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German Pages 325 [326] Year 2019
Frank Baron Der Mythos des faustischen Teufelspakts
Frühe Neuzeit
Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext
Herausgegeben von Achim Aurnhammer, Wilhelm Kühlmann, Jan-Dirk Müller, Martin Mulsow und Friedrich Vollhardt
Band 223
Frank Baron
Der Mythos des faustischen Teufelspakts Geschichte, Legende, Literatur
ISBN 978-3-11-061289-9 e-ISBN (PDF) 978-3-11-061307-0 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-061305-6 ISSN 0934-5531 Library of Congress Control Number: 2019938027 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Mythos des faustischen Teufelspakts
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Vorwort Als ich vor etwa fünfzig Jahren in der Bayerischen Staatsbibliothek München zum ersten Mal Auskünfte über einen historischen Faust (oder Faustus, wie er damals hieß) entdeckte, war ich erstaunt, weil ich als Bewunderer von Goethes Dichtung keine Ahnung hatte, dass im Hintergrund jenes phantasievollen Werkes eine historische Gestalt verborgen war. Eine zweite Überraschung war, dass jene historische Gestalt, den die Historiker die Quelle des Faust-Mythos vermuteten, im 15. Jahrhundert Student an der Universität Heidelberg gewesen war. Meine frühen Forschungen konzentrierten sich nämlich auf die Periode des deutschen Frühhumanismus, der gerade an dieser Universität eine wichtige Rolle spielte. Diese Zufälle haben mich praktisch gezwungen, mich mit dem Thema „Faustus“ eingehend zu beschäftigen. In der Forschungsliteratur über den historischen Faustus fand ich bald einen seltsamen Widerspruch zwischen einer bahnbrechenden Entdeckung Karl Schottenlohers um 1913 und der neueren Forschung, die seit dem zweiten Weltkrieg in gewissen Kreisen das Interesse beherrschte. Schottenloher identifizierte die historische Figur als Georgius Faustus aus Helmstadt, während die neuere Bewegung darauf bestand, dass ein Johann Faustus aus Knittlingen die eigentliche Anregung für jenen Mythos gab. Ein eingehender Vergleich der beiden Thesen überzeugte mich, dass jene zweite These das Netz der berücksichtigten Quellen viel zu weit spannte, soweit, dass es sogar die Begebenheiten und Entwicklungen der Legende zum Mythos überschattete. Ich fand daher, dass die zweite These unnötigerweise Verwirrung stiftete. Wo eine Person geboren wurde, sollte im Normalfall nicht viel bedeuten; hier aber verursacht der Widerspruch den unnötigen Zweifel, ob die historische Wahrheit überhaupt erreichbar ist. Ein neues Licht auf dieses Problem werfen Historiker, die heute den Hexenwahn intensiv erforschen. Es ist mir bald klar geworden, dass Aspekte des Hexenwahns schon zu Lebzeiten des historischen Faustus die Entwicklung seiner mythischen Vita förderten und den heutigen Widerspruch bewirkten. Die erste radikale Wende zum Mythos fand damals unter Einfluss des Hexenwahns in Wittenberg statt, Jahrzehnte vor dem Auftauchen eines sonst nicht belegten Johannes Faustus. Eine weitere, zweite Wende unter dem Einfluss des Hexenwahns war der Teufelspakt, der mit Hermann Witekinds Christlich Bedencken (1585) dem Faustbuch-Autor die Mittel in die Hand gegeben hat, die Struktur seines Bestsellers, die Historia von D. Johann Fausten des Johann Spies, zu schaffen.
Festzustellen, wann, wo und warum grundlegende Änderungen im Faustus-Bild stattfanden, war von Anfang an mein Ziel. Obwohl kein einfacher, direkter Weg vom Faustbuch zu Lessing und Goethe bekannt geworden ist, https://doi.org/10.1515/9783110613070-202
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Vorwort
kann eine präzise Chronologie, wobei eingehender auf die Beteiligung der englischen Literatur Rücksicht genommen wird, die Wiederentdeckung des Faust-Mythos im 18. Jahrhundert verständlicher machen. Im Laufe der Arbeit an diesem Projekt habe ich Freunde und Kollegen konsultiert. Für ihre Geduld bin ich dankbar, vor allem Matthias Harder und Jan-Dirk Müller, aber auch Marguerite DeHuszar Allen, Eckhard Bernstein, Jean-Marie Clarke, Sara Munson Deats, Elke Fegert, Robert J. Fehrenbach, Roman Fischer, Karl S. Guthke, Richard Hardin, C. Stephen Jaeger, William Keel, Graham Kreicker, J. M. van der Laan, Jonathan P. Lamb, Benedek Láng, Dieter Lohmeier, Zsolt Mohi, Katharina Mommsen, Christine Mundhenk, Michael R. Ott, Hans-Gert Roloff, András Sándor, Richard Schade, Hans-Jürgen Schings, August Stahl, György Szönyi, Rita Voltmer, Andrew Weeks und Gerhard Wolf. Nicht zuletzt bin ich auch Herrn Jacob Klingner vom Verlag Walter de Gruyter für seine Lektorarbeit zu Dank verpflichtet. In Bad Kreuznach durfte ich, in Zusammenarbeit mit Richard Auernheimer, an der Organisation von drei Symposien mitwirken. Rudolf Wohlleben, Leiter des Faust-Museums in Bad Kreuznach hat mich zu Vorträgen in der Stadt eingeladen. Weil diese Stadt als die wichtigste für die historische Gestalt gelten kann, schätzte ich die Gelegenheit, auf deren Bedeutung aufmerksam zu machen.
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Inhalt Vorwort
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Einleitung
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Geschichte I
II
Der historische Doctor Faustus 15 Exkurs I. Namenwechsel: Luther and Faustus 48 Exkurs II. Kontroverse über den historischen Faustus Ärzte gegen Faustus: Philipp Begardi – Conrad Gessner – Johannes Weyer 59
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Legende III
Faustus in Wittenberg: Martin Luther – Philipp Melanchthon und Johannes Gast – Johannes Manlius 67 IV Hexenprozesse und die Vorbereitung des faustischen Teufelspakts: Wittenberg und Berlin 89 V Der Prozess gegen Dietrich Flade 121 VI Konvergenz: Faustus-Vita und Teufelspakt 143 VII Das Faustbuch: Evolution der Struktur 161 A. Teufelspakt 161 B. Nekromantie: Trithemius und Faustus 168 C. Faustus in den Schwänken 178 D. Bekehrungsversuch und der zweite Pakt 181 E. Geständnis und Tod 186 VIII Manipulationen an Witekinds Christlich Bedencken 197 IX Das Neue im Spies-Faustbuch 203 A. Struktur 203 B. Curiositas und Teufelspakt 207 C. Satire im Faustbuch 212 D. Schwänke und Abenteuer 220 E. Weheklag, Geständnis und Ende 222 F. Randbemerkungen 223 G. Täuschungen des Johann Spies 228 H. Provokationen des Bestsellers 232
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Inhalt
X XI
Begleiterscheinungen: Inversion und mythische Identifikation Das unbekannte Faustbuch der C-Reihe (1587): ein Raubdruck mit sechs „Erfurter“ Geschichten 241
Literatur XII
Der faustische Teufelspakt in England und Deutschland: Marlowe, Lessing und Goethe 251
Texte Der Prozess gegen Lippold (1573) 283 Die englische Faust-Ballade 287
Literaturverzeichnis Personenregister
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Einleitung
1
Einleitung Goethe hat mit seiner Faust-Dichtung, so Jan-Dirk Müller, eine „Symbolfigur für den Aufbruch des Menschen in die Neuzeit“ geschaffen. Doch dieser Aufbruch, so Müller weiter, ist dämonisch infiziert, denn „aus der gotischen Studierstube bricht der Doktor mit Hilfe des Teufels aus und hinterläßt eine Spur der Zerstörung [...]“.1 Der Hinweis auf Faust als Symbolfigur führt zu Fragen über Goethes Gegenwart und deren Beziehung zu Fausts historischer Vergangenheit: Wie war, zum Beispiel, die mythische Allianz zwischen Faust und dem Teufel im aufgeklärten 18. Jahrhundert denkbar, ohne auf den ernsten Kampf gegen den Teufel und den Teufelspakt im 16. Jahrhundert Rücksicht zu nehmen? Die Kalkulation des neuzeitlichen Faust, durch einen Vertrag den persönlichen Durchbruch zu erreichen, ist nicht trennbar von jenen Abenteuern, die der Faust der früheren Zeit gewagt hatte. Zwischen den zwei Zeitebenen steht eine durchaus konkrete und greifbare Entwicklung. Sogar nachprüfbare Quellen für die Entstehung des mythischen Duells sind noch vorhanden. Als Ausgangspunkt für diesen Mythos gilt das erfolgreiche Faustbuch von 1587, die Historia von D. Johann Fausten, welche E. M. Butler als „[...] one of the greatest inspirational books of modern times [...]“ gesehen hat.2 Der Lebenslauf des Faustus und sein teuflischer Vertrag haben offenbar den Nerv der Zeit getroffen, denn das Buch wurde ein Bestseller ohnegleichen.3 Dieses Werk, gedruckt und herausgegeben 1587 in Frankfurt von Johann Spies, wurde schnell auch ins Englische übersetzt. Durch Christopher Marlowe hat es in Form eines Dramas schließlich den Weg zu Goethes Dichtung eröffnet und der literarischen FaustTradition eine internationale Bedeutung gesichert. Impulse zu dieser Bewegung sind in der Vorgeschichte des Faustbuchs zu erkennen. Der Kampf zwischen Kreativität, Tätigkeit und Ordnung einerseits sowie Zerstörung, Untätigkeit, Chaos und Tod andererseits ist uralt; er ist der mythische Kampf unter den Göttern in der Antike. Der Kampf-Mythos im Hinblick auf Apollo-Python berechtigt beispielsweise, den Ursprung solcher Mythen in Kampflegenden zu sehen. Die tatsächlichen Erfahrungen mit der Jagd oder dem
1 Jan-Dirk Müller: Das Faustbuch in den konfessionellen Konflikten des 16. Jahrhunderts. In: Philosophisch-historische Klasse. Sitzungsberichte. München 2014, H. 1, S. 5. 2 E. M. Butler: The Fortunes of Faust. Cambridge 1952. S. 3. Vgl. Hans Joachim Kreutzer: Faust. Mythos und Musik. München 2003, S. 9–27. 3 Vgl. Müller: Das Faustbuch in den konfessionellen Konflikten des 16. Jahrhunderts, S. 8 und Hans Henning: Beiträge zur Druckgeschichte der Faust- und Wagner-Bücher des 16. und 18. Jahrhunderts. Weimar 1963, S. 37–52. https://doi.org/10.1515/9783110613070-001
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Einleitung
Krieg könnten die Basis gewesen sein, mythische Bilder und Riten zu entwickeln.4 Dem heutigen Betrachter fehlen jedoch die relevanten Quellen; man kann daher die Entstehungsbedingungen solcher Legenden und Mythen oft nur vermuten.5 War die Historia von D. Johann Fausten (1587), jenes Faustbuch, das nach vielen Bearbeitungen und Umbearbeitungen schließlich zu Goethes Dichtung führte, einfach ein antiker Mythos in einem neuen Gewand? Wenn man Faust als Schlüsselmythos der Geschichte und der Neuzeit, einzigartig unter den vergleichbaren Mythen, versteht, müsste die Aufgabe, Entstehung und Entwicklung zu rekonstruieren, als eine wichtige Herausforderung erscheinen. Eine Voraussetzung für eine zuverlässige Rekonstruktion stellt dabei aber die gewissenhafte Anwendung der „Archäologie der Textschichten“ dar, wie sie Michael Zeuske zur analogen Frage eines neuzeitlichen Mythos über Simón Bolίvar postuliert. Er hält es für eine zukunftsträchtige Methode, [...] Mythen als wichtige historische Phänomene (im Sinne Foucaults) anzuerkennen und ihre Entstehungsbedingungen, ihre reale Herkunft und ihre Funktion zu beleuchten. Die Analyse sollte eine historische sein. Sie sollte also beachten, dass Mythen soziale, strukturelle, wirtschaftliche und politische Ursachen haben und Funktionen in der Geschichte ausüben. Auf dieser Basis können dann die geistigen, kulturellen, medialen und künstlerischen Elemente untersucht werden. Über die historische Anerkennung hinaus erscheint es mir methodisch wichtig, die Mythen als eine Art anthropologische Mikro- und Sozialgeschichte zurückzubinden. Das bedeutet, Mythen sind gekoppelt an life histories, an Menschen, die wirklich einmal gelebt haben und die die Mikrostrukturen bevölkern und so die Makrostrukturen [...] mit individuellen Handlungen füllen.6
4 Joseph Fontenrose: Pythone: A Study of Delphic Myth and its Origins. Berkeley 1959, S. 473– 474. Vgl. Kenneth Duva Burke: Mythos, Dichtung und Philosophie. In: Texte zur modernen Mythentheorie. Hg. von Wilfried Barner, Anke Detken und Jörg Wesche. Stuttgart 2003, S. 139–159. 5 Trotz der Unsicherheit in solchen Fragen sah der Universalhistoriker Arnold Toynbee in Goethes Faust-Mythos einen Schlüssel zum Verständnis der entscheidenden Phase in der Entwicklung der Zivilisation. Für seine These „Challenge and Response“ berücksichtigte er Mythen aller Art und erkannte Auseinandersetzungen, die dem Drama Mensch-Widersacher vergleichbar waren. Er fand jedoch den Aufbau und Ablauf der vermeintlichen Handlungen in Goethes Faust am überzeugendsten: „[...] it is in Faust, again, that the points are made most clear“. Arnold Toynbee: A Study of History, Bd. I–X. London 1934–1954. Zusatzbände XI–XII ebenda, 1959/61. Die hier zitierten Stellen befinden sich in der gekürzten und von Toynbee autorisierten einbändigen Ausgabe. London 1956, Bd. I, S. 281. 6 Michael Zeuske: Simón Bolίvar. Befreier Südamerikas. Geschichte und Mythos. Berlin 2011, S. 17–18 und S. 111. Zeuske behauptet, dass die ausführliche und kritische Betrachtung der QuellenSchichten in ihren Zusammenhängen ihm ermöglichten, die Entstehung des Bolίvar-Mythos zu erklären: „Mir selbst gelang es über den Weg der Sklaverei-Forschung und der Postkolonialismus-Debatte, meine Überzeugung von der Realität der Geschichte, bevölkert von Menschen und ihren Selbstzeugnissen, zu erhalten und sie zugleich kritisch mit den überlieferten Kulten und
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Die Anwendung einer solchen Methode zwingt dazu, die relevanten Quellen nach ihren Zusammenhängen, ihrer Zuverlässigkeit und ihrer Aussagekraft zu prüfen und die chronologischen Schichten, in denen sich die Quellen befinden, nach ihrer geographischen und zeitlichen Zugehörigkeit zu ordnen. Für das Faustbuch gab es in der Tat auch einen aufschlussreichen historischen Hintergrund, der im 19. Jahrhundert reges Interesse erweckte. Man identifizierte einen historischen Faustus7, aber durch die kritiklose Einbeziehung vieler Quellen entstanden Widersprüche in Bezug auf Namen und Geburtsorte der historischen Faust-Gestalt. Die daraus entstandene Verwirrung dauert bis heute an. Manche bezweifeln, dass eine faktologische Sicherheit überhaupt möglich ist. Es wäre jedoch wegen der internationalen Bedeutung des Faust-Mythos wichtig, den angedeuteten Weg in der Forschung von der historischen Gestalt bis zum Faustbuch eindringlicher zu verfolgen. Die strikte Einhaltung der Chronologie ermöglicht jedenfalls die Aufdeckung der Mutationen, die jeweils in neue Richtungen weisen. Eine solche Betrachtung erlaubt eine Reihenfolge der Textschichten, in denen die unterschiedlich ausgedeuteten Faustgestalten im 15. und 16. Jahrhundert präsentiert werden: 1. Der historische Georgius (oder Jörg) Faustus (ca. 1467 bis ca. 1538) aus Helmstadt bei Heidelberg. Studium an der Universität Heidelberg: Astrolog, Chiromant und Magus; 2. ca. 1534 bis ca. 1565: Faustus wird von Martin Luther, Philipp Melanchthon und Johannes Manlius als teuflischer Zauberer gesehen; 3. Hermann Witekind berichtet in seinem Christlich Bedencken (1585), der Zauberer Faustus habe mit dem Teufel einen Pakt auf vierundzwanzig Jahre geschlossen; 4. Faustbuch, Historia von D. Johann Fausten (1587); 5. Christopher Marlowe, The Tragical History of Doctor Faustus (ca. 1588). Berichterstatter und Erzähler des 16. Jahrhunderts erlaubten sich größere Freiheiten als man dies heute gewohnt ist. Auch wenn sie angeblich Fakten berichteten, verlegten sie oft die Orte in den Berichten in die eigene Heimat oder wenigstens
Mythen, die um die historischen Personen ranken, in Beziehung zu setzen“. Vgl. Michael Zeuske: Simón Bolίvar. History and Myth, übersetzt von Steven Rendall und Lisa Neal. Princeton 2013, S. 97–98. 7 Das Faustbuch und die sonstigen Quellen des 16. Jahrhunderts, vor allem die zeitgenössischen Quellen der historischen Gestalt, bezeichnen konsequent einen Menschen Namens Faustus, nicht Faust. Der Einfluss von Goethes Dichtung hat dazu geführt, dass man diesen Unterschied oft nicht beachtet. Die Vernachlässigung dieser Tatsache hat in der Forschung zu Fehlern geführt.
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in Gegenden, mit denen sie vertraut waren. In ähnlicher Weise kann man oft auch beobachten, dass Handlungen von einer Person auf eine andere übertragen wurden. Was zum Beispiel über einen Zauberer behauptet wurde, konnte mit praktisch gleichem Text auch einem anderen Zauberer angehängt werden. Diese Tendenz erklärt, dass die Wittenberger Berichterstatter Faustus in Beziehung zu Wittenberg gesehen haben, während gleichzeitig vieles, was man über die bekannten Magier wie Johannes Trithemius (1462–1516), Theophrastus Paracelsus (1493–1541) und Heinrich Cornelius Agrippa (1486–1535) erzählte, von Faustus geerbt wurde. Ortsverlagerungen oder Übertragungen hatten oft bedeutende Hintergründe, und es ist wichtig festzustellen, warum die ursprünglichen Orte oder Personen ersetzt wurden. Warum wurde aus dem Georgius Faustus von Helmstadt nachher ein Johannes Faustus von Knittlingen? Warum wurde aus einem Georg ein Johann, und warum aus einem Astrolog und Chiromant der Schwager des Teufels? Zu erklären sind also eine ganze Reihe von Mutationen. Im Laufe von etwa fünfzig Jahren auf dem Weg zum Faustbuch wurden nach und nach auch die wesentlichen Elemente der Hexenprozesse in die Faust-Vita übertragen. Vergleichbar sind die typischen Mutationen der antiken Mythen.8 Die präzise Nachzeichnung der Einzelheiten solcher Transfer-Aktionen ist eine wichtige Aufgabe des vorliegenden Buches. In der Entstehungszeit von Goethes Faust-Dichtung fehlten verlässliche Auskünfte über den historischen Faust. Die Kenntnisse gewisser Quellen aus der Zeit der Renaissance und Reformation veranlassten Goethe Vermutungen zu wagen. Er schrieb an Zelter: „Die Geschichte von Faust wurde nach Wittenberg verlegt, also in das Herz des Protestantismus, und gewiss von Protestanten selbst“.9 Goethes Vermutung wird durch die Quellen aus der Zeit des historischen Faustus und Luthers bestätigt. Genau zu zeigen, wie und warum diese radikale Versetzung der Heimat in den Berichten oder Erzählungen stattfand, ist eine Herausforderung. Hinderlich für diesen Versuch ist es, dass den zeitgenössischen Quellen spätere, wie etwa die des Johannes Manlius aus dem Jahre 1562, zugeordnet wurden, wie dies in vielen Nachschlagewerken geschehen ist. Nur wenn die Grenzen zwischen der historischen Gestalt und nachfolgenden Schichten der Legende präzis gezeichnet sind, ist Fortschritt denkbar. Die Voraussetzungen sind dafür heute vorhanden, weil die Erforschung des 16. Jahrhunderts aufgrund von bislang wenig beachteten Quellen, vor allem auf dem Gebiet der Hexenverfolgung, neue Perspektiven eröffnet hat.
8 Fontenrose: Pythone, S. 6–8. 9 Goethes Brief des Jahres 1829. In: Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter in den Jahren 1796 bis 1832, hg. von Friedrich Wilhelm Riemer. Berlin 1834, 5. Teil, S. 331.
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Obwohl der Hexenwahn im 16. Jahrhundert alle Bereiche des Lebens berührte, ist heute nicht allgemein klar, dass dieses Phänomen die Faustgeschichte direkt beeinflusste. Das Stereotyp der verfolgten Hexe, einer alten, armen und ungebildeten Frau, hat kaum etwas Gemeinsames mit dem Bild des nach Erkenntnis strebenden Magiers, mit dem gelehrten Faustus. Das Faustbuch selbst bietet nur wenige Anhaltspunkte, die diese gegensätzlichen Vorstellungen überbrücken könnten. Man hat aber übersehen, dass es damals durchaus auch Prozesse gegen Männer gab. Einige dieser Prozesse werden in den Tischgesprächen Luthers erwähnt. In den Jahren 1537–1538 erzählte man von Schicksalen, die als Präfigurationen des Faustbuchs gesehen werden können. Selbst im katholischen Einflussbereich gab es Fälle dieser Art. Um die Relevanz solcher Prozesse für das Faustbuch klar zu machen, soll hier vor allem der Fall von Dr. Dietrich Flade (†1589) betrachtet werden, der als Gelehrter und Teufelsbündner verurteilt und hingerichtet wurde. Eine damalige Zeitung berichtete, Doktor Flade, der König der Hexen, soll dem Faustus ähnlich gewesen sein („dem doctor Faustus vergleichet er“).10 Dieser spektakuläre Prozess ist wertvoll als Beispiel, weil der Prozessverlauf gegen einen männlichen Zauberer klar zum Vorschein kommt und genau zeigt, wie die sonstigen gerichtlichen Mittel, die man gegen Frauen als Hexen anwandte, genauso erfolgreich gegen einen Mann eingesetzt werden konnten. Die aufgefundenen Prozessakten liefern die Bestätigung, dass die Struktur solcher Prozesse im Grunde konstant war. Der Verlauf enthielt den Pakt, Abenteuer und Taten als Zauberer, das Eingreifen des Seelsorgers mit einem Bekehrungsversuch und zuletzt die notwendige Verurteilung und Hinrichtung des Angeklagten. Warum es besonders sinnvoll ist, die Hexenverfolgung mit der Faustgeschichte überhaupt in eine Beziehung zu setzen, wird deutlich, wenn man die parallelen Vorgänge in diesen zwei unterschiedlichen Bereichen betrachtet und die nebeneinander dokumentierten Textschichten analysiert. Bis zur Einfügung eines vierundzwanzigjährigen Teufelspakts fehlte dem faustischen Lebenslauf die grundsätzliche Organisation der dramatischen Bestandteile. Dieser Pakt erschien relativ spät in Verbindung zu Faustus, erst mit Witekinds Christlich Bedencken, 1585. Der Pakt und die ernstliche Gefahr, die er implizierte (Gesetze verlangten die Hinrichtung des Teufelsbündners durch Feuer), verliehen dem Lebenslauf die fanatische Botschaft und die begleitende Struktur, die dem Faustbuch-Autor unverzichtbar waren. Hier ist der Faustforschung eine wichtige Aufgaben gestellt: Sie soll erklären, wie, wann und warum die Konvergenz zwischen dem faustischen Lebenslauf und den Hexenprozessen stattfand.11
10 Vgl. Kapitel „Prozess gegen Dietrich Flade“ weiter unten. 11 Vgl. Zwei Beiträge über die Entstehung des Faustbuchs gleich am Anfang des neu erschiene-
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Dem verdienstvollen Sammelwerk eines von Wolfgang Brückner geleiteten Projekts ist es zu danken, dass die Texte der Historien- und Exempelbücher der Reformation in einer übersichtlichen chronologischen Ordnung zur Verfügung stehen. Dazu gehören die Werke von Caspar Goltwurm (1557), Johannes Manlius (1562), Johannes Weyer (1565), Martin Luther [Hg. von Aurifaber] (1566), Andreas Hondorff (1568), Wolfgang Bütner (1576), Zacharias Rivander (1581) und Augustin Lercheimer [d.i. Hermann Witekind] (1585). In solchen Sammlungen von Erzähltexten wurde der Lebenslauf des Zauberers Faustus überliefert, beeinflusst durch die im Text anschließenden Erzählungen, erweitert in jedem nachher erschienenen Erzähltext durch Einzelheiten aus den benachbarten Erzählstoffen. Auf diese Weise „erbte“ Faustus nach und nach Eigenschaften und Geschichten der ihm als verwandt erkannten Zauberer. Diesen Aneignungsprozess kann man schließlich auch in der Übernahme des Teufelspakts erkennen, auch wenn die endgültige Übernahme des Paktes erst 1585 stattfand. Um die Entwicklung dieses ständig wachsenden Text-Corpus zu rekonstruieren, ist auch die Herstellung der Kontexte der jeweiligen Textschichten notwendig. Die Forschung hat diesen Aspekt des Faust-Mythos bis heute weitgehend unbeachtet gelassen. Obwohl der Teufelspakt den wichtigsten Beitrag für das Faustbuch lieferte, sollte nicht übersehen werden, dass der Bekehrungsversuch, der auch im Faustbuch enthalten ist, als von dem Pakt untrennbar angesehen werden muss. Diese Verbindung von Teufelspakt und Bekehrungsversuch lässt erkennen, dass beide zu einem Schema gehören, das durch mythische Vorbilder gestützt wird. Im Allgemeinen gilt heute, dass das mythische Vorbild für Faustus die Theophilus-Figur der Legenda aurea sei. Der Trierer Weihbischof Peter Binsfeld, der den Prozess gegen Flade unterstützte, sah die Realität des Teufelspakts in der Tatsache, dass der Pakt schon in den Heiligenlegenden als wahre Begebenheit festgehalten wurde. Als Stütze dafür diente ihm, unter anderem, der Lebenslauf des heiligen Basilius (329/330–379), der einen Teufelsbündner bekehrt haben soll.12 Gerade ein solcher Versuch, der bei Theophilus fehlte und in der Faust-
nen Faust-Handbuchs berücksichtigen weder die Funktion des Teufelspakts noch den Einfluss des Hexenwahns. Vgl. Elisabeth Wäghäll Nivre: Historizität, Legende, Mythos: Die Faust-Figur zwischen Faktualität und Fiktionalität und Dieter Martin: Faust, der Schwarzkünstler – 1500 bis 1750. Literatur. In: Faust-Handbuch. Konstellationen – Diskurse – Medien. Hg. von Carsten Rohde, Thorsten Valk und Mathias Mayer. Stuttgart 2018, S. 2–11 und S. 62–71. 12 Eine solche Rationalisierung forderte Cornelius Loos heraus. Loos, der radikalste Gegner der Hexenprozesse vor Friedrich Spee, konnte mühelos beweisen, dass die Authentizität der Basilius-Vita von kritischen Hagiographen abgelehnt wurde. P.C. van der Eerden: Der Teufelspakt bei Petrus Binsfeld und Cornelius Loos. In: Gunther Franz und Franz Irsigler (Hrsg.): Hexenglau-
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Geschichte erforderlich war, fand infolge der Impulse aus Wittenberg als kritischer Wendepunkt Eingang in die Faustus-Vita. Eine nähere Untersuchung soll zeigen, in welcher Weise Luther sich nach Melanchthon in die Bekehrungsrolle des heiligen Basilius versetzte. Als Hintergrund für die bekehrenden Seelsorger muss auch deren Funktion in den Hexenprozessen beachtet werden. Sie waren diejenigen, die die Angeklagten für ein Geständnis zu gewinnen hatten. Nur so konnte sichergestellt werden, dass diese mit der Hoffnung auf Erlösung die öffentliche Hinrichtung ruhig akzeptieren würden. Meist begleitete der Seelsorger den Angeklagten zur Hinrichtung. Man rechtfertigte diese Rolle mit der Zuversicht, dass der Seelsorger dem bekehrten Sünder zu einer Art Märtyrertum verhelfen würde, während der Seelsorger selbst sich mit dem heiligen Basilius identifizieren könne.13 Gerade dort, wo die Aussicht auf eine Rettung sichtbar wird, findet sich der kritische Wendepunkt. Im Faustbuch ist es jener Punkt, wo ein „gottesförchtiger“ Arzt, Nachbar und Liebhaber der H. Schrift dem Sünder die Seelenrettung eröffnet. Nachdem er wieder zu Hause ist, hat Faustus die feste Absicht, Buße zu tun und gegenüber dem Teufel sein Versprechen aufzukündigen. Umsonst! Der Teufel erscheint und droht, ihm den Kopf umzudrehen. Faustus wird gezwungen, einen zweiten Vertrag zu unterschreiben. Sein Schicksal ist besiegelt. Ähnlich wird dies schon bei Witekind erzählt. Der vierundzwanzigjährige Pakt, der Bekehrungsversuch, das Drohen des Teufels, der zweite Pakt, und der gewalttätige Tod: das ist alles schon da, nur noch nicht in der chronologischen Ordnung einer Vita.14
be und Hexenprozesse im Raum Rhein-Mosel-Saar. Trier 1996, S. 51–72, hier 59–66. Vgl. Ludwig Radermacher: Griechische Quellen zur Faustsage, der Zauberer Cyprianus, die Erzählung des Helladius, Theophilus. Wien, Leipzig 1927. Akad. D. Wiss. in Wien, phil.-hist. Klasse, Sitzungsberichte, Bd. 206, 4. Abh., S. 41–70. Vgl. Norman Cohn: Europe’s Inner Demons. Chicago 1993, S. 30–34. Marguerite DeHuszar Allen: The Faust Legend: Popular Formula and Modern Novel. New York 1985. Marina Münkler: Narrative Ambiguität. Die Faustbücher des 16. bis 18. Jahrhunderts. Göttingen 2011. Stuart Clark: Thinking with Demons: The Idea of Witchcraft in Early Modern Europe, Oxford 1997, S. 12–28. 13 Thomas Robisheaux: ‘The Queen of Evidence’: The Witchcraft Confession the Age of Confessionalism. In: Confessionalization in Europe. Hg. von John M. Headley, Hans J. Hillerbrand and Anthony J. Papalas. 1555–1700. London 2004, S. 175–205, hier S. 194–195. Vgl. Rita Voltmer: The Witch in the Courtroom: Torture and the Representation of Emotion. In: Emotions in the History of Witchcraft. Hg. von Laura Kounine und Michael Ostling. Basingstoke 2017, S. 97–116, hier S.107. 14 Hermann Witekinds Christlich bedencken und die Entstehung des Faustbuchs von 1587. Hg. von Frank Baron in Verbindung mit einer kritischen Edition des Textes von 1585 von Benedikt Sommer. Berlin 2009, S. xiv–xxii. Obwohl Witekind selbst Christlich bedencken schrieb, wird man heute den Hinweis auf dieses Werk in der Schreibung Christlich Bedencken als richtig empfinden.
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Einleitung
Wer ist dieser Teufel, der die Hexen und Faustus so bedroht und die Bekehrung verhindert? Witekind beschreibt die Bedrohung der Hexen im Gefängnis, wo dem Teufel in Wirklichkeit der Henker folgt, „mit seinem grewlichen folterzeuge“.15 Die drohende Gegenwart, die das Bekenntnis der Wahrheit in den Gefängnissen verhindert, ist in der Sprache und Logik des Hexenwahns der Teufel, aber er ist in Wirklichkeit der folternde Knecht, der Henker, der die Aufgabe hat, die Warnung vor dem Teufel aufrechtzuerhalten. In keiner Veröffentlichung des 16. Jahrhunderts wurde die problematische Sprache des Hexenwahns ernstlich in Frage gestellt. Witekinds Christlich Bedencken beweist, dass er das Problem erkannt hat, ohne dessen Kern, die Folter, direkt und eindeutig anzugreifen. Weil es gefährlich war, die Verwendung der Folter als zuverlässiges Werkzeug zur Ermittelung der Wahrheit zu bezweifeln, hielt Witekind an der alten Annahme fest, dass der Teufel und der folternde Henker gleichzeitig damit beschäftigt waren, die Angeklagten zu zwingen, den Teufelspakt zuzugeben. Indem Witekind die Folter mit Teufelsglauben bekämpft, fehlt seiner Schrift die Klarheit, die erst mit Cornelius Loos und Friedrich Spee möglich wurde. Das 16. Jahrhundert bekämpfte die Zauberei und das Hexenwesen mit allen verfügbaren Mitteln. Der Teufel bedrohte alle. Dieser fanatische Kampf wurde in den verschiedensten Gattungen der Warnliteratur geführt, in den „newen“ Zeitungen, in Teilen der Exempelbücher, die für die Predigten dienten, und in den Teufelsbüchern.16 Der Hexenprozess galt dabei als die effektivste Waffe des Kampfes. Auch das Faustbuch, mit der Warnung auf dem Titelblatt, lässt sich in diesem Sinn als Kampfschrift verstehen. Dieses Werk nur vereinfachend als Dichtung zu werten, hat oft in eine falsche Richtung geführt. Wolfgang Brückner, der beste Kenner der Entwicklungen vor dem Faustbuch, mahnte: „Faust dient als exemplarisches Objekt und soll die Christen abschrecken. Jegliche wertende Textkritik wird in dem Volksbuch [i.e. dem Faustbuch; F.B.] zweifelhaft“.17 Solche wertende Textkritik hat allerdings zur Vernachlässigung einer bedeutenden Vorgeschichte geführt. Eine eingehende Beschäftigung mit der Entstehung des Faustbuchs muss der Textkritik vorausgehen. Die Verschmelzung der verschiedenen Bestandteile einer Faustus-Vita und der Hexenprozesse fand erst in Witekinds Christlich Beden-
15 Ebd, S. 38. 16 Füssel liefert mehrere Belege. Stephan Füssel: Nürnberg und der Faust-Stoff. In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 80 (1993), S. 172–174. Vgl. Stephan Füssel: Die literarischen Quellen der Historia von D. Johann Fausten. In: Das Faustbuch von 1587. Provokation und Wirkung. Hg. von Richard Auernheimer und Frank Baron. München 1991, S. 15–40. 17 Wolfgang Brückner: Volkserzählung und Reformation. Ein Handbuch zur Tradierung und Funktion von Erzählstoffen und Erzählliteratur im Protestantismus. Berlin 1974, S. 428.
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cken und erjnnerung von Zauberey (Heidelberg 1585) statt. Witekind, ehemaliger Student in Wittenberg (1547–1550) war Professor an der Universität Heidelberg. Seine Sammlung von Anekdoten über gelehrte Zauberer sollte beweisen, dass solche Männer mehr Schuld trugen als die armen Hexen. Seine öffentliche Verteidigung der zu Unrecht angeklagten Hexen war nicht ohne Risiko. Daher erschien diese provokative Schrift unter dem Pseudonym „Augustin Lercheimer“. Witekinds Schrift wurde die wichtigste Quelle für das Faustbuch. Obwohl der Autor des Faustbuchs noch heute unbekannt ist, ist die Identität des Herausgebers und Druckers Johann Spies kein Geheimnis. Er war ein fanatischer Gegner der Religionspolitik Melanchthons. Auch wenn einiges wegen der ungelösten Frage der Autorschaft offen gelassen werden muss, so sind doch die Fragen über die Entwicklung von der Quelle, also der Weg von Witekinds Werk zum Faustbuch, nicht schwer zu beantworten. Es ist klar, dass Witekinds mutige Auflehnung gegen den Hexenwahn diesen anonymen Autor überhaupt nicht interessierte. Nur eine ungeordnete Sammlung von Anekdoten über die sündigen, teuflischen Zauberer schien ihm nützlich. Welche Erzählungen hat er übernommen? Wie hat er sie geändert? Warum? Welche Rolle spielte die religionspolitische Einstellung des extrem orthodox-lutherischen Spies-Verlags gegenüber der Verteidigung Melanchthons und des Calvinismus durch Witekind? Spies war Hofdrucker des Kurfürsten in Heidelberg aber verlor in Folge eines Regierungswechsels diese privilegierte Stelle. Wollte sich Spies mit seinem Faustbuch an den Calvinisten und Melanchthonianern rächen? Das Spies-Faustbuch ging jedenfalls radikal gegen Witekinds Buch vor. Spies riss dessen Anekdoten aus ihrem Zusammenhang, manipulierte sie und ordnete sie, nicht zufällig nach der logischen Reihenfolge, wie sie in den Hexenprozessen üblich war. Das Faustbuch resultierte aus einer phantasievollen und geschickten Manipulation dieses Erzählstoffes. Da Witekind später den Autor als Feind seiner Religion beschimpfte, ist es notwendig geworden, nicht nur literarische Absichten in der Art der Ausführung zu suchen, sondern vor allem in der aggressiven Stellungnahme des Spies-Verlags für die orthodoxen Lutheraner.18 Robert Petsch weist darauf hin, dass das Faustbuch die Meinungen Luthers nicht eigentlich verfochten habe; der Verfasser habe sie „als selbstverständlich
18 Frank Baron: Faustus on Trial. The Origins of Johann Spies’s Historia in an Age of Witch Hunting. Tübingen 1992. Der Anhang enthält eine Liste der von Spies gedruckten und veröffentlichten Werke, S. 193–224. Vgl. Müller: Das Faustbuch in den konfessionellen Konflikten, S. 19–26.
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hingenommen“.19 Wenn zum Beispiel die Vorrede den Inhalt des Werkes erklärt, zitiert sie ohne Quellenangabe unauffällig Luthers Tischreden.20 Der anonyme Autor wurde sozusagen gezwungen einer vorprogrammierten Struktur zu folgen. Die Struktur bewährte sich. Die radikale Neuigkeit des Faustbuchs war aber die gnadenlose Hinrichtung durch den Teufel und der Verlust der Seele. Warum diese Abweichung von den üblichen Umkehrmöglichkeiten? Für das Faustbuch war die Barmherzigkeit Witekinds nicht zulässig. Um die Gefahr der Zauberei zu tilgen, schien ihm die möglichst radikalste Steigerung der Warnung gerechtfertigt. Dass man vom spektakulären Erfolg des Faustbuchs durch Raubdrucke profitieren konnte, wurde anderen Buchdruckern sofort klar. Nach einer eingehenden Untersuchung wird ersichtlich, dass der Frankfurter Drucker Nicolaus Basse für jene Ausgabe verantwortlich war, die mit der Beimischung von neuen Geschichten (C-Reihe) eine neue Linie der Faustbuch-Tradition begründete. Dieser Druck ersetzte den von Spies als Bestseller. Das neue Faustbuch, das gleich im Jahre 1587 erschien, ergänzte das Spies-Faustbuch mit Schwänken. Diese Tatsache sollte nicht überraschen, denn auch als Lessing und Goethe sich dem FaustThema zuwandten, galt ihre Aufmerksamkeit vor allem den Schwänken. Erstaunlich ist, wie schnell eine Übersetzung und Verbreitung in England stattfand. Schon im Februar 1589 erschien die Ballade „The Just Judgment of GOD shewe’d upon one Dr. John Faustus“, die auf der Grundlage dieser Übersetzung gedichtet wurde. Wahrscheinlich fanden die ersten Aufführungen von Christopher Marlowes The Tragical History of Doctor Faustus praktisch zeitgleich mit der Ballade statt. Der faustische Teufelspakt blieb immer noch der Fokus seines Plots. Die großartige dramatische Leistung Marlowes konnte in Deutschland durch die Aufführungen der englischen Komödianten bekannt werden, jedoch ohne Text, nur als Volksschauspiel und schließlich als Marionetten- oder Puppenspiel. Zu erklären ist, wie, trotz einer Verstümmelung des ursprünglichen literarischen Textes von Marlowe, Lessing und Goethe zur Wiederaufnahme des Fauststoffes inspiriert werden konnten. Im 16. Jahrhundert sind jene Textschichten zu entdecken und zu enträtseln, die sich schrittweise zu einer organischen Entwicklung zusammenfügten. Jene
19 Robert Petsch (Hg.): Das Volksbuch von Doctor Faust. Halle a.S. 1911, S. xliii. 20 Die Quelle für diese wichtige Aussage wurde in den kritischen Ausgaben des Faustbuchs übersehen. Die „Vorrede an den Christlichen Leser“ enthält die Feststellung, dass „der Teuffel selbst zum Hencker an den Schwarzkünstlern“ werde, wenn die Obrigkeit nicht gegen sie vorginge. Martin Luther sagte seinerseits in den Tischreden: „Da aber die Oberkeit auch nicht straffen kan oder wil, So kompt der Teuffel vnd strafft“. Tischreden oder Colloquia. Hg. von Johann Aurifaber. Einsleben 1566, fol. 466r und 282r.
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Entwicklung enthielt als Stationen die historische Gestalt, seine „Verlegung“ nach Wittenberg, die Verschmelzung des Teufelspakts mit der Faust-Vita, das provokative Spies-Faustbuch und Marlowes Faustus. Diese Stationen waren nicht isolierte Phänomene, sondern bewegten sich, unter dem Einfluss der Reformation und des Hexenwahns, unaufhaltsam in Richtung einer mythischen Struktur, die vom Teufelspakt abhängig war. Im Zeitalter der Aufklärung schließlich, als der Pakt als wirkliches Phänomen nicht mehr überzeugte, musste die Literatur radikal neue Wege gehen.
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I. Der historische Doctor Faustus Erst die Dichtung Goethes hat für den wahren historischen Hintergrund der legendären Faustgestalt ein breites Interesse geweckt. So hat man sich im 19. Jahrhundert intensiv der Aufgabe gewidmet, zeitgenössische Nachrichten zu entdecken. Josef Görres hat schon 1807 in seinen teutschen Volksbüchern gleich auf zwei wichtige Briefe aufmerksam gemacht, die von Johannes Trithemius und Conrad Mutianus Rufus.21 Weitere Funde kamen im Laufe des 19. Jahrhundert hinzu.22 „Magister Georgius Sabellicus Faustus iunior“. 20. August 1507 (Johannes Trithemius. Brief). „Georgius Faustus Helmithius Hedelbergensis”. 3. Oktober 1513 (Conrad Mutianus Rufus. Brief). „Doctor Faustus ph[ilosophus]“. 12. Februar 1520 (urkundliches Zeugnis des Kammermeisters Müller des Bamberger Bischofs Georg III.) „Doctor Jörg faustus von Haidlberg“. 17. Juni 1528 (Ratsprotokoll und Register der Verwiesenen). „Doctor Faust[us]“. 10. Mai 1532 (Nürnberger Ratsverlässe). „Faustus“. 13. August 1536. (Joachim Camerarius (Brief). “Philosophus Faustus”. 15. Januar 1540. Philipp von Hutten (Brief).
21 Zur Beschäftigung mit der legendären Faustgestalt im 17. Jahrhundert vgl. Johann Georg Neumann, Neudruck und Übersetzung seiner Disquisitio historica de Fausto praestigiatore (1693) von Karl Theens, gedeutet und übersetzt. Mainz 1973. Diese Schrift enthielt noch keine zeitgenössischen Quellen. Vgl. Exkurs II weiter unten. Im 18. Jahrhundert wurden in einer wenig beachteten Stelle zwei zeitgenössische Quellen bekannt. Man entdeckte schon damals Betrachtungen von Johannes Trithemius und Konrad Mutianus Rufus. Christoph August Heumann berichtete 1742 über seine Entdeckungen in Eberhard David Haubers Bibliotheca, acta et scripta magica. o.O. 1742, III, S. 194 und 196–201. Diese Quellen wurden aber erst durch Joseph Görres zum Ausgangspunkt für eine intensivere Beschäftigung mit der historischen Gestalt. Joseph Görres: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg 1807, S. 212–213. Vgl. Heinrich Düntzer: Die Sage von Doctor Johannes Faust. Stuttgart 1846, S. 12. 22 Eine Übersicht der folgenden Quellen findet sich bei Hans Henning: Faust als historische Gestalt. In: Jahrbuch der Goethe Gesellschaft, N.F. 21 (1959), S. 107–139. Bei Henning fehlt der Hinweis auf die Studien in Heidelberg. https://doi.org/10.1515/9783110613070-002
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Diese Quellen geben jedoch noch immer zu wenig Klarheit über die Namenwechsel, die Herkunft und die Studien des historischen Faust. Erst 1913 gelang mit der Edition des Wettertagebuchs des Rebdorfer Priors Kilian Leib (1471–1553) in dieser Hinsicht ein Durchbruch. Im Juli 1528 findet sich bei Leib nämlich die folgende präzisere Erwähnung von Faustus: „Georgius Faustus Helmstetensis“ [Helmstadt bei Heidelberg]. Die Bedeutung dieser Quelle hat deren Entdecker, der Bibliothekar Karl Schottenloher (ab 1915 Oberbibliothekar der Königlichen Bibliothek in München) in einem knappen Zeitungsartikel erklärt. Weil diese wichtige Darstellung weitgehend unbeachtet blieb, verdient sie vollständig zitiert zu werden: Bei der hervorragenden Stellung, die Goethes Faust in unserem Geistesleben einnimmt, ist es selbstverständlich, dass auch der geschichtliche Faust, an den die Sage und der Dichter angeknüpft haben, unsere lebhafte Teilnahme beansprucht. So hat auch der neu aufgefundene Bericht des Rebdorfer Priors Kilian Leib, den ich jüngst in der Rizler-Festschrift veröffentlicht habe, so große Aufmerksamkeit erregt, daß es sich wohl rechtfertigen lässt, wenn ich nochmals auf dieses wichtige Zeugnis über Faust zu sprechen komme, zumal dabei eine neue Deutung gegeben werden kann. Leib bringt in seinem, jetzt in der Münchener Hof- und Staatsbibliothek aufbewahrten Wettertagebuch folgende Nachricht über seinen berüchtigten Zeitgenossen: „Georg Faust aus Helmstadt sagte am 5. Juni 1528 aus, wenn Sonne und Jupiter in ein und demselben Sternzeichen stehen, dann werden Propheten geboren (wie seinesgleichen). Er gab sich für einen Komtur der Johanniter-Kommende Heilenstein an der Grenze Känten aus“. Daß Faust Georg hieß und sich als Wahrsager und Prophet in den deutschen Landen herumtrieb, wissen wir auch aus anderen Zeugnissen und wird nun von dem Rebdorfer Prior bestätigt. Völlig neu ist aber, daß der kecke Abenteurer aus Helmstadt stammte und sich für einen Johanniterkomtur von Heilenstein bei Cilli in Steiermark ausgab. Faust liebte mit Titeln zu prunken und wusste die angenommene Ritterwürde ohne Zweifel gut zu spielen. – Wie steht es nun aber mit der Heimat des dreisten Betrügers? Von Konrad Mutianus, einem berühmten Zeitgenossen, wird Faust einmal „Helmitheus Hedelbergensis“ genannt. Die Stelle, die schon viel Kopfzerbrechen verursacht hat, ist ohne Zweifel falsch überliefert: der Brief, in dem sie steht, ist leider nur in einer fehlerhaften Abschrift erhalten. Durch die Angabe Leibs dürfte nun der Weg zur richtigen Erklärung gefunden sein. Man schreibe das Wort „Helmitheus“ und die Abkürzung „Helsteten[sis]“ untereinander, und man wird die falsche Leseart sofort erkennen. Und für den Zusatz „Hedelbergensis“ hat mir Herr Geheimrat v. Riezler freundlichst den richtigen Weg gewiesen. Unter Helmstadt wird nämlich der Stammsitz der Grafen von Helmstadt, ein kleiner Ort im Bezirk Sinsheim, gemeint sein, der nicht weit von Heidelberg liegt. Die rätselhafte Bezeichnung „Faustus Helmitheus Hedelbergensis“ wäre also nicht anders als „Faust von Helmstadt im Heidelbergischen“ zu deuten. Wer sich etwa an der damals ungewöhnlichen Doppelbezeichnung stößt, kann sich beruhigen, wenn er einen im Urtext vielleicht abgekürzten Zusatz „Magister“ oder „Baccalaureus“ einschiebt und dann liest: „Faust aus Helm-
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stadt, Heidelbergischer Magister (oder Baccalaureus“; so wird auch der bayerische Humanist Jakob Zigler inden Wiener Universitätsakten ähnlich genannt: Jakob Ziegler aus Landau in Bayern, Ingolstädter Magister der schönen Künste und Baccalaureus der Theologie. Auf jeden Fall aber möchte ich Helmstadt in Baden festgehalten wissen. In dem berühmten Ingolstädter Protokoll, das aus derselben Zeit wie der Rebdorfer Bericht stammt und von der von der Vertreibung Fausts aus Ingolstadt erzählt, wird der Ausgewiesene ausdrücklich als Faust von Heidelberg bezeichnet und im Badischen hat der schicksalsreiche Zauberer auch sein Ende gefunden. Sehr beachtenswert ist ein Eintrag der Heidelberger Universitätsmatrikel, wonach am 9. Januar 1483 ein „Georg Helmstetter oder Georg von Helmstadt in der Diözese Worms“ an der Universität Aufnahme fand und am 1. März 1487 den [...] akademischen Grad des [Magisters] errang.23 Ich vermute, dass unter diesem Studenten kein anderer als unser Faust zu suchen ist. Damit wäre Helmstadt in Baden auch urkundlich als Fausts Heimat belegt.24 Trotz des bedeutenden Fortschritts, den Schottenlohers Funde ermöglichten, blieben die Jahre zwischen dem Abschluss der Studien 1487 und 1507, ein Rätsel. In diesem Zeitraum von zwanzig Jahren fand angeblich ein unerklärter Namenswechsel von Georg Helmstetter zu „Georg Sabellicus Faustus Iunior“ statt; das ist der Name, den Trithemius 1507 nennt. Man kann mit einigem Recht fragen, ob diese weit entfernten Zeugnisse wirklich dieselbe Person betreffen.
Zur Beantwortung dieser Frage ist eine in diesem Zusammenhang unbeachtete Pariser Handschrift hilfreich, die eine Erwähnung des eben graduierten Magister Georg Helmstetters enthält. Aus diesem Briefwechsel erfährt man, dass Helmstetter 1490 oder kurz danach dem Studenten Peter Suter ein Horoskop ausgestellt hat. Eigenartig ist dabei, dass Helmstetter für die Zukunftsdeutung sich der Physiognomie und Chiromantie bediente.25 Festzuhalten ist, dass die Verwendung der
23 Schottenloher hat an dieser Stelle Baccaulaureus statt Magister geschrieben. Eigentlich wurde Helmstetter schon am 12. Januar 1484 Bakkalar. Vgl. Gustav Toepke: Die Matrikel der Universität Heidelberg. Heidelberg 1884, I, S. 370 und II, S. 416. Vgl. Frank Baron: Doctor Faustus from History to Legend. München 1978, S. 17–22. 24 Karl Schottenloher: Fausts Geburtsort. In: Münchener neueste Nachrichten, 5.7.1913, Nr. 338. Vgl. Karl Schottenloher: Der Rebdorfer Prior Kilian Leib und sein Wettertagebuch von 1513–1531. In: Riezler-Festschrift. Gotha 1913, S. 81–114. Ernst Beutler, Leiter des Goethemuseums in Frankfurt, nahm die Anregung des Faust-Zeugnis im Wettertagebuch ernst, und verfasste seinen Beitrag über Georg Helmstetter. Da er jedoch die weiterführenden Auskünfte in Schottenlohers Zeitungsartikel nicht kannte, fehlte bei ihm die Auskunft über die Studien in Heidelberg. Ernst Beutler: Georg Faust aus Helmstadt. Nachklänge zur Frankfurter Faustausstellung. In: Goethe Kalender auf das Jahr 1936. Leipzig 1936, S.170–210. 25 Frank Baron: Who Was the Historical Faustus? Interpreting an Overlooked Source. In: Daphnis. Zeitschrift für mittlere deutsche Literatur 18 (1989), S. 297–302. Vgl. Frank Baron: Georg Helmstetter (alias Faustus) als Alumnus der Universität Heidelberg. In: Heidelberg. Jahrbuch
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Chiromantie diesen Helmstetter nicht nur mit dem Magister Georg im Brief des Trithemius eng verbindet, sondern auch später mit dem Brief des Conrad Mutianus Rufus, der Faustus als Chiromant bezeichnet. Hier liegt auch die Bestätigung, dass Schottenloher, der Faustus als den Heidelberger Studenten vermutete, recht hatte, denn dieser Student betrieb, so wie jener im Wettertagebuch, schon in den Heidelberger Jahren Astrologie. Einen weiteren Beweis dafür, dass Magister Helmstetter mit dem späteren Faustus identisch ist, stellt die völlige Übereinstimmung in Bezug auf die akademischen Titel dar, die Helmstetter erworben hatte (philosophischer Magistergrad) und die Faustus zeitlebens für sich in Anspruch nahm (Magister oder Doctor der Philosophie).26 Mit den Ergänzungen, die durch das Wettertagebuch und die Pariser Handschrift gewonnen werden, besteht die Möglichkeit, gewisse Orte und die damit verbundenen Zeitpunkte des Lebenslaufs als gesichert anzusehen: Helmstadt, Heidelberg Kreuznach, Erfurt, Bamberg und die Gegenden um Ingolstadt, Nürnberg und Würzburg. Man gewinnt einen vorläufigen Rahmen. Weil dieser Faustus keine Schriften hinterlassen hat, muss die Rekonstruktion seines Lebenslaufs freilich auch heute noch als eine thesenhafte Annäherung erscheinen. Rätselhaft bleibt immer noch der Namenwechsel. Wie wird aus Helmstetter nachher Sabellicus Faustus iunior und erst später einfach Faustus? Zur Betrachtung dieser Frage ist es wichtig zu verstehen, dass diese historische Gestalt in allen zeitgenössischen Zeugnissen eigentlich nicht Faust, wie bei Goethe, heißt, sondern Faustus. Diese Überlegung kann einen Weg eröffnen, die Unterschiede in den Namen zwischen Helmstetter und Sabellicus, Faustus iunior zu überbrücken. Schottenloher wie auch andere Forscher, nennen die historische Gestalt
zur Geschichte der Stadt 20 (2016), S. 165–174. In einer neueren Betrachtung des historischen Faustus von Elisabeth Wäghall Nivre findet man leider keinen Hinweis auf die Heidelberger Studien. Weil Nivre die genannte Pariser Handschrift offenbar nicht kennt, kommt sie über den historischen Faustus zum Schluss, „Herkunft und Ausbildung [...] kaum Konturen“ gewinnen. Elisabeth Wäghall Nivre: Historizität, Legende, Mythos: Die Faust-Figur zwischen Faktualität und Fiktionalität. In: Faust-Handbuch., S. 2–11, hier S. 5 und 10. In ähnlicher Weise urteilt Dieter Martin: „Von der historischen Person, die den Ausgangspunkt aller Transformationen des FaustStoffes bildet, sind all jene Fakten unbekannt oder ungesichert, die gewöhnlich der Skizzierung und sozialhistorischen Situierung einer menschlichen Existenz dienen [...]“. Martin bietet leider nur eine oberflächliche Übersicht der Quellen. Er verweist zwar auf die Existenz der Heidelberger Universitätsakten, aber ihm ist auch unbekannt, dass in der Pariser Quelle jener Helmstetter, den Schottenloher als Faustus identifiziert hat, ca. 1490 als Magister Georg Helmstetter und zugleich als Astrolog und Chiromant auftritt. Dieter Martin: [Faust, der Schwarzkünstler – 1500 bis 1750]. Faust-Handbuch, S. 62–71, hier S.62–63. 26 Zu dieser Zeit bedeutete der Magistergrad den Abschluss im Fach Philosophie und berechtigte einen Magister dieses Faches sich als Doctor der Philosophie zu nennen.
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einfach Faust. Das ist praktisch unvermeidbar, weil deren Arbeiten immer darauf abzielen, zum Verständnis von Goethes Dichtung beizutragen. Diese Tendenz verleitet aber leicht dazu, dass man nicht beachtet, dass im Zeitalter des Renaissance-Humanismus viele Menschen, die als Gelehrte etwas von sich hielten, nicht einfach mit ihren Familiennamen bekannt werden wollten, sondern mit einem passenden, angenommenen Namen. Es lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, wie Helmstetter über diese Frage gedacht hat, aber es ist klar, dass er in seiner Heidelberger Zeit seinen tatsächlichen Familiennamen nie offenbart hat. Ständig nannte er sich einfach Georg oder Jörg und erwähnte dabei nur den Ort seiner Herkunft, Helmstadt. Wenn er sich später Sabellicus, Faustus iunior, oder Faustus nannte, ist die Überlegung nicht weit hergeholt, dass er sich irgendwann während oder nach seiner Heidelberger Studienzeit durch die humanistische Namenmode inspirieren ließ. Sicherheit ist heute in dieser Frage freilich unmöglich. Man kann nur auf die damaligen Einflüsse aufmerksam machen. Es genügte in der gelehrten Welt des 16. Jahrhunderts meist nicht, einem Familiennamen einfach ein us anzuhängen. Um als Gelehrter ernst genommen zu werden, musste dieser Name entsprechend der neuen Sitte wenigstens eine Übersetzung des Familiennamens sein, oder etwas andeuten, was das individuelle Schicksal des Menschen betraf. Wichtig ist jedenfalls, trotz der Widersprüche und Lücken in der heutigen Quellenlage die Feststellung gewisser Tendenzen in den Reaktionen der Zeitgenossen auf Faustus, und wie sich diese mit der Zeit geändert haben. Kaum zu übersehen ist die Behauptung in den meisten Nachschlagewerken, dass Faust (sic) in Knittlingen geboren wurde. Diese weit verbreitete Feststellung stützt sich jedoch erst auf eine Aufzeichungdes Jahres 1562, gehört also nicht zum engeren Kreis der zeitgenössischen Quellen.27 Der Fokus auf die wenigen gesicherten Zeugnisse – in chronologischer Reihenfolge – kann dazu verhelfen, das Gemeinsame an den Auftritten dieses Menschen zu erkennen. Genauso wichtig erscheint die Frage, wie die Zeitgenossen Faustus gesehen haben. Die frühesten Beobachtungen und Urteile über Faustus könnten die Basis sein für die Frage, wie und warum das Bild, das die nachfolgenden Generationen von diesem Menschen geformt haben, nach und nach radikal neue Züge erhielt. In seinem oben zitierten Artikel verwies Schottenloher auf das Studium des jungen Georg von Helmstadt an der Universität Heidelberg. Georgius, Georg oder Jörg, der keinen Familiennamen angab, immatrikulierte sich am 9. Januar 1483.
27 Wegen ihrer weiten Verbreitung soll sie in einem Exkurs weiter unten ausführliche Beachtung erhalten.
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Die Matrikeln und sonstigen Akten der philosophischen Fakultät bestätigen, dass er schon nach einem Jahr, am 12. Juli 1484, den akademischen Grad eines Baccalaureus erhielt. Da er noch weitere drei Jahre brauchte, um den Magistergrad zu erwerben, am 1. März 1487, ist zu vermuten, dass er zunächst das Mindestalter erreichen musste, bevor er zur Promotion zugelassen wurde. Das Alter von einundzwanzig Jahren war das geforderte Alter für die Anerkennung als Magister, und aus diesem Grund kann 1466 als sein Geburtsjahr vermutet werden.28 Zu überlegen wäre, ob nicht auch ein anderer, ebenfalls ehrgeiziger Helmstetter, der zu dieser Zeit ebenfalls in Heidelberg studierte, ein Verwandter von Georg gewesen sein könnte. Dann hätte man endlich einen Hinweis auf den ursprünglichen Familiennamen von Georg, d.h. von dem späteren Faustus. „Laurencius de Helmstadt“ immatrikulierte sich in Heidelberg am 5. November 1483 (nur ein Semester nach Georg). Er wurde am 9. Juli 1485 Bakkalar und am 18. März 1489 Magister. Erst bei der Magisterpromotion hat Lorenz seinen Familiennamen verraten: „Laurencius Korber de Helmstat“. Zuletzt erwähnt wurde Laurencius von Helmstadt im Januar 1497 in den Fakultätsakten. Auch dieser Helmstetter gehörte, wie Georg, der philosophischen Richtung der via moderna an.29 Besonders aufschlussreich für einen vollständigeren Lebenslauf des jungen Helmstetter ist der schon erwähnte Briefwechsel Peter Suters, der diesen vor kurzem graduierten jungen Magister in der aktiven Ausübung der Astrologie darstellte.30 Suter (auch Seuter und Suiter) hatte im Jahre 1490 seine Studien dort begonnen, aber es ist wahrscheinlich, dass die damalige Pestgefahr Suter veranlasst hat, seine Studien im gleichen Jahr anderswo fortzusetzen. Suter schreibt aber an seinen Freund, Nicolaus Ellenbog (1480 /1481–1543), den Prior des Klosters Ottobeuren, dass ihm Magister Georg Helmstetter ein Horoskop ausgestellt habe. Dieses Horoskop blieb mehr als vierzig Jahre unverändert in Suters Besitz. Nachdem er in Ingolstadt und Tübingen studiert hatte, wurde er prominenter Rechtsanwalt in seiner Heimatstadt Kempten/Allgäu. Im Jahr 1534 beschloss er endlich, die von Helmstetter gestellte Prognose auswerten zu lassen, und zwar von seinem Freund Ellenbog, der mit Astrologie Erfahrung hatte. Suter schrieb: [...] ich schicke Dir, mit dem schon erwähnten Benckius als Bote, eine Rede, die Doktor Pallas Spangel im Namen der Universität Heidelberg dem unbesiegbaren Kaiser Maximilian vorgetragen hat. Zugleich schicke ich Dir mein Horoskop, das Magister Georgius
28 Vgl. dazu die Anmerkungen 4 und 5 oben. 29 Matrikel I, S. 373 und 418. Vgl. Heidelberger Gelehrtenlexikon von 1386–1651, hg. von Dagmar Drüll. Heidelberg 2002, S. 357. Vgl. Baron: Georg Helmstetter (alias Faustus) als Alumnus der Universität Heidelberg, S. 172–173. 30 Baron: Who Was the Historical Faustus? S. 297–302.
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Helmstette[r] auf der Grundlage der Astrologie, Physiognomie und Chiromantie hergestellt hat.31
Ellenbog antwortete, dass er dankbar sei, Spangels Festrede an den Kaiser zu bekommen. Auf Helmstetters Horoskop reagierte er aber ablehnend. Ich las die Rede von Doktor Pallas mit Interesse. Ich schicke aber das Horoskop, das ein gewisser Helmstetter verfertigt hatte, zurück; da ich ja in der Chiromantie ohne Erfahrung bin, konnte ich es nicht entziffern, noch weniger verstehen. Obwohl er die Stellung der Sterne mit den zwölf Häusern angab, zeigte er weder die Zeichen noch die Grade der Planeten, was eigentlich hier notwendig wäre. Ich kann also von seiner Arbeit nichts entnehmen und schicke sie an Dich gleich zurück.32
Ellenbogs Kritik zeigt, dass dieser Helmstetter die üblichen akademischen Regeln der Astrologie nicht ernst nahm und dass er die Astrologie durch eine Kombination mit anderen okkulten Wissenschaften zu ergänzen suchte. Wenn man aber beachtet, was sonst über Faustus aus zeitgenössischen Quellen bekannt ist (z.B. von Trithemius und Conrad Mutianus Rufus), so kann man daraus folgern, dass dieser Georg Helmstetter konsequent handelte. Er nannte sich Astrolog, aber er war zugleich Chiromant. Diese besondere Kombination von Berufen unterstützt Schottenlohers These, dass der Heidelberger Student in der Tat derjenige war, über welchen später Trithemius und Mutianus berichtet haben. Hier stellt sich die grundsätzliche Frage, ob eine logische und zuverlässige Vita überhaupt möglich ist, wenn nur sehr wenige zeitgenössische Quellen vorhanden sind und diese sogar scheinbar sich widersprechende Auskünfte enthalten. Wie verhält sich dieser Georg Helmstetter, der noch in den Heidelberger Jahren eigentlich nicht Faustus hieß, zu den anderen Quellen, die über einen Faustus berichten? Betrachtet man die Anfänge des Faust-Mythos, so muss das Argument Schottenlohers zuerst befremden. Aber gerade die Auskünfte von Suter liefern die notwendige Bestätigung für Schottenlohers These. Dieser Helmstet-
31 „Preterea cum praefato Benckio orationem doctoris Pallantis Spangel, quam habuit ad Maximilianum romanorum regem invictissimum nomine vniversitatis haidelbergensis, nunc tibi transmitto, unà cum nativitate mea quam magister Georgius Helmstette[r] ex iudicio astrologiae, phis[i]o[g]nomiae et chyromantiae artis mihi composuit“. Baron: Who Was the Historical Faustus? S. 301. Vgl. Friedrich Zoepfl: Nikolaus Ellenbog. Briefwechsel. Münster 1938, S. 340. 32 „Orationem doctoris Pallantis non invitus legi. Iudicium nativitatis tuae per quendam Helmstetter editum tibi remitto, quod ego nec ad plenum quidem legere potui, et multo minus intelligere, eo quod chiromantiae sim inexpertus. Figuram signavit caeli cum duodecim domibus, sed gradus signorum (qui omni modo hinc necessarij sunt) praetermisit. Sed nec planetas cum suis signis et gradibus apposuit. In summa ex scriptis illius me resolvere nequeo, quare rursum vt ad te irent quantocius curavi“. Ebd.
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ter war ja schon in den Heidelberger Jahren nicht nur philosophischer Magister (d.h. Doctor), genau so wie Faustus, sondern auch Astrolog und Chiromant, also wiederum so wie verschiedene Berichterstatter den Faustus später bezeichneten. Fünfzehn oder sechzehn Jahre trennen die Anfertigung des Horoskops von Magister Georg Helmstetter und den Brief des Johannes Trithemius, der auch über einen Magister Georg berichtet, der aber nun weitere Namen hinfügt. Wenn es sich wirklich um die gleiche Person handeln könnte, muss versucht werden, die Namenerweiterung zu erklären. Vor allem verdienen die besonders ausführlichen Aussagen des Johannes Trithemius Aufmerksamkeit. Trithemius war Mönch, Abt, Historiker, Schriftsteller, Büchersammler und geachteter Ratgeber an mehreren deutschen Höfen. Dreiundzwanzig Jahre wirkte er als Abt im Kloster Sponheim, wohin viele Gelehrte zu Besuch kamen, um seine berühmte Bibliothek zu benutzen. Obwohl manche seiner historischen Schriften scharf kritisiert wurden, müssen sonstige biographische und bibliographische Arbeiten als wertvolle Leistungen anerkannt werden.33 Sein Ruf litt aber auch darunter, dass er sich sehr intensiv für die okkulten Wissenschaften interessierte. Er war Anhänger von Pico della Mirandola und dessen Ausführungen über die natürliche Magie. Der Begriff der natürlichen Magie, wie Trithemius ihn von Italien her kannte, war eng mit religiösen Vorstellungen verbunden. Ficino zum Beispiel behauptetet, dass Hermes die Geburt Christi prophezeit habe, und Pico erklärt, es gebe keine Wissenschaft, durch die wir soviel Gewissheit über die Göttlichkeit Christi erfahren können wie die Magie und die Kabbala. Diese Gedanken hatten Trithemius stark beeindruckt. Er schreibt: „Die natürliche Magie jedoch, die nach Meinung Pico [della] Mirandolas von der Kirche nie verurteilt wurde noch je verurteilt werden könnte, wurde von vielen gelehrten Männern der Kirche zugelassen und praktiziert [...] Dieser Magie bin ich ergeben; die andere abergläubische, diabolische und verworfene Art verabscheue und verachte ich [...]“. Was er unter unerlaubter Magie versteht, erörtert Trithemius in seinen Schriften mehrmals; man muss sich darunter eine Vielzahl schon seit der Antike bekannter Beschäftigungen vorstellen. Besonders energisch kämpft Trithemius gegen die Nekromantie. Seine Argumente übernimmt er Wort für Wort aus einer Schrift Picos. Auch die Tätigkeit der Alchemisten und Astrolo-
33 Klaus Arnold: Johannes Trithemius, 2. Aufl. Würzburg 1991, S. 56–167. Richard Auernheimer und Frank Baron (Hg.): Johannes Trithemius. Humanismus und Magie im vorreformatischen Deutschland. München 1991. Frank Baron: Die Neugierde des Trithemius und die Entdeckung Amerikas. In: Mittlere Deutsche Literatur und Italien, hg. von Federica Masiero. Bern 2013, S. 73–112.
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gen gelten ihm im Vergleich zur natürlichen Magie als Betrug. Nach Trithemius verstehen die Alchemisten das Geheimnis der Natur nicht. Sie wollen teilen, was sonst eine völlige Einheit bildete. Trithemius behauptet, dass seine eigene Philosophie nicht irdischer, sondern himmlischer Art sei, und nur so könne man das höchste Prinzip, das wir Gott nennen, begreifen. Verschwinden sollen die leichtfertigen und lügnerischen Astrologen, die nichts als Betrüger und Schwätzer sind. Denn die Ordnung der Sterne trägt nichts zum ewigen Geist, nichts zur natürlichen Wissenschaft und nichts zur überirdischen Weisheit bei. Körper hat Macht nur über Körper. Der Geist ist frei; den Sternen und ihren Einflüssen ist er nicht unterworfen; er hat nichts mit Bewegung zu tun, sondern er folgt einem überirdischen Prinzip, wodurch er entsteht, fruchtbar wird und so viel mitteilt.34
Die Spekulationen des Abtes waren im Grunde religiöser Art: das Verlangen nach der Macht der Magie war dem mystischen Verlangen nach Gott gleichgestellt. Trithemius verspricht sich sogar Wundertaten von dieser Magie: „Studium erzeugt Erkenntnis; Erkenntnis bringt Liebe hervor; Liebe Gemeinschaft; Gemeinschaft Tugend; Tugend Kraft; Kraft Würde; und Würde erzeugt Wunder. Dies ist der einzige Weg zur göttlichen wie auch zur natürlichen Magie [...]“35 Die Vorwürfe, die Trithemius gegen Magister Georg erhebt, ergeben sich notwendig aus seiner Parteinahme für die natürliche Magie, gerichtet also gegen Nekromanten, Alchemisten und Astrologen. Eine ausführliche Polemik gegen Faustus hat Trithemius in seinem Brief von 6. August 1507 an den Astrologen Johannes Virdung von Hassfurt (ca. 1463–1538) geschickt, weil dieser Trithemius um Auskünfte über diesen Magister gebeten hatte. Virdung stand seit 1493 im Dienst des kurpfälzischen Fürsten.36 Dass Virdung diesen Menschen, den
34 Die Zitate aus Werken und Briefen des Trithemius und ihre Deutung stützen sich auf frühere Arbeiten: Baron: Doctor Faustus from History to Legend, S. 23–29 und 94–96 und Frank Baron: Faustus. Geschichte, Sage, Dichtung. München 1982, S. 22–24 und 125–126. 35 Ebd. 36 Max Steinmetz: „Johann Virdung von Hassfurt, sein Leben und seine astrologischen Schriften“. In: ‘Astrologi hallucinati’. Stars and the End of the World in Luther’s Time, hg. von Paola Zambelli. Berlin 1986, S. 195–214 und Max Stenmetz: Johann Virdung von Haßfurt, sein Leben und seine astrologischen Flugschriften. In: Hans-Joachim Köhler (Hg.): Flugschriften als Massenmedium der Reformationszeit. Stuttgart 1981, S. 353–359. In einer im Vatikan erhaltenen Handschrift zeigt sich Virdung als eifriger Sammler okkulter Handschriften. Johannes Werner, der Nürnberger Astronom, klagte in einem Brief an Conrad Celtis, Virdung habe sein wertvolles Buch über Astronomie nicht zurückgegeben und sei verschwunden, wahrscheinlich nach England, um seine magischen Studien dort fortzutsetzen. Benedek Láng: Unlocked Books. Manuscripts of Learned Magic in the Medieval Libraries of Central Europe. University Park, PA 2008, S. 257–259.
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Trithemius als Scharlatan betrachtete, kennenlernen wollte, ärgert Trithemius. Er schreibt ausführlich an Virdung, um zu beweisen, dass dessen Erwartungen nicht berechtigt seien. Wer war dieser Magister Georg, den Trithemius nun als Betrüger verurteilt? Trithemius bietet von seiner Sicht großzügige Auskünfte zur Beantwortung dieser Frage. In seinem Brief (hier in der deutschen Übersetzung) behauptet er: Jener Mensch, über welchen du mir schreibst, Georg Sabellicus, welcher sich den Fürsten der Nekromanten zu nennen wagte, ist ein Landstreicher, leerer Schwätzer und betrügerischer Strolch, würdig ausgepeitscht zu werden, damit er nicht ferner mehr öffentlich verabscheungswürdige und der heiligen Kirche feindliche Dinge zu lehren wage. Denn was sind die Titel, welche er sich anmaßt, anders als Anzeichen des dümmsten und unsinnigsten Geistes, welcher zeigt, dass er ein Narr und kein Philosoph ist? So machte er sich folgenden ihm konvenierenden Titel zurecht: Magister Georg Sabellicus, Faust37 der jüngere, Quellbrunn der Nekromanten, Astrolog, Zweiter der Magier, Chiromant, Aeromant38, Pyromant, Zweiter in der Hydromantie. – Siehe die törichte Verwegenheit des Menschen; welcher Wahnsinn gehört dazu, sich die Quelle der Nekromantie zu nennen! Wer in Wahrheit in allen guten Wissenschaften unwissend ist, hätte er sich lieber einen Narren, denn einen Magister nennen sollen. Aber mir ist seine Nichtswürdigkeit nicht unbekannt. Als ich im vorigen Jahre aus der Mark Brandenburg zurückkehrte, traf ich diesen Menschen in der Nähe der Stadt Gelnhausen an, woselbst man mir in der Herberge viele von ihm mit großer Frechheit ausgeführte Nichtsnützigkeiten erzählte. Als er von meiner Anwesenheit hörte, floh er alsbald aus der Herberge und konnte von Nimand überredet werden, sich mir vorzustellen. Wir erinnern uns auch, dass er uns durch einen Bürger die schriftliche Aufzeichnung seiner Torheit, welche er dir gab, überschickte. In jener Stadt erzählten mir Geistliche, der habe in Gegenwart Vieler gesagt, dass er ein so großes Wissen und Gedächtnis aller Weisheit erreicht habe, dass, wenn alle Werke von Plato und Aristoteles samt all’ ihrer Philosophie durchaus aus der Menschen Gedächtnis verloren gegangen wären, er sie wie ein zweiter Hebräer Esra durch sein Genie sämtlich und vorzüglicher als vorher wieder herstellen wolle. Als ich mich später in Speier befand, kam er nach Würzburg und soll sich in Gegenwart vieler Leute mit gleicher Eitelkeit gerühmt haben, dass die Wunder unseres Erlösers Christi nicht anstaunenswert seien; er könne Alles tun, was Christus getan habe, so oft und wann er wolle. In den Fasten dieses Jahres kam er nach Kreuznach, wo er sich in gleicher großsprecherischer Weise ganz gewaltiger Dinge rühmte und sagte, dass er in der Alchemie von Allen, die je gewesen, der Vollkommenste sei und wisse und könne, was nur die Leute wünschten. Während dieser Zeit war die Schulmeisterstelle in gedachter Stadt unbesetzt, welche ihm auf Verwendung von Franz von Sickingen, dem Amtmann deines Fürsten, einem nach mystischen Dingen überaus begierigen Manne, übertragen wurde. Aber bald darauf begann er
37 Im lateinischen Text steht: Faustus. Vgl. Johannes Trithemius, Epistolae familiares. Hagen 1536, S. 312. 38 Im lateinischen Text heisst es agromanticus. Ebd.
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mit Knaben die schändlichste Unzucht zu treiben und entfloh, als die Sache ans Licht kam, der ihm drohenden Strafe. Das ist es, was mir nach dem sichersten Zeugnis von jenem Menschen feststeht, dessen Ankunft du mit so großem Verlangen erwartest.39
Vor allem die unerwartete Auflistung und Kombination der Namen erscheint rätselhaft. „Magister Georgius Sabellicus, Faustus iunior“
Obwohl man fragen könnte, ob Trithemius diese Namen wirklich so angibt, wie Magister Georg sie übermittelte, sollte man bedenken, dass Trithemius an Virdung schreibt, dass er dieselbe „schriftliche Aufzeichnung seiner Torheit“ erhalten habe wie auch Virdung.40 Dadurch wird es wahrscheinlich, dass die Visitenkarte, die Trithemius beschreibt, ungefähr dem entspricht, was Magister Georg geboten hatte. Sie ist daher einzigartig unter den zeitgenössischen Quellen. Weil sonst keine Schriften von Helmstetter oder Faustus bekannt sind, verdient diese Visitenkarte ausführlich betrachtet zu werden. In diesen Überlegungen kann man davon ausgehen, dass der Heidelberger Magister Georg Helmstetter mit diesem Faustus iunior identisch ist. Das ist aufgrund der Festlegung Schottenlohers möglich geworden: der 1528 erwähnte Georg Faustus von Helmstadt studierte in der Tat in Heidelberg und dieser war, wie es die Pariser Handschrift bestätigt, gleich nach Erwerbung des Magistergrads als Astrolog und Chiromant tätig. Die eigentlichen Fragen, die sich durch die Visitenkarte ergeben, haben nicht mit der Identität Magister Georgs zu tun, sondern damit, welche Überlegungen den Magister Georg Helmstetter zu einer völlig neuen Namenkombination geführt haben könnten. Zur Beantwortung dieser Fragen bietet sich die Betrachtung der damals weit verbreitete Namenmode. Der Humanist Conrad Celtis erschien 1485 in Heidelberg, und, gleichzeitig mit Helmstetter, belegte Kurse für den Magistergrad. Er tat dies mit einem neuen Namen, Celtis, in dem er seinen deutschen Namen Bickel latinisiert hatte. Er ver-
39 Der lateinische Text des Trithemius wurde von Carl Kieswetter ins Deutsche übersetzt. Faust in der Geschichte und Tradition. Leipzig 1993, S. 4–6. Zitiert auch von Henning: Faust als historische Gestalt, S. 116–117. Zuerst in der ursprünglichen Sprache veröffentlicht in Trithemius, Epistolae familiares, S. 312–314. Vgl. Baron: Doctor Faustus from History to Legend, 96–97 und Baron: Faustus, S. 126–128. Der gleiche Text, von der Hand des Trithemius, ist vorhanden in einer lateinischen Handschrift der Vatikanischen Bibliothek: Cod. Pal. Lat. 730, fol. 174v–175r. Derselbe Brief auch in Trithemius, Opera historica, II, S. 559–560. 40 „Titulum stulticie sue qualem dedit ad te quem memorauimus per quendam civem ad me quoque destinauit“. Trithemius: Epistolae familiares, S. 312–314. Baron, Doctor Faustus from History to Legend, S. 96.
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fasste später ein Gedicht über die neue Namenmode.41 Ein berühmter Vertreter dieser Mode in Heidelberg war Rudolf Agricola (1444–1485), der seinen ursprünglichen Namen Huisman [Haushälter] in Agricola verwandelte, um eine ländliche Herkunft anzudeuten. Dieser Humanist, durch Bischof Johann von Dalberg nach Heidelberg eingeladen, kam 1484 nach Heidelberg und sowohl Celtis als auch Helmstetter konnten seine Vorträge an der Universität erleben.42 Im Hintergrund dieser Mode unter den humanistisch gesinnten Gelehrten war der Einfluss von Julius Pomponius Laetus [Giulio Pomponio Leto] (1428-1498) in Italien entscheidend.43 Der Name Sabellicus besagt, dass der betreffende aus dem Sabiner-Land (in der Nachbarschaft von Rom) stammte, das in der Antike als ein Zentrum der Magie und Zauberei bekannt war. Ein berühmter Zeitgenosse, Marcus Antonius Coccius Sabellicus (1436–1506), Historiker und Schüler des Pomponius Laetus, der die Annahme der lateinischen oder griechischen Namen angeregt hatte, stammte aus Vicovaro, auch aus der Sabiner Gegend. Damit wurde auf diese Gegend
41 Celtis hieß ursprünglich Pickel und ersetzte diesen Namen durch das Entsprechende im Lateinischen. Paul Melcher: Die Bedeutung des Konrad Celtis für die Namenforschung. In: Namenforschung, Fests. F. A. Bach (Hg.) R. Schützeicherl. Heidelberg 1965, S. 160–167. Dieter Wuttke, Conradus Celtis Protucius. In: Füssel (Hg.), Deutsche Dichter der frühen Neuzeit, S.173–199. 42 Rudolf Agricola 1444–1485. Protagonist des nordeuropäischen Humanismus zum 550. Geburtstag, hg. von Wilhelm Kühlmann, Bern 1994, S. 419. Vgl. Karl Morneweg, Johannes von Dalberg. Ein deutscher Humanist und Bischof. Heidelberg 1887. 43 Georg Voigt: Die Wiederbelebung des classischen Alterthums oder das erste Jahrhundert des Humanismus. Berlin 1881, Bd. 2, S. 239. „Auch soviel wird sich wohl verteidigen lassen, dass statt eines Hausnamens, welchem man überhaupt entrinnen wollte, ein wohllautender antiker angenommen wurde. Einen Heimatsnamen, der alle Mitbürger mitbezeichnete und noch gar nicht zum Familiennamen geworden war, gab man gewiss um so lieber auf, wenn er zugleich als Heiligenname unbequem wurde; Philipp da S. Gemignato nannte sich Callimachus. Wer von der Familie verkannt und beleidigt sein Glück als Gelehrter in der Fremde machte, der durfte sich, auch wenn er ein Sanseverino [Bastard; F.B] war, mit Stolz zum Julius Pomponius Laetus umtaufen. Auch die reine Übersetzung eines Namens ins Lateinische oder ins Griechische (wie sie dann in Deutschland fast ausschließlich Brauch wurde) mag man einer Generation zugute halten, welche lateinisch sprach und nicht bloß deklinable sondern leicht in Prosa und Vers mitgleitende Namen brauchte“. Jacob Burckhardt: Die Kultur der Renaissance in Italien, hg. von Horst Günther. Frankfurt a. M. 1989, S. 246–247 und 276. Craig Kallendorf: Giulio Pomponio Leto. In: Oxford Bibliographies in Renaissance and Reformation, New York 2017. Der berühmteste Namenwechsel wird wohl der von Enea Sylvio Piccolomoni (1405–1464) gewesen sein. Als Humanist nahm er den Namen Aeneas von Vergil an.
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verwiesen, wo Benvenuto Cellini, der seine verstorbene Geliebte wieder sehen wollte, einen Nekromanten zu Hilfe rief.44 Karl P. Wenterdorfs stellte außerdem fest: Interestingly enough, the Italian humanist and historiographer Marcantonio Coccio († 1506) also took the name Sabellicus when publishing his works, among them the Enneades, an ambitious history of the world in ninety-two books. Since Coccio used the pen-name at least as early as 1487, the possibility must be considered that the German magician adopted the name Sabellicus because of the fame of Coccio-Sabellicus as a world historian had made it synonymous with vast knowledge.45
Festzuhalten bleibt, dass die Aneignung eines Namens wie Sabellicus wahrscheinlich unter dem Einfluss des Pompnius Laetus erfolgte, und die Mode auch in Deutschland rasch verbreitet wurde. Danach ist zu vermuten, dass die Aneignung des Namens Sabellicus andeuten soll, dass der Betreffende auch an dieser neuen Gewohnheit der humanistischen Bewegung teilnehmen will. Gemeint wird zugleich, dass er sich – in einem gewissen Sinn – als aus einem Land der Zauberei kommend betrachtet. Viel schwieriger ist es, den Grund für den Namen Faustus iunior zu ergründen. Es ist klar, dass das lateinische Wort faustus soviel wie glücklich oder günstig bedeutet und daher für einen Astrologen zweckdienlich ist. Darüber hinaus müsste man feststellen, wer der Faustus senior gewesen sein könnte. Zwar war ein älterer Schriftsteller Namens Publius Faustus Andrelinus (ca. 1462– 1518) zu dieser Zeit bekannt, aber eine logische Verbindung zwischen ihm und dem „Faustus iunior“ ist nicht bekannt.46 Wentersdorf hat wieder eine mögliche Lösung vorgeschlagen: Vorgänger, mit dem sich Sabellicus identifiziert haben soll, wäre Faustus von Mileve in Nordafrika († vor 400), der bedeutendste Vertreter des abendländischen Manichäismus. As for the influential Western apostle of the Manicheans, Bishop Faustus, a brief if unflattering account of the man and his sect was universally available in St. Augustine’s Confessions
44 Burckhardt, S. 526. Vgl. Leben des Benvenuto Cellini von ihm selbst geschrieben. Übers. von J. W. Goethe. Frankfurt a. M. 1924, S. 125–137 und 426. 45 Karl P. Wentersdorf: Some Observations on the Historical Faust. In: Folklore 89 (1978), S. 203. Dass die Nachricht vom Tod Italieners im Jahre 1506 wahrscheinlich auch in Deutschland verbreitet wurde, könnte dazu beigetragen haben, dass Helmstetter auf den Gedanken kam, diesen Namen für sich zu verwenden. 46 Vgl. Gustav Schwetschke: Wer war Faustus senior? In: Deutsches Museum (1855), S. 548–551. Hermann Grimm: Die Entstehung des Volksbuchs von Dr. Faust. In: Preußische Jahrbücher 47 (1881), S. 455.
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[…] The Manicheans were noted for their great interest in astrology. Augustine tells how, as a young man, he had turned to Bishop Faustus in his search for the ultimate in human wisdom. […] And when Sabellicus added to his self-advertisement the name Faustus junior, he was claiming, I suggest, that his pre-eminence in the practice of the occult sciences and especially astral magic was second only to that of the best known of the Manichean astrologers, Faustus of Milevis.47
Faustus hätte danach einen Berührungspunkt mit der dualistischen Weltanschauung des früheren Faustus, den Augustin und die römische Kirche entschieden ablehnten. Eine solche Beziehung wäre wiederum eine Herausforderung, die mit seinen sonstigen Provokationen vergleichbar wäre. Wann und warum diese Namenwechsel stattfanden, bleibt ein Geheimnis. Die Wandlung von einem, der zunächst nur seine Herkunft in Helmstadt angab, später zu einem Sabellicus, Faustus iunior, und schließlich einfach zu Faustus, könnte dadurch erklärt werden, dass diesem Menschen die neue Mode großzügige Freiheit des Namenwechsels schenkte, um sich als Gelehrter und Astrologe vorzustellen.48 Aufgrund seiner Ausführlichkeit enthält der Trithemius-Brief zahlreiche Auskünfte über Faustus’ Vita, zeigt aber zugleich jene problematischen Elemente, die die Entwicklung einer Legende förderten. Da Trithemius selbst immer wieder unerlaubter Praktiken beschuldigt wurde, könnte seine leidenschaftliche Polemik gegen den Magister Georg nicht zuletzt auch dadurch motiviert worden sein, die Aufmerksamkeit von sich abzulenken. Seine ungewöhnlichen Interessen hatten zum Beispiel dazu geführt, dass er sein Amt als Abt von Sponheim aufgeben musste.49 Trithemius kommentiert ausführlich den Text der Visitenkarte, die nach seiner Ansicht eindeutig Torheit illustriert. Der Originaltext der Visitenkarte lautet: „Magister Georgius Sabellicus, Faustus iunior, fons necromanticorum, astrologus, magus secundus, chiromanticus, agromanticus, pyromanticus, in hydra arte secundus“.50
Die Angaben des Magister Georg nimmt Trithemius ernst. Der Text der Visitenkarte genügt ihm, den Prahler als Narren zu denunzieren. Ein wirklicher Meister
47 Wentersdorf: Some Observations, S. 218–219. 48 Da Virdung seit 1493 in Heidelberg tätig war, ist es denkbar, dass Magister Georg seine Vergangenheit in Heidelberg oder Helmstadt lieber nicht bekannt machen wollte. 49 Die Sammlung der Briefe zwischen 1505 und 1507, in der der Brief an Virdung erscheint, kann man als Verteidigung gegen Vorwürfe verstehen. Arnold: Johannes Trithemius, S. 180–204. 50 Trithemius: Epistolae familiares, S. 312–314. Vgl. Baron, Doctor Faustus from History to Legend, 96–97 und Baron: Faustus, S. 126–128.
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der Philosophie sei er nicht. Im Grunde war die Kritik an diesem Punkt berechtigt, denn die Bereiche, in denen Magister Georg sich als Experte bezeichnet, gelten (außer Astrologie) nicht als akademische Disziplinen, sondern als volkstümliche Praktiken, die weit entfernt von den Universitäten überliefert wurden. Tepls Ackermann aus Böhmen liefert Beispiele dieser Art von Wahrsagerei. Die meisten dieser mantischen Praktiken dienten dazu, die Zukunft vorauszusagen.51 Man hat viel über die hier angegebene Bezeichnung agromanticus gerätselt. Man meinte, dass hier eigentlich aeromanticus hätte stehen müssen. Für das nah verwandte Wort acromanticus gibt es aber einen Beleg bei Trithemius, der in einem seiner Werke eine ähnliche Auswahl von Praktiken verzeichnete.52 Trithemius aber ärgert sich offenbar besonders über die Anmaßung, in der Nekromantie Großes leisten zu können: „sich den Fürst der Nekromanten zu nennen“. 53 Dazu hätte Trithemius natürlich viel sagen können, denn er hatte ja selbst eine Schrift gegen die Nekromantie verfasst. Er meint, dass die Nekromanten mit dem Teufel paktierten. In diesem Fall begnügt sich Trithemius aber damit, diesen Prahler einen Narren zu nennen. Trithemius kritisiert Magister Georg, weil er in der Visitenkarte keine Zeichen fundierten Wissens erkennen lässt. Vielmehr scheint er sogar stolz darauf zu sein, dass er ein Wissen zu vermitteln hat, das wenig mit akademischem Wissen zu tun hatte. Auch wenn er den Titel Magister trägt, hatte er im Grunde den Betrieb der Universität weit hinter sich gelassen. Er treibt außerdem eine Art Versteckspiel mit seiner Visitenkarte. Sie provoziert Fragen: Wenn er Magus secundus ist, fragt man sich, wer der erste Magus ist. Er will der zweite in der Hydromantie sein, aber wer ist der erste? Die Visitenkarte vermittelt nicht Wissen, sondern gibt Rätsel auf.54
51 Der ackerman, hg. von Willy Krogmann. Wiesbaden 1969, Kap. 26, S. 129. 52 Trithemius: Nepiachus. In: J. G. Eckhart (Hg.), Corpus Historicum Medii Aevi, Leipzig 1723, Sp. 1825–1844, hier Sp. 1830. Eine kritische Edition dieses Textes lieferte Klaus Arnold: Eine Frage der Glaubwürdigkeit. In: Baron und Auernheimer (Hg.): War Dr. Faustus in Kreuznach? Alzey 2003, S. 47–68, hier S. 56. 53 „Vide stultam hominis temeritatem; quanta feratur insania ut se fontem necromancie profiteri presumat: qui vere omnium bonarum literarum ignarus fatuum se pocius appellare debuisset quam magistrum“. Trithemius: Epistolae familiares, S. 312–314. Vgl. Baron: Doctor Faustus, S. 96; Baron: Faustus, S. 127. 54 Die Forschungsliteratur hat manche dieser Fragen mit überzeugenden Thesen beantworten können, zum Beispiel, dass die Überlieferung Zoroaster als den ersten Magus nennt. Aber auch hier besteht Unsicherheit. Dagegen kann man einwenden, dass im Zeitalter der Renaissance der Magie als Meister der okkulten Wissenschaften eigentlich Hermes Trismegistus galt. In der Hydromantie soll der Römerkönig Numa Pompilius der erste gewesen sein.
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Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass die Visitenkarte nicht dazu dient, eine Begegnung mit Trithemius zu befördern, sondern eher, sie zu vermeiden. Trithemius schreibt ja, dass er den Magister Georg zu sich bestellen will, aber dieser aus der Gelnhausener Herberge, wo auch Trithemius Unterkunft hatte, verschwunden sei.55 Wenn die Visitenkarte tatsächlich eine Botschaft enthält, dann ist es die, dass Faustus eine total andere Art des Wissens vertritt als Trithemius, der ja im Unterschied zu Faustus durchaus auch in den akademischen Kreisen ernst genommen werden will. Trithemius verfügt über eine große Zahl von Berichten über Magister Georg. Die Berichte unterstützen ihn in der festen Ansicht, dass dieser ein Landstreicher sei und über kein ernstzunehmendes Wissen verfüge. In Gelnhausen erfährt er von Priestern, was Faustus vor vielen Menschen behauptet, dass er, „wenn alle Werke von Platon und Aristoteles zusammen mit ihrer Philosophie gänzlich aus dem Gedächtnis der Menschen verschwunden wären“, er könne sie wiederherstellen, sogar eloquenter als sie vorher waren.56 Magister Georg behauptet also, die gesamte griechische Philosophie zu kennen. Helmstetter war ehemaliger Student der Universität Heidelberg, wo noch der scholastische Schulbetrieb Aristoteles als Autorität anerkannte. Aber die humanistische Bewegung, die dort damals eingeführt wurde, stellte Platon neben Aristoteles. Das war etwas Neues. Noch bedeutender ist jedoch die Betonung des eloquenten Stiles. Denn die besondere Forderung der Humanisten im 15. Jahrhundert war das intensive Studium der lateinischen Literatur, um die lateinische Sprache, stilistisch durch die Scholastik verdorben, wieder herzustellen. Anscheinend wollte Faustus gegenüber seinen Zuhörern als modern und gelehrt wirken. Indem Magister Georg den Stil der antiken Philosophen verbessern will, identifiziert er sich mit Männern wie Leonardo Bruni (1370–1444). Denn dieser Staatskanzler von Florenz war nicht lange davor als Übersetzer der griechischen Schriften dieser zwei Autoren berühmt geworden. Zuerst hatte Bruni die Dialoge Platons, die bis dahin in der lateinischen Sprache noch nicht zugänglich waren, aus dem Griechischen übertragen. Danach setzte er sich an die Werke des Aristoteles, der im ganzen Mittelalter als die größte Autorität galt.
55 „Qui mox ut me adesse audiuit fugit de hospicio: et a nullo poterat persuaderi quod se meis presentaret aspectibus“. Trithemius: Epistolae familiares, S. 312–314. 56 „Referebat mihi quidam in oppido sacerdotes quod in multorum presencia dixit tantam se omnis sapiencie consecutum scienciam atque memoriam ut si volumina platonis et aristotelis omnia cum tota eorum philosophia in toto perisset ab hominum memoria: ipse suo ingenio velut ezras alter hebreus restitutere vniversa cum prestanciore valeret elegancia”. Ebd. Vgl. Baron: Doctor Faustus, S. 96; Baron, Faustus, S. 127.
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Die Bücher des großen Philosophen [Aristoteles; F.B.], sagt [Bruni; F.B.], hätten eine solche Umwandelung erlitten, daß dieser selbst sie nicht mehr als die seinen erkennen würde— ein Schlagwort, das dann oft genug nachgesprochen worden. Aber ihm [Bruni; F.B.] wurde nun der Gedanke lebendig, der Welt statt des in der Scholastik verkrusteten Aristoteles den wahren, in das Schmuckgewand einer schönen Lateinsprache gekleidet wiederzugeben.57
Mit Brunis Leistung glaubte man zum ersten Mal den wirklichen Aristoteles vor sich zu haben. Man kann davon ausgehen, dass in diesem Fall Trithemius die Prahlerei ziemlich zuverlässig vermittelte, denn es hätte nicht zu seiner polemischen Einstellung gepasst, Faustus einen solchen Ehrgeiz zu unterschieben, wenn er nicht ursprünglich schon da gewesen wäre. Diese Anekdote verdient es, ernst genommen zu werden, im Vergleich zu den sonstigen Berichten des Trithemius, wo er seine Mitteilungen mit feindlicher Polemik gefärbt hat.58 Magister Georg beweist, dass er in den akademischen Kreisen Kenntnisse über die humanistische Bewegung gesammelt hatte. Darüber hinaus verrät er wiederum, dass der Humanismus ihn beeinflusst hat. Eine solche Tendenz zeigt die Mitteilung, dass Faustus durch seine Magie Wunder vollbringen könne. Die Prahlerei, dass Faustus die Wunder Christi nicht so bewundernswert bewunderstwert findet und dass er solche Wunder selbst vollbringen könne, scheint besonders gewagt zu sein.59 Es ist leider nicht möglich zu wissen, ob Trithemius genau wiedergeben konnte, was man ihm in diesem Fall erzählte. Die kühnen Behauptungen in dieser Form könnten als Gotteslästerung empfunden werden. Was meint Magister Georg und was für Wunder will er bewirken? Dieter Harmening vertritt auf der Basis dieser Mitteilung die Meinung, dass Faustus ein Anhänger der natürlichen Magie war. Dass Sabellicus-Faustus gewisse Gedanken der natürlichen Magie aufgriff, ist denkbar, so wie er in der Namengebung seine
57 Georg Voigt: Die Wiederbelebung des classischen Alterthums oder das erste Jahrhundert des Humanismus. Berlin 1881, Bd. 2, S. 169. Voigt verweist dazu auf Amable Jourdain, Recherches critiques sur l’âge et l’origine des traductions latines d’Aristote. Nouv. Dit. Paris 1843. 58 Sogar in diesem Text hat Trithemius seine eigene Art, sich auszudrücken, eingefügt. Zur Dramatisierung verwendete Trithemius eine Metapher, die wahrscheinlich nicht von Faustus stammte. Denn Trithemius schrieb anderswo über das ungewöhnliche Erinnerungsvermögen Ezdras. „Esdras propheta libros Mosi combustos a Chaldeis, qui & Babylonii fuerunt dicti, memoria vsus pro Archetyp reparauit“. Opera historica, I, Chronolgia mystica (=De septem secundeis), Kap. 14. Trithemius gebrauchte den Ausdruck „velut alter Esdras“ auch in seiner Biographie des Origines. Opera historica, I, S. 196. Zur historischen Rolle Ezras vgl. Stephen Greenblatt: The Rise and Fall of Adam and Eve: New York 2017, S. 22 und 33–34. 59 „Postea me neometi existente herbipolim venit eademque vanitate actus in plurimorum fertur dixisse presencia: quod Christi saluatoris miracula non sint miranda: se quoque omnia facere posse que Christus fecit, quotiens et quandocunque velit“. Trithemius: Epistolae familiares, S. 312–314.
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Vertrautheit mit humanistischer und hermetischer Literatur demonstriert hatte.60 Jedenfalls war die Beteuerung, dass dieser Mensch Wunder vollbringen könne, gefährlich, und die feindliche Einstellung des Trithemius konnte dafür verantwortlich sein.61 In der Bewertung der Aussagekraft der spärlichen Quellen besteht die Gefahr, dass man versucht ist, in der historischen Faust-Figur einen Vorboten von Goethes Faust zu sehen. Jan-Dirk Müller kritisiert einen solchen Versuch von Günther Mahal, der den durchgehend negativen Bericht des Trithemius in das Gegenteil umkehren will. Mahals Absicht sei, „Faustus von den schlimmsten zeitgenössischen Vorwürfen zu entlasten und ihm das Maß an Reputierlichkeit zu sichern, das dem Ahnen von Goethes Geistestitanen gebührt. Das ist keine gute
60 Dieter Harmening: Faust und die Renaissance-Magie. Zum ältesten Faustzeugnis. In: Archiv für Kulturgeschichte 55 (1973), S. 65–66. 61 Trotz dieser heftigen Polemik fehlt bei Trithemius die Versuchung, Faustus der Verbundenheit mit dem Teufel zu beschuldigen. Die spätere Zeit dachte anders. Wie gefährlich ein solcher Bericht für Faustus hätte werden können, wird erst im Zeitalter des intensiven Hexenwahns deutlich. Auf der katholischen Seite hatte man in Rom den Brief von Trithemius gelesen und die Provokation sehr ernst genommen. In einer chronologischen Darstellung der historischen Ereignisse hatte man den Brief des Trithemius wieder betrachtet. Für das Jahr 1507 hat Odorico Rinaldi (1611–1677) im Vatikan auf die Gefahr, die Faustus darstellte, aufmerksam gemacht: „In Deutschland erschien ein blasphemischer Betrüger, ein Vorgänger und Wegbereiter des Antichristen Luther, aufgeblasen durch die Ruhmredigkeit der abergläubigen magischen Künste, der die Wunder Christo so geringschätzte, dass er sich ihm in der Erzeugung von Wundern als ebenbürtig bezeichnete, sehr zum Nachteil der Deutschen, die sich törichter Weise auf die Behauptungen solcher Menschen einlassen, anstatt sie den Flammen zu übergeben. In seinem Brief an den Astrologen Johannes Virdung erinnerte sich Trithemius an diesen Boten Satans mit diesen Worten: „Jener Mensch, von dem Du mir schriebst, Georgius Sabellicus [...] könne alles tun, was Christus getan hatte, so oft tun, wenn immer jemand es wünschte“.Obwohl dieses Urteil erst im 17. Jahrhundert geschrieben wurde, ist daran klar zu erkennen, dass die in Rede stehenden Erzählungen dem Magister Georg sehr hätten schaden können. Odorico Rinaldi hat die Chronik, die als eine katholische Antwort auf die Reformation gemeint war, bis zum Jahre 1665 geführt. Wann Rinaldi den Eintrag überbearbeitet hat, ist unbekannt. Seine Beobachtungen spiegeln die Zeit der intensiven Hexenverfolgung. Rinaldi sah die Zauberei in deutschen Ländern immer als eine große Gefahr, der vornehmlich mit Feuer zu begegnen war. Dass der verwegene Magier ein Vorgänger von Luther war, zeigt die unrealistische und polemische Perspektive im katholischen Rom, weil Luther, ebenso energisch wie Rinaldi, die Zauberei bekämpft hatte. Annales ecclesiastici ab anno MCXCVIII, Lucca 1754, S. 379. Zitiert nach Karl P. Wentersdorf: A Faustsplitter from Rome. In: Seminar 10 (1974), S. 100–103. Vgl. Karl P. Wentersdorf: Some Observations on the Historical Faust, S. 201–223.
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Voraussetzung für eine nüchterne Quellenanalyse“.62 Von Faustus sind keine Schriften überliefert, was überrascht, weil man eigentlich von einem ehrgeizigen, an akademischen Fragen interessierten Menschen etwas Schriftliches erwarten würde. Trithemius vertritt die Meinung, dass Sabellicus-Faustus kein ernstzunehmender Akademiker war, und die späteren Zeugnisse unterstützen seine Ansicht.63 Trotz der Bedenken, Magister Georg als Philosoph oder Vertreter der okkulten Wissenschaften ernst zu nehmen, erzählt Trithemius selbst, dass manche geneigt waren, gerade dies zu tun. Ein solcher war Franz von Sickingen, der Amtmann im Bereich Kreuznach, wo er dem Magister Georg die Latein-Lehrstelle anbot.64 In der Person von Franz von Sickingen erscheint in Verbindung mit Magister Georg ein Mäzen, der dessen Fähigkeiten in okkulten Bereichen schätzt und ihn fördert. Ob Faustus in der Alchemie zu Rate gezogen wurde, ist nicht belegbar, aber dass Sickingen die Astrologie verehrte, wird durch handschriftliche Quellen bestätigt. Zu einem späteren Zeitpunkt wird festgehalten, dass Johann Virdung von Hassfurt, eben jener, der Faustus erwartete, ein Horoskop für Sickingen ausstellte.65 Dass Magister Georg eine ähnliche Arbeit auch für Sickingen leistete, ist denkbar. Dass dieser als Latein-Lehrer angestellt wurde, überrascht nicht. Mit der Ausbildung als Magister besaß er sogar reichere Kenntnisse als man in einer Schule in Kreuznach erwarten konnte. Als Lehrer kann er aber nicht lange in Kreuznach gewirkt haben. Für den Schluss seines ausführlichen Berichts reservierte Trithe-
62 Vgl. Jan-Dirk Müller in seiner Rezension: Günther Mahal: Johann Georg Faust (1478–1541). Annäherungen an einen berühmten Unbekannten, Mühlacker-Mühlhausen 2013. In: Arbitrium. Zeitschrift für Rezensionen zur germanistischen Literaturwissenschaft, 2014, S. 64. 63 Andere Astrologen, wie etwa Virdung und Cardano, veröffentlichten viel. Vgl. Max Steinmetz: Johann Virdung von Haßfurt, sein Leben und seine astrologischen Flugschriften. In: HansJoachim Köhler (Hg.), Flugschriften als Massenmedium der Reformationszeit, Stuttgart 1981, S. 353–359 Vgl. auch Anthony Grafton: Cardano’s Cosmos: The Worlds and Works of a Renaissance Astrologer. Cambridge 1999. Wenn man aber die weiteren Quellen beachtet, wird deutlich, warum dieser wandernde Astrolog und Magier, selbst im Vergleich zu Trithemius, und anderen Renaissancemagiern wie Agrippa und Paracelsus, keine schriftlichen Briefe oder Traktate aufzuweisen hatte. Er hat, wie Philip Begardi später feststellte, vieles versprochen, aber nichts Bemerkenswertes geleistet, auch wenn er Gönner gewinnen konnte. Vgl. über Begardi das Kapitel „Ärzte gegen Faustus“ weiter unten. 64 „In ultima quoque huius anni quadragesima venit stauronesum et simili stulticia gloriosus de se pollicebatur ingencia, dicens se in alchimia omnium qui fuerint vmquam esse perfectissimum et scire atque posse quicquid homines optauerint. Vacabat interea munus docendi scolasticum in oppido memorato ad quod Francisci de Sickingen baliui principis tui hominis mysticarum rerum percupidi promocione fuit assumptus“. Trithemius: Epistolae familiares, S. 312–314. 65 Christian Gotthold Neudecker und Ludwig Preller: Georg Spalatins historischer Nachlaß und Briefe. Jena 1851, S. 188.
