Der Menschheit Meister: Von Jesu Wesen und Wandel und Wirken, seiner Lehre und seinem Leiden ein Lied [Reprint 2019 ed.] 9783111549187, 9783111180052


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German Pages 160 Year 1923

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Table of contents :
Unseres Gottes Evangelium
Erster Gesang. Anbruch
Zweiter Gesang Botschaft und Beistand
Dritter Gesang. Streit
Vierter Gesang. Zeitgenossen
Fünfter Gesang. Alte und neue Gerechtigkeit
Sechster Gesang. Hirt und Herde
Siebenter Gesang. Durch Opfer — Vollender
Achter Gesang. Des Tempels und des Gesetzes Hüter
Neunter Gesang. Echtes in Zeit und Ewigkeit
Zehnter Gesang. Letzte Klebe
Elfter Gesang. Vor den Gewaltigen dieser Welt
Zwölfter Gesang. Tod und Leben
Inhalt
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Der Menschheit Meister: Von Jesu Wesen und Wandel und Wirken, seiner Lehre und seinem Leiden ein Lied [Reprint 2019 ed.]
 9783111549187, 9783111180052

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Die Dichtung und Arbeit mit innigem Anteil und feinstem Verstehen verfolgt und gefördert —

meiner wackern Frau widm' ich das Werk!

Das Umschlagbild nach dem Gemälde des russischen Malers Kramskoi: „Christus in der Wüste"

Der JVknfcbbeit JVIeifter Von Jesu Mesen und Mandel und Mir Ken, Seiner £ebre und seinem Leiden ein Lied von

Reinhold Reineke

Alfred Cöpelrnann, Verlagsbuchhandlung

Giessen 1923

Copyright 1923 by Alfred Töpelmann, Giessen. ----------------- Alle Rechte vorbehalten.------------------

Unsere* G»ttes Gvan-eltnm

Mer seine der wird sie Und wer sie Der wird sie

Seele sucht zu bewahren, verlieren l verliert um Gottes willen, gewinnen I Matth. 10, 40

Gs hat dem Höchsten beliebt, nicht Lehre der Welt zu gewähren in kahlen Worten, die dem Lernenden leihe das rechte Leben: Die Gedanken fein in Begriffe gefaßt, zu kunstvollem FachwerlHkundig gefügt, ein stolz vom Boden ersteigender Bau, da auch mäkelnde Mißgunst grämlichster Grübler keine Stelle erstöbert, die, falsch verfugt, des Gedankendomes Sturz bedeutete — nicht also geruhte der Ew'ge zu reichen des lautersten Lebens göttliche Gabe — nein, anders, als Menschengemüt es geahnt, beschloß er, die Fülle der schlichtestenMahrheit, darin ein Gewissen mag walten und wandeln und Trost und Frieden und Freude trinken, einem Ungelehrten ins Herz zu legen, daß sie Leben erlange an seinem Leibe und leuchte aus Worten und Werken und Wandel wie Himmel heiter, wie blendender Blitz und wirke gewaltige Wunderwerke Auge in Auge und Hand in Hand mit dem rätselhaften beredtesten Zauber, den ein echter Mann unter Menschen übt. So ist uns Jesus zu jenem geworden, den wir als Meister, als Mund der Wahrheit, als Verkörperer alles Köstlichsten, als Wunderwirker der frohsten Gewißheit in zermürbten, zermarterten Gemütern,

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6 als Abglanz des Ewigen innig verehren. Ja, wir bezeugen euch sonder Zaudern, 30 wie der letzte Evangelist es lehrt: „Das Wort der Wahrheit flutet ins Fleisch. „ Wir schauen seine schimmernde Schöne „und schöpfen alle aus seinem Schatze „ Gnade um Gnade und Kraft um Kraft! " Doch ach, wir haben den edeln Hort in fremden Gefäßen aus weiter Ferne der Jahre und Länder. Und wem gelingt es, aus bunter Verquickung der mancherlei Quellen, dem Gemenge von Würd'gem und Minderwertem, 40 dem Schleiergewande entschlafner Geschlechter des Meisters Gestalt herauszustellen, das Bild des Geliebten lebendig zu bannen, daß es leibhaft falle in leuchtende Augen und erschüttre den Schauer und heile sein Herz?! Nur wenige sind's, mit Wissen gewappnet, bewährte Erforscher verwichener Völker — die wahrhaft vermöchten, das Wesen des Meisters nach dem Bilde, das Juden und Griechen uns bieten, geübten, wahrheitsahnenden Auges 50 im Schoß ihrer Seele selbst zu erschaffen. Doch hat es noch immer die Eingeweihten gedrängt, das Hehre, das ihnen enthüllt ward, in faßlicher Form als fertige Gabe den vielen in Schoß zu schenken, die Forschens zwar selbst nicht fähig, mit suchender Seele doch lechzend verlangen nach höchstem Heil. O dürst' ich, ihr Dürstenden, keusch euch dienen: Was, forschend gefunden, den Glauben beglückte — Jesu von Nazaret jüdische Not 60 mit dem Volke nicht minder wie vor den Feinden, ja am Ende sogar bei den eigenen Jüngern — in Weise und Reim verwichner Geschlechter dem deutschen Gemüte und Munde gemäß durch Kunst erheben zu höchster Gewalt, und geriete mir's recht — wie dankte ich dir, o Herr, der meines Herzens Verhängnis, mein Sporn, mein Speer, mein Schild, mein Schmuck, in Erdenerbärmlichkeü und --bosheit für Wunden und Weh ein Balsam ward! 70

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Erster

Gesang

Anbruch Das dritte Jahrzehnt nach der Zeitenwende neigte zum Ende. Noch ahnte niemand, welch heiligen Hort allerhehrster Huld es scheidend der Welt bescheren sollte. Gs schaltete damals über Judäa Pilatus, des Kaisers Tiberius Landvogt, und der Hohe Rat der Herren und Priester mitsamt den beigeseßnen Rabbinern übte das Amt der inneren Dinge; wogegen im Lande von Galiläa und jenseits des Jordans der Viertelfürst Herodes Antipas, einer der Erben des großen Herodes, Herr des Reichs war und der jüngste, Philippus, des Jordans Quelland, und die Mark im Osten zu eigen hatte. Das Land Samarien allein in der Mitte war ausgesondert und ward von Syrien, der nahen Provinz, als Teil verwaltet. Da lief ein Gerücht durch Jerusalem und ging von dannen durch ganz Judäa: In der Jordanaue, am Ufer des Stroms, der im tiefen Bette umbuscht dahinwallt durch die öde Steppe, sei aufgestanden wie einst in der Vorzeit ein echter Prophet im härenen Gewände, wie sich's gehört, seine kärgliche Kost — was die Wüste gewährt: Honig aus wilder Wabe und Heuschreck. Was keiner gesehen, seitdem das Gesetz im Buche den Willen des Himmels gebannt hielt, das war hier erneut in Nachbarnähe, und weihte das Haupt eines Weibgeborenen und sprach zu den Menschen durch Mannesmund! Denn jetzt, wo die Juden als Knechte knirschten im Joche Roms und der Söhne Herodis, die vom Satan die Herrschaft hatten erhalten; wo sie seufzend harrten des Tages des Herrn: da vom Himmel kommt der verheißene König,

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8 den Teufel zu tilgen vom Antlitz der Erde, Gericht zu Hallen über die Heiden und das Reich zu errichten der Heil'gen des Höchsten; wo sie zitternd spähten nach Spur und Zeichen, die der Weltumwandlung warnend voraufgehn mit Geistausgießung und Wundergewalten, da die Niegestorbenen wieder erstehen, Elia und Mose, die Menschen zu mahnen: Da fiel das gewaltige Wort des Propheten wie Feuer in Zunder und fächle züngelnd zur Lohe an der Erlösung Hoffnung. Denn also kündete der Erkorene, Johannes, der Sohn Sacharjas hieß er: „Nach mir kommt einer, mächt'ger denn ichl Ich bin zu gering, ihm die Schuhe zu reichen. Und schon in der Hand hält er die Schaufel, seine Tenne zu sichten und einzusammeln das Korn in die Kammer, das Kaff dagegen in die unauslöschliche Lohe zu werfen! — Ich bade zur Buße die Will'gen in Wasser, doch er wird alle mit Feuer fegen!" Und wer, überwältigt vom Wort seiner Warnung, dem Gericht zu entrinnen, in brünstiger Reue sich Gotte zu geben und weihen gewillt war, den führte zur Furt der Prophet am Strome und tauchte ihn nieder ins netzende Naß, daß die Welle hinweg seine Sünde wasche und er harre des Herrn ein geheiligter Mann. Da wallte hinab zur Iordanniederung aus Jerusalem und dem Lande rings die endlose Menge der Ernsten und Müß'gen, zu hören und sehn den Gesalbten des Herrn, zu Gott zu kehren, die Schuld zu bekennen und sich tauchen zu lassen zur Tilgung der Sünden in die Flut des Flusses, dem Zorn zu entfliehen, der allem Fleische mit Fluche drohte.

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Doch ließ sich der Täufer so billig nicht täuschen, er herrschte sie an mit ätzendem Hohne: „Ihr Natterngezücht, wer zeigt denn euch, dem nahen Zorngericht euch zu cntziehn? — So laßt eure Buße Frucht denn bieten, echte und wiegt euch nicht in dem Wahne: 150 „Wir haben Abraham zum Ahnherrn! Wir können getrost vor den Richter treten!" Denn ich sage euch: Gott kann sich Söhne aus diesen Steinen erstehen lassen! Schon lehnt das Beil an der Bäume Wurzel.

9 Jeder Baum, der gute Frucht nicht beut, der wird gefällt und ins Feuer geworfen I" Da fragten sie ihn um die echte Frucht: „Was gilt's zu beginnen, um Gott zu gefallen?" Er entgegnete ihnen und gab zur Antwort: 160 „Sind dein zwei Röcke, so reiche dem, der keinen hat. Und karge nicht, so du hast zu essen, und gib davon ab!" Es kamen auch Zöllner zur Taufe gezogen von den Angestellten und Afterpächtern der römischen Ritter, die rings im Reiche mit dem baren Geld ihrer Banken die Zölle und Steuern pachteten und es verstanden, das gezahlte Geld mit gutem Zins aus Land und Leuten zurückzuerlangcn. 170 Und diesem Vorbild folgten die Diener. — Die begehrten zu wissen: „Was tun aber wir?" Er mahnte sie: „Fordert nicht mehr als Fug ist!" Auch Söldner Herodis suchten ihn auf. Da gab er die Weisung: „Tut keinem Gewalt und laßt euch an eurer Löhnung genügen I" So weckte der Mann der Menschen Gewissen und rührte sie auf mit dem Ruf des Gerichts. Antipas aber, der Viertelsürst, gewahrte mit Sorge, wie sehr der Warner 180 die Köpfe erhitzte mit solcher Verkünd'gung des Rachegerichts und der Weltumwandlung: denn er fürchtete, wo nur dem Volke ein Führer erstehe, so brause ein Sturm durchs Land und stürze im Wirbel auch ihn vom Stuhl. Ja, war auch Johannes fürwahr kein Hetzer, sein Wort konnte wecken die wüste Gewalt. So schickt er die Schergen, verhaftet Johannes und führt ihn gefangen zur Feste Machärus: „Ist der Redner stumm, so stirbt die Erregung I" 190 Doch er rechnete nicht mit Gottes Ratschluß. Seines Anschlags Absicht wurde vereitelt. Der Walter der Welt fand Weg und Rat und hatte schon längst den Helden erlesen, der vollenden sollte, was jener geahnt! — Cs saßen am See im Land Galiläa der Fischer vier, ihres Handwerks feiernd, im Schatten des Nachens zwischen den Netzen — Andreas und Simon, Jonas' Söhne, Johannes, Jakobus, Zebedäus' Kinder, 200 zwei Brüderpaar' aus Kapernaum. Da brach Andreas das drückende Schweigen. „Was sinnst du, Simon? Bruder, was brütest du?"

10 Es erhob das Haupt und versetzte Simon: „O der müßigen Frage! Frißt nicht am Marke der Schimpf uns allen und Israels Schande? Schlaflos lieg' ich auf nächtlichem Lager und wache bekümmert im Dunkel der Kammer, mich lassen die düstern Gedanken nicht los an das Volk von Juda, das mich jammert, an des Höchsten Herde, um die ich mich härme! Die Heiligen Gottes hingegeben dem fiebenhäuptigen Höllenuntier, das Macht und Gewähr vom Satan erworben; die Heiden aus Rom — Jerusalems Herren, die Tempelgewänder in ihrer Gewalt, Zolljjund Zins den Heil'gen verhängt. Hier in der Heimat Herodes, der Ränkeschmied, die Rute aus Edom, auf Rom gepfropft! Was in Arbeit und Schweiß der Arme erschwingt, verzehren die Herren und zahlen mit Hohne; und wer sich wehrt, erleidet Gewalt. Den Launen des Landoogts lauschen und lugen des Heiligtums Hüler und lachen der Hoffnung, daß endlich der Höchste sein Erbe heimsucht. Und die uns trösten in unseren Tränen mit dem Tag der Erlösung — ach, wie lange! — der anbricht, wenn alle der Satzungen achten, die Schristgelehrten, die dürfen sich's leisten, am Gesetze zu tüfteln Tag und Nacht, die Zeit zu verzetteln mit zahllosen Regeln, dazu es an Muße Mühseligen mangelt. Und dann künden sie kalt: „Das faule Volk, das der Bräuche nicht Fleiß übt, ist verflucht!" Und jetzt, da am Jordan dem Volk ein Prophet vom Himmel erweckt ist in Johannes, zu berufen dem Herrn ein bereitet Volk — da kommt uns die Kunde: „Dahin ist Johannes, gefangen gesetzt vom Viertelfürsten, uns ruchlos entrissen durch Herodes I" — Ein jeder kehre in seine Kammer! Am Berge die Herde ohne Hirten! Weh uns, wie sind wir wieder verwaist!" — „Und dennoch, die Stunde ist da des Starken," so begann Johannes „ der mit dem Geiste und Flammen uns taust nach der Tauche im Flusse! Der frechste Frevel ist frei verübt: Das Laster legt die Hand an das Heil'ge! Die Not brjcht an, das Ende naht! Habt ihr gehört das Gerücht und Gerede, daß kaum, da die Stimme des Täufers verstummt,

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11 ein neuer Prophet in unserer Nähe, allhier in der Heimat, im Land Galiläa, gesehen sei mit derselben Sendung: Die Zeit sei um, Gottes Reich breche an: „Geht in euch und achtet des Rufes Ernst!" Erweist es sich wahr und ist das der Erbe der Botschaft des Täufers zu Buße und Umkehr, zu sichten und sammeln den heiligen Hausen — so soll er mich finden nimmer fischend, mag Netz und Nachen ersaufen im See!" Da schob sich ein Schatten vom Buge des Schiffes ihm vor die Füße. Ein Wanderer war am Ufer des Seees ungesehen herangeschritten über der Rede und, wie er die letzten, lauten Worte noch eben vernommen, näher getreten und stand nun da, dicht vor den Erstaunten: „Kommt mit mir, so mache ich euch zu Menschensischern in meinem Volke!" Sie sprangen auf und starrten ihn an: Es war kein Rabbi, kein Priester war's: es war ein Mann wie sie aus der Menge, doch Feuer sein Blick wie eines Propheten, den Gott ersehen und ausgesandt. Da besann sich Simon: Sag, wer bist du?" Jener erwiderte: „Jesus aus Nazaret, Josephs Sohn, doch jetzt gesandt, zu suchen und sammeln, was da verwaist ist. Nun pilgr' ich und komme zu euch nach Kapernaum, aus daß ich auch dort meine Botschaft entbiete. Morgen ist Sabbath; da muß ich sein in eurer Schule, um auszuschütteln, was schlummert und schläft, was taub und tot ist 1 Find' ich zur Nacht ein Dach und Nahrung?" Da versetzte Simon: „Herr, mein Haus ist dürftig und arm, dein Diener unwert, einen Boten Gottes als Gast zu bergen. Doch so du geruhst, deiner Rast zu würdigen mein niedrig Dach, so dankt dein Knecht dir's I „Sprich nicht von Dank. Mein ist's zu danken. Doch Gottes Dank und Gunst sei dein!" Weist Simon fragend auf seine Freunde: „Doch dürfen mit uns auch diese sein?" Und sie gingen ein nach Kapernaum. Uun stieg empor zu Kapernaum eine neue Sonne, es nahte der Tag,— ein Sabbath, da ging zur Synagoge von gastlichem Dache zum Gottesdienste

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Jesus mit Simon und den Seinen. Schon war durch den Ort das Gerücht geeilt, daß der neue Prophet, der nach der Entführung des Täufers tapfer die Botschaft der Buße auf den Tag des Gerichts und des Reichs erneuert, zu Herberge fei in Simons Haufe und am Sabbath das Wort ihnen sagen werde. Da war denn am See die Synagoge, die ein frommer Mann und Freund der Juden, ein heidnischer Hauptmann Herodis, errichtet, erfüllt von Männern und Frauen in Menge. Und aller Augen, da er nun eintrat, sahen auf ihn, bis daß er sich setzte. Doch als im Gange des Gottesdienstes die Zeit zu reden herangerückt war, erhob sich der Meister und heischte das Wort. Man reichte ihm hin die heilige Rolle des Propheten Iesaia; er fand die Stelle und las sie zuerst, wie es üblich war, in der alten Hebräer adligen Lauten, sie dann aramäisch der Menge deutend: „Der Geist ruht auf mir Gottes des Herrn, sintemalen der Herr mich gesalbt hat, den Elenden Heil zu verheißen mich schickt, die zerbrochenen Herzen zu hegen und heilen, den Gefangenen die Türe auszutun, der Eingekerkerten Ketten zu lösen, ein Jahr der Huld des Herrn zu verheißen, einen Tag der Vergeltung unseres Gottes, zu trösten alle, die Trauer tragen." — Er wickelt die Rolle wieder zusammen und reicht sie dem Diener und setzt sich sodann. Und aller Augen hangen an ihm und spähen gespannt, seiner Lehre zu lauschen. Und so beginnt der Gottgesandte: „Heule ist sie erfüllt, die Verheißung, die eure Ohren soeben vernommen I Wie habt ihr geharrt in Harm und Hoffnung, daß der Höchste Hilfe euch solle senden, die der Satan gebunden mit bösem Siechtum, der Gewalt unterworfen der Herren der Welt und in Sünden verfangen, gefesselt in Schuld! Dock heut ist der Tag des Heils vor der Türe, so tuet ihm auf die Tore der Herzen; denn der Höchste entbietet seine Erbarmung allen, die ratlos ringen in Angst, die zittern und zagen vor seinem Zorne! Er hat durch Johannes euch Buße geboten,

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13 den Dünkel gedämpft durch den Donnermund. Wohl hat er dem Ruchlosen Raum gelassen, in Kerker und Ketten den Täufer zu tun. Doch — freuet euch dessen; denn der Frevel hat den Gipfel erreicht. Nun rächt ihn Gott! Der Mund des Starken ist stumm gemacht, da jener jähe dem Volke entführt ist. Doch siehe, nun sendet der Ew'ge den andern, der soll vollenden, was jener anhob: zu rüsten dem Herrn ein bereitet Volk, das ihm sich ergibt von ganzem Herzen. So laßt euch denn laden zu seiner Erlösung: Kommet her zu mir, die ihr Mühsal habt und schwere Last, ich will euch letzen! Nehmt auf euch mein Joch, daß ich euch lehre: denn ich bin milde, mein Herz demütig. So findet ihr Ruhe für eure Seelen. Denn mein Joch ist lind, meine Last ist leicht!" — Da nun er verstummte, standen sie alle noch still und starr, entrückt von der Rede, von der Macht in des Meisters Munde gebannt. Dann aber hub an erregtes Geraune, Stimmen des Staunens, bewundernde Worte, der eine zum andern und immer das eine: „Das lautet nicht wie der Schristgelehrten erklügelte Rechnung aus heiligen Rollen, mit der um der Rettung Stunde sie raten — der lehrt wie einer mit Auftrag von oben, als hätt' er zum Rate des Höchsten gehört, das Ende der Not, den Anbruch des Reichs. Er begehrt für Gott, daß wir in uns gehen, nicht sinnloses Tun ertüftelter Satzung. Der verkündet kühn aus Gottes Geiste und klaubt nicht kläglich aus Mustern dec Meister den dürst'gen Gedanken voll Dünkel zurecht I"

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Nun hockte ein Mensch in der Hörer Mitte, von dem sie sagten, er sei besessen von höllischem Geiste, — es sei nicht geheuer! ein armer Irrer und selten bei Sinnen. Der hatte mit offenen Ohren und Augen an des Meisters Munde horchend gehangen und, ;e mehr sich der Herr erhob zu der Höhe gewissester Ahnung des Endes der Welt, 390 mit flackerndem Glanz in den glasigen Augen und ruhloser Regung der fahrigen Finger in steigender Angst ihn angestiert. Jetzt warf es ihn hin und er wand sich am Boden und ries mit schrecklichem, schrillem Geschrei:

14 »Halt, was hast du von uns zu heischen? Latz uns doch laufen, die Höllenunholdei Ich weiß, wer du bist, uns Bann zu gebieten: Der Gesalbte Gottes, der Satansbesieger I “ Schauder und Mitleid schütteln den Meister. 400 Das elende Opfer arger Gewalten wimmert und winselt in Furcht ihm zu Füßen. Ja, hat ihn der Höchste denn nicht geheißen, des Satans Gesellen und Ingesinde zu fassen und fesseln, wo er es finde? Hier hauste im Hirne des Armen ein Unhold — wohlauf I Wohlan! Den Bösen gebannt! So herrscht er voll Hoheit den Irren an: „Schweig und verschwinde! Hinweg, Verworfner!" Da packt es und reißt es den armen Verrückten, 410 Rücklings am Boden mit Armen und Beinen schlägt er und stampft er und schluchzt und stöhnt. Dann läßt es nach und erlahmt, erlischt, Und er liegt eine Leiche, ein leises Röcheln kündet kaum, daß der Leidende lebe. Die Menge murmelt: „Jetzt ist er verjagt I" Er öffnet die Augen matt und müde, er schließt und öffnet sie abermals. Er richtet sich auf, er atmet ruhig, erhebt sich und schaut verschämt umher. 420 Dann blickt er voll und fest auf den Meister, neigt sich zu Boden und nimmt den Saum seines Mantels auf, führt ihn zum Munde und küßt ihn in Demut und Dankbarkeit. Der Meister hält ihm die Hand aufs Haupt: „Der Herr behüte dich fürderhin und bewahr' dir die Seele vor Satans Gewalt I" Und war das Verwundern gewaltig gewesen, da der Meister geredet — jetzt raunt' es und rauschte und brach wie Brandung des Meeres mächtig 430 daher durch die Halle. Die Häupter der Hörer wallten und wogten hin und wieder, von Ken Lippen lösten sich stammelnde Laute: „Eine neue Lehre, belehnt mit Vollmacht I Er gebeut den Unholden und hat sie im Bann I" So ging die Versammlung vom Gottesdienste heimwärts, mit Wort und Handbewegung lebhaft das unerhörte Ereignis erwägend, ob wirklich der Himmel wieder heimsuche sein Volk durch einen Propheten, 440 damit es sich rüst' und bereite aufs Ende. Doch Jesus begab sich mit seinem Gastfreund, mit Simon zusamt Andreas als drittem,

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zu Simons Haus, und Johannes, Jakobus schlossen sich an. Sie traten ein und sahen versäumt so Haus wie Herd. Die Schwieger Simons, die sonst es besorgte, kam nicht gegangen, die Gäste zu grüßen, so daß denn Simon verwundert sie suchte. Er fand sie vom Fieber ans Lager gefesselt, 450 Haupt und Hände brannten ihr heiß. Sie seufzt: „Daß es so dir ergeht mit dem Gaste I Wie hatt' ich gehofft, ihm das Beste zu bieten, der so hold unser Haus seines Weilens gewürdigt! Nun faßt mich ein Satansgesell mit dem Fieber!" Doch Simon versetzt: „Fasse Mut, o Mutter! Der Himmel führt dir den Helfer ins Haus! Der Meister hat eben vor Augen und Ohren, mit hohem Worte und Wundergewalt, daß Gott ihn erwählt, uns allen bewährt I 460 Seines Mundes Macht übermannte alle; selbst der Beseßne, der arme Irre, dem ein Höllenunhold das Hirn verheert hat, ward aufgeschreckt und schrie in Angst — und Jesus steht auf, herrscht jäh ihn an, und der Böse fährt aus vor unseren Augen I Wird der Meister sich Simons Mutter versagen ?'* Sie lächelt erregt den Redenden an und weist ihn von hinnen, des Herrn zu warten. Er kommt zum Meister und meldet bekümmert, 470 des Hauses Wirtin sei niedergeworfen von bösem Fieber, gefesselt ans Bett; so möge der Meister die Muße vergeben, bis die Männer selber das Mahl besorgt. Doch Jesus verlangt: „So laßt mich zu der Leidenden!" Da leiten sie ihn zum Lager der Alten. Er tritt heran, und Trost überrinnt sie aus seinem Antlitz; ihr Auge leuchtet; er faßt ihre Hand: „Der Höchste hilft dir!" und richtet sie auf mit ruhigem Arm. 480 Da durchrieselt's den Leib mit rüstigem Leben, kein fiebrig Schaudern schüttelt sie fürder, sie wehrt den Händen, sie weiter zu halten, und hockt an den Herd, das Feuer zu fachen, bereitet das Mahl und bedient die Männer, verstohlen erlauschend manch Stück des Gesprächs. Ko verrinnt der Rest des Sabbaths. Die Sonne neigt sich zum Rande des Erdenrundes und schaut mit scheidenden Strahlenstreisen herein in den Raum und rötet die Wand. Doch kaum, daß erloschen ihr letztes Geleucht

16 und der Alltag beginnt, da man arbeiten darf, da kommt's auf der Gaffe zum Haufe gegangen und tappt vor der Türe und redet und ruft. Simon erhebt sich zu horchen und sehen und tritt vor die Türe und kehrt zum Tische: „Meister, es harrt der Menschen die Menge draußen, die bitten und dringen in mich, dich herauszurufen. Sie heischen Hilfe für ihre Siechen und Satansbesess'nen. Sie haben auf Buckel und Bahre zum Hause die Kranken geschleppt, und andere schleichen, auf Stäbe und Krücken gestützt, herzu. Sie jammern: Der Jesus, der heute geheilt den irren Besess'nen, der solle auch ihnen Erlösung und Linderung schaffen des Leidens." Da ging der Meister hinaus auf die Gaffe und sah da beisammen gedrängt und gedrückt, was Elends der Arge durch seine Gesellen in einem Orte nur angerichtet! Da krampfte im Harme sich ihm das Herz! Für den er zu rufen und reden gekommen — der Herr, der ihm heute schon zweimal geholfen, der wollte fürwahr, daß er auch die Wunden der Leiber verband, die der Böse geschlagen, nicht nur daß Herzen zu heilen er nahte! Drum wacker ans Werk! Der Geweihte Gottes nimmt auf den Kampf mit der Hölle Kämpen, den Verruchten entreißt er den wimmernden Raub I So rief er heran denn Bahre um Bahre und konnte mit Worten und kundiger Weisung ihrer manchem helfen, den Mut ihnen hebend, die Lust zum Leben Gebrochnen verleihend oder gar die „bösen Geister" verbannend. Was Schristgelehrte und schreiende Gaukler nach ihrer Weise und Art ausübten um Geld und Gut — das gab er umsonst und entwand in der Weihe berufenen Wesens den Mächten der Nacht manch müden Mann. Erst spät verlief sich der lechzende Haufe und fand der Erschöpfte vom Schaffen Ruh. Als Simon am anderen Morgen aufstand, da fand vor der Türe bald wieder des Volkes ein Haufe sich ein: Da hofften die einen, zu genesen von Nöten; die anderen aber zog nur die Sucht, ein Zeichen zu sehen. Sie erkundigten sich, ob der Meister nicht komme. Simon meinte, er sei wohl müde, von der Last erschöpft des letzten Tages.

