vierzigseitigen Broschüre informierte die „Badische Fraueninitiative“ darüber und prägte die Parole: „Kein Kraftwerk in Wyhl und nirgendwo sonst“.13 War der „Weltbund zum Schutze des Lebens“ nicht unbedeutend, so sollte die Leistung der „Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher“ (AUD), 1965 gegründet, nicht unterschätzt werden.14 Jene Organisation, die 1965 2500 Mitglieder zählte, von denen manche zur NS-Zeit hohe Posten bekleideten, hatte zugunsten der NPD, der damaligen rechtsextremen Partei, einen Rückgang der Mitgliedschaft erlebt. Gegen Ende der 60er Jahre hofften sie darauf, mit der APO eine gemeinsame Plattform zu finden, was einige Punkte anging: Ablehnung der parlamentarischen Demokratie, des Kapitalismus, des sowjetisch orientierten Kommunismus, Bestehen auf der nationalen Unabhängigkeit. Sie mussten aber bis zur Mitte der 70er Jahre warten, um einen ganz relativen Konsens in Bezug auf die gemeinsame Ablehnung der Kernkraft zu erreichen. Deren Zeitschrift, Die Unabhängigen, veröffentlichte nämlich ab 1970 Texte von Petra Kelly, Holger Strohm, Josef Leinen und sogar Rudi Dutschke, einem der bekanntesten Mitglieder der Extremlinken. Dies zeugte von einer strategischen Öffnung zugunsten der Extremlinken, der Bürgerinitiativen und der Bewegungen links von der SPD. In dieser Hinsicht gründeten sie im Jahre 1974 die „Demokratische Lebensschutzbewegung“ (DLB), eine Bewegung, die sich an den Wahlen beteiligen wollte: Joseph Beuys wurde Kandidat auf gemeinsamen Listen in Rheinland-Pfalz. Im Allgemeinen waren die geplanten Aktionen nicht gewalttätig. Sie antworteten mit dem passiven Widerstand auf die staatlich getroffenen Maßnahmen, um die Demonstrationen zu sprengen und die besetzten Standorte mit Gewalt zu räumen, damit die Baustellen effektiv wurden. Die Lokalpresse berichtete nachdrücklich darüber: Im Juli 1974 wurde anlässlich einer schweigsamen Demonstration die De-

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Silke Mende, Ebd., hier S. 202. Für diese Ausführungen vgl. S. 202–207. Archiv Soziale Bewegungen Freiburg (ASWB Fr), CD-Rom-Sonderausgabe 2005, Dokument 17472. Silke Mende, (Anm. 11), S. 113–122.

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mokratie in einem schwarzen Sarg symbolisch zu Grabe getragen.15 Die Badische Zeitung gab eher dem Wirtschaftsminister des Landes, Rudolf Eberle, das Wort, der gegen den Diebstahl (die Entwendung) von Atommüll im Kraftwerk Obrigheim oder gegen die sprachliche Gewalt der Gegner wetterte.16 Der Titel eines der ersten Flugblätter lautete: „Gegen Verrat und Verbrechen an der Wyhler Bevölkerung“.17 Von Seiten der Lokalbevölkerung und den „Bürgerinitiativen“ wurde keine Gewalt gegen Privatpersonen, Politiker oder gegen die Polizei verwendet: Die Aktion Umweltschutz distanzierte sich von „kriminellen Aktionen“ wie z. B. anonymen Drohbriefen, die an den Bürgermeister von Wyhl geschickt wurden, wie auch einem anonymen Attentat gegen seine Person.18 Von Marckolsheim nach Wyhl Mit den schon auf französischer Seite in Fessenheim gesammelten Erfahrungen und der ganzen Informationsarbeit, die geleistet worden war, konnten die Bürgerinitiativen in Baden sofort aktiv werden, als die Behörden am 19. Juli 1973 ankündigten, dass das ursprünglich in Breisach geplante Kraftwerk (dessen Vorhaben inzwischen schon am 2. Juni 1971 eingestellt worden war) von nun an in Wyhl gebaut werden sollte. Sofort entstanden in Wyhl, Weisweil, Endingen und im nördlichen Teil des Kaiserstuhls Initiativgruppen, die die Bürger über die Risiken des Klimawechsels, die vermehrte Nebelbildung, die Senkung des Grundwasserspiegels, das Funktionieren der Kraftwerke und die damit verbundenen Sicherheitsprobleme aufklärten.19 In Marckolsheim, nahe der deutschen Grenze, etwa 30 Kilometer von Wyhl entfernt, sollte von den Chemischen Werken München ein Bleiwerk gebaut werden. Schon am 26. April 1974 gründeten im Elsass die Gegner dieses Projekts den GISEM (Groupement d’information et de sauvegarde pour l’environnement de Marckolsheim), um ihre Gegnerschaft anzukündigen und gegen die negativen Auswirkungen auf die Umwelt und die Bevölkerung bis jenseits des Rheins zu informieren.20 Sie lehnten sich auch dagegen auf, dass für den Bau des Werkes die Wälder in der Umgebung des Dorfes abgeholzt worden waren, was zur Trockenheit der elsässischen Ebene führen könnte. Auf beiden Ufern des Rheins weigerten sich also die Gegner jener Projekte, tatenlos zuzusehen, wie ihre Region in ein „industrielles Paradies“ – ähnlich dem Ruhrgebiet – verwandelt werden sollte, und zeigten sich äußerst kritisch dem Versprechen gegenüber, dass dadurch neue Arbeitsplätze entstehen sollten. Sie wollten auf jeden Fall ihre Umwelt und ihre Landwirtschaft auch für künftige Generationen 15 16 17 18 19 20

Lahrer Zeitung, 12. Juli 1974. Badische Zeitung, 12. Juli 1974. ASWBFr, Dokument 19730722, Juli 1973. Ettenheimer Zeitung, 21. September 1974. http://rleb07.kegtux.org/opinions/super.html. Vgl.: http://www.ina.fr, Sendung „La France défigurée“, Produktion Michel Pericard, Louis Beriot, Journalist Dominique Laury, (20.10.1974).

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schützen. Dies wurde auf Transparenten festgehalten.21 Der Regierung sollte keineswegs Glauben geschenkt werden, sondern man musste agieren, damit die Lebensqualität gerettet werden konnte. Sonst würde es zu verhängnisvollen Folgen führen: „Heute die Fische, morgen wir“. Ein erstes Treffen vor dem Rathaus Wyhl war für den 21. Juli 1973, an einem Sonntag „nach der Messe“ vorgesehen und wurde von einer Versammlung der Bürger in der Turnhalle für den darauffolgenden Montag geplant.22 Die „Bürgerinitiative Weisweil/Wyhl“ betrachtete sich als eine autonome „Basisorganisation“: Es ist tatsächlich so, dass unsere verantwortlichen Parteien und auch die Regierungsstellen anscheinend in der Zwischenzeit so ein bisschen das Augenmaß verlieren, was dem Volk dient und was dem Volk nicht dient. Und deshalb haben sich ja nicht nur in unserem Raum, sondern im ganzen Bundesgebiet, von der Nordsee bis an die österreichische Grenze, diese Bürgerinitiativen gefunden, die einfach überparteilich arbeiten, die es noch fertigbringen, die Wahrheit ungeschminkt zu sagen, die dadurch aber auch einiges auf sich nehmen müssen.23

Am 25. August 1974 einigten sich 21 Organisationen im Elsass und in BadenWürttemberg darauf (davon 11 badische und 10 elsässische diesseits und jenseits des Rheins), sich an die Bevölkerung zu wenden. Die „Erklärung der 21 Bürgerinitiativen an die badisch-elsässische Bevölkerung“24 war auf Deutsch und auf Französisch verfasst und wurde zu 30.000 Exemplaren verteilt. Die Organisatoren warnten vor den verheerenden Folgen für die Umwelt, stellten die Gutachten der Fachleute in Frage und attackierten die Regierung, die eine von 100.000 Leuten unterzeichnete Petition nicht beachtete: „Weil wir nicht dulden, dass unser Recht derart missachtet wird.“25 Deshalb haben wir beschlossen, die vorgesehenen Bauplätze für das Atomkraftwerk Wyhl und das Bleiwerk in Marckolsheim gemeinsam zu besetzen, sobald mit dem Bau begonnen wird. Wir sind entschlossen, der Gewalt, die uns mit diesen Unternehmen angetan wird, solange passiven Widerstand entgegenzusetzen, bis die Regierungen zur Vernunft kommen.26

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Um sich die Stimmung der Zeit besser vorstellen zu können, sollte man sich unbedingt S’Weschpenäscht. Die Chronik von Wyhl 1970–1982, ansehen, den Film von Walter Mossmann, Didi Danquart und Bertram Rotermund, der 1982 durch die Medienwerkstatt Freiburg gesendet wurde. Es handelt sich um eine Montage von verschiedenen vom WDR gesendeten Filmen: Einer davon von Thomas Schmitt, 1974–1975 gedreht, Auszüge aus Zweierlei Volksmusik von Frans van der Meulen, Peter Schleuning und Walter Mossmann im Jahre 1977, andere Auszüge aus Dreyeckland von Jörg Gfrörer und Walter Mossmann im Jahre 1980. Hinzu kamen Super 8 Aufnahmen. ASBFr, Dokument 19730722, „Gegen Verrat und Verbrechen an der Wyhler Bevölkerung“, Juli 1973. Zitiert nach Siegfried Göpper de Weisweil, in: Freia Hoffmann / Walter Mossmann, „Bürger werden initiativ“, Manuskript der Sendung vom Südwestfunk, am 7. Oktober 1973 gesendet, S. 16. Vgl. für die weiteren Ausführungen http://www.badisch-elsaessische.net/chronique.htm und Paul Reimar, … und auch nicht anderswo. Die Geschichte der Anti-AKW-Bewegung, mit Fotos von Günter Zint, Göttingen, Verlag Die Werkstatt, 1997. Auch ASBFr, Dokument 17652. Ebd. Ebd.

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Dem Sänger Walter Mossmann zufolge, der die Erklärung initiiert hatte, sollte diese an die Mobilisierung der 103 Bauern im Larzac im März 1972 erinnern, die gegen die Beschlagnahme ihrer Äcker mobilisiert hatten, als dort stattdessen ein Militärlager eingerichtet werden sollte.27 In Wyhl ging es darum zu zeigen, dass die Bevölkerung, die von den negativen Folgen der Kraftwerke und der Bleifabrik betroffen wurde, nicht an den offiziellen Diskussionen beteiligt worden war. Dem einseitigen Beschluss wollten sie sich passiv widersetzen. Am 20. September 1974 fand die erste Bauplatzbesetzung in Marckolsheim, dann im Februar 1975 in Wyhl statt. Dabei muss man sich die sprachlichen Barrieren vor Augen führen. Auf deutscher Seite sprachen die meisten Menschen kein französisch, auf französischer Seite sprachen nur wenige Deutsch. Sie verständigten sich in alemannischer Sprache (bzw. Mundart). Dazu nahm Meinrad Schwörer aus Wyhl in einer Rede Stellung: Ich main grad, ebbis profitiere mir doch bi dem ganze Kriag, wo iiber uns goht. Mir sähne wieder emol, dass mir zämmeghere. Und mit nit anders bringt mir des besser zum Üsdruck, wie mit unsere aigene Sproch. Mit ere Sproch, wo se in Paris nit verstähn, wo se in Bonn nit verstähn, und wo selli in Minche au nit verstähn. Aber wo mir üs em alemannische Raum älli verstähn. Und mit ere Sproch, wo so vielfältig isch, und wo mit unser Gmiet äso üsdrucke kenne mit.28

Der Gebrauch einer gemeinsamen Sprache half dabei, ein Zugehörigkeitsgefühl zu entwickeln und Solidarität gegen den jeweiligen Staat zu bekunden. Dies wurde auch in der Zeitschrift Uss’m follik, die in Straßburg erschien, betont: „S’Elsass verreckt“.29 Auf deutscher Seite zeigte bei einem Informationstreffen in der Turnhalle Weisweil eine Live-Übertragung des SDR-Fernsehens, wie ein Elsässer diese Möglichkeit benutzte, sich in der alemannischen Sprache zu äußern. Er unterstrich, dass er sich in Deutschland auch zu Hause fühle.30 Schon früh, im November 1974, wurden sich die Platzbesetzer in Marckolsheim bewusst, dass die französische Regierung von dem Bauvorhaben absehen würde. Sie feierten ihren Sieg mit einem Fest, bei dem das „Anti-Blei-Lied“ vorgesungen wurde (Melodie von „Uff de schwäb’sche Eisebahne“), diesmal auch in der alemannischen Mundart, die auf den gemeinsamen Kampf hinwies: Strophe 1 S’elsässig-badische Eckli isch bigott a herrligs Fleckli d’Landschaft un’s Klima sinn noch recht gsund jetzt memr kämpfe dass es nit anderscht kunnt

Auf deutscher Seite waren die Kontakte mit der Landesregierung weiter fortgeschritten, damit das Projekt in Wyhl zurückgenommen werde. Im Dezember 1974 wurde dem Landtag eine Unterschriftensammlung überbracht, während Hunderte draußen im strömenden Regen auf die Entscheidung warteten. Am 12. Februar 27 28 29 30

Walter Mossmann, Realistisch sein: das unmögliche Verlangen. Wahrheitsgetreue Erinnerungen, Berlin, edition der Freitag, 2009, S. 196. ASBFr, Dokument 17433, 20. September 1974, Auszug aus einer Rede Meinrad Schwörers in Marckolsheim. ASBFr, Dokument 17789, Uss’m follik, Nr. 60/1974, S. 1. ASBFr, Dokument 17431, Live-Übertragung aus der Turnhalle Weisweil, 05.01.75.

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1975 wollte der Wyhler Bürgermeister die Bevölkerung anhören: Nur knapp über die Hälfte der Bevölkerung ergriff für ihn Partei. Was den Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg angeht, Hans Filbinger, der von 1973 bis 1979 auch Vorsitzender der Landes-CDU war, so hatte er sich bei den Linken verdächtig gemacht, da er im Rahmen der Berufsverbote besonders aktiv gewesen war.31 Ihm verdankte man auch das ganze Programm des Baus von Kernkraftwerken in der Gegend. Man musste bis zum 18. Februar 1975 warten, bis 200 Gegner mit der Bauplatzbesetzung in Wyhl anfingen, die aber von der Polizei schnell geräumt werden konnte. Verstärkung kam bald am 23. Februar mit 30.000 Gegnern, von Bussen nach Wyhl gebracht, die wie früher in Fessenheim ihre Aktion durchführten.32 Sie wurden von der Bevölkerung auf beiden Ufern des Rheins unterstützt. Ein Zeltdorf wurde errichtet, um die Leute vor den Niederschlägen und der Kälte zu schützen. Am Lagerfeuer saßen auch die Bäuerinnen der Gegend, die Frauen der Weinbauern. Manche hatten ein Kopftuch auf, andere strickten. Junge Leute und Kinder waren dabei, Unbekannte und Bekanntere wie Solange Fernex.33 Ganz neu war der Umstand, dass die meisten noch nie gegen den Staat rebelliert hatten und in Deutschland bis jetzt die CDU gewählt hatten. Informiert wurde auch die Bevölkerung von Freiburg-im-Breisgau bis Stuttgart, denn der Wirtschaftsminister des Landes, Rudolf Eberle, hatte die Nachricht verbreiten und von Fachleuten bestätigen lassen, dass das Kernkraftwerk keine schädlicheren Auswirkungen für Menschen, Tiere und die Umwelt als die Bestrahlung eines Fernsehers haben würde.34 Ende Januar 1976 kam es zur Offenburger Vereinbarung, d.h zuerst einmal zur Einstellung des Baus des Kraftwerkes und der Prozesse gegen Bauplatzbesetzer. Erste Erfolge zeichneten sich im März 1977 nach einer Entscheidung des Freiburger Verwaltungsgerichtes ab. Die Prozedur wurde aber zwischen 1979 und 1982 beim Mannheimer Amtsgericht (Bundesverwaltungsgericht) fortgesetzt. Erst 1983 wurde das Projekt von Lothar Späth endgültig eingestellt. Inzwischen war es auf Seiten der Gegner zu phantasievollen Initiativen gekommen: Ein erstes „Frendschaft’s Huss“ (Freundschaftshaus) wurde in Marckolsheim, ein zweites in Wyhl gebaut. Sie waren zugleich Versammlungssäle und Orte, um Information zu vermitteln und Feste zu feiern. Derartige hölzerne Rundhäuser ähnelten der Jurte, ursprünglich das runde traditionelle Zelt der Nomaden in Zentralasien und der Mongolei (nur nicht aus dem gleichen Material) und konnten einem breiten Publikum genügend Platz bieten. Außerdem wurde im April 1975 eine Volkshochschule gegründet. An drei Abenden in der Woche hatte sie es sich zum Ziel gesetzt, die Bevölkerung über die Gefahren der Kernkraft, aber auch über die biologische 31

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Hans Filbinger (1913–2007) hatte außerdem als Richter der Kriegsmarine mehrere Todesurteile gefällt, was er unmittelbar nach dem Krieg verleugnete. Als dies jedoch bestätigt wurde, musste er 1978 das Amt des Ministerpräsidenten niederlegen und wurde von Lothar Späth abgelöst. ASBFr, Dokument 17587. Der vorgesehene Marschplan ist sehr ausführlich beschrieben und erwähnt Stände, Parkplätze und sogar eine sanitäre Anlage. Der Transport der Demonstranten wurde zu einem sehr günstigen Preis angeboten. Solange Fernex (1934–2006), die frühzeitig in der Bewegung aktiv wurde, stand im Jahre 1979 an erster Stelle auf der Liste Europe Ecologie, als die ersten europäischen Wahlen stattfanden. Vgl. S’Weschpenäscht. Die Chronik von Wyhl 1970–1982.

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Landwirtschaft, die Alternativenergien und sogar die Dicht- und Gesangskunst zu informieren. Es haben bekannte Persönlichkeiten daran teilgenommen, unter anderen der sozialdemokratische Abgeordnete Erhard Eppler im Juli 1975. Derartige Initiativen trugen zur Bewegung bei, indem sie deren Engagement unterstützten und auch die festliche Seite veranschaulichten. Die Bewegung war „zum Fanal“ geworden.35 BILD UND TON IM DIENSTE DER BEWEGUNG Im Kulturleben der 1970er Jahre waren Buttons, Sticker und Aufkleber sehr beliebt, denn sie waren billig und konnten auf einem Pulli oder einem Parka getragen werden und ließen sich auf das Fahrrad oder den Wagen aufkleben. Sie waren auch sehr bunt und zeugten in der Öffentlichkeit von dem Engagement ihres Inhabers. Die Anhänger der Anti-AKW-Bewegung hatten sich eine knallrote lachende Sonne auf gelbem Hintergrund mit der Inschrift „Atomkraft, nein danke!“ ausgesucht. Was die Flugblätter oder die Plakate jener Zeit anging, so bezweckten sie, eine Veranstaltung anzukündigen oder Informationen weiterzugeben. Der Text spielte damals die Hauptrolle und füllte das Blatt ganz aus, als ob es darum ginge, so wenig Raum wie möglich für relativ kostspielige Dokumente zu verlieren. Wie die „Erklärung der 21 Bürgerinitiativen an die badisch-elsässische Bevölkerung“ bezeugt, bestand die einzige Bemühung in der noch recht primitiven Aufmachung darin, verschiedene Schriftarten und -größen, Hervorhebungen durch Fett- oder Kursivschrift sowie die französische und die deutsche Sprache zu verwenden, damit die Ähnlichkeit des Vorgangs im Gliederungssystem auffiel. Flugblätter und Broschüren appellierten wenig an Erfindungsgeist und Phantasie: Das beliebteste Motiv war ein stilisiertes Kraftwerk oder die Verwendung von Fotos der Mobilisierung. Dies hing teilweise damit zusammen, dass die Bewegung nicht zentralisiert war und wenig von Grafikern, Zeichnern und Fotomonteuren unterstützt wurde. Mehrere Fotografen haben hingegen die Bewegung am Oberrhein unterstützt – unter anderen Meinrad Schwörer und Bernd Nössler – und echte Fotoreportagen über die Aktionen, die Bauplatzbesetzungen und die dortige Lebensführung gemacht. Man darf auch nicht vergessen, dass Filme – vor allem Dokumentarfilme – vor Ort gedreht wurden. Zusätzlich zu den schon oben genannten wurde einer im Auftrag des WDR für die Sendung Vorort im Jahre 1974 gedreht und ohne jeglichen Kommentar gesendet. Hinzu kam am 26. Februar 1975 auch für den WDR der schwarzweiße Film „Bürger gegen Atomkraft Wyhl“, der zeigte, wie 28.000 Demonstranten den Bauplatz besetzten.36 Die größte Innovation war die Gründung von freien Sendern. Im Juni 1977 sendete „Radio Verte Fessenheim“ seine ersten Sendungen über die Bewegung. „Radio Dreyeckland“ (seit 1981 unter diesem Namen bekannt) konnte man in der 35 36

Frank Uekötter, Deutschland in Grün. Eine zwiespältige Erfolgsgeschichte, Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 2015, S. 128. Walter Mossmann, Realistisch sein: das unmögliche Verlangen. Wahrheitsgetreu gefälschte Erinnerungen, Berlin, edition der Freitag, 2009, S. 192.