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mius die gefährlichsten und belastendsten Auskünfte über den Magister, denn dieser Magister habe „mit den Jungen Unzucht zu treiben“, was nach Trithemius zu seiner Flucht geführt habe.66 Hier erfährt man Vorwürfe, die über die Kritik an wissenschaftlicher Sachverständigkeit weit hinausgehen. Ob es sich um eine berechtigte Anschuldigung handelt, ist nicht mehr zu eruieren. Von seinem Kloster in Sponheim hätte Trithemius Nachrichten über solche aufregenden Nachrichten im nahe liegenden Kreuznach bekommen können. Jedenfalls hat der Magister Georg laut Trithemius die Beschuldigung als so gefährlich wahrgenommen, dass er geflüchtet ist. Magister Georg wurde angeklagt, sein Amt zu missbrauchen, und da ihm die Beziehung zu Sickingen in dieser kritischen Lage nicht geholfen hat, kann dies bedeuten, dass er schuldig war, aber es ist auch denkbar, dass es genügte, dass man ihm diese Schuld nur vorgeworfen hat. Die Beschäftigung mit Magie und Nekromantie, verbunden mit einer Anschuldigung im sexuellen Bereich, boten aufregenden Stoff zur Verbreitung eines schlechten Rufes. Dass der in weiten Kreisen bekannte Trithemius derjenige war, der berichtete, könnte dazu beigetragen haben, dass später Beamte in Ingolstadt und Nürnberg von solchen Berichten erfahren haben. Eine schwer zu beantwortende Frage ist, wie viele Menschen dieser gefährliche Bericht von Trithemius erreicht hat. Gedruckt erschien die Briefsammlung erst 1536. Es ist nicht auszuschließen, dass eine Verbreitung durch handschriftliche Kopien (die vatikanische Bibliothek bewahrt eine handschriftliche Kopie der Trithemius-Briefe)67 oder durch mündliche Überlieferung stattfand. Es mag sein, dass diese einseitige Polemik nicht in jeder Hinsicht berechtigt war, aber die strenge Verurteilung durch einen bekannten, wenn auch kontroversen, Gelehrten wie Trithemius bereitete noch radikalere Verurteilungen vor, die während seines Lebens dokumentiert werden. Es wird noch zu zeigen sein, dass eine spätere Nachricht des Jahres 1532 aus Nürnberg dokumentiert, dass Faustus den gefährlichen Ruf „Nigromant und Sodomit“ erhalten hatte. Nach einer Pause von etwa sechs Jahren findet sich die nächste Nachricht über den kontroversen Magus, Astrologen und Chiromanten. Der Skandal in Kreuznach hatte ihn vermutlich gezwungen, sich von der dortigen Gegend fern zu halten. Jedenfalls ist nicht bekannt, dass er jemals dorthin zurückkehrte. In Erfurt kannte man ihn bis dahin offenbar nicht. Er erschien mit geänderten
66 „[...] qui mox nefandissimo fornicacionis genere cum pueris videlicet voluptari cepit: quo statim deducto in lucem; fuga penam declinauit paratam“. Trithemius: Epistolae familiares, S. 312–314. 67 Cod. Pal. Lat. 730, fol. 174–175.
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Namen. Sabellicus oder Faustus iunior war er nicht mehr. Von Faustus iunior blieb nur noch Faustus. Von seinem Besuch in Erfurt berichtet ein Brief von Conrad Mutianus Rufus (1470–1526), einem führenden Humanisten, der den früher als Magister Georg bekannten Astrolog und Chiromanten in einem Wirtshaus beobachtete. Mutianus studierte in Italien und wurde dort von den Neuplatonikern beeinflusst. Aber anders als Trithemius äußerte er sich über philosophische Fragen öffentlich nicht. Er glaubte, dass Gelehrte ihre Geheimnisse nicht preisgeben sollten. Seine philosophische Überzeugung verlangte auch die Verurteilung eines Menschen, der öffentlich über seine Fähigkeiten als Zukunftsdeuter prahlte. Seine Scheu vor öffentlichen Auftritten machte auch die Urteile des Mutianus über den angebenden Chiromant voraussagbar. Er schrieb an seinen Freund Heinrich Urban am 3. Oktober 1513: Ein Chiromant names Georgius Faustus Helmitheus Hedelbergensis [von Heidelberg; F.B.], ein bloßer Prahler und Narr, kam vor acht Tagen nach Erfurt. Seine Kunst wie die aller Wahrsager, ist eitel, und eine solche Persönlichkeit ist völlig bedeutungslos. Die Unwissenden staunen. Gegen ihn sollten sich die Theologen erheben, anstatt den Philosophen Reuchlin wegen seines Augenspiegels vernichten zu wollen. Ich hörte ihn im Gasthaus schwatzen; ich habe seine Anmaßung nicht gestraft, denn was kümmert mich fremde Torheit?68
Statt der Namen Sabellicus und Faustus iunior erscheint hier die ebenfalls verwirrende Kombination von „Faustus Helmitheus Hedelbergensis“. Wie schon erwähnt, könnte hierfür eine fehlerhafte Abschrift der verlorenen Briefe von Mutianus verantwortlich sein. Nach dem Namen Georg Faustus würde man den Hinweis auf seine Herkunft Helmstadt bei Heidelberg erwarten. Da Schottenloher die zuverlässige Aufzeichnung über Georg Faustus von Helmstadt im Wettertagebuch des Killian Leib entdeckt hatte, konnte er logischerweise das Argument vertreten, dass der Abschreiber des Mutianus-Briefes (oder Mutianus selbst) den Hinweis auf das ihm unbekannte Dorf Helmstadt nicht verstanden hatte.69
68 „Venit octauo abhinc die quidam chiromanticus Erphurdiam nomine Georgius Faustus Helmitheus hedelbergensis merus ostentator et fatuus. Eius et omnium diuinaculorum vana est professio et talis physiognomonia leuior typula. Rudes admirantur. In eum theologi insurgant. Non conficiant philosophum Capnionem. Ego audiui garrientem in hospitio. Non castigaui iactantiam. Quid aliena insania ad me?“ Stadt- und Universitätsbibliothek, Cod. Lat. Oct. 8, fol. 96v–97r. 69 Da die Handschrift des Briefwechsels nur als fehlerhafte Kopie überliefert wurde, darf man besonders bei der Angabe des wenig bekannten Dorfes Genauigkeit nicht erwarten. Dies gilt besonders für die Darstellung, dass Mutianus die Herkunft des Faustus präzise in Erinnerung behalten hätte. Karl Schottenloher: Fausts Geburtsort, S. 338. Günther Mahal übersetzt dagegen Helmitheus Hedelbergensis als „Heidelberger Halbgott“. Günther Mahal: Johann Georg Faust
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Dass dieser Mensch hier als Faustus und zugleich als Chiromant auftrat, spricht wiederum dafür, dass er derjenige ist, von dem Suter und Trithemius berichteten. Auch sonst ist die Übereinstimmung mit dem Trithemius-Brief eindeutig: Faustus prahlte auch in diesem Zusammenhang übermäßig, und der Berichterstatter lehnte die Vorstellung des Prahlers als Narrheit ab. Mutianus erinnerte an den Fall des Humanisten Johannes Reuchlin, der von den Theologen angegriffen wurde und meinte, dass Faustus eine bessere Zielscheibe für deren Angriffe gewesen wäre. Der polemische Angriff des Mutianus erinnert an die des Trithemius. Trithemius war offenbar so gut informiert, dass er von Aufenthalten des Magister Georg nacheinander in kurzer Zeit in Orten wie Gelnhausen, Speyer und in Kreuznach erzählen konnte. Der Eindruck entsteht, dass Faustus auch sonst von Ort zu Ort wanderte, so wie die Frühhumanisten, die mit ihren Neuigkeiten zuerst an einzelnen Orten viel Interesse erweckten, aber bald weiterzogen, weil die erhoffte nachhaltigere Unterstützung nicht zustande kam. Man denke an Samuel Karoch, Peter Luder und Jacob Publicius, die praktisch an allen damaligen Universitäten in deutschen Gebieten tätig waren.70 Da solche ausführlichen Berichte wie der des Trithemius sonst fehlen, gibt es größere Zeiträume, in denen man von Faustus gar nichts erfährt. Die Lücken sind groß, und die wichtige Frage ist, ob die einzelnen Textschichten dazwischen schließlich ein sinnvolles Gesamtbild einer Vita ergeben können. Das eindeutig negative Urteil der gelehrten Humanisten Trithemius und Mutianus war nicht das letzte Wort. Der Glaube an Astrologie und Wahrsagerei war in fürstlichen Kreisen und auch der Kirche so stark, dass es nicht überraschen kann, dass der Bischof von Bamberg, Georg Schenk von Limpurg (1470–1522), sich dazu
(1478–1541). Annäherungen an einen berühmten Unbekannten, S. 48. Warum Helmstetter auf Heidelberg verweisen würde, wenn er eigentlich aus Helmstadt stammte, kann man mit Krause erklären: „Es war ziemlich verbreitete Sitte damaliger Gelehrten, statt eines unbekannten Dörfchens die nächstliegende Stadt, namentlich wenn sie zugleich der Ort der Schulbildung war, als Geburtsort zu bezeichnen“. Carl Krause: Helius Eobanus Hessus. Sein Leben und seine Werke. Gotha 1879, Neudr. Nieukoop 1963, I, S. 15. Vgl. Eckhard Bernstein: Mutianus Rufus und sein humanistischer Freundeskreis in Gotha. Köln 2014. 70 Vgl. Heinz Entner: Frühhumanismus und Schultradition in Leben und Werk des Wanderpoeten Samuel Karoch von Lichtenberg. Berlin1968. Frank Baron: The Beginnings of German Humanism: The Life and Work of the Wandering Humanist Peter Luder. Dissertation, University of California, Berkeley, 1966 und Peter Luder: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon 5 (1985), Sp. 953–960 und Ágnes Ritoókné Szalai: Jacobus Publicius művei Mátyás király háborúiról és Vitéz Jánosról az Universitas Histropolitana vonzásában. In: Humanista Történetίrás és neolatin irodalom a 15–18. századi Magyarországon. Budapest 2015, S. 17–24.
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verleiten ließ, den Doctor Faustus um astrologischen Rat zu bitten. Sein Kammermeister Hans Müller berichtet darüber am 12. Februar 1520: X guld[en] geben vnd geschenkt doctor faustus ph[hilosoph]o zuuererung hat m[einen] g[nedigen] herrn eine natiuitet oder Iudicium gemacht. Zalt am sontag nach scolastice.71
Danach steht fest, dass der Bischof sich von dem Astrologen Faustus ein Horoskop stellen ließ, ohne dabei in irgendeiner Weise die Kompetenz des Faustus als Philosoph, Doctor oder Astrologe in Frage zu stellen. Vielmehr zeugt die reichliche Belohnung für die astrologischen Dienste davon, dass der Bischof Faustus Vertrauen schenkte. Er gehörte also einem kleinen Kreis von bekannten Persönlichkeiten (Virdung und Sickingen) an, die bereit waren, Faustus zu konsultieren. Vier weitere Zeugnisse sind noch zu beachten. Zwei davon konzentrieren sich auf den Bereich Ingolstadt und zwei weitere auf Würzburg. Das Ratsprotokoll in Ingolstadt hält fest: Anheut mitwoch nach Viti [17. Juni; F.B.] anno 1528 dem warsager soll befolchen werden, daß er zu der stat ausziech und seinen pfennig anderswo verzer.
Zugleich wird im Protokoll der Verwiesenen verzeichnet: Am mitwoch nach viti Anno 1528 ist ainem der sich genant Doctor Jörg faustus von haidlberg, gesagt daß er seinen pfennig anderswo verzer, und hat angelobt, solche ervorderung für die obrigkeit nit zu anthen noch zu äffern [d.h. zu rächen; F.B.]72
Man erfährt, dass Faustus, fast gleichzeitig, in der Gegend von Ingolstadt weitere Spuren hinterlassen hat. Im Wettertagebuch des Rebdorfer Priors Kilian Leib erscheint eine Aufzeichnung darüber: Am 5. Juni [1528; F.B.] sagte Georg Faustus von Helmstadt: Wenn die Sonne und Jupiter in einem Zeichen sind, dann werden Propheten geboren (das heißt: solche wie er selbst). Er hat behauptet, er sei commendator oder praeceptor des Johanniterordens in Hallestein [i.e. Heilenstein; F.B.] an der Grenze Kärntens.73
71 Baron: Doctor Faustus, S, 99; Baron: Faustus, S. 33–34. 72 Baron: Doctor Faustus, S. 100–101; Baron: Faustus, S. 38. 73 „Georgius faustus helmstet[ensis] quinta Junii dicebat, quando sol et jupiter sunt in eodem unius signi gradu, tunc nascuntur prophete (utpote sui similes). Asserebat se commendatorem seu praeceptorem domunculae Johannitarum in confinis carintiae, quod appeletur hallestein“. Baron, Doctor Faustus, S. 100; Baron, Faustus, S. 37. Karl Schottenloher: Der Rebdorfer Prior Kilian Leib und sein Wettertagebuch von 1513–1531. S. 81–114.
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Das Nebeneinander von der zwei zeitlich und örtlich nahen Aufzeichnungen im Sommer 1528—einmal in Ingolstadt: „Doctor Jörg faustus von haidlberg“ und kurz danach in Rebdorf: „Georg Faustus von Helmstadt“—haben Schottenloher dazu veranlasst, in den Matrikeln der Universität zu prüfen, ob Georg von Helmstadt, jetzt Faustus, dort studiert hat und ob er berechtigt war, sich Doctor zu nennen. Die Ingolstädter Protokolle und Leibs Aufzeichnung liefern zudem einen Beweis dafür, dass Faustus auch zu diesem Zeitpunkt seines Lebens, etwa zwanzig Jahre nach dem Trithemius-Bericht immer noch als Astrolog und Wahrsager aktiv war. Damit verbunden war jedoch sein Prahlen, was Faustus offenbar zur Gewinnung von Kundschaft als notwendig ansah. Killian Leib, wie schon vorher Johannes Trithemius und Mutianus Rufus, sah darin ein unehrliches Werben beim einfachen Volk. Dass Faustus im Johanniterorden eine hohe Stelle bekleidet hätte, hat noch kein Dokument bestätigen können. Dafür hätte er eigentlich von Adel sein müssen. Das übermäßige Prahlen, das Trithemius und Mutianus schon früher kritisiert hatten, war auch auffällig. Es besteht allerdings die Möglichkeit, dass die Beziehungen zum Johanniterorden missverstanden wurden, und dass Faustus lediglich meinte, dass er in diesem Orden eine gewisse Lehrtätigkeit ausgeübt habe. Von Ingolstadt aus wäre auch ein Aufenthalt des viel wandernden Faustus in Nürnberg anzunehmen, aber dort wurde Faustus offenbar nicht zugelassen. In den Nürnberger Ratsverlässen steht: Doctor Fausto, dem großen Sodomiten und Nigromantico zu fur[t] glait ablainen. Burgermeister junior [Hieronymus Holzschuher].74
In dieser Quelle vom 10. Mai 1532 wird festgehalten, dass Faustus in den beiden Bereichen, die Trithemius beschrieben hatte. Zwischen der Zeit des TrithemiusBriefes und dem Eintrag in den Ratsverlässen waren etwa fünfundzwanzig Jahre vergangen, und mehrere Quellen spiegeln Reaktionen, die Faustus mit seiner unsteten Lebensweise herausgefordert hatte. Es ist bemerkenswert, dass in dem Nürnberger Eintrag von einem Sexualvergehen und zugleich von Nigromantie die Rede ist – beides Sachverhalte, die ernste Straftaten andeuten. Gleichwohl handelt es sich hier offenbar um Gerüchte, so dass Päderastie und Nekromantie(bei Trithemius) mit Sodomie mit Nigromantie (in den Ratsverlässen) hier mit polemischer Absicht ein radikal verschlechtertes Bild von Faustus erzeugten. Die Anklage der Teufelsverbundenheit wird angedeutet. Wie solche
74 Der Name des stellvertretenden Bürgermeisters wurde von Matthias Thiel festgestellt und mir vom Nürnberger Stadtarchiv mitgeteilt. Baron: Doctor Faustus, S. 101; Baron: Faustus, S. 38.
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Gerüchte Nürnberg erreichten, ist nicht mehr nachvollziehbar. Eine Beziehung zwischen Trithemius in Würzburg und Willibald Pirckheimer in Nürnberg wird durch einen Briefwechsel belegt. Es ist möglich, dass der Brief des berühmten Trithemius und seine Aussagen über Faustus ohnehin weitergegeben wurden und zu dessen ausgesprochen schlechten Ruf in Nürnberg beitrugen. Zu dieser Zeit war Nürnberg schon im Lager der Protestanten, und diese Tatsache hat für die Entwicklung der Faustus-Legende eine entscheidende Bedeutung. Zwei weitere zeitgenössische Quellen stehen noch für die Rekonstruktion dieses Lebenslaufs zur Verfügung, und sie tragen zu einem etwas positiveren Bild des Faustus bei. Sie spiegeln wieder das Interesse der Zeit für Faustus in einflussreichen Kreisen, wie es schon in den erwähnten Beziehungen zu Franz von Sickingen und dem Bischof von Bamberg zum Vorschein kam. Nach einer dieser Quellen war für Faustus das Jahr 1534, in dem Philipp von Hutten (1505–1546), der Vetter des berühmten Humanisten Ulrich von Hutten, nach Venezuela reiste, eine besondere Herausforderung. Seine Voraussage steht im Zusammenhang mit einem Briefwechsel zwischen Daniel Stibar (1503–1555) und Joachim Camerarius(1500–1574) über das Schicksal des gefährlichen Unternehmens. Seit ihrer Studienzeit in Erfurt verband Stibar und Camerarius, etwa vier Jahrzehnte, eine enge Freundschaft. Befestigt wurde diese durch einen regen Briefwechsel und häufige Zusammenkünfte. Der rege Gedankenaustausch erstreckte sich von persönlichen Fragen über literarische Forschungen bis zu höchst aktuellen religiösen und politischen Kontroversen der damaligen Tage. Stibar blieb ein standhafter Katholik, während Camerarius nach einem Studienaufenthalt in Wittenberg ein glühender Lutheraner wurde. Diese Meinungsverschiedenheit in religiösen Fragen war jedoch kein Hindernis für ihre enge Freundschaft. Im Gegenteil: Der Wunsch, diese Schwierigkeit zu überbrücken, wurde zum Kernpunkt ihrer Gespräche. Zu diesem engen Freundschaftsbund gehörte auch Moritz von Hutten, der gemeinsam mit Stibar an den Universitäten Basel und Freiburg studiert hatte, wo sich beide mit Erasmus anfreundeten. Einzelne Briefe zwischen Stibar und Erasmus sind erhalten.75 Später wurde er, so wie Stibar, Domherr von Würzburg. 1539 wurde Moritz von Hutten Fürstbischof von Eichstätt. Der Domherr Daniel Stibar (auch Stiebar) von Buttenheim war mit Faustus befreundet. Die Beziehungen zwischen den beiden sind über zwei Jahre, etwa 1534-1536, gesichert, aber sie erstreckten sich darüber hinaus wahrscheinlich über einen längeren Zeitraum. Auskünfte über Stibar und Faustus stammen von Camerarius, der in einem Brief auf Faustus hinwies und ihn als Stibars Faustus [„tuus Faustus“] bezeichnete (vgl weiter unten!) Er meint damit, dass Stibar
75 P. S. Allen (Hg.): Opus epistolarum Des. Erasmi Roterdami. Oxford 1922–1928, Bd. 4, S. 615.
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mit den Zukunftsdeutungen des Faustus vertraut war. Darüber hinaus gibt es ein zweites Zeugnis, das indirekt die Vertrautheit Stibars mit Faustus andeutet. Dieses Zeugnis entstand erstaunlicher Weise im weit entfernten Venezuela. In einem Brief Philipp von Huttens (ca. 1511–1546) an seinen Bruder Moritz (1503– 1557) wird von einer Voraussage berichtet, die Faustus über das Schicksal seines Unternehmens abgegeben habe. Die weiteren Zusammenhänge der beiden Zeugnisse verdienen eine genauere Betrachtung. Die drei Freunde, Daniel Stibar, Moritz von Hutten und Joachim Camerarius, waren mit Philipp von Huttens Unternehmen vertraut, und sie zeigten sich ernstlich besorgt. Als junger Mann war Philipp von Hutten in die Dienste des Grafen Heinrich III. von Nassau (1483–1538) getreten und kam mit ihm an den Hof Kaiser Karl V. Camerarius schreibt an Moritz von Hutten über die Verdienste des jungen Ritters: „Dein Bruder genießt großes Ansehen am Hofe Kaiser Karls, Ehrendienst des Geschlechts für das Vaterland—Ehre für sein Geschlecht“.76 In seinen Diensten am Hof gab es Gelegenheiten, von den großen Entdeckungen in dem neuen amerikanischen Kontinent zu erfahren. In diesen Kreisen bekam Philipp die Möglichkeit, an der Expedition der Welsergesellschaft, unter Leitung von Bartholomäus Welser d. Ä., teilzunehmen und dadurch Ruhm und Reichtum zu erlangen. Die Abreise nach Südamerika fand 1534 mit der Absicht statt, Venezuela zu erschließen. Am 5. März 1536 schreibt Camerarius an Stibar über ein Zusammentreffen mit Moritz von Hutten: Wir sprachen wie gewohnt von Verschiedenem, und es ergab sich reichlich Gelegenheit zu Gesprächen über die Briefe seines Bruders Philipp von seiner Reise nach Indien mit der Welserflotte. Von ihm empfing ich dieses Bündel Briefe, um es an Dich weiterzuleiten.77
Camerarius war fest davon überzeugt, dass Philipp mit großem Erfolg zurückkehren würde. Er war bereit, diesen Erfolg nicht nur als Wunsch zu äußern, sondern auch als verbindliche Vorhersage.
76 Im Brief des Jahres 1535 steht: „Frater in augusta Caroli celeberrimus aula, / Gentis honor patriae gentis honorque suae“. Zitiert nach Gisela Schmitt: Alte und Neue Welt: Die Beziehungen des Joachim Camerarius zum Konquistador Philipp von Hutten. In: Rainer Kößling und Günther Wartenberg (Hg.): Joachim Camerarius. Tübingen 2003, S. 310. Vgl. Walter Ludwig: Die Epikedien des Lotichius auf Stibar, Micyllus und Melanchthon. In: Ulrike Auhagen und Eckart Schäfer (Hg.): Lotichius und die römischen Elegie. Tübingen 2001, S. 153–184. 77 „Collocuti (vt solemus) de variis sumus, & praebebatur locuples occasio sermonum de literis Philippi fratris illius proficiscentis cum Velserina classe in Indiam. Ab eo accepi hunc fasciculum literarum curandum tibi“. Zitiert nach Schmitt, S. 322.
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Dieses hat er sich freilich schon mit seinem über sein Alter hinaus tapferen und hohen Mut geschaffen, so daß es scheint, als ob die wankelmütige Göttin ihren Sinn nicht mehr ändern könnte. Was immer nämlich geschieht, soll nach meinem Wunsch und meiner Vorhersage alles glücklich ausgehen.78
Von Philipp von Hutten selbst haben wir eine vorläufige Bewertung des Unternehmens. Sein Kommentar im Brief an Moritz enthält die anders lautende Voraussage von Faustus: Hie habt ihr von allen Gubernationen ein wenig, damit ihr sehet, daß wir hie in Venezola nicht allein bißher unglücklich gewest sein, diese alle obgemelte Armata verdorben seind, [die] innerhalb 3 Monate vor und nach uns zu Sevilla ausgefahren, daß ich bekennen muß, daß es der Philosophus Faustus schier troffen hat, dann wir ein fast [d. h. sehr] bößes Jahr antroffen haben. Aber Gott hab Lob, ist uns fast unter allen andern am besten gangen.79
Für den Lebenslauf von Faustus wäre es nützlich zu wissen, wann und wo genau die Beratung über die Expedition nach Venezuela stattfand. Das ist leider nicht bekannt. Da Camerarius Faustus als einen Freund von Stibar bezeichnet, ist es wahrscheinlich, dass Stibar als Vermittler eine entscheidende Rolle spielte, aber zugleich ist die Beteiligung von Moritz von Hutten, an den Philipp seinen Brief richtete, anzunehmen. Bemerkenswert ist, dass Philipp den Astrologen einen Philosophen nennt, und dadurch zeigt, dass er Faustus als Gelehrten respektierte. So wie in der Begegnung mit dem Bischof von Bamberg gelang es Faustus mit seinem Auftritt als ein ernstzunehmender Gelehrter zu überzeugen. Camerarius meint, dass er als Astrolog und Wahrsager Faustus überlegen sei. Grundlage für seine Zuversicht sind seine außerordentlich gründlichen Kenntnisse der antiken Literatur, die auf diesen Gebieten viel zu bieten hatte. In dem Fall Philipp von Huttens hat er jedoch nicht richtig voraussagen können. Philipp unternahm noch weitere Versuche, ein Land des Goldes, El Dorado, zu entdecken, aber ohne Erfolg. Im Jahre 1547 wurde er von einem spanischen Konquistador überfallen und getötet. Camerarius liefert die Grabschrift für das Grabmal in der Wallfahrtskirche Maria Sondheim in Arnstein in der Nähe von Würzburg. Der Wettbewerb mit Faustus erstreckte sich auch auf Fragen der Politik. Camerarius schreibt im Jahre 1536 an Daniel Stibar: Als der Mond am 4. August in den Fischen gegenüber Mars stand, erlebte ich eine sehr schwierige Nacht. Dein Faustus ist dafür verantwortlich, daß ich auf diese Sachen zu spre-
78 „Quam quidem iam ita ille finxit animo supra aetate forti atque magno, vt instabilissima dea in hoc mutari non posse videatur. Quidquid enim accidat, ego quidem volo ominorque laeta omnia“. Zitiert nach Schmitt, S. 324. 79 Zitiert nach Schmitt, S. 325–326.
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chen komme. Hätte Dir er doch lieber etwas von dieser Kunst beigebracht als Dich mit dem Wind eitlen Aberglaubens vollzupumpen oder ich weiß nicht, was für Blendwerken in Spannung, im Ungewissen zu halten. Aber was sagt er nun? Was gibt es Neues? Ich weiß, dass Du Dich gründlich erkundigt hast. Wird der Kaiser siegen? Das wird in der Tat geschehen müssen.80
In diesem Brief wird offenbar, dass Camerarius schon einiges über Faustus erfahren hatte. Er weiß, dass dieser die akademischen Regeln der Astrologie nicht respektiert. Camerarius meint zu wissen, dass Stibar leichtgläubig Faustus zu viel Vertrauen schenke. Faustus betrieb nach Camerarius nur Abergläubisches, und auf Grund der früheren Zeugnisse kann man vermuten, dass die Chiromantie oder Physiognomie hier wieder im Spiele sind, also eine Bestätigung, dass der Heidelberger Magister Helmstetter, jetzt als Faustus, seine jugendlichen Gewohnheiten als Astrolog und Wahrsager nicht aufgegeben hatte. Wie konnte Camerarius wissen, dass sich Stibar bei Faustus über politische Fragen „gründlich“ erkundigt hatte? Das ist natürlich unbekannt, aber eine solche Behauptung deutet an, dass die Beziehung zwischen Stibar und Faustus nicht auf eine einmalige zufällige Begegnung zurückging, sondern auf einem längeren persönlichen Verhältnis basierte. Camerarius will beweisen, dass seine Methode, die Zukunft vorauszusagen, richtig war. Er will also von Stibar wissen, was Faustus über den Krieg des Kaisers zu sagen hat. Der einzige Brief, der von Stibar aus dieser Zeit erhalten wurde, war etwa im Juli oder August 1536 an Erasmus von Rotterdam gerichtet. Was sollte ich Dir vom Angriff des Kaisers auf den Franzosen schreiben, wo Du dort bist, wo man den Lärm der Kanonen fast hören kann. Ich jedenfalls fühle mich durch solches Durcheinander sehr beunruhigt, umso mehr, glaube ich, Du, in Deinem vorgerückten Alter und Dich nach Ruhe sehnend, die Du auch verdienst [...].81
Stibars Brief, den Camerarius mit eigener Hand kopierte und aufbewahrte, hat aber Erasmus selbst nicht erreicht, denn dieser ist am 11. oder 12. Juli 1536 gestor-
80 „Pridie nonas noctem moestiß. sustinui cum Luna Marti obijceretur in Piscibus. Faustus enim tuus facit, ut tecum lubeat ista disserere, qui utinam docuerit te potius aliquid ex hac arte, quam inflauerit uentulo vanißimae superstitionis, Aut nescio quibus praestigijs suspensum tenuerit. Sed quid ille ait nobis tandem? Quid etiam? Scio enim te diligenter de omnibus percontatum. Caesar ne uincit? Ita quidem fieri necesse est“. Zitiert nach Schmitt, S. 325. 81 „Gallum autem oppugnari a Caesare, quid ego tibi scribam, qui istic es vbi de excercitu bombardarum sonitus propemodum exaudiri possint? Me quidem inter tantos tumultus valde perturbari sentio; quo magis te existimo, aetate prouectum et cupidissimum quietis, atque illa etiam dignissimum: quae etiam si inter haec quoque tibi constiterit […]“. Allen, (Hg.): Opus epistolarum Des. Erasmi Roterdami. Bd. 11, S. 341.
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ben. Der Brief zeigt, dass Stibar, genauso wie Camerarius, über den Krieg mit Frankreich sehr besorgt war. Aber eine Besprechung mit Faustus wurde nicht angedeutet. Zum Ausdruck kommt nur Stibars Wunsch, Erasmus möge trotz des Krieges Ruhe haben. Das Bild eines Wettbewerbs zwischen Faustus und Camerarius ist unvollständig. Vermutlich war die Kritik an Faustus nicht in jeder Hinsicht zu rechtfertigen, denn der Krieg des Kaisers blieb ohne Sieg. Camerarius hinterlässt den Eindruck, dass seine Voraussagen zu sehr durch seine Hoffnungen beeinflusst wurden. Die letzten Hinweise der Zeitgenossen auf den historischen Faustus sind jene von Philipp von Hutten und Joachim Camerarius. Aus diesem Grunde gibt es über den Tod hinaus keine zuverlässigen Nachrichten. Der Arzt Philipp Begardi veröffentlichte (mit Widmung vom 8. Januar 1539) einiges über Faustus in seinem Index sanitatis. Doch er berichtet über Faustus in einer Weise, als ob dieser nicht mehr lebe. Das bedeutet, dass der Zeitpunkt von Faustus’ Tod nicht verlässlich angegeben werden kann. Begardis Aufzeichnungen über Faustus sind nützlich, um den Zeitpunkt des Todes annähernd zu schätzen, also ca. 1536–1538. Trotz der beträchtlichen Lücken in der Faustus-Vita geben die Quellen zu verschiedenen Phasen seines Lebens Anhaltspunkte. Obwohl er sich gegenüber seinen Zeitgenossen vor allem als Astrolog vorstellte, wird erkennbar, dass er zur Prahlerei neigte: er habe in den okkulten Wissenschaften reiche Kenntnisse. Trithemius berichtete, dass Faustus auch als Magus viel von sich hielt. In Nürnberg sah man ihn auch als Nigromant. Eine solche Bezeichnung konnte damals eine Verwandtschaft mit der gefürchteten, teuflischen Zauberei andeuten, aber darüber geben die wenigen Quellen keine Auskunft. Kühne Behauptungen provozierten. Faustus wurde sowohl bewundert als auch streng kritisiert. Erfolg hatte Faustus zunächst mit seiner Astrologie (zum Beispiel bei dem Bischof von Bamberg und Daniel Stibar und Philipp von Hutten), aber die Beobachtungen (vor allem von Trithemius und von Stadtbeamten in Nürnberg und Ingolstadt), deuten an, dass er in anderen Bereichen der okkulten Wissenschaften nur prahlte. Trithemius meinte, dass Franz von Sickingen Faustus förderte, weil er von diesem von seinem okkulten Wissen profitieren könnte. Zu seinen Lebzeiten kritisierte man aber solche Bemühungen streng, wie es auch Trithemius tat. Kombinationen der Mantik mit Magie sorgten für einen schlechten Ruf, ohne ausdrücklich von einem teuflischen Treiben zu sprechen. Trotz dieser Tendenzen, Faustus zu kritisieren (Trithemius, Mutianus, Leib und Camerarius) oder zu verurteilen (Nürnberger Ratsverlässe), fehlt dabei die ausdrückliche Beschuldigung, Faustus habe etwas mit dem Teufel zu tun. Keiner behauptete, dass er mit dem Teufel paktiere. Faustus erschien seinen Zeitgenossen im schlimmsten Fall als kurioser oder sogar als unangenehmer Mensch, nicht jedoch als Verbündeter des Teufels.
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Das Bild des Faustus regte jedenfalls immer wieder das öffentliche Interesse an. Er lebte ja am Ausgangspunkt jener Linien, die zum Faustbuch führten. Jenes Buch stellt aber mythische Züge der Fausterzählung als abgeschlossen dar. Die Beantwortung der Frage, wie es dazu kam, verlangt eine ausführliche Betrachtung eines Zeitraums von etwa fünf Jahrzehnten bis zum Erscheinen des Bestsellers im Jahre 1587.
*** Soweit die zeitgenössischen Quellen. Als Camerarius 1536 den erwähnten Brief an Stibar schrieb, muss Faustus schon etwa siebzig Jahre alt gewesen sein. Dieses Alter war recht hoch in der damaligen Zeit. Die Zimmerische Chronik (ca. 1565), die lange nach seinem Tod entstanden ist, behielt in Erinnerung, dass Faustus „letzstlich in der herrschaft Staufen im Preisgew in großem alter vom bösen gaist umbgebracht worden“. Der Hinweis auf das hohe Alter ist zutreffend. 82 Mit der Zimmerischen Chronik befindet man sich in einem Bereich, wo die mündliche Überlieferung einiges aus der Zeit des historischen Faustus erhalten hat. Gerhard Wolf, der beste Kenner der Zimmerischen Chronik, stellt fest: Die Faust-Figur ist nämlich zunächst nur Beleg für Frobens These von der Gefährlichkeit der Nigromantie und als solche kann sie nach dem Verständnis der Chronisten nur dann als authentisch gelten, wenn sie mit konkreten Fakten verbunden ist.83
Bereiche, wo Tatsachen und Gerüchte nebeneinander erhalten werden, gibt es schon in den zeitgenössischen Quellen, wie etwa in dem Brief des Trithemius und im Eintrag des Nürnberger Stadtrates. Die Folgen davon kamen bald in Wittenberg zum Ausdruck. Man beobachtet von Nürnberg nach Wittenberg eine radikale Veränderung im Faustus-Bild, das über die Polemik des Trithemius und des Nürnberger Rates weit hinausging. Was aber hier noch eine unbegründete Annahme und Beschuldigung war, wurde dort schon als eine Tatsache gesehen. In der Zeit seiner Begegnungen mit Daniel Stibar und Philipp von Hutten fällt der Hinweis auf eine Voraussage von 1535 über die Beendigung des WiedertäuferAufruhrs in Münster. Berichtet wurde damals Folgendes:
82 Zimmerische Chronik. Hg. von Karl Barack und Paul Herman. Meersburg am Bodensee 1881– 1882, I, S. 577. 83 Gerhard Wolf: Von der Chronik zum Weltbuch. Sinn und Anspruch südwestdeutscher Hauschroniken am Ausgang des Mittelalters. Berlin 2002, S. 283.
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Zu dieser Zeit sagte jener bekante Schwarzkünstler [Nigromanticus] Dr. Faustus, der an eben jenem Tage in Korbach abstieg, voraus, dass die Stadt Münster in der gleichen Nacht mit Gewalt vom Bischof sicherlich erobert würde“.84
Die Adresse des vermutlichen Versuchs, einen Gönner zu gewinnen, war die des Bischofs von Münster, des Grafen Franz I. von Waldeck, dem dieser Teil der Chronik gewidmet war, oder eines Beamten in seinem Umkreis. Damit verbunden war der vermutliche Aufenthalt des Faustus in Korbach, knapp 60 Kilometer westlich von Kassel. Die Quelle dafür ist aber eine Chronik des Jahres 1648, verfasst von Daniel Prasser. Aufgrund seiner Untersuchung musste Hans Henning mit Bedauern feststellen: Da wir die Quellen Prassers nicht kennen, können wir den Wahrheitsgehalt der Prasserischen Chronik auch nicht beurteilen.85
Auch Günther Mahal hat Zurückhaltung gezeigt: Die Chronik Daniel Prassers [...] datiert von der Mitte des 17. Jahrhunderts und berichtet im Falle Fausts über etwas, das 115 Jahre zurückliegt.86
Trotz der gerechtfertigten Bedenken hat Wolfgang Medding noch einmal gründlich untersucht, ob Prasser als zuverlässiger Historiker gelten könne und ob ihm die Quellen, die für einen verlässlichen Bericht vorausgesetzt werden müssten, tatsächlich zur Verfügung standen. Zunächst betrachtete er den biographischen Hintergrund und die Herkunft. Der Autor der Chronik, Daniel Prasser, war Rat bei den Grafen von Waldeck. Er wurde 1574 zu Niederwildungen geboren, studierte 1592 in Marburg, promovierte 1595 in Helmstedt, wurde 1617 Bürgermeister in Niederwildungen und 1638 gräflich Waldeckscher Kanzleirat. Sein Vater war der Stadtschultheiß Wolf Daniel Prasser (†1597) in Niederwildungen. Am selben Ort lebte der Großvater, der gräfliche Bergmeister Wolf Prasser (†1571). Die Herkunft
84 […] 23. Jan, an 1535, quo tempore insignis ille Nigromanticus D. Faustus eo ips die Corbachii diuertens, praedixit, fore nimirum, eadem nocte vrbs Munster ab episcopo expugnetur“. Das Datum, das dem Faustus-Text vorangeht, stimmt für das Ende des Wiedertäuferreiches allerdings nicht. Es muss 25. Juni 1535 heißen! 85 Chronicon Waldeccense Danielis Prasseri, Wildungensis, Comitum Waldeccensium Linea vildungensis Consiliarij ex Archivis, M[anuscriptis] aliisque Authoribus conge(s)ta et in ordinem redacta A[nno]. 1648. In: Simon Friedrich Hahn: Collectio Monumentorum. Braunschweig 1724. Vgl. Hans Henning: Zu einem von Kipppenberg mitgeteilten Faust-Splitter. In: Weimarer Beiträge. Zeitschrift für deutsche Literaturgeschichte 3 (1957), S. 512–515. 86 Mahal: Faust. Spuren eines geheimnisvollen Lebens. S. 206–208.
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Geschichte
aus dem Gebiet Wildungen ist beachtenswert, da hier, wie die Chronik gleich nach dem Eintrag über Faustus festhielt, Bischof Franz seiner Gesundheit wegen in Wildungen zu baden gewohnt war. Nach der Untersuchung der Handschriften dieser Chronik fand Medding heraus, dass die Originalhandschrift Prassers noch vorhanden war und dieser den Eintrag über Faustus selbst vorgenommen hatte. Die Manuskripte selbst enthalten zahlreiche Verbesserungen und Ergänzungen. Zu diesen nachträglich, doch von gleicher Hand vorgenommenen Ergänzungen gehört auch die Stelle über das Auftreten und die Weissagungen des Dr. Faust in Korbach.87
Auch die relevanten Aufzeichnungen des örtlichen Archivs konnte Prasser leicht konsultieren, denn „als gräflich Waldeckischem Rat und Bürgermeister seiner Vaterstadt Wildungen mußte ihm das Material des gräflichen Archivs schon von Amts wegen zur Verfügung“ gestanden haben.88 Darf man also davon ausgehen, dass sich Faustus in Korbach aufhielt, vielleicht mit der Hoffnung, die freundliche Zuneigung des Bischofs und seiner Beamten mit seiner Ankündigung des ersehnten Triumphes zu gewinnen? Ein gewisses Maß der Unsicherheit bleibt, trotz der nützlichen Forschungen Meddings. Man kann nicht absolut sicher sein, wie die Nachricht über Faustus vermittelt wurde. Hat Prasser eine urkundliche Aufzeichnung gesehen? Hat er die Nachricht nur etwa von seinem Vater oder anderen gehört? Obwohl die Unsicherheit nicht zu vermeiden ist, kann man feststellen, dass der kurze Text ziemlich sachlich berichtet, ohne die Absicht, eine bestimmte Meinung gegen Faustus oder für Prasser zu verbreiten. Nur die Bezeichnung Nigromanticus verrät, dass der Ruf des Faustus schon gelitten hatte, wofür Trithemius oder der Ratsbeschluss in Nürnberg frühe Zeugnisse lieferten. Mit einem gewissen Vorbehalt verdient es diese Quelle, neben den zeitgenössischen Quellen als Ergänzung genannt zu werden. Die Aktivität des Astrologen passt zu dem, was von Camerarius und Hutten bekannt geworden ist.
87 Wolfgang Medding: Daniel Prassers Nachricht über Dr. Fausts Aufenthalt in Korbach und ein Faust-Splitter Kippenbergs. Eine Antwort an Hans Henning. In: Geschichtsblätter für Waldeck 50, 1958, S. 115–119. 88 Medding, S. 118.
Der historische Doctor Faustus
Zeit:
1491
1507
Name:
Helmstetter
Vorname:
47
1513
1520
1528/ Juni/ Juli
Sabellicus Faustus junior
Faustus
Faustus
Faustus
Faustus
Georgius
Georgius
Georgius
-------
Jörg/ Georg
-------
Herkunft:
Helmstadt/Heidelberg
-------
Helmithius/Hedelbergensis
-------
Haidlberg/ Helmstet[ensis]
-------
akad. Grad:
Magister
Magister
-------
Philosoph/ Doctor
Doctor
Doctor/ Philosoph
Berufsangabe:
Astrolog/ Chiromant
Astrolog/ Chiromant
Chiromant
Astrolog
Wahrsager/ Astrolog
Nigromant/ Astrolog
Tab. 1: Faustus in zeitgenössischen Quellen
1532/ 1534-1536/ 1540
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Geschichte
A. Exkurs I. Namenwechsel: Luther und Faustus Da er anscheinend gar nichts veröffentlicht hat, gibt es wenige zuverlässige Berichte oder Dokumente über das Leben des historischen Faustus. Man ist gezwungen, sogar über seinen Namen zu spekulieren. Er heißt zwar meistens einfach Faustus, aber im ausführlichsten Zeugnis von Trithemius sieht man eine Reihe von Namen, die sonst nicht belegt werden. Wie ist dieses Namenrätsel zu erklären? Als Folge der humanistischen Bewegung war in der frühen Neuzeit der Namenwechsel oft zu beobachten. Der Namenwechsel Luthers bietet ein ideales Beispiel zum Vergleich, weil die Umstände, wie und warum dieser Wechsel stattfand, ausführlich belegt sind. Die Beiträge von B. Moeller/K. Stackmann, Helmar Junghans, Thorsten Jacobi und Jürgen Udolph leisten dabei sehr nützliche Hilfe.89 Der Wechsel von Luder zu Luther wird zunächst von Udolph wie folgt überzeugend erklärt: Den Grund für diese Änderung sehe ich in der Tatsache, dass die Form Luder dem Niederdeutschen entstammt, Luther dagegen von Sprechern in dieser Zeit dem Hochdeutschen zugerechnet wurde. Luther kannte beide Sprachen, Zeit seines Lebens war er mit den beiden Sprachformen vertraut. Und beide wurden auch noch in Wittenberg gesprochen, allerdings bediente sich die Oberschicht, zu der Martin Luther natürlich gehörte, des Hochdeutschen, während das einfache Volk niederdeutsch sprach. [...] Eine Rolle bei seiner Namensänderung könnte aber gespielt haben, dass er, nachdem er mit der Veröffentlichung seiner 95 Thesen (z.B. durch einen Brief vom 31. Oktober 1517, den er an seinen kirchlichen Vorgesetzten geschickt hatte) weiten Kreisen bekannt geworden war, anzügliche Bemerkungen zu seinen ursprünglichen Namen Luder umgehen wollte. Frühneuhochdeutsch luder bedeutete u.a. „Verlockung, betrügerisches Anschlag, Hinterhalt; liederliche Lebensführung, der Üppigkeit, dem Wohlleben, Schwelgen, Schlemmen verfallenes ... Lotterleben usw.90
Diese Erklärung kann befriedigen, wenn man den Blick nur auf den Luder/ Luther-Wechsel richtet. Aber das Besondere in diesem Fall ist der Umstand eines gleichzeitigen Wechsels zum griechischen Eleutherius, zu einem Namen, den er in 27 Briefen an gelehrte Freunde richtete: an Spalatin (17), Lang (7), von Staupitz (1), Egranus (1), Melanchthon (1). Diese Briefe verschickte Luther im Zeitraum
89 Bernd Moeller und K. Stackmann: Luder-Luther-Eleutherius. Erwägungen zu Luthers Namen. In: Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Phil-Hist. Klasse 1981, Nr. 7; Helmar Junghans: Der Junge Luther und die Humanisten, Göttingen 1985; Thorsten Jacobi: Christen heißen Freie“. Luthers Freiheitsaussagen in den Jahren 1517–1519. Tübingen 1997; und Jürgen Udolph: Martinus Luder–Eleutherius–Martin Luther: Warum änderte Martin Luther seinen Namen? Heidelberg 2016. 90 Udolph, S. 138–139.
Der historische Doctor Faustus
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November 1517 bis Januar 1519, also praktisch zeitgleich mit dem Wechsel von Luder zu Luther.91 Luder
bis 13. Jan. 1518
Luther
20. Aug. 1517 bis 1546
Thesenanschlag
31. Aug. 1517
Eleutherius [ἐλευϑέριος]
11. Nov. 1517 bis 24. Jan. 1518
Die genaue Bedeutung dieses zusätzlichen Wechsels hat die Forschung nicht eindeutig feststellen können. Wenn man die Beziehungen Luthers zur humanistischen Bewegung ernst nimmt, wie es Helmar Junghans getan hat, wird offensichtlich, dass die in Erfurt oft zu beobachtende humanistische Namenmode und die dort angeeignete antischolastische Einstellung 1517 Luther dazu hätte bewegen können, diese oder in den 95 Thesen stehende Überzeugungen durch einen Namenwechsel auszudrücken. In diesem Sinn könnte Eleutherius die Notwendigkeit andeuten, sich von herrschenden Irrtümern zu befreien.92 Viele Vorbilder der humanistischen Namenbildung standen Luther zur Verfügung. Junghans hat einige genannt. Georg Burckhardt aus Spalt in Nürnberg nannte sich nach seinem Geburtsort Spalatinus. Der Bauernsohn Eoban fügte seinem Namen einen Hinweis auf seine Heimat, Hessus, hinzu und stellte noch den Namen des griechischen Sonnen- und Dichtergottes, Helius, voran, weil er an einem Sonntag geboren war. Konrad Muth aber verwandelte seinen Familiennamen in Mutianus. In diesen Brauch fügt sich Luthers Verhalten vollständig ein.93
Man sieht an diesen Beispielen, dass Namenwechsel sehr verschieden ausfallen konnten. Die Gleichzeitigkeit von Luthers Wechsel mit dem Thesenanschlag muss an diesem kritischen Zeitpunkt seines Lebens ernst genommen werden. In diesem Zusammenhang ist eine Abweichung von Luther und Eleutherius in den Briefen an die gelehrten Freunde beachtenswert. In der zweiten Hälfte März 1517 benutzte Luther an Spalatin die Unterschrift „Êluther“.94 Damit schien Luther die Austauschbarkeit dieser zwei Namen anzudeuten. So wie Luther mit Eleutherius eng zusammenhängt, soll man den Grund für deren Vorstellung von dem gleich-
91 Ebd., S. 51–55. 92 Vgl. das Zitat von Jacobi oben. 93 Junghans, S. 309. 94 Udolph, S. 58.
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Geschichte
zeitigen Thesenanschlag nicht trennen. Die programmatischen und spielerischen Aspekte gehörten zusammen. Die Sache der Namen wurde aber offenbar dem Thesenanschlag unterordnet. Obwohl Luther sich dabei der humanistischen Mode bediente, war er weit davon entfernt, sich als Humanist zu verstehen. Diese Zurückhaltung kann erklären, warum er das Experiment einer Gräzisierung seines Namens nur einem kleinen Kreis bekannt machte und bald danach auch aufgab. Luthers Umgang mit Namen soll dazu beitragen, den Namenwechsel auch im Falle Faustus verständlich zu machen. Zu einem wichtigen Zeitpunkt seines Lebens, den Begegnungen mit Trithemius und Sickingen, hat dieser Magier und Astrolog bestimmte Namen kurzfristig angenommen. Auch diese Namen markierten einen Übergang. Der Mensch, den man in Heidelberg vorher nur als Magister Georgius Helmstetter kannte, hat sich Jahrzehnte später in Faustus umgetauft. Die Anekdoten von Trithemius belegen, dass diese Namenwechsel wie eine Werbung funktionierten. So wie bei Luther hatten die Namen die Aufgabe, ein möglichst breites Publikum zu erreichen. Im Falle Faustus ging es jedoch nur um Gelderwerb, während Luther so eine ernste Mission unterstützen wollte. Der Name Sabellicus der Visitenkarte, in Kombination mit „Faustus iunior“, „magus secundus“ und „in hydro arte secundus“ bot ein Rätsel-Spiel, das zum Schluss auch, wie im Fall Eleutherius, einen geschickten Gelehrten vorstellen sollte. Vermutlich wurde Luther durch seine Bescheidenheit und seine Vorbehalte gegenüber dem Humanismus davon abgehalten, den Namen Eleutherius weiterhin zu behalten. Die Anklage der Päderastie hat den Namen „Sabellicus Faustus iunior“ ein endgültiges Ende bereitet. Die Namen, mit denen er sich Trithemius vorstellte, wurden vergessen und einfach durch Faustus ersetzt. In einer Zeit, wo unter Gelehrten Namenwechsel Mode waren, haben Luther und Faustus damit nicht nur Rätsel geschaffen, sondern auch biographische Ergänzungen geboten.
Der historische Doctor Faustus
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B. Exkurs II. Kontroverse über den historischen Faustus Die Frage nach einem historischen Faust geht weit zurück, sogar noch vor Goethes Faust-Dichtung, bis ins 17. Jahrhundert. Damals hatte ein Wittenberger Professor namens Johann Georg Neumann, entdeckt, dass die literarische Faust-Tradition sehr wahrscheinlich einen historischen Anfang hatte. Er hat vermutlich als erster die These vertreten, dass die historische Faustgestalt von Johannes Manlius, dem Schüler Philipp Melanchthons, identifiziert wurde, und zwar als Johannes Faustus von Cundling (heute: Knittlingen), einem kleinen Ort in der Nähe von Melanchthons Heimatstadt Bretten.95 Seither hat sich die Vorstellung gehalten, dass Faustus und Knittlingen zusammengehören würden. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts ist dann der in Bad Kreuznach bekannte Brief von Trithemius aufgetaucht. Dieser Brief hat der Forschung über den historischen Faustus neue Perspektiven eröffnet und die Zuverlässigkeit der Auskünfte von Manlius in Frage gestellt. Das hat Joseph Görres zu Beginn des 19. Jahrhunderts schließlich dazu veranlasst, in Trithemius’ Darstellung den eigentlichen historischen Faustus identifiziert zu sehen.96 Das Interesse unter Historikern wurde geweckt, denn in den folgenden Jahren entdeckte man eine ganze Reihe von zeitgenössischen Zeugnissen, die eher dem Trithemius-Brief als dem Manlius-Text entsprachen. In der Folge entstanden diverse Artikel über den historischen Faustus, sodass das Wissen um Georg Faustus wesentlich vertieft wurde. Etwa sieben zeitgenössische Zeugnisse gesellten sich zu dem des Trithemius. Dieses behutsam verbreitete und mit soliden Quellen fundierte Bild geriet aber nach dem zweiten Weltkrieg in Bedrängnis. In einem Kreis von Faust-Experten in Knittlingen war man fest davon überzeugt, dass die früheren Quellen, vor allem der Text von Johannes Manlius, ein starkes Votum für Knittlingen als Fausts Geburtsort darstellen würden. Der führende und energischste Vertreter dieser Bewegung, Knittlingen als Faust-Stadt zu etablieren, war Karl Theens, früher Ober-Ingenieur bei Siemens, Sammler von wertvollen Faust-Handschriften und Büchern. Sein Ziel war es, ein Museum zu errichten, das nicht nur die historische Faust-Gestalt vorstellen sollte, sondern auch die Dichtung Goethes und auch die zugehörige internationale Faust-Literatur. Gleich nach dem Zweiten Weltkrieg veröffentlichte Theens eine Schrift, die die Grundzüge seines Plädo-
95 Johann Georg Neumann: Faustdruck von 1693. Hg. und übersetzt durch Karl Theens. Mainz 1973. 96 Heinrich Düntzer: Die Sage von Doctor Johannes Faust. In: Johann Scheible: Das Kloster. Stuttgart 1846, S. 17.
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Geschichte
yers für Knittlingen enthielt. Darin äußerte er auch die Absicht, den historischen Faust „von den hergebrachten Anschauung, Faust sei ein Scharlatan und Betrüger gewesen, freizumachen“.97 Die Vision eines Faust-Museums wurde im September 1953 verwirklicht. Ein Faustdenkmal vor dem Knittlinger Rathaus wurde im folgenden Jahr enthüllt. Seit jener Zeit erschienen auch die Blätter der Knittlinger Faust-Gedenkstätte. Das Knittlinger Faust-Projekt wurde wesentlich befördert durch einen „Brückenschlag“ nach Weimar in der damaligen DDR, wo unter der Leitung von Hans Henning die größte Faustsammlung der Welt verwahrt wurde. Ständige Kontakte zu Hans Henning führten dazu, dass der Leiter der Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten in Weimar mehrmals nach Knittlingen eingeladen wurde.98 Seit 1956 verzeichnete Henning in seiner Faust-Bibliographie die Blätter und mehrere Veröffentlichungen aus Knittlingen.99 Der entscheidende Wendepunkt in den Wandlungen des historischen FaustBildes war Hans Hennings ausführlicher Beitrag über „Faust als historische Gestalt“. Henning hielt einen Vortrag über dieses Thema schon im Februar 1958. Der Vortrag erschien gedruckt im folgenden Jahr.100 Am Anfang seines Beitrags schrieb Henning: „Ich halte mich in erster Linie an die Quellen, die vor Fausts Tod entstanden, bzw. die in die Zeit vor 1540 zurückreichen, wobei urkundliche Belege und Erwähnungen in der gedruckten Literatur herangezogen werden. Spätere Zeugnisse müssen als weniger zuverlässig und bereits von der Anekdotenbildung beeinflusst angesehen werden“.101 Henning hat sich aber an dieses Versprechen nicht konsequent gehalten. Er stellte in der Tat zunächst drei urkundliche Zeugnisse vor: 1. Das Archiv von Bamberg verzeichnet den Befehl des Bischofs, dass im Jahre 1520 dem Philosoph Doctor Faustus für ein Horoskop zehn Gulden bezahlt werden sollen. 2. Acht Jahre später steht im Archiv von Ingolstadt, dass Doctor Jörg Faustus von Heidelberg, der Wahrsager sein soll, aus Ingolstadt verwiesen werden sollte.
97 Karl Theens: Zwanzig Jahre Faust-Gedenkstätte Knittlingen. In: Günther Mahal (Hg.): Ansichten zu Faust. Stuttgart 1973, S. 250. Vgl. Karl Theens: Doktor Johann Faust. Geschichte der Faustgestalt vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Meisenheim am Glan 1948. 98 Theens: Zwanzig Jahre Faust-Gedenkstätte Knittlingen, S. 262. 99 Henning: Faust-Bibliographie. Berlin 1966, Nr. 61, 66, 254, usw. 100 Henning: Faust als historische Gestalt, S. 107–139. 101 Ebd., S. 107.
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3. 1532 soll Doctor Faustus eine Bitte um Geleit an die Stadt Nürnberg gerichtet haben. Er wurde abgewiesen, weil man zu wissen glaubte, dass er Nigromant und Sodomit sei. Auf eine Analyse dieser gesicherten Tatsachen hat Henning jedoch verzichtet. Stattdessen tat er etwas Unerklärliches in dem sonst wissenschaftlich argumentierenden Artikel. Im zweiten Teil seines Beitrags fügte Henning ein viel späteres Zeugnis in seine Darstellung ein, die biographische Skizze von Johannes Manlius, obwohl dieser Text erst 1562, etwa zwanzig Jahre nach dem Tod Fausts, entstanden ist. Warum tat er das? Er schrieb, dass die Matrikeln von Heidelberg einen „Johann Faust von Symmern“ kannten, der 1509 Bakkalar wurde. Hier erkennt man einen unbegreiflichen Wendepunkt in Hennings Beweisführung. Henning erklärte nicht, was dieser Student mit dem Faustus der Urkunden zu tun hat. Es gibt keine Übereinstimmung zwischen Matrikeln und Urkunden. Die Matrikeln berichten von einem Johann, nicht Georg, und von einem Faust, nicht Faustus. Der Brief des Trithemius, bestätigt außerdem, dass Faustus sich schon als Magister bezeichnete, und nicht als Bakkalar. Henning hätte also die Matrikeln nicht dazu verwenden dürfen, den späten Text von Manlius als zeitgenössisches Zeugnis heranzuziehen. Henning meinte, dass Melanchthon, der auch in Heidelberg studiert hatte, diesen Johannes Faust gekannt haben muss und er deshalb vermutlich seine Herkunft Manlius mitteilen konnte. Ein Beweis dafür fehlt. Henning stellte am Ende dieser fehlerhaften Argumentation fest: „Diese Erklärung lässt es zu, Knittlingen als den Geburtsort Fausts anzusehen. Die Berechtigung der Faust-Gedenkstätte im dortigen Rathaus kann somit anerkannt werden“.102 Natürlich kann ein Museum für die Faust-Legende und Goethes Faust auch ohne die unhaltbare These über die Geburtsfrage seine Berechtigung haben. Insoweit die frühe Erzählung von einem Johann Faustus von Cundling [Knittlingen] in der Entwicklung der Faust-Legende eine entscheidende Rolle spielte, bleibt die Bedeutung dieses Ortes für die Faust-Literatur zweifellos bestehen. Da über den historischen Faustus jedoch zuverlässige Zeugnisse vorhanden sind, darf man diese aus Helmstadt stammende Gestalt nicht mit anekdotenhaften Erzählungen aus einer späteren Zeit vermischen.
***
102 Henning: Faust als historische Gestalt, S. 114. Günther Mahal ist seit den 1970er Jahren der entschiedenste Vertreter der Knittlinger These.
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Geschichte
Hans Hennings These eines Knittlinger Geburtortes für den historischen Faust wurde von Günther Mahal, dem ersten Leiter des Knittlinger Faust-Museums und Archivs, mit Nachdruck gefördert. In den Jahren seiner Amtszeit, von 1979 bis 2001, hat Mahal eine eindrucksvolle Sammlung über die gesamte Faust-Tradition aufgebaut und viele Bücher zum Faust-Thema veröffentlicht. Zur Eröffnung des Museums erschien sein Buch Faust. Spuren eines geheimnisvollen Lebens.103 1998 hat Mahal eine große Sammlung von 58 Untersuchungen herausgegeben, ein Buch von 803 Seiten, wovon ein Teil dem historischen Faust gewidmet war.104 Im Vorwort dieses Buches wurde die „wissenschaftliche Lebensleistung“ des „weit verdienteren Kollegen“ Hans Henning hervorgehoben. Mahal sah sich im gewissen Sinn als Hennings Nachfolger. In diesen Untersuchungen, wie auch in seinem vor kurzem erschienenen Buch, geht Mahal davon aus, dass Faust[us] in Knittlingen geboren wurde.105 Mahal schreibt: „Getauft wurde am 23. April 1478—davon ist auszugehen— der neugeborene Johann Georg Faust“. (Johann Georg Faust, S. 54) Wieso kann er das mit einer solchen Genauigkeit wissen? Eine zeitgenössische Quelle aus dem Jahre 1528, die Aufzeichnung über Faust[us] von Kilian Leib, dem Prior von Rebdorf, war die Grundlage für Mahals Aussage. Seine Interpretation, „Fausts Geburtstag. Eine Hypothese“, stellte er schon 1979 vor.106 Auf die Wirkung seiner Hypothese kam Mahal 1997 zurück und stellte fest, dass sie „breite Zustimmung gefunden“ habe107 und er sich darum wohl erlauben könne, die Hypothese als bewiesen anzusehen. Indessen stützte sich diese Hypothese auf eine unsichere Basis. Mahal meinte, dass die von Kilian Leib überlieferte Behauptung, dass „beim Stand von Sonne und Jupiter“ Propheten geboren würden, auf Faust[us] selbst bezogen werden könnte. Im Text steht nicht, dass Faust[us] über sich selbst sprach, sondern dass in der Zukunft Propheten geboren würden. Wenn Leib zur Faust[us]’ kühner Voraussage hinzufügt: solche wie er („utpote sui similes“), meint Mahal, dass Faust in diesem Zusammenhang einen zukünftigen Propheten verkündete und zugleich über sich selbst prahlen wollte, dass er selbst als solcher geboren wurde. Nicht nur das, Faust[us] habe mit einer solchen Mittei-
103 Gunther Mahal: Faust. Spuren eines geheimnisvollen Lebens. Bern 1980. 104 Günther Mahal: Faust. Untersuchungen zu einem zeitlosen Thema. Vaihingen/Enz 1998. 105 Mahal: Johann Georg Faust (1478–1541). Annäherung an einen berühmten Unbekannten. Mühlacker-Mühlhausen 2013. Mahal verwendet konsequent den Namen Faust, obwohl in den zeitgenössischen Quellen Faustus steht! 106 Mahal, Günther. Fausts Geburtstag. Eine Hypothese. Knittlingen 1979. Vgl. Mahal: Faust. Untersuchungen, S. 59–68. 107 Günther Mahal: Faust. Und Faust. Der Teufelsbündler in Knittlingen und Maulbronn. Tübingen 1997, S. 42.
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lung auch heimlich seinen eigenen Geburtstag, der angeblich auch zum Zeitpunkt der Zusammenkunft von Sonne und Jupiter stattfinden sollte, bekanntmachen wollen. Diese äußerst komplizierte Konstruktion hat keinen festen Halt im Wortlaut des Textes. Die Hypothese ist eine gewagte Spekulation. Beweise fehlen. Dieselbe Mitteilung von Kilian Leib, aufgezeichnet am 17. Juni 1528, ist bemerkenswert, weil sie den Namen Faustus in einer Form angibt, die von der These Mahals, Faust[us] sei in Knittlingen geboren, abweicht: „Georgius Faustus Helmstetensis“.108 Es ist eine Tatsache, dass Leib wenig erklärt. Wahrscheinlich wurde er über weitere Einzelheiten gar nicht informiert. Dass Faustus gelogen habe, wie Mahal meint, kann auf Grund dieses kurzen Textes nicht behauptet werden. Da Leib unsicher ist, ob sich Faustus als „Commendator“ oder „Präzeptor“ vorstellte, wäre zu überlegen, ob die Bezeichnung Praeceptor auf Faustus nicht doch genau passen könnte. Er nannte sich ja gegenüber Trithemius Magister der Philosophie und hat eine Zeit lang als Lehrer in Kreuznach gewirkt. Ist es nicht denkbar, dass er wieder in einer solchen Funktion in Heilenstein angestellt wurde? Wenn man die Aussagekraft dieses Zeugnisses nicht allzu sehr strapaziert, bleibt der Name „Georg Faustus Helmstetensis“ bestehen und erhält darüber hinaus durch die Protokolle der Stadt Ingolstadt einige Tage später, am 17. Juni 1528, Bestätigung. In Ingolstadt heißt derselbe Mensch Doctor Jörg Faustus von Heidelberg. Weil Faust[us] nicht immer annehmen konnte, dass jeder das Dorf Helmstadt kennen würde, war es logisch, dass er zwischen den Ortsangaben Helmstadt und Heidelberg hin und her wechselte. Die These, dass der historische Faust aus Helmstadt bei Heidelberg stammt, wird durch zwei zugleich nah bei einander entstandene Quellen wahrscheinlich gemacht. Die Tatsache, dass Faust sich als einer von Heidelberg bezeichnet, wird in dem Brief von Mutianus Rufus 1513 bestätigt. Andere Ortsangaben fehlen in den zeitgenössischen Quellen. Im Allgemeinen kann man feststellen, dass Mahal die zeitgenössischen Quellen nur gelten lässt, wenn sie ein Bild von Faust zeichnen, das Faust[us] in einem positiven Licht erscheinen lässt. Dazu gehören vor allem eine Quelle aus Bamberg, nach der Faust[us] für ein Horoskop zehn Gulden erhielt, sowie
108 Mahal meint, dass dieser Name wörtlich nicht stimme, weil er Faust als Lügner entlarven könne. Er vermutet nämlich, dass die Mitteilung, Faust[us] sei „Commendator oder Präzeptor einer kleinen Niederlassung der Johanniter im Grenzgebiet Kärntens, namens Hallestein“ nicht wahr sein kann. Weil die Leitung einer Johanniter-Niederlassung den Titel eines Adligen verlangen würde, so Mahal, habe Faust[us] gelogen. Daher erscheine sein Name mit dem Hinweis auf Helmstadt nur deshalb, weil Faust eine adlige Geburt („von Helmstadt“) anzudeuten beabsichtigte, nicht die Herkunft direkt aus dem Dorf Helmstadt. Faust habe also „gleich zweifach“ gelogen. Mahal: Johann Georg Faust, S. 59.
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Geschichte
Briefe von Joachim Camerarius und Philipp von Hutten, in denen Faust[us] berichtet wird, dass Faustus auch vorausgesagt haben soll. Wenn jedoch Mutianus Rufus Faustus’ Auftreten als Handleser als Narrheit bezeichnet, will Mahal auch den offensichtlichen Schreibfehler des überlieferten Briefes korrigieren, dass Helmitheus eigentlich Hemitheus meint, was auf Latein soviel wie Halbgott heißen kann. Diese Hypothese ist nicht neu, aber Mahal ergänzt die unsichere Leseart mit der Behauptung, Faust[us] habe mit der Bezeichnung Halbgott, die „kühne Selbsteinschätzung“ als sein literarisches Erbe präfigurieren wollen. Diese Interpretation soll Mahals Ansicht stützen, Faust[us] dürfte sich deshalb in „den höchsten Tönen“ darstellen, weil ihn Menschen, wie etwa Trithemius und Mutianus, verkannt hätten.109 Für Mahal ist Faust[us] „ein astrologisch beschlagner und illusionistisch hochbegabter Mann“, dem eine ganz spezifische Intelligenz nicht abzusprechen sei. Er war „anerkannter Sternkundiger, ein vielseitiger Mantiker, ein erfolgreicher Heiler...[und] ein weltabgeschiedener Forschender und sich veredelnder [w] ahrer Alchemist“. Man fragt sich, wie Mahal ein solch positives Bild entwickeln kann, wenn er sich auf die wenigen zeitgenössischen Zeugnisse beschränkt, die zum großen Teil Negatives berichten.110 Mahal glaubt, dass dies möglich sei, wenn man Texte, wie etwa den von Trithemius, „gegen den Strich“ lese.111 Er zeigt, wie er das meint, indem er Johannes Trithemius (obwohl er die grundlegende Biographie von Klaus Arnold kennt) vereinfachend als „notorischen Geschichtsfälscher“ und unzuverlässig darstellt. Seinem „Steckbrief“ sei also kein Glauben zu schenken. Trithemius liefere eine „fälschende Karikatur“ und ein „Zerrbild“. Mahal fühlt sich zu einer intensiven Polemik gezwungen, weil er es als wichtige Aufgabe ansieht, Faust[us] vor der Diffamierung durch Trithemius zu retten, damit Faust[us] nicht als „Widerpart“ zu Goethes Faust-Gestalt gesehen werde. Zu dieser Aufgabe gehört das „schrille Finale“ in dem Trithemius-Brief, die Anklage gegen Faust[us], er habe Kinderschändung verübt, sei unberechtigt gewesen und gehöre auf dem Müllhaufen der Geschichte.112
109 Ebd., S. 31. 110 Ebd., S. 161. 111 Ebd., S. 46. 112 Ebd., S. 41. 45, 82 und 131. Im Zusammenhang mit dem Trithemius-Brief verweist Mahal auf einen Text im Internet, den er als nützliche Ergänzung betrachtet. Es handelt sich um das Vorwort zu einer angeblich von Alexander Neckham verfassten Anecdota de Virgilio. (ebd., S. 35 und 188). Jenes Vorwort soll nach Mahal bis jetzt Unbekanntes zum Thema des historischen Faust liefern. Mahal zitiert aber nur den englischen Text über Daniel Stibar aus seiner Quelle im Internet:
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Der historische Faust[us] soll nach Mahal „Johann Georg Faust“ heißen, obwohl überhaupt kein zeitgenössisches Zeugnis diese Kombination von Namen liefert. Mahal übergeht also die Tatsache, dass dieser Mensch ja konsequent Faustus hieß, erwähnt nur beiläufig, dass er ja seinen Familiennamen einfach mit –us hätte erweitern können (obwohl ein lateinischer Name wie Faustus nicht unbedingt so entstanden ist, sondern nach der humanistischen Mode, unabhängig von irgendeinem Familiennamen). Dieselben Quellen erwähnen nur einen einzigen Vornamen, Georg (Jörg). Den Namen Johann findet man in den zeitgenössischen Quellen nicht! Dieser Vorname kommt erst in der bekannten Veröffentlichung von Johannes Manlius zum ersten Mal vor, etwa zwanzig Jahre nach dem vermeintlichen Todesjahr. Von Anfang an beobachtet man eine Manipulation der Quellen, wodurch späte Quellen, die aus einer Zeit der Legendenbildung stammen, mit den zeitgenössischen Quellen vermischt werden. Der Verdacht liegt nahe, dass diese Strategie nur dazu dient, den Ort Cundling (=Knittlingen) als Herkunft für Faust wahrscheinlicher zu machen. Für Mahals Tendenz, die Grenzen zwischen Geschichte und Legende zu verwischen, ist die Darstellung vom Tode Fausts charakteristisch. Es gibt bekanntlich keine Quellen, die unmittelbar aus zeitlicher Nähe über diese Begebenheit berichtet hätten. Philipp Begardi berichtet in seinem Index sanitatis, was er über Faustus erfahren hatte, und tat dies im Jahre 1539 so, als ob Faust nicht mehr am Leben sei. Wenn also mehr also zwanzig Jahre später Manlius und die Zimmerische Chronik erzählen, dass Faustus vom Teufel getötet wurde, dürfte man eigentlich die Einzelheiten nicht als Tatsachenwahrheit ernst nehmen. Diese späten Berichte stammen aus einer Zeit, wo die Autoren solcher Berichte die Verbindung zwischen Faust und dem Teufel voraussetzten und sich frei fühlten, alles hinzufügen, was für sie Teufelsverbundenheit implizierte, in diesem Fall besonders den gewalttätigen Tod durch den Teufel. Trotz der Vielfalt solcher legendären Elemente ist Mahal bereit, die zweifelhaften Nachrichten vom Tode mit psychologischen Überlegungen zu rekonstruieren und zu analysieren. Die Vergeblichkeit seiner „alchemistischen Bemühungen“ oder Gedanken über die „Sinnlosigkeit seines Lebens“ könnten, so meint Mahal, Faustus zum Suizid getrieben haben.
https://web.eecs.utk.edu/~mclennan/BA/AV/praefatio.html letzter Zugriff am 11. 8. 2018. Mahal kennt aber keinen Originaltext. Wenn man sich nach der lateinischen Originalfassung dieses Textes erkundigt, erfährt man, dass eine solche Quelle gar nicht existiert. Im Internet gibt es nur den von Mahal zitierten englischen Text, den John Opsopaus, der Herausgeber der Biblioteca Arcana, wie er mir persönlich mitgeteilt hat, einfach erfunden hat. Er schreibt: “The Anecdota de Virgilio are fictional, including the preface. In fact, the tidbits about Daniel Stibar were, as I recall, drawn from your own book, which I read many years ago“. (John Opsopaus [sic] an Verf., E-Mail vom 9. 2. 2015).
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Geschichte
Obwohl diese Beobachtung zunächst als Hypothese erscheint, verschwinden wenige Seiten später Zweifel an der Art des Todes: „Der historische Faust hatte seine Lebensbühne mit großer Sicherheit durch einen abstoßend inszenierten Suizid verlassen“.113 Eine überraschende Folge der fragwürdigen Rekonstruktion Mahals ist, dass er die traditionelle Dreiteilung der Faust-Darstellung im 16. Jahrhundert (Geschichte, Legende und Literatur) aufgibt. Er meint, es gebe eine direkte Verbindung zwischen dem historischen Faust[us] und dem Faustbuch von 1587. Für Mahal bedeutet dies, dass man viele anekdotenhafte Erzählungen, wie etwa Christoff Rosshirts Nürnberger Geschichten und solche aus Erfurt von Zacharias Hogel, „als erste Aufzeichnungen des vom historischen Faust Berichteten“ ansehen müsse.114 Dies verstärke die Bedeutung Knittlingens: „Eine Legendenphase hat es nicht gegeben [...] Der Mann aus Knittlingen hat an seiner literarischen Biografie mitgeschrieben“.115 Eine erstaunliche Einsicht, die alle Versuche der Geschichtsforschung, zwischen zeitgenössischen Quellen und Hörensagen zu unterscheiden, unmöglich erscheinen lässt. Wilhelm Meyer sieht dagegen den Sinn der Faust-Forschung gerade darin, dass „das Werden und der Entwicklungsprozess“ an den Geschichten vor dem Faustbuch aufgedeckt werden kann.116 Tatsache ist, dass Helmstadt für Faustus als der eigentliche Ort der Herkunft Anerkennung verdient, während Knittlingen ein geeigneter Ort wäre, um den Übergang von der historischen Gestalt zur Legende und schließlich zum Faustbuch darzustellen.
113 Mahal: Johann Georg Faust, S. 121 und 180. Vgl. Müller: Arbitrium., S. 64 und 66. 114 Ebd., S. 165. 115 Ebd., S. 165 und 180. 116 Meyer: Nürnberger Faustgeschichten, S. 371. Mahal hat einmal die rhetorische Frage gestellt, „was denn für die Beurteilung des historischen Faust gewonnen sei, wenn er seinen ersten Schrei statt in Knittlingen in Helmstadt hätte hören lassen“ (Mahal: Faust. Und Faust, S. 41). Die Frage nach der Geburt Fausts, die Mahal stellt, hat er selbst anscheinend nicht ernst genommen. Er erzählt, dass er am 22. Mai 1990 im Kraichgauort Helmstadt-Bargen eine Ausstellung und Diskussion erlebt habe, „mit dem Ziel, Fausts Geburt am Ort zu etablieren“. Mahal nahm teil an der Diskussion und da er um seine Meinung gefragt wurde, machte er einen Vorschlag. Er versprach, „den Helmstädtern die Geburt Fausts dann zu schenken, wenn seine restlichen Lebensdaten bei Knittlingen bleiben würden“. (Mahal: Johann Georg Faust, S. 58.) Dieser Witz hat anscheinend der weiteren Diskussion ein Ende bereitet.
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II. Ärzte gegen Faustus: Philipp Begardi— Conrad Gessner—Johannes Weyer Es gibt eine Reihe von Berichten von Ärzten, die erfahren haben, dass Faustus auch in der Medizin als Experte gesehen werden wollte. Der Arzt Philipp Begardi veröffentlichte 1539 seinen Index sanitatis, in dem er über Faustus berichtete, als ob dieser nicht mehr lebe: Dann [Faustus] ist vor etlichen jaren vast durch alle landschafft, Fürstenthuomb unnd Königreich gezogen, seinen namen jederman selbs bekant gemacht und seine grosse kunst, nit alleyn der artznei, sonder auch Chromancei, nigromancei, Visionei, Visiones imm Christal, und dergleichen mer künst, sich höchlich berümpt. Und auch nit alleyn berümpt, sondern sich auch eynen berümpten und erfarenen mayster bekant und geschriben. Hat auch selbs bekant und nit geleugknet, daß er sei unnd heyß Faustus, domit sich geschriben philosophum Philosophorum etc. Wie viel aber mir geklagt haben, daß sie von jm seind betrogen worden, der ist eyn grosse zal gewesen. Nuon sein verheyssen ware auch groß, wie des Tessali: dergleichen sein rhuom, wie auch des Theophrasti [d.h. Paracelsus]: aber die that, wie ich vernimm, vast kleyn und betrüglich erfunden: doch hat er sich im Gelt nemen oder empfahen (das ich auch recht red) nit gesaumpt und nachmals auch im abzugk er hat, wie ich betracht, viel mit den Ferßen gesegnet. Aber was soll man nun darzu thun, hin ist hin, ich will es jetzt do belassen [...]117
Obwohl Begardi von keiner persönlichen Begegnung berichten konnte, enthielt sein Bericht vieles, was in den zeitgenössischen Quellen schon enthalten war. Begardi bestätigt jedenfalls, was die zeitgenössischen Quellen aussagen, d.h., das Bild eines wandernden Wahrsagers, der viel verspricht und mit seinem Können in Philosophie, Chiromantie und in anderen mantischen Künsten prahlt. Conrad Gessner (1516–1565), Arzt in Basel, berichtet in einem Brief an Crato von Craftheim aus dem Jahr 1561, dass Paracelsus angeblich mit Dämonen verkehrt habe. Solche wie er sollen Astrologie, Geomantie und Nekromantie praktiziert haben. Aus dessen Schule stamme auch Faustus, als einer der „wandernde[n] Scholaren, der nicht lange vorher gestorben sein soll und heute berühmt ist“.118
117 Baron: Faustus, S. 43–44. Karl Sudhoff: Philipp Begardi und sein Index Sanitatis. Ein Beitrag zur Geschichte des Ärztestandes und des Kurpfuschertums in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. In: Archiv für Geschichte der Medizin 1, H. 2 (Oktober 1907), S. 102–121, hier S. 109. 118 “Oporinus Basileae olim discipulus Theophrasti, et familiaris fuit, is mira de eius cum daemonibus commercio praedicat, Astrologiam vanam, Geomantiam, Necromantiam, et hiusmodi artes prohibitas exercent. Equidem suspicior illos ex Druidarum reliquijs esse, qui apud Celtas veteres in subterraneis locis a daemonibus aliquot annis erudiebantur: quod nostra memoria in Hispania adhuc Salamancae factitatum constat. Ex illa schola prodierunt, quos https://doi.org/10.1515/9783110613070-003
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Der Arzt Johannes Weyer (Weier, Wierus) (1515–1588) veröffentlichte 1563 ein Buch über Hexen, mit dem er deren Verfolgung bekämpfen wollte. Das Buch erschien zuerst 1563, aber erst in einer lateinischen Ausgabe des Jahres 1568 wurde eine Anekdote über Faustus eingefügt. Faustus gehörte zu einer Kategorie der gefährlichen gelehrten Magier, die trotz ihrer Gelehrsamkeit mit dem Teufel paktierten. Weyer erzählt über einen Johannes Faustus von Kundling, der in Krakau, wo Magie öffentlich gelehrt wurde, studierte und diese Kunst in den Jahren vor 1540 in verschiedenen Orten in Deutschland, von vielen bewundert, betrügerisch ausübte. Das habe er mit seinen leeren Prahlereien und Versprechungen erreicht.119 Weyer greift also für diese Einleitung eines eigenen Beitrags offenbar auf die knappe biographische Skizze von Johannes Manlius zurück, die schon 1562 erschienen war. Aber Weyer konnte gegenüber Manlius aus eigener Erfahrung etwas Neues beisteuern. Er erzählt, dass ein Bekannter eine unerfreuliche Begegnung mit Faustus gehabt hatte. Als vff ein zeit dieser Schwarzkünstler Faustus seiner bösen stück halben zu Battoburg [Babenberg an der Maas], welches an der Mose ligt, vnd mit dem Hertzogthumb Geldern grentzet, in abwesen Graff Hermanns [Graf Hermann von Bromhorst] inn hafften kommen, hat jhm der Capellan deß orts, Herr Johan Dorstenius, ein frommer einfältiger manne, viel liebs vnnd guts erzeiget, allein der vrsach halben, die weil er jme bey trewen vnd glauben zugesagt, er wölte jhn viel guter künste lehren, vnd zu einem außbündigen erfahrenen manne machen. Derohalben, dieweil er sahe, daß Faustus dem Trunck sehr geneigt war, schickte er jme von hauß aus so lang Wein zu, biß das fäßlein nachließ vnd gar leer wurd. Da aber der Zauberer Faustus das mercket, vnd der Capellan auch sich annahm, er wolte gen Grauen gehen vnd sich daselbst barbieren lassen, liesse er sich hören, wann er jm mehr weins geben wolte, so wölt er jhn ein kunst lehren, dz er oh schermesser vnd alles des barts abkommen sollte. Da nun der Caplan dz gleich eingienge, hieß er jn schlecht auß d‘ Apotecken hinnemen Arsenicum, vnd damit den bart vnd kinne wol reiben, vnd gedachte mit keinem wörtlin nit, dz ers zuuor bereiten, vnd mit andern zusetzen brechen solte lassen. So bald er aber das gethan, hat jme gleich das kinne dermassen angefangen zu hitzen vnd brennen, daß nit allein die haar jm außgefallen, sondern auch die haut mit sampt dem
vulgo scholasticos vagantes nominabant, inter quos Faustus quidam non ita pridem mortuus, mire celebratur“. Philip Mason Palmer und Robert Pattison More: The Sources of the Faust Tradition from Simon Magus to Lessing. New York 1966, S. 100–101. 119 „Ioannes Faustus ex Kundling oppidulo oriundus, Cracouiae magiam, ubi olim docebatur palam, didicit eamque paucis annis ante quadragesimum supra sesquimillesimum, cum multorum admiratione, mendacijs et fraude multifaria in diuresis Germaniae locis exercuit. Inani iactantia et pollicitationibus nihil non potuit. Exemplo uno arte mea conditione Lectori ostendam, ut se non imitaturum, mihi prius fidem faciat“. Johannes Weyer: De praestigiis daemonum. Basel 1568, S. 142. Palmer: The Sources of the Faust Tradition, S. 105.
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fleisch gar abgangen ist. Diß Bubenstücklein hat mir der Caplan mehr dann ein mal, aber allweg mit bewegtem mut selbst erzehlet.120
Weyers Bericht ist einzigartig. Dass er sich zuerst an den phantasievollen Angaben des Johannes Manlius orientierte, ist verschiedentlich ein Grund gewesen, Zweifel an der Zuverlässigkeit seines Berichts zu äußern. Günther Mahal, der in Bezug auf Manlius zu viel Vertrauen zeigt, hat in diesem Fall bezweifelt, dass „hier ein authentischer Bericht“ vorliege.121 Solche Zweifel sind jedoch nur bedingt berechtigt, weil Weyer nach dieser Anekdote über Dorstens schlimme Erfahrung den unglaublichen Bericht von Manlius über den Tod des Faustus wiederholt.122 Die historische Unzuverlässigkeit der von Manlius übernommenen Auskünfte ändert nichts daran, dass Weyer diese Erzählung von einem Menschen hörte, der Faustus tatsächlich begegnet ist. Er beschreibt die Geschichte sachlich. Die Anekdote ist unter den frühen Berichten durchaus beachtenswert, weil es sonst nur zwei Quellen gibt, die von Trithemius und Mutianus, die so konkret von einer Begegnung mit Faustus berichten. Trotz der Unsicherheit kann man hier festhalten, dass Weyer über einen Menschen mit teils unangenehmen Angewohnheiten berichtet, was nach den Berichten von Trithemius und Mutianus nicht überraschen darf. Dass der historische Faustus gefangen genommen wurde, behauptet sonst kein zeitgenössisches Zeugnis. B.H. van ‘t Hooft hat aber dieser beiläufigen Erwähnung Weyers eine beachtenswerte Erklärung hinzugefügt: Der Ort von Fausts Gefangenschaft kann kein anderer gewesen sein als das Schloss Batenburg selbst. Die Herrschaft Batenburg gehörte als Allodium dem Geschlechte Bronckhorst. Im Jahre 1525 beim Tode Gisberts von Bronckhorst hatte Herzog Karl von Gelder Schloss und Herrschaft Batenburg mit Gewalt an sich gebracht, welche am 7. März 1534 von dem von Wier erwähnten Hermann van Bronckhorst zurückgekauft wurden und wofür dieser am 29.
120 Henning: Faust als historische Gestalt, S. 123. Diese Anekdote erschien zuerst auf Latein. Johannes Weyer: De praestigiis daemonum, Basel 1568, S. 142. Henning zitiert nach der deutschen Ausgabe von 1586. 121 Die Geschichte, so Mahal, „schwankt zwischen Lustigkeit und Häme“, wie man sie sonst in den schwankhaften Kapiteln des Faustbuchs finden würde. Mahal: Spuren eines geheimnisvollen Lebens, S. 205. Mahal erklärt nicht, warum er den sachlichen Kern der Anekdote anzweifelt. 122 Manlius erzählt nämlich, wie der Teufel dem Faustus den Kopf umgedreht hatte. „Hic tandem in pago ducatus Vvirtenbergici inuentus fuit iuxta lectum mortuus inures facie, et domo praecendenti nocte media quassata, ut fertur“. Johannes Manlius: Locorum communium collectanea. Basel 1562, S. 143.
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September dieses Jahres den Lehenseid leistete. Erst nach dieser Zeit, also in Fausts letzten Lebensjahren kann der Aufenthalt in Batenburg stattgefunden haben.123
Ließe sich diese Annahme untermauern, so würde sie zweifellos eine Erweiterung zu den lückenhaften Daten des Lebenslaufs darstellen. Weitere Zeugnisse könnten vielleicht doch bestätigen, dass Faustus sich irgendwann nach Ende September 1534—zu dieser Zeit ziemlich weit nördlich von den von ihm sonst bevorzugen Orten wie Ingolstadt und Würzburg—auch in Batenburg an der Maas aufgehalten hätte. Was man da von Weyer erfährt, überrascht nicht, denn die Auskünfte weichen nicht radikal ab von dem, was man über Faustus in den zeitgenössischen Zeugnissen erfährt. Bemerkenswert ist, dass Faustus nach Begardi als Arzt tätig gewesen sein soll, obwohl davon in den frühesten Quellen überhaupt nichts berichtet wurde. Ist diese Tätigkeit wirklich als Tatsache zu bewerten? Sowohl Begardi als auch Gessner vergleichen Faustus mit Theophrastus Paracelsus (1493-1541), dessen Tätigkeit als Arzt bekannt war. Paracelsus hatte Praktiken befürwortet, die der natürlichen Magie und Alchemie nah verwandt waren.124 Diese Assoziation hat wahrscheinlich die Weiterentwicklung der Legende beeinflusst, denn das Faustbuch erzählt, dass Faustus, unter anderem, als Arzt tätig war, und er „halff erstlich vielen Leuten mit der Artzeney, Kreuern, Wurtzeln, Wassern, Tränken, Recepten vnd Clistiern“.125 Hier ist der Nachklang des Ruhmes von Paracelsus zu spüren. Die Neigung, Faustus mit anderen Vertretern der okkulten Wissenschaften in Beziehung zu setzen, zeigt sich sehr früh in der Entwicklung zur Legende. Die akademisch ausgebildeten und tätigen Ärzte waren im allgemeinen Gegner des Paracelsus, weil dieser die Autorität der antiken Medizinliteratur nicht anerkannte. Es liegt nahe, dass die Ärzte und die Beamten die revolutionären Tendenzen, die sie bei Paracelsus zu erkennen glaubten, auf Faustus übertragen haben. Diese Tendenz kann man gerade in Nürnberg beobachten, wo man Faustus 1532 den Einlass verwehren wollte. Zu diesem Zeitpunkt zeigte sich die Stadt empfindlich in Fragen der Magie und Medizin. Drei Jahre früher hatte sich Paracelsus in Nürnberg aufgehalten. Paracelsus war, wie Faustus, stolz auf seine Kenntnisse auf Gebieten wie Magie und Alchemie, aber er betätigte sich in Nürn-
123 Das holländische Volksbuch vom Doktor Faust. Hg. von B[art] H[endrik] van ‘t Hooft. ‘SGravenhage 1920, S. 9–11. 124 Frank Baron: Der historische Faustus, Paracelsus und die Verteufelung der Magie. In: Salzburger Beiträge zur Paracelsus-Forschung 21 (1988), S. 20–32. 125 Füssel und Kreutzer: Historia, S. 15; Müller: Romane, S. 829–986 und 1319–1436, hier S. 844–845.
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berg vor allem als Arzt. Hier entstand sein Büchlein über die Syphilis, das eine Polemik gegen die Guajakholzkur enthielt. Hinter der Aufrechterhaltung dieser Kur standen mächtige Interessen, bekanntlich auch der Familie Fugger, die Guajakholz aus Amerika importierte. Die Stadt verbot die Verbreitung des Büchleins, vergeblich hatte Paracelsus den Magistrat in einem Brief vom März 1530 um die Aufhebung dieses Verbots gebeten. Sebastian Franck, der sich um diese Zeit auch in Nürnberg aufhielt, schreibt 1531 über Paracelsus in seiner Chronika: „Ein seltzam wunderlich Mann, der fast alle Doctores und Scribenten in Medicinis verlacht“.126 Francks Auftreten war dem des Faustus vergleichbar und deshalb vielen nicht willkommen. Andreas Osiander (1498–1552), der Verfasser der Nürnberg-Ansbacher Kirchenordnung von 1533 spiegelte dieselbe Empfindlichkeit. Hier wird kritisiert, dass das einfältige Bauernvolk „Warsager, zauberer, brillenseher, teuffelsbeschwerer und andere solche gotlose leüt rats fragen, und nicht allein fragen, sunder iren lügen auch glauben [...]“.127 Wenn genauere Auskünfte fehlen, ist die klare Unterscheidung zwischen Bereichen wie natürlicher Magie und teuflischer Zauberei, zwischen Alchemie und Medizin, und sogar zwischen Faustus und Paracelsus nicht möglich.128 Ein ähnlicher Vorgang wird auch in der Beziehung Faustus-Agrippa zu beobachten sein. Die Berichte aus der Periode, ca. 1540 bis 1570, von etwa zwanzig bis dreißig Jahren nach seinem vermutlichen Tod tragen wenig zur Vertiefung des Wissens über den historischen Faustus bei. Gemeinsam ist den Berichten die Tatsache, dass Faustus in dieser Zeit berühmt war, aber er ist belastet mit dem Ruf, ein Betrüger zu sein, oder, wie Gessner und Weyer vermuten, als Schwarzkünstler mit Dämonen zu verkehren. Niemand hatte jedoch einen Überblick über Faustus’ Lebenslauf. Einzelne Tatsachen brauchten, wenn sie zum Vorschein kamen, einen Zusammenhang, der dann oft durch Hörensagen vervollständigt wurde. Dieser Prozess ist in den Texten von Begardi und Gessner zu beobachten. Im Falle von Weyer war hingegen schon eine längere mündliche und schriftliche Tradition wirksam. Er stützte sich für ergänzende Auskünfte auf Manlius, der wiederum vieles von Philipp Melanchthon und Martin Luther übernommen hatte. Diese Linie des Einflusses muss näher untersucht werden.
126 Karl Sudhoff: Paracelsus. Ein deutsches Lebensbild aus den Tagen der Renaissance. Leipzig 1936, S. 67–79. 127 Zitiert nach Marina Münkler: Narrative Ambiguität. Die Faustbücher des 16. bis 18. Jahrhunderts. Göttingen 2011, S. 202. 128 Baron: Der historische Faustus, Paracelsus und der Teufel, S. 20–31.
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III. Faustus in Wittenberg: Martin Luther— Philipp Melanchthon und Johannes Gast— Johannes Manlius A. Faustus in Wittenberg: Martin Luther Faustus wurde in Wittenberg ausschließlich als teuflischer Zauberer angesehen. So bezeichnete ihn Martin Luther (1484–1546), und daran änderte sich nichts in den folgenden Jahrzehnten. Nachweislich hatte Luther den größten Einfluss auf die Entwicklung dieses Rufes. Faustus wurde praktisch das Eigentum der Reformatoren. Sein Ruf diente ihr dazu, vor den Gefahren der Zauberei und des Teufels zu warnen. Der Teufel, der in den zeitgenössischen Quellen nur in Andeutungen zur Sprache kam (wie z.B. in der Bezeichnung Nigromant), wurde nun zu Faustus’ ständigem Begleiter. Die Erinnerung an die zeitgenössischen Auskünfte über den historischen Faustus war in Wittenberg in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts schon nicht mehr vorhanden. In der folgenden Entwicklung gerieten die Orte, die in den zeitgenössischen Quellen genannt wurden, vollständig in Vergessenheit. Nach und nach wurde das Leben von Faustus vollends in die Umgebung Wittenbergs verlegt. Die schon anfangs zitierte Beobachtung Goethes stimmt damit überein: „Die Geschichte von Faust wurde nach Wittenberg verlegt, also in das Herz des Protestantismus, und gewiss von Protestanten selbst“.129 Wie und warum die Geschichte aber nach Wittenberg „verlegt“ wurde, soll im Folgenden näher untersucht werden. Warum gerade Wittenberg? Eigentlich gab es Autoren, die Faustus an anderen Orten sahen. Man denke an Johannes Manlius, der seine biographische Skizze dadurch legitimieren wollte, dass er Faustus in der Heimatstadt Melanchthons verorten wollte. Er identifizierte das Dorf Kundling in der Nähe von Pforzheim, („ein kleines stettlein, nicht weit von meinem Vatterland“) als Herkunftsort von Faustus. Es gab auch andere „Verlegungen“: Die handschriftlichen Nürnberger Faust-Erzählungen gehen davon aus, dass Faustus in Ingolstadt als Professor wirkte und vermutlich aus der Nähe stammte. Und die Zimmerische Chronik verlegte die Abstammung nach Staufen. Ist es ein Zufall, dass der Autor der Chronik in der relativen Nähe von Staufen, in Meßkirch, zu Hause war? Wo Faustus gestorben sein soll, wurde ein Fall der Verortung. Manlius schrieb über den Tod des
129 Goethes Brief des Jahres 1829. In: Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter, S. 331. https://doi.org/10.1515/9783110613070-004
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Faustus in einem ungenannten Dorf in Württemberg, also im Bereich der angeblichen Herkunft. Doch hatte das Faustbuch von 1587 schließlich das letzte Wort. Zum Herkunftsort wurde Roda, ein Ort nicht weit von Wittenberg, und zum Ort des Todes wurde Wittenberg selbst ernannt. Die stärkste Linie der Verortungen führte nach Wittenberg.
Es ist erstaunlich, dass die Tischreden Luthers diese Entwicklung, noch zu Faustus’ Lebzeiten, also etwa 1533 bis 1535, dokumentieren. Für die Niederschrift von Luthers erster Faust-Erwähnung war Nicolaus Medler (1502–1551) verantwortlich. Der Text wurde später mit dem Titel Tischreden Martin Lutheri von Johann Aurifaber übersetzt und 1566 veröffentlicht:
Da am Tisch zu Abend eines Schwarzkünstlers, Faustus genannt, gedacht wurde, sagte Doctor Martinus ernstlich: der Teufel gebraucht der Zauberer Dienst wider mich nicht; hätte er mir gekonnt und vermocht Schaden zu thun, er hätte es lange gethan. Er hat mich wol oftmals schon bei dem Kopf gehabt, aber er hat mich müssen gehen lassen. Ich hab ihn wol versucht, was er fur ein Gesell ist. Er hat mir oft so hart zugesetzt, daß ich nicht gewußt hab, ob ich todt oder lebendig sei. Er hat mich auch wol in Verzweifelung gebracht, daß ich nicht wußte,ob auch ein Gott wäre und an unserm lieben Herrn Gott ganz und gar verzagte. Aber mit Gottes Wort hab ich seiner erwehret. Er ist sonst auch keine Hülfe noch Rath, denn daß Gott (mit einem Wörtlin durch einen Menschen gesprochen, oder das einer sonst ergreift) einem hilft. Hat man aber Gottes Wort nicht, so ists bald um uns geschehen, dann da kann er die Leute nach seinem Willen reiten und treiben.130
Ein zweites Gespräch über Faustus erfolgte ein paar Jahre später. Dieses Gespräch wurde von Anton Lauterbach (1502-1569) zwischen dem 18. Juni und 28. Juli 1537 aufgezeichnet: Man habe am Tisch von Gauklern und Zauberei erzählt, und davon gesprochen, wie der Satan die Menschen verblende, viel auch über Faustus, welcher den Teufel seinen Schwager hieß und hat sich hören lassen, wenn ich, Martin Luther, ihm nur die Hand gereicht hätte, hätte er mich verterben wollen; aber ich habe ihn gar nicht ansehen wollen. Ich hätte
130 An den überlieferten Tischreden Luthers sieht man, dass Aurifaber die ihm zugänglichen Texte frei übersetzt und ergänzt hat. Dazu dient hier ein Beispiel: „Cum forte in coena facta fuisset mentio magi cuisdam nomine Fausti, dixit Doctor serio: Diabolus non utitur opera magorum contra me, sed si potuisset me laedere, iam diu fecisset. Er hat mich wol beim kopff schon gehabt und hat mich dennoch mussen ghen lassen. O, ich hab in wol versucht, und zu mal, wenn er mit der schrifft kompt, da hat er wol gemacht, das ich nicht hab gewust, ob ich tod oder lebendig bin, hat mich auch in verzweifelung bracht, das ich nicht wuste, ob ein Gott were, und an unserm Herrn Gott gar verzagt. Summa, da ist kein hilff noch radt denn Gott sels immediate; der kan einem darnach mit eim einigen wortlin helffen“. In: Martin Luther: Tischreden. WA Nr. 1059. Vgl. Johann Aurifaber, Tischreden Martin Lutheri. Eisleben 1566, fol. 16v. Vgl. Henning, Faust als historische Gestalt, S. 126-127.
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ihm sonst die Hand geben können, mit Gott als Beschützer. Ich glaube, dass viele Zauberangriffe gegen mich unternommen wurden.131
Beide Berichte ergänzen sich, weil sie im Grunde die gleiche Meinung vermitteln. Der Anlass zum Gespräch ist in beiden Fällen der Ruhm des Zauberers gewesen (und Zauberer zu sein bedeutete, dass der Satan im Spiele war, und er verblendete und verleitete die Menschen). Das Interesse an dem Thema unter den Anwesenden am Tisch war stark, und man hatte viel dazu zu sagen. Martin Luther allerdings schien zunächst wenig interessiert. Für Luther war allein die moralische Bedeutung der Zauberei wichtig, nicht jedoch die Person selbst. Faustus war für Luther der Schwager des Teufels oder der Teufel selbst. Das Gespräch über Faustus führte also zu einer bescheidenen Predigt über den Teufel und seine Versuchungen und wie Luther selbst damit umgehen würde. Der Teufel bedeutete die unmittelbare Gefahr der Sünde. Er könnte sogar in Verzweiflung führen, so dass man nicht mehr an Gott glauben würde. Diesen ernsten Kampf hatte Luther am eigenen Leibe erlebt. Luther sah den Weg der Rettung in der Wendung zu Gott. Am wirkungsvollsten schien ihm für eine Hilfe das Wort Gottes, und damit meinte Luther die Bibel. Was wussten die bei den Tischreden Anwesenden konkret über Faustus? Wenn man zunächst bedenkt, dass für Luther Nürnberg als „das Auge und Ohr Deutschlands“ galt,132 kann man sich gut vorstellen, dass die Kunde über Faustus, der 1532 dort als „Sodomit und Nigromant“ bezeichnet wurde, bald nach Wittenberg gelangt ist. Viele kamen aus Nürnberg nach Wittenberg, um hier in der Nähe Luthers zu studieren. Im Sommersemester immatrikulierten sich neun Studenten zusammen als Gruppe. Im Wintersemester 1534–1535 erschienen aus Nürnberg elf Personen zum Studium, darunter auch ein Carolus Holtzschuher.133 Auch der
131 Auch hier ist noch ein Beispiel der freien Übersetzung und Ergänzung durch Aurifaber: „De ludificatoribus et arte magicis fiebat mentio, quomodo Sathan homines excaecaret. Multa dicebant de Fausto, welcher den Teufel seynen schwoger hies, und hat sich lassen horen, wen ich, Martin Lutter, ihm nur die handt gereycht hette, wolt er mich vorterbet haben; aber ich wolde in nicht geschawet haben, porrexissem illi manus in nomine ‘domini Deo protectore. Nam credo in me multa veneficia contra me structa esse“. Martin Luther: Tischreden, WA Nr. 3601. 132 Dieser Spruch Luthers soll aus dem Jahr 1530 stammen. Wilhelm Scherer: Geschichte der deutschen Literatur. Berlin 1899, S. 306. Botenkurse wurden von Nürnberg nach Wittenberg eingerichtet. Lore Sporhan-Krempel: Nürnberg als Nachrichtenzentrum zwischen 1400 und 1700. In: Nürnberger Forschungen. Bd. 10, Nürnberg 1968, S. 27 und 79. 133 C. E. Foerstemann: Album Academiae Vitebergensis, Leipzig 1831, Bd. 1, S. 146 und S. 155–157. Melanchthon bemerkte später im Rahmen eines Vortrags, dass viele seiner Zuhörer Faustus kannten („quem multi in hoc auditorio norunt“). Das Kennen bedeutet hier vermutlich Kennen nach Hörensagen.
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Hausgenosse, Famulus und Sekretär Luthers, Veit Dietrich (1506–1549), der bei Tisch auch Gespräche bis etwa 1533 mitgeschrieben hatte, stammte aus Nürnberg.134 Trotz dieser Verbindungen gibt es keine Spur des historischen Faustus in Wittenberg, außer dass er einen schlechten Ruf hatte, weil er ein Nigromant gewesen sei. Vage Erinnerungen an den Brief von Trithemius könnten eine Rolle gespielt haben. Dieses Fehlen konkreter Tatsachen war für die Weiterentwicklung der Legende von großem Vorteil. Der Weg war frei für einen neuen Faustus. Dafür sorgte nicht Martin Luther, sondern die Kraft seines Einflusses. Ohne dass er beabsichtigt hätte, zur Neugestaltung dieses Lebenslaufs beizutragen, setzte die Gleichsetzung von Faustus mit dem Teufel eine starke Bewegung in Gang: Was man schon über die teuflischen Aktivitäten der Zauberer erfahren hatte, brachte man nun auch direkt mit Faustus in Verbindung. Faustus erbte auf diese Weise, was nichts mit der historischen Person zu tun hatte. Ideale Voraussetzungen für die Entstehung des Mythos wurden geschaffen. Der Name Faustus wirkte wie ein Magnet. Luthers Name sorgte dafür, dass jede anschließende Assoziation und/oder mythische Identifikation in Wittenberg nicht leicht vergessen wurde.
B. Faustus in Wittenberg: Philipp Melanchthon und Johannes Gast Diesen Prozess der Mythenbildung hat Philipp Melanchthon (1497–1560), Luthers engster Mitarbeiter in Wittenberg, energisch gefördert und weiterentwickelt. Entscheidend war dabei, dass die Aussagen über Faustus immer wieder im Rahmen von knappen Exempeln in Melanchthons Sonntagsvorträgen auftraten: 1. Der Magus Faustus habe gesagt, er sei der Fürst der Philosophen. Das könne man wörtlicher formulieren, denn er sei, bei Gott, Fürst der Narren. 2. Jener fantastische Mensch, der Schwarzkünstler Faustus, habe einen anderen Schwarzkünstler verschlungen, der am nächsten Tag in einer Höhle gefunden wurde. 3. Den Schwarzkünstler Faustus, der vielen in diesem Hörsaal als ein verwerflicher Mensch bekannt sei, habe der Teufel in Venedig in die Luft gehoben
134 Tischreden, WA Bd. I, S. XXVI–XXXIII. Eine Anekdote über Willibald Pirckheimer und Trithemius gelangte aus Nürnberg nach Wittenberg. Sie wurde später von Melanchthon erzählt. Vgl. Erzählungen von Johannes Gast weiter unten.
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und ihn ohne Schaden fallen gelassen; dieser aber sagte: Er ist mit mir härter verfahren als er sollte; er ließ mich nieder härter als er sollte.135 Zur zweiten und dritten Erwähnung gibt es nah verwandte Aufzeichnungen: 2a) Der Teufel sei ein wunderbarer Künstler. Denn er könne mehr vollbringen als wir Menschen mit natürlichen Mitteln. ‚Denn er kan mehr als, den die menschen konnen‘. Viele wunderbare Dinge seien geschehen, wie ich über das Mädchen in Bologna erzählt habe. Ein vergleichbarer Fall sei der von Faustus: Er habe in Wien einen anderen Zauberer verschlungen, der ein paar Tage später in einem Gebüsch aufgefunden worden war. 3a) Dort [vor dem Kaiser] Nero habe Simon Magus in die Luft fliegen wollen, aber Peter betete, dass er niederfalle. Ich glaube, dass die Apostel schwere Kämpfe erlebten, wenn sie auch nicht alle aufgezeichnet sind. Faustus versuchte dies in Venedig. Aber er wurde mit Gewalt gegen die Erde geworfen.136 Melanchthon war im Vergleich zu Luther nicht bemüht, das Thema Faustus nur als Anlass zu verwenden, um über die Gefahren des teuflischen Wirkens zu sprechen. Er bot Neues über Faustus. Luther hatte Faustus als Menschen gar nicht wahrgenommen. Melanchthon wusste etwas, was Luther nicht interessierte: die Tatsache, dass Faustus als Philosoph ernst genommen werden wollte. Die Formulierung „Fürst der Philosophen“ deutet an, dass der Bericht von Begardi (oder eine frühere Nachricht über das bekannte Prahlen, offen gelegt in dem 1536 ver-
135 1) „Faustus magus dicebat, se esse principem philosophorum id cum forte narrassemus alteri, dixit ille: Per Deum, ergo est princeps omnium fatuorum“. 2) „Ille Fantisticus homo magus Fausts devoravit alium magum, qui postridie inventus est in specu“. 3) „Faustum, quem multi in hoc auditorio norunt hominem impurissimum, Diabolus Venetiis rapuit in aerem et rursus demisit sine laesione; sed ipse tamen dixit: Egit mecum durius quam debebat, deposuit me durius quam debebat“. Zitiert werden diese Auszüge nach Gustav Milchsack: Tischreden Luthers. In: Gesammelte Aufsätze. Wolfenbüttel 1922, Sp. 234. Die Quelle Milchsacks ist eine Handschrift, die sich damals in der Stadtbibliothek Leipzig mit der Bezeichnung Luth.-Mel. 2, 9b, 2, 70b, und 2, 89b befand. 136 2a) „Diabolus est mirabilis artifex; potest enim aliqua arte efficere, quae sunt naturalia, quae nos non scimus. Denn er kan mehr, den die menschen konnen. Sicut narrantur multa magica prodigiosa, vt alias dixi de puella Bononiensi: Item Faustus magus deuoravit alium Magum Viennae, qui post paucos dies inuentus est in quodam specu. Der Teufel kan viel wunderlichs dings: tamen Ecclesia habet propria quaedam miracula“. – 3a) „Ibi [coram Nerone] Simon Magus voluit subuolare in caelum: sed Petrus precatus est vt decideret. Credo Apostolos habuisse magna certamina, etiamsi non omnis sunt scripta. Faustus Venetiis etiam hoc tentauit. Sed male est allisus solo“. C. G. Bretschneider (Hg.): Corpus Reformatorum. Braunschweig 1830–1860 (Neudruck 1963), Bd. 25, Sp. 697. Vgl. Tille, S. 9–10.