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17 Doch als sich noch immer die Türe nicht auftat 540 des Söllerstübchens, da stieg denn Simon hinan und pochte und rief bei Namen den Meister; doch kam ihm keinerlei Antwort. Wie er endlich öffnet, gewahrt er verwundert — das Lager verlassen, die Kammer leer l Wo weilt der Meister? Und warum entweicht er ? Vor Tau und Tag! Da Simon doch selber, da es hell kaum ward, sich erhoben hatte. So macht er sich auf, und mit aus der Menge folgen ihm viele, nach Jesu zu forschen. 550 Sie finden ihn endlich an einsamem Orte, verborgen den Sinn im Gebete zu sammeln. Und Simon stürzt ihm stürmisch entgegen: „Da bist du endlich I Es suchen dich alle I" Doch der Meister wehrt: „Ich wende von hinnen, auch anderen Orten das Heil zu verheißen; denn dazu bin ich von Gott entboten I" Und ohne den Ort noch einmal zu schauen und ein letztes Wort an die Leute zu wenden, geht er von dannen im Sturm der Gedanken: 560 Was ihm Tages zuvor in der Stadt widerfahren — eine Gabe Gottes, die Geister zu bannen, eine Kraft, der Krankheit und anderem Übel mit Gewalt zu wehren, den Menschen zum Wohle, das hatte den Meister mit Macht übermannt, und er rang in Gedanken, es recht zu deuten. Ja, wenn ihm der Höchste zu heilen gewährte verwirrte Sinne und sieche Leiber — doch nimmer zur Schau für geschäftige Neugier war es gespendet; das spurte er wohl. 570 Um Gottes Güte und hohe Barmherzigkeit mit dem Worte nicht nur, mit dem Wunder zu weisen, war es verstehn I Von der Last zu erlösen verängstigte Seelen, sollt' er es üben! So ging er hinweg, um nicht vor Gaffern wie ein Gaukler die Gottesgewähr zu entweihn.

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Zweiter

Gesang

Kotfchafl und Beistand Eine Stunde Weges wandert er ostwärts am Saume des Sees zur Stadt Bethsaida, die auf jenem Ufer des Jordans lag, wo der Fluß einftrömt in die Flut des Sees. 580 Dorthin war der Ruf ihm vorausgeeilt. Und Kaum, daß er kam, so fand sich des Volkes eine mächtige Menge, dem Lehrer zu lauschen. Am Ufer des Sees war ein Anger daselbst mit dürftigem Grase bedeckten Sands, der sacht nach dem Wasser hinab sich senkte. Dort wuchs die Menge dem Worte zu. Doch die letzten, die hinten horchten und lauschten und umsonst sich reckten, den Redner zu sehen, wühlten und wanden sich, drängten und drückten; 590 und die vorne standen, stemmten sich fruchtlos zurück, um Raum dem Meister zu machen. Da bat er, ein Boot ihm herbeizurudern, damit er, vom Haufen minder behelligt, im Boote sitzend, von Bord zum Ufer den Augen und Ohren erreichbar rede. Und er stieg in den Nachen und setzte sich nieder, erhob die Stimme und heischte Stille. Dann begann er von Gottes Reiche zu reden, die Gedanken deutbar in Bilder bannend. 600 „Mie verhält es sich denn mit der Herrschaft Gottes? Schaut: f o, als wenn der Mensch Saat ausstreut, und von Stund an schläft er und steht wieder auf Nacht und Tag die nächsten Monde, und es sprießt und wächst, und er weiß nicht, wie? Die Erde bringt Frucht aus eigener Kraft: Zuerst die Halme, nachher die Ähren und endlich das köstliche Korn in den Ähren I Doch so früh die Frucht es erlaubt, so legt er die Sichel an, denn die Ernte ist dal— 610 Gott sorgt für das Seine. Tu du das Deine! Denn freilich, wie steht's mit Bestellung und Frucht? „Gebt acht: Der Sämann ging aus zu säen.



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Beim Wurfe siel etliches ihm an den Weg, und die Vögel kamen und fanden die Körner. Anderes fiel auf felsigen Boden. Das schoß rasch auf; denn die Erdenschicht war dünn. Wie die Sonne sengte, verdorrt' es, dieweil es nicht Wurzel noch Wasser hatte. Anderes flog aus Flecke, da Dornen 620 der Boden barg. Die wuchsen wuchernd und erstickten das Korn und es kam keine Frucht. Andres geriet in die rechte Erde; das trieb, ging auf und wuchs und trug vierzig- und fünfzig- und hundertfältig. Wer Ohren zu hören hat, der höre! Kieles verdirbt. Der Anfang ist dürftig. Doch Gottes Walten ist wundersam I Mit seiner Herrschaft verhält es sich so wie mit dem Senfkorn, dem winzigen Samen. 630 Das nahm ein Bauer und legt' es ins Beet im Garten; es keimte und kam und trieb kräftig wie keines der Küchenkräuter und schoß wie ein Baum, in dessen Schatten die Vögel des Himmels Hecke finden. Oder auch so wie mit dem Sauerteig: Des tat ein Weib ein wenig zum Teig, und siehe: drei Mulden vermocht' er zu säuern I Wenn denn das Winzige in der Welt 640 euer Vater wunderbar kehrt ins Gewalt'ge wie sollt' er sein Reich nicht können errichten wundergewaltig aus Winzigkeit?! Drum hört und gewahret, wie hoch sein Wert! Ein Mensch grub mühsam um einen Acker, da spürt' er am Spaten einen tönernen Tops. Er legte ihn bloß, es leuchtet' und blinkte, und er fand, vor dem Feinde aus Furcht geborgen, von schimmerndem Schein einen reichen Schatz. Vor Freuden enteilt' er, und all sein Eigen 650 versetzt' er und kaust für die Summe den Acker. Und ein Händler war, der bereiste die Welt und trachtete, köstliche Perlen zu kaufen. Da fand er eine von einziger Schöne, bedachte nicht lange und lief von bannen, versetzte alles, was er besaß, und kaust' um den Preis die prächtige Perle!" Da ereignet' es sich, als er ausgeredet, so erhob ein Weib im Haufen die Stimme und rief voll Rührung ihm zärtlich zu: „Benedeit der Schoß, der dich getragen, und die Brüste selig, die dich gesäugt!"

20 Doch er versetzt: „Ach, — selig sind, die das Wort des Höchsten hören und wahren!" Als der Meister ein Ende gemacht der Rede und die Leute entlassen, da ward er geladen seine Rast zu halten in einem Hause, allwo zwei Schwestern der Wirtschaft walteten, Maria und Martha; diese vermählt, jene noch Jungfrau, doch beide von Jesu, seinem Worte und Wesen im Herzen gewonnen. 670 Und Maria hockte dem Herrn zu Füßen, seiner Lehre und Weisheit wonnig zu lauschen. Und sie heischte Auskunft: „Was hüllst du in Bilder deine Kunde und Rede vom künftigen Reich?" Er erwidert der Lauschenden: „Kommt wohl das Licht und man stülpt den Scheffel darauf und erstickt es oder birgt es am Boden unter dem Bett? Mitnichten! Man steckt es und nimmt's auf den Leuchter, damit fein Schimmer ins Weite scheine. So ist hier alles in Bilder geborgen 680 doch darum, daß es entdeckt soll werden, und in ein Geheimnis nichts gehüllt als dazu, daß man es deuten möge! Wer Ohren und Augen spannt, erspäht es. Nun seht und sucht, was ihr hört und erhascht. Mit welcher Kelle ihr schöpft, bekommt ihr, ja, es wird euch wohl gar noch darauf gegeben! Wer hat, der erhält; doch wer nicht hat, dem nimmt man noch ab, was er eher gehabt! Die Jungfrau faß versonnen vor Jesu: 690 „Wie bist du reich an beredten Bildern! Mir ist, als wandl' ich gewohnte Wege, und doch ist neu, was ich da vernehme." Da lächelte leicht der Mund des Meisters: »Ja, ja, ein Weiser, der sich gewidmet der Herrschaft Gottes, hält's wie ein Hausherr, der aus der Fülle gesammelten Vorrats Altes und Neues nimmt und ausgibt." Indessen ging Martha, dem Meister zu decken, mit emsigem Eifer türaus und -ein. 700 Jetzt trat sie auf und sprach voll Unmuts: „Herr, schweigst du dazu, daß meine Schwester mir allein die Last der Bewirtung läßt? Sag' ihr, sie solle auch mit angreifen!" Der Herr aber wiegte das Haupt und erwiderte: „Martha, Martha, du machst dir viel Mühe um allerlei Nichtiges. Not ist eines! Maria hat das Rechte erwählt, das soll ihr nimmer genommen werden!"

21 Und er wanderte fürder die folgenden Wochen 710 von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt, die Botschaft entbietend der Herrschaft des Himmels. Und waren auch Weiber, die sich ihm widmeten, Handreichung tuend von ihrer Habe: Da war Johanna, das Weib des Hufa, der Verwalter war bei Herodes; Maria aus Magdala, der sieben Dämonen entwichen waren, und etliche andre. Die lohnten dem Meister die Lehre mit Liebe. Ko kam er denn auch nach Khorazin; 720 das liegt in den Bergen oben am Bach, der südlich den See bei Kapernaum sucht. Und es währte nicht lange, so war er umlagert von der Menge derer, die darbend sich mühten und matten Herzens nach Hoffnung haschten, wie der neue Prophet sie nahe verhieß. Und der Meister sah die müden Gesichter, durchfurcht von Falten und knechtisch verkniffen, die Hände schwielig von schwerem Handwerk, die Rücken geduckt, die Glieder dürr. 730 vor ihm gelagert in ihren Lumpen, nicht härter der Boden als nachts ihr Bett. Was sollte er sagen zu Menschen, von Sorge um Nahrung und Notdurft völlig gefesselt, wie Mut ihnen machen, zu ringen ums Reich? Doch hatte auch er mit der Hände Arbeit nach des teuren Vaters verfrühtem Tode mit der Mutter gemüht so manches Jahr, für die jungen Geschwister das Brot zu erschwingen, und die Not an der Tür und im Topfe gehabt. 740 Indessen der Seele Denken und Dichten völlig und gänzlich feilzugeben an die Sorge und Mühe ums schnöde Gemeine, — des hatt' er gewehrt sich und geweigert, wie müd' er auch war, mit letzter Macht! Und dem er getraut, der trog ihn nicht: In höchster Not war Hülfe genaht und droben der Vater hatte Rat gefunden. So wußt' er das rechte Wort zu wählen, Zermürbten, Verkümmerten Mut zu machen, 750 und er sprach den Verzehrten, Verzagenden zu: „Ihr sorgt um den Leib:„Wie find' ich zu leben?" für den nackten Rücken:„Wo nehm' ich den Rock?" — Der Leib ist mehr denn leben und mästen, die Glieder mehr denn Mantel und Rock! Sehet die Vögel unter der Sonne: Die säen nicht aus, die ernten nicht,

22 die haben nicht Scheune, nicht Dach und Fach, und im Himmel der Vater erhält sie doch! Und seid ihr Menschen nicht mehr denn sie? 760 Und wer überhaupt kann seinem Wallen, wie sehr er auch sorgt, eine Elle zusetzen?! Auch hat jeder Tag genug zu tun an der eigenen Sorge — was soll ihm noch andre? Und was klagt ihr und sorgt ihr euch so um die Kleidung? Nehmet wahr der Lilien des Felds, wie sie wachsen: Sie spinnen nicht, sie weben nimmer. Und ich sage euch: Dennoch war Salomo in all seinem Prunk und der üppigen Pracht nicht angetan wie eine von ihnen! 770 Wenn Gott denn das Gras, das gestern gegrünt hat, und heute wird's auf den Herd geworfen, so herrlich kleidet — ihr Kleingläubigen— wird nicht viel eher er's euch dann tun? So trachtet nach Essen und Trinken denn nicht und sorgt und klagt nicht, wie ihr euch kleidet — dem hangen und trachten die Heiden nach. Euer Vater weiß wohl, was euch fehlt! Nein, trachtet zuerst nach dem ewigen Reich, dann wird das alles euch auch gewährt! 780 «Schafft euch nicht Schätze an auf Erden, wo sie die Motten und Maden zernagen • und die Diebe dieselben entdecken und stehlen! Schaffet euch Schätze beim Herrn im Himmel, wo weder Motten noch Maden sie fressen und Diebe sie nicht entdecken und stehlen. Denn wo dein Hort, da ist auch dein Herz. Und keiner kann zwei Herren huldigen: Er wird entweder den einen verachten und den andern verehren — oder den einen 790 hassen und hängt dem andern an. Ihr könnt nicht Gott und dem Golde bienen! * Da sprach aus der Menge ein Mensch zu ihm: „Meister, mahne doch meinen Bruder, daß er ums Erbe mit mir sich einige!" Allein der Meister versetzte: „Mensch, bin ich zum Richtmann für euch berufen?" Und er wandte sich ab von ihm an alle und erzählte, um ihnen noch einmal zu zeigen, wie eitel das Scharren nach Schätzen sei: 800 „Eines Reichen Feld hatte viel getragen. Da gedacht' er und sagte in seinem Sinne: „Was fange ich an? Mir fehlt's an Raum, die Ernte zu bergen!" Doch endlich sprach er: „So stelle ich's an: Die alten Scheunen

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reihe ich nieder und baue neue, weit und geräumig, und schaffe darein alles, was mir gewachsen ist! Und dann will ich sagen zu meiner Seele: „Herz, du hast nun Vorrats die Fülle. 810 Mach dir's gemächlich, laß es dir munden, freu dich des Lebens und lache der Not!"" — Der Ewige aber gab ihm die Antwort: „Du Narr, diese Nacht mußt du hinab! Und wer gewinnt's, was du erworben?" — Drum sage ich abermals: Sorgt nicht darum!" Wie lang' er verzogen zu Khurazin, wo sonst er geweilt — wir wissen es nicht. Nach geraumen Tagen kam er zurück nach Kapernaum und pochte an 820 bei S'mons Hause; der freute sich hoch und hieß den Herrn von Herzen willkommen. Doch kaum war es kund, daß er wiedergekehrt, so stellten sich Hörer im Hause ein; die saßen allda im Kreis auf der Diele oder standen gestützt an die Pfosten der Pforte. Auch vor dem Eingang fingen sie auf, was etwa von drinnen nach draußen drang. Doch während er so das Wort ihnen sagte, kamen herbei mit Bett und Bahre, 830 daraus ein Gelähmter lag, vier Leute. Sie konnten vor Menschen zum Meister nicht kommen; denn wie sie auch winkten, man solle weichen — sein Wort hielt alle so atemlos fest, daß niemand auch nur den Kopf herkehrte. Die Träger zuckten verzagt die Achseln und wollten harren oder von hinnen. Jedoch der Gelähmte wollt' es nicht leiden; er klagte jammernd: „Ich muß zu Jesu!" Da fiel das Auge eines der viere 840 auf die Stiege, die hinten am Hause hinaufging auss flache Dach. Ihm kam ein Gedanke: „Wir lassen ihn durch die Decke hinab!" Sie hoben mit Not die Bahre hinauf, rissen die Decke auf, daß rieselnd den Männern der Staub auf die Köpfe stob, und ließen den Lahmen die Lücke hinunter, bis der Mann mit der Bahre den Boden fand. Jesus und alle, die um ihn faßen, blickten verblüfft und stutzten staunend. 850 Doch der Meister begriff die Männer alsbald: Er sah die zitternde Zuversicht in des Lahmen Augen angstvoll lauern,

24 doch schien er verstört und scheu zugleich, und freilich — wer Züge verstand zu entziffern, der las in dem übel verlebten Antlitz, daß Laster die Schuld an dem Leiden trug. Drum schlug der Geschlagne die Augen abwärts, wie der Blick des Meisters musternd ihn maß. Den Herrn ergriff's: So jung ein Greis schon! Zermürbt an Leib und Lebensmut, zerknirscht zuletzt nach der Lüste Knechtschaft, doch der Rettung, ach, durch Schuld beraubt— wie heiß wohl gelobte er, heilig zu leben, dürst' er nur hoffen auf Heil und Huld! — Das las des Meisters liebendes Auge auf des Elenden Antlitz, da er ihn ansprach, gewiß, daß Gott es gut so heiße: „Mein Sohn, deine Sünden — sind vergeben I" Nun saßen dabei auch der Rabbiner etliche, eifrig mit ihm erörternd. Die fuhren herum, da die Rede fiel; denn sie dachten: „Wie darf er solches sagen! Er lästert! Vergeben ist Gottes allein." Doch Jesus ahnte in seinem Innern, wie sie derlei dachten; und Grimm ergriff ihn, daß der Reuige solle des Trostes entraten, der allein ihm neues Leben verlieh. Drum herrscht' er sie an: „Was denkt ihr da in eurem Herzen? Was ist gewagter: zu sagen:„Die Sünden sind dir vergeben!" oder: „Auf I Das Bett auf den Buckel und geh I" Doch damit ihr seht, daß dem Menschensohne aus Erden vergönnt ist, Schuld zu vergeben" — gebeut er dem Siechen: „Ich sage dir: Erheb dich I das Bett auf den Buckel und heim I" Und er stand auf vor aller Augen, die Bahre nahm er und ging hinaus, daß alle vor Staunen außer sich standen, den Allmächtigen lobten und laut bekannten1 „Wir haben solches noch nie gesehn I" Die Rabbiner freilich fragten sich bitter: „Wird Lästerung denn gelohnt mit Zeichen?" — Da der Mensch gegangen, begann der Meister (denn er sah, wie sehr es die Weisen wurmte, daß ein Mensch sich Gottes Vergebung vermessen» um Ungewohntem ihr Herz zu gewinnen, von Gottes Weise ein Bild zu entwerfen. Gr sprach: „Es besaß ein Mensch zwei Söhne. Und der Jüngere forderte bald vom Vater: „Gib mir mein Anteil an unserem Gut!"

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25 Da sand ihn denn auch sein Vater ab. Bald raffte der Sohn sein Erbe zusammen und wanderte weg in die weite Welt und vergeudet' in gottlosem Leben sein Gut. Doch als er alles nun ausgegeben, da legte sich hart ein Hunger aufs Land. Nicht lange, so mußte er Mangel leiden. Da ging er denn hin und hängte sich an einen der Angesess'nen im Orte; der sandt' ihn aufs Feld, die Säue zu hüten. Und er hätte gerne sich satt gegessen an den Schoten, die man den Säuen schüttet; ober niemand gab ihm. Da ging er in sich: „Wie viele Tagelöhner beim Vater essen ihr Brot im Überfluß — und ich verende im Hunger hier! Ich mache mich auf und eile zum Vater und sage ihm: „Vater, ich habe gefehlt wider den Himmel und hier vor dir. Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein. Tu mich zu deinen Tagelöhnern!" „Und er machte sich fort und eilte zum Vater. Doch schon von weitem gewahrt' ihn der Alte, und es jammerte ihn, und jählings lief er und hielt ihn im Arme und herzte ihn. Doch der Sohn sprach: „Vater, ich habe gefehlt wider den Himmel und hier vor dir. Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu fein I" Doch der Vater sagte zu seinem Gesinde: „Hurtig herbei das beste Gewand, einen Ring an den Finger und Schuh' an die Füße I und das Mastkalb geschlachtet, ihr müßigen Schlingel. Und lasset uns feiern bei festlichem Mahl — Denn sehet, mein Sohn war tot und — lebt, verloren, und ist wiederaufgefunden I * Und begannen und waren guter Dinge. „Doch der ältere Sohn war auf dem Acker. Und als er nun heim zum Hause kam, vernahm überrascht er Musik und Reigen. Da rief er sich einen heran der Knechte, zu hören, was das zu bedeuten habe. Der brachte denn vor: „Dein Bruder ist da. Und weil er gesund ihn wieder sieht, hat der Vater geschlachtet das fette Kalb. Da durchwallt' es ihn heiß, und er wollte nicht hingeh Doch der Vater trat zu dem Trotz'gen heraus und suchle den Groll des Ergrimmten zu sänft'gen. Doch der Sohn versetzte unwillig dawider:

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26 „Jahraus, jahrein schon diene ich dir und habe immer dein Wort geachtet. Doch wann hast du wohl einen Bock mir geboten, zu fröhlichem Mahl mit meinen Freunden? Nun aber dieser dein Sohn wieder da ist, der sein Gut mit Dirnen vergeudet hat, da opferst du ihm das Mastkalb zum Mahl!" „Doch der Vater faßte ihn: „Komm, mein Kind! Du bist doch bei mir immer und allzeit, und alles, was unser ist, das ist dein! Wir mußten doch feiern mit festlichem Mahle! Denn dieser dein Bruder war tot und — lebt, verloren, und ist wieder aufgefunden!" " So malte der Meister Gottes Güte, die dem Reuigen gerne Vergebung gönnt. Und den Hörern ward es ums Herze warm. Nur die Schristgelehrten verschränkten die Arme: „Wie der Sünder versöhnt wird, sagt das Gesetz: „Versieht eine Seele etwas und sündigt, so soll eine Ziege zur Sühne sie zahlen und die Hand aufs Haupt dem Opfer halten; -und der Priester fange mit seinem Finger des Bluts und tue es an den Altar; das andere gieße er auf die Erde. Doch das Fett der Ziege soll er entzünden zu süßem Geruch, die Rache zu sänst'gen. So soll der Priester die Sünde versöhnen." Das gibt Vergebung I Doch nicht, wenn gottlos ein gewöhnlicher Mensch des Wegs daherkommt und keck verkündet nach seinem Kopfe: „Mein Sohn, deine Sünden sind vergeben." " So grüßten sie frostig und fremd und gingen. Der neue Meister war nicht ihr Mann. Da fragte der Meister seine Freunde: „Wie wär's, wir entwichen für eine Weile der Menge und machten im Boot über Meer unter uns eine Fahrt ans andere Ufer, um in Ruhe zu reden von Gottes Begehren? ” Denn dort in der Steppe, wo Dörfer und Städte in weiter Runde am Himmelsrande das spähende Auge nur spärlich gewahrt, dursten sie hoffen, daß höchstens ein Hirte ihren trauten Kreis beim Hüten traf. So gefiel der Vorschlag, sie sorgten für Vorrat und gingen zum Meere, um flott zu machen das Boot, das sicher im Sande geborgen vom letzten Fange der Fischer lag. Auf dem Gange zum Ufer kam ihnen entgegen

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ein Hauptmann des Viertelfürsten Herodes; der beugte das Knie und bat: „Mein Knecht, o Herr, liegt lahm und leidend daheim I" 1000 Und es traten zu Jesu auch Alte der Juden; die verwandten sich für ihn: „Er ist es wert, daß du es erfüllst; denn er liebt unser Volk, und auch unser Bethaus hat er erbaut." Da verhieß er: „Ich komme, ihm Heilung zu suchen!" Doch der Hauptmann wehrte: „Ich bin nicht würdig, daß du mein Haus, o Herr, betretest I Sprich nur ein Wort, so wird es genügen. Ich habe doch auch meine Oberherren und bin selber gesetzt über meine Söldner. 1010 Und befehl' ich dem einen: „Gehe!", so geht er, und dem andern: „Komm!" , so kommt er; und fordr' ich von meinem Sklaven:„Tu basI", so tut er's. Da werden die tückischen Krankheitsteufel auch deinem Befehle Folge leisten!" Als der Herr das hörte, hielt er verwundert und sprach zu den Männern, die mit ihm waren: „Wahrlich, ich sage euch: Solch Vertrauen hab' ich in Israel nicht getroffen!" Und kühnlich hoffend, daß Golt ihn erhöre 1020 und des Tapferen Zuversicht nicht enttäusche, sprach er: „So gehe! Und Gott wird geben, daß du es triffst, wie du vertraut hast!" Und er sand, da er heimkam, jenen geheilt. Gott hatte dem Herrn den Spott erspart und dem wagenden Worte Erhörung gewährt. Der Meister nunmehr und seine Gesellen segelten ostwärts über den See und gingen im Gau der Gergesener an Land. — Doch hatten sie kaum verlassen 1030 das Boot und den Fuß auf den Boden gesetzt, so stürzte verstört mit irren Augen halbnackt, zerzaust ein Mensch auf sie zu, warf sich vor Jesus und wimmerte jammernd: „Was willst du von mir? Schon wieder Gewalt? Ich beschwöre dich bei den schweifenden Geistern: Komm mir nicht nahe und quäle mich nicht!" Der Herr rief heftig:„Nenne den Namen!" auf daß er den Dämon zu dämpfen vermöchte. ( Wer den Namen weiß, hat des Geists Gewalt!) 1040 Er jammerte hündisch: „Ich heiße Legion; denn unser sind viele in ihn gefahren." Und bat und bettelte, drängte und drohte, er möge im Land die Dämonen lassen! (Er hauste am Ufer in Höhlengräbern,

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die im weichen Felsen sich zahlreich fanden. Man hatte daheim ihn an Händen und Füßen aus Furcht mit Stricken gefesselt und Ketten. Doch es half ihnen nicht; denn er hatte dann heimlich die Stricke zerrissen, die Ketten zerrieben 1050 und war endlich auf und davon geeilt und weilte nun Tag und Nacht in der Wildnis in den Gräbern und Grüften, in Busch und Berg und schluchzte und stöhnte und schlug sich mit Steinen.) Nun weidete dort unweit am Berge eine Herde Säue. Die sah der Besess'ne, lärmte und ries: „Ha, laß uns darein I" Und ehe der Meister sich's war vermutend, so tobt der Tolle und jagt die Tiere — Sie stürmen hinzu auf den steilen Abhang 1060 und stürzen hinab und ersaufen im See. Die Hirten hasten kopflos von hinnen und melden bestürzt die Mär in der Stadt und in den Gehöften. Da eilen die Herren, die Besitzer der Säue, entsetzt herbei und stürmen zur Stelle und sehn den Besess'nen in des Meisters Nähe, bekleidet, vernünftig und ruhig sitzen. Sie stehen ratlos, wie das möglich gewesen, den Menschen zu meistern, den niemand bisher zu halten vermocht. 1070 Und die Augenzeugen erzählen den Austritt. Und Furcht befällt sie; sie wagen kein Wort, den Meisterer solcher Dämonen zu schelten, sie bitten ihn nur, ihr Gebiet zu verlassen. Da stieg er ins Boot. Doch bat der Entbanme: „Laß mich dir folgen I" Er litt es nicht und bedeutete ihm: „Gehe dort zu den Deinen und verkünde daheim, wo alle dich kennen, wie der Herr dir heute barmherzig begegnet und Heil dir und Hülfe bescheret hat." 1080 So stieß das Boot vom Gestade der Bucht gen Westen und jener wandte sich heimwärts. In der Sonne glitzert' und gleißte der See, ein stäter Wind gewährte dem Steuerer, Auge und Ohr fast völlig der Fahrt zu entziehn und dem Meister zuzuwenden, der mit den Freunden an Bord sich befragte. Da hob einer an: „Johannes der Täufer hat ein Gebet seinen Jüngern geboten. Sag doch auch du uns solch ein Gebell" 1090 So bat er den Meister. Der sprach • „Wenn ihr betet, so plappert einher nicht wie die Heiden. Die meinen: Wenn sie viel Worte machen,

29 So werden gewiß sie ooim Himmel erhört. Ihr aber sollt es nicht also haltenI Euer Vater weiß ja, was euch fehlt, noch ehe ihr bittet. So bietet denn also: Mater, dein heiliger ©eifit erfüll' uns und reinige uns! *) Es komme dein Reich! Dein Wille geschehe, rote schon im Himmel, 1100 also hienieden auch auf Erden! Unser Brot für morgen brich uns heute! Und schenk' uns allen unsere Schuld, wie auch wir den Schuldnern die Schuld erlassen I Und führe uns nicht in die Anfechtung, sondern birg uns vor dem Bösen!" Da äußerte unter dem Jüngern einer: „Die Rabbiner lehren doch vom Gebete, Der Herr sei hehr und hoch erhaben, man dürs' ihm mit irdischen Dingen nicht nahn!" 1110 Da erwiderte Jesus: „Was wissen jene von unserm Vater?! Ich aber sage: Kittet, so sollt ihr empfangen! Suchet, so werdet ihr finden! Klopfet an, so wird euch aufgetan I Denn wer da bittet, empfängt; und wer da suchet, der findet; wer da anklopft, dem wird aufgetan! Mo ist unter euch ein Vater zu finden, so ihn sein Sohn um ein Brot ansucht, 1120 der anstatt des Brots einen Stein ihm böte und für einen Fisch eine schlimme Schlange? Oder er geht ihn an um ein Ei, und er gäbe dem Jungen einen Skorpion? So denn ihr, die ihr arg seid, dennoch Bedacht nehmt, euren Kindern gute Gaben zu geben, wie viel mehr wird im Himmel der Vater heiligen Geist den Bittenden geben!" Mie er dessen noch dachte, da huschte heimlich ein schelmisches Lächeln um Jesu Lippen; 1130 denn ihm schoß durch den Kopf ein köstlich Geschichtchen. So fuhr er denn fort: „In finsterer Nacht schrickt einer empor: Es pocht an der Türe! Da vernimmt er des Nachbars notvolle Stimme: „Leih' mir doch, Lieber, drei Laibe Brotes! Ein Bekannter ist zu mir gekommen auf Reife, und ich finde nicht, was ich ihm vor kann setzen." Er entgegnet dem Dringlichen draußen und ruft: „Was denkst du dir denn? Mir die Mühe zu machen? *) So der Anfang des Vater-Unfers nach bester Lesart.