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Gegend von Freiburg-im-Breisgau empfangen. Wie schon erwähnt, handelte es sich bei diesem von François Brumbt geprägten Namen um die Idee, dass drei Staaten, die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich und die Schweiz, auf einem Stück Land innerhalb Europas durch die gleichen Zielvorstellungen verbunden sind. Lieder und Musik sollten auch die Bewegung unterstützen und sie einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machen. Der Protestsänger Walter Mossmann (1941 in Karlsruhe geboren und 2015 gestorben) wandte dafür viel Energie auf. Er hatte in Freiburg studiert, eine Zeit lang beim Südwestfunk gearbeitet, bis seine Sendungen als nicht genehm für das System galten. Er beteiligte sich an der Studentenbewegung und lebte als freier Journalist. Seine erste Schallplatte Achterbahn Chansons entstand 1967. Darin war auch viel von Boris Vian und Georges Brassens vorzufinden.37 Im Jahre 1973 begeisterte er sich für den Widerstand der Bauern im Larzac, dann für die Anti-AKW-Bewegung und die Mobilisierung der Bevölkerung in Wyhl und im Kaiserstuhl. Zu jener Zeit entstanden seine „Flugblattlieder“,38 der Titel einer Platte von 1975, wobei der Begriff Flugblattlied darauf hinwies, dass derartige Lieder für die Aktionen im Kampf bestimmt waren.39 Ich ziehe es jetzt vor, solche Lieder zu machen, die einen klaren für mich erkennbaren Gebrauchscharakter in der politischen Arbeit haben. Auch Spaß machen, das ist ja auch ein Stück von diesem Gebrauchscharakter. […] Und dann haben sie dokumentarischen Charakter und sind eben ein Mittel unter verschiedenen – Reden, Flugblätter, Filme, Dias, und dann auch Lieder –, und das ist viel besser, als wenn man eine Stunde lang ein Lied hinterm andern so im bürgerlichen Konzertstil abzieht.40

Für Mossmann schlug die Stunde des Rundfunks, als „Radio Grün“ entstand. In seinem Buch, Realistisch sein: das unmögliche Verlangen. Wahrheitsgetreue Erinnerungen, sah er sich selbst als der „Bote von Wyhl“, der eine Mission zu erfüllen hat.41 Er hatte als Pseudonym Jos Fritz gewählt, den Namen eines Leibeigenen, der 1513 in Lehen, in der Nähe von Freiburg, die Bundschuh-Verschwörung geleitet und auf beiden Ufern des Rheins die Umstürzler um sich versammelt hatte.42 Im Nachhinein beschrieb er sich selbst in einem Lied als einen „gefrässigen Igel“.43 Seine Lieder entstanden schnell und waren „schnell gemacht und zum sofortigen Gebrauch bestimmt, keine Kunstanregung für die Nachwelt oder für den Weltmarkt […], sondern für die Büchertische der diversen Initiativen, die sich mit ähnlichen Problemen herumschlugen wie ich selber“.44 So komponierte er 1974 den „KKW-Nein-Rag“, ein Lied eher für Studenten bestimmt und später auch in Brokdorf oder Kalkar umgewandelt. „In Mueders Stübele“ war ein Lied mit Volks37 38 39 40 41 42 43 44

Vgl. Walter Mossmann / Peter Schleuning, Alte und politische Lieder, Reinbek bei Hamburg, Rowohlt, 1978. Ebd. Zitiert nach Thomas Rothschild, Bitte vollen Titel ergänzen, S. 128. Ebd., S. 129. Walter Mossmann, Realistisch sein, (Anm. 36), S. 203. Ebd., S. 207. Walter Mossmann, „Invitation à la danse“ (1980), Strophe 5, Übersetzung Hermann Dommel. Walter Mossmann, Realistisch sein, (Anm. 36), S. 206.

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liedcharakter in alemannischem Dialekt verfasst, damit es diesseits und jenseits der Grenze verstanden werden konnte. Das bekannteste Lied, das oft im Chor vorgesungen wurde, hieß „Die andere Wacht am Rhein“. Es wurde dem Modell von Florence Reed, „Which side are you on?“, nachgebildet. Refrain: Auf welcher Seite stehst du? He! Hier wird ein Platz besetzt. Hier schützen wir uns vor dem Dreck Nicht morgen, sondern jetzt!

Zu jener Zeit ging es im Elsass und in Baden um die Idee einer Fraternisierung zwischen Deutschen und Franzosen bei einem gemeinsamen Kampf gegen die Behörden in Paris und in Bonn. Das Lied „Die andere Wacht am Rhein“ war im Gegensatz zu jenem um 1840 unter dem zweiten Ministerium Thiers auf Deutsch verfasst worden mit dem Ziel, den deutsch-französischen Antagonismus und die Erbfeindschaft zwischen beiden Ländern zu verschärfen. Mit seinem neuen Lied betonte Mossmann im Jahre 1974 die Aufhebung des deutsch-französischen Antagonismus und beschwor die Existenz eines gemeinsamen Feindes diesseits und jenseits des Rheins, was zur Solidarität führen sollte. Mossmann erklärte, „dass dieses Lied vollkommen an die aktuellen und regionalen Besonderheiten des Kampfes in Wyhl und Marckolsheim gebunden ist.“45 Es hieß, die Regierungen ließen ihre Abfälle in den Rhein ab und gefährdeten somit die Gesundheit und die Zukunft der Lokalbevölkerung. Dabei hatte sich Mossmann den eher konservativen Bauern und Winzern im Elsass und in Baden anpassen müssen, indem er sich auch für den passiven Widerstand aussprach, obwohl manche seiner Lieder eher von dem Traum einer nicht gewaltlosen Revolution geprägt wurden. Das Kanonenfutter aus drei Kriegen zieht die Uniform aus, verweigert die Anerkennung der Grenze und hält gemeinsam in Arbeits- und Alltagskleidung die Wacht gegen seine Herren? Das ist auch die Geste der revolutionären Soldaten, die sich über den Schützengräbern verbrüdern und die Gewehre auf die eigenen Generäle richten.46

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Texterklärungen von Walter Mossmann, http://www.bund-rvso.de/print.php?id=145. Vgl. auch Walter Mossmann, http://www.bund-rvso.de/europawahl-bauplatzbesetzung-mar ckolsheim.html, 20.08.2014. „Ende September 1974, während der Platzbesetzung gegen ein deutsches Bleichemiewerk im elsässischen Marckolsheim, hat der französische Schullehrer Jean Gilg ein Transparent in den Schlamm gepflanzt: „Deutsche und Franzosen gemeinsam: Die Wacht am Rhein“. D. h. er hat ganz bewusst den Titel der informellen deutschen Nationalhymne aus dem ersten Weltkrieg aufgegriffen und mit einer vollkommen neuen, entgegengesetzten Bedeutung versehen […] – eine in der Tat „Andere Wacht am Rhein“. Vom ersten Tag an hat sich die oberrheinische Umweltbewegung der 70er Jahre als die historische Antwort auf das Menschheits-Verbrechen des ersten Weltkriegs verstanden.“ Walter Mossmann / Peter Schleuning, „Die andere Wacht am Rhein“, http://www.mediacultureonline.de, S. 47.

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Eine Demonstrantin zeugte von der Wirkung des auf Flugblättern vervielfältigen Liedes, das es ermöglichte, die Spannung abzubauen und Mut einzuflößen, indem der Refrain von allen gemeinsam vorgesungen wurde, was die nötige Kraft für die weitere Mobilisierung vermittelte.47 Die verschiedenen Strophen des Liedes erzählten von dem gemeinsamen Kampf. Die Melodie hatte den dorischen Modus der protestantischen Choräle zur Grundlage und ließ trotzdem viel Freiheit bei der Interpretation zu. Wenn man zum Beispiel Schlagermelodien benutzt, die haben immer diesen Charakter von Betäubung, Ablenkung, Einschläferung und so weiter. Das heißt, man kann so eine Melodie nicht einfach verwenden und damit einen Text transportieren wollen, der genau das Gegenteil will. Man kann eine Melodie benutzen, um diese Geste zu entlarven.48

Derartige Lieder führten immer wieder dazu, dass andere genauso kämpferische entstanden. Ein Jahr später, also 1975, komponierte die Band Fiedel Michel in Mainz die eigene „Wacht an der Lippe“. Als die Grüne Liste in Hamburg entstand, kam es zu einer anderen Fassung von Ottfried Halver. Jedes neue Lied passte sich der jeweiligen Situation des Ortes und des Kampfes an, der dort stattfand. In seinem fast 800seitigen Opus kommt Joachim Radkau zu dem Schluss, dass der Erfolg, den die Gegner der Kernkraft in Deutschland zeitigten, sich größtenteils durch die föderalistische Struktur der Bundesrepublik erklärte – im Gegensatz zu dem zentralistischen Staat Frankreich. Trotzdem waren die Aktionen auf beiden Ufern des Rheins – in Marckolsheim und in Wyhl – von Erfolg gekrönt. Eine neue Kultur des deutsch-französischen, bzw. des elsässisch-badischen Dialogs hatte sich dabei durchgesetzt, wurde in einer breiten Öffentlichkeit bekannt und trug dazu bei, dass die Bevölkerung sich der Notwendigkeit des Kampfes gegen schädliche Entscheidungen der Regierung bewusst wurde. Nach dem Unfall 1979 in Three Mile Island war Deutschland schon bereit die Gespräche über die Kernkraft fortzusetzen, wie Carl Friedrich von Weizsäcker es anlässlich einer Tagung in Hannover initiiert hatte.49 Der Anti-AKW-Kampf, der in Wyhl angefangen hatte, wurde in Brokdorf, Gorleben und an vielen anderen Orten fortgesetzt, in Frankreich teilweise auch mit schweren Zusammenstößen mit der Polizei wie in Creys-Malville im Juli 1977, als ein Demonstrant ums Leben kam. Schon im Jahre 1979 erklärten sich 33 % der deutschen Bevölkerung dafür, aktiv an Demonstrationen gegen den Bau von Kraftwerken teilzunehmen.50 Es bestand ein großer Unterschied zu den Reaktionen in Frankreich, wo der Geist von Marckolsheim und Wyhl keinen lang anhaltenden Einfluss behielt.

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Walter Mossmann, Realistisch sein,(Anm. 36), S. 190. Zitiert nach Thomas Rothschild, (Anm. 39), S. 127. Joachim Radkau, Die Ära der Ökologie, (Anm. 10), S. 271–272. Jost Hermand, Grüne Utopien in Deutschland. Zur Geschichte des ökologischen Bewusstseins, Frankfurt/Main, Fischer, 1991, S. 157.

EUROREGIONEN AM RHEIN Zur ‚Relativierung‘ der Grenze durch grenzüberschreitende Zusammenarbeit Claudia Hiepel Zusammenfassung Die Euroregionen schufen eine nicht zuletzt von der Zivilgesellschaft getragene Brücke zwischen den Nationalstaaten in Europa. Ihre Ursprünge liegen am Ober- und Niederrhein in den 1950er und 1960er Jahren. Die Euregios gingen in diesem Raum nicht zuletzt auf die Initiativen der Bewohner der Grenzgebiete zurück. Sie erwiesen sich als wirkungsvolles Instrument der regionalen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kooperation und Verflechtung. Aus dieser Perspektive war der Rhein weniger eine Grenze als vielmehr ein Raum dichter Verflechtung.

Résumé Les régions frontalières se situent dans une situation périphérique par rapport à leur État national. Ils servent de pont entre les États nationaux et les sociétés civiles organisées. Aujourd’hui, il existe presque 200 structures transfrontalières en Europe. Les débuts de ces formes de la coopération transfrontalière institutionnalisée se trouvent dans l’espace rhénan inférieure et supérieure pendant les années 1950 et 1960. La suppression de la frontière en tant que marque de séparation entre États, économies et sociétés est une puissante motivation des acteurs locaux. Grâce à une planification conjointe, les désavantages économiques nés de la position géographique périphérique en marge des États nationaux devaient être écartés. Les Euregios représentent une nouvelle forme de perception et de création de l’espace, qui doit servir à surmonter la frontière. Dans ce contexte, le Rhin se revèle plutôt une zone de contact qu’une ligne de séparation.

Das historische Narrativ der europäischen Integration als Friedensprojekt ist untrennbar mit der Vorstellung von der Beseitigung der Schlagbäume an den Grenzübergängen und eines Europas ohne Grenzen verbunden. Mit der Realisierung des Binnenmarktes und dem Schengener Abkommen ist der Abbau von Staatsgrenzen vorangeschritten. Politische Grenzen haben ihren trennenden Charakter verloren und bilden keine ausgeprägten Barrieren für Austausch und Transfer zwischen den europäischen Gesellschaften und Ökonomien. Für die Europäische Union sind institutionalisierte Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit besonders förderungswürdig und mit dem INTERREG-Programm werden seit Beginn der 1990er Jahre Projekte und Organisationen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit an den Binnengrenzen der Europäischen Union gefördert.1 Die Ziele sind 1

Im laufenden Programm INTERREG V sind für den Zeitraum von 2014 bis 2020 6,6 Milliarden Euro im Rahmen des Kohäsionsfonds allein für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit

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ökonomischer wie politischer Natur: Einerseits sollen wirtschaftliche Synergieeffekte erzielt werden, andererseits sollen Grenzregionen den Gemeinschaftsgeist in der EU fördern.2 Transfer, Austausch und Kooperation sind in der europäischen Geschichte allerdings keine neuen Phänomene und natürlich auch keine ‚Erfindung‘ der Europäischen Union. Verflechtungen in Grenzregionen haben seit Jahrhunderten Tradition, staatliche Grenzbildungsprozesse hingegen im Zeitalter der Nationalstaaten auf gewachsene sprachliche und kulturelle Traditionen oder wirtschaftliche Verflechtungen vielfach keine Rücksicht genommen. Ganze Regionen wurden an die Peripherie ihrer jeweiligen Nationalstaaten gerückt und richteten sich administrativ, politisch und infrastrukturell auf ihre Zentren aus. In den Grenzregionen führte das vielfach zur Dekomposition von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur. Initiativen zur Überwindung der Nachteile, die durch staatliche Grenzen geschaffen wurden, gingen meist von den regionalen Grenzgesellschaften aus. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren es lokale und regionale Akteure, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten nach pragmatischen Ansätzen zur Überwindung der Grenze suchten. Erst allmählich entwickelten sich daraus institutionalisierte Formen der Kooperation, die dann Teil der EU-Regionalpolitik wurden. Vorreiter waren die Grenzgebiete entlang des Rheins. Parallel und unabhängig voneinander gingen erste Initiativen vom deutsch-niederländischen und deutschfranzösischen Raum aus. Die erste sogenannte EUREGIO wurde 1958 im deutschniederländischen Grenzraum gegründet in einem Gebiet zwischen Rhein, Ems und Ijssel. Sie besaß Modellcharakter und wirkte als Katalysator für weitere Gründungen von Euroregionen, die ab den 1970er Jahren in direkter Anlehnung an diese erste Euregio im deutsch-niederländisch-belgischen Grenzraum in rascher Folge entstanden und sich auch in der Namensgebung an ihr orientierten.3 Am Oberrhein machte im Dreiländereck von Deutschland, Frankreich und der Schweiz die Regio Basiliensis 1963 den Anfang für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Ihrem Beispiel folgten auf französischer Seite die 1964 ins Leben gerufene französische Regio du Haut-Rhin und 1984 die Regio Freiburg.4 Die Anfänge der konkreten Initiativen für eine grenzüberschreitende Kooperation fallen also zeitlich zusammen mit der Implementierung der EWG 1958 und mit der der Unterzeichnung des Elysée-Vertrages 1963.

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in den Grenzregionen vorgesehen. Siehe die offizielle Website der EU-Kommission: http:// ec.europa.eu/regional_policy/de/policy/cooperation/european-territorial/ Keynote Speech by Director General Walter Deffaa on the Interreg Annual Meeting 2014: http:ec.europa.eu/regional_policy/de/policy/cooperation/european-territorial/cross-border/ Euregio Rhein-Waal (1971), Euregio Maas-Rhein (1976), Ems-Dollart-Region (1977) und die trilaterale Euregio Rhein-Maas-Nord (1978). Die Bezeichnung EUREGIO als Eigenname ohne erläuternden geographischen Zusatz blieb bis heute der erstgegründeten Euregio an RheinEms-Ijssel vorbehalten. Siehe Claudia Hiepel, „,Borders are the scars of history?‘ Cross-border Co-operation in Europe – the Example of the EUREGIO“, in: Journal of European Integration History 22 (2016), S. 263–277. Birte Wassenberg, Vers une eurorégion? La coopération transfrontalière franco-germanosuisse dans l’espace rhénan de 1975 à 2000, Bruxelles et al., Peter Lang, 2007.

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Was auf der lokalen und regionalen Ebene am Rhein seinen Ausgang nahm, zog weite Kreise und wurde in weiteren Grenzregionen aufgegriffen und imitiert. Gab es bis Ende der siebziger Jahre gerade einmal zwanzig Euregios oder ähnliche Strukturen an den Binnengrenzen der damaligen Europäischen Gemeinschaft, wuchs die Zahl bis Ende der achtziger Jahre um weitere zwölf Regionen an. In den neunziger Jahren war ein regelrechter Boom von Gründungen zu verzeichnen: 54 Neugründungen, vor allem – aber nicht nur – an den Grenzen zu den mittel- und osteuropäischen Staaten, die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und im Zuge der geplanten Osterweiterung nach der Jahrtausendwende an die Europäische Union herangeführt werden sollten. Aktuell sind es an die 200 Grenz- und grenzübergreifende Regionen, die im Dachverband der Arbeitsgemeinschaft europäischer Grenzregionen (AGEG) zusammengefasst und organisiert sind.5 Bei der hier der Einfachheit halber als ‚Euroregionen‘ bezeichneten Form der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit handelt es sich um eine sehr spezifische Formierung von Grenzregionen, die sich durch eine stark institutionalisierte Struktur der Zusammenarbeit in benachbarten Grenzgebieten auszeichnet. In der Regel agieren regionale und kommunale Gebietskörperschaften, zum Teil unter Beteiligung der Wirtschaft und der Handelskammern.6 Ziel ist die Schaffung eines Raumes, der alle Funktionen des Zusammenlebens grenzüberschreitend und den Grenzbewohnern unbeschränkt und unabhängig von ihrer nationalen Zugehörigkeit zugänglich machen soll. Die Schaffung einer transnationalen regionalen Identität soll im Idealfall am Ende dieser Entwicklung stehen.7 DER RHEIN ALS GRENZE UND KONTAKTZONE Es ist sicherlich kein Zufall, dass der Rhein und seine Grenzgebiete den Anstoß für diese Form transnationaler Kooperation gegeben haben. Zwar war er als vermeintliche „frontière naturelle“ Frankreichs ein stetiger Konfliktherd. War die deutsch-niederländische Grenze ab einem gewissen Zeitpunkt stabil, galt dies für die deutschfranzösische Grenze nicht. Hier existierten mit Elsaß und Lothringen ständige Konfliktzonen.8 Dennoch hatte der Rhein eine Doppelrolle, indem ihm eben nicht nur der trennende Charakter – eines in diesem Fall historisch umstrittenen Grenz5

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Birte Wassenberg / Jean Reitel, Die territoriale Zusammenarbeit in Europa. Eine historische Perspektive, Luxemburg: Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union, 2015 sowie die fortlaufend aktualisierte interaktive Karte auf der Website der AGEG, (10.8.2017). Jens Gabbe, „Europäische Modelle interregionaler und grenzüberschreitender Kooperation“, in: Interregiones 6 (1997), S. 7. Martin Klatt, „Common, Cross-border Regional History as an Approach to People-to-People Cooperation and Cross-Border Regional Integration“, in: Madeleine Hurd (ed.), Borderland Identities: Territory and Belonging in Central, North and East Europe, Förlags ab Gondolin 2006, S. 109–146. Zum Konzept der sensiblen Grenzregionen siehe Birte Wassenberg, „Qu’est-ce qu’une région transfrontalière sensible?“, in: dies. / Joachim Beck (Hg.), Vivre et penser la coopération transfrontalière (Volume 4): les régions frontalières sensibles, Stuttgart, Franz Steiner, 2011, S. 67–88.

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flusses – eigen war, sondern er immer auch zugleich eine Kontaktzone gebildet hat.9 Der französische Historiker und Mitbegründer der Annales-Schule, Lucien Febvre, hat in seinem wegweisenden Buch über den Rhein aus dem Jahr 1935 bereits auf den Doppelcharakter des Rheins aufmerksam gemacht, der sowohl eine trennende Linie markiere wie eine verbindende Nahtstelle, die einen Übergangsraum schaffe, in dem zwei Welten miteinander verknüpft werden.10 Stärker noch betonte der französische Geograph Jacques Ancel die Herausbildung einer Sonderidentität in Grenzregionen, indem er die Grenze allgemein als sozialen Raum charakterisierte, der durch hoheitliche Demarkationslinien nur unvollkommen zerschnitten werde und in dem oft eine binationale Grenzgesellschaft eigenen Gepräges entstanden sei.11 Die Grenze wurde hier also bereits nicht nur als Linie wahrgenommen, die zwei Räume voneinander teilt, sondern als raumkonstituierendes Element. Auf deutscher Seite sind solche konstruktivistischen Ansätze lange Zeit in Vergessenheit geraten. Die Erforschung grenzübergreifender Kulturräume war durch die völkisch-expansionistische Aufladung der Westforschung diskreditiert, die kurzerhand den gesamten Rhein von der Quelle bis zur Mündung als „geographisches Deutschland“ deklarierte und in der Behauptung eines ursprünglichen Verbreitungsraumes germanischer Kultur, Sprache und Brauchtums wie selbstverständlich die Niederlande, Belgien und Teile Frankreichs und der Schweiz einverleibte.12 Insofern haben Grenzen erst seit einiger Zeit wieder „Konjunktur“ in der historischen Forschung.13 Verantwortlich für das neu erwachte Interesse sind die Prozesse von Globalisierung und Europäisierung und der damit einhergehende Bedeutungsverlust der Nationalstaaten. Territorialgrenzen werden immer häufiger und auf vielen Feldern überschritten. Der spatial turn in der Geschichtswissenschaft und zugleich der cultural turn der Geographie ermöglichten zugleich neue Perspektiven und Forschungsansätze.14 „Die Wiederkehr des konkreten Raumes“ – darauf hat Jürgen Osterhammel hingewiesen – „lenkt die Aufmerksamkeit von diplomatischen Aktionen und weltpolitischen Strategien auf die Konkretheit regionaler und lokaler Verhältnisse“15 und ihrer Bedeutung für Entgrenzung und Deterritorialisierung in der Moderne. Und letztlich sind es Menschen, die den Raum „produzieren“ 9 10

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Andreas Rüther, „Flüsse als Grenzen und Bindeglieder. Zur Wiederentdeckung des Raumes in der Geschichtswissenschaft“, in: Jahrbuch für Regionalgeschichte 25 (2007), S. 29–44. Ein geraffter Überblick von Bernhard Struck, „Grenzregionen“, in: EGO / Europäische Geschichte online, hg. vom Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG), Mainz 2012-1204. URL: http://www.ieg-ego.eu/struckb-2012-de (10.8.2017) sowie Lucien Febvre, Der Rhein und seine Geschichte, Frankfurt, Campus, 2006 [Erstveröffentlichung 1932]. Jacques Ancel, Géographie des frontières, Paris 1938, S. 182 ff. Barbara Henkens / Ad Knotter (eds.), De „Westforschung“ en Nederland, Assen 2005. Etienne François / Jörg Seifahrt / Bernhard Struck (Hg.), „Grenzen und Grenzräume. Erfahrungen und Konstruktion“, in: Dies. (Hg.), Die Grenze als Raum. Erfahrung und Konstruktion: Deutschland, Frankreich und Polen vom 17. bis zum 20. Jahrhundert, Frankfurt, Campus, 2007, S. 7–33. Riccardo Bavaj, „Was bring der „spatial turn“ der Regionalgeschichte? Ein Beitrag zur Methodendiskussion“, in: Westfälische Forschungen 56 (2006), S. 457–484. Jürgen Osterhammel, „Raumbeziehungen. Internationale Geschichte, Geopolitik und historische Geographie“, in: Wilfried Loth / ders. (Hg.), Internationale Geschichte. Themen – Ergebnisse – Aussichten, München, Oldenbourg, 2000, S. 287–308, hier: S. 291.