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öffentlichten Briefwechsel des Trithemius) wahrscheinlich Wittenberg erreicht hatte.137 In dieser Hinsicht war Melanchthons Charakterisierung der von Trithemius vergleichbar. Dieser hatte Faustus ja auch einen Narren genannt. In seinen Sonntagsvorträgen war Melanchthon gewohnt, kurze Anekdoten, Schwänke oder Exempla einzufügen, um das Interesse der Zuhörer zu gewinnen. Sie dienten natürlich auch zur Verdeutlichung seiner Vortragsthemen. Vorauszusehen war, dass die Geschichten eine Moral enthielten. Als er im zweiten Text seinen Zuhörern sagte, dass sie schon wüssten, wer dieser Faustus sei, von dem er sprechen wolle, war das wiederum ein Zeichen dafür, dass der Ruhm des Schwarzkünstlers unter den Studenten in den vierziger und fünfziger Jahren weit verbreitet war. Melanchthon mahnte seine Zuhörer, dass das verwerfliche Handeln des Faustus an den Flugversuch von Simon Magus erinnere und dass Faustus durch das Beten Peters zur Erde geworfen wurde. Diese Rückversetzung in die Frühzeit des Christentums bewies nach Melanchthon, dass die Kirche durch Wunder Stärke zeige und den Teufel besiegen könne. Das Verschlingen eines Menschen durch den Schwarzkünstler sollte eine ähnliche Moral veranschaulichen. „Denn [der Teufel] kan mehr, denn die Menschen können [...] Der Teufel kan viel wunderlichs dings“. Aber Melanchthon betonte, dass die Kirche mit seinen eigenen Mirakeln konkurrieren könnte. Aus der Sicht Melanchthons war der Teufel kampfbereit mit seinen übermenschlichen Wunderwerken. Er hatte Faustus als Partner gewonnen. Aber gegen dieses Bündnis kämpften die Apostel und die Kirche mittels ihrer eigenen Wunder. Melanchthon beschrieb einen mythischen Kampf. Für seine Geschichte von Simon Magus und hl. Petrus war seine Quelle die Legenda aurea. Der Lebenslauf des hl. Petrus zeigt darin den Sieg über Simon Magus. Faustus wurde dem Simon Magus gleichgesetzt. Damit ereignete sich die erste einer langen Reihe von mythischen Identifikationen in Wittenberg. Weder Luther noch Melanchthon zeigten ein echtes Interesse an Faustus. Er war ihnen nur wichtig, weil er von vielen bestaunt und bewundert wurde. Sie meinten, dass vor ihm gewarnt werden müsste. Die eigentliche Gefahr war jedoch nicht Faustus, sondern der Teufel. Obwohl Luther und Melanchthon dürftige Auskünfte über Faustus boten, darf man darum die Bedeutung ihres Beitrags nicht gering schätzen. Es wird zu zeigen sein, dass schon 1548 von Johannes Gast, 1562 von Johannes Manlius und 1585 von Hermann Witekind viele neue Einzelheiten zu seiner Vita hinzuka-
137 Melanchthon war mit beiden, Camerarius und Stibar, befreundet; er hätte daher theoretisch Zuverlässiges über den historischen Faustus erfahren können.
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men. Wie kam diese unerwartet große Bereicherung zustande? Um den schwer zu fassenden Punkt in der Evolution des Faustus-Bildes zu identifizieren, wird eine viel gründlichere Untersuchung der vierziger Jahre in Wittenberg notwendig sein. Gerade damals war vieles mündlich im Umlauf, aber auch wenn einige Quellen nur indirekt mit dem Namen Faustus in Verbindung standen, müssen auch solche herangezogen werden. Da die berühmten Erzähler über Faustus Luther und Melanchthon waren, kann man vermuten, dass sie die Verantwortlichen für die von Goethe vermutete Verlegung des Faustus-Bildes nach Wittenberg sind. Wie sich eine solche Verlegung realisieren kann, lässt sich durch die einsichtsvollen Beobachtungen Alexander von Humboldts veranschaulichen. Er hat in seiner Untersuchung der El-Dorado-Legende in Südamerika die Verlegung des mythischen, goldreichen Ortes durch die Konquistadoren, die diesen Ort suchten, dokumentiert. Weil sie meinten, dass dieses El Dorado an einem See, zuerst an der westlichen Küste, zu finden sei, zeigten die damaligen Landkarten einen mythischen See, den – nach vergeblichem Suchen – die Landkarten immer wieder nach Osten verlagerten.138 Die Änderungen, die die geographischen Bewegungen des Mythos bestimmen, sind also nicht auf Beobachtungen oder Tatsachen gegründet, sondern auf Interessen oder Hoffnungen. Melanchthon bestätigt, dass Faustus unter den Studenten (vermutlich durch Hörensagen) schon bekannt war.139 Dann sorgten die Schüler Melanchthons, vor allem Manlius und Witekind, dafür, dass der wichtigste Orientierungspunkt für die Geschichten über Faustus Wittenberg wurde. Die Vorträge Melanchthons in Wittenberg, die von seinen Studenten in Heften notiert wurden, stellen ein wertvolles Mittel dar, diesen Fragen nachzugehen. Hermann Witekind [Wilcken] hatte in den Jahren 1547-1550 in Wittenberg studiert und war mit Melanchthon persönlich befreundet. Der Briefwechsel zwischen Lehrer und Schüler spiegelt die persönliche Neigung Melanchthons dem Schüler Witekind gegenüber.140 In seinem Christlich Bedencken betonte Witekind, dass er den „frommen hochgelerten herrn Philip Melanthon, neben andern viel hundert studenten, gehöret habe“.141 Witekind veröffentlichte diese Erinnerung in einer Schrift erst 1585, und er hat darin aber auch Auskünfte aus den Berichten
138 Humboldt beobachtete: „Wir haben dargetan, dass der Mythos vom Dorado, gleich den berühmtesten Mythen der Völker der alten Welt, nach und nach auf verschieden Örtlichkeiten bezogen worden ist Alexander von Humboldt: Reise in die äquinoktial-Gegenden des neuen Kontinents“. Hg. von Ottmar Ette. Frankfurt a. M. 1999, S. 1384. 139 Melanchthon: „Faustum, quem multi in hoc auditorio norunt“. Vgl. Anm. 7. 140 Vgl. die Briefe Melanchthons in den Jahren 1550–1560. Karl Gottlieb Bretschneider (Hg.): Corpus Reformatorum, Bde.7, 9, 10 u. 20. 141 Witekind: Christlich Bedencken. Hg. von Frank Baron, S. 34. Vgl. S. 111–113.
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des Johannes Manlius übernommen. Darin konnte er die Auskunft erhalten, dass Faustus in Venedig mit Hilfe des Teufels einen Flugversuch unternommen hatte, aber das Experiment missglückte, „das er da er wider auff die Erden kam, vor todt da lag. Doch ist er das mal nicht gestorben“.142 Es ist also gar nicht immer feststellbar, was Witekind direkt von Melanchthon übernommen hat und was ihm durch Manlius bekannt geworden war. Witekind hat die Geschichte des Flugversuchs zweifellos direkt von Melanchthon übernommen: Wir lesen daß der teuffel den Simon / den zauberer / (deßen in der Apostel geschichten meldung geschihet) hab zu Rom in der lufft vmbher gefhrt / vnd jn fallen laßen / daß er den hals zerbrach. Wie er dem Faust thete zu Venedig / der aber mit dem leben davon kamb.143
Die Erfahrung des Fluges wurde im Faustbuch zu ausführlichen, vom Teufel ermöglichten Reisen durch ganz Europa ausgedehnt. Bei Marlowe fasst der Chor gleich am Anfang den fatalen Lebenslauf des Faustus knapp zusammen, indem er seine gefährliche Verwegenheit in Analogie zum mythischen Bild des Ikarus beschreibt: His waxen wings did mount above his reach And melting heavens conspir’d his overthrow […]144
Die Resonanz auf den Flugversuch in Venedig ist bemerkenswert, weil Melanchthon einer der ersten war, der zu dieser Mythisierung des Faustus-Bildes eine entscheidende Identifikation beitrug. Da die Vorstellungen über den Teufelspakt in Wittenberg noch eingehend untersucht werden sollen, ist darauf hinzuweisen, dass die Legenda aurea auch dafür entscheidend war. In Wittenberg wurde Faustus zu dieser Zeit noch nicht als Teufelsbündner bezeichnet. Berichte über Faustus und den Bund mit dem Teufel erweckten reges Interesse, aber diese zwei Themen wurden scharf getrennt überliefert. Trotzdem wird die Tendenz sichtbar, die grundlegenden Vorbilder und Vergleiche aus der Legenda aurea zu schöpfen und mit deren Hilfe die mythische Verwandlung zu fördern. Die Wittenberger Vorstellung über Faustus war schnell verbreitet. Ein gelehrter protestantischer Diakon, Korrektor und Herausgeber zahlreicher theologi-
142 Vgl. den Text über Faustus von Johannes Manlius weiter unten. 143 Witekind: Christlich Bedencken. Hg. von Frank Baron, S. 30. 144 Michael Keefer (Hg.): The Tragical History of Doctor Faustus. A Critical Edition of the 1604 Version. Toronto 2007, S. 173.
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scher Schriften in Basel, Johannes Gast (ca. 1500–1552), erzählte einiges, was bis dahin über Faustus noch nicht bekannt war: Über den Nekromanten Faustus. Faustus wollte in einem reichen Kloster übernachten. Der Klosterbruder bot ihm aber einen mittelmäßigen Wein. Faustus bat um einen besseren, den man gewohnt war, den vornehmen Gästen anzubieten. Der Bruder aber sagte, dass er die Schlüssel dafür nicht habe; der Prior schlafe, und man dürfe ihn nicht wecken. Faustus sagte ihm, dass die Schlüssel in jener Ecke liegen, und er sollte ihm den Wein aus dem linksliegenden Fass bringen. Der Bruder zögerte; er dürfe den Wein ohne Erlaubnis nicht anbieten. Als Faustus dies hörte, wurde er zornig und drohte, dass der ungastfreundliche Bruder bald Schlimmes erfahren würde. Er verließ am nächsten Tag sehr verärgert das Kloster und schickte dem Kloster einen wütenden Teufel, der in den Zellen und in der Kirche Tag und Nacht so störte, dass Mönche keine Ruhe hatten. Sie überlegten, ob sie das Kloster verlassen oder zerstören sollten. Sie teilten dies dem Pfalzgrafen mit. Er übernahm das Kloster und schickte die Mönche weg. Man sagt, dass noch heute, wenn Mönche ins Kloster eintreten, der große Lärm beginnt, so dass man keine Ruhe hat. Das hat der Teufel verrichtet.145
Eine wichtige Frage ist dabei, woher diese Mitteilungen kamen und wie sie entstanden sind. Gast erzählte 1548 folgende Faust-Anekdote im zweiten Band seines Conviviales sermones. Gast bietet keinerlei Auskünfte über den Standort des von Faustus verteufelten Klosters. Trotzdem lässt sich nach dem Gast-Biographen Paul Burckhardt „mit großer Wahrscheinlichkeit nachweisen“, welches Kloster Gast gemeint hatte. Er berichtet, dass Wolfgang Musculus 15 Jahre lang im Kloster Lixheim bei Pfalzburg gewesen sei, sogar zum Prior gewählt wurde, aber dann
145 „De Fausto necromantico. Diuertitur sub noctem in coenobium quodam, ualde diues, pernoctaturus illic. Fraterculus apponit illi uile uinum, pendulum, ac nihil gratiae habens, rogat Faustus ut ex uase altero hauriat melius uinum, quod nobilibus dare consueuerat. Fraterculus mox dixit, Claues non habeo, Prior dormit, quem exuscitare piaculum est. Faustus inquit, Claues iacent in isto Angulo, has accipe, et uas illud ad sinistrum latus aperi, et adfer mihi potum. Fraterculus renuit, sibi non esse comissum a Priori aliud uinum hospitibus proponere. Faustus ijs auditis, iratus dixit, Videbis breui momento mira inhospitalis fratercule. Abijt summo mane insalutato hospite, ira accensus, ac immisit satanam quondam furibundum, die noctuque in coenobio perstrepentem, omnia mouentem tam in ecclesia quam in ipsis habitationibus monachorum, adeo ut quitem nullam habere possint, quodcumque negotium attentarent. Tandem deliberarunt, an coenobium esset relinquendum, aut omnino pereundum. Palatino itaque scripserunt de infortunio illo, quo tenebantur. Qui coenobium in suam recepit defensionem, abiectis monachis, quibus alimenta praestat in singulos annos, reliqua sibi seruat. Aiunt quidam, etsi adhuc hodie monachi conobium intrent, tantas turbationes fieri, ut quietem incolentes habere non possint. Hoc nouit satan instituere“. Tomus Secvndvs Convivalium, partim ex probatissimis historiographis, partim exemplis innumeris, quae nostro seculo acciderunt, congestus, omnibus uerarum uirtutum studiosis, utilissimus. Nunc primum in lucem editus. Basel 1548, II, S. 280–281.
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1527 geflohen sei. Er kam nach Basel und traf Gast. Burckhardt meint, dass dieser „die Faust-Historie direkt von Musculus vernommen“ habe.146 Ist diese These zwingend? Muss es gerade dieses Kloster gewesen sein, an das Gast dachte? Hat er vielleicht das Kloster und auch die Anekdote dazu einfach erfunden? Die Zimmerische Chronik, entstanden viele Jahre später, übernahm und kürzte die Anekdote und verortete das Kloster in Lüxheim (i.e. heute Luxeuil). Dort wurde Faustus für das Auftreten eines Teufels im Kloster verantwortlich gemacht. Während die Abhängigkeit der Zimmerischen Chronik von Gast überzeugt, ist die Frage nach der präzisen Identifizierung des Ortes weniger klar.147 Gast war Protestant, sodass die satirische Darstellung der Mönche, die leicht zu verwirren und zu vertreiben waren, sehr gut zu seinem Glauben passt. Dagegen fehlte in der katholischen Zimmerischen Chronik, in der dieselbe Anekdote sehr knapp erscheint, diese polemische Tendenz. Gast zeigte den Schwarzkünstler Faustus als einen, der dem Wein sehr ergeben war. Seine Neigung zum Trunk sollte aber nicht überraschen, denn in der von Johannes Weyer mitgeteilten Anekdote über Johann Dorsten, (der erkannt hatte, dass „Faustus dem Trunck sehr geneigt war“), wurde dies ebenfalls schon berichtet.148 So wie Faustus im Kloster unbedingt den besten Wein haben musste, so war er auch bereit, die Gesundheit eines freundlichen Menschen zu gefährden, um den Wein zu bekommen. Für einen Menschen wie Faustus, der von einem Ort zum anderen wanderte und der in Wirtshäusern zu Hause war, wäre eine solche Neigung vorstellbar. Dabei ist zu bedenken, dass weder diese noch die andere Quelle, trotz einer ähnlichen Tendenz, als zuverlässige, zeitgenössische Quellen gelten können. Gast hatte noch weitere Auskünfte über Faustus: Als ich zu Basel mit ihm [Faustus; F. B.] im großen Collegium speiste, gab er dem Koch Vögel verschiedener Art, von denen ich nicht wußte, wo er sie gekauft oder wer sie ihm gegeben hatte, da in Basel damals keine verkauft wurden, und es waren Vögel, wie ich in unserer Gegend keine gesehen habe. Er hatte einen Hund und ein Pferd bei sich, die, wie ich glaube, Teufel waren, da sie alles verrichten konnten. Einige sagten mir, der Hund habe zuweilen die Gestalt eines Dieners angenommen und ihm Speise gebracht. Der Elende endete auf schreckliche Weise, denn der Teufel erwürgte ihn; seine Leiche lag auf der Bahre immer auf
146 Paul Burckhardt: Die schriftstellerische Tätigkeit des Johannes Gast. In: Baseler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 42 (1943), S. 190. 147 „Zahlreiche Schwänke sind nicht original, sondern übernommen und neu lokalisiert“. Beat Rudolf Jenny: Graf Froben Christoph von Zimmern. Geschichtschreiber, Erzähler, Landesherr. Ein Beitrag zur Geschichte des Humanismus in Schwaben. Konstanz 1959, S. 188–189. 148 Vgl. das Zeugnis Weyers im Kapitel „Ärzte gegen Faustus“ weiter oben.
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dem Gesicht, obgleich man sie fünfmal umdrehte. Der Herrr bewahre uns davor, dass wir Sklaven Santans werden“.149
Gasts Absicht war vor allem die Unterhaltung der Leser. Er bot sowohl Ernstes als auch Heiteres.150 Zur Frage einer Zusammenkunft Gasts mit Faustus ist auch zu bedenken, dass die Zauberei, wodurch Faustus verschiedene Vögel für das Essen heranholen ließ, in einer ähnlichen Form auch schon von Melanchthon in Wittenberg erzählt wurde. In seinen Vorträgen sprach Melanchthon nicht über Vögel, sondern über Fische, die nicht Faustus für Gast, sondern Trithemius für Willibald Pirckheimers Vater heranschaffen konnte. Der Abt zu Spanheim ist auch ein grosser Zauberer gewesen, derselbige ist einsmals gereiset (wie [Herr] Pirckh[ei]mer angezeigt hat) vnd ist in eine Herberg kommen, da nichts zugerichtet war; da haben etliche im schertz zu jm gesagt: Gnediger Herr, lieber verschaffet vns ein guts gerichte von Fischen. Er hat nur ans fenster geklopfft; von stund an ist einer herein kommen mit einer grossen Schüssel voll gesottener Hechten.151
149 „Aliud de Fausto exemplum. Basilieae cum illo coenatus sum in collegio magno, qui varij generis aues, nescio ubi emerat, aut quis dederat, cum hoc temporis nullae uenderentur, coquo ad asssandum praebuerat, quales etiam ego nunquam in nostris regionibus uiderim. Canem secum ducebat & equum, Satanas fuisse reor, qui ad omnia erant parati exequenda. Canem aliquando verui formam assumere, & esculenta adferre, quidam mihi ixere. Atqui miser deplorandum finem sortitus est, nam a satana suffocuatus, cuius cadauer in feretro facie ad terram perpetuo spectans, etsi quinquies in tergum uerteretur. Dominus custidiat nos, ne satanae manicipia fiamus“. Sermones conviviales, II, S. 281. Vgl. Betrachtung der Anekdote von Gast über den Tod des Zauberers Faustus im Kapitel „Geständnis und Tod“ weiter unten. 150 Aus einer Ich-Erzählung darf aber nicht geschlossen werden, dass Gast eigenes Erlebtes berichtet. Für diese Beobachtung stellte Burckhardt ein überzeugendes Beispiel vor: „Zur Zeit des Reichstags von Speyer im Frühling 1529 sei Simon Grynaeus von Heidelberg herübergekommen und habe dem Johannes Faber, dem späteren Bischof von Wien auf der Straße offen und tapfer widersprochen; darauf habe dieser tückisch die Verhaftung des Grynaeus durch königliche Knechte vorbereitet; aber ein unbekannter Greis sei plötzlich an der Türe des Gemachs erschienen, wo der Bedrohte im Kreis der Freunde weilte, um ihn zu warnen, und sei dann spurlos verschwunden. Die Freunde hätten sofort Grynaeus bis zum Rheinufer begleitet, wo ihn ein Kahn in Sicherheit brachte. Der Erzähler [Gast; F. B.], der persönlich die Warnung des geheimnisvollen Boten in Empfang nahm, führt das Geschehnis als Beispiel an, wie Gott seiner Kirche Engel als Wächter gebe“. Dieses Ereignis, das Gast im Gewand des agierenden Ich-Erzählers vorstellt, hat er nachweislich aus einem Bericht Philipp Melanchthons übernommen, der in Speyer dabei war und zu Recht in der ersten Person berichtet. Der Erzähler war also nicht Gast, sondern Melanchthon, dessen Text im Rahmen eines Kommentars zum Propheten Daniel 1543 in Basel gedruckt wurde. Gast hatte das Vorgefundene zur eigenen Erzählung umgestaltet. Burckhardt: Die schriftstellerische Tätigkeit, S. 188–189. 151 Der lateinische handschriftliche Text Melanchthons (siehe unten) wurde von Johannes Manlius verkürzt und von Johann Huldreich Ragor übersetzt. Locorum communium, Frankfurt
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Man muss also den Hinweis auf Melanchthon als Quelle für Gasts Kenntnisse über Faustus ernst nehmen, denn es gibt noch mehrere Andeutungen, dass solche Auskünfte, die in gedruckten Quellen noch gar nicht vorlagen, durch Handschriften oder mündlich nach Basel gelangt waren. Der Neffe Gasts, Philipp Bech (Bächi, Bechius) aus Freiburg i. B. (1521–1560), später Professor für Medizin an der Universität Basel, studierte in den vierziger Jahren in Wittenberg. Er stand in freundschaftlicher Beziehung zu Melanchthon. Bech übermittelte 1544 an Gast einen Gruß von Melanchthon.152 Auskünfte über Faustus hätten mithin direkt durch Vermittlung Bechs zu Gast kommen können. Gast hatte zu dieser Zeit die Vorträge Melanchthons, in denen der Vortragende Anekdoten über Faustus eingefügt hatte, in Basel zum Druck befördert: In evangelia, quae usitato more in diebus Dominicis et Festis proponuntur, Phil. Melanchthonis annotationes, omnia nunc et locupletiora, Basel 1545. Gast war an dem Buch mit einer Vorrede beteiligt.153 Im Hinblick auf die Verfügbarkeit der Faustus-Anekdoten ist auch Gasts nahe Beziehung zu Gilbert Cognatus, dem ehemaligen Famulus des Erasmus, zu erwähnen. Gast erinnerte sich in einem Brief an Cognatus im Jahre 1547 an eine Zeit des gemeinsamen Studiums.154 Cognatus gab zu dieser Zeit selbst eine Anekdotensammlung heraus, die der von Gast verwandt war: Narrationum sylva, Lyon 1548. Diese Sammlung enthielt auch eine Teufelspakt-Geschichte aus Melanchthons Vorträgen. Diese Geschichte, die auf Martin Luthers Bericht fußte, wie er den Studenten Valerius Glockner aus dem Rachen des Teufels gerettet habe, hat Cognatus stark modifiziert als Ich-Erzähler weitergeleitet.155 Jedenfalls ist deutlich,
1566, fol. Er. Vgl. Baron: Faustus, 134. „De abbate Spanheimio. Φ.Μ. Pirchamerus mihi aliquando narrauit, quod pater suus in legatione quadam profectus esset cum Abbate Spadanensi [Spanheimensi] et cum uenissent iuxta syluam Franconum in sordidum diuersorium, quondam amicum Abbatis et socium iteneris ioco dixisse ad Abbatem: domine Abbas, curate nobis lautum ferculum piscium bene coctorum. Ibi Abbatem digito fenestram pulsasse et dixisse: Feras ocius ferculum bonorum piscium. Paulo post uenisse quondam ac per fenestram exhibuisse lupulae laute apparatum. Abbas apposuit et edit, sed reliqui abstinuerunt“. Gustav Milchsack, Gesammelte Aufsätze, Wolfenbüttel 1922, Sp. 275. Diese Geschichte fand weitere Verbreitung durch Witekind. Witekind: Christlich Bedencken. Hg. von Frank Baron, S. 20. Diese Geschichte wurde auch ins Faustbuch übernommen! Vgl. Füssel und Kreutzer, Historia, S. 27; Müller, Romane, S. 859–860. 152 Paul Burckhardt: Das Tagebuch des Johannes Gast, Ein Beitrag zur schweizerischen Reformationsgeschichte. Basel 1945, S. 20, 43, 76, 107–108. 153 Burckhardt: Die schriftstellerische Tätigkeit, S. 151. 154 Ebd., S. 154. 155 Den Text von Cognatus habe ich im Zusammenhang eines Beitrags über das Schicksal der frühen Faust-Geschichten in Ungarn ediert. Frank Baron: A Faust-Monda és magyar változatai.
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dass die in Wittenberg von Luther und Melanchthon erzählten Teufelsgeschichten auch in Basel damals greifbar waren. Das Merkmal solcher Erzählungen war ihre leichte Anpassungsfähigkeit an das Interesse des jeweiligen Erzählers. Dass für Gast Geschichten aus Wittenberg glaubhaft erscheinen konnten, beweist ein Auszug aus seinem Tagebuch. Unter dem Datum des 7. September 1545 schreibt er: Ein Teufelswerk geschah in der Herrschaft Hochberg. Im Schloß wurde ein verbrecherischer Reitknecht, ein Diener von Edelleuten, gefangen gehalten. Als er von den Burgwächtern aus dem tiefen Kerker herausgezogen wurde, um zum peinlichen Verhör gebracht zu werden, ergriff er ein Messer und schnitt sich selbst die Kehle ab, so dass er gleich tot zusammenbrach. Und als der Henker ihn auf sein Roß geladen hatte und in den Rhein werfen wollte, erhob sich gerade unterwegs ein so furchtbarer Sturmwind, dass er in die Luft gehoben wurde und merkte, wie der Sattel in acht Stücke zerbrochen und das Pferd erblindet war, wobei er selbst fast bis zum Tod erschöpft war, so dass er den Leichnam im Feld liegen lassen musste in Angst vor dem drohenden Tod. Solches aber vermag der Teufel mit Gottes Zulassung, um den armen Menschen Schrecken einzujagen; ihm sollen wir im Glauben widerstehen; so wird er fliehen, wie der Hl. Jacobus gelehrt hat.156
Gast und die meisten seiner Zeitgenossen haben fest daran geglaubt, dass die Folter die Wahrheit zu Tage fördern könne und die sonstigen geheimnisvollen Umstände durch das Wirken des Teufels zu erklären sind. Woher hatte Gast die Auskünfte, dass Faustus einen Hund bei sich hatte, der ein Teufel war und dass der Teufel ihn zuletzt erwürgt habe? Sie sind sicher keine Erfindungen Gasts, sondern Nachrichten aus Wittenberg, wie schon andere Quellen andeuten. Die Geschichten haben den Weg nach Basel gefunden. Nur durch Beziehungen verschiedener Vertrauter der Reformatoren sind die Impulse für die Basler Faustus-Geschichten zu erklären. Aber man muss trotzdem fragen, warum die Berichte gerade in Wittenberg eine so starke Wirkung hatten.
C. Faustus in Wittenberg: Johannes Manlius Johannes Manlius stammte aus Ansbach und wurde 1548 an der Universität Wittenberg immatrikuliert. Nach einer Unterbrechung seines Studiums, etwa 1550–
Bornemisza Péter és Molnár Albert, ItK (Irodalomtörténeti Közlemények), 1986, S. 22–31. Vgl. den Text auf S. 28–29. Für die verschiedenen Versionen der Valerius Glockner Pakt-Geschichte vgl. Frank Baron: Faustus on Trial. The Origins of Johann Spies’s Historia in Age of Witch Hunting, S. 115–119. 156 Das Tagebuch des Johannes Gast, S. 15–16.
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1555, kehrte er nach Wittenberg zurück und wurde dort 1558 Magister. Zwei Jahre war er im Dienste Melanchthons als Famulus (ca. 1555–1557).157 Melanchthon hat ihm vermutlich einiges über Faustus privat anvertraut. Was aber direkt von Melanchthon herrührte und was mündlich im Umlauf war, muss noch geprüft werden. Kurz nach dem Tode Melanchthons reiste Manlius nach Basel, um dort bei dem Drucker Johannes Oporin seine Sammlung von Exempeln, Locorum communium collectanea, zu veröffentlichen. Der Titel verkündete, dass vieles darin von Melanchthon stammte, aber daneben auch von anderen gelehrten Männern. Das Werk organisierte Exempel unter den Kategorien der Zehn Gebote. Unter dem Titel „Von der Erschöpfung“ behandelte Manlius, wie schon auf der Titelseite steht, alte und neue „Exempel, Gleichniß, Sprüch, Rathschläge, Kriegsrüstung, geschwinder Rencke, Historien, Schutzreden, dunckeler Sprüch, rhäterisch, höflicher Schwenk, vnd dergleichen vieler anderer ernst und schimpflicher reden vnd thaten“ 158 Hier kam vieles über das gefährliche Wirken des Teufels zusammen, um vor ihm zu warnen. Dieses Werk erlangte besondere Bedeutung, weil Manlius die ersten und einzigen Auskünfte über die Geburt und Herkunft des Zauberers Faustus lieferte. Manlius lässt Melanchthon selbst erzählen: Ich hab einen gekennet, mit nammen Faustus von Kundling (ist ein kleines stettlein, nicht weit von menem Vatterland) der selbig da er zu Crockaw in die Schul gieng, da hatte er die Zauberey gelernet, wie man sie dann vor zeiten an dem ort sehr gebraucht, auch öffentlich solche kunst geleeret hat. Er gieng hin vnd wider allenthalben, und sagte viel verborgene ding. [...] Vor wenig jaren ist derselbige Johannes Faustus, den tag vor seinem letzten ende [...]159
157 Matthias Simon: Johannes Manlius, der erste Herausgeber von Melanchthonbriefen. In: Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte, 24, 1955, S. 141–149. Manlius fing als „Johannes Menlin Onoltzbachensis [Ansbach]“ seine Studien im Januar 1548 in Wittenberg an. Vgl. Album Academiae Vitebergensis (1502–1602), hg. von C. E. Foerstemann. Leipzig 1831, Bd. 1, S. 237. Vgl. Baron: Faustus, S. 56–65 u. 135. 158 Locorum communium collectanea. A Iohanne Manlio, per multos annos, tum ex lectionibus D. Philippi Melanchthonis, tum ex aliorum doctissimorum virorum relationibus excerpta, & nuper in ordinem ab eodem redacta, iamque postremum recognita. In quibus varia, non solum vetera, sed in primis recentia nostri temporis exempla, similitudines, sententiae, consilia, bellici apparatus, stratagemata, historiae, apologi, allegoriae, sales, & id genus alia utilissima continentur: non solum theologis, iurisperitis, medicis, studiosis artium, verum etiam rempublicam bene & feliciter administraturis, cognitu cumprimis necessaria. Basel 1562. Zitiert hier nach Locorum communium collectanea. Deutsch von Johann Huldreich Ragor. Frankfurt am Main 1566, S. 88–90. Vgl. Wilhelm Hammer: Die Melanchthonforschung im Wandel der Jahrhunderte. Heidelberg 1967, S. 221. 159 Manlius: Locorum communium collectanea, deutsche Ausgabe von 1566, S. 88–90. „Novi quendam nomine Faustum de Kundling, quod est paruum oppidum, patriae meae uicinum“.
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So entstand die noch heute von manchen ernst genommene Ansicht, dass Faustus aus der Nähe von Melanchthons Geburtstadt stamme. Faustus wurde nun zum ersten Mal als Johannes vorgestellt, im Widerspruch zum Vornamen Georgius in den historischen Zeugnissen. Als Herkunftsort galt jetzt nicht mehr Helmstadt sondern Cundling (verstanden danach als Knittlingen). Keine historischen Quellen unterstützen die Behauptungen, dass Faustus die schwarze Magie in Crakow erlernt habe. Die dortigen Matrikel nennen ihn nicht. Auch wenn solche Auskünfte wirklich von Melanchthon stammen sollten, sollte man berücksichtigen, dass dieser es gewohnt war, die historische Wahrheit einer höheren Wahrheit des Glaubens zu opfern. Die faktische Wahrheit war für ihn nicht die Hauptsache. Es ist jedoch notwendig, den vollständigen Text von Manlius anzusehen, um zu verstehen, dass nichts, was er erzählt, wirklich als Tatsache verifizierbar ist. Manlius brachte Faustus außerdem mit Agrippa [von Nettesheim], der wegen seiner okkulten Schriften auch einen schlechten Ruf hatte, in Verbindung. Agrippa habe, so Manlius, „auch allewege einen hund mit ihm lauffen, der war der Teuffel“.160 Wir erkennen hier eine Tendenz, die schon bei Melanchthon beobachtet wurde, nämlich dass fehlende Auskünfte über Faustus durch Berichte über andere vermeintliche Zauberer das Bild des Faustus bereichern. Ein katholischer Gegner Agrippas, der italienische Historiker Paulus Giovius, hatte eine gefährliche Geschichte verbreitet: Als Agrippa sich in einem gemeinen und dunklen Wirtshaus dem Tode nahe fühlte, habe er seinen schwarzen Hund zu sich gerufen und dieser „Bestie“, die ihn ganz zu Grunde gerichtet habe, befohlen, zu verschwinden. Dieser Hund, in Wirklichkeit der Teufel, sei zum Fluss gelaufen, ins Wasser gesprungen, und darin ertrunken. Im gleichen Augenblick starb auch Agrippa.161 Der Arzt Johannes Weyer, der berühmte Schüler Agrippas,
Manlius: Locorum communium collectanea. Lateinische Ausgabe, S. 42–44. Dass Manlius auf Melanchthon als Erzähler hinweist, ist keine Garantie für die Zuverlässigkeit des Erzählten. Zu beachten sind die sonstigen Beobachtungen Melanchthons über den Teufel und Zauberer. Vgl. Karl Hartfelder: Der Aberglaube Philipp Melanchthons. In: Historisches Taschenbuch 8 (1889), S. 233–269, hier S. 255–256. 160 Manlius: Locorum communium collectanea, deutsche Ausgabe, S. 88–90. 161 Paulo Giovio: Gli elogi degli uomini illustri. Hg. von Renzo Meregazzi. Rom 1972, S. 122–123. Die erste Ausgabe dieses Werkes stammte aus dem Jahr 1546. Vgl. Wolf-Dieter Müller-Jahncke: Magie als Wissenschaft im frühen 16. Jahrhundert. Die Beziehungen zwischen Magie, Medizin und Pharmazie im Werk des Agrippa von Nettesheim (1486–1535). Diss. Marburg 1973, S. 2. Ders. „Agrippa von Nettesheim: De occulta philosophia, Ein ‚magisches System‘“. In: Studia Leibnitziana, Sonderh. 7, 1978, S. 19–29. Vgl. Gerhard Ritter: Ein historisches Urbild zu Goethes Faust (Agrippa von Nettesheim). In: Preußische Jahrbücher 141 (1910), S. 300–324. Gab es einen historischen Hintergrund für die Verbindung zwischen Faustus und Agrippa? Leider stammt die Quelle
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klagte über solche Verleumdungen. Er behauptete, er selbst habe in Bonn diesen schwarzen Hund sehr genau kennen gelernt. Veranlassung des ganzen unsinnigen Geredes sei die fast kindische Liebe Agrippas zu diesem Hunde gewesen. Den klugen Hund hatten einige unverständige Leute schon damals, als Weyer noch bei Agrippa war, als einen bösen Dämon betrachtet. Man kann sich auf Johannes Weyer verlassen, der behauptet, dass er Agrippa und dessen Hund gekannt hatte162, und dadurch mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass Manlius eine durch Teufelspolemik und durch den Volksmund beförderte Sage wiedergab. Faustus jedenfalls erbte seine Hunde offensichtlich von Agrippa. Wenn man annehmen darf, dass auch diese Geschichte über Agrippa in Wittenberg bekannt war und von dort aus nach Basel gelangte, wo sie von Gast adoptiert wurde, dann sieht man, wie schnell und leicht das Bild eines Zauberers wie Faustus umgedeutet werden konnte. Im Hintergrund steht Agrippa, der angebliche Zauberer, der dem Faustus ähnlich war. Das kann für den Erzähler bedeuten, dass es legitim erschien, die Eigenschaften des einen auf den anderen zu übertragen. Also darf Faustus die teuflischen Hunde Agrippas erben. Der Hund und das Pferd bei Gast und die zwei Hunde bei Manlius wurden vermutlich durch eine gemeinsame Quelle inspiriert, durch den schlechten Ruf Agrippas. Diese zwei Beispiele veranschaulichen eine geläufige Strategie der Erzähler im 16. Jahrhunderts: die Gewohnheit, vorhandene Texte in solcher Weise zu manipulieren, dass die Erzähler die Handlungen gewisser Figuren und Begleiterscheinungen einfach übernehmen, mit neuen Namen versehen, und das Neue als das Originelle und eigentlich Wahre vorstellen.163 Auch wenn die Hunde von Faustus im Faustbuch nicht erschienen, hat Goethe, der Agrippa als Autor kannte und schätzte, Faust als Hundeliebhaber neues Leben geschenkt.164 An Gasts Anekdoten erinnert auch Manlius’ Erzählung des grauenhaften Todes durch den Teufel. Faustus wurde nach Manlius in der Schlafkammer gefunden, „darinn er gelegen ist, da ist er neben dem Bette todt gelegen gefunden, und
dafür erst aus dem Jahr 1583. Der Bericht des päpstlichen Legaten Minucci: Hermann von Wied, der abtrünnige Erzbischof von Köln, soll „Faust[us] und Agrippa bei sich [gehabt haben], die in dieser [magischen] Kunst großen Ruhm genießen und der Schüler [der Erzbischof] sein wollte“. Der Kontext macht klar, dass die Polemik gegen den Erzbischof die Erwähnung der magischen Künste veranlaßte, und daher die historische Zuverlässigkeit erheblich geschwächt wird. Vgl. Henning: Faust als historische Gestalt, S. 122–123. 162 Johannes Weyer: De praestigiis daemonum. Basel 1583, 2. Buch, Kap. 5. 163 Neben Gast bietet die noch zu betrachtende Zimmerische Chronik viele Beispiele dieser Strategie. 164 Vgl. Goethe, Faust: Szenen „Vor dem Tor“ und „Studierzimmer“.
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hatte jm der Teuffel daz angesicht auff den rucken gedrehet“.165 Diese Beschreibung des Todes ist wiederum mit der Nachricht Gasts nah verwandt. Woher kam die frappante Ähnlichkeit des furchtbaren Todes? Die Indizien verweisen wiederum auf Impulse aus Wittenberg. Die kurze biographische Skizze von Manlius war eine logische Fortsetzung von Entwicklungen, die mit Luther und Melanchthon in Wittenberg begannen. Charakteristisch war eine extravagante Übung der Freiheit, mit Faustus alles zu assoziieren, was über Zauberer und das Wirken des Teufels bekannt war. Dass Manlius offenbar schriftliche Fassungen von Melanchthons Vorträgen zur Verfügung standen, zeigt seine Vermittlung von gewissen Schwänken. Manlius erzählte, wie Melanchthon, das Scheitern des Flugversuchs beschrieben hatte: Er [Faustus, F.B.] wolt eins mals zu Venedig ein schawspiel anrichten vnd sagte er wolte hinauff inn Himmel fliegen. Alsbald füret in der Teuffel hinweg vnd hat jn dermassen zermartert vnd zerstossen, das er da er wider auff die Erden kam, vor todt da lag. Doch ist er das mal nicht gestorben.166
Der Text Melanchthons brauchte gar nicht mitzuteilen, ob Faustus gestorben sei oder nicht. Der Vergleich mit Simon Magus hatte zur Annahme geführt, dass er tödlich verunglückt sei. Da aber Manlius noch von dem Tod etwas ganz anderes erzählen wollte, war er gezwungen, beiläufig hinzuzufügen, dass Faustus diesmal noch nicht gestorben sei. Das Beispiel zeigt, dass er mit Melanchthons Texten ziemlich freizügig verfahren ist. Bei einer ähnlichen Textstelle Melanchthons hat er übersehen, dass es sich um Faustus handelte. Melanchthon hatte berichtet, dass Faustus in Wien einen anderen Zauberer verschlungen habe. Diese Anekdote hat Manlius zwar auch erzählt, aber ohne die Nennung des Namens, so dass ein namenloser Zauberer für das Verschlingen des konkurrierenden Zauberers verantwortlich gemacht wurde. Manlius hatte noch mehr zu erzählen: Des Morgens wolte Faustus nicht aufstehen. Und als es schier auff den Mittag kam, hat der wirt etliche Menner zu jm genommen, und ist in die Schlaffkammer gegangen, darinn er gelegen ist, da ist er neben dem bette todt gelegen gefunden, und hatt jm der Teuffel daz
165 Sermones conviviales, II, S. 281. 166 „Vagabatur passim, dicebat arcana multa. Ille Venetijs cum uellet ostendere spectaculum, dixit se uolaturum in coelum. Diabolus igitur subuexit eum, & affixit adeo, ut allisus humi pene exanimatus esset, sed tamen non est mortuus“. Manlius: Locorum communium collectanea. Lateinische Ausgabe, S. 42–44. Manlius: Locorum communium collectanea. Deutsch von Johann Huldreich Ragor. Frankfurt am Main 1566, S. 88–90.
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anggesicht auff den rücken gedrehet. Bey seinem leben hatte er zwen Hund mit jhm lauffen, die waren Teuffelen. Gleich wie der unflat, der das Büchlein geshrieben hat von der vergeblichkeit der künste, der hatte auch allwege einen hund mit jm laufen, der war der Teuffel. Derselbige Faustus ist zu Wittenberg entrunnen, als der fromme vnd löbliche Fürst Hertzog Johannes hette befehl gethann, das man jn fangen solte. Deßgleichen ist er zu Nürnberg entrunnen. Als er vbers mittagmal saß vnd hat den Wirt bezalt, was er jhm schüldig war, vnd ist daruon gegangen. Vnd als er kaum ist fürs thor kommen, waren die Stattknecht kommen, vnd hatten nach jhm gefraget. Derselbige Faustus, der Zeuberer, vnd vngeheurig Thier, vnd stinckend heimlich Gemach des Teuffels, rhümete vnverschemet, das alle Siege, die Keyserlicher Maiestet Kriegsvolk in Welschland gehabt hetten, die waren durch jhn mit seiner Zauberey zuwegen gebracht worden. Das ist eine erstunckene lügen, vnd nicht war. Solches sage ich aber von wegen der gemeinen jugent, auff das sie sich nicht von solchen losen leuten verfüren vnd vberreden lassen.167
Ein Aufenthalt von Faustus in Wittenberg wurde als Tatsache wahrgenommen und damit verbunden waren die Versuche, ihn loszuwerden. Es handelte sich wahrscheinlich um Gerüchte, die von Erinnerungen an Luthers Tischgespräche unterstützt wurden. Es gibt keine anderen Quellen, die einen solchen Aufenthalt andeuten. Dass Faustus auch aus Nürnberg ausgewiesen wurde, könnte sich auf die Nachricht stützen, dass er dort tatsächlich vergeblich um Einlass gebeten hatte. Die Tatsache, dass mehrere Studenten aus Nürnberg in Wittenberg studierten, und dass sie schon etwas über Faustus wussten, könnte Manlius beeinflusst haben. Die Faustus-Vita des Johannes Manlius wird heute als eine Quelle für den historischen Faustus herangezogen. Manlius gilt vielen als zuverlässiger Berichterstatter, weil er angeblich die Angaben seines verehrten Lehrers Philipp Melanchthon treu veröffentlichte. Der ehrenvolle Name Melanchthons, der als bedeutender Philologe und vertrauter Partner Luthers in theologischen Fragen gilt, führt dazu, ihn auch als zuverlässigen Berichterstatter von historischen Tatsachen ernst zu nehmen. Wie sehr Melanchthon die moralische Wahrheit wert-
167 „Hic Faustus in hoc oppido Vuittenberga euasit, cum optimus princeps dux Ioannes dedisset mandata de illo capiendo. Sic Norinbergae etiam euasit, cum iam inciperet prandere, aestuauit, surgitque statim, soluens quod hospiti debebat, vix autem uenerat ante portam, ubi ueniunt lictores, de eo inquirunt.—Idem Faustus magus, turpissima bestia, & cloaca multorum diabolorum, uane gloriabatur de se omnes uictoras, quas habuerunt Caesarini exercitus in Italia, esse partas per ipsum sua magia; idque fuit mendacium uanissimum. Id enim dico propter iuuentutem, ne statim talibus uanis hominibus assentiantur“. Manlius: Locorum communium collectanea. Lateinische Ausgabe, S. 42–44. Manlius: Locorum communium collectanea. Deutsch von Johann Huldreich Ragor. Frankfurt am Main 1566, S. 88–90.
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voller war als die Tatsachen wird noch im Zusammenhang der Frage, wie der faustische Teufelspakt entstand, zu besprechen sein. Es gibt mehrere Indizien dafür, dass in Nürnberg Vermutungen über den historischen Faustus mündlich verbreitet wurden. Stephan Füssel hat den Nürnberger Quellen des Faustbuchs eine eingehende Untersuchung gewidmet. Er stellte fest, dass die Wolfenbütteler Handschrift des Faustbuchs, die Gustav Milchsack in die siebziger Jahre des 16. Jahrhunderts datierte, eigentlich zwischen 1587 und 1592 entstanden sein musste. Der Berufschreiber stammte aus Nürnberg. Die Beschreibungen der Reisen im Faustbuch wurden von dem Nürnberger Hartmann Schedel abgeschrieben, mit besonderem Nachdruck auf die Besonderheiten des Nürnberger Stadtbildes. Füssel betonte die Eigenart der „Newen Zeitungen“ aus Nürnberg, die als Warnungen gegen Zauberei dem Faustbuch verwandt waren. Besonders wichtig erscheinen die Einzelheiten über Faustus in einer Handschrift, die Christoph Roßhirt (†1586) aufzeichnete.168 Roßhirt war 23 Jahre Lehrer in Nürnberg, aber er hatte in Wittenberg studiert (1536-1542), in den Jahren, in denen das Interesse für Faustus erst rege wurde. Da die schriftlichen Quellen seiner Erzählungen, außer den Tischreden Luthers (nach Aurifabers Sammlung, 1566), unbekannt sind, ist es ungewiss, wann und wo er seine Auskünfte erhalten hatte. Er erzählte verhältnismäßig spät, etwa 1575. Trotzdem ist es möglich, dass Roßhirt als langjähriger Bürger Nürnbergs auc Auskünfte über den historischen Faustus erfahren haben konnte. Er erzählte nämlich über Faustus in einer Weise, die es wahrscheinlich macht, dass er die weit verbreitete Faustus-Vita von Johannes Manlius nicht kannte oder ignorierte. Er wusste nichts von einem Johann, sondern nur von einem Georg Faustus: 1) „Zur Zeyt, als D. Georgius Faustus zu Ingelstad auf der hohen Schul den Studenten Philosophiam und Giromantiam lase [...]“ 2) „Nachdem D. G. Faustus von Ingelstadt verreyset, nam er seinen Wege auf Frankfurt am Main zu und kam auf gelegene Mess dahin“. 3) „Als nun Doctor Georgius Faustus im Lande hin und wider
168 Füssel konnte die Wolfenbütteler Handschrift mit Hilfe der Wasserzeichen datieren. Stephan Füssel: Eine erschröckliche Geschicht ordentlich verfasset. Nürnberg und der Faust-Stoff. In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 80 (1993), S. 161–179. Vgl. Gustav Milchsack (Hg.): Historia D. Johannis Fausti des Zauberers nach der Wolfenbüttler Handschrift nebst dem Nachweis eines Teils ihrer Quellen. Wolfenbüttel 1892. Haile schreibt: „nicht lange vor 1587 angefertigt [...]“. H. G. Haile (Hg.): Das Faustbuch nach der Wolfenbüttler Handschrift. Berlin 1963, S. 15. Wilhelm Meyer und ich haben auf die irrtümliche Datierung hingewiesen. Wilhelm Meyer: Nürnberger Faustgeschichten. In: Abhandlungen der philosophisch-philologischen Classe der königlichen Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 20, München 1897, S. 325– 355. Frank Baron: The Faust Book’s Indebtedness to Augustin Lercheimer and Wittenberg Sources. In: Daphnis. Zeitschrift für Mittlere Deutsche Literatur 14 (1985), S. 517–545, hier S. 517–518.
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mancherley Abentewer und Schalckheit geübt und getriben hette, dardurch er doch wenich Ehr noch danck erworben [...]“.169 Verschiedene Besonderheiten dieser späten Quelle fallen auf. Ist es ein Zufall, dass man etwa 1575 noch den Faustus mit Eigenschaften beschreiben konnte, die in den historischen Quellen bestätigt werden? Roßhirt nannte ihn Georgius, Doctor, der Philosophie an der Universität lehren konnte und dies mit seinen Interessen für Giromantie (gemeint ist: Chiromantie) verband. Die Beschäftigung mit Chiromantie wird durch zuverlässige Quellen (Suter, Trithemius und Mutianus) bestätigt. Faustus hielt sich auch in der Gegend von Ingolstadt auf, was zwei unabhängige Quellen bestätigen. Dass Faustus als Professor an einer Universität erschienen wäre, ausgerechnet dort, wo man ihn der Stadt verwies, ist natürlich nicht glaubhaft. Auch wenn der Zusammenhang schon mit sagenhaften Elementen verwoben ist, erkennt man Details, die nicht zufällig sein können. Festzuhalten ist, dass in Nürnberg eine mündliche Tradition mit Erinnerungen an den historischen Faustus weitergelebt hatte. Manlius’ Behauptung, dass Faustus einen Krieg des Kaisers vorausgesagt habe, kann auch auf eine Nachricht zurückgehen, dass Faustus in Auseinandersetzung mit Camerarius an politischen Voraussagen aktiv beteiligt war. In beiden Fällen ist es denkbar, dass historische Fakten Impulse boten, Faustus in Nürnberg zu lokalisieren und ihn als Astrolog zu sehen, wie er selbst großzügig prahlte. Am Schluss von Roßhirts biographischer Skizze über Faustus steht die charakteristische Warnung, die den Sinn des Ganzen zusammenfasst. Das Benehmen des Zauberers bewies unzweideutig, dass er eine teuflische Bestie sei, und man müsse sich hüten, etwas mit ihm zu tun zu haben. Gerade zu jener Zeit, als in Wittenberg ein neues Bild des Zauberers Faustus entwickelt wurde, erschien dort eine solche Zeitung, die eine eingehende Betrachtung verdient.
169 Wilhelm Meyer: Nürnberger Faustgeschichten, S. 381–402.
Faustus in Wittenberg
Zeit:
1534-1537
ca, 15401560/1562
1575-1586
1585
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1587
Autor:
Luther
Melanchthon/Gast/ Manlius
Roßhirt
Witekind
Spies
Verwendeter Name:
Faustus
Faustus; Johann Faustus
Georg Faustus
Joh. Faust
Johann Faustus
Herkunft:
Cundling/ Knittlingen
-------
Knütlingen
Roda/Wittenberg
akad. Grad:
-------
Doctor
-------
Doctor
Magus
Philos./ Zauberer/ Chiromant
Teufelsbündner/Magus/ Nekromant
Magus/ Astrolog/ Nekromant
Berufsangabe:
Magus
Tab. 2: Faustus in Quellen der Legendenbildung
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Hexenprozesse
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IV. Hexenprozesse und die Vorbereitung des faustischen Teufelspakts: Wittenberg und Berlin Dass der Teufelspakt oft ein wichtiger Bestandteil der angeblichen Schuld der Hexen war, wird erst sichtbar, wenn man die Entwicklung der Prozesse näher betrachtet. Es ist bekannt, dass die Beschuldigten meistens Frauen waren, aber dass Männer auch wegen einer solchen Schuld angeklagt wurden, zeigen die Prozesse im 16. Jahrhundert deutlich. Der faustische Teufelspakt ist, wie die Beispiele aus Wittenberg, Berlin und Trier veranschaulichen, eine Folge der dramatischen Intensivierung der Prozesse. Die Angst vor Hexen beherrschte das 16. Jahrhundert, und es ist bekannt, dass auch Martin Luthers Denken davon geprägt war. Dass aber Hinrichtungen von Hexen in Wittenberg stattgefunden haben, ist bis heute wenig beachtet worden. Zwei Fälle der Hexenbekämpfung aus den Jahren 1529 und 1540 ergänzen sich gegenseitig und geben uns ein Bild davon, was man in der Stadt des Reformators von Hexen hielt, wie sie die Stadt zu bedrohen schienen, was man gegen sie unternahm und was die Folgen dieser Aktionen sein konnten. Solche Überlegungen gehören auch zur Entwicklung des Faustus-Bildes in Wittenberg. Auch wenn Faustus zunächst nur einfach als Zauberer oder Schwager des Teufels bezeichnet wurde und noch nicht als explizit als Teufelsbündner, so war doch in allen kritischen Aufzeichnungen klar, dass mit Faustus die Gefahr des Teufels gegenwärtig war. Der Kampf gegen ihn und die Hexen war sehr ernst. Es stellte sich heraus, dass im Lauf der folgenden Jahrzehnte diese Kämpfe in einer besonderen schriftlichen Gattung geführt wurde: in der Warnliteratur. Im vorliegenden Fall stellt ein Einblattdruck des Jahres 1540, eine „Newe Zeitung“, ein wichtiges Zeugnis dar. Der Hexenprozess des Jahres 1540 kündigte auch Neues an. Historische Darstellungen der Hexenverfolgungen gehen im Allgemeinen davon aus, dass es große Massenprozesse erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts gab. Durch die eingehende Betrachtung der Ereignisse in Wittenberg erweist sich diese Annahme als unhaltbar. Die Hexenbekämpfung in Wittenberg zeigt deutlich, dass man schon früh solche Prozesse durchführte; und die zur Verfügung stehenden Einzelheiten geben gewisse Ansatzpunkte, von denen aus man die Frage nach der Beschaffenheit der Massenprozesse neu stellen kann. Wie verhielt sich Luther? Welche Rolle spielte die weltliche Obrigkeit? Wie entwickelte sich die Vorstellung einer Verschwörung von Hexen? Wie wurde die Gefahr der Öffentlichkeit bewusst gemacht? Welche Bedingungen begünstigten die Entstehung https://doi.org/10.1515/9783110613070-005
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einer Panik? Zu solchen Fragen gehört auch die Überlegung, welche Impulse von Martin Luther ausgingen.
I Am 15. August 1529 beschloss Luther seine Sonntagspredigt mit einer Warnung: Ich habe etliche zuvormanen, das viel wettermecheryn syndt, die nicht alleyne die mylch stelen, sonder die lewthe schissen, illos admoneo, ut illos illius auxilio iuvent, sicut illos perdiderunt. Novimus aliquas, si non res[tit]erint, ilias commendabimus tortoribus et nostra oracione tibi obstinatissimo resistemus: Wyr wollen deyner untugent alhier nicht gewarten. Wyr wollen deyn nicht schonen nostris oracionibus et deinde manifesteris et tortoribus commenderis. Wyr haben der Tewffels stucke wol großer außgeteylet. Sie konnens wol thun, so weyt yhns got zw lest, das wyr uns myt dem gepet wider sie uffmachen.170
Die überlieferte Abschrift dieser Luther-Predigt erscheint an einigen Stellen nicht ganz zuverlässig, aber ihr Sinn ist eindeutig: Luther ermahnt einige Menschen, nicht mit Hexen zu verkehren, da sie sehr gefährlich seien und den Menschen sogar zerstören könnten. Er spricht aber auch von anderen, von Frauen, die wirklich das Hexenwesen betrieben. Luther warnt diese ernstlich, dass man sie dem Henker übergeben werde, wenn sie sich nicht besännen und von ihrem Tun abließen. Mit der Warnung ist eine Aufforderung zum Gebet an die Gemeinde verbunden, damit sie vor der Hexerei bewahrt bleibt. Luther hoffte, dass diese Warnung genügen würde, um den nicht näher beschriebenen Handlungen der Verdächtigen ein Ende zu bereiten. Er hat seine Absicht, es mit der Warnung genug sein zu lassen, aber offenbar nicht verwirklicht. Am folgenden Sonntag, am 22. August 1529, eine Woche nach der ersten Warnung, sprach Luther wiederum am Ende seiner Predigt von den Hexen. Was er sagte, wissen wir aufgrund eines Berichts von seinem Famulus Georg Rörer.171
170 D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. Briefwechsel. Weimarer Ausgabe [Im folgenden zitiert WA]. Bd. 29 (1904), S. 520-521. 171 „A contione hac tradidit Sagas quasdam et incantatrices priori dominica pro contione admonitas, ut resipiscerent, secundum corpus Satanae etc. Haec prima fuit excommunicatio ab ipso pronunciata“. 22. Aug[usti] 29. anni.WA Briefwechsel. Bd. 29, S. 539. Eine Woche später, am 29. August, predigte Luther über das erste Gebot und sprach über die Beispiele der Abgötterei im Alten Testament. In diesem Zusammenhang sprach er von Hexen, die sich mit dem Teufel verbunden hatten. Es ist möglich, daß die von ihm angeklagten Hexen inzwischen ihre Schuld bekannten. „Etliche haben den Mond und sterne geehret. Gleich wie die Zeuberin noch auff diesen tag dem Teuffel anhangen, mit jhm zuthun und verbündnis haben, die nemen auch hilffe
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Im Vergleich zum vorhergehenden Sonntag, als er von einer Übergabe an den Henker sprach, ist hier die Rede von einer Übergabe an den Teufel. Es handelt sich um einen Ausdruck, der durch Luthers frühere Diskussionen über die Exkommunikation verständlich wird. In seiner Schrift über die Exkommunikation aus dem Jahre 1518 artikuliert er seine Stellungnahme in dieser Frage gegenüber der katholischen Kirche. Er wehrt sich dagegen, dass der Bann auch den Verlust der Seele bedeute; der Bann könne höchstens den Körper treffen, und nur der Sündige selbst könne sich der ewigen Strafe übergeben.172 Die Betonung der ausschließlich körperlichen Strafe steht also in der Schrift von 1518 wie auch in der Verkündung des Banns von 1529 im Vordergrund. Der Vorgang der Verbannung wird auch im ,Unterricht der Visitatoren an die Pfarrherrn im Kurfürstentum zu Sachsen’ (1528) beschrieben: Es were auch gut, das man die strafe des rechten und christlichen banns, davon geschrieben stehet, Matth am 18. nicht ganz ließ abgehen. Darumb, welche in öffentlichen lastern, als ehebruch, teglicher füllerei, und dergleichen liegen, und davon nicht lassen wollen, sollen nicht zu dem heiligen sacrament zugelassen werden. Doch sollen sie etliche mal zuvor vermanet werden, das sie sich bessern. Darnach, so sie sich nicht bessern, mag man sie in bann verkündigen.173
Dieselbe Frage wird in der ,Constitution und artikel des geistlichen consistorii zu Wittenberg’ (1542) behandelt mit Berücksichtigung der Zauberei. In dem Kapitel „Umb was sachen oder felle willen man excommunicirn soll“ steht unter anderem, dass diejenigen, die mit Zauberei und Segen umgehen, den Bann verdienen.174 Es ist anzunehmen, dass man mit den in Wittenberg beschuldigten Hexen so verfuhr, wie es in anderen Fällen dieser Art üblich war. Im Allgemeinen hat man
(das ist was er bringet und jnen zuwendet) von jm an, hofieren und dienen dafuer dem leidigen Böswicht und nicht dem Schöpffer und Helfer, durch die Creatur, welchem man doch billich anhangen solte“. WA. Briefwechsel. Bd. 28 (1903), S. 613. Eine Sammlung der Luther-Aussagen ist im Internet vorhanden: Luthers Hexenpredigten. Lesebuch zum Thema „Hexen“ und „Zauberei“ in Predigten, Vorlesungen, Tischreden von Martin Luther. http://www.anton-praetorius.de/ Datum des Zugriffs: 13. 8. 2018. 172 Rudolf Hermann: Die Probleme der Exkommunikation bei Luther und Thomas Erastus. In: Zeitschrift für systematische Theologie 23 (1954), S. 103–135; vgl. Erich Klinger: Luther und der deutsche Volksaberglaube. In: Palaestra 56 (1912), S. 33; vgl. Frank Baron: Which Faustus Died in Staufen? History and Legend in the Zimmerische Chronik. In: German Studies Review 6 (1983), S. 185–194. 173 Emil Sehling: Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Leipzig 1902, Bd. 1, S. 1170. 174 Ebd., S. 204.
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die Verdächtigen verhört, durch Folter zum Bekenntnis der Zauberei gezwungen und dann hingerichtet. In Wittenberg lag die Durchführung solcher Prozesse in den Händen des Stadtrats. Die Ratsversammlung hatte die Funktion eines Gerichts; dem Richter und anderen wurde die Ausführung überlassen.175 Als Hintergrund zu Luthers Hexenbann könnte relevant sein, dass der damalige Bürgermeister Doctor Benedict Pauli zugleich Mitglied der juristischen Fakultät war und sich bemühte, die polizeiliche Ordnung der Stadt zu verbessern. Es liegt ein Brief vom 13. März 1529 vor, worin er die Obrigkeit in Zwickau um Amtshilfe bittet: Mir ist zu gueter administration gemeines nützes vnd erhebüng gueter pollicei zu wittembergk von notten was anderer ort wol geordenet ist züwissen . . . domyt wir also ewirs Raths teilhafft dem leidigen paurn, der vns nach alle seinem mutwillen vbersetzet vnd Regirt, auch andern dauon wir beschwerung leiden myt gueter bescheidenheit steuren mugen, dan myr wil nhuen solche sorge von wegen meins Ambts, ob Ich sonst nicht zuthuen het auff dem halse liegen [...].176
Kai Lehmann weist darauf hin, dass die Exkommunikation, die Luther empfahl, mit der Warnung verbunden war, man solle sich durch die Angst vor Hexen nicht zu einer großen Hexenpanik verleiten lassen.177 Im Allgemeinen könnte man aber die Denunziation der Hexen im Zusammenhang mit einer gewissen Tendenz im Denken Luthers sehen, nämlich der Tendenz, immer strengere Maßnahmen zu befürworten gegen Personen, die die Autorität der Kirche und des Staates nicht anerkennen wollten. Besonders der Bauernkrieg forderte bekanntlich zu solchen Maßnahmen heraus. Gerade in den Jahren 1528-1530 vollzog sich ein Umschwung von einer relativ toleranten Einstellung in der Beurteilung der Wiedertäufer zur Forderung, die Todesstrafe gegen sie zu verhängen: „so befehle die Obrigkeit solchen Buben dem rechten Meister, der Meister Hans heißet“.178
175 Edith Eschenhagen: Beiträge zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Stadt Wittenberg in der Reformationszeit. Halle a. S. 1927, S. 46–47. 176 Georg Buchwald: Zur Wittenberger Stadt- und Universitäts-Geschichte in der Reformationszeit. Briefe aus Wittenberg an M. Stephan Roth in Zwickau. Leipzig 1893, S. 54–55. 177 Lehmann sieht Luther in der Frage der Hexenverfolgung als Kind seiner Zeit und erkennt sogar Zeichen dafür, dass Luther als Bekämpfer des Hexenwahns gesehen werden kann. Kai Lehmann: Hexenwahn und Hexenverfolgung als Folge der Reformation? In: Werner Greiling, Armin Kohnle, Uwe Schirmer (Hg.): Negative Implikationen der Reformation? Gesellschaftliche Transormationsprozesse 1470–1620, Köln 2015. S. 255–282, hier S. 265–267. 178 Nikolaus Paulus: Protestantismus und Toleranz im 16. Jahrhundert. Freiburg i. Br. 1911, S. 31 u. 39.
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Den Bericht über Luthers zweite Predigt vom 22. August besitzen wir von der Hand Georg Rörers. Luther hatte ihn 1525 zum Diakon an der Stadtkirche ordiniert und als im nächsten Jahr Rörers Frau an der Pest starb, nahm Luther ihn und seinen Sohn in sein Haus auf. Als Famulus begleitete er Luther auf Reisen, und er schrieb seine Predigten, Vorlesungen und Tischreden nach. 1535 promovierte er zum Doktor der Theologie. Nach dem Tode Luthers leistete er wichtige Dienste, indem er die Werke seines Meisters edierte.179 Man könnte erwarten, dass die Briefe dieses Mannes, die er zu der Zeit der Denunzierung der Hexen in Wittenberg schrieb, auch etwas über Hexen enthalten würden. Dies ist unseres Wissens jedoch nicht der Fall.180 Es ist jedenfalls bemerkenswert, dass der Hexenprozess von 1529 wenig Aufmerksamkeit zu erregen schien. Man sucht in den Briefen und Schriften Luthers und Melanchthons vergeblich nach Spuren von Hexendenunziation. Andere Themen, wie etwa das bevorstehende Treffen zwischen Luther und Zwingli in Marburg, drängten offenbar weniger kontroverse Tagesthemen in den Hintergrund.
II Zur schwachen Quellenlage des Falles von 1529 liefert ein Einblattdruck aus dem Jahr 1540 eine willkommene Ergänzung. Es handelt sich um eine Nachricht im Stil der damaligen „Newen Zeitung“ mit einer realistischen Darstellung von vier in Wittenberg hingerichteten Hexen.181 Die Überschrift zitiert den Brief von Paulus an die Römer 13, 3-4: Die Gewaltigen oder Oberkeiten sind nicht den die gutes / sunder den die böses thun / zufürchten / Denn sie tregt das Schwert nicht vmb sonst / Sie ist Gottes dienerin / eine Racherin vber den der boses thut.
179 Robert Stupperich: Reformatorenlexikon. Gütersloh 1984, S. 180–181. Rörer stand im regen Verkehr mit den Wittenberger Druckern. Otto Clemen: Beiträge zur Geschichte des Wittenberger Buchdrucks der Reformationszeit. In: Gutenberg Jahrbuch 16 (1941), S. 175–179. 180 In den gedruckten Briefen vom 19. und 31. August wird nichts über diesen Fall berichtet. Um ganz sicher zu sein, müssten die Briefe an Stephan Roth im Zwickauer Stadtarchiv nochmals überprüft werden. Vgl. Buchwald: Zur Wittenberger Stadt- und Universitäts-Geschichte in der Reformationszeit, S. 62–64. 181 Im Katalog werden die Hingerichteten als Verbrecher bezeichnet. Max Geisberg: Der deutsche Einblattholzschnitt in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. München 1923–1930, Lieferung 15, Nr. 11. Vgl. Johannes Janssen: Geschichte des deutschen Volkes seit dem Ausgang des Mittelalters. Freiburg 1924. Bd. 8, S. 592–593.
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Eben diese Stelle aus der Bibel zitierte Luther mit Vorliebe, wenn er gewisse Handlungen der Zivilbehörden oder des Staates rechtfertigen wollte. Im Jahr 1525 verfasste Luther seine Schrift „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern“ und untermauerte das Eingreifen der weltlichen Macht mit derselben biblischen Quelle: Denn sie [die Obrigkeit, F.B.] hat des gut recht, Syntemal die bawrn nu nicht mehr umb das Evangelion fechten, sondern sind offentlich worden trewlose myneydige, ungehorsame, auffrürerische, mörder, reuber, gottslesterer, wilche auch Heydenische oberkeyt zu straffen recht und macht hat, ia dazu schuldig ist, solche buben zu straffen, Denn darumb tregt sie das schwerd und ist Gotts dienetyn uber den, so ubels thut (Röm. 13).182
Von Anfang an vermittelt das Blatt die Vorgänge aus der Perspektive der Obrigkeit, deren Handlung es hier zu rechtfertigen gilt. 1536 stützte Luther das Vorgehen gegen die Wiedertäufer mit einer an die frühere Schrift erinnernden Umschreibung der Stelle von Römer 13: „Wie auch Paulus leret: Das Gesetz ist gut, die Gottslesterer zu straffen etc“. Luther fügte hinzu: „Aus diesem allem ist nu klar, das weltliche Oberkeit schuldig ist, Gottes lesterung, falsche leer, ketzereien zu wehren und die anhenger am leib zu straffen“.183 In den polemischen Argumenten gegen die Hexen war die Teufelverbundenheit nicht zu vermeiden. Weil Luther den Text von Paulus in dieser Weise interpretierte, ist es keineswegs überraschend, dass seine Mitbürger diese Bibelstelle auch auf die Hexen bezogen. Das Bild unter dem einleitenden Zitat zeigt, wie die vier Gestraften an Pfosten befestigt sind. Auf den Leibern sieht man verbrannte Kleiderreste. Von zwei Hingerichteten (auf der rechten Seite des Holzschnitts) sind Teile der Eingeweide zu sehen, wohl ein Zeichen dafür, dass sie gefoltert worden waren. Arme und Beine zeigen wegen der Verbrennungen eine unnatürliche Haltung. Unter dem Bild befindet sich die folgende Erklärung: Vmb viele vnd manchfeldige bose missethaten willen / sind diese vier Personen / wie abgemalt / am tage Petri Pauli [am 29. Juni] mit feuer gerechtfertiget worden zu Witteberg / Anno 1540. Als nemlich ein alt Weib vber 50 jar / mit jrem Son / der sich etwan dem Teufel ergeben / In sonderheit aber das Weib / welchs mit dem Teufel gebulet / mit jm zugehalten / etliche jar / Zauberey getrieben / Wetter gemacht / vnd auffgehalten / vnd zu mercklichen vieler armer Leut schaden vergifft Puluer gemacht / auch dasselbige andere zumachen geleret /
182 Martin Luther: Schriften. WA Bd.18 (1908) S. 344–361, hier S. 359. 183 „Daß weltliche Oberkeit den Wiedertäufern mit leiblicher Strafe zu wehren schuldig sei, Etlicher Bedenken zu Wittenberg“. In: Martin Luther: Schriften. WA Bd. 50 (1914), S. 13.
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damit allerley Viehweide / durch sie vnd jre drey mithelffer vergifft / dadurch ein onzeliche menge Viehes von Ochsen / Küen / Schweinen etc. vielen orten nidergefelt / welche sie darnach geschunden vnd abgedeckt / dadurch jren boshafftigen / verzweiffelt’en geitz vmb eines kleinen nutz willen gesettiget / Vnd ist abkunterfeiung alleine darumb geschehen / Dieweil der selbigen schedlichen Rotten noch viel vnd mehr im Land / als etliche von Bettlern / Schindern / Henkersknechten / auch Hirten / vmblauffen / zu abschew / vnd das ein jtzliche Oberkeit fleissiges auffsehen bestelle / dadurch armer Leute schaden vorhut werden müge / Gott der allmechtige behüte alle Christliche hertzen / vor des Teufels listigen anschlegen vnd anfechtungen / Amen.
Nur von zwei der vier Hingerichteten werden Einzelheiten berichtet. Man könnte annehmen, dass es die fünfzigjährige Frau ist, von der Teufelsbuhlschaft und Schadenzauber bekannt sind. Die größte Schuld wird dieser Frau zugeschoben; sie hat die anderen gelehrt, Schadenzauber auszuüben. Die Männer sollen ihre Mithelfer gewesen sein. Nach der Beschreibung der Taten folgt die Begründung der Veröffentlichung des Bildes: weil noch viele solcher Menschen herumlaufen, soll Abscheu erregt, und damit arme Menschen keinen weiteren Schaden erleiden, soll die Obrigkeit zu eifrigen Bemühungen angeregt werden. Zum Schluss wird Gott um Hilfe angerufen gegen listige Angriffe des Teufels, die als ständige Gefahr seit dem Alten Testament bekannt sind.184 Rechts unten neben dem vierten Pfosten hat der Künstler sein Zeichen gesetzt: eine kriechende Schlange, an deren Rücken sich ein Vogel festhält. Mit Hilfe dieses Zeichens kann der Künstler identifiziert werden: es handelt sich um Lukas Cranach den Jüngeren, der im Unterschied zu seinem Vater in seinem Signet die Flügel des Vogels nach rückwärts richten ließ und nicht in die Höhe.185 Obwohl der fünfundzwanzigjährige Lukas Cranach d. J. die Arbeit am Holzschnitt ausführte, gibt es Anzeichen dafür, dass andere an dem Projekt beteiligt waren und Anweisungen gaben, was darzustellen sei und wie die Erklärung lauten solle. Diese anderen waren wahrscheinlich Lukas Cranach d. Ä. und Martin Luther. Der Vater, Lukas Cranach d. Ä., einer der reichsten Bürger in Wittenberg, gehörte seit etwa 1519 fast jedes Jahr dem Stadtrat an.186 Im Jahre 1537 war er Bürgermeister, wie auch im Jahre 1540, dem Jahr der Hinrichtungen. In diesem Amt spielte er eine führende Rolle im Stadtrat, der in solchen Fällen auch als Stadtgericht fungierte. Um seinen Einfluss auf die Hinrichtungen richtig einschätzen zu können, ist es wichtig, andere Aspekte seiner besonderen Stellung in der Stadt zu
184 Luther interpretierte 1529 den 83. Psalm. Schriften. WA Bd. 31,1 (1913), S. 30. 185 Dieter Koepplin u. Tilman Falk: Lukas Cranach. Gemälde, Zeichnungen, Druckgraphik. Basel 1974, Bd. 1, S. 22. 186 Eschenhagen, Beiträge zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Stadt Wittenberg in der Reformationszeit. S. 118–121.
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berücksichtigen. Im Jahre 1520 erhielt Cranach das kurfürstliche Apothekerprivileg und dadurch das Monopol für Arzneien, Gewürze, Zucker und Weine.187 Aber im gleichen Jahr, das dem Künstler so viel Anerkennung brachte, erfuhr Cranach, dass er gefährliche Feinde hatte. Im Stadtarchiv Weimar sind Berichte über einen „Studentenauflauf wider Lucas Cranach den Mahler anno 1520“ enthalten, die zugleich seine Sonderstellung als Vertreter der Obrigkeit hervorheben und auch seine Parteinahme für Luther deutlich werden lassen. Aus diesen Akten geht hervor, dass Cranach mit einigen seiner Gesellen, trotz des kurfürstlichen Verbots Waffen trug, wogegen die adligen Studenten demonstrierten und zusammen mit anderen Studenten die ganze Stadt in große Aufregung versetzten. Luther, der hinter diesen Unruhen den Satan sah, unterstützte die Sache Cranachs und predigte in der Stadtkirche gegen den Aufruhr. Es wäre zu überlegen, ob in dem Vorgehen gegen die Hexen von 1540 auch eine ähnliche Zusammenarbeit zwischen Cranach und Luther, zwischen Obrigkeit und Kirche stattgefunden hat. Als Bürgermeister und oberster Richter war Lucas Cranach d. Ä. an der Bestätigung des Urteils beteiligt.188 Vermutlich beauftragte er seinen Sohn, die öffentliche Rechtfertigung des Urteils durch eine bildliche Darstellung und einen warnendenText zu unterstützen. Wie schon zwanzig Jahre zuvor befand sich der Stadtrat auch jetzt in einer schwierigen Lage: Die Pest hatte die Stadt wieder heimgesucht. Wittenberg und Umgebung litten unter einem großen Lebensmittelmangel. Von Paul Rebhun erschien eine Schrift über die Hungersnot.189 Luther war besorgt und konsultierte den Bürgermeister. Zunächst war Luther geneigt, den Geiz bestimmter Adliger hierfür verantwortlich zu machen.190 Er verfasste eine Schrift gegen den Wucher.191 Es liegt jedoch auf der Hand, dass die verschwörerische Vergiftung der Felder und Tiere und die Manipulation des Wetters durch die Hexen zur Erklä-
187 Koepplin: Lukas Cranach, S. 22; M. B. Lindau: Lucas Cranach, Leipzig 1887, S. 137–152. 188 Vgl. Hartmut Ellrich: Auf den Spuren von Lucas Cranach d. Ä. Erfurt 2012, S. 139 und Roland Enke, Katja Schneider, Jutta Strehle (Hg.): Lucas Cranach der Jüngere, Entdeckung eines Meisters. München 2015. 189 Karl Goedeke: Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung aus den Quellen. Dresden 1886, Bd. 2, S. 360. Das 1540 in Zwickau gedruckte Buch erschien mit dem Titel Klag des armen Manns vnd Sorgenuol, ynn theurung vnd hungers not, Vnd warmit er sich darin zu trösten, aus schönen Historien der heyligen schrifft, der lieben Armut inn dieser theurung zu trost, reymweis gestellet, duch Paulum Rebhun Prediger zu Plawen’. 190 Martin Luther: Briefwechsel. WA 8 (1938), S. 403–404; Tischreden, WA Nr. 4472. 191 Georg Rörer schrieb am 28. März: Emendaui quidem libellum D. Mart. de vsura [...], Buchwald, S. 151. Vgl. Walter Bienert: Martin Luther und die Juden. Frankfurt a. M. 1982, S. 129–130.
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rung der Not herangezogen werden konnten. In der Kämmereirechnung von 1540 werden die folgenden Ausgaben aufgezeichnet: 2 Groschen
Dem Marcktmeister geben von dem Schrancken uffzurichtenen und abzubrechen, als man 4 Personen so die Weide vergifftet gebratenn, dinstags nach Johannis Baptiste [am 24. Juni].
1 Schock 9 Groschen
Der Christoff Bakzerin geben vor 1 Faß Bier, ist den Zimmerleuten geschankt so die vier seulen und das geruste gemachet bey dem gerichte, als man die 4 personen so die weyden vergifftet mit feuer geschwelhet und gerichtet am tag petri und pauli.192
Neuere Forschung hat diese Einzelheiten ergänzt. Der für das Rechnungswesen verantwortliche Schösser, Wolfgang Schieferdecker, quittierte die Ausgaben für die Hinrichtung von vier Personen. Demnach wurde eine über 50-jährige Frau verdächtigt, eine Zauberin zu sein, die das Vieh vergiftet, um es anschließend schinden zu können. Sie, Prista Frübrottin (Frühbrot), wurde unterstützt von ihrem Sohn Benedikt (Dictus) sowie zwei weiteren Mittätern, die Caspar Schiele und Clemen Ziesigk hießen. Jene vier sind am 29. Juni 1540 auch hingerichtet worden. Neben ihnen wurden jedoch andere Frauen und Männer beschuldigt, verfolgt und exekutiert. Wie viele es konkret waren, lässt sich kaum rekonstruieren, da der Fall eine eigene Dynamik entwickelte.193
Bevor die Hinrichtung stattfand, wurde versucht, die Gefangenen zu einem Geständnis zu bewegen. Auch vier Kapläne bekamen auf Befehl des Landvogts ein reichliches Trinkgeld, weil sie sich eindringlich um die Gefangenen gekümmert hatten. Nach ihrer Auskunft hatten sie große Mühe mit der Frau und ihrem Sohn Benedikt, weil diese sich dem Teufel ergeben hatten. Jedoch gelang es den Kaplänen, sie wieder zum Glauben zurückzuführen. Auch um
192 Für die Mitteilung der Angaben in der Kämmereirechnung von 1540 bin ich dem Rat des Kreises Wittenberg zu Dank verpflichtet. 193 Uwe Schirmer: Die Hinrichtung einer Zauberin und ihres Gefolges vor Wittenberg im Juni 1540 – die Rekonstruktion des Falls im Lichte der beginnenden Sozialdisziplinierung. In: Europa in der frühen Neuzeit (Festschrift für Günter Mühlpfordt) 7 (2007), S. 137–151, hier S. 138. Vgl. ebd. die Dokumentation auf S. 149-150. Wilde nennt Ambrosius Reuther als den Stadtrichter, der den Prozess leitete und gibt als Namen der Frau und deren Sohn Permbasten an. Manfred Wilde: Die Zauberei- und Hexenprozesse in Kursachsen. Köln 2003, S. 635–636.
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die anderen Arretierten haben sie sich gekümmert, wobei die letzten Worte des Quittungseintrages besonders aufhorchen lassen: die Gefangenen haben nicht bethen können.194
In der Sache der vier Angeklagten wurden Mitglieder der juristischen Fakultät der Universität Wittenberg konsultiert. Sie mussten entscheiden, ob die Folter angewandt werden dürfe. Sie sollten auch Urteile sprechen. Für diese Dienste erhielten sie eine Entlohnung: 1 ß 45 gr den hern doctoribus alhier von etlichen urteil, der peinlichen frage und hernach noch von 4 urteiln was yder vor eine straffe vordient, gegeben.195
Bald nach den Hinrichtungen der vier Hexen wurde der Druck eines illustrierten Blattes in Angriff genommen. Es scheint, dass Studenten, die zum Schülerkreis von Luther und Melanchthon gehörten, Bescheid wussten. Am 19. Juli schrieb der Student Simon Wilde an Stephan Roth in Zwickau, dass er in Kürze ein Bild mit den hingerichteten Hexen an ihn schicken würde, aber das Blatt sei jedoch noch nicht im Druck erschienen. (Imagines statuarum illorum, qui apud nos adusti sunt, proxime mittam, nondum enim sunt editi.)196 Luther verweilte im Zeitraum vom 20. Juni bis zum 1. oder 2. August außerhalb Wittenbergs. Zur Zeit der Hinrichtung war er demnach nicht in der Stadt. Aber es ist kaum vorstellbar, dass man ihn in der Frage der Beschuldigungen und auch der Publikation nicht konsultiert hat. Diese Ereignisse fanden statt, während Luther sich erhebliche Sorgen über die Hexengefahr machte. Viele Tischreden behandelten dieses Thema am Ende der dreißiger Jahre; in diese Zeit gehören auch die zwei bekannt gewordenen Äußerungen über den Zauberer Faustus. Aus Luthers Briefen und Tischreden erfahren wir, dass die Macht der Hexen über das Wetter, die in Anklagefällen der Jahre 1529 und 1540 eine wichtige Rolle spielt, um 1540 ein Gegenstand der Besorgnis in Wittenberg war. In einer längeren Tischrede, die in den Tagen zwischen dem 21. Mai und dem 11. Juni aufgezeichnet wurde, ist von diesem Thema die Rede: Fulmina, Diabolus, sagae. Cum de nocte pluisset placide, dixit D[octor]: Ja, das war ein Pater noster wetter; aber zu pfingsten, da war ein Teuffels wetter, hat leut erschlagen. Wie ein böser Geist ist der Teuffel! Wie macht er so grausame wetter durch sich und seine hexen!
194 Ebd., S. 140. 195 Ebd., 139 u. 149. 196 Otto Clemen: Bemerkungen zu deutschen Einblattholzschnitten aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. In: Gutenberg Jahrbuch 8 (1933), S. 113. Simon Wilde gehörte dem Kreise Georg Rörers an, der sich um die Studien des jungen Studenten kümmerte. Vgl. Buchwald: Zur Wittenberger Stadt- und Universitäts-Geschichte in der Reformationszeit, S. 157.
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Wenn Gott und die lieben Engel nicht wereten, er erschlug alles . . . Tum ego [Johannes Matthesius]: Possuntne nocere sagae?—Maxime, inquit, nisi Angeli obstent. Saepe voluerunt nos omnes hic perdere, et me et meam Ketam, sed Deus custodivit nos . . . Tum ego: Multa feruntur de sagis, D[omine] Doctor [...].197
Wir können in Luthers Äußerungen aus dieser Zeit beobachten, dass er geneigt war, schlechte Wetterumstände und Bedrohungen verschiedenster Art als Hexerei zu verstehen. Dieses Gespräch, das unmittelbar vor der Hinrichtung der Hexen stattfand, bestätigt, dass man im Umkreis Luthers die Hexengefahr sehr ernst nahm. Luther sah es als selbstverständlich an, dass man die sogenannten Hexen verbrannte. In seiner Predigt vom 23. März 1539 sagte er: Man solte Bapst und Canones und alle, die dran hangen, mit feuer verbrennen, wie man den Zeuberem unnd Wettermachern thutt.198. Mit dieser Äußerung zeigt er, dass Anschuldigung der Zauberei als ein polemisches Mittel gegen seine Feinde dienen könnte, was die Zuhörer wahrscheinlich nicht wörtlich nahmen. Aber die beiläufige Bemerkung, dass man die Wettermacher verbrennen solle, entsprach seiner Überzeugung. Wer waren die Wettermacher? In einer Predigt vom 2. April 1540 erläuterte Luther: Die Zeuberer und Teuffelshuren, die Wettermacherin, brauchen auch eines Zeichens oder Creatur, als Wirtz und Kreuter, und sprechen darüber das Vater unser oder ander heilige wort und namen Gottes. Das ist ja (sagen sie) nicht böse ding, Sondern sind beide, Gottes Creatur und köstliche wort und heilige namen, Darumb sol es krafft haben und das ausrichten, dazu man jr brauchet. Gleich wie auch der Bapst mit seinem Chresem, Weichwasser und Saltz geuckelt und zeubert. [...] Was feilet denn daran? Nichts anderes denn dis stück, das kein Gottes stifftung und befelh da ist, der solchs geheissen. und geordnet habe, Sondern Menschen aus eigenem gutdüncken solches auffgebracht haben. Wie denn das gantze Babstum eitel Menschenlere und jr eigen Tant ist, Darumb ist solch teuffen kein Sacrament, sondern ein lauter verkerung, ja ein spot und lesterung der Tauffe.199
197 Martin Luther: Tischreden. WA Nr. 5027. 198 Martin Luther: Schriften. WA Bd. 47 (1912), S. 686–692, hier S. 692. 199 Martin Luther: Schriften. WA Bd. 49 (1913), S. 128–129 u. Bd. 47 (1912), S. 649 u. 654.
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Wir sehen hier, dass Luther geneigt war, im Segensprechen eine diabolische Gefahr zu sehen.200 Zaubersprüche, die aus der ältesten literarischen Zeit überlebt hatten, waren für das 16. Jahrhundert ein gefährliches Erbe.201 Was Luther im Falle eines Verdachts auf Hexerei empfohlen hätte, deutet ein Gespräch vom August 1538 mit Georg Spalatin an. Als Spalatin von einer Zauberin erzählte, die veranlasst haben sollte, dass ein Mädchen Blut weinte, sagte Luther:
200 In der neueren Forschung über die Hexenverfolgung wird die hier berührte Problematik eingehend diskutiert: ,,. . . there is considerable evidence already available – and certainly much more waiting to be analyzed – for the variety of popular beliefs and activites (not just sorcery) which were officially defined as witchcraft“. Vgl. Richard A. Horsley: Who Were the Witches? The Social Roles of the Accused in the European Witch Trials. In: The Journal of Interdisciplinary History 9 (1979), S. 693. 201 „In der H. Gr. Sponheim war es vornämlich die Kirchenvisitation von 1575, bei welcher man eifrig danach forschte, ob das Volk bei Krankheiten von Menschen und Vieh zu den Segensprechern laufe, überhaupt abergläubische Segen und sonstige Zaubermittel brauche und fast in allen Kirchspielen wurden solche namhaft gemacht. Zu Winterburg berichtete der Censor von Repach, seine eigene Hausfrau gehöre zu den Segensprachern und werde ihre Hülfe häufig gesucht, wenn ein Mensch oder ein Roß den Schenkel oder andere Glieder verrenkt habe. Als darauf die Frau vorgefordert und des Segens halber befragt wurde, sagte sie, sie brauche folgenden: Der h. Man St Simeon Soll gen Rom reiten oder gan, Da trat sein Folen uf ein Stein Und verrenkt ein Bein. Bein zu Bein, Blut zu Blut, Ader zu Ader, Fleisch zu Fleisch, So rhein khomn sie zusammen In unsers Herrn Jesu Chrsiti Namen. Also rhein Du aus Mutterleib khomen bis. Im Namen Gott des Vatters, Sohns und h. Geists. Amen. Zugleich bemerkte sie, damit ihr Segen Kraft habe, müßten dabei 15 Paternoster, 15 Ave Maria und einmal der Glaube gebetet werden“. Vgl. Friedrich Back: Die evangelische Kirche im Lande zwischen Rhein, Mosel, Nahe und Glan bis zum Beginn des dreißigjährigen Krieges. Bonn 1874, 3. Bd. S. 352–353. In der Arbeit von Halsig wird dieser Zauberspruch nicht erwähnt. Vgl. Friedrich Halsig: Der Zauberspruch bei den Germanen bis in die Mitte des XVI. Jahrhunderts. Diss. Leipzig 1910. Das Original des Zauberspruchs, der dem berühmten Merseburger Zauberspruch sehr ähnlich ist, müsste unter den Kirchenvisitationen des 16./17. Jahrhunderts der Hinteren Grafschaft Sponheim (Abteilung 33, Nrn. 4942–4961) im Landeshauptarchiv Koblenz zu suchen sein. Für diesen Hinweis bis ich Herrn Heine im Landesarchiv Speyer dankbar.
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Da solde man mit solchen ad supplicia eilen! Iuristae wollen zu uiel testimonia haben, contemnentes illa manifesta. Ego, inquit, hisce diebus habui casum matrimonii, ubi uxor maritum veneno occidere voluit, also das er eidechsen hat ausgesprochen, et ipsa tormentis examinata nihil respondit, quia tales incantatrices sunt mutae, contemnunt poenas; der Teuffel lest sie nicht reden.202
Man sieht hier, dass Luther die Anwendung der Folter in solchen Fällen als selbstverständlich betrachtete. Eine Tischrede Luthers vom 25. August 1538, also im gleichen Jahr, enthielt eine ähnliche Warnung, diesmal zum Thema der Hexen und Zauberinnen, die Eier, Milch und Butter stehlen. Man soll nach Luther gegenüber solchen Zauberinnen „keine Barmherzigkeit haben; ich wollte sie selber verbrennen“.203 Dass Luther die Verbreitung seiner Meinung durch Veröffentlichung befürwortete, zeigt seine Reaktion im Jahre 1537 auf die Hinrichtung eines Erfurter Zauberers. Als er von diesem Ereignis erfuhr, bat er um eine ausführliche Schilderung, damit man in Wittenberg einen öffentlichen Bericht über dieses schreckliche Exempel drucken könne. Der Bericht aus Erfurt ist erhalten, aber man hat bis heute noch keine Spur von der angekündigten Veröffentlichung gefunden. Vielleicht wurde sie nicht ausgeführt. Die Geschichte der Hinrichtung des Erfurter Zauberers lebte allerdings weiter, da sie in den Tischreden niedergeschrieben und in mehreren Exempelbüchern weitererzählt wurde.204 Johannes Mathesius, der an Luthers Tisch saß und die Gespräche aufzeichnete, berichtete: Um diese Zeit ging allerlei Geschrei von Mordbrennern, und die mit Gift an vielen Orten Speise und Trank vergiften sollten, wie auch den Sommer Einbeck und viel andere Städte ausbrannten, und viel Leute gefoltert und greulich weggerichtet wurden. Zu Wittenberg schmäuchte man auch vier Personen, die an eichenen Pfeilern emporgesetzt, angeschmiedet, und mit Feuer wie die Ziegel jämmerlich geschmäucht und abgedörrt wurden. Dies gab allerlei Reden am Tische. D. Luther legte vornehmlich die Schuld auf die bösen Geister, so die Kirche und Wort Gottes gern mit Lügen und Mord gedämpft hätten, weil es vor ihrem
202 Martin Luther: Tischreden. WA Nr. 3969. 203 Martin Luther: Tischreden. WA Nr. 3979; Aurifaber: Tischreden, fol. 307v. 204 Justus Jonas schrieb aus Wittenberg an Friedrich Myconius in Erfurt: „Historiam de cive Erphordiensi, quam perscirpsisti, mi Friderice, d. doctor Martinus et nos omnes non sine magna admiratione legimus et audivimus. Deus hoc exemplo horrendo videtur palam obiurgare horum temporum et huius saeculi profanitatem, ubi multi non quidem tam crasse paciscuntur cum Satana, sed tamen satis impie opibus et voluptatibus mundi posthabent Deum, Christum, totam religionem. Scribam Egidio Mechlero, ut explicatius totam rem nobis mittat, et curabimus typis excudi“. In: WA, Briefwechsel, Bd. 8, S. 104–105. Vgl. das Kap. Teufelspakt weiter unten.
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Ende wäre, daran sie sollten mit ewigen Ketten in das höllische Feuer verbunden werden; die wollten zuvor ihren Neid und Rachgier sehen lassen.205
Schuldig waren nach Luther die bösen Geister, die, wie man annehmen muss, die Angeklagten für ihre höllische Sache gewonnen hatten. Es ist bei Mathesius deutlich, dass die Folter als die bewegende Kraft hinter diesen Verfolgungen wirkte. Wie sich aber diese Verfolgungswelle noch weiter ausbreitete, wird in dem Briefwechsel des Studenten Simon Wilde deutlich. Viele Äußerungen Luthers bestätigen, dass er im Jahre 1540 bereit war, ein resolutes Vorgehen gegen die Hexengefahr zu genehmigen. Im Gegensatz zu 1529 erzielten die Hinrichtungen und die Veröffentlichung von 1540 eine größere Wirkung. Mehrere Briefe aus Wittenberg zeigen, dass die Nachricht von diesem Ereignis die Öffentlichkeit diesmal stark beeindruckte. Man könnte erwarten, dass Briefe, die etwa zur Zeit der Hinrichtung geschrieben wurden, die Vorwürfe des Einblattdrucks bestätigen würden. Sie tun das nicht in jeder Hinsicht. Im Allgemeinen wird auch in den Briefen von der Vergiftung der Felder und der Tiere berichtet. Auch hier sieht man die Gefahr einer großen Verschwörung. In seinen Erinnerungen an die Hinrichtungen in Wittenberg sah Mathesius die Ereignisse in Verbindung mit dem Phänomen des „Mordbrennens“. Dem fügte er noch weitere Einzelheiten hinzu: Ob aber wol etliche Urgichten (oder Geständnisse) auskamen, darin etliche beschuldigt wurden, die solche Mordbrenner sollten anagestift und besoldet haben, saget der Doctor: Es gehört viel dazu, wenn man große Leut und böse Buben vor der Welt überweisen solle. Dem sie jetzt einen Brand schüren, der wird sie mit ihren Gesellen, denen sie ihre Dienste leisten, zu gelegener Zeit finden und ihren verdienten Lohn zu vergelten wißen. Wenn hie die Uebelthäter alle ihren rechten, verdienten Lohn und Straf bekämen, dürft unser Herr Christus kein jüngst Gericht halten und alle Sachen wieder vor die Hand nehmen. Da wird groß und klein vor dem Richterstuhl Christi offenbart, und wie ein jeder bei Leibs Leben gehandelt, nach seinem Verdienst ewiglich gestraft werden.206
205 Johann Mathesius: D. Martin Luthers Leben. In siebenzehn Predigten dargestellt. Berlin 1855, S. 251–252 (dreizehnte Predigt). Vgl. Jörg Haustein: Martin Luthers Stellung zum Zauberund Hexenwesen. Stuttgart 1990, S. 142. Markus Hirte: Mit dem Schwert oder festem Glauben. Luther und die Hexen. Rothenburg ob der Tauber 2017. Die Internetseite „1540 Hexenprozess in Wittenberg“ von Hartmut Hegeler. Dort wird Mathesius nach einer Ausgabe von Nördlingen 1854, S. 127f. zitiert. http://www.anton-praetorius.de/downloads/1540%20Hexenprozess%20 in%20Wittenberg.pdf. Zugriff am14. 8. 2018. 206 Mathesius: D. Martin Luthers Leben. S. 251–252.
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Warum Mathesius die Hexentaten und das Mordbrennen so eng miteinander in Verbindung bringen konnte, wird verständlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass diese Phänomene wirklich eng zusammengehörten. Simon Wilde schrieb zum erstenmal über die Hexen drei Tage vor deren Hinrichtung, am 26. Juni. Wilde berichtete über böse Menschen in der Stadt, die die Wiesen vergiftet und viele Tiere getötet hätten. Was jedoch überrascht, ist, dass – im Gegensatz zum Einblattdruck – der Führer der Verschwörung nicht die hingerichtete Frau ist, sondern der noch lebende Henker der Stadt Wittenberg. Er habe seinen Knecht, der angeblich zu den Verschwörern zählte „mit Hilfe der Folter“ examiniert, aber dieser Knecht habe nun seinerseits seinen Meister, eben den Henker, „verraten”. Der sei geflohen. Wilde berichtete außerdem, dass die Gefängnisse der Gegend voll seien mit den Verschwörern dieser Bande – mit Frauen, Männern und Kindern. In einem zweiten Brief vom 18. August berichtete Wilde, dass der Henker in Eisleben gefangen wurde. Er sei dort über die Vergiftung befragt worden, und habe zugegeben, dass er vom Herzog von Braunschweig 500 Gulden erhalten habe, damit er die Wiesen und Brunnen, vor allem Luthers Brunnen, vergifte.207 Die Briefe des Studenten Simon Wilde sind aufschlussreich, weil man durch sie erfährt, dass der Fall noch nicht abgeschlossen war. Im Gegenteil: man könnte sogar sagen, dass der Fall der vier hingerichteten Hexen eine Panik ausgelöst hatte, die zu weiteren Prozessen führen musste. Diese Berichte zeigen dass die Vorgänge nicht nur eine lokale Bedeutung hatten und dass die Prozesse sich nicht nur auf den Vorwurf der Hexerei beschränkten, sondern auch mit religiösen Auseinandersetzungen und mit Politik zu tun hatten. Um dieses Phänomen in einem größeren Zusammenhang verstehen zu können, muss man beachten, dass die Hinrichtungen von 1540 im Vergleich zu den Denunziationen der Hexen von 1529 mehr Aufmerksamkeit
207 Simon Wilde schrieb am 26. Juni 1540 an Stephan Roth: „Sunt quidam in hac erbe pessimi et nequam homines, inter quos carnifex primarius et princeps, qui pleraque prata ueneno infecerunt, itaque multa pecora obierunt magno herde incommodo urbis: occiderunt enim ad quadraginta boues in urbe, nedum equi et reliqua armenta et greges in pagis. Atque ille ipse carnifex, ut aiunt, cum cruciatu interrogasset servum eius qui et ipse ex grege eorum est, ab eo proditus est, sed etsi elapsus est, tamen non effugiet. Ab eo tempore nunc in omnibus oppidulis circum pleni sunt carceres societatis eius, mulieres et uiri cum pueris qui omnes conspirarunt in id scelus, atque etiam holera infecerunt hominibus comedenda, itaque mihi cauendum ab eo arbitror. Am 18. August schrieb er: Noui praetera hic nihil est nisi quod aiunt carnificem ob infecta prata (qui hinc aufugit, ut proxime significaui) in Eisleben captum esse, ibique cum interrogatus est ueneficij confessum esse, se et ilium a Dresden accepisse 500 fl. singulos a Duce Bruns-vicensi ut inficerent primum prata, deinde fontes et primum Lutheri, quod se facturum fuisse, si per octiduum adhuc licuisset urbe frui. De morte eius diuersa est fama“. Vgl. Buchwald: Zur Wittenberger Stadt- und Universitäts-Geschichte in der Reformationszeit. S. 153–154.
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erregten. Ein anderer Bericht bestätigt zum Beispiel die Behauptung, dass der Henker von Wittenberg hinter der Vergiftung der Wiesen steckte und dass er in Eisleben gefangen genommen wurde.208 Der Altenburger Amtsschreiber berichtet: Am Dinstage vorschienen hat man ein weyb mit zweyen Sonen sampt dem Knecht zw wittembergk an Sewlen gebratten, vmb das sy die viheweyde vergifft gehabt, vnd wie die pothen berichten, wo sy das krawth erlebten, dasselb den Menschen zw schaden auch wolten vergifft haben.209
Dieser Bericht erzählt von Vorgängen in Wittenberg. Wildes Bericht vom 18. August über die Verwicklung des katholischen Herzogs von Braunschweig, eines Feindes von Luther, in eine Verschwörung gegen Wittenberg, wird hier noch nicht erwähnt. Wenn wir nur diese Berichte hätten, wäre der Beschuldigung des Herzogs keine besondere Bedeutung beizumessen. Aber der Verdacht, dass der Herzog in eine Verschwörung gegen Luther verwickelt war, war gerade zu dieser Zeit aufgekommen, und es liegt nahe, dass die Behörden in Eisleben mit Hilfe der Folter und suggestiver Fragen an den Henker von Wittenberg diesen Verdacht bestätigen ließen. Der Gefangene – der Henker – hat wahrscheinlich von sich aus gar nicht an diese politische Konstellation gedacht. Die Behörden hatten ein Interesse gehabt, gewisse schwer erklärbare und tragische Vorgänge politisch zu erklären. Das Land war zu dieser Zeit Opfer einer lang andauernden Dürre. Die Chronik des Peter Schumann in Zwickau beschreibt diese Umstände: Es haben sich diese Zeit von großer Hitze die Wälder selbst angezündt.210 Datiert ist diese Beobachtung
208 „Hoc anno [1540] Magnus Carnifex Witebergensis actor fuit foeminis duobus et duobus viris, veneno sic inficiendi pascua, ut passim pecudes veneno pastae extinguerentur. Foemina cum filia et duobus viris Witebergae captae et ex vinculis confessae facinus tam satanicum lento igni sunt assatae die Apostolorum Petri et Pauli. Magnus Carnifex postea Eislebiae captus, et ipse dignas tanto scelere poenas dedit. – Foemina praeter veneficia sibi diu cum Satana consuetudinem fuisse confessa est. O ter igitur miseros, qui divina gratia destituti suo sibi arbitrio, suis sibi viribus feruntur, quia in omnia f lagitia, probra, facinora proclives, imo praecipites. Ut vel hint solum videas quantopere sit opus in timore Domini ambulare perpetuo“. In: Georg Berbig: Spalatiniana. Leipzig 1908, S. 70. Vgl. Clemen, Bemerkungen zu deutschen Einblattholzschnitten aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, S. 113. 209 Ebd., S. 113. 210 Ebd. Spalatin schreibt in seinem Tagebuch zum Jahr 1540: „Fuit incredibilis siccitas, adeo ut arserint passim sylvae, ut Bohaemica et illi vicina in montibus metallicis Misniae incomparabili jactura“. Vgl. Berbig: Spalatiniana, S. 70. „[…] Europe was affected by an unprecedented 11–month-long Megadrought. The estimated number of precipitation days and precipitation
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vom 25. Juli 1540, also noch vor dem Bericht, dass der Herzog in eine Verschwörung verwickelt sei. Wenn wir nun den Briefwechsel und die Tischreden Luthers berücksichtigen, dann wird eine Verfolgungspanik sichtbar, die sich zunächst nur gegen das Wirken des Teufels, dann aber gegen die Person des Herzogs von Braunschweig richtet. Am 10. Juli schrieb Luther aus Eisenach an seine Frau: Nichts newes denn das auch hie yn diesen landen der teuffel auch tobet mit schrecklichen exempeln seiner bosheit, vnd die leiste treibet, mordbrand, eigenmord etc., werden auch flugs darüber gefangen vnd gerichtet. Damit vns Gott vermanet zu gleuben, zu fürchten vnd zu beten, Denn es ist Gottes straffe vber die vndanckbarkeit vnd verachtung seines lieben wortts.211
Was Luther schrieb, unterscheidet sich nicht wesentlich von den Berichten über das Wirken der Hexen in der Gegend von Wittenberg. Neu ist allerdings, dass jetzt von „Mordbrand“ die Rede ist. Die Sorgen wegen der Brände steigerten sich. Am 26. Juli schrieb Luther wiederum an seine Frau: Es ist der teuffel heraüssen selber mit newen bosen teuffeln besessen, Brennet vnd thut schaden, das schrecklich ist. Meinem g[.] herrn ist ym Düringer wait mehr denn tausent acker holtz abgebrand vnd brennet noch, dazu sind heute zeitung, das der wald bey werda auch angangen sey. Vnd an vil orten mehr, hilfft kein lesschen. das wil theür holtz machen. Bettet vnd lasset beten, wider den leidigen Satan, der vns sucht nicht allein an seele vnd leib, sondern auch an gut vnd ehre, auffs aller hefftigst. Christus vnser herr welle vom hymel komen vnd auch ein feürlin den teuffel vnd seinen gesellen auffblasen, das er nicht lesschen kunde, Amen.212
amount for Central and Western Europe in 1540 is significantly lower than the 100–year minima of the instrumental measurement period for spring, summer and autumn. This result is supported by independent documentary evidence about extremely low river flows and Europe-wide wild-, forestand settlement fires“.Vgl. Oliver Wetter et al.: The Year-long Unprecedented European Heat and Drought of 1540 – a Worst Case. In: Climatic Change 125 (2014), S. 349–363. 211 Martin Luther: WA, Briefwechsel, Bd. 9 (1941), S. 172. 212 Ebd., S. 205. Am 10. August 1540 schrieb der Benediktinermönch Nikolaus Ellenbog von dem weit entfernten Ottobeuren einen ausführlichen Brief über die Brandstifter. „[…] Passim enim per Germaniam inveniuntur et comprehenduntur incendiarii, homines pessimi et desperati, qui accepta pecuniola domos incendunt […] Conburuntur et Lutheranae factionis homines, pariter et veteris fidei (quos et papisticos vocant) homines […] Mirum dictu: dum captivantur nequam illi homines et ad quaestionem pertrahuntur, affirmant se id nullo privato odio facere, sed ad hoc pecunia conductos et de singulis incendiis ubi excitatis singulas accipere mercedes. Si urguntur, ut autorem prodant, per sacra deirant se nescire, quis is sit, qui tantam pecuniam in Nunc nefarium usum expendat […]. In diesen Verhören spielte die Folter zweifellos eine Rolle (Vgl. Anm. 41). Ellenbog hegte den Verdacht, daß der Teufel hinter den Bränden steckte. Man
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Zu beachten ist, dass zu dieser Zeit der Name des Herzogs als Anstifter der Brände noch nicht erscheint. Die Überzeugung, dass er an einer Verschwörung beteiligt war, lässt sich erst im August belegen. In den Tischreden zeigt sich diese Auffassung erst in den Tagen zwischen dem 7. und dem 24. August.213 Ungefähr Mitte September ließ sich auch Melanchthon davon überzeugen, dass die angeblichen Brandstifter im Dienste des Herzogs standen. Er stützte seine Meinung auf die Bekenntnisse von Gefangenen.214 Melanchthon war also überzeugt, dass die durch Folter gewonnen Angaben über die Beteiligung des Herzogs am Mordbrennen wahr seien. Wir sehen, dass die Grundlage zu der neuen Überzeugung, dass hinter dem Unglück Feinde des Luthertums steckten, solche Bekenntnisse waren, wie wir sie im Falle des in Eisleben examinierten Henkers kennengelernt haben. Wenn man in diesem Sinne die Ausbreitung der ausgelösten Panik verfolgt, wird der Fall sehr kompliziert. Es gibt eine Vielzahl von Publikationen, die Auseinandersetzungen, die zunächst schriftlich und später sogar mit Waffen ausgetragen wurden, behandeln.215 Luther trug 1541 zu diesem Streit mit seiner Schrift gegen den Herzog (‘Wider Hans Worst’) bei.216 In diesen literarischen und politischen Kämpfen spielten natürlich viele Faktoren eine Rolle, nicht nur die in Wittenberg ausgelöste Panik. Aber die Führer der Protestanten gründeten ihr Ver-
sieht auch, dass manche Beschuldigungen durch die religiösen Spannungen bewirkt wurden. „Illis desperatis hominibus et nihil non audentibus daemon (Deo ita permittente) sic imponit et ad flagitia tam enormia pertrahit [...] Novi evangelii sunt fructus isti. Nam postquam impune licuit monachis abiicere cucullas et confessio ablata est auricularis, sanctorum invocacio anihilata et in Universum eclesiae auctoritas elevata, tot mundus repletus est his sceleratissimis detestandisque hominibus“. Andreas Bigelmair: Nikolaus Ellenbog. Briefwechsel, Münster 1938, S. 419-421. 213 Marin Luther: Tischreden. WA Nr. 5131, 5154 und 5160. Nach diesem Zeitpunkt erscheint der Herzog in den Tischreden oft als der Mordbrenner. 214 „His diebus legi confessiones certas et iureiurando confirmatas captivorum, qui fatentur se conductos esse a ministris ducis Henrici Brunsvicensis, et nominatim dicunt sibi promissam esse securitatem in eius ditione. Narrant et pecuniam collatam esse ad conducendos authores incendiorum, qui vastitatem faciant in iis locis, ubi doctrina Euangelii floret“. WA, IV. Abt. Briefwechsel, Bd. 9, S. 243. Vgl. Corpus Reformatorum, Bd. 3, Sp. 1093; Heinz Scheible: Melanchthons Briefwechsel. Stuttgart 1979, Bd. 3, S. 89. Pfarrer in Braunschweig, die den Herzog des Mordbrands beschuldigten, fanden, dass sie der Verleumdung beschuldigt wurden. Melanchthon bemühte sich, den Pfarrern zu helfen. Ebd., S. 91–92. 215 Karl Schottenloher: Bibliographie zur deutschen Geschichte im Zeitalter der Glaubensspaltung. Stuttgart 1957, Bd. 3, S. 143–151; Oskar Schade: Satiren und Pasquille aus der Reformationszeit. Hannover 1863 (Neudr. Hildesheim, 1963), S. 44–144 und 210–239; Clemen: Beiträge zur Geschichte, S. 174–185. 216 Martin Luther: Schriften. WA, 51 (1914), S. 461–572.