30 Das Haus ist geschloffen, die Kinder schlafen 1140 hier bei mir im Bette. Ich kann nicht kommen!" Ich sage euch: Sollte er auch nicht ausstehn, das Gefragte zu geben, weil es fein Freund ist — doch um der dreisten Zudringlichkeit willen geht er und gibt ihm, was er begehrt! — Oder seht auch so: An einem Orte befand sich ein Richter, der Gott nicht fürchtete und auch an keinen Menschen sich kehrte. Nun wohnte in selbiger Stadt eine Witwe, die rief ihn an: „Gib mir mein Recht 1150 vor dem Widersacher!" — er wollte zuerst nicht. Danach aber sagte er bei sich selbst: „Obschon ich Gott im Himmel nicht scheue und auch an keinen Menschen mich kehre — doch weil dieses Weib mir lästig wird, so will ich ihr dennoch ihr Recht gewähren; sonst kommt sie am Ende und springt mich an!* Und der Herr sprach: „ Hört, was der Richter redet I Und Gott, den Gerechten, sollte nicht rühren das Seufzen der Seinen Tag für Tag? 1160 Fürwahr, er wird ihrer bald sich erbarmen I * — Unter solchen Worten war denn ihr Segel dem Gestade Kapernaums zugesteuert. Jetzt setzten sie sachte es auf den Sand und wateten hin durch» seichte Gewässer; ihrer etliche aber bargen das Boot und schoben es rasch mit Schulter und Rücken, bis es sicher ruhte vor Sturm und See. Am Ufer stellte sich bei der Ankunft des Meisters alsbald die Menge ein. 1170 doch ehe er anhob, vor ihnen zu reden, kommt einer der Synagogenältesten, erkennt ihn kaum, fällt ihm zu Füßen und fleht: „ Mein Töchterchen ist am Tode — komm doch und hebe die Hand über sie, dann wird sie geheilt und bleibt uns erhalten I * Und der Meister, von Mitleid heiß übermannt, entschloß sich, dem Vater sofort zu willfahren. Da der Haufe hörte, worum es sich handle, so folgten ihm viele dicht auf dem Fuße 1180 in der Hoffnung, Wunders ein Stück zu gewahren. Nun wohnte daselbst ein Weib im Orte, das am Blutflusse litt seit langen Jahren, viel ausgehalten von allerhand Heilern und all ihr Gut an die Argen vergeudet; und hatte doch nichts ihr alles genützt, nur übeler war's mit der Armen geworden.

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Die hatte gehört von der Heilkraft Jesu und kam nun, zermürbt und zermartert vom Kummer, nur hingehalten von letzter Hoffnung 1190 (denn sie wähnte:„Wenn ich nur sein Gewand berühre, so werd' ich gewiß gerettet I") und drang in dem dichten Haufen hindurch, bis sie ihm folgte hart auf der Ferse. Da bückt sie sich hastig, erhascht und küßt den Saum des Gewandes, und sieh — du versiegt der Quell ihres Bluts; erquickt verspürt sie daß sie plötzlich frei ihrer Plage ist. Doch der Meister merkte den Ruck am Mantel und kehrte sich um und erkundigte sich: 1200 „Wer hat mich gehalten an meinem Mantel?" Die Jünger entgegneten Jesu jedoch: „Du siehst, wie die Menge dich drängt und sagst: „Wer hat mich gehalten an meinem Mantel?" 1" Und er spähte harrend umher in dem Hausen, um den zu entdecken, der es getan. Das Weib aber, wissend, wie ihr geworden, von Jesu Blicke getroffen, erbleicht, kommt bebend herbei und fällt ihm zu Füßen und bekennt ihm weinend die ganze Wahrheit. 1210 Den Meister wundert's, daß ohne sein Wissen dem Weib von dem Leiden Erlösung geworden. Hat Gott der Verschämten gegönnt, daß ihr Wahn, das Gewand zu berühren, ihr Rettung gewährt? Sie rührt ihn in all ihrer Ratlosigkeit, in der seltsamen Zuversicht ihrer Seele. Wie könnt' er sie tadeln? Er spricht: „Meine Tochter, dein Glaube, der hat dir zur Heilung geholfen I Geh hin in Frieden und bleibe frei von deiner Geißel durch Gottes Güte!" 1220 Noch ehe er ausgeredet mit ihr und sich weiter gewendet, da kamen des Weges vom Gesinde des Altsten der Synagoge etliche eilend herbei mit der Botschaft: „Deine Tochter ist tot! Was bemühst du den Meister?" Der Vater stand verstört, ohne Fassung, sein Auge suchte voll Angst den Meister. Doch Jesus will von dem Worte nichts wissen, er kehrt an die neue Kunde sich nicht, er träufelt Trost in die Brust des Gebrochnen: 1230 „Verzage noch nicht! Vertraue nur! Das Leben liegt in der Hand des Höchsten. Hoffe und harre, bis selber wir sehn." Und er ließ ihrer keinen mit ihnen kommen; nur Simon, Jakobus, Johannes erkor er,

32 ihm und dem Vater zum Hause zu folgen. So kommen sie an beim Tore des Ältesten und finden das Haus erfüllt von Lärm, von schrillem Wehegeschrei und Weinen. Und Jesus tritt ein: „Was jammert und weint ihr 71240 Wer weiß, ob das Kindlein wirklich tot ist? Es ist wohl eingeschlummert und schläft." Da die Leute das hören, ist Hohngelächter ihre einzige Antwort. Da jagt sie Jesus hinaus und nimmt nur des Mägdleins Mutter, den Vater und die er zu folgen gebeten, zu dem Kind in die Kammer. Da lag es gelehnt an hoch zu Berge gehäufte Betten, das süße Gesichtchen zur Seite gesunken, bleich, ohne Blut, die Lippen bläulich. 1250 Und die Mutter schluchzte:„So ist sie entschlummert, da auf ich sie setzte, mir umgesunken. Und wie ich auch rufen und rütteln mochte — leblos blieb sie wie eine Leichei" Da umfaßte der Meister die Maid mit dem Arme und befahl der Mutter, die Menge der Kissen hinwegzunehmen, und legte nieder behutsam den Leib aufs ebene Lager; dann horchte er, ob er das Herz noch höre. Und sieh — er vernimmt noch facht ein Pulsen, 1260 und langsam läuft zu Haupt und Hirne das Blut und färbt die fahlen Wangen I Da ergreift er die Rechte des Mädchens und ruft: „Talitha, kumi I" („Kindlein, auf I") Und sie hört's I Und langsam hebt sie die Lider, sieht träumend um sich und richtet sich auf. Und während sie alle außer sich sind, versetzte der Meister; „Nun sorgt, daß sie esse I" — Nicht lange, so lief das Gerücht in die Runde: „Sogar die Gestorbenen stehn wieder auf 1270 unter seiner Hand! In des Obersten Hause hat er die Tochter vom Tode erweckt." Ob den Meister erreichte solches Gerede — wer will es sagen? Die Menge suchte ihr Wunder und hatte es hier erhascht.

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Dritter

Gesang

streit Es begab sich in jenen Tagen, daß Jesum der Frommen einer zum Essen einlud, einer von jenen eifernden Juden, die nach der Rabbiner Geboten und Regeln das Gesetz im Wandel gewissenhaft wahren, 1280 vor allem besorgt, sich rein zu halten von jeder Berührung mit Sündern und Heiden. Die „Pharisäer" — „die ab sich sondern" — hieß man daher sie. Und sie erhofften, durch Einzelbeachtung aller Gebote (und jede galt für ein gutes WerkI) mit solchen Werken gleichsam gewappnet als einem Harnisch, einst hinzutreten vor Gott, den Gerechten, und also gerüstet (so rechneten sie!) dem Gericht zu entrinnen. 1290 So sannen und tüftelten Tag und Nacht sie an dem Gesetz und der Väter Satzung und sonnten sich satt in solchem Beginnen, dos nur der Begüterte sich mag gönnen, da dem Armen vor Arbeit die Muße mangelt. Ein solcher Pharisäer war Simon, der den Meister heute zum Mahle geholt. Denn anders als ihre Priesterobern, die freundlich zu allem Fremden sich stellten, da sie den Heiden die Herrschaft verdankten 1300 und wünschten, daß sie auch währe und dauere, hofften die Heidenfeinde und harrten des Rachegerichts über Rom und Herodes und der Himmelsherrschast der Heil'gen des Höchsten. Nun schien dieser Jesus dem eifrigen Juden mit seiner Verheißung, das Heil sei nahe, vom Höchsten bewährt durch Heilgewalt. Was Wunders, wenn er zu sehen ihn wünschte und ihm zu Ehren zum Gastmahle einlud die ehrengeachteten Männer im Orte 1310 und etliche auch von Jesu Jüngern. Der Meister lehnte die Ladung nicht ab

34 und stellte sich ein zur bestimmten Stunde. Und gönnerhaft ging ihm der Hausherr entgegen. Da nun die Gäste zur Tafel gingen, bemerkte der Meister, wie sie mit Miene und Augenblitz um die Ehrenplätze insgeheim gehässig und hämisch haderten. So sagte er, als sie nun saßen, spöttisch — (Ein Gottesmann ist kein bequemer Gast!) „Wird einer zur Hochzeit eingeladen, der sollte sich nicht zu oberst setzen. Es könnte ein Edlerer etwa als er unter den Gästen zugegen sein und der Hausherr käme und täte ihm kund: „Dein Platz ist dem dort zugedacht!" und er müßte verwirrt dem andern weichen und fände nur unten am Ende noch Raum! Wer klug ist, läßt sich, wird er geladen, lieber nieder am letzten Platze. Dann kommt der Hausherr vielleicht und holt ihn und redet ihm zu: „Mein Freund, so rück' doch hier oben heran auf die Ehrenplätze!" und er steht geehrt vor allen den Gästen." über dem Essen aber begann er: „Warum nur ladet ihr reichen Leute zu Früh- und Abendmahl Freunde ein, nahe Verwandte und reiche Nachbarn? Damit die Bewirtung erwidert werde und einer beim andern sich lab' und erlust'ge? Nein, willst du wirklich ein Gastmahl geben, so lade doch lieber Blinde und Lahme und andere Krüppel und Arme ein! Dann wirst du wahrlich selig sein, denn da kannst du aus keine Erkenntlichkeit rechnen. Aber Gott wird dir's gewiß vergelten und einst an seine Tafel dich setzen, wo du ihm dann auch nicht weißt zu erwidern!" Doch sieh — wer huscht da herein zum Saale? Eine Sünderin dort und Dirne im Orte hatte gehört, daß Jesus im Hause des Pharisäers zum Festmahle sei. Da schob sie sich scheu und schüchtern herein und hockte sich heimlich hinten zu Füßen an Jesu Polster, und Tränen perlten der Tiefbewegten über die Wangen. Sie fielen und netzten die Füße Jesu, und hastig mit ihres Hauptes Haaren wischt sie sie fort und küßt die Füße.—

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35 Wie war das Lasterleben ihr leid, seit des Meisters Worte ihr Mut gemacht, mit dem Troste von Gottes vergebender Treue einen sittsamen Wandel aufs neue zu wagen I Wie hatt' es im Herzen sie heiß gebrannt, ihren Dank dem Erlöser darzubieten und ein holdes Wort von ihm zu erhaschen 1 Der wandte sich um zu ihr, verwundert, er las ihr im Antlitz Elend und Leid und die bittere Lust, ihr Laster zu büßen, in dem tränenden Auge die Angst um Trost. 1370 Da schaut' er sie an mit ernstem Blicke und nickte ihr leise liebreich zu. Doch als sie ersah der Pharisäer und gewahrte, daß Jesus sie ließ gewähren, da dacht' er für sich: «Wäre der gesandt von Gott als Prophet zu unserem Volke — so wüßte er, wer und was dieses Weib ist, und ließe sie nicht seinem Leibe nahnl" Jesus merkte an seiner Miene, daß er derlei Gedanken im Busen barg. 1380 Da rief und redete er ihn an: «Simon, ich habe dir etwas zu sagen!" Simon gab Antwort:„Meister, sag an!" — „Ein Geschäftsmann hatte einmal zwei Schuldner. Der eine schuldete achtzig Denare, der andere aber ihrer achthundert. Doch da er erkannte, daß keiner von beiden imstande sich zeigte, die Schuld zu bezahlen, so erließ er zuletzt allen beiden die Last. 1390 Welcher wird das nun am meisten ihm danken?" Simon versetzte: „Ich möchte meinen, der die größere Schuld geschenkt bekommen I" Da wies der Herr auf das Weib und sagte zu seinem Wirte: „Siehst du dies Weib? Ich bin in dein Haus gekommen — du hast mir kein Wasser, die Füße zu waschen» gereicht; sie aber hat mit heißen Tränen meine Füße genetzt und sie abgetrocknet in ihrem Haare mit eigener Handl Du hast mir keinen Kuß geboten; 1400 doch diese, seitdem sie sich niedergeduckt, hat den Fuß mir zu küssen, nicht lassen können. Drum sage ich: Sieh I Ihrer Sünden Fülle ist ihr erlassen nach all der Liebel" Simon verzog süßsauer den Mund. Da» Weib aber warf sich nochmals nieder

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über Jesu Fütze und wandte sich fort. Das Mahl ging zu Ende. Der Meister nahm Abschied. Doch Simon war nicht der Seine geworden I Mir er trat auf die Stufen der Treppe am Hause, 1410 von Simon lässig hinausgeleitet, sah er dort etliche sitzen und harren. Die kamen mit ihren Kindern heran und ersuchten die Jünger: „Bittet doch Jesum, die Hand den Kleinen aufs Haupt zu legen und göttlichen Segens sie zu versichern I" Doch die Jünger fuhren sie finster an: „Ihr müßigen Weiber, meint ihr, der Meister habe Lust, seine Zeit zu verzetteln mit Kindern? Der hat höherer Dinge als dessen zu denken I" 1420 Da das Jesu ans Ohr schlug, ward er unwirsch. Wie täuschten sich doch die düsteren Toren, zu wähnen, er wandele nur in den Wolken und habe kein Auge für Gottes Erde und all das Liebliche, das darauf lacht, für die heilige Harmlosigkeit der Kinder, die arglos und ohne rechnenden Anspruch genießen und nehmen, was Gottes Gunst den Seinen beseligend schenkt in den Schoß. So dämpft' er die übereifrigen Diener: 1430 „Lasset die Kinder doch zu mir kommen und wehrt ihnen nicht I Denn wahrlich, ich sage euch: Solchen gehört die Herrschaft Gottes! Denn wer die Herrschaft Gottes nicht hinnimmt wie ein Kind, wird nimmer ihrer genießen I" Und er rief die Kleinen heran zu sich, ihre Scheu mit Scherzen heiter verscheuchend; denn ein rechter Mann weiß Mittel und Rat, des jungen Völkleins Herzen zu fesseln; und er hob sie empor und herzte sie 1440 und küßte die Köpfchen. Dann hielt er die Hände auf die holden Häupter und segnete sie. Und den Müttern rief er ermunternd zu; „Gott lasse euch Unschuld lernen an ihnen!" Und ging davon mit seinen Gefährten. Die Jünger Johannes des Täufers hielten, auch feit der Prophet im Gefängnis seufzte, noch treu zusammen in Sitte und Trauer. Und wie ihr Meister sie weiland gemahnt, durch Fasten in Buße sich zu beugen 1450 vor Gottes Zorne, auf daß er verzeihe und einst im Gerichte der Reuigen schone, so fasteten sie zu festen Zeiten,

37 in Demut geduckt und düsterem Leid. Desselbigen Sinns die Pharisäer warteten fester Fastengewohnheit, die Gesetzesversäumnis im Lande zu sühnen und Trauer zu tragen um Israels Unglück: Ob endlich es etwa den Ew'gen erbarme, die Söhne Abrahams anzusehn, die, während er zaudert, zagend vergehen. Nun fasteten wieder die Pharisäer und die Freunde Johannis zu ihrer Frist; Jesus und seine Jünger indessen nahmen nicht teil an dem finsteren Tun. Das war den Frommen doch gar zu befremdlich, daß einer, der eben gleich ihnen mit Inbrunst, auf das Reich sich zu rüsten, die Menschen mahnte, zu Zeiten, wo andre mit Zittern und Zagen des Ewigen Angesicht suchen zu sänst'gen, mit leichtem Sinne des Lebens genieße. So kamen denn etliche, sich zu erkundigen: „Die Pharisäer erfüllen ihr Fasten, und die Jünger Johannis halten es auch. Was fasten deine Gefährten denn nicht?" Da maß sie der Herr mit heiterer Miene: „Sollen die Hochzeitsgäste denn hocken und finster fasten am hohen Fest, noch während der Bräutigam weilt bei ihnen? Ja, wär' euch gewiß wie mir und den Meinen, daß die Zeit der Erbarmung herbeigekommen, ihr würdiet euch freuen und ftöhlich sein wie Kinder, wenn fernher kehrt der Vater. „Aber niemand näht auf den mürben Mantel einen ungewalkten Lappen, der einläust; Sonst reißt der Flicken am Rande aus, und es gibt einen ärgeren Riß denn ehedem. Noch tut man auch Most in mürbe Bälge; sonst sprengt der Most die spröden gar bald, und ist so Gehalt wie Hülle dahin! — Verharret ihr bei der alten Art! Sonst reißt ein Neues das Alte euch nieder, und euch bleibt nichts, weder alt noch neu. Doch sinnt auch den Erben des Reiches nicht an, in der Enge zu seufzen der alten Sitte!" So schieden sie sich wie Schatten und Sonne: Ein Volk im Finstern, im Todestale verkehrt, verkümmert in friedloser Fron; Doch er und die Seinen dem Sonnenaufgang der Herrschaft Gottes über die Herzen

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frohlockend, erlöst entgegengehend I Die jüdischen Zöllner, die Schoß einzogen an Wegen und Toren von Wandrern und Waren, waren Angestellte und Asterpächter der römischen Banken, die für ein Bargeld die Gefälle weiter Provinzen pachteten. Sie waren verfehmt im jüdischen Volke: Die als Helfer frönten den Heiden und Fremden und die Gelder erhoben mit Habgier und Härtel Auch machte zumeist ihr Amt und Umgang 1510 mit Griechen und Römern ihnen, die Reinheit dem Gesetze gemäß zu bewahren, unmöglich. Drum hielt man sie selbst wie heidnische Sünder, die ein echter Israelit verabscheut. Besonders so fühlten die Pharisäer, Doch Jesus verachtete grimm ein Urteil, das starr ergeht über ganze Stände und den einzelnen ost zu Unrecht trifft, indes die Verdammer in müßigem Dünkel, anstatt der Verrufenen Rettung zu suchen, 1550 sie dem Untergang liebelos überlassen. So hatte er zu sich herangezogen den Zöllner Levi. Der lud ihn ein zu einem Gastmahl, das er ihm gab. Und der Meister kam; doch es kamen nicht minder von Levis Genossen genug der „Verlorenen", der „Zöllner und Sünder" zu solcher Gesellschaft. Und die Jünger und Jesus aßen mit ihnen. Und wie ihn Levi mit Speise letzte, so labte ihn Jesus mit göttlicher Lehre, 1530 Und die Gäste lauschten vom Lager ihm gern.— Da kamen vorbei am Hause Rabbiner von den ab- sich sondernden Pharisäern; Die sahen den Meister beim Mahle dort sitzen und blickten sich an und blinzten auf ihn und fragten befremdet, da just ein Jünger zur Türe des Saals heraustrat: „Sage, hält euer Meister denn Tischgemeinschast mit Zöllnern und Sündern?" Doch Jesus sah sie und fing die verwunderten Worte auf, 1540 reckte empor sich auf seinem Polster und warf ihnen zu die zürnenden Worte: „Die Kräst'gen benöt'gen des Arztes nicht, sondern die Kranken. Ich bin nicht ersehen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder! „Mas dünkt euch da: Wenn einer von euch

39 eine Herde hat von hundert Schafen und eines von ihnen verirrt sich ihm — wird er dann nicht die neunundneunzig auf den Bergen lassen und nach dem Verlornen suchen und forschen, bis er es findet? Und hat er Gelingen und findet das Schäf­ er hebt das Verlorne froh auf die Schultern. Ich meine, fürwahr, er freut sich mehr über das eine als über die andern, die neunundneunzig, die nicht verirrt sind! „Oder ein Weib erwirbt zehn Taler und verliert einen einzigen unter ihnen: Sie wird auf der Stelle ein Licht anstecken und das Haus von oben bis unten fegen und sorgsam suchen, bis sie ihn findet. Und wenn sie ihn findet, so winkt sie gewiß ihre Basen und Nachbarinnen herbei: „Denkt doch, ihr Frauen! Diese Freude: Der Taler, der mir aus meiner Tasche war fortgekommen, der hat sich gesunden!" — Und ich sage euch: Über einen Sünder, der in sich geht und Gnade begehrt, wird höhere Freude im Himmel herrschen als über neunundneunzig Gerechte, die nimmer der Reue und Buße benöt'gen!" Kie wandten sich ab mit Achselzucken. Der Meister hingegen begann inmitten der Tischgenossen die Gegner zu tadeln: „Was rechnen und feilschen die Pharisäer Um den Wert und Lohn ihrer Werke mit Gott?! Als ob es gelänge, je mehr zu leisten, wofür es erlaubt wäre, Lohn zu erwarten I Was Gott uns gönnt, das gibt er aus Güte! „Wer ist unter euch, der auf dem Acker einen Sklaven hat oder bei der Herde, und der kommt vom Felde — und er empfinge ihn: „Hurtig, mein Sohn, komm her zu Tische I" ? Ich möchte vermuten, er sagt zu ihm so: „Schaff mir zu essen! Eile und schürz dich und trage mir auf, daß ich esse und trinke und nachher nimm dir und iß du auch I" Ist er dann etwa dem Diener noch dankbar, daß er vollsührt, was ihm besohlen? Also auch ihr, wenn ihr alles getan habt, was euch gesetzt ist, so saget: „Wir sind das Gesinde; wir haben besorgt, was uns obliegt."

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„Doch jene, die sich armselig seit Jahren gemüht um die Bürde von Menschengeboten, um Gerechtigkeit ohne Fehl zu erringen, geben nicht zu, daß Gott aus Güte verlorenen Seelen, die jetzt sich besinnen, den nämlichen Lohn wie ihnen verleihe! Sie meinen, sie müßten doch mehr erlangen, oder jenen müsse das Maß er mindern. 1600 Was köstlicher kann denn ein Vater den Kindern bereiten als einzig sein ewiges Reich? Und will er das spenden auch an die Späten — wer ist so voll Abgunst, es ihm zu verargen? „Ein Gutsherr machte am Morgen sich aus, Arbeiter zu werben für seinen Weinberg. Und als er mit etlichen eins geworden Um einen Taler zum Tagelohn, schickt' er sie weg ans Werk in den Weinberg. Um neun Uhr macht' er sich nochmals auf. 1610 Da sah er am Markte noch andere müßig und sprach zu ihnen:,,Geht doch auch ihr zum Weinberg. Ich will euch gewähren, was recht ist." Sie begaben sich hin. Doch der Gutsherr ging um zwölf und drei Uhr zum dritten und vierten, und abermals fand er etliche feiernd und warb auch sie in derselben Weise. Endlich vor Feierabend um fünf da ging er noch einmal aus und gewahrte immer noch einige müßig und mahnte: 1620 „Was geht ihr säumig den ganzen Tag? Sie erwiderten: „Uns hat keiner geworben." Er sprach:„So eilt auch ihr in den Weinberg!" „Als es nun Abend geworden war, sagte der Weinbergsherr dem Verwalter: „Rufe die Leute und reiche den Lohn und fange an mit den letzten zuerst, danach die andern und endlich die ersten!" Da kamen zuerst die um Feierabend und empfingen jeder den vollen Taler. 1930 Doch als nun die ersten die Hand aushielten und meinten, sie würden doch mehr bekommen, und erhielten auch nur den einen Taler, da begannen sie ärgerlich aufzubegehren: „Was haben die letzten denn heute geleistet? Eine einzige Stunde! Die stellst du wie uns, auf denen die Last des Tages gelegen und seine Hitze!" Da sagte der Herr:

41 zu einem von ihnen: „Ich tu dir nicht Unrecht! Denn ich frage dich, Freund, wie ist es gewesen? 1640 Sind wir nicht eins mit einander geworden um einen Taler zum Tagelohn? So nimm dein Geld und geh deiner Wege! Ich wünsche den letzten den Lohn zu gewähren, den ich dir gewähre. Ich darf doch wohl mit dem Meinigen machen, was ich will?! Oder schaust du scheel, daß ich schenken will?" So lebte der Meister mit den Verlorenen und suchte und fand der Verfehmten Sinn Und wahrlich, seliger ist's zu sorgen 1650 um den kranken Baum, daß er kräftig werde, denn ihn dürr zu verdammen zu Fall und Feuer. An der Juden Gesetze hieß es vom Sabbath, dem siebenten Tage, an dem in der Sage nach der Welterschaffung der Schöpfer einst selber vom Werke gerastet und ausgeruht: „Der siebente Tag ist der Sabbath Iahwehs, deines Gottes, da wirst du kein Werk beginnen; weder dein Weib, dein Sohn, dein Gesinde, dein Ochs oder Esel, noch endlich der Fremdling 1660 in deinen Toren darf Arbeit tun!" Und in jenen Tagen, da Jesus auftrat, war sorgliche Heilighaltung des Sabbaths der strengen Juden peinlichstes Streben: „Wenn nur ganz Israel endlich ein Mal zwei Sabbathe nach dem Gesetze verbrächte, so mUßte der Ew'ge sich unser erbarmen und die Herrschaft des Reichs der Heil'gen errichten!" So seufzten Rabbiner und so Pharisäer. Und so rührend wie lächerlich lehrten und rieten 1670 die Rabbiner, wie das Gebot aufs beste man halte und vor Übertretung sich hüte. Da bedrohten sie neununddreißig Geschäfte als sabbathschändende Arbeit mit Schuld als: Ackern und ernten, Mehl zu mahlen, Feuer zu fachen, zu brühen und braten und andere ernstliche Arbeit mehr. Doch ebenso auch: Einen Knoten zu knüpfen zu schreiben, was einen Laut überschreitet, mit der einen, der andern Hand oder mit beiden, 1680 mit einer-, mit zweier-, mit allerlei Tinte; doch wer auf Boden und Wand zwei Buchstaben oder aus zwei Wände sie wirst, ist frei. Der Knoten des Knechts, der die Ballen bindet

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mit Stricken, ist strenge als Sünde versagt, doch freigegeben am Gürtel der Knoten; drum stürzt in eine Zisterne am Sabbath ein Mensch, und du hast keinen Strick zur Hand, der lang genug ist, ihn hinunterzulassen — so darfst du mitnichten zwei Stricke nehmen 1690 und zusammenknoten — das wäre dir Sünde — doch Gürtel und Schärpen magst du dir schürzen; denn am Gürtel den Knoten gibt man dir frei. Es ist nicht erlaubt, eine Last zu tragen von einem Bereich in den andern hinein. Drum sehe am Sabbath der Schneider sorgsam seine Kleider nach, daß nicht eine Nadel drin bleibe haften; verläßt er den Hof und geht zum Nachbar, die Nadel im Zeuge, — den Sabbath verletzt er: Er trägt eine Last! 1700 Doch wenn ihr den Eingang und Ausgang der Gasse mit Seilen absperrt und sagt: „Für den Sabbath sei unsere Zeile ein einz'ger Bezirk I" , so hebet und holet von Hause zu Hause an Lasten, soviel ihr es Lust und Not habt. Es ist recht und geraten, ihr bleibt im Bereich I So tüftelten täglich an toten Werken ohne Auge und Acht auf Seele und Sinn die Schristgelehrten verschroben und lächerlich, aber — oh — wie oft auch herzlos und Hartl 1710 Was lag daran, ob ein Mensch noch litt und stöhnend lechzte, die Stunden belauernd — wenn die Sabbathruhe gerettet nur war?! Ist etwa ein Mensch beim Sturz einer Mauer verschüttet — ja darf man mit Hacke und Schaufel der Last ihn entled'gen, die auf ihm liegt? Nur wenn die Gefahr des Lebens es fordert! und dann nur soviel, daß er außer Gefahr ist. Was sonst auf ihm lastet, beseitiget später, und bleibe der Sabbath unversehrt! 1720 Doch war das nicht Wahnwitz, tödliche Tollheit, niemandem nütze, nur Last und Leid? — „Wie der Mensch dabei fährt, was ficht's uns an? Das Gesetz zu erfüllen, ist Segen an sich. Sein Wille bestehe und stürze die Welt!" Sv schreckten den Menschen die Meister der Schrift; doch der Meister der Wahrheit würgte den Wahn! Vernehmt, wie er stritt bei Narrheit und Not : Es begab sich am Sabbath, da er ging durch die Saat, und die Jünger rupften sich Ähren ab, 1730