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und zwar in dreierlei Hinsicht: als wahrgenommener Raum, als konzipierter Raum und als gelebter Raum.16 Was für Räume im Allgemeinen gilt, lässt sich auch auf den Grenzraum im Besonderen übertragen.17 Die transnationale Regionalismusforschung geht davon aus, dass es eine Tradition und Geschichte struktureller und kultureller Verflechtungen geben muss, an die eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit überhaupt anknüpfen kann.18 Auf Europa bezogen ist das aber für nahezu alle Grenzregionen zutreffend. Erst im Prozess nationalstaatlicher Abschottung wurden häufig traditionale Verflechtungen der Vormoderne aufgelöst oder gar ganz gekappt und gerieten in Vergessenheit. Grenzen haben zum einen politische, soziale und kulturelle Unterscheidungen in die Grenzgesellschaften eingezogen, zugleich aber haben sie als soziale Realität zur Schaffung neuer Netzwerke geführt, die durch die Grenze induziert waren und an die dann angeknüpft werden konnte.19 „Alienated borderlands“ mit rigiden Grenzregimen ohne Durchlässigkeit waren in Europa vor allem an der Grenze des „Eisernen Vorhangs“ zur Realität geworden. Eher waren es „interdependent borderlands“ wie sie zwischen Deutschland und seinen westlichen Nachbarstaaten nach dem Zweiten Weltkrieg existierten, in denen formal eine territoriale Grenze die Nationalstaaten voneinander abgrenzte und Austausch über Grenzen hinweg zwar schwierig, jedoch möglich war. Heute haben sich einige dieser Grenzregionen zu „integrated borderlands“ entwickelt, in denen Grenzen nur noch rein administrativer Natur sind und im Alltag der Grenzbewohner kaum spürbar sind.20 Bei den Euroregionen handelt es sich also um räumliche Einheiten, die mit einem spezifischen Zweck verbunden werden. Ihre Entstehung ist im Kontext der europäischen Geschichte nach 1945 zu sehen. Sie entstanden parallel zur europäischen Einigung, ohne aber freilich als integraler Teil des politischen und institutionellen Integrationsprozesses beschrieben werden zu können. Die grenzübergreifende Integration in den Euroregionen verlief unabhängig davon und folgte eigenen Regeln. Sie begann zumeist ganz pragmatisch mit der Suche nach Problemlösungen zum beiderseitigen Vorteil und äußerte sich in punktueller sachbezogener Zusammenarbeit. Erst allmählich wurden die informellen Kontakte verstetigt und institutionalisiert und die Arbeit so professionalisiert, dass die Euroregionen als neuer eigener Akteur und der Raum als transnationaler Lebensraum wahrgenommen wurden.21 Die Entstehung von Euroregionen sind das Ergebnis der Aktivitäten lokaler und regionaler Akteure der Gebietskörperschaften, Bürgermeister, Landesplaner, aber auch Vertreter der Wirtschaft, Industrie- und Handelskammern 16 17 18 19 20 21

Henri Lefebvre, The production of space, Oxford 1991 [Erstveröffentlichung 1974]. Anssi Paasi, „Constructing Territories, Boundaries and Regional Identities“, in: Contested territory: border disputes at the edge of the former Soviet empire, Aldershot, Elgar, 1995, S. 1–10. Peter Schmitt-Egner, „Grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Europa als Gegenstand wissenschaftlicher Forschung und Strategie transnationaler Praxis“, in: Gerhard Brunn / ders. (Hg.), Grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Europa, Baden-Baden, Nomos, 1998, S. 27–77. Michiel Baud / Willem van Schendel, „Toward a comparative history of Boderlands“, in: Journal of World History 2 (1997), S. 211–242. Siehe Oscar Martinez, Border People: Life and Society in the U. S.-Mexico Boderlands, Tucson 1994, S. 5–10. Schmitt-Egner, „Grenzüberschreitende Zusammenarbeit“, S. 65 ff.

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sowie zivilgesellschaftliche Akteure mit sehr unterschiedlichen Motiven und Zielen. Idealtypisch soll dies am Beispiel der Kooperation entlang des Rheins gezeigt werden, die zu den Pionierregionen dieser Form der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zählten. Die Akteure der EUREGIO und der Regio Basiliensis standen dabei schon sehr früh in engem Kontakt. Sie bestärkten sich gegenseitig in ihrer jeweiligen Vorbildfunktion. Am Niederrhein hatte man 1958 mit konkreten Schritten der Zusammenarbeit begonnen, die die Akteure der Regio Basiliensis offensichtlich inspirierten. In der EUREGIO betrachtete man wiederum die Regio Basiliensis als vorbildlich im Hinblick auf die Institutionalisierung der Zusammenarbeit mit rechtlich geregelter Verbandsform und gemeinsamen „Spielregeln“22. Der Rhein wurde als „Konzentrationsachse“23 zwischen Rotterdam und Basel definiert, auf der sich EUREGIO und Regio Basiliensis in zentraler Lage und verbindender Funktion befanden. 1974 initiierten diese beiden Euregios die Gründung des bereits erwähnten Dachverbandes, der Arbeitsgemeinschaft der europäischen Grenzregionen (AGEG). In Basel wurde zunächst das Sekretariat eingerichtet und mit Alfred Mozer wurde ein wichtiger Akteur aus der EUREGIO deren erster Vorsitzender.24 EUROREGIONEN AM RHEIN Die Regionen am Oberrhein und am Niederrhein bilden also die zentralen Schwerpunkte der Kooperation über Grenzen hinweg. Auch wenn beide Regionen unter unterschiedlichen sozialstrukturellen und politischen Voraussetzungen agierten und durchaus verschiedene Wege hinsichtlich der organisatorischen Struktur gingen, zeichnete sie doch eine Reihe von Gemeinsamkeiten aus. So lassen sich klar zwei Motivstränge erkennen, ein idealistischer und ein ökonomisch-utilitaristischer, die freilich beide im konkreten Handeln der Akteure nicht immer voneinander zu trennen waren. Zunächst einmal ging es ihnen um eine Annäherung der Gesellschaften jenseits wie diesseits der Grenze, die eher als eine Wieder-Annäherung begriffen wurde. Die Grenze stand im Mittelpunkt des Kooperationszwecks und war ihr Ausgangspunkt. Sie sollte materiell und symbolisch wenn nicht beseitigt, so doch zumindest in der Diktion der Akteure „relativiert“ werden bis sie einen ähnlichen Charakter erhielte wie eine innerstaatliche administrative Grenze zwischen Regionaleinheiten. Die ersten Akteure der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit waren Europaidealisten wie der Deutsch-Niederländer und pensionierte EG-Beamte Alfred Mozer.25 Er bezeichnete Grenzen als einen „Atavismus der Nationalstaaten“ 22 23 24 25

Erstes Europäisches Symposium der Grenzregionen. Die Zusammenarbeit europäischer Grenzgebiete, Straßburg, 1972. Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland, NW 736, Nr. 346. Ebd. Arbeitsgemeinschaft Europäischer Grenzregionen (AGEG) (Hg.), Zusammenarbeit Europäischer Grenzregionen. Bilanz und Perspektiven, Baden-Baden 2008. Zur Rolle Alfred Mozers, der dem ersten EWG-Landwirtschaftskommissar Sicco Manholt diente, siehe: Claudia Hiepel, „Europäische Integration „von unten“? Alfred Mozer und die Gründung der EUREGIO“, in: Geschichte im Westen 30 (2015), S. 39–62.

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oder als „Narben der Geschichte“26, die es zu überwinden gelte. Ziel müsse es sein, ein grenzüberschreitendes Bewusstsein zu entwickeln und es zu einer Selbstverständlichkeit zu machen, dass die Bürger nicht „mit dem Rücken zum Nachbarn an der Grenze stehen“ und ihren Blick nach innen auf die Zentren des eigenen Landes richten, sondern sie sich „mit dem Gesicht zueinander orientieren“, also eine gemeinsame Grenzgesellschaft bilden.27 Die Grenze wurde als Ort der Begegnung statt der Trennung imaginiert und hierfür an alte regionale Traditionen angeknüpft. Die historische Begründung der Euroregionen lieferte nicht die unmittelbare Geschichte der Europäischen Gemeinschaft, sondern es wurde die Erzählung einer langen, gemeinsamen Geschichte der Grenzregion geschaffen, deren Wurzeln bis ins Mittelalter zurückreichten. Am Niederrhein seien erst mit dem Wiener Kongress von 1815 Grenzen geschaffen worden, deren Verlauf der der späteren Nationalstaaten entsprach. Sprachlich, kulturell und wirtschaftlich bildete die Region jedoch grenzüberschreitend weiterhin eine Einheit. Man verstand sich auf Grundlage eines gemeinsamen Dialekts, des „Twentse Plat“. Und auch nach der Schaffung territorialstaatlicher Grenzen habe es einen regen Austausch, Wanderungsbewegungen und ökonomische Verflechtungen gegeben. Bis zum Zweiten Weltkrieg gab es familiäre, religiöse und kulturelle Verflechtungen zwischen Niederländern und Deutschen, grenzüberschreitende sozial-kulturelle und wirtschaftliche Beziehungen.28 Auch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit am Oberrhein wurde mit diesem historischen Narrativ unterfüttert. Der Gründer der Regio Basiliensis und zugleich ihr erster Generalsekretär, Hans Briner, hielt Grenzen für strukturelle Hindernisse, die die Gesellschaften künstlich beengten. Die Situation der Grenze müsse „entdramatisiert“ werden, so seine Formulierung. Auch ihm ging es um die Sicherung des Friedens und die Annäherung der Grenzgesellschaften durch den Abbau der Grenze.29 In Analogie zum niederrheinischen Vorbild wurde als Basis der Zusammenarbeit das gemeinsame historische Erbe im Dreiländereck Deutschland – Schweiz – Frankreich bemüht. Für die Territorien und Städte des Mittelalters markierte der Rhein oft keine Grenze und sie erstreckten sich links- wie rechtsrheinisch. In wirtschaftlicher Hinsicht war der Raum vielfach verflochten. Die gemeinsame sprachliche Basis bildete hier der alemannische Dialekt. Allerdings waren Grenzkonflikte an der deutsch-französischen Grenze im 19. und 20. Jahrhundert ausgeprägter als an der deutsch-niederländischen. Das Elsass wechselte bekanntlich von 1871 bis 1945 vier Mal seine staatliche Zugehörigkeit. Die wechselseitigen Ressentiments waren daher kurz nach dem Zweiten Weltkrieg noch sehr ausgeprägt 26 27 28

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Alfred Mozer, Masch. Manuskript, 26.11.1971. Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis (IISG), Archief Alfred Mozer, 116 [künftig AAM]. „Mit dem Gesicht zueinander. Alfred Mozer erläutert die Euregio-Idee. Interview“, in: Congress 2 (1975), S. 21. AAM 116. Die Grenze – Trennung oder Begegnung, 2. Auflage, hg.v. der EUREGIO-Mozer-Kommission, o. D. AAM 117; EUREGIO – eine europäische Grenzregion und ein Programm, hg.v. EUREGIO/ Gronau, 1978. AAM 119; auch: EUREGIO. Materialien für die Sekundarstufe II. Lesmateriaal voor de bovenbouw van het voortgezet onderwijs. Geschichte – Geschiedenis, Gronau o. D. [1984]. Hans Briner, „Überwindung der Grenzen, Problematik einer Grenzregion“, in: Jahrbuch der Neuen Helvetischen Gesellschaft, 1974, S. 1–10.

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und ließen erst im Laufe der späten fünfziger bis frühen sechziger Jahre nach.30 Die Wieder-Annäherung konnte dann auf zivilgesellschaftlichen Kontakten aufbauen, die bereits im Rahmen von Städtepartnerschaften und der 1950 gegründeten deutsch-französischen Bürgermeisterunion geknüpft worden waren.31 Zugleich bildete die Annäherung auf der zwischenstaatlichen politischen Ebene den Rahmen für die Kooperation an den Grenzen. Montanunion und Europäische Wirtschaftsgemeinschaft machten im Großen vor, was in den Regionen im Kleinen dann konkret wurde. Die Euroregionen sahen sich zwar als ein Modell für Europa, kamen aber nicht auf Initiative der europäischen Institutionen zustande. Am Oberrhein war es überdies die Schweizer Seite, die die Zusammenarbeit initiierte und die Entscheidungsträger auf französischer und deutscher Seite nachzog. Aussöhnung und Frieden bildeten dabei das „Leitmotiv“ der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in den Euroregionen.32 Schon früh stellte man sowohl am Nieder- wie am Oberrhein fest, dass die Integration von Grenzräumen eine komplexe Aufgabe darstellte, die nicht allein mit der Beseitigung von Zollgrenzen erfüllt werden konnte. Auch wenn die gesellschaftlichen und ökonomischen Grundstrukturen beiderseits der Grenze sich ähnelten, wurden dennoch unterschiedliche nationalgesellschaftliche Prägungen des Verhaltens beobachtet, die einer engeren Verflechtung hinderlich waren.33 Diese zu überwinden war die mittel- bis langfristige Perspektive. Kurzfristig und ganz pragmatisch wurde eher das ökonomische Motiv grenzüberschreitender Zusammenarbeit in den Mittelpunkt gestellt. Hieraus ergaben sich konkrete Ansatzpunkte. So hatte eine Studie dem deutsch-niederländischen Grenzraum eine düstere Prognose gestellt und vor dem Absturz in die Bedeutungslosigkeit aufgrund von Wanderungsverlusten und einem Absinken des Wohlstandsniveaus gewarnt. Die Probleme waren auf beiden Seiten der Grenze gleich gelagert, so dass nur eine „Kausaltherapie“ in Form einer abgestimmten nationalen und europäischen Regionalpolitik helfen könne, um die „Sperrwirkung“ der Grenze aufzuheben und die nationalen Randlagen in eine gemeinsame europäische Zentrallage zu verwandeln.34 Am Oberrhein war es primär die geographische Lage der Kantone Basel-Stadt und Basel-Land, die als Ausgangspunkt für eine ähnliche Initiative zu sehen ist. Vom Rest der Schweiz durch die Alpen abgetrennt, ergab sich für Wirtschaft und Handel die Notwendigkeit, sich stärker nach Norden zu orientieren und die Verflechtung mit den deutschen und französischen Nachbarregionen zu suchen. Mit Unterstützung der Kantonalregierungen und der regionalen Wirtschaft wurde der 30 31 32

33 34

Peter Stolz / Edmund Wiss, Soziologische Regio-Untersuchung. Schriften der Regio 2, Basel 1965. Lucie Filipovà, Erfüllte Hoffnung. Städtepartnerschaften als Instrument der deutsch-französischen Aussöhnung, 1950–2000, Göttingen, Vandenhoeck&Ruprecht, 2015, S. 12. Birte Wassenberg, „Qu’est-ce qui motive la coopération transfrontalière dans l’espace francogermano-suisse? Approche historique“, in: Dies. (dir.), Vivre et penser la coopération transfrontalière (Volume 1): les régions frontalières françaises, Stuttgart, Franz Steiner, 2010, S. 95–115, hier: S. 102. Strukturuntersuchung Twente-Oostgelderland, Westmünsterland, Grafschaft Bentheim, Kurzfassung, hg. v. der Kommunalgemeinschaft Rheinland-Ems, o. D. [1966]. AAM 114. Ebd.

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Verein Regio Basiliensis gegründet mit dem Zweck der Planung und Förderung zur Entwicklung wirtschaftlicher, politischer und kultureller Verflechtungen der Region, die neben Basel eben auch den umliegenden ‚natürlichen‘ Raum im Dreiländereck umfassen sollte.35 Für die eigentlich zentrale Region in Europa sollte ein Planungskonzept entwickelt werden, um ihre Potentiale besser ausnutzen zu können. Die Situation war vergleichsweise noch komplexer, handelte es sich doch um drei nationale Regionen mit je unterschiedlichen Entwicklungsniveaus und rechtlich-administrativen Strukturen. Ähnlich wie in der EUREGIO wurde mit der Randlage argumentiert, die überwunden werde müsse, indem für gemeinsame Probleme in allen drei Regionen gemeinsame Lösungen gefunden werden sollten. Hier wie dort wurden sehr konkrete Projekte vorgeschlagen: der Ausbau des grenzüberschreitenden Straßenverkehrs und die Anbindung an wichtige Autobahnverbindungen, der Ausbau des Schienenverkehrs oder von Regionalflughäfen. Die Grenzregion als Lebensraum sollte durch praktische Verbesserungen wie Erleichterungen im kleinen Grenzverkehr und im Alltagsleben aufgewertet werden: durch die Möglichkeit, Krankenhäuser beiderseits der Grenze zu nutzen, die Verlängerung der Öffnungszeiten für kleinere Grenzübergänge, Bürgerstellen zur Anhörung für alltägliche Grenzprobleme um nur einige Beispiele zu nennen.36 Die Umsetzung erwies sich aber als schwierig. Es gab eine Reihe von administrativen Hindernissen zu bewältigen und politischen Schwierigkeiten zu überwinden. Die Handlungskompetenzen und -möglichkeiten der lokalen und regionalen Akteure waren eng begrenzt. De facto hatte die Grenzüberschreitung in der regionalen Kooperation den Charakter einer Art „kleiner Außenpolitik“37, die in die Kompetenzen und Privilegien der (national-)staatlichen Akteure eingriff und entsprechende Reaktionen hervorrief, die von Unverständnis und Reserven bis hin zum Versuch der einflussnehmenden Kontrolle reichten. Zudem unterschieden sich die politisch-administrativen Strukturen und die Kompetenzverteilungen in den einzelnen politischen Systemen derart, dass es durchaus schwierig war, eine angemessene Akteurskonstellation zu erhalten, bei der alle Beteiligten die gleichen Kompetenzen, den gleichen Rang, die gleichen Zuständigkeiten und damit Handlungsmöglichkeiten besaßen. Von diesen komplexen politisch-administrativen Rahmenbedingungen hing letztlich auch die Form der grenzübergreifenden Zusammenarbeit ab. Am Niederrhein stand dem zentralistisch organisierten niederländischen Staat, in dem die Provinzen und Gemeinden ihre Finanzmittel vom Staat erhalten und nur geringe Befugnisse haben, die föderale Ordnung der Bundesrepublik gegenüber mit 35 36

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Petra Newrly, Transnationaler Regionalismus. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit am Oberrhein – ein Beispiel für die Fortentwicklung der europäischen Integration?, Münster, Lit, 2002, S. 59. Ebd., S. 99 sowie Jens Gabbe, „EUREGIO – regionale grenzüberschreitende Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene“, in: Staatsgrenzen überschreitende Zusammenarbeit des Landes Nordrhein-Westfalen. Eine Dokumentation, hg. vom Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes Nordrhein-Westfalen (ILS), Dortmund 1984, S. 87–95. So Birte Wassenberg, „Grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Europa als Mittel der „kleinen“ deutschen Außenpolitik: das Beispiel des Oberrheins“, in: Revue d’Allemagne et des pays de langue allemande 47 (2015), S. 77–96.

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ausgeprägten Kompetenzen der Länder, der Kreise und Gemeinden.38 Am Oberrhein waren es die politisch weitgehend autonomen Kantonen des Schweizer Föderalismus einerseits und in Frankreich ein stark zentralistischer Staat anderseits, in dem die Befugnisse der Départements und der Regionen sehr beschränkt waren und nicht mit den Kantonen in der Schweiz und den Bundesländern auf deutscher Seite zu vergleichen waren. Erst das Dezentralisierungsgesetz von 1982 erweiterte die Kompetenzen der französischen Regionalpolitik um Aspekte wie Städteplanung, Raumordnung und Verkehrspolitik.39 Weder nach internationalem Recht noch nach der staatlichen Kommunalgesetzgebung gab es Bestimmungen, die die Beziehungen zwischen in- und ausländischen kommunalen und regionalen Gebietskörperschaften hätten regeln können. Ein informeller Austausch war natürlich immer möglich, jedoch im Hinblick auf die wahrgenommenen Defizite und Zielvorstellungen der Beteiligten nicht angemessen. Konkrete grenzübergreifende Zusammenarbeit sollte sich nicht in Symbolpolitik oder lockeren unverbindlichen Absprachen ergehen, wenn sie tatsächlich die Lebensrealität in den Grenzregionen verändern und wenn sie Einfluss auf Entscheidungsträger nehmen wollte. Der Zusammenschluss erfolgte daher in der Regel nach einem nationalen Recht, im Falle der deutsch-niederländischen Kooperation häufig als privatrechtlich eingetragener Verein nach deutschem Vereinsrecht, mitunter als Stichting (Stiftung) nach niederländischem Recht, was mit Nachteilen für die jeweils andere Seite verbunden war. Eine eigene Rechtspersönlichkeit für diese Form der Kooperation existierte nicht. Auch am Oberrhein wählte man die Rechtsform des Vereins. Darüber hinaus wurden weitere Plattformen und Kooperationsmechanismen unter staatlicher Beteiligung etabliert, was insbesondere dem französischen Zentralismus geschuldet war. Man betrat also in jeder Hinsicht „Neuland“40. Daher richteten sich Form und Inhalte der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit nach den vorgefunden Rahmenbedingungen. Einen Masterplan verfolgten die meisten Akteure dabei nicht. Sie zeichnete vielmehr ein profunder Pragmatismus aus. Jede Region entwickelte so ein auf die lokalen und regionalen Gegebenheiten zugeschnittenes Modell. In den deutsch-niederländischen Euroregionen waren die Initiatoren und Akteure in der Regel die Kommunen und regionalen Gebietskörperschaften beiderseits der deutsch-niederländischen Grenze. In der späteren EUREGIO an Rhein-EmsIjssel waren es 1958 die Kommunalverbände, die zu einer ersten grenzüberschreitenden Konferenz zusammenkamen mit dem Ziel ihr politisches Gewicht durch die Bündelung ihrer Kräfte zu erhöhen und gemeinsam Infrastrukturmaßnahmen zu benennen.41 Die Ausdehnung war regional, die Akteure lokal. Die Euregio RheinWaal gründete sich aufgrund der Initiative von Gemeinden und Wirtschaftsverbän38

39 40 41

Grenzüberschreitende Beteiligung in der Euregio Rhein-Waal. Eine Übersicht der grenzüberschreitenden Beteiligungsmöglichkeiten bei Aufstellungsverfahren von nationalen, regionalen und kommunalen Plänen mit räumlicher Relevanz sowie Genehmigungen, die sich daraus ergeben, o. o. 1995. Wassenberg, „Qu’est-ce qui motive“. Freddy Derwahl, Die Euregio Maas-Rhein, Aachen 1981, S. 39. Hiepel, „Europäische Integration ‚von unten‘“, S. 47.