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ständnis der Lage auf Bekenntnisse, die aus dem Wittenberger und aus nachfolgenden Prozessen hervorgegangen waren. Ein Brief Luthers an Herzog Albrecht von Preußen gibt uns von dem Ausmaß der Panik einen Begriff: Sonst ist nichts, Denn das Herzog Heinrich von Brunschwig ein ertz mordbrenner gescholten wird, der sol ausgeschickt haben viel hundert mordbrenner widder die Euangelischen stende, Sind bereyt mehr denn dreyhundert gerichtet. [ . . .]217
Georg Spalatin nannte die Zahl von 343 Personen, die hingerichtet worden seien.218 Zum Verständnis der Dynamik solcher Massenprozesse könnte der Fall von 1540 einen frühen Beleg und eine wichtige Ergänzung bieten, aber zugleich Anlass geben, gewisse Probleme solcher Prozesse zu untersuchen.219 Wie verhält sich zum Beispiel dieser Fall zu anderen gleicher Art, etwa zu den Massenprozessen in der Schweiz, wo der Einfluss Calvins groß war, oder zu denen von Trier, wo der Erzbischof in den achtziger Jahren den Verlauf der Dinge bestimmte?220 Wie wichtig waren die Denunziationen der Hexen seitens hochstehender und einflussreicher kirchlicher Stellen? Welche Rolle spielten politische Ziele bei der
217 Martin Luther: Briefwechsel. WA Bd. 9 (1941), S. 242. Auf Grund der Bekenntnisse entstand die Schrift ,Mordbrand’. Ebd., S. 243. Vgl. WA. Tischreden, Nr. 5253. 218 Spalatin berichtet wiederum in seinem Tagebuch zum Jahr 1540 und bestätigt, dass in den Prozessen die Folter eine entscheidende Rolle spielte: „Incendiarii ad CCCXLIII, subornati magno aere, passim in Germania incendiis sacra prophana vastandi, tam incerto authore, ut nemo diu dicere posset, a quo essent submissi. Itaque vigiliis et excubiis nunquan non pii et prudentes Principes suis prospexerunt, mandatis hoc nomine editis et emissis. De multis edam sumptum est suplicium, sed ita, ut etiam ex vinculis et per tormenta rogati tarnen authores prodere non possent“. Vgl. Berbig: Spalatiniana, S. 72. – Die in Wittenberg ausgelöste Panik hatte vielleicht mit Vorgängen in Böhmen zu tun. Jedenfalls gab es auch dort „Mordbrenner“, und der Verdacht, dass sie mit ihnen konspirierten, habe nach Spalatin dazu beigetragen, dass man die Juden vom Land ausgewiesen hat. „Hoc anno [1541] Judaei ex toto Boemiae Regno exacti sunt, turn ob alia, turn quod cum incendiariis conjurasse viderentur, et muftis in locis nedum Pragae, olim Marobodi sede et Regia, ignem injecisse“. Vgl. Berbig: Spalatiniana, S. 78. 219 Literatur zu diesem Thema bei H. C. Erik Midelfort: Witch Hunting and the Domino Theory. In: Religion and the People, 800–1700, hg. von James Obelkevich. Chapel Hill 1978, S. 277–325. 220 Zu beachten ist, dass diese Hexenverfolgungen mit lebensgefährlichen Krisen und wirtschaftlicher Not in Verbindung stehen. In Wittenberg und Genf drohte Pestgefahr, und in Trier gab es katastrophale Ernten. Vgl. Oskar Pfister: Calvins Eingreifen in die Hexer- & Hexenprozesse von Peney 1545 nach seiner Bedeutung für Geschichte & Gegenwart. Zürich 1947, S. 66–68. Calvin, ähnlich wie die Wittenberger, unterstützte das Vorgehen der Obrigkeit mit Röm. 13. F. W. Kampschulte: Johann Calvin. Seine Kirche und sein Staat in Genf. Leipzig 1869, S. 423. Vgl. S. 425–428. Am 27. März berichtete Calvin über die Entdeckung einer geheimen Verschwörung, die für die Pest in Genf verantwortlich sein sollte und in deren Folge fünfzehn Frauen verbrannt wurden. Jules Bonnet: Letters of John Calvin. Edinburgh 1855, Bd. 1, S. 428.
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Formulierung der suggestiven Fragen, die den Frauen gestellt wurden? Welche Faktoren gaben Anstoß zur Weiterführung der Prozesse? Welche Bedeutung hat das Bild, das durch die Bekenntnisse der Hexen entstand und das durch Veröffentlichungen verbreitet wurde? Immer wieder begegnet uns die zentrale Rolle der Bekenntnisse, die durch die Folter erzwungen wurden und an deren Zuverlässigkeit damals kaum jemand zu zweifeln schien. Überraschend ist die Vielfalt der Bekenntnisse. Das Frageschema für die Verhöre war offenbar unterschiedlich. Die Richter verfügten über die Freiheit, Fragen so zu formulieren, wie sie ihnen für die besondere politische, religiöse und wirtschaftliche Lage angemessen schienen. Wir haben gesehen, dass die Fragen an den Henker von Wittenberg, den angeblichen Hexenmeister, vom Verdacht einer Hexenverschwörung zur Überzeugung führen konnten, dass eine politische Verschwörung unter der Leitung des Herzogs von Braunschweig stattgefunden habe. Man erzeugte also Bekenntnisse, die den verschiedensten Interessen dienen könnten, vor allem zum Vorteil der weltlichen Obrigkeit, die die Verantwortung für die damaligen Bedrängnisse von sich halten wollte. Man glaubte in der „Wahrheit“ der Aussagen eine Möglichkeit zur Ausmerzung der Gefahr gefunden zu haben. Und dadurch, dass die Aussagen das Vorhandensein der Gefahr bestätigten, wurde gleichzeitig eine Wirklichkeitsauffassung geschaffen, die eine panische Kettenreaktion von Prozessen begünstigte. Der Einblattdruck von 1540 zeigt, wie der Kampf gegen Hexen verstanden und wie er der Öffentlichkeit dargestellt wurde. Er könnte den Gerichten bei späteren Prozessen zur Orientierung gedient haben. Publikationen dieser Art führten zur Vereinheitlichung des Hexenbildes im 16. Jahrhundert. Dieses Blatt hat aber auch eine literarische Bedeutung. Es kann als Vertreter der vergessenen Gattung der Warnschriften angesehen werden, und als solche vertritt das Blatt die Interessen Luthers in seinem Kampf gegen die Macht des Teufels in der Welt.221
221 Stephan Füssel hat in einem Vortrag des Bad Kreuznacher Faust Symposions über „Die literarischen Quellen der Historia von D. Johann Fausten“ ein dem Stil und Inhalt des Faustbuchs nahe verwandtes Beispiel einer „schrecklichen Zeitung“ aus dem Jahr 1560 zitiert: „Dieweil der Teufel ein abgesagter feindt Christi, und aller frommen Gottesfürchtigen hertzen, alle stunde und augenblick umbher gehet wie ein brüllender Lewe, vnt sucht welchen er verschlinge, Voraus weil er merckt vnnd fühlet das Gottes ernstes gericht vber ihn vnnd allen seinen anhang, in kurtz kommen Wirt, So lest er sich ja greulich vnnd schrecklich gnugsam sehen, jetzt in dieser letzten zeit der welt, mit grawsamlicher plage vnnd anfechtung, wie in dieser nachfolgenden Hystoria angezeigt“. In: 400 Jahre Faustbuch. Hg. v. Richard Auernheimer und Frank Baron. München 1991, S. 15–39. Vgl. R. E. Prutz: Geschichte des deutschen Journalismus. Hannover 1845, S. 166-167. Es würde zu weit führen, viele Beispiele dieser Gattung aufzuführen. Zur Veranschaulichung seien hier noch zwei Werke angeführt: Newe Zeitung aus Berneburgk, schrecklich vnd
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Der Gedanke, dass man solche warnenden Exempel dem Volk mitteilen müsse, taucht als Leitmotiv in Luthers Äußerungen über Zauberer immer wieder auf. In den protestantischen Exempelbüchern, den Teufelsbüchern und den „schrecklichen newen Zeitungen“ wurde die reiche Tradition der Warnschriften in verschiedenen Formen fortgesetzt. Obwohl das Faustbuch, das fast fünfzig Jahre später erschien, keine eindeutige Einordnung in eine bestimmte Gattung zulässt, trägt es einige Merkmale der Warnschrift von 1540. Das Titelblatt kündigt zum Beispiel unter anderem ein abscheuliches Exempel und eine treuherzige Warnung an und bewirkt so im Grunde eine Wiederbelebung des früheren Kampfes in Wittenberg. Im Jahre 1572 verordnete das neue Landesgesetz in Sachsen strengere Maßnahmen gegen Hexen: Alldieweil die Zauberei hin und wieder heftig einreißt, und nicht allein in gemeinen beschriebenen kaiserlichen Rechten, sondern auch in göttlicher Schrift zum höchsten verboten ist, demnach ordnen wir, so jemand in Vergessung seines christlichen Glaubens mit dem Teufel Verbündnis aufrichtet, umgeht oder zu schaffen hat, dass dieselbige Person, ob sie gleich mit Zauberei niemand Schaden zugefügt, mit dem Feuer vom Leben zum Tode gerichtet und gestraft werden soll.222
Dieses Gesetz, das auch die Gesetzgebung in der Pfalz beeinflusst (1582 wurde der Text von Johann Spies, dem Drucker des Faustbuchs, gedruckt),223 zeigt eine Tendenz zur Verschärfung des Kampfes gegen Hexen und Zauberer. Die Klage
abschewlich zu hören vnd zu lesen, von dreyen alten Teuffels Bulerin, Hexin oder Zauberinnen ... Zur warnung wider den Teuffel, vnd seinen listigen Pfeilen, von einem Liebhaber der Warheit in Druck vorfertiget. Anno 1580. den 12 Januarij.’ [Ohne Angabe des Druckers oder des Ortes]. Standort: Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. VD16 N 624. Abraham Saur: Eine kurtze, treuwe Warnung, Anzeige vnd Vnderricht: Ob auch zu dieser unser Zeit vnter uns Christen, Hexen, Zäuberer, Vnholden vorhanden: Vnd was sie außrichten konnen, etc. einfältig vnd kürtzlich [...]. Frankfurt bei Christoff Rab, 1582; vgl. Karl Schottenloher: Flugblatt und Zeitung. Berlin 1922, S. 188–190; Martha J. Crowe (Hg.): Witchcraft. Catalog of the Witchcraft Collection in the Cornell University Library. Milwood, NY 1977, S. 412 u. 592–593. 222 Nikolaus Paulus: Hexenwahn und Hexenprozeß vornehmlich im 16. Jahrhundert. Freiburg 1910, S. 54. Vgl. Manfred Wilde: Die Zauberei- und Hexenprozesse in Kursachsen. S. 28–34. Der Verdacht des Teufelspakts genügte schon in der Zeit Luthers in Wittenberg, um die Folter anzuwenden. Dadurch war es einfacher leichter den Weg, bestimmte Personen zu beschuldigen und sie zu zwingen, die Schuld an bestimmten Schäden zuzugeben. Schmidt sieht die Anfänge der intensiven Hexenverfolgung erst nach etwa 1560. Vgl. Jürgen Michael Schmidt: Hexendelikt in den kursächsischen Konstitionen. In: Benedict Carpzov: Neue Perspektiven zu einem umstrittenen sächsischen Juristen. Hg. von Günther Jerouschek, Wolfgang Schild und Walter Gropp. Tübingen 2000, S. 114. Vgl. Wolfgang Behringer: Mit dem Feuer vom Leben zum Tod. Hexengesetzgebung in Bayern. München 1988, S. 50–51. 223 Churfürstliches Landrecht. Heidelberg 1582, 5. Teil, fol. 9r.
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des Schadenzaubers hatte in Wittenberg genügt. Die Beschuldigung des Pakts gab den Richtern eine neue Waffe in die Hand, um den Kampf zu führen. An der Geschichte dieses Kampfes, der in den folgenden hundert Jahren viele Teile Europas intensiv beschäftigte, beteiligte sich früh auch Wittenberg. In der dortigen Hexenverfolgung spiegelten sich jene Massenprozesse, die sich später in ganz Deutschland verbreiteten. In dem noch zu betrachtenden Prozess gegen Dietrich Flade sind die krisenhaften wirtschaftlichen Umstände und der befürchtete Schadenzauber immer noch als Ursachen der Hexenpanik zu erkennen. Hinzu kommt aber der Verdacht des Pakts, wodurch es einfacher wird, über die Schuld der Angeklagten zu entscheiden. An diesem Punkt der Entwicklung nähert sich der Teufelsbündner der Hexenprozesse deutlich der populären literarischen FaustFigur an.
*** Die dramatische Intensivierung der Hexenverfolgung im 16. Jahrhundert hinterließ Spuren sowohl im katholischen als auch im protestantischen Deutschland. Die Geschichte des Faust-Bildes ist von diesem alles übergreifenden Hexenwahn nicht zu trennen. Der Kampf gegen Hexen war nur durch die Überwindung des allgegenwärtigen Teufels zu gewinnen. Dieser Kampf wurde in der Mischform der Warnliteratur, wie etwa in den „Newen Zeitungen“, Exempelbüchern, Teufelsbüchern und Hexentraktaten geführt und festgehalten. Diese Warnung war also eine konsequente Fortsetzung der didaktischen Funktion all jener Geschichten, die in Wittenberg über Faustus erzählt wurden. In den folgenden fünfundzwanzig Jahren wurden die Wittenberger Anekdoten über Faustus in den ExempelSammlungen, die den Predigten der protestantischen Pfarrer nützlich schienen, ständig wiederholt und erweitert: Caspar Goltwurm, Wunderwerk und Wunderzeichenbuch, Frankfurt am Main 1557. Johannes Manlius, Locorum communium collectania, lateinischer Text, Basel 1562, deutsche Übersetzung, Frankfurt am Main 1565. Johannes Weyer (Weier, Wierus), De praestigiis daemonum, lateinischer Text, Basel 1565, deutsche Übersetzung, Köln 1566, Frankfurt 1586. Johannes Aurifaber, Tischreden Oder Colloquia Doctor Martin Luthers, Eisleben 1566 und Frankfurt am Main 1567. Andreas Hondorff, Promptuarium Exemplorum, Leipzig 1568 und Frankfurt am Main 1568. Wolfgang Bütner, Epitome historiarum, s. l. 1567.
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Abb. 1: Einblattdruck von 1540. Inv. Nr. G 42,13. Mit freundlicher Genehmigung der Museen der Stadt Gotha. Schlossmuseum.
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[Sigmund Feyerabend, Hg.] Theatrum diabolorum, Frankfurt am Main 1569. Zacharias Rivander, Der ander Theil Promptuarii Exemplorum, Frankfurt am Main 1581. Augustin Lercheimer [Hermann Witekind], Christlich Bedencken und Erinnerung von Zauberey, Heidelberg 1585. [Nicolaus Basse, Hg.], Theatrum de veneficis. Frankfurt am Main 1586.
Diese Sammelwerke wurden in einem von Wolfgang Brückner herausgegebenen Nachschlagewerk eingehend nach den einzelnen Exempeln und Motiven katalogisiert und analysiert. Man kann also das Schicksal der einzelnen Erzählungen von Werk zu Werk verfolgen.224 Zu dieser ständig sich ausbreitenden Warnliteratur gehören die „Newen Zeitungen“, in denen die Gefahr der Zauberei und Hexen betont wurde. Eine literarische Vielfalt entwickelte sich, und durch sie wurden die Warnungen vor dem Teufel optimal intensiviert. Im Laufe des 16. Jahrhunderts erschienen immer wieder „Newe Zeitungen“ mit warnenden Berichten über Hexen, die gefangen und hingerichtet worden waren. Stephan Füssel entdeckte eine „Newe Zeitung“ von 1560, die mit einer tragischen Geschichte warnen will: Schreckliche zeitung: Warhafftiger vnnd gründtlicher Bericht / was sich zugetragen hat /mit einem Armen Hirten / im Düringerlandt. Die Zeitung ist bemerkenswert, weil Füssel dem Faustbuch verwandte Elemente feststellen konnte: Es wird die reale Macht des Teufels in der Welt beschworen, von der der 1. Petrusbrief spricht (1. Petr. 5,8; vgl. Dasselbe Zitat in der Vorrede des Faustbuchs) Der Mensch ist für das Bündnis schnell zu haben, doch erweisen sich die Gegenleistungen als bitter und unbrauchbar: „ein armer Mann aus Thüringen verdingt sich dem Teufel, um pekuniäre Vorteile zu erlangen“.
224 Zu solchen Werken, die Faustus kannten, gesellten sich in den siebziger und achtziger Jahren andere Werke über den Teufel und die Hexen. Die folgenden Titel zeigen kürzere Werke, die meist in Sammelwerken, wie etwa im Theatrum diabolorum enthalten sind: Andreas Musculus, Der Fluch Teuffel; Florian Paulus von Fürstenberg, Der Tantz Teuffel; Cyriacus Spangenberg, Der Jag Teuffel; Matthäus Friderich, Der Sauff Teuffel; Andreas Musculus, Der Ehe Teuffel; Andreas Hoppenrod, Der Hurn Teuffel; Joachim Westphalus, Der Hoffarts Teuffel; Andreas Musculus, Der Hosen Teuffel; Eustachius Schildo, Der Spiel Teuffel; Hermann Staccus, Der Pestilentz Teuffel; Caspar Faber, Der Sabbaths Teuffel; Christoph Obenhin, Der Eyd Teuffel; Der ander Theyl Theatri Diabolorum; Johannes Strauss, Kleider-, Pluder-, Paus-, und Krausenteufel; Johann Rhodus, Neidteufel; Conrad Porta, Lügen- und Lästerteufel. Brückner: Volkserzählung und Reformation, S. 417–418.
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Gefangen durch den Einfluss Satans findet der Betroffene nicht allein wieder den Weg zu Gott zurück Sein Schicksal wird zum Exempel für die Mitbürger Bezeichnend für die Gattung „Historia“ wird von der faktischen Wahrheit des Geschehens ausgegangen.225
Füssel betont dabei, dass er mit diesem Beispiel keine neuen „Faust-Splitter“ vorstellen, sondern deutlich machen wolle, von welchem Umfeld das Faustbuch geprägt wurde. Die Zahl der „Newen Zeitungen“ über die Übeltaten der Hexen und deren Bestrafung vermehrten sich in den Jahren nach 1560 dramatisch. Bis zu diesem Zeitpunkt erzählten die „Newe Zeitungen“ nur von Einzelfällen, höchstens vier oder fünf Hexen.226 „Newe Zeitungen“ konnten solche Fälle ausführlich beschreiben, aber im Laufe der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde mit jeder „Newen Zeitung“ die Lage der Hingerichteten ausufernder und sensationeller beschrieben. Die folgenden Beispiele zeigen diese Tendenz: Warhafftige vnnd Erschreckliche Thatten vnd handlungen der Lxiii. Hexen vnnd Vnholden / so zu Wiesenstaig / mit dem Brandt gericht worden seindt. Anno M.D. Lxiii Jar. 1568. Newezeitung. Vnd ware geschicht / dieses 76. Jars geschehen im Breißgaw / wie man da in etlichen Städtten vnd Flecken, die 55. Vnholden gefangen vnd verbrent hat / auch wie sie schröckliche ding bekent haben. In ein Lied verfasset / im Thon. Kompt her zu mir spricht Gottes. 1576. Newe Zeitung / Vnd wahre Geschicht / dises Lxxvi Jars geschehen im Breißgaw / wie man da in etlichen Stätten vnd Flecken / inn die 136. Vnholden gefangen / vnd verbrendt hat / auch wie sie schröckliche ding bekent haben, im thon Kompt her zu mir spricht Gottes Sohn. 1576.
Mit solchen Zeitungen wird zugleich ein „Thon“ vorgegeben, damit die Marktschreier die Zeitung singend weitergeben können. Eine weitere Verbreitung war dadurch gesichert. Die Zahl von 55 Hingerichteten wurde auf 136 korrigiert. Als das Faustbuch erschien, war die Zahl der Hinrichtungen in einem vergleichbaren Zusammenhang sogar noch höher:
225 Stephan Füssel: ‘Eine erschröcklich Geschicht ordentlich verfasset‘. Nürnberg und der Faust-Stoff, S. 161–179, hier S. 171–172. Vgl. Stephan Füssel: Die literarischen Quellen der Historia von D. Johann Fausten“. In: Richard Auernheimer u. Frank Baron (Hg.). Das Faustbuch von 1587. Provokation und Wirkung, München 1991, S. 15–39. 226 In Nürnberg erschien: Ein erschröckliche geschicht / so zu Derneburg in der Graffschafft Reinsteyn / am Hartz gelegen / von dreyen Zauberin / vnnd zwayen Mannen / Inn ettlichen tagen des Monats Octobris Im 1555. Jare ergangen ist.
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Erschröckliche vnd zuuor nie erhörte newe Zeitung / welcher massen im Landt zu Gülch vber drey hundert Weibspersonen / mit dem Teuffel sich verbunden / in Wolffsgestalt sich verwandlen könden / vnd wie vil Männer / Knaben vnd Viehs sie vmbgebracht haben / deren dann auff den 6. Tag May / im Jar 1591 zu Ostmilich / zwo Meil von Gülch / 85. mit Fewr gestrafft worden sein / Allenfrommen vnd Mägden zur Warnung vnd Exempelin Truck verfast. 1591.227
An dieser kleinen Auswahl von „Newen Zeitungen“ sieht man schon, dass der Mechanismus der Mythenproduktion durch die Folter den notwendigen Stoff lieferte, die Zeitungen sorgten dann für eine breite Wirkung. Hinzu kam der Einfluss der protestantischen Exempelliteratur. Welche Realität liegt diesen Nachrichten zu Grunde? Sind es bloß Übertreibungen? Meistens fehlt die Möglichkeit, die Tatsachen hinter den Nachrichten zu prüfen. Der Einblattdruck der Warhafftige[n] Abconterfeyung oder gestalt / des angesichts Leupolt Juden[...], Berlin 1573, bietet eine ungewöhnliche Gelegenheit dazu. Der Bericht von der Hinrichtung des hohen jüdischen Beamten des Berliner Hofes, Lippold ben Chluchim (1530–1573), vermittelt zunächst den Eindruck, dass es sich hier ausschließlich um eine Kampfschrift gegen Juden handelt. Warhafftige[n] Abconterfeyung oder gestalt / des angesichts Leupolt Juden / sampt fürbildung der Execution / welche an jhme / seiner wohluerdienten grausamen vnd vnmenschlichen thaten halben (so er an dem vnshuldigen Christlichen Blut begangen) den 28. Jenners / 1573. Zu Berlin / nach innhalt Göttliches vnd Kayserliches Rechten / vollzogen worden ist.—Darneben kürtzlich seine vnd anderer Juden tiraney / so etwan von jhnen wider alle menschliche Affecten / vnd mitleiden gegen Christen menschen geübt / allen frommen Christen zu gut vnd warnung (Auff das sie sich für solchen bluteglen desto fürderlicher wisssen zu hüten) in Reimen gestellt / vnd an den tag geben.
Der historische Hintergrund ist viel komplizierter als diese Zusammenfassung des Inhalts andeutet. Der Kampf gegen Hexen war dem Kampf gegen Juden nah verwandt. Der Fall Lippold beginnt als ein Prozess gegen einen Juden, entwickelt sich aber bald zu einem Hexenprozess. Martin Luther, der seine Judenfeindlichkeit 1543 in der Schrift Von den Juden und ihren Lügener offen an den Tag legte, warnte den Kurfürsten Joachim II. von Brandenburg, (1505–1571) in einem Brief vom 9. März 1545 vor der „Alchemey“ der Juden, die als ein „grosser schendlicher trug“ zu verstehen sei. Nach Luthers Ansicht vertraute der Kurfürst den Juden viel zu sehr.228
227 Gedruckt in Augsburg durch Georg Kress. Bayerisches Nationalmuseum. 228 Martin Luther: Briefwechsel. WA Bd. 11, S. 48–52. Handschriften aus dem Besitz des Kurfürsten enthalten Schriften über Alchemie. Paul Oskar Kristeller: Iter Italicum. London 1983, Bd. 3, S. 428–429. Vgl. Aaron Ackermann: Münzmeister Lippold. Ein Beitrag zur Kultur- und Sittengeschichte des Mittelalters. Frankfurt a. M. 1910, S. 5.
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Der Tod des Kurfürsten genügte, um Lippold, i.e., Lipman ben Juda, der seinem Herrn etwa 15 Jahre als Münzmeister treu gedient hatte, völlig zu isolieren und ihn zum Opfer seiner Feinde zu machen. Wegen der verschlechterten wirtschaftlichen Lage und der Misswirtschaft suchte der Nachfolger, Johann Georg, in Zusammenarbeit mit seinem Kanzler, Lampert Distelmeyer, nach Sündenböcken. In den Tagen nach dem Tod des Kurfürsten wurde eine Synagoge zerstört. Die Ausweisung der Juden erfolgte bald danach. Lippold machte einen Fluchtversuch, wurde aber gleich verhaftet. Die folgende Untersuchung sollte Unredlichkeiten in seiner Kassenführung beweisen. Sie dauerte etwa ein Jahr, doch die fleißige Arbeit hatte nichts Belastendes ergeben. Nach dem Abschluss der Untersuchung entdeckte man einen Grund, eine viel gefährlichere Untersuchung einzuleiten: Ein „Zauberbuch“ wurde im Hause Lippolds gefunden. Das Protokoll im königlichen Haus-Archiv zu Charlottenburg (Signatur K. 116) hat der Biograph Lippolds, Aaron Ackermann, eingesehen und im Einzelnen beschrieben. Es handelt sich um die Aussagen, die Lippold am 16. Januar 1573 in 41 Punkten machte.229 Zuerst durfte Lippold Fragen „in Güte“ d.h. ohne Anwendung der Folter beantworten. In Bezug auf sein „Zauberbuch“ erklärte er, dass er das Buch, das medizinische Rezepte und einige alchemistische Anweisungen enthalte, vor 15 oder 16 Jahren in Prag gekauft habe. Offenbar glaubte Lippold, dass er mit fantasievollen Geschichten das Verständnis seiner Richter gewinnen könne. Im Zauberbuch sollen daneben Geheimnisse mitgeteilt worden sein, wie man den Teufel in ein Glas bannen könne. Lippold erklärte, dass er damit erreicht habe, dass der Teufel ihm wirklich erschienen sei. Die Richter wollten wissen, was Lippold dem Teufel zugesagt habe. Lippold behauptete, „er habe dem Teufel versprochen, all das mit des Teufels Hilfe auszurichten, was dieser zum Schaden der Leute tun wolle, stets kommen zu wollen, wenn der Teufel es wünsche und sich ihm mit Leib und Leben zu übergeben“.230 Man wollte auch wissen, wie denn nach dem Zauberbuche ein Jude die Gunst und Zuneigung der Christen gewinnen konnte. Lippold gab zu, dass er bestimmte Hexenwerke verwendet habe, um die Gunst des Kurfürsten zu gewinnen. Der Teufel sei ihm als Helfer in Gestalt eines schwarzen Hundes erschienen. Zuletzt musste Lippold noch erklären, warum er seinen Wohltäter töten wollte. Dazu bekannte Lippold, dass er eine wertvolle goldene Kette vom Kurfürsten gestohlen
229 Ackermann: Münzmeister Lippold, S. 33–67. Man vermutet, dass praktisch „der ganze Hofstat“ mehr oder weniger bei ihm verschuldet war. Franz Menges: Lippold. Neue Deutsche Biographie, Berlin 1984, Bd. 14, S. 667–669. 230 Ebd. S. 57. Die schriftliche Aufzeichnung eines Vertrags war zu diesem Zeitpunkt für eine Verurteilung noch nicht unbedingt gefordert.
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habe, und um nicht entdeckt zu werden, habe er den Kurfürsten vergiftet. Auf diese Aussagen hat Lippold zuletzt, trotz „mit mässigter Schärfe“ angewandter Folter, beharrt. Als es dann eine Woche später zur Vollstreckung des Todesurteils kam, zögerte Lippold überraschenderweise doch und widerrief alle seine früheren Geständnisse! Hatte er nicht gewusst, welche brutalen Folgen eine solche Entscheidung mit sich brachte? Man führte ihn nun gleich zur Folterkammer zurück, wo er erneut gepeinigt wurde. Nun musste er doch wieder die früheren Bekenntnisse bestätigen. Die Vollstreckung des Urteils erfolgte, wie auch im Bild des Einblattdruckes dargestellt.231 Die Geschichte von Lippolds Verurteilung wird als ein Gedicht von 74 paargereimten Versen erzählt, aber den Inhalt kann man mit einer Auswahl von kürzeren Textteilen zusammenfassen. Gleich am Anfang, nach dem Hinweis auf die abgebildete Hinrichtung, wird Lippold als gefährlicher Teufelsbeschwörer bezeichnet. Ob du gern wustest frommer Christ / Was dis für gemelt vnd bildwerck ist / So merck das nackent vnd angesicht Zeigt Leupolt Jüd den Ertzbösswicht. Der wider sein gsatz ghandelt hat / Derhalb er vmb ein Vbelthat Eingezogen lang im gefengnis ligt / Als sein sach sich zur erlösung schückt / Sihe zu / so wird erst offenbar / Das er ein Teufelbeschwerer war.232
Die Erkenntnis, dass Lippold mit Hilfe des Teufels gehandelt hat, wurde also erst im Gefängnis gewonnen. Damit wird unterschwellig angedeutet, dass weder politische Fehlgriffe noch irgendwelche Verbrechen Lippolds bewiesen wurden. Um ein Exempel an ihm zu statuieren, griff man zu einem Hexenprozess. Ein solcher Prozess bot den Richtern die Beweise, Lippold sei an allen denkbaren Sünden
231 Warhafftige Abconterfeyung oder gestalt / des angesichts Leupolt Jüden / sampt fürbildung der Execution / welche an ihme / seiner woluerdienten grausamen und unmenschlichen thaten halben (so er an dem unschüldigen Christlichen Blut begangen) den 28. Jenners/ 1573 zu Berlyn [...] allen frommen Christen zu gut und warnung (Auff das sie sich für solchen bluteglen desto fürderlicher wissen zuhüten) in Reimen gestelt / und an tag geben. Gedruckt durch Leonhard Thuryneysser ca. 1573. Für die 75 Verse des Einblattdrucks vgl. den Textteil weiter unten. Der vollständige Text der „Newen Zeitung“ in Ackerman, S. 106–111. 232 Vgl. den Text weiter unten. Zeilen 1–10.
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schuldig. Unzucht (ein bekannter Vorgang am Hofe des Kurfürsten) und Mord (vermutet als Tat Lippolds am Kurfürsten) wurden in der Folge als Anklagepunkte konstruiert: Dem [Teufel] er sich gantz mit seel vnd leib Für eigen gebe / mit Christen weib Er Vnzucht triben / auch war er Ein Gifftkoch / Vnholdt / Zauberer / Ein meineydiger Vbeltheter / Ein mörder / Dieb vnd Ertzuerreter, Der durch sein Gotts verfluchte kunst / Mit teuffels hülff vnd falschheit sonst Auch vmbzubringen dicht vnd tracht / Hohleut tödt hat / vnd vmbmgebracht.233
Die Richter standen aber vor dem Rätsel, wie Lippold als Jude mit dem Kurfürsten und dem Hof vertraut werden konnte. Sie vermuteten, dass nur der Teufel ihm dazu verholfen haben könne. Der Teufel habe Lippold das Geheimnis gelehrt, wie alle ihn lieben, achten und ehren müssten: Wie auch der Teuffel zu jhm kam / Vnd jm reichtumb / geld / ehr vnd gwalt / Verheissen hab / auch welcher gstalt / Er durch schwarzkunst kunt zwegen bringen Das alle die nur für jn gingen In musten lieben / achten / ehren [...]234
Die Richter und Feinde Lippolds glaubten offenbar nicht, dass der Münzmeister durch Geschick und natürliche Gabe so viel Erfolg hatte erringen können und alle glaubten, dass die Folter den einfachsten und direkten Weg zur Wahrheit eröffnete. Was er ghandlet vnd gtriben het / Man mit jm procediren thet / Nach Gott vnd Keyserlichen Recht / Man jn an pein vnd marter schlecht / Da bkent er erst den rechten grund [...]235
233 Zeilen 11–20. 234 Zeilen 22–27. 235 Zellen 53–57.
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Lippolds Fall war eigenartig und nicht typisch für die Hexenzeitungen. Der Einblattdruck geht weit über das Einzelschicksal hinaus, indem der Autor den etwa 500 Jahre währenden Kampf gegen Juden ausführlich erzählt. Festzuhalten ist jedoch, dass Lippold nur auf dem Wege eines Hexenprozesses als Teufelbeschwörer entdeckt wird. Der Vergleich dieses Zeitungsberichts mit seiner faktischen Basis zeigt den Mechanismus einer mythischen Verwandlung: Man erkennt, wie einer Teufelsbündner werden kann. Die Nachrichten über unzählige Prozesse in Kombination mit Folter wurden oft durch die „Newen Zeitungen“ bekannt gemacht und haben den Weg zum Faustbuch vorbereitet.
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Abb. 2: Standort: München, Bayerische Staatsbibliothek – Einbl. II,14.
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V. Der Prozess gegen Dietrich Flade Kaum ein anderer Hexenprozess des 16. Jahrhunderts hat so viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen wie derjenige gegen Doktor Dietrich (Diederich) Flade (1534–1589), nicht zuletzt weil der Prozess nicht, wie gewöhnlich, gegen eine arme, ungebildete „Zauberin“ geführt wurde, sondern gegen einen reichen, gelehrten „Zauberer“. Es kann dabei kaum verwundern, dass Flades Schicksal seinen Zeitgenossen mit dem des Doctor Faustus vergleichbar erschien. Man steht vor einem Rätsel: Ist es nur ein Zufall, dass zwei grundverschiedene Schicksale—das eine historisch verbürgt, das andere weitgehend fiktiv—bedeutende Gemeinsamkeiten aufweisen? Überhaupt: Sind zwei Gestalten vergleichbar, wenn eine 1589 im katholischen Trier wegen Zauberei verurteilt und hingerichtet wurde, während die andere zu diesem Zeitpunkt und von einem unbekannten, streng lutherischen Autor in Frankfurt a. M. zu einer mythischen, vom Teufel geholten Figur stilisiert wurde? Der Vergleich ist allerdings nur sinnvoll, wenn man auf die eigenartigen Entwicklungen achtet, die in diesen zwei unterschiedlichen Bereichen stattfanden. Flade wurde durch einen Prozess—durch suggestive Fragen in Kombination mit ausgeklügelten Foltermethoden—zum teuflischen Zauberer stilisiert. Bei Faustus handelte es sich dagegen um eine Entwicklung, die mehr als fünf Jahrzehnte umfasste. Gleichwohl lohnt es sich, danach zu fragen, ob und inwieweit die wiederholten Verteuflungen in der Warnliteratur gegen Hexen nach und nach auch das Bild der Faustfigur beeinflussten. Man lebte ja damals unter dem Eindruck eines ständigen Ansturms von Berichten über Prozesse gegen Hexen und Zauberer. Die Struktur eines Zauberer-Lebenslaufs erforderte wenig schöpferische Phantasie. Man wurde mit ihr schon im alltäglichen Leben jener Zeit konfrontiert. Zu fragen ist einerseits, wie der Hexenprozess ausnahmsweise für einen männlichen, gelehrten Zauberer geführt wurde, um das gewünschte Ziel einer wirkungsvollen Warnung zu gewinnen, und wie, andererseits, der Autor des Faustus-Lebenslaufs diejenige Struktur aufbaute, um die möglichst radikalste Warnung zu erreichen. Es liegt auf der Hand, dass hier verwandte Ziele vorlagen, und deshalb die Entwicklungen im Aufbau zu nah verwandten Resultaten führen konnten. In beiden Fällen war das Objekt der Anklage ein akademisch gebildeter Mann, nicht, wie im Allgemeinen, eine arme Frau, die zumeist weder lesen noch schreiben konnte. Die Adaptionen, die einerseits das Gericht für Flade und andererseits der unbekannte Autor für Faustus nötig fanden, führten in eine ähnliche, fast voraussagbare Richtung. Die Voraussetzungen in Flades Fall sind auf den ersten Blick nicht deutlich erkennbar, denn die Sprache und der Verlauf dieses Hexenprozesses waren schon damals kaum durchschaubar. Der Angeklagte, Dietrich Flade, der Berater von drei Kurfürsten von Trier (Johann IV. †1567; Jakob III. †1581 und Johann VII. https://doi.org/10.1515/9783110613070-006
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†1599), Leiter des Trierer Schöffengerichts, Professor der juristischen Fakultät der Universität Trier, deren Dekan und im Jahre 1586 sogar Rektor der Universität Trier war, besaß als Gelehrter und hoher Beamte großes Ansehen. Seine beträchtliche Büchersammlung spiegelt einen Menschen mit vielfältigen Interessen. Dass der größte Teil seiner Sammlung aus juristischen Büchern bestand, ist zu erwarten, aber er war offenbar auch ein Mensch mit einer breiten humanistischen Bildung. Er las auch Werke von Livius, Lukian, Ovid, Plautus, Cicero, Machiavelli, Melanchthon, Agrippa und Erasmus.236 Dass Flade aber zugleich sehr reich geworden war, könnte man im Rückblick nicht als Vorteil betrachten. Vierundsiebzig Personen, darunter auch die Stadt Trier und der Kurfürst, hatten bei ihm Schulden. Er soll 34.000 Gulden verliehen haben, während sein Testament festhielt, dass er vor seinem Tode noch über 50.000 Goldgulden verfügte.237 In einer Zeit, in der das ganze Volk unter katastrophalen wirtschaftlichen Zuständen litt, konnte ein so ungewöhnlicher Reichtum schnell zum Verhängnis werden. Eine Welle von Hexenverfolgungen des Jahres 1586 kann für den Trier nahe liegenden Ort Pfalzel (auch Palzel, Pfaltzel, Pfaltzell) mit den Wetterzuständen in Verbindung gebracht werden. In den Jahren von 1581 bis 1590 gab es in Kurtrier nur ein fruchtbares Jahr. Für Missernten, Frost, Hagelschläge und eine Schneckenplage hat man Hexen verantwortlich gemacht. Seuchen in den Jahren 1586 bis 1589 führten zur Schließung der Universität und des Gymnasiums. Der Kurfürst soll im Amtsbezirk Pfalzel die Verbrennung von 120 Hexen veranlasst haben.238 Im nahe liegenden Amt St. Maximin wurden in den Jahren 1586–1596 ca. 400 Personen hingerichtet.239 Ein Augenzeuge der Trierer Hexenverfolgung, Johann Linden (†1639), Kanonikus von St. Simeon, berichtete:
236 Richard Laufner: Dr. Dietrich Flade und seine Welt. In: Landeskundliche Vierteljahresblätter 8 (1962), S. 43–63, hier S. 59. 237 Günther Franz: Geistes- Kulturgeschichte 1560–1794. In: Kurt Düweill u. Franz Irsigler (Hg.). Trier in der Neuzeit, Trier 1988, S. 140. 238 George L. Burr: The Fate of Dietrich Flade. In: Papers of the American Historical Association 5 (1891), S. 25 u. 56. Rita Voltmer untersuchte jedoch die Frage, wie und ob diese Zahlen, überliefert 1728, zuverlässig sein könnten, wenn die intensive Verfolgungswelle erst in dem genannten Jahr begonnen hat. Voltmer S. 236–241. Vgl. Rita Voltmer: Ein Amerikaner in Trier. George Lincoln Burr (1857–1938) und sein Beitrag zu den Sammelschwerpunkten ‚Hexerei und Hexenverfolgungen‘ an der Cornell University (Ithaca/New York) sowie an der Stadtbibliothek Trier. Mit einem Inventar. In: Kurtrierisches Jahrbuch 47 (2007), S. 447–487. 239 Das Hexenregister des Claudius Musiel. Ein Verzeichnis von hingerichteten und besagten Personen aus dem Trierer Land (1586–1594). Hg. von Rita Voltmer und Karl Weisenstein. Trier 1996, S. 31.
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Weil man allgemein glaubte, dass der durch viele Jahre anhaltende Mißwachs durch Hexen und Unholde aus teuflischem Haß verursacht werde, erhob sich das ganze Land zur Ausrottung der Hexen. Diese Bewegung unterstützten viele Amtspersonen, die sich aus den Verbrennungen dieser Art Gold und Reichtum erhofften. [...] Inzwischen wurden die Notare, Schreiber und Schankwirte reich. Der Scharfrichter ritt auf einem edlen Pferd einer wie ein vornehmer Hofmann, in Gold und Silber gekleidet“.240
Bekannt ist die schwache Gesundheit des Kurfürstens, und diese Tatsache könnte dazu beigetragen haben, dass er die Hexengefahr sehr ernst nahm. Friedrich Nordeck, hessischer Kellerer im kurtrierischen St. Goar, berichtete am 16. August 1587 an den Landgrafen Wilhelm IV. von Hessen Kassel über Vorgänge im katholischen Kurtrier, dass nämlich Johann VII. „an der Mosel und im Oberstift ‘etzliche zauberin‘ verbrennen lasse. Vor kurzem sei ein kurtrierischer Kellerer (und damit Amtskollege Nordecks), gemeinsam mit seiner Frau auf Ehrenbreitstein bei Koblenz inhaftiert worden. Unter der Tortur habe dieser gestanden, als König der Hexen in einem goldenen Wagen zum Tanzplatz zu fahren gefahren zu sein, wo, ‘vielhundert zeubern‘ auf seinen Befehl warteten warten würden gewartet hätten. [...] Auch das Leben Johanns von Schönenberg sei in Gefahr; sogar bis in das bischöfliche Schlafzimmer seien die Hexen vorgedrungen“.241 Im Umkreis des Kurfürsten waren Jesuiten begünstigt. Weihbischof Peter Binsfeld, der Autor des berüchtigten Werkes zur Bekämpfung der Hexen, war in diesem Kreis einer seiner wichtigsten Berater. Die deutsche Ausgabe seines Werkes wurde einem anderen Berater des Kurfürsten, dem führenden Richter des Flade-Prozesses, dem kurfürstlichen Statthalter Johann Zandt, gewidmet.242
240 Günther Franz: Geistes- Kulturgeschichte 1560–1794, S. 333. Vgl. Burr, S. 15. Johannes Dillinger: „Böse Leute“. Hexenverfolgungen. In: Schwäbisch-Österreich und Kurtrier, Trier 1999, S. 100. 241 Staatsarchiv Marburg 4c Rotenburg Nr. 124. Zitiert nach Rita Voltmer: Germany’s First Superhunt. Rezeption und Konstruktion der sogenannten Trierer Verfolgungen (16.– 20. Jahrhundert). In: Katrin Moeller und Burghart Schmidt (Hg.): Realität und Mythos. Hexenverfolgung un Rezeptionsgeschichte. Trier 2003, S. 225–251, hier S. 234–235 242 VD16 B 5531. Petrus Binsfeld: Tractat von Bekanntnuß der Zauberer vnnd Hexen. Hg. von Hiram Kümper. Wien 2004, S. 3. Zur Frage der Kinderhexen, die man durch Drohen zum Geständnis zwingen kann, S. 240. Bernhard Duhr: Die Stellung der Jesuiten in den deutschen Hexenprozessen. Trier 1900, 29–35. Rita Voltmer: Jesuiten und Kinderhexen. Thesen zur Entstehung, Rezeption und Verbreitung eines Verfolgungsmusters. In: Wolfgang Behringer und Claudia Opitz-Belakhal (Hg.). Hexenkinder, Kinderbanden, Straßenkinder. Bielefeld 2016, 203–232, hier S. 203–204. Weitere Auskünfte über Binsfeld und Zandt liefert Johannes Dillinger, S. 177, 225, 319–321 u. 364–369. Vgl. Gottfried Kentenrich: Triers Statthalter 1550–1797. In: Trierische Heimat 1 (1924–1925), S. 18–19.
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Auf Anordnung des Erzbischofs sei den Jesuiten ein vermeintlich behexter Junge zur Unterweisung und Umerziehung unterstellt worden. Im Sommer 1587 habe dieser angeblich an teuflischen Versammlungen teilgenommen. Der Teufel soll ihn aus dem Trierer Jesuitenkolleg auf den Hexensabbat entführt haben. Ein weiterer ‚Hexenbube‘ habe darüber hinaus gestanden, die Hexen planten einen Mordanschlag gegen den Trierer Erzbischof. Verdächtig erschien zudem, dass der Kurfürst erkrankt war. Auch gegen den Statthalter Zandt von Merl waren angeblich Anschläge geplant.243 Auch wenn der Name Flades noch nicht genannt wurde, vermutete man doch schnell, dass sich ein Teilnehmer an den Hexengesellschaften, ein „Meier von Trier“, tatsächlich als Dietrich Flade identifizieren lasse.244 Wie kam es dazu, dass einer der vornehmsten Bürger Triers in einen solch gefährlichen Zusammenhang geraten konnte? Zur Beantwortung dieser Frage müssen politische Erwägungen im Umkreis des Kurfürsten und Erzbischofs berücksichtigt werden. Die Stadt war bei Flade hoch verschuldet. Nicht überraschend ist, dass der Kurfürst deshalb überlegte, Flade aus seinem Amt als Richter zu entlassen.245 Durch die Beseitigung Flades konnten seine Feinde finanzielle Vorteile gewinnen. Gleichzeitig kann man in diesem Zusammenhang davon ausgehen, dass der Kurfürst und seine Berater an die drohende Gefahr des Teufels und der Hexen glaubten. Ihr fanatischer Glaube verleitete sie offenbar zu einer fragwürdigen Behandlung der verdächtigten Hexen. Schon bei der Untersuchung der sogenannten ‚Hexenbuben‘ wird deutlich, dass gewisse Zugeständnisse mit Hilfe von suggestiven Fragen zu ganz genauen „Tatsachen“ führen konnten. Zuerst hörten die Richter zum Beispiel, dass ein gewisser „Meier von Trier“ an der Hexengesellschaft aktiv teilnahm. Wer konnte das sein? [...] daß er [der Hexenbube Matthias von Weißkirchen; F.B.] auch den Dantzplatzen beigewohnet, besagt worden, ist folgents er auß Befelch deß Hern Stathalters zu Trier verwarlich dahin gebracht, vnnd hat im eingangh vorgenomener guitlichen Fragh in continenti bekannt, er sei durch Verfuehrungh deß Deufels zu vnderschiedlichen Malen vff der Dantzplatzen erschienen, daselbsten in großen Anzall koßtlicher Leuthen, vnder andern zwein Junckern, so zierlich einher gangen, gesehen, wieder dieselbigen irer damalß gehapter Kleidungh halben, vnnd nach Gestalt deß Leibs von ime angedeutet hat vnnd beschrieben gantzlich mit Doctor Fladen sampt einem andern eingestimmt vnnd mit dern proportion
243 Burr, 21–24. Voltmer: Superhunt, p. 233. 244 Burr, S. 24. Vgl. Emil Zenz: Dr. Dietrich Flade, ein Opfer des Hexenwahns. In: Kurtrierisches Jahrbuch 2 (1962), S. 46–48. 245 Vgl. Brief an die theologische Fakultät (vgl. Anmerkung 255 weiter unten).
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auch allen andern vmbstenden verglichen, vnd ist bemelte Description nochmalß daher bestedigt.246
Der führende Richter, der vom Kurfürsten und Erzbischof Johann VII. von Schönenberg mit dem Fall Flade beauftragt wurde, Statthalter Johann Zandt von Merl, hatte ohne die Anwendung von Folter, also nur mit „gütlichen“ (drohenden) Fragen, von Flade das Geständnis gewinnen können, dass er an den Hexengesellschaften teilgenommen habe.247 Der Text zeigt aber, dass erst der Statthalter derjenige war, der den Anwesenden auf dem Hexentanzplatz als Flade identifizierte. Zu einer ähnlichen Einsicht gelangt man, wenn man die rasche Verbreitung dieser fragwürdigen Tatsache verstehen will. Dazu liefert das Hexenregister des Claudius Musiel wertvolle Hinweise. Es ist ein Verzeichnis der Hingerichteten, zusammen mit der Nennung von Komplizen.248 Ein anderer Fall kann aber die Art und Weise, in der die Verbreitung gefördert wurde, deutlicher machen, nämlich auch eine Beschuldigung Flades: „Anna Rofer gab an, sie habe Doktor Flade, als sie ihn das erste Mal auf dem Sabbat gesehen habe, nicht mit Namen gekannt (‚Fladt so ir erstmalß unbekent‘); er habe den Anstoß für den Wetterzauber gegeben, den die Hexengesellschaft oberhalb des Pfalzeler Waldes hervorgerufen haben soll und der Kühe erschlug“.249 Ohne die Hilfe des Richters wäre diese Angeklagte nicht fähig gewesen, den Namen des Hauptschuldigen unter den Hexen zu nennen. Folgen der Anweisung aus Trier, solche Bekenntnisse und Benennungen zu sammeln, konnten, da die suggestiven Fragen mit Folter kombiniert waren, zu zahlreichen Anklagen gegen Flade führen. Von etwa Mitte 1587 bis ungefähr Oktober 1588 nahmen die Aussagen gegen Flade vor allem im Amtsbezirk Pfalzel, wo Johann Zandt als Amtmann wirkte, rasant zu. Am 8. Juni hatte Maria Meyers aus Ehrang in Pfalzel bekannt, dass sie Flade auf der Hetzenrather Heide gesehen habe; in Pfalzel hatte Hans Loch (auch Lach) eine ähnliche Aussage gemacht. Auch einen Vorgang im April 1588 in Pfalzel hatte Flade besonders ernst nehmen müssen: Margarethe Merten von Euren hatte ihn beschuldigt, auf der Hetzerather Heide gewesen zu sein. Ende April 1588 erzählte sie ausführlich über die Tätigkeiten Flades auf jener Heide, wo er mit einem goldenen Wagen erschienen sei. Dort habe er Gewitter gemacht und die Vernichtung der Ernte verlangt. Flade soll Kühe erschlagen haben, er habe den dortigen Wald habe vernichten wollen und Klötze gemacht, damit daraus Schnecken wurden.
246 Witchcraft Collection. Cornell University, Ms. fol. 78v. Burr, S. 24. Zenz, S. 47. 247 Brief des Kurfürsten an die theologische Fakultät (vgl. Anmerkung 255 weiter unten). 248 Das Hexenregister des Claudius Musiel, S. 39 u. 78. 249 Ebd., S. 50.
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Flade bemühte sich, Margarethes Beschuldigungen auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen zu lassen. Er bat eine Delegation von ihm vertrauten Personen— darunter seinen Beichtvater, den Jesuiten Pater Lucas Ellentz—sie zu besuchen und zu fragen, ob sie wirklich auf ihren Beschuldigungen bestehe. Man berichtete jedoch, dass Margarethe sogar noch unmittelbar vor ihrer Hinrichtung fest auf ihren Aussagen bestanden habe. Einer der Delegierten behauptete, dass der Teufel selbst aus ihr zu sprechen schien.250 Der Versuch, Margarethe von ihrem Geständnis abzubringen, war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. In solchen Fällen war ein Sinneswandel kaum zu erwarten, denn die Angeklagten, die schon etwas gestanden hatten und dieses nachher widerrufen wollten, liefen Gefahr, erneut gefoltert zu werden. Diese Notlage kannte ein erfahrener Richter wie Flade, denn er war ja selbst mehrfach Leiter von Hexenprozessen gewesen. Schon 1582 war Flade als Richter an einem Prozess gegen Margarethe Braun beteiligt, und er hatte wiederholt, allerdings auf Druck von verschiedenen Seiten, auf Folter bestanden.251 Flade ist also sicher nicht den Gegnern der Hexenverfolgung zuzurechnen. Man hatte ja auf allen Seiten in Trier die Gefahr der Hexen ernst genommen. Auch die Verteidiger Flades gingen von diesem Standpunkt aus. Nur so kann man verstehen, dass die weltlichen Gerichte in Trier und St. Maximin, die noch an die Unschuld Flades glaubten, behaupteten, dass Flade, der gute Katholik, selbst Hexenprozesse geführt hatte und daher in der Sache Zauberei als unschuldig gelten sollte.252 Gegen die Initiativen, die Johannes VII. als Kurfürst und Erzbischof mit Hilfe seiner Ratgeber schon sehr gründlich vorbereitet hatte, kamen solche Versuche zu spät. An den durch Folter gewonnenen Beschuldigungen war nicht zu zweifeln. Flade musste einsehen, dass er in Trier in eine hoffnungslose Lage geraten war. Sein Versuch, im September 1588 zu fliehen, misslang; er wurde gleich danach verhaftet. Ein Prozess war unabwendbar. Am 14. Januar konsultierte der Kurfürst die Theologen der Universität Trier, damit niemand nachher „sich rechtens zu beschwehren hab“. In seinem Brief an die Theologen bot Johann VII. einen Einblick in die „allerhand difficultaten“, mit denen ein Prozess gegen einen Gelehrten und Bürger des „Ehrenstands“ belastet war. Zwar war er zuerst bereit, einige der Anschuldigungen gegen Flade zu
250 „[...] sie hab vff der besagungh verharrt, vnd einer vnder jnnen [Delegierten] zu Latein vermeldet, et videbatur quod diabolus ex ill loqueretur“. Witchcraft Collection. Cornell University. Ms. fol. 22v (S. 46). Burr, S. 28 u. Zenz, S. 50. 251 Rita Voltmer: Zwischen Herrschaftskrise, Wirtschaftsdepression und Jesuiter Propaganda: Hexenverfolgungen in der Stadt Trier (15.–17. Jh.). In: Jahrbuch für deutsche Landesgeschichte 27 (2001), S. 37–107, hier S. 62–65. 252 Missivbuch 1586–1590 der Stadt Trier (Stadtarchiv Trier), zitiert nach Zens, S. 52.
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ignorieren, aber als solche sich dramatisch vermehrten, dreiundzwanzig „Zauberey halben hingerichte Manns- und Weibspersonen uff Ihnen bekendt, stadhafftigh darauff verharret“, dass er mit ihnen „uff iren Tantz-Platzen gewesen, den Vorgangh in bösen Anschlagen gehabt“, durfte er nicht mehr schweigen. Die Bekenntnisse, die Flade an Angriffen des Teufels beteiligt sahen, kamen aus „vielen unterschiedlichen Gerichten, etwa von Trier, Maximin, Paulin, Euren, Esch, St. Mattheiß, Pfalzel und Sarburg“.253 Unter den hingerichteten Personen, die Flade als Mittäter bezeichneten, seien „etliche zimblichen Ehrenstands gewesen“, die zu erkennen gaben, warum sie „in solch Unglück gerathen“, nämlich in die Macht des Teufels. Diese Beweggründe seien: „einsteils iress Geitz[es], andern theil unkeuschheitt und sonstigen teufflischen Anreitzen“.254 Mit dieser Erklärung hatte der Kurfürst gezeigt, dass er die Motivationen der vornehmeren Verdächtigten und der armen Hexen zu unterscheiden gezwungen war. Den ärmeren Hexen wurde unterstellt, dass sie Böses wollten und mit Hilfe des Teufels dem wirtschaftlichen Wohl des Landes schadeten. Für den Angeklagten des höheren Stands genügte anscheinend die Bösartigkeit allein nicht. Man suchte nach Gründen, die Handlungen der vornehmeren Angeklagten zu verstehen. Nicht überraschend ist es daher, dass Flade sich in dem nachfolgenden Prozess selbst gezwungen fühlte, Habgier und Unkeuschheit als Anreize für seinen eigenen Teufelsbund zu betonen. Der Kurfürst hob schließlich noch hervor, dass unter den belastenden Bekenntnissen von besonderer Bedeutung jenes sei, das „ein junger Knab, der zu solchen Zaubereyhandel verführt, frey und ungezwungen“ abgegeben habe. Der Junge, der Flade vorher nicht gekannt habe, habe auf diesen als Teilnehmer auf den Hexentanzplätzen hingewiesen. Dieses Bekenntnis wurde angeblich ohne Folter („frey und ungezwungen“) gewonnen. Der Weihbischof Binsfeld betonte stolz, dass man nämlich ein solches Bekenntnis von Kinderhexen allein durch Drohung erreichen konnte. Offenbar dachten sowohl der Kurfürst als auch der Weihbischof an den gleichen Fall, an dem Binsfeld persönlich als Berater beteiligt war. Der Kurfürst glaubte, dass Flades Schuld durch den Fluchtversuch bewiesen sei. Er meinte darüber hinaus, dass Flade sich schuldig „blos g[a]b“, als er begehrte, sich in ein Kloster zu einem „vitam speculativam“ zurückzuziehen und seine Güter dem Kurfürsten zu übergeben. Der Kurfürst kritisierte außerdem, dass Flade sehr geizig sei und dieser „Geitzigkeits halben die Justitia fast übel admi-
253 Georg Christoph Neller: Conatus exegeticus. Trier 1779, S. 33. Vgl. Einleitung zum Hexenregister des Claudius Musiel. 254 Neller: Conatus exegeticus, S. 33.
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nistrieret“ werde. Er habe schon dadurch einen Grund gehabt, Flade aus seinem Amt zu entfernen. Der Kurfürst bat die theologische Fakultät, ihm ihr Urteil in dieser Sache mit „Hochwichtigkeit“ und „in der geheimb“ mitzuteilen.255 Die Reaktion der Theologen ist nicht bekannt geworden. Da der Prozess aber nicht verhindert wurde, hatten sie wahrscheinlich dem Kurfürsten ihre Unterstützung zugesagt. Nun folgte ein „erschütterndes Theaterstück“, das Günther Franz mit den Schauprozessen Stalins verglichen hat.256 Um zunächst dieses Ereignis im Zusammenhang der damaligen Zeit zu sehen und um auf die eigenartige Entwicklung, die besondere Sprache und die Struktur des Vorgangs zu achten, kann man hier versuchsweise den Blick auf die Auseinandersetzung, auf eine Art Dialog, zwischen dem anklagenden Kurfürsten und Erzbischof Johannes VII. einerseits, und dem Gefangenen Dietrich Flade andererseits, werfen. Bevor der Prozess offiziell begann, wollte der Kurfürst am 9. Juni 1589 vierzig Fragen von Flade beantwortet haben. Flade wurde aufgefordert sich den einzelnen Beschuldigungen zu stellen. Gleich zu Anfang war schon die Hauptsache zu klären, d.h. „in der Guete zu bekennen“, wie er „in die Strick des boesen [Feindts] vß Schwachheit deß Fleisches geraten“ und „ob er villeicht per luxuriam, aueritiam, curiosita[tem] oder durch andere pacta daemonis“ verführt worden sei.257 Die Beweggründe zum Teufelspakt, die man bei dem Gelehrten Flade vermutete, wurden also gleich zu Beginn genannt, aber die vierzig Fragen gingen auch auf die einzelnen Beschuldigungen ein, in denen die bösen Hexentaten aufgezählt wurden. Wäre Flade tatsächlich an den Wetterumständen und der Beschädigung der Ernten beteiligt gewesen, so hätte er wirklich als Feind der ganzen Bevölkerung gesehen werden müssen. In dieser frühen Phase der Untersuchung fehlte noch die Anwendung der Folter. Flade gelang es, zuversichtlich seine Unschuld zu behaupten. Er meinte, dass der Teufel vielleicht „durch Transfiguration sich in meine Person zu verän-
255 Ebd., S. 33–34. Mit „Geitz“ meinte man in diesem Fall wahrscheinlich Habgier. Dillinger, S. 219–229. 256 Günther Franz: Hexenprozesse in der Stadt Trier und deren Umgebung. Gerichtsbarkeit von St. Maximin, St. Paulin und St. Matthias. In: Günther Franz und Franz Irsigler (Hg.). Hexenglaube und Hexenprozesse im Raum Rhein-Mosel-Saar. Trier 1996, S. 333–353, hier S. 345. 257 In der Handschrift steht curiositates. Witchcraft Collection. Cornell University, Ms. fol. 18v–19r (S. 38-39). Vgl. Zenz, S. 56–57. Vgl. „Minutes of the Trial for Witchcraft of Dr. Dietrich Flade“. Cornell University. http://ebooks.library.cornell.edu/w/witch/ und http://ebooks.library. cornell.edu/cgi/t/text/pageviewer-idx?c=witch;cc=witch;rgn=full%20text;idno=wit048;didno=wit048;view=image;seq=7;node=wit048%3A2;page=root;size=100. Zugriff am 18. 8. 2018.
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dern“ vermochte, aber er war ziemlich sicher und wiederholte mehrfach, dass er „corporaliter in oder bei solchen Geselschafften [nicht] geweßen“ sei.258 Nach der Beantwortung der vierzig Fragen bat Flade um Bedenkzeit. Er wusste nämlich, was ihm bevorstand, wenn der eigentliche Prozess einschließlich Folter beginnen würde. Er bat [...] fleißigh jme frist eins oder zweier tags zu gestehen, sich zu Bedencken vnd seinen Beichtvsvater zu jme komen zu laßen, daß er auch demselben sich vnderreden moge zu erlauben [...]259
Man gewährte ihm diese Bedenkzeit und den Besuch des Beichtvaters Paters Lucas Ellentz, dem er sein „gemuet“ zeigen durfte.260 Der Kurfürst bestand auf einen formellen Prozess, der am 7. August 1589 begann, und Flade wurde gewarnt, dass er die Folter zu erwarten habe, wenn er nicht „die Warheit“ sage. Sofort machte Flade daher gewisse Zugeständnisse: wegen der Todesfälle in seiner Familie (seine Frau und Schwager waren gestorben) sei er durch Trübseligkeit zur fleischlichen Lust verführt worden. Er unterbrach sich, um die Anwendung der Folter zu verhindern, und bat, dass man wegen seiner Gebrechlichkeit, „seines leibs verschonen“ solle.261 Doch der Statthalter Zandt bestand auf der „Warheit“. Der Nachrichter Meister Lamprecht wurde aufgefordert, den Gefangenen zu binden und aufzuziehen. Flade erzählte in der Folge von der Geilheit seines Fleisches und meinte, dass dies dem „boes fiendt“ ermöglicht habe, ihn an verschiedenen Orten zu repräsentieren. Er selbst sei dort aber nicht corporaliter erschienen. Flade meinte aber, dass die Einzelheiten seiner Unkeuschheit seine Richter interessieren könnten. „Er hab einer Junghfrauwen Gestalt bei sich in seinem Beth ligen“ gefunden und sich sexuell befriedigen können („quia semen emiserit“), nachher sei die Jungfrau verschwunden. Durch diese Sünde habe er an seiner Religion gezweifelt und dadurch dem Teufel seinen Willen und Gelegenheit gegeben, ihn zu vertreten. Am folgenden Tag wiederholte er seine These, nur durch den Teufel vertreten worden zu sein, aber man akzeptierte diesen „Widerspruch“ nicht. Man kam auf dieses Problem am 19. August zurück und forderte, dass er einen ausdrücklichen
258 Ms. fol. 19v–20r (S. 41–42) u. fol. 23v, 25r. 25v (S. 49, 52, 53). Johannes Dillinger kritisierte diese Strategie als aussichtslos. Sie habe gezeigt, dass Flade „verfolgungskritische Argumente“ gar nicht kannte. Dillinger, S. 337–338. Man könnte einwenden, dass Flade wahrscheinlich wusste, dass auch solche Argumente aussichtslos gewesen wären. 259 Ebd. fol. 27v, 32r. (S. 57, 66) Vgl. Zenz, S. 58. 260 Witchcraft Collection. Cornell University, Ms. fol. 94r (S. 189). 261 Ebd., fol. 96r (S. 193).
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Pakt mit dem Teufel endlich zugebe, damit auch der Coitus mit einer succuba erklärbar werde. Seine aktive Teilnahme an den Hexensabbaten sollte er auch zugeben. Da Flade zögerte, wurde er wieder gebunden und aufgezogen. Jetzt war er schließlich bereit, das gewünschte Geständnis abzulegen. Er habe sich mit den folgenden Worten mit dem Teufel verbunden: „Ego abrenuntio, abdico Deo, credens suam omnipotentiam me salvare nequire, propterea inservio diabolo“.262 Obwohl dieses präzise Geständnis eines Teufelspakts ansonsten für eine Verurteilung und Hinrichtung genügt hätte, war der Kurfürst noch nicht zufrieden und nicht bereit, den Prozess zu beenden. Er wollte Flade noch mit „Ernst vnd Fleiß“ eingehender befragen lassen, denn „waß er [Flade; F.B.] noch zur Zeit von sich gethan, fast schertzliche Dingh waren“ und man sollte sich mit Ernst bemühen, „die rechte Warheit an Tagh [zu] pringen“. In der Gesellschaft der Zauberer sei Flade offenbar ein Führer („antesignanus“) gewesen.263 Nach etwa drei Wochen, am 12. September, musste man den Prozess wieder aufnehmen. Flade betonte, dass er drei Kurfürsten gedient habe und um Gnade bitte. Aber es half nicht. Wahrscheinlich glaubte der Kurfürst, dass Flade ihm die Geheimnisse der Hexerei enthüllen könnte. Es ging jetzt noch darum, dass die Beschuldigungen, die „Hexen“ gegen Flade vorbrachten, bestätigt wurden.264 Flade musste zugeben, dass er durch die Melancholie und curiositas sciendi verführt worden sei: „in der Nacht sei der boeß fiendt in Gestalt einer schoener Junghfrauwen in den Sal kamen vnnd sich zu jme in sein Beth gelegt“. Weitere Details fehlen, weil von dem Protokoll nach diesem Text zwei Blätter ausgerissen wurden.265 Flade wurde unter Folter gezwungen, die Beteiligung an den Hexengesellschaften zuzugeben, zusammen die Verursachung von Gewitter, Beschädigung von Getreide und Gewächs, Verderben der Früchte, Erzeugung von Schnecken
262 Witchcraft Collection. Handschrift der Cornell University, Ms. fol. 100v (S. 202). Vgl. Zenz, S. 61. 263 Ebd., fol. 102r-103r. (S. 205–206) Vgl. Burr, S. 41 u. Zenz, S. 62. 264 Man wollte Einzelheiten über die teuflische Magie erfahren: „Habt doch noch keine speties magiae diabolicae von euch gethan. W[o]llen also wißen, wie ir darzu komen? wie? womit? quibus modis? ir dieselbe exerciert habt?“ fol. 103v (S. 207) So sah es jedenfalls Binsfeld in der Ausgabe seines Werkes aus dem Jahr 1591, S. 25. Auf diesen Text verweist van der Eerden: Der Teufelspakt bei Petrus Binsfeld und Cornelius Loos, S. 59. 265 Ob die fehlenden Details von den Richtern und dem Kurfürsten als Verbotenes getilgt werden sollten oder ob sie als besonders geheimnisvoll geschätzt wurden, muss dahingestellt bleiben. Cornell University, Ms. fol. 104r-104v (S. 209–210). Die fehlenden Blätter sind fol. 105r–106v.
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usw. Er musste schließlich auch Komplizen nennen.266 Am Samstag (16. September) war der Prozess zu Ende. Der Kurfürst konnte beruhigt sein, dass die vielen Bekenntnisse der Bösartigkeit, die zu diesem Prozess geführt hatten, von Flade nun selbst als wahr beglaubigt wurden. Während dieser letzten Prozesstage hatte Flade sein Testament fertiggestellt. Schon am 14. September, da seine Hinrichtung ihm als Gewissheit erschien, hat er sich um sein Seelenheil gekümmert. Flade schrieb: Da die Seele des Menschen viel vortrefflicher ist als der Leib, will ich meine Seele, wenn dieselbe von dem Körper abscheiden wird, Gott, dem allmächtigen Vater, meinem Schöpfer Jesu Christo, dessen eingeborenem Sohn, meinem Erlöser und dem Heiligen Geist, von beiden, dem Vater und dem Sohn, herkommend, meinem Tröster, der hochwürdigesten und allergebenedeiten Jungfrau und Gottesgebärerin Maria, meiner ungezweifelten Fürbitterin und allen lieben Heiligen Gottes, den Körper aber der geweihten Erde in St. Antonius-Pfarrkirchen empfohlen haben.267
Flade vermachte dem Trierer Jesuitenkolleg jährliche Weinrenten von einem Fuder aus dem Weinbaugebiet in Piesport, ferner als einmalige Gabe ein Fuder alten Wein aus seinem Keller, sowie drei spanische Doppeldukaten zur Vergoldung zweier Kelche. Dafür „sollen die Herren Patres nach Inhalt ihrer Konstitution meiner als Wohltäter sowohl in meinem Leben als darnach mit ihrem andächtigen Gebet zu Gott, dem Allmächtigen, eingedenk sein“.268 In diesen frommen Worten spiegelt sich der Einfluss des Beichtvaters Ellentz, der Flade während des ganzen Prozesses beistand. Besonders überraschend ist es, dass Flade auch diejenigen, die sein Schicksal besiegelt hatten, im Testament ehrenvoll bedacht hat: Danach sollte der Kurfürst „zu untertänigsten Ehren meine vier Stück neue Tapezereien [Wandhänge] einer Historie“ erhalten. Auch der gründliche Richter, der den ganzen Prozess gegen ihn geführt hatte, Johann Zandt von Merl, wurde geehrt: „aus besonderer Neigung und Affektion, die ich eine Zeitlang getragen und noch trag“ sollte er 100 Sonnenkronen erhalten [1 Sonnenkrone=3,235 g Feingold]. Dazu stellte der Herausgeber
266 Die Einzelheiten aus den Geständnissen von Margarethe von Euren und anderen Hexen kamen wieder zum Vorschein. Ebd., fol. 114r–114v (S. 225–226). Einige Namen im Protokoll wurden getilgt. Fast vertraulich erschien zum Schluss die Frage an Flade, ob er für das Attentat auf den Kurfürsten verantwortlich sei. Flade gab den Namen des Domdechanaten Bartolomäus von der Leyen als den Schuldigen an. Dessen Name wurde nur teilweise getilgt. Zenz, S. 65 u. Burr, S. 42. 267 Richard Laufner: Dr. Dietrich Flade und seine Welt. In: Landeskundliche Vierteljahresblätter 8 (1962), S. 43–62, hier S. 45. 268 Laufner, S.46.
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des Testaments, Richard Laufner, eine unumgängliche Frage: „Warum bedachte Flade kurz vor dem Abschluss seines Prozesses auch diejenigen mit Geschenken, die an seinem Verderben mehr oder weniger beteiligt waren, allen voran den Kurfürsten?“269 Eine Begnadigung war ja nicht mehr möglich. Nach Laufner musste das Motiv ein anderes gewesen sein: Flade wollte offenbar den Kurfürsten und den Statthalter dazu veranlassen, sein Vermögen nicht zu beschlagnahmen, sondern es so wenigstens teilweise seinen Erben zu überlassen. Zwei Messen wurden am folgenden Tag, einem Sonntag, in der Kapelle des Rathauses für Flade gelesen, eine von seinem Beichtvater, Pater Lucas Ellentz. Flade empfing das heilige Abendmahl. Der Montag sollte Flades letzter Tag sein. Eine Bedingung solcher Prozesse war, dass der Angeklagte auch Komplizen nennen musste. Peter Behr (auch Beher oder Bheer), ein früherer Bürgermeister von Trier, der von Flade als Komplize genannt wurde, konfrontierte Flade mit der Frage, wie es sein könne, dass er als Nachbar, der früher Flade als Gast in seinem Haus empfangen hatte, nun als Komplize genannt werde. Flade bestand auf seinem früheres Geständnis, gab aber zu bedenken, dass er nicht wisse, ob er Behr leiblich gesehen oder der böse Feind ihn nur „repräsentiert“ habe. Doch diese Unterscheidung half Behr nicht; später wurde auch er wegen Zauberei verhaftet und beging im Gefängnis Selbstmord. 270 Der Statthalter Zandt zerbrach den Stab; Flade fiel nun auf die Knie und bat um Gnade. Der Statthalter gab nach und befahl dem Nachrichter, den Verurteilten nicht dem Feuer zu übergeben, sondern „geduldigh vnd christlich“ zu strangulieren.271 Vor der Hinrichtung soll Flade sich an die Zuschauer gewandt und sie ermahnt haben, von seinem Schicksal zu lernen. Der Berichterstatter der Jesuiten, Christoph Brouwer, betonte, dass ein Priester der Jesuiten, also wahrscheinlich Ellentz, dem Verurteilten mit Worten und Taten Beistand leistete, vor allem um der Seele willen, gestärkt durch christliche Buße. Brouwer war offenbar davon überzeugt, dass Flade schuldig war und die Buße das Schreckliche seiner Sünde („atrocitatem culpae“) verringere. Nach Brouwer war das Volk davon überzeugt, dass die Hinrichtung verdient war.272 Brouwer beschrieb das Ritual,
269 Ebd., S. 46. 270 Witchcraft Collection. Cornell University, Ms. fol. 116r–116v (S. 229–230). Zenz, S. 86 u. Barr, S. 42. 271 Ebd., Ms. fol. 125v (S. 247). 272 Der Jesuit Christoph Brouwer, möglicherweise als Augenzeuge, berichtete in seinem Annales Trevierenses, lib. XXII über die Hinrichtung: „Ubi ad pyram perventum, circumfusam multidudinem oratione tempori aptâ, nec infracto quicquam animo, allocatus est, hortatusque ut illud exemplum exitus tam luctuosi acciperent pro documento, fraudes dolosque inimicissimi Satanae viutandi. Quibus dictis et factis, anima praesertim per Societatis Jesu sacerdotem Chris-
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das in solchen Fällen immer wieder wiederholt wurde.273 Der eigentliche Ort der Hinrichtung soll außerhalb von Trier, der „Gerichtsplatz an der Linde in Euren“, gewesen sein.274 Die Auseinandersetzung zwischen dem Kurfürsten und Flade war jedenfalls einseitig. Der Kurfürst und Erzbischof Johann VII. von Schönenberg besaß den notwendigen Kreis von Mitstreitern, die auch fest an den Ernst einer Hexengefahr glaubten. Die Waffe des Kampfes war in Form der Folter vorhanden, um den vermeintlichen Gegner zu zwingen, seine Niederlage einzusehen. Flade war nicht bereit, den Kampf gegen den Hexenwahn aufzunehmen; er glaubte ja selbst an die zu bekämpfende Gefahr. Einen solchen Kampf führte nachher bekanntlich Cornelius Loos, der Hexenverfolgungen in Trier kennen lernte, sich öffentlich dagegen äußerte und dafür auch bestraft wurde.275 Wie steht es mit Pater Ellentz? Der Trierer Domprediger widmete praktisch sein ganzes Leben den Opfern des Hexenwahns. Kein Weg war ihm zu weit, kein Wetter zu schlecht, kein Kerker zu schmutzig, keine Nacht zu lang, kein Hunger zu große; nichts konnte ihn abhalten, den armen Schlachtopfern Trost und Hilfe zu bringen. Er begleitete 200 Hexen zum Scheiterhaufen.276
Er betrachtete das schreckliche Leiden der angeklagten Hexen und sah nur einen Weg, ihnen zu helfen. Er würde sie überzeugen, Buße zu tun, um wenigstens die Seele zu retten. Um welche Sünde ging es? Für das Gericht ging es um die Hexentaten. Wie die Angeklagten und Pater Ellentz dieses Problem genau verstanden haben, ist eine heikle Frage. Neben der Hexerei gab es notwendig andere oder ähnliche Sünden, die man von der Hexerei kaum unterscheiden konnte. Um auf die feinen Unterschiede einzugehen, gab es keine Zeit. Die Rettung der Seele war nun die Hauptsache, und alles andere musste als sekundär betrachtet werden.
tianae poenitentiae praesidiis instructâ, atrocitatem culpae reusminuit, mortem verò civibus approbavit“. Christopherus Brouwer: Annales Trevirenses, lib. xxii. Zitiert nach Burr, S. 43. Vgl. Zenz, S. 66–67. 273 Münkler: Narrative Ambiguität, S. 313–326. 274 Andreas Heinz: ‘Bei den Trierern scheint der Böse Geist seinen Sitz aufgeschlagen zu haben‘. Ein bisher unbekannter Bericht des Kölner Kartäuserpriors Johannes Reckschenkel (1626–1611) über Hexenverfolgungen im Trierer Land. In: Günther Franz und Franz Irsigler (Hg.): Hexenglaube und Hexenprozesse, S. 450–457, hier S. 455. 275 P. C. van der Eerden: Der Teufelspakt bei Petrus Binsfeld und Cornelius Loos. S. 59. 276 Litterae Annuae, 1607, S. 681. Zitiert nach Bernhard Duhr: Die Stellung der Jesuiten in den deutschen Hexenprozessen. Köln 1900, S. 73. Vgl. Christopher Brouwer: Antiquitates et Annalium Treverensium Libri XXV. Liege 1670, II, S. 448.
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Diese einfache Formel bildete die schwere Aufgabe für Pater Ellentz. Er tat das, was viele Priester oder Pfarrer taten, um den Angeklagten beizustehen. Wie Pater Ellentz wahrscheinlich Dietrich Flade in seiner Krise beraten hat, lässt sich nach dem Protokoll eines Prozesses gegen Suntgen von Lelligh vermuten, in dem er ebenfalls als Beichtvater agierte. Die Angeklagte hatte unter Folter gestanden, dass „sie schließlich, unter anderem, Pest und Krankheit herbeigehext“ habe. Aber kurz vor ihrer Verurteilung war die Angeklagte noch nicht bereit, die Hoffnung aufzugeben. Pater Ellentz aber reagierte ablehnend auf den Versuch, die früheren Geständnisse zu revozieren. [...] durch den erwurdigen Hern patrem Lucan der gesellschafft jhesu priester, iren beichts vattern, verkundet word[en], wie das heut ihr letster tagh sein werde, unnd ahn dem, das sie sich numehr zu Gott dem allmächtigen schicke, unnd ire beichtt von Grundt ires hertzens thue, und was gott und das rechtt ihr geben werde, erwartten, und erstehn muesse. Soll solichs mit Gedult uff vnnd annemen, so werde auch der allmächtigh gott, da sie ihrer begangener ubelthat unnd sunden, raw [Reue] unnd leidt habe, gnadigh unnd barmhertzigh sein.277
Für Pater Lucas Ellentz war nun nicht mehr an eine Gnade des Gerichts zu denken, sondern nur noch an die Barmherzigkeit Gottes. Das dringende Problem war, die Seele zu retten, und das war nur durch eine echte Buße zu schaffen. Der Pater bat Suntgen, nicht mehr an ihren Prozess zu denken, sondern an ihre Sünden („ubelthat unnd sunden“) und die Reue, um wenigstens ihre Seele zu retten. Vorausgesetzt wird für diese Lage, dass Pater Ellentz wirklich an die Schuld der Suntgen glaubte. Für die Rettung der Seele war der Preis trotzdem beträchtlich, denn die Voraussetzung für Suntgen war eine Art Buße, zu der nicht nur wahre Sünden der Vergangenheit zählten, sondern auch die unter Folter ausgesagten, aber unwahren „ubelthaten“. Kann man hier von einer echten Buße reden? Hat Pater Ellentz verstanden, was er tat? Vermutlich glaubte er auch, dass Flade als Zauberer schuldig war. Ambrosius Moiban, lutherischer Pfarrer in Schlesien, hatte den Seelsorgern 1530 empfohlen, sie sollten in Prozessen den zum Tode Verurteilten helfen, ihre Sünden frei zu bekennen, damit sie, nach Erlass ihrer Sünden, die Vollziehung der Strafe mit Würde ertragen könnten.278 In seinem Bericht an Martin Luther hat der Pfarrer Aegidius Mechler 1537 genau diesem Vorschlag befolgt, was Luther
277 Suntgen von Lelligh wurde am 4. Oktober 1595 hingerichtet. Voltmer, Herrschaftskrise. S. 102. 278 Gustav Radbruch: Ars moriendi: Scharfrichter-Seelsorger-Armesünder-Volk. In: Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht 59 (1945), S. 460–495, hier S. 477–479.
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nachher als einen Sieg über den Teufel bezeichnete.279 Wenn aber die Erteilung des Sakraments von einem Geständnis abhängig gemacht wurde, gerät der Verurteilte in den Hexenprozessen, wie Ludwig Radbruch dies darstellte, in eine grauenhafte Zwangslage: Durch Verweigerung des Geständnisses ging er des Sakraments verlustig, während man sich durch ein unwahres Geständnis des Sakraments unwürdig erwies. Erst Friedrich Spee hat in seiner Cautio Criminalis diesen „grauenhaften Gewissenszwang“ verstanden und aufgedeckt.280 Abgesehen von dieser problematischen Funktion der Seelsorger in Hexenprozessen, hatte sich deren Rolle auf einer alten historischen Basis entwickelt. Peter Binsfeld ist vor allem dafür bekannt, dass er in den Jahren 1589 und 1590 seine Warnschrift gegen Zauberei auf Latein, wie auch auf Deutsch, veröffentlicht hat; aber weniger bekannt ist, dass er in späteren Ausgaben dieses Werkes mit neuen Argumenten seine Vorstellungen über die Wirklichkeit des Teufelspakts stärken wollte. Das tat er mit Hinweisen auf Texte der Legenden von Cyprian, Basilius und Theophilus.281 In diesen Legenden war Binsfeld an dem chirographon, dem schriftlichen Beweis eines Pakts mit dem Teufel, interessiert. Damit griff er auf eine sehr lange historische Entwicklung zurück, die besonders durch die Legenda aurea des 13. Jahrhunderts zu einer allgemeinen Tradition des westlichen Wissens beitrug. Heute ist vor allem die Theophilus-Legende bekannt. Eigentlich wäre die Basilius-Legende als Hintergrund zur Geschichte der Hexenprozesse eher relevant, weil Basilius hier als Seelsorger erscheint, der einen Teufelsbündner bekehren muss und durch seine Bemühungen als Vorbild für Seelsorger in solchen Krisen hätte dienen können. Jeder Seelsorger war also durch eine mythische Identifikation ein Heiliger im Sinne von Basilius und dem Sünder konnte nahe gelegt werden, sich in der Rolle eines Märtyrers vorzustellen.282 Die Heiligenlegenden, vor allem die des Basilius, boten also sowohl den Angeklagten als auch dem Seelsorger eine willkommene Stütze, um den Gewissenszwang zu ertragen.
279 Vgl. Kapitel „Das Faustbuch: Evolution der Struktur“ weiter unten. 280 Vgl. Thomas Robisheaux: ‚The Queen of the Evidence‘: The Witchcraft Confession in the Age of Confessionalism. In: John M. Headley, Hans J. Hillerbrand und Anthony J. Papalas (Hg.): Confessionalization in Europe, 1555–1700, Aldershot 2004, S. 175–206, hier S. 194–195. Rita Voltmer: The Witch in the Courtroom: Torture and Representation of Emotion. In: L. Kounine u. M. Ostling (Hg.): Emotions in the History of Witchcraft. Trier 2016, S. 97–116, hier S. 107–109. 281 P. C. van der Eerden: Der Teufelspakt bei Petrus Binsfeld und Cornelius Loos. S. 51–71, hier S. 64–66. Binsfeld, Tractat von Bekanntnuß, S. 311–312. Vgl. Cohn: Europe’s Inner Demons, S. 30–34. 282 Vgl. Friedrich Spee: Cautio criminalis. Aus dem Lateinischen übertragen und eingeleitet von Joachim-Friedrich Ritter. Nördlingen 1982, S. 78 u. S. 136–154.
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Die Mühe, die Verurteilten zur Annahme des Todesurteils zu bewegen und sie glauben zu lassen, dass es keinen Ausweg gebe, war für die Gerichte zwingend, denn ohne die Mitarbeit des Seelsorgers konnte die Vollstreckung des Urteils problematisch werden. Verzweifelte Proteste und Anschuldigungen mussten aber unbedingt vermieden werden. Wenn man den Prozess gegen Flade mit dem Faustbuch vergleicht, fällt auf, dass Flade ausführlich über seine sexuellen Abenteuer erzählte und vielleicht darauf hoffte, das Interesse der Richter zu gewinnen und so von den gefährlicheren Sünden der Zauberei abzulenken. Er erzählte fantastische Geschichten. Der Autor des Faustbuchs meinte, dass seine Leser sich nicht in erster Linie für die bösen Taten der Hexen interessieren würden, sondern eher für die Freiheit, die der Pakt Faustus bietet, möglichst viele sexuelle Abenteuer zu erleben, wie in der zweiten Hälfte des Faustbuchs, worin er die fleischliche Lust mit den Frauen des Sultans, mit der schönen Helena Griechenlands und mit teuflischen succubas großzügig genoss. Beim Vergleich der Struktur des Flade-Prozesses mit der des Faustbuchs fällt auf, dass der vierundzwanzigjährige Pakt einen idealen erzählerischen Rahmen schuf. Der Pakt spielte im Flade-Prozess eine weniger auffällige Rolle, aber das Eingeständnis eines Pakts ist das Zeichen der unverzeihlichen Schuld, wodurch die Verurteilung vorauszusehen war. In diesem Sinn bildet der Pakt auch den Anfang und das Ende des Flade-Dramas. Am Ende des Prozesses steht die Hinrichtung, die die Obrigkeit durch den Henker ausführen ließ. Im Faustbuch findet auch eine Art Hinrichtung statt, aber diese wird vom Teufel durchgeführt. Zu überlegen wäre, ob der Bekehrungsversuch doch auch als bedeutendes, drittes Strukturelement einzubeziehen ist. Die wichtige Rolle des Beichtvaters bietet sich zum Vergleich an. In Kapitel 52 des Faustbuchs will ein alter Mann, ein Nachbar, „ein Christlicher frommer gottesförchtiger Artzt, vnd liebhaber der H. Schrifft“ den sündigen Faustus bekehren.283 Mit Argumenten, die praktisch eine kleine Predigt ausmachen, gelingt es dem alten Nachbarn, Faustus zum Nachdenken über sein gottloses Leben zu bringen. Doch umsonst. Der Teufel erscheint, und droht, Faustus „den Kopff herumb [zu] drehen“. Durch die Drohungen gelingt es dem Teufel, Faustus zu zwingen, einen zweiten Pakt zu unterschreiben. Damit ist sein Schicksal ausweglos besiegelt. Nach dieser verpassten Gelegenheit führt der Weg nur abwärts zum Schluss, wo er mit seiner bevorstehenden ewigen Verdammnis konfrontiert wird. Der Teufel zerreißt ihm den Leib. Man kann also im gescheiterten Bekehrungsversuch den entscheidenden Wendepunkt des Faustbuchs erkennen. Als wichtiges Strukturelement muss er
283 Füssel und Kreutzer: Historia, S. 101; Müller, Romane, S. 952–953.
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deshalb auch gleichberechtigt neben dem Paktabschluss und der Hinrichtung durch den Teufel gesehen werden. Diese drei vergleichbaren Elemente machen verständlich, warum zwischen Flade und Faustus auch von Zeitgenossen eine Verwandtschaft bemerkt wurde. Der Kölner Drucker und Verleger Niclas Schreiber hat die Bedeutung des Flade-Prozesses erkannt. Bemerkenswert sind die Einzelheiten, die er für beachtenswert hält: Ich kan nicht alles, günstiger Leser, erzelen, wie viel jrer auch in Sachsen, Westphalen, vnd Rheinstrom verbrandt. Im Churfürstenthumb auff der Mosel, seind deren Hexen oder Zeuberschen gar viel verbrandt, vnder welchen war auch einer auß den fürnembsten Räthen des Churfürstenthumb Trier, eines grossen vermögens vnd reich mit Namen Flade, ein Doctor der Rechten, dieser wardt gefenglich eingezogen, vnd für einen Zauberer in die sechs Monat gefangen gehalten, als er aber solchs bekant, vnd mans jhm für Zauberey aufflegen wolt, hat den gegenbericht gethan, wie das es allein Magia zu teutsch, schwartze kunst seye, vnd nicht dahin verstanden kont werden, als sol es mit dem, so er bewiesen vnd gethan, für sträfliche Zauberey gerechnet werden, angesehen, es alles der natur gemeß, nichts teufflisch oder abgöttisch, so begeret derhalben relaxirt, vnd der Gefengnuß enthaben zu werden, man hielt aber denselben als ein rathgeber der andern Zauberer, ist aber also dieser Flade, den 26. tag May, von wegen Zauberey, vom leben zum todt verurtheilt vnd gericht worden.284
Anders als in den übrigen Geschichten dieser Zeitung wurde hier praktisch nichts von bösen Taten erzählt. Ungewöhnlich an den Nachrichten ist, dass Flade sich zu verteidigen suchte. Angedeutet wird, dass er eine Art natürliche Magie betrieben habe. Er habe dem Gericht also einen „Gegenbericht“ geboten. Das, was er getrieben habe, sollte also nicht strafrechtlich bewertet werden. Flade hatte also Bekannte oder Freunde, die seine Verurteilung für ungerecht gehalten haben. Ihre Stimmen, die Stimmen des „Gegenberichts“, wurden nicht ernst genommen. Wenn man hier von der Magie erzählte, war jedenfalls der Weg zu einem Vergleich mit Faustus vorbereitet. Da zum Schluss das Schicksal doch durch das Urteil, dass Flade der Führer der Zauberer gewesen sei, besiegelt wurde, passte Flades Geschichte logisch zu den anderen Geschichten über die verbrannten Hexen in dieser Zeitung. Durch den Bericht über Flade wurde der leitende Gedanke der Warnung unterstützt. Zum
284 Warhaftige Vnd erschreckliche Beschreibung von vielen Zauberern oder Hexen, wie vnd warumb man sie hin vnd wieder, verbrandt, in disem 1589. Jahre, Was sie getrieben vnd bekandt haben, männiglich zur trewen warnung gestellet. Auch von einem Werwolff, welcher zu Bopper ist gerichtet worden, den 31. October, dises 1589. Jars, was boser Thaten er begangen hat. Gedruckt durch Niclas Schreiber.
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Schluss steht: „Solchs schreib ich den Bösen zur warnung, vnd den Frommen zu trost, dann solchs vngezieffer anders kein nütz, dann ins Fewer zuwerffen ist“. 285 Diese Zeitung rechnet sich also auch zur wenig beachteten Gattung der Warnliteratur, zu der das Faustbuch gehört. Auch im Verlag von Niclas Schreiber, aber wahrscheinlich von einem anderen Autor, erschien 1594 eine dreiteilige „Newe Zeitung“, die in Versform unter anderen im zweiten Teil auch angebliche Hexen-Geschichten von Flade berichtete. Obwohl der Name Flade fehlt, erkennt man gleich, über welchen Führer der Hexen im Trierer Land der Autor schreibt. Nun muß ich jetzund zeigen an, Sie hetten vnder jn einen Hauptman, derselb jhr König ware, Ein fürtrefflicher gelehrter Mann, Doctor in der Astronomy schon, vnnd aller Kunst erfahren, der hat mit seiner Zauberey, groß hertzen Leid gestifftet, vil Menschen vnnd Vieh mancherley, gestorben vnd vergifftet, dem doctor Fausto vergleichet er, von seiner Zauberey, ein grosses Buch zu schreiben wer.286
Fünf Jahre nach Flades Tod sind die Einzelheiten über seinen Fall in der Erinnerung nicht mehr erhalten. Diese typische „Newe Zeitung“ macht sich die Sache leicht, indem sie Details typischer Hexenhandlungen wiederholt. Es sind die bekannten Geständnisse aus den Prozessen der armen Hexen von den Dörfern. Der nicht mit Namen genannte Flade soll dem Doctor Faustus ähnlich sein, und das macht das Besondere an diesem Bericht aus. Im Jahre 1594 existierten schon zehn verschiedene Neuausgaben dieses Bestsellers.287 Der Autor kennt den Erfolg der Faustus-Geschichte und meint, dass die Geschichte Flades es auch verdient berühmt zu werden. Der Vergleich scheint ihm berechtigt zu sein, erstens durch die Tatsache, dass Flade, wie Faustus, ein „fürtrefflich gelehrter Mann“ gewesen
285 Ebd. 286 Von vilen Hexen in Drey Warhafftige Newe Zeitung. Köln 1594, fol. Aijr. Vgl. Frank Baron: From Witchcraft to Doctor Faustus. In: Karl-Ludwig Selig u. Elizabeth Sears (Hg.): The Verbal and the Visual. Essays in Honor of William Sebastian Heckscher. New York 1990, S. 16. 287 Hans Henning: Beiträge zur Druckgeschichte der Faust- und Wagner-Bücher des 16. und 18. Jahrhunderts. Weimar 1963, S.38.
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sei und zweitens wegen der vagen Erinnerung an Hexentaten, die eher für Flade zutreffen und weniger für Faustus. Die Verwandtschaft zwischen Flade und Faustus wird auch in einem Bericht über einen Hexenprozess erwähnt. Jean de Vaulx, ein Mönch der Benediktabtei Stablo, im ardennischen Stablo-Malmedy im heutigen Belgien, wurde wegen Hexerei angeklagt. In der Untersuchung bekannte er, dass er, vom Teufel verführt, nach Trier gereist sei und dort in der „von den Hexen verdorbene und mit Zauberern gefüllte Stadt“, um den „bekannteste[n], de[n] Doktor Flade oder Faust, de[n] Ratgeber des Erzbischofs und de[n] Anführer der Hexengesellschaft“ kennen zu lernen.288 Eine Chronik des 17. Jahrhunderts erzählte diese Verbindung in ähnlicher Weise, dass nämlich “mehrere Zauberer und Hexen, überführt durch handfeste Indizien, in Stablo hingerichtet wurden, wohin dieser Wahn hauptsächlich von der Stadt Trier aus, die stark damit verseucht war, gelangt war. Ein gewisser Doktor Flade—ein zweiter Faust—soll dort, unter denen, die vom Teufel besessen war, der Oberste sein“.289 Die Verwandtschaft zwischen dem Hexenwahn, Flade und Faustus wurde beiläufig bemerkt, weil man mit einer besonderen Form der Gefahr zu tun und Erfahrungen gesammelt hatte: Die Gefahr ging also nicht ausschließlich von den armen Weibern aus, sondern auch von Männern, besonders von vorzüglichen Gelehrten wie Flade und Faustus, vor denen man nachdrücklich zu warnen habe. Der gelehrte Mann steht im Vordergrund im Flade-Prozess sowie im Faustbuch: die dreiteilige Struktur (Pakt, Bekehrungsversuch, Hinrichtung) sowie die Geständnisse von sexuellen Ausschweifungen und nicht zuletzt die Botschaft der Warnung sind vergleichbar. Doch trotz der offensichtlichen Ähnlichkeiten ist von vorneherein klar, dass es keinen direkten Einfluss von Flade-Prozess auf den Faustbuch-Autor gegeben haben kann. Das Faustbuch erschien zwei Jahre vor dem Flade-Prozess. Man kommt deshalb auf den natürlichen Gedanken, dass die Hexenprozesse im Allgemeinen den Faustbuch-Autor beeinflusst haben mussten. Das Neue im Faustbuch war, dass zu den Berichten von einem gewalttätigen Tod eine Warnung vor dem Verlust der Seele hinzukam. Die Rettung der Seele durch Buße war immer noch ein fester Bestandteil der Hexenprozesse. Aber der Faustbuch-Autor wollte die möglichst radikalste Warnung schaffen. Auf dem Titelblatt steht:
288 Jean Fraikin: Eine Seite in der Geschichte der Hexerei in den Ardennen und im Moselraum. Die Affäre um Jean del Vaulx, Mönch in Stalbo (1592–1597). In: Günther Franz und Franz Irsigler (Hg.). Hexenglaube und Hexenprozesse, S. 418–432, hier S. 420 u. 431. 289 Ebd. Vgl. Voltmer: Germany’s first ‚Superhunt‘, S. 253.
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[...] allen hochtragenden, fürwitzigen vnd Gottlosen Menschen zum schrecklichen Beyspiel, abscheuwlichem Exempel, vnd treuwhertziger Warnung zusammen gezogen, vnd in den Druck verfertiget“.290
Die Leser dieses erfolgreichen Buches, das gleich in mehreren Raubdrucken verbreitet wurde, haben sich eher für die unerlaubten Abenteuer des Teufelbündners interessiert und weniger für die lehrreiche Warnung. Als sein Buch ein Bestseller wurde, konnte der Drucker Johann Spies seine Verwirrung nicht verbergen. In der zweiten Ausgabe des Frühjahrs 1588 wurde eine Reihe von Zitaten aus der Bibel gegen die Zauberei dem Buch vorangestellt, um zu betonen, dass das Buch die Funktion der Warnung wirklich ernst meine.291 Die Funktion des Warnens vor einer Hexengefahr war das gemeinsame Ziel der Prozesse und der damaligen Teufelserzählungen. Die Prozesse und die Warnliteratur unterstützten sich gegenseitig. Für deren Inhalt sorgte vor allem der mythenschaffende Mechanismus der Folter. Man wollte mit der Folter die Wahrheit erkunden, aber man förderte stattdessen den Hexenwahn. Wenn man diese mächtige Bewegung näher betrachtet, erkennt man, dass die Ereignisse im Faustbuch nicht einfach erfunden wurden, sondern von dieser Entwicklung stark beeinflusst waren.
*** Trierer Hexentanzplatz. Staatsbibliothek München. Frank Baron: From Witchcraft to Doctor Faustus, S 21. Als Flugblatt erschien der „Trierer Hexentanzplatz“ um 1593 und wurde dreimal nachgedruckt (30,5 x 4,5 cm). „Eingeklebt und gemeinsam vertrieben mit dem Traktat des Thomas Sigfrid, sollte das Flugblatt die Visualisierung des diabolischen Hexereigeschehens auf dem Sabbat erheblich beeinflussen. Dabei konstruierte das multimediale Zusammenspiel von Bild, Bildunterschrift sowie Traktattext auf subtile Weise ein Fahndungsbild von Hexerei, das sich nahtlos in die konfessionellen Debatten einordnen sollte“. Rita Voltmer: „Hört an neu schrecklich abentheuer von den unholden ungeheuer“. Zur multimedialen Vermittlung des Fahndungsbildes „Hexerei“ im Kontext konfessioneller Polemik. In: Gerhard Sälter und Eva Wiebel (Hg.): Repräsentationen von Kriminalität und öffentlicher Sicherheit. Bilder, Vorstellungen und Diskurse vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. Frankfurt a. M. 2010, S. 89–164. Sowohl der Text Sigfrids als auch das Bild (mit dem Priester und Mönch im Vordergrund) vertreten den polemischen Standpunkt, dass die Katholiken das Hexentreiben förderten.
290 Füssel und Kreutzer: Historia, S. 3; Müller: Romane, S. 831. 291 Ebd., S. 149–151.
Der Prozess gegen Dietrich Flade
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Abb. 3: Trierer Hexentanzplatz. Staatsbibliothek München. Frank Baron: From Witchcraft to Doctor Faustus, S 21. Als Flugblatt erschien der „Trierer Hexentanzplatz“ um 1593 und wurde dreimal nachgedruckt (30,5 x 4,5 cm). „Eingeklebt und gemeinsam vertrieben mit dem Traktat des Thomas Sigfrid, sollte das Flugblatt die Visualisierung des diabolischen Hexereigeschehens auf dem Sabbat erheblich beeinflussen. Dabei konstruierte das multimediale Zusammenspiel von Bild, Bildunterschrift sowie Traktattext auf subtile Weise ein Fahndungsbild von Hexerei, das sich nahtlos in die konfessionellen Debatten einordnen sollte.“ Rita Voltmer: „Hört an neu schrecklich abentheuer von den unholden ungeheuer“. Zur multimedialen Vermittlung des Fahndungsbildes „Hexerei“ im Kontext konfessioneller Polemik. In: Gerhard Sälter und Eva Wiebel (Hg.): Repräsentationen von Kriminalität und öffentlicher Sicherheit. Bilder, Vorstellungen und Diskurse vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. Frankfurt a. M. 2010, S. 89–164. Sowohl der Text Sigfrids als auch das Bild (mit dem Priester und Mönch im Vordergrund) vertreten den polemischen Standpunkt, dass die Katholiken das Hexentreiben förderten.
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VI. Konvergenz: Faustus-Vita und Teufelspakt Zwei einflussreiche Autoren, Johannes Weyer und Hermann Witekind, hatten vor dem Erscheinen des Faustbuchs die Hexendebatte in eine neue Richtung gewiesen. Sie glaubten, dass tausende Frauen zu Unrecht verfolgt, angeklagt, gefoltert und hingerichtet worden waren. Aber eine Kritik an der festen, allgemeinen Überzeugung, dass die Hexen die größte Gefahr der Zeit darstellten, war selbst gefährlich. Weder Weyer noch Witekind hätten es sicher kaum gewagt, ohne Unterstützung ihre Meinung zu veröffentlichen. Herzog Wilhelm von Jülich-Cleve unterstützte seinen Leibarzt Weyer, während Witekind in Heidelberg auf den Schutz des Landesherrn Johann Casimir rechnen konnte. Witekind verwendete für seine Publikation außerdem ein Pseudonym, Augustin Lercheimer. Weyers und Witekinds Werke könnten nur in dem Sinn als Warnbücher angesehen werden, insoweit sich beide gegen die Hexenverfolgung und die Schuld der gelehrten Zauberer wandten, nicht aber gegen die Hexen selbst. Die sündigen Zauberer müssten nach Weyer und Witekind verfolgt werden, nicht die unschuldigen Hexen. Diese zwei scharfsinnigen Denker, die ein großes Unglück ihrer Zeit zu erkennen glaubten, hofften, mit diesem Ablenkungsmanöver dem Hexenwahn entgegen zu wirken. Hatten sie Erfolg? Die Nachdrucke ihrer Werke sind zahlreich und zeigen, dass sie ein interessiertes und besorgtes Leserpublikum erreichten. Der Biograph Carl Binz feierte Weyer als den „ersten Bekämpfer des Hexenwahns“.292 Trotzdem äußerte Binz Bedenken gegenüber Weyers Strategie, die angeblichen Hexen durch vom Teufel veranlasste Melancholie oder Irrsinn zu entschuldigen. Weyers Erfolg wäre nach Binz „größer und bleibender gewesen, [...] wenn er jenes Argument mehr betont hätte, welches so gut wie kein weiteres Nachdenken verlangte, nämlich die jedes denkbare Geständnis erzwingende Kraft der Tortur“. Weyer hatte zweifellos die fatale Wirkung der Folter gesehen und auf sie hingewiesen, aber trotzdem war er geneigt, „den Wahnsinn vorwiegend bei deren Opfern“ zu sehen.293 Der Widerspruch, den Binz bei Weyer bedauerte, war allerdings nicht ungewöhnlich oder unerwartet. Auch bei Witekind, der etwa zwei Jahrzehnte später seine Kampfschrift veröffentlichte, kann man eine Zurückhaltung gegenüber der unzweideutigen Verurteilung der Folter erkennen.