43 entliehen die Körner und aßen sie auf. Da sagten die Pharisäer zu ihm: „Siehe, was tun sie am Sabbath da, was nimmer erlaubt ist I" — (O lacht nicht der Narren, die „Erntearbeit" das Nichtige nennen, wenn Wandrer am Wege etliche Ähren, die der Herr des Ackers selber nicht achtet, halb spielend raufen und hungrig verspeisen. Wird Nichtiges erst genau genommen, so wird das Wichtige eilends verachtet!) 1740 Der Meister versetzte auf solchen Vorwurf: „Habt nie ihr gelesen, wie David in Not, da er Mangel litt mit den Mannen und Hunger, beherzt einging in das Gotteshaus und die Schaubrote aß, die außer den Priestern niemand darf nehmen, und reicht' auch den Recken? So ist der Mensch auch Meister des Sabbaths! Denn der Sabbath ist da um des Menschen willen und nicht der Mensch um des Sabbaths willen!" Da waren sie, mein' ich, aufs Maul geschlagen 1750 und zogen in zorniger Ohnmacht ab. Noch war's nur mit nichtiger Narrheit ein Kampf, den der Meister gewonnen mit wuchtigem Wort. Bald mußt' er ihr finsteres Murren erfahren, da am Sabbath er wendete Not und Weh. Gr sprach in der Synagoge am Sabbath, Und siehe, da wankte ein Weib heran, das war verkrümmt; ihm fehlte die Kraft, den Rücken gerade aufzurichten, Man sagte, es fei ein Geist vom Satan, 1760 der schlimm sie geschlagen mit solcher Schlaffheit. Da gewahrt sie der Meister und winkt sie heran und spricht:„Du bist deiner Bürde entbunden!" und rührt mit der Hand an ihren Rücken, sie hebt sich und — richtet gerade sich auf und preist den Höchsten, der so ihr geholfen! Doch der Alt'ste der Synagoge, in Arger, daß Jesus den Sabbath versehrt durch die Heilung, — den Meister zwar meinend, doch Mutes ermangelnd — wandte ans Volk sich mit folgenden Worten: 1770 „Sechs Tage sind's, da fei man tätig; An denen könnt ihr um Heilung kommen! Was also wollt ihr den Sabbath entweihn?" Da ergrimmte der Herr, und er grollte: „Ihr Heuchler, löst seinen Ochsen und Esel am Sabbath nicht jeder von euch von der Krippe ab

44 und fiihrt ihn zur Tränke und treibt doch nur Vieh?!" Und hier diese Tochter Abrahams, die der Böse die langen Jahre gebunden, war dessen am Sabbath so sehr nicht bedürftig, 1780 loszukommen von ihrer Kette? „Ihr lernt das Gesetz und lest nicht darin, daß die Priester im Tempel am Sabbath tun, was ihr Arbeit heißt, und ihn doch nicht entheil'gen? Doch ich sage euch wahrlich, das sollt ihr wissen: Mein Tun ist wicht'ger denn Tempelwerk! Ha, wo ihr begriffet das große Wort: „Barmherzigkeit heisch' ich von euch, nicht Opfer!" — ihr sprächt über Unschuld also nicht ab I" Einst auch, da er saß in der Synagoge, 1790 war dorten ein Mensch, dessen Hand „verdorrt" sei, so nannten sie es. Ob seine Ernährung so schwer gelitten, daß Schwund der Muskeln ihn ergriffen und Sehnen und Muskeln versagten, wie es geht, wenn die Säfte des Menschen verseucht sind, wer will es wissen? Uns meldet Markus: Die Hand versagte ihm den Gehorsam. Schon lugten die Gegner und lauerten auf, ob der Herr am Sabbath die Heilung versuche: um Klage wider den Mann zu gewinnen. 1800 Dem Meister entging ihre Mißgunst nicht. So mußte denn brechen, was biegen nicht mochte! Es galt, bei Namen den Wahnwitz zu nennen, Dieser Lehre Lieblosigkeit zu entlarven! Und der Meister rief den Menschen heran mit der siechen Hand und sagte herrisch: „Erhebe dich Mann, tritt her in die Mitte! " Der gehorchte furchtsam und blickte forschend auf Jesu Züge, die Zorn durchzuckte, und der Schristgelehrten lauernde Mienen. 1810 So stand er verlegen in lastender Stille. Da versetzte der Meister: „Soll man am Sabbath wohltun oder wehetun, das Leben bewahren oder erwürgen?" Jedoch sie schwiegen. Da in die Schwüle fuhr seines Blickes blendender Blitz und rollte sein Ruf wie Donnergedröhn: „Hervor mit der Hand und die Finger gereckt!" Da galt kein Sträuben: Er strengt sich an, die Finger folgen — die Hand gehorcht! 1820 Da schalt er die Scheelen: „Ja, wenn euch ein Schaf in die Grube stürzt — das greift ihr und helft ihm

45 und zieht es heraus ohne Rasten und Zaudern. Und ich meine, ein Mensch ist mehr denn ein Schaf! Ko begann der Kamps des Gotteskühnen mit der Leib und Gemüte mordenden Lehre der oerbiss'nen Rabbiner und ihres Anhangs der gesetzesseligen Pharisäer.— Die zuerst dem Ruser zum Gottesreiche als einem der Ihren entgegengegangen, die erkannten schaudernd den Schonungslosen der kühn den künstlichen Bau der Rabbiner zusamt dem Gesetz, das er schirmen sollte, mit verwegenem Worte blendender Wahrheit durchleuchtete bis in die letzten Winkel und dröhnend an Türen und Tore pochte, um die Lust eines Geists hineinzulassen, bei dem man nicht wußte, von wannen er war und was er im Volke würde entfesseln. — Die ärgste Seuche im Lande war Aussatz. Da brechen Male am Menschen auf, und die Haut verwest, das Fleisch wird wild, zerfressen und welk, die Haare weiß und fallen aus, die Glieder verfaulen und eitern ab. Das Ende ist Tod; denn es gibt keine Salbe gegen die Seuche noch sonst ein Mittel, sie zu bemeistern. Und weil sie auch ansteckt, wer da nur anrührt einen solchen Verseuchten, so stand im Gesetze: „Wer aussätzig ist, des Rock sei zerrissen, sein Haupt sei bloß, verhüllt seine Lippen, den giftigen Hauch und Geiser zu hemmen; und er wohne allein, von allen entlegen, und wer ihm naht, dem wehre von weitem sein warnender Ruf: „Unrein! Unrein I “ " Doch gab es auch andern Ausschlag, der heilte. Wen etwa der Grind ergriffen, der wünschte, sobald er geheilt war, heimzukehren zu Weib und Kind, zu Kost und Wohnung. Drum war im Gesetz ein Weg gewiesen, die Genes'nen von neuem aufzunehmen in der Menschen Gemeinschaft, ohne die Obacht, die der echte Aussatz verlangt, zu lockern: „Wer hergestellt ist und geheilt will heißen, der soll dem Priester sich stellen zur Prüfung. Der soll das Lager mit ihm oerlafien und sehen, ob wirklich gesund er geworden. Und ist er's, so wird er die Opfer ihm weisen,

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46 die er darbringen soll zu Dank und Sühne. Der Gereinigte soll seinen Rock auswaschen, auch all seine Haare ab- sich scheren, im Wasser baden und dann noch warten sieben Tage am Tor seines Hauses und wiederum baden, sich waschen und scheren und Opfer bringen nach Brauch und Weisung; so sei er entsündigt, gereinigt, versöhnt und der Welt und den Menschen wiedergegeben. * So ward mit weiser Vorsicht verfahren den Menschen zugute nach Gottes Gesetz. — Da drang eines Tags durch die offene Tür ein Mensch und fiel dem Meister zu Füßen und flehte ihn an mit fliegender Angst: „Geruhst du, so kannst du mich rein erklären I Dein Wort überwindet das Mißtraun der Menge. ” Es jammerte Jesum der müde Mann. Er trat auf ihn zu und ward überzeugt, daß nach dem Gesetze er nicht verseucht war, und reckte die Hand und berührte die Haut und sagte: „Laß sehen! Du bist gesund! — Doch wisse du hast nicht wohlgetan, dem Gesetze zum Hohn in ein Haus zu dringen, anstatt zum Priester zur Prüfung zu gehn. Warum verachtest du Moses Ordnung und entziehst dich mit Willen der weisen Zucht? Gott mag dir vergeben, was du begangen. Doch schweige des Dinges und schwatze nicht, auf daß nicht die Obern ein Ärgernis nehmen und mich schelten als der das Gesetz erschüttre, und werde ihr Groll auf mich noch größer! — Drum auf zum Priester, daß er dich prüfe! Und bringe zum Dank für die Reinigung dar, was Moses verordnet, — den andern zum Zeugnis I Und er wollte weiter von ihm nichts wissen, sondern wies ihm die Tür, seines Weges zu gehn. Doch auch diese Geschichte verschob sich bald in der Christen Gedächtnis und ward zur Dichtung, als habe der Herr, was Menschen unmöglich, den Mann vom echten Aussatz geheilt, wie Mirjam durch Mose und nachher Naeman der Syrer entseucht wird in der Sage. Uns aber ist wert zu wissen, daß Jesus, der über den Sabbath hinweg sich setzte, beim Aussatz wahrte die weise Ordnung.

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Zeitgenosse« Johannes der Täufer lag in Hast, von Herodes entführt auf die Feste Machärus. Doch hielt ihn Herodes, — so wird uns berichtet — nicht als gemeinen Räuber und Mörder noch auch, als eigenen Feind, aus Rachsucht — was das Volk darüber auch fabeln mochte — zur Marter gefangen in finsterem Moder. Er wußte, es war ein Mann ohne Makel, nur leider irrt Hirn überhitzt von der Hoffnung aufs Ende der Welt und ihrer Gewalten, aufs Ende denn auch des Viertelfürsten. Da war es gefährlich, dem Volk den Propheten solange zu lassen, bis wildes Verlangen nach Kampf und Aufruhr die Köpfe verwirrte; aber sonst — da mochte der Mann ihn dauern, und er ließ ihm tunlich sein Los erleichtern: Seine Jünger konnten mit ihm verkehren, und der Fürst ließ selber ihn vor- wohl führen, zu erforschen, wie dies oder das vom Volke wohl ausgenommen und angesehn werde. Und warum sollte, gesättigt vom Mahle, wie sonst Musik und Mädchen den Sinnen zumeist gefielen, nicht auch Propheten der Hof einmal hören zu Kitzel und Kurzweil, wohl gar ein wenig bewegen sich lassen und der Wollust genießen erwachten Gewissens? Jedoch nicht lange; denn das war lästig. — So war's mit der Hast des Täufers gehalten. Da bot es sich bald, daß Johannes hörte, wie Jesus verkünde, es komme das Reich, und die Leute lehre, die Herzen zu heil'gen, und wie ihn durch Zeichen der Himmel bezeuge. Da glühte im Busen der glimmende Funke bei Johannes auf zu angstvoller Hoffnung:

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Ob der Höchste nicht dennoch, was er verheißen, da am Jordan er taufte, in Jesu erfülle! Vielleicht war dieser der letzte Elias, der mit Geistausgießung und Wundergewalt ausrüttle und rüste zum Weltgerichte ein wohlgefälliges würdiges Volk! So sandt' er zu Jesu zwei seiner Jünger und ließ ihm entbieten: „Bist du der Kommende, oder heißt's eines andern zu harren und hoffen?" Die Boten fanden den Meister, dem Volke das Wort verkündend der künftigen Welt; sie lauschten der Lehre, gewahrten sein Werk und bestellten die Botschaft:,„Bist du der Künst'ge, oder muß Johannes des andern harren?" O trübe Augen! Träge Herzen! Wo Gottes Licht so leuchtend erglänzt, so hell seiner Wahrheit Wasser rauscht, noch frostig zu fragen, statt feurig zu fühlen, daß hier aller Hoffnung Erfüller sich sand! So hieß denn der Herr ihrem Meister sie melden: „Geht hin und kündet Johannes dem Täufer, was ihr hört und gewahrt an Worten und Werk: Ist es nicht so, wie Iesaias sagt: „Die Blinden blicken, die Lahmen laufen, die Tauben hören, die Toten erheben sich und dem Ohre der Armen wird Evangelium I" — Und selig der Mann, der an mir sich nicht stößt:" Die Jünger gingen. Doch Jesus begann, da er sah, es behagte dem Volke, Johannes den Täufer von ihm getadelt zu sehn, unwillig ob solchen Wankelstnnes: „Was wart ihr zur Wüste hinausgewallt? Ein Schilf zu schauen, vom Winde bewegt? Oder was wäret ihr sonst gewandert? Einen Menschen in üppigem Aufzug zu sehn? Mich dünkt, in üppigem Aufzug die Leute die sind in der Fürsten Palästen zu finden! Was also wart ihr hinausgewandert? Einen Propheten etwa zu finden? Ich meine, ihr suchtet daselbst noch mehr! Und wahrlich, unter allen vom Weibe Gebornen gewalt'ger ist keiner kommen denn er. Und doch! Der Geringste im Gotte-reiche dünket mich größer denn dieser Prophet! Aber wem ist euere Art verwandt? Kindern, die maulend am Markte sitzen,

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49 zu denen die andern ärgerlich sagen: „Wir pfeifen euch Tänze — ihr tut keinen Tritt! Wir singen zu Grabe — ihr tragt nicht Gram!" Johannes tritt aus und ißt und trinkt nicht — da sagt ihr den Mann von Dämonen besessen. Komme ich und esse und trinke mit andern, so heißt es: „Siehe, der Fresser und Säufer, 2000 der Zöllner und Sünder Gesell!" Doch die Weisheit wird einst von den Ihren gewürdigt werden!" So ist die Menge. Wer macht es ihr recht? Doch weh dem Gerechten, der auf sie rechnet! Zu dem sie zuerst in eiliger Inbrunst in die fernste Wüste und Wildnis gewandert, den lassen sie sallen, als hätt' er gefehlt, ihr Hoffen enttäuscht und taugte nichts! Daß dieses Geschick, das ihm beschieden, nicht wider ihn zeugte und seine Weihe, 2010 wie der Strahl hinstreckt den stolzesten Stamm, das mochten die seichten Seelen nicht fassen. Bestrickte sie einst die eherne Strenge — ja, wünschten sie jetzt, ihn wankend zu sehn? Doch ein Meister mag, wie immer, es anstelln, der müßige Käufer mäkelt doch! Aber Schmach über alle, die Opfer und Schmerzen der höchsten Meister und heiligsten Männer gleich eigenköpfigen, albernen Kindern ohne Dank erst nehmen und dann verschmähn! 2020 Aerobes indessen hielt bald für geraten, Johannes den Täufer dennoch zu töten. Doch als nun der Mord an dem Manne verübt war, da ward er der Menge zum Märtyrer wieder, an dem sich die Hände der Heiden vergriffen, weil er Israels heilige Hoffnung entflammt. Und wehe, wer nun es wagte, zu zweifeln, ob Gott ihn berufen, zu rüsten fein Reich! Als wiederum einst ein Häuflein vereint war und der Herr, wie er liebte, die Leute lehrte, 2030 da traten auch Pharisäer hervor und warfen voll Arglist die Frage aus: „Ist es erlaubt, sein Weib zu entlassen?" Sie hofften, er fange sich in der Falle. Denn also rechneten die Geriss'nen, wohl ahnend, daß er es ernster nehme mit der Eh' als die meisten Lehrer, die meinten: So der Mann an dem Weibe Widerwärt'ges entdecke, so dürs' er es deshalb entlassen;

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lehrten doch einzelne leichten Herzens: 2040 Es brauche nicht mehr als eines einz'gen verbrannten Mittagessens zum Anlaß I So wünschten sie, daß sich der Meister verwickle in Widerspruch gegen die Weisung Moses, der das Weib zu entlassen dem Manne erlaubt. Doch der Meister fiel in die Falle mitnichten. Er erwiderte: „Welches ist Moses Weisung? damit er sie fasse auf festem Boden bei Moses Gebot, dem beide sich beugten. Sie erwiderten: „Mose hat Weisung gegeben 2050 dem Weibe die Scheidung auch zu bescheinigen." Da versetzte der Meister, grimmig sie musternd: „Um eurer Herzenshärtigkeit willen hat Mose ein solches Gesetz gemacht! Weil er sah, die Bosheit läßt sich nicht bänd'gen, so wollt' er dem ärgsten Übel wehren; das Weib sollte wissen, woran es war: daß nunmehr entnommen der Mißgunst des Mannes sie unbehelligt sich halte und Hause. Aber Gott bei der Schöpfung Urbeginn 2060 „hat sie gemacht als Mann und Weib"; und „um dessen willen so wird ein Mann so Vater wie Mutter fahren lassen und wird an seinem Weibe hangen, und arten die zwei sich zu einem Fleisch." Was Gott nun so zusammengegeben, das soll sich der Mensch nicht zu scheiden vermessen! * So griff er zurück über Moses Recht auf die uranfängliche, ewige Ordnung, die Gott in die Wesen hat eingewurzelt, 2070 und lehrte sie lesen am eigenen Leibe die unlösliche Ordnung der echten Ehe! — Des Meisters Worte, sein heilendes Walten — es blieb nicht verborgen im Winkel der Berge bei Kapernaum und den anderen Orten, die im Norden den Saum des Sees einnehmen. Es drang nach draußen und fand in der Ferne manch horchend Ohr. Da hob sich ein Ahnen bedeutsamer Dinge, ein Raten an, für was oder wen man den Redegewalt'gen 2080 und Wunderbewährten zu halten habe. Auch vor dem Viertelfürsten Herydes ward Jesu von Nazaret Slawe genannt. Der sprach, da er hörte, wie viele er heile: „Johannes der Täufer scheint von den Toten

51 mir wieder erwacht; drum wirken in ihm Zaubergewalten die Zeichen und Wunderi" (So dacht' er, weil Jesus den jähe gedämpften Gericht und Reich verkündenden Ruf des Johannes aufs neue und näher erhoben. Und über dem allen mochte ihm auch fein scheues Gewissen zu schaffen machen, daß er Spuk und Gespenster im Meister vermutete.) Andere aber, für die der Gedanke an die künftige Welt kein kindischer Wahn war, die des Täufers himmlische Hoffnung teilten und der Zeichen harrten der heiligen Zeit, horchten auf verhaltenen Atems und dachten: „Ist dieser vielleicht der Elias, der letzte Zeuge dem nahenden Zorn? " Andere wagten nicht, alles zu wissen; aber eins war dennoch auch ihr Gedanke: „Er ist ein Prophet gleich einem der Vorzeit! " Nur Herodes wich nicht von seinem Wahne; er sagte, was sonst man auch mochte vermuten: „Johannes, den ich enthauptet habe, ist wieder zum Wandel auserweckt!" Ihn ließ des Enthaupteten Hand nicht los. — In Nazaret auch vernahm man vom Ruf, den der Sohn der Maria am See errungen. Man zuckte die Achseln dazu: Der Zimmerer und Maurer Jesus, Josephs Sohn, ein echter Prophet wie die alten der Vorzeit? Oder gar Elias, der letzte Warner? Und heilende Wunder durch ihn gewirkt? Das glaube, wer will! Wer aufgewachsen mit ihm, ihn gekannt als spielendes Kind, die Verhältnisse weiß von Hof und Haus, der schüttelt das Haupt oder lacht voll Hohn des Geredes, der sei ein Berufener Gottes, der auf feurigem Wagen gen Himmel gefahr'ne und am Ende der Welt zur Erde wieder als Sturmverkünder gekehrte Elias! — Von des Fürsten Geschwätze völlig zu schweigen! Hüte aber mochte der Mutter des Meisters der rühmende Ruf wie das schnöde Gerede nunmehr mit der Meldung vom Tode des Täufers ihr armes Herz und Gehirn verängst'gen! Eine Mutter sieht es zumeist mit Sorge, wenn der Sohn sich reckt als ragender Wipfel empor aus dem Walde dem Wetter entgegen.

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Nicht dazu will sie die Wehen und Wochen, die zermürbende Not der schlaflosen Nächte und alle die endlos ermattende Mühe, die ein werdender Mensch einer Mutter macht, in hegender Treue getragen Haben, daß endlich, wenn Arbeit und Mühe sich mindern, der Erwachs'ne sich werfe in wildes Wagnis und Glück so lasse wie Ehre und Leben für Fremde, die kaum nach dem Opfer fragen, 2140 das Mutter und Sohn für sie gebracht! Drum als sie hörte vom Ende Johannis und daß Herodes von Jesu schon rede, da sie merkte, wie mächtig die Mißgunst sich regte, und sah die Erbitterung bei den Rabbinern: da schien ihr vom Haupt des Johannes ein Schimmer blutig und fahl auf Jesus zu fallen, ihren Ersten und Liebling, der Leiden und Last so wacker mit ihr, der Witwe, getragen. Und so rein sie ihn wußte, so reich von Wesen — 2150 doch daß ihn der Himmel zum Boten heische, für das Reich zu bereiten und auszurütteln die Herzen des Volks zu des Fürsten Gefahren — das mußte die Mutter für wirren Wahn, für unheilvolle Verirrung achten, der ihr lieber Sohn da erlegen war. So rief sie zusammen die anderen Söhne: „Was wollt ihr? Ihr seht, er ist wirklich von Sinnen I Die Predigt des Täufers hat ihn betört. Und wie jener, so geht auch Jesus zu gründe. 2160 So laßt uns von hinnen, ihn heimzuholen! Dem Munde der Mutter, den Bitten der Brüder wird er, so wähn' ich, nicht sich verweigern, denn immer vor Augen — es will nicht weichen — bleibt mir sein Antlitz blutig und bleich. Ich hatte geträumt, da im Schoß ich ihn trug, er werde, erwachsen, einst sittsam werben um eine Jungfrau aus Judas Stamme und des Vaters Haus im Volke erhalten durch Söhne, ja endlich als Alter sitzen 2170 im Schatten des Olbaums, den Enkel im Schoße. Und nun vernichtet sein Eifer das alles! Doch noch ist's Zeit. So lastet uns ziehn und suchen, wie wir ihn wieder gewinnen und Leib und Leben und Lust und Glück und Freude und Frieden dem Rasenden retten!" — So brach sie denn auf mit Jesu Brüdern

53 von Nazaret, daß sie dem nahen Verderben den Sohn entreiße und seine Besinnung zurück dem Gottbegeisterten gebe. Der Meister derweile saß wieder inmitten der Hörer im Hause, des Wortes waltend. Und wissend, was alle zur Weile bewegte, da die Kunde vom Tode des Täufers gekommen, und daß man auch ihm schon Arges sinne und die Jünger nicht minder denn ihn, den Meister, von listigen Feinden Gefahr umlauere und Zwietracht harre vor jeglichem Hause — begann er, vom Mute des Geists übermannt: „Wie könnt ihr wähnen, ich sei erwählt, Frieden auszurichten auf Erden! Nicht Frieden bring' ich, ich bringe das Schwert! Ich verfeinde den Sohn mit seinem Vater, und die Tochter wendet sich wider die Mutter, und wider die Mutter des Manns sein Weib, und Widersacher erwachsen dem Menschen in den eigenen Haus- und Herdgenossen! — Wer zu mir kommt und kiest mich zum Führer, und Vater und Mutter und Weib und Kind und zuletzt sein Leben nicht lassen kann — unterfange sich nicht, mir nachzufolgen! Und wer nicht wagt, den Steinen die Stirn und die Arme dem Kreuze anzubieten, unterfange, mir nachzufolgen, sich nicht! „Drum, wer sich des Wagnisses will unterwinden, der versuche sich, ob er entsagen kann allem, was Menschen zu eigen und lieb ist! Und eines sag' ich insonderheit allen, deren Herz dem Weibe und Herde gewogen. Doch fassen das feine Wort nicht viele: Es gibt Entmannte von Mutterleibe! Und wieder Entmannte von Menschenhand! Und es gibt Entmannte — die haben sich selbst um Gottes Sache dazu gemacht!! Wer das zu deuten vermag, der deut' es I * Noch saßen die Hörer in Sinnen versunken, des dunkeln Wortes Bedeutung erwägend; und etliche ahnten auch, daß sich der Meister verborgen im Bilde selber gemeint. Wie, war er einer der wen'gen Erwählten, die Weib und Liebe von Mutterleibe und Haus und Herd überhaupt nicht lockt, die ganz aufgehen in eifernder Arbeit?

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54 Oder hatt' er entsagt einer süßen Hoffnung, um sonder Rücksicht den Ruf zum Reiche im Volk zu erheben, dem Fürstenhasse und der Bosheit verbohrter Rabbiner zum Trotze? Wer wollte das wissen? — Da wand durch den Hausen der Hörer, die enge um Jesus hockten, sich mühsam ein Mensch und sprach mit dem Meister, 2230 Was war's, das der Mann ihm zu melden hatte? „Meister, sieh! Deine Mutter und Brüder harren im Hofe und heischen dein Antlitz!" Der Meister stutzte bei dieser Störung. Sein Auge weilte in leeren Weiten. Er kannte die Mutter. Was konnte sie meinen, zumal die Brüder sie mitgebracht? Was anders, als ihn von dem Werke zu wenden, zu dem ihn der Vater gefordert hatte, auf daß er nur lange auf Erden lebe I 2240 Sollt' er die Tränen der Treuen sehen, die Weinende sühllos von sich weisen? 3m eigenen Herzen den harten Kamps zwischen Sohnesliebe und göttlicher Sendung in all seiner Not und Pein erneuen? Mil der Guten vergebliche Worte wechseln ohne Hoffnung, ihr Herz zur Höhe zu reißen? O bittre Erkenntnis, die besten Menschen alles Hehren bar, am Boden hastend zn finden und fern sich ihnen zu fühlen! 2250 Da fand sein Auge sich ein. Zu Füßen gewahrt er die Freunde, die fragend ihn mustern. So muß es denn sein. Und er sagt, sich ermannend, in würgendem Schmerze das schmetternde Wort: „Wer ist meine Mutter und wer meine Brüder?" und er sah auf die Freunde, die um ihn saßen, und reckte die Hand über ihre Runde: „Siehe, das sind meine Mutter und Brüder! Denn wer dem Willen des Höchsten gehorcht, der ist mir Mutter und Schwester und Bruder!" 2260 Und versagte den Seinen sein Angesicht. Sie kehrten zurück, bekümmert und ratlos. Erst da er am Kreuze sein Werk gekrönt und Simon des Meisters Gemeinde gesammelt, rang sich Jakobus hindurch zur Erkenntnis, fein ältester Bruder. Da brach der Bann und fand auch die Mutter den Mut zu dem Glauben, daß ihr Sohn zum Vollender vom Ew'gen ersehen und ihr Schoß den Heiland der Erde gehegt.