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den, ebenso die Euregio Rhein-Maas-Nord 1978 unter Beteiligung der Handelskammern.42 Die ersten Begegnungen hatten informellen Charakter, zielten aber von Beginn an auf eine stärkere Formalisierung und Institutionalisierung, um den Anliegen Gehör zu verschaffen. 1966 wurde eine erste deutsch-niederländische EUREGIOArbeitsgruppe gegründet, die übrigen Euroregionen folgten mit der Gründung von Arbeitsgemeinschaften. Vielfach waren dies „Arbeitsgemeinschaft[en] vor allem des guten Willens“.43 Denn Kompetenzen erhielten die Organe dieser Euregios in der Regel nicht. Im Laufe der 70er Jahre wurden parlamentsähnliche Institutionen geschaffen wie der EUREGIO-Rat, der sich paritätisch aus Vertretern der deutschen und niederländischen Kommunalparlamente zusammensetzte, jedoch wiederum vor allem beratende Funktion hatte.44 Es wurden zentrale Geschäftsstellen an den Grenzen errichtet, die einige hauptamtliche Kräfte beschäftigten, Beratungsangebote für Grenzpendler eingeführt und Initiativen zu Umweltthemen, Tourismus, Wirtschaft, Arbeitsmarkt und Infrastruktur entwickelt. 1993 wurde die Euregio Rhein-Waal zum ersten grenzüberschreitenden öffentlich-rechtlichen Zweckverband umgewandelt – ein Beispiel, dem die übrigen Euregios folgten, die EUREGIO Rhein-EmsIjssel allerdings erst 2016, dann mit dem Rechtsformwechsel zum deutsch-niederländischen Zweckverband. Dadurch ändert sich der Status für die niederländischen Kommunen in der EUREGIO, die im Zweckverband formell Mitglied sein können. Entlang der deutsch-niederländischen Grenze war so eine ganze Reihe von Euregios entstanden, in der jede für sich autonom blieb. Strukturell und in der idealtypischen Entwicklung vergleichbar, unterschied sich jedoch die konkrete institutionelle Entwicklung am Oberrhein. Hier bildeten sich unterschiedliche Akteursebenen und miteinander kooperierende Netzwerke heraus, die zu einem komplexen Geflecht aus Euroregionen und Eurodistrikten und weiteren Plattformen zusammenwuchsen. Das ist nicht zuletzt der Komplexität der trilateralen Situation geschuldet, ist aber zugleich auch Ausweis des hohen Grades an Verflechtung und ihrer Ausdifferenzierung am Oberrhein. Zudem handelt es sich im Gegensatz zum Niederrhein nicht um einen ländlichen Raum, sondern um metropolitane Räume mit Großstädten wie Basel, Freiburg, Mulhouse oder Straßburg. Dennoch waren auch hier die Anfänge der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit bescheiden und lokal zu verorten. Mit der Gründung der Regio Basiliensis als privatrechtlicher Schweizer Verein organisierten sich 1963 lokale Akteure aus Wirtschaft und Politik, um grenzüberschreitende Kooperationen zu initiieren. 1965 folgte auf französischer Seite die Gründung der Regio du Haut-Rhin in Mulhouse. Erst 1984 wurde auf deutscher Seite in Freiburg eine Regio-Gesellschaft mit dezidiert grenzüberschreitendem Zweck gegründet. Alle drei schlossen sich 1995 zur RegioTriRhena zusammen, die als Plattform der regionalen Institutionen zu ihrer besseren Vernetzung beitragen sollte. Die Akteure am Oberrhein kamen aus den Reihen der lokalen Wirtschaft, Verwaltung und Politik. Doch schon 42 43 44

Siehe die Liste der Mitlieder der AGEG mit weiterführenden Hinweisen zu einzelnen Euroregionen: http://www.aebr.eu/de/mitglieder/mitgliederliste.php (10.8.2017). Derwahl, Euregio Maas-Rhein. Verena Müller, 25 Jahre EUREGIO-Rat. Rückblick auf die Arbeit eines politischen Gremiums im „kleinen Europa“, Gronau/Enschede 2003.

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bald schalteten sich im Dreiländereck regionale und überregionale, nationale und staatliche Akteure ein. 1971 bildeten der Präfekt des Département du Haut-Rhin sowie der Regierungspräsident Südbadens, der Landrat des Kreises Lörrach und die Regierungsräte der Kantone Basel-Stadt und Basel-Land mit der Conférence tripartite permanente de coordination régionale ein weiteres Konsultationsforum zu den Themen Umwelt, Raumplanung, Wirtschaft, Infrastruktur, Tourismus und Bildung. Auch die Conférence tripartite hatte keine Kompetenzen und agierte ohne politisches Mandat, sondern setzte auf die Wirksamkeit von Öffentlichkeitsarbeit.45 Die Aktivitäten in der Grenzregion entgingen in der Tat nicht der Aufmerksamkeit des Quai d’Orsay, das seine Prärogative durch die „kleine Außenpolitik“ gefährdet sah. Durch einen Briefwechsel der drei Außenminister vom 22. Oktober 1975 kam so auf französische Initiative das sogenannte „Bonner Abkommen“ zustande, das die Einsetzung einer zwischenstaatlichen Regierungskommission „zur Untersuchung und Lösung grenzüberschreitender Probleme“ in den Grenzregionen vorsah. Es handelte sich um das erste zwischenstaatliche Abkommen überhaupt, das die grenzüberschreitende Zusammenarbeit regelte. Es sah die Bildung eines dreiseitigen Ausschusses für den südlichen Teil der Grenzregion vor und eines zweiseitigen für den nördlichen Teil. Beteiligt waren also das französische Außenministerium, die Kantone auf Schweizer bzw. Länder auf deutscher Seite. Die französischen Gebietskörperschaften wurden erst nach der Dezentralisierung 1982 einbezogen, die die neu geschaffenen Conseils régionaux mit Kompetenzen für die regionale Wirtschaftsentwicklung ausstattete.46 In unregelmäßigen Abständen fanden Dreiländerkongresse zu unterschiedlichen Themen statt, die sich mit Fragen der Raumordnung, Arbeits- und Sozialfragen, Umwelt, Verkehr, Bildung und Katastrophenschutzhilfe befassten. Aber auch hier entstand keine eigenständige Rechtspersönlichkeit mit Entscheidungskompetenzen oder finanziellen Mitteln. Erst mit der Oberrheinkonferenz wurde 1991 die Zusammenarbeit verstetigt und mit dem Sitz eines Gemeinsamen Sekretariats in Kehl an der deutsch-französischen Grenze auch institutionalisiert. Zuletzt wurde 2010 die Trinationale Metropolregion Oberrhein ins Leben gerufen, die das Elsass, Süd- und Mittelbaden, die südliche Pfalz und die Schweizer Kantone Basel-Stadt, Basel-Land, Jura, Solthurn und Aargau umfasst.47 Diese neue Plattform soll alle Institutionen und Akteursebenen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in dieser Region einbinden. FAZIT Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in ihrer institutionalisierten Form nahm in den Grenzregionen am Rhein ihren Anfang. Die dortigen Akteure sahen sich als eine Avantgarde und die Euroregionen als Modell für regionale Kooperationen. 45 46 47

Jürg Witmer, Grenznachbarliche Zusammenarbeit. Das Beispiel der Grenzregion Basel und Genf, Zürich 1979, S. 100 und Beatrice Speiser, Europa am Oberrhein: der grenzüberschreitende Regionalismus am Beispiel der oberrheinischen Kooperation, Basel 1993, S. 3. Wassenberg, „Grenzüberschreitende Zusammenarbeit“, S. 85. Wassenberg, Die territoriale Zusammenarbeit, S. 86 f.

Euroregionen am Rhein

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Diese fungierten zum einen als Nahtstelle und Bindeglied zwischen verschiedenen europäischen Nationalkulturen und bildeten zum anderen als ein „Europa im Kleinen“ Labor und Experimentierfeld der europäischen Integration.48 Der Rhein war gleichsam der Geburtsort dieser Kooperation, die parallel im deutsch-niederländisch-belgischen Raum sowie im Dreiländereck Schweiz – Deutschland – Frankreich konkrete Form annahm. Der Rhein hat damit im Sinne Febvres und Ancels seinen Charakter als eine Kontaktzone bestätigt, in der Regionen beiderseits der Staatsgrenzen miteinander verbunden wurden und eine neue Form der Territorialität entstand. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit ist durch funktionale Verflechtungen gekennzeichnet, die ein System wechselseitiger Bezugnahmen und Abhängigkeiten geschaffen haben. Damit sind die Grenzen nicht vollständig beseitigt worden, jedoch in ihrer Bedeutung für die Gesellschaften in den Grenzregionen relativiert worden. Eine Rückkehr zur Grenze als Trennlinie ist hier nicht mehr denkbar und wäre mit erheblichen ökonomischen Verwerfungen und einem Verlust an Lebensqualität für die Grenzbewohner verbunden.

48

Empfehlungen aufgestellt von der Konferenz aus Vertretern der auftraggebenden Ministerien und Gebietskörperschaften, 25.6.1969. Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland, NW 400, Nr. 202.

DER EURODISTRIKT STRASSBURG-ORTENAU Eine neue lokale Kooperationsform in Europa? Fabrice Gireaud Zusammenfassung Im vorliegenden Aufsatz wird untersucht, ob die ab 2005 gegründeten Eurodistrikte eine neue Form der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit darstellen. Als Fallbeispiel dient hier der Eurodistrikt Straßburg-Ortenau. Es wird deutlich, dass die Zusammenarbeit vor Ort zunächst nur schwer umsetzen war. Die Analyse des Kooperationsverlaufs und der konstatierten Probleme zeigt auf, dass hier nicht von einer neuartigen Form der Zusammenarbeit gesprochen werden kann. Vielmehr ist der Eurodistrikt ein Beispiel für die Vielzahl von Hindernisse in der grenzüberschreitenden Praxis, die seit Beginn dieser Art der Zusammenarbeit konstatiert werden können.

Résumé Est-ce que les Eurodistricts sont une nouvelle forme de la coopération transfrontalière ? L’article analyse d’une manière exemplaire le premier Eurodistrict – Strasbourg-Ortenau – créé. Avec la vocation d’être un véritable laboratoire européen, les premiers 10 ans de cette coopération démontrent que la coopération transfrontalière ne peut pas être réinventée. Les obstacles – comme les différents régimes judicaires – restes les mêmes depuis le début. L’Eurodistrict n’est pas innovateur, mais plutôt un exemple pour les difficultés et problèmes dans la coopération transfrontalière.

Das Forschungsinteresse an der Europäischen Integration ist nach wie vor ungebrochen. Das ist nicht weiter verwunderlich, ist dieser Prozess doch noch nicht abgeschlossen. Jährlich erscheinen hier unzählige Bücher, die ganze Bibliotheken füllen. Doch diese beziehen sich vornehmlich auf die Ebene der EU und der fallbezogenen zwischenstaatlichen Kooperation. Je weiter der Beobachter nach „unten“ blickt, also die subnationalen Ebenen miteinbezieht, desto weniger Literatur und Forschungsergebnisse sind zu verzeichnen. Das gilt besonders für die Gemeinden. Die Kommunen sind ein mittlerweile anerkannter Akteur im europäischen Mehrebenensystem. Dennoch ist die Forschungslage insgesamt überschaubar.1 Das ist erstaunlich, werden doch hier die wesentlichen Entscheidungen des Alltags in den Kommunen umgesetzt und implementiert, wichtige Investitionen getätigt und die sog. politischen und administrativen Leistungen gewährleistet. Ein Großteil der 1

Münch, Ursula / Alemann, Ulrich von (Hg.), Die Europafähigkeit der Kommunen, Wiesbaden, VS Verlag, 2006; Elisabeth Alber / Carolin Zwilling (Hg.), Gemeinden im Europäischen Mehrebenensystem: Herausforderungen im 21. Jahrhundert, Baden-Baden, Nomos, 2014.

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Fabrice Gireaud

europarechtlichen Vorgaben wird dort umgesetzt. Kommunen sind die dem Bürger nächsten politischen Entitäten. Hier werden „in vielen Politikfeldern wesentliche Entscheidungen getroffen, die die Lebensumstände vieler Bürger nachhaltig prägen.“2 Sie sind keine bloßen Weisungsempfänger der jeweiligen regionalen und/ oder nationalstaatlichen Ebenen, sondern haben eine – je nach Staat unterschiedlich große – Gestaltungskraft. In Zeiten des Spannungsfeldes zwischen Globalisierung und Europäisierung und des vielfach konstatierten Demokratiedefizits sowie der wachsenden Unzufriedenheit mit dem jeweiligen politischen System erscheint eine Rückbesinnung auf das Lokale attraktiv. Die abnehmende Steuerungsfähigkeit und Legitimation des Staates soll durch eine Stärkung kommunaler Gestaltungskraft abgefedert und die Legitimation politischer Entscheidungen durch mehr lokale Demokratie gestärkt werden. Bei der Betrachtung des Spannungsfelds zwischen europäischer Integration und kommunaler Kooperation rückt die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen den Kommunen in Europa in den Fokus, die hier vielerorts Pionierarbeit in den oft strukturschwachen Grenzgebieten leistete. In Gestalt der sogenannten Euregios bzw. Euroregionen sind bereits seit Ende der 1950er Jahre entsprechenden Formen der Zusammenarbeit institutionalisiert.3 Oftmals entstanden diese aus lokalen Initiativen heraus. Ihre Wirkung für das Zusammenwachsen von Grenzräumen sollte zwar nicht überschätzt werden, allerdings spielen sie eine wichtige Rolle in der Europäischen Struktur- und Förderinitiative INTERREG. Damit bauen sie, so das oft zu lesende klassisch-idealisierte Bild, „Europa von unten“ auf.4 Die europäische Integration findet hier vor Ort statt. Im Folgenden steht eine Kooperationsform im Fokus, die ihre Genese einer deutsch-französischen Initiative auf Regierungsebene verdankt: Die Eurodistrikte.5 2003 riefen Gerhard Schröder und Jacques Chirac in der Regierungserklärung anlässlich des 40. Jahrestages des Elysée-Vertrages zur Schaffung eines Eurodistricts auf: „Wir unterstützen die Schaffung eines Eurodistrikts Straßburg-Kehl […], um neue Formen der Kooperation zu erforschen und europäische Institutionen aufzunehmen, und rufen zur Schaffung weiterer Eurodistrikte auf.“6 Von außen betrachtet ist dieses von höchster Stelle angestoßene Konzept sehr erfolgreich. Insgesamt haben sich vier Eurodistrikte entlang des Oberrhein gebildet.7 Hinzu kommt der Eurodistrict Saar-Moselle in der Großregion SaarLorLux und der „Eurodistrict 2 3 4 5 6 7

Bogumil, Jörg / Holtkamp, Lars, Kommunalpolitik und Kommunalverwaltung – Eine policyorientierte Einführung, Wiesbaden, VS Verlag, 2006, S. 9. Pionier war hier die im deutsch-niederländischen Grenzraum befindliche EUREGIO, die seit 1958 kooperiert und mittlerweile 129 Mitgliedskommunen vereint. Der Name ist Pate für viele grenzüberschreitende Kooperationsräume. Wasserberg, Birte / Reitel, Bernhard, Die territoriale Zusammenarbeit in Europa – Eine historische Perspektive, Luxemburg, Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union, 2015. Die Schreibweise des Begriffes ist je nach Kooperationsgebiet unterschiedlich. Im Beitrag wird durchgängig die Schreibweise „Eurodistrikt“ verwendet. Deutsch-französische Regierungserklärung zum 40. Jahrestag des Elysée-Vertrags, Punkt 24: Regionale und interregionale Zusammenarbeit. Neben dem erläuterten Eurodistrikt sind dies der Eurodistrikt Regio PAMINA, der Eurodistrikt Region Freiburg/Centre und Sud Alsace und der Trinationale Eurodistrict Basel.

Der Eurodistrikt Straßburg-Ortenau

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de l’Espace Catalan Transfrontalier“ an der französisch-spanischen Grenze. Der vorliegende Beitrag beantwortet die Frage, was sich hinter dem Begriff verbirgt: Eine neue Form der grenzüberschreitenden Kooperation und Experimentierfeld oder eine modern angehauchter Name für altbekannte und nur scheinbar innovative Muster? Als Fallbeispiel dient hier der Eurodistrikt Straßburg-Ortenau. Der Beitrag zeigt auf, dass die Eurodistrikte trotz des einheitlichen Namens kein neues Kooperationskonzept darstellen und nur wenige gemeinsame Merkmale aufweisen. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit unterliegt nach wie vor einer Vielzahl von Hemmnissen, die eine kommunale Integration erschweren. Sie unterliegen einer Pfadabhängigkeit, die nur bei der grundsätzlichen Neuregelung, also beispielsweise einer Europäischen (Kommunal)Verfassung, durchbrochen werden könnte. Daran kann auch die deutsch-französische Dimension nichts ändern. Die folgenden Ausführungen beruhen auf der Dissertation des Autors. Der untersuchte Zeitraum reicht bis zum Jahr 2014. DER EURODISTRIKT STRASSBURG-ORTENAU Institutionelle Verfasstheit Die Kommunalpolitiker vor Ort griffen den Impuls zur Gründung eines grenzüberschreitenden Zusammenschlusses auf. Nachdem auf deutscher Seite der Landkreis Ortenau in das Kooperationsgebiet mit einbezogen wurde und eine grundsätzliche Bereitschaft zur Kooperation erzielt und gemeinsame Themenfelder definiert worden waren, wurde am 17. Oktober 2005 – also rund zweieinhalb Jahre nach der Regierungserklärung – im Straßburger Rathaus die Gründungsvereinbarung des Eurodistrikts feierlich unterzeichnet.8 Neben dem Landkreis Ortenau waren auf deutscher Seite die Großen Kreisstädte Kehl, Lahr, Oberkirch und Achern eigenständige Mitglieder.9 Auf französischer Seite unterzeichnete die Stadtgemeinschaft Straßburg, ein kommunaler Zusammenschluss der Stadt Straßburg und der sie umliegenden Gemeinden.10 Im Eurodistrikt Straßburg-Ortenau waren zu diesem Zeitpunkt 28 Kommunen aus Frankreich und 51 Gemeinden aus dem Landkreis Ortenau Mitglied. Der Perimeter umfasst rund 870.000 Einwohner, die sich fast zur Hälfte auf das deutsche und französische Staatsgebiet verteilen.11 2013 traten die französischen Gemeindeverbände (frz.: communauté des communes) Benfeld, Pay d’Erstein und Rhin dem Eurodistrikt bei. 8 9 10 11

Eurodistrikt Straßburg-Ortenau, Vereinbarung über die Gründung des Eurodistrikts StraßburgOrtenau, 2005, https://www.ortenaukreis.de/media/custom/2390_225_1.PDF?1396274423 (30.01.2017) Eine Große Kreisstadt in Baden-Württemberg hat i. d. R. mehr als 20.000 Einwohner und übernimmt teilweise Aufgaben des Landkreises, ohne jedoch kreisfreie Stadt zu sein. Vgl § 3 der Gemeindeordnung für Baden-Württemberg i. d. F. vom 24. Juli 2000. Frz.: Communauté Urbaine de Strasbourg, seit 2015: Eurométropole de Strasbourg. Gireaud, Fabrice, Die Eurodistrikte – Eine neue Form der grenzüberschreitenden Kooperation? Eine vergleichende Analyse des Eurodistrikts Straßburg-Ortenau und des Trinationalen Eurodistricts Basel, Münster, Lit Verlag, 2014, S. 217.