292 Vgl. Carl Binz: Doctor Johann Weyer. Der erste Bekämpfer des Hexenwahns. Bonn 1895, S. 23. Jürgen Michael Schmidt: Hexenprozeß in Kurpfalz. Bielefeld 2000, S. 210–211. H. C. Erik Midelfort: Johann Weyer and the Transformation of the Insanity Defense. In: Ronnie Po-Chia Hsia (Hg.): The German People and the Reformation, Ithaca 1988, S. 234–261. 293 Binz, S. 69–70. https://doi.org/10.1515/9783110613070-007
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Als Carl Binz Hermann Witekinds Schrift gegen den Hexenwahn (Christlich Bedencken vnd erjnnerung von Zauberey) herausgab, eröffnete er neue Perspektiven auch für die Faustforschung. Viele Stellen des 1597 erschienenen Werkes behandeln das Thema des Schwarzkünstlers Faust[us]. Unter solchen FaustStellen befindet sich die scharf kritische Reaktion auf das Faustbuch, die Historia von D. Johann Fausten (1587), sodass Witekinds Werk als Glied der Rezeptionsgeschichte zu betrachten ist. Binz‘ Entscheidung für die vermehrte Ausgabe als Grundlage für seine Edition war ein folgenreicher Fehler, denn er verschleierte dadurch unbeabsichtigt den wahren Sachverhalt in Bezug auf das Faustbuch.294 Infolgedessen hat die Tatsache, dass es auch eine rare Editio princeps von 1585 gegeben hatte, kaum Beachtung gefunden, also auch der Umstand, dass Witekind nicht nur als Kritiker des Faustbuchs in Frage kommt, sondern möglicherweise sogar als dessen Quelle. Da diese frühe Fassung von Witekinds Schrift dem Autor des Faustbuchs als Inspiration und Quelle zur Verfügung stand, ist die Frage nach seiner eigentlichen Bedeutung für die Faustforschung neu zu stellen. Allerdings muss eine originelle und provokative Schrift wie die von Witekind in dem größeren historischen Zusammenhang seiner Zeit betrachtet werden. In einer Phase intensiver Hexenverfolgung hat Witekind mit seinem Christlich Bedencken eine innovative Strategie entwickelt. Da eine Schrift dieser Art nicht ohne Gefahr veröffentlicht werden konnte, benutzte Witekind ein Pseudonym; er nannte sich Augustin Lercheimer. Auch wenn der Erfolg schwer zu messen und umstritten ist, kann man aus moderner Sicht eine vernünftige Auseinandersetzung mit den Hexen-Prozessen feststellen.295 Einerseits versteht Witekind, wie
294 Verantwortlich für diese Verwirrung ist auch Gustav Milchsacks unhaltbare These, dass die Wolfenbütteler Handschrift der Historia D. Johannis Fausti auf die 1570-er Jahre zu datieren ist. Gustav Michsack: Historia D. Johannis Fausti des Zauberers nach der Wolfenbütteler Handschrift nebst dem Nachweis eines Teils ihrer Quellen. Wolfebüttel 1892, S. CCLVII–CCXCVI. Robert Petsch folgte Milchsack in dieser Annahme. Robert Petsch: „Lercheimer und das Faustbuch. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 39 (1914), S. 175–188. Vgl. Frank Baron: The Faust Book’s Indebtedness to Augustin Lercheimer and Wittenberg Sources. In: Daphnis. Zeitschrift für Mittlere Deutsche Literatur 14 (1985), S. 517–545. 295 Die erste Darstellung von Carl Binz wurde durch die gründliche Forschung von Benedikt Sommer wesentlich ergänzt. Vgl. Sommer: Das Leben und Werk Hermann Witekinds. In: Christlich Bedencken. Hg. von Frank Baron, S. 111–122. Benedikt Sommer, Funktion und Realisation. Zu Hermann Witekind und seinem Christlich Bedencken von Zauberey, zuerst veröffentlicht in Alexander Schwarz und Laure Abplanalp (Hg.): Text im Kontext. Anleitung zur Lektüre deutscher Texte der frühen Neuzeit. Bern 1997, S. 257–287. Vgl. Carl Binz: Augustin Lercheimer (Professor H. Witekind in Heidelberg) und seine Schrift wider den Hexenwahn. Lebensgeschichtliches und Abdruck der letzten vom Verfasser besorgten Ausgabe von 1597. Strassburg 1888. Jürgen Michael Schmidt: Glaube und Skepsis. Die Kurpfalz und die abendländische Hexenverfolgung (1446–
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und warum die Massenprozesse sich verbreiteten und was zu ihrer Überwindung hätte getan werden müssen. Andererseits sind viele Teile dieses Werkes fest im Teufelsglauben der Zeit verankert. Das Werk Witekinds ist eine Herausforderung, denn der Leser muss diese sich widersprechenden, doch ineinandergreifenden Linien auseinanderhalten. Als Schüler Melanchthons hat Witekind vieles vom Aberglauben seines Lehrers für wahr gehalten. Das Zusammentreffen des verwirrenden Netzwerks von Hexenerzählungen und von Überlieferungen von Schwarzkünstlern wie Faust[us] hat besondere Bedeutung für die Entstehung des Faustbuchs. Könnte Witekinds Christlich Bedencken eine direkte Quelle für das Faustbuch gewesen sein? Auch wenn Witekind die Prämisse des Teufelsglaubens nicht leugnet, hat dieser Glaube bei ihm eine besondere rhetorische Funktion. Witekind lenkt diesen Glauben in gewisse Bahnen, um seinen Leser, den gemeinen Mann seiner Zeit, von der Unschuld der als Hexen angeklagten Frauen zu überzeugen. Er führt eine Art Teufelspolemik gegen Männer, die (wie Faust) angeblich als Schwarzkünstler und Zauberer tätig waren und wissentlich mit dem Teufel paktierten. Solche Männer, nicht die angeblichen Hexen, so Witekind, verdienten verfolgt zu werden. Für Witekind ging es hauptsächlich darum, die Frauen vor dem Verfolgungswahn zu retten. Seine Polemik gegen Zauberer wie Faust[us] bedeutete eine Abweichung von einer logischen und empirischen Beweisführung, Er reduzierte die Rolle des Teufels, wenn es um die angeklagten Hexen ging. Demgegenüber erscheint der Teufel als mächtiger Partner der Zauberer oder Schwarzkünstler. In Witekinds Werk liest man zum ersten Mal, dass der Pakt, den Faust[us] geschlossen habe, den Teufel berechtigt, ihn nach vierundzwanzig Jahren zu holen.296
1685). Bielefeld 2000, S. 205–243. Otto Ulbricht: Der sozialkritische unter den Gegnern: Hermann Witekind und sein Christlich Bedencken und erjnnerung von Zauberey von 1585. In: Vom Unfug des Hexen-Processes. Gegner der Hexenverfolgung von Johann Weyer bis Friedrich Spee. Hg. von Hartmut Lehmann und Otto Ulbricht. Wiesbaden 1992, S. 99–128. Witekind hiess ursprünglich Hermann Wilcken (Wilken) und immatrikulierte sich noch 1547 in Wittenberg mit diesem Namen, aber irgendwann in den Jahren vor 1557 änderte er seinen Namen zu Hermann Witekind, „offensichtlich um mit dieser Reminiszens an den Führer der Westfalen gegen Karl den Großen seine Verbundenheit mit der westfälischen Heimat auszudrücken“. Schmidt, S. 206. 296 Die Bibliothek der Cornell Universität (Witchcraft Collection) besitzt ein seltenes, bis heute weitgehend unbeachtetes Exemplar des Christlich Bedenckens. Diese Ausgabe des Jahres 1593 enthält schon Witekinds kritische Bemerkungen über das Faustbuch. Im Buchumschlag wird eine knappe Notiz des früheren Besitzers, George Lincoln Burr, Entdecker der Akten des FladeHexenprozesses, festgehalten: “One of the most remarkable books in the history of witchcraft. It is a bold and startlingly eloquent protest against the worst features of the persecution“.
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Nicht Witekinds aufklärerisches Denken, sondern sein der Hexe entgegengesetztes Bild des schuldigen Zauberers hatte, historisch gesehen, unerwartete Folgen. Der Entwicklung von Witekinds Christlich Bedencken zum Faustbuch gilt vor allem unsere Aufmerksamkeit. Zu untersuchen ist, was Witekind mit seinem Traktat im einzelnen beabsichtigte und erreichte, und wie und warum der Autor des anonymen Faustbuchs gewisse Passagen daraus auswählte und gründlich änderte, um eine andersartige polemische Schrift, nämlich den Lebenslauf des Zauberers Faustus, zu gestalten: ein Werk, das zur Entlarvung des Mechanismus der Massenverfolgungen dienen sollte, inspirierte zunächst etwas ganz anderes. Im Faustbuch, das an Einfluss Witekinds Werk bei weitem übertraf, verlagerte sich der Schwerpunkt deutlich auf den faustischen Teufelspakt. So entstand ein Bestseller des 16. Jahrhunderts. Witekinds Bemühungen um rücksichtsvolle Behandlung der angeklagten Hexen wurden erst im 17. Jahrhundert durch Friedrich Spee weitergeführt. Um Witekinds Christlich Bedencken gerecht zu werden, muss die Frage nach der Originalität beachtet werden. Für das Thema der Kritik der Hexenverfolgung, das in diesem Werk im Vordergrund steht, ist vor allem Johannes Weyer als bedeutendster Vorgänger zu berücksichtigen. Sein Name wird jedoch von Witekind überraschenderweise gar nicht genannt, und die Frage, inwiefern eine Abhängigkeit von Weyers De praestigiis daemonum nachzuweisen ist, hat die Forschung in der letzten Zeit beschäftigt.297 Auch für Weyer, wie für Witekind, geht es hauptsächlich darum, die Unschuld der der Hexerei angeklagten Frauen zu behaupten, und sie dadurch zu entschuldigen, dass sie, ungebildet, ja meist durch die Verblendungen des Teufels verführt würden. Sie litten an Melancholie und konnten eigentlich keinem Menschen Schaden zufügen. Zugleich betont Weyer die Schuldhaftigkeit der erfahrenen und gebildeten Schwarzkünstler. Als Arzt sieht Weyer die Symptome der Krankheit bei den Verblendungserscheinungen. Witekind übernimmt von Weyer eine lange Reihe von Erzählungen oder Exempeln, die eine solche These unterstützten. Er verwendet auch eine ähnliche Organisation des Stoffes, der zum großen Teil vom Teufelsglauben beherrscht wurde, während er jedoch zum Schluss eine kritische Analyse der Bekenntnisse noch hinzufügt. So wie Weyer sieht Witekind infolgedessen die Folter als das gefährliche Instrument, das die Beschuldigten zu falschen Aussagen nötigte. Witekind verdankt Weyer zweifellos viel, und auf den ersten Blick ist es für den
297 Otto Ulbricht: Sozialkritik und „Verchristlichung“: Hermann Witekind und sein Christlich Bedencken. In: Christlich Bedencken. Hg. von Frank Baron, S. 123–159, hier S. 125.
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Leser heute nicht offenkundig, warum er darüber schweigt.298 Von einem angesehenen Professor der Universität Heidelberg, der als Historiker auch an dem Diskurs über das Hexenwesen teilnehmen wollte, wäre zu erwarten, dass er zu Weyer und anderen Stellung nehmen würde.299 Die von Witekind angesprochene Leserschaft besteht jedoch nicht, wie bei Weyer, aus Gelehrten, Fürsten und Fürstendienern, die Latein konnten oder mit den Autoritäten der Hexenliteratur vertraut waren. Weyer hatte sein Werk zuerst auf Latein konzipiert. Er argumentiert mit reichlichen Quellenangaben. Er schmückt sein Werk mit vielen griechischen Zitaten. Ganz anders Witekind. Er will mit seiner Schrift den gemeinen Mann erreichen, wie auch jene Richter,
298 Vielleicht hat Witekind einen versteckten Hinweis auf seine Quelle eingebaut. Als er von dem Fall des Werwolfs von Padua erzählte, fügte er hinzu: „Wie deßen ein gelerter glaubwirdiger in seinem buch diese bewerung anzeigt“. Christlich Bedencken. Hg. von Frank Baron, fol. 28 v –29 r. Da seine Version dieses Falls der Darstellung Weyers sehr ähnlich ist, kann man hier einen verschleierten Dank Witekinds an Weyer vermuten. Vgl. Johannes Weyer, De praestigiis daemonum. Frankfurt a. M., 1586, Deutsch von Johannes Fuglin, Buch IV, Kap. 23, S. 287. Die Kataloge der Erzählungen aus dieser Zeit zeigen allerdings, dass es viele Versionen solcher Geschichten im Umlauf waren. Vgl. Wolfgang Brückner: Volkserzählung und Reformation. Ein Handbuch zur Tradierung und Funktion von Erzählstoffen und Erzählliteratur im Protestantismus. Berlin 1974, S. 438, 446, 478 und 507. Sicherheit in einer Frage der direkten Abhängigkeit wäre nur möglich, wo Weyer eigene Erfahrungen oder sonst nicht Bekanntes berichtete. Ein solches Beispiel könnte der Fall des Richters sein, dessen Frau als Hexe verdächtigt wurde. Der Richter bewies aber, dass seine Frau beim Hexentanz ganz bestimmt nicht dabei sein konnte. Die Hexenverfolgung, in der er selbst eine aktive Rolle gespielt hatte, erwies sich als Trug. Witekind: Christlich Bedencken. Hg. von Frank Baron: S. 33, fol. 32r. Vgl. Weyer, De praestigiis daemonum, Buch VI, Kap. 15, S. 432–433. Die lateinische Ausgabe von Weyers Werk (Basel 1568) enthält diese Geschichte im Kapitel XIII, S. 613. Auch bei anderen Exempeln lassen sich nahe Verwandtschaften feststellen. Von Weyer übernommen hat Witekind möglicherweise die Erzählung über den von dem Teufel zweideutig vorausgesagten Tod des Papstes Sylvester und die Stellungnahme des Alciatus gegen die Verfolgung. Witekind: Christlich Bedencken, S. 16 u. S. 47, fol. 16v–17 r u. 47 r–47v und Weyer, De praestigiis daemonum, Buch VI, Kap. 5, S. 411 und Buch VI, Kap. 20, S. 446. Andere Textvergleiche ergeben nahe Verwandtschaft: die Erzählung über den Schwarzkünstler Johannes Teutonicus und die nach Weyer und Witekind als lobenswert gesehene Pfalzgräfliche Gesetzgebung: Christlich Bedencken, S. 30, fol. 29v und S. 45, fol. 45v–46v. Weyer, De praestigiis daemonum, Buch II, Kap. 7, S. 105 und Buch VI, Kap. 15, S. 435. Die Erzählung über Johannes Teutonicus (der Jurist, ca. 1180–1252), der zugleich in Halberstadt, Mainz und Köln Messen gehalten habe, angeblich zu Weihnachten 1271, fehlt noch in Weyers lateinischer Ausgabe (Basel 1568), aber ist zu finden, ohne Quellenangabe, in der Ausgabe von 1577, ebenfalls bei Oporin in Basel erschienen. 299 Witekinds historische Schriften: Vitae Caesarum, quot & quemadmodum apud Suidam inveniuntur collectae ac simul in Latinum sermonem conversae. Adiecta sunt Graeca in gratiam studiosorum eius linguae. Franakfurt a. M. 1557 und, nur handschriftlich überliefert, „Genealogia und Herkommen der Churfürsten, auch Pfaltzgraven bey Rhein“. Vgl. Binz, S. XV–XVII.
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die dem Volk nahe standen und in den Hexenprozessen Entscheidungen fällten. Witekind nennt nur ausnahmsweise Namen wie etwa Geiler von Kaysersberg oder Philipp Melanchthon.300 Er ist bestrebt, mit seiner einfachen und klaren Ausdrucksweise in ganz Deutschland verständlich zu sein. Er vermeidet ständige Hinweise auf Autoritäten, wie es für den Stil der Akademiker seit der Scholastik charakteristisch war. Etwa zwanzig Jahre nach dem ersten Druck von Johannes Weyers De praestigiis daemonum, findet eine noch nie erlebte Intensivierung der Massenprozesse statt, und Witekinds Weigerung, mit Weyer identifiziert zu werden, spiegelt Aspekte dieser Entwicklung. Trotz vieler gemeinsamer Ansichten gibt es wesentliche Meinungsunterschiede. Während Weyer noch die Möglichkeit des Teufelspakts grundsätzlich leugnet, wird der Pakt von Witekind als Wirklichkeit anerkannt.301 Die Gesetze von Sachsen (1572) und der Pfalz (1582) strafen den Teufelspakt mit dem Feuertod. Eine Anklage, mit dem Teufel in Bündnis zu sein, bedeutet zu diesem späteren Zeitpunkt eine ernstere Bedrohung. Für Witekind ist es eine Tatsache, dass Schwarzkünstler wie Faust[us], Trithemius und Agrippa Teufelsbündner waren und strenge Strafen verdienten. Im Vergleich zu Weyer benutzt Witekind den Vorwurf des Pakts als rhetorische Waffe, um so den Kontrast zwischen den männlichen Zauberern und den unwissenden und verführten Frauen zu verstärken. Der Fall Agrippa macht die Kluft zwischen Weyer und Witekind deutlicher. Agrippa war Weyers Lehrer, und während Weyer ihn gegen Vorwürfe verteidigte, hatte Witekind keinen Zweifel daran, dass Agrippas Hund der Teufel gewesen sei und dieser Teufel ihn, genauso wie die anderen Teufelsbündner, in die Hölle geführt habe.302 Witekind wendet sich an die breitere Öffentlichkeit, und die neue Zielgruppe verlangt eine andersartige Strategie, um den Hexenwahn zu bekämpfen.303 Die Tatsache, dass er unter einem Pseudonym veröffentlicht, kann auch ein Zeichen der gefährlicheren Zeit sein, die eine Schrift gegen die Hexenverfol-
300 Witekind nannte auch einen Züricher Theologen, der ein Buch über Gespenster geschrieben habe. Witekind: Christlich Bedencken, S. 33, fol. 32v. Er meinte wahrscheinlich Ludwig Lavater und sein Werk: Von Gespänsten, vngehüren, fälen, vnd anderen wunderbare dingen. Zürich 1569. 301 Weyer: De praestigiis daemonum, Buch III, Kap. 4, S. 153. 302 Witekind: Christlich Bedencken, S. 20, fol. 20r –20v und Weyer: De praestigiis daemonum, Buch II, Kap. 5, S. 96. 303 Jürgen Michael Schmidt: Glaube und Skepsis. Die Kurpfalz und die abendländische Hexenverfolgung (1446–1685). Bielefeld 2000, S. 209, 210–212
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gung und/oder deren Autor selbst zu einem Opfer feindlicher Angriffe oder sogar der Verfolgung machen konnte.304 Ein Briefwechsel aus der Zeit unmittelbar vor dem Erscheinen des Traktats beleuchtet die Intention des Autors.305 Empört über die grausame Behandlung der armen Frauen stellte sich Witekind die dringende Aufgabe, dazu Stellung zu nehmen. Diese Empörung ist auch am Schluss des Christlich Bedenckens zu spüren: [...] vom zauber vnd hexen handel zu schreiben / hat mich jetzt gemeldter zauberinnen brand verursachet / dern mich erbarmbte da ichs hörete von denen die dabey gewesen vnd das jämerliche spectacul angesehen hatten.306
Seinen Appell zur Verhinderung der grausamen Verfolgung und zur Milderung der Strafen der Hexen richtet Witekind an eine bestimmte Zielgruppe: an die Ratsherren, Schöffen und Richter, die des Lateinischen nicht mächtig sind. Er setzt wenig Hoffnung auf eine Reform von oben; grundsätzliche Änderungen sollten auf der Ebene des Dorfes stattfinden. Ein weiteres Merkmal, das über Weyer hinausgeht, ist die Berücksichtigung des sozialen Umfelds. Witekind setzt die Armut vieler Frauen mit dem Problem der Hexenprozesse in Verbindung und schlägt Maßnahmen zu ihrer materiellen Unterstützung vor. Der Glaube an die Allgegenwart des Teufels ist charakteristisch für das 16. Jahrhundert, und Witekind ist davon nicht frei. Er beginnt und endet mit der Feststellung, dass die Welt voller Teufel sei. Trotzdem ist im Laufe seiner Beweisführung eine Tendenz bemerkbar, die Macht des bösen Geistes gering zu schätzen, vor allem wenn es um den angeblichen Handel der Hexen ging. Vieles, was über die Teufel erzählt wird, könnte nach Witekind als träumerische Verblendung gedeutet werden. Das Besondere und Neue bei Witekind ist, dass es ihm gelingt, in gewissen Passagen die Wirklichkeit in den Gefängnissen hinter den angeblichen Verblendungen des Teufels zu erblicken. Die kritische Auseinandersetzung mit den Bekenntnissen der Hexen bot Witekind die Gelegenheit, den Unterschied zwischen den Verblendungen und den eigentlichen Erfahrungen der Hexen deutlich zu sehen. Der Teufel erscheint dabei in den Gefängnissen, wo die angeklag-
304 In der reformierten Kurpfalz war in Hexenfragen die Atmosphäre nach Schmidt eher tolerant, was die Gefahr für den Autor erheblich verringerte. Schmidt, S. 209–212. 305 Vgl. Sommer: Das Leben und Werk Hermann Witekinds. In: Baron (Hg.), Christlich Bedencken, S. 111–122. 306 Witekind: Christlich Bedencken, S. 59, fol. 59r. Auch dort: „Edition und Analyse“, S. 206– 247 und „Funktion und Realisation“, S. 260–261.
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ten Hexen mit der Folter konfrontiert werden. Er wird zum Partner des Henkers, der die Bekenntnisse erzwingt. Der Teufel und der Henker werden in einer einzelnen grausamen Gestalt vereint. Die mythische Figur des Teufels verschwindet hinter der Wirklichkeit der Folterinstrumente. Schon Weyer hatte die Problematik der Folter angedeutet. Witekind geht aber weiter, indem er den Mechanismus der Mythenproduktion eindringlicher beschreibt. Er versteht, dass die Geständnisse, die er selbst meist dem Tun des Teufels zuschreibt, in den Kerkern entstehen. [...] da findet sich dann der engel der finsternüß / bewegt sie mit schmeicheln oder mit schrecken / dass sie sich an jn begeben / vnd sich zu seinen genoßen bekennen. Darzu kommt dann der hencker mit der folter / der macht jnen so bang vnd thut jnen so wehe / daß sie verjehen mehr als sie wissen.307
Witekinds Traktat endet mit der Analyse von Hexenbekenntnissen. Schon früher in seinem Werk hatte er behauptet, dass die unglaublich erscheinenden Phänomene, die man im Allgemeinen gleich für Hexenwerk hält, eigentlich auf natürliche Weise zu erklären seien. sein Werk, die berühmte Cautio criminalis, anonym zu veröffentlichen. Im Allgemeinen gilt die Annahme, dass die Entstehung des Faustbuchs im Dunkeln liegt.308 Eine nähere Untersuchung von Witekinds Werk bietet jedoch die Gelegenheit, die Entstehungsbedingungen des Faustbuchs ziemlich genau zu beschreiben. Die neue, kritische Edition von Witekinds Christlich Bedencken enthält eine klare Übersicht dessen, was durch den Autor des Faustbuchs entlehnt wird und wie Passagen geändert und angepasst worden sind. Witekinds Streben, in jedem einzelnen Fall den Wirklichkeitsgrund zu erörtern, interessiert den Faustbuch-Autor nicht. Die Hexenverfolgung noch weniger. Witekinds Christlich Bedencken war für das Faustbuch Inspiration und Provokation zugleich. Einerseits ist die polemische Verurteilung der Schwarzkünstler dem Faustbuch-Autor willkommen, denn, auch wenn er vorgibt eine wahrheitstreue Biographie, eine Historia, zu schreiben, erlaubt er sich aber die Freiheit, alle Wunder, die ein Zauberer je vollbracht haben sollte, in einer Person, d.h., D. Johann Faustus zu vereinigen. Dieser Faustus erbt die überlieferten Eigenschaften und Abenteuer von Faustus, Trithemius, Agrippa und vielen anderen namenlosen Teufelsbündnern, die in Witekinds Text vorkommen. Dem Faustbuch-Autor werden neue Kombinationen der Mythenbildung ermöglicht.
307 Witekind: Christlich Bedencken, S. 44, fol. 43v–44r. 308 Müller: Romane, S. 1320.
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Obwohl der Autor des anonymen Faustbuchs bis heute nicht identifiziert werden konnte, lässt die Vorrede des Herausgebers und Druckers Johann Spies keinen Zweifel über die Intentionen des Autors aufkommen. Die Verlagspolitik des orthodoxen Lutheraners Spies ist bekannt. Spies hatte die Konkordienformel, die den lutherischen Glauben gegenüber Philippisten und Calvinisten strikt abgrenzte, in Heidelberg gedruckt, war für den Kurfürsten Ludwig VI. als erfolgreicher Drucker tätig und musste nach dem Tod seines Arbeitgebers, den Wechsel im Kurpfalz vom strengen Lutheranertum zum Calvinismus unter Johann Casimir erleben. Spies hat nach seinem Wechsel nach Frankfurt die Sache der strengen Lutheraner weiterhin intensiv vertreten. Weitere Briefe Lautenbachs zeigen, dass Spies derjenige Drucker war, auf den sich die aus Heidelberg vertriebenen Autoren verlassen konnten.309 Spies stand dem Melanchthonschüler Witekind, dessen Werk von dem konkurrierenden Drucker Jacob Müller herausgegeben wurde, feindlich gegenüber.310 Witekinds Christlich Bedencken, das 1586 direkt in Frankfurt, wo Spies in naher Zukunft arbeiten sollte, von Nicolaus Basse herausgegeben wurde311, war für Spies eine Provokation. Kann das Faustbuch in einem gewissen Sinn als Antwort von Spies gedeutet werden? Eine Reihe von Witekinds persönlich formulierten Geschichten erhielt im Rahmen des Faustbuchs eine neue und zentrale Funktion. Diese Geschichten, von dem anonymen Autor ausgewählt, zusammengefügt und an die Figur des Faust[us] angepasst, erzählten, was für einen Vertrag er mit dem Teufel ausgehandelt hat, welche Art Abenteuer er erlebte, wer ihn bekehren wollte, wann und wie er getötet und zur Hölle geholt wurde. Die religiösen und sozialen Argumente der Vorlage treten zwar in den Hintergrund, ihre Spuren sind jedoch in dem neu entstandenen Text zu erkennen. Weil Witekind eine konsequente Polemik gegen die Schwarzkünstler führte, konnte Johann Spies in seiner Vorrede mühelos daran anknüpfen. Er behauptete, dass er den Lebenslauf des Faustus von einem Freund in Speyer erhalten habe, den er nun
309 Dies kann man in einem Briefwechsel, den der ebenfalls aus Heidelberg vertriebene Conrad Lautenbach mit Johannes Papp führte, deutlich erkennen. Lautenbach schrieb, dass Spies zurzeit (gerade als das Faustbuch erschien!) zu beschäftigt sei, aber er würde später selbst an Papp schreiben. Baron: Faustus on Trial, S. 64–65. 310 Über Jacob Müller vgl. das Kapitel „Hermann Witekind“ weiter unten. 311 Theatrum de veneficis. Das ist: von Teuffelsgespenst Zauberern vnd Gifftbereytern / Schwartzkünstlern / Hexen / vnd Unholden / vieler fürrnemmen Historien vnd Exempel [...] Frankfurt am Main 1586. Die Schrift von Witekind befindet sich auf S. 261–298.
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[...] als ein schrecklich Exempel deß Teuffelischen Betrugs / Leibs vnd Seelen Mords / allen Christen zur Warnung / durch den öffentlichen Druck publicieren vnd fürstellen wolte. Dieweil es dann ein mercklich schrecklich Exempel ist / darin man nicht allein deß Teffels Neid / Betrug vnd Grausamkeit gegen dem Menschlichen Geschlecht / sehen / sonder auch augenscheinlich spüren kan / wohin die Sicherheit / Vermessenheit vnnd fürwitz letzlich einen Menschen treibe [...]312
Das Schicksal der zu Unrecht hingerichteten Frauen wird als Thema im Faustbuch ausgeblendet. Der Fokus wird auf den gelehrten Zauberer verlagert. Das Wirken des Teufels, die aggressive Anklage, Abschreckung und Warnung werden drastisch verstärkt, ohne die Spuren der Herkunft aus dem Text Witekinds vollständig zu verwischen. Während Witekind durchweg bemüht ist, den armen und schutzlosen Frauen zu helfen, erscheint dagegen im Faustbuch nur die sinnliche Frau, die als Partnerin des Teufels Faustus verführt. Witekind porträtiert den Renaissancemagier als einen sündigen Menschen, dessen Versuche, seine Zaubereien als natürliche Magie zu rechtfertigen, als unglaubwürdig erscheinen. Er sei der Frau durch sein Wissen überlegen. Diese Überlegenheit impliziere aber eine ernste Verantwortung—deshalb müsse ein Mann, der sich der teuflischen Zauberei widme, vielmehr als die unwissende Frau ernstlich bestraft werden. Vnd sol ja die vnwissenheit der vbeltheter / sie etlicher masse entschuldigen: weil auch Gott in seinem gerichte die vnwissenden nicht so hart straffet als die wissenden / Luc.12.313
Für Witekind geht es an dieser Stelle erstens um die besondere Rücksichtnahme auf die angeklagten Frauen und zweitens um die schuldigen Schwarzkünstler. Dieselbe Bibelstelle bekommt eine eindeutigere Funktion im Faustbuch; gleich im ersten Kapitel wird damit auf die zu erwartende Strafe für Faust[us] hingewiesen.314 Man kann an verschiedenen Stellen demonstrieren, dass das Faustbuch direkt von Witekinds Christlich Bedencken abhängig ist. Die Anekdote, die Witekind Johannes Trithemius, dem Abt von Sponheim, widmet, ist ein exemplarischer Fall. Witekind schenkt Trithemius großzügige Aufmerksamkeit. Weil seine Darstellung von anderen (etwa in Tischreden Luthers, bei Hans Sachs, Johannes Weyer, usw.) grundlegend abweicht, ist die Übernahme dieser Geschichte ins Faustbuch und deren Umwandlung klar zu erkennen. Trithemius konnte durch
312 Titelblatt des Faustbuchs. Vgl. Füssel u. Kreutzer: Historia, S. 5; Müller: Romane, S. 833–834. 313 Witekind: Christlich Bedencken, S. 54, fol. 54r. 314 Vgl. Füssel u. Kreutzer: Historia, Kap. 1, S. 15. Müller: Romane, S. 1371.
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seine nekromantischen Künste die früh verstorbene und innig geliebte Frau des Kaisers Maximilian I. beschwören. In Kapitel 33 ersetzt das Faustbuch die Figur des Trithemius durch Faustus. Dieser sei bereitwillig dem Wunsch des späteren Kaisers Karl V. entgegengekommen, Alexander den Großen und seine Gemahlin hervorzuzaubern. Die Verwandlung des Stoffes enthält in diesem Fall sowohl politische als auch religiöse Hintergedanken: Bei Witekind glaubt sich der gutmütige Kaiser von Trithemius betrogen und er schickt den Schwarzkünstler erzürnt fort. Dagegen lässt der Faustbuch-Autor einen Kaiser auftreten, der bekanntlich gegen die Lutheraner einen Krieg geführt hatte und seine moralische Schwäche dadurch offen an den Tag legt, dass er den Schwarzkünstler für sein Schauspiel belohnt. Mitleid für Kaiser Maximilian und Bewunderung für seine treue Liebe werden durch eine religiös-politische Anklage gegen Karl V. ersetzt. Der folgenreichste Einfall des Faustbuch-Autors war die Aneignung des 24-jährigen Teufelspaktes. Man suchte lange vergeblich nach einer Quelle, die vor dem Erscheinen von Witekinds Christlich Bedencken einen Vertrag zwischen Faustus und dem Teufel auf genau diese Art beschrieben hätte. Besondere Aufmerksamkeit verdient die bis Witekind sonst unbekannte Dauer von 24 Jahren.315 Jedenfalls war diese Zahl dem Faustbuch-Autor willkommen, denn sie passte gut zu den vielen Abenteuern, die er von Faustus erzählen wollte. Der Gedanke der ihm zur Verfügung stehenden Zeit erlaubte ihm, die vielen disparaten Themen und Geschichten geschickt miteinander zu verbinden. Der faustische Pakt wird von Witekind überraschend knapp dargestellt, aber er ist reich an Implikationen und Beziehungen. Er steht in unmittelbarer Verbindung zu einer Erzählung eines Wittenberger Studenten, der ebenfalls einen Teufelspakt unterschrieb. Obwohl das Motiv des Paktes wahrscheinlich ohne bewussten Rückgriff auf die Hexenprozesse entstand, ist es sicher kein Zufall, dass Witekinds Paktvorstellungen ebenfalls in den fest vorgeschriebenen Fragen, die man bei der Folter gebrauchte, wurzeln. Witekind erkennt diesen Vorgang: „[. . . ] der hencker [kommt] mit seinem grewlichen folterzeuge. Welch Weib / wann sie das für augen sihet / solte nicht darob erschrecken dermaßen / daß sie nicht allein das bekennte was sie wüßte / oder meinnte das sie begangen hette / sondern auch das jr nie in sinn kommen were zu thun?“316 Diese Fragen wurden so formuliert, dass der Lebenslauf der Angeklagten zum Schluss eine dem Faustbuch vergleichbare Struktur erhielt. Der logische Aufbau der Bekenntnisse war schon mit den Fragenschemata garantiert. Solche Fragen erzeugten nicht nur Auskünfte über die Entstehung eines Paktes und die folgen-
315 Vgl. Witekind: Christlich Bedencken. Hg. von Frank Baron, S. 21, fol. 20r. 316 Ebd., S. 38, fol. 37v.
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den Abenteuer der Hexen (der Flug mit dem Teufel und die sexuellen Ausschweifungen), sondern auch Informationen, die eine Bekehrung bewirken konnten. Als Erfolg galt, wenn die Angeklagten ihr angeblich sündiges Teufelsleben endlich bekannten und, auch wenn sie die Todesstrafe damit nicht verhindern konnten - zumindest ihr Seelenheil vom Pfarrer oder Priester gesichert werden konnte. Da diese Elemente auch im Faustbuch ihren Niederschlag gefunden haben, ist es sinnvoll, den Versuch Faustus zu bekehren und die Krisen seines Seelenheils in Verbindung mit dem 24-jährigen Pakt zu sehen. In Witekinds Christlich Bedencken ist Philipp Melanchthon derjenige vertrauenswürdige Mann, dem die Aufgabe zugetraut wird, Faustus zu bekehren. Die Umstände, die die Tilgung seines Namens im Faustbuch veranlasst haben, sind zu erklären. Im Faustbuch macht ein namenloser gottesfürchtiger alter Herr den Versuch, Faustus zu Gott zurückzuführen. Der Erfolg ist kurzfristig, denn, wie bei Witekind, ist bald der Teufel wieder da, um Faustus durch Drohungen zu einem zweiten Pakt zu zwingen. Der zweite Pakt bei Witekind kann allerdings im unmittelbaren Zusammenhang mit den Bekehrungsversuchen der Hexenprozesse gesehen werden. Witekind sieht in diesem Fall, dass sowohl die „armen blöden Weiber“ als auch Faust[us] in dieselbe gefährliche Lage geraten sind. Sie wollen ihre Verbindung mit dem Teufel aufgeben, aber der Teufel droht, und sie geben nach. Das Bild des drohenden Teufel erinnert an die Arbeit eines Henkers, der das Urteil eines Prozesses ohne Hindernisse zu Ende führen muss. Witekind beschrieb diese Situation: Denn wann sich die armen blöden weiber ein mal mit dem teuffel haben eingelaßen / förchten sie sich wider von jm abzufallen: damit er sie nicht schrecke / jnen vngemach / schaden vnd leid an thu. Der vielgemeldte Faust hat jm ein mal fürgenommen sich zu bekeren / da hat jm der teuffel so hart gedrawet / so bang gemacht / so erschreckt / daß er sich jm auch auffs new hat verschrieben.317
Die Pfarrer wollen die Angeklagten bekehren, aber der Satan verhindert es. Witekinds Analyse spiegelt einen ständig wiederkehrenden Vorgang in den Prozessen. Das Dilemma der Bekehrung: nur ein Eingeständnis der Hexentaten ist als Resultat erlaubt, und wenn die angebliche Hexe die Wahrheit sagen will, ist der Teufel sofort da, um es zu verhindern. Seine angeblichen Drohungen erzeugen einen mythischen zweiten Pakt. Ob Witekind fest an die Wirklichkeit jenes drohenden Teufels glaubt, oder in ihm nur eine bildliche Darstellung für die schöpferische Kraft der Folter sieht, muss offen bleiben. Jedenfalls können wir uns heute den
317 Ebd., S. 55, fol. 55r.
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Vorgang in den Prozessen gut vorstellen. Wenn ausnahmsweise die gefolterten Personen sich nach ihrem Geständnis doch zu einer Zurücknahme entschließen, gibt es vorgeschriebene Fragen, die sie beantworten müssen. Der folgende Auszug aus dem Katalog von Fragen befasst sich mit dieser Prozess-Krise: Interrogatoria. Darüber der Hexerei bekhandte Personen zu redt zu stellen wenn die, die gethane Bekandnus wieder revociren. 80. Ob sie sich ihres zuvor getanen Bekenntnisses erinnere? 81. Was die Ursach sei, daß sie davon wieder abspringe? 82. Wann ihr solch vergebne Ausflucht zugefallen? Wer ihr Anweisung und Rat darzu gegeben? Ob nicht der böse Geist ihr solches eingeben, wann er bei ihr gewesen, was er mit ihr geredet und getan?318
Wenn die Folterinstrumente die gewünschten Antworten erzeugen, ist die „Krise“ für den Folterer und seine Vorgesetzten überwunden. Der verzweifelte Versuch der Angeklagten, die Wahrheit zu sagen, verstummt (ein solcher Fall ereignete sich z.B., als Lippold sein Bekenntnis widerrief). Das revidierte Bekenntnis gibt Auskunft über die brutalen Drohungen des Teufels und einen erneuten „Vertrag“. Es ist verständlich, dass Witekind auch von einem solchen Vorgang berichtet, als er die Bekenntnisse der Hexen zu erklären suchte. Warum soll Faustus einen zweiten Vertrag unterschrieben haben? Von ihm wurde ja nie behauptet, dass er in einen Hexenprozess verwickelt war. Witekind gab dazu keine Antwort, und wir können nur feststellen, dass dieses Bild des drohenden Teufel am Ende seines Traktats eine taktische Funktion hat, um so die fast unvorstellbare Schutzlosigkeit des weiblichen Geschlechts in den Hexenprozessen zu betonen. Der zweite Pakt war offenbar nicht Witekinds Erfindung. Schon Ludwig Milich beschrieb in seinem Zauber Teuffel 1563 einen solchen Vertrag. Seine Beschreibung des Vorgangs verrät, dass dahinter die Erfahrung eines Prozesses steht: [...] dem Teuffel [ist] an solcher widerholeten verbindung etwas gelegen. Denn wenn ers bey dem ersten pact alleyn liess bleiben, köndten die hexen wider abfallen, vnd sich zu Gott bekeren. Daß er aber darfür bawen künde, so ist jhm vonnöthen, daß er nicht ablasse,
318 Aus den Eichstatter Hexenakten, Nr. 49 im Staatsarchiv Nürnberg, zitiert nach: Strafjustiz in alter Zeit. In: Schriftenreihe des mittelalterlichen Kriminalmuseums Rothenburg ob der Tauber, Bd. 3, Rothenburg 1980, S. 213–214.
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Legende
sondern erinnere sie offt des gethanen Eydes, vnnd bringe sie je länger je tiefer inn sein eygenthmb vnnd dienstbarkeyt. 319
Der Vorgang eines zweiten Pakts, der bei Witekind in erster Linie mit der Verfolgung der Frau zu tun hat, wird aus dem Zusammenhang gerissen und in einen ganz neuen Kontext gestellt. Er findet sich im Faustbuch erst in dem vergeblichen Bekehrungsversuch zu Hause. Jedenfalls haben wir es wiederum mit einer Textstelle zu tun, die durch keine früheren Quellen belegt wird, und deshalb wahrscheinlich von dem Faustbuch-Autor direkt von Witekind übernommen wurde. Das Faustbuch berichtet am Ende von der „Weheklag“ und der letzten Rede an die Freunde. Faustus bekennt seine große Sünde, und er sterbe als guter und böser Christ: „Ein böser Christ / daß ich weiß / daß der Teuffel den Leib wil haben / vnnd ich wil jhme den gerne lassen / er laß mir aber nur die Seele zu frieden“.320
Diese letzte Hoffnung gibt Faustus jedoch auf. Er muss seiner ewigen Verdammnis ins Auge schauen. Sein Schicksal erscheint seiner Zeit viel schrecklicher als das der Hexen, die wenigstens ihre Seelen durch ein aufrichtiges Bekenntnis retten konnten. Der Autor stellt keinen Vergleich mit dem Schicksal der hingerichteten Hexen her, aber jeder Leser im 16. Jahrhundert konnte das schwerwiegende Versäumnis eines echten Bekenntnisses nachempfinden. Zweifellos war Spies schockiert, als ihm die Kritik zu Ohren kam, dass sein Buch nicht das Teufelswerk verhindere, sondern, ganz im Gegenteil, eher ein Interesse für Zauberei erwecke. Der im Buch beschriebene Pakt ließ den Lohn so attraktiv erscheinen, dass die Behörden in Straßburg, Tübingen und Basel zur Zensur griffen, um die Jugend von dem Buch fernzuhalten. Spies sah sich gezwungen, die Harmlosigkeit des Buches öffentlich hervorzuheben, indem er vor dem Titelblatt seiner zweiten (und letzten) Ausgabe (1588) Bibelzitate einfügte. Diese Passagen aus der Bibel sollten sicherstellen, dass das Faustbuch in jeder Hinsicht eine strenge Warnung beinhalte. Als erstes Zitat wählte er „Exod. 22. Die Zauberinnen soltu nicht leben lassen“.321 Man könnte fragen: Wieso Zauberinnen? Was hat das Faustbuch mit Zauberinnen zu tun? Warum wählte Spies gerade jenes Zitat, das Witekind so eifrig zu entkräften suchte?
319 Ludwig Milich: Der Zauber Teuffel, Frankfurt a. M. 1563, S. 163. Neudr. Ludwig Milichius: Zauberteufel. Hg. von Rita Stambaugh, Berlin 1970 (Teufelsbücher im Auswahl. Bd 1). Vgl. Baron: Faustus on Trial, S. 137. 320 Füssel u. Kreutzer: Historia, Kap. 68, S. 121. Müller: Romane, S. 1426. 321 Baron: Faustus on Trial, S. 52–57. Füssel u. Kreutzer: Historia, S. 149.
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Der Faustbuch-Autor hat offenbar falsch kalkuliert. Wenn er wirklich auf die leiblichen und ewigen Strafen für die schwarze Kunst überzeugend aufmerksam machen wollte, hätte er vielleicht den zeitlichen Lohn nicht so attraktiv gestalten sollen. Ein Leben, das den Zauberer in den Kreis der mächtigsten der Welt, des Papstes, des Kaisers und des Sultans, versetzte, und sexuelle Orgien erlaubte, war nicht geeignet als Strategie, die fürwitzige Jugend vom Lesen abzuhalten und davon ähnliche Experimente versuchen zu wollen. Die Bekenntnisse der Hexen boten kaum dergleichen Verlockungen. Das Faustbuch wollte nur den schuldigen Schwarzkünstler (losgelöst von Witekinds Hexen) schildern. Mit dem Pakt den Weg zu Macht und Genuss zu eröffnen war etwas Neues, aber für den Spies-Verlag im Nachhinein ein riskantes Unternehmen. Den Einfluss Witekinds und der Hexenverfolgung auf das Faustbuch zu betonen, bedeutet nicht, dass Faustus Eigenschaften der Hexen geerbt hätte. Faustus in irgendeinem Sinn als Hexe zu bezeichnen, wäre nicht angemessen, denn weder an Hexensabbat noch an Schadenzauber war Faustus beteiligt.322 Selbst Witekind hatte gute Gründe, solche gefährlichen Beschuldigungen als ungerecht zu bezeichnen. Seine Verteidigung der Angeklagten basierte auf dem Argument, dass der Verdacht der Bösartigkeit zu Unrecht vorgebracht wurde. Die großen Zauberer wie Agrippa, Trithemius und Faustus verdienten es, im Gegensatz zu den unschuldigen Hexen, bestraft zu werden. Witekind warnt in diesem Sinne vor den Zauberern.323 Das Faustbuch übernahm vieles aus Witekinds Christlich Bedencken und durch dieses Werk indirekt viel auch aus den Hexenprozessen. Während weitere Quellen, wie zum Beispiel lange Passagen aus Hartmann Schedels Weltchronik (1493) zur Beschreibung der Reisen den Lebenslauf bereicherten, waren die wesentlichen Elemente der Struktur vorher schon bei Witekind gegeben. Ohne Witekinds Beitrag wäre das Faustbuch so nicht entstanden. Die Reaktion Wite-
322 Müller schreibt: „Charakteristischerweise eliminiert der Verfasser-Kompilator nämlich alle Geschichten, in denen der Faustsage zufolge Faustus Schadenzauber verübt“. Müller: Das Faustbuch in den konfessionellen Konflikten des 16. Jahrhunderts. S. 44–45. Meiner These nach soll man den Typus des gelehrten Magiers im Faustbuch vor allem nach dem Muster Witekinds betrachten, nicht nach einem Menschen wie Flade, der erst durch die Folter zum Schaden verübenden Magier wurde. 323 Münkler schreibt, dass es zwar „wichtig und richtig sei“, die Faustbücher „im Kontext der Hexenverfolgung“ zu betrachten, meint aber, dass diese nicht „den ‚Meisterdiskurs‘ bilde, dem alle anderen Aspekte unterzuordnen seien“. Münkler: Narrative Ambiguität, S. 199, 212–221. Vgl. Gerhild Scholz Williams: Faust as Witch: Transformations of the Faust Legend in Early Modern Texts. In: Barbara Mahlmann-Becker (Hg.): Scientiae et artes: Die Vermittlung alten und neuen Wissens in Literatur, Kunst und Musik. Wiesbaden 2004, S. 215–231.
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kinds auf das Faustbuch wurde 1593 in die neue Baseler Ausgabe des Christlich Bedenckens aufgenommen. Seine Verärgerung beschränkt sich auf zwei Aspekte des Faustbuchs: den nachlässigen Umgang mit der historischen Wahrheit und die angebliche Schändung der Religion: Hie muß ich auch von eim zauberer / der nicht herrlich aber doch berhümpt / vom Johans Fausten etwas weitläufig meldung thun / dazu mich verursachet ein Buch / das von jhm ein lecker / er sey wer er wolle / newlich hat außgeben / damit fürnemlich die Schule vnd Kirche zu Wittemberg geschmehet vnd verleumbdet. Saget daß der Faust sey bey Weimar vnnd Jena geboren / zu Wittenberg erzogen / instituiert / Magister artium vnd Doctor Theologiae gemacht: habe daselbst in der Vorstatt beym eusseren Thor in der Scheergassen Hauß vnd Garten gehabt: sey im Dorffe Kimmlich ein halbe meile von Wittenberg vom Teufel erwürget in beyseyn etlicher Magister / Baccalarien vnd Studenten am Karfreitage. Diß alles ist bößlich vnd bübelich erdichtet vnd erlogen: wie er dann auch / der Lecker / seine lügen vnd vnwissenheit damit entdecket daß er schreibet Faust sey bey den Grauen von Anhald gewesen vnd hab da gegauckelt / so doch dieselbige Herren nun über 500. jar Fürsten vnd nicht Grauen sind: den Faust aber hat der teufel erst vor 60 jaren geholt. Wie reimpt sich diß?324
Witekind setzte seine Kritik mit dem Verweis auf eine Reihe von schwerwiegenden Fehlern im Faustbuch fort. Seine eigenen Erfahrungen in Wittenberg sowie biographische Einzelheiten aus dem Werk des Melanchthon-Schülers Johannes Manlius boten ihm die Grundlage für das, was er als die historische Wahrheit ansah.325 Vor allem klagte Witekind über eine eigensinnige Versetzung der akademischen Ausbildung bis zum Doktorgrad nach Wittenberg, wo man, wie er behaupten durfte, Faustus langfristig nicht toleriert hätte. Er wiederholte
324 Witekind: Christlich Bedencken, S. xxiii. Im Zusammenhang mit den biographischen Ungenauigkeiten verweist Witekind auf Faust[us] am Hof der Fürsten von Anhalt. Dass der Fürst Joachim Ernst von Anhalt (1536–1586) die Konkordienformel nicht unterzeichnen wollte und diese Fürsten dem Calvinismus nahe standen und Christian von Anhalt (1568–1630) mit dem Hof in Heidelberg verbunden waren, sah Witekind als Ausdruck der feindlichen Gesinnung an. Verfälschungen der Tatsachenwahrheit lagen nach Witekind religiöse Vorurteile zugrunde. Vgl. Gustav Droyson: Geschichte der Gegenreformation. Belin 1893, S. 128–131. Von Neustadt aus wurde eine Schrift gegen die Konkordienformel gedruckt: Der Anhaldinischen Theologen Bedencken Vber die Prefation / des newlich außgangen Concordienbuchs, Neustadt [1581]. 325 Johannes Manlius: Locorum communium collectanea. Basel 1562, S. 43–44. Übersetzung: Locorum communium Der erste Theil von Johann Huldreich Ragor. Frankfurt a. M. 1566, fol. Eiiiiv–Evr. Der Hinweis auf Faustus im heutigen Bad Kreuznach („War ein weile Schulmeister vnder Frantz von Sickinge bey Creutzenach“) deutet an, dass Witekind den Faust-Brief des Trithemius gekannt haben könnte. Vgl. Baron: Faustus. München 1982, S. 28 und Frank Baron und Richard Auernheimer (Hg.): War Dr. Faustus in Kreuznach? Realität und Fiktion im FaustBild des Abtes Johannes Trithemius. Alzey 2003.
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den Bericht von Manlius, dass Melanchthon Faust[us] „ein Scheißhaus von vieler Teufel“ zu nennen pflegte.326 Hinter einer solchen Verletzung der Regeln der Geschichtsschreibung vermutete Witekind die Motivation, „die Schule vnd Kirche zu Wittemberg“ zu schmähen und zu verleumden. Darauf geht Witekind noch ausführlich ein: Andere eitelkeit / lügen vnnd Teufelsdreck des Buchs / lass ich vngereget: diese habe ich darumb angezeigt / daß michs sehr verdreußt vnd betrübet / wie viele andere ehrliche Leute / die wolverdiente hochrhümbliche Schule / die selige Männer Lutherum / Philippum / vnd andere dermassen zu schenden: darumb daß ich auch etwan da studiert habe. Welche zeit noch bey vielen da dieses Zauberers thun in gedechtnuß war. Es ist zwar nicht newe vnd kein wunder / daß solche Schmeheschrifften von bösen Leuten / vnser Religion feinden / außgegeben werden: das aber ist ein vngebürlich ding vnd zu beklagen / daß auch vnsere Buchdrucker dörffen ohn schew vnd scham solche Bücher außsprengen vnd gemein machen / dadurch ehrliche Leute verleumbdet / die fürwitzige jugent / die sie zuhanden bekompt / dadurch geärgert vnd angeführt wird / wie die Affen / zu wünschen (dabey sich dann der Teufel bald leßt finden) vnd zu versuchen / ob sie dergleichen wunderwerck künne nachthun / vnbedacht vnd vngeachtet / was für ein ende es mit Fausten vnd seinesgleichen genommen habe: daß ich geschweige / daß die schöne edle Kunst / die Truckerey / die vns von Gott zu gutem gegeben / dermaßen zum bösen mißbrauchet wird. Das sey genug von dem.327
Dass Witekind die Gefahren solcher Manipulationen der Tatsachenwahrheit betont, ist bemerkenswert im Rahmen der Kontroversen, die der Veröffentlichung des Faustbuchs folgten.
326 Manlius: Locorum communium collectanea, deutsche Ausgabe, S. 88–90. 327 Witekind: Christlich Bedencken, S. xxiv (1593), S. 92
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Legende
Struktur der Hexenprozesse in Fällen des Teufelspakts
Anklage des Teufelspakts
Folter oder Drohung der Folter
Geständnis des Teufelspakts
Der Teufelspakt und dessen Folgen im Faustbuch
Der Teufel bietet Faustus einen Pakt an.
Beratungen finden statt. Warnungen von Melanchthon bei Witekind; Mahnungen des Nachbars und der Freunde im Faustbuch.
Widerruf
Faustus will widerrufen.
Folter oder Drohung
Der Teufel droht und bewirkt Faustus‘ Widerruf, der als ein zweiter Pakt erscheint.
2. Geständnis
Der zweite Pakt bedeutet, dass Faustus seine Seele verlieren wird.
Beichte Hl. Abendmahl
Öffentliche Hinrichtung
Der Henker wird in der Höllenfahrt als Vertreter des Teufels wahrgenommen.
Tab. 3: Struktur der Teufelspaktprozesse und das Faustbuch
Das Faustbuch: Evolution der Struktur
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VII. Das Faustbuch: Evolution der Struktur A. Teufelspakt Eine große Zahl der Geschichten, die Luther an seinem Tisch erzählte, gingen, nach und nach erweitert und mit neuen Inhalten versehen, in die bunte Sammlung der Zaubergeschichten des Faustbuchs ein. Der weitaus folgenreichste Beitrag der Tischreden war jedoch das Motiv des Teufelspakts. In zwei unabhängigen Gesprächen zwischen den Jahren 1537 und 1538 wurde der Teufelspakt thematisiert. Davon berichtet Johann Aurifaber in der Geschichte „Von einem Warsager“: Zu E[rfurt] ward ein Wahrsager vnd Schwarzkunstiger verbrannt / der etliche Jahr traurig vnd betrübt war daher gangen / darumb, das er arm war vnd hatte weder zu beissen noch zu brocken / Da begegnete jm ein mal der Teufel / in einer sichtlichen Gestalt / vnd verhieß ihm grosses / das er sollte reich werden / wenn er die Tauffe / vnd die Erlösung / durch Christum geschehen / verleugnen / vnd nimmermehr Busse thun wollte. Der Arme nam solchs an / Da gab jm der Teufel von Stund an ein Cristall / daraus er konnte war sagen / dadurch bekam er einen grossen Namen / vnd ein gros zulauffen / das er reich drüber ward. Endlich betrog jn der Teufel redlich / vnd lies ihn in Hindern sehen / das er etliche unschüldige leute / aus der Cristallen angab vnd Dieberey bezüchtigte / Dadurch verursachte er / das er ward ins Gefengnis gelegt / vnd bekandte darnach / das er den Bund, mit dem Teufel gemacht / gebrochen hette / Bat, man wolte einen Prediger lassen zu jm gehen / Thet rechtschaffene Busse vnd brachte mit seinem Exempel viel Leute zu Gottes furcht / vnd starb mit frölichem Hertzen in seiner Leibesstraffe. Also hat sich der Teuffel / in seiner eigenen kunst beschmissen / vnd in seinen bösen anschlegen vnd tücken offenbaret.328
Den Hintergrund dieser Geschichte bildet ein Brief von Aegidius Mechler, der als Pfarrer in Erfurt für die Bekehrung des Schwarzkünstlers bestellt war und der von Luther aufgefordert wurde, Einzelheiten zu berichten. In seinem Bericht von 8. September 1537 lieferte Mechler sogar den Wortlaut des Paktes: Ich Johannes bekenne, dass ich ein Christenmensch getauft bin, dass ich in der Taufe dem Teufel und allem Aberglauben durch meinen Pathen entsagt habe. Ich bekenne, dass ich durch das Blut jesu Christi erlöset bin, auf welchs Erlösung ich bisher gehofft habe, selig zu werden. Aber itzund widerruf ich meine Taufe, mein Gelübd in der Taufe, meinen Glauben an Christum etc., u. ergeb mich dir Teufel, Schmabachser genannt, mit Leib und Seel, über sechs jahr dein eigen zu sein, wo du mußt Geld verschaffen.329
328 Aurifaber: Tischreden, fol. 293v. Vgl. Luther: Tischreden, WA Nr. 3618A. 329 Otto Clemen: Eine Erfurter Teufelgeschichte von 1537. In: Archiv für Kulturgeschichte 10 1912, S. 155–158. Als ehemaliger Priestermönch im Barfüßerkloster Erfurt hielt Mechler 1520 in https://doi.org/10.1515/9783110613070-008
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Was aber diesem Text folgt, ist besonders beachtenswert. Dort steht nämlich: „haec fassus est in tortura“. Anschließend behauptete Mechler, den Wortlaut des Pakts, zusammen mit einem kristallinischen Stein, im Haus des Schwarzkünstlers aufgefunden wurde.330 Ob es wahr ist, dass dieser arme Mensch gehofft hatte, vom Teufel Geld zu gewinnen, ist nicht mehr feststellbar. Damals zweifelte man an der Wahrheit eines solchen Bekenntnisses nicht. Auch Mechler nicht. In solchen Fällen spielten suggestive Fragen des Gerichts über den Inhalt des Paktes eine Rolle. Dem Angeklagten wurde praktisch gesagt, was er zu bekennen hatte. Weil der Gefangene offenbar sehr aufgeregt war und um Hilfe bat, um sich gegen den Teufel zu wehren, hat ein Vertreter des Gerichts, Franz Langested, Fragen an den Angeklagten Johannes gestellt, um sich zu versichern, dass er jetzt fest an Gott glaube und ob er sich von den Schlingen befreit habe. Wenn er aber noch weitere Hilfe brauche, könne ein Pfarrer gerufen werden. Da Johannes dies bejahte, sei Mechler erschienen und habe ihn fünf Tage lang beraten. Seine Seele sei dann vollständig erneuert worden. Er habe das heilige Abendmahl zu sich genommen und sei treu im Glauben bis zu seiner Hinrichtung geblieben.331 Luther glaubte, den Beweggrund zum Pakt genauer erklären zu können. Der Kristall, den man bei dem Angeklagten gefunden hatte, habe ihm die Erkundung der Zukunft ermöglicht. Es kam aber dazu, dass er zum Schluss aus dem Kristall falsche Auskünfte bekam und dadurch die Aufmerksamkeit der Obrigkeit auf sich lenkte. Solche Einzelheiten fehlten noch in Mechlers Bericht. Es ist denkbar, dass Luther nicht wusste, dass der Text des Paktes durch Folter erzeugt worden war. Er zweifelte jedenfalls an den Ergebnissen aus dem Prozess nicht. In Luthers Version schien die Sache eindeutig zu sein, obwohl man hätte fragen können, ob der gründlich formulierte Text des Paktes wirklich von Johannes stammte, oder ob er ihm einfach vorgelegt worden war. Als beunruhigende Lehre blieb für Luther die Warnung übrig, dass solch ein Pakt ins Verderben führen würde. Aber
Erfurt die ersten evangelischen Predigten. 1523 heiratete er. Mechler errichtete eine Volksschule. Der Biograph Mechlers schreibt: „Männern wie Mechler ist es zu danken, dass die bereite Masse, die sich kurz vor der Reformation von dem unglaubwürdig gewordenen Klerus abgewandt hatte und dann durch den Ausgang des Bauernkrieges noch einmal tief enttäuscht worden war, sich wieder in den Kirchen sammelte [...]“ Martin Bauer: Evangelische Theologen in und um Erfurt im 16. bis 18. Jahrhundert. Beiträge zur Person- und Familiengeschichte Thüringens. Neustadt a. d. Aisch 1992, S. 226. 330 „Haec fassus est in tortura, et hujus abominandae suae mancipationis qua sese mancipavit Sathanae, reperta est schedula apud cristallinum lapidem in sua domo“. Ebd., S. 157. 331 Mechler schreibt einmal Franz Langested, später aber Franciscus Landsted. „Item et eucharistiam sacram ambiebat et per me percepit pridie ante obitum admittente magistratu, et usque in finem Dei gratia constanter in fidei Christi confessione perseveravit [...]“ Ebd., S. 157.
Das Faustbuch: Evolution der Struktur
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Luther konnte, da der Pfarrer Johannes zur Buße bekehren konnte, den tragischen Fall letztlich positiv deuten. Luther und Mechler waren beide gewohnt, die aus dem Gefängnis erhaltenen Nachrichten kritiklos hinzunehmen. So kam es, dass die Vorstellungen über den Teufelspakt feste Konturen erhielten. Eine wichtige Begleiterscheinung war die Teilnahme des Pfarrers an den Auseinandersetzungen, die der Hinrichtung vorausgingen. Der Sünder sollte bekehrt werden und dem Gefangenen wurde klar gemacht, dass er praktisch nur eine Wahl hatte. Er musste das Urteil des Gerichts akzeptieren, ohne das Geständnis des Pakts zu revidieren. Dadurch, dass er seine Sünden eingestand und bereute, konnte der Erfurter Schwarzkünstler wenigstens seine Seele retten. Luther interpretierte zum Schluss diesen Vorgang als einen Sieg über den Teufel, der gescheitert sei, weil er die Seele nicht gewinnen konnte.332 Nicht lange nach diesem Vorfall erzählte Luther die „Schreckliche Historia von einem Studenten, der sich hatte dem Teufel ergeben“. Diese zweite, nah verwandte Geschichte zeigt, wie Luther damals in Wittenberg den Teufelspakt verstand und wie er der Gefahr begegnen wollte. Anno 1538. Am dreizehenden Februarij, war ein junger Student zu Wittenberg, mit namen Valerius [Glockner] von N[aumburg]. Derselbige ward in der Sacristey daselbst in beysein der Diaconen vnd seines Praeceptors Georg Maiors von D. M. Luther absoluiret, Den er war seinem Praeceptor sehr vngehorsam gewesen. Endlich aber, da er von jhm examinirt vnd gefragt ward, Worum er doch so lebete, vnd fürchte sich weder fur Gott, noch schewet sich fur den Menschen, Bekandte er, das er sich vor fünf Jaren dem Teufel hette vbergeben, mit diesen worten, Ich sag dir Christe, deinen Glauben auff, vnd wil einen andern Herrn annemen. Von diesen worten examinirt jn D.M.L. vnd schalt jn hart, vnd fragte mit ernst, Ob er auch etwas mehr geredet het[t]e.333 Obs jm auch leid were, vnd sich nu wider zum Herrn Christo bekeren wolte? Da er aber ja sagte, vnd hilt embsig vnd vleissig an mit bitten, [...] Auff das vermanet er jn zu Bus vnd zu Gottes furcht, das er nu hinfort wolte leben, in Gotteseligkeit, Erbarkeit, vnd gehorsam, vnd des Teufels eingeben, vnd seinen Lüsten widerstehen, im Glauben vnd Gebet. Wenn gleich der Teufel jn mit bösen gedancken wurde angreiffen, Solte er sich mit Gottes wort rüsten, vnd flugs zu seinem Praeceptor oder Caplan gehen, jm solchs offenbaren vnd den Teufel mit seinen Rathschlegen anklagen.334
332 Melanchthon und Witekind erzählten dieselbe Geschichte, aber die Hinrichtung blieb bei ihnen unerwähnt. Vgl. Baron: Faustus on Trial, S. 114–115. 333 Anton Lauterbach berichtete an dieser Stelle: „De istis verbis interrogauit eum lutherus examinauitque eum, grauiter arguebat“. Vgl. Martin Luther: Tischreden, WA Nr. 3739. Milchsack: Gesammelte Aufsätze, Sp. 227–228. 334 Fortsetzung des Zitats: „Da legete D. Mart. die Hende auff jn, knient nider, mit den andern
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Der Wittenberger Student, Sohn des Bürgermeisters von Naumburg, hatte also zugegeben, einen Pakt mit dem Teufel geschlossen zu haben. Eine Erklärung, was ihn zu einem solch gefährlichen Schritt veranlasst hatte, fehlt. Eine Auseinandersetzung mit seinem Lehrer ging voraus, aber dass man diese Ungehorsamkeit als Teufelverbundenheit angesehen hätte, ist schwer zu glauben. Was eigentlich vorgefallen war, ist unklar.335 Valerius hat den Pakt bekannt, aber es ist klar, dass er von zwei Seiten, von Georg Maior und Martin Luther, ernstlich bedroht wurde. Von einem Prozess oder von Folter ist bei Luther keine Rede, aber die Drohungen könnten zum Geständnis geführt haben, mit Hilfe des Versprechens, dass damit Schlimmeres vermieden werden könnte. Jedenfalls wurde Valerius als Sohn eines Bürgermeisters mit Nachsicht behandelt. Die Erzählung folgt dem Muster des Erfurter Falles: Nach Drohungen kommt es zum Eingeständnis des Paktes. Die Bekehrung vom Pakt wurde erfolgreich durchgeführt. In diesem Fall beendete Luther die Krise mit einem Gebet, um einen erneuten Sieg über den Teufel zu feiern. Eine andere Version derselben Geschichte stammt von Melanchthon. Der Text wurde ca. von Johannes Rieckmann, der 1554–1557 in Wittenberg studierte, aufgezeichnet336, ist aber schon durch Witekind in den vierziger Jahren bekannt gewesen. Melanchthon hatte wahrscheinlich die Ereignisse persönlich miterlebt, aber nach etwas mehr als zehn Jahren die Einzelheiten nicht mehr genau in Erinnerung. Er ersetzte und ergänzte viel.
so dabey waren, betet das Vater vnser sprach nach: HERR Gott Himlischer Vater, der du vns durch deinen lieben Son befohlen hast zu beten,vnd das Predigampt in de heiligen Christlichen Kirche geordnet vbnd eingesetzt hast, das wir die Brüder, so etwa durch einen feil bringen sollen, Vnd Christus dein lieber Son, sagt selber, Er sey icht kommen, denn nur allein vmb der Sünder willen. Darumb bitten wir dich fur disen deinen Diener, du wollest jhm seine Sünde vergeben, vnd in den Artickel der Vergebung der Sünden, wider mit einschliessen, vnd in den Schoss deiner heiligen Kirche wider annemen, vmb deines lieben Sons willen, vnsers Herren Christi, Amen. Darnach sagte er dem Knaben auff deudsch diese wort für, die er nach jm nachsprach. Ich Valerius bekenne fur Gott vnd allen seinen heiligen Engeln, vnd fur der Versamlung dieser Kirche, Das ich Gott meinen Glauben hab auffgesagt, vnd mich dem Teufel ergeben, das ist mir von Hertzen leid, wil nu hinfort des Teufels abgesagter Feind sein, vnd Gott meinem Herrn willig folgen, vnd mich bessern. Amen“. Aurifaber: Tischreden, fol. 302v. 335 Auch in diesem Fall, wie zuvor mit Johannes, ist es denkbar, dass der Gedanke, Geld vom Teufel zu gewinnen, ein mögliches Handlungsmotiv darstellt. Vgl. den Fall von David Lipsius in Tübingen, Kapitel „Provokationen des Bestsellers“ weiterunten. 336 Ernst Kroker: Anekdoten Melanchthons und Leipzig. In: Schriften des Vereins für Geschichte Leipzigs, 10, 1911, S. 113–126, hier S. 114 u. 123–124. Kroker verweist auf eine Handschrift, die heute in der Leipziger Stadtbibliothek verwahrt wird. StB Rep. IV. 115aa 4°. Freundliche Mitteilung von Dr. Christine Mundhenk, Melanchthon-Forschungsstelle der Heidelberger Akademie der Wissenschaften.
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Der Student, von dem Melanchthon erzählt, ist nicht der Sohn eines Bürgermeisters, sondern ein Adliger. Der Vater habe ihm nicht genug Geld gegeben, um ein ordentliches Studentenleben zu führen. Der Pakt kam dann im Wald bei Wittenberg zustande. Um das notwendige Geld zu erhalten, musste der Jüngling dem Teufel, der in Gestalt eines zerlumpten Greises („pannosus, quidam senex“), einen Pakt („chirographum“) mit Blut unterzeichnen („iussitque proprio sanguine scribere“). Der Student bekam dann regelmäßig Geld und konnte ein wildes Leben führen. Sein Lehrer, Georg Maier, wurde jedoch aufmerksam, weil der Sünder zum Abendmahl nicht ordentlich vorbereitet war und verdächtig erschien („in tanta fuit consternatione, ut sui oblitus esse visus sit“). Luther wurde konsultiert. Der Jüngling beichtete und zeigte bald bitterliche Reue. Der Schluss von Melanchthons Geschichte liefert eine überraschende Neuigkeit: Das Gebet Luthers bewirkte, dass der Teufel leibhaftig erschien und das „Chirographon“ zurückgab. Zu Luther sagte der besiegte Teufel: „O Du, o Du!“ und verschwand.337 Die Mutationen sind bedeutend, weil Melanchthons Schüler, Hermann Witekind, diese Geschichte etwa dreißig Jahre später wieder erzählte, so dass sie das Faustbuch auch beeinflussen konnte. Der Vorwurf, der Jüngling habe sich bei den Vorbereitungen zum Abendmahl nicht ordentlich verhalten, könnte die Umstände erklären, wie die Paktgeschichte von Valerius zum Vorschein kam. Aber bei näherem Hinsehen erscheinen die Zusätze Melanchthons nur dann konsequent, wenn man auf das mythische Vorbild in der Vita des Hl. Basilius Rücksicht nimmt. Diese Vita hat Georg Maior 1544 herausgegeben und hier gibt es unverwechselbare Parallelen: Das Treffen mit dem Teufel außerhalb der Stadt, die Unterzeichnung des Paktes mit Blut, die Entdeckung, dass der Sünder nicht zum Abendmahl wollte, die Bekehrung durch den Hl. Basilius, sein Gebet, das Erscheinen des Teufels, und die wunderbare Rückgabe des Chirographons an Basilius. Die Zusätze sind also gar nicht erfunden sondern entlehnt! Melanchthon kannte sich in der Vita des Hl. Basilius so gut aus, dass er problemlos die Figur Basilius mit der Luthers verschmelzen konnte.338 Die Anekdote Melanchthons zeigt beispielhaft die Zusammenkunft von Anregungen aus den Hexenpro
337 Kroker: S. 124–125. Vgl. Milchsack: Gesammelte Aufsätze, Sp. 227–230. 338 Georg Major: Vitae Patrum in usum ministrorum verbi. Wittenberg 1544, fol. 211r–216v.
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zessen mit den Details aus Heiligenviten.339 Es war eine folgenreiche Mutation, die dann in Witekinds Christlich Bedencken noch deutlicher erkennbar war. Witekind erzählt die Geschichte des Wittenberger Teufelbundes im Anschluss an eine Erklärung des Paktes, den Faust[us] angeblich geschlossen hatte. Zum ersten Mal, so weit dies die Faustforschung bis heute feststellen konnte, wird hier behauptet, dass Faust[us] mit dem Teufel paktiert habe. Dies geschah laut Witekind im Anschluss an einen Aufenthalt in Wittenberg, „danach [er] grewlich getödtet ward, als jm vier vnd zwantzig jar gedient hatte“.340 Ohne Unterbrechung folgt die Paktgeschichte des Wittenberger Jünglings: Auch war ein studente da, bey Doctor G.M. der sauff vnd spielte gerne. Da es dem an gelt mangelte, vnd eins tags auß dem thor spatzierte in schweren gedancken, wie er mögt gelt vberkommen, begegnet jm einer, der fraget, warumb er so traurig sey, ob jm gelt gebreche? Er wil jm gelts gnug verschaffen, so fern er sich jm ergebe vnd verschreibe, nicht mit dinte, sondern mit seim eigen blute. Er spricht, Ja. Folgends tags zu bestimmter stunde kommen sie da wider zu sammen: dieser bringt die handschrifft, jener das gelt. Der Doctor vermerckt daß er gelt hat, verwundert sich wo es herkomme, weil er wußte daß jm die ältern keins schickten. Nimmt jn für, erforschet wo ers genommen habe. Er bekennt wie es sey zugangen. Deßen erschreckt der Doctor: klagts D. Luthern vnd andern, die berüffen den Studenten zu sich, schelten vnd lehren jn was er thun sol, daß ervon solcher verpflichtung loß werde. Betten für jn zu Gott: trotzen dem teuffel so lang, daß er die handschrifft wider bringt. Also ward der jüngling dem teuffel auß dem rachen gerissen vnd erhalten, vnd wider zu Gott bracht: ward nicht zur stund in thurn vnd darnach ins fewr gelegt. Diesem exempel nach solte man fleiß anwenden vnd sich bearbeiten mehr solche leute zu bekeren vnd zu beßern, dan vmbzubringen vnd zu verderben.341
Witekind konnte diese Geschichte in Wittenberg direkt von Melanchthon erfahren haben, denn seine Version enthielt schon Details, die Melanchthons im Verhältnis zu Luthers Version vorgenommen hatte. Witekind wusste von Melanchthon, dass der Student den Teufel außerhalb der Stadt getroffen habe, dass er
339 Heiligenviten als Hintergrund für die Struktur des Faustbuchs wurden von Marguerite Allen und Marina Münkler eingehend untersucht. Marguerite DeHuszar Allen: The Faust Legend: Popular Formula and Modern Novel. New York, 1985. Marina Münkler: Narrative Ambiguität, S. 126–148. Allen hat die Funktion der Legende im Faustbuch zuerst mit dem Begriff „reversal“ beschrieben, während Münkler für den gleichen Vorgang „Legendenkontrafaktur“ verwendet hat. Vgl. auch Walter Haug: Der Teufelspakt vor Goethe oder Wie der Umgang mit dem Bösen als felix culpa zu Beginn der Neuzeit in die Krise gerät. In: Deutsche Vierteljahrsschrift 75 (2001), S. 185–215. Aus meiner Sicht vor allem die Evolution der Heiligenviten zum Faustbuch eingehender zu berücksichtigen. 340 Witekind: Christlich Bedencken. Hg. von Frank Baron, S. 45. Vgl. Maximilian Bergengrün: Schwarzkunst. In: Faust-Handbuch, S. 105–112, hier S. 107–108. 341 Ebd., S. 45–46.
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den Pakt mit seinem eigenen Blut unterschrieben habe, und dass Luthers Gebet zur wunderbaren Zurückgewinnung der Pakthandschrift geführt habe. Im Mittelpunkt der Lehre, die Melanchthons Geschichte bietet, steht die große Macht von Luthers Gebet. Aber jetzt deutet Witekind die Lehre aus dem Fall ganz anders. Für ihn war die Hauptsache die Verfolgung der Angeklagten in den Hexenprozessen. Im Wittenberger Fall sah er ein Beispiel der erfolgreichen Bekehrung und der Vermeidung eines Prozesses, der zur Hinrichtung durch Verbrennen hätte führen können. Ein solches Verständnis stand im Einklang mit Witekinds Ziel, mit diesem Exemplum die Hexenverfolgung zu bekämpfen.Witekind glaubte offenbar, dass der Teufelsbündner noch zu retten war. Das Böse, von dem hier die Rede war, war höchstens Sündhaftigkeit und hatte seiner Meinung nach nichts mit Schadenzauber zu tun. Diese Wende in der Überlieferung des Faust[us]-Bildes hat an dessen Verworfenheit nichts vermindert. Faustus gerät bei Witekind in die Kategorie der „grossen herrlichen Zauberer“, die leider von den Fürsten gefördert wurden. Stattdessen hätten sie, nach Witekind, verfolgt werden müssen, weil sie es als bewusst sündigende verdienten. Ähnlich hat er Agrippa und Trithemius gesehen. Als gelehrte Männer hätten sie gewusst, dass die Zauberei eine gefährliche Falle wäre. Witekinds Buch dient also auch als Warnbuch. Witekind war zu sehr ein Kind seiner Zeit, um die Folterkammern als einen Mechanismus der Mythenproduktion zu verstehen.342 Das Faustbuch basierte auf dem festen Glauben an die tatsächliche Wahrheit der Geschichten, die Witekind und andere über die Zauberei erzählten. Gerade weil Witekind sich vom mythischen Denken seines Lehrers Melanchthon nicht befreien konnte, ist seine Darstellung des faustischen Teufelspakts für den Faustmythos entscheidend. Für Witekind war der Lebenslauf von Faustus von geringer Bedeutung. Er führte eine Polemik gegen die „herrlichen Zauberer“ und die Richter, die für die Qual der angeklagten Hexen kein Mitleid zeigten. Darum waren bei ihm die Hinweise auf Faust[us] nicht im Rahmen eines Lebenslaufs geordnet, sondern über das gesamte Werk verstreut, um so als Argumente gegen die Hexenverfolgung zu
342 Das tat erst Cornelius Loos (1546–1595), der, als Witekinds Werk erschien, Zeuge der großen Hexenverfolgungswelle in Trier wurde. Er erkannte genau, welche Folgen die Folter mit sich brachte. Seine Schrift, De vera et falsa magia, wurde gleich verboten; Loos musste widerrufen. Im Widerruf nannte aber Loos die Folter ein Mittel, das mit einer „neuen Alchemie des Blutes Gold und Silber“ hervorbrachte. Er meint damit nicht nur, dass die Gerichte durch die Prozesse finanzielle Vorteile gewannen, sondern dass die Folter unwahre Zauberei-Vorstellungen produzierte und popularisiert. Die Erkenntnisse von Loos erreichten das damalige Lesepublikum jedoch nicht. Martin Delrio, Disquisitionum Magicarum libri sex. Louvain 1599, V, S. 140-143.
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dienen. Dennoch kann man die Umrisse eines „Prozesses“ gegen Faust[us] erkennen. Der Anklagekunkt des Tefespaktes ist davon der wichtigste Bestandteil. Es ist kein Zufall, dass Witekind die Geschichte des paktierenden Studenten gleich nach Anekdoten über Faust[us] erzählte, nach der beiläufigen Erwähnung eines 24-jährigen Paktes und Bekehrungsversuchen. Hier ist das Neue: Faustus soll mit seinem schriftlichen Vertrag für eine gewisse Zeit Abenteuer erleben. Der strukturelle Rahmen des Faustbuchs und des Mythos wird zum ersten Mal konkret bereitgestellt—eine einzigartige Textschicht und ein Wendepunkt in der Geschichte des Faustmythos.
B. Nekromantie: Johannes Trithemius und Faustus Im Faustbuch werden die Beweggründe, die Faustus zum Teufel führen, am Anfang des zweiten Kapitels artikuliert: D. Fausti Datum [stunde] dahin, das zu lieben, das nicht zu lieben war, dem trachtet er Tag vnd nacht nach, name an sich Adlers Flügel, wolte alle Gründ am Himmel vnd Erden erforschen, dann sein Fürwitz, Freyheit vnd Leichtfertigkeit stache vnnd reitzte jhn also, daß er auf eine zeit etliche zäuberische vocabula, figuras, characteres nd coniurationes, damit er den Teufel vor sich möchte fordern, ins Werck zusetzten, und zu probieren jm fürname.343
Genau diesen Fürwitz hatte schon Martin Luther mit einem mythischen Bild der Bibel scharf kritisiert: [...] wie sind wir denn so vermessen vnd vnsinnig, ausser vns vber die wolcken zu fladdern von göttlicher majestat, Wesen und Wullen zu speculiren, die unser blinden tollen Vernunft viel zu hoch, unbegreiflich und unerforschlich ist.344
Man könnte versucht sein, die Kritik am Fürwitz als Kritik an einer modernen Art der wissenschaftlichen Neugierde zu verstehen. Jan-Dirk Müller hat aber überzeugend dargestellt, dass im Zusammenhang des Faustbuchs und seiner Zeit etwas ganz anderes beabsichtigt war. Das Faustbuch wollte das Wissen, das „direkt oder
343 Füssel u. Kreutzer: Historia, S. 15; Müller: Romane, S. 845. 344 Martin Luther: Tischreden, WA Nr. 1230. Aurifaber: Tischreden, fol. 29r. Vgl. das biblische Bild: „Lass deine Augen nicht fliegen dahin, das du nicht haben kanst, Denn dasselb macht jm Flügel wie ein Adeler, vnnd fleucht gen Himel“. Spr. 23,5. Füssel und Kreutzer, Historia, S. 186. Bei Marlowe wird dafür das antike Bild von Ikarus verwendet. Vgl. das Kapitel über Marlowe weiter unten.
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indirekt vom Teufel stammt [...]“ als wertlosen Tand erscheinen lassen, „für den Faustus den überhöhten Preis ewiger Verdammnis zu zahlen hat“.345 Wenn die hier artikulierte Neugierde nicht in einem modernen Sinn gedeutet werden kann, so stellt sich die Frage, in welchem Sinn dieser Fürwitz damals sündhaft und gefährlich gewesen sein soll. Trithemius’ Versuch, als Nekromant die antike Welt wieder zum Leben zu erwecken, hat mit diesem Streben nach „Fürwitz, Freyheit vnd Leichtfertigkeit“ zu tun. Die Verwandlung der Figur dieses ehrgeizigen Humanisten in die Gestalt des machtgierigen Faustus spiegelt einen Aspekt der sündhaften curiositas des Faustbuchs. Nachrichten über nekromantische Experimente hatten in der Renaissance Hochkonjunktur. Benvenuto Cellini, dessen Autobiographie Goethe übersetzte, hoffte angeblich, durch Nekromantie seine verstorbene Geliebte wieder lebendig sehen zu können.346 Ein ähnliches Zeugnis stammt von Gian Francesco Pico della Mirandola (1470–1533), der am Anfang des 16. Jahrhunderts von einem Versuch erzählt, den berühmten Zweikampf zwischen Achilles und Hector darzustellen.347 Im Zeitalter der Renaissance war ein solcher Verweis auf dunkle Künste offenbar beliebt. Das Gleiche galt für Goethe. In Goethes Faust wird am Anfang des zweiten Teils Mephisto gedrängt, seine Fähigkeiten als Nekromant zu beweisen. Als Goethe 1826 sich erneut mit seinem alten Thema Faust befasste, erinnerte er sich an das Puppenspiel, das „auf die ältere von Faust umgehende Fabel“ gegründet war, und er bekundete die Absicht, „im 2. Teil [s]einer Tragödie gleichfalls die Verwegenheit Fausts [darzustellen], womit er die schönste Frau, von der uns die Überlieferung meldet, die schöne Helena aus Griechenland, in die Arme begehrt“.348 Goethe wusste aber nicht, dass die Anfänge jener Faustfabel auf einen historischen Faustus zurückgingen und wohl auch nicht, dass die Totenbeschwörung, die Helena zum Leben erwecken sollte, eigentlich nicht von Faustus, sondern von dessen erbitterten Feind, Johannes Trithemius, inspiriert war. Die Visitenkarte von „Magister Georgius Faustus Iunior“ hatte Trithemius sehr erbost. Besonders geärgert hatte ihn die kühne Behauptung, dass Faustus der „Fürst der Nekromanten“ sei. Das nannte er Wahnsinn! Eine solch starke Reaktion war von Trithemius zu erwarten, denn obwohl er ein Anhänger der sogenannten natürlichen Magie war (eine Art Naturphilosophie, die in Italien durch Pico della Mirandola propagiert wurde), hatte er konsequent die alten Formen
345 Müller: Das Faustbuch in den konfessionellen Konflikten des 16. Jahrhunderts, S. 5 u. 48–49. 346 Goethes Werke. Weimar 1890, Bd. 44, S. 183 ff. 347 Gian Francesco Pico della Mirandola: De rerum praenotione, 1506–1507. Brückner: Volkserzählung und Reformation, S. 160. 348 Goethe. Faust. Hg. von Erich Trunz, München 1981, S. 435.
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der Magie, wie sie Faustus vertrat, als Aberglauben verworfen. Darüber hinaus hatte Trithemius die Nekromantie als eine unerlaubte schwarze Kunst verdammt. Wenn Faustus noch dazu angeblich behauptete, er könne die verlorenen Werke des Aristoteles und Platon rekonstruieren, sogar eleganter als sie ursprünglich waren, glaubte ihm Trithemius nicht und sah nur Betrug. Am 29. März 1539 wurde Nekromantie auch zum Thema an Luthers Tisch. Die Anwesenden wollten wissen, ob der in der Bibel erzählte Versuch, wie Saul den verstorbenen Samuel aus dem Totenreich holen wollte, wirklich erfolgreich sein könnte. Luther verneinte dies: Nein. Es war ein Geist. Denn so ist klar zu sehen, dass Gott, wie es im Buch Moses steht, verboten hat, die Wahrheit bei den Toten zu erkunden. Es handelte sich um Verblendungen des Teufels, der die Menschenbilder schuf. Auf diese Weise hat irgendein Zauberer dem [Kaiser] Maximilian die toten Kaiser und Könige, darunter auch Alexander den Großen als Gespenster vorgestellt.349
Luther verleugnete die reale Möglichkeit der Nekromantie, gab aber zu, dass es dem Teufel gelingen könnte, eine täuschende Erscheinung zu schaffen. Was aber der Nekromantie nicht gelänge, vollbrächte der Teufel. In den folgenden Jahrzehnten sah man zahlreiche Erweiterungen und Varianten dieses paradoxen Gedankens. Melanchthon erzählte seinen Studenten, dass ein namenloser Nekromant dem Wunsch eines Kaisers entgegengekommen sei, die Helden Homers, Hector und Achilles, hervorzuzaubern. Die Helden erschienen und standen drohend einander gegenüber. Danach sei der Psalmist David erschienen. Dem Kaiser musste der Nekromant erklären, dass David, als Vorfahre Christi, dem Kaiser keine Verbeugung schuldig war. Melanchthon war es also gelungen, dem Experiment einen religiösen Sinn zu geben.350 Caspar Goltwurm, der seit 1539 in Wittenberg studierte, hat die Nekromantie-Geschichten Luthers und Melanchthons aus der Erinnerung notiert und sie aus anderen Quellen ergänzt. So schrieb er in seinem Wunderweck und Wunderzeichen Buch (1557), er habe „gelesen, dass ein löblicher Christlicher Kayser“
349 „Deinde interrogabatur, utrum ille verus fuerit Samuel resuscitatus? Respondit: Non, quia fuit spectrum. Nam hoc it probatur, quod Deus in Mose prohibuit, ne veritas a mortuis quaereretur. Sed fuerunt praestigia Sathanae formam viri Dei producentis, sicut quidam magus Maximiliano produxit omnes caesares et monarchas mortuos et Alexamdrum magnum in spectaculum“. Luther: Tischreden, WA Nr. 4450. 350 Frank Baron: The Precarious Legacy of Renaissance Humanism in the Faust Legend. In: Manfred P. Fleischer (Hg.): The Harvest of Humanism in Central Europe: Essays in Honor of Lewis W. Spitz. St. Louis 1992, S. 303–315, hier S. 308.
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[gemeint war der Kaiser Maximilian I. F.B.], den Abt von Spanheim [Trithemius; F.B.] überredet habe, die bekanntesten Helden der Antike, wie etwa „Eneam, Agaamemnonen, Priamum, Vlissem, Achillem, Hectorem, Scipionem, Hanibalem vnd andere mehr, in irer gantzen völligen Kriegsrüstung [...] durch besondere Teufflische kunst vnd gespenst, zu wegen zu bringen“.351 Die Darstellung Goltwurms ging weit über die sparsamen Auskünfte hinaus, die das Tischgespräch Luthers geboten hatte. Wie konnte Trithemius an die Stelle des namenlosen Zauberers treten? Goltwurm konnte Trithemius und den Zauberer gleichsetzen, weil der Abt bekanntermaßen von Maximilian tatsächlich aufgefordert worden war, Fragen über okkulte Vorgänge zu beantworten. In seinen Antworten, 1515 im Druck erschienen, bestand Trithemius ausdrücklich darauf, dass die Nekromantie ein gottloser Wahnsinn sei und sie sogar einen Pakt mit dem Teufel voraussetzte. Trotz seiner Stellungnahme gegen die Nekromantie hat nun die protestantische Warnliteratur Trithemius in polemischer Absicht selbst zu einem Nekromanten gemacht. Goltwurm behauptete, dass seine Nekromantie-Geschichte durch den Abt von Spanheim wahrhaftig und selbst beschrieben wurde, „auch von dem selbigen beschehen“. Der Abt, so Goltwurm, habe zuerst gezögert, das Experiment durchzuführen. Aber das Drängen des Kaisers habe ihn, trotz der „gefehrligkeit solcher sachen“, gereizt, seine Fähigkeiten als Zauberer zu beweisen. Er musste aber darauf bestehen, dass „der Keyser an einem bestimbten ort, gantz stil[l] stehn, vnd wo er dieselbigen herinn tretten sehen würde, sol er stil[l] schweigen, vnd keinem kein reuerentz beweisen“, wenn die Gespenster ihm „mit neigen bucken, vnd anderen geberden, grosse reuerentz erzeigen“ würden. Sonst würde ihm „gefehrlichkeit, leibs vnd Lebens erwarten“. Der Abt stellte also Bedingungen: Er verlangte Schweigen und keine Einmischung in die Vorgänge auf dem Schauplatz. Er bot hier also ein magisches Schauspiel, dessen Inszenierung einer alten Tradition der Nekromantie-Praxis folgte. Der Kaiser war von Hectors Erscheinen so beeindruckt, dass er sich vor ihm, trotz des Verbots, verneigte. „Da solches das gespenst Hectoris sahe, wandte es sich gantz grimmig vmb“, und drohte, den Kaiser anzugreifen. Das Experiment musste gleich abgebrochen werden. Der Abt konnte mit seinem Stab den Geist aus dem Raum weisen. Goldwurm betonte, dass die erschienenen Gestalten nur Gespenster gewesen seien, die, wie es schon Luther dargestellt hatte, mit Beteiligung des Teufels erschienen seien: „Darauss man sihet, was der Teufel den menschen für den augen machet, vnd was er damit furhat ausszurichten, nicht
351 Caspar Goltwurm: Wunderweck und Wunderzeichen Buch. Frankfurt a. M. 1557, fol. Y ijv –iijr.
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anders, denn die Menschen zubetrigen, vnd in verfürung vnd abgöttischen Aberglauben zu bringen,vnd allerley Teufelisch mord vnd jamer anzurichten“.352 Dieser Beitrag zur Weiterentwicklung des Exempels war bedeutend. Nicht nur, dass Goltwurm den Nekromanten und den Kaiser mit historisch allgemein bekannten Namen identifizierte: die Erzählung erhielt eine feste Struktur, die mit der traditionellen Struktur der nekromantischen Schauspiele im Einklang war. Die nachfolgenden Erzähler wiederum bauten in diese Struktur ihre eigenen Varianten mit ein. Als Aurifaber seine Version von Luthers Tischreden 1566 veröffentlichte, glaubte er, den namenlosen Nekromanten des ursprünglichen Gesprächs von 1539 als den „Zäuberer und Schwartzkünstiger, de[n] Abt von Sponheim“ zu identifizieren zu dürfen.353 Zehn Jahre später fand eine sprunghafte Entwicklung statt, die das Faustbuch anzukündigen schien. Der protestantische Pfarrer Wolfgang Bütner (1524/1525– 1596) war nach Studienaufenthalten in Eger, Magdeburg und Wittenberg in Wolfferstedt bei Weimar tätig. Seine Schwanksammlung, Epitome Historiarum, (1576) enthielt viele Exempel, die schon von Luther, Melanchthon und Manlius erzählt worden waren. Auch die bekannten Anekdoten über Trithemius und Agrippa waren vertreten.354 Bütner überraschte jedoch mit einer knappen, aber ganz neuen Nachricht zum Thema Nekromantie. So habe ich gehöret, das Faustus zu Wittenbergk, den Studenten vnd einem hohen Mann N. habe Hectorem, Ulyssem, Herculem, Aeneam, Samson, Dauid, vnd andere gezeiget, die dann mit grausamer geperde, vnd ernsthafftem angesicht herfür gangen, vnd wider verschwunden, vnd sollen (welches Luther nicht gelobt) dazumal auch Fürstliche Personen dabey gesessen, vnd zugeshen haben.355
Faustus trat als Nekromant an die Stelle des Trithemius, ein Hörsaal der Universität Wittenberg ersetzte den kaiserlichen Palast, die Studenten und einige fürstliche Personen vertraten den Kaiser als Zuschauer. Es liegt nahe, anzunehmen, dass diese unerwartete und unbegründete Modifikation der Geschichte direkt zum Faustbuch führt. Das wäre also jene Modifikation, die Goethe meinte, als er
352 Ebd. 353 Zu Luthers Text fügte er noch hinzu, dass der Abt neben den antiken Helden auch „des Kaisers Maximiliani Braut, welche der König von Frankreich Carolus Gibbosus ihm genommen hatte“, erscheinen ließ. Mit der Braut Maximilians meinte Aurifaber Anne von Bretagne (1477– 1514). Martin Luther: Tischreden, WA Nr. 4450. Vgl. Aurifaber: Tischreden, fol. 302r-v. 354 Brückner: Volkserzählung und Reformation, S.482–498. 355 Wolfgang Bütner: Epitome Historiarum Christlicher Ausgelesener Historien vnd Geschichten, Weimar 1576, S. 115.
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über die Versetzung der Faust-Legende schrieb („Die Geschichte von Faust wurde nach Wittenberg verlegt“).356 Die Tatsache, dass die Wittenberger Luther und Bütner das Benehmen der Beteiligten verurteilten, machte die Verlegung nach Wittenberg praktisch notwendig. Natürlich wurde diese Verlegung auch von Melanchthon und Manlius gründlich vorbereitet. Bütners radikale Umbesetzung der früher an Trithemius und Maximilian vergebenen Rollen die Weiterentwicklung entscheidend beeinflusste. Sie beweist, dass die Geschichte der Nekromantie besonders anfällig für radikale Änderungen zu ertragen. Diese Wende bedeutete eine Art Durchbruch in der Entwicklung, konnte aber wegen des kurzgefassten und versteckten Textes nicht verhindern, dass die Tradierung der Geschichte eine Zeitlang noch an der vorgegebenen Besetzung der Rollen festhalten würde. Die Ausführlichkeit der Nekromantie-Darstellungen von Hans Sachs und Hermann Witekind zeigt, dass die Leser an Details interessiert waren. Ein Gedicht von Sachs erzählt wiederum die Begegnung eines wiederum namenlosen Schwarzkünstlers mit Kaiser Maximilian und „Seiner Gnad Hofgesind“. Neu ist bei ihm die magische Erscheinung der Helena: Bald tratt nach dem in saal hinein Helena, die schön Königin, In einem schön güldin stück, Het um ir haupt köstlich geschmück Von gold, perlein vnd edelm gstein, Guldin ketten vnd halsband rein. Ir angesicht vnd alle glidmas So adelich gebildet was, Samb wers abgestigen von himeln, Ein gürtel von klingenden zimmeln Der hat umbfangen iren leib. In summa das aller-schönst weib [...]357
Der bescheidene Rahmen des Exempels wurde von Sachs verlassen, indem er einen Weg zu einer neuen literarischen Form der Nekromantie-Geschichte beschritt. Sein Gedicht dehnte sich auf 178 Zeilen aus. Die Handlung wurde komplizierter; sie bewegte sich auf einen Höhepunkt zu, auf eine Krise, woraus ein Ausweg gefunden werden musste. Die Vorteile dieser Neuorientierung hat auch
356 Goethes Brief des Jahres 1829. In: Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter, S. 331. 357 Hans Sachs: Historia: Ein wunderbarlich Gedicht Keyser Maximilani löblicher Gedechtnuß, von einem nigromanten. In: Robert Petsch (Hg.): Das Volksbuch von Doctor Faustus. Halle a.S. 1911, S.188–189. Das Gedicht hat Sachs 1564 verfasst, aber erst 1579 veröffentlicht. Vgl. Baron: Faustus, S. 80–81.
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das Faustbuch erkannt. Der Rückgriff auf die Antike ließ die Beschwörung der Helena ohnehin als eine logische Folge der früheren Nekromantie-Geschichten erscheinen. Der zweite Teil des Faustbuchs beginnt mit der Nekromantie, Kapitel 33, mit dem Erscheinen Alexanders, aber danach folgt in späteren Kapiteln die Beschwörung der Helena. Diese Wende zur Literatur hat die Ernsthaftigkeit der Teufels-Gefahr merklich verblassen lassen. Andere Themen kamen jedoch stattdessen zum Vorschein. Hermann Witekind lenkte die Aufmerksamkeit wieder auf eine ganz andersartige Version einer alten Nekromantiegeschichte. Es ist wichtig, die Originalität seiner Version hervorzuheben, weil hier deutlich wird, dass das Faustbuch von Witekind abhängig ist. Im achten Kapitel, “Von grossen herrlichen Zauberern vnd gaucklern“, erzählt Witekind von Trithemius und seinem nekromantischen Schauspiel für den Kaiser: [...] Diß, was ich jtzt von jm erzelen wil, hab ich zu mehrmalen von ansehenlichen glaubwirdigen leuten gehört. Keyser Maximilian der erste, der hochlöbliche, hatte zum ehegemahl Mariam Carols von Burgundien tochter, die jm hertzlich lieb war vnd er sich hefftig vmb jren todt bekümmerte. Diß wußte der Abt wol, erbeut sich, er wil sie jm wider für augen bringen, daß er sich an jrem angesichte ergetze, so es jm gefalle. Er leßt sich vberreden, williget in diesen gefehrlichen fürwitz. Gehen mit einander in ein besonder gemach, nemmen noch einen zu sich, daß jrer drey waren: vnd verbeut jnen der zauberer, daß jrer keiner bey leibe kein wort rede, so lange das gespenst werete. Maria kommt hereinn gegangen, wie der gestorbene Samuel zum Saul, spatzirt fein seuberlich für jnen vber, der lebendigen wahren Marien so einlich, daß gar kein vnderscheid war vnd nicht das geringste darann mangelte. Ja in anmerckung vnd verwunderung der gleicheit, wird der Keyser eingedenck, daß sie ein schwartz flecklein zu hinderst am halß gehabt, auff das hat er acht vnd befinds auch also, da sie zum andern mal für vber gieng. So eben weiß der teuffel, wie ein jeder geschaffen ist, vnd so ein gute gedechtnuß hat er, vnd solcher meister ist er im abcontrofeien. Da ist den Keyser ein grawen ankommen, hat dem Abt gewincket, er sol das gespenst weg thun: vnd darnach mit zittern vnd zorn zu jm gesprochen: Mönch, mache mir der poßen keine mehr: vnd hat bekannt wie schwerlich vnd kaum er sich habe enthalten, daß er jr nicht zu redete. Wann das geschehen were, so hette jn der böse geist vmbbracht. Darauff wars gespielt: aber Gott hat den frommen Gottsförchtigen Herrn gnediglich behüt vnd gewarnet, daß er hinnfort solcher schawspiele müßig gienge.358
Völlig neu ist hier, dass der Kaiser nicht antike Helden zu sehen wünscht, sondern allein seine durch einen Sturz vom Pferde verunglückte und verstorbene junge Frau. Das Bild des Kaisers wird sehr positiv gezeichnet: Er wird nicht durch eine sündhafte Neugierde motiviert, sondern durch die Liebe zu seiner verstorbenen Frau. Er erinnert sich sogar an das Flecklein am Hals seiner Frau. Aber der Kaiser
358 Witekind: Christlich Bedencken. Hg. von Frank Baron, S. 19–20.
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erkennt, dass die Gestalt nur ein Geist ist. Er selbst (nicht der Nekromant, wie bei Goltwurm) bricht das Experiment ab. Es wird angedeutet, dass der Nekromant es von Anfang an darauf abgesehen hatte, das Leben des Kaisers zu gefährden. Die Geschichte endet mit der Warnung an den Abt, solches Schauspiel nicht mehr zu inszenieren. Gott hat also „den frommen Gottsförchtigen herrn gnediglich behüt[et]“. Der Erzähler sieht den Kaiser nur positiv, während die Kritik am Abt umso eindeutiger ist. Die Nekromantie als Thema bietet dem Faustbuch ganz andere Möglichkeiten. In Kapitel 33 bringt der anonyme Autor eine radikal neue Version der Geschichte: Ein Historia von D. Fausto vnd Keyser Carolo Quinto Keyser Carolus der Fünfft dieses Namens war mit seiner Hoffhaltung gen Jnßbruck kommen dahin sich D. Faustus auch verfüget, vnnd von vielen Freyherrn vnd Adelspersonen, denen sein Kunst vnd Geschickligkeit wol bewust, sonderlich diesen so er mit Artzney vnnd Recepten von vielen namhafften Schmertzen vnd kranckheiten geholffen, gen Hof zum Essen geladen vnd beruffen, gaben jhm das Geleydt dahin, Welchen Keyser Carolus ersehen, vnnd Achtung auff jn gegeben, wer er seye? Da ward jm angezeigt, es were D. Faustus. Darauff der Keyser schwige, biß nach Essens zeit, diß war im Sommer nach Philippi vnd Jacobi. Darnach forderte der Keyser den Faustum in sein Gemach, hielt jm für, wie jhm bewust, daß er ein erfahrner der schwartzen Kunst were, vnnd einen Warsager Geist hette, were derhalben sein begeren, daß er jn ein Prob sehen lassen wolt, es solte jhm nichts widerfahren, das verhiesse er bey seiner Keyserlichen Kron. Darauff D. Faustus jrer Key. May. vnterthänigst zu willfahren sich anbotte. Nun höre mich, sagt der Keyser, daß ich auff ein zeit in meinem Läger in Gedancken gestanden, wie vor mir meine Voreltern vnd Vorfahren in so hohen Grad vnd Authoritet gestiegen gewesen, dann ich vnd meine Nachkommene noch entspringen möchten, und sonderlich daß in aller Monarchey der großmächtige Keyser Alexander Magnus, ein Lucern vnd Zierd aller Keyser, wie auß den Chronicken zu befinden, grosse Reichthumb, viel königreich vnd Herrschafften vnter sich gebracht, welches mir vnd meinen Nachkommen wider zu wegen zu bringen schwer fallen wirdt. Demnach ist mein gnediges begern, mir sein Alexander, vnd seiner Gemählin Form, Gestalt, Gang, Geberde, wie sie im Leben gewesen, fürzustellen, damit ich spüren möge, daß du ein erfahrner Meister in deiner Kunst seyest. Allergnädigster Herr, sagte Faustus, Ewr Keys. May. Begern, mit fürstellung der Person Alexandri Magni vnd seines Gemahls, in Form vnd Gestalt, wie es in ihren Lebzeiten gewesen, vnterthänigste Folg zu thun, will ich, so viel ich von meinem Geist vermag, dieselbige sichtbarlich erscheinen lassen, doch sollen Ew. May. wissen, daß jre sterbliche leiber nicht von den Todten aufferstehen, oder gegenwertigseyn können, welches dann vnmüglich ist. Aber die vhralte Geister, welche Alexandrum vnd sein Gemählin gesehen, die können solche Form vnnd Gestalt an sich nemen, vnd sich darein verwandeln, durch dieselbige wil ich jr May. Alexandrum warhafftig sehen lassen. Darauff Faustus auß deß Keysers Gemach gieng, sich mit seinem Geist zu besprechen, nach diesem gieng er wider zum Keyser hinein, zeigt jm an, wie er jm hierinnen willfahren wolte, jedoch mit dem geding, daß jr Key. May. jhn nichts fragen, noch reden wolten, welches jhm der Keyser zusagte. D. Faustus thete die Tür auff, Bald gieng Keyser Alexander hinein, in aller Form vnnd Gestalt, wie er im Leben gesehen, Nemlich, ein wolgesetzes dickes Mänlein,
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rohten oder gleichfalben vnd dicken Barts, roht Backen, vnd eines strengen Angesichts, als ob er Basiliscken Augen hett. Er trat hinein in einem gantzen vollkommen Harnisch, zum Keyser Carolo, vnd neigt sich mit einer tieffen Reuerentz. Der Keyser wolt auch vffstehn, vnd jn empfangen, aber D. Faustus wolte jm solches nit gestatten. Bald darauff, nach dem sich Alexander wider neiget, vnd zu der Tür hinauß gieng, gehet gleich sein Gemahl gegen jm herein, die thet dem Keyser auch Reuerentz, sie gieng in einem gantzen blawen Sammat, mit gülden Stücken vnd Perlen gezieret, sie war auch vberauß schön vnnd rohtbacket, wie Milch vnnd Blut, lenglicht, vnd eines runden Angesichts.Jn dem gedachte der Keyser, nun hab ich zwo Personen gesehen, die ich lang begert habe, vnd kan nicht wol fehlen, der Geist wirdt sich in solche gestalt verwandelt haben, vnd mich nit betriegen, gleich wie das Weib den Propheten Samueln erweckt hatt. Vnd damit der Keyser solchs desto gewisser erfahren möchte, gedachte er bey jm, Nun hab ich offt gehört, daß sie hinden im Nacken ein grosse Wartzen gehabt, vnd gieng hinzu zu besehen, ob solche auch an diesem Bild zu finden, vnd fandt also die Wartzen, denn sie jhm, wie ein stock still hielte, vnd hernacher widerumb verschwandt, hiemit ward dem Keyser sein Begeren erfüllt.
Das Faustbuch hat viel von Witekind übernommen, so dass eine direkte Abhängigkeit von Witekind nicht zweifelhaft ist. Der Vergleich fördert ungewöhnliche Ähnlichkeiten zutage: beide Kaiser stellen fest, dass die als Geist hervortretende Frau tatsächlich jene Frau ist, die sie zu sehen wünschten, weil sie wussten, dass sie ein Muttermal am Hals hat. Maximilian sagt über seine Frau, sie habe „ein schwartz flecklein zu hinderst am halß“; Karl V. erkennt wiederum bei der Frau Alexanders, sie habe „hinden im Nacken ein grosse Wartzen“. Dass Maximilian dies von seiner eigenen Frau behaupten konnte, ist verständlich, aber dass Karl V. dies von Alexanders Frau wusste, ist nicht leicht vorstellbar. Dieses unglaubliche Detail wird nur durch die Annahme erklärbar, dass das Faustbuch hier von Witekind als Vorlage abgeschrieben hat. Eine andere Frage ist, welche Gründe die Autoren dazu bewegten, die Rollen des alten Nekromantenschauspiels neu zu besetzen. Der Standpunkt Witekinds wird verständlich, wenn man den Grundton seines Werkes berücksichtigt, nämlich dass die großen gelehrten Schwarzkünstler verdienen gestraft zu werden, anders als die als Hexen verfolgten, unwissenden Frauen. Weil die gelehrten Zauberer die Gefahr genau kennen, sind sie als besonders schuldig zu betrachten. Folglich erkennt bei Witekind der weise Maximilian den Abt als einen gefährlichen Sünder, der nicht gefördert werden darf. Diese Lehre unterstützt Witekinds Kampf gegen die Verfolgung der zu Unrecht angeklagten Hexen. Im Faustbuch übernimmt Faustus, wie schon bei Bütner, die Rolle des Nekromanten. Diese Rolle bringt eine ganze Reihe von weiteren Innovationen mit sich. Zunächst findet eine radikale Verlängerung des Textes statt, der nun—im Vergleich zu Witekind—mehr als doppelt so lang ist. Indem das Faustbuch der Geschichte Alexanders und seiner Frau noch neue Helena-Kapitel hinzufügte, erhielt diese Kombination von Nekromantie-Erzählungen im Faustbuch eine
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sehr neue Funktion.359 Der Erfolg des Faustus bei Kaiser Karl V. bedeutet einen Höhepunkt seiner Karriere als Schwarzkünstler. Hervorgehoben werden seine Beziehungen zu „vielen Freyherren vnd Adelspersonen“ sowie seine Leistungen als Astrolog und Arzt. Nach diesen glücklichen Erfahrungen am kaiserlichen Hof (das Kapitel 34, in dem Faustus einem Ritter ein Hirschgeweih auf den Kopf zaubert, gehört auch dazu), folgten dann die Schwänke, in denen auch der Bezug auf die schon bekannten Exempel Luthers und anderer sichtbar wird. Der vergebliche Versuch, Faustus von seinem teuflischen Leben zu bekehren, findet hier statt. Das Abgleiten in ein „Hurenleben“ mit Helena schließt diesen Teil des Faustbuchs. Man sieht Faustus hier also auf einem Höhepunkt, aber dann auch auf dem Weg zu seiner totalen Verdorbenheit und Vernichtung. Damit wird ein wesentlicher Aspekt der literarischen Struktur dieses Werkes angelegt. Die Nekromantie hat aber für das Faustbuch noch eine andere Funktion. Der Autor ist mit der positiven Schilderung des deutschen Kaisers nicht zufrieden. Für ihn steht im Vordergrund, dass dieser Kaiser, der Maximilian als Herrscher folgte, im Schmalkaldischen Krieg einen militärischen Feldzug gegen den Protestantismus führte. Der Faustbuch-autor sieht hier eine Gelegenheit, ihn als neugierigen und machtbesessenen Führer zu entlarven. Deshalb tritt der Kaiser nun als der energische Förderer der Nekromantie auf, die Luther, wie Bütner betonte, nicht gebilligt hätte.360 Die Geschichte verbildlicht, welche Gründe den Schwarzkünstler zu einem Teufelspakt bewegen konnten, nämlich Neugierde, Macht und Liebe. Die Hoffnungen und Versprechungen des Teufelspakts erweisen sich aber bald als illusorisch. Die Faustfabel hatte mit Nekromantie einen wichtigen Bestandteil gewonnen. Goethe entdeckte ihn über die Vermittlung des Puppenspiels. Indem Goethe in der Helena-Episode Faust die Rolle des Nekromanten gab, kann man in den an Mephisto gerichteten Worten ein Echo der vergessenen Trithemius-Legende erkennen. Der Kaiser, will, es muss gleich geschehen, Will Helena und Paris vor sich sehn; Das Musterbild Männer so der Frauen In deutlichen Gestalten will er schauen.
359 Nach dem Kapitel 33, „Ein Historia von D. Fausto vnd Keyser Carolo Quinto“, folgen die zwei Fortsetzungen über Helena: Kapitel 49 („Am weissen Sonntag von der bezauberten Helena“), und Kapitel 59 („Von der Helena auß Griechenland, so dem Fausto Beywohnung gethan in seinem letzten Jahre“). 360 James Landes: „Witekinds Schwarzkünstler (Trithemius und Agrippa) im Faustbuch“. In: Witekind: Christlich Bedencken. Hg. von Frank Baron, S. 171.
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Geshwind ans Werk! Ich darf mein Wort nicht brechen. (Faust, Z. 6183–6187)
Für Witekind wie für Goethe illustrierte das nekromantische Schauspiel die Neugierde des Kaisers. Trithemius und Faust sind als Diener und Vermittler weniger aktiv als sonst. Anders im Faustbuch. Der anonyme Autor benutzt die Gelegenheit, Faustus auf der Höhe seines vorübergehenden Ruhmes zu zeigen. Er stellt dieses Kapitel an den Anfang des dritten Teiles, wo es um die Abenteuer des Faustus geht. Es darf aber nicht übersehen werden, dass mit diesen Änderungen an der Vorlage das Faustbuch, durch die Darstellung eines neugierigen Kaisers, der früher gegen das Luthertum einen Krieg geführt hatte, Karl V. ungünstig und satirisch zeichnet.