55 Der Meister aber hatte das Opfer, das er allen Gotteigenen angesonnen: sich loszusagen auch von den Lieben, mit brennendem Herzeleid selber gebracht. Ko war es geschehen und — schien zu beginnen! Geschehen die Schandtat des Viertelfürsten: Johannes gefallen der höllischen Macht! Die Führer des Volkes der Wahrheit feind! Zwietracht getragen in Haus und Heim: Mutter und Sohn widersagt, widersetzt! Das letzte Toben des Teufels begann! Ob Wochen, ob Tage, ob wenige Stunden die Menschheit schieden vom Schall der Drommete, die aus Gräbern und Grüften, von allen Enden der Welt, zum Gericht alle Wesen ruft: gewiß war eines: Das Ende brach ein! Aber oh — wie viele in seinem Volke, die bis heute der Fährte zum Heile fehlten, da fein Ruf, wie rastlos er reiste und wallte, sie nimmer erreicht und aufgerüttelt! Und er war doch geschickt, die verwaisten Schafe des Hauses Israel heimzuholen — wie sollt' er des Vaters Gebot erfüllen? Da war nur ein Weg, der Not zu genügen, der auch Mose gewiesen ward in der Wüste: Da des Volks zu viel war, einem zu urteln, und er Männer berief, des Gerichts zu walten, einem jeden sein Recht beizeiten zu reichen! Ko entbot denn bald zum üblichen Orte der Herr seiner Freunde freudigst' und frömmste und bestellt' ihrer zwölf nach der Zahl der Stämme All-Israels, daß sie fürder ihm folgten, ihr Bewerb' aufgäben und ganz sich weihten der Botschaft der Buße zum baldigen Heil. Die sollten wie er in die Orte eilen, um aufzurufen zu Gottes Reiche: Die sorglos Sichern der Ruh' zu entrütteln, die Gebeugten, Verängstigten aufzurichten mit der Freudenbotschaft: Die Frist ist um! Geht in euch und glaubt: Das Ende ist da! — Uun sollt ihr die Namen der Zwölf vernehmen, die der Meister erwählt zu dem wichtigen Werk! Zuerst unter allen die engsten Freunde, die drei, die er draußen am See einst ersehn: Simon „der Fels" — denn der Meister fand für die Seinen Namen, die mehr besagten als jene, die jeder von Jugend trug I —

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Und wahrlich, den Namen hat er bewährtI Wohl bebte er bang, da die Hölle dahersuhr; Bald aber bot er dem Sturme die Stirn, und es brachen die Wogen an seiner Brust, — 2320 der Fels, der die Feste der Treuen trug! Jakobus, Johannes, die beiden hieß er — Zebedäus' Sprossen — die „Donnersöhne" um der Wettergewalt ihres Wesens willen. Als vierten den Bruder Simons find' ich Andreas zunächst nach den dreien genannt. Doch meldet uns Markus nichts von dem Manne; auf die Nachwelt ist nur der Name gekommen. Dann les' ich Philippus, Matthäus und Thomas und Bartholomäus ( das ist: Ptolemäussohn ) Jakobus ferner, den Sohn des Alphäus, Thaddäus und Simon, genannt der Zelot, weil er ehedem zum Haufen der Eifrer gehörte die den kühnsten Kampf wider Rom und Herodes tagtäglich führten mit Überfällen, bis sie einst die verhaßten Heiden im Aufruhr Alljudas hinaus zum Lande gejagt; und endlich Judas, den Iskarjoten, den Ruchlosen, der da verriet den Herrn. Wohl wünschten wir mehr von den Männern zu wissen, die der Herr gewürdigt so hohen Werks. Wir sollen entsagen. Wir mögen vermuten ihren Namen nach, die nicht nur hebräisch, sondern mehr oder minder hellenisch lauten, daß ihre Träger nicht unoertraut mit Wesen und Weise der Griechen waren und vielleicht Hellenisch ein wenig wußten, und dürfen nicht denken, daß allzu enge durch Gesetz und Sitte sie abgesondert von Wandel und Walten der Umwelt waren. 2350 Wie dürftig jedoch bleibt selbst noch dieses! Doch wer sie auch waren: Wen Jesus gewürdigt, statt seiner zu wirken, der bleibe uns wert! Das war die Schar, die der Herr ausschickte, daß sein Ruf noch alle erreiche ringsum. Mnd also begann er sie anzuweisen: „Die Ernte ist groß, der Arbeiter wenig. So tust zu dem Herrn der Ernte um Hilfe, daß er Arbeiter sende in seine Ernte! „Nun wendet euch nicht auf den Weg zu den Heiden und kehrt nicht ein in die Orte Samariens! Eilet vielmehr, die verirrten Schafe 2362

— 57 des Hauses Israel heimzuholen. Denn wahrlich, ich sage euch: seid es gewärtig, daß — ehe ihr endet mit Israels Orten — wie es Daniel deutet in seinem Gesicht, nach der Bestien Fall, die zuvor geboten und die Reiche der Welt mit Gewalt regierten, der Menschensohn in der Macht des Höchsten aus des H'wmels Wolken herniederwallt und den Satan stürzt von der Sünde Stuhl und das Reich errichtet der Heil'gen des Herrn! „Rüstet euch nicht mit Ranzen und Börse, und auch der Sandalen bedürft ihr nicht! Verweilet euch nicht, unterwegs zu begrüßen, zu erkunden und fragen Bekannte und Freunde. Eure Botschaft eilt! Denn bald bricht's ein! Doch tut ihr dann eine Türe aus, so wendet zuerst euch an die Bewohner mit dem Wunsche: „Friede walte ob euch!" Und so da wohnet ein Sohn des Friedens, so wird euer Friede über ihm weilen; wo nicht, so wendet er wieder zu euch. Und nimmt man euch an in dem Ort, so verkündet: „Die Herrschaft des Himmels nahet euch heut!" Und so ihr sehet vom Satan Geschlagne, so erhebt euch und haltet die Hand über sie, und der Himmel erhört euch, so es mag sein. Dort esset getrost und trinkt, was sie bieten; der Arbeiter hat sein Anrecht auf Lohn. Doch wo man euch nicht annimmt noch hört, da gehet heraus aus Gassen und Märkte und schüttelt den Staub von den Schuhen ab: „So nehmen wir nichts von euch zu eigen — nur wollet erkennen: Es kommt das Reich!" Ich sage euch wahrlich: Gomorrha und Sodom wird's glimpflicher gehen am Tage der Glut denn solcher Stadt. — Nun siehe, ich send' euch wie Lämmer zu wandeln unter den Wölfen. „Da können die Kinder der Welt euch weisen: Die sind den Söhnen des Lichts überlegen und wisien, wie man sich schickt in die Welt. „Es lebte einmal ein begüterter Mann, der hatte zur Wirtschaft einen Verwalter, und dieser wurde ihm denn verdächtigt, er vergeude das übergebene Gut! „Da rief der Herr ihn heran und sprach: „Was habe ich heute von dir gehört?

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Lege mir Rechnung von deiner Verrichtung; denn du kannst nicht weiter Verwalter sein! „Der Verwalter erwog und sagte bei sich: „Was fange ich an? Mein Herr entfernt mich zweifelsohne von meinem Amte! Zu schwerem Graben bin ich zu schwach, zum Bettelstab aber bin ich zu stolz. Ich weiß, wie ich's mache, damit sie mir, wenn ich wirklich vom Amte verabschiedet werde, in ihren Häusern Heimstatt gewähren!" Und im stillen die Pflichtner des Herrn bestellt' er und nahm beiseite einen jeden besonders und fragte den ersten von ihnen und sprach: „Was hast du dem Herrn zu liefern und leisten?" Er erhielt zur Antwort: „Hundert Maß Ol." Da sprach er ihm zu: „So nimm deinen Zettel und setz dich sofort und schreibe: „Fünfzig"!" Zum zweiten sodann:„Was schuldest du?" „Ich schulde ihm Weizen, hundert Scheffel." Da sprach er ihm zu: „So nimm deinen Zettel und setze dich her und schreibe siebzig!" Und der Meister lobte den losen Verwalter, wie klug der Beklagte gehandelt habe: „So sollt ihr verschlagen denn sein wie die Schlangen und ohne Tücke und Arg wie die Tauben!" Wer da hört auf euch, der hört auf mich. Wer euer nicht achtet, verachtet mich. Wer aber meiner nicht achtet, verachtet auch ihn, der mich hat ausgesandt." Da Jesus die Boten, unter den Juden seinen Ruf zu entbieten, also bereitet, da gedacht' er alsbald, sie von dannen zu senden, und zwar zu zweien, daß einer am andern in Not und Gefahr den Genossen finde, der ihn stärke und stütze in zagender Stunde. Doch noch um Nazaret rang er nach Rat: Er wollte den Ort, da er ausgewachsen, da der Männer und Frauen so manche wohnten, die ihm beigestanden in bösen Stunden — da die Seinen selber noch seßhaft waren, nicht meiden, als mangelte ihm der Mut, sich sehen zu lassen mit seiner Sache; noch konnt' er statt seiner die Jünger senden. Was er allen schuldig in Israel war, das durft' er der Heimat nicht vorenthalten. Wohl ahnte und wußt' er, daß immer bei allen,

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59 die Gottes Verkünder als Kinder gekannt, die Augen und Herzen gehalten sind, daß sie schwer begreifen: der sei ein Großer, den sonst sie als einen der Ihren gesehn. So war er gewärtig der sprödesten Willens und ahnte, man werde gewiß ihn verwerfen. — Um allem Vorurteile und Anstoß im voraus, so gut es ging, zu begegnen, gedacht' er, nicht dürftig, allein und verlassen wie ein falscher Prophet, dem niemand folgt, in den Ort seiner Jugend einzuziehn, sondern mit vollem Gefolge der Seinen dort aufzutrelen, daß alle betroffen gewahrten: Man wisse an anderen Orten ihn wohl zu würd'gen und hochzuhalten. So würde der erste verächtliche Einwand, als steh' er verlassen mit lahmer Lehre, im Keime erstickt und käme nicht auf. Aber ach, er wagte nicht hoch zu hoffen; zu tief verwurzelt wußt' er den Wahn. Da er eben sich anschickt aufzubrechen, und aus dem Ort auf den Weg sich wendet — siehe, da eilt ihm einer entgegen und fällt ihm zu Füßen, umfängt ihm die Knie, und hingerissen hebt er zu reden an: „Guter Meister, was muß ich beginnen, damit ich das ewige Leben ererbe?" Doch Jesus fällt ihm jähe ins Wort: „Was nennst du mich „gut"? Denn gut ist niemand als Gott allein I Du hast ja gelernt: „Du sollst nicht töten, nicht ehebrechen! Du sollst nicht stehlen, nicht vorenthalten, nicht falsches Zeugnis reden!" und endlich: „Du sollst deine Eltern achten und ehren!" " Da sprach er im Tone der tiefsten Enttäuschung: „Das habe ich alles von Kind an geübt. Ich meinte, ich müsse ein mehreres tun!" Der Meister maß die männliche Miene, und sein Herz entbrannte in Huld zu ihm. So fuhr er denn fort: „Eins bleibt dir übrig: Geh hin, veräußere all deine Habe und schenke sie Armen; dann ist dir ein Schatz im Himmel zur Hand. And dann komm her und folge mir fürder und hilf deinem Volke!" Da steht er aus, bestürzt ob der Antwort, und blickt zu Boden, an Jesu vorbei

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und zögert und zaudert und kämpft einen Kampf und wendet verlegen zuletzt sich hinweg; denn der Gute besaß ansehnliche Güter. Der Meister sah ihm versunken nach und sprach, aufseufzend aus tiefer Seele, nach langem Schweigen: „Wie ist es doch schwer, daß Reiche eingehen in Gottes Reichl* Die Jünger verwunderten sich des Wortes und raunten:„Wieso? Warum denn sie?* Doch er wiegte das Haupt und sagte wiederum: 2510 „Wie schwer ist's, Kinder, ins Reich zu kommen! Ein Kamel geht eher durchs Ohr einer Nadel, denn ein Reicher eingeht zum ewigen Reich.* Doch die Jünger standen nur mehr erstaunt und fragten ratlos:„Wer findet dann Rettung?* Da sah er sie an mit unendlichem Ernste und sprach: „Bei Menschen ist es unmöglich. Aber alle Dinge sind denkbar bei Gott.* Da brach er denn auf vom Ufer des Sees und nahm seinen Weg gen Nazaret. 2520 Und die zwölf Erwählten wanderten mit. Unterwegs begann er, noch gar bewegt von dem elend geendeten Anlauf des Reichen: „Wenn einer von euch eine Burg wollte bauen — sitzt er nicht erst und macht einen Anschlag und erwägt, ob er's habe, dos Werk zu vollenden? Sonst beginnt er mächtig und mauert den Grund und muß dann mitten im besten Bauen vom Werke lasten. Dann lachen die Leute und höhnen.-„Der Mensch hebt an mit Macht, 2530 und eh' er's vollendet, vergeht ihm der Atem!* Oder welcher Fürst rückt wohl ins Feld, den andern mit Heermacht heimzusuchen, und fitzt nicht zuvor und berät mit den Feldherrn, ob er vermag, mit zehntausend Mann es aufzunehmen mit ihm, der anrückt mit zwanzigtausend. Sonst tut er bester, er schickt Gesandte und sucht den Frieden, solange der Feind dem Lande noch fern ist." Da meinte Simon: „Meister, siehe: 2540 Wir haben s gehalten und alles geopfert und haben uns ganz dir hingegeben!" Doch Jesus versetzte: „Wahrlich ich sage euch: Es ist niemand, der Haus und Hof dahingibt und Acker und Vieh und alle Güter und Vater und Mutter und Brüder und Schwestern

61 und Weib und Kind um des Reiches willen, und fände dafür nicht hundertfältig in diesem Weltlauf Weib und Kind und Vater und Mutter und Brüder und Schwestern und Haus und Hof oder alle Habe — und in der vollkommenen künftigen Welt das unverlöfchliche ewige Leben I — Doch seid eurer Sache nicht allzu sicher: manch erster mag leicht als letzter enden und mancher letzte als erster leuchten I" Mach einem tüchtigen Tagemarsche nahte der Meister sich Nazarets Toren. So kam er, seitdem er dereinst bei der Kunde Johannes des Täufers die Heimat verlassen, nach Monden und Wochen, ein anderer, wieder. Der als Zimmerer ehemals ausgezogen, der erschien als Prophet mit seinen Gefährten, geleitet vom Lob seiner Rede im Lande, vom Rus seiner helfenden Heilungstaten I Doch leider meldet kein Evangelist, bei wem der Meister nun Wohnung genommen: Ob er ausgesöhnt bei den Seinen gehaust, oder ob er die Mutier und Brüder gemieden und feierlich nur als Prophet genaht. Am Sabbath besucht' er die Synagoge; und ärger als einst in Kapernaum drängte und drückte die Menge der Menschen im Saal um die Säulen sich harrend zusammen, von Neugier halb — halb neidischem Hochmut und wohl nur wenig ergriffenem Willen zu des Landsmanns Lehre herbeigelockt. Und ach, wie anders als einst am Anfang in den Stätten am See ward hier zur Stunde des selben Mundes mächtige Botschaft von harten Ohren nur angehört I Wohl spürten auch hier in der Heimat die Herzen die gewinnende Macht seiner werbenden Worte, doch rasch entzog sich dem Zauber der Rede das Gemüt der meisten. Sie mochten nicht leiden, daß aus dem eigenen Orte einer sie finde und fasse und führe zur Höh'! So wurden denn laut die lästernden Worte: „Don wannen käme denn dem die Kunde, was wäre das wohl für besondere Weisheit, die jenem geworden der Welt zum Heil? Das ist doch der Sohn des verewigten Joseph,

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des Zimmermanns! Seine Mutter Maria, Jakobus, Joses, Simon und Judas, seine Brüder, Hausen ja heule noch hier! Und auch seine Schwestern leben im Orte. Und sagt man nicht sonst: „Arzt, hilf dir selber!" ? Die er ausgeübt in Kapernaum — die Wunder wirk' er auch hier in der Heimat!" Da erhob sich der Meister und herrschte sie an: 2600 „So hört! Ich will euch die Wahrheit nicht hehlen: Es lebte dereinst zu Elias Tagen der Witwen die Menge in Israels Marken, da der Himmel verhalten über der Erde drei Jahre hing und ein halbes dazu, da der grausame Hunger auf Erden herrschte. Doch zu keiner von ihnen kam der Prophet — er ward gesandt nach Sarpat bei Sidon zu einer Witwe; die ward es gewahr! — Und es war auch Aussatz in Israel 2610 zu Elisas Zeit; doch erlöst ward niemand denn nur der syrische Kämmerer Naeman. — Ihr wart es nicht wert! Das habt ihr bewiesen. Doch ich wußte es wohl: Das Wort ist wahr: „Ein Prophet wird nirgend verfehmt denn nur in seiner Heimat und seinem Hause I" " Da packte die Hörer hitz'ge Empörung, sie drangen mit Drohungen ein auf ihn. Doch entwich er der Wut und hob sich von hinnen; und hatte im Orte nicht eine Heilung 2620 zu vollbringen vermocht. Nur wenigen Matten hatt' er durch Handauslegung geholfen. Und es nahm ihn wunder, wie blinder Wahn so Leib wie Seele zu lähmen vermag. Kon da an trennt' er sich von den Getreuen und sandte sie aus, wie er selbst nicht anders durch die Orte eilte, noch vor dem Anbruch der letzten Versuchung und Wut des Satans zu sammeln alle, die in sich gingen und wieder ergaben dem ewigen Gott. 2630 Der erste, der wieder im Orte sich einfand am Ufer des Sees, war der Meister selber. Die er einst im Anfänge ausgesucht, den Orten aufs neue war er genaht: Nach Khorozin hin war er gezogen, Bethsaida hatte er wieder gesehn, die Gewissen umworben mit dringendem Worte, dem Vater ein Volk zu sammeln versucht

63 auf den Tag, da der Teufel noch einmal tobe, bevor zum Gericht die Posaune rufe und der „Menschensohn" in der Macht des Vaters auf Himmels Wolken zur Erde walle, um das Reich der Gerechtigkeit zu errichten — doch fade Faulheit halt' er gesunden, die matten Herzen fingen nicht Feuer, es verlangte die meisten, in Muße zu leben; Was kümmerte sie die kommende Welt? Oder wo noch Glut in den Herzen glomm, da war es der Funke, den wild zu entfachen zu Aufruhrs Flamme und Fluch er scheute. Nur wenige waren es allerwegen, die des Tages Nahen zu Herzen genommen, die Seele rüstend für Gottes Reich. Ko kehrt' er zum See bekümmerten Sinnes, zu harren der Heimkehr seiner Gesellen. Nicht lange währt' es, da kehrten sie wieder und stellten sich ein, vom Staube der Reise bedeckt und müde von Weges Mühn, doch frohen Gemütes und freudigen Sinns; Und einer nicht anders denn alle, verwundert, vermeldete: „Meister, und auch die Dämonen widerstehen uns nicht bei deinem Namen I Wo der Ruf zum Reiche die Herzen rührte und sie hörten die Taten, die du getan, da brachten sie eilends zu uns die Gebresten, und wir hielten die Hände den Kranken aufs Haupt und geboten in deinem Namen den Bösen, und wich aller Bann aus dem siechen Gebein!" Da der Herr dos hört, verwundert's ihn wenig. Er erwidert, als habe er's also erwartet: „Wohl sah ich den Satan wie blendenden Blitz vom Himmel stürzen in Spott und Staub. Fürwahr, ich hab' euch Gewalt verliehen, auf Schlangen zu treten und schlimmes Gezücht, und über des Satans gesamtes Gesinde und nichts soll euch sein Neid antun! und dennoch — freuet euch dessen nicht! Freuet euch aber, daß ausgeschrieben eure Namen stehn für die nahende Stunde! — Doch lasset mich wissen, was euch gelungen, wes Sinn und Willen ihr wachgerüttelt, und wer sich ergibt und wendet zu Gott! Wie nahmen die Botschaft aus die Rabbiner und die Pharisäer — wie seid ihr gefahren

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mit den schristgefetten Führern des Volks? Da versetzten die Jünger: „Meister, bei jenen mag wahr das Wort des Iesaias werden: „Daß sie offenen Augs wie Blinde blicken und geöffneten Ohrs doch nichts vernehmen und ihr Herz, verhärtet, der Heilung fehlgeht. * 2690 Bon ihnen hat keiner der Kunde geachtet. Als arme Leute verlachten sie uns." Da kam es wie Jubel in Jesu Kummer, und im Geiste Gottes frohlockend begann er, die Fügung zu feiern: „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und auch der Erden, daß du solches den Weisen und Klugen versagt hast und hast es unmünd'gen Gemütern enthüllt — ja, Vater, so war es dein Wohlgefallen! „Ihr aber wisset und achtet es wohl: 2700 Selig die Augen, die sehen, was ihr seht, und die Ohren selig, die hören, was ihr hört! Denn wahrlich, das würdigt: Propheten und Fürsten vergingen vor heitzem Begehren und Sehnsucht zu sehen, was ihr seht, — und sahen es nimmer, und zu hören, was ihr hört, — und hörten es nicht! „Metze dir, Khorazin, wehe, Bethsaida! Denn wären in Tyrus und Sidon die Taten geschehen, die euch beschieden worden, sie säßen längst in Sack und Asche 2710 und sühnten die Sünden in Buße gebückt! Doch ich sage euch: Tyrus und Sidon ergeht es bei der letzten Ahndung gelinder denn ihnen! Und du, Kapernaum, die du empor bis an den Himmel erhoben — zur Hölle wirst du gestoßen in jener Stunde! Denn so Gomorrha und Sodom die Mahnung geworden wäre, die euch gewährt ward, sie stünden heil noch heutiges Tags! „Ja, träte ein Führer vor dieses Volk 2720 und triebe es an zu Kampf und Aufruhr, der fände Hörer und Folger die Fülle mit dem Rufe:„Die Stunde der Rache ist da!" Und wahrlich, die Welt steht an der Wendel Gesetz, Propheten, sie reichen nicht fürder denn bis zu den Tagen Johannes des Täufers. Seitdem aber gilt es die Herrschaft Gottes. Doch wehe, da rufen sie wüster Gewalt, und Rasende wollen das Reich erreißen. “

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Fünfter

Gesang

Alte «nd neue Gerechtigkeit Uoch hatte der Herr mit seinen Gesellen sich kaum gefunden in solche Erfahrung, da kamen, fast auf dem Fuß ihnen folgend, herniederwallend auf allen Wegen, aus Galiläas umliegender Landschaft, von jenseit des Jordans ( dem Bereiche Peräa ), von Mittag nicht minder wie Mitternacht: Aus Jerusalem und dem jüdischen Lande wie dem Tochtergebiet von Tyrus und Sidon da unter den Heiden die Juden hausten, vom Rufe der Zwölf aus der Ruhe geschreckt, in Scharen die Menschen, den Mann zu schauen, der, bewährt vom Himmel durch Heilgewalt, nach Gottes Gebot den Sturz des Bösen, das nahe Gericht und Reich verkündete und als Rater und Retter zur Buße rief. Die sammelten sacht sich am Seegestade oder suchten Obdach im Innern des Orts, in Gassen und Gängen, an Häusern und Gärten und liefen, sobald es nur laut ward, er lehre, herbei und hockten in Haufen am Boden, zu hören, was Jesus verheiße und heische. Er selber saß wieder im Boot aus dem See, damit ihn die Menge nicht drückte und drängte, und lehrte die Lauscher, die still am Gestade aufhorchend hingen am Munde des Meisters, vom Feuer der Rede umfangen, berückt. — Den Feinden Jesu gefiel das übel, daß er, der Gesetz und Sitte verachte und die Leute lehre, nach eigener Laune dem Geheiß angeblichen Geists zu gehorchen, so mächtige Mengen und über die Maßen gewaltige Rotten aus weiter Runde zu seinen Füßen zusammensühre. Doch nicht sich getrauend, entgegenzutreten

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— 66 dem wort- und werkgewaltigen Gegner, der oft genug sie schon abgewiesen, entschlossen sie sich nach der Hauptstadt schleunig einen Boten zu senden und herzubitten die besten Rabbiner, damit sie dem Manne mit altbewährter, achtbarer Weisheit 2770 und gewiegter Gewandtheit die Gunst entwänden, die er mehr und mehr bei der Menge gewann, vor allem, da täglich mit heilenden Taten der Himmel den Schändlichen schien zu behulden. Gar bald erschienen denn auch Rabbiner aus Jerusalem, sein Wort zu belauschen, seinen Weg und Wandel, sein Wirken und Walten mit argwohnlüsternem Blick zu belauern: Vielleicht gelang es, ein Wort zu erwischen, bei sündlichem Tun ihn gar zu ertappen, 2780 sodaß man alsdann den Mann ohne Mühe an den Pranger stellen mit seiner Predigt, den Schein seiner Werke und seines Wandels vor der kindischen Menge bemäkeln konnte. Und es währte nicht lange, da ward man gewahr, daß etliche aßen von Jesu Jüngern ihr Mittagsmahl mit gemeinen Händen. (Denn die strengsten Juden fanden es sträflich, mit Händen, entweiht vom Werke des Tages, die Bissen des Mahles zum Munde zu führen 2790 und Leib und Seele zumal zu besudeln. Sagten doch manche Gesetzesmeister: „Wer ohne Waschung isset das Brot, das gilt, als ging' er ins Haus einer Hure." So wuschen sie denn nach der „Weisung der Alten" zum Mahle fest mit der Faust die Hände und stiegen, sobald aus der Stadt sie kehrten, bevor sie aßen, zuerst ins Bad. Auch sonst noch hatten sie mancherlei Sitten, das Geschirr gar sonderlich sauber zu scheuern, 2800 so Töpfe und Teller wie Schalen und Schüsseln. Doch sah man in jenen Jahren auch solche, die, sonst das Gesetz aufs heiligste haltend, die Spülung vorm Speisen für unnütz achteten, da Moses Gesetz von solcher nichts melde und nichts denn „Ordnung der Alten" sie sei.) Da stellten denn Jesum, sich daran stoßend, daß er zuchtlos der Waschung Gewohnheit nicht wahre, mit gerunzelter Stirn die Bestellten zur Rede: „Was treibt deine Schüler, sich nicht zu schicken 2810

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in die Ordnung der Alten? Sie brechen das Brot ihres Mahls mit gemeinen Händen wie Heiden I * Der Geistesmächt'ge entgegnete ihnen: „Gar wacker verwerft ihr Gottes Weisung, um eure Ordnungen aufzubringenI Der Allmächt'ge gebeut durch Moses Mund. „Du sollst deine Eltern achten und ehren I" und ferner: „Wer schmähet Vater und Mutter, soll den Tod erleiden!" Ihr aber lehrt: „So ein Mensch zu Vater und Mutter spricht: 2820 „Kordon (zur Stiftung — heißt das — bestimm' ich) was ihr etwa von mir beanspruchen mögt." das ist gut und erwirbt ihm die göttliche Gunst." So laßt ihr ihn Vater und Mutter hinfort nichts weiter gewähren — zerwirkt Gottes Wort durch eure Ordnung, wie ihr sie ausbringt. Und Ähnliches übt ihr der Art genug." Und er rief die Menge heran zu sich: „Höret mich alle und merket auf: Nicht was von außen den Menschen ankommt 2830 oder in ihn eingeht, das macht ihn gemein — Nein, was von innen nach außen heraustritt, das ist's, das macht den Menschen gemein! Wovon das Herze erfüllt und voll ist, das laust dem Menschen über die Lippen: Aus dem guten Hort seines Herzens gibt der gute Mensch das Gute hervor; aus dem bösen Hort eines argen Herzens wird der böse Mensch das Böse gebären. So wie du dich äußerst, so wirst du geachtet: 2840 Entweder bewährt sich darinnen dein Wesen, oder du weisest dich aus als Verworfner." So behauptete hier alsbald unser Herr das Feld vor den Führern, die fernher die Feinde aus der Hauptstadt selber herbeigeholt. Sie wandten sich ab nach dem ersten Angriff, im Innern ergrimmt, wie gar er vereitelt. Da traten die Jünger zu Jesu und sagten: „Herr, weißt du auch wohl, daß über den Worten die Pharisäer gar sehr sich geärgert?" Doch Jesus sprach: „Eine jede Pflanze, die mein Vater im Himmel nicht selber gesetzt, wird ausgerissen und weggeworsen. Laßt sie 's sind blinde Blindenleiter. Wenn aber ein Blinder den anderen führt, so fallen sie beide bald in die Grube!"



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Da bewährte sich wohl ein Wort des Jesaias: „Diese Leute ehren mich nur mit den Lippen; aber ferne hält sich ihr Herz von mir. Doch eitel ist's, mich also zu ehren 2860 und Menschenmeinung die Leute zu lehren." Es hatten die Feinde gar bald gefunden: Der Meister sei angesehn bei der Menge und gehalten für einen vom Höchsten Gesandten, dieweil er mit wundermächtigem Worte die bösen Geister gebieterisch banne und die Menschen erlöse von mancherlei Leiden. Das galt in den Augen der Ungeübten als Zeichen, mit dem ihn der Himmel bezeuge. Drum: Wollte zunächst den Wahn man vernichten, 2870 als sei der Verwegne ein Werkzeug der Allmacht, so mußte die Macht des Manns über Geister, ( die zu leugnen nimmer gelingen konnte) mit dunklem Bedeuten verdächtig man machen. Und als nun der Meister inmitten der Massen sich wieder verweilte am Saume des Sees und mühend stand vor einem Verstummten, bis der Arme die Stimme stammelnd gewinnt und die Menschen des Werkes bewegt sich wundern, da werfen die Abgefeimten ein Wort 2880 dem Volk in die Ohren, um Argwohn zu wecken, und sprechen verächtlich mit Achselzucken: „Er hat wohl selber den Satan im Leibe. Die bösen Dämonen vermag er zu bannen durch Beelzebul, den Gebieter der Bandel" Das hörte der Herr mit Grimm und mit — Grauen, daß so der wütende Wahn die Sinne vergiften konnte: Den Geist zu verkennen, der hehr und stark zu heilen ihm halfl — Da fiel er mit Ingrimm über die Argen 2890 und führte das Wort mit Fechtergewalt: „Wie soll denn der Satan selber sich bannen? Und wenn ein Reich in sich selber zerreißt, verödet's und stürzt ein Stein auf den andern. Und gerät ein herrschendes Haus in Hader, wie vermag es alsdann seine Macht zu bewahren? Und setzt der Satan sich wider sich selbst, wie soll seine Herrschaft fürder sich halten? „Indessen — so ich mit Beelzebul die Dämonen meistre — sagt: Eure Söhne, 2900 die als Geisterbanner die Gaue durchwandern, mit wem gebieten denn sie den Bösen?