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Fabrice Gireaud

Der Eurodistrikt war ein zunächst lockerer Zusammenschluss ohne Rechtsgrundlage und folglich ohne Rechtspersönlichkeit und ohne eigene finanzielle Mittel. Mit der Gründung erfolgte die Institutionalisierung gemeinsamer Gremien. Die Struktur orientierte sich an den in Europa bekannten Kooperationsformen. Nach dem Wahlsieg des Parti Socialiste anlässlich der Kommunalwahl 2008 kam es zu einer Neugestaltung des Eurodistrikts. Die neue Straßburger Stadtregierung maß der grenzüberschreitende Kooperation eine besondere Bedeutung bei. Sie strebte daher eine vertiefte Zusammenarbeit an. Dies entsprach auch dem Wunsch der deutschen Partner.12 Seit dem 4. Februar 2010 ist der Eurodistrikt ein Europäischer Verbund für Territoriale Zusammenarbeit (=EVTZ) nach französischen Recht. Dieses Rechtsinstrument, welches auf einer Verordnung der Europäischen Union beruht, ermöglicht kommunalen oder regionalen Behörden die Bildung einer gemeinsamen öffentlichen Körperschaft und soll die Rechts- und Planungssicherheit verbessern.13 Seine Mitglieder setzen sich aus verschiedenen EU-Staaten zum Zweck gemeinsamer Leistungen zusammen, sodass der Eurodistrikt von nun an eine juristische Person nach französischem Recht ist. Mit der neuen rechtlichen Struktur versprachen sich die Beteiligten zudem bessere Zugänge zu nationalen und europäischen Subventionsprogrammen. Mit dieser Umstrukturierung wurden die Gremien den Erfordernissen des EVTZ angepasst und eine Professionalisierung der Kooperation vorgetrieben. Gemeinsame Statuten und Geschäftsordnungen regeln die Beziehungen zwischen den Institutionen. Neben dem Eurodistriktrat sind hier der Vorstand des Eurodistrikts, ein Präsidium und ein Generalsekretariat zu nennen.14 Der Eurodistriktrat besteht seither aus insgesamt 50 Mitgliedern, die zu gleichen Teilen aus beiden Mitgliedstaaten stammen und von ihren Kommunen delegiert sind. Vertreter der regionalen und nationalen Behörden können als Beobachter ohne Stimmrecht an den Sitzungen teilnehmen. Nicht erstaunlich ist es, dass v. a. Bürgermeister als oberste Vertreter ihrer Kommunen ein Mandat im Rat ausüben. Dabei wird auf beiden Seiten darauf geachtet, eine angemessene Verteilung zwischen den großen und kleinen Kommunen zu gewährleisten. Der Rat tagt mindestens zweimal jährlich in der Regel öffentlich und kann in Sonderfällen einberufen werden. Die Aufgaben des Rates sind recht allgemein formuliert. Wichtigste Zuständigkeit ist die Zustimmung oder Ablehnung des jährlichen Haushalts und die Festlegung der Verwaltungskosten und des Stellenplans des Generalssekretariats. Statt Einstimmigkeit sind nun Mehrheitsentscheidungen möglich, auf Verlangen ist eine doppelte Mehrheit – der deutschen sowie französischen Mitglieder – einzuholen. Grenzüberschreitende Fraktionen nach Parteienfamilien, wie aus der EUREGIO bekannt, sucht man vergeblich. Der Rat wählt aus seiner Mitte den 12 13 14

Eurodistrikt Straßburg-Ortenau, Lahrer Erklärung, 2008, http://eurodistrikt.strasbourg.fr/site/ lahrer_erklarungdoc-de-425-2.html (30.01.2017). Verordnung 1082/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006. Vgl. im Folgenden: Eurodistrikt Straßburg-Ortenau, Satzung des Europäischen Verbundes für Territoriale Zusammenarbeit „Eurodistrikt Strasbourg-Ortenau“, Straßburg, 2010, http:// www.eurodistrict.eu/sites/default/files/mediatheque/GECT%20Eurodistrict%20StrasbourgOrtenau%20%20statuts.pdf.

Der Eurodistrikt Straßburg-Ortenau

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Vorstand sowie das Präsidium. Die Sitzungen werden simultan gedolmetscht. Der Vorstand besteht aus derzeit 16 Mitgliedern. Auch hier wird auf strenge Parität geachtet. Seine Mitglieder treffen sich mindestens dreimal im Jahr unter Ausschluss der Öffentlichkeit und sind i. d. R. die entsprechenden Vertreter der größten (und finanzstärksten) Kommunen. Ausnahme ist hier der Präfekt der Region Elsass: Dieser ist kraft Amt Mitglied, da der EVTZ nach französischen Recht konstruiert ist und ihm entsprechend französischer Staatsauffassung ein Sitz im Vorstand zusteht. Der Vorstand hat eine wichtige Koordinierungsfunktion. Hier werden die prinzipiellen grenzüberschreitenden Themen, Aktionen und mögliche Projekte diskutiert und auch entschieden. Dabei gilt das Mehrheitsprinzip. Ferner setzt er die Mitgliedsbeiträge, die jede Kommune leisten muss, fest und kann Vorschläge bezüglich des Haushaltsplans einreichen. Der Vorstand wählt den Generalsekretär und bestimmt die notwendigen Stellen des Sekretariats. Präsident und Vizepräsident des Eurodistrikts bilden das Präsidium; gleichberechtigt auf einen deutschen und französischen Politiker verteilt. Alle zwei Jahre wechselt die Präsidentschaft von der einen Nationalität auf die andere. Der Präsident vertritt den Distrikt gerichtlich, handelt in seinem Namen und repräsentiert diesen. Er leitet die Sitzungen des Rates und legt die Tagesordnung fest. Ferner entwirft er das Budget und damit die Aus- und Einnahmen, welche er Vorstand und Rat zur Beschlussfassung vorlegt. Bislang wechselten sich der Bürgermeister von Straßburg und der Landrat des Ortenaukreises in diesen Funktionen ab. Das Generalsekretariat ist hauptamtlich mit der Verwaltungsarbeit des Eurodistrikts betraut und Ansprechpartner für die Öffentlichkeit. Derzeit verfügt es über fünf Planstellen.15 Der Generalsekretär gewährleistet die Umsetzung der Ratsbeschlüsse und soll Motor der Zusammenarbeit sein, der die grenzüberschreitende Zusammenarbeit koordiniert und weiter entwickelt.16 Der Eurodistrikt verfügt seit der EVTZ-Gründung über ein gemeinsames Budget. Dieses lag nach den letzten verfügbaren Zahlen bei ca. 850.000 Euro, was ungefähr einem Mitgliedsbeitrag von 1 € pro Einwohner entspricht und sich ungefähr zur Hälfe auf die deutsche und französische Seite aufteilt.17 Von außen betrachtet scheint der Eurodistrikt eine bemerkenswerte Dynamik entfaltet zu haben. Die weitgehende Institutionalisierung und Professionalisierung der Zusammenarbeit mag der neutrale Beobachter als Zeichen einer tiefergehenden Integration deuten. Doch bei genauerer Betrachtung des Kooperationsverlaufs sind unterschiedliche Problematiken zu konstatieren. Verlauf und Probleme der Kooperation Die Kooperation im Eurodistrikt gestaltete sich von Beginn an schwierig. Der Aufruf in der gemeinsamen Regierungserklärung war mit den kommunalen Entscheidungsträgern vor Ort nicht abgesprochen. Entsprechend überrascht zeigten sich Lo15 16 17

Eurodistrikt Straßburg-Ortenau. http://www.eurodistrict.eu/fr/administration (30.01.2017) Gireaud 2014 (Fn. 11), S. 257. Ebenda, S. 253–254.

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kalpolitiker und regionale Medien.18 Ein weiteres Problem war der Begriff Eurodistrikt selbst. Zunächst blieb unklar, was sich dahinter verbergen sollte. Entsprechend munter waren die unterschiedlichen Mutmaßung, die z. T. von einem europäischen Hauptstadtdistrikt à la Washington, D. C. über eine Sonderwirtschaftszone hin zu einer selbständigen Ebene mit eigenen Hoheitsrechten im europäischen Mehrebenensystem reichten.19 Der Begriff Eurodistrikt war dabei keine Neuschöpfung, sondern beruhte auf unterschiedlichen, zu verschiedenen Phasen der europäischen Integration immer wieder geäußerten Ideen über europäische Sonderterritorien.20 Die lokalen Akteure erkannten schnell, dass der im Aufruf geäußerte Idee kein konkreter Plan zugrunde lag. Stattdessen entwarfen die Kommunalpolitiker beiderseits des Rheins Ideen, wie dieser Distrikt aussehen könnte und füllten diesen mit eigenen Forderungen und Ansprüchen, die man bei der Gründung dann gegenüber den nationalen Behörden geltend machen wollte. Auf französischer Seite herrschte eine klare Vorstellung: „Wenn Chirac und Schröder den Eurodistrikt wollen, müssen sie uns auch Mittel dafür geben“.21 Es ist daher kaum verwunderlich, dass sich hier zu Beginn an z. B. die Forderung nach der Stärkung der Europastadt Straßburg fand.22 Hier traten die ersten Unstimmigkeiten auf, da sich die politischen Vertreter zunächst nicht über den Perimeter und die genauen Kooperationsfelder des Distrikts einigen konnten. Vorschläge von deutscher Seite, den Distrikt auf der elsässischen Seite zu erweitern, wurden als Einmischung in innerfranzösische Angelegenheiten betrachtet.23 Ferner wollte die deutsche Seite, dass deutsches Recht gelten solle, wenn der Sitz des Distrikts in Straßburg liege – oder umgekehrt. Hier waren bereits von Beginn an klassische Verteilungskonflikte zu beobachten. Unterschiedliche Zielvorstellungen waren aber nicht unbedingt verwunderlich, da der Distrikt kein genuin kommunales Projekt war, sondern von oben angestoßen wurde. Dabei wurde völlig ignoriert, dass die Zusammenarbeit zwischen der Ortenau/Kehl und der Stadtgemeinschaft Straßburg bis dahin nur sehr begrenzt stattfand, der Raum keine gemeinsame Tradition aufwies und kein grenzüberschreitendes Netzwerk zwischen den Lokalpolitikern existierte. Der in der Regierungserklärung formulierte Anspruch und die dadurch ausgelösten Erwartungen in Öffentlichkeit belasteten die Verhandlungen über die Gründung schwer. Die Gründungsdokumente des Eurodistrikts erweiterten in den sog. politischen Leitlinien den in der Regierungserklärung formulierten Anspruch sogar noch: Der Eurodistrikt sollte nicht weniger als „eine Pilotregion für die weitergehende Integration von Grenzregionen zu werden.“24 18 19 20

Ebenda, S. 199–200. N. N., Un Eurodistrict Strasbourg-Kehl?, Dernierès Nouvelles d’Alsace, 23.01.2003, o. S. Frey, Michael, Eurodistrikte als neue Form der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit am Oberrhein – Grundlagen und Gestaltungsmöglichkeiten, in: VBl – Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg, 26/12 (2005), S. 449–464. 21 Neubauer, Michael, Der Eurodistrikt braucht seine Zeit, in: Badische Zeitung, 22.01.2004, S. 10. 22 Neubauer, Michael, Der Eurodistrikt ist mehr als ein Straßburg-Anhängsel, in: Badische Zeitung, 16.02.2004, S. 3. 23 Gireaud 2014 (Fn. 11), S. 212. 24 Eurodistrikt Straßburg-Ortenau 2005 (Fn. 8), S. 4.

Der Eurodistrikt Straßburg-Ortenau

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Bemerkenswert ist jedoch, dass sich die Gründungsmitglieder gar nicht auf eine rechtliche Basis verständigen konnten. Auch über ein eigenes Budget konnte kein Konsens erzielt werden. Vorhandene Institutionen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit wurden nicht in die neue Struktur integriert. Der Zusammenschluss blieb ein lockeres Gebilde, im dem je nach Bedarf gemeinsame Projekte entwickelt werden sollten. Bis zum Wahlsieg der Sozialisten in Straßburg 2008 und der Gründung des EVTZ 2010 wurden nur vereinzelte Projekte realisiert. Das lag einerseits daran, dass im Eurodistrikt nur geringe administrative Kapazitäten vorhanden waren und andererseits in Grenzeffekt: Viele verschiedene Projektideen scheiterten an der Umsetzung, da juristische und formale Fragen dem entgegenstanden. Hierfür mussten wiederum die zuständigen Behörden der jeweiligen Staaten eingeschaltet werden – Prozesse, die naturgemäß ihre Zeit brauchen. Zudem können Projekte nicht ohne weiteres ad hoc entstehen, sondern bedürfen der Diskussion und der Analyse. Nicht zu Unrecht bremsten die Akteure die (zu) hohen Erwartungen und verwiesen auf die immense Schwierigkeit der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und der fehlenden Erfahrung. Zudem stand das kommunale Leben nicht still: Der Eurodistrikt bedeutete zusätzliche Arbeit neben den alltäglichen Aufgaben und hatte bei den Akteuren unterschiedliche Prioritäten. Nach 2008 wuchs wie geschildert der Wunsch nach einer vertieften Kooperation. Der EVTZ versprach, einerseits das Problem der Rechtsform zu lösen und erlaubte andererseits, ein innovatives, europaweites Rechtsinstrument anzuwenden und damit wenigstens zum Teil die hohen Ansprüche der Innovation und des Vorbildcharakters zu erfüllen. Die Professionalisierung durch ein Generalsekretariat sollte die kommunalen Verwaltungen entlasten und die Kooperation durch hauptamtliche Kräfte voranbringen. Damit einher ging die Abwendung vom bis dato üblichen Einstimmigskeitsprinzip hin zum einer doppelten Mehrheit, d. h. des Stimmenmehrs der deutschen wie französischen Akteure, im Eurodistriktrat. Allerdings traten auch hier Schwierigkeiten auf: Die vom französischen Staat geforderte Teilnahme des zuständigen Präfekten im Vorstand, inklusive Stimmrecht, traf auf Widerstand der deutschen Kommunalpolitiker, die nicht mit einem solchen Schritt gerechnet hatte. Diese konnten sich mit Gedanken nicht anfreunden, über kommunale Angelegenheiten in Anwesenheit eines Repräsentanten des französischen Staates zu entscheiden. Aus der Logik ihres politischen Systems argumentierten sie mit der Gemeindeautonomie, die in der Bundesrepublik ohne die Argusaugen des Staates funktioniert. Erst nach langwierigen Verhandlungen stimmte die Mehrheit der deutschen Seite dieser Konstruktion zu, da der französische Staat keine Ausnahme zuließ. Dies ist ein Beispiel dafür, wie unbekannt die politischen Systeme des Partnerlandes waren. Die unterschiedlichen politischen Kulturen erschwerten zumindest zu Beginn die Kooperation erheblich. Auch nach In-Kraft-Treten des EVTZ-Statuts kam die Zusammenarbeit nur schwer in die Gänge. Die Gründe hierfür sind vielfältig und können nicht alle einzeln aufgezählt werden. Im Grunde lassen sich folgende zentrale Punkte identifizieren:

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Unterschiedliche politische Systeme und politische Kulturen Die Zusammenarbeit im Eurodistrikt ist oftmals durch die unterschiedliche Kompetenzausstattung der Gemeinden limitiert. Die französischen Kommunen verfügen, verglichen mit den deutschen Gemeinden, über nur wenige kommunale Handlungsfreiheiten. Sie sind oft auf die Zustimmung (und Finanzierung) der unterschiedlichen Gebietskörperschaften angewiesen. Dies bremst die Kooperation und sorgt oftmals für Erstaunen auf deutscher Seite. Das selbstsichere Auftreten der deutschen Bürgermeister, die sich auf ihre Gemeindefreiheiten berufen, sorgt umgekehrt für Irritationen. Die Akteure müssen daher ihre Partner und die politisch-administrativen Strukturen und Kulturen des Partnerlandes kennenlernen. Die unterschiedlichen Mentalitäten können nicht ohne weiteres ignoriert werden. Die deutschen Bürgermeister erfuhren so, dass der Gemeinderat in Frankreich weniger ein Ort der kritischen Diskussion und Nachfrage ist, sondern ein Gremium, in dem bereits gefällte Entscheidungen mittels der eigenen Mehrheit beschlossen werden. Für die Bürgermeister und Gemeindemitglieder der süddeutschen Ratsverfassung und ihrer konkordanzdemokratischen Orientierung ist dies schwer akzeptierbar. Die unterschiedlichen Traditionen und Selbstverständnisse dessen, was die Regelung des Gemeinwesens angeht, prägen den jeweiligen Akteur. Dies Prägungen können abgebaut, aber nur schwerlich beseitigt werden: So ist auch im Eurodistrikt zumindest auf der französischen Seite der Straßburger Bürgermeister der klar dominierende Akteur. Sprache Wenn auch hier ein Grenzraum vorliegt, der durch das gemeinsame Idiom des Alemannischen geprägt ist, sind die meisten Akteure der Nachbarsprache nicht oder nur in geringem Maße mächtig. Obwohl die offiziellen Sitzungen gedolmetscht werden, ist ein einfacher Austausch zwischen den Rats- und Vorstandsmitgliedern nur bedingt möglich. Missverständnisse und Unklarheiten sind hierbei nicht ausgeschlossen. Fairerweise muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass viele Akteure sich das Erlernen der Nachbarsprache zum Ziel gesetzt haben. Generell ist ein immer größerer Verlust an Sprachkompetenz zu verzeichnen. Kooperationsziel und Kapazitäten Charakteristisch für den bisherigen Kooperationsverlauf war die Abwesenheit einer gemeinsamen und konkreten Strategie. Zwar hatte der Eurodistrikt Bereiche definiert, in denen Projekte zu realisieren sind und nach der EVTZ-Gründung sog. strategische Leitlinien erstellt. Diese erwecken jedoch eher den Eindruck einer gewissen Beliebigkeit und nicht eines Plans für den Gesamtraum. Beide Teilräume scheinen unterschiedliche Interessen und Sichtweise bezüglich des Eurodistricts zu haben. Dies spricht ein grundsätzliches Problem an: Dort, wo eine Kooperation aus

Der Eurodistrikt Straßburg-Ortenau

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bestimmten Gründen notwendig ist und ein klares Ziel verfolgt, ist der Grad der Zusammenarbeit größer, wie auch umgekehrt weniger investiert wird, je weniger notwendig diese ist. Im Eurodistrikt wurden zunächst nur wenige Projekte umgesetzt. Dies lag unter anderem auch an der fehlenden Konstanz in der Position des Generalsekretärs. 2015 trat bereits der dritte Generalsekretär seit 2011 sein Amt an, wobei auch das Personal weitestgehend erneuert wurde. Es bleibt zu hoffen, dass mittelfristig das Sekretariat Beständigkeit gewährleistet und zwischen den unterschiedlichen Erwartungen und Sichtweisen der Akteure vermitteln kann. Die Rotationsgeschwindigkeit zeigt, dass dies nicht einfach ist. Nationale Zwänge Das größte Hindernis der grenzübergreifenden Zusammenarbeit ist die Grenze selbst. Die Unterschiede in der Kompetenzausstattung der Gemeinden, die verschiedenen Verwaltungsabläufe und die anders gearteten juristischen Regelungen und Vorschriften, die es zu beachten gilt, bremsen die Kooperation nach wie vor. Ein scheinbar einfach zu realisierendes Projekt wie gemeinsame Briefkästen im Eurodistrikt ist ähnlich schwierig zu realisieren wie der Bau einer Brücke über den Rhein. Der Unterschied bei der Brücke ist lediglich, dass hierfür ein Staatsvertrag nötig ist. Dies ist natürlich der Hemmschuh für alle Projektideen. Auch fehlt die direkte Vergleichbarkeit: Ein Projekt im Bereich Luftreinhaltung braucht eine vergleichbare Datenbasis, die aber nicht existiert. Der Eurodistrikt ist daher bei vielen Projekten darauf angewiesen, die zuständigen Behörden zu kontaktieren und gemeinsame Regelungen zu finden. Dies ist ein äußerst komplexer Vorgang, in dem schnell mehrere Instanzen involviert sind und vor allem nur langfristig erfolgt. Top-Down oder Bottom-Up? Grenzüberschreitende Zusammenarbeit muss von „unten“ wachsen und kann nicht von oben angestoßen werden. Der Eurodistrikt litt darunter, durch den oben zitierten Anspruch aus dem Nichts besonders innovativ sein zu müssen, ohne auf eine langjährige Kooperation zurückzugreifen. Dies konnte keine erfolgreiche Strategie sein. Zudem handelte es sich hier um zwei nahstehende, aber keineswegs stark verflochtene Räume. Der Anstoß der Regierungserklärung bildet sozusagen das Substrat für eine Zusammenarbeit, die noch über Jahre wachsen muss. Von einem Vorbildcharakter ist der Eurodistrikt noch weit entfernt, auch wenn er diese immer wieder medial suggeriert: Der Straßburger Bürgermeister bezeichnet den Eurodistrikt auch im Jahr 2015 „als zukunftsweisende europäisches Labor für die Menschen vor Ort“.25

25

Reck, Reinhard, Brückenschlag mit „Bienvenue“, in: Baden Online, 25.11.2015, http://www. bo.de/nachrichten/nachrichten-regional/brueckenschlag-mit-bienvenue (30.01.2017).

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SCHLUSS Die Eurodistrikte sind keine neue grenzüberschreitende Kooperationsform. Weder die rechtliche Form, noch die Institutionen, Gremien oder Strukturensind vergleichbar. Das verbindende Element ist der gemeinsame Name, sonst sind keine wesentlichen Unterschiede wie z. B. zur EUREGIO festzustellen. Besondere Kompetenzen oder Ausnahmeregelungen fehlen ebenfalls, neue Formen der Zusammenarbeit werden nicht erprobt. Der Eurodistrikt Straßburg-Ortenau wandelte auf denselben Entwicklungspfaden wie alle anderen grenzüberschreitenden Gebilde. Durch den Anstoß von oben wurde eine Zusammenarbeit institutionalisiert, in der sich beide Seiten zunächst zurecht fragten, was denn Kern der Zusammenarbeit sein sollte: Die Handlungsfelder, die sich in der Satzung finden, sind so allgemein gehalten, dass sie fast schon beliebig erschienen. Die Öffentlichkeit reagierte denn auch eher enttäuscht auf den erwarteten Eurodistrikt.26 Jedoch ist darauf zu verweisen, dass die Akteure des Eurodistrikts nicht die notwendige Unterstützung erhielten, die in der Regierungserklärung zumindest suggeriert worden war. Ein grenzüberschreitendes Experimentierfeld für europäische Regelungen und die damit verbundene Herauslösung der Region aus der nationalen Zuständigkeit wollte niemand akzeptieren. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit kann trotz der zunächst als sehr hoch erscheinenden Hindernisse juristischer, administrativer, sprachlicher oder sonstiger Art erfolgreich verlaufen. Notwendig ist hierzu weniger eine bestimmte Struktur: Auch das Rechtinstrument des EVTZ bedingt keine neue, europäische Jurisdiktion. Sondern es ist der gemeinsame Wille der Akteure, diese voranzutreiben: Ist dieser vorhanden, ist Kooperation machbar. Wesentlich sind hierbei der Kontakt und der regelmäßige Austausch zwischen den Akteuren. Ein anschauliches Beispiel hierfür stellt die Verlängerung der Straßburger Tram über den Rhein nach Kehl dar, welche in Genese, Verhandlung und Ausführung ein vom Eurodistrikt unabhängiges Projekt darstellt. Es reicher daher nicht, grenzüberschreitende Gremien – quasi als Reflex – nur zu gründen – sie müssen auch mit Leben gefüllt werden. Zudem sollten die Akteure den Mut haben, entsprechende Gremien bei ausbleibenden Erfolg aufzulösen. Hier ist Frank Baasner, dem langjährigen Direktor des DeutschFranzösischen Instituts, uneingeschränkt zuzustimmen, wenn er angesichts des experimentellen Charakters und dem institutionellen Wildwuchs am Oberrhein eine kritische Qualitätskontrolle fordert.27 Trotz aller Hochglanzrhetorik ist klar, dass die grenzüberschreitende Zusammenarbeit auch in ferner Zukunft sich in ihrem Charakter und ihren Institutionen nicht wesentlich verändern wird. Daran ändern auch neue Bezeichnungen nichts.