C. Faustus in den Schwänken Nachden Martin Luther im Juli 1537 am Tisch das Thema Faustuserwähnt hatte, entwickelte er anschließend seine Überlegungen zu den Gefahren des Teufelwerks. Ohne dass Faustus explizit erwähnt wurde, kam die Rede auf Zaubereien. In der Zusammenfassung von Aurifaber heißt es: Zu N. War einer, mit Namen Wildferer, der fraß einen Bawr mit Pferd vnd Wagen. Welcher Bawr darnach vber etliche Stunden, vber etliche Feld wegs in einer Pfützen mit Pferd und Wagen lag. Also dinget ein Mönch mit einem Bauer, der ein Fuder Hew auffm Marckte feil hatte, „was er nehmen wollte, und ihn Hew lassen fressen?“ Da sprach der Bawr: „Er wollte einen Creutzer nemen“. Der Mönch fieng an vnd hatte schier das Hew gar auffressen, daß jn der Bawr muste abtreiben. Dergleichen lies ihm ein Schüldner ein Bein von einem Juden ausreissen, das der Jude davon lieff, vnd er jn nicht bezahlen durfte etc. So gewaltig ist der Teufel, die Leute an den eusserlichen Sinnen zu bethören; Was sollt er denn nicht an der Seelen thun?361
361 Bei Aurifaber befinden sich diese drei Exempel unter dem Titel „Von Kaucklern“, Aurifaber: Tischreden, fol. 307r. Der Text bei Luther heißt: „Ita in Nordhausen erat quidam nomine Wildfewer, der fras eynen pauer mit pferde vnd wagen, welcher pawer darnach vber etliche stunden vber etliche feltweges in eyner pfutzen mit pferde vnd wagen lagk. Ita quidam monachus dinget eynen pauer, waß er nemen wolte vnd in lossen sat heu von eynem fuder essen: rusticus postulavit eynen kreutzer, monachus devoravit plus quam dimidium plaustrum foeni, ita ut a rustico vi abactus sit. Also lis in eyn schuldener eynen Juden eyn beyn ausreissen, ut fugeret Iudaeus. Videte, tanta est potentiaa Sathanae in deludendis sensibus externis; quid faciet in animabus?“ Martin Luther: Tischreden, WA Nr. 3601.
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Drei Exempel des Tischgesprächs werden kompakt und sparsam erzählt. Obwohl der kurze Text nach einer Erwähnung von Faustus folgt, werden hier völlig unabhängige zauberische Handlungen vorgestellt, die nur durch eine gemeinsame didaktische Lehre zusammengehalten werden. Luther warnt: Dies sind alle Beispiele der Gefahr, die der Teufel darstellt. Der Teufel kann durch Zauberei die Sinne verwirren und dann auch die Seele gefährden. Auf Umwegen kommen alle drei Geschichten ins Faustbuch. Sie werden erzählt in Kapitel 36 (D. Faustus frist einem Bawern ein fuder häw, sampt dem Wagen vnd Pferden), Kapitel 38 (Wie D. Faustus Gelt von einem Jüden entlehnet, vnd demselbigen seinen Fuß zu Pfand geben, den er jhm selbsten, in deß Juden beyseyn, abgesäget), und Kapitel 40 (D. Faustus frist ein Fuder Häuw). Bis diese viel ausführlicheren Texte entstanden, wanderten die Geschichten zunächst von einer Exempelsammlung zur anderen. Bei Manlius hat man nur den namenlosen Zauberer, der in Wien einen anderen Zauberer frisst, aber dann später anderswo gefunden wurde Hondorff folgte dem Text Aurifabers in seinem Promptuarium Exemplorum von 1568 ziemlich genau, als er dieselben Geschichten erzählte.362 Ebenso ist dies in Bütners Epitome Historiarum der Fall.363 Noch ist also Faustus in keiner Weise mit ihnen verbunden. Erst in der Nürnberger Handschrift des Christoph Rosshirt sind zwei dieser Exempel mit dem Namen Faustus in Verbindung gebracht worden. Man sieht daran, dass es notwendig schien, einiges hinzufügen, damit der Leser am Schwank Spaß hat. Der Schwank soll unterhaltend sein. Rosshirt erzählte also, dass Faustus für den Kauf von zwei Pferden und feine Kleider einem Juden Geld schuldet. Der Jude soll sein Geld im Gasthaus abholen, aber er findet Faustus im Bett, schlafend. Er versucht, ihn zu wecken. Umsonst. Er zieht sein Bein und reißt ihm sein Bein aus. Faustus schreit, und der erschrockene Jude muss fliehen. Die Verblendung befreit Faustus von seinen Schulden. Eine zweite Erzählung Rosshirts zeigt Faustus in einem Dorfwirtshaus, wo die Bauern Faustus stören, indem sie zu laut feiern. Da sie nicht auf ihn hören, straft sie Faustus, indem er die Mäuler der Bauer sperrt, so dass sie keinen Laut hervorbringen. Faustus kann fröhlich sein und sein Essen fortsetzen. Rosshirt erzählt dies, ohne sich genötigt zu fühlen, eine Moral hinzufügen. Erst am Ende der Geschichte erfährt der Leser, dass Faustus am Morgen „todt und greulich“ in seinem Bett gefunden wird: „[...] hat nach dem er verdint sein Lohn entpfangen;
362 Andreas Hondorff: Promptuarium Exemplorum. Leipzig 1568, fol. 83v–84r. In der Ausgabe von 1580, S. 72. Vgl. Brückner: Volkserzählung und Reformation, S. 431, 464, 488, 501, 363 Epitome Historiarum, fol. 59r.
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dan bös Arbeit gibt auch bösen Lohn“. Diese Nürnberger Handschrift, 1575 fertiggestellt, wurde aber nicht in Druckform verbreitet.364 Erst mit der gedruckten Ausgabe von Witekinds Christlich Bedencken (1585) kann man die entscheidende Wandlung der Schwänke erkennen. Dort wurde endlich auch im Druck der Name Faustus in einer der Erzählungen mit dem menschenfressenden Zauberer fest identifiziert. Dort heißt es: Vnschedlich, doch sündlich, war der posse den Joh. Faust von Knütlingen machete zu M. Im wirtzhauß, da er mit etlichen saß vnf sauff, einer dem andern halb vnd gar auß zu, wie der Sachsen vnd auch anderer Deutschen gewohnheit ist. Da jm nun des wirtz jung seine kante oder becher zuvol schenckete, schalt er jn, drawetet jm, er wolle jm freßen, wo ers mehr thete. Der spottete seiner, ja wol freßen: schenckete jm abermal zu voll. Da sperret Faust sein maul auff, frißt jn.365
Hier erhält endlich Faust[us] die Ehre, das Gaukelwerk des namenlosen Zauberers zu übersehen. Der sich anschließende Text über den Heu, Wagen und Pferd fressenden Mönch verrät, dass die Übernahme dieser Rolle nicht zufällig ist, sondern letzten Endes auf Luther als Quelle zurückgeht. Witekind betont in diesem Zusammenhang, wie Luther, dass das Gaukelwerk Satans eine Gefahr sei, weil es die Menschen „bethören vnd betriegen kan“. Die Mutation der Geschichte von Luther zum Faustbuch wurde mit Witekind in eine neue Richtung geleitet. Indem der Faustbuch-Autor diese Verbindung zu seinem eigenen Helden wahrnahm, waren die Bedingungen für den Ausbau der Exempel in eigene, erweiterte Schwank-Kapitel gegeben. Die Schwankkapitel des Faustbuchs finden in der Forschungsliteratur meist wenig Beachtung. Genau so verhält es sich bei der Zimmerischen Chronik. Die Chronik soll nach Wilfred Deufert Beleg dafür sein, dass man im 16. Jahrhundert „von einer Verschwankung des Lebens sprechen kann“:
Die Zimmerische Chronik kann als Modell dienen, um an ihr die Rolle des Schwanks und des Schwankhaften in der gesellschaftlichen Wirklichkeit des 16. Jahrhunderts zu demonstrieren. Der formalen Integration des Schwankhaften in die Zimmerische Chronik entspricht die Integration des Schwankhaften in das Leben ihrer Menschen. Der Schwank hat nicht nur als Untehaltungslektüre oder als lebendiger Erzählstoff gesellschaftliche Funktion, er durchdringt alle Bereiche des Lebens und kennt dabei kein Tabu. Der Schwank werde nicht nur erzählt und gelesen, sondern er wird. gelebt, Welt und Narrenwelt sind gleichsam deckungsgleich.366
364 Meyer: Nürnberger Faustgeschichten, S. 384–402. 365 Witekind: Christlich Bedencken. Hg. von Frank Baron, S. 17. 366 Wilfried Deufert: Narr, Moral und Gesellschaft. Frankfurt a. M. 1947, S. 82. Vgl. Wolf: Von der Chronik zum Weltbuch, S. 147
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Ob die Integration der Schwänke in das Faustbuch tatsächlich gelungen ist, ist eine Frage, die das Problem der fehlenden Einheit im Faustbuch in den Vordergrund stellt.367 Es fällt auf, dass die Schwänke, wie auch die Texte, die Auskünfte über Faustus‘ Reisen erteilen, unter anderen Voraussetzungen entstanden sind als Anfang und Ende des Werkes, worin der Stil und Ton eines warnenden „Predigers“ vorherrscht.
D. Bekehrungsversuche und der zweite Pakt In der Vita von Johannes Manlius wird erzählt, dass Faustus sich in Wittenberg aufgehalten hatte, Manlius weiß aber nichts davon, dass Philipp Melanchthon ihn bekehren wollte. Dieses wichtige Detail konnte aber Witekind erzählen. Das Kapitel „Wie man sich für bezauberung bewaren vnd sie vertreiben sol“ enthält Witekinds Beschreibung einer Begegnung zwischen Faust[us] und Melanchthon. Der vnzüchtige teufflische bube Faust, hielt sich ein weil zu Witebergk, kamb etwan zum Herrn Philippo, der laß jm dann einen guten text, schalt vnd vermanet jn daß er von dem ding beyzeit abstunde, es würde sonst ein böse end nemmen, wie es auch geschahe. Er aber kerete sich nicht daran. Nun wars ein mal vmb zehen vhr, daß der Herr Philippus auß seinem studorio herunder gieng zu tisch: war Faust bey jm, den er da hefftig gescholten hatte. Der spricht wider zu jm, Herr Philippe, jr fahret mich allemal mit rauchen worten an. Jch wils ein mal machen, wann jr zu tische gehet, daß all häffen in der küchen zum schornstein hinauß fliegen, daß ir mit ewern gesten nicht zu eßen werdet haben. Darauf antworte jm Herr Philippus: Das soltu wol laßen, ich sch[e]iße dir in deine kunst. Vnd er ließ es auch.368
Melanchthons Versuch, Faust[us] zu bekehren, scheitert. Als Melanchthons Schüler war es für Witekind aber nahe liegend, dessen Verfahrensweise richtig zu finden, den Teufel mit seinen Zaubereien nicht ernst zu nehmen, sondern zu verspotten. Der zweite Teil dieser Anekdote erzählt wiederum von Faustus, aber er steht diesmal im Hintergrund und schickt den Teufel zu jenem Herrn, der ihn zu bekehren suchte. Das Verspotten erweist sich als adäquate Art und Weise, um mit dem Versucher fertig zu werden. Ein ander alter Gottesförchtiger mann vermanete jn auch, er solte sich bekeren. Dem schickte er zur dancksagung einen teuffel in sein schlaffkammer, da er zu bett gieng, daß er
367 Vgl. das Kapitel „Zauberei und Schwankhaftigkeit“ in Münkler: Narrative Ambiguität, S. 114–119. 368 Witekind: Christlich Bedencken. Hg. von Frank Baron, S. 37–38.
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jn schreckete. Gehet vmbher in der kammer, kröchet wie ein saw. Der mann war wol gerüst im glauben, spottete sein. Ey wie ein feine stimm vnd gesang ist das eines Engels, der im Himel nicht bleiben konnte, gehet jetzt in der leut heuser verwandelt in ein sew, etc. Damit ziehet der geist wider heimb zum Faust, klaget jm wie er da empfangen vnd abgewiesen sey: wolte da nicht seyn, da man jm seinen abfall vnd vnheil verweiß vnd sein darüber spottete.369
Diese Wittenberger Geschichten werfen mehrere Fragen auf. Wie konnte Witekind zum Beispiel behaupten, dass Melanchthon und Faust[us] sich begegnet seien, wenn dafür überhaupt keine Quellen vorhanden sind? Melanchthon erzählte ja in seinen Vorträgen über Faustus, aber nichts in seinen Anekdoten verrät, dass er ihm je begegnet wäre. Manlius hatte behauptet, dass Melanchthon und Faustus aus benachbarten Orten stammten. Vielleicht hat Witekind daraus geschlossen, dass es eine persönliche Bekanntschaft gegeben haben musste. Da er Faustus in seinen Anekdoten konsequent bekämpfte, fand es Witekind plausibler, Melanchthon die Rolle des Bekehrers zuzuschreiben. Die Geschichte, in der der alte „gottesförchtige“ Mann den Teufel verspottete, war nicht Witekinds Erfindung, sondern stammte aus einer Tischrede Luthers. Witekind veränderte diese Geschichte so, dass Faust[us], der in der Tischrede gar nicht genannt war, nun für die Anregung verantwortlich war, den alten Herrn, der ihn hatte bekehren wollen, zu ärgern. Diese extrem freizügige Behandlung der Tischrede lässt vermuten, dass Witekind den Text über den Bekehrungsversuch in ähnlicher Weise manipulierte, um Melanchthon als den bestmöglichen Geistlichen für eine Bekehrung darzustellen. Es ist lehrreich zu sehen, wie sich das Faustbuch Witekinds Texte stark verändert aneignete. So bildeten offenbar Witekinds Texte die Grundlage für die Kapitel 52 und 53. Der anonyme Autor fand es aber notwendig, den missglückten Bekehrungsversuch so zu ändern, dass der Name Melanchthon getilgt und seine Rolle einem Nachbarn übertragen wird. Melanchthon passte ihm nicht, denn der Verlag Spies stand Melanchthon feindlich gegenüber.370 Das Faustbuch geht aber noch einen Schritt weiter. Während Witekind von zwei Bekehrern erzählte, machte das Faustbuch aus zwei nur einen. Die gleich zweimal missglückte Bekehrung schien dem Autor des Faustbuchs nicht überzeugend und nicht ausreichend. An einer ganz anderen Stelle in Witekinds Werk
369 Witekind: Christlich Bedencken. Hg. von Frank Baron, S. 38. Vgl. Aurifaber: Tischreden, fol. 285v. Auch diese Anekdote wird im Faustbuch verwendet, zwar geändert, so dass „der Gottesförchtige Mann“ die Rolle des verschwundenen Melanchthons übernimmt. 370 Vgl. Michael Grünbaum: Melanchthons Verschwinden im Faustbuch. In: Witekind: Christlich Bedencken. Hg. von Frank Baron, S. 191–199. Vgl. Baron, Faustus on Trial, S. 141–144.
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sah er, dass Faustus anscheinend doch bereit war, die Notwendigkeit der Bekehrung ernst zu nehmen und die Verbindung mit dem Teufel aufzugeben. Danach wurde er von diesem gezwungen, einen zweiten Pakt zu unterschreiben. Logisch erschien Faustus‘ Absicht, ein neues Leben zu beginnen. Damit musste Witekinds Beschreibung des zweiten Pakts irgendwie revidiert und neu organisiert werden. Das war gar nicht so einfach, denn die Erwähnung des zweiten Pakts war bei Witekind in einem ganz anderen Zusammenhang situiert; am Ende seines Buches erläutert Witekind, wie schwierig es für die Angeklagten sei, sich gegen die Drohungen des Teufels im Gefängnis zu wehren. Denn wann sich die armen blöden weiber ein mal mit dem teuffel haben eingelaßen, förchten sie sich wider von jm abzufallen: damit er sie nicht schrecke, jnen vngemach, schaden vnd leid an thu. Der vielgemeldte Faust hat jm ein mal fürgenommen sich zu bekeren, da hat jm der teuffel so hart gedrawet, so bang gemacht, so erschreckt, daß er sich jm auch auffs new hat verschrieben. Darumb muß man jnen [den angeklagten Frauen] einen mut machen, sie mit dem Glauben vnd Gebet wol rüsten, daß sie nur getrost vnd vnerschrocken sein, er werde jnen nichts thun können, werde jrer mit der zeit müßig gehen vnd sie zu frieden lassen.371
Faust[us] ist hier nur eine Exempelfigur für die ungeheure Bedrängnis der Frauen, die im Gefängnis mit dem Teufel zu kämpfen haben. Bevor wir die Bedeutung dieser kurzen Passage für Faust[us] und das Faustbuch erörtern, lohnt es sich zu fragen, warum Witekind die ernsthafte Bedrohung für die Angeklagten besonders betont. Der Hinweis auf einen zweiten Pakt hilft weiter und für solch einen Pakt gibt Ludwig Milich in seinem Zauber Teuffel (1563) einen Beleg. Er schreibt, dass der Teufel „bey dem ersten pact alleyn liess bleiben, köndten die hexen wider abfallen“.372 Sowohl Witekind als auch Milich sprechen vom Teufel als von einem Wesen, das im Gefängnis mit dem Gefangenen zusammen gegenwärtig ist. Nach Milich bedrohte der Teufel die Hexen, damit sie ihm treu blieben. Zwischen den Zeilen kann man lesen, dass die Angeklagten versucht hätten, die unter Folter ausgesagte Unwahrheit zurückzunehmen. Das würde bedeuten, dass der Henker oder der Gerichtbeamte den Teufel im Verdacht hatten, die Aussage unter Folter zu verhindern. Diese Erklärung wäre dann auch der Hintergrund für den zweiten Pakt bei Witekind:
371 Witekind: Christlich Bedencken. Hg. von Frank Baron, S. 55. 372 Milich: Der Zauber Teuffel, S.163. Milich vertrat die Ansicht, dass die Folter notwendig sei, um die Wahrheit über die Zauberei zu erfahren. Johannes Janssen: Geschichte des deutschen Volkes seit dem Ausgang des Mittelalters. Bd. 8, Kulturzustände des deutschen Volkes. Freiburg i. Br. 1924, S. 635–636.
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Jm gefengnuß ist jr buler [der Teufel] zu jr [Catharina] kommen / hat sie vermanet sie sol wider leugnen was sie verjehen hette / sol jr lieber ein ader laßen auff der großen zehe / dann daß sie auff solche bekanntnuße beharre. Wo nicht / so wol er jr den hals vmbdrejen.373
Witekind meint offenbar, dass diese Aussage besonders wichtig ist, denn er wiederholt sie einige Seiten später. Der Teufel habe die Angeklagte „im gefengnuß gerhaten vnd gedrawet / sie sol wideruffen oder jr ein ader auff der zehe laßen / sonst wolte er sie erwürgen [...]“.374 Der zweite Pakt wäre also als eine Erklärung zu verstehen, die dem Gericht und der Angeklagten hilft, eine Krise zu überwinden. Die Warnung vor dem Pakt soll verhindern, dass die Angeklagte (nach einer Pause in der Untersuchung) ihr unter Folter gemachtes Bekenntnis widerrufen würde. Das sieht man an einem Fragenschema für die Prozesse im 17. Jahrhundert, das Rat für solche Fälle gab. Das Dilemma der Bekehrung: nur ein Geständnis der Hexentaten ist als Resultat erlaubt, aber wenn die angebliche Hexe die Wahrheit sagen will, ist der Teufel sofort da, um dies zu verhindern. Seine angeblichen Drohungen zielen auf einen zweiten Pakt. Ob Witekind fest an die Wirklichkeit jenes drohenden Teufels glaubt, bleibt dahingestellt. Jedenfalls deutet das Fragenschema an, dass es sich um ein sich ständig wiederholendes Ritual handelt.375 Wenn die Folterinstrumente die gewünschten Antworten erzeugen, ist die „Krise“ für den Folterer und seine Vorgesetzten überwunden. Der verzweifelte Versuch der Angeklagten, die Wahrheit zu sagen, verstummt. Das revidierte Bekenntnis berichtet nur über einen erneuten „Vertrag“. Es drängt sich für Witekind die Frage auf, ob die Angeklagte [...] sich ihres zuvor getanen Bekenntnisses erinnere, was die Ursache sei, daß sie davon wieder abspringe, wann ihr solch vergebne Ausflucht zugefallen, wer ihr Anweisung und Rat darzu gegeben, ob nicht der böse Geist ihr solches eingeben, wan er bei ihr gewesen, was er mit ihr geredet und getan.376
Die Krise des Widerrufs konnte das Gericht zu solchen Fragen verleiten und als Folge die Annahme des mythischen zweiten Pakts entstehen lassen. Das ist genau die Lage der Angeklagten, wie sie Friedrich Spee beschrieben hat.
373 Witekind: Christlich Bedencken. Hg. von Frank Baron, S. 52 374 Ebd., S. 58. 375 Vgl. das VI. Kapitel „Konvergenz: Faustus-Vita und Teufelspakt“ weiter oben. 376 Ebd., S. xxi.
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Wenn nämlich [die Gefangene; F.B.] widerruft, was sie in der Tortur gestanden hat, so erklären sie [die Richter; F. B.] doch (wie wir sahen), auch wenn der Beichtiger sagt, sie bereue wirklich, er habe sich täuschen lassen; der Teufel sei ein ganz verschlagener Tausendkünstler [...] Die Prozesse jener Richter sind gegründet auf die Autorität, die Glaubwürdigkeit des Teufels [...].377
Das durch Drohung mit der Folter erzwungene Geständnis des zweiten Pakts war für das Gericht der praktische Weg, einen Widerruf zu verhindern. Es gibt natürlich keinen Anlass, sich Faust[us] als Gefangenen in einer solchen Bedrängnis vorzustellen. Es ging Witekind nur um einen Vergleich zwischen dem stärkeren Mann und der schwachen Frau. Witekind sah Faust[us] in einer Lage, die einem Prozess vergleichbar war und nutzte ihn als Exempel, um die Krise der angeklagten Frauen zu veranschaulichen. Der Faustbuch-Autor wiederum machte Gebrauch von dem knappen Hinweis auf Faustus, der einen zweiten Pakt unterschrieb, weil der Teufel ihn bedrohte („jhme den Kopff herumb drehen wolte“). Er riss die kurzen Sätze, in denen Witekind die bedrohliche und verzweifelte Lage der Frauen zu zeichnen versuchte, aber völlig aus dem Zusammenhang. Die Bedrohung und der zweite Pakt wurden in Kapitel 52 eingearbeitet und folgten da einer geglückten Bekehrung. Kapitel 53 wurde der zweiten Verschreibung gewidmet, in der die frühere Bekehrung rückgängig gemacht wurde. Für das Faustbuch benötigte man also die Beseitigung Melanchthons und die Einsetzung eines einzelnen erfolgreichen Geistlichen, der Faustus‘ Bekehrung eindrucksvoll durchführen konnte. Diese Aufgabe wurde dem alten „gottesförchtige[n]“ Nachbar übertragen. Die zwei getrennten Teile des Exemplums, das Witekind der Verspottung des Teufels gewidmet hatte, wurden vereinheitlicht, indem der namenlose, alte „gottesförchtige“ Mann gleich zwei Rollen spielen durfte: einerseits bekehrte er mit einer eindrucksvollen Predigt den Faustus andererseits zwang er den Teufel anschließend mit Spott zu einer beschämenden Niederlage. Das Faustbuch ordnete die zerstreuten Einzelheiten, die den Argumenten Witekinds gegen Hexenverfolgung dienten, neu. Sie dienten zu einer chronologischen Darstellung eines Lebenslaufs, wo noch Witekind seinen Text je nach Relevanz eine Polemik gegen die gelehrten Magier ordnete. Die scharfe Kritik an Faustus, die bei Witekind eine untergeordnete Rolle spielt, wurde für den anonymen Autor das eigentliche Ziel seines Buches.
377 Spee: Cautio criminalis, S. 235–236.
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E. Geständnis und Tod Wann der historische Faustus gestorben ist, ist unbekannt. Wahrscheinlich ist ein Todesdatum in den Jahren zwischen 1536 und 1539. Ein Indiz dafür wäre, dass Begardi seinen Bericht über ihn so schreibt, als ob er nicht mehr am Leben sei. Die Zeugnisse des 16. Jahrhunderts sind sich jedoch hinsichtlich der Umstände seines Todes einig: Der Teufel soll ihn unbarmherzig und mit Gewalt geholt haben. Die früheste Erzählung über den Tod des Faustus findet sich bei Johannes Gast, einem protestantischen Pfarrer in Basel. Seiner Darstellung des gewalttätigen Todes folgten die späteren Berichte: Gast (1548): „Der Elende endete auf schreckliche Weise, denn de Teufel erwürgte ihn; seine Leiche lag auf der Bahre immer auf dem Gesicht, obgleich man sie fünfmal umdrehte“.378 Manlius (1562): „[...] da ist er neben dem bette todt gelegen, vnd hatte jm der teuffel dz angesicht auff den rücken gedrehet“.379 Zimmerische Chronik (ca. 1565): „[...] ellengclichen gestorben [...] letzlich in der herrschaft Staufen im preisgew in großem alter vom bösen gaist umgebracht worden“.380 Christoph Rosshirt (ca. 1575): Der Wirt „[...] dass im der Hals war ummgedreiet vnd der Kopff vom Bette hieng“.381 Hermann Witekind (1585): Der Teufel habe ihn „[...] grewlich getötet [...], als er jm vier vnd zwanzig jar gedient hatte“.382
Faustbuch (1587): In der Vorrede steht, der Teuffel habe „jm den Halß erschrecklicher weiß vmbgedrehet“. Zum Schluß aber heißt es: Die Studenten „[...] sahen aber keinen Faustum mehr, vnd nichts, dann die Stuben voller Bluts gesprützet. Das Hirn klebte an der Wandt, weil jn der Teuffel von einer Wandt zur andern geschlagen hatte. Es lagen auch seine Augen etliche Zäen allda, ein greulich vnd erschrecklich Spectacel“.383
378 Gast: Sermones conviviales, II, S. 281. 379 Manlius: Locorum communium collectanea, deutsche Ausgabe, S. 88–90. 380 Zimmerische Chronik, Bd. 3, S. 529–530. 381 Meyer: Nürnberger Faustgeschichten, S. 404. 382 Witekind: Christlich Bedencken. Hg. von Frank Baron, S. 45. 383 Füssel u. Kreutzer, Historia, S. 11 u. 122, Müller: Romane, S. 839 u. 978.
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Im Hinblick auf eine solche Einstimmigkeit über den Tod des Schwarzkünstlers ist zu überlegen, wie sie entstanden ist. Eine Erklärung für die Gewalttätigkeit des Teufels gegen angebliche Zauberer hat Friedrich Spee in seiner Cautio criminalis von 1632 geboten. Eine Ursache glaubte Spee in der Anwendung der Folter zu erkennen. Zur Unterstützung seiner These zitierte Spee die Aussagen eines ihm bekannten Amtmanns: Seltsam! Wie viele sind nun schon im ganzen deutschen Reich in den Kerkern verstorben, und doch nicht einer an der Tortur oder dem Elend des Gefängnisses. Denn wer hat je so etwas gehört? Alle hat der Teufel geholt, er hat allen das Genick gebrochen. Und wie beweist man es? Wer war dabei? Wer hat es gesehen? Der Henker sagt es. Freilich, derjenige, der sich nicht nachsagen lassen will, er habe die Folter über Maß angewendet, ein ehrloser und in den meisten Fällen schlechter Mensch, der allein Zeuge sein kann, weil er allein mit dem Leichnam zu schaffen hat und ihn untersucht. Auf dieses einen Menschen Aussage fußt der ganze Glaube.384
Was Spee im 17. Jahrhundert über die Erzeugung eines allgemein verbreiteten Mythos behauptete, war im 16. Jahrhundert mit solcher Genauigkeit noch nicht denkbar. Weder Weyer noch Witekind demonstrierten in ihren Schriften über die Folter die notwendige Klarheit. Diese beiden Gegner der Verfolgung und der Folter mussten sich damit abfinden, dass das anzusprechende Publikum einen gegenwärtigen Teufel unbedingt voraussetzte. Im zweiten Teil seines Werkes kommt Witekind nah daran, die Vorgänge mit den angeklagten Hexen im Kerker ähnlich wie Spee zu beschreiben. Indem er die Funktion des Teufels und des Henkers so beschrieb, als ob sie praktisch die gleiche Funktion ausübten, musste vielen klar werden, dass der drohende Teufel eigentlich der folternde Henker gewesen war. Witekind behauptete, dass die Angeklagten wehrlos in die Gefängnisse geworfen wurden, wo „der böse geist lieber vnd mechtiger ist dann anderswo, machet sie jm da mit schrecken mehr vnderthenig vnd zu eigen [...] nach dem teuffel kommt der hencker mit seinem grewlichen folterzeuge“. Diese Zusammenarbeit führe dazu, dass die Angeklagten bekennen mussten, was man sich über die Hexen vorstellte. Mit seiner Analyse der Krise in solchen Fällen näherte sich Witekind den Einsichten Spees, dass in den Kerkern die mythischen Vorstellungen über den Teufel erst entstanden und dann von den Gerichten gefördert wurden. Da die Folter ständig neue Verdächtigungen und Hinrichtungen produzierte, klagte Witekind: „[...] je mehr jr vmbringt, so mehr jrer werden“.385
384 Spee: Cautio Criminalis, S. 208–209. 385 Witekind: Christlich Bedencken. Hg. von Frank Baron, S. 38 u. 47.
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Ein Blick zurück bei der Frage nach dem Ursprung dieser Gewalttätigkeit gegen Faustus deutet darauf hin, dass das mythische Bild in den vierziger Jahren des 16. Jahrhunderts in Wittenberg energisch gefördert wurde. Darauf weist auch die Tatsache hin, dass praktisch alle genannten Berichte über Faustus‘ Tod (Gast, Manlius, Zimmerische Chronik, Rosshirt und Witekind) von Wittenberger Quellen abhängig waren. In mehreren Tischreden betonte Luther die Gewalttätigkeit des Teufels. Typisch war die folgende Aussage: „Zeuberey ist des Teufels selbs eigen Werck, damit er den Leuten, (wenns jm Gott verhenget) nicht allein schaden thut, Sondern sie offtmals auch gantz vnd gar dadurch erwürget vnd vmbbringt“.386 Eine andere Stelle in den Tischreden zeigt, dass die Zauberei kein abstrakter Begriff war, sondern als eine große Gefahr gefürchtet wurde: Wiewol alle Sünde sind ein Abfall von Gottes wercken, damit Gott grewlich erzörnet vnd beleidiget wird. Doch mag Zeuberey, von wegen jres Grewels, recht genant werden, crimen laesae Maiestatis diunae, ein Rebellion, vnd ein solch Laster, damit man sich furnemlich an der Göttlichen Maiestet zum höchsten vergreifft. Denn wie die Juristen fein künstlich disputiren vnd reden, von mancherley art Rebellion, vnd Mishandlung wider die hohe maiestet, vnd vnter anderen zelen sie auch diese, wenn einer seinem Herrn feldflüchtig, trewlos wird, vnd begibt sich zu den Feidnen, vnd denselbigen allen erkennen sie zu die peinliche Straff an Leib vnd Leben. Also auch, weil Zeuberey ein schendlicher grewlicher abfall ist, da einer sich von Gott, dem er gelobt, vnd geschworn ist, zum Teufel, der Gottes Feind ist, begibt. So wird sie billich an Leib vnd Leben gestrafft.387
Die Frage des Hexenwesens in Wittenberg schien im Jahre 1540 besonders akut gewesen zu sein. Man glaubte damals in Wittenberg, wie auch anderswo, fest daran, dass die Folter die Wahrheit zutage förderte. Wie sich aber Luther die Vorgänge mit dem Teufel im Gefängnis vorstellte, ist noch zu überlegen. Gegenüber Anton Lauterbach (1542) und Friedrich Myconius (1544) bestand Luther darauf, dass deren Berichte über Selbstmord in den Gefängnissen nicht stimmen konnten. Weil die Indizien für Selbstmord ihn nicht überzeugten, meinte Luther, dass die Ursache dieser Tode eigentlich der Teufel gewesen sei. Luther erklärte Myconius, dass er von mehreren solchen Tötungen wisse: Denn da feststeht und gewissen Anzeichen dafür vorhanden sind, dass es [gemeint wird der Tod der Gefangenen] auf natürliche Weise nicht geschehen kann, dass solche sich töten sollten, wo doch ein Strick oder ein Gürtel oder (wie hier das Beispiel, mit dem Du es zu tun hast, lehrt) ein Gewand ohne Knoten, das herabhängt oder schlaff daliegt, nicht eine Fliege
386 Aurifaber: Tischreden, fol. 288r. 387 Ebd., S. 308r.
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töten kann, so meine ich, dass man glauben muß, dass mit solchen Menschen der Satan sein Spiel treibt, dass es ihnen so vorkommt, als ob sie etwas viel anderes trieben, beten oder etwas Ähnliches. Aber auf diese Weise tötet der Teufel.388
Berechtigt dieser Text einen Vergleich mit der Schilderung des Mordes, die der Amtmann in Spees Cautio Criminalis gibt? Die Meinung Luthers ist dem Bericht des Amtmanns insofern ähnlich, als für Luther ein Vorgang im Gefängnis die Gegenwart des Teufels voraussetzt. Dieses Verständnis war konsequent für alle, die an die Wahrheit der durch Folter erzeugten Bekenntnisse glaubten. Dass aber Luther die Gegenwart des Teufels in den Gefängnissen voraussetzte, war die Basis für die nah verwandte Vorstellung, auch ein Schwarzkünstler oder Zauberer würde vom Teufel ermordet werden. Die Erzählungen, die in Wittenberg verbreitet wurden, spiegelten dieses Denken Luthers und seinen Einfluss. Unter solchen Umständen kann man sich vorstellen, warum die Geschichte eines anderen Teufelsbündners als glaubhaft angesehen wurde. Als Luther am 4. November 1538 die Geschichte erzählte, nannte er weder Ort noch Identität des Zauberers: Es ward viel geredet von der Gewalt des Teufels, der die Leute, die mit jm Bulen, Leiblich in der lufft füret, Wie einer, der ein Bund mit dem Satan gemacht hatte, endlich fülete sein Gefahr, that Buss vnd bekands. Da nu seine Stunde kam, sagte er offt, Der Leib ist des Teufels, Aber der Seelen wird gerathen werden. Zu letzt hette jn der Satan durchs Fenster weg gefürt in beysein vieler Wechter [...].389
Wenn man diese Geschichte mit der des Erfurter Teufelsbündners vergleicht, erkennt man typische Vorgänge der Hexenprozesse. Das Bekenntnis des Paktes war nach der Folter zu erwarten, wie das schon im Fall des Erfurter Sünders offenbar wurde. Die Wächter hatten vermutlich nicht aufgepasst, und der Sünder war einfach entflohen. Die Behauptung, dass er weggeflogen sei, könnte eine Ausrede der Wächter sein, um einer Bestrafung zu entgehen. Der Sünder hatte aber andere Sorgen: Er glaubte, dass seine Seele gerettet werden könnte, aber sein Körper gehörte dem Teufel. Diese traurige Aussicht war typisch für die Hexenprozesse: der Pfarrer konnte den Gefangenen immer nur raten, dass sie lediglich ihre Seele
388 „Nam cum constet, et signa certa ipso, naturaliter fieri non posse, ut tales occiderent sese, cum funis vel Cingulum vel (ut hic tuum exemplum docet) peplum sine nodo et pendulum et flaccum non possit muscam occidere, credendum censeo, Ab ipsomet Diabolo tales homines ludificarii, ut sibi videantur multo aliud agere, scilicet vel orare vel simile. Et tamen Diabolus sic occidit“. Übersetzung des Herausgebers. Martin Luther: Briefwechsel. WA Bd. 10, Weimar 1947, S. 692–693. Über einen ähnlichen Fall vgl. S. 112. 389 Luther: Tischreden, WA Nr. 4080. Aurifaber: Tischreden, fol. 303r.
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retten könnten, aber nicht den Leib. Dieser Fall spiegelte dieselbe Wirklichkeit wie die Erfurter Geschichte. Luther sah den Ausgang der Geschichte positiv. Für ihn war ein solches Resultat ein Sieg über den Teufel, der es eigentlich auf die Seele abgesehen hatte. Eine Weiterentwicklung dieses Exemplums in Richtung des Faust-Schicksals erzählte Melanchthon. Das Muster Luthers diente ihm dazu, er brauchte nur konkrete Einzelheiten hinzuzufügen: Über einen Zauberer und seine Buße Vor einigen Jahren war in Regensburg ein gewisser Adliger, der ein sündiges Leben führte. Er übte die schwarze Kunst. Aber als gewisse Städte Süddeutschlands, darunter auch Regensburg, den reineren Lutherischen Glaubens erhielten, hat dieser Adlige, trotz seines schlimmen Lebens, oft die Kirche besucht, um die Predigten anzuhören. Nachdem er aber er fleissig einer solchen Priedigt zuhörte, wurde er, als ob von einer Macht von Oben bewegt, von panischer Angst ergriffen. Nachdem er die Kirche verlassen hatte, fing er über seine frühere, törichte Lebensweise nachzudenken, es auch zu bereuen und zu hassen. Mit dieser Verwandlung hat er sein Leben geändert, so dass seine Frömmigkeit allen offenbar wurde und viele durch sein Vorbild zum neuen Glauben bekehrt wurden. Aber in hohem Alter, als er dem Tode nahe war, hat er seine Freunde, unter denen einen Arzt, zu seinem Bett gerufen. Vor dem Tode sagte er seinen Freunden: „Ich sehe, dass Gott mich aus diesem Leben ruft. Auch wenn ich an meinen Glauben festhalte und dadurch der Erlösung durch das Opfer Christi sicher bin und das zu ändern der Teufel keine Macht hat, wird der Teufel, da ich mit ihm einen Pakt gemacht hatte, gegen meinen Körper toben und ihn verunstalten. Aber in dieser Sache sollt Ihr Euch nicht erschrecken. Der Tod des Adligen verursachte ein so gewaltiges Getöse und einen Tumult, dass das Gebäude einzustürzen schien. Der Arzt, der bis dahin dabei war, wurde von grosser Angst ergriffen und flüchtete. Indessen hat der Teufel den Kopf gegen den Rücken gedreht und so liegen lassen. Die Freunde sind, nachdem der Tumult nachgelassen hatte, wieder eingetreten und nachdem sie den deformierten Körper betrachteten, haben sie für eine kirchliche Beerdigung gesorgt.390
Während Luther sich angesichts der Macht des Teufels auf den Gedanken der Seelenrettung konzentrierte, hatte Melanchthon aus dem Exemplum eine kleine
390 „De mago paenitentiam agente. Fuit ante paucos annos quidam nobilis Ratisbonae, qui sub initium repurgatae doctrinae Christianae admodum scelaratè uiuebat et magicam artem exercebat. Cum autem aliquae ciuitates in superiori Germania puriorem Euangelij doctrinam recepissent et inter has quoque Ratisbona, nobilis ille, etsi non cessaret uiuere, in terrimis sceleributrs, commeabat, tamen aliquando ad templum, ut audiret conciones. Factum est autem aliquando, cum interesset concioni, sic diligentius attenderet, ut sentiret motum quondam singularem et diuinum ac subito perculsus est terrore. Egressus ex templo, cepit anteactam uitam secum considrare ac cogitata turpitudine prioris uitae, cepit eam deplorare ac detestari. Conuersus autem cepit uitam emendare et mores externos regere, ita ut sanctitats ipsius omnibus esset conspicua et plurimi ipsius exemplo ad hanc doctrinam, amplectendam inuitarentur. In senectute autem,
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Predigt geschaffen, um die Macht und Zukunft des Lutherischen Glaubens zu propagieren. Die tragischen Folgen des Teufelspakts sind nicht zu übersehen, aber wie bei Luther kann die Seele trotz allem gerettet werden. Witekind, der in den vierziger Jahren (1547-1550) in Wittenberg studierte, hat von Melanchthon wohl schon zu dieser Zeit diese Geschichte gehört und später im Sinne seines Lehrers in seinem Christlich Bedencken erzählt. Wie bei Melanchthon wurde der ehemalige Schwarzkünstler „vom geiste erwürget“, sodass er „morgens für seim bette gelegen auff dem rucken vnd jm das angesicht abwertz auf dem boden gestanden“.391 Obwohl dieser Regensburger nicht ohne weiteres mit Faustus gleichgesetzt werden kann, sah sich Johannes Manlius, ein Schüler Melanchthons, jedoch berechtigt, Faustus‘ Schicksal in gleicher Weise darzustellen. Faustus erzählt einem Wirt „in einem Dorff in Wirtemberger landt“, dass er sich nicht erschrecken sollte, wenn er etwas in der Nacht höre. Dann „Vmb Mitternacht ist im Hause ein grosses getümmel worden“. Man sah, dass „der Teuffel dz angesicht auff den rücken gedrehet“ habe.392 Genau so wurde der Tod des Regensburger von Melanchthon beschrieben. Die Ähnlichkeit zwischen diesen zwei Schicksalen deutet darauf hin, dass man schon in den vierziger Jahren von der Annahme ausging, dass Faustus den Tod auch so erlitt wie der Regensburger.
cum grauiter cępisset decumbere, uocauit ad se quosdam amicos et inter hos doctorem quondam, qui cum astarent ad lectum et iam prope mors immineret, dixit ad amicos; Video me a Deo euocari ex hac uita. Etsi autem firma fide statuo, me unius Christi merito redemptum et saluatum esse et diabolum nihil iuris in me habere, tame quia, cum Diabolo anea pacta habui et nunc anima mea ipsi erepta est, post mortem in corpus meum sęuiet et illud deformabit. Ea re nihil moueamini. Cum expirasset nobilis, cepit auidiri strepitus et tantus tumultus excitatus est, ut uiderentur aedes corruiturę. Doctor, qui adhuc aderat, ingenti terrore perculsus est et se subducit. Interea Diabolus faciem mortui retorsit in tergum et ita eum reliquit. Amici, cum, post strepitum sedatum, iterum ingingressi essent, cadaver ita deformatum uiderenunt ac postea honestissimè eum terrae mandarunt“. Übersetzung aus dem Lateinischen von Gustav Milchsack: Gesammelte Aufsätze, cols. 269–270. Vgl. cols. 254–255. Für diese Niederschrift der Vorträge Melanchthons war der Student Wernervs Rolesinck verantwortlich. Er immatrikulierte sich in Wittenberg am 31. Mai 1558. 391 Witekind: Christlich Bedencken. Hg. von Frank Baron, S. 7. 392 „Ante paucos annos idem Ioannes Faustus, postremo die sedit admodum moestus in quodam pago ducatus Vuirtenbergensis. Hospes ipsam alloquitur, cur moestus esset praeter morem & consuetudinem (erat alioqui turpissimus nebulo, inquinatissimae uitae, ita ut semel atque iterum penè interfectus sit propter libidines) ibi dixit hospiti in illo pago: Ne perterrefias hac nocte. Media nocte domus quassata est. Mane cum Faustus non surgeret, & iam esset ferè meridies, hospes adhibitis alijs, ingressus est in eius conclaue, inuenitque cum iacentem prope lectum inuersa facie, sic à diabolo interfectus“. Manlius: Locorum communium collectanea, S. 43.
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So ist es auch zu erklären, dass 1548 Johannes Gast Faustus‘ Ende in ähnlicher Weise schildert: Der Elende endete auf schreckliche Weise, denn der Teufel erwürgte ihn; seine Leiche lag auf der Bahre immer auf dem Gesicht, obgleich man sie fünfmal umdrehte. Der Herr bewahre uns davor, dass wir Sklaven Satans werden.393
Gasts Behauptung, er habe zusammen mit Faustus gespeist, verleiht dem Bericht zunächst den Anschein des Authentischen. Diesem Schriftsteller war historische Genauigkeit aber nicht viel wert, besonders in unterhaltenden Anekdoten. Der Titel seines Werkes, Sermones convivales deutet an, das er Schwänke erzählen wollte. Was er von historischer Genauigkeit hielt, zeigt die fragwürdige Gewohnheit, Geschichten aus zweiter Hand so zu erzählen, als ob er selbst anwesend gewesen sei. Als Zeugnis für den Tod des Faustus wird oft die Zimmerische Chronik zitiert, obwohl dieser Bericht erst in den Jahren um 1564–1566 niedergeschrieben wurde. Es handelt sich also nicht um eine zeitgenössische Quelle, sondern um einen späteren Bericht über den sich schnell verbreitenden Ruf eines Zauberers. Das aber die Pratik solcher kunst nit allain gottlos, sonder zum höchsten sorgclich, das ist unlaugenbar, dann sich das in der erfarnus beweist, und wissen, wie es dem weitberüempten schwarzkunstler, dem Fausto, ergangen. Derselbig ist nach vilen wunderbarlichen sachen, die er bei seinem leben geiebt, darvon auch ain besonderer tractat wer zu machen, letzstlich in der herrschaft Staufen im Preisgew in großem alter vom bösen gaist umbgebracht worden.394 [...] Es ist umb die zeit [des Regensburger Reichstags]der Faustus zu oder doch nit weit von Staufen, dem stetlin im Breisgew, gestorben. Der ist bei seiner zeit ein wunderbarlicher nigromanta gewest, als er bei unseren zeiten hat mögen in deutschen landen erfunden werden, der auch so vil seltzamer hendel gehapt hin und wider, das sein in vil jaren nit leuchtlichen wurt vergessen werden. Ist ain alter mann worden und, wie man sagt, ellengclichen gestorben. Vil haben allerhandt anzeigungen und vermuetungen noch veremaint, der bös gaist, den er in seinen lebzeiten nur sein schwager genannt, hab ine umbracht. Die bücher, die er verlasen, sein dem dem herren von Stuafen, in dessen herrschaft er abgangen, zu handen
393 „Atqui miser deplorandum finem sortitus est, nam a Satana suffocatus, cuius cadauer in feretro facie ad terram perpetuo spectans, etsi quinquies in tergum uerteretur. Dominus custodiat nos, ne Satanae mancipia fiamus“. Johannes Gast: Sermones convivales, Basel 1548. Vgl. die Betrachtungen über Gast und Faustus in Basel in dem Kapitel „Faustus in Wittenberg: Philipp Melanchthon und Johannes Gast“ weiter oben. 394 Zimmerische Chronik, Bd. 1, S. 577.
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worden, darumb doch hernach vil leut haben geworben und daran meins erachtens ein sorgclichen und unglückhaftigen schatz und gabe begert.395
Die Chronik schweigt darüber, wie Faustus von seinem Geist „ellengclichen“ umgebracht wurde. Aber nach dem ersten der oben zitierten Text erzählt sie über einen Kölner Arzt: [...] letzstlich aber, als die stund kam, da gesegnet er sein weib und kündt, bekannt, das er sich vor viel jharn dem bösen gaist ergeben, und durch dessen hilf und verhaißen hett er ain solch gelückhafte praticam gehabt; iezo müest er daran, da were seins lebens nit mehr. Gieng darauf in ain keller. Bald ward ain ungestimmes wesen im haus gehört; das were über ain halbe stundt nit, da vergiengs. Man gieng dem herrn in keller nach, zu sehen, wie se umb in stünde; do fand man in todt uf der erden ligen und wardt im der kopf umbgetrait, das im das angesicht hünder sich sahe.396
In diesem Text erkennt man wiederum das Schicksal des Regensburger Zauberers, von dem Melanchthon ausführlich erzählt hatte, und nachher Manlius (der es auf Faustus übertrug) und Witekind. Anstatt, wie Manlius, die ausführliche Beschreibung des schrecklichen Todes auf Faustus zu konzentrieren, hat die Chronik diese Einzelheiten auf den Kölner Arzt übertragen. Die Chronik hat viel aus Wittenberger Quellen übernommen. Dabei hat sie sich bemüht, alle deutlichen Spuren der Herkunft aus dem protestantischen Gebiet zu löschen. Diesen Aspekt des Werkes hat die Forschung nicht bemerkt.397 Es ist klar, dass der Autor der Chronik Handschriften und Bücher in seiner Bibliothek besaß, denen er Schwänke entnahm, aber zugleich bemüht war, sie so weit zu verändern, dass ihre HHerkunft verschleiert wurde. Die Schwänke, die in Verbindung mit dem Namen Ludwig von Liechtenberg erzählt werden, hatten ihren Ursprung in Luthers Wittenberg.398 Und das Detail, dass die Chronik Faustus den Schwager des Teufels nannte, hat der Verfasser vermutlich aus den Tischreden Luthers übernommen. Da die Tischreden erst 1566 gedruckt wurden, sind manche Schwänke wahrscheinlich erst am Ende der Niederschrift der Chronik hinzugekommen.
395 Zimmerische Chronik, Bd. 3, S. 529–530. Vgl. Frank Baron: Which Faustus Died in Staufen? History and Legend in the Zimmerische Chronik. In: German Studies Review 6 (1983), 135–194. Vgl. Gerhard Wolf: Von der Chronik zum Weltbuch, S. 277–286. 396 Zimmerische Chronik, Bd. 1, S. 577–578. 397 Vgl. Beat Rudolf Jenny: Graf Froben Christoph von Zimmern. Geschichtschreiber, Erzähler, Landesherr. Ein Beitrag zur Geschichte des Humanismus in Schwaben. Konstanz 1959. 398 Zimmerische Chronik: I, 468–469, 473, 474, 476, 576–578; III, S. 250–256. Ludwigs Vater Jacob von Liechtenberg ist bekannt als Autor von einem Hexen Büchlein, gedruckt 1544 u. 1575.
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Ähnlich wie die Erzählungen von Faustus in den Nürnberger Faustgeschichten kann die Zimmerische Chronik dazu dienen, eine frühe Phase der Faustus-Legende anzudeuten.399 Sie gibt jedoch keine sichere Auskunft über den historischen Faustus. Es kann sein, dass in diesem Text Reste von wahren Details überlebten (wie zum Beispiel der Hinweis auf das hohe Alter), aber er bietet keine Hilfsmittel, um zwischen sicheren Auskünften und bloßen Vermutungen zu unterscheiden. Beweisen kann man mit dieser Chronik nichts. Das auf diese Weise entstandene Verhältnis zwischen Faustus und dem Teufel und der gewaltsame Tod deuten eher darauf hin, dass diese Erzählungen nicht von jemand stammen, der Faustus je begegnet war. Der Autor des Faustbuchs hat die Krise, mit der der Regensburger Teufelsbündner zuletzt konfrontiert war, am Ende seines Werkes in eine fatale Richtung gewendet. Faustus ruft seine vertrauten „Gesellen, Magistris, Baccalaureis, vnd andern Studenten mehr“ zu sich. In einer langen Rede bekennt er seinen Teufelsbund. Er behauptet sogar, dass er Reue empfinde und um Gnade bitte, „damit [s] eine Seele errettet möchte werden“. Am Rande der Druckausgabe von Spies steht jedoch ein Hinweis darauf, dass diesen verzweifelten Ausrufen nicht zu trauen ist; sie seien „Judas Rew“. Faustus glaubt, dass er es mit dem Pakt zu weit getrieben habe und verzweifelt. Er meint wie Kain: „Seine Sünde weren grösser, dann dass jhme möchten verziehen werden“. Damit ging er einen Schritt weiter als der Regensburger Zauberer, der noch seine Seele retten konnte. Hier ist es anders. Nach seiner Ermordung folgt noch der Verlust seiner Seele. Für das Ende seines Buches hat sich der anonyme Autor den radikalsten denkbaren Abschluss ausgedacht. Martin Luther hatte ja in solchen Fällen immer noch durch ein Bekenntnis mit der Rettung der Seele gerechnet und darin den Sieg über den Teufel gesehen. Diesen Ausweg erlaubte das Faustbuch nicht. In der Vorrede wurde Leviticus 19 und 20 zitiert, wonach die Wahrsager oder Zeichendeuter „deß Todes sterben“ sollten.400 Die notwendige Hinrichtung durch den Teufel wird radikalisiert: Es geschahe aber zwischen zwölff vnd ein Vhr in der Nacht, daß gegen dem Hauß ein grosser vngestümmer Wind gienge, so das Hauß an allen orten vmbgabe, als ob es alles zu grunde gehen, vnd das Hauß zu Boden reissen wolte [...] Als es nun Tag ward, vnd die Studenten die gantze Nacht nicht geschlaffen hatten, sind sie in die Stuben gegangen, dar-
399 „Des Morgens wart D. Faustus todt und greulich im Beth gefunden. Hat also nach dem er verdint sein Lohn empfangen; dan bös Arbeit gibt auch bösen Lohn“. Meyer: Nürnberger Faustgeschichten, S. 402. 400 Die zweite Spies-Ausgabe von 1588 stellte dem Text zusätzlich eine Reihe von Bibelzitaten voran, angefangen mit dem Zitat aus Leviticus. Vgl. Füssel und Kreutzer: Historia, S. 149.
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innen D. Faustus gewesen war, sie sahen aber keinen Faustum mehr, vnd nichts, dann die Stuben voller Bluts gesprützet. Das Hirn klebte an der Wandt, weil jn der Teuffel von einer Wandt zur andern geschlagen hatte. Es lagen auch seine Augen vnd etliche Zäen allda, ein greulich vnd erschreckliche Spectackel.401
Diese extreme Hinrichtungsweise sollte klar machen, dass es nicht nur um den Leib ging, sondern auch um die Seele. Die Abweichung von der Interpretation Martin Luthers und der Interpretation der Hexenprozesse führte zu einer kompromisslosen Warnung.
401 Füssel und Kreutzer: Historia, S. 118–124; Müller: Romane, S. 973–980.
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Manipulationen an Witekinds Christlich Bedencken
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VIII. Manipulationen an Witekinds Christlich Bedencken Das Faustbuch von 1587 ist eine ungewöhnliche Sammlung von Geschichten aus unterschiedlichen Quellen. Die Bibel wird oft zitiert. Martin Luther ist durch bekannte Ansichten, Bilder oder Zitate vertreten. Andere Texte, wie etwa der Elucidarius oder Hartmann Schedels Buch der Cronicken werden über lange Strecken hinweg wiedergegeben. Die Schwänke aus den Exempelbüchern werden für Faustus’ Abenteuer verwendet, aber wesentlich erweitert. Der Nachweis solcher Ausbeutungen früherer Schriften hat aber wenig dazu beigetragen, die Intention des Autors aufzudecken. Ganz anders ist es bei der Betrachtung der Art und Weise, wie der anonyme Autor sich Witekinds Christlich Bedencken zunutze machte. Die folgenden Textstellen in Witekinds Christlich Bedencken lassen sich bestimmten Kapiteln im Faustbuch zuordnen, wo sie nun eine neue Funktion haben. 1) Witekind, Christlich Bedencken, Von gemeinen gauckelubeben, Seite 17: „Da sperret Faust sein maul auff / frißt jn“. Vgl. Historia, Kap. 42 2) Witekind, Christlich Bedencken, Reiten vnd fahren die Hexen auff bcken / besem / gabeln / stecken / zum wolleben vnd zum tantz? Seite 31: „Faust fuhr [...] in Beyern gen Saltzburg ins Bischoffs keller“. Vgl. Historia, Kap. 45 3) Witekind, Christlich Bedencken, Wie man sich für bezauberung bewaren vnd sie vertreiben sol, S. 37: „[Faust] kamb etwann zum Herrn Philippo [Melanchthon] / der laß jm dann einen guten text / schalt vnd vermanet jn [...]“. Vgl. Historia, Kap. Kap. 52 4) Witekind, Christlich Bedencken, Wie man sich für bezauberung bewaren vnd sie vertreiben sol, S.38: „Ein ander alter Gottsfrchtiger mann vermanete jn [Faustus] auch / er solte sich bekeren“. Vgl. Historia, Kap. 53 5) Witekind, Christlich Bedencken, Von straffe der Hexen oder vnholden., S. 45: „Aber sein geist warnete jn daß er davon kamb / von dem er nicht lang darnach grewlich getödtet ward / als er jm vier vnd zwantzig jar gedient hatte“. Vgl. Historia, Kap. 2–6 und 68. 6) Witekind, Christlich Bedencken, Verjicht oder bekanntnuß etlicher Zauberinnen / die newlich zu N. Verbrannt sind S. 55: „Der vielgemeldte Faust https://doi.org/10.1515/9783110613070-009
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hat jm ein mal fürgenommen sich zu bekeren / da hat jm der teuffel so hart gedrawet / so bang gemacht / so erschreckt / daß er sich jm auch auffs new hat verschrieben“. Vgl. Historia, Kap. 5. 7) Witekind, Christlich Bedencken, Von gauckel Zauberey, S. 15: „Der Pfaffe zu N. dem sein geist einen schatz zeigte in einer alten steingruben: sahe da ein kiste stehen / darauff lag ein schwartzer hund: gehet hinzu: alsbald fellt die grube zu / erdruckt jn“.Vgl. Historia, Kap. 58 8) Witekind, Christlich Bedencken, Von gemeinen gauckelbuben, S. 16: „[...] daß ein gauckler den anderen frißt [...] 36 [eine schreckliche] geschichte [...] ein edelman A.v.Th. [...] setzt dem haußknechte seinen kopff wider auff“. Vgl. Historia, Kap. 51 9) Witekind, Christlich Bedencken, Von gemeinen gauckelbuben, S. 17: „Mnch zu Erfurt das maul auffgethan / [...] hew mit wagen vnd roß verschlung“. Vgl. Historia, Kap. 36 10) Witekind, Christlich Bedencken, Von grossen herrlichen zauberern vnd gaucklern, S. 19: „Albertus [...] Der machete [...] daß der Saal grunete vnd blete mit beumen / kreutern / laub“.Vgl. Historia, Kap. 44 11) Witekind, Christlich Bedencken, Von grossen herrlichen zauberern vnd gaucklern, S. 19: „Keyser Maximilian [...] hatte zum ehegemahl Mariam Carols von Burgundien tochter / die jm hertzlich lieb war [...] Diß wußte der Abt wol“. Vgl. Historia, Kap. 33 12) Witekind, Christlich Bedencken, Von grossen herrlichen zauberern vnd gaucklern, S. 20: „Da hat der Abt nur ans fenster geklopfft vnd gesprochen / adfer, das ist / bringe. Nicht lange darnach wird ein schßel mit eim gekochten hecht zum fenster hinnein gereicht / vnd daneben ein flesche wein“. Vgl. Historia, Kap. 9, vgl. auch Kap. 47 13) Witekind, Christlich Bedencken, Reiten vnd fahren die Hexen auff bcken / besem / gabeln / stecken / zum wolleben vnd zum tantz? S. 31: „Jch habs selbs von eim zauberer gehret/ daß er sampt andern von N. auß Sachsen gen Parijß mehr als hundert meile zur hochzeit vngeladen gefahren sind auff eim mantel“. Vgl. Historia, Kap. 37
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14) Witekind, Christlich Bedencken, Von straffe der Hexen oder vnholden, S. 45: „[Der Student] sich jm ergebe vnd verschreibe / nicht mit dinte / sondern mit seim eigen blute“. Vgl. Historia, Kap. 2–6 Schon an den ersten sechs Faust[us]-Textstellen sind direkte Übernahmen zu erkennen. Im neuen Zusammenhang des Faustbuchs werden die beiläufig erwähnten Begebenheiten—der Teufelspakt und die Bekehrungsversuche—in grundlegende Bausteine eines einzelnen Lebenslaufs umgewandelt. Aber besonders aufschlussreich sind die weiteren Stellen, Nr. 7–13, weil sich dort der Autor des Faustbuchs radikaler Manipulationen bedient. Diese Stellen, die bei Witekind nichts mit Faustus zu tun hatten, tragen nun dazu bei, dass die Figur Faustus zu einer mythischen Verflechtung zahlreicher früherer Zauberer werden kann. Die Absicht des Autors lässt sich vor allem bei der Manipulation der TrithemiusGeschichte erkennen. Die wichtigste Folge dieser Manipulationen ist die Schaffung einer neuen Erzählstruktur, wie in der folgenden Betrachtung im Einzelnen gezeigt werden soll.
A. Der Teufelspakt In Witekinds Christlich Bedencken finden sich verschiedene Auskünfte über Faustus, die von Johannes Manlius und Johannes Weyer abhängig sind. Aber die Behauptung, dass der Teufel Faust[us] „vier vnd zwantzig jar gedient hatte“, fehlt bei jenen Autoren. Überhaupt fehlt diese präzise Jahreszahl in Verbindung mit dem Pakt bei allen bis heute bekanntgewordenen Texten über Faustus.402 Erst seit 1572 hatten Gesetze in Sachsen und in der Pfalz den Teufelspakt durch die Einführung der Todesstrafe verhindern wollen. Dass Witekind Faust[us] als mit dem Teufel paktierend betrachtete, verschärfte seine Polemik gegen die gelehrten Zauberer. Man kann aber diese Verteufelung der Faustfigur noch erweitern. Denn gleich nach der Erwähnung von Faust[us] als Teufelsbündner erzählt Witekind die Geschichte des Studenten, der sich dem Teufel ergab „nicht mit dinte / sondern mit seim eigen blute“. Trotz des Teufelspakts gelang es Luther, den Studenten zu bekehren und dadurch die Todesstrafe verhindern. Nach Witekind
402 Die Quellentexte in der Faustbuch-Edition von Füssel und Kreutzer sind sonst sehr vollständig und hilfreich in der Festlegung der Elemente, die vom Christlich Bedencken in das Faustbuch aufgenommen wurden. Doch ist es schade, dass gerade der Text dieses eigenartigen Teufelspakts, der im Faust-Mythos eine so zentrale Rolle spielt, in ihrer grundlegenden Textausgabe fehlt.
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soll man, nach dem Willen Luthers, „solche leute zu bekeren vnd zu beßern / dann vmbzubringen vnd zu verderben“. Das Faustbuch empfindet keine Barmherzigkeit, denn die Strafe durch den Teufel bedeutet den kompromisslosen Tod der Seele.
B. Nekromantie Völlig neu ist bei Witekind, dass Kaiser Maximilian nicht antike Helden zu sehen wünschte, sondern allein seine durch einen Sturz vom Pferde verunglückte und verstorbene junge Frau. Nur wegen dieser Liebe zu seiner verstorbenen Frau erlaubt der Kaiser ein nekromantisches Experiment. Der Nekromant, der Abt von Sponheim, Trithemius, ist aber einer der „grossen herrlichen Zauberer“, der es verdient, von der Obrigkeit ernstlich gestraft zu werden. Das Faustbuch ersetzt Trithemius durch Faustus und den Kaiser Maximilian durch seinen Nachfolger, Kaiser Karl V. Der Wunsch dieses Kaisers ist vor allem, den Welteroberer Kaiser Alexander den Großen zu sehen. Der Rollenwechsel hat jetzt mit der Politik zu tun, mit dem Ergebnis einer Satire, die diesen Karl V., den Gegner der Protestanten, als Freund der teuflischen Nekromantie und einen machtbesessenen Fürsten darstellt.
C. Der Bekehrungsversuch Bei Witekind heißt es, dass Melanchthon Faustus vor einem schlimmen Ende warnte: „[er] schalt vnd vermanet [Faust(us)] daß er von dem ding [Schwarzkunst] beyzeit abstunde“. Dieser Bekehrungsversuch, unterstützt durch den unabhängigen Versuch eines „alten gottesförchtigen man“, wird zwar ins Faustbuch übernommen, aber Melanchthon verschwindet. Hier offenbart sich am deutlichsten, dass Melanchthon, der Witekinds Lehrer und Freund in Wittenberg gewesen ist, vom Faustbuch-Autor als Autorität in einer wichtigen Glaubenssache nicht toleriert wird.
D. Der zweite Teufelspakt Einen erneuten, zweiten Teufelspakt erwähnt Witekind im Zusammenhang mit seiner Sorge, dass die nachher als Hexe hingerichtete Catharina im Gefängnis sich gegen die Drohungen des Teufels nicht wehren kann. Der Teufel spielt aber die Rolle des folternden Henkers, der androht, dass er wieder foltern würde, sollte
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Catharina ihr Bekenntnis zurücknehmen. Nach Witekind würde sogar ein Mann wie Faust[us] einer solchen Drohung nicht standhalten. Wenn das Faustbuch den sogenannten zweiten Pakt (dass „er sich jm auch auffs new hat verschrieben“) aus dem ursprünglichen, gerichtlichen Zusammenhang reißt, unterdrückt es auch den ursprünglichen Sinn, den die Annahme eines solchen Paktes bei Witekind hat.
*** Diese dreizehn zitierten Anekdoten in Witekinds Werk dienten offenbar als die entscheidenden Anregungen für das Faustbuch. Viele ergänzende Quellen standen dem Autor zur Verfügung. Die Frage, welche Anregungen entscheidend waren, zwingt dazu, den Blick auf die vorgenommenen Änderungen zu richten: die Radikalisierung der Warnung durch einen ausweglosen Teufelspakt; die Ersetzung Maximilians durch Karl V.; die Beseitigung Melanchthons und die totale Unterdrückung von Witekinds Argumenten gegen den Hexenwahn. Solche Ausbeutungen und Verstümmelungen erklären, warum Witekind 1593 das Faustbuch lügenhaft nannte und als eine Schmähschrift gegen seine Religion missbilligte. Witekind bedauerte, dass die Buchdrucker nicht „ohn schew vnd scham solche Bücher außsprengen vnd gemein machen“ dürften.403 Die von Witekind übernommenen Elemente führten im Faustbuch zu einer logischen Struktur des Erzählstoffes. Sie enthielt vor allem den Pakt für vierundzwanzig Jahre, den Bekehrungsversuch, den zweiten Pakt und mehrere Abenteuer wie die der Nekromantie, sowie den gewalttätigen Tod durch den Teufel. Wie originell war dieser besondere Aufbau des Faustbuchs? Da jeder Bestandteil der Struktur des Faustbuchs eine eigene Vorgeschichte hat, ist die Beantwortung dieser Frage nur nach der Beachtung jener Vorgeschichten denkbar. Für das Verständnis der Entwicklung des Faust-Mythos und dessen wesentlichen Teils, des Pakts, ist klar geworden, dass zwei Textschichten die entscheidenden Faktoren waren: Witekinds Christlich Bedencken und das Spies-Faustbuch von 1587.
403 Witekind: Christlich Bedencken. Hg. von Frank Baron, S. xxiv.
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IX. Das Neue im Spies-Faustbuch A. Struktur Gustav Milchsack sieht das Faustbuch in fünf Teilen: 1. Herkunft, Studium und Abschluss des Teufelspaktes 2. Disputationen über die Hölle 3. Reisen in die Hölle, zu den Gestirnen sowie durch Europa und Teile Asiens 4. Zauberkunststücke 5. Weheklag, die Oratio Fausti ad studiosos und der Tod404 Auch Wilhelm Meyer meint, dass das Faustbuch die Faustsage in fünf Abschnitte geteilt habe 1. Fausts Herkunft, Studien und Teufelsbund 2. Faust erforscht die göttlichen und himmlischen Sachen 3. Faust erforscht die natürlichen Sachen 4. Fausts Abenteuer 5. Fausts Ende405 Stephan Füssel hat hingegen eine Dreiteilung in einem biographischen Rahmen bevorzugt: 1. Faustus‘ Disputationen mit dem Teufel 2. Umfangreiche Weltreisen 3. Schwankhafte Episoden406 Jan-Dirk Müller schließlich sieht folgende detaillierte Einteilung als sinnvoll an: 1. Teufelspakt und Versuche des Faustus, Disputationen mit seinem bösen Geist, um zu den letzten religiösen Geheimnissen vorzudringen 2. Natur und Kosmos stehen im Mittelpunkt, Fragen nach dem Wetter, den Jahreszeiten, den Sternen sowie Reisen durch die Alte Welt, eine Fahrt in den Abgrund der Hölle und zu den höchsten Höhen des Gestirns
404 Gustav Milchsack: Einleitung, Historia D. Johannis Fausti, S. CCCXXVII. Zitiert nach Münkler: Narrative Ambiguität, S. 101. 405 Meyer: Nürnberger Faustgeschichten, S. 356. 406 Stephan Füssel: Faustbuch. In: Literaturlexikon, hg. von Walther Killy, München 1988, Bd. 3, S. 339–340. https://doi.org/10.1515/9783110613070-010
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3. Lockere Folge von Schwänken, in denen Faustus als Zauberer auftritt, an Höfen, im Kreis der Studenten, im Streit mit Bauern, Viehhändlern, Juden 4. Faustus‘ Ende, sein Testament, „Weheklag“, der Spott des Teufels, der Abschied von den Studenen und seine letzte Nacht407 Seiner Beschreibung der Struktur fügt Müller hinzu: „Im Faustbuch macht die Aufspaltung in sachlich relativ selbständige Teile etwas von der Ambivalenz der Magiergestalt - zwischen frommem Abscheu und Faszination - sichtbar“.408 Ambivalenz ist hier ein wichtiges Stichwort. Die unterschiedlichen Einteilungsmöglichkeiten des Werks zeigen die Intentionen des Autors. Die Andeutung der Ambivalenz verweist auf die Notwendigkeit, die Kalkulationen des Autors eingehender zu beachten. Wie sah er die Funktion der verschiedenen Teile? Die unterschiedlichen Einteilungen des Werkes zeigen, dass der FaustbuchAutor eine Struktur geschaffen hat, die sich auf keine einfache Formel reduzieren lässt. Aber die unterschiedlichen stilistchen Eigenschaften der Teile deuten an, welche Intentionen die Struktur des Faustbuchs beeinflussten. Fragt man zum Beispiel nach dem Stil des Werkes, so ergibt sich eine ganz andere Perspektive auf das Buch. Man sieht am Anfang und am Ende den Stil einer fanatischen Predigt, die den verwerflichen Teufelspakt des Teufelsbündners vorstellt (Vorrede, Kap. 1–6), der dann zum Schluss seine gewalttätige und verdiente Strafe durch den Teufel erfährt (Kap. 60–66). In diesen zwei Teilen werden Abscheu vor dem Teufel und eine äußerst strenge Warnung gegen die Zauberei ausgesprochen. Dazwischen liegen aber Disputationen, Abenteuer und Schwänke. Der Unterschied zwischen dem äußeren Rahmen und den meist unterhaltenden Episoden dazwischen vermittelt fast den Eindruck, als wären hier verschiedene Autoren am Werke gewesen. Oder doch der eine Autor, der dem Drucker und Verleger Johann Spies als strenger Lutheraner nahe stand? Dieser eine Autor aber musste die Fähigkeit besitzen, vom Standpunkt seiner fanatischen Polemik abzurücken und die unterhaltenden Geschichten und Texte zu sammeln und dem Warnbuch anzupassen. Diese zweite Aufgabe verlangte eine völlig andersartige Einstellung. Es ist daher nötig, die Intentionen des Autors eingehender zu betrachten. Wie sah er die Funktion der verschiedenen Teile?
407 Müller: Romane, S. 1334–1335. Münkler sieht den letzten Teil dabei als „unterbelichtet“. Münkler: Narrative Ambiguität, S. 102. 408 Die wichtige Thematik der Ambivalenz, die vor allem in Müllers 2. u. 3. Teil zum Ausdruck kommt, hat Marina Münkler ausführlich behandelt und sie auch in den späteren Faustbüchern geprüft. Münkler: Narrative Ambiguität, S. 101–102.
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In allen Überlegungen zur Struktur des Faustbuchs fehlt eine Erklärung, wie der Bekehrungsversuch in dieses Werk passen soll. Der Versuch des „gottesförchtigern“ alten Mannes, Faustus von seinem bösen Leben zu bekehren, und der anschließende Erfolg des Teufels, der Faustus zwingt, einen zweiten Pakt zu unterschreiben (Kap. 52–53), finden sich unter den unterhaltenden Episoden; sie sind jedoch inhaltlich und stilistisch der „Predigt“ des Rahmens nah verwandt! Dazu passt auch der historische Hintergrund des Bekehrungsversuchs. Die Tatsache, dass der Bekehrungsversuch auch in der literarischen Faust-Tradition erhalten blieb, wie etwa bei Marlowe (die Szene mit dem „old man“) und Goethe (Fausts Religionsgespräch mit Gretchen), ist eine Bestätigung seiner nachhaltigen strukturellen Funktion. Wenn man davon ausgeht, dass das Faustbuch von Witekinds Christlich Bedencken dreizehn Anekdoten oder Exempel übernommen hat, so drängt sich die Frage auf, wie der Autor sie seinen Zwecken anpassen konnte. Witekind hatte sie in jene Kapitel eingefügt, die am besten seine Argumente gegen die Hexenverfolgung unterstützten. Das neue Organisationsprinzip der Vita eines paktierenden Zauberers bedeutete, dass der anonyme Autor gezwungen war, die Rolle des Richters über Faust[us] einzunehmen und die zerstreuten Geschichten nach der Logik eines Prozesses gegen den gelehrten Schwarzkünstler zu ordnen. Zwar werden die Stationen eines solchen Lebenslaufs bereits in Witekinds Christlichen Bedencken angedeutet. Das Neue an dieser Aneignung der diversen Bausteine war die Struktur, die bei Witekind nur in Andeutungen vorhanden war. Der von Witekind zum ersten Mal auf vierundzwanzig Jahre festgesetzte Pakt bildet die Basis dieser Struktur. Die Festlegung auf diese bestimmte Dauer hat den Faustbuch-Autor veranlasst, die vielen unbestimmten Jahre mit den Szenen der teuflischen Angebote und den faszinierenden, aber doch zuletzt fatalen Abenteuern auszufüllen. Schon bei Melanchthon hatte die Rolle des Bekehrers eine besondere Bedeutung: Er erzählte die Geschichte des von Luther bekehrten Studenten, die nachher von Witekind übernommen wurde. Dabei zeigte Melanchthon, dass Luther, wie der heilige Basilius, ein Wunder vollbrachte, indem er den Teufel zwang, die schriftliche Aufzeichnung des Pakts zurückzugeben. Diese Bekehrungsszene verband die Krise des faustischen Teufelspakts mit denen der Heiligenlegenden des Mittelalters. Der Bekehrungsversuch bildete einen wichtigen Punkt im Handlungsverlauf.409
409 Der streng Lutherische Pfarrer Thomas Birck veranschaulicht mit seinem Hexenspiegel (1600) den starken Einfluss, nicht nur des Bekehrungsversuchs, sondern auch des Wirkens von Luther, Witekind, den Prozessen und den Heiligenlegenden. Birck berichtet nämlich von einem
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Der Vergleich mit der Quelle dieser Episode in Witekinds Christlich Bedencken eröffnet die Möglichkeit, den Intentionen des anonymen Autors näher zu kommen. Wie schon gezeigt wurde, passte es ihm nicht, dass Witekind die Rolle des Bekehrers einem (in seinen Augen) Verräter des wahren Luthertums, Melanchthon, geschenkt hatte. Sowohl für Witekind als auch für den Faustbuch-Autor war das Ritual der Bekehrung von zentraler Bedeutung. Das Scheitern des Versuchs besiegelte das Schicksal des Zauberers. Faustus führt danach nur noch ein Hurenleben (Kap. 57 und 59), wonach aber das Ende bald folgt. Dies alles gehörte zur Funktion der Warnung. Die Voraussetzung für den Bekehrungsversuch ist der Pakt. Bei Witekind erscheint der Pakt versteckt ganz am Ende seines Werkes im Zusammenhang mit den angeklagten Hexen, die angeblich mit dem Teufel verbunden waren, nachher aber von Angst ergriffen wurden, und sich weigerten, sich von ihm loszusagen. Dieser Hintergrund der bedrohten Hexen interessiert den Faustbuch-Autor überhaupt nicht. Ihm geht es um die logische Reihenfolge der Ereignisse, und er setzt die Überlegungen, ob Faustus die Mahnungen des Nachbars ernst nehmen sollte, und die nachfolgenden Drohungen des Teufels als Kapitel 53 ein, gleich nach jenem Kapitel, in dem der „gottesförchtige“ Nachbar den Bekehrungsversuch macht. Man sieht hier die grundsätzliche Tendenz des Projekts, Anekdoten in Witekinds Werk, die nach den Argumenten gegen den Hexenwahn organisiert wurden, einem ausserordentlichen Lebenslauf anzupassen. Witekind führte ja einen Kampf gegen die Hexenprozesse. Er warnte die Richter, dass die Prozesse gegen Hexen nur mehr Hexen entstehen ließen: „je mehr jr vmbbringt / so mehr jrer werden“.410 Eine solche Rücksicht auf die schuldlos Verurteilten verschwand im Faustbuch. Die Kritik an den „großen herrlichen Zauberern“ galt dem Faustbuch-Autor jedoch als legitim und daher übernahm er die unbarmherzige Rolle des Richters gegen Faustus. Der Faustbuch-Autor, der Witekinds Argumente gegen Prozesse unterdrückte, griff also trotzdem auf seine Argumente gegen die großen Zauberer zurück. Der flexible Rahmen der Hexenprozesse diente ihm als die natürliche Grundlage für die Einordung sogar völlig andersartiger Anekdoten. Die dadurch aufgebaute Struktur konnte durch die
bestimten Hexenprozess, in dem eine dem Faustbuch verwandte Struktur in Erscheinung tritt: Die Anwendung der Folter, das Bekenntnis des Teufelspakts nach Beratung mit einem Pfarrer, die Bemühung des Pfarrers, die Aufzeichnung des Paktes vom Teufel zurückzukriegen, nach dem Erfolg solcher Bemühungen die Erleichterung der Angeklagten, die dann doch noch die Hinrichtung zu erleiden hat. Johannes Janssen: Geschichte des deutschen Volkes seit dem Ausgang des Mittelalters, Freiburg i. Br. 1888, Bd. 6, S. 348–349. 410 Witekind verweist auf ein Zitat von Andreas Alciatus (1492–1550). Witekind: Christlich Bedencken. Hg. von Frank Baron, S. 47 u. 104.
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Rückbesinnung auf die Legende des heiligen Basilius bestätigt werden. Vieles deutet also darauf hin, dass die Struktur des Faustbuchs durch eine Auseinandersetzung mit Witekinds Vorlage zustande kam.411 In der Germanistik verwendet man den Begriff “Wendepunkt” oder „Drehpunkt“, um jene Krise in einer Erzählung zu bezeichnen, nach der sich die Erzählung in eine neue Richtung kehrt und damit oft zu einer endgültigen Klärung führt. Die Struktur der Hexenprozesse besitzt vergleichbare literarische Eigenschaften, indem ein Punkt erreicht wird, an dem der Pfarrer oder Priester von den Angeklagten ein Bekenntnis gewinnt. Dann ist der Prozess praktisch abgeschlossen, auch wenn manchmal der Sünder widerruft. In jedem Fall sorgt die Folter dafür, dass die Formalitäten der öffentlichen Geständnisse und die Hinrichtung ganz zwangsläufig folgen. Einem ähnlichen Schema folgt das Faustbuch mit der gescheiterten Bekehrung, die durch die Drohung des Teufels zur endgültigen Bestätigung des Paktes und zur Hinrichtung führt. Der Betrachter dieses paradoxen Phänomens muss sich damit abfinden, dass die erfolgreiche „Bekehrung“ im Faustbuch dem Teufel gelingt. Während in den Hexenprozessen der Erfolg der Bekehrung durch die Folter garantiert wird, übernimmt im Faustbuch der Teufel die Führung und beginnt damit den Vorgang der Inversion jener Rituale, die nicht zu einer Rettung, sondern zum Verderben sowohl des Leibes als auch der Seele führen.
B. Curiositas und Teufelspakt Anders als Goethe steht der anonyme Autor seinem „Helden“ feindlich gegenüber. Diese negative Einstellung wird gleich am Anfang an der Absage an die Theologie sichtbar. Der Beweggrund zum Teufelspakt und Faustus‘ angeblicher Forschergeist werden polemisch dargestellt. Im zweiten Kapitel findet sich nun die Passage, die Faustus als einen neugierigen Menschen vorstellt. Der Teufel soll ihm zu Erkenntnissen über Himmel und Erde verhelfen. Die Linien, die zu dieser Passage führten und vom Faustbuch wiederum zu Goethe, sind verworren und nur unter Beachtung der einzelnen Entwicklungsschritte zu enträtseln. Der Text des Faustbuchs lautet:
411 Marina Münkler hat anerkannt, dass die These, die Faustbücher im Kontext der Hexenverfolgung zu sehen, eine gewisse Berechtigung habe. Sie hat jedoch bezweifelt, dass sie den „Masterdiskurs“ bilde. Münkler, Narrative Ambiguität S. 199.
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Wie obgemldt worden / stunde D. Fausti Datum dahin / das zulieben / das nicht zu lieben war / dem trachtet er Tag vnd Nacht nach / name an sich Adlers Flügel / wolte all Gründ am Himmel vnd Erden erforschen / dann sein Fürwitz / Freyheit vnd Leichtfertigkeit stache vnnd reitzte jhn also / daß er auf eine zeit etliche zäuberische vocabula / figuras / characteres vnd coniurationes / damit er den Teufel vor sich möchte fordern / ins Werck zusetzen / vnd zu probiern jm fürname.412
Eine ganz schlichte Polemik gegen den Forschergeist findet sich schon bei Martin Luther: Wie sind wir denn so vermessen und unsinning, ausser uns uber die wolcken zu fladdern von göttlicher Majestat, Wesen und Wullen zu speculiren, die unser blinden tollen Vernunft viel zu hoch, unbegreiflich und unerforschlich ist.413
An zwei weiteren Textstellen zur Neugierde kann man die Bedeutung der Thematik für das Werk erkennen. Johann Spies betont in seiner Vorrede, dass sein schreckliches Exempel augenscheinlich spüren lasse, „wohin die Sicherheit / Vermessenheit vnnd fürwitz letzlich einen Menschen treibe“. Zum Schluss der Vorrede an den christlichen Leser wird vorsichtshalber die gefährliche Beschwörungsformel ausgelassen, „Damit auch niemandt durch diese Historien zu Fürwitz vnd Nachfolge möcht gereitzt werden“. Den Begriff „Fürwitz“ stellt der anonyme Autor als den wichtigsten Beweggrund zum Teufelspakt vor. Der Hintergrund der curiositas-Gefahren war den damaligen Lesern vertraut, etwa durch das biblische Bild des Adlers (Spr. 23,5) vor aber allem aus Augustins Bekenntnissen (Kap. V, 3–8 und X, 35). Die Neugierde erscheint hier als gefährlich, und Augustin meinte damit auch das Streben der Astrologen und Zauberer. Vor eitler Wissbegier warnt auch Johannes Trithemius (1462–1516), wenn er an seinen Stiefbruder Jacob 1505 schreibt: „Der neugierige Mensch will jene Dinge wissen, die ihm nichts nützen und zum ehrlichen Leben nichts beitragen. Der gelehrte Mensch anderseits begehrt die Wissenschaft, die die Seele ernährt und großzügig unterstützt und im ehrlichen Sinn verwaltet“.414 Man darf aber fragen, wie dieser
412 Füssel u. Kreutzer, Historia, S. 15; Müller, Romane, S. 845. 413 Martin Luther: Tischreden. WA Nr. 1230. Aurifaber: Tischreden, fol. 40r–40v. Eine nützliche Übersicht zu diesem oft behandelten Thema liefert Carlo Ginzburg: High and Low: The Theme of Forbidden Knowledge. In: Past and Present 73 (1976), S. 28–41. 414 „Curiosus enim earum rerum cognitione cupidus est, quae nihil ad eum pertinent, nihilque vtilitatis honestae conducunt. Studiosus autem earum rerum scientia cupidus est, quarum cognitio ad animum nutriendum orandumque liberaliter & ordinatione pertinent honesta“. Johannes Trithemius, Opera historica, II, S. 479. Vgl. Baron: Die Neugierde des Trithemius und die Entdeckung Amerikas, S. 73–84.
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Rat gemeint war, denn mit dem Magus Trithemius wird auch eine andere Einstellung zur curiositas sichtbar, vertreten besonders von denjenigen Humanisten der Renaissance, die sich für die natürliche Magie begeisterten. Trithemius schrieb: „Denn was immer der Welt überhaupt zu wissen möglich ist, habe ich stets zu wissen begehrt“.415 Das besondere Bild des Faustus wurde gezeichnet, um ihn als Vertreter der gefährlichsten, zum Teufel führenden Aspekte der Neugierde hinzustellen. Aber der Faustbuch-Autor konnte anscheinend nicht verhindern, dass man in diesem Bild auch die fortschrittlichen, humanistischen Tendenzen der Zeit erkennen kann. Das hat nämlich Georg Lukács vermutet. [...] alle Überlieferungen der Faust–Sage stammen aus Feindesland‘: es sind Lutheraner, begeisterte Anhänger der Reformation, die die Renaissance-Legende – die tragischen Konflikte der schrankenlosen Forderungen des aus dem Mittelalter befreiten Menschen nach Allwissenheit, nach unbeschränkter Aktivität, nach unbegrentztem Genuß des Lebens – vom Standpunkt der religiösen Sündhaftigkeit solcher Bestrebungen behandelten, die aus dem tragischen Helden der Renaissance ein abschreckendes Beispiel modelten.416
Lukács zeigt den Hintergrund dessen, was Goethe als Grund für die Versetzung der Faust-Legende nach Wittenberg vermutete. Der Text des Faustbuchs bietet die Basis zu einer solchen Erklärung (Faustus „wolte alle Gründ am Himmel vnd Erden erforschen“), wenn man die Entwicklung der einzelnen Motive verfolgt. Aber eine solche Betrachtung ist unvollständig. Lukács hat offen gelassen, mit welchen Textstellen man jene „schrankenlose[n] Forderungen“ belegen kann. Die Versuchung liegt nahe, im Fürwitz des Faustus den Forschergeist von Goethes Faust zu entdecken. Barbara Könneker hat dagegen behauptet, dass die von Faustus begangene Sünde eigentlich im Verbrechen der Zauberei bestehe.
415 „Quidquid in mundo scibile est, scire semper cupiebam“. Arnold: Eine Frage der Glaubwürdigkeit, S. 54. 416 Georg Lukács: Goethe und seine Zeit. Bern 1947, S. 134. Ziolkowski sieht dieselbe Entwicklung aus einer anderen Perspektive. Erst die Attacke auf Faustus habe sein Bild wesentlich geändert; er wurde Renaissancemagier nur durch den Angriff auf ihn: „[...] by motivating Faust with the desire for knowledge and experience, secular as well as theological, the Reformation author [Autor des Faustbuchs] took aim with considerable anti-intellectual animus at the main ideals of the Renaissance, thereby raising Faust from the lowly ranks of itinerant trickster, and elevating him into the company of Renaissance overreachers - and into the lofty order of those earlier seekers after sinful knowledge Adam and Prometheus“. Theodore Ziolkowski: The Sin of Knowledge. Ancient Themes and Modern Variations. Princeton 2000, S. 60. Vgl. Walter Haug: Der Teufelspakt vor Goethe, S. 185–215.
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Studien und Wissenschaft würden also im Faustbuch nicht verdammt.417 Unklar bleibt bei Könneker, nach welchem Wissen Faustus eigentlich strebt und was er davon erwirbt. Dieses fehlende Glied der Interpretation zu ergänzen unternahm Jan-Dirk Müller. Müller stellte fest, dass der Teufel Faustus kein zuverlässiges Wissen vermittelt, sondern nur verworrenes Zeug und Frustration: Der Anleitung zu frommem, christlichen Wandel ist das abschreckende Exempel bis auf wenige Episoden im Schwankteil rigide unterworfen. Um der religiösen Mahnung willen erscheint alles extensiv ausgebreitete Wissen sonst als wertlos. Das Faustbuch zitiert seine möglichen Inhalte nur, um sie zu diskreditieren. [...] Der Gehalt an ‚Welterfahrung‘ ist Schein, denn die Erfahrung kann das schreckliche Ende nicht verhindern; ihr nachzuhängen, lenkt vom einzigen Ziel der Rechtfertigung ab; was sie erschließt, ist, für sich betrachtet, teils Unsinn, teils von öder Beliebigkeit, bestenfalls kurios.418
Um zu verstehen, in welcher Hinsicht das Faustbuch Wertloses ausstellt, lohnt es sich, noch einen Blick auf die Quelle des Faustbuchs, Witekinds Christlich Bedencken, zu richten. In diesem Werk wird zwar Fürwitz oft erwähnt, aber nicht in dem Sinn, den man im Vorfeld des Faustbuchs erwarten würde. Witekind konzipierte sein Buch wegen der Fehlurteile und der ungerechten Hexenverfolgung als Mahnung an die Richter. Für das Faustbuch lieferte er eher beiläufige Hinweise auf Faust[us]. Dieser Zauberer war ihm einer unter anderen. Es geht Witekind darum, die großen Zauberer, wie zum Beispiel Faust[us], Trithemius und Agrippa als die eigentlich gefährlichen Teufelsbündner zu verurteilen. In diesem Sinn wurde schon bei Witekind Faustus der mythische Vertreter des Renaissancemagiers. Der Angriff auf diesen Zauberer war das Besondere, was den Faustbuch-Autor an Witekinds Buch interessierte. Witekinds Strategie, von der Verfolgung der Hexen abzulenken, erwies sich als fruchtbare Anregung. In diesem Sinn hatte Lukács mit seinem Hinweis auf die Sündhaftigkeit gewisser humanistischer Bestrebun-
417 Barbara Könneker: Faust-Konzeption und Teufelspakt im Volksbuch von 1587. In: Festschrift für Gottfried Weber, hg. von Heinz Otto Burger u. Klaus von See. Berlin 1967, S. 159–213. 418 Jan-Dirk Müller: Ausverkauf menschlichen Wissens. Zu den Faustbüchern des 16. Jahrhunderts. In: Walter Haug u. Burghart Wachinger (Hg.): Literatur , Artes und Philosophie. Tübingen 1992, S. 163–194, hier S. 191. Marina Münkler folgt diesen Ergebnissen Müllers und betont ihre Bedeutung für das Verständnis des Werkes. Die curiositas erlaubt ihrer Meinung nach „eine subtile Integration in die Struktur eines verfehlten Lebens und damit seiner narrativen Darstellung“. Sie meint, dass das Faustbuch sich nach den unterschiedlichen Aspekten dieses Begriffs unterteilen lässt. Münkler: Narrative Ambiguität, S. 256. Vgl. Jan-Dirk Müller: Curiositas und erfarung der Welt im frühen deutschen Prosaroman. In: Literatur und Laienbildung im Spätmittelalter und in der Reformationszeit. Hg. von Ludger Grenzmann und Karl Stackmann. Stuttgart 1984, S. 252–273, hier S. 257–258.
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gen vielleicht doch Recht. Das bedeutete aber nicht, dass der Faustbuch-Autor einen „tragischen Helden der Renaissance“ darstellen wollte. Der Faustbuch-Autor benötigte eine Erklärung, warum man überhaupt die Hilfe des Teufels brauchte. Sicher ist, dass die alltägliche Erfahrung der Hexenprozesse hierfür gewisse Anregungen enthielt. Das Beispiel des Prozesses gegen Dietrich Flade ist zum Vergleich nützlich, weil hier, wie auch bei Witekind, ein ungewöhnlicher Fall vorliegt, bei dem zudem noch Akten vollständig erhalten sind. Als Flade mit der Folter konfrontiert wurde, musste er zugeben, dass er den Wissensdurst, die „curiositas sciendi“, befriedigen wollte. Der Angeklagte meinte offenbar, dass es notwendig war, sofort auf die Erwartungen des Gerichts einzugehen, damit er von weiterer Folter befreit werde.419 Es ist aber bemerkenswert, dass keine Erklärung geboten wurde, warum Flade überhaupt neugierig war? Was wollte er wissen? War diese curiositas einfach eine moderne Neugierde, die der Obrigkeit zu gefährlich erschien? Was erwarteten die Richter? Das wissen wir nicht. Was wir wissen ist, dass der Faustbuch-Autor sich vornahm, diese Frage, ein Rätsel seiner Zeit, ausführlich zu beantworten. Das Faustbuch erzählt was Flade nicht tat: warum ein Gelehrter überhaupt Teufelsbündner werden wollte und was er dadurch erreichte. Diese Frage hatte auch Witekind nicht beantwortet, als er Faust[us] mit Trithemius und Agrippa verglich. Das Faustbuch liefert etwas, was weder die Gefolterten noch die Richter eigentlich wussten. Es bot endlich eine ausführliche und phantastische Antwort auf das damalige Rätsel curiositas, auch wenn sie heute als Unsinn erscheint. Marina Münkler hat die Bedeutung der Thematik der curiositas in der Geschichte der Faustbücher betont. Für sie ist der Teufelspakt direkt von ihr abhängig: Der Vergleich zwischen den Faustbüchern des 16. Jahrhunderts wird an einigen Stellen zeigen, dass häufig gerade das an den Beschreibungsaspekten der Faust-Figur verändert wurde, was seit Goethe als deren unveränderliches Substrat gilt. Exemplarisch lässt sich das knapp am Beispiel der curiositas verdeutlichen, die aus moderner Sicht geradezu das ist, was Faust ausmacht. Für die editio princeps von 1587 und die erweiterten Drucke sowie den Reimfaust und das English Faustbook ist curiositas in der Tat als Motivation des Teufelspaktes sowie als organisierendes Prinzip in der Beschreibung der unmittelbar an den Pakt anschließenden Lebensphase von zentraler Bedeutung. Das schließt Akzentverschiebungen im Einzelnen, etwa in den unterschiedlichen Druckfassungen, aber auch bei den formalen Transformationen keineswegs aus. Die Bearbeitungen von Widman (1599) und Pfitzer (1674) aber haben Faustus die Motivation durch die curiositas förmlich herausoperiert und ihm damit das genommen, was als Modernitätsausweis der Figur betrachtet wird.420
419 Witchcraft Collection. Handschrift der Cornell University, fol. 104r u. 119r u. 119v. 420 Münkler: Narrative Ambiguität, S. 36. Vgl. S. 228–258.
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Der Fokus auf curiositas in der Betrachtung der verschiedenen Faustbücher ermöglicht es Münkler, auf eine wichtige Entwicklung aufmerksam zu machen. Die Bedeutung der curiositas im Spiesschen Faustbuch soll aber nicht übertrieben werden. Das organisierende Prinzip ist eher der Teufelspakt. Was der Teufel bietet, geht weit über die Befriedigung der Neugierde hinaus. Der Teufel bietet nicht nur „Wissen“, sondern Ruhm, Macht und unbegrenzte Sinnlichkeit. Alle Faust-Dichtungen, angefangen mit Marlowe, profitierten von dieser im Teufelspakt angelegten Vielfalt.
C. Satire im Faustbuch Die Faust-Figur des 16. Jahrhunderts steht zwischen Faktualität und Fiktionalität. Man glaubte im 16. Jahrhundert, dass Historien „wahre besehen Ding“ sind.421 Aber der anonyme Autor sah seine Aufgabe darin, mit der Lebensbeschreibung des Zauberers eine Warnschrift zu verfassen, und er war bereit, Tatsachenwahrheit zu opfern. Wie und warum er die Ebene der Faktualität, soweit sie noch vorhanden war, verließ, ist eine grundlegende Frage des Faustbuchs. Im ersten Satz schon änderte der Autor die Überlieferung über Faustus‘ Herkunft, wie sie durch Manlius und Witekind tradiert wurde, und verlegte den Geburtsort nach Roda in die Nähe von Weimar. Dazu passte auch das angebliche Studium der Theologie an der nahe liegenden Universität Wittenberg. Beide Behauptungen waren unerwartete Abweichungen, die von keinen Quellen der damaligen Zeit unterstützt wurden. Die Verlagerung der Faustgeschichte nach Wittenberg folgte aber der Logik und den Interessen des Spies-Verlags als Verfechter der Lutherischen Reformation. Die Tischreden Luthers wurden im Faustbuch ein ständiger Bezugspunkt, vertreten durch mehrere versteckte Zitate. Als Witekind das Faustbuch in den Händen hatte, griff er gerade diesen Aspekt des Werkes an, weil er sich nicht vorstellen konnte, dass Faustus als Student in Wittenberg toleriert worden wäre. Unvorstellbar schien ihm, dass er es dort bis zum Doktorgrad in der Theologie geschafft hätte.422 Witekind hatte wahrscheinlich Recht, aber der anonyme Autor des Faustbuchs sah die Zusammenhänge ganz anders. Für ihn ging es darum, Faustus als Feind der Bibel und der Theologie darzustellen. Er rechnete damit, dass der Leser die Verhältnisse in Wittenberg nicht genau kannte, aber damit, dass er den Bruch mit der Bibel und der Theologie als einen vom Teufel inspirierten Verrat an Luther erkannte.
421 Vgl. Wolfgang Kayser: Die Wahrheit der Dichter, Heidelberg 1959, S. 11. 422 Witekind: Christlich Bedencken. Hg. von Frank Baron, S. xxiv.
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Nachdem Faustus die Theologie aufgab, wurde er ein Weltmensch, ein Astrolog und Arzt. Aufgrund seiner wissenschaftlichen Erfahrungen „half erstlich vielen Leuten mit der Artzeney mit Kräutern / Wurtzeln / Wassern / Trancken / Rezepten / vnd Clistiern“ (Kap. 1). Solche Aktivitäten (in Kapitel 33 wiederholt erwähnt) erinnern an den historischen Faustus und vor allem an historische Gestalten wie Theophrastus Paracelsus. Obwohl auf den ersten Blick solche Bestätigungen zunächst in einem positiven Licht erscheinen, war die Absicht des Faustbuch-Autors eine ganz andere. Der Rückblick auf Faustus und Paracelsus war sicher nicht als Rechtfertigung beabsichtigt, sondern als Beweis der Schuld. Faustus „wuste die Regel Christi gar wol“ und genau daran sah der FaustbuchAutor nur die schlimmen Folgen der Nachlässigkeit am Werk: „Wer den Willen deß Herrn weiß / vnd thut jn nicht / der wirdt zwyfach geschlagen“ (Kap. 1. Vgl. Luk. 12,47; 16,13. Deut. 6,16). Es ist eine Sache, den Teufelspakt als eine Gefahr zu imaginieren, aber es ist eine andere Sache, das Zustandekommen eines Teufelspakts und dessen Folgen im Detail zu beschreiben. Die Einzelheiten blieben meistens ein Geheimnis. Der Autor des Faustbuchs bot hier Neues. Er war bereit, der Öffentlichkeit die sonst verheimlichte „Wirklichkeit“ preiszugeben. Die Neugierde des Lesers sollte endlich befriedigt werden. Der Dialog mit dem Teufel war ein originelles Mittel, den Leser über den Teufelspakt aufzuklären. Mit diesem ungewöhnlichen Auftreten des Teufels verließ der Autor die überprüfbare Berichterstattung und öffnete neue Perspektiven. Bis zu diesem Zeitpunkt existierte die Figur des Teufels meistens als eine kaum zu begreifende brutale Macht im dunklen Hintergrund. Der Leser erlebte nun mit der Figur des Faustus und seiner Beschwörungen den Übergang von der Alltagswelt zu einem phantastischen Umgang mit dem Teufel. Man hat oft über den seltsamen Namen „Mephostophiles“ im Faustbuch gerätselt. Eine überzeugende Erklärung ist die Rückführung des Namens auf eine Zusammensetzung aus der griechischen Vorsilbe µἡ (nicht) φως (Licht) φίλειν (lieben) mit der Bedeutung „der das Licht nicht Liebende“, aber auch hier bleibt mit το ein nicht erklärbarer Rest. Dieser Rest lässt sich nur auflösen, wenn man auf das hebräische tophel (Lügner) zurückgreift, das dann in Verbindung mit dem lateinischen mephitis (unrein, stinkend) die ebenfalls nicht unpassend erscheinende Wortbedeutung „stinkender Lügner“ ergäbe.423 Man sieht also, dass der Faustbuch-Autor sich über die Figur des Teufels Gedanken gemacht hat,
423 Das Missverständnis, dieser Teufel heiße ursprünglich Mephistophiles, wie bei Marlowe und Goethe, verursachte in der Sekundärliterur viel Verwirrung. Münkler: Narrative Ambiguität, S. 85. Vgl. Keefer (Hg.): The Tragical History of Doctor Faustus, S. 193.
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und er zeigt, dass er mit unterschiedlichen Sprachen (vier Sprachen!) Erfahrungen hatte.424 Es handelt sich um eine Namensgebung, die an die humanistische Mode erinnert, die auch für die Ausformung des Namens Faustus verantwortlich war. Jedenfalls sind die Bezüge passend für eine Gestalt, die die nächtliche Welt und die schwarze Kunst vertritt und oft als Lügner bezeichnet wird. Mephostophiles bietet Faustus folgerichtig einen Vertrag, der zwar viel verheißt, doch erweisen sich seine Versprechungen bald als Lügen. Faustus muss bald einsehen, dass Mephostophiles die erhofften Erkenntnisse nicht bieten will oder kann. Statt Wissen bietet er Belehrung. Der Teufel erzählt von der Hölle und tut dies im Stil einer Predigt. Faustus erfährt, dass alle Teufel, wie Faustus selbst, zur Hölle verdammt sind. Als der frustrierte Faustus endlich fragt, was Mephostophiles an seiner Stelle getan hätte, sagt der Teufel: „Denn ob ich schon gegen Gott also gesündigt / wolte ich mich doch widerumb in seinen Gnaden erholen“. Dieser Teufel ist eine Maske für den predigenden Autor, und seine Funktion im Faustbuch ändert sich nicht; die von ihm geförderten Verblendungen, das nutzlose Wissen, die vielen Abenteuer, die Unzucht führen Faustus zum gleichen, voraussagbaren Ende hin. Der Auftritt des Teufels im Kapitel 2 “in Gestalt eines grauwen Münchs“ wird im Kapitel 5 polemisch erweitert, damit man ihn als Vertreter der Katholiken erkennt: „in gestallt vnd Kleydung eines Franciscaner-Münchs / mit einem Glöcklin“. Dieses Bild enthält die Polemik Luthers gegen Rom, wie es schon Ein schöner Dialogus von Martino Luther aus dem Jahre 1523 gezeichnet hat. Hier wurde Luther in einem Holtzschnitt selbst abgebildet; ihm gegenüber steht sein Feind, der mit Klauen versehene Teufel im Mönchsgewand. Diese Darstellung hat Luther offenbar gefallen, denn er bemerkte noch im gleichen Jahr: „Darumb habens auch die Maler eben recht troffen, wenn sie den Teufel malen in einer Münch Kappen, und seine Teufels Klawen unten herfür gehen, denn er von Anfang der Welt nichts anders thut, denn die Welt mit Müncherey verführet“.425 Im Tischgespräch heißt es: „Und damit man ihn kennen könnte, zogen sie ihm ein Mönchkappen an und bunden eine Schelle oder Glöcklin dran als Zeichen, dabei man ihmn kennete“.426
424 Die Vorreden von Spies zu seinen lateinischen und deutschen Druckwerken zeigen seine Beherrschung des Deutschen, Griechischen und Lateinischen. Vgl. Liste der Druckwerke (1596) in Baron: Faustus on Trial, Anhang. 425 Zitiert nach Erich Schmidt: Faust und Luther. In: Sitzungsberichte der Königlichen Preußischen Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Kl., 25, 1896, S. 573, und Georg Ellinger: Zu den Quellen des Faustbuchs von 1587: In: Zeitschrift für vergleichende Literaturgeschichte und Renaissance-Literatur. N.F. 1, 1887–1888, S. 175. 426 Martin Luther: Tischreden, WA Nr. 6092.
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Am Ende des ersten Teils stehen im Faustbuch dann Reisen, die Mephostophiles mit Faustus zur Hölle, auf der Erde und in die Nähe des Paradieses unternimmt. Zum Teil sind sie frustrierend, denn der Teufel bietet uns, wie die Randbemerkung versichert, lügenhafte Antworten (S. 48) und sonst Verblendung (S. 53). Die letzten Kapitel (25–32) dieses Teiles bieten auch eine Abweichung von dem predigenden Ton der vorangehenden Kapitel: Faustus lernt verschiedene Teile der Welt kennen und beobachtet, sammelt Erfahrungen. Besonders sein Wissen als Astrologus und Kalendermacher wird hervorgehoben. Was er erfährt, kann er anderen mitteilen u.a. im ausführlichen Brief an den medizinischen Kollegen Jonas Victor (Kap. 28). Man sieht, dass Faustus an Statur gewonnen hat. Freunde bitten ihn, mitzuteilen, was er auf seinen Reisen erfahren hat. In diesem ungewöhnlichen Teil des Werkes findet sich die ausführliche Beschreibung des Fliegens über viele Städte. Dass Faustus mit Hilfe des Teufels fliegen konnte, war in der Überlieferung der Faust-Legende bekannt. Zumindest erzählt Melanchthon, dass Faustus, wie Simon Magus, in die Höhe fahren konnte, der Teufel ihn aber dann fallen lässt. Ganz neu wird im Faustbuch eingeführt, dass Faustus mühelos von oben hinunterschauen kann. Hier wird der Leser an einen mythischen Traum erinnert, an Ciceros Somnium Scipionis, aus De re publica, also eine Wiederbelebung, die dem Faustbuch neue literarische Kontexte eröffnet. Zufällig hatte Spies dieses Werk Ciceros im gleichen Jahr wie das Faustbuch, 1587, drucken lassen.427 Bekannt ist, dass die Beschreibung der Städte, die Faustus besucht, nach dem Alter der Städte sortiert ist. Man findet hier eine treue Abschrift von Passagen aus Hartmann Schedels Weltchronik, wobei sogar die Druckfehler übernommen wurden.428 Der Flug nach Rom und Constantinopel eröffnet einen neuen literarischen Seitenblick, diesmal zur Satire. In Rom findet Faustus „seines gleichen / als vbermut / stoltz / Hochmut / Vermessenheit / fressen / sauffen / Hurerey / Ehebruch / vnd alles Gottloses Wesens“. Drei Tage und Nächte isst und trinkt „der gute Doctor Faustus“ und übt unsichtbar seine zauberischen Künste gegen den verwirrten Papst. Faustus bläst ihm ins Gesicht, lacht und weint abwechselnd. Der Papst vermutet die Störungen einer verdammten Seele und verordnet Ablass-Gebete und eine Messe.
427 Baron: Faustus on Trial, S. 204. 428 Diese Übernahme aus Schedels deutscher Chronik macht unwahrscheinlich, dass das Faustbuch die Übersetzung einer lateinischen Urhandschrift darstellt. Spies-Faustbuch: „die Statt nennen die Vngern Start“ (Füssel u. Kreutzer, Historia, Kap. 26, S. 70, 200 u. 248.; Müller: Romane, S. 901–915, hier S. 915 u. 1409.. Wolfenbutteler Handschrift: „Die Vngern nennen Dise Statt Rart“ (Haile (Hg.): Das Faustbuch nach der Wolfenbüttler Handschrift, S. 85: Schedel: „Aber Buda hieß dise start“. Vgl. Hartmann Schedel: Weltchronik, Nürnberg 1493, fol. 139v.