69 Da gereichen denn sie euch selbst zum Gericht I Doch bann' ich die Bösen mit Gottes Geiste — was zaudert und stockt ihr, es zuzugestehn? Dann ist Gottes Reich ja herangerückt! „Der Riese mag lange gerüstet liegen und Haus und Hof vor dem Feinde hüten. Der aber die Beute zum Kauf ausbietet, hat die Wehre gewonnen, den Riesen beraubt und ihn als Stärkerer längst bestanden! — „Das wisset: Für jedes verworfene Wort, das sie ruchlos reden, müssen die Menschen am Tag des Gerichtes Rechenschaft tun! Ihr sagt, ich banne mit Satan im Bunde. Wahrlich, ich sage euch: Was es auch sei, des ein Menschenkind vermessen sich könnte — die Lästerung kann ihm erlassen werden! Doch wer sich vergeht am Geiste Gottes, der sucht Vergebung für ewig umsonst I — Wer nicht mit mir ist, ist wider mich I Und wer nicht mit mir sammelt, zerstreut!" Da machte einer empört den Einwurf: „Aber Meister, wie magst du würdige Männer, die dein Ewigen dienen mit emsigem Eifer und wenn auch wirklich ein Satansgesell unternommen, bei ihnen sich einzunisten, des Gemütes Gemächer ihm schleunigst verschlossen und sauber und heilig die Seele gehalten, beleid'gen: Sie lästren den göttlichen Geist?!" Da war er um Widerspruch wenig verlegen: zu häufig hatte er's schon geschaut, daß grade die Leute, die eines Lasters in ernster Zucht sich eben entledigt, dem andern so eher und leichter erliegen, weil siegessicher in Schlaf sie versinken. Wer der Weiber und Weines sich etwa entwöhnt, wie leicht packt den unleidlicher Dünkel: Sich selber fühlt er als Vollgerechten und vergibt sich gütig den Satz von Sünde, der sich etwa bei ihm noch abgesetzt, indes er bei andern alles verdammt, was sein arges Auge an Unrecht gewahrt, und den Strauchelnden straft, statt ruft und rettet. Und ähnlich geht es oft in der Art! So schildert' er scharf denn sonder Schonung, wie aus einem in ärgeren Fehler man fällt: „Da nmß so ein Gast der Hölle von hinnen,

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— 70 — vom Menschen weichen; nun wankt er umher lechzend und dürstend durch dürres Gelände 2950 sucht eine Ruhstatt und sieht keine rechte. Da denkt er: „Ich werde mich wiederum wenden zu meiner Behausung, wo ich bisher war!" Er geht und beguckt sie und findet's so gastlich: gelüstet, gereinigt und aufgeräumt. Da eilt er davon und ladet sich ein Unholde sieben, noch ärger denn er! Und sie fallen ein in das offene Haus; und wird es zum Schluß mit dem Menschen noch schlimmer denn es ehmals bei ihm am Anfang gewesen! „So steht's mit den Störr'gen, die mir widerstehn: Sind eines Dämonen sie Meister geworden — jetzt find sie besessen von sieben ärgern!" Die Gegner indes waren giftig gegangen, schäumend vor Wut ob solcher Schilderung. Keine Frage: Es mußte der Freche hinweg! Wie sollte Gesetz und Sitte bestehen? Doch da sie der Macht, ihn zu tilgen, ermangelten, denn sie waren im Reiche des Fürsten Herodes, so geschah das Beschämende: fanden sich Feinde, 2970 die bisher wie Katze und Hund sich gehaßt: Um einen, der unbequem ihnen allen, zu vernichten, verbanden die Bösen sich beide: Ts baten um Beistand die stolzen Rabbiner bei den Herodianern; die hörten nicht ungern, daß jene Jesum zu dämpfen gedachten; denn der Mann, der den Wahn in der Menge erweckte, es würden gar bald alle Throne erbeben und die Fürsten stürzen zu ihren Stufen, wenn die Herrschaft Gottes vom Himmel beginne — 2980 war dem Mörder Johannis nicht minder heikel, wie der Täufer vor wenigen Wochen gewesen. So hielten denn beide geheimen Rat, wie den Meister unschädlich sie möchten machen. Den Meister ekelte all der Anwurf, mit dem ihn die geifernden Gegner bedachten. Überdies so verdarb das Gelaufe der Leute, ihr Harren und Hocken beim Hause, am Wege am Ende dem Meister die kärglichste Muße, mit den Freunden in Frieden sich zu befragen 2990 und wachen Gemütes mächtig zu werden des bedeutsamen Wandels der wachsenden Dinge. So tat er des Tages denn folgenden Vorschlag: „Laßt uns allein im Nachen hinüber

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in irgend ein einsames Eckchen entweichen und der Leute ein Weilchen ledig uns werden. Meine Brust umbranden gewaltige Wogen. Wohl wünscht' ich, ich wäre der Meinen gewiß!" Sie gingen an Bord ihres guten Bootes und setzten die Segel und stachen in See 3000 und steuerten stät aufs andre Gestade; dort liefen sie an in entlegener Bucht, den Menschen entwichen, wie sie vermeinten, einander vereint zu inniger Letzung, allein mit dem Meister in trauter Gemeinschaft. Kie hatten auch Vorrat mit sich geführt; und als sie das Brot mit einander brachen, begann der Meister ganz unvermittelt: „Achtet mir auf und wahret euch wohl vor dem Sauerteige der Pharisäer 3010 und des Viertelfürsten I Die Heuchler verhüllen ihre Wut unter friedlichen Freundcsworten. Indessen liegen sie auf der Lauer und stellen uns nach, um uns zu vernichten. Der Jünger ist nicht über den Meister und der Hör'ge nicht anders daran denn der Herr, So sie den Herrn Beelzebul heißen, wie heißen sie dann seine Hausgenossen? Bedenkt, schon dämmert's I Und dann wird's tagen! Die Zeichen der Zeit — fast sind sie erfüllt: 3020 Es beginnt des Satans letzte Versuchung, die Drangsal des Endes bricht drohend herein. Kalb wird man euch reißen vor die Gerichte, in Synagogen wird man euch geißeln, vor Statthalter stellen, vor Fürsten führen um meinet« und meiner Worte willen ihnen zum Zeugnis und Zorneszeichen l Doch wenn man alsdann hinweg euch holt und stellt vor den Richter, Rede zu stehen — so sorgt nicht zuvor, was ihr sagen sollt! 3030 Nein, was euch des Augenblicks ein wird gegeben, das sagt! Denn ihr seid es alsdann nicht selber, die da reden: Es rauschet der göttliche Geist! — Dann bringt ein Bruder den andern ins Elend, und ein Vater führt seine Kinder in Ketten, und Kinder kehren sich wider die Eltern und liefern ihr Leben den Würgern aus. Aber euch alsdann werden alle verdammen, dieweil mein Name an euch genannt ist! Wer aber ausharrt bis ans Ende, 3040

72 der wird dem Würger entwunden werden. Und stellt man in dieser Stadt euch nach, so entweicht in die nächste. Wahrlich, ich sage euch: Ihr kommt nicht zu Ende mit Israels Orten, so seht ihr den Menschensohn in der Macht des Höchsten nahen auf Himmels Wolken I — Drum fürchte dich nicht, du winzige Herde; es hat eurem Vater wohlgefallen, daß er euch das Reich vererben will!" Da schaut er sie an mit schimmernden Augen, und Leid und Liebe leuchten darin. Wie gern er sie würbe zu Lust und Wonne! Doch der Weg zur Weite ist, ach, so eng, zum Lichte gelangt man nur durch die Nacht. So muß er sie fordern, den Weg der Gefahr mit ihm zu beschreiten, da Angst und Schrecken des Teufels lauern und Schmach und Tod. O Männer, den Herrn verlangt's nach Helden — was hockt ihr so stumm? Verstört euch die Not? Doch ehe noch einer ihm Antwort bietet, da wird es lebendig am Rande der Bucht: Weiße und streis'ge Gewänder und Tücher gleiten und huschen im Glanze der Sonne hin und wieder, erst weiter, dann näher; Bald hört man auch Rufen, verworrnes Geraune von vielen Stimmen, und hinter den Steinen, da der Meister gelagert mit seinen Lieben, taucht schon ein Turban, ein braunes, verbranntes, im Barte verborgenes, biederes Antlitz, verlegen zur Hälfte, zur Hälfte lachend, mit blitzenden Augen und blendenden Zähnen hervor; dann folgt auch der völlige Mann. Mit dem jubelnden Aufschrei: „Jesus! Hier ist er!" tust er die andern im Rücken heran. Er selber sinkt in den Sand vor Jesu: „Friede sei mit dir, Meister! Die Freude, euch endlich zu finden in Ode und Ferne!" — „Wie ist euch das aber, ihr Leute, gelungen?" „Ich hatte gesehn, daß ihr Segel gesetzt und ausliest in See. Da sagt' ich's den andern; Und viele erfuhren's und eilten zu Fuße herum um den See. Wir wollten euch suchen. Und siehe, wer suchet, wird sicherlich finden! So hast du einst selber den Deinen gesagt." Und es währte nicht lange, so waren der Leute, die der Sonne nicht achtend, am sandigen Saume

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des Meeres ihm folgten, den Meister zu finden, so viele, daß völlig der Platz sich füllte vom Strande bis hin zum Hange der Felsen. Da war es vorbei mit der sinnigen Muße. 3090 Doch er ward nicht verbittert! Er sah die Menge, wie sie lechzte nach Labung und ließ sich's nicht leid sein, den weiten Weg in die Wüste zu machen. Gleichwie eine Herde, die ohne Hirten am Abend sich sammelt und sucht und irret und endlich fragend hält um den Fremden, der des Weges kommt, und erwartet von ihm, daß er zu Tränke und Obdach sie treibe — so harrten die Leute, aus seiner Hand ihres Lebens Erquickung und Letze zu finden. 3100 Ko erhob sich der Herr, und hinan vom Nachen erstieg er ein Stück die steinige Halde; aus einem Blocke setzt' er sich, blickte ins Auge den Hörern, die um ihn hielten, und die Lippen öffnete er und lehrte: „Aeil all den Ärmsten — das Reich ist ihr! den Ergebnen — die Erde wird ihnen gegeben! Heil den Betrübten -- sie werden getröstet! Heil denen, die lechzen in Durst und Hunger nach Gottes Barmherzigkeit — ihnen wird Labung! 3110 Heil, wer gehaßt, geschmäht und gehetzt wird um meinetwillen — jubelt und jauchzet des Tages! So tat man zuvor den Propheten. Denn sieh, euer Lohn liegt euch im Himmel! „Ihr sollt nicht wähnen, ich sei gewillt, Gesetz und Propheten aufzulösen I Ich bin aufgestanden nicht, aufzulösen — ich bin aufgestanden, um zu vollenden! Denn ich sage euch; So eure Gerechtigkeit nicht besser ist denn die der Rabbiner 3120 und Pharisäer, so ist es umsonst, so erringt ihr nimmer das himmlische Reich! „Ihr habt gehört: Bei den Alten hieß es: Du sollst nicht töten! Doch wer es tut, der sei der Rache des Richters verfallen! Doch ich sage euch: Wen Wut anwandelt auf den Bruder, ist reif für das Rachegericht I „Ihr habt gehört: Es hieß bisher: Du sollst die Ehe nicht irren und brechen! Doch ich sage euch: Wer ein Weib nur anschaut, 3130 sie zu begehren, der hat begonnen und hat schon im Herzen den Bruch vollbracht.



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„Gs hat weiter geheißen: Wer sein Weib fortweist, der soll einen Schein der Scheidung ihr geben I Doch ich sage euch: Wer sein Weib fortweist, der bringt sie dadurch zum Ehebrüche. „Ihr habt auch gehört: Bei den Alten hieß es: Du sollst nicht Meineids schuldig dich machen und sollst dem Herrn dein Gelübde halten I Doch ich sage euch: überhaupt keinen Eid! Weder beim Himmel — dem Throne des Höchsten, noch bei der Erde — des Ewigen Fußbank! Bei Jerusalem nicht — da sein Name ruht! Noch bei deinem Haupt — da du kein Haar vermagst, weiß oder schwarz zu machen! Vielmehr: Euer Ja das sei ein Ja, euer Nein ein Nein! Was darüber hinausgeht, das stammt vom Bösen, entsteht aus der Lüge! „Ihr habt gehört: Es hat geheißen: Auge um Auge! Zahn um Zahn! Doch ich sage euch: „Vergeltet garnicht! Nein, wer auf die eine Wange dich schlägt, dem halte du auch die andere hin! Und wer um dein Kleid dich will verklagen dem laß in der Hand auch gleich das Hemd! Wer dich preßt, eine Meile mit ihm zu machen, mit dem gehe auch die andre noch! „Ihr habt gehört: Es hat geheißen: Du sollst den Landsmann und Nächsten lieben: deinen Haß laß fühlen deinen Feind. Ich aber lehre euch: Liebt eure Feinde! Segnet eure Widersacher! Flehet für die, die euch verfluchen! Tut denen wohl, die wider euch wüten! „Denn liebt ihr die, die euch wieder lieben — was habt ihr für Lohn? Das leisten auch Zöllner. Und grüßt ihr friedlich Brüder und Freunde — auch die Heidenmenschen grüßen sich herzlich. Oder leiht ihr und hofft, ihr erlangt es zurück — was tut ihr Besondres? Das tun auch die Sünder. Nein leiht sonder Hoffnung zurückzuerlangen; grüßt da, wo ihr Dank nicht denkt zu erhalten; und liebet, da man euch Leides tut. Dann heißt ihr Söhne des Vaters im Himmel. Denn siehe, er läßt seine Sonne leuchten, sie geht auf über beiden, Guten und Bösen; sein Regen fällt auf Gerechte und Sünder. Ko sollt denn ihr vollkommen sein,

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75 wie euer Vater vollkommen ist. Alles, was ihr wollt, daß euch die Leute sollen tun, das tut ihr ihnen auch! „Habt acht und übt eure Frömmigkeit nicht vor den Menschen, daß sie es bemerken I Wo nicht, so denket nimmermehr Dank bei eurem Vater im Himmel zu finden! Wenn du nun Almosen gibst, laß ab, vor dir herzuposaunen wie die Heuchler in Synagogen und auf den Gassen, auf daß sie gelobt von den Leuten werden. Wahrlich, sie haben den Lohn dahin; Doch du, wenn du deine Gabe gibst, so laß nicht einmal deine linke Hand erraten, was deine rechte verrichtet, daß ungesehen dein Almosen sei. Und dein Vater, des Auge alles steht, wird ungesehen dir es segnen! Wenn ihr betet, so haltet es nicht wie die Heuchler Die stehen gern in den Synagogen und an den Ecken der Straßen zur Andacht, damit die Menschen sie mögen bemerken. Wahrlich, sie haben den Lohn dahin! Doch du, wenn du betest, so verbirg dich in deiner Kammer, da keiner hinzukommt, und zieh die Türe hinter dir zu und bete zum Vater im Verborgnen. Und dein Vater, des Auge alles sieht, wird ungesehen dir es segnen! Und wenn ihr fastet, so seht nicht finster, wie die Heuchler es üben: Sie entstellen ihr Äußres, um aufzufallen mit ihrem Fasten. Wahrlich, sie haben den Lohn dahin! Doch wenn du's übst, so wasche dein Antlitz und salbe dein Haupt, daß niemand es sehe, wie du fastest, außer dem Vater im Himmel. Und dein Vater, des Auge alles sieht, wird ungesehen dir es segnen. „Richtet nicht andre, sonst richtet man euch! Verdammt nicht andre, sonst verdammt man euch! Das Gericht, das ihr anstellt, trifft euch! Mit dem Maße, das ihr nehmt, mißt man euch! Du achtest des Splitters im Auge des andem und wirst nicht des Balkens im eignen gewahr! Wie darfst du sagen zu deinem Gesellen: „Warte, ich will aus dem Auge dir wischen

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76 den Splitter I Und doch ist der Balken in deinem! Erst hebe den Balken aus deinem, du Heuchler; dann sieh, wie du ihm den Splitter ouswischst! „Man erkennt den Baum an der Frucht, die er bei Aus Disteln findet man nimmer Feigen, und nimmer trägt der Dornbusch Trauben. 3230 Der edle Baum gibt echte Frucht, der wilde trägt nur trügende Früchte; der edle kann nicht arge tragen, noch wahre Frucht der wilde bringen. Der Baum, der gute Frucht nicht bringt, der wird gefällt und ins Feuer gesteckt. „Darum, was heißt ihr mich: „Herr, Herr!" und was ich sage, das tut ihr nicht? Wer her zu mir kommt und hört meine Worte und tut sie — seht, wem ein solcher gleicht: 3240 Der ist gestellt wie ein Mann von Verstand, der ein Haus wollte haben und grub den Grund bis er Felsen sand zum Fundamente. Da wehte der Wind, und der Regen rauschte, und die Wasser wuchsen und wühlten ums Haus und vermochten dem Hause nichts anzuhaben, weil das Fundament auf den Felsen gelegt war. „Doch wer vernimmt und tut es nicht, der macht es wie der törichte Mann: 3250 Der setzte sein Haus auf den lockeren Sand; da wehte der Wind, und der Regen rauschte, und die Wasser wuchsen und wühlten ums Haus, da wankt' es und tat einen tiefen Fall."

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Sechster

Hirt ir n d

Gesang

Herde

Der Meister verstummte; noch starrte die Menge, von der Grütze ergriffen der wuchtigen Worte, die ein neues Gesetz, eine neue Sitte, aus Liebe geboren gleich Frucht vom Baume, wie ein neues Gebot vom Berge verkündeten. Doch dann kam Leben unter die Leute I Wie drüben daheim so drängten auch hüben 3260 sich mancherlei Leidenbeladne herzu, und der Meister versagte der Menge sich nicht und versuchte sein Bestes mit Gottes Beistand und half ihrer manchem, so gut er's vermochte. Und ein Hochgesühl umsing und umhauchte von Stunde zu Stunde je mehr und mehr diese Menschen, die unvermengt mit den Argen, ihm hingegeben in Herzenseinsalt, den Herrn umwogten in höchster Erwartung: Denn hier war der Hirte, den heuer der Herde 3270 der Höchste im Himmel selber gesetzt I Hier war der Prophet, der feurig den Anbruch der letzten Not vor der nahen Erlösung, mit Worten und Wundern bewährt, verkündet. Ko hob denn der Herr noch einmal an: „Wir haben nichts Heimliches unter einander, das alsbald der Well offenbar nicht würde I Denn was ich im Winkel am Saume des Sees euch zugeraunt, das ruft in die Welt von den Stiegen und Dächern der Dörfer und Städte 1 3280 Und ich sage euch: Fürchtet euch nicht vor Feinden, die den Leib nur töten; dann ist ihr Tun am Ende und wissen nicht weiter zu wüten! Ich will euch weisen, wen ihr sollt fürchten: Fürchtet denn ihn, der autzer zu töten noch Fug hat, Seelen zur Hölle zu senden! Wahrlich ich sag' euch: denselbigen fürchtet! Man erhält zwei Sperlinge um einen Heller.

78 Und doch fällt keiner vom Dache zur Erde, wo Gott es nicht gibt! Ja, find nicht sogar 3290 auf dem Haupte die Haare euch alle gezählt? Drum guten Wut! Noch geltet ihr mehr denn alle Vögel unter der Veste! „Mer denn zu mir sich bekennt vor den Menschen, zu dem bekennt sich, wenn er nun kommt, der Menschensohn inmitten der Seinen. Doch wer mich verleugnet unter den Leuten, den wird auch Gottes Erwählter, verleugnen am Tag des Gerichts, da das Reich er errichtet!"' Da warf ihm einer das Wort dazwischen: 3300 „Aber wo und wann ereignet sich alles?" Vor Wahn aber wollte der Herr sie warnen. So begann er zu raten zu wachsamer Ruh': „Des Reiches Errichtung ist nicht zu berechnen; Man kann auch nicht deuten:„Da!" oder:„Dort!" Mit einem Schlage ist's unter euch! Denn wo ein Kluger euch wollte erklären und sagen:„Sehet: Da ist der Gesalbte! Er weilt in der Wüste!" — wandert nicht hin! „Er harret im Hause!" — haltet euch fern. 3310 Denn so, wie der Blitz den gesamten Himmel von Aufgang erleuchtet bis Untergang und, soweit du schaust, mit Schein überflammt, so geschieht die Erscheinung des Menschensohns. „Doch wie sie einst taten in Noahs Tagen, so tun sie es noch, wenn der Menschensohn naht: Sie zehrten und zechten und hielten Hochzeit selbst noch, da Noah zur Arche einging — da nahte die Flut und vernichtete alle! „Wer alsdann des Tags auf dem Dache zu tun hat und hat noch Geräte im Hause zurück — der geh nicht hinein, sie herauszunehmen! Und wen's überfällt auf dem Felde draußen, der kehre nicht heim, seine Habe zu holen! Gedenkt: Wie erging es der Gattin Lots?! Ich sage euch wahrlich, das sollt ihr wissen: Zwei liegen die Nacht auf dem nämlichen Lager: Der eine von ihnen wird angenommen, der andre dem Untergange geweiht. Zwei mahlen zusammen an einer Mühle: 3330 Die eine von ihnen wird angenommen, die andre dem Untergange geweiht." Da riefen verwirrt ihrer etliche: „Wo?" Er sprach: „Wo das Aas liegt, äsen die Adler!

79 An der Richtstatt liegen die Leichen herum." Ja wahrlich, wüßte der Herr des Hauses, in welcher Nacht der Dieb sich ihm nahe, er wachte gewiß und würde dem wehren, daß der Dieb ihm Laden und Luken zerbricht. Drum seid gerüstet und wohlbereit: 3340 Es naht der Menschensohn, eh' ihr's vermeint. „Mer treibt es nun wie der treue Knecht, den der Herr, da er fort in die Ferne reifte, über sein gesamtes Gesinde setzte, zur rechten Zeit ihnen allen zu reichen, was jedem geziemt an Gewand und Zehrung? Heil dem Knecht, den der Herr, wenn er heimkommt, getreu in Wirken und Walten betrifft Wahrlich, ich sage euch; Ja, er setzt ihn über all seine Habe, ihm hauszuhalten I — 3350 Doch sollte der Knecht im Sinne sich sagen: „Es währt noch lang, bis er wiederkommtl" und beginnt, die Knechte und Mägde zu Knuten, und schmaust und trinkt mit den Trunkenbolden, so kehrt der Gebieter des Burschen wieder eines Tags, da er dessen am wenigsten denkt, und in einem Augenblick, da er nichts ahnt, und schlägt ihn zu Boden und gibt dem Buben, nachdem er verdient mit dem tollen Tun. Drum ringet, die enge Tür zu erreichen! 3360 Denn die Tür ist weit und der Weg ist breit, der ins Unheil führt, und ihrer sind viele, die ihn finden und ein zum Unheil gehn, und die Pforte ist eng und der Pfad gedrang, der zum Leben führt, und wenige finden's. Kat der Herr vom Tische sich erst erhoben und das Tor seines Hofes zugetan, und ihr harrt vor dem Hause und pocht und hämmert und ruft; „Herr, tue dar Tor uns auf 1" so wird er erwidern: „Ich kenn' euer keinen 3370 und weiß nicht, von wannen des Weges ihr kommt! " Und fangt ihr dann an, ihm vorzuerzählen, „Wir haben doch mit dir beim Mahle gesessen und bist gegangen durch unsere Gassen." so versetzt er: „Ich sage, ich kenn' euer keinen. Hinweg von mir, alle ihr Übeltäter!" Da gibt es dann Zähren und Zähneknirschen, wenn ihr Abraham, Isaak, Jakob und alle Propheten am Tische Gottes seht tafeln und alle von Morgen und Mittag und Abend 3380

80 und Mitternacht nahen zum Mahle im Reichl „Am Feigenbäume mögt fein ihr es merken: Wenn der Trieb in Saft kommt und treibt die Blätte so erkennt ihr: Der Sommer ist kommen und nah. Und nun, so ihr seht die Versuchung nahen, so erkennt: Es kommt so Reich wie Gericht I Wahrlich, ich sage euch, die ich hier sehe: Euer keiner wird den Tod noch kosten, bis daß ihr es alles mit Augen erschaut I Erde und Himmel gehen dahin; 3390 meine Worte dagegen vergehen nicht I" Ko schloß die Rede. Und heiße Erregung durchwogte die Gruppen, die, rings im Grase gelagert, den Lippen des Meisters lauschten. Die Sonne indessen begann zu sinken und neigte zum Abend — dann nahte die Nacht. Da traten die Jünger zu Jesu und sprachen: „Der Ort ist öde! Der Abend bricht einl Entlasse die Leute! Vor lauter Lauschen 3400 ist keiner von ihnen zum Essen gekommen. Laß sie Obdach nehmen, ehe es nachtet und sie irre gehn in der einsamen Gegend I" Da gab es Gott dem Herren ins Herz, die Treuen, die heiliger Hunger getrieben, in die Heide zu wandern zum Hirten der Herde, noch enger, als Worte es immer vermochten, durch heiliger Handlung Wunderweihe mit sich und den Seinen zusammenzufügen und in irdischer Armut vorzufeiern 3410 mit der hoffenden Menge das Himmelsmahl. So fragte er denn die verdutzten Freunde: „Wieviele Brote habt mit ihr gebracht?" Sie versetzten: „Sieben. Doch sage, was soll das, die aufzutischen den tausend Essern?" Doch er erwiderte unbewegt: „Lasset die Leute alle sich lagern zu kleinen Gruppen im grünen Grase." Und sie gingen und gaben die Weisung weiter. Und bald wie Beete, ein buntes Bild, hockten und lagen die Leute und harrten, 3420 was das seltsame Ding wohl bedeuten solle. Da öffnet der Meister noch einmal den Mund, durch Gleichnis die hohe Handlung zu deuten: „Einst machte ein Mensch ein großes Mahl und lud gar viele Leute dazu. Und als er die Stunde der Feier bestimmt,

81 da sandte er rings seinen Rufer herum, den Auserkornen zu künden: „Kommt, es ist alles bereit und angerichtet." Da fingen sie alle sich an zu entschuldigen. 3430 Der erste gab an: „Ich hab' einen Acker zu kaufen und kann deswegen nicht kommen, denn ich habe ihn anzusehen vereinbart. Ich zähle daher auf deine Verzeihung." Der andre warf ein: „Ich gedenke mir Ochsen fünf Joch zu kaufen. Da kann ich nicht kommen. Ich muß zu dem Manne, um sie zu mustern. Ich zähle daher auf deine Verzeihung." Ein dritter sprach dreist: „Geheiratet hab' ich. Und darum kann ich zum Mahle nicht kommen." 3440 „Und als nun der Rufer zurückgekehrt und dem Herrn diese Antwort alle gemeldet, da packte den Hausherrn Empörung; er rief: „Jetzt eile und geh auf die Gassen und Gänge, an die Gräben und Hecken und grünen Häge und lade mir ein die Obdachlosen, die kriechenden Krüppel, die nackende Not. Denn ich sage euch: Es soll nicht einer von all den andern zuerst Geladnen einen Bissen nur schmecken von meinem Schmaus." „Nun sehet euch um: Ihr sucht unter euch Rabbiner umsonst und Pharisäer, die den Willen Gottes vorgeben zu wissen und rühmen sich selbst als gerecht dem Gesetze. Doch der Höchste kennt die Herzen der Heuchler; und was die Menschen am meisten bewundern, das ist ein Ekel in Gottes Augen. So bewähren sie böse das bittere Wort: Gefordert sind viele, doch wen'ge erwählt. „Das darf euch nicht dauern. Nein, freut euch, daß Fremdes nicht trennend uns tritt in den trauten Kreis. Heut gönnt uns Golt das Höchste und Hehrste. Das Heil'ge gehört nicht unter die Hunde, und Perlen setzt man den Säuen nicht vor. Sie treten das Feine nur unter die Füße und wenden sich gegen den Geber in Wut. „So erhebt die Herzen und laßt euch laden bei Gott zu Gaste, auf daß er euch gebe, zuvor gefeiert in irdischer Armut, das Mahl der Weihe zur ewigen Welt." 3470 Und er nahm die Brote und brach sie zu Brocken und hob die Augen gen Himmel aus