26 27

Sattler, Karl-Otto, Der Berg hat zweieinhalb Jahre gekreißt und gebar eine Maus, in: Das Parlament, 31.10.2005, S. 19. Zit. in: Soldt, Rüdiger, Grenzgänger am Rhein, in. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.09.2012, S. 10.

STÄDTE IN DER RHEIN-REGION Zur Multiperspektivität transnationaler Konflikte und Verflechtungen Rainer Hudemann Zusammenfassung Städte in der Rhein-Region sind eines der Forschungsfelder, auf denen die ständige Vernetzung sehr unterschiedlicher methodischer Ansätze zwingend ist – von der Kultur-, Mentalitäts- und Wirtschaftsgeschichte über Gesellschafts-, Kunst-, Architektur-, Religions- und Technikgeschichte bis zur politischen und Rechts-Geschichte, und das jeweils auf lokalen, regionalen, nationalen, binationalen und internationalen Ebenen. Sie alle stehen ihrerseits in einem dichten Geflecht von Vernetzungen, Blockaden und Transferprozessen. Um die konkreten alltäglichen Wirkungsweisen solcher Konstellationen auszudifferenzieren, wird eine exemplarische Systematik von 15 prägenden Wirkungsfaktoren entwickelt. Sie wird jedoch nicht abstrakt zusammengefasst, sondern aus dem konkreten Beispiel der Stadt Straßburg im 19. bis 21. Jahrhundert abgeleitet und in vergleichende Kontexte gestellt. Solche Wirkungen sind auch für die Akteure häufig nicht auf den ersten Blick erkennbar, oder sie wurden und werden durch die Fülle an Konflikten zwischen Deutschland und Frankreich überlagert und in der kollektiven Erinnerung verdrängt. Jedoch bleiben sie bis in die unmittelbare Gegenwart hinein hoch dynamisch.

Résumé Les villes dans la région rhénane représentent l’un des domaines où une approche multi-méthodique est indispensable dans la recherche : cultures, mentalités, économie, sociétés, art et architecture, religions, technologies, droit, décisions politiques s’enchevêtrent, se superposent, s’entravent mutuellement ou sont objets de transferts aux échelles locales, régionales, nationales, binationales et internationales. On développera, à titre d’exemples, une typologie de 15 facteurs jouant – parmi d’autres – dans ces constellations. On les présentera non pas en grille abstraite, mais à partir de l’évolution du cas concret de la ville de Strasbourg du XIXe au XXIe siècles, dans une perspective comparative avec d’autres villes de la région rhénane ou au-delà. Les acteurs eux-mêmes n’étaient souvent pas conscients de ces interdépendances à multiples formes. Ou alors celles-ci furent refoulées dans la mémoire collective suite aux nombreux conflits franco-allemands et leurs conséquences si souvent désastreuses. Pourtant, ces processus restent fort dynamiques jusque dans l’actualité immédiate.

An der Entwicklung von Städten in der Rheinregion lässt sich die Konkretisierung der Verflechtung von Technik, Politik, Wirtschaft, Kunst, Architektur, Sozialstruktur, Mentalitäten, Repräsentationen, Rechtssystemen, Sozialpolitik, Strukturen der bürgerlichen Gesellschaft, nationalen Konflikten und Kooperationsmustern besonders deutlich und zugleich differenziert verfolgen. Das kann systematisch in theoretischer Strukturierung der Wirkungsfaktoren und ihren vielfältigen Überlagerungs-

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formen in konfliktdurchdrungenen Verflechtungsräumen erfolgen.1 Im Folgenden wird ein anderer Analyseweg gewählt mit Straßburg im 19. bis 21. Jahrhundert als einem im Hinblick auf die Notwendigkeit multimethodischer Analyse besonders aussagekräftigen und zugleich als Stadt besonders bekannten Beispiel. On peut lire une ville – mais à condition d’en connaître les contextes. Das sei deshalb (scheinbar) unsystematisch der Stadtanalyse folgend durchgeführt, um so die Vernetzung der Faktoren selbst und damit die Unverzichtbarkeit präziser multimethodischer Zugänge zu demonstrieren. Zugleich werden kontextualisierende Perspektiven auf jeweils ähnliche Prozesse und Städte entlang des Rheins und auf internationaler Ebene angesprochen. Stichwortartig werden auf diese Weise 15 Wirkungselemente herauszuarbeiten sein, die zu einer Systematik gehören – durch das exemplarische Vorgehen bedingt ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Christoph Bernhardt hat solche Vernetzungen besonders plastisch in seiner neuen Umweltgeschichte des Oberrheins seit dem 18. Jahrhundert aufgezeigt;2 vom Gegenstand und den Fragestellungen her ergänzen die beiden Ansätze sich gegenseitig. In diesem Buch steht die Rhein-Region im Mittelpunkt. Die Grunddispositionen von Vernetzungs-, Transfer- und Abschottungsvorgängen lassen sich ähnlich auf vielen weiteren Ebenen verfolgen, auf die stichwortartig daher gelegentlich hingewiesen wird. Dazu gehören im Städtebereich insbesondere die großen Metropolen als Strahlungszentren, einem 1. Element auf unterschiedlichen hierarchischen Ebenen. So wurden die Vernetzungen zwischen München und Athen, beginnend in der Herrschaftszeit der Wittelsbacher ab 1832 und nach deren Ablösung durch das Haus Holstein-Sonderburg-Glücksburg 1867 von dänischen, teils vorher dort schon tätigen Architekten weitergeführt. Die Haussmannschen Konzepte wirkten vielfältig auf Rom, Oslo oder Berlin ein. Andere Ebenen von Strahlungszentren repräsentieren die weltweiten Einflüsse von Bauhaus und Funktionalismus, sei es auf die stalinistische Sowjetunion bis zur Wende gegen modernistische Konzepte 1929, sei es auf Chicago oder andernorts. Die nordamerikanisch-europäischen Vernetzungen mit Brasilien, von den Einflüssen aus New York oder Italien auf Sao Paulo bis zu dem bekanntesten Beispiel des europäischen Funktionalismus in seiner Wirkung auf Brasilia und andere Bauten des 2012 kurz vor seinem 105. Geburtstag verstorbenen großen brasilianischen Architekten Oscar Niemeyer. Der Funktionalismus trug nach 1945 auch in der Rhein-Region zu wichtigen Transfer-Ansätzen bei, als die französische Militärregierung den bedeutenden französischen Architekten 1

2

In systematischer Ausdifferenzierung siehe unter anderem Rainer Hudemann, „Transnationale Erinnerung: Methoden – Strukturen – Faktoren“, in: Sonja Kmec / Benoît Majerus / Michel Margue / Pit Péporté (Hg.), Dépasser le cadre national des ‚Lieux de mémoire‘. Innovations méthodologiques, approches comparatives, lectures transnationales – Nationale ‚Erinnerungsorte‘ hinterfragt. Methodologische Innovationen, vergleichende Annäherungen, transnationale Lektüren, Brüssel, Peter Lang, 2009, S. 241–253; ders., „Transferstrukturen in Urbanisierungsprozessen. Versuch einer Typologie“, in: Gabriele Clemens / Jean El Gammal / Hans-Jürgen Lüsebrink (Hg.), Städtischer Raum im Wandel. Modernität – Mobilität – Repräsentationen / Espaces urbains en mutation. Modernités – mobilités – représentations, Berlin, Akademie Verlag, 2011, S. 31–41; vgl. auch Anm. 17. Christoph Bernhardt, Im Spiegel des Wassers. Eine transnationale Umweltgeschichte des Oberrheins (1800–2000), Köln, Weimar, Wien, Böhlau Verlag, 2016.

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und Städtebauer Marcel Lods mit dem Wiederaufbau des weithin zerstörten Mainz beauftragte und im Saarland ein Team funktionalistischer Städtebauer um den Le Corbusier-Schüler Georges-Henri Pingusson den Wiederaufbau in fünf Städten in Angriff nahm. In Straßburg baute Lods zugleich die neue Cité Rotterdam. Auch wenn speziell diese Nachkriegs-Transferansätze in Deutschland am Widerstand der lokalen Bevölkerungen scheiterten, stellen die Städte in der Rhein-Region in besonderer Weise eine Art Labor dar, um heuristische Konzepte und analytische Ergebnisse in ihrer Vielfalt zu erarbeiten und auf die Probe zu stellen, so wie es das Konzept des vorliegenden Buches fordert. Städte sind per se ein Terrain der Pfadabhängigkeit, einem 2. zentralen Element. Sie kann im morphologischen oder im politischen Sinne oder in beiden wirken. Selbst wenn Städte völlig zerstört werden, scheinen alte Strukturen oft wieder durch. Das kann Planungskonzept sein wie im grandiosen Wiederaufbau von Minsk, Vitebsk oder Podolsk in Weißrussland nach 1945.3 Oder es ist die Folge der alten rechtlichen und morphologischen Strukturen: in Köln oder Frankfurt geht die Prägung mancher heutigen Straßenführungen im Zentrum auch nach den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg auf das Mittelalter zurück, in Paris bisweilen auf die Antike wie die Rue Saint-Jacques an der Sorbonne. Auch bei dem Scheitern der französischen Funktionalisten im deutschen Nachkriegs-Südwesten siegte Pfadabhängigkeit über Moderne, allerdings hier insbesondere aufgrund der politischen Konstellationen, als mit fortschreitender Demokratisierung der Mehrheitswille der Bevölkerungen wieder durchschlug und Rekonstruktion statt völligem Neubeginn gefordert wurde. Der Kölner Stadtbaumeister Joseph Stübben entwarf um 1900 Modernisierungspläne im Auftrag von Städten in ganz Europa, in denen er alte Strukturen mit neuen Konzepten und mit modernen Anforderungen an Hygiene und Verkehr zu vereinen suchte.4 In Straßburg ging es nach 1870 um eine andere Konfiguration: um Konzepte – 3. Element. Nach den zunächst ab 1852 in Paris realisierten Prinzipien von Napoleon III. und seinem Polizeipräfekten Eugène Haussmann waren Straßenzüge und Platzanlagen geometrisch zu organisieren, orientiert auf hervorragende Bauwerke wie Kirchen – Notre Dame –, auf Technik und Naturwissenschaft – die Nord-Süd-Achse von der Gare de l’Est zum Observatoire südlich des Jardin du Luxembourg –, auf Kunst und Kultur – Opéra und Louvre –, auf Herrschaft – auch hier der Louvre –, und so fort. Seinen Siegeszug durch große Teile von Paris und phasenversetzt durch fast ganz Frankreich hat das Konzept gutenteils erst absolviert, als Napoleon III. nach seinem Umweg über Kassel im englischen Exil 1873 längst gestorben war. Die französischen Planungen hatten Straßburg allerdings in den 1860er Jahren bereits erreicht, so wie sie seit 1856 auch den westlichen Ausbau von Berlin in Schöneberg und vor allem Charlottenburg durch den persönlichen Kontakt zwischen den Baumeistern Haussmann und James Hobrecht unmittelbar beeinflusst hatten. Ähnlich wirkte Haussmann nach Ende des Second Empire persönlich auf den mit dem Namen von Quintino Sella verknüpften Ausbau von Rom 3 4

Thomas M. Bohn, Minsk – Musterstadt des Sozialismus: Stadtplanung und Urbanisierung in der Sowjetunion nach 1945, Köln, Weimar, Wien, Böhlau,2008. Joseph Stübben, Der Städtebau, 1890, Reprint Wiesbaden, Vieweg & Teubner, 2014.

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als neuer Hauptstadt Italiens ein; das ist dort bis heute vor allem an den Straßenführungen westlich und nordwestlich der Stazione Termini bis in Details abzulesen. In Straßburg rückten aber 1871 – um es in französischer Perzeption auszudrücken – die Preußen ein: Herrschaft und Herrschaftswechsel als 4. Element. In anderen Konstellationen spiegelt dieser Faktor sich im Beispiel München-Athen ähnlich wider wie in Kolonialherrschaften, etwa Italien bis in architektonische Details hinein im libyschen Tripolis und in Addis Abbeba, oder Frankreich in Casablanca, Agadir, Marrakesch oder Damaskus. In dieser Hinsicht steht Straßburg – scheinbar – besonders klar als Beispiel für allgemeine Herrschaftszusammenhänge. Auch das neue Museum des Deutsch-französischen Krieges in Gravelotte hält den Frieden von 1871 in seinem Namen bis heute für eine Annexion.5 Dieser Begriff ist nicht nur irreführend, weil er völkerrechtlich unzutreffend ist – es war eine Zession, eine Abtretung in Friedensverhandlungen nach verlorenem Krieg; in dieser Hinsicht war der Pariser Friede 1871 einer der letzten großen Friedensschlüsse nach altem europäischem Modell. Aber der Annexionsbegriff gibt die französische Perzeption als 5. Element wieder, auf das es im vorliegenden Zusammenhang ankommt. Doch erniedrigt der Annexionsbegriff die Bevölkerung des Reichslandes zu eher passiven Opfern einer fremden Politik, während tatsächlich ihre Leistungen in der Modernisierung – 6. Element – in diesem halben Jahrhundert beeindruckend waren. Die Jahre der deutschen Herrschaft waren unter anderem die Zeit des großen Städteaufschwungs in der ganzen Region, und das in komplizierter, aber intensiver transnationaler Interaktion. Was wurde also nun aus den durch Haussmann geprägten Plänen? Man verfolgte sie nach 1871 weiter, bis 1886 mit demselben Stadtbaumeister Jean Geoffroy Conrath: Pfadabhängigkeit (Element 2) war personell und konzeptionell also durchaus angelegt. Aber so weit war Haussmann von „den Preußen“ nun auch wieder nicht entfernt – die alte preußische Friedrichstadt in Berlin war und ist mit ihrer Quadrat- und Rechteckstruktur noch strenger geometrisch angelegt als Paris, wo unter anderem die sukzessiven ehemaligen Festungswälle in Pfadabhängigkeit bis heute die Ringboulevards markieren. Und Charlottenburg befand sich seit 1856 voll in der Umsetzung vieler Pariser Einflüsse. Damit ist man bereits mitten in einem weiteren Überlagerungsprozess. In der Rheinregion sind das barocke Mannheim in der Rechteckplanung und Karlsruhe mit seiner Fächerstruktur bis heute Beispiele für frühneuzeitliche geometrische Planungsvarianten, wie sie unter anderem italienische Städte seit dem 16. Jahrhundert entwickelten sowie Städteplaner wie Vasari oder Dürer. In Straßburg wurden die Überlagerungen noch komplizierter als in Berlin. Die östliche Stadterweiterung auf dem gewaltigen bisherigen Militärgelände, damals „Neustadt“ getauft und bis heute so benannt, folgte zunächst voll Haussmannschen Prinzipien (Element 3). Im ganzen Viertel des Palais du Rhin – des damaligen Kaiserpalasts –, der Universität, der Nationalbibliothek, des Theaters, des Parlaments,

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http://www.mosellepassion.fr/index.php/les-sites-moselle-passion/musee-de-la-guerrede-1870 [10.3.2017].

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der Avenue des Vosges und Avenue de la Forêt-Noire ist dies original erhalten;6 noch in den 1980er Jahren trugen dort manche Treppenhäuser in den Wohnbauten deutsche Aufschriften. Das lässt sich zugespitzt als Haussmannisierung Straßburgs durch „die Preußen“ bezeichnen. Schon hier griff aber mit Sozialreformen ein 7. Element ins Stadtbild ein und differenzierte die Einflussstrukturen aus: Die genossenschaftliche Organisation des Baues von Kleinwohnungen und Wohnungen für die Mittelschichten war in Frankreich damals wenig verbreite, im Deutschen Reich prägte sie dagegen weithin die Planungs- und Finanzierungsmuster.7 An der Avenue des Vosges stehen solche „Volkswohnungen“ bis heute. Teile der deutschen Gesetzgebung in Alsace-Moselle wurden nach 1919 in erbitterten Streitigkeiten mit Paris von der Bevölkerung – weit über die bekanntesten Beispiele von Konkordat und Sozialversicherung hinaus – unter der neutralen Bezeichnung als droit local geradezu verbissen verteidigt, und das dauert fort bis in die Gegenwart: Rechtsetzung ist ein 8. Element und einer der Kernfaktoren der Pfadabhängigkeit (Element 2). Forderungen der elsässischen Bürgermeistervereinigung nach Ausdehnung der genossenschaftlichen Form des Wohnungsbaus auf Innerfrankreich scheiterten in der Zwischenkriegszeit dagegen in der Chambre des Députés daran, dass dieses sozialpolitische Kernelement denn doch zu offensichtlich deutsch konnotiert war. In einem Saarbrücker DFG-Projekt zu den urbanen Überlagerungsprozessen in Grenzräumen hat das vor langer Zeit Christoph Cornelißen herausgearbeitet.8 Nationale Konflikte, Gegensätze und Konnotationen als 9. Element behielten also selbstverständlich ihr Gewicht – nun aber gerade nicht des Transfers, sondern im Gegenteil der Transfer-Blockierung. Die urbanen Konzepte differenzierten sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts jedoch noch weiter aus. Stadterweiterungen wurden weitgehend zum Konzept der deutschsprachigen Länder, von Wien bis Berlin. Haussmann dagegen zerstörte weite Teile der Innenstädte wie in Paris und baute diese weitgehend neu. In ganz Europa träumten die Bürgermeister zu dieser Zeit von der Schleifung alter Stadtmauern, um Stadterweiterungen und damit wirtschaftlichen und sozialen Aufschwung zu ermöglichen. Viele alte Städte verloren ihre Bedeutung. Gerade entlang des Rheins bewirkten die sozialen und ökonomischen Zwänge dagegen eine Fülle von Innovations- und Expansionsschüben. Nicht zuletzt aufgrund der unterschiedlichen demographischen Entwicklung und der wirtschaftlichen Dynamik entwickelten die Modernisierungszwänge (Element 6) in Deutschland stärkere Wirkungen als in Frankreich und hatten entsprechende Phasenverschiebungen zur Folge.

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Klaus Nohlen, Baupolitik im Reichsland Elsaß-Lothringen 1871–1918. Die repräsentativen Staatsbauten um den ehemaligen Kaiserplatz in Straßburg, Berlin, Mann, 1982. Clemens Zimmermann, Von der Wohnungsfrage zur Wohnungspolitik. Die Reformbewegung in Deutschland, 1845–1914, Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 1991, online: http://daten. digitale-sammlungen.de/~db/0004/bsb00048368/images/. Christoph Cornelißen, „Deutsch-Französische Wohnungspolitik in Straßburg 1886–1929“, in: Christoph Cornelißen / Stefan Fisch / Annette Maas, Grenzstadt Straßburg. Stadtplanung, kommunale Wohnungspolitik und Öffentlichkeit 1870–1940, St. Ingbert, Röhrig, 1997, S. 21–101.

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Im deutsch beherrschten Alsace-Moselle dagegen passierte im Hinblick auf das Stadtbild das Gegenteil: die Schleifung der romantischen alten Stadtmauern, welche aufgrund der technischen Militärentwicklung überflüssig geworden waren, wurde als gezielter Angriff auf die elsässische oder lothringische Seele empfunden – hier wirkte wieder das 5. Element der Perzeptionen, in denen ein 10. Element der kulturellen Gegensätze auf die Sachzwänge einwirkte. Die Modernisierung der Stadt traf daher auf wilde Widerstände in der Bevölkerung. Auch im Deutschen Reich wurden um die Jahrhundertende jedoch als monumentalistisch empfundene „preußische“ Bauweisen zunehmend bekämpft, etwa in den bekannten Kampagnen und Gesetzen zum Schutze der Ortsbilder. In Wien und Aachen entstanden die revolutionär erscheinenden Gegenkonzepte (Element 3) des künstlerischen oder ästhetischen Städtebaus, heute verknüpft vor allem mit den Namen von Camillo Sitte und Karl Henrici. Es ging darum, die geometrischen Platz- und Straßenanlagen sowie Blickperspektiven zu brechen, zu kleinräumigen Mustern zurückzukehren, zugleich aber im Hinblick auf Städtehygiene, Verkehrsführung etc. auf dem modernsten Stand der Technik zu sein. Was passierte nun in Straßburg? Über eine parlamentarische Vertretung – Politische Institutionen als 11. Element-Ebene – verfügte die eingesessene Bevölkerung bis 1911 nicht, und auch dann nur eingeschränkt. So traten, wie Annette Maas gezeigt hat,9 faktisch die alten Strukturen der bürgerlichen Gesellschaft – Element 12 – an ihre Stelle: die Société pour la conservation des monuments historiques d’Alsace. In den 1890er Jahren flauten die politisch-gesellschaftlichen Konflikte zwischen eingesessener Bevölkerung und so genannten Altdeutschen – den aus dem Reich Zugewanderten – mehr und mehr ab, wie auch beispielsweise die Heiratsstatistiken widerspiegeln.10 In dieser Société schlossen sich nun beide Bevölkerungsgruppen gegen „Preußen“ zusammen. Und worauf griffen sie in ihrem Generalangriff auf die als deutsches Konzept perzipierte hausmannisierende Stadterweiterung zurück? Auf deutsch-österreichische Konzepte – den künstlerischen Städtebau. Die Überlagerung nationaler Gegensätze (Element 9) wurde als Folge der Modernisierungszwänge (Element 6) zur Vernetzung. In den Notabelzirkeln ist nun tatsächlich Kooperation als ein 13. Element anzutreffen – aber gerade nicht im Sinne programmatischer deutsch-französischer Kooperation, sondern eines weit komplexeren gemeinsamen Kampfes von Gruppen beider Nationen gegen die herrschende Macht der einen Nation (Element 4). Nationale Diskurse waren dabei allerdings störend. So umging man semantisch die nationalen Konnotationen durch Bezüge auf eine spezifische regionale Kultur. Das erlaubte es, deutsche Konzepte mit deutschen Konzepten zu unterwandern, ohne das öffentlich so deutlich zu sagen. Konzeptionell vereinfacht wurde oben gesagt: deutsche Stadterweiterung stand gegen französische Zerstörung der Innenstädte. Auch das ist in Straßburg weit kom9 10

Annette Maas, „Stadtplanung und Öffentlichkeit in Straßburg (1870–1918/25). Vom Nationalbewußtsein zur regionalen Identität städtischer Interessengruppen“, in: Cornelißen u. a., Grenzstadt Straßburg (Anm. 8), S. 205–275. François Uberfill, La Société strasbourgeoise entre France et Allemagne (1871–1924). La société strasbourgeoise à travers les mariages entre Allemands et Alsaciens à l’époque du Reichsland. Le sort des couples mixtes après 1918, Strasbourg, Société savante d’Alsace, 2001.