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In Constantinopel erscheint Faustus dem türkischen Oberhaupt, dem „Kayser Soliman“ [Suleimann II. (1520–1566)] „in gestalt / zierdt vnd geschmuck“. Faustus gibt an, er sei der „Gott Mahomet“ [d.h. der Prophet Mohammed], worauf der Sultan auf seine Knie niederfällt. Er „rüfft also seinen Mahomet an / lobt vnd preißt jn / daß er jn so gewürdiget“. Nun hüllt Faustus das Schloss in Nebel ein und wohnt dort sechs Tage lang. Als sich der Nebel auflöst, fragt der Sultan seine Frauen „wer allda gewesen were / daß das schloß so lang mit einem Nebel vmbgeben gewest“. Sie berichten ihm, es wäre „der Gott Mahomet gwest“. Er habe versprochen, dass „aus seinem Samen ein groß Volck vnd streitbare Helden entspringen“ würden. Der Sultan meint daraufhin, dies sei ein „groß geschenck“ und fragt, ob „er auh eine gute Prob / als er sie beschlaffen bewiesen?“ Sie antworten, „er hett sie geliebet / gehälset vnd were mit dem Werck wol gestaffiert / sie wollten solches alle Tage annemen“. Nur „sein Sprach hätten sie nit verstehen können“. Die Aufenthalte in Rom und Constantinopel deuten an, was noch kommen müsste: der Ruhm, vielfältige Abenteuer, die Macht der Zauberei und sexuelle Freiheit. Während hier die Politik und die sexuellen Abenteuer den Leser besonders interessiert haben dürften, kommt unerwartet auch die lutherische Polemik gegen Rom und den Islam zum Vorschein, mithin die Politik des Spies-Verlags. Der anonyme Autor erweist sich als treuer Vertreter dieser Politik. Aber mit der Hinwendung zu solcher Satire fällt die Figur Faustus aus der Rolle des Teufelsbündners. Der fanatisch warnende Faustbuch-Autor, Feind des paktierenden Faustus, ist in den Hintergrund getreten. Die satirischen Texte über Rom und Constantinopel signalisieren den Wechsel zum folgenden Abschnitt, den Kapiteln 33–60, in denen die Warnungen, mit Ausnahme des Bekehrungsversuchs (Kap. 52–53), weniger schrill sind. Der Fokus wird auf Abenteuer und Schwänke verlegt. Wie kommt es, dass jetzt die Vorteile eines Teufelspakts, anstatt der Nachteile, in den Vordergrund rücken? Durch den Wechsel vom lehrhaften zum unterhaltenden Werk ist dieser Teil des Werkes zweideutig. Der Leser kann den Eindruck gewinnen, als habe der Faustbuch-Autor die Aufgabe der weiteren, für ihn weniger interessanten Kompilations-Arbeit einem Mitarbeiter übergeben. Mit dem Schauspiel am Hof des Kaisers erreicht Faustus den größten Erfolg seines Lebens. Er wird berühmt. Wie und warum der anonyme Autor diese Erzählung an den Anfang des dritten Teiles, an einen Punkt des Lebenslaufs eingeschaltet hat, wird durch den Vergleich mit seiner Quelle klar, den bereits James Landes unternommen hat. Seine Untersuchung bestätigt, was man auch an anderen Vergleichen von Witekind mit dem Faustbuch beobachten kann. Der FaustbuchAutor hatte erkannt, dass Witekinds Anekdoten über die berühmtesten Schwarz-
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künstler gut zu einem Faustus-Lebenslauf passten. Er entdeckte, dass Faustus mit geringen Änderungen ihre Eigenschaften und Taten übernehmen konnte.429 Der Faustbuch-Autor konnte damit rechnen, dass seine Leser den Namen Kaiser Karl V. als den Feind aller Lutheraner erkennen würden. Dieser katholische Kaiser leitete einen militärischen Angriff gegen Sachsen und besiegte 1547 die Armee Johann Friedrichs von Sachsen in der Schlacht bei Mühlberg, einer großen Niederlage des Luthertums. Im Faustbuch wird also ein machtbesessener Herrscher vorgestellt, im Gegensatz zu einem sympathischen, menschlichen Kaiser Maximilian in der Vorlage, der noch lange dem Tod seiner Frau nachtrauert. Faustus versteht den ehrgeizigen Karl V. und zeigt ihm Alexander als mächtigen Weltherrscher, „ein Zierd aller Keyser“. Dass der Faustbuch-Autor aber danach die unpassende und unhistorische Erscheinung von dessen Frau und die Suche nach deren Halsfleckchen von Witekind abschreibt, ist ein Indiz dafür, dass er von dieser Quelle abhängig ist. Die Hauptintention an seiner Manipulation der Quelle ist, ein kritisches Bild dieses Kaisers zu bieten, ein Bild, das ihn als Gönner des berühmt gewordenen Schwarzkünstlers zeigt. Das nachteilig intendierte Bild des Kaisers ist eine Fortsetzung der Kritik an Papst und Sultan. Diese kritische Haltung gegenüber den Feinden des orthodoxen Luthertums kann man auch in den nachfolgenden Kapiteln erkennen. Witekind meint in seiner lebhaften Kritik, dass das Faustbuch eine „Schmehschrift“ sei, die „von bösen Leuten / unser Religion feinden / außgegeben“ wurde.430 Einen Angriff auf seine Religion, d.h., die Orientierung an Melanchthon und Calvin, steht vor allem in den Kapiteln 34-35, 44 und 56. Wenn Kapitel 34 Faustus am kaiserlichen Hof ein „Hirschgewicht“ auf den Kopf eines Ritters setzt, erinnert diese Geschichte zunächst an eine Anekdote Luthers, der am Tisch erzählte, wie ein Schwarzkünstler als Spaß dem Kaiser Friedrich III. (1493), als dieser sich aus dem Fenster lehnte, ein „groß Geweih vnd Hirschhörner“ auf den Kopf zauberte.431 Faustus genießt es, sich über den am Fenster schlafenden Ritter lustig zu machen. Der Autor versichert, dass er den Namen des Ritters bzw. Freiherrn (er wird im Kapitel 56 als Graf bezeichnet), nicht nennen will, aber die Randbemerkung ist bereit, das Geheimnis zu offenbaren: „Erat Baro ab Hardeck“.432 Wie erklärt sich der ungewöhnliche Widerspruch
429 Landes: Witekinds Schwarzkünstler (Trithemius und Agrippa) im Faustbuch In: Christlich Bedencken. Hg. von Frank Baron S. 173–174. 430 Witekind: Christlich Bedencken. Hg. von Frank Baron, S. xxiv. 431 Aurifaber: Tischreden, fol. 308r. 432 Dazu liefert die Faustbuch-Ausgabe von Füssel und Kreutzer folgende Auskünfte. „Hardegg oder Hardeck: eine alte reichsgräfliche Familie, Burggrafen von Maidberg (Magdeburg). Namen und Besitz der Hardeck erhielt 1495 die niederösterreichische Adelsfamilie Brüschenk als kai-
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zwischen Text und Randbemerkung? Hatte der Autor seine Meinung nach Fertigstellung des Textes doch noch geändert? Oder handelt es sich hier um eine Verschleierungsstrategie, damit die wahre Identität des Freiherrn nicht mit Sicherheit identifiziert und eine Verleumdungsklage vermieden werden konnte? Für eine solche Strategie gibt es Anhaltspunkte. Die satirische Zeichnung dieses Freiherrn wird in den Kapiteln 35 und 56 fortgesetzt. Diese Episoden schließen damit, dass der Freiherr auf seinen kriegerischen Feldzügen Faustus wieder begegnet und sich dann an ihm rächen will. Faustus macht sich aber unsichtbar und lässt das „Kriegsheer“ des Freiherrn lächerlich erscheinen. Der Freiherr muss zuletzt einsehen, dass ihm „alles zu hohn vnd spott geschehen were“. Am 30. April 1588 musste sich Johann Spies vor dem Frankfurter Stadtrat gegen die Beschuldigung verteidigen, er habe ein verleumderisches Buch verbreitet. Er soll ein Exemplar „mit sich gen Leipzig genommen haben“, d.h. ein „famos gedicht“, das dem Ruf des Freiherrn Fabian von Dohna geschadet haben soll. Spies wurde am 14. Mai gezwungen, einen Entschuldigungsbrief an von Dohna zu schreiben.433 Ob Spies nur an der Verbreitung dieser Veröffentlichung auf der Messe beteiligt war, oder ob er sie sogar gedruckt hatte, ist ungewiss. Aber in der öffentlichen Debatte zwischen von Dohna und seinen Kritikern hatte Spies jedenfalls gegen von Dohna Stellung genommen. Anlass zu diesem Streit war der gescheiterte Feldzug in Frankreich, den von Dohna als Calvinist, Rat und Feldherr des Pfalzgrafen Casimir geführt hatte. Da von Dohna in seiner Anklage von einem Gedicht sprach, liegt die Vermutung nahe, dass das im gleichen Jahr, allerdings ohne jeden Hinweis auf den Verfasser, Drucker oder Druckort erschienene Spottgedicht gemeint sein könnte: Kurze und zur Warnung nutzlichen Beschreibung des Auszugs Donettis [sic] und der Kalvinisten wider die katholischen in Frankreich (1588). Die folgenden Auszüge zeigen den polemischen Stil des Gedichts. [...] Ein Ausbund war’s von Kalvinisten, Von Hudlmannsgesind und halben Christen. Unfried, Blutdurst, Gift, Grimm und Zorn, War ihnen von Natur angeboren. Alles, was Gott Selbst und göttlich ist, Tratens mit Füssen in den Mist.
serliche Schenkung. Auf welchen Namensträger sich die Anspielung beziehen konnte, ist nicht ersichtlich“. Füssel und Kreutzer: Historia, S. 201. Die Hardegg und Prüschenk, mit Besitz in Niederösterreich, waren unter Maximilian und seinen Nachfolgern einflussreich. Müller: Romane, S. 1414. 433 Bürgermeisterbuch, Stadtarchiv Frankfurt, 1587–1588, 30. April 1588. Vgl. fol 7r. Vgl. auch Ratsprotokollen, 1587/1588, fol. 110r u. 1588/1589, fol. 4r, fol. 7r. Baron: Faustus on Trial, S. 65–67 u. 104–105. Vgl. Hans-Georg Schmidt: Fabian von Dohna, Halle a.S. 1897, S. 149.
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[...] Sagt, wo ist euer reicher Sold? Geld genug, vollauf Silber und Gold? [...] Sie hatten Roß und kamen umb, Auf ihrem Wagen fuhr man drumb. Sie hatten Wehren und warfens weg. Es war keiner mehr so keck {...] Nur etlich ritten in der Gheim Fein aufm Steckn wieder heim.434
Wenn aber Spies an der Verbreitung dieses oder eines ähnlichen Spottgedichts beteiligt war, hätte er oder sein Autor in dem fiktiven Freiherrn am Hofe des Kaisers in Kapitel 34 des Faustbuchs sicher das Spiegelbild des gescheiterten Feldherrn von Dohna gesehen. Es liegt auf der Hand, dass die satirische Darstellung des Freiherrn im Faustbuch eine versteckte Kritik an Fabian von Dohna andeutet, das Resultat einer geschickten Manipulation des überlieferten Erzählstoffes. Eine ähnliche Manipulation findet statt, wenn Faustus am Hofe des Fürsten von Anhalt erscheint (Kap. 44). Wie am kaiserlichen Hof wird er zur Unterhaltung bestellt. Diesmal äußert die Hausherrin, obwohl Winter ist, den Wunsch, „frische Trauben vnd Obs[t]“ zu essen. Um diesen Wunsch zu erfüllen, übernimmt Faustus die Rolle des Albertus Magnus († 1280), der nach Witekind am Kaiserhof als Zauberer tätig war und in Winterzeit „machete den Herrn da zu ehren vnd zum lust / daß der Saal grunete vnd blüete mit beumen / kreutern / laub vnd gras“.435 Witekind kommentiert: „Aber wie kan man die gemeinen geringen leuten diesen teuffelischen handel mit fuge vnd billigkeite wehren / wenn auch die damit vmbgehen, die die sie davon abmanen abhalten vnd darumb straffen solten?“436 Die Satire des Faustbuchs richtet sich wiederum gegen einen Hof, der mit dem Calvinismus in Verbindung stand. Der junge Christian von Anhalt († 1630) wurde zu dieser Zeit Kanzler am Hofe des Casimir in Heidelberg. Er war nicht bereit, die Luther-freundliche Konkordienformel, die Johann Spies 1582 dort herausgegeben hatte, zu unterschreiben. So bestätigt sich Witekinds Klage, dass das Faustbuch gegen seine Religion gerichtet sei.437
434 Schmidt: Fabian von Dohna, S. 85, mit weiteren Zitaten aus dem Gedicht auf S. 102, 137 u. 141. Schmidt zitierte nach einem Exemplar der königlichen Bibliothek in Berlin. 435 Witekind: Christlich Bedencken. Hg. von Frank Baron, S. 19. 436 Ebd., S. 18. 437 Witekinds Kritik weist ihn als Anhänger Melanchthons aus. Diese aber galten als Kryptocalvinisten. Helmut Häuser: Zur Verfasserfrage des Faustbuchs von 1587: Konrad Lautenbach. In: Euphorion 66 (1972), S.151–173, hier S. 155–156.
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Die satirischen Texte in den Kapiteln 26, 33–35,44 und 56 spiegeln einen Stilwechsel, der die fanatischen Warnungen vor Faustus zugunsten einer politischen Kritik an den Feinden des orthodoxen Luthertums unterdrückt. Witekinds Reaktion auf das Faustbuch, zuerst 1593 geäußert, lässt erkennen, dass er in der Gestaltung des Werkes eine Art Racheakt gesehen hat. Denn der Spies-Verlag, der sich in Heidelberg einer Vorzugsstelle als Verlag des Luther-freundlichen Kurfürsten erfreute, wurde, zusammen mit anderen strengen Anhängern Luthers, durch den Regierungsantritt von Johann Casimir aus Heidelberg vertrieben. Durch geschickte Manipulationen wurde die Quelle des Faustbuchs, Witekinds Christlich Bedencken, im Interesse des Spies-Verlags praktisch umgedreht und in eine Waffe umgestaltet. Gerichtet war diese Waffe nicht nur gegen die katholische Kirche, sondern auch in subtiler Weise gegen die neue Heidelberger Politik, sonstige Melanchthon-Anhänger und Calvinisten.
D. Schwänke und Abenteuer Im dritten Teil des Faustbuchs, in den Kapiteln 33–59, werden weitgehend unterhaltende Geschichten erzählt. Die Kapitel 52–53, in denen der Bekehrungsversuch unternommen wird, bilden die Ausnahme. Auch ist es sinnvoll, zwischen den Schwänken, die aus den reichhaltigen Exempelbüchern und von Witekind übernommen wurden, und den sexuellen Abenteuern unterscheiden. Während in den Schwänken der moralistische Ton meistens völlig fehlt, wird bei den sexuellen Abenteuern oft auf deren Sündhaftigkeit hingewiesen. Am Anfang (Kap. 10) wird Faustus vom Teufel ermahnt, dass die Heirat für ihn ausgeschlossen sei: „Ehestand ist ein Werck deß Höchsten, wir aber seind dem gar zuwider, denn was den Ehebruch vnd Vnzucht betrifft / das kompt vns allen zum gutem“. Der Teufel tröstet Faustus, der zuerst an den Ehestand denkt: „Wo du hinfüro in deiner Zusagung beharren wirst / sihe / so wil ich deinem Wollust anders ersättigen [...] so wil ich dir alle Tag vnd Nacht ein Weib zu Bett führen“. Dieses Angebot, das Faustus freudig annimmt („daß sein Hertz für frewden zitterte“), wird im dritten Teil des Faustbuchs in einer Weise ausgeführt, dass man sich an eine Aufzählung à la Don Juan erinnert fühlt: „zwo Niderländerin / eine Vngarin / eine Engelländerin / zwo Schwäbin / vnd ein Fränckin / die ein Außbundt deß Landes“ (Kap. 57). Dem Leser wird klar gemacht, dass dies „ein Säuisch vnd Epicurisch leben“ sei. Faustus will einem adligen Studenten helfen, da dieser ernstlich liebeskrank geworden ist. Er ist verzweifelt, weil es ihm nicht gelungen ist, das von ihm geliebte „vberauß schön Weibsbildt“ zu gewinnen. Faustus kann das Herz der Jungfrau durch seine Zauberei so verwirren, dass sie nicht mehr fähig ist, auf
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irgendeinen anderen Werber zu achten. So kommt es zur gewünschten Hochzeit und „dem D. Fausto ein gute Verehrung davon“ (Kap. 54). Der Autor greift also zurück auf die populären Erzählungen von Liebeszauber. Man wird erinnert an die Geschichte des heiligen Basilius in der Legenda aurea, wo der Teufel einem Knecht hilft, eine adlige Jungfrau zu gewinnen. Zu diesen Episoden gehört auch die nekromantische Widerbelebung der Helena von Griechenland, „derowegen Statt Troja zu grund gangen were“. Faustus wird von den Studenten, die bei ihm Gäste sind und viel Wein trinken, aufgefordert, die schönste Frau der damaligen Welt für sie zu holen. Er geht also aus der Stube hinaus, und als er zurückkommt, „folgete ihm die Königin Helena auff dem Fuss nach / so wunder schön / daß die Studenten nit wusten / ob sie bey jhnen selbsten weren oder nit / so verwirrt vnd innbrünstig waren sie“. Da die Studenten nachher in der Nacht gar nicht schlafen können, bemerkt der Autor, dass hieran zu sehen sei, dass „der Teuffel offt die Menschen in Lieb entzündt vnd verblendt / daß man ins Huren Leben geräth“. (Kap. 49) Das wird auch an Faustus bewiesen. Ergriffen von dem Schauspiel, das er selbst veranstaltet, wünscht Faustus Helena für sich selbst. Nicht erklärt wird, wie dieses seltsame Verhältnis zwischen Mensch und Geist verwirklicht wird, in dessen Verlauf Helena Faustus sogar ein Kind schenkt. Die Helena „gebar jm einen son / dessen sich Faustus hefftig frewete“. Nach dem Tode von Faustus verschwinden Mutter und Kind. So endet das Kapitel 59 ohne die Betonung der moralischen Nachteile dieser seltsamen Vorgänge.438 Typisch für diesen dritten Teil (Kap. 33–59) ist, dass es Faustus nicht mehr um die Erkenntnis von Himmel und Erde geht, sondern um Erfahrungen und um die sonstigen Vorteile des Teufelspakts: Einerseits geht es um den Ruhm und die Macht des Zauberers; andererseits um den Genuss der unbegrenzten Sinnlichkeit. Im Rahmen dieser Neuorientierung, in der der Predigerton in den Hintergrund rückt, darf der Autor die politischen Feinde des Verlags angreifen. Der Leser genießt seinerseits verbotene Blicke in die dunklen Bereiche der Unzucht.
438 Diese Ereignisse haben sogar den Schriftsetzer verwirrt, denn im Randkommentar steht: „Questio / an [b]aptizatus fuerit?“ Die Frage, ob das Kind getauft wurde, bedeutet, dass dieser Begleiter des Autors nicht sicher ist, ob man das Erfundene ernst nehmen soll. Er sorgt sich um das Seelenheil des Kindes. Kann er das ernst gemeint haben? Ist das Kind für ihn nicht ein Produkt der Phantasie und Verblendung? Sieht er nicht, dass die Situation auch eine komische Seite hat? Jedenfalls weicht er ab von seiner sonstigen Tendenz, ein eindeutiges Urteil über die Vorgänge zu geben.
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E. Weheklag, Geständnis und Ende Am Ende der Historia findet sich eine plötzliche Rückkehr zu den Anfängen. Zu hören sind Echos der Spies-Vorrede („wohin die Sicherheit / Vermessenheit / vnnd fürwitz letzlich einen Menschen treibe“) und der Anreize zum Teufelspakt („Fürwitz / Freyheit vnd Leichtfertigkeit“). Anlass ist für Faustus die Erkenntnis, dass die letzten Stunden nahe sind („wie ein Stundenglaß“). Es wird „jhme wie einem gefangenem Mörder oder Räuber“, dem die Todesstrafe unmittelbar bevorsteht. So beginnt die „Weheklag Doctor Fausti“, worin er seine früheren Fehltritte, verleitet durch „Vernunft / Mutwill / Vermessenheit vnnd freyer Will“ (Kap. 64) bereut. Die moralisierende Autorität des Autors, die in den vorangehenden Passagen verblasst war, kommt jetzt wieder zum Vorschein. Bis zu diesem Punkt in der Geschichte der Faust-Erzählungen fehlen ausführliche Auskünfte über ein Geständnis. Nur in Witekinds Christlich Bedencken erfährt der Leser, dass Faustus seine Sünden bereut („Der vielgemeldte Faust hat jm ein mal fürgenommen sich zu bekehren“). Jeder, der am Ende des 16. Jahrhunderts über solche Zusammenhänge berichtete, hätte gewusst, dass ein Prozess mit einem Geständnis enden musste, wie etwa in der Rede vor den Magistern. Was in den Quellen des Faustbuchs fehlte, musste deshalb nach der logischen Reihenfolge der Begebenheiten aus den Hexenprozessen ergänzt werden. Die „Vorrede an den Christlichen Leser“ enthält zur Betonung der warnenden Lehre des Faustbuchs die Feststellung: „Wer auch jemals Historien gelesen / der wirt befinden / wenn gleich die Obrigkeit jr Ampt hierin nit gethan, daß doch der Teuffel selbst zum Hencker an den Schwartzkünstlern worden“. Das kann als Voraussage für das unglückliche Ende von Faustus gesehen werden. Aber den Teufel als Henker zu bezeichnen, kein origineller Gedanke. Er geht sicher auf Martin Luther zurück, der in den Tischreden klar formulierte: „Da aber die Oberkeit auch nicht straffen kan oder wil, So kompt der Teufel vnd strafft“.439 In seiner verzweifelten Lage am Ende des Buches ruft Faustus Luthers Worte: „Wo ist meine feste Burg?“ und er bereut damit, den richtigen Weg des Lutherischen Glaubens verlassen zu haben. In seiner Rede an die Studenten und Magister bekennt er, dass seine Sünden größer wären „denn daß sie jhme mochten verziehen werden“. (Kap. 68) Die Nichtbeachtung Luthers und die Wiederholung der Verzweifelung Kains werden ihm zum Verhängnis. Schon im Kapitel 16 ist davon die Rede, dass Faustus wie Kain verzweifelte, und seine Reue wird auch
439 Aurifaber: Tischreden, fol. 466r u. 282r. Diese Übernahme von Luther wurde in den ausgezeichneten Editionen von Füssel/Kreutzer und Müller übersehen.
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mit der von Judas verglichen. Seine Behauptung, er sterbe als guter und schlechter Christ, wird folgerichtig in der Randbemerkung als „Judas Reu“ verworfen. So beginnt und endet das Faustbuch mit den Worten Martin Luthers. Nur an dem entscheidenden Punkt der Rettung der Seele bietet der Autor eine außerordentliche Abweichung von Luther, den Hexenprozessen (man denke an Dietrich Flade), Heiligenlegenden (man denke an den hl. Basilius) und verwandtem Erzählstoff. Ein Geständnis hätte dem Sündigen in diesen verschiedenen historischen und literarischen Bereichen die Rettung der Seele ermöglicht. Luther hatte durch seine Begnadigung des Wittenberger Studenten bewiesen, dass sogar ein Teufelspakt vergeben werden könnte. Aber der Teufel kann verhindern, dass Faustus die Lehre Luthers wahrnimmt. Er lässt Faustus eine grenzenlose Verwerfung der göttlichen Gnade artikulieren. Walter Haug hat diese Vorgänge im Hinblick auf die Heiligenlegenden formuliert. Er meint, dass der Faustbuch-Autor mit dem legendarischen Prinzip der Rettung brechen musste. „Es wird dies dadurch erreicht, dass man dem Teufelsbündner die eine Sünde unterstellt, die nicht vergeben werden kann: die Sünde, nicht an die Vergebung zu glauben“.440 Aber der Autor statuierte in diesem Fall ein extrem „schrecklich Exempel“. In dieser Radikalität schuf er ein Werk, das in Inhalt und Form Neues brachte, was in keine existierende literarische Gattung recht passte. Obwohl das Faustbuch heute weitgehend als Roman bezeichnet wird, sollte nicht übersehen werden, dass der anonyme Autor unter dem Einfluss der Hexenprozesse eine neue Art Warnliteratur schaffen will.
F. Randbemerkungen Es war die Aufgabe des Schriftsetzers, die Randbemerkungen an strategisch ausgesuchten Stellen einzusetzen. Wer diese kurzen Texte formulierte, ist nicht bekannt. Der Autor könnte präzise Anweisungen dazu gegeben haben. Es ist aber auch denkbar, dass der Autor nur den Auftrag erteilte und dann annahm, dass der Schriftsetzer in seinem Sinn und zur Verdutlichung seiner Absichten die kurzen Texte einsetzen würde. In diesem Fall hätte der Schriftsetzer eigenständig
440 Walter Haug: Der Teufespakt vor Goethe oder Wie der Umgang mit dem Bösen, S. 185–215, hier S. 214. Andrew Weeks bietet in zwei Beiträgen eine ausführliche Übersicht für die Zeit zwischen den Anfängen der Reformation Luthers und dem Faustbuch. Andrew Weeks: Antiauthoritarianism and the Problem of Knowledge in the Faustbuch. In: The Faustian Century. German Literature and Culture in the Age of Luther and Faustus. Hg. von J. M. van der Laan u. Andrew Weeks. Rochester 2013, S. 17–40 u. S. 215–239.
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formuliert. Diese zweite Möglichkeit ist denkbar, weil die Druckausgabe manchmal einen regelrechten Dialog zwischen dem Text des Faustbuchs und der Randbemerkung inszeniert. Die Randbemerkungen nach den einzelnen Kapiteln lauten: Kapitel 2. D. Faustus [b]eschhweret den Teuffel zum erstenmal. – O deß armen Diensts vnd Gehorsams. Kapitel 3. D. Faustus beschweret den Teuffel zum andern mal. – Der Teuffel Regiment. – D. Faustus [b]eschweret den Teuffel zu drittenmal. Kapitel 4. D. Fausti begeren an den Geist. Kapitel 5. D. Faust verschreibt sich gegen den Teuffel. Kapitel 6. O HERR Gott behüt. D. Fausti famulus. Kapitel 10. Der Teuffel erleidet D. Fausto den Ehestandt. Teuffllische Bulschafft. Kapitel 11. Vom Fall Lucifers. Kapitel 14. D. Fausten kommet ein Reuw an. Kapitel 18. D. Faustus Astrologus vnd Calendermacher. Kapitel 21. Helle. Kapitel 22. Teuffel du leugst / Gottes Wort lert anders hievon. Kapitel 23. Wer das Vnziffer erschaffen? Kapitel 24. Denn es war nur eine lauter Phantasey oder traum. Kapitel 25. Nota. Kapitel 26. Trier. Venedig. Padua. Rom. Meyland. Florentz. Leon. Cölln. Ach. Basel. Costnitz. Vlm. Wirtzburg. Nürnberg. Augsburg. Regenspurg. München. Saltzburg. Wien. Prag. Constantinopel. Sulimanus ist Anno 1519. [i]ns Regiment kommen. Alkair. Ofen Sabatz. Magdenburg. Lübeck. Erdfurt. Kapitel 27. Britannia. Berg Caucasus Jnsel Creta. Kapitel 34. Erat Baro ab Hardeck. Kapitel 52. Der Teuffel feyrt nicht.
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Kapitel 53. Behüt Allmächtiger Gott. Si Diabolus non esset mendax et homicida. Kapitel 59. Quaestio an [b]aptizatus fuerit? Kapitel 68. Deß Teuffels Brüder. Judas Rew.
In der Marginalie des Kapitels 59 wird ausnahmsweise eine Frage über denkbare Implikationen des Textes – ob der Sohn von Helena getauft wurde? – gestellt. Der Kommentator deutet an, dass er die Erzählung in einer Weise als Tatsachenwahrheit ernst nimmt (obwohl er in Kapitel 24 von Phantasie und Traum redet), dass er theoretische Fragen darüber stellt, wie man als religiöser Mensch die Folgen der phantasievollen Geschichten weiterdenken würde. Solche Fragen deuten an, dass diese Kommentare wahrscheinlich nicht die des Autors sind, sondern von einer Person stammen, die den Text gut kennt und mit dessen Intention weitgehend einverstanden ist. Die meisten Randbemerkungen sind klare Bestätigungen des Text-Inhalts. Oft wollen sie dem Text stärkeren Nachdruck verleihen. Es wurde schon darauf hingewiesen, dass in Kapitel 34 die Identifizierung des unglücklichen Freiherrn als Baro ab Hardeck nicht im Einklang steht mit der Behauptung des Autors, die Identität des Freiherrn angeblich verschweigen zu wollen („hab ich mit Namen nicht nennen wollen“).441 Eine Spannung zwischen Text und Marginalie ist auch am Ende des Faustbuchs zu beobachten. Dort macht Faustus den letzten verzweifelten Versuch, sein Lebensweise zu rechtfertigen: Dann ich sterbe als ein böser vnnd uter Christ/ ein guter Christ / darumb daß ich eine hertzliche Reuwe habe / vnd im Hertzen immer vmb Gnade bitte / damit meine Seele erretten möchte werden / ein böser Christ / daß ich weiß / daß der Teuffel den Leib wil haben / vnd ich wil jhme den gerne lassen / erlaß mir aber nur die Seele zu freiden.442
441 Eine Variation findet sich in in der Wolfenbütteler Handschrift, die dem Spies-Faustbuch sonst sehr nahe steht. Dort wurde keine Maginalie verwendet, und der Hinweis auf den Baron von Hardeck steht direkt im Text: „Die person mit Namen hab jch nicht melden wollen / aber es wardt ein Ritter vnnd gebornner Freyherr (.fuit der herr von Hardeckh.)“. Darüber hinaus erscheint derselbe Name im Titel des Kapitels und auch noch einmal im Text: Kapitel 58: „Von einem gemachten Kriegshöer wider den Freyherren von Hardeckh erzeigt“. Im Text heißt es: „Da sichet Er [Doctor Faustus] Siben pferdt Daher Reitten / vnnd den herren kennet Er / dann es ward der von Hardeckh Dem Er an dess Kaysers hof ein Hirschorn auf die Stirn bezaubert hett wie Hieruornen gemelt“. H. G. Haile (Hg.): Das Faustbuch nach der Wolfenbüttler Handschrift, S. 94–95 u. 119–120. 442 Füssel u. Kreutzer: Historia, S. 121 u. Müller: Romane, S. 977.
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Am Rand steht aber dazu: „Judas Rew“. Diese Bemerkung schien dem Kommentator notwendig, weil der Leser ansonsten dem ersten Teil der Aussage, dass Faustus auch ein guter Christ sei, Verständnis entgegenbringen könnte. Wer für die Marginalien verantwoorlich war, ist genauso ein Geheimnis wie die Frage nach dem Autor des Faustbuchs, Auch diese und andere Marginalien („der Teuffel feyrt nicht“, „Behüt Allmächtiger Gott“. usw.) deuten an, dass der Autor und der Kommentator am Rande zwei verschiedene Personen sind. Wer für die Marginalien verantwortlich war, ist genauso ein Geheimnis wie die Frage nach dem Autor des Faustbuchs. Auch die These, vertreten von Gustav Milchsack und H. G. Haile, dass die Wolfenbütteler Handschrift dem Autor näher stand als der Spies-Druck von 1587, kann heute nicht mehr überzeugen.443 Für die Identifizierung des Schreibers der Wolfenbütteler Handschrift hat Stephan Füssel wichtige Entdeckungen gemacht. Er hat aufgrund der Wasserzeichen des verwendeten Papiers festgestellt, dass das für diese Handschrift verwendete Papier aus den Jahren 1587–1592 stammt. Das bedeutet, dass die Handschrift „eine Parallelfassung“ zum Druck darstellt. Die Schriftzüge konnten als die eines Nürnberger Berufsschreibers identifiziert werden. Der Grund für die Abfassung der Handschrift „lag vermutlich in den persönlichen Vorlieben des Auftraggebers, Herzog August [1579–1666]“.444 Zur Unterstützung dieser Annahme verweist Füssel auf einen Brief von Ludolphus Lüders, Kantor aus Wernigerode. Sein Brief vom 30. Oktober 1587 bezieht sich nach Füssel auf ein für den Herzog vorgesehenes Exemplar des Faustbuchs, das aber nicht abgeholt wurde und nun Graf Wolf Ernst zu Stolberg angeboten wurde: [..] vndt weill die negste Franckfurter messe doctoris Johannis Fausti historia erstlich außgangen, deren exemplaria diese buchfurer bey ein 50 mitgebracht, aber ehe ichs bin gewar worden all auffgekaufft, außgenommen dieß eine, welchs auch albereit nach Wulffenbuttell verkaufft, aber noch nicht abgeholett, will e. g. ehr den vnterthenigen gefallen woll thon vnd daß geldt, alß 9 gute groschen, dem Wulffenbuttlschen personen wider zustellen, oder ihnen zu erster gelegenheit ein ander exemplar bringen lassen, vndt e. g. diß exemplar vberlassen; stehet derwegen zu e. g. gnedigem gefallen.445
443 „Um das Jahr 1575 etwa, in dem wir uns den Verfasser an seinem Buche schreibend zu denken haben werden [...]“ Gustav Milchsack: Historia D. Johannis Fausti des Zauberers nach der Wolfebütteler Handschrift, S. VIII. „Der tadellose Zustand der Handschrift läßt vermuten, daß sie nicht lange vor 1587 angefertigt wurde [...]“. Haile, S. 15. Während Haile die Unterschiede betont, meint Marina Münkler, dass die Handschrift und das Spies-Faustbuch „sehr eng miteinander verwandt sind“. Münkler: Narrative Ambiguität, S. 14 u. 149–153. 444 Füssel, Stephan: Eine erschröckliche Geschicht ordentlich verfasset, S. 166–171. 445 Ebd. S. 169–170. E. Jacobs: Geschichte des Schrifftums und Bücherwesens in der Grafschaft Wernigerode. In: Zeitschrift des Harz-Vereins für Geschichte und Altertumskunde 7 (1874), S. 363.
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Wenn Füssel recht hat, dass die Wolfenbüttler Handschrift von einem Nürnberger Berufschreiber im Auftrag des Wolfenbütteler Herzog August d. J. verfasst wurde, bleibt immer noch rätselhaft, wie dieser ein Faust-Manuskript zum Abschreiben verwenden konnte, das eigentlich doch in der Werkstatt von Spies liegen sollte. Die Gründe für die Unterschiede zwischen Handschrift und Druck sind noch zu erklären. Man sollte dabei bedenken, dass der unerwartete Erfolg des Faustbuchs zu mehreren Versuchen Anlass gegeben hat, eine veränderte Version als Nachdruck zu rechtfertigen. Denkbar scheint es, dass schon in der Spies-Werkstatt einem Mitarbeiter eingefallen ist, dass ein Raubdruck sehr wertvoll sein könnte und dieser Gedanke zur Herstellung eines alternativen Textes führte.446 Das Faustbuch erschien am 4. September 1587, und, wie der Brief von Lüders beweist, wurde damit ein Bestseller geboren. Am 7. Dezember desselben Jahres hält das Frankfurter Bürgermeisterbuch den folgenden Eintrag fest: „Georg Rueff gegen Johann Spiessen Buchtrucker. Als Georg Rueff Schrifftsetzer vber Hanns spiessen Buchtrucker geclagt, dass er Ime sein verdienten Eidlohn nit entrichten wolle, mit pitt ine mit ernst darzu anzuhalten“.447 Rueff war der Sohn des Pfarrers Melchior Rueff (Ruoff) in Württemberg, der an der Universität Tübingen zum Magister promovierte worden war. Er war später in Aich als Pfarrer tätig (1584–1616). Georg Rueff war 1587 zuerst Buchdruckergeselle bei Reinmichel in Lauingen.448 Noch im gleichen Jahr fing er als Schriftsetzer bei Spies an. Die Einnahmen von Spies stiegen im Jahre 1587, als das Faustbuch erschien, deutlich an. Das Steueramt in Frankfurt registrierte eine Steigerung um 1.000 Gulden. Wenn Georg Rueff meinte, dass er das Recht hätte, seinen rechten Lohn zu erhalten, so war seine Kalkulation wahrscheinlich, dass Spies seinen Beitrag an dem Erfolg seines Bestsellers anerkennen müsste. Kann man mit Sicherheit sagen, was sein Beitrag am Faustbuch wirklich war? Wieder einmal sind nur Vermutungen möglich. Diesem Sohn eines Pfarrers waren der Inhalt und die Tendenz des Faustbuchs vertraut. Die Zusammenstellung des Werkes verlangte eine Fülle mechanischer Arbeit: zum Beispiel die Auffindung der Texte (wie zum Beispiel jener von Hartmann Schedel), die oft Wort für Wort gedruckt wurden,
446 Das Argument im Fall der Wolfenbüttler Handschrift für eine solche alternative Buchvorlage existiert mit den noch zu besprechenden Drucken, die bald nach dem ersten Faustbuch in rascher Folge veröffentlicht wurden. Ein Bestseller forderte die Suche nach solchen wertvollen Handschriften. 447 Bürgermeisterbuch: fol. 153r. Vgl. Baron: Faustus on Trial, S. 67–68. 448 Archiv des Buchwesens 8 (1967), Sp. 1468. Über Melchior Rueff vgl. Christian Sigel: Das evangelische Württemberg. 2. Hauptteil: Generalmagisterbuch. Mitteilungen aus dem Leben der evangelischen Geistlichen von der Reformation an bis auf die Gegenwart. Ohne Ort 1989. Für diese Auskunft danke ich Eberhard Merk im Landesarchiv Baden-Württemberg.
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oder die Verlängerung der Schwänke und der Abenteuer. Da vieles davon schon von Spies gedruckt wurde, fanden sich sicher manche davon auf den Regalen der Werkstatt. Konnte Spies solche mechanische Arbeit Georg Rueff übergeben haben? Darauf gibt es keine sichere Antwort. Vermutlich konnte auch Nikodemus Frischlin als Ratgeber bereit gestanden haben, denn dieser begabte Schriftsteller war in dieser Zeit regelmäßig in der Werkstatt, wie Spies in einem Brief versicherte.449 Rueff war jedenfalls bereit, auch in der Öffentlichkeit zu behaupten, dass er das Recht habe, für seine Arbeit bezahlt zu werden. Das Spies-Faustbuch erwies sich als Bestseller. Die Autorschaft war damals ein Geheimnis und sie bleibt auch ein solches bis heute. Die eingehende Erforschung des Verhältnisses zwischen diesem Buch und seiner wichtigsten Quelle, Witekinds Christlich Bedencken, hebt die Rolle des Verlegers und Druckers Spies als außerordentlich wichtig hervor. Wie der Autor motiviert wurde, seine Quelle auszubeuten und zu manipulieren, ist kein Geheimnis. Welche Personen er zur geheimen Zusammenarbeit gewinnen musste und wie viel diese zum Erfolg des Buches beigetragen haben, bleibt noch zu klären.
G. Täuschungen des Johann Spies In seiner Vorrede berichtet Johann Spies, dass er sich oft gewundert habe, dass noch niemand die berühmte Geschichte von Faustus „ordentlich verfassete“. er habe oft nachgefragt, ob nicht „diese Histori schon allbereit beschrieben were“. Nach vielen Nachforschungen konnte er dann doch berichten, dass sie ihm „newlich durch einen guten Freundt von Speyer mitgetheilt vnd zugeschickt worden“. Der Freund aus Speyer hatte zugleich gebeten, die Geschichte „als ein schrecklich Exempel deß Teuffelischen Betrugs / Leibs vnd Seelen Mords / allen Christen zur Warnung“ zu veröffentlichen.450 Spies behauptet nicht, dass der
449 Spies bestätigte am 24. November 1588, dass Frischlin seit 1586 bei ihm „zu Franckfurt in meiner druckerey, etlich monat lang, wegen seiner Bücher, die ich nun in offentlichen druck in zimlicher anzall gedruckt, ehrlich, nüchtern, bescheiden vnd alle gebühr nach gegen menniglichen verhalten [...] die ganze Zeit mit der Correctur (ohn daß er von Franckfurt abgefordert wordenn, da der Nomenclatur seines beywesens am allerbeste bedorfet hat) mit allem vleiß abgewartet“. Baron: Faustus on Trial, S. 182. Vgl. im Anhang die Liste der von Spies herausgegebenen Werke Frischlins, darunter Nomenclatur. 450 Füssel u. Kreutzer: Historia, S. 5. Müller: Romane, S. 833. Zur Interpretation des Faustbuchs in Beziehung zu seiner Quelle sieht auch Ott Schwierigkeiten. „Die Lektüre Lercheimers, die textuellen Bezugspunkte des Faustbuchs und das Verlagsprogramm des Johann Spies – all dies deutet darauf hin, dass der neuzeitliche Literaturbegriff wenig geeignet ist, den spezifischen Ort
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Freund aus Speyer der Autor sei, sondern nur, dass er das Faustbuch ausfindig gemacht hat. Durch eine bessere Kenntnis der Tätigkeiten und Orientierung des Spies-Verlags in Heidelberg und nachher in Frankfurt gibt es heute einen festeren Boden, den Weg der Faustus-Vita von Heidelberg nach Frankfurt zu verfolgen. Warum Spies die Entstehung seines Buches in Speyer sehen wollte, ist eine legitime Frage. Vielleicht wollte er mit dieser Herkunftslegende die Autorschaft verschleiern. Gleich am Anfang findet sich die erste von Spies gesetzte Täuschung, um den eigentlichen Autor geheim zu halten. Wenn Spies an einer „Histori“ interessiert ist, die „ordentlich“ verfasst werden sollte, bedeutet es nicht, dass er einfach eine Erzählung wünscht, die historisch präzis oder unterhaltend ist. Entscheidend ist für diesen orthodoxen Lutheraner der ideologische Standpunkt. Eine Folge davon ist die völlige Verachtung der Tatsachenwahrheit. Um zu erklären, wie das Faustbuch entstand, muss man beachten, wie der Text von Witekinds Christlich Bedencken umgeformt wurde. Viele Teile des Werkes wurden aus ihren Zusammenhängen gerissen, ihrer Argumente entledigt, mit einem anderen Fokus und völlig neuer Struktur versehen. Der Standpunkt wurde zu dem des Spies-Verlags hin verschoben. Statt einer Argumentation gegen gelehrte Zauberer oder für zu unrecht angeklagten Frauen, wurde das erzählerische Zentrum auf einen einzelnen Zauberer und dessen Lebenslauf konzentriert. Während in der Quelle des Faustbuchs Melanchthon als Autorität gegolten hatte, wurde dieser Feind des Spies-Verlags völlig durch Martin Luther ersetzt. Luthers Wittenberg wurde der zentrale Schauplatz der Geschichte. Diese Tilgung Melanchthons aus der Faustus-Vita kann als Racheakt gesehen werden, denn 1585 wurde Johann Spies durch den Regierungswechsel von Ludwig zu Johann Casimir mit seiner erfolgreichen Druckerei aus Heidelberg verdrängt. Durch den Hinweis auf den Freund in Speyer will Spies offenbar verhindern, dass der eigentliche Hintergrund des Faustbuchs bekannt wird. Wenn es um den Freiherrn mit Hirschhörnern am kaiserlichen Hof geht, sagt der Erzähler in Kapitel 34, er wolle dessen eigentlichen Namen nicht nennen, aber der Kommentator am Rand des Textes erklärt, dass die Erzählung den Baron von Hardeck betrifft. Diese Uneinigkeit zwischen Text und Marginalie ist zunächst verwirrend. Aber wenn später von den Feldzügen desselben Freiherrn erzählt wird (Kapitel 56), fällt es dem damaligen Leser nicht schwer zu erraten, wer gemeint war. Hier war offenbar an eine Satire auf den damals bekannten Frei-
der Historia innerhalb narrativer und textgebundener Kommunikation adäquat zu beschreiben“. Michael R. Ott: Fünfzehnhundertsiebenundachtzig. Literatur, Geschichte und die „Historia von D. Johann Fausten“. Frankfurt am Main 2014, S. 105–109, hier S. 108. Michael_Ott_1587.pdf (13438 KB) (25. Dezember 2018).
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herrn Fabian von Dohna zu denken, der von Heidelberg aus einen Feldzug in der Sache der Calvinisten nach Frankreich unternahm. Dass Johann Spies eine solche versteckte Satire konzipieren würde, wird wahrscheinlich, wenn man sieht, dass er auch sonst als Gegner von Dohna aktiv war. Baron von Dohna, seit 1578 im engen Kreis der Berater des Pfalzgrafen Johann Casimir, galt als „vehemens Calvinista“.451 Eine Reihe von Autoren des Spies-Verlags wurde in Heidelberg angegriffen, ersetzt und aus der Stadt gedrängt.452 Eine weitere Täuschung offenbart sich in Ungenauigkeiten, die ein Vergleich der Vorreden des Spies-Druckes mit der Wolfenbütteler Handschrift zu Tage fördert. Die Vorrede des Spies-Faustbuchs verspricht eine lateinische Ausgabe am Schluss: Damit aber alle Christen / ja allen vernünftige Menschen den Teuffel vnd sein Fürnemmen dest besser kennen / vnnd sich dafür hüten lernen / so hab ich mit Raht etlicher gelehrter vnd verstendiger Leut das schrecklich Exempel D. Johann Fausti / was sein Zauberwerck für ein abscheuwlich End genommen / für die Augen stellen wöllen /Damit auch niemadt durch diese Historien zu Fürwitz vnd Nachfolge möcht gereitzt werden / sind mit fleiß vmbgangen vnnd außgelassen worden die formae coniurationum / vnndwas sonst darin ärgerlich seyn möchte / vnnd allein das gesetzt / was jedermann zur Warnung vnnd Besserung dienen mag. Das wöllest du Christlicher Leser zum besten verstehen / vnd Christlich gebrauchen / auch in kurtzem deß Lateinischen Exemplars von mir gewertig seyn.
451 Volker Press: Calvinismus und Territorialstaat. Regierung und Zentralbehörden der Kurpfalz 1559–1619. Stuttgart 1970, S. 312–321. Der Pfarrer Conrad Lautenbach charakterisierte Dohna in einem Brief vom 14. April 1584 aus Heidelberg als fanatischen Calvinisten. Lautenbach war einer der Autoren, dessen Werke Spies druckte. Vgl. Friedrich von Bezold (Hg..): Briefe des Pfalzgrafen Johann Casimir. München 1903, S. 707. Zu Lautenbach vgl. die These, dieser käme als Autor des Faustbuchs in Frage. Vgl. Helmut Häuser: Zur Verfasserfrage des Faustbuchs, S. 151–172. Vgl. auch Baron: Faustus on Trial, S. 31–38, 61–63, 161, 173, 197 u. 201. Conrad Lautenbach war mit Gedichten und Übersetzungen an dem Theatrum de veneficis (1586) beteiligt, in dem auch Witekinds Christlich Bedencken gedruckt wurde. Sein Stil vermittelt keinen Fanatismus in der Sache des Hexenwahns, sondern eher einen abwägenden Ton, der beide Seiten der Debatte verstehen will. Wenn Häuser Recht hätte, dass Lautenbach der Autor des Faustbuchs war, würde man erwarten, den charakteristischen zu Ton des kämpfenden Predigers wiederzufinden. Das kann man aber nicht. In der Vorrede zu Theatrum de Veneficis heißt es: „Vnd ist hievon zu vnser zeit / Entstanden auch ein grosser streit / Ob man ein Hexen vnd Vnhold / Mit Fewr flammen hinrichten solt / Die Herrschafft ist eins theils zu lind / Eins teils fehrt sie zu geschwindt“. In einem Briefwechsel in den Jahren 1587–1590 mit Johannes Pappus in Strassburg erwähnt Lautenbach Spies mehrmals als wertvollen Mitarbeiter („Spiessius noster“) in Druckprojekten für die Sache des Lutherthums. Vgl. Briefwechsel in der Universitätsbibliothek Hamburg, Sup. ep. 11, fol. 534v–535r. 452 Conrad Lautenbach, Peter Patiens, Timotheus Kirchner u. Philipp Marbach verließen Heidelberg. Vgl. Burckard Gotthelf Struve: Ausführlicher Bericht von der Pfälzischen Kirchen-Historie. Frankfurt a. M. 1721, S. 400 ff. Baron: Faustus on Trial, S. 31–39.
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Hier spricht der verantwortliche Herausgeber Johann Spies, denn er konnte ein lateinisches Exemplar mühelos versprechen. Spies will offenbar den Eindruck erwecken, dass sein Text ernstzunehmen ist. Die gleiche Intention liegt dem Vorwort zugrunde, wenn darin versichert wird, dass es sich beim Faustbuch um eine Übersetzung aus dem Lateinischen handelt! Das kann aber nicht wahr sein, denn die Vorlagen für das Faustbuch, wie auch für die Handschrift, waren in mehreren Fällen deutsche Texte. Man sieht dies am besten an der Beschreibung der Reisen. Sogar die Schreibfehler von Schedels Weltchronik wurden kopiert. Wie ist diese nahe Verwandtschaft zu erklären? Hatte der Berufschreiber der Wolfenbütteler Handschrift Zugang zu jenem Manuskript, das dem Druck vorgelegen hatte, damit er dieses Manuskript als Basis für einen innovativen Raubdruck verwenden konnte? Jedenfalls kann man das Vorhandensein eines lateinischen Exemplars als Täuschung betrachten. Die späteren Klagen von Witekind, von Dohna und Rueff erlauben einen flüchtigen Blick in die Werkstatt des Verlags. Alles deutet auf ein in Eile zusammengeworfenes Werk hin. Spies kam wahrscheinlich auf den Gedanken, Witekinds Schrift in einem neuen Rahmen umzuformen. Nachdem der Inhalt und die ideale Struktur feststanden, war die Recherche nach den zusätzlich einzusetzenden Texten (Elucidarius, Schedel, Luthers Tischreden, usw.) wohl schnell erledigt. Auch die Verlängerung der Schwänke ließ sich leicht bewerkstelligen. Diese mehr oder weniger mechanischen Arbeiten konnten den Mitarbeitern (wie Rueff ?) übergeben werden. Man kann sich vorstellen, dass Spies aus diesen Gründen nicht bereit war, dieses Projekt vereinfachend als das Erzeugnis eines einzelnen Autors zu bezeichnen, besonders wenn eine Autornennung gewisse Risiken implizierte. Die Rekonstruktion dieses Weges von den ersten Anregungen zum Druck des Faustbuchs stützen sich auf die Aussagekraft von wenigen Quellen. Man kann einwenden, dass sie nicht genügen. Aber sie sind plausibel, wenn man den Hintergrund bedenkt. Johann Spies förderte lebenslang die Sache Martin Luthers, wie ein Blick auf sein Verlagsplakat von 1596 veranschaulicht.453 Er sah es als seine Aufgabe an, Witekinds Christlich Bedencken und die theologische Tendenz, die ihn selbst aus Heidelberg vertrieben hatte, zu bekämpfen. Eine radikale Umarbeitung der üblichen Einzelheiten der Faustus-Vita fand vor diesem Hintergrund statt. Der entscheidende Anstoß zur Umarbeitung ging zweifellos von Spies aus. Sein Erfolg als Drucker am kurfürstlichen Hof war keine Sache nur der finanziellen Vorteile, sondern vor allem eine Errungenschaft des Glaubens. In Heidelberg durfte er zunächst energisch das Erbe Luthers energisch fördern. Aber der plötzliche Tod Ludwig VI. führte zu einem für orthodoxe Lutheraner fatalen Regie-
453 Baron: Faustus on Trial, Abbildung des Plakats am Ende des Buches.
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rungswechsel zum Calvinismus, und Spies wurde gezwungen, seinen Kampf, zusammen mit seinen vertriebenen Autoren, von Frankfurt aus fortzusetzen. Die Ausbeutung des Christlich Bedenckens war damit verbunden.
H. Provokationen des Bestsellers Johann Spies datierte die Vorrede zu seinem Faustbuch auf den 4. September 1587. Bereits für den Oktober gibt es den bekannten Bericht von Ludolphus Lüders, nach dem fünfzig Exemplare sofort verkauft worden seien.454 Noch für das gleiche Jahr gibt es Berichte von mehreren Raubdrucken; in Braunschweig zum Beispiel erhielt der Stadtrat Exemplare, die in Berlin gedruckt worden waren.455 Am 27. November 1587 beschwerte sich der Kirchenkonvent in Strassburg, dass das Faustbuch „gar ärgerlich sei und der Jugend, die ohnehin mehr Lust zu dergleichen Sachen denn zu etwas Gutem habe, leicht gefährlich werden könne“. Es sei „in so vielen Exemplaren hergeführt worden“, dass der Konvent dem Rathe gegenüber die Besorgnis aussprach, „es möchte wohl gar noch einmal hier aufgelegt werden“. Die Folge war, dass der Druck in der Stadt verboten wurde.456 1588 wurde das Buch in Basel verboten.457 In Tübingen wurde ein Faustbuch gedruckt, aber diesmal ausnahmsweise in „reimen verfasset“. Auch in diesem Fall war das Buch in Eile hergestellt und am 7. Januar 1588 veröffentlicht worden. Der Drucker, Alexander Hock, hatte aber falsch kalkuliert, indem er glaubte, dass er das Buch auch ohne Genehmigung verkaufen könnte. Sowohl er als auch Magister Johann Feinaug, der den Text des Spies-Faustbuchs versifiziert hatte, wurden inhaftiert. Noch im Kerker klagte Feinaug bitter in einem Brief an den Rektor der Universität, dass er dort ohne Speise und Trank leide. Er gab zu, dass er den Text in Verse gesetzt hatte, aber erst nachdem er [...] lange und oft darum gebeten worden war – ohne die Gesetze und Regeln zu kennen, die von einem Drucker zu beachten sind. Ich habe das nicht einer Veröffentlichung wegen gemacht und auch nicht deswegen, um anderen Menschen anstößig zu werden, sondern allein der Übung und der Erholung wegen, und zwar nur in den Stunden meiner Freizeit,
454 Jacobs: Geschichte des Schrifftums und Bücherwesens in der Grafschaft Wernigerode, S. 363. 455 Baron: Faustus on Trial, S. 52. 456 Wilhelm Hornung: Dr. Johann Pappus von Lindau. 1549–1610. Münsterprediger, Universitatsprofessor und Präsident des Kirchenkonvents in Strassburg. Strassburg 1891, S, 255. 457 Carlos Gilly: Spanien und der Basler Buchdruck bis 1600. In: Basler Beiträge zur Geschichtswissenschaft 151 (1985), S. 243.
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also ohne Vernachlässigung meiner Studien. Dass ich das Buch schon längst zu verschiedenen Orten zum Kauf angeboten gesehen habe, bin ich auch nicht als sein Verfasser zu betrachten; der Gedanke, dass es sich um eine unwillkommene und gar hassenswerte Sache handle, ist mir dabei nicht gekommen – viel eher habe ich geglaubt, dass sie künftig von Nutzen sein könnte.458
Feinaug (†1627), der später viele Jahre als Pfarrer wirkte, hat sachlich erzählt, was er tat und glaubte, dass nämlich die Faustgeschichte nichts Gefährliches sei, sondern einen erbaulichen Charakter habe. Dass die Sorgen der Obrigkeit doch als berechtigt erscheinen konnten, bestätigt der Fall des Tübinger Studenten David Lipsius, der 1596 dem Teufel ein schriftliches Angebot machte, um ihn aus seiner finanziellen Not zu helfen. Nun folgte ein regelrechter Hexenprozess, denn man wollte wissen, wie der Student auf diesen Gedanken gekommen wäre, welche Art Verhandlungen er mit dem Teufel gehabt habe, ob er von dem Teufel etwas bekommen hätte, wer ihn dazu angeregt habe, welche Bücher dahinter steckten, welche Bedingungen der Teufel erfüllen sollte, usw. Dadurch, dass er versprach, die Stadt zu verlassen, konnte Lipsius verhindern, einen gefährlichen Prozess zu erleben.459 Hermann Witekind hat die Gefahr solcher Versuchungen vorhergesehen, als er seine warnenden Worte gegen das Faustbuch formulierte, nämlich dass solche Bücher die „fürwitzige jugent“ verführten, dem Faust[us] zu folgen, damit sie „dergleichen wunderwerck“ auch verwirklichen könnten, ohne über die Folgen nachzudenken.460 In einer Zeit des festen Teufelsglaubens, in der viele hingerichtet wurden, blieb es rätselhaft, warum Menschen sich mit dem Teufel verbinden wollten, und was sie dadurch eigentlich zu erreichen hofften. Der Fall David Lipsius bezeugt, dass man gelegentlich bereit war, einen solchen gefährlichen Versuch zu machen.
458 „Composui enim ac rythmis verti huius libelli, diu multumque rogatus, nesciens leges ac regulas typographo observandas, posteriorem partem, non ut in lucem aederem, nec offendiculum praeberem aliis, sed tantum exercitii ac recreationis loco, horisque succisivis, absque neglectu meorum studiorum. Cumque eundem etiam aliis in locis iam dudum venalem viderim, nec ego eius author sim, rem non ingratam ac odiosam, sed utilem potius futuram existimavi“. Günther Mahal: Der Tübinger Reim-Faust. Tübingen 1977, S. 7–9. 459 Lateinsicher Text und Übersetzung bei Günther Mahal: Faust-Splitter aus drei Jahrhunderten. In: Volker Schäfer (Hg.): Bausteine zur Tübinger Universitätsgeschichte 5 (1981), S. 99–107. Vgl. Baron: Faustus on Trial, S. 55–56. 460 Witekinds im Jahre 1593 geäusserte Kritik am Faustbuch in Witekind: Christlich Bedencken. Hg. von Frank Baron, S. xxiv.
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Begleiterscheinungen
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X. Begleiterscheinungen: Inversion und mythische Identifikation In einer ausführlichen Studie der dämonologischen Schriften der frühen Neuzeit beobachtet Stuart Clark ein ständig wiederkehrendes Phänomen der Inversion. Um zu zeigen, wie die Hexen die Welt umkehren, verweist Clark am Anfang seines Werkes auf die Abbildung der Hexen bei Hans Baldung Grien. Witchcraft, Baldung is reminding us, is an act of pure inversion. Witches model their behavior on our world, just as we do. Because their inspiration is demonic, their perception is overturned; they see and do everything the wrong way up.461
Die Zeichnung Baldungs aus dem Jahre 1514 stellt drei Hexen dar, von denen zwei die dritte zwingen, den Kopf zwischen die Beine zu drehen, damit sie die Welt umgekehrt wahrnimmt. Baldung’s depiction of witchcraft—in which natural inversion was a sign of cultural preposterousness - was, in fact, common among the witchcraft authors of the sixteenth and seventeenth centuries.462
Nach Clarks Untersuchung stellt sich die Frage, ob auch das Faustbuch als Beispiel für diese Inversion gelten kann. Auch wenn Clark das Faustbuch nicht behandelt, ist das Thema offenbar zeitgemäß. Denn Marguerite DeHuszar Allen hat schon früher Inversion als einen Schlüsselbegriff des Faustbuchs benannt. Ihre Untersuchung konzentriert sich zunächst auf die Übernahme der erfolgreichen Heiligenlegenden–Muster (vor allem aus der Legenda aurea des Jacobus da Voragine). Sie zeigt, dass die strukturellen Grundzüge der Legenden im Faustbuch zwar zu erkennen sind, aber dass deren positive Botschaft in ihr Gegenteil verkehrt wird. The world of Faustus is still the unambiguous world of superhuman feats and superhuman heroes where evil is ultimately punished and the Devil is still the source of all evil. All that has changed in the formula is that, for polemical purposes, an unholy one has usurped
461 Stuart Clark: Thinking with Demons: The Idea of Witchcraft in Early Modern Europe, S. 13. 462 Ebd., S. 14. Ginzburg veranschaulicht einen nah verwandten Vorgang, wenn er von der Umkehrung des Gebets in einem Hexenprozess des Jahres 1623 berichtet („to recite the Pater Noster backwards“). Dadurch soll der Teufel gewonnen werden. Carlo Ginzburg: The Night Battles: Witchcraft & Agrarian Cults in the Sixteenth and Seventeenth Centuries, übersetzt von John u. Anne Tedeschi. Harrisonburg, VA 1983, S. 110–111 u. 199. https://doi.org/10.1515/9783110613070-011
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the role of the saint, reflecting the shift from Catholic to Lutheran values. […] As the values underlying these popular saints legends were being attacked and undermined, what could be more natural than the desire, in fact the urgent need to “rewrite”, to revise them in the light of Luther’s religious revolution.463
Der Teufelspakt und der Abend vor dem bevorstehenden Tod sind nach Allen die auffälligsten Höhepunkte, in denen die Taufe und das heilige Abendmahl auf den Kopf gestellt werden. Die Wunder, die die Heiligen durchführen, sind im Faustbuch vergleichbar mit den Erzählungen auf dem niedrigsten Niveau der schwarzen Kunst, mit den Schwänken der teuflischen Zauberei. Man könnte aber auch auf andere Textstellen der Inversion hinweisen. Schon das verdeckte Wortspiel mit dem Namen Mephostophiles („der das Licht nicht Liebende“) deutet auf eine Strategie des Autors, den Leser in einen dunklen Bereich der Schwarzkunst zu führen. Bald nach dem Paktabschluss äußert Faustus den Wunsch zu heiraten. Das wäre eine Absicht, die Martin Luther unterstützt hätte. Der Teufel darf das aber nicht erlauben, denn er ist „doch ein feind deß Ehelichen stands“.464 Er rät davon ab und verspricht, Frauen bereitzustellen, damit Faustus seine sexuellen Begierden befriedigen kann. Die sündhafte Lebensweise beweist, dass dem Teufel gelungen ist, die Heiligkeit der Ehe ins Gegenteil zu kehren. Hier dient die Inversion dazu, Luthers festen Glauben an die Ehe zu bestätigen. Als der Nachbar den Faustus aus seinem teuflischen Leben retten will, erscheint der drohende Teufel und „rettet“ Faustus für sich. Darin folgt er dem üblichen Vorgang der Hexenprozesse, wo er (als folternder Vertreter des Gerichts) die Angeklagten zwingt, den Teufelspakt zu bestätigen. Auch der Bekehrungsversuch wird auf den Kopf gestellt. Die übliche lügenhafte Buße des Angeklagten in den Prozessen erscheint hier als Triumph des Teufels. Auch anderswo hat die Inversion die gleiche Funktion. Während am Anfang der Autor erklärt, den Faustus treibe Fürwitz und Freiheit zum Teufelspakt, erfährt man am Schluss, dass Faustus Luthers Warnungen gegen solche Anreize nicht achtet. Dort sieht Faustus mit seinen Klagen ein, dass er getäuscht wurde, dem Weg Luthers nicht gefolgt zu sein. Auch am Ende wird Faustus durch die Manipulation des Teufels mit Versen konfrontiert, die angeblich von Martin Luther stammen: Weistu was so schweig / Jst dir wol so bleib.
463 Allen verwendet auch den Begriff „reversal“. Marguerite DeHuszar Allen: Faust Legend: Popular Formula and Modern Novel, S. 38–39. Zur Beschreibung dieses Phänomens besteht Münkler dagegen auf dem Begriff „Kontrafaktur“. Münkler: Narrative Ambiguität, S. 142–145. 464 Füssel u. Kreutzer: Historia, S. 27.
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Hastu was / so behalt / Vnglück kompt bald. Drumb schweig / leid / meyd vnd vertrag / Dein Vnglück keinem Menschen klag. Es istz zu spat / an Gott verzag / Dein Vmglück läufft herein all tag.465
Der Teufel erscheint am Ende dieser Historia als Gegenspieler Martin Luthers. Der Teufel braucht am Text Luthers wenig zu ändern, um Faustus mit dessen Inversion zu konfrontieren. Luther zitiert in den Tischreden Verse gegen die Verzweifelung: „An Gott nicht verzag / Dein Glück kömet alle tag“, um den Menschen Hoffnung geben.466 Nun nutzt der Teufel das umgeformte Gedicht, um Faustus in noch grössere Verzweifelung zu stürzen. Die Umkehrung der Worte Luthers bedeutet aber, dass Luther in dieser kritischen Stunde eigentlich Recht hat. Diese Manipulation zeigt sich auch am Ende des Faustbuchs: Faustus verliert nicht nur seinen Leib (wie der reuige Teufelsbündner in den Hexenprozessen), sondern auch seine Seele, weil er die Lehre Luthers nicht beachtet: Faustus verzweifelt; er glaubt nicht, dass er gerettet werden kann. Jan-Dirk Müller schreibt dazu: „Der Trostspruch [Luthers; F. B.] wird durch die Umdeutung im Faustbuch zur zynischen Bekräftigung unausweichlicher Verdammnis“.467 Ein Parallelfall ist die Zusammenkunft, zu der Faustus die Studenten einlädt, um das letzte Abendessen bei ihm einzunehmen. Hier erzählt Faustus, dass er sein „Leib und Seel“ dem Teufel versprochen habe. Das Geständnis ist zugleich eine blasphemische Umkehrung der Worte Christi beim heiligen Abendmahl.468
* * * Thomas Mann widmet sich in seinen Essays über Sigmund Freud und Goethes Faust ausführlich dem Phänomen der „mythischen Identifikation“.469 Mann erklärt diese mythische Identifikation an Beispielen: dass Alexander der Große
465 Füssel u. Kreutzer: Historia, S. 115 u. 208; Müller: Romane, S. 969 u.1423–1424. 466 Aurifaber: Tischreden, fol. 204r. 467 Müller: Romane, S. 1424. 468 Vgl. Clark: Thinking with Demons, S. 11 ff. 469 Thomas Mann: Werke, Schriften und Reden zur deutschen Literatur, Kunst und Philosophie. II, Oldenburg 1960: „Freud und die Zukunft“ (1936), S. 213–231 und „Über Goethes Faust“ (1938), S. 592–595. Ignace Feuerlicht: Thomas Manns mythische Identifikationen. In: German Quarterly 36 (1963), S. 141–151. Dietrich Assmann: Faustus Iunior. Thomas Mann und die mythische Identifikation. In: Neuphilologische Mitteilungen 72 (1971), S. 549–553. Assmann verweist mit Recht auf unbedeutende Fehler Thomas Manns, aber er selbst macht Fehler in seiner Beschreibung des historischen Faustus, wodurch sein Beitrag weniger überzeugend wirkt.
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in den Spuren des Militiades ging; Cäsar wollte Alexander nachahmen. Napoleon wollte ebenfalls mit Alexander verwechselt werden. An solchen berühmten Beispielen erkennt man eine Tendenz, „in der Vergangenheit ein Vorbild“ zu suchen, [...] ein Vorbild, in das er wie in eine Taucherglocke schlupfe, um sich so, zugleich geschützt und entstellt, in das gegenwärtige Problem hineinzustürzen. [...] Dieses ‚Nachahmen‘ aber ist mehr, als heute in dem Worte liegt; es ist die mythische Identifikation, die der Antike besonders vertraut war, aber weit in die neue Zeit hineinspielt und seelisch jederzeit möglich bleibt.470
Thomas Mann reflektiert über Strategien der Selbstdarstellung. Mythische Identifikation bedeutet Nachahmung und Wiederkehr. Thomas Mann erklärt hier etwas, was ihm und seiner eigenen Erzähltechnik sehr nahe liegt. Mann enthüllt im Grunde das Geheimnis seiner eigenen Kunst, wie er als Erzähler Identifikationen als Mittel verwendet, um so die Helden seiner Werke überzeugender zu gestalten. Diese Helden sind Nachahmer, sie wiederholen die Gesichtszüge, Gedanken oder Taten ihrer Vorgänger. Man kann praktisch jedes seiner Werke als Bespiel dafür anführen, man denke etwa an den Roman Doktor Faustus. Obwohl bekanntlich der Held mit Nietzsche identifiziert werden kann, spiegelt er zugleich auch die Musikgeschichte und trägt Züge Ludwig van Beethovens, während seine musikalischen Erfindungen an Arnold Schönberg erinnern. Sein Lehrer ist der als Professor verschleierte Teufel, der diesem „Faustus“ den fanatischen Hexenglauben des Hexenhammers und dessen Autoren Jakob Sprenger und Heinrich Institoris nahebringt.471 Was Thomas Mann aber über seine eigenen Erzählstrategien zu sagen hat, gilt auch als Tendenz für Erzähler im Allgemeinen und die Figuren, die er vorstellt. Als eine solche Figur lässt sich Faustus betrachten. Man denke dabei an die Identifikation des historischen Faustus als „Sabellicus“, sich durch die Aneignung lateinischer Namen als ernstzunehmender Gelehrter vorzustellen. Er wird damit mit dem Land der Magie identifiziert und damit mit mehreren ehrwürdigen Vorgängern der okkulten Wissenschaften. Dass Faustus sich Trithemius gegenüber als Fürst der Nekromanten („princeps necromanticorum“) bezeichnet, führt auf das Feld der Nekromantie, das ideal geeignet ist, mythische Identifikationen zu
470 „Freud und die Zukunft“, S. 227. 471 Frank Baron: Der Hexenhammer und die Hexennovelle in Thomas Manns Doktor Faustus. In: Eros und Literatur. Liebe in Texten von der Antike bis zum Cyberspace. Festschrift für Gert Sautermeister, hg. von Christine Solte-Gresser et alia. Bremen 2005, S. 231–241. Vgl. Gunilla Bergsten: Thomas Manns Doktor Faustus. Untersuchungen zu den Quellen und zur Struktur des Romans. Tübingen 1974.
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fördern. Das Schauspiel der Totenbeschwörung war ein beliebter Erzählstoff des 16. Jahrhunderts und forderte heraus, gewünschte antike Vorbilder zu nennen.472 Das Faustbuch demonstriert eine eigene politische Richtung, indem er Trithemius als Zauberer durch Faustus ersetzt wird. Während der historische Faustus durch sein Auftreten kein nachhaltiges Interesse erweckte, entwickelte sich sein Ruf in Wittenberg anders. Dort haben ihn Luther, Melanchthon und Studenten wie Manlius und Witekind als Schwager des Teufels erkannt und brachten ihn mit mythischen Vorgängern in Verbindung. Melanchthon verglich ihn mit Simon Magus. Unabhängig von historischen Grundlagen entwickelt sich dort die Erzählung vom mythischen Teufelspakt auf der Basis der Basilius-Legende. Als Manlius 1562 die damals im Umlauf zirkulierenden Erzählungen über Faustus sammelte, fiel ihm auf, dass Faustus mit der Gestalt des Magiers Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim vergleichbar sei. Agrippa, der das Werk über die Vergeblichkeit der Künste verfasst hatte, hatte - wie Faustus - einen Hund. Diese Hunde, davon ging Manlius aus, seien Teufel gewesen. Erst Christopher Marlowe artikulierte die eindeutige mythische Identifikation von Faustus mit Agrippa. Agrippas Ruhm hatte auch England erreicht. Der Ruf als erfolgreicher Magier war für Faustus entscheidend, sich mit ihm zu identifizieren: [I] will be as cunning as Agrippa was, Whose shadows made all Europe honor him.473
Goethe erzählt in Dichtung und Wahrheit, dass sein Vater ihm Agrippas De incertudine et vanitate scientiarum empfahl und sein „junges Gehirn dadurch eine Zeitlang in ziemliche Verwirrung setzte“. Dieses Werk studierte Goethe im Jahre 1770, also kurz vor der Niederschrift der ersten Szenen seiner Faust-Dichtung. Goethe schrieb, so wie früher schon Marlowe, seinem Helden folgerichtig die melancholische Kritik an der Vergeblichkeit der Wissenschaften zu. Er spürte eine Ver-
472 Mit dem Hinweis auf die Bibel (1 Sam 28: 7–15) entwickelten die Autoren verschiedene Kombinationen der beschworenen Geister: J.F. Pico, Luther, Melanchthon, Caspar Goltwurm, Johannes Weyer, Johann Aurifaber, Wolfgang Bütner, Hans Sachs, Hermann Witekind (Augustin Lercheimer). Die beschworenen Geister sind Samuel, Hektor, Achilles, Alexander, David, Aeneas, Agememnon, Priam, Ulysses, Scipio, Hannibal, Caesar, Helena, und die Frauen von Alexander und Maximilian. Frank Baron: The Precarious Legacy of Renaissance Humanism, S. 303–314, hier S. 312. 473 Act I, Scene 1, Keefer, S. 183 u. 414–430. Vgl. Marc van der Poel: Cornelius Agrippa, the Humanist Theologian and His Declamations. Leiden 1997. Paola Zambelli: Magic and Radical Reformation in Agrippa of Nettesheim. In: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 39 (1976), S. 69–103.
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wandtschaft zwischen Agrippa und Faust. Weil er Gottfried Arnolds Unparteiische Kirchen und Ketzergeschichte (1699) gelesen hatte, bekam er von manchen angeblichen Ketzern, die er sich „bisher als toll oder gottlos vorgestellt hatte, einen vorteilhaftern Begriff“. Faust bekommt folglich nicht den überlieferten Vornamen Johann, sondern Heinrich, den Vornamen Agrippas. Goethes Faust wurde darüber hinaus auch zum Hundbesitzer.474 Da der verteufelte Faustus keine Schriften hinterlassen hatte, sahen sich Marlowe und Goethe berechtigt, die fehlenden Auskünfte über Faustus mit Elementen aus Agrippas Vita zu ergänzen.
Diese ständig sich ändernden Textschichten zeigen, wie die Konturen des Mythos schrittweise vervollständigt werden.
474 Goethes Werke, hg. von Erich Trunz, Hamburg 1961, Bd. 9, S. 162, 342, 350 u. 413–414. Es ist kein Zufall, dass Goethe andere Gestalten der Renaisance in seinen frühen Dichtungen, Götz, Egmont und Tasso, in neuer Sicht zeigen will. Vgl. Ludwig Geiger: Goethe und die Renaisance. Berlin 1887, S. 32–36.
Das unbekannte Faustbuch
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XI. Das unbekannte Faustbuch der C-Reihe (1587): ein Raubdruck mit sechs „Erfurter“ Geschichten Während das Spies-Faustbuch mittels eines umständlichen Umwegs nach England und zurück eine Linie des Einflusses schuf, gab es auch einen direkteren Weg zu den Faust-Autoren Lessing und Goethe. Dieser Weg ging aber nicht von Spies aus, sondern von einem konkurrierenden Frankfurter Drucker namens Nicolaus Basse. Auf den 4. September 1587 datiert Johann Spies das Vorwort zu seinem Faustbuch. Schon im folgenden Monat berichtet ein Beamter in Wernigerode, ein Buchhändler habe 50 Exemplare mitgebracht, die allesamt verkauft worden sein.475 Bis zum Jahresende erschienen fünf verschiedene Nachdrucke, Raubdrucke und vermehrte Ausgaben, im folgenden Jahr eine Vers-Bearbeitung und eine niederdeutsche Übersetzung. Die Bibliographie der Faustbücher nennt eine Liste von 22 Ausgaben, die bis zum Jahre 1598 veröffentlicht wurden.476 Wenn man dieser ersten, außerordentlichen Phase der Rezeptionsgeschichte Aufmerksamkeit schenkt, wird man gewahr, dass schon 1587 ein Nachdruck erscheint, der die geschäftliche Zukunft des Spies-Faustbuchs zu gefährden drohte. Denn plötzlich gab es nicht nur ein zukunftsträchtiges Faustbuch gab, sondern zwei. Der 1587 erschienene Messkatalog kündigt das Erscheinen des Spies-Faustbuchs folgendermaßen an: Historia von D. Johann Fausten / dem weitbeschreyten Zauberer vnnd Schwarzkünstler / wie er sich gegen dem Teuffel auff eine benannte Zeit verschrieben / was er hiezwischen für seltzam Abentheuwer gesehen / selbs angerichtet vnd getrieben / biß er endlich seinen wolverdienten Lohn empfangen / Franckfurt am Meyn durch Johan Spieß in oct.477
Nicht genügend beachtet wurde in der Forschung ein von der Preußischen Staatsbibliothek erst 1937 erworbener Nachdruck des Spies-Faustbuchs. Dass dieses Druckwerk mit sechs neuen Kapiteln („mit vielen Stücken gemehret“)478 die
475 E. Jacobs: Geschichte des Schrifftums und Bücherwesens in der Grafschaft Wernigerode, S. 363. 476 Hans Henning: Beiträge zur Druckgeschichte der Faust- und Wagner-Bücher des 16. Und 17. Jahrhunderts, S. 11–52. 477 Bernhard Fabian: Die Messkataloge des sechzehnten Jahrhunderts. Hildeshiem 1980, Bd. 3, S. 614. Ursprünglich herausgegeben von Nicolaus Basse. 478 Henning: Beiträge zur Druckgeschichte der Faust- und Wagner-Bücher, S. 9–10, aber im VD 16 nicht verzeichnet. https://doi.org/10.1515/9783110613070-012
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Geschichte der Faustbücher in ein neues Licht setzt, hat erst Hans Henning aufgedeckt.479 Seine ausführliche Studie über die frühen Faustbuch-drucke hat eben diesen Nachdruck als den ersten der besonders erfolgreichen C-Reihe identifiziert.480 Der Nachdruck führt zu wichtigen Fragen: Wer war für diesen in großer Eile zusammengerafften Raubdruck verantwortlich? Wie hat sich Johann Spies dazu verhalten? Was waren die Folgen? Die Voraussetzung zur Beantwortung dieser Fragen hat Hans Henning geschaffen, indem er den Frankfurter Drucker Nicolaus Basse (1562–1599, auch Bassae, Bassee oder Bassée)481 aus Valenciennes als den Drucker der 1593 veröffentlichten Ausgabe der C-Reihe überzeugend identifizierte. Seine Untersuchung macht es sehr wahrscheinlich, dass derselbe Basse auch für den Nachdruck von 1587 verantwortlich war. Was Henning für die erste Ausgabe von 1587 als vorsichtige These formulierte, kann durch die Berücksichtigung unabhängiger Quellen bestätigt werden. In einer Zeit, als es noch keine festen Regeln für Nachdrucke gab, kämpften die Drucker Frankfurts oft rücksichtslos gegeneinander. Anfang Februar 1588 klagte Johann Spies beim Stadtrat, dass Basse seine Werke unrechtmässig nachdrucke. Bemerkenswert ist, dass Spies die Anklage nicht allein führte, sondern in Gemeinschaft mit einem anderen Frankfurter Drucker namens Wendel Homm. Die gemeinsame Klage von Spies und Homm gegen Basse wird zuerst in den Ratsprotokollen am 1. Februar 1588 verzeichnet:
479 Dieses Faustbuch enthält die folgenden neuen Geschichten: 1) Doctor Faustus schencket den Studenten zu Leipzig ein Faß Wein; 2) Wie Doct. Faustus zu Erffordt den Homerum gelesen / vnd die Griechischen Helden seinen Zuhörern geweist vnd vorgestellet habe; 3) Doct. Faustus wil die verlornen Comoedien Terentii vnnd Plauti alle wider ans Liecht bringen; 4) Eine ander Historia / Wie D. Faustus vnversehens in eine Gasterey kömpt; 5) Wie D. Faustus selbst eine Gasterey anrichtet; 6) Ein Münch wil Doctor Faustum bekehren. Vgl. Füssel u. Kreutzer: Historia, S. 152–163. 480 Hans Henning: Beiträge zur Druckgeschichte der Faust- und Wagner-Bücher, S. 38, 45, 60–61 u. 109. 481 Alexander Dietz: Frankfurter Handelsgeschichte. Glashütten 1970, II, S. 32–37. Heinrich Pallmann: Sigmund Feyerabend. Sein Leben und seine geschäftlichen Verbindungen. Frankfurt a. M. 1881. Vgl. Heinrich Pallmann: Sigmund Feyerabend. Sein Leben und seine geschäftlichen Verbindungen. Frankfurt 1881. Josef Benzing: Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet. Wiesbaden 1982, 2. Ausg., S. 117.
Das unbekannte Faustbuch
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Abb. 4: Aus den Ratsprotokollen, Stadtarchiv Frankfurt am Main, für den 1. Februar 1588.
Die gemeinsame Klage von Spies und Homm gegen Basse wird zuerst in den Ratsprotokollen am 1. Februar 1588 verzeichnet: Johann Spieß vnd Wendel Hom Trucker contra Nicolausen Bassee haben ernante beede Buchtrucker vber ine Basseum geclagt, daß er Jnen etliche Bücher vnd Tractetlin in Supplicationibus angezogen nachdrückt. Mit Pitt Jne davon mit gebürlichen Ernst ab vnd zu einen wolverwürcken abtrag anzuhalten“.482
In der Beschwerde gegen Basse werden die betreffenden Werke zwar nicht genannt.483 Aber gerade zu diesem Zeitpunkt arbeiten Spies und Homm bei der Herstellung eines Faustbuchs zusammen: 1588 druckt Homm für Spies diese Ausgabe, deren Besonderheit es war, eine Reihe von Bibelzitaten gegen die Zauberei hinzuzufügen, damit der Leser durch die Versuchungen des Teufels nicht irregeführt werde. Es war noch einmal ein Zeichen dafür, dass Spies sein Buch als ernste Warnung gegen Zauberei kennzeichnen wollte, nicht einfach als romanhafte Unterhaltung. Sonst wurde am Text der Erstausgabe nichts verändert. Wendel Homm stammte, wie Spies, aus Oberursel. Er war tätig als Drucker in Frankfurt in den Jahren 1582–1594. Bekannt ist ein von ihm 1583 gedrucktes Werk: Paul Fries (Frisius), Dess Teuffels Nebelklappen: Das ist ein Begriff, den gantzen Handel von der Zauberey belangend.484 Homm hatte sonst ausreichenden Grund, Basse anzuklagen, denn dieses Werk hatte Basse in seinem großen Sammelwerk von Hexentraktaten, Theatrum de veneficis (1586), herausgegeben von Reinhard Lutz und Abraham Saur nachgedruckt,.485 Dieses Sammelwerk enthielt auch den Nachdruck von Witekinds Christlich Bedencken, das im Jahr zuvor in Heidelberg herausgekommen war. Die Aussichten, gegen Basse etwas zu erreichen, waren ungünstig. Der Verlag von Spies war verhältnismäßig klein und relativ neu. Wendel Homm war
482 Stadtarchiv Frankfurt. Ratsprotokolle, fol. 83r. 483 Fol. 180v. 484 VD 16 Nr. F 3023. 485 VD 16 Nr. S 1938.
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arm. Neben Spies und Homm hatten auch die wichtigsten Frankfurter Drucker, nämlich Sigmund Feyerabend und die Erben von Egenolf, Basse wegen Nachdrucks geklagt. Basse, ein außerordentlich geschickter Kaufmann, entwickelte ein reges und erfolgreiches Verlagsgeschäft, das zum Zeitpunkt des Erscheines des Faustbuchs schon eines der größten in Frankfurt geworden war.486 Ein Plakat der Angebote von Basse erschien für die Herbstmesse 1587, sie zeigte 139 Werke verteilt über die Bereiche Theologie, Jura, Medizin, Literatur und Geschichte. Das Resultat der auf die Klage folgenden Verhandlungen wurde im Bürgermeisterbuch nicht verzeichnet, aber man kann den Rahmen der Entscheidungen aus der bald danach erschienenen Buchdruckerordnung entnehmen. Neues über die Klage erfährt man im Bürgermeisterbuch unter dem Daum 6. Februar 1588: Als Niclauß Basse, buchtrucker, vff Johann Spießen vnnd Wendel Hommen, beder Buctrucker, den ersten dieses Monats wider Jne, Basse, vbergebne clagschrifften seine ableinung vnnd bericht gethan, Vnnd solcher zu Rath verlesen worden / Seindt sy allerseyts antzuhören vnd die gütlichheit zwüschen Jnen zu uersuchen geordnet. Herr Christoff zum Jungen vnd Johann von Mölhein vnd Hans Runsterer als Gelehrter vnd D. J. Kell[n]er.487
Der Stadtrat übergab die Aufgabe der Vermittlung zwischen Spies und Homm und Basse einem Ausschuss ansehnlicher Bürger. Offenbar war die Stadt bereit, etwas gegen die ständig auftretenden Klagen wegen Nachdrucks zu unternehmen. Unter diesen war auch der geachtete Stadtsyndikus Dr. Heinrich Kellner (1536–1589), der die Buchdruckerordnung vorbereitete.488 Kellner, der in den Frankfurter Hexenprozessen verschiedentlich konsultiert wurde, hatte die Verbreitung eines Buches wie es das Faustbuch war in der Zeit des akuten Hexenwahns wahrscheinlich nicht gerne gesehen. Kellner hatte die Aufgabe, in Hexenprozessen des Jahres 1586 zu entscheiden, ob man Folter anwenden sollte. In einem der zwei Fälle habe Kellner die Anwendung der Folter
486 Dietz: Frankfurter Handelsgeschichte, S. 34 u. 36. 487 Die Entscheidung des Rats wird im Bürgermeisterbuch, Stadtarchiv Frankfurt am Main, für den 6. Februar 1588, fol 183r verzeichnet. Die hier genannten Namen der Vermittler waren nach freundlicher Mitteilung von Roman Fischer, Stadtarchiv Frankfurt, Ratsmitglieder aus patrizischen Familien (C. Zum Jungen und J. Von Mölhein), während andere (Ruasterer und Kell[ner] er) Juristen bzw. Rechtsgelehrte. „Bei D. J. Kell[n]er kann es sich um keinen anderen als um den Stadtsyndicus (seit 1581) Dr. Jur. Heinrich Kell[n]er gehandelt haben“. Vgl. Frank Baron: Faustus on Trial. S. 70. 488 Ulrich Trumpold: Heinrich Kellner (1536–1589). In: Studien zur Frankfurter Geschichte 11 (1975), S. 63. Kellner, geboren in Frankfurt, studierte in Löwen, Leipzig, Bourges und Padua, bevor er nach Frankfurt zurückkehrte. Vgl. Baron: Faustus on Trial, S. 71.
Das unbekannte Faustbuch
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unterstützt; in einem anderen Fall riet er, dass man die schon gefolterte Frau, die nicht gestanden hatte, aus der Stadt verweise.489 Die neue Buchdruckerordnung erschien am 12. März, also wenige Tage nach der Klage von Spies und Homm gegen Basse. Der Stadtrat bestimmte, dass ein Nachdruck, auch wenn er in einer geänderten Form oder an einem anderen Ort erfolge, nicht erlaubt sei: „Erstlich soll Kein Buchdrucker dem Andern die Jenigen Bücher oder authores, groß noch Klein nichts [...] nachdrucken“.490 Dieser Teil der Verordnung war unmissverständlich gegen die Handlungen von Basse gerichtet. Die neue Ordnung untersagte aber auch, was eher zu den Praktiken von Spies anzusprechen gehörte: Kein Buchdrucker soll hinfuro vff seine Bucher diese worth: Cum gratia et priuilgegio etc Item mit Key: Mtt: freiheitt nit nachzudrucken, oder dergleichen setzen, Er habe dann ein priuilegium. Da er aber ein priuilegium hett, soll er solches priuilegium vfs vorderst blatt, zu ruck desselbigenn gantzs, vnnd alles seines Innhalts, oder vff wenigst die substantzs, vnnd wircklichen innhalt desselbigen trucken, oder einem Erbarn Rath solches priuilegium in original vberliefern, glaubwirdige copy dauon zunemen, Wer hierwider handlet, der soll das pruilegium verwirckt habenn.491
Um weitere Verletzungen der Bestimmungen zu verhindern, wurde zudem verlangt, dass zukünftig jeder Druck dem Stadtrat zur Prüfung vorgelegt werde. Eine strengere Zensur sollte unrechtmäßige Nachdrucke verhindern. Es ist also anzunehmen, dass Spies das Privileg unrechtmäßig in Anspruch genommen hatte.492 Der Streit hatte Spies vermutlich die Lust genommen, das Faustbuch noch einmal zu drucken. Diese Entscheidung war auch durch die Tatsache beeinflusst, dass das Faustbuch nach seinem ersten Erscheinen nicht als Warnbuch gegen die Zauberei verstanden wurde. Diese Deutung legt die Erweiterung der zweiten Ausgabe mit den biblischen Zitaten gegen die Zauberei nahe. Der Erfolg des Buches war offensichtlich nicht der Versicherung geschuldet, dass Faustus sein Seelenleben verwirkt hatte, sondern dem Reiz seiner sündigen Abenteuer. Ein Buch, das man in Strassburg und Basel wegen der Gefahr für die Jugend verbieten musste, schadete sogar dem Ruf eines Verlags, der streng religiöse Ziele verfolgte. Das minderte allerdings nicht die spätere Wirkung des Werkes.
489 Walter Eschenröder: Hexenwahn und Hexenprozess in Frankfurt am Main (Disseration der Universität Frankfurt), Gelnhausen 1932, S. 37–41. 490 Pallmann: Sigmund Feyerabend, S. 191. 491 Ebd., S. 193. 492 Nachweise für das kaiserliche Druckprivileg fehlen für Spies im kaiserlichen Archiv.
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Die stets wiederholte Betonung auf die Linie des Einflusses von Spies-Faustbuch zu Goethe hat dazu geführt, dass das Schicksal des ersten Nachdrucks durch Basse im Schatten blieb. Die Frankfurter Buchdruckerordnung hat Basse nicht davon abgehalten, weiterhin neue Ausgaben des Faustbuchs zu drucken. Er besaß offenbar Mittel, das Buch außerhalb Frankfurts drucken und vertreiben zu lassen. Schon 1589, nicht lange nach der Frankfurter Buchdruckerordnung, erschien eine neue Ausgabe der C-Reihe, mit dem gleichen Text und wieder ohne Angabe von Drucker und Druckort.493 Der Inhalt dieser Ausgabe verdient nähere Betrachtung. Was war das Neue und hatte es nachhaltige Folgen? Unter den sechs kurzen Erzählungen, die Basse dem Faustbuch seines Vorgängers hinzufügte, war eine in besonderem Maße geeignet, aufmerksame Leser in Verwirrung zu versetzen. Sie behandelt einen missglückten Versuch des Erfurter Franziskaners Doctor Klinge, der Faustus von seinem teuflischen Leben bekehren will.494 Diese Episode wurde als Kapitel 56 ins Faustbuch der neuen C-Reihe eingefügt. Da Spies schon ein ähnliches Kapitel dem Versuch der Bekehrung gewidmet hatte, scheint dieses neue Kapitel überflüssig und widersprüchlich. Das Spies-Faustbuch ist streng Lutherisch, während jetzt ein „Barfüsser Mönch“ erscheint und einen Bekehrungsversuch unternimmt. Im SpiesFaustbuch erscheint ja der Teufel auch als Franziskanermönch. Trotzdem wird Kapitel 52 der Spies-Ausgabe („Von einem alten Mann / so D. Faustum von seinem Gottlosen Leben abgemahnt vnd bekehren wöllen / auch was Vndanck er darüber empfangen“) behalten und nun als Kapitel 58 übernommen. Der Verleger hat in der Eile offensichtlich gar nicht auf den Sinn seiner Ergänzungen geachtet. Der Bekehrungsversuch war ein wichtiger Vorgang sowohl in den Hexenprozessen als auch im Spies-Faustbuch. Der Herausgeber der C-Reihe war offenbar an dem religiösen Sinn des Bekehrungsversuchs nicht interessiert, sondern nur daran, so schnell wie möglich Geld zu verdienen.
493 Neu war allerdings ein Holzschnitt, in dem Faustus dem Teufel den Vertrag anbietet. Peter Philipp Riedl (Hg.): Historia von D. Johann Fausti. Kritische Ausgabe der jüngeren Version von 1589. Berlin 2006. Vgl. Gudrun Bamberger: Poetologie im Prosaroman. Fortunatus—Wickram— Faustbuch. Würzburg 2018, S. 294–302. 494 Einen „berümbter“ Erfurter Mönch namens Doctor Konrad Kling oder Cling (nicht Klinge) gab es tatsächlich. Der Franziskaner starb im Jahre 1556. Nikolaus Paulus: Conrad Kling. Ein Erfurter Domprediger des 16. Jahrhunderts. In: Der Katholik 74 (1894), S. 146–163. Vgl. Füssel u. Kreutzer, Historia, S. 216. Vgl. Müller: Romane, S. 1419–1420. Da Faustus gegenüber diesem Dr. Klinge den mit Blut besiegelten Teufelspakt zugibt, kann man vermuten, dass diese Geschichte viel später entstand. Um der Faustus-Geschichten Authentizät zu verleihen, kann sie dann mit dem berühmten Erfurter Mönch in Verbindung gesetzt worden sein. Vgl. die Frage nach Lessings Quelle für seinen Faust weiter unten.
Das unbekannte Faustbuch
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Der Grund, überhaupt neue Kapitel zu bieten, kann nur darin bestanden haben, dass der Nachdrucker sich gegen den Vorwurf des unrechtmäßigen Nachdrucks wappnen wollte. Durch Zusätze konnte er behaupten, dass hier Neues geboten wurde. (Man beobachte den gleichen Vorgang mit dem Faustbuch der sogenannten B-Reihe.) Acht neue Kapitel kamen hinzu, ohne Grundsätzliches zu ändern.495 Eine andere Neuigkeit, die im Faustbuch von Basse von der extrem polemischen Tendenz des Spies-Faustbuchs abweicht, ist das Angebot des Universitätslehrers Faustus, verlorene Komödien von Terenz und Plautus „hinwieder ans Licht zu bringen“ (Kapitel 53 in der neuen C-Reihe). Diese Erzählung endet damit, dass die Theologen und der Stadtrat einen solchen Versuch als Teufelswerk verbieten. Obwohl Faustus dieses Experiment nicht durchführen darf, gewinnt er als humanistischer Gelehrter die Bewunderung der Studenten. Eine ähnliche Tendenz zeigt ein nekromantisches Schauspiel, durch das Faustus an der Universität die verstorbenen Helden Homers wieder zum Leben erwecken kann.496 Faust-Nachdrucke von Basse erscheinen, trotz der Buchdruckerordnung, in den Jahren von 1587, 1589, 1590, 1591, 1592, 1593, 1596 und 1597. Hans Henning nannte diesen Druck den „erfolgreichsten unter allen Faust-Büchern“.497 Schwankerzählungen dieses Druckes, die noch zu berücksichtigen sind, haben bis ins 18. Jahrhundert überlebt. Die Wagner-Bücher (1593–1601) und eine Reihe von erweiterten Faust-Büchern (1599, 1674 und 1725) sorgen dafür, dass die Erinnerung an Faustus nie völlig erlischt. Mit dem Raubdruck gelangt man also auf einem wenig Aufsehen erregenden Weg zu Lessing und Goethe. Dass solche Schwänke das ernstliche Interesse dieser Autoren gewinnen würde, würde man vielleicht nicht erwarten. Aber da die Untersuchung an dieser Stelle nur darum geht, die frühesten Beschäftigungen Lessings und Goethes mit dem Faust-Thema festzuhalten, verdient sie mit dem Basse-Nachdruck begründete Linie des Einflusses Beachtung.
495 Im Faustbuch der Reihe B werden die antikatholischen Akzente ein wenig entschärft. Peter Amelung: Ein unbekanntes Faust-Buch von 1588. In: Gutenberg Jahrbuch 63 (1988), S. 177–182. 496 Marina Münkler meint, dass die C-Reihe „den Zusammenhang von curiositas und antiker Gelehrsamkeit stärker in den Vordergrund“ rückte. Münkler: Narrative Ambiguität, S. 155–157. 497 Henning: Zur Druckgeschichte der Faust- und Wagner-Bücher, S. 36.
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Marlowe, Lessing und Goethe
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XII. Der faustische Teufelspakt in England und Deutschland: Marlowe, Lessing und Goethe Der Weg zu Lessing und Goethes Faust benötigte eine Umleitung. Die rasche Übersetzung des Faustbuchs ins Englische veranlasste Christopher Marlowe (1564–1593), eine wirkungsvolle Bühnenbearbeitung zu schaffen. Der Erfolg dieser literarischen Umsetzung war ein Beweis dafür, dass der Faustmythos nicht nur im deutschen Sprachraum verständlich war. Fausts Allianz mit dem Teufel konnte, auch jenseits ihrer kulturellen und sprachlichen Heimat, nachhaltige Resonanz erzielen. Ein englisches Faustbuch soll schon im Sommer 1588 gedruckt vorgelegen haben. Obwohl eine Aufführung von Christopher Marlowes The Tragical History of Doctor Faustus erst für die Zeit nach 1594 belegt wird, gibt es zuverlässige Indizien für frühere Aufführungen von Marlowes Werk, wahrscheinlich schon im Jahre 1588.498 Aber es ist bis heute nicht gelungen, die Fertigstellung und die ersten Aufführungen des Dramas präzise zu datieren. Was in dieser kurzen Phase stattfand, erwies sich als eine der folgenträchtigsten Entwicklungen für die Zukunft der literarischen Fausttradition. In dieser kurzen Periode kann man den Druck einer Ballade über Faustus ansetzen.499
498 John Henry Jones (Hg.): The English Faust Book. Cambridge 1994, S. 52–53. Einweiterer Fund hat die These von Jones gestärkt. Vgl. Robert J. Fehrenbach: A Pre-1592 English Faust Book, and the Date of Marlowe’s Doctor Faustus. In: The Library. The Transactions of the Bibliographical Society 17 (2001), S. 327–335. Vgl. Michael Keefer (Hg.): The Tragical History of Doctor Faustus. A Critical Edition of the 1604 Version. Toronto 2007, S. 88–89. Der Eintrag “Doctor faustus lief & deathe“ in in dem Katalog der Bibliothek von Edward Barlow, „a London apothecary“, entdeckt von Peter Murray Jones, beweist wiederum, dass das englische Faustbuch schon spätestens 1589–1590 vorhanden war. Robert Fehrenbach, (Hg.): Private Libraries in Renaissance England. Tempe 2017, Bd. 8, PLRE 263.157 Nr. 263.157. Fehrenbach wird in einem Artikel in der Zeitschrift Library diesen Fund ausführlich darstellen. 499 Es gibt verständliche Gründe dafür, dass die Marlowe-Forschung in dieser Hinsicht bis heute zurückhaltend geurteilt hat. Vgl. Paul H. Kocher: The English Faust Book and the date of Marlowe’s Faustus. In: Modern Language Notes 55 (1940), S. 95–180, hier S. 96. Vgl. Kocher: The Early Date of Marlowe’s Faustus. In: Modern Language Notes 58 (1942), S. 539–541, hier S. 540. Curt A. Zimansky: Marlowe’s Faustus: The Date Again. In: Philological Quarterly 61 (1962), S. 181–187. Vgl. Hermann M. Flasdieck: Zur Datierung von Marlowes Faust. In: Englische Studien 64 (1929), S. 320–351. https://doi.org/10.1515/9783110613070-013
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Diese Ballade, die sowohl dem Faustbuch als auch Marlowes Doctor Faustus eng verwandt ist, ist bis heute wenig beachtet worden.500 Jedenfalls steht fest, dass die Zensurbehörde 1589 dem Londoner Drucker Richard Jones (†1613) die Veröffentlichung einer Ballade über Faustus erlaubte: Ultimo die Februarij [1589]. Ric Jones Allowed vnto him for his Copie, A ballad of the life and death of Doctor FAUSTUS the great Congerer | Allowed vnder the hand of the Bishop of LONDON, and master warden Denhams hand beinge to the Copie[.]501
Jones war Herausgeber vieler Balladen (123 Balladen, die als sein Eigentum anerkannt wurden),502 spielte in der Marlowe-Rezeption eine wichtige Rolle. Nach dem großen Bühnenerfolg von Marlowes Tamburlaine the Great. (1587) konnte er 1590 als erster den Text drucken.503 Dieses große Erfolgsstück des jungen Dichters erschien 1590.504 Aber kurz davor sollen die ersten
500 A. H. Bullen hat früh auf die Bedeutung der Ballade hingewiesen, aber seine Behauptung, dass Marlowes Faustus ihre Quelle war, kann nicht bewiesen werden. „It is probable that this ballad (which is perhaps identical with the Ballad of Faustus (reserved in the Roxburghe Collection) was founded on [Marlowe’s] play“. A. H. Bullen (Hg.): The Works of Christopher Marlowe. London 1885, Bd. 1, S. xxvi. Vgl. Den Text der Ballade im Vergleich zum Faustbuch und Marlowe im Nachtrag II weiter unten. Die Ballade in der Roxburghe Collection soll um 1640 gedruckt worden sein. Vgl. den Nachdruck des Einblatt-Druckes im British Museum auch in Eric Bockstael: Lives of Doctor Faust. Detroit, Michigan 1976, S. 278–279. 501 Der Text zeigt an dieser Stelle eigentlich „FFAUSTUS“. Edward Alber: A Transcript of the Registers of the Company of Stationers of London, 1554–1640. London 1875–1894, Bd. 2, S. 241. Vgl. John Payne Collier: The Diary of Philip Henslowe. London 1845, S. 38 und Jones: English Faust Book, S. 100. Vgl. Kirk Melnikoff: Richard Jones (fl. 1564–1613): Elizabethan Printer, Bookseller and Publisher. In: Analytical & Enumerative Bibliography 12 (2001), S. 153–184 und Kirk Melnikoff: Jones’s Pen and Marlowe’s Socks: Richard Jones, Print Culture, and the Beginnings of English Dramatic Literature. In: Studies in Philology 102 (2005), S. 184–209. 502 Alber bedauert, dass diese 123 Balladen von Jones nicht mit Titel verzeichnet sind. Alber: A Transcript of the Registers, S. 123. 503 Dieses Drama ist in der Liste der erlaubten Drucke mit Datum vom 13. August 1590 eingetragen: „Entered vnto him for his Copye / The two ecommical discourses of TOMBERLEIN the cithian shepparde“. Alber: A Transcript of the Registers, S. 262. 504 Harper (Hg.): Tamburlaine, S. viii. Im Vorwort zu seiner Ausgabe erklärt er, dass die Leser die Gelegenheit hatten, dieses Werk auf der Bühne zu sehen: „[…] they have been (lately) delightful for many of you to see, when the same were showed in London upon stages“. Dieses Vorwort lässt vermuten, dass Jones schon früher, vielleicht nicht lange nach der ersten Aufführung des erfolgreichen Tamburlaines Marlowe kennengelernt und deshalb auch Aufführungen von Doctor Faustus erlebt habe.
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Aufführungen des Doctor Faustus schon 1588 oder 1589 stattgefunden haben.505 Dieser Zeitpunkt verdient besondere Aufmerksamkeit, denn nicht nur Doctor Faustus war damals zum ersten Mal bekannt geworden, sondern auch die erste Ausgabe des englischen Faustbuchs, die Marlowe als Quelle diente. Zu beiden dieser Werke steht auch die Faustus-Ballade in direkter Beziehung.
Da der Text der Ballade nur aus späterer Zeit überliefert ist, kann man davon ausgehen, dass die zeitgenössischen Exemplare, wie es bei den meisten Balladen der Fall war, verloren gingen. Eine Kopie der Ballade „The Just Judgment of GOD shewe’d upon one Dr. John Faustus“ wird zum ersten Mal mit einem unsicheren Datum 1640 verzeichnet. Eine berechtigte Frage ist, ob dieser spätere Text jene verlorene Ballade sein könnte, die schon am 28. Februar 1589, gleich vor oder nach dem englischen Faustbuch, erschienen sei.506 Manches spricht dafür. Die erhalten gebliebene Ballade sollte gesungen werden, und zwar „nach dem „Tune of Fortune my Foe“. Diese volkstümliche Melodie war schon im 16. Jahrhundert bekannt und verbreitet. Sie findet sich zum Beispiel in Shakespeares Merry Wives of Windsor, entstanden in den Jahren 1597–1598.507 Die Anweisung unmittelbar nach dem Titel, dass die Ballade nach einer gewissen Melodie gesungen werden soll, war typisch auch für die „Newe Zeitungen“, die auf den Markt-
505 David Wootton (Hg.): Christopher Marlowe. Doctor Faustus with the English Faust Book. Indianapolis, S. xxvi–xxvii. Vgl. Jones, The English Faust Book, S. 10–11 u. 54–72. 506 MacD. P. Jackson glaubt bewiesen zu haben, dass die Ballade des 16. Jahrhunderts die gleiche gewesen ist wie die des 17. Jahrhunderts. „In this instance there can be no doubt that the ballad referred to in the sixteenth century was the same as that printed and registered in the seventeenth century“. Jackson zeigt, dass es Hinweise auf die Ballade Doctor Faustus schon 1624 gegeben hat und zwar im Zusammenhang mit dem Namen Richard Jones, der 1589 als Drucker der Ballade verzeichnet wurde. MacD. P. Jackson: Three Old Ballads and the Date of Doctor Faustus. In: AUMLA, Journal of the Australasian Universities Languages & Literature Association 33 (1970), S. 187–200, hier S. 192 u. 197. The present ballad is based on the copy of the British Museum (Roxburghe III (i) 280). Vgl. http://ebba.english.ucsb.edu/ballad/30993/ citation. Zugriff am 1. 9. 2018. Leba M. Goldstein hat eine spätere Veröffentlichung Ballade zu ihrer Untersuchung verwendet (Dort steht: „Wittenberberg, a Town in Jermany“). Den früheren Druck (“Wertemburgh a Town in Germany”) hat sie übersehen. Leba M. Goldstein: An Account of the Faust Ballad. In: The Library. The Transactions of the Bibliographical Society, 5th series, 16 (1961), S. 176–189. In der neueren Betrachtung der Rezeption der Faust-Thematik in England wird eine Rolle der Faust-Ballade nicht beücksichtigt. Neuerdings verweist Martin auf die Existenz der Faust-Ballade, bezweifelt deren Relevanz für Marlowe und sieht keinen Grund zur eingehenden Untersuchung. Dieter Martin: Theater. Musik. In: Faust-Handbuch, S. 72–78, hier S. 83. 507 Sarah F. Williams: Damnable Practices: Witches, Dangerous Women, and Musc in Seventeenth-Century English Broadside Ballads. London 2015, S. 65–71.