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und dankte in Demut der dürftigen Gabe und bat:„O Herr, erbarm dich der Herde, die hier um den Hirten hoffend sich schart." Und so, wie er jüngst seine Jünger gelehrt, so wählte er wieder dieselbigen Worte: „Kater, dein heiliger Geist erfüll' uns und reinige unsl Es komme dein Reichl Dein Wille geschehe, wie schon im Himmel, 3480 also hienieden auch auf Erden! Unser Brot für morgen brich uns heute I Und schenk' uns allen unsere Schulden, wie auch wir den Schuldnern die Schuld erlassen. Und führe uns nicht in die Anfechtung, sondern birg uns vor dem Bösen I Denn dein ist die Herrschaft, die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit, amen!" —und ernst in den Abend vom Munde der Menge kam Antwort:„Amen!" Und jetzt gab Jesus den Jüngern das Brot 3490 und etwas Fisch, der sich angesunden; und sie gingen rings durch die Reihen der Gäste und boten jeglichem seinen Bissen. Und sie aßen und ahnten in inniger Andacht, daß der Meister dem Ew'gen sie anvermählt. Danach aber nahm und genoß ein jeder, soviel er an Vorrat mit sich geführt. Und es war ein williges Brudergewähren: Wer übrig hatte, gab anderen ab, und kargte keiner, und aßen alle 3500 und bewegten in raunender Rede die Worte, mit denen der Meister das Mahl gedeutet. Und etliche dachten in dämmernder Ahnung: „Steht dieser nicht da, wie Gottes Vertrauter, dem Reich und Gericht seine Gunst übergeben?" So mutete manchen der Meister an, und sie waren verwirrt und wußten nicht des seltsamen Rätsels Sinn zu ergründen. —

Alsbald drang Jesus in seine Jünger, das Boot zu besteigen und loszusteuern nach Bethsaida, bis selbst er die Leute entlasse. Dann konnt' über Nacht ihnen nach er kommen. Sie gingen zum Boote und banden es los und hörten den Meister die Menge ermahnen, von ihm abzulassen, damit er allein am Berg im Gebete Gott begegne. Und wie sie vom Strande sich zerstreute, stieg er hinan; sie stießen den Nachen

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vom Ufer ab und setzten das Segel und steuerten nah dem Gestade nordwärts, 3520 damit sie Bethsaida in Sicht bekämen. Da kam ein Wind aus, ihnen zuwider, und sie mühten sich, fürder Fahrt zu machen. Doch da nun die Nacht hernieder sich senkte, waren sie höchstens auf halbem Wege und wußten bald nicht, wo sie denn trieben, in den offenen See oder näher dem Ufer. Als endlich im Osten der erste Schimmer des Morgens ergraute über dem Meere und der Wogen Schäume in fahlem Scheine 3530 durch diesigen Dunst herüberdämmerten, — da fährt einer auf und weift mit dem Finger über Steuerbord und stammelt bebend: »Da wandelt etwas über die Wogen!" Sie spähen durchs Zwielicht nach dem Spuke und schreien auf — da schreitet einer, umbraust vom Gischt der brechenden Brandung, näher und näher — vorbei dem Boote. Da merken sie endlich: Es ist der Meister! — Der als Gottes Gesandter sie gestern gesegnet, 3540 wie ein Mittler vom Himmel das Mahl geheiligt — will den durch ein Zeichen der Himmel bezeugen? So schüttelt sie Angst und Ehrfurchtsschauer, und sie starren bestürzt und scheu aus dem Schiff. Da schallt ein Wort die Wogen herüber, des Meisters Ruf: „Nur Mut! Ich bin's! Ängstigt euch nicht!" Sie atmen auf, steuern zu auf das Gestade und finden den Meister — auf festem Boden I, übernehmen den Müden mit in den Nachen 3550 und stechen in See wieder gen Bethsaida, noch immer benommen vom nächtlichen Auftritt. Die Toren, dem Manne so kindische Tollheit: aufs Wässer zu treten, zuzutrauen, der den Sprung vom Tempel als Lockung des Teufels, als Versuchung des Ewigen angesehen und Machterweise zu müß'gem Verwundern nie vom Himmel zu heischen gewagt! Doch es wächst der Sturm, die Wellen stürzen über Bord ins Boot — wer mag sie meistern? 3560 Furcht und Schauder erfaßt die Schiffer . Die Teufel der Tiefe heimsen zum Tod! Er aber, matt von des Tages Mühen, von Reden und Weihe gewaltsam erregt,

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vom Wege und Marsche am Meere'müde, liegt wie gelähmt hinten am Heck auf dem Pfühl in tiefem Schlaf wie ein Toter. Der Winde Gebraus, der Wogen Gebrüll dringen nicht ein durchs schlummernde Ohr. Da rütteln die Jünger ihn jäh aus der Ruhe: „Meister, und machst du dir nichts aus der Not? Wir gehen zu Grunde, ins gähnende Grab." Er aber erhebt sich; am Maste sich haltend, reckt er die Rechte ins wilde Gewühl wider die Geister, die Gottes Erwählten in die Tiefe trachten tückisch zu ziehn, und herrscht sie an mit donnerndem Hall: „Seid still und stumm! In die Tiefe, ihr Teufel!" Dann wendet er sich an die Seinen wieder: „Was seid ihr verzagt? Ist das eure Zuversicht? Gott hält seine Hand über uns auch hier." Da kam vom Meister der Mut über sie, sie faßten sich und besiegten die Furcht. Und das Wetter verzog, die Wellen sanken, Die See ward glatt und sie glitten sanft. Und als sie Umblick wieder gewannen, erkannten sie bald, daß ihr Boot der Küste bei der Au von Gennesaret sich nahte . . . so weit verschlagen vom schlimmen Wetter. Kaum daß sie eben aufs Ufer liefen, fast ehe sie waren ausgestiegen, so wurden sie schon erschaut von solchen, die den Meister kannten und seine Männer. Dalmanutha war der Name des Ortes, zu dem sie die Fahrt durch das Dunkel geführt. Herberge ward ihnen bald geboten; doch Ruhe und Rast genossen sie nicht. Denn auf die Kunde, zum Orte sei kommen der erprobte Arzt von Kapernaum, kamen die Leute mit Kranken gelaufen, suchten ihn Sieche und Süchtige auf. Und er wußte sich ihrer nicht anders zu wehren, als daß er der Ärmsten von ihnen sich annahm. Und als er im Boot ihnen bald enteilte, so wallten sie weiter am Uferwege und holten ihn ein in Kapernaum. Und alsbald so war's das gewohnte Bild: Der Haufe der Hülfe heischenden Kranken vor Hofe und Hause harrend und hockend und ihn umwerbend, sobald er es wagte,

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85 einen Fuß vor Türe und Tor zu setzen. So arg schon trieb es der Aberglaube, daß manche Gequälten des Mantels Quasten zu berühren suchten, um Rettung zu finden. Und noch hatte nicht der Herr unternommen, die Leute am Orte und, die aus dem Lande herbeigeeilt zu dem Boten Gottes, nach seiner Sitte wie sonst zu lehren — da traten trotzig die Führer der Feinde herzu; es zuckte in ihren Zügen verheerender Haß und hoffender Hohn; und nun — nach reiflich bedachtem Rate — erhoben die Heuchler ein letztes Verlangen: „Meister, du weißt, deine Lehre verletzt uns. Wir wagen die Wege, die du uns weisest und wider Gesetz und Sitte wandelst, nicht einzuschlagen. Das sagen wir offen. Und dennoch deuten die Wunderwerke, die dir gelingen bei allerlei Leiden, auf mächtige Hand, die mit dir ist. Du sagst, das füge der Finger Gottes, dem Volk zu bezeugen die Fülle der Zeit. Deine Gegner sagen, das gebe der Satan; du feist mit dem Bösen in argem Bunde. Nun zwinge die Zweifel der Neider darnieder! Ob Gott dich schicke, so gib uns zu schauen, daß Teufels Tücke uns nimmer täusche, am Himmel des Höchsten ein Zeichen der Zeit!" So sprachen die Heuchler gleißnerisch, hoffend, er werde entweder des Wunsches sich wehren und, Machtlosigkeit mit Würde bemäntelnd, vorwenden, sie seien des Wunders nicht wert, — eine lahme Entschuldigung, deren man lachte — oder dreist und drohend vom Höchsten droben ein Zeichen begehren, das ihn bezeuge, und dann — versagten Begehrens — verdammt in Schimpf dastehen mit Schande und Spott. Da entrang sich dem Meister aus müdem Herzen ein Seufzer der Pein, und er sagte empört, die verruchte Berechnung der Schurken durchschauend: „Das böse, verschlagne, verbuhlte Geschlecht begehrt ein Zeichen; doch wird ihm gegeben kein andres, denn Ninive einst empfing: Denn die Männer von Ninive melden sich noch am Tage der Ahndung, diese Art verdammend ob ihres hartohrigen Dünkels;

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denn sie sind in sich gegangen, als einst sie Iona rief zu Buße und Reue. Und hier, ich meine, ist mehr denn er! Don Saba die Herrscherin wird sich erheben, im Gericht und dieses Geschlecht verdammen. Sie eilte herbei vom Ende der Erde, der Weisheit Salomos wahrzunehmen. Und hier, ich meine, ist mehr denn er! — „Ja, so ihr im Westen seht eine Wolke aufsteigen, so wißt ihr Bescheid auf der Stelle: „Ts gibt heut Regen!" und richtig! so geht es. Und weht der Ostwind, so heißt es gewiß: „’s wird heiß I" und wiederum habt ihr's gewußt. Ihr Heuchler, das Antlitz von Himmel und Erde wißt ihr zu würd'gen. Was weigert ihr euch und zaudert, die Zeichen der Zeit zu entziffern?" Und er ließ sie stehen. Und stolz und zornig schritt er hindurch zwischen den Bedutzten, zu Simons gastlichem Dache zu gehen. Keine Jünger wunderte freilich sein Wesen: Er, der sonst immer zum Arger der Gegner, bei den Leuten beharrend, ein letztes Wort als härtesten Hieb, auf die Feinde geführt, saß in sich gekehrt und achtete kaum der Fragen der Freunde, des Lauerns der Leute. Was bewegte ihn nur und nahm sein Wesen so völlig gefangen, daß selbst der Feinde Umtriebe und Arglist achtlos ihn ließen? Ko rieten ihm redliche Pharisäer, die auf Gottes Herrschaft hofften wie er: „Heb dich von hinnen! Man raunt: Herodes gehe aus darauf, dich umzubringen I" Da erwiderte er auf solche Warnung: „Geht hin und laßt diesen Wolf es wissen: Siehe, ich meistre unsaubre Dämonen und wirke Heilungen heute und morgen; doch übermorgen, so nehme ich Urlaub und lasse dein Land. Denn es leidet's nicht, daß ein Prophete sein Ende finde und außer Jerusalem untergeh'I" — Die Jünger vernahmen das notvolle Wort und stutzten erschreckt; denn sie verstanden zwar nicht, was das Wort am Ende denn wolle, doch schlich ein Gefühl voller Furcht und Ahnung ans Herz den Guten: Ihr Meister gehe hinein in dunkele Nächte der Not.

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87 Mnd bald, so bat er sie: „Laßt uns dem Boden Galiläas entweichen. Es lastet mit Wucht mir Harm und Sorge auf Herzen und Sinn. Hier find' ich nicht Rast, daß meinem Vater die furchtbare Last zu Füßen ich lege und Rat und Ruhe erringe bei ihm." Da brachen sie auf vom Ufer des Sees, das Land zu verlassen, das nun so lange so Wort wie Wandel des Gotterwählten erfahren, doch nimmer die Kraft gefunden, sich ihm hinzugeben mit ganzem Herzen, Doch es blieb nicht verborgen, daß er und die Boten, die rings im Gebiete zur Buße gerufen, dem Reich des Herodes den Rücken kehren und fort in die Ferne entweichen wollten. Da stellte sich einer bei Jesu ein und erbot sich: „Meister, ich wandere mit, wohin du auch gehest!" Doch er entgegnet: „Die Wölfe im Walde haben Höhlen und unter dem Himmel die Vögel Hecken. Der Menschensohn, den du stehst, muß missen eine Stätte, dahin er sein Haupt mag legen." Ob jener beharrt nach Jesu Worte, ihm nachzufolgen, finden wir nicht vermerkt in der Sammlung der Worte des Meisters. Der das Wort uns bewahrt, der war gewißlich von Mitleid erfüllt mit dem Meister, der mannhaft, von Hause und Hofe und Heimat scheidend, in freunidlose Fremde zu, ziehen nicht zaudert, da der himmlische Vater es scheint zu fordern, und dennoch, Gefährten zum Gang in Gefahr mit Lug und List zu erlocken verschmäht, nein, offen und ehrlich sie warnt, das Opfer ohne Wägen in Ungestüm zu wagen. Andere aber, die selbst er ersuchte, in Not und Ferne ihm nachzusolgen, aber schwankend fand, das Schwere zu wagen, die griff er auf mit grimmigem Anruf und riß sie heran zum schwindelnden Rand und zwang sie, ein Ende dem Zweifeln zu machen. Ko erwiderte einer, an den er sich wandte und forderte:„Komm und folge mir nach!" : „Meister, erlaube und laß mich zuvor noch fort und meinen Vater bestatten I" Doch er erwiderte heilig-wild: „Die Leichen laß ihre Leichen bestatten I

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88 Du aber folge der Fahne Gottes!" Gin andrer hob an: „Ich folge dir, Herr! 3750 Nur vergönne den Gang, daß ich vorher daheim von den Angehörigen Abschied nehme!" Doch der Meister schaute ihm scharf ins Auge und sprach: „Wer die Hand am Pfluge hat und über die Schulter rückwärts schielt, der ist nicht geartet fürs ewige Reich I" — Und er riet seinen Freunden, die mit ihm reisten: „Wenn etwa dein Fuß dich verführen will, hau mit dem Beile ihn ab! Denn besser, du gelangest hinkend zum himmlischen Leben, 3760 denn du habest zwei Füße und fahrest zur Hölle! „Und will dir die Hand zum Verhängnisse werden, hau mit dem Beile sie ab! Denn besser, du gelangest als Krüppel zum Leben im Lichte, denn du habest zwei Hände und fahrest zur Hölle I „Beirrt dich dein Auge — reiß es herausI Denn besser, du erbest einäugig das Leben, denn du gehest zweiäugig zur Hölle ein, da ihr Wurm nicht weicht, noch die Lohe erlischt." Ein herbes Wort für die halben Helden, 3770 die ihr Menschliches gern wohl möchten bemeistern und dennoch das Heft in der Hand nicht behalten. Da taugt nur eines: alles zu tilgen, jeden Wunsch zu vernichten noch in der Wurzel, damit er wachsend nicht überwuchre. Doch freilich, ein höheres Herrentum übt, wer da wachsen,läßt, was aufgeht, aber dann nur duldet, was ihm gedeiht. — So zog von dannen der Meister mit denen, von denen er hoffte, sie würden beharren 3780 in Feindesgefahr und in der ärgern, da des Herzens festeste Hoffnungen fallen und der Ewige starrende Augen stört.

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Gesang

Opfer — Uollerrver

Kie wandten zuerst sich gen Nordwesten und gelangten bald in lyrisch Gebiet, das weit nach Osten vom Meer landeinwärts bis an des Herodes Grenzen reichte. An einem Orte dort fand er Obdach in einem Hause und hoffte im stillen, 3790 daß keiner wisse, er weile allhier. Doch konnte das kaum verborgen bleiben. So kam es denn auch einem Weibe zu Ohren, deren Tochter vom Teufel besessen man sagte (es sei nicht geheuer — so hieß es — mit ihr I) Die schöpfte denn Mut und machte sich auf, bei dem Wundertäter, von dessen Wirken der Ruf auch diese Ortschaft erreicht, ihrem kranken Kinde Hülfe zu holen. Sie fand ihn und siel ihm alsbald zu Füßen, 3800 und klagte auf Griechisch ihren Gram und bat ihn, er möge den Unhold bannen und ihr liebes Kind von dem Leiden erlösen, mit dem er sie immer auf« neue ängst'ge. Die Notvolle war phönikischen Blutes wie die meisten Bewohner der Küstenprovinz, die Sprache allein war hellenisch an ihr. Da der Meister sie sah» überkam es ihn seltsam. Er, der sich soeben dem eigenen Volke mit Harm und Zorne im Herzen entzogen, 3810 sollte hier der Heidin, die nur den Heiler in ihm sah, aber sonst an Sinn und an Seele mit dem jüdischen Manne gemein nichts hatte, die helfende Hand barmherzig bieten? War er dazu gestern von dannen gegangen, um heute bet Heiden das aufzunehmen, was er jäh bei den Juden erst eingestellt? So sprach er zu ihr mit spröder Gebärde: „Cs ist nicht Gebrauch, den Kindern das Brot

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zu nehmen und hin- den Hunden zu werfen! * Wohl ging dem Weibe das Wort wie Galle 3820 so bitter und böse zum Inneren ein. Doch schluckte sie schweigend die schlimme Entgegnung. Die Mutterliebe vermochte sie, mit lächelnden Lippen das Wort zu wenden; dem Kind zugute gab sie zurück: »Ja, Herr! Und dennoch: Die Hündchen essen die Bissen, die auf den Boden fallen!" Da war im Nu die Wolke verweht, die auf Jesu Stirne noch eben gestanden. Der beharrlichen Liebe erlag sein Herz. 3830 Und sollte sein Vater nicht auch empfinden, wie heilig und hold diese Sorge sei, und den Wunsch der gemarterten Mutter gewähren? Drum sprach er, getrost auf ihn vertrauend: „Um des Wortes willen so wandle heim; du findest den Unhold ausgefahren." Und dem Vater gefiel's, das arglos edle Vertrauen des Herm nicht hart zu treffen; er gönnt' ihm Erhörung: daheim im Hause fand matt die Mutter, doch leidenerleichtert 3840 in der Kammer das Kind auf dem Lager liegend, und der Dämon schien ihr von dannen gescheucht. Und jetzt kam Jesus mit seinen Jüngern ins Land des Viertelfürsten Philippus, durch die Dörfer der Residenz Zäsorea, wo der Jordan entspringt mit mächtigem Sprudel und die Heiden dem Pan ein Heiligtum hegten. Den Ort hatten einst Dans Söhne erobert und gefeit mit dem Bilde des Bauern Micha, das sie durch Raubtat ihm entrissen; 3850 und König Ierobeam hatte sein „Kalb", den goldenen Stier dahin gestiftet. Jetzt zollte der Ort dem Zäsar die Ehre — doch wenn sein Name noch heute genannt wird, so dankt er's den armen Dörfern im Umkreis, die der Meister, die Menschen meidend, durchzog. Ihm ging's durch den Sinn mit anderen Sorgen, ob nach der Versammlung am See und dem Mahle nicht mancher meine, er sei der Gesalbte, der mit der Gewalt der Rosse und Wagen, 3860 mit der klirrenden Macht der Mannschaft Judas so Rom wie Herodes werd' überwinden und die Herrschaft errichten der Heil'gen des Höchsten — ein wildes Spiel, das stets er verworfen,

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in dem er Versuchung des Satans gesehn. Das erwog er, wandernd den einsamen Weg. So blieb er stehen und stellte die Frage: „Was sagen die Leute, daß ich sei?" Denn eher als ihm kam ihnen zu Ohren, was der Mund des Volkes vermutend gemunkelt; 3870 Da hieß es: „ Sie sagen, du seiest Johannes der Täufer, der auferstanden vom Tode! Andre wohl auch: Der Propheten einer! Zuletzt verlautet: Du seist der Elias, der vor dem Messias das Volk erweckt!" Und er blickte sie an, vom einen zum andern, und seine Seele spähte gespannt: „Aber ihr — was sagt ihr, daß ich sei?" Da trat hervor »mit geballten Fäusten und versetzte Simon:„Du bist der Gesalbte, 3880 der unsere Schmach und Elend endet und Israel zu Ehren bringt!" Und stille ward's, aller Atem stockte, ihr Blick hing lauschend an seinen Lippen. Doch es kam kein Ja aus Jesu Munde — zwar auch ein Nein ward nicht vernommen. Aber Zorn überzog die gemarterten Mienen des Manns, der da rang in reinster Regung, des Ewigen Rat und Weg zu enträtseln, und er herrschte sie an mit herben Worten: 3890 „Ich wähnte, ihr würdet das Salz der Welt — doch ich finde, das Salz ist fade geworden! Es nützt zu nichts. Man wirst's auf den Weg. Und wehe — womit soll nun man würzen?! Das Auge ist des Leibes Licht: Ist es rein, so rinnt Licht in den Leib! Wo nicht, so liegt dein Leib in Nacht. Euch sind die Augen gehalten bis heute, daß ihr nicht seht, was Gott im Sinn hat! Mahl bin ich erwählt, zu entfachen ein Feuer; 3900 Und wie verlangt mich's, es loderte schon! Doch sollt ihr lernen: Der Gesalbte muß leiden in Blut eine Taufe und schmählichen Tod — wie ist mir angst, bis sich's vollendet! Wo ihr das nicht faßr, sind Dunkel und Finsternis noch wohnend in euch und ihr nicht wert, zu reden und.künden von Gottes Erkorenem. Ich gebiet' und beschwör' euch, des Dinges zu schweigen! Das aber wisset dennoch: Wahrlich, die ihr hier steht, ihr werdet nicht sterben, 3910

92 bis ihr kommen seht den gesalbten König I * Doch Simon nahm den Meister beiseite und begann mit Zähren zu klagen und zürnen: „Der Gesalbte soll leiden — wo steht das zu lesen? Ich weiß kein Wort, das solches besagte in Gesetz und Propheten. Und suchst du im Volke du findest keinen, die Kunde zu fassen. Dir folgt das Volk. So sei der Führeri Tritt heraus mit dem Ruf: „Hie Gottes Reich, hie fein Gesalbter I" und führ' es zum Siege, und die Hand des Höchsten wird dir helfen I Wo nicht, so wird es sich wider dich wenden, und du stirbst einen Tod, der keinem taugt." Er aber wendete wild sich um: „Don hinnen, Versucher, hinter mich! Du meinst nicht Gottes, nein Menschen Begehren!' Und er rief die andern heran zu sich: „Wer's meint mit mir, der entsage sich selbst! Denn wer sich mein und meiner Worte schämt unter diesem verderbten Geschlechte, des schämt sich nicht minder der Menschensohn, wenn er kommt in des Höchsten Königsglanz I" Da wandt' er sich, weiter des Weges zu wandern, gesenkten Hauptes in herbem Sinnen. Sie aber folgten, obwohl sie nicht faßten das Wort vom Gesalbten, der leiden solle, in leiser Rede raunend und ratend, doch eines fühlend: Sie fänden nimmer einen andern, der also sie leite zum Leben, durch Wort und Wesen gewaltig wie er. Ko zog er zögernd sonder Ziele mit ihnen abermals etliche Tage und wandte sich wieder heimatwärts. Doch am sechsten gesellte er Simon zu sich, Johannes, Jakobus — der anderen keinen; denn diese, so deucht' es ihn, ahnten wohl eher, was Gott begonnen und was er begehre, als alle die andern, die hier noch beharrten. Mit ihnen also entwich er vom Wege in die Einsamkeit der ewigen Berge. Sie klommen empor zu einer Klippe, wo das Auge, soweit es wandernd umsah, nur auf Höhen und Himmel und Wolken weilte. Und als sie dort ruhten und rasteten, da geschah es, daß sich der Meister entschied, seines Herzens Heiligtum ihnen zu öffnen,

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93 zu enthüllen, was keusch bisher er verhalten und als höchste Hoffnung hütend gehegt. So nahm er das Wort: „Ihr wißt, wie weiland die Kunde kam ins Land Galiläa: Der Herr habe endlich heimgesucht sein Volk und einen Propheten erweckt, der alle zu Reue und Umkehr rufe und, die Sünden zu tilgen, im Jordan taufe und lehre: Schon liege das Beil am Baume am Fuße des Stammes, zu fällen und stürzen jeden Baum, der die Frucht der Buße nicht biete; es nahe und komme ein Stärkerer nach ihm, der werde den Geist und Feuer ausgießen. — Das vernahm auch ich in Nazaret; und mich deuchte: In dem war wieder erweckt der Geist und die Gabe der Gottesboten, die vormals der Herr den Vätern gesandt. Wie hatt' ich geharrt in all dem Elend, der Verlassenheit und dem Leide der Herzen und gelauscht und gelugt nach Gottes Erlösung: Ob endlich der Herr seiner armen Herde den Hirten bestelle, der die Verstörten zu Wasser und Weide der Wahrheit führe I Denn was die Rabbiner den Lechzenden boten, war Stachel, nicht Stütze, Last statt Labung. Doch in diesem, so deuchte mich, war uns erwacht der Ernst und Eifer der alten Propheten, die der Ew'ge einst sandte an Israels Haus, die verkehrten Kinder zurückzurufen. „Doch: War es denn wahr und wirklich so weit, daß Reich und Gericht vor die Türe gerückt war, wie durste ich zaudern oder verziehn?! „Ko ließ ich Haus und Handwerk liegen, jählings, und zog hinab zum Jordan, den Täufer Johannes zu hören und schauen, auf daß ich Gewißheit gewönne der Wege, die der Vater führen wollte sein Volk. „Ich stand am Jordan unter den Juden, die rings aus dem Land und Jerusalem in der Aue am Flusse sich eingefunden, zu sehn, was sonst nur vormals die Väter erfahren: Leibhaftig einen Propheten. Und ja — wer wollte es ihnen verweisen, zu hoffen, er sei wohl gar der Gesalbte, der allem Sehnen ein Ende setzt?! „Mahrlich, ich fand ihn, wie ich gewähnt:

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Unter allen in Weibesschoße Gewachs'nen gewalt'ger ist keiner gewesen denn er l Aber dennoch, da ich ihn donnern hörte in grimmigem Zorn vor dem zitternden Volk und die Müden zermalmen mit wuchtendem Wort, auf daß sie mit Beben und Bangen harrten des Rachegerichts, zu dem er rief, vor dem Tag der Erquickung nach aller Qual — da sah ich mit Trauer, er sei nur Vertröster, noch nicht der Vollender und Stiller der Not. Ihm hatte der Vater die volle Erfüllung versagt, das Höchste ihm noch verhalten: Er wußte weder von Gottes Güte noch von der Hülfe seiner Barmherzigkeit, er lebte noch nicht im Lichte der Liebe, in finsterer Furcht verfing er sich! — „ Da ward ich inne: So war denn alles vom Vater mir zu spenden vermacht. So er ihn nicht ahnte, so kannte ihn keiner denn nur sein Kind und würde ihn kennen nur, wem der eine es offenbart I „Da kam es über mich: Soll der Vollender ich sein, durch den er's zu schaffen gedenkt? Ich betete: Herr, so du willst, da bin ich! Zur Buße bereit in bitterer Reue zu tilgen, was sündig ist, mit der Taufe, vergib mir und weise mich deinen Weg! „Mnd vor Johannes trat ich hin und tauchte tief in das weihende Wasser, bis auf den Boden gebeugt in den Tod. Doch als ich aufstieg wieder vom Abgrund zu Licht und Leben, stehe, da sah ich enthüllten Auges den Himmel sich auftun und Gottes Geist, einer Taube gleich, Hemiederrauschen, und rufen hört' ich: „Du bist mein Sohn, den ich ersehen!" Da wußt' ich, ich war zu dem Werke geweiht. „Gs litt mich nicht länger unter den Leuten. Ich verbarg mich alsbald in der Ode der Berge und rang und bat um Rat im Gebete, daß der Vater den Weg mir wolle weisen, den ich wandeln solle als sein Erwählter. Mit Fasten sucht' ich sein Angesicht, ob er Bescheid mich lasse erschauen. So harrt' ich des Herrn. Und als nun Hunger mich ankam, als meine Augen ruhten