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plizierter. Teile der Innenstadt waren besonders ärmlich und verfallen. Die durch den Munizipalsozialismus geprägte sozialdemokratische Straßburger Stadtverwaltung war eine der reformfreudigsten und erfindungsreichsten des ganzen Deutschen Reiches (Element 7). Ihre Sozialenqueten beispielsweise sind eine Fundgrube für den Sozialhistoriker. Was tun? 1900 kam das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch. Rechtsetzung (Element 8) als zentrales politisches, wirtschaftliches und gesellschaftliches Steuerungsinstrument hatte schon zuvor im ganzen Reichsland intensiv gewirkt. Als Transferinstrument diente sie, wenn seit 1852 aus Paris und nach 1870 vielen deutschen Städten vor allem – aber nicht allein – der Rhein-Region bis Basel Bauordnungselemente übernommen wurden; Rolf Wittenbrock hat das in Differenzierung der zahlreichen hierarchischen Strahlungszentren-Ebenen (Element 1) herausgearbeitet – es war seinerzeit das Saarbrücker „Test-Projekt“, um zu prüfen, ob bestimmte Analysekonzepte für Überlagerungs- und Vernetzungsstrukturen sich in der Forschungspraxis als wissenschaftlicher Ansatz in Grenzräumen bewähren würden oder nicht.11 Das BGB bot nun das in Großbritannien besonders verbreitete Instrument des Erbbaurechtes an, das droit emphitéotique. In Rom beispielsweise zerstörte die Spekulation (14. Element) unter maßgeblicher Mitwirkung der Vatikan-Bank gutenteils die Ansätze zu einer kohärenten Stadtplanung.12 Die Wohnungsbaukritik des deutschen Kaiserreiches prangerte Spekulation allerorten an, Zola gab ihr ein literarisches Zeugnis in den RougonMacquart. Auch sie gab es in Straßburg, aber erneut vielschichtiger. Stefan Fisch hat gezeigt, wie der raffinierte Bürgermeister Rudolf Schwander dort anfangs daran ging, Grundstücke in der Innenstadt über Strohmänner für die Stadt aufzukaufen. Als das bekannt wurde, hatte sie wesentliche Teile schon in Besitz. Damit verfügte sie über ein wichtiges Instrument zu Sozialreform, Wirtschaftsförderung und Modernisierung der Stadt (Elemente 6 und 7). Sie begann nun durch die Innenstadt nach Haussmannschem Prinzip eine große Achse zu schlagen, bald la Grande Percée genannt.13 Aber entgegen Haussmann erfolgte das nicht als geradlinige Allee, sondern als künstlerisch und ästhetisch geschwungene, zugleich für den modernen Verkehr konzipierte Avenue von der Bahnhofsnähe dicht am Münster vorbei bis in die Südstadt jenseits der Ill; auf ihr fährt seitdem die Straßenbahn vom Bahnhof durch die Innenstadt – wie in zeitgenössischen Architektenzeichnungen der Handbücher künstlerischen Städtebaues.14 Und nun verkaufte man die damit enorm wertvoll gewordenen Armenviertel im Erbbaurecht (Element 8) an Investoren und Geschäftsleute. Seit den 1970er Jahren sind, je nach Vertragsdatum, diese Terrains an die Stadt nach und nach zurückgefallen. Dass Straßburg eine reiche Stadt ist, hat 11 12 13 14

Rolf Wittenbrock, Bauordnungen als Instrumente der Stadtplanung im Reichsland Elsaß-Lothringen (1870–1918). Aspekte der Urbanisierung im deutsch-französischen Grenzraum, St. Ingbert, Röhrig, 1989. Einzelheiten in besonders plastischer Kritik bei Italo Insolera, Roma moderna. Un secolo di storia urbanistica, Turin, Einaudi, 2. Aufl. 1971. Stefan Fisch, „Der Straßburger ‚Große Durchbruch‘ (1907–1957). Kontinuität und Brüche in Architektur, Städtebau und Verwaltungspraxis zwischen deutscher und französischer Zeit“, in: Cornelißen u. a., Grenzstadt Straßburg (Anm. 8), S. 103–204, hier S. 114 ff. Karl Henrici, Beiträge zur praktischen Ästhetik im Städtebau, München, Callwey, 1905.

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sie also teilweise der sozialdemokratischen deutschen Stadtverwaltung und dem Bürgerlichen Gesetzbuch von 1900 zu verdanken: Überlagerung als kommunale Bereicherungsstrategie möchte man sagen. Auch das war in Straßburg aber noch nicht komplex genug. Als 1914 der Krieg ausbrach, unterbrach das den Straßendurchbruch. 1919 wollte man von deutschen Institutionen nichts mehr wissen. Aber man baute, wie in Metz, Sélestat, Hagenau und anderen Städten, genau nach den deutschen Plänen weiter. Es kam der nächste Krieg, man unterbrach wieder. Er war zu Ende – und man baute – erneut nach den alten deutschen Plänen – die Grande Percée in den 1950er Jahren jenseits der Ill im Süden zu Ende. Eine lokale Pfadabhängigkeit (Element 2) überlagerte hier die Durchschlagskraft nationaler Konnotationen (Element 9), die sich allmählich verloren. Geht man heute vom Bahnhof im Nordwesten bis zu den Europäischen Institutionen weit im Osten, so hat man Meter für Meter diese Überlagerungen vor Augen. Schon am Stadtplan von 1913 lässt sich in der Straßenführung bis heute verfolgen, wie sich in dem weiteren Ausbau von der Innenstadt gen Osten die „preußischhaussmannschen“ Konzepte zum künstlerischen Städtebau wandelten. Zugleich trifft man in der Neustadt allenthalben auf das Haussmannsche Prinzip der Sichtachsen zu historischen Monumenten mit dem Blick auf den Münsterturm. Straßburg spiegelt also allein schon in dieser zentralen Percée und der Neustadt über fast ein Jahrhundert die Vernetzung und Überlagerung deutscher und französischer Einflüsse ungeachtet der Kriege und Konflikte wider. Das entspricht den Ergebnissen von Christoph Bernhardt für die Umweltpolitik am Rhein. Natürlich sind der Überlagerungen noch viel mehr. Sozialreformen – Element 7 – entwickelten vielschichtige Wirkungen auf die Stadtmorphologie. Die Stadtverwaltung baute beispielsweise um die Jahrhundertwende zugleich die Gartenstadt Stockfeld, um die aus der Innenstadt vertriebene arme Bevölkerung würdig anzusiedeln – wieder ist man bei einer der Ambivalenzen der Vernetzung von Architektur mit Sozialreform und Gesellschaft, die im 20. Jahrhundert bald kontinentübergreifende Bedeutung erhielt. Denn die arme Bevölkerung nahm das Angebot nicht an und wollte nahe am Zentrum bleiben, es wurde daher eine Mittelschichtensiedlung daraus. Für die Transferproblematik ist die Initiative insofern relevant, als es Gartenstädte damals in Frankreich noch selten gab, obwohl die internationale Diskussion darüber dort ebenfalls angelaufen war.15 In Straßburg kam das britische Konzept eher auf dem Umweg über die innerdeutschen Gartenstädte vom Ruhrgebiet bis zur Hellerau bei Dresden an. Der Budapester Bürgermeister und spätere Ministerpräsident Sandór Wekerle wählte – wie Stefane Jonas fest-

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Siehe hierzu jetzt umfassend Elsa Vonau, La fabrique de l’urbanisme. Les cités-jardins entre France et Allemagne 1900–1924, Villeneuve-d’Asq, Presses universitaires du Septentrion, 2014; Zusammenfassung: „Aménagement de l’espace et ambitions reformatrices dans l’expérience des cités-jardins“, in: Hélène Miard-Delacroix / Guillaume Garner / Béatrice von Hirschhausen (Hg.), Espaces de pouvoir, espaces d’autonomie en Allemagne, Villeneuve d’Asq, Presses universitaires du Septentrion, S. 117–129.

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stellte16 – für seine Erkundungsreise durch Europa insbesondere auch Straßburg aus, bevor er seine eigene, heute nach ihm benannte Budapester Gartenstadt baute. Dort integrierte er ebenso architektonische Einflüsse aus den Karpaten. Das verweist in systematischer Hinsicht auf weitere regionale Vernetzungen, die sich im Elsass und in Lothringen beispielsweise in den vielfältigen Einflüssen auf die lokalen Bauordnungen bis in Details hinein ablesen lassen. Diese Netzwerke gehören ebenso wie die Gartenstädte zum weiten Feld der Strahlungszentren (Element 1) und ihrer Hierarchien. In Fall der Gartenstädte wirkte die Rheinregion tatsächlich auf Innerfrankreich ein und verwob sich dort mit den Einflüssen der internationalen Gartenstadt-Diskussion. Ähnlich strahlte Metz nach 1919 in der Städtehygiene und in den im Deutschen Reich entwickelten, doch in Frankreich bis dahin kaum bekannten Staffelbauordnungen auf Innerfrankreich aus: Transfer in der Folge von Grenz- und Herrschaftswechseln (Element 4) konnte durchaus erfolgen, soweit sich die nationalen Konnotationen nicht gegenseitig blockierten. Für den in das Konzept dieses Buches einbezogenen Norden, also Lothringen, Luxemburg und die Saarregion, ist die genannte Saarbrücker Forschergruppe solchen Vernetzungs- und Überlagerungsvorgängen aus stadtgeschichtlicher Perspektive vor langer Zeit systematisch nachgegangen. Da national geprägte Kategorien dem Forscher in solchen Grenzregionen beim Schreiben buchstäblich unter den Fingern zerrinnen, weil sie die Komplexität der Entwicklungen nur unzureichend zu erfassen erlauben, erforderte das ein eigenes heuristisches Konzept, das als mémoire transfrontalière – grenzüberschreitende Erinnerung gefasst wurde: wie lassen sich im 21. Jahrhundert konkrete Spuren solcher Vernetzungen auch durch ein breites Publikum verfolgen? In Zusammenarbeit mit Francois Roth in Nancy, Alfred Wahl in Metz und Jean-Paul Lehners in Luxemburg sowie mit über 20 Studierenden aus regelmäßigen gemeinsamen Seminaren wurden architektonische Spuren in den drei Regionen in ihren jeweiligen multimethodischen Kontexten und Auswirkungen aufgespürt. Aus über 3000 einschlägigen Objekten wurden schließlich knapp 800 in etwa 200 Beiträgen – davon einige auch von den Studierenden – systematisiert in den Rubriken von Dorf- und Arbeiterarchitektur, Industrie und Gewerbe, Verkehr, Militär, Sakralbauten, Urbanisierung und Denkmälern und im Internet in auch technisch systematischer Strukturierung publiziert. Die hier entdeckte Fülle von konkreten Spuren bietet auch künftig noch vielfältige weitere Perspektiven für Vertiefungen der Vernetzungsforschung auch über diese Regionen hinaus.17 16

Stephane Jonas, „La création de la cité-jardin de Stockfeld à Strasbourg (1907–1912)“, in: Rainer Hudemann / Rolf Wittenbrock (Hg.), Stadtentwicklung im deutsch-französisch-luxemburgischen Grenzraum (19. u. 20. Jahrhundert) / Développement urbain dans la région frontalière France-Allemagne-Luxembourg (XIXe et XXe siècles), Saarbrücken: Saarbrücker Druckerei und Verlag, 1991, S. 199–236; online: http://digital.sulb.uni-saarland.de/viewer/ resolver?urn=urn:nbn:de:bsz:291-sulbdigital-228755. 17 Rainer Hudemann unter Mitarbeit von Marcus Hahn / Gerhild Krebs / Johannes Großmann (Hg.), Stätten grenzüberschreitender Erinnerung – Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-LuxRaumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière – Traces et réseaux dans l’espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken 2002, 3. technisch überarbeitete Auflage 2009. Publiziert online: www.memotransfront.uni-saarland.de. Die Einführung und Systematisierung in drei Sprachen bietet für das auch semantisch hoch komplexe Feld der

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Manches verläuft im Norden anders. Die Stadt Luxemburg beispielsweise hat nach ihrer Entfestigung ab 1867 eine andere Form von Überlagerungen aufzuweisen, die charakteristisch erscheint für eine spezifische Form der Nationsbildung. Das große alte Luxemburg, dreieinhalbmal so groß wie das heutige, stand über die Jahrhunderte unter verschiedensten Herrschaften (Element 4): allein seit dem 16. Jahrhundert waren es Spanische und dann Habsburgische Niederlande, das Haus Anjou, kurzfristig Bayern, Frankreich, Personalunion mit den Niederlanden, Deutscher Bund bis zur Unabhängigkeit 1830/39. Nach 1867 wurde diese westlichste Festung des Deutschen Bundes geschleift – Beginn einer gewaltigen Expansion der Stadt. In dem südlichen Erweiterungsgebiet zwischen Altstadt und Bahnhof, dem Plateau Bourbon, finden sich wie in Straßburg die Haussmannschen Formen neben dem künstlerischen Städtebau, aber nicht in chronologischer Abfolge, sondern zugleich angelegt. In den Bauordnungen (Element 8) wurden darüber hinaus Bestimmungen aus all diesen Ländern gezielt ausgesucht und eingefügt.18 Bis in Details der Fassadengestaltung auf dem Plateau Bourbon lassen sich die Einflüsse verfolgen. Sie werden vielfach bestätigt durch die Karrieren der Architekten, die Antoinette Lorang rekonstruiert hat19 und die als professionelle Netzwerke ein 15. Element repräsentieren. Joseph Stübben aus Köln entwarf auch hierfür Pläne, welche französische und deutsche Konzepte vereinten und nicht, wie in Straßburg, zeitlich auf einander folgten. Hier hat die Rheinregion im engeren Sinne vielfältig als Vermittlerin gewirkt. Ein letzter Blick auf die Mittelstädte bringt einen wichtigen Faktor noch einmal deutlicher zur Geltung als Straßburg: Die Übernahme von Reformkonzepten mit dem Ziel der Sicherung der Herrschaft der lokalen Bourgeoisie, dem 12. Element; Peter Heil hat das im Saarbrücker Team im Elsass beispielsweise für Sélestat und Hagenau gezeigt.20 Besonders interessant ist der Fall Winterthur, den Francois Walter analysiert hat. Hier einigten sich Sozialdemokraten und Bourgeoisie mit entgegengesetzten Zielen auf die Gartenstadt als Modernisierungsmodell (Element 6): die einen setzten soziale Reform (Element 7) durch, die anderen sahen auf diese Weise ihre dominante Position in der Stadt (Element 12) gesichert.21 All diese Überlagerungen und Vernetzungen haben im 21. Jahrhundert eine völlig neue Aktualität erhalten. Bis mindestens in die 1980er Jahre hinein waren sie

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transnationalen Erinnerungsbegriffe zugleich Übersetzungsvorschläge für Deutsch, Französisch und Englisch. Rolf Wittenbrock, „Baurecht und Stadtplanung im Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen und Orientierungen. Die Stadt Luxemburg im 19. Jahrhundert“, in: Hémecht, Zeitschrift für Luxemburger Geschichte 42 (1990), S. 373–405. Antoinette Lorang, Plateau Bourbon und Avenue de la Liberté. Späthistorische Architektur in Luxemburg, Luxembourg [o. Verlag], 1988; Rainer Hudemann, „Am Schnittpunkt der Kulturen. Stadtentwicklung und Nationalstaatsbildung in Luxemburg im 19. und frühen 20. Jahrhundert“, in: Wolfgang Haubrichs / Kurt-Ulrich Jäschke / Michael Oberweis (Hg.), Grenzen erkennen – Begrenzungen überwinden, Sigmaringen, Thorbecke, 1999, S. 385–397. Peter Heil, Von der ländlichen Festungsstadt zur bürgerlichen Kleinstadt. Stadtumbau zwischen Deutschland und Frankreich. Landau, Haguenau, Sélestat und Belfort zwischen 1871 und 1930, Stuttgart, Franz Steiner Verlag, 1999. François Walter, La Suisse urbaine 1750–1950, Carrouge-Genève, Éditions Zoé, 1994.

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in Alsace-Moselle, obwohl für jeden ersichtlich, weniger vergessen als verdrängt und tabuisiert. Manche Forscher fanden für ihre Arbeiten zu der Thematik in Metz keinen Verlag. Das kommunikative Gedächtnis im Sinne von Aleida und Jan Assmann22 war zwar überaus lebendig – aber es spiegelte die drei Kriege seit 1871 und die beiden hoch komplizierten Reintegrationen der Region in die Französische Republik nach den Weltkriegen wider. Die Erinnerung war also allenthalben präsent – aber teil-blockiert. Es war ein Speichergedächtnis, doch ein geteiltes: der nicht tabuisierte Bereich diente als Funktionsgedächtnis für die (Re-)Integration. Allmählich deuteten sich erste Differenzierungen an. Der Bahnhof in Metz war bereits 1975, der Straßburger Bahnhof 1985 in die amtliche Liste der Monuments historiques aufgenommen worden. In den 1990er Jahren begann in Metz die Reinigung der schwarz gewordenen Fassaden. In Straßburg lancierte Rodolphe Ripetti, Direktor der Musées de Strasbourg, 1999 einen vorsichtigen und um so aufsehenerregenderen öffentlichen Versuch mit einer Ausstellung und einer Tagung über die Stadt in der Reichslandzeit.23 2006 und 2007 plötzlich zwei Paukenschläge: Die Stadtverwaltungen von Metz und danach Straßburg beschlossen, die Klassifizierung dieser Stadtteile als Weltkulturerbe der UNESCO zu beantragen. Es war, als hätten sie die beiden Assmanns gelesen: exakter konnte man den Übergang zum kulturellen Gedächtnis nach dem von beiden dafür angesetzten Jahrhundert kaum terminieren, der Metzer Bahnhof war 1908 eingeweiht worden. Der öffentliche Widerhall war noch keineswegs nur positiv. Beide Städte gingen im Verlauf des nun folgenden Beantragungs-Prozesses dazu über, die Altstädte in das Konzept einzubeziehen und die Vernetzungen damit noch weit deutlicher zu demonstrieren; in Metz erfolgte das anfangs eher pragmatisch, weil das Quartier allemand zu klein erschien, und wurde dann zum Konzept.24 Straßburg verfügte zwar schon über ein Weltkulturerbe, aber nur für die Grande Île in der Ill. Metz benannte das Viertel sogar um in „Quartier Impérial“ – zwei Jahrzehnte früher wäre das undenkbar gewesen. Nun fanden sich auch in Metz Verlage für das Thema.25 2014 und 2015 meldete Frankreich die Anträge für beide Städte bei der UNESCO an in der Form der Vor-Anträge (liste indicative).26 Im Antrag für Straßburg heißt es: „Les in22

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Zu ihren wirkungsmächtigen Kategorien siehe insbesondere Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München, C. H. Beck, 4. Aufl. 2002; Aleida Assmann, Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, München, C. H. Beck, 2006. Strasbourg 1900 – naissance d’une capitale, Hg. Musées de Strasbourg / Rodolphe Ripetti, Straßburg, Musées de Strasbourg, 2000. Unterlagen der Expertenkommission, Archiv R. H. Niels Wilcken, Metz et Guillaume II – architecture et pouvoir. L’architecture publique à Metz au temps de l’Empire allemand (1871–1918), Metz, Éditions Serpenoise, 2007, 2. Aufl. 2013 (deutsch Saarbrücken 2000); Christiane Pignon-Feller, Metz 1848–1918. Les métamorphoses d’une ville, Metz, Éditions Serpenoise, 2005; dies.: Metz 1900–1939: Un Quartier impérial pour une Nouvelle Ville, Paris, Éditions du Patrimoine, 2013. „Metz Royale et Impériale, enjeux de pouvoir, confrontations stylistiques et identité urbaine“, Antrag vom 14.4.2014, http://whc.unesco.org/fr/listesindicatives/5882/. „De la Grande-Île à la Neustadt, une scène urbaine européenne“, Antrag vom 2.2.2015, http://whc.unesco.org/fr/ listesindicatives/5966. Der erste Antrag: „Patrimoine mondial Strasbourg Grande Île“, http:// whc.unesco.org/fr/list/495 [11.2.2017].