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plätzen gesungen wurden, um den Nachrichten eine möglichst weite Verbreitung zu sichern. Friedrich Zarncke hat nachgewiesen, dass die Ballade, trotz ihrer später überlieferten Form, von der englischen Übersetzung des Faustbuchs direkt abhängig ist. Sein Vergleich der Texte liefert das eindeutige Resultat, dass der BalladenDichter, um den Lebenslauf des Magiers zu gestalten, auf das englische Faustbuch zurückgegriffen haben muss. Als zwingenden Beweis betrachtet Zarncke im englischen Faustbuch den Titel des 21. Kapitels: How Doctor Faustus was carried through the air up to the heavens to see the world, and how the sky and planets ruled: […] he wrote one letter to his friend of the same to Leipzig, how he went about the world in eight days.508
Kapitel 25 im Spies-Faustbuch stellt die Reise in die Höhe in acht erlebnisreichen Tagen dar, aber dass die Reise auch um die ganze Erde geht, wird dort nicht erzählt! Die Entdeckung Amerikas wird im deutschen Faustbuch nicht wahrgenommen. Die phantasievolle Erweiterung im englischen Faustbuch übernahm nun der Dichter der Ballade: The Devil carried me up in the Skie, Where I did see how all the World did lie: I went about the World in eight Days Space, And then return’d into my native Place.509
Zarncke nimmt an, dass „aus der englischen editio princeps sowohl die Ballade wie Marlowes Doctor Faustus entstanden ist“.510 Diese Einsicht Zarnckes, die in der Literatur über Marlowes Werk unbeachtet geblieben ist, muss näher untersucht werden.511 Zur Lösung dieser Frage muss das Verhältnis der drei unterschiedlichen Texte zu einander und ihre Datierung berücksichtigt werden. Leider existiert heute keiner dieser drei Texte in seiner ersten Fassung. Die früheste Version des englischen Faustbuchs ist nur in einem Druck der korrigierten Ausgabe von 1592 erhalten. Die früheste Fassung von Marlowes Doctor Faustus ist der A-Text des
508 Jones: The English Faust Book, S. 122. 509 Zeilen 41–44. Vgl. die vollständige Ballade im Nachtrag II weiter unten. 510 Friedrich Zarncke: Das englische Volksbuch von Doctor Faust. In: Goetheschriften. Leipzig 1879, S. 305–307. Vgl. Sara Munson Deats: Doctor Faustus: From Chapbook to Tragedy. In: Christopher Marlowe. Doctor Faustus, hg. von David Scott Kastan. New York 2005, S. 209–225. 511 Jones: The English Faust Book, S. 53.
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Jahres 1604. Jene Ballade, die auf den Zensureintrag von 1589 zurückgehen soll, ist erst etwa 1640 erhalten. Trotzdem bieten diese drei Texte gewisse gemeinsame Merkmale, die deutlich auf den Zeitpunkt der ersten Aufführung von Doctor Faustus hinweisen. Als das erfolgreiche deutsche Faustbuch am 4. September 1587 in Frankfurt erschien, setzten gleich die Bemühungen um eine Übersetzung ein. John Henry Jonnes hat den Übersetzer als Paul Fairfax identifiziert und den Zeitpunkt des ersten Druckes auf die Sommermonate von 1588 datiert. Auch wenn diese Ausgabe verlorengegangen ist, lässt die erhaltene Ausgabe des Jahres 1592 einige Rückschlüsse auf die erste Druckfassung zu. Das Titelblatt der Ausgabe von 1592 kündigt an, dass man in dieser Ausgabe Korrekturen vorgenommen habe (“in convenient places imperfect matter amended.”). Im achten Kapitel sieht man, wo wenigstens eine dieser Korrekturen gemacht wurde, denn gleich am Anfang findet man unerwartet für Faustus Wirtenberg als Wohnort, statt Wittenberg. Man könnte vermuten, dass dieser Fehler auf ein Versehen des Druckers zurückgeht (Buchstabenverwechselung r statt t), aber zu überlegen ist, ob nicht eine ganz andere Erklärung logisch ist, die aber einen Blick auf den ursprünglichen Druck erlaubt. Denn dort war wahrscheinlich doch konsequent von Wirtenberg und nicht von Wittenberg die Rede.512 Der Historiker David Wootton hat sich mit den Implikationen des vermutlichen Fehlers ausführlich beschäftigt. Als Herausgeber des Faustbuchs in Verbindung mit dem sogenannten A-Text von Marlowes Faustus kam er zum Ergebnis, dass der angebliche Fehler „Wirtenberg“ im achten Kapitel kein Druckfehler war, sondern ein Zeichen dafür, dass der Drucker der zweiten Ausgabe den
Fehler der ersten Ausgabe nicht vollständig beseitigte. Denn angeblich stand in jener Übersetzung auch sonst immer Wirtenberg anstatt Wittenberg. Der A-Text enthält konsequent Wertenberg. Now is he born, his parents base of stock, In Germany, within a town called Rhode. Of riper years to Wertenberg he went [...]513
Aus diesem Grund kommt Wootten zum Schluss, dass Marlowe durch die falsche Übersetzung des ersten englischen Faustbuchs zur Überzeugung gelangte, dass Faustus eigentlich aus Württemberg stammte. Wootton konnte diese These
512 Vgl.zum Beispiel die zeitgenössische Landkarte, die dieses Gebiet als Wirtenberg bezeichnet. A. Ortelius. First edition: 1579. Theatro del Mondo di Abrahamo Ortelio. Antwerp 1612. 513 Doctor Faustus, I.i. Wootton, S. 2.
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durch eine Textstelle bei Marlowe überzeugend bestätigen lassen. Marlowe lässt ja seinen Faustus gleich im ersten Aufzug behaupten, dass seine magischen Fähigkeiten so gro werden sollen, dass er Wertenberg durch den Fluss Rhein einkreisen lassen könnte. („And make swift Rhine circle fair Wertenberg“514) An dieser Stelle wird deutlich, dass Marlowe unter dem Einfluss eines Fehlers Faustus etwas machen lassen will, was nur mit dem Gebiet Württemberg denkbar gewesen wäre, nicht jedoch mit Wittenberg. Der Fehler „Wertenberg“ wurde im B-Text des Jahres 1616 durch den richtigen Wittenberg ersetzt.515 Ein wichtiges Indiz für die direkte Beziehung zwischen einem fehlerhaften ersten Druck des englischen Faustbuchs und der Ballade ist gleichfalls die dort falsch angegebene Herkunft des Zauberers. At Wertemburgh, a Town in Germany, There was I born and bred of good Degree, Of honest Stock, which afterwards I sham’d, Accurst therefore, for Faustus was I nam’d.516
Diese eigentümliche Wanderung eines Fehlers unterstützt die These, dass die Ballade an der Rezeption des Fauststoffes in England schon früh beteiligt war.517 Die sonderbare Erscheinung des Fehlers in den verschiedensten Drucken erinnert an die Pionierarbeit Karl Lachmanns, der die grundlegende Rolle gemeinsamer Fehler für die Festlegung der Verwandtschaftsverhältnisse von Handschriften erkannt hat. In diesem Fall erlaubt die Verwechselung von Wittenberg mit Württemberg die Trennung von zwei Text-Gruppen: die mit Württemberg und die mit Wittenberg.518
514 Ebd., I.i., S. 8. 515 An sieben Stellen erscheint im A-Text „Wertenberg“. David Wootton (Hg.), Christopher Marlowe. Doctor Faustus with The English Faust Book, S. xxxii–xxxiv, prologue (S. 2) and II.I (S. 8–9); II.I, S. 26; IV.I, S.50; V.i (S. 59); V.ii (S. 61). 516 Zeilen 5–8. 517 Wooton hat in seiner Untersuchung des Fehlers im englischen Faustbuch und im A-Text untersucht, ohne dabei die Rolle der Ballade zu beachten, die seine These unterstützt hätte. David Wootton: Christopher Marlowe. Doctor Faustus with The English Faust Book, S. xxxiv. Ein verwandter Fehler im ersten Druck des englischen Faustbuchs soll nach Jones im Druck des Jahres 1592 korrigiert worden sein: der falsch verstandene Name der Stadt Trent wurde Trier. John Henry Jones: ‘Invirond Round with Ayrie Mountain Tops‘: Marlowe’s Source for Doctor Faustus. In: Notes and Queries 38 (1991), S. 469–470. 518 1) Texte mit Wirtenberg, Wertenberg oder Wertemburg: a) erste Übersetzung des Faustbuchs; b) Marlowes erste Faustaufführung (bekannt durch den A-Text); c) die Roxbourgh Ballade von ca. 1640. 2) Texte mit Wittenberg: a) Faustbuch von 1592; b) Marlowes Faustus im B-Text; c) Faustus-Ballade-Texte nach 1674.
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Neu in der Verarbeitung des Fauststoffes durch die Ballade ist zunächst, dass Faustus selbst jener Erzähler ist, der die Vorteile des Teufelspakts genießt und nachher unter den tragischen Folgen leidet. Diesmal lässt der Autor den schuldigen Zauberer selbst reden, während das Faustbuch und die Anekdoten davor ihn nur als den sündhaften Teufelsbündner, als Objekt einer Polemik, verdammt haben. Dieser Perspektivenwechsel stellt einen bemerkenswerten ersten Schritt zur Dramatisierung des Stoffes dar. Marlowe hat diese Tendenz radikal weitergeführt, indem sein Held die Hinwendung zur Magie mit der Vergeblichkeit der überlieferten Wissenschaften begründet und sein Streben nach Wissen, Ruhm und Liebe überzeugender ausdrückt als je zuvor. Allerdings hat Marlowe auch die verzweifelte Konfrontation mit dem ewigen Tod hat Marlowe, wie die Ballade, als persönlichen Verlust bildlich vergegenwärtigt. Vielleicht hat die Zensur gar nicht bemerkt, dass der Pakt so positiv dargestellt wird. Faustus freut sich offenbar über seinen großen Ruhm („That all the world may talk of Faustus“), auch wenn diese Freude nicht lange dauert. Schon bald verflucht er seine Tat (Ballade: „I cursed my wicked Deed“). In den SchlussStrophen erwartet Faustus einen gewalttätigen Tod. Der erschrockene Faustus spürt, bevor er Leib und Seele verliert, wie die ihm noch gewährte Zeit vor seinen Augen zerrinnt. Im englischen Faustbuch steht zu Beginn des Kapitels 58: „Time ran away with Faustus as the hour-glass, for he had but one month to come“. Die Frage, ob Faustus seine Seele retten kann, ist im Vordergrund der letzten Reflexionen. Erst in der Nacht unmittelbar vor seinem Tod erkennt Faustus ernstlich, wie es um seine Seele steht. Er muss einsehen, dass die Rettung der Seele unmöglich geworden sei. Während das Faustbuch an dieser Stelle betont, dass jeder Versuch, die ewige Strafe zu verhindern umsonst ist, betont die Ballade mit Hilfe des Stundenglases, dass Faustus jetzt das Ende seines Lebens und die ewige Strafe unmittelbar vor den Augen steht. Die geänderte Erscheinung des Stundenglases verrät eine Manipulation durch den Balladen-Dichter. Aus dem Monat wird eine Stunde! Die Ballade versetzt das Bild des Stundenglases unmittelbar vor den Augenblick des Todes: At last when I had but one Hour to come, I turn’d the Glass for my last Hour to run […]519 By Twelve o’Clock my Glass was almost out [...]520
519 Zeilen 61–62. 520 Zeile 65.
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Marlowe verwendet stattdessen den Glockenton und erreicht damit ebenfalls die Wirkung, dass man Mitleid empfinden muss. Die Bilder dienen hier dazu, die Konfrontation der letzten Stunde zu dramatisieren. Der Glockenton unterbricht dreimal, als Faustus seine letzten verzweifelten Ausrufe macht. Ah Faustus— Now hast thou but one bare hour to live, And then thou must be damned perpetually.521
Die Ballade schließt mit der Mahnung, dass dieses verfehlte Leben eine Warnung sei. Alle Christen müssten die Gefahr der Zauberei ernst nehmen. You Conjurors and damned Witches all, Example take by my unhappy Fall: Give not your Souls and Bodies unto Hell, See that the smallest Hair you do not sell. But hope in Christ his Kingdom you may gain Where you shall never fear such mortal Pain; Forsake the Devil and all his crafty Ways, Embrace true Faith that never more decays.522
Der Ton dieses Schlusses spiegelt die Warnung des Faustbuchs; das Schicksal des Zauberers soll eine unmissverständliche Lehre sein. Indem Faustus sein eigenes Streben nach Ruhm betont und die Begegnung mit dem Tod als persönliches Erlebnis erzählt, weicht die Ballade von ihrer Vorlage deutlich ab. Hier liegt der Fokus nicht auf der Brutalität des Teufels im Umgang mit Faustus; der zentrale Aspekt verlagert sich vielmehr auf die Tragik eines Menschen, der die Vergeblichkeit seines Strebens einsieht und mit dem Tod konfrontiert wird. Marlowe schließt mit einer Lehre, die aber den polemischen Ton der Vorlage vollständig unterdrückt: Faustus is gone: regard his hellish fall, Whose fiendful fortune may exhort the wise Only to wander at unlawful things, Whose deepness doth entice such forward wits To practice more than heavenly power permits.523
521 Doctor Faustus, V.ii. Wootton, S. 62. Keefer, Tragical History, S. 259–260. 522 Zeilen 73–80. 523 Doctor Faustus, V.ii. Wootton, S. 65–66.
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Mit diesem Schluss verzichtet Marlowe auf eine Warnung. Der Lebenslauf des Faustus muss nicht nur von einem religiösen Standpunkt gesehen werden. Auch wenn der Mensch die göttliche Sphäre respektieren muss, kann er die Grenzen des Möglichen mit seiner Vernunft selbst erkennen.
In dieser Betrachtung erscheinen das Faustbuch, Faustus und die Ballade zunächst in keiner verbindlichen chronologischen Ordnung. Da keine genauere Datierung vorhanden ist, soll man nicht voreilig urteilen, in welchem Verhältnis die genannten Werke zu einander stehen. Natürlich hätten die zwei praktisch gleiczeitig erschienenen literarischen Werke jeweils direkt unter dem Einfluss des Faustbuchs entstehen können. Fest steht, dass sowohl der Balladen-Dichter als auch Marlowe das englische Faustbuch gründlich gelesen und unabhängig von einander vieles übernommen haben. Man sieht aber zugleich, dass Doctor Faustus und die Ballade sehr nah verwandt sind. Besteht die Möglichkeit, dass die Ballade den Faustus beeinflusst hat? Oder umgekehrt? Es gibt zwar verschiedene Hinweise auf den Einfluss des Faustbuchs und der Faustus-Aufführungen seit etwa 1588. Willkommen wären sichere Belege, sodass man die frühesten Aufführungen von Marlowes Faustus endlich genau festlegen könnte. MacD. P. Jackson meint jedenfalls, dass Marlowes Faustus die Ballade beeinflusst habe und betont, dass der Balladen-Dichter wahrscheinlich eine Aufführung von Marlowe’s Faustus erlebt haben musste, bei der ihnbesonders die Schlussszenen beeindruckt hätten. Dieser Gedanke wird ausführlicher und ganz konkret von dem BalladenDichter und Marlowe betont. Faustbuch:
Ah that I could carry the heavens on my shoulders, so that there were time at last to quit me of this everlasting damnation! […]524 Marlowe: Stand still, you evermoving spheres of heaven / That time may cease, and midnight never come! / Fair nature’s eye, rise, rise again, and make / Perpetual day; or let this hour be but a year, / A month, a week, a natural day, / That Faustus may repent and save his soul! / O lente, lente currite noctis equi! / The stars move still; time runs; the clock will strike; / The devil will come, and Faustus must be damned.525 Ballade: I then did wish both Sun and Moon to stay,
524 Jones: The English Faust Book, Kap. 61, S. 175. Wootton, S. 146. 525 Doctor Faustus, V.ii. Wootton, S. 62. Vgl. Kapitel „Zeit/Räume“. In: Ott: Fünfzehnhundertsiebenundachtzig, S. 242–262, hier S. 248.
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All Times and Seasons never to decay: Then had my Time ne’er come to dated End […]526
Hier erklärt Marlowe ausführlicher, was im Faustbuch unvollständig und nur angedeutet wird. Man ist in diesem Fall versucht, den Text Marlowes als Voraussetzung für die Ballade zu sehen. Aber vor allem die direkte Abhängigkeit beider Texte vom Faustbuch ist überzeugend. Faustbuch: Faustus, damned wretch, how happy wert thou if as an unreasonable beast thou mightest die without soul […] But now the devil will take the away […] set thee in an unspeakable place of darkness […]527 Marlowe: Ah, Pythagoras’ metempsychosis, were that true This soul should fly from me, and I be Auf chanag’d Unto some brutish beast. All beasts are happy, for when they die Their souls are soon dissolv’d in elements […]528 Ballade: Would I at first been made a Beast by Kind, Then had not I so vainly set my Mind […]529
Auf Grund dieser frappanten Ähnlichkeiten, die besonders in den Textstellen vor dem Tod bemerkbar sind, kommt Jackson zu dem Ergebnis, dass der BalladenDichter von Marlowe beeinflusst wurde: Though working from the Damnable Life [dem englischen Faustbuch], the ballad writer must, I think, have heard Faustus’s last soliloquy on stage. It is worth emphasizing that those features of the ballad which support this conclusion are not features which a printer could have given it by tinkering with the text of some hypothetical pre-Marlovian Faustus ballad. The whole organization of the ballad suggests that it was inspired by Marlowe’s play.530
526 Zeilen 57–59. 527 Jones: The English Faust Book, S. 175. 528 Doctor Faustus, V.ii. Wootton, S. 63. 529 Zeilen 29–30. 530 Jackson: Three Old Ballads and the Date of Doctor Faustus, S. 195. Ohne auf diese These Rücksicht zu nehmen, unterstützt John Henry Jones ihre Tendenz: „[…] it is most unlikely that a ballad of Doctor Faustus would have been published until public interest had been awakened,
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Nach Jacksons These müsste die eben formulierte Chronologie wie folgt revidiert werden. Das englische Faustbuch ca. Sommer 1588 Marlowes Doctor Faustus ca. Sommer 1588–Febr. 1589 Die englische Faust-Ballade 28. Februar 1589 Unbeachtet bleibt jedoch bis heute eine gründliche Arbeit von Günther Venzlaff, wonach die ersten Aufführungen von Marlowes Faustus schon vor August 1588 stattfanden. Fleay vertrat dieselbe Meinung: „The Tragical History of Dr. Faustus was acted by the Admiral’s men in 1588“.531 In diesem Zusammenhang sollte man noch überlegen, wie ein strikt konservativ denkender Balladen-Dichter auf eine Aufführung des Theater-Stücks reagiert hätte. Ihm stand offenbar das Denken des fanatischen Faustbuchs näher. Wenn er seine Aufgabe erst nach dem Erlebnis mit Marlowes Werk in Angriff nahm, hätte er Marlowes Provokationen ausschalten und sich bemühen müssen, die christliche Mission der Ballade im Sinne des Faustbuchs wieder durchzusetzen. Ein solcher Vorgang ist auch nachvollziehbar. Die Vermutung, dass Richard Jones 1590 wegen der Herausgabe Tamburlaines direkt mit Marlowe in Verbindung gewesen sein musste, gibt Anlass, über die Gründe, die zum Druck der Ballade geführt haben könnten, nachzudenken. Hatte Jones schon Ende 1588 oder Anfang 1589 Kontakte zu Marlowe gehabt, zu jener Zeit, wo die ersten Aufführungen Tamburlaines stattgefunden haben? (Er verwies ja auf solche Aufführungen.) Gab es schon damals Faustus-Aufführungen? Hat Jones dem Balladendichter den Auftrag erteilt, das Faustbuch für eine Ballade zu verwenden? Hatte der Auftrag das Ziel, eine streng religiöse Verurteilung des faustischen Teufelspakts zu beschreiben, damit die Aufgabe, die Zensurbehörden zu einem positiven Urteil über die Faustus-Thematik gewonnen werden? Hat Jones dem Balladen-Dichter Auskünfte über die Faustus-Aufführungen gegeben? Oder gar Marlowe selbst? Oder war es so, wie Jackson vermutet, dass der Balladen-Dichter die Aufführungen gesehen hatte. Oder, umgekehrt: Hatte Marlowe in Absprache mit Jones oder mit dem Balladen-Dichter Anregungen zu seiner eigenen Dichtung
and for that, neither a circulating MS, nor hearsay of the GFB [English Faust Book] would have been sufficient“. Die Chronologie der relevanten Werke, die Jones aufstellt, zeigt jedoch die Niederschrift und Aufführung von Marlowes Faustus im Jahre 1589, aber nach der Ballade! Jones: The English Faust Book, S. 54 u. 72. 531 Günther Venzlaff: Textüberlieferung und Entstehungsgeschichte von Marlowes „Doctor Faustus“. Berlin 1909, S. 72. Frederick Gard Fleay: A Biographical Chronicle of the English Drama. 1559–1642. London 1891, S. 61.
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erhalten? Sichere Antworten fehlen, wenn auch die Annahme von positiven Antworten zu solchen Fragen bedeuten würde, dass das Datum der ersten FaustusAufführungen in enger Nachbarschaft der Balladen-Zulassung zu sehen sind. Wegen der nahen Verwandtschaft zu Marlowes Werk verdient es die Textschicht der Ballade (entweder vor oder nach Marlowe), als eine Stufe in der Wirkungsgeschichte des Faustbuchs ernst genommen zu werden. Zu diesem Zeitpunkt entdeckte Marlowe das dramatische Potential des faustischen Teufelspakts. An der Struktur des Faustbuchs war praktisch nichts zu ändern. Marlowes Dramatisierung lässt vieles vom Erbe der Hexenprozesse wiedererkennen. Hier wurden ja die wesentlichen Bestandteile des Faustbuchs übernommen: die gefährliche Neugierde, der vierundzwanzigjährige Teufelspakt, die Reisen, die Abenteuer, der Kaiser, der Bekehrungsversuch, der zweite Pakt, Helena, das Geständnis und die Hinrichtung durch den Teufel. Der Rahmen war der gleiche. Neu war bei Marlowe die besondere Perspektive des Helden. Im Faustbuch war Faustus ausschließlich das Objekt einer fanatischen Polemik eines warnenden Autors. In den Worten dieses neuen Faustus vermutet man oft die dichterische Stimme Marlowes. Hier wird Faustus befreit; er spricht als Renaissancemensch, der einen eigenen Weg gehen will, um die bisher unbekannten Angebote der dunklen Magie zu erkunden. Er will Sinnlichkeit, Ruhm und Macht. Besonders der Wille zur Macht ist dem Streben Tamburlaines nah verwandt. Tamburlaine wurde ja kurz vor Faustus auf der Londoner Bühne aufgeführt. Faustus zweifelt zuerst an der Wirklichkeit der Hölle („I think hell is a fable“.) Seine Arroganz wird aber bestraft. Sein Leiden zum Schluss in der Konfrontation mit der Erwartung einer ewigen Todesstrafe ist überzeugend. Die Hölle, an deren Wirklichkeit er am Anfang gezweifelt hatte, erfährt er noch im Leben. Augenblicke der Höllenangst spürt man auch im Faustbuch und in der Ballade, auch wenn es Faustus dort um den ernstlich geglaubten Teufelspakt geht. Bei Marlowe nimmt Faustus die warnenden Schranken des Glaubens nicht ernst. Er meint, dass er sich von ihnen befreien kann, was ihm jedoch zum Verhängnis wird. Nachdem der Bischof von London den Druck der Ballade erlaubt hatte, konnte sich diese Verarbeitung des Fauststoffes in England ohne diejenigen Hindernisse verbreiten, die man im deutschen Sprachraum hatte. Das Phänomen des Teufelspakts, die Bekämpfung der Hexen und deren Hinrichtung waren in deutschen Gebieten eine alltägliche Erfahrung. In England weniger. Weil Gesetze in Deutschland den Teufelspakt mit der Todesstrafe bedrohten, stand er im Mittelpunkt vieler Kontroversen. Die Obrigkeit, die Zensurbehörden, Theologen und die sonstige Leserschaft sahen im Teufelspakt eine große Gefahr. Die Zeugnisse aus Straßburg, Tübingen und Heidelberg bestätigen die Angst, dass das Faustbuch den Lesern vermitteln würde, was man angeblich alles durch einen Teufelspakt erreichen könnte. Der Balladen-Dichter war vorsichtiger: in der Ballade wird
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der Teufelspakt sofort bereut. Die Londoner Toleranz gegenüber seiner Faustgeschichte ist daher nicht überraschend. Bei Marlowe behielt der Teufelspakt immer noch eine zentrale Funktion, wie im Faustbuch, und ermöglichte einen wirkungsvollen Plot, auch aus Sicht des streng religiösen Balladen-Dichters. For four and twenty Years this bond was made, And then at length my Soul for it was paid; Time ran away, and yet I never thought, How dear my Soul our Saviour Christ had bought.532
Obwohl die Angst vor der Zensur in London eine geringere Rolle spielte, musste ein Autor wie Marlowe dennoch vorsichtig sein. Marlowe entdeckte im Faustbuch—und möglicherweise auch in der Ballade—, die geeignete Grundlage zur Darstellung auf der Bühne. Der Balladen-Dichter hatte bewiesen, dass der Faustische Teufelspakt die Behörden nicht zu ängstigen brauche. Weder das Faustbuch noch die Ballade kennen die eingehende Betrachtung und die darauf folgende Verwerfung der akademischen Fächer Logik, Medizin, Jura und Theologie. Bei Marlowe erscheint die Unzulänglichkeit, das Abrechnen mit „scholarism“ der Universität, als eine Voraussetzung für den Teufelspakt. Wenn gleich danach vom Ruhm Agrippas die Rede ist, ist es nicht möglich, dessen Einfluss Agrippas und die Bezüge zu seiner Schrift De incertitudine et vanitate scientiarum et artium zu übersehen. Eine Bestätigung dafür ist der Zeitgenosse Thomas Nash, der nach den Aufführungen von Marlowes Werk handschriftlich „Faustus: Che sera, sera diuynitie adieu“ notierte und in seinem satirischen Roman Unfortunate Traveller (1594) die Erinnerung an Faust in Wittenberg mit den nekromantischen Aufführungen des berühmten Agrippas verband.533 Gleich am Anfang von Marlowes Werk erscheint also eine neue Schicht der Faustliteratur, deren Grundgedanke, die Unzulänglichkeit der Wissenschaften, auch im Volkschauspiel und in Goethes Faust erhalten bleibt. Faustus verlangt vom Teufel keine Erkenntnisse im Sinne der Aufklärung. Stattdessen bietet die Magie die Fähigkeiten, wodurch die Bewunderung der Menschen, vor allem der Mächtigen, gewonnen wird. Die Ballade bestätigt das,
532 Zeilen 25–28. 533 Paul H. Kocher: Some Nashe Marginalia Concerning Marlowe. In: Modern Language Notes 57 (Jan., 1942), S. 45–49. Thomas Nashe: The Vnfortunate Traveller or The Life of Jacke Wilton. Hg. von H. F. B. Bertt-Smith. Oxford 1948, S. 47–48. Anton Reichl, „Faust und Agrippa von Nettesheim,“ Euphorion 4 (1897): 287–301. Agrippas Einfluss auf Goethe macht auf die ähnliche Gestaltung des Monologs bei Marlowe aufmerksam. Richard Hardin: Marlowe and the Fruits of Scholarism. In: Philological Quarterly 63 (1984), S. 387–400.
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was das Faustbuch auch zeigt: Faustus wird berühmt: „that all the world may talk of Faustus still“.534 Marlowes Faustus genießt auch diesen Vorteil des Teufelspakts, Faustus wird so berühmt wie Agrippa, den ganz Europa bewundert. („Whose shadows made all Europe honor him“)535. Bei Marlowe wird jedoch diese Tendenz radikal erweitert. Der Ruhm wird dort wichtig als Instrument der Macht. Bei Marlowe wird gleich am Anfang die Tendenz bemerkbar, dass der Stoff einen mythischen Aspekt erhält, sodass die eindeutig moralisierenden Bilder des Christentums durch die komplexeren Andeutungen der Antike ersetzt werden. Der Chor, der das Stück den Zuschauern vorstellt, ersetzt das didaktische Bild des Adlers aus der Bibel durch eine Figur aus der antiken Mythologie. Faustus wird zu Ikarus: Till swoll’n with cunning of a self-conceit, His waxen wings did mount above his reach, And melting, heavens conspired his overthrow […]536
Marlowe, der seine humanistische Bildung an der Universität Cambridge erwarb (Magistergrad, 1587), hat seinen Helden als einen sehr ehrgeizigen Humanisten gesehen. Durch eine Reihe von mythischen Identifikationen, wie etwa mit Agrippa von Nettesheim, erbt Faustus eine Unabhängigkeit von seinem streng religiös verurteilten Vorgänger im Spies-Faustbuch. Dem ehrgeizigen Faustus wird in dieser neuen Verarbeitung viel mehr von der Magie versprochen als seinem Vorgänger. O what a world of profit and delight, Of Power, of honor, of omnipotence Is promis’d to the studious artisan!537
Von dem Pakt wird sogar das Verschwinden aller Ambiguitäten erhofft (Marlowe: „Resolve me all ambiguities“).538 War nicht das bedingungslose Streben nach Wissen, Macht und Liebe dieses sogenannten „overeachers“539 eine Provokation für die damalige Zensur? Da der früheste Druck des Dramas erst 1604 erschien, weiß man nicht, welche Kompromisse Marlowe anfänglich wirklich machen musste.540 Am 12. November 1589 klagte der Erzbischof von Canterbury, dass
534 Zeile 40. 535 Doctor Faustus, I.i. Wootton, S. 2. 536 Keefer: Tragical History, S. 172–173. 537 Ebd., S. 179. 538 Keefer: Tragical History, S. 181. 539 Harry Levin: The Overreacher: A Study of Christopher Marlowe. Cambridge 1952. 540 William Empson vertrat die These, dass Marlowe durch die Zensur zu großen Änderungen an seinem ursprünglichen Entwurf gezwungen war. Ihm fehlten aber die Beweise dafür. William
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„plaiers [have] taken upon [them] to handle in their plaies certain matters of Divinitie and State, unfit to be suffered [...]“541 Die Zensur forderte: „stryke out or reforme such parte and matters, as they shall fynd umfytt and undecent“.542 Die vorhandenen Ausgaben Marlowes deuten an, dass einiges gestrichen543 und gewisse Szenen wegen der Zensur eingesetzt wurden. Das Erscheinen des guten Engels neben einem bösen Engel, was das Faustbuch nicht kannte, zeigt die Spuren eines Rahmens, der aus den mittelalterlichen geistlichen Spielen (morality plays) übernommen wurde. Neu waren bei Marlowe auch die komischen Szenen, die sich über die sonstigen Handlungen lustig machten. Diese Übernahmen aus dem volkstümlichen Theater schützten Marlowe vor dem Vorwurf, die faustischen Provokationen zu begrüßen. Er könnte damit gegenüber der Zensur ein Zugeständnis gemacht haben. Die Warnungen des guten Engels werden von Faustus nicht beachtet. Arroganz und Ehrgeiz führen ihn unaufhaltsam zu seinem unglücklichen Ende. Die stilistischen Variationen und Schwankungen in Erzählerhaltung und Perspektivenwechsel im Faustbuch verschwinden weitgehend. Alles ist auf Faustus’Aussagen konzentriert. Gleichwohl verrät die dichterische Umsetzung eine bis dahin fehlende literarische Einheit. Der Transfer des Fauststoffes nach England führte in erstaunlich kurzer Zeit zu Marlowes Meisterwerk, das als „one of the greatest plays in the English language“ bezeichnet wurde.544 Die deutsche Herkunft des Erzählstoffes war in England also kein Hindernis, aber die Rückkehr nach Deutschland führte nicht gleich zu einem Erfolg. Auch wenn irgendein schriftlicher Text die englischen Schauspieler nach Deutschland begleitete, blieb davon keiner erhalten. Schon im 16. Jahrhundert hatten die sogenannten englischen Komödianten aus London Bühnenstücke in Deutschland vorgestellt. Unter der Führung des Truppenführers Robert Browne taten sie dies schon in den Jahren 1590, 1591 und 1592. Die Truppe mit „Robert Browne, Jehan Bradstriet, Thomas Saxfield, Richard Jones [Musiker], avec leurs consorts“ zeigte damals Theaterstücke in den nieder-
Empson: Faustus and the Censor. Hg. von John Henry Jones. Oxford 1987. Vgl. die Rezension von Frank Baron in: German Studies Review 12 (1989), S. 355–356. 541 John Payne Collier: The History of English Dramatic Poetry in the Time of Shakespeare and Annals of the Stage to the Restoration. London 1831, p. 276. Vgl. Frederick Gard Fleay: A Chronicle History of the London Stage, 1559–1642. New York 1964 [1890], S. 92–93. 542 Diese Forderung passt nach Venzlaff zu Änderungen, die am B-Text des Faustus festzustellen sind. Venzlaff: Textüberlieferung und Entstehungsgeschichte, S. 47 und 66. 543 Als Beispiel zeigt Venzlaff, dass bestimmte Wörter wie etwa Gott in A durch andere wie heaven in B ersetzt werden. Ebd., S. 44–45. 544 David Wootton: Christopher Marlowe: Doctor Faustus, S. vi.
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ländischen Provinzen, aber auch in Frankfurt a.M., Wolfenbüttel und Nürnberg. Sie führten auch Stücke des „dort im Inselland gar berühmten Herrn Christopher Marlowe“ auf.545 Im Jahre 1597 fand eine Aufführung von Marlowes Faustus in Straßburg statt.546 Das Volksschauspiel von Faustus spielten sie nachweislich in Graz (1608), Dresden (1626) und Prag (1651).547 Auf diesem Umweg wurden Spuren von Marlowes literarischer Leistung aufbewahrt. Die „englischen Comödianten“ haben ihre Stücke zeitweise auch auf Deutsch aufgeführt und nach und nach wurden sie durch deutsche Schauspieler ersetzt. Weitere Aufführungen des Schauspiels sind bekannt: Bremen (nach 1668), Altdorf (1676), Bremen (1688), Hamburg (1698), Wien (1715 und 1730), Hamburg (1738 und 1739), Königsberg (1740), Frankfurt a. M. (1742), Hamburg und Mainz (1746), Berlin (1754).548 Was in solchen Schauspielen dargestellt wurde, fasst 1669 in einem Bericht des Ratsherrn Georg Schröder über die Danziger Commedia vom D. Fausto zusammen. Der vollständige Text dieses Berichts erlaubt es, einen Eindruck von den damals im Umlauf befindlichen Faust-Erzählungen zu bekommen. Man erkennt, dass vieles von Marlowes Schauspiel verlorengegangen war und aus verschiedenen anderen deutschen Quellen ergänzt wurde.
545 van ‘t Hooft: Das holländische Volksbuch vom Doktor Faust, S. 32. Gunilla Dahlberg: Die englischen Komödianten“. In: Rolf Hagen (Hg.): Vom herzöglichen Hoftheater zum bürgerlichen Torneetheater. Ausstellung des Schloßmuseum Wolfenbüttel, 1992, S. 5–9. 546 Eversberg vermutet eine Aufführung des Faustus von Marlowe durch die Gruppe der Admiral’s Men 1596 in Nürnberg. Er fügt hinzu: „Eine Aufführung des Doktor Faustus in Straßburg Mitte Juli 1597 durch eine englische Truppe unter dem Clown-Darsteller Thomas Sackville ist durch das Zeugnis eines Zuchauers dokumentiert“. Für die zweite Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts stellt Eversberg den Einfluss von Thomas Dekker im Vorspiel der Danziger Aufführung fest. Gerd Eversberg: Doctor Johann Faust. Die dramatische Gestaltung der Faustsage von Marlowes Doktor Faustus bis zum Puppenspiel. Dissertation der Universität Köln, 1988, S. 35, 82–85, 93, 96 u. 258. Vgl. Karin Vorderstemann, „Komik“. In: Faust-Handbuch. Konstallationen– Diskurse–Medien, hg. von Carsten Rohde, Thorsten Valk, and Mathias Meyer. Stuttgart 2018, S. 137–144, hier S. 140. Clearence K. Pott, The Seventeenth-Century Dutch Faust Play. In: Jelena O. Krstović und Marie Lazzari (Hg.), Literature Criticism from 1400 to 1800. Detroit 1999, Bd. 49, S. 43–52. Vgl. Albert Bielschowsky, Das Alter der Faustspiele. In: Vierteljahrschrift für Literaturgeschichte 4 (1895), S. 193–226. 547 Karl Engel: Das Volkschauspiel Doctor Johann Faust. Oldenburg 1882, S. 28 ff. Albert Cohn. Shakespeare in Germany in the Sixteenth and Seventeenth Centuries: An Account of English Actors in Germany and the Netherlands and of the Plays Performed by them during the same Period. London 1865. 548 Engel: Das Volksschauspiel, S. 30–49.
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Commedia Vom D. Fausto Zuerst kompt Pluto Herfür auß der Hellen und rufft einen Teüffel nach dem anderen, den Tobactäuffel, den Huren=Teuffel, auch unter anderen den klugkheit Teuffel und giebt ihnen order, das sie nach alle mäglichkeit die Leute betrügen sollen. Hierauff begibt es sich das D. Faustus mit gemeiner Wissenschafft nicht befriediget sich umb magische Bücher bewirbet, und die Teüffel zu sienem dienst beschwäret, Worbey er ihre geschwindikeit exploriret, und den geeschwindesten er Wehlen Wil. ist ihm nicht genug, das sie so geschwinde sein Wie die Hirsche, wie die Wolcken, Wie der Wind, sonderen er Wil einen, der so geschwinde; Wie des menschen seine gedancken, Und nachdem für einen solchen sich der klüge teüffel angeben, will er Das er ihm 24 Jahr dienen solle, so wolle er sich ihm ergeben, Welches der kluge teüffel für seinen kopff nicht thun Will, sonderen es an dem Plutonem nimt, auff deßen guttbefinden ergibt sich der kluge teüffel in Bündnuß mit D Fausto, der sich ihm auch blutt verschreibet. Hierauff will ein einsiedler den Faustum abmahnen, aber vergeblich, den Fausto gerathen alle beschworunge wol, er lest ihm Carolum Magnum, Die Schöne Helenam Zeügen; mit der er sein vergnugen hat. Endlich aber Wachet bey ihm das gewißen auff, und zehlet er alle stunde biß zwölffe, da redet er seinen Diener an, und mahnet ihn ab von der Zauberey. Bald kompt Pluto und schicket seine Teüffel das sie D. Faust holen sollen, Welches auch geschiehet, und werffen sie ihn in die höhe, und Zerreisen ihn gar, auch wird präsentiere Wie er gemartert wird in d Höllen, da er bald auff und nider gezogen Wird, und diese Worte auß Feür Werck gesehen werden Accusatus est, judicatus est, Condemnatus est. 549
Schroeders Bericht spiegelt, was die englischen Komödianten und ihre Nachfolger in Volksschauspielen von Marlowes dichterischer Leistung mit Mühe und Not retten konnten. Man arbeitete offenbar ohne einen geschriebenen Text, und die Wirkung hing von der mimischen Begabung der Schauspieler ab. Wenn Faustus mit „gemeiner Wissenschaft“ unzufrieden ist und erkennt, dass der Tod unmittelbar bevorsteht („zehlet er all stunde biß zu zwölfe“), erinnert der Bericht an diesen Stellen nicht an das Faustbuch, sondern an Marlowe. Die Bestandteile der aus den Hexenprozessen übernommenen Struktur (Teufelsbund, Abenteuer, Bekehrungsversuch, und Hinrichtung) sind noch da. Die lateinischen Schlussworte deuten an, dass auch das Jesuitendrama einen Einfluss ausübte. Vieles gemahnt an das Spies Faustbuch, aber erstaunlich ist, dass
549 „Von Nathaniel Schroedern ein Buch gehabt und durchblättert, darinnen Italiänische Comedien befindlich [...] vor dem 20. Oktober 1669“. Alexander Tille: Die Faustsplitter in der Literatur des 16. bis 18. Jahrhunderts. Nachdruck Hildesheim 1980, S. 207–208. Vgl. Philip Mason Palmer u. Robert Pattison More: The Sources of the Faust Tradition from Simon Magus to Lessing. New York 1966, S. 245–251.
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im Laufe der vielen Jahrzehnte die Spuren der wirkungsvollen Bühnenbearbeitung Marlowes nicht verwischt wurden. Vermutlich erlebte Lessing verwandte Aufführungen („volkläufige Faustschauspiele“), in Leipzig und Berlin.550 Zeugnisse über Faust-Pläne stammen aus dem Jahr 1755. Lessing schrieb an seinen Freund Georg August von Breitenbach: Merken Sie es nun bald an, daß ich an meinem D. Faust arbeite? Sie sollten mich in einer mitternächtlichen Stunde darüber sinnen sehen! Ich muß zum Entsetzen aussehen, wenn sich die schrecklichen Bilder, die mir in dem Kopf herumschwärmen, nur halb auf meinem Gesicht ausdrücken. Wenn ich selbst darüber zum Zaubrer oder zum Fanatiker würde! [...] Ich verspare die Ausarbeitung der schrecklichsten Scenen auf England. Wenn sie mir dort, wo die überlegende Verzweiflung zu Hause ist, wo mehr als irgend die Unglücklichen „When they see all hope of fortune vanish’d, / Submit and gain a Temper by their ruine […]“ Wenn sie mir, sag ich da nicht gelingen, so gelingen sie mir nirgends.551
Lessing zitiert hier aus einem Schauspiel John Drydens (The Rival Ladies, I), um den Eindruck der melancholischen Stimmung zu vermitteln, die er sich als die richtige für ein Faust-Schauspiel vorstellt. Lessing war schon mehrere Jahre mit der Übersetzung aus dem Englischen beschäftigt. Auch las er viel englische Literatur und bevorzugte Tragödien von Dryden, Thompson und Shakespeare.552 Ohne Marlowes Tragical History of Doctor Faustus zu kennen, erkannte Lessing auf der Basis des Volksschauspiels die Herkunft jener melancholischen Stimmung und Tendenz zur Verzweiflung. Er war überzeugt, die Voraussetzung zu einem literarischen Erfolg sei ein Theaterstück nach dem Muster der Engländer. Tatsächlich plante Lessing eine Reise nach England, die aber wegen des Kriegausbruchs nicht verwirklicht werden konnte.553
550 Arthur Henkel: Anmerkungen zu Lessings Faust-Fragment. In: Euphorion 64 (1970), S. 75–84, hier S. 75. Das Datum der Berliner Aufführung wird für das Jahr 1754 registriert. Vgl. Karl S. Guthke: Problem und Probematik von Lessings Faust-Dichtung. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 79 (1960), S. 141–149 u. Karl S. Guthke (Hg.): D. Faust. Die Matrone von Ephesus. Stuttgart 1968. Eine Übersicht zu Lessings Faust liefert J. M. van der Laan: Lessings ‚Lost‘ Faust“ and Faustus Socinus. In: Lessing Yearbook/Jahrbuch 38 (2008/2009), S. 53–63. 551 Briefe von und an Lessing. 1743–1770, hg. von Helmut Kiesel. Frankfurt a. M. 1985, S. 79–80. Vgl. Henkel, Anmerkungen, S. 75. 552 Curtis C. D. Vail: Lessing’s Relation to the Englisch Language and Literature. New York 1966, S.139–151. Besonders aktiv war Lessing in der Übersetzung aus dem Englischen in den Jahren 1757–1758. “Die Werke von Hutcheson, Law und Richardson machen in Lessings deutscher Übersetzung insgesamt mehr als zweitausend Oktaveseiten aus“. Hugh Barr Nisbet: Lessing und England. In: (Hg.) Dieter Fratzke u. Wolfgang Albercht: Lessing in Europa. Kamenz 2002, S. 45–62, hier S. 54 u. 53–58. 553 van der Laan: Lessings ‚Lost‘ Faust“ and Faustus Socinus, S. 55.
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Wäre Lessing einmal in England gewesen, so hätte er sehr wahrscheinlich die tragische Tendenz im Faust-Mythos weniger ernst nehmen müssen, denn er hätte Faust[us] auch als Gestalt einer Farce vorgeführt bekommen. Die Ernsthaftigkeit der Faust-Fabel in Marlowes Werk wurde in William Mounforts Schauspiel The Life and Death of Doctor Faustus Made into a Farce (1697) durch den Einfluss der Commedia dell‘Arte gemildert: „While Marlowe invited his audience to question the inevitability of Faustus‘ damnation, Mounfort resolves all ambiguity. There is no doubt that his Faustus goes to hell. But it is the hell of farce“. Ähnliche Werke folgten: Harlequin Doctor Faustus (1723) von John Thurmond und The Necromancer (1723) von John Rich. Alexander Pope klagte über die allgemeine Beliebtheit solcher phantasievollen Werke.554 In Deutschland leitete der „17. Literaturbrief“ Lessings 1759 eine regelrechte Renaissance des Faust-Mythos ein. Dabei handelte es sich bekanntlich um eine Polemik gegen Gottsched und dessen Drängen auf Theaterreform und seine Abhängigkeit vom französischen Einfluss. Gegenüber Gottsched sieht sich Lessing genötigt, die Vorbildlichkeit der Engländer, vor allem Shakespeare, zu betonen. Die kleine Szene von Doktor Faust, die er zum Schluss vorstellt, verdiene Beachtung, weil sie „nur ein Shakespearsches Genie zu denken vermögend gewesen“.555 Die kleine Szene „Faust und sieben Geister“ sei „ein alter Entwurf eines Trauerspiels“, den Lessing angeblich von einem Freund erhalten habe. Das Thema war Lessing wahrscheinlich schon in einem der früheren Faust-Schauspiele begegnet. Der einfache Inhalt der Geschichte erlaubte es, sie durch mündliche Weitergabe lebendig zu erhalten. Es lag aber schon in einer schriftlichen Quelle vor. Die Szene der konkurrierenden Teufel, die durch das Basse-Faustbuch weit verbreitet wurde, überlebte auch in anderen Faust-Darstellungen des 18. Jahrhunderts.556 Etwa um 1730 erschien der Einblattdruck von „Doctor Johannes Faustus der weit und breit bekande ertz zauberer der Welt sambt desen lebens begebenheiten“ und lieferte den Beweis für die Lebendigkeit jener später durch Lessing berühmt gewordenen Geschichte: „[Faustus] behelt Mephistopholo der so geschwind als der Menschen Gedanke“.557 Wahrscheinlich ist jedoch, dass die Linie des Einflusses auf Lessing von Basse ausging. Der Text von Basse, auch in einer Version von der Erfordia literata von 1735 verfügbar, erzählt nur von drei ver-
554 Christina Knellwolf King: Faustus and Promises of the New Science, c. 1580–1730. From the Chapbooks to Harlequin Faustus. Farnham 2008, S. 166–171. 555 Guthke (Hg.): D. Faust. Die Matrone von Ephesus, S. 11. 556 Füssel u. Kreutzer: Historia, S. 162. Müller: Romane, S. 1359. 557 Hans Dreyer: [...] Ein unbekannter Einblattdruck. In: Das Antiquariat 9 (1953), S. 37–40.
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schiedenen Geistern, die mit ihrer Geschwindigkeit prahlen: sie sind angeblich so schnell wie ein Pfeil, der Wind oder der Gedanke der Menschen.558 Auch in den übrigen Geschichten bei Basse fehlt die Ernsthaftigkeit der Warnung gegen die Zauberei. Sie passen zu den typischen schwankhaften Abenteuern, die im dritten Teil des Spies-Faustbuchs erzählt werden. Sie sind aber bemerkenswert, weil sie in der nachfolgenden Faust-Tradition nicht vergessen wurden. In Lessings Quellen favorisierte man den Geist, der so schnell ist wie die Gedanken der Menschen; dieser wird von Lessing beibehalten, allerdings mit der kritischen Bemerkung (sicher von Lessing selbst!), dass die Gedanken nicht immer schnell genug seien: „Nicht da, wenn Wahrheit und Tugend sie auffordern. Wie träge sind sie alsdenn!“. Damit wird die Absicht des Bearbeiters angekündigt, der im Dialog moralphilosophische Fragen ergründen will. Es gibt zwei neue Teufel, die Lessing als schneller darstellt: so schnell wie die Rache Gottes und schließlich so schnell wie der Übergang von Gutem zum Bösen. Der Teufelspakt wird noch nicht vorausgesetzt, Faust muss noch den passenden Teufel auswählen. Der schnellste Teufel ist natürlich der letzte. Mit dieser Anpassung des überlieferten Erzählstoffes schafft es Lessing, die Entwicklung des Protagonisten von einem spielerischen Anfang schrittweise in einen ernsteren Gedankengang zu überführen.559
558 Enthalten war sie aber auch in den sogenannten Erfurter Faust-Geschichten, die Siegfried Szamatólski in einem Text des 18. Jahrhunderts entdeckt hatte, deren ursprüngliche Quelle er aber nicht identifizieren konnte. Szamatólski nimmt an, dass die Erfurter Kapitel auf eine Chronik um 1550 zurückgehen, aber eine solche Chronik ist noch nicht gefunden worden. Wörtliche Übereinstimmungen zwischen den Texten, die Szamatólski entdeckt hatte, und Basse macht es jedoch sehr wahrscheinlich, dass der letztere die eigentliche Quelle war und nicht eine bloß vermutete Chronik. Siegfried Szamatólski: Faust in Erfurt. In: Euphorion 2 (1895), S. 39–57. Vgl. Gerhard Sauder: ‚Teuflische Geschwindigkeit‘ in der Historia von D. Johann Fausten, den Puppenspielen, Lessings Faust-Fragment und bei Maler Müller. In: Wolfgang Adam u. Jan Standke (Hg.). Gebundene Zeit. Zeitlichkeit in Literatur, Philologie und Wissenschaftsgeschichte. Heidelberg 2014, S.113–127. Sauder berücksichtigt den Einfluss der Puppenspiele, wenn auch für sie keine zuverlässige Textuberlieferung vor etwa 1800 existiert. Vgl. Artur Henkel: Lessings Traum von einem deutschen Drama. In: Arthur Henkel: Der Zeiten Bildersaal. Studien und Vorträge. Stuttart 1983. S. 55–66. 559 In Lessings geplantem, aber nicht ausgeführten Faust sollten schreckliche Szenen zu erwarten sein. Neumann postuliert vier verschiedene, unvollendete Faust-Pläne Lessings. Erwin Neumann, “‘Meinen Faust holt der Teufel, ich will Goethe’s seinen holen‘. Lessings 17. Literaturbrief und seine Faust-Pläne. Zur Doppelstrategie seiner Polemik gegen Gottsched und Goethe in epistularischer und dramtischer Form“. In: Streitkultur: Strategien des Überzeugens im Werk Lessings. Hg. von Wolfram Mauser und Günther Saße. Tübingen 1993, S. 401–409, hier S. 407–408. Monika Fick meint, dass es drei unterschiedliche „Konzeptionstufen“ gegeben habe. Monika Fick: Lessing Handbuch. Leben. Werk. Wirkung. Stuttgart 2016, S. 191–192.
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Der Hintergrund des „17. Literaturbriefes“ ist insofern wichtig, weil erst dadurch deutlich wird, was eigentlich das Neue an Lessings Faust-Szene ist.560 Lessing ist offenbar stolz auf die Neuigkeiten in der vorgeführten Szene, denn er schreibt ja zum Schluss: „Was sagen Sie zu dieser Scene? Sie wünschen ein deutsches Stück, das lauter solche Scenen hätte? Ich auch!“ Das Faust-Fragment hatte die Funktion, das Interesse an einem Theater-Stück zu wecken, an dem Lessing zu dieser Zeit bekanntlich arbeitete. Die Neuerungen an dem überlieferten Stoff bieten eine Gelegenheit, den Sinn dieser von ihm selbst geschätzten Erneuerungen festzulegen. Arthur Henkel deutet an, dass in diesem bescheidenen Text eigentlich die wichtige Neuerung eigentlich der siebte Teufel ist. Er vermutet hier den Einfluss der Engländer: Die Geschwindigkeitsklimax aber erfordert die Vernichtung der Zeit überhaupt. Der Übergang vom Guten zum Bösen muss also gleich Null sein, es ist überhaupt kein Übergang. Und in diesem Zusammenhang ist Lessings Wort an den Freund Breitenbauch zu erinnern: von der überlegenden Verzweiflung—und dass er seinen Faust in England lokalisieren wolle. In dem Nullwert jenes Übergangs vom Guten zum Bösen könnte man also die Hamleterfahrung von der möglichen Nichtigkeit des Seienden reproduziert finden. Die Erfahrung des Nichts wäre also die Erfahrung dieses Faust?561
Henkel hat sicher recht, die Wichtigkeit des siebten Teufels zu betonen. Man kann gegenüber Henkel aber einwenden, dass die Bezeichnungen von „Nullwert“ und „überlegene[r] Verzweifelung“ die von Lessing beabsichtigte ethische und philosophische Vertiefung eines bescheidenen Schwanks nicht erschöpfen. Gisbert Ter-Nedden, der den Hintergrund in gleicher Weise unbeachtet lässt, behauptet gegenüber Henkel, dass die Gleichsetzung des Übergangs zum Bösen mit Zeitlosigkeit Lessings Absicht nicht gerecht wird. Stattdessen handele es sich im Text um ein „Denken in Prozessen und Kontinuitäten“, in der „Anwendung der Kategorie der Entwicklung“. Ter-Nedden bietet eine überzeugende Alternative zu Henkels Interpretation: Die Vernunft braucht Zeit, das Böse und Unverünftige aber ist das Produkt der „Übereilung“—das ist der Grund, weshalb der siebte Teufel der schnellste ist. In Lessings Trauer-
560 Diesen wichtigen Hintergrund der sieben Geister hat der Herausgeber Gunter E. Grimm in seiner Ausgabe der Werke Lessings übersehen. Gotthold Ephraim Lessing. Werke 1758–1759. Stuttgart 1985, S. 59–69 u. 822–837. 561 Henkel: Lessings Traum, S. 65–66. Vgl. Robert Petsch: Lessings Faustdichtung, Heidelberg 1911, S. 17. Silke Opitz: Lessings Fragment einer Faustdichtung im 17. Literaturbrief—oder doch ein alter Entwurf dieses Trauerspiels? In: Zeitschrift für Germanistik 4 (1994), S. 99–103, hier S. 100.
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spielen wird die „Übereilung“ jedenfalls geradezu zum Äquivalent für die „Hybris“, den tragischen passe-partout-Fehler der attischen Tragödie [...] Die Figuren Lessings, die den größten Grad an Bosheit verkörpern, also Marwood und Marinelli, wollen nicht das Böse um seiner selbst willen—eine solche Konstruktion rechnet Lessing bekanntlich zu den Lügen der Dichter—, sondern sie liefern sich bewußt an den Augenblick aus.562
Lessing berührt mit seinem siebten Teufel den Mythos des Sündenfalls.563 Nicht die Versuchung der biblischen Schlange, die nur das Wissen um das Gute und Böse verspricht, interessiert ihn, sondern weiterführende Implikationen der Beziehung zwischen diesen zwei Bereichen, d.h., die fatale und jeden bedrohende Nähe des Bösen. Eine rasche Hinwendung zum Bösen ist nach Lessings persönlichen Erfahrungen so wahrscheinlich, dass sie den Teufel dazu praktisch überflüssig macht. Das Böse und der Teufel werden verinnerlicht. Lessing überlegt sich folgerichtig eine Faustdichtung „ohne alle Teufelei“. Dazu ist der Bericht von Tobias Philipp Freiherr von Gebler (1775) relevant: Lessing habe ihm seine Faust-Pläne mitgeteilt, „dass er das Sujet zweimal bearbeitet habe, einmal nach der gemeinen Fabel, dann wiederum ohne alle Teufelei, wo ein Erzbösewicht gegen einen Unschuldigen die Rolle des schwarzen Verführers vertritt. Beide Ausarbeitungen erwarten nur die letzte Hand“.564 Mit der zweiten Bearbeitung wäre der nicht mehr zeitgemäße Teufelspakt auch aus dem Wege geschafft. Lessings Bemühungen sind Fragmente geblieben. Er litt darunter, dass die mit dem Teufelspakt beladene Faustfabel einem gegenwärtigen Publikum nicht überzeugend vorzustellen war. Moses Mendelssohn hatte ihn schon 1755, also vor der Entstehung des 17. Literaturbriefs, ernstlich gewarnt, dass nur die Nennung des Namens Faustus das Publikum im Theater zum Lachen verleiten würde.
562 Gisbert Ter-Nedden: Lessings Trauerspiele. Stuttgart 1986, S. 182. Die besondere Eigenschaft des siebten Teufels, der „blitzartige Übergang“ zum Bösen oder der „Augenblick der leidenschaftlichen Besinnungslosigkeit“, wie Ter-Nedden ihn verstanden hat, könnte in Trauerspielen wie Emilia Galotti Spuren einer geplanten Faust-Geschichte „ohne Teufelei“ hinterlassen haben. Gisbert Ter-Nedden: Lessings dramatisierte Religionsphilosophie. Ein philologischer Kommentar zu Emilia Galotti und Nathan der Weise. Hg. von Christoph Bultmann und Friedrich Vollhardt. Hamburger „Fragmente“ und Wolfenbütteler „Axiomata“. (Frühe Neuzeit 2011) Berlin, New York 2011, S. 283–355, hier S. 319. Vgl. Gisbert Ter-Nedden: Der fremde Lessing. Eine Revision des dramatischen Werks. Göttingen 2016, S. 422. Vgl. Michael Multhammer und Carsten Rohde: [Problem- und Kulturgeschichte] Kritik. In: Faust-Handbuch, S. 194–201, hier S. 196. 563 Lessings Beitrag wird von Stephen Greenblatt unbeachtet gelassen, doch hätten die Implikationen des siebten Teufels in seinen Überlegungen („the mortality of a narrative“) eine bedeutende Rolle spielen können. Vgl. Greenblatt: The Rise and Fall of Adam and Eve, S. 7–8 u. 251–261. 564 Lessings Werke, Bd. 4, S. 833. Vgl. S. 834–835. Lessings Beitrag über Leibnitz von den ewigen Strafen soll nach Fick eine Art Verinnerlichung vertreten: „Jeder Mensch trage seinen Himmel und Hölle in sich“. Fick: Lessing Handbuch, S. 475.
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Wo sind Sie, liebster Lessing! Mit Ihrem bürgerlichen Trauerspiele? Ich möchte es nicht gern bei dem Namen nennen, denn ich zweifle, ob Sie ihm den Namen Faust lassen werden. Eine einzige Exclamation, o Faustus! Faustus! könnte das ganze Parterre lachen machen. Wieder ein Ratgeber, werden Sie sagen, der gar keinen Beruf dazu hat! Nun wohl! So lassen Sie es immer dabei. Ich will als denn das Vergnügen haben, selbst mit dem Leipziger Parterre zu lachen, und Sie bei jedem Gelächter sich entflammen zu sehen. Denn lachen muss man gewiss, wenn Ihre Theorie vom Lachen anders richtig ist.565
Im Zeitalter der Aufklärung musste man offenbar mit solchen Reaktionen rechnen. Dass Lessing dieses Problem ernst nahm, wird deutlich, wenn er im Gespräch mit (Maler) Müller überlegt, wie man den überlieferten Faust-Stoff einem gegenwärtigen Publikum nahe bringen könnte, d. h., „wie man diesem gehaltreichen, doch fürchterlich-drolligen Ding einen schicklichen Schweif angewinnen und aus seinem Zeitalter in das unsrige bequem übertragen mag“.566 Er hatte also Mendelssohns Warnung nicht übersehen. Dieses Unbehagen könnte erklären, warum er im 17. Literaturbrief nicht wagte, das Faust-Fragment mit den sieben Teufeln sein eigenes zu nennen. In den erhaltenen Faust-Texten gibt es jedenfalls keine Indizien dafür, dass Lessing das Problem, den Mythos des Teufelspakts zeitgemäß zu gestalten, je gelöst hätte. Auch wenn Goethe in bekanntgewordenen Briefen oder Gesprächen den 17. Literaturbrief nicht erwähnt, waren ihm dessen Anregungen kein Geheimnis. Zweifellos hatte er die berühmte Faust-Szene gekannt und anzunehmen ist auch, dass der junge Goethe während seiner Studienzeit in Leipzig aktiv an Gesprächen teilnahm, wo heftige Kritik am dortigen Professor Gottsched geäußert wurde. Die Wichtigkeit des Faust-Themas für die Literatur der Zeit und die Schwächung von Gottscheds Autorität, vor allem in Leipzig, wurde durch Lessings Literaturbrief erreicht. Wilfried Barner hat das Verhältnis zwischen Lessing und Goethe als „eine schwierige Konstellation“ beschrieben. Vor allem nach den Veröffentlichungen von Werther und Götz von Berlichingen entstand eine Konkurrenz nicht nur zwischen diesen zwei ehrgeizigen Autoren, sondern damit auch zwischen zwei Generationen.567 Als Goethe seine ernstliche Beschäftigung mit dem Fauststoff in den siebziger Jahren aufnahm, tat er es, ohne auf Lessing Bezug zu nehmen. Trotzdem ist Goethes Hinwendung zu Faust ohne Lessings Entdeckung des Fauststoffes nicht denkbar.
565 Brief an Lessing am 19. November 1755. Briefe von und an Lessing. 1743–1770, hg. von Helmut Kiesel, S. 69. Lessings Schrift über Lachen ist verschollen. Ebd., S. 744. Lessings Werke, Bd. 4, S. 834. 566 Ebd. 567 Wilfried Barner: Goethe und Lessing. Eine schwierige Konstellation. Göttingen 2001.
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In seiner Leipziger Studienzeit gehörten Goethes Erfahrungen in Auerbachs Keller zu den frühesten Anregungen, die sich in der berühmten Szene in seinem Urfaust niedergeschlagen. Goethe berichtet 1766 seiner Schwester aus Leipzig, wie er mit seinem Freund Behrisch angenehme Stunden in Auerbachs Keller verbracht habe. „Wir trösten uns mit einander, indem wir in unserm Auerbachs Hofe, […] wie in einer Burg, von allen Menschen abgesondert sitzen, und ohne Misantropische Philosophen zu seyn, über die Leipziger lachen [...]“. Im folgenden Jahr schreibt er an seine Schwester: „[Ich] wollte Auerbachshof wäre nicht leer. Sonst war er ein Zufluchtsort [...]“568 Eine Anregung für Goethe könnten auch die Bilder in Auerbachs Keller gewesen sein. Sie zeigten ihm, wie Faust mit Studenten feierte und wie sich Faust auf einem Fass sitzend verabschiedete.569 Gerade die Unvollständigkeit der dargestellten Handlungen könnte Goethe veranlasst haben, Fragen zu stellen, ob weitere Details über diese Bilder in Erfahrung zu bringen seien. Faust-Geschichten waren damals keine Neuigkeit. Professor Gottsched hatte sich in diesem Zusammenhang beschwert: „Das Märchen von D. Fausten hat lange genug den Pöbel belustiget“.570 Von Lessing wusste jedoch die Leipziger Jugend, dass Gottscheds Kritik am Wert der Faustgeschichte durch Gottsched am besten ins Gegenteil verkehrt werden sollte. Wichtige Details hätte Basses Faustbuch bieten können, denn darin stand, dass in einem Leipziger Keller Faust den Weinherrn mit der Herausforderung provoziert hatte, ein schweres Weinfass aus dem Keller zu schaffen. Faustus setzte sich auf das Fass und flog hinaus und durfte den Wein mit seinen Studenten genießen.571 In einem verwandten Schwank konnte man von Basse erfahren, dass Faustus in einem Wirtshaus mehrere Löcher in eine Tischplatte bohrte und verschiedene Weinsorten herausfließen ließ.
568 Goethes Briefe, hg. von Karl Robert Mandelkow. Hamburg 1962, I, S. 40 u. 56. 569 Vgl. Abbildungen bei Ulrich Gaier: Kommentar zu Goethes Faust. Stuttgart 2002, S, 74–75. 570 Johann Christoph Gottsched: Versuch einer kritischen Dichtkunst. Leipzig 1730, S. 185–186. 571 Zwei der drei Anekdoten, die Goethe verwendet hat, sind schon bei Basse enthalten, während die dritte ursprünglich bei Witekind (Witekind: Christlich Bedencken. Hg. von Frank Baron, S. 21) und nachher in der Ausgabe B des Faustbuchs zu finden sind. Vgl. die Kapitel 50 und 53 der C-Reihe. Füssel und Kreutzer: Faustbuch, S. 152–153 u. 159–161. Diese zwei Geschichten erzählte nachher Georg Rudolff Widmann, Erster Theil der warhafftigen Historien von den grewlichen vnd abschewlichen Sünden vnd Lastern auch von vielen wunderbarlichen vnd seltzsamen ebentheueren: So D. Johannes Faustus ein weitberuffener Schwarzkünstler vnd Ertzäuberer / durch seine Schwarzkunst / biß an seinem erschrecklichen end hat getrieben, Hamburg 1599, S. 281–285 und 297–301. Die Geschichte von dem vergeblichen Griff nach den Weintrauben und der Gefährdung der Nasen wurde in die B-Reihe des Faustbuchs 1587 aufgenommen. Füssel und Kreutzer (Hg.): Historia, S. 146–147 und S. 293.
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Es gibt noch eine dritte, nah verwandte Geschichte, die jedoch bei Basse fehlt. Gemeint ist hier die Geschichte von dem „herrlichen Weinstock voll Trauben“, nach denen die Studenten gierig griffen. Da es sich hier aber um einen Zauber handelte, mussten sie erschrocken feststellen, dass der Weinstock plötzlich verschwunden war, und dass sie drauf und dran waren, nicht die Trauben, sondern die eigenen Nasen abzuschneiden. Alle drei Geschichten fanden den Weg in Goethes Urfaust, in „Auerbachs Keller“. Wie gelang es Goethe, diese alten Geschichten so präzise zu erzählen? Es ist zwar denkbar, dass sie in mündlicher Überlieferung in Leipzig vorhanden waren, aber die Abhängigkeit von einer schriftlichen Quelle ist hier doch anzunehmen. Obwohl damals die Werke von Basse und Witekind in Leipzig wahrscheinlich unbekannt waren, konnte Goethe die Kombination von drei Geschichten in Johann Nicolaus Pfitzers Faustbuch aus dem Jahr 1674 vorfinden. Es liegt nahe, dass Goethe gerade dieses Werk für seinen Urfaust konsultierte.572 Die Versuche, die Abhängigkeit Goethes von früheren Faustbüchern zu beweisen, haben schon eine längere Geschichte. Am überzeugendsten wirkt heute noch die Beweisführung von Otto Pniower. Ausführlich beachtete Pniower gewisse Anregungen von Pfitzer, die für den Urfaust in Frage kamen. Pfitzers Textstellen weisen eindeutige Beziehungen zu „Auerbachs Keller“ auf, also auf die oben schon genannten Zauberstücke. Man kann jedenfalls davon ausgehen, dass Goethe schon für seine früheste Faustdichtung Pfitzer konsultierte.573 Goethes Übernahme der Schwänke direkt aus Pfitzers Faustbuch wird weiterhin plausibel durch die Tatsache, dass einige der frühesten Urfaust-Bestandteile als eine Satire auf das Leipziger Universitätsleben konzipiert sind. So erinnert die Szene, in der Faust mit Wagner diskutiert und dessen Ober-
572 Johann Nicolaus Pfitzer: Das ärgerliche Leben und schreckliche Ende deß viel-berüchtigten Ertz-Schwarzkünstlers Johannis Fausti. Nürnberg 1674. In: Der literarische Verein Stuttgart. Tübingen 1880, S. 285 und 301. Goethe hat später dieses Werk aus der Weimarer Bibliothek entliehen. Man kann sich gut vorstellen, dass er mit demselben Werk schon früher bekannt geworden war Vgl. Elise von Keudell: Goethe als Benutzer der Weimarer Bibliothek. Ein Verzeichnis der von ihm entliehenen Werke. Weimar 1931, S. 44. Vgl. S. 293. 573 Pniower: „[...] es wäre wohl denkbar, dass ebenso wie Goethe jene Einzelheit von Schwerdtleins Liebeserfahrungen in Neapel aus Pf[itzer] zuflog, in der Lektüre des Buches auch die Anregung zur Einfügung der Gretchentragödie stofflich zu suchen ist. Dabei darf nicht unerwähnt bleiben, dass gleichfalls bei ihm und zunächst nur bei ihm, nicht bei Spies und Widmann, während der Christl. Meynende sie von ihm übernahm, also dass sich bei Pfitzer (S. 511) auch jene Erzählung von Faustens Liebe zu einer zimlich schönen doch armen Dirne findet, welche vom Land herein in die Stadt kommen, und sich in Dienste begeben bey einem Kramer. Sie kann sehr wol bei der Conception mitgewürkt haben“. Otto Pniower: Pfitzers Faustbuch als Quelle Goethes. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 57 (1920), S. 248–266, hier S. 259–260.
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flächlichkeit entlarvt, daran, wie Goethe die Vorlesungen von Gottsched erlebt haben dürfte. Das Bild Wagners stellt daher ein gutes Stück weit auch eine Parodie dieses Professors dar. Zugleich ist der Nachhall von Lessings Gottsched-Kritik im 17. Literaturbrief zu spüren.574 Von Pfitzers Faustbuch konnte Goethe außerdem gewusst haben, dass Wagner der Famulus von Faustus geworden war.575 Die Anregungen für die früheste Faustdichtung konnten Goethe auf unterschiedlichen Wegen erreicht haben.576 Das Spies-Faustbuch übte den wichtigsten Einfluss auf dem Wege über Marlowes Drama und später über das Puppenspiel aus. Goethe vermutete, dass der Renaissancemagier Faust unrechtmäßig verdammt worden sei. Gottfried Arnolds Unparteiische Kirchen- und Ketzterhistorie und Agrippas Schrift über die Vergeblichkeit der Wissenschaften haben zur Gestaltung eines neuen Faust-Mythos beigetragen. Die Abhängigkeit des ersten
574 Goethe damals über Gottsched: „Ich sah den großen Mann auf dem Katheder stehn [...] Es ist sein Fürtrag gut, und seine Reden fließen [...] Und kennte man ihn nicht / So wüßte man es gleich weil er prahlend spricht [...] Ganz Leipzig verachtet ihn“. Helgard Reich, Die Entstehung der ersten fünf Szenen des Goetheschen Urfaust. München 1968, S. 51–80. Die Kommentare von Sauder und Schöne stellen fest, dass Mephisto in der Studenten/Schülerszene in Schlafrock und Perücke auftritt, was direkt auf ein Erlebnis Goethes zu Ostern 1766 zurückgeht, wo auch Gottsched so ausgesehen haben soll. Der Junge Goethe, hg. von Gerhard Sauder. In: Goethe. Sämtliche Werke, München 1987, Bd. 1:2, S. 743. Johann Wolfgang Goethe. Faust. Kommentare, hg. von Albrecht Schöne. Frankfurt am Main 1994, S. 847. Der Einfluss von Lessings 17. Literaturbrief könnte in der satirischen Behandlung Gottscheds einen Einfluss ausgeübt haben. 575 77 Der Name Wagner kommt allerdings auch in dem 1725 verfaßten Faustbuch des Christlich Meynenden vor. In diesem Werk haben auch die Namen „Faust“ und „Mephistopheles“ dieselbe Form wie bei Goethe. Alle früheren Faustbücher, auch Pfitzers, hielten noch an „Faustus“ und „Mephostophiles“ fest. Im Christlich Meynenden hätte aber Goethe Texte der AuerbachSchwänke, außer dem Fassritt, nicht entdecken können. Für die Gretchen-Tragödie könnte relevant sein, dass das Faustbuch des Christlich Meynenden von einer armen Magd erzählt, in die sich Faust verliebte, „die ihm aber ausser der Ehe nicht erlauben wolte“. Faustbuch des Christlich Meynenden, hg. von Siegfried Szamatólski. Stuttgart 1891, S. 23. 576 „Schon in Leipzig ‚begann diejenige Richtung, von der ich mein ganzes Lebens über nicht abweichen konnte, nämlich dasjenige, was mich erfreute oder quälte oder sonst beschäftigte, in ein Bild, ein Gedicht zu verwandeln und darüber mit mir selbst abzuschließen, um sowohl meine Begriffe von den äußeren Dingen zu berichtigen, als mich im Innern deshalb zu beruhigen. Die Gabe hierzu war wohl niemand nötiger als mir, den seine Natur immerfort aus einem Extreme in das andere warf. Alles, was daher von mir bekannt geworden, sind nur Bruchstücke einer großen Konfession [...]‘ (Dichtung und Wahrheit, 7. Buch, Bd. 13, S. 307) Darum folgert der Kommentar der Berliner Ausgabe: „In diesem Sinne dürfte zum Beispiel die Satire auf das verkommene Studentum in Auerbachs Keller auf den ältesten Erlebnisbestand zurückgehen“. Johann Wolfgang Goethe: Poetische Werke, Dramatische Dichtungen, Faust. Aufbau-Verlag, Berlin/DDR 1965, S. 749–750.
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Faust-Monologs und der Schülerszene von Agrippas De incertitudine erinnert wiederum an Marlowes Verwendung dieser einflussreichen Schrift.577 Weniger bekannt ist der hier beschriebene Einfluss, der von Nicolaus Basses Raubdruck ausgeht und die flüchtige Glanzzeit des ersten Faustbuchs überflügelt. Durch die Zusatzkapitel dieses Werkes, die eigentlich nicht ideal zum ursprünglichen Inhalt passen, ist es Basse gelungen, die unscheinbaren Schwank-Erzählungen in eine andere Richtung zu lenken. Sie überlebten jedenfalls das wenig interessierte 17. Jahrhundert und gelangten auf Umwegen zu Lessing und Goethe. Aber es war weder die Darstellung eines melancholischen Magiers noch die Warnung vor der Gefährdung durch den Teufel, die den ersten Ansatzpunkt für eine Weiterentwicklung gaben, sondern die Vorstellung eines entdämonisierten Teufels. Beide Autoren erkannten schöpferische Möglichkeiten, aber dachten vielleicht zunächst nur an einzelne Szenen. Die Tatsache, dass das persönliche Erlebnis des Leipziger Kellers und die Lektüre von Pfitzers Faustbuch Goethe zur Gestaltung seiner Szene „Auerbachs Keller“ geführt haben könnten, verdient also Beachtung. Diese Textschicht, war ein wesentlicher Teil der Universitätssatire, die Goethe mit dem Streben seines philosophierenden Helden und der unglücklichen Liebe zu Margarethe verband. Goethe stellt Faust im Urfaust als aktiven Zauberer vor, als jemanden, der, mit dem Teufel als Zuschauer, Wein aus der Tischplatte fließen lässt und die Studenten in einer Weise verzaubert, dass sie nicht-vorhandene Weintrauben erblicken. Das bedeutet, dass eine Szene des Paktschließens dieser Szene vorangegangen sein müsste, denn fur solche Zauberstücke war es notwendig, dass der Teufel Faust in die Zauberei bereits eingeweiht hatte. In der späteren Version der Faustdichtung ersetzt Goethe den Pakt durch eine Wette und tauscht die Rollen. Nunmehr lässt Faust den Teufel als Zauberer wirken, während er selbst nur als unbeeindruckter Zuschauer zugegen ist. Im Urfaust ist für Goethe noch ungelöst, wie der alte Pakt des 16. Jahrhunderts in die eigene Gegenwart umzusetzen sein könnte. Die Umwandlung des Pakts in eine Wette hat er erst nach etwa zwei Jahrzehnten im Faust-Fragment (1790), verwirklicht. In den frühen Begegnungen mit dem Faust-Mythos im 18. Jahrhundert vermisst man den Fokus auf den das Seelenleben gefährdenden Teufelspakt und dessen Folgen. Sowohl Lessing als auch Goethe experimentierten zunächst nicht mit den ernsteren Themen des Faust-Mythos, sondern mit den weniger auffälligen Schwänken. Wie schon Lessing erkannte, war im aufgeklärten 18. Jahrhundert
577 Anton Reichl, „Faust und Agrippa von Nettesheim“, S. 287–301. Obwohl Reichl auf Goethes Texte konzentriert, zeigen seine Erkenntnisse, dass Agrippa Marlowe und Goethe in ähnlicher Weise beeinflusst hatte.
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der alte Teufelspakt in einem literarischen Zusammenhang problematisch. Der Pakt blieb im Hintergrund als das schlechte Gewissen der früheren Zeiten. Jahrzehnte nach dem Urfaust-Experiment ersetzte Goethe den Pakt deshalb durch eine Wette. Dieser Verzicht auf einen Pakt bedeutete, dass jene Gerichte und ihre Förderer, die vor dem Faustus des 16. Jahrhunderts warnten, ihn verfolgten und verurteilten, keine vorbestimmten Rahmen setzen könnten. Die Geschichte Fausts könnte nun auf einem freieren Boden entstehen. Erst durch die Preisgabe des Pakts schuf Goethe einen modernen Faust, „eine Symbolfigur für den Aufbruch des Menschen in die Neuzeit“.578
578 Müller: Faustbuch in den konfessionellen Konflikten des 16. Jahrhunderts, S. 5.
Marlowe, Lessing und Goethe
Der historische Faustus
Luthers PaktErzählungen
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Teufelspaktlegende des hl. Basilius
Der Pakt in den Hexenprozessen
Melanchthons Pakterzählungen
Der 24-jährige Pakt in Witekinds Christlich Bedencken (1585) Der Teufelspakt im Spies-Faustbuch (1587)
Der Pakt im engl. Faustbuch (1588)
Schwänke im Faustbuch der CReihe (1587)
Marlowes Doctor Faustus (1588 oder 1589?) und Engl. Faust-Ballade (Februar 1589)
Pfitzer Faustbuch (1674)
Engliche Komödianten Volksschauspiele und Puppenspiele
Goethes Urfaust (ca. 1773–1775)
Tab. 4: Von Faustus zu Faust
Lessings 17. Literaturbrief (1759)
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Der Prozess gegen Lippold (1573) Warhafftige[n] Abconterfeyung oder gestalt / des angesichts Leupolt Juden / sampt fürbildung der Execution / welche an jhme / seiner wohluerdienten grausamen vnd vnmenschlichen thaten halben (so er an dem vnshuldigen Christlichen Blut begangen) den 28. Jenners / 1573. Zu Berlin / nach innhalt Göttliches vnd Kayserliches Rechten / vollzogen worden ist. [...] Ob du gern wustest frommer Christ Was dis für gemelt vnd bildwerck ist So merck das nackent vnd angesicht Zeigt Leupolt Jüd den Ertzbösswicht. Der wider sein gsatz ghandelt hat Derhalb er vmb ein Vbelthat Eingezogen lang im gefengnis ligt Als sein sach sich zur erlösung schückt Sihe zu / so wird erst offenbar / Das er ein Teufelbeschwerer war. Dem er sich gantz mit seel vnd leib Für eigen gebe / mit Christen weib Er Vnzucht triben / auch war er Ein Gifftkoch / Vnholdt / Zauberer Ein meineydiger Vbeltheter Ein mörder / Dieb vnd Ertzuerreter, Der durch sein Gotts verfluchte kunst Mit teuffels hülff vnd falschheit sonst Auch vmbzubringen dicht vnd tracht Hohleut tödt hat / vnd vmbmgebracht. Etlich Personen den er gram / Wie auch der Teuffel zu jhm kam / Vnd jm reichtumb / geld / ehr vnd gwalt Verheissen hab / auch welcher gstalt Er durch schwarzkunst kunt zwegen bringen Das alle die nur für jn gingen In musten lieben / achten / ehren / Wie er an seinen frommen Herren / So Ehr vnd trewlos ghandelt hat
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Gen bwissner ehr / gnad vnd guthat. Welchs wunderbarer weis an tag Durch Gott ist bracht / deshalb man mag Wol sprechen / das Gott straffen thut All vbelthat / vnd blont das gut. Ein jeden nach dem ers verschuldt. Drumb frommer Christ so hab gedult Ob dir gleich vnglück widerfahrt / Vmb vnschuld / du Gott traw vnd wart Er last dich zschanden werden nicht / Denn er ist warhafft in seim Gericht. Dagegen wird er alle die / Solch schand begehn / gleich dort vnd hi Vngestrafft nicht lassen das ist gwis. Derhalb so sey ein warnung dis Alle die mit solcher schand gan vmb Das sie buß thun vnd werden from / Auff das Gotts zorn sie nicht ereyl / Ob Gott zusiht ein kleine weil / Vnd wart dem sünder mit Demut / Wenn er sich dann nicht bessern thut So strafft er dest mit grösserem zorn. Nun als der Jüd that offenbaren / Was er ghandelet vnd gtriben het / Man mit jm procediren thet / Nach Gott vnd Keyserlichen Recht / Man jn an pein vnd marter schlecht / Da bkent er erst den rechten grund / Drumb man jn auff ein wagen bund. Mit heissen Zangen man jn greifft / Darnach man jn auf ein wagen bund. Zerschlegt jm dglieder mit dem Rath Nach dem man jn gevierteilt hat / Sein ingweid man mit fewer verbrent auff dstraß ist ghenckt / arm / fuss vnd hend Als wird grochen Diebstal / mord Ehebruch / Scharzkunst / verräterey Das auch kein Jüd auff erdreich sey Der einem Christen günt was gut Man in Historien lesen thut.
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Wie hie kurz gmelt sind etlich gschicht Drum traw kein Christ keine Judn nicht. Als man hat drey vnd sibentzig zelt Ward Leiupold Jüd hie vor gemelt z[u] Berlyn im Monat Januar gricht Am tag Caroli solchs geschi[ch]t.
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Die englische Faust-Ballade The Just Judgment of GOD shew’d upon Dr. John Faustus (1589) To the Tune of, Fortune my Foe ALL Christian Men give Ear a while to me, How I am plung’d in Pain, but cannot see: I liv’d a Life, the like did none before, Forsaking Christ, and I am damn’d therefore. At Wertemburgh, a Town in Germany, There was I born and bred of good Degree, Of honest Stock, which afterwards I sham’d, Accurst therefore, for Faustus was I nam’d. In learning high my Uncle brought up me, And made me Doctor of Divinity: And when he dy’d he left me all his Wealth, Which cursed Gold did hinder my Soul’s Health. Then did I shun the Holy Bible Book, Nor on God’s Word would never after look; But studied the accursed Conjuration, Which was the Cause of my utter Damnation. The Devil in Fryers Weeds appeared to me, And straight to my Request he did agree, That I might have all Things at my Desire, I gave my Soul and Body for his Hire.
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Twice did I make my tender Flesh to bleed, Twice with my Blood I wrote the Devil’s Deed, Twice wretchedly I Soul and Body sold, To live in Pleasure, and do what Things I would. Four and twenty Years this bond was made, And then at length my Soul for it was paid; Time ran away, and yet I never thought, How dear my Soul our Saviour Christ had bought. https://doi.org/10.1515/9783110613070-015
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Would I at first been made a Beast by Kind, Then had not I so vainly set my Mind; Or would not when Reason began to bloom, Some darksome Den had been my deadly Tomb. Wo to the Day of my Nativity! Wo to the Time that once did foster me! And wo unto the Hand that sealed the Bill! Wo to myself the Cause of all my Ill! The Time I pass’d away with much Delight, ‘Mongst Princes, Peers, and many a worthy knight, I wrought such Wonders by my Magick Skill, That all the World may talk of Faustus still.
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The Devil carried me up in the Skie, Where I did see how all the World did lie: I went about the World in eight Days Space, And then return’d into my native Place. What Pleasure I did wish to please my Mind, He did perform, as Bond and Seal did bind: The Secrets of the Stars and Planets told, Of Earth and Sea, with Wonders manifold. When four and twenty Years was almost run, I thought on Things that then was past and done; How that the Devil will soon claim his Right, And carry me to everlasting Night. Then all too late I curst my wicked Deed, The Dread thereof does make my Heart to bleed: All Days and Hours I mourned wond’rous sore, Repenting then of all Things done before. I then did wish both Sun and Moon to stay, All Times and Seasons never to decay: Then had my time ne’er come to dated End, Nor Soul and Body down to Hell descend.
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At last when I had but one Hour to come, I turn’d the Glass for my last Hour to run: And call’d in learned Men to comfort me, But Faith was gone, and none could succor me. By Twelve o’Clock my Glass was almost out, My grieved Conscience then began to doubt: I pray’d the Studious to stay in Chamber by, But as they staid they heard a doleful cry. Then presently they came into the Hall, Whereas my Brains were cast against the Wall; Both Arms and Legs in Pieces they did see, My Bowels gone, there was an End of me. You Conjurors and damned Witches all, Example take by my unhappy Fall: Give not your Souls and Bodies unto Hell, See that the smallest Hair you do not sell. But hope in Christ his Kingdom you may gain, Where you shall never fear such mortal Pain; Forsake the Devil and all his crafty Ways, Embrace true Faith that never more decays. Finis
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* Leba M. Goldstein hat mehrere mit keinem Datum versehenen Exemplare der Ballade untersucht, aber alle wahrscheinlich entstanden nach dem 1. März 1674, nach der Erteilung eines Druckrechts. Sie erklärt leider nicht, warum sie den späten Text mit „Wittenberberg, a Town in Jermany“ als Musterbeispiel voranstellt und die Variante „Wertemburgh a Town in Germany“ gar nicht erwähnt. Leba M. Goldstein: An Account of the Faust Ballad. In: The Library. The Transactions of the Bibliographical Society, 5th series, 16 (1961), S. 176–189.
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Literaturverzeichnis
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Personenregister
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Personenregister Ackermann, Aaron 114–115 Adam, Wolfgang 270 Agricola, Rudolf 26 Agrippa, Heinrich Cornelius 4, 33, 63, 81–82, 122, 148, 150, 157, 167, 172, 177, 210–211, 217, 239–240, 263–264, 277 Alber, Edward 252 Albertus Magnus 219 Albrecht von Preußen 107 Albrecht, Wolfgang 268 Alciatus, Andreas 147, 206 Alexander der Große 153, 170, 174–176, 200, 217, 237–239 Allen, Marguerite DeHuszar 7, 166, 235–236 Andrelinus, Publius Faustus 27 Anhalt, Christian von 158, 219 Aristoteles 24, 30–31, 170 Arnold, Klaus 2, 22, 28–29, 56, 209 Assmann, Dietrich 237 Auernheimer, Richard 8, 22, 29, 108, 113, 158 Augustin, hl. 6, 9, 28, 85, 112, 143–144, 208, 239 Aurifaber, Johann von 6, 68–69, 101, 110, 161, 164, 168, 172, 178, 182, 188, 189, 208, 217, 222, 237, 239 Back, Friedrich 100 Bamberg, Bischof von 15, 18, 36, 39, 41, 43, 52, 55 Bamberger, Gudrun 246 Barack, Karl 44 Barlow, Edward 251 Barner, Wilfried 2, 273 Basilius, hl. 6, 7, 135, 165, 205, 207, 221, 223, 239, 279 Basse, Nicolaus 10, 112, 151, 241–247, 269, 270, 274–275, 277 Bauer, Martin 162 Bech, Philipp 78 Beethoven, Ludwig van 238 Begardi, Philipp 33, 43, 57, 59, 62–63, 71, 186 Behr, Peter 132 Behringer, Wolfgang 109, 123 Benzing, Josef 242 Berbig, Georg 104, 107 https://doi.org/10.1515/9783110613070-017
Bergsten, Gunilla 238 Bernstein, Eckhard 36 Beutler, Ernst 17 Bezold, Friedrich von 230 Bienert, Walter 96 Binsfeld, Peter 71–72, 123, 127, 130, 133, 135 Binz, Carl 143–144, 147 Birck, Thomas 205 Bockstael, Eric 252 Bonnet, Jules 107 Bornemisza, Péter 79 Bradstriet, Jehan 265 Braunschweig, Herzog von 103–109 Breitenbach, Georg August von 268 Bretschneider, Karl Gottlieb 71, 73 Bromhorst, Hermann von 60 Bronckhorst, Grisbert von 61 Brouwer, Christoph 132–133 Browne, Robert 265 Brückner, Wolfgang 6, 8, 112, 147, 169, 172, 179 Bruni, Leonardo 30–31 Buchwald, Georg 92–93, 98, 103 Bullen, A. H. 252 Bultmann, Christoph 272 Burckhardt, Jacob 26–27, 49, 75–78 Burger, Heinz Otto 210 Burke, Kenneth Duva 2 Burr, George Lincoln 122–126, 130–131, 133, 145 Butler, E. M. 1 Bütner, Wolfgang 6, 110, 172–173, 176–177, 239 Callimachus (Philipp da S. Gemignato) 26 Calvin, 9, 107, 151, 158, 217, 230, 232 Camerarius, Joachim 15, 39, 40–44, 46, 56, 72, 86 Carpzov, Benedict 109 Casimir, Johann 143, 151, 218–220, 229–230 Cellini, Benvenuto 27, 169 Celtis, Conrad 23, 25–26 Cicero 122 Clark, Stuart 7, 235, 237 Clemen, Otto 93, 98, 104, 106, 161 Cognatus, Gilbert 78
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Personenregister
Cohn, Albert 266 Cohn, Norman 7, 135 Collier, John Payne 252, 265 Craftheim, Crato von 59 Cranach, Lucas d. Ä 95 Cranach, Lukas d. 95–96 Crowe, Martha J. 109 Cyprian 135 Daniel 77 Deats, Sara Munson 254 Dekker, Thomas 266 Delrio, Martin 167 Detken, Anke 2 Deufert, Wilfred 180 Dietrich, Veit 70 Dietz, Alexander 242, 244 Dillinger, Johannes 123, 128–129 Dohna, Fabian von 218–219, 230–231 Don Juan 220 Dorsten, Johann 60–61, 76 Dreyer, Hans 269 Droyson, Gustav 158 Dryden, John 268 Duhr, Bernhard 123, 133 Düntzer, Heinrich 15, 51 Düweill, Kurt 122 Eckhart, J. G. 29 Eerden, P. C. van der 6, 130, 133, 135 Ellenbog, Nikolaus 20–21, 105–106 Ellentz, Lucas 126, 129, 131–134 Ellrich, Hartmut 96 Empson, William 264–265 Engel, Karl 77, 99, 265–266 Entner, Heinz 36 Erasmus 39, 42–43, 78, 122 Eschenhagen, Edith 92, 95 Eschenröder, Walter 245 Ette, Ottmar 73 Euren, Margarethe von 125, 127, 131, 133 Eversberg, Gerd 266 Faber, Caspar 112 Faber, Johannes 77 Fabian, Bernhard 241 Fairfax, Paul 255 Faustus Andrelinus 27 Fehrenbach, Robert J. vi, 251 Feyerabend, Sigmund 112, 242, 244–245
Fick, Monika 270, 272 Fischer, Roman 244 Flade, Dietrich 5–6, 110, 121,–134, 136–139, 145, 157, 211, 223 Flasdieck, Hermann M. 251 Fleay, Frederick Gard 261, 265 Fleischer, Manfred P. 170 Foerstemann, C. E. 69, 80 Fontenrose, Joseph 2, 4 Fraikin, Jean 139 Franck, Sebastian 63 Franz I, Bischof von Münster 45–46 Franz, Gunther 6, 128, 133, 139 Freud, Sigmund 237–238 Friderich, Matthäus 112 Friedrich III, Kaiser 217 Fries, Paul 243 Frischlin, Nikodemus 228 Frübottin, Prista 97 Frübrot, Benedikt 97 Fugger 63 Fürstenberg, Florian Paulus von 112 Füssel, Stephan 8, 26, 62, 78, 85, 108, 112–113, 136, 140, 152, 156, 168, 186, 194–195, 199, 203, 208, 215, 217–218, 222, 225–228, 236–237, 242, 246, 269, 274 Gaier, Ulrich 274 Gast, Johannes 67, 70, 72, 75–79, 82–83, 186, 188, 192 Geiger, Ludwig 240 Gessner, Conrad 59, 62–63 Gilly, Carlos 232 Ginzburg, Carlo 208, 235 Giovius, Paulus 81 Glockner, Valerius 78–79 Goedeke, Karl 96 Goethe, Johann Wolfgang von v, 1–4, 15–16, 19, 32, 51, 53, 56, 67, 81, 169, 173, 209, 237, 240, 247, 251, 263, 273, 276–277, 279 Goldstein, Leba M. 253, 291 Goltwurm, Caspar 6, 110, 170–172, 175, 239 Görres, Josef 15, 51 Gottsched, Johann Christoph 269, 270, 273–274, 276 Grafton, Anthony 33
Personenregister Greenblatt, Stephen 31, 272 Greiling, Werner 92 Grenzmann, Ludger 210 Grimm, Gunter E. 271 Grimm, Hermann 27 Grünbaum, Michael 182 Guthke, Karl S. vi, 268–269 Hagen, Rolf 24, 266 Hahn, Simon Friedrich 45 Haile, H. G. 85, 215, 225–226 Halsig, Friedrich 100 Hammer, Wilhelm 80 Hardeck, Baron von 217, 224–225, 229 Harmening, Dieter 31–32 Harper, J. W. 252 Hartfelder, Karl 81 Hassfurt, Johann Virdung von, 23–25, 28, 32–33, 37 Haug, Walter 166, 209–210, 223 Häuser, Helmut 219, 230 Haustein, Jörg 102 Headley, John M. 7, 135 Heckscher, William Sebastian 138 Hegeler, Hartmut 102 Heinrich I. Herzog von Braunschweig 61, 103–109, 143, 226–227 Heinrich III. von Nassau 40 Heinz, Andreas 36, 106, 133, 210 Helena 136, 169, 173–174, 176–177, 221, 225, 239, 262, 267 Henkel, Arthur 268, 270–271 Henning, Hans 1, 15, 25, 45–46, 52–54, 61, 68, 82, 138, 241–242, 247 Herman, Paul 44 Hermann, Rudolf 91 Heumann, Christoph August 15 Hillerbrand, Hans J. 7, 135 Hirte, Markus 102 Holtzschuher, Carolus 69 Holzschuher, Hieronymus 38 Homer 170, 242, 247 Homm, Wendel 242–245 Hondorff, Andreas 6, 110, 17 Hooft, B. H. van ’t 61–62, 266 Hoppenrod, Andeas 112 Hornung, Wilhelm 232 Horsely, Richard A. 100
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Hsia, Ronnie Po-Chia 143 Humboldt, Alexander von 73 Hutten, Moritz von 39–41 Hutten, Philipp von 15, 39–41, 43, 44, 46, 56 Irsigler, Franz 6, 122, 128, 133, 139 Jackson, MacD. P. 253, 259–261 Jacobi, Thorsten 48–49, 175 Jacobs, E. 226, 232, 241 Jakob III. von Trier 121 Janssen, Johannes 93, 183, 206 Jenny, Beat Rudolf 76, 193 Jerouschek, Günther 109 Joachim II. von Brandenburg 114–117 Johann VII. von Schönenberg 121, 123, 125–126, 128, 133, 151 Jonas, Justus 101 Jones, John Henry 251–261, 265 Jones, Peter Murray 251 Jones, Richard (Drucker) 252, 261 Jones, Richard (Musiker) 265 Jülich-Cleve, Wilhelm von 143 Jungen, C. zum 34 Junghans, Helmar 48, 49 Kain 194, 222 Kallendorf, Craig 26 Karl V. Kaiser 40, 69, 153, 175–178, 200–201, 217 Karoch, Samuel 36 Kastan, David Scott 254 Kayser, Wolfgang 212 Kaysersberg, Geiler von 148 Keefer, Michael 74, 213, 239, 251, 258, 264 Kellner, Heinrich 244 Kentenrich, Gottfried 123 Kiesel, Helmut 268, 273 Kieswetter, Carl 25 King, Christina Knellwolf 269 Kirchner, Timotheus 230 Kling, Conrad 246 Klinger, Erich 91 Kocher, Paul H. 251, 263 Köhler, Hans-Joachim 23, 33 Kohnle, Armin 92 Könneker, Barbara 209–210 Korber, Laurencius 20 Kößling, Rainer 40 Kounine, Laura 7, 135
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Personenregister
Kress, Georg 114 Kristeller, Paul Oskar 114 Krogmann, Willy 29 Kroker, Ernst 164–165 Krstović, Jelena O. 266 Kühlmann, Wilhelm 26 Kümper, Hiram 123 Laan, J. M. van der 223, 268 Laetus, Julius Pomponius 26–27 Lamprecht, Meister 129 Landes, James 127, 177, 216–217, 220 Láng, Benedek vi, 23 Langested, Franz 162 Laufner, Richard 122, 131–132 Lautenbach, Conrad 151 Lauterbach, Anton 68, 163, 188 Lazzari, Marie 266 Lehmann, Kai 92, 145 Leib, Kilian 16–17, 37, 54–55 Lelligh, Suntgen von 134 Lessing, Gotthold Ephraim 10, 60, 241, 247, 251, 267–274, 277 Leto, Giulio Pomponio 26 Leyen, Bartolomäus von der 131 Liechtenberg, Ludwig von 193 Limpurg, Georg Schenk von 36 Linden, Johann 122 Lippold ben Chluchim 114–118, 155, 283 Lipsius, David 164, 233 Livius 122 Loch, Hans 125 Loos, Cornelius 6, 8, 130, 133, 135, 167 Luder, Peter 36, 48, 49 Lüders, Ludolphus 226–227, 232 Ludwig VI. von der Pfalz 151 Ludwig, Walter 40 Lukács, Georg 209, 210 Lukian 122 Luther, Martin 3–4, 6–7, 10, 23, 48, 63, 67–107, 110, 114, 134, 164–165, 168, 170–173, 177–178, 188–191, 194–195, 197, 199, 205, 208, 214, 219–223, 229, 231, 236–237, 239 Machiavelli 122 Mahal, Günther 32–33, 35, 45, 52–58, 61, 233 Mahlman-Becker, Barbara 157
Maior, Georg 164–165 Mandelkow, Karl Robert 274 Manlius, Johannes 3–4, 6, 51, 53, 57, 60–61, 63, 67, 72–74, 77, 79–87, 110, 158–159, 172–173, 179, 181–182, 186, 188, 191, 193, 199, 212, 239 Mann, Thomas 237–238 Marbach, Philipp 230 Marlowe, Christopher 1, 3, 10–11, 74, 168, 205, 212, 213, 239–240, 251–269, 276–277, 279, 290 Martin, Dieter 6, 18, 253 Masiero, Federica 22 Mauser, Wolfram 270 Maximilian I. Kaiser 153, 166, 170–174, 176, 177, 199–201, 217–218, 239 Mayer, Mathias 6 Mechler, Aegidius 101, 134, 161–163 Medler, Nicolaus 68 Melanchthon, Philipp 3, 7, 9, 40, 48, 51, 53, 63, 67–87, 93, 98, 106, 122, 145, 148, 154, 158–173, 181–182, 185, 190–193, 197, 200–201, 205, 215, 217, 219, 220, 229, 239, 279 Melnikoff, Kirk 252 Mendelssohn, Moses 272 Menges, Franz 115 Merk, Eberhard 227 Meyer, Wilhelm 58, 85–86, 180, 186, 194, 203, 266 Meyers, Maria 125 Milchsack, Gustav 71, 78, 85, 144, 163, 165, 191, 203, 226 Milich, Ludwig 155–156, 183 Moeller, Bernd 48, 123 Moeller, Katrin 48, 123 Mölhein, J. Von 244 Molnár, Albert 79, 266 More, Robert Pattison 60, 267 Mühlpfordt, Günter 97 Müller, Jan-Dirk vi, 1, 9, 15, 32–33, 37, 58, 62, 78, 81, 136, 140, 150–152, 156–157, 168–169, 186, 195, 203–204, 208, 210, 215, 218, 222, 225, 228, 237, 246, 269–270, 273, 278 Multhammer, Michael 272 Mundhenk, Christine 164
Personenregister Münkler, Marina 7, 63, 133, 157, 166, 181, 204, 207, 210–213, 226, 236, 247 Musculus, Andreas 112 Musculus, Wolfgang 75–76 Musiel, Claudius 122, 125, 127 Mutianus Rufus, Konrad, 15–16, 18, 21, 35–36, 38, 43, 49, 55–56, 61, 86 Myconius, Friedrich 101, 188 Napoleon 238 Nash, Thomas 263 Neal, Lisa 3 Neller, Georg Christoph 127 Neudecker, Christian Gotthold 33 Neumann, Erwin 270 Neumann, Johann Georg 15, 51 Nisbet, Hugh Barr 268 Nivre, Elisabeth Wäghäll 6, 18 Nordeck, Friedrich 123 Numa Pompilius 29 Obelkevich, James 107 Obenhin, Christoph 112 Opitz, Silke 123, 271 Opitz-Belakhal, Claudia 123 Oporin, Johannes 80, 147 Opsopaus, John 57 Origines 31 Ortelius, Abraham 255 Osiander, Andreas 63 Ostling, Michael 7, 135 Ott, Michael R. 228–229, 259 Ovid 122 Pallmann, Heinrich 242, 245 Palmer, Philip Mason 60, 267 Papalas, Anthony J. 7, 135 Pappus, Johannes 230, 232 Paracelsus, Theophrastus 4, 33, 59, 62–63, 213 Pauli, Benedict 92 Paulus, Nikolaus 92, 109, 246 Petrus, hl. 71–72 Petsch, Robert 9, 10, 144, 173, 271 Pfister, Oskar 107 Pfitzer, Johann Nicolaus 211, 275, 279 Philipp, Tobias 272 Pico della Mirandola 22 Pico, J. F. 169, 239 Pirckheimer, Willibald 39, 70
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Platon 30, 170 Plautus 122, 247 Pniower, Otto 275 Porta, Conrad 112 Pott, Clearence K. 266 Prasser, Daniel 45–46 Prasser, Wolf Daniel 45 Preller, Ludwig 33 Press, Volker 230 Prutz, R. E. 108 Publicius, Jacob 36 Rab, Christoff 109 Radbruch, Gustav 134 Radbruch, Ludwig 135 Radermacher, Ludwig 7 Ragor, Johann Huldreich 77, 80, 83–84, 158 Rebhun, Paul 96 Reich, Helgard 276 Reichl, Anton 263, 277 Rendall, Steven 3 Reuchlin, Johannes 35–36 Reuther, Ambrosius 97 Rhodus, Johann 112 Rieckmann, Johannes 164 Riedl, Peter Philipp 246 Riemer, Friedrich Wilhelm 1 Riezler, Sigmund von 16–17 Rinaldi, Odorico 32 Ritoókné Szalai Ágnes 36 Ritter, Gerhard 81 Ritter, Joachim Friedrich 135 Rivander, Zacharias 6, 112 Robisheaux, Thomas 7, 135 Rohde, Carsten 6, 266, 272 Rörer, Georg 90, 93, 96 Rosshirt, Christoff 58, 85–87, 179 Roth, Stephan 92–93, 98, 103 Rueff, Georg 227, 228 Sabellicus, Marcus Antonius Coccius 15, 17–19, 24, 25–28, 31–33, 35, 47, 50, 238 Sachs, Hans 152 173, 239 Sälter, Gerhard 140–141 Saße, Günther 270 Sauder, Gerhard 270, 276 Sautermeister, Gert 238 Saxfield, Thomas 265 Schäfer, Eckart 40
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Personenregister
Schäfer. Volker 233 Schedel, Hartmann 157, 197, 215, 231 Scheible, Heinz 106 Scheible, Johann 51 Scherer, Wilhelm 69 Schieferdecker, Wolfgang 97 Schiele, Caspar 97 Schild, Wolfgang 109 Schildo, Eustachius 112 Schirmer, Uwe 92, 97 Schmidt, Burghart 123 Schmidt, Erich 214 Schmidt, Hans-Georg 218 Schmidt, Jürgen Michael 109, 143–144, 148 Schmitt, Gisela 40–42 Schneider, Katja 96 Schönberg, Arnold 238 Schottenloher, Karl v, 16–19, 21, 25, 35, 37, 38, 106, 109 Schreiber, Niclas 123, 137–138 Schröder, Georg 266 Schroeder, Nathaniel 267 Schwetschke, Gustav 27 Sears, Elizabeth 138 See, Klaus von 210 Sehling, Emil 91 Selig, Karl-Ludwig 138 Shakespeare, William 265–266, 268–269 Sickingen, Franz von 24, 33, 34, 37, 39, 43, 50 Sigfrid, Thomas 140–141 Simon Magus 45, 60, 71–72, 74, 83, 215, 239, 267 Simon, Matthias 80 Solte-Gresser, Christine 238 Sommer, Benedikt 7, 38, 101, 124, 144, 149, 175, 251, 261 Spalatin, Georg 48–49, 100, 104, 107 Spangel, Pallas 20–21 Spee, Friedrich 6, 8, 135, 145–146, 184–185, 187 Spies, Johann v, 1, 9–11, 79, 87, 109, 140, 151, 156–157, 182, 194, 201, 203–247, 254, 264, 267, 270, 275–276, 279 Spitz, Lewis W. 170 Sporhan-Krempel Lore, 69 Staccus, Hermann 112
Stackmann, Karl 48, 210 Standke, Jan 270 Steinmetz, Max 23 Stibar, Daniel 39, 40–44, 56–57, 72 Stolberg, Graf Wolf Ernst zu 226 Strauss, Johannes 112 Strehle, Jutta 96 Struve, Burckard Gotthelf 230 Stupperich, Robert 93 Sudhoff, Karl 59, 63 Suleimann II. 216 Suter, Peter 17, 20–21, 36, 86 Sylvester, Papst 147 Szamatólski, Siegfried 270, 276 Tedeschi, John u. Anne 235 Tepl, Johann von 29 Tessalus 59 Teutonicus, Johannes 147 Theens, Karl 15, 51–52 Theophilus 6, 7, 135 Thiel, Matthias 38 Tille, Alexander 71, 267 Toynbee, Arnold 2 Trithemius, Jacob 208 Trithemius, Johannes 4, 15–47, 48, 50–51, 55, 56, 61, 70, 72, 77, 86, 148, 150, 152–153, 157–158, 167–174, 177–178, 199–200, 208–211, 217, 238–239 Trumpold, Ulrich 244 Trunz, Erich 169, 240 Udolph, Jürgen 48–49 Ulbricht, Otto 145–146 Urban, Heinrich 35 Vail, Curtis C. D. 268 Valk, Thorsten 6, 266 Vaulx, Jean del 139 Venzlaff, Günther 261, 265 Virdung von Hassfurt, Johann 23–25, 28, 32–33, 37 Voigt, Georg 26, 31 Vollhardt, Friedrich 272 Voltmer, Rita vi, 7, 122–124, 126, 134, 139–141 Vorderstemann, Karin 266 Waldeck, Grafen von 45–46 Wartenbert, Günther 40 Weber, Gottfried 210
Personenregister Weeks, Andrew 223 Weisenstein, Karl 122 Weißkirchen, Matthias von 124 Wentersdorf, Karl P. 27–28, 32 Wesche, Jörg 2 Westphalus, Joachim 112 Wetter, Oliver 105 Weyer, Johannes (Weier, Wierus) 6, 59–63, 76, 81–82, 110, 143–150, 152, 187, 199, 239 Wiebel, Eva 140–141 Wilde, Manfred 97, 109 Wilde, Simon 98, 102–104 Wilhelm IV. von Hessen 123 Wilhelm von Jülich-Cleve 143 Williams, Gerhild Scholz 157 Williams, Sarah F. 253 Wilton, Jacke 263 Witekind, Hermann (Augustin Lercheimer) v, 3, 5–10, 72, 87, 112, 143–160, 163–168, 173–174, 176–188, 191–193, 197–212, 216–217, 219–220, 222, 228–233, 243, 274–275, 279
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Wolf, Gerhard 44–45, 81, 172, 180, 193, 226 Zambelli Paola, 23, 239 Zandt von Merl, Johann 123–125, 129, 131–132 Zarncke, Friedrich 254 Zelter, Carl Friedrich 4, 67, 173 Zenz, Emil 124–126, 128–133 Zeuske, Michael 2, 3 Ziesigk, Clemen 97 Zigler, Jakob 17 Zimansky, Curt A. 251 Zimmern, Graf Froben Christoph von 76, 193 Ziolkowski, Theodore 209 Zoepfl, Friedrich 21 Zoroaster 29
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Personenregister