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auf Haufen der Steine, die stumm auf der Halde da lagen, da dacht' ich der darbenden Leute, 4050 die im Sonnenbrände ums Brot sich mühen und dennoch verderben vor Last und Leid. Ja, wenn ich denn Gottes Erwählter war — sollt' ich die Stimme nicht über die Steine erheben und Brot sie heißen werden, um Hunger und Elend der Armen zu enden? Doch kaum, daß der Gedanke mir kam, da spürt' ich, der Teufel umspann mich mit Tücke, und ich schreckte ihn schroff mit dem Worte der Schrift: „Der Mensch soll leben nicht Brotes allein, 4060 sondern von jedem gesegneten Wort, das aus Gottes Mund an den Menschen ergeht! * Was sollte es auch, so er satt sich äße, am Leibe gedieh' und verdürb' an der Seele? Doch der Listige ließ mich so leicht nicht los. „Er erhob mich im Geist in die Heilige Stadt und brachte mich an die Brüstung des Tempels und sagte: „Bist du der Sohn, der Gesalbte, so falle hinab vor allem Volke,' denn es steht geschrieben in Gottes Schrift: 4070 „Er wird seinen Boten um dich gebieten, und sie werden auf Händen dich heben und halten, daß dein Fuß nicht stoße an einen Stein. * Und das Volk wird's schauen und Glauben dir schenken." Da gab mir Gott das Wort zur Wehre der Schrift, dem Satan entgegenzusetzen: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen!" An den Wolken zerrn um ein Wunderzeichen für die müßige Menge — vermessen wär' er und glückte es gleich, nur eitel der Glaube! 4080 „Da versuchte der Satan die letzte Lockung: Er ritz mich empor in den höchsten Raum und rotes mir die Runde der Reiche der Welt und begann: „Dies alles gebe ich dir, mit all seiner Macht und Majestät — denn mir ist's eigen und untertan, ich kann's übermachen, welchem ich mag! — und ich will es deiner Gewalt unterwerfen, so du niederfällst und den Nacken mir beugst!" Da riß ich mich los und rief erschüttert: 4090 „Heb dich von hinnen, Satan, Versucher! Noch steht geschrieben in Gottes Schrift: „Du sollst dem Herrn, deinem Gotte, huld'gen und ihm allein die Ehre lassen I""

96 „Da kam ich zu mir aus der Verzückung, der fürchterlichen Verführung entronnen. — Und ihr erwartet, daß ich mit Waffen, mit Mord und Brand in die Welt einbreche, dem Willen des Fürsten der Welt verfalle und die Herrschaft suche aus seiner Hand, die seinem Volke der Batet verheißen? Wer solches begehrt, ist nimmer aus Gottl Mich hat der Ewige anders geheißen: Ich sehe und schaue mit Schauer und Bangen den heiligen Weg, den der Höchste will: Der, den er ersehen zum Menschensohne, muß tief in Tod und Schande tauchen, um der höchsten Würde erst wert zu werden; er soll sein Leben zur Sühne lassen, die vielen der bitteren Buße entbinden, — und eh' dreier Tage Abend hereinbricht,.... so verzieht der Vater nicht fürder mehr: Die Zügel der Herrschaft packt seine Hand, und er wandelt die Welt mit gewaltigen Wehn, zur Tiefe den Teufel stürzend vom Stuhl I — So schenkt der Vater dem Volk in den Schoß für die Treue des einen — allen das Reich." Er verstummt erschöpft. Sie stehn erschüttert. Ihr Busen wogt, ihre Wangen glühn, und Wahn und Ahnung wirr durch einander umwirbeln und -wallen den suchenden Sinn. Und Simon saust es und siedet's im Hirne, er fährt mit der Hand nach der heißen Stirne, greift nach den Augen — kann er's begreifen? Ihn dünkt:... Nicht die Söhne des Zebedäus sieht er zur Seite dem Herrn mehr halten — himmlischer Glanz umgleißt den Meister. Und die er gewahrt in weißen Gewändern zur Rechten und Linken gereiht dem Herrn, von Licht umflutet, das niederfließt, — sie sind's, die nimmer der Tod genommen, die da kommen solln, den Gesalbten zu künden: Elias und Moses, die Gottesmänner, die huldigen Jesu als himmlischem Herrn! Da wallt eine Wolke und weilt über ihnen, eine Stimme erschallt aus ihrem Schoß: „Das ist mein Sohn! Den sollt ihr hören!" O könnt' er es bannen, das hehre Bild! Er ist bestürzt, er kann nur stammeln: „Meister, hier heiße uns Hütten baun 1"

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97 Doch ach — wie kurz — schon kommt er zu sich: Er sieht nur Jesus mit jenen allein. Sie schauen sich an. Er scheut die Frage. Der Herr erhebt sich: „Auf, zu den andern I * So schicken sie ernst sich an zum Abstieg. Zu neu war allen das eben Vernommne, daß der zum Gesalbten von Gott Ersehene, bevor er vom Himmel in Herrlichkeit nahe, als armer Mensch auf der Erde wandelnd, in Mühsal und Weh bewahren sich müsse. Daß aber der Meister in ihrer Mitte — nach Worten und Werken fürwahr ein Prophet und vielleicht der letzte Warner Elias — wie Simon ahnend gesagt, der Ersehnte, der künftige König selber sei — und daß der Herr wenngleich noch verhüllt, zu der kühnen Ahnung sich schien zu bekennen, überraschte, verwirrt', überwältigte sie, daß sie taumelnden Fußes die Fahrt zu Tale und schwankenden Tritts wie im Traume taten. Schlug es doch allem ins Angesicht, was bisher vom Erhofften ein jeder gehört I Denn die einen dachten: Aus Dawids Stamme inde dereinst sich am Ende ein Führer, )er Judas Jugend in jauchzendem Ausruhr ür Gottes Sache zum Siege führe und das Reich der Welt den Römern entwinde. Andre hinwieder warteten hoffend eines überirdischen himmlischen Engels, der, mächtiger noch als Michael, auf weißem Rosse in schimmernder Rüstung vom Himmel nahend, das Nachtgezüchte, den Satan zusamt seinen Machtgesellen, von der Erde fege ins ewige Feuer. Nun sollten sie lernen: Durch Not und Leiden müsse ein armer, umirrender Mann als Opfer sich erst der Würde würdig und der himmlischen Herrschaft wert beweisen?! Und trafen die Endeszeichen denn ein? so huschte es einem durchs irre Hirn; und er sprach verlegen: „Die Schristgelehrten verkünden doch aber: Es komme zum Ende Elias als letzter und warne die Welt?!" Das bejahte Jesus. Und dunkel bedeutsam bekannte er: „Ja, Elias kommt zuvor und ordnet alles auf Erden!

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Doch ich achte dafür: Er ist gekommen, und sie haben gehandelt mit dem Heiligen nach Laune und Lust, wie geweissagt war." So schien denn der Herr in Johannes dem Täufer, 4190 vor ihm selbst, dem Gesalbten, einhergesandt, den Elias zu sehen, nach welchem sie suchten, und das Wort der Propheten erfüllt zu finden. Und wahrlich: Die Welt darf sonder Besinnen in dem heiligen Manne und ernsten Mahner den Boten finden und Bahnbereiter, der dem höchsten Vollender des Erdenheiles die Herzen des Volkes hergerichtet, ja mehr! der ihn selbst, den Sohn der Maria, auf die Bahn geführt nicht nur des Propheten, 4200 nein, auch zum Opfer den Weg ihm gewiesen und Märtyrerlos ihm vorgelitten I-------------Ko gelangten die Viere, voll des Erlebten, am Abend endlich zurück zu den andern. Sie fanden sie mitten in einer Menge fuchtelnden Volks in erregter Rede. Doch sowie nun die Jünger Jesus gewahrten und winkend und weisend sich zu ihm wandten, da kamen die Leute mit Lärmen gelaufen, und ein Mann aus der Menge begrüßte den Meister: 4210 „Ach Herr, ich hab' meinen siechen Sohn zu dir hergebracht, damit du ihn heilest. In dem Kinde steckt ein stummer Geist, und wo der ihn faßt, da wirst er ihn nieder, und dann schäumt der Knabe und knirscht mit den Zähnen, und er magert ab von Mond zu Mond. Ich hab', ihn zu bannen, die Jünger gebeten; sie vermochten den Geist aber nimmer zu meistem." Da seufzte der Meister aus müder Seele: „O du schlaffes Geschlecht ohne Glut und Glauben, 4220 bis wann denn muß ich noch mit euch sein? Wie lange soll ich noch leiden an euch? Holet den Knaben hieher zu mir!" Da führten sie ihm denn vor den Knaben. Doch kaum, daß der Kranke kam, so krampfte es den Buben zusammen, er sank zu Boden und wälzte sich stöhnend und geifernd im Staube. Da forschte Jesus und fragte den Vater nach der Zeit, seit der ihm das zugestyßen. Der erklärte: „Er hat es von klein auf gehabt. 4230 Und es hat ihn schon ost, um ihn umzubringen, in Feuer und Wasser hineingeworfen.

99 Doch wo du irgend etwas vermagst, so stehe uns bei und erbarme dich unser I" Da zürnte der Meister: „Wo du etwas vermagst * ? Alles ist möglich einem, der glaubt I Ko du Glauben besitzest, wenngleich wie ein Senfkorn und hegst nicht heimlich Zweifel im Herzen, nein, glaubest fest: Es geschieht, was du forderst — so darfst du diesem Berge gebieten: 4240 „Mach' dich hinweg und wirf dich ins Meer I " und es würde geschehen, wie du's erwartet I" Und alsbald so rief der Vater und bat ; „Ich glaube, Herr, aber hilf mir glauben!" Doch Jesus merkte, daß jetzt die Menschen zur Stelle liefen, zu staunen und lauschen. Da fuhr er den finsteren Unhold an: „Du stummer, blöder Geist, ich begehre: Fahre aus von ihm und weiche für immer!" Da schrie der Arme gar schrecklich auf, 4250 es ritz ihn und warf ihn, dann wurde er ruhig und lag — eine Leiche — die meisten meinten, er sei verschieden. Doch Jesus schüttelt an der Hand ihn heftig und hebt ihn empor. Er erwacht und steht. Da staunen denn alle. Der Vater führt ihn glückselig davon — Gott helfe dem Kind, daß es dauernd geheilt feil Mach geraumer Weile des ruhlosen Wanderns im Land des Philippus gelangte der Meister heimlich zuletzt in die Heimat zurück 4260 und wollte, daß niemand wisse darum. Denn nunmehr not war nur noch eines: Nicht, daß er noch länger die Leute lehre und mächtigen Munds die Dämonen meistre, um Kranke von Leiden und Not zu erlösen — ein anderes galt es von jetzt zu beginnen: Die Sühne zu leisten der Sünden der Welt und treu so Schmach wie Schmerzen zu tragen, ja, nicht zu beben vorm bitteren Tod. Dann durste er hoffen, daß Gott barmherzig 4270 ein Ende setze der argen Welt und eh dreier Tage Abend vollendet die neue, bess're herniedersende, die längst in den Himmeln bereit er hegt, und daß er alsdann aus dunkelen Grüften die toten Gerechten rufe zutag, daß sie auferstehn und in Andacht staunend des Höchsten heilige Herrschaft schaun.

— 100 — War das der Wille des Weltenlenkers, so rief es ihn hin gen Jerusalem! Denn nicht im Winkel wollt' er vernichtet, — vor der Welt vergewaltigt wollte er sein! Das sucht' er seitdem den Seinen zu sagen; doch sie — begriffen das Trotze nicht; und ihn zu fragen als Meister und Freund, trugen sie Scheu; denn er schien ihnen fremd, zu hehr und heilig, seitdem das Geheimnis im Busen den Freunden er offenbart. Nur unter einander hingegen begannen sie bereits zu raunen und reden und raten, dieweil sie des Weges hinter ihm wallten: Wer in der Herrschaft des Höchsten gewaltig die Ämter und Ehren dann innehabe. Und wehe! Wie wenig erwies sich an ihnen, datz der Herr sie zu nächsten Genossen erhoben und täglich sein Herz ihnen aufgetan! Denn wer sich ihm enger als andre verbunden und grötzerer Gunst sich gewürdigt wähnte, hob an, die andern stolz zu verachten, voll Dünkels höhnend: „Wer denkt wohl an dich?! So kamen sie an zu Kapernaum; und als er sich setzte in Simons Hause, ries er heran und stellte zur Rede die Narren. Er hatte wohl etwas vernommen von ihrem Gezänk, da er vor ihnen zog: „Was habt ihr vorhin unterwegs verhandelt?" Sie verstummten, und über die Stirne stieg verräterisch jedem die Röte der Scham. Da zog der Meister in ihre Mitte ein Kind und herzte und küßte es und begann: „Ihr begehrt Gewalt'ge zu werden, und dünkt euch bedeutend, verachtet die andern. Doch wahrlich, ich sag' euch, das sollt ihr wisien: So ihr selbst euch nicht ändert von Seelengrunde und setzet euch Kindern gleich, die keiner für voll will nehmen, empfanget ihr nimmer die Herrschaft des Himmels. Doch der sich dünket nicht höher denn hier dies Kind, der heißt ein Herr und Großer im Himmelreich! Denn wer für ein Kind ein Auge hat und weiß zu achten kindliche Art, der wird gewahr auch meines Wesens und nimmt mich auf. Und wer mich aufnimmt, der nimmt auch ihn auf, der mich ausschickt!

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101 — Doch wer mir beirrt dieser Kleinen einen, dem wär' es gemäß, ihm würde ein Mühlstein um den Hals gehängt und so ersäuft im Meer, allwo es am tiefsten ist. Wehe der Welt, die den Arglosen irret! Wohl ist das Ärgernis unvermeidlich — 4330 und dennoch: Wehe ihm, der es bewirkt!" Es litt ihn nicht länger in Galiläa. Nach der Hauptstadt, seinem Verhängnis zu zog es ihn fort mit zehrendem Feuer, dem frei erlesenen Leidenslose nach Gottes Willen entgegenzugehen. So brach er denn auf, sich darzubringen an dem Ort, da als Opfer so viele Propheten für der anderen Sünden dahingesunken, nach Jerusalem, der Richtstatt Gottes, 4340 wo frechster Frevel am frommsten Manne seiner argen Art verdiente Verdammung vor Himmel und Welt beweisen wollte. Als sie vom Seee nun südwärts zogen, begann Johannes dem Herrn zu erzählen: „Meister, ich hab' einen Menschen getroffen, der nimmt deinen Namen, Dämonen zu meistern. Doch dir zu folgen, wehrt sich der Wicht. Ich hab' ihm sein feiles Gewerbe verwiesen." Doch der Meister erwidert: „Was wehrst du dem Menschen? Wer Taten zu tun durch mich vermag, wird nicht so bald von mir Böses reden. Wer in «der Welt nicht wider uns ist, der ist fttr uns, Freunde! Fasset das wohl. Ja, wer euch wagt einen Becher Wassers zum Munde zu reichen als den Meinen — das wird bei Gott ihm nimmer vergessen!" Er wußte wohl, wenn als Verworfnen die Feinde den Meister oerfehmlen, daß milder die Seinen ihr Haß nicht behandeln werde. 4360 Der Weg, den meist die Wallenden wählten, die am Fest zum Hause des Höchsten fuhren von Galiläa, ging längs dem Jordan am östlichen Ufer und mied Samarien. Denn die Männer Samariens, die selbst zu Sichem, seit Esra die Ehen mit ihnen geächtet, nach Jerusalems Muster und Moses Recht dem Herrn in der Höhe ein Heiligtum hegten, schauten scheel auf jeglichen Juden, dessen Antlitz gerichtet war gen Jerusalem, 4370

— 102 und stellten sich stolz und starr gegen ihn. Und die Galiläer wanderten lieber den Umweg über die Jordanaue, ehe sie Verachtung von ihnen ernteten und über dem allen noch unrein wurden. Doch der Meister nahm den Weg durch Samarien. Ob er dort der Wallfahrer Schar zu entweichen und unentdeckt zu wandern gedachte oder nur eben die Angst der Juden vor dem verfehmten Volke nicht fühlte — genug, er nahm zunächst seinen Weg und reiste durchs Land der Samariter. Aber bald erfuhr er, wie bitter die Fehler der Hassenden ost der Harmlose büßt, Er hatte nach Sitte gesandt in ein Dorf, Herberge und Gunst des Gastrechts zu heischen. Doch Johannes, Jakobus, Zebedäus' Kinder, die er hingeschickt, kamen aufs höchste erregt: „Herr, da wir Obdach im Orte heischten, hat niemand ins Haus uns nehmen wollen. Mit Hohn hat man uns heimgeschickt, als jüdische Wallfahrer weggejagt. Drum fordre, daß Feuer vom Himmel falle, wie Elias tat, das Gelichter zu tilgen!" Doch Jesus schalt ihren jähen Zorn: „Wißt ihr nicht, welches Geistes ihr seid?" Und sie wandten von dannen zu anderen Dörfern, wo man gastliche Gunst ihnen wieder gewährte. Mach etlichen Tagen doch ging es zutal in die Jordanaue gen Jericho. Und hatten die Zwölf noch Zweifel gehegt, ob der Herr sich wirklich zur Hauptstadt wende — da er jetzt am letzten Scheidewege gen Jericho seine Schritte wandte, da wurden sie inne, daß unabwendlich sein Verlangen lechzt', in Jerusalem den Rat der Feinde herauszufordern und Gottes Gerichte die Statt zu bereiten. So schritt er voran, und alle erschraken, vom Schauer geschüttelt der nahen Entscheidung; und Furcht überfiel sein ganzes Gefolge. Da hub er abermals an, zu eröffnen, was seiner harre aus Gottes Hand, auf daß ohne Fassung der Tag sie nicht finde. „Sehet, wir ziehen hinauf gen Zion. Und der als Menschensohn in der Macht

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103 des Ewigen soll die Erde vollenden, der fällt zuvor in der Feinde Hände, wird preisgegeben den Priestern und Herren, die ihn nimmer verstehn und drum vernichten und Schimpf und Schande auf seinen Scheitel, ihn aller Welt zu verleiden, werfen. Doch kurz nur kosten die Sünder den Sieg l Denn eh' dreier Tage Abend hereinbricht, sollen gewahr sie werden: Ich walte — und schenke der Welt Gottes Erbe in Schoß!" Kie wanderten weiter, in Sinnen versunken, von dem traurigen Worte des Herrn betroffen. Sie begriffen: Es stand in der heiligen Stadt dem Meister Gefahr und Not bevor. Und daß ins Dunkel der düsteren Nacht von ferne das Licht der Erlösung fiel — das sahen sie kaum vor Sorge und Kummer. Nur die Donnersöhne des Zebedäus Johannes, Jakobus, in Heldenkühnheit dachten nicht furchtsam nur der Gefahr. Sie schauten den Weg zum Werke hindann: Und führt' er durch finstere Nacht und Not — wer um Größe wirbt — begriffen sie wohl — muß Leben und Leib in die Wage werfen. Nur wer sich hingibt, wird erhöht! So machten sie sich an den Meister hinzu und faßten ein Herz und fingen an: „Meister, wir möchten: Gewähre den Wunsch, um was wir dich bitten I" Er forschte alsbald: „Was wollt ihr, daß ich gewähren soll?" Da entgegneten sie: „So vergönne uns, wenn du herrschest in deiner Herrlichkeit, zu walten mit dir der Werke des Lichts, einer zur Rechten, der andre zur Linken!" Doch Jesus erwiderte: „Wißt ihr denn auch, was ihr bittet, wenn ihr Gebieter wollt werden? Könnt ihr den Kelch, den ich trinke, kosten und steigen ins Bad, das mir bestellt wird?" Sie entgegnen: „Wir wiffen, was wir begehren, und meinen Mannes genug uns noch." Da erwiderte Jesus wehmutvoll: „Den Kelch, den ich trinke, sollt ihr kosten und steigen ins Bad, das mir bestellt wird! Zu walten aber der anderen Welt, steht mir nicht zu, euch zu vermachen. Das erringt, wem es bereitet ist."

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Da merkten sie wohl: Er vermaß sich nicht, in Himmelsräume die Hand zu recken und Güter und Gunst wie ein Gott zu vergeben; ihm war nur eins gewiß: Das Opfer. Aller Lohn aber lag in Himmels Huld. Und der Opfertod ward ihnen zuteil: Der König Agrippa griff den Jakobus und schlug ihm das Haupt mit dem Schwerte ab. 4470 Und den Bruder, Johannes, traf das Verhängnis bald auch; die Juden brachten ihn um. Sie haben den Tod mit dem Meister geteilt, so wird sie der Herrgott erhöhen mit ihm! Pon den Furten des Jordans führte der Weg nach Jericho aufwärts, der üpp'gen Oase; ihre Palmen winkten den Pilgern entgegen, bald traten sie ein durch das enge Tor. Der Meister wollte mitnichten verweilen; nur durch die Stadt gedacht' er zu ziehn 4480 und weiter den Weg in die Berge zu wählen. Doch seht, es sollte sich anders ereignen! Es wohnte im Orte ein Oberzöllner, Zachäus hieß er, ein reicher Herr. Der hegte schon längst ein lebhaft Verlangen, den Meister zu sehn, welch ein Mann er wohl sei. Als die Kunde nun einlief:„Er kommt duich den Ort!" da eilte er eifrig und ging auf die Gasse, wo er meinte, er müsse vorüberreisen. Was half's? Schon harrten in dichten Haufen 4490 die Leute und lugten mit langen Hälsen. Er aber war winzig und klein von Wuchs. Und wie er sich reckte, er reichte doch nimmer so hoch, um über die Häupter der andern die Vorüberwallenden zu gewahren. Da eilt' er dem Zug ein Ende voraus, wo der Meister des Wegs zu erwarten war, und setzte beiseite Stolz und Stand und bestieg einen Maulbeerbaum an der Stelle und meinte: Nun muss' er ihn sicherlich sehn 1 4500 Als der Meister kam zu dem Maulbeerbaume und des wohlgekleideten Mannes im Wipfel gewahr nun wurde, nahm es ihn wunder, und er ahnte: Der Mensch nahm Anteil an ihm. Da rief er rasch: „Nur flugs herunter! Denn bei dir gedenk' ich hier heute zu Hausen I" Da glitt er eilends vom Aste herab und führte Jesus voll Jubel heim.

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und nahm ihn mit Ehren im Hause aus. — Die meisten indes, die es sahen, murrten, 4510 daß er zu Gast bei dem Zöllner ging. Die beiden aber focht es nicht an: Der Meister fand Gefalln an dem Manne, und den Zöllner zog es mit Zaubergewalt zu Jesu, sein Innerstes ihm zu eröffnen; und endlich trat er getrost vor ihn hin: „O Herr, die Halste von all meiner Habe will ich den Armen zn eigen geben; und wen ich zuvor übervorteilt habe, der soll es vierfach wieder empfangen I" 4520 Da klang es wie Jubel aus Jesu Antwort: „Diesem Hause ist heute Heil widerfahren — ist er doch auch ein Sohn Abrahams I" Als Jesus weiter von Jericho zog und die Jünger mit ihm und Volks die Menge, da saß da am Wege der Sohn des Timäus, Bartimäus, ein bettelnder Blinder. Der hört das Rauschen des redenden Haufens und forscht, was es fei, und erfährt, daß sie sagen, es nahe Jesus von Nazaret, 4530 der Hort und Helfer der Leidbeladnen, der Krüppel und Kranke erhöre und heile. Da blieb der Blinde nicht stumm und blöde; er begann zu schreien, gellend und schrill: „Jesu, Sohn Dawids, erbarme dich!" Wohl fuhren viele fuchtelnd ihn an: „Still, wie darfst du dich des unterstehn, den Meister als künftigen König zu grüßen, und als Dawidssohn ihn verdächtig zu machen?! Wenn der Römer das hört, so ist er verhaftet!* 4540 Der Mensch aber machte sich nichts aus der Mahnung und schrie nur länger und lauter denn eh: „Jesu, Sohn Dawids, erbarme dich!" Da drang sein Gejammer an Jesu Ohren; er hemmte die Schritte und lauschte dem Schrei. Dann gebot er:„Rufet herbei den Männl" Schon eilen etliche flink und beflissen zu dem Blinden und reden erregt ihm zu: „Nur Mut! Er ruft dich! Raffe dich auf!" Da warf er sein Obergewand zur Erde, 4550 sprang hoch und hastete hin zum Herrn. Der sprach ihn an und fragte den Armen: „Was ist dein Begehr? Was soll ich dir geben?" Da blickten die blinden Augen ihn an,

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und der Wunsch ward gewagt..: „O Meister, ich möchte das Licht meiner Augen wieder erlangen!" Und wie es geschah, oder welches der Schade an den Augen des Armen, gewesen war, wir wissen es nicht — genug, wir vernehmen in der kurzen Meldung des kargen Markus, 4660 daß der Meister, den Mann ermutigend, sprach: »Gehe hin, dein Glaube hat dir geholfen!" daß der Blinde wieder die Welt erblickte, ja, daß er dem Zuge sich zugesellt und mitgereist nach Jerusalem, Wir bescheiden uns denn der dürftigen Schildrung und zucken die Achseln und üben Verzicht.

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Achter

Gesang

Des Tempels ««v des Gesetzes Hüter

Palmsonntag

Die Zahl der Pilger, die Jesu Zuge sich gesellten, war unversehens gewachsen; denn daß der gelobte Prophet Galiläas, den der Himmel mit heilenden Wundern be gen Jerusalem jetzt seine Reise lenkte, das gab zu denken, das hatte Bedeutung: Kam dieser dahin im Namen des Herrn — wer wußte, ob nicht mit gewaltigen Wehen das Reich der Gerechten, die Herrschaft der Hk aus Bangen endlich geboren wurde?! Der Königsruf von dem kecken Bettler und was der Meister dem Menschen erwiesen, dos steigerte stürmisch die heiße Hoffnung, die jene Juden wie Feuer erfüllte. So folgten sie denn durch die felsige Obe, die das Menschengemüt mit dämonischer Macht in den Wirbel des eigenen Innern wirst, dem Helden, der unaufhaltsam dahin bergauf, bergan zur Höhe vorausschritt! Doch als vor den Augen der Waller im Westen die Hügel sich hoben, von denen sie Hülfe so ost mit heiligen Hymnen geheischt und nimmer in Not und Leiden erlangt und hatten weiter geharrt und gehofft — als Jerusalem aufragte im Lichte und sie naheten nun mit dem Mann, der im Name des Höchsten sie führte zu heiliger Statt: da brach es sich Bahn, was eher im Busen verborgen gebrandet und brauste hervor in rauschenden Iubelrufen an Jesus: „Hosanna!" (will sagen:„Heil und Segen!" ) „Gelobt, der da naht im Namen des Herrn!" Und kühner erhob ein Kecker den Ruf:

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108 — »Gelobt das kommende Königtum unsres Vaters Dawid! Heil in der Höhel* Der Meister stand in der Mitte der Menge, das Auge in die Unendlichkeit offen, das Antlitz über dem allen entrückt: Nun war es geschehn, was er immer gescheut, nun wallte es auf, dem er immer gewehrt: Des Haufens Hoffnung auf einen Herrscher, der Glück und Glanz mit geschwungenem Schwert und — Marter und Mord der Menschheit brächte 1 Wie anders lebte in ihm die Ahnung des höchsten Beenders der Erdennot, die er fand in dem Wort des Propheten Sacharja: „Jubele, Jungfrau Zion, und du Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt sanftmütig auf einem Maultier, dem Sohne der lastbaren Mutter! „Der wird die Bogen zerbrechen, zerschlagen die Schlachtenwagen und die Völker mit Frieden erfreun! „Und weil ich den Bund mit dir mit Blut besiegelt, so lös' ich deine siechen, lechzenden Söhne aus der wasserlosen Zisterne!" Was Sacharja damit gemeint haben mochte: den Bundschluß Moses am Berge Gottes — das gilt gleichviel. Der Meister fühlte: Er solle sein nach der Weissage Sinn kein König der Waffengewalt, der da kommt waffenrasselnd auf wieherndem Rosse, hinstampfend über gestürzte Feinde — nein, ein Fürst, erfüllt mit dem Geiste Gottes, der letzte Prophet, der das Volk erlöse aus Jammer und Schmach, darin es schmachtet und an Leib und Seele leidet und siecht — aber nicht mit Gold oder Gut oder gar mit wilder Empörung und Waffengewalt, nein, der mit dem Opfer des eigenen Lebens dem Höchsten die Sühne der Sünden beut und sein Herze erwärmt zu heißem Erbarmen, daß ein Ziel er setze der Satansmacht und endlich die andere Welt gewähre, da alle Tränen getrocknet werden und alles Ächzen und Stöhnen er stillt. So las er das letzte Wort des Wahrspruchs;



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und so seinen Bund mit Blut zu besiegeln und die Lechzenden aus ihrem Leid zu erlösen — faßte er jetzt sich und fand sich zurück zu Stelle und Stunde, darinnen er stand; 4650 und um des Propheten Spruch zu erfüllen und künftiger Zeit den Jüngern zum Zeugnis, wes Sinns er wolle Gesalbter werden ( mochte eben ihr Herz auch gehalten seinl), wandte er jetzt sich gegen die Jünger und gebot: „So gehet gen Bethphage, das da unten liegt an des Olbergs Abhang; dort sucht einen Esel aufzutreiben — ich hab' ihrer sonst im Orte gesehen, den Pilgern zum Ritte empor bereit — 4660 und so der Besitzer sich widersetzt, so mahnt ihn: „Der Meister bedarf deines Dienstes I Er schickt dir das Tier aufs schierste zurück!" * Zwei Jünger eilten hinab in den Ort und fanden ein Tier, an die Türe gebunden, im Hof eines Hauses; das holten sie her; dem Besitzer sagten sie Jesu Versicherung, da ließ