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fluences françaises et germaniques ont permis une composition spécifique alliant les réalisations de grandes périodes significatives de l’histoire européenne : l’Antiquité romaine, le Moyen Âge et la Renaissance rhénane, le XVIIIe siècle classique français, puis le XIXe et le début du XXe siècle qui voient l’émergence de la ville moderne, capitale et symbole du nouvel État allemand. Soigneusement assemblées avec leur spécificité et leur diversité, ces réalisations composent une scène urbaine exceptionnelle représentative d’une culture de la ville proprement européenne, hautement significative en ce lieu d’affrontements passés et symbole aujourd’hui de la réconciliation franco-allemande.“ Metz argumentierte ähnlich. Das teilblockierte Speichergedächtnis ist damit zum Funktionsgedächtnis einer europäisch orientierten Kultur- und Stadtpolitik geworden. Und Straßburg richtete in einem weiteren Schritt mit Frankfurt 2013 und 2014 in beiden Städten eine große Ausstellung aus, welche die dortigen Vernetzungen in den Zusammenhang der deutschen und französischen Architekturverflechtungen der beiden letzten Jahrhunderte stellte.27 Der Straßburger Antrag hatte im Juli 2017 Erfolg, allerdings in der Form der Erweiterung des bereits bestehenden Weltkulturerbes um die Neustadt und nicht als eigenständiges weiteres Weltkulturerbe.28 Zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Beitrages war über Metz im internen französischen Entscheidungsprozess und damit auch seitens der Unesco noch nicht entschieden. Das ist für die Fragestellung dieses Buches insofern aber auch weniger entscheidend, als die Vernetzungen mit diesen Anträgen auch unabhängig vom Erfolg eine Eigendynamik entwickelt und hieraus Eingang in die nationale Erinnerung gefunden haben. Die Aktualität des kulturellen Gedächtnisses erfasst vielfältige weitere Felder. Greifen wir nochmals die Rechtsetzung (Element 8) in ihrer Vernetzung mit der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung auf. Der Conseil constitutionnel bestätigte anlässlich eines Verfahrens zur Sonntagsarbeit 2011 den Fortbestand des alten droit local in Alsace-Moselle als verfassungsgemäß, soweit es nicht durch neue Entscheidungen oder Gesetze seit 1919 ersetzt worden sei.29 Folgerichtig erklärte er 2012 dagegen die aus den Zünften herrührenden deutschen Innungskammern (Corporations) der deutschen Gewerbeordnung von 1900 für überflüssig mit der Begründung, ihre Funktion sei durch die Handwerkskammern französischer Tradition (Chambres des métiers) vollauf erfüllt; die Mitgliedschaft in ihnen – sie war mit jährlich ca. 300 € der Prozessge27

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Interférences/Interferenzen. Architecture Allemagne – France 1800–2000, Hg. Musées de Strasbourg und Deutsches Architekturmuseum Frankfurt, Straßburg, Musées de Strasbourg, 2013. Aus der Frühphase des Saarbrücker Projektes übernahm die Ausstellung den Begriff der „Interferenzen“, der dort wegen der sowohl im Französischen wie allgemein in der Linguistik abweichenden Bedeutungen seit langem wieder fallen gelassen worden war und daher auch im vorliegenden Beitrag nicht verwendet wird. http://www.unesco.de/kultur/welterbe/welterbekomitee-2017/neueinschreibungen.html# c65960 [13.1.2018] www.conseil-constitutionnel.fr/conseil-constitutionnel/francais/les-decisions/acces-par-date/ decisions-depuis-1959/2011/2011-157-qpc/decision-n-2011–157-qpc-du-5-aout-2011.99424. html [10.3.2017]. Zugang zur Materie über die laufenden Publikationen des Institut de droit local in Straßburg und des Centre juridique franco-allemand de l’Université de la Sarre, www. cjfa.eu/de/.

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genstand – sei nicht mehr obligatorisch und stehe den Handwerksbetrieben damit künftig frei. Im übrigen habe Deutschland sie ebenfalls abgeschafft.30 Die Pariser Entscheidung rief einen gewaltigen Sturm der Entrüstung hervor, in dem der Niedergang der wirtschaftlichen Prosperität der ganzen Region heraufbeschworen wurde. André Reichardt, Sénateur und ehemaliger Vorsitzender der Regionalrates des Elsass, stellte im Dezember 2012 anlässlich der Festveranstaltung der Amicale Gaulliste du Sénat zum Jahrestag des Élysée-Vertrages in diesem Zusammenhang fest, die Elsässer seien dem deutschen Rechts-Erbe „viscéralement attachés“. In seiner Begründung setzte sich der Conseil constitutionnel umfassend auseinander mit der Komplexität des nicht durch französische Gesetze abgelösten und daher fortgeltenden deutschen Rechts sowie dessen deutschsprachiger Fassungen, soweit sie nicht seit 1924 amtlich ins Französische übersetzt wurden. Er zitierte den Papst des droit local J.-M. Woehrling aus dem Juris classeur Alsace-Lorraine von 2012: „[…] Les risques d’interprétation erronée s’accroissent avec l’écoulement du temps, les juristes connaissant bien la langue et la terminologie juridique allemande devenant de moins en moins nombreux“. Hier schimmerte bis in die Entscheidungsbegründung durch, dass die Verfassungsrichter selbst erhebliche Mühe mit den – zudem nur in deutscher Frakturschrift des Standes 1924, also der Gewerbeordnung von 1900 vorliegenden – deutschen Texten hatten. Wie viele es waren, übersahen sie selbst nicht: „L’identification exhaustive des textes qui subsistent est une tâche délicate compte tenu des abrogations qui peuvent implicitement résulter de textes nationaux“ warnten sie. Daraufhin erließ Justizministerin Christiane Taubira am 14. Mai 2013 ein Dekret, das die nicht amtlich abgelösten ursprünglichen deutschen Texte in den bislang nichtamtlichen Übersetzungen des Institut de droit local in Straßburg von 1925 amtlich als in deutscher Sprache verbindlich bestätigte – aber ohne inzwischen erfolgte französische Änderungen einzubeziehen. Das erforderte den Zusatz: „Cette traduction officielle ne correspond donc pas nécessairement à l’état des textes qui est aujourd’hui en vigueur.“ Die erforderlichen amtlichen Ergänzungen würden erarbeitet. Das Dekret hat für Historiker den Vorteil, dass es die dem Verfassungsrat 2012 noch nicht vorliegende und sachlich überaus spannende Liste von 46 grundsätzlich noch gültigen und nicht amtlich übersetzten deutschen Gesetzen und Verordnungen des Kaiserreiches enthält, die nach Stand 2013 in Alsace-Moselle sowohl volle als auch zugleich möglicherweise nicht volle Gültigkeit besaßen.31 Sie berühren so gut wie alle Bereiche städtischen Lebens, von Plakatanschlägen bis zum Bildungs30

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Allerdings sagte man nicht dazu, dass die Überführung der Innungskammern in die Handwerkskammern – die Innungen selbst bestehen in Deutschland als Fachverbände fort – im „Dritten Reich“ im Zuge der großen Handwerksreform 1935 erfolgte. http://www.conseilconstitutionnel.fr/conseil-constitutionnel/root/bank/download/2012285QPCccc_285qpc.pdf [12.3.2017], mit weiteren Verweisen. Vgl. dazu die Analyse der Sorbonne-Juristin und Historikerin Roseline Letteron: http://libertescheries.blogspot.de/search?q=alsace [10.3.2017]. Décret n° 2013–395 du 14 mai 2013 portant publication de la traduction de lois et règlements locaux maintenus en vigueur par les lois du 1er juin 1924 dans les départements du Bas-Rhin, du Haut-Rhin et de la Moselle, https://www.legifrance.gouv.fr/affichTexte.do?cidTexte=JORF TEXT000027408504&categorieLien=id [12.3.2017].

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wesen. Die Revue de Droit local erlaubt es seit Jahrzehnten, vielen der Details zu folgen. Ob weitere Aufhebungen einstmals deutscher Gesetze neue Proteststürme wie 2011/12 zur Folge haben werden, bleibt abzuwarten. Einfach bleiben die Überlagerungen und ihre rechtliche Verarbeitung also auch ein Jahrhundert nach dem Ersten Weltkrieg nicht. Auch darin kommt zum Ausdruck, dass die Epoche des kulturellen Gedächtnisses gesellschaftlich zumindest im Hinblick auf die ReichslandZeit erreicht scheint. Das kulturell gewordene Gedächtnis erobert weitere Felder. In einer wochenlangen Facebook-Abstimmung der SNCF über Frankreichs schönsten Bahnhof kamen Straßburg und Metz im Februar 2017 in die Spitzenrunde. Für den vorliegenden Band wäre ein Sieg Straßburgs, weil direkt am Rhein gelegen, besonders willkommen gewesen. Aber unter analytischen Gesichtspunkten ist das Ergebnis der rund 31.000 Votanten ebenso aussagekräftig: gesiegt hat La Gare de Metz. Ein internaute fragte im Dauphiné libéré: „Ne serait-ce pas les Allemands qui l’auraient construite?“32 Die Vernetzungen der Rheinregion sind damit in der Öffentlichkeit beider Länder dort angekommen, wo die Reflektion über sie im 20. Jahrhundert besonders schwierig und konfliktreich bis hin zur Blockade gewesen war. Ebenso wie wichtige weitere und hier nicht vertiefte Faktoren stellen die skizzenhaft angesprochenen 15 Elemente jedes für sich einen eigenständigen methodischen Ansatz dar, das große Forschungsfelder erschließen kann. Die Dynamik der Entwicklung der Rheinregion in ihrer Verflechtung von retardierenden, blockierenden, beschleunigenden und umwälzenden Elementen transnationaler Vorgänge erschließt sich aber erst voll, wenn die in diesem Buch geforderten multimethodischen Ansätze im jeweiligen Sachgebiet die dort aufscheinenden Elemente ihrerseits eng miteinander vernetzen.

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www.ledauphine.com/france-monde/2017/02/20/vous-pouvez-voter-pour-designer-la-plusbelle-gare-de-france [11.3.2017].

AUTORINNEN UND AUTOREN Bennemann, Nils, assoziierter wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Duisburg-Essen. Publikationen: Karte und Kontingenz: der Rhein im Kartenbild des 19. Jahrhunderts, in: Editionswissenschaftliches Kolloquium 2015: die Geschichte im Bild / Flachenecker, Helmut; Kopinski, Krzystof; Tandecki, Janusz (Hrsg.), 2016, S. 35–48. Schneider, Ute; Bennemann, Nils, Gerhard Mercator: Lebensform und Habitus. In: Gerhard Mercator: Wissenschaft und Wissenstransfer / Schneider, Ute; Brakensiek, Stefan (Hrsg.), 2015, S. 54–66. Bennemann, Nils, Port, city and hinterland: on the effects of the Mainz Convention (1831) on the Rhine free ports. In: Espaces portuaires: L’Europe du Nord à l’interface des économies et des cultures 19e–20e siècle / Eck, François; Tilly, Pierre; Touchelay, Béatrice (Hrsg.), 2015, S. 21–30. Braun, Brigitte, Publications Manager an der WHU, Otto Beisheim School of Management, Koblenz. Publikationen: Zwischen Rheinlandpropaganda und Rheinromantik. Der Rhein im Film der Weimarer Republik, in: Geschichte im Westen, Bd. 31 (2016), S. 145–167. Gem. mit Ralf Forster, Zwischen Wissensvermittlung und Propaganda: suggestive Kartographie im deutschen Film nach 1918, in: KartenWissen: territoriale Räume zwischen Bild und Diagramm / hrsg. von Stephan Günzel u. Lars Nowak, Wiesbaden 2012, S. 397–419. Corbin, Anne-Marie, professeur émérite en civilisation allemande, université de Rouen. Publications : Anne-Marie Corbin, Petite histoire de la musique allemande et autrichienne, Paris, Ellipses 2005. Anne-Marie Corbin, L’Image de l’Europe à l’ombre de la Guerre froide. La revue Forum de Friedrich Torberg à Vienne (1954– 1961), Paris, L’Harmattan, 2001. Anne-Marie Corbin, La Force de la parole. Les intellectuels face à la RDA et à l’unification allemande, Villeneuve D’ascq, Septentrion 1998. Anne-Marie Corbin, Manès Sperber : un combat contre la Tyrannie (1934–1960), Berne, Peter Lang 1996. Eck, Jean-François, professeur émérite d’histoire économique contemporaine à l’Université Charles de Gaulle Lille 3. Publications : Les entreprises françaises face à l’Allemagne de 1945 à la fin des années 1960, Paris, Comité pour l’histoire économique et financière de la France, 2003 ; « La Chambre de commerce franco-allemande. Evolution et rôle d’une institution patronale, des années 1950 aux années 1970, in Stefan Fisch, Florence Gauzy et Chantal Metzger (dir.) Machtstrukturen im Staat in Deutschland und Frankreich, Stuttgart, Steiner Verlag, 2007 ; L’économie, l’argent et les hommes. Les relations franco-allemandes de 1871 à nos jours, en codir. avec Stefan Martens et Sylvain Schirmann, Paris, Comité pour l’histoire économique et financière de la France, 2009 ; « Grandes entreprises allemandes et

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Autorinnen und Autoren

capitalisme français : les affaires de la SOPI (1926–1939) », in Olivier Feiertag et Isabelle Lespinet-Moret (dir.), L’économie faite homme. Hommage à Alain Plessis, Genève, Droz, 2011 ; « Entreprises et espace : le cas de l’Europe continentale du Nord-Ouest du milieu du XVIIIe siècle à la fin du XXe siècle », Histoire, économie et société, 2012, n° 3, p. 31–50. Friedemann, Peter, ehemaliger Geschäftsführer der Bibliothek des Ruhrgebiets, Bochum. Publikationen: mit Christoph Klessmann (Hrsg.), Streiks und Hungermärsche im Ruhrgebiet 1946–1948, Frankfurt 1977. Hrsg., Materialien zum politischen Richtungsstreit in der deutschen Sozialdemokratie 1890–1917, 2 Bde., Frankfurt 1978. Giraud, Fabrice, Lehrkraft für besondere Aufgaben, Universität Vechta, Fachbereich Politikwissenschaft. Publikationen: Die Eurodistrikte – Eine neue Form der grenzüberschreitenden Kooperation? Eine vergleichende Analyse des Eurodistricts Straßburg-Ortenau und des Trinationalen Eurodistrikts Basel, Münster 2014; Zwischen Annexionen und Euregio – Das deutsch-niederländische Verhältnis nach dem Zweiten Weltkrieg mit besonderem Blick auf die Grafschaft Bentheim, in: Emsländische Geschichte 18, Studiengesellschaft für Emsländische Regionalgeschichte, Haselünne, S. 348–448, 2011. Goch, Stefan, Leiter des Instituts für Stadtgeschichte Gelsenkirchen. Publikationen: mit Gerd Escher (Hrsg.), Buer – Geschichte(n) einer Stadt: ein starkes Stück Gelsenkirchen, Essen 2014. Arbeiter(bewegungs)kulturen im Ruhrgebiet. Ziele und kulturelle Praxis, in: Kulturelles Handeln im transkulturellen Raum. Symposiumsbericht Kulturhauptstadt RUHR 2010, hrsg. von Andreas Jacob und Gordon Kampe, Hildesheim u. a., 2014, S. 29–59. Hiepel, Claudia, Privatdozentin für Neuere und Neueste Geschichte, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Duisburg-Essen, Publikationen: Willy Brandt et Georges Pompidou. La politique européenne de la France et de l’Allemagne entre crise et renouveau, Presses Universitaires du Septentrion 2016; „Borders are the Scars of History“? Cross-border Co-operation in Europe – the Example of the EUREGIO, in: Journal of European Integration History 22 (2016), S. 263–278; Europe in a Globalising World. Global Challenges and European Responses in the „long“ 1970s, Baden-Baden 2014. Hudemann, Rainer, Professeur des universités émérite en Histoire contemporaine de l’Allemagne et des pays germaniques à l’Université Paris-Sorbonne und Professor em. für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität des Saarlandes. Letzte Publikationen Fabian Lemmes / Johannes Großmann / Nicholas Williams / Olivier Forcade / Rainer Hudemann (Hg.), Evakuierungen im Europa der Weltkriege – Évacuations dans l’Europe des guerres mondiales – Evacuations in World War Europe, Berlin: Metropol Verlag, 2014; Alexander Friedman / Rainer Hudemann (Hg.), Diskriminiert – vernichtet – vergessen. Behinderte in der Sowjetunion,

Autorinnen und Autoren

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unter nationalsozialistischer Besatzung und im Ostblock 1917–1991, Stuttgart, Franz Steiner Verlag, 2016; Mathieu Dubois / Rainer Hudemann (Hg.), Historiographie allemande du Temps présent, no. thématique d’Histoire, Économie & Société 2/2016. Jeanvoine, Luc, Membre Associé de l’équipe de recherche en sciences historiques de l’Université de Strasbourg, EA 3400 ARCHE (Arts, Civilisation et Histoire de l’Europe), Thèse soutenue à l’Université de Strasbourg en 2005 sous la direction de Michel Hau : L’usine de constructions mécaniques de Graffenstaden (1960–1986) ; Publications : « Quand la grande entreprise se transforme en PME : la naissance de Flender-Graffenstaden (1975–1993) », in Michel Hau (éd.), Regards sur le capitalisme rhénan, Strasbourg, Presses universitaires de Strasbourg, 2009, p. 43–60. ; « Le dépérissement de l’usine de Graffenstaden » in Entreprises et Histoire 27, 2001, p. 44–54. Krapoth, Stéphanie, Maître de conférences d’histoire contemporaine à l’Université de Franche-Comté, Laboratoire des Sciences historiques LSH EA 2273, publications : « Du vécu à la mémoire collective : le siège de Belfort dans les représentations allemandes (années 1870 à nos jours) », in : Sidonie Marchal (dir.), Belfort et son territoire dans l’imaginaire républicain, Paris, L’Harmattan, coll. « Histoire, Textes, Sociétés », 2012, p. 91–124. « L’image de l’ennemi dans la paix : regards français et allemands entre 1919 et 1939 », in : Renée Dickason (dir.), Mémoires croisées autour des deux guerres mondiales, Paris, Mare & Martin, coll. « Politeia », 2012, p. 131–156. (Dir.), Les relations franco-allemandes en perspective. Sources, méthodes et temporalités pour une approche des représentations depuis 1870. Besançon, Presses universitaires de Franche-Comté, 2016, 458 p. Libera, Martial, maître de conférences habilité à diriger des recherches en histoire contemporaine à l’Institut universitaire de technologie Robert Schuman (université de Strasbourg). Choix de publications : Un rêve de puissance. La France et le contrôle de l’économie allemande (1942–1949), Bruxelles, P. I. E. Peter Lang, 2012 ; Martial Libera, Diplomatie patronale aux frontières. Les relations des chambres de commerce frontalières françaises avec leurs homologues allemandes (1945 – milieu des années 1980), Genève, Librairie Droz, à paraître en 2018 ; avec Sylvain Schirmann et Birte Wassenberg (dir.), Abstentionnisme, euroscepticisme et anti-européisme dans les élections européennes de 1979 à nos jours, Stuttgart, Franz Steiner Verlag, 2016 ; avec Sylvain Schirmann (dir.), numéro spécial « La Commission centrale pour la navigation du Rhin : histoire d’une organisation internationale. Actes du colloque international de Strasbourg, 18 et 19 juin 2015 », Fare Cahier, n° 13, 2017. Miard-Delacroix, Hélène, professeur des Universités à Sorbonne Université, Histoire et civilisation de l’Allemagne contemporaine, UFR d’Études germaniques et nordiques. Publications : Le défi européen. Histoire Franco-allemande de 1963 à nos jours, Lille-Villeneuve d’Ascq, Presses du Septentrion, 2011. Willy Brandt,

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Autorinnen und Autoren

Paris, Fayard, 2013. Dir. avec Dominique Herbet, Hans Stark, L’Allemagne entre rayonnement et retenue, Villeneuve d’Ascq, Presses du Septentrion, 2016. Schirmann, Sylvain, professeur d’histoire contemporaine à l’IEP de Strasbourg dont il a été le directeur de 2006 à 2015. Titulaire d’une Chaire Jean Monnet, il est également professeur invité du Collège Europe de Bruges. Ses travaux sont consacrés à l’histoire de l’Allemagne et des relations franco-allemandes, à l’histoire de la construction européenne et aux acteurs socio-économiques dans cette construction. Il a récemment publié avec Martial Libera et Jean-Marie Woehrling, La CCNR, 200 ans d’histoire, Strasbourg, CCNR, 2015. Thiemeyer, Guido, Professor für Neuere Geschichte an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Präsident des Deutsch-französischen Historikerkomitees. Publikationen: Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Zwischen Westbindung und europäischer Hegemonie, Stuttgart 2016. Zusammen mit Jenny Raflik (Hrsg.), Les partis politiques européens face aux elections directes du parlement européen. European Political Parties and the first direct elections to the European Parliament, Baden-Baden 2015. Die Bundesländer und die Entstehung des europäischen Mehrebenensystems 1950–1985, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte Bd. 65 (2017), S. 339–364. Trieloff, Kathrin, wiss. Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Neuere und Zeitgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin. Arbeitet an einem Dissertationsprojekt mit dem Arbeitstitel: Gerichtsprozesse im Rheinland unter alliierter Besatzung 1918– 1930. Walter, François, professeur honoraire de l’Université de Genève ; Publications : Les figures paysagères de la nation. Territoire et paysage en Europe (16e–20e siècle), Paris, Editions de l’EHESS, 2004 ; Hiver : histoire d’une saison, Paris : Payot, 2014 ; Geißel Gottes oder Plage der Natur : Vom Umgang der Menschen mit Katastrophen, Stuttgart, Reclam Taschenbuch, 2016.

Der Rhein ist vieles: Eine Wasserstraße, die seit der Antike eine wichtige Rolle für die europäische Transport-Infrastruktur spielte, eine Grenze, an der verschiedene politische Räume aufeinanderstießen, ein Kulturraum, der sich wiederum von anderen Kulturräumen in Europa und der Welt unterscheidet. Die europäische Rhein-Historiographie war im 19. und frühen 20. Jahrhundert stark von einem nationalen Blickwinkel geprägt. Lucien Febvre leitete in der Mitte der 1930er Jahre einen Paradigmenwechsel ein und veränderte die Wahrnehmung von einem Deutschen Strom oder einer französischen Frontière Naturelle hin zu einem Europäischen Fluss.

Auch die Verknüpfung mit dem Begriff Europa ist jedoch nicht unproblematisch. In ihren Beiträgen untersuchen die Autorinnen und Autoren daher die vielfältigen politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Beziehungen innerhalb des vom Fluss geprägten Raumes. Dabei steht der Rhein-Raum selbst im Mittelpunkt, nationale oder europäische Motive werden aber als bedeutende Einflusskräfte wahrgenommen und in ein Gesamtbild eingegliedert. Der Rhein erscheint damit nicht mehr als deutsch-französischer oder europäischer Raum, sondern als Region mit eigenen, hybriden, zum Teil zuwiderlaufenden Strukturen und Prozessen.

www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag

ISBN 978-3-515-12113-2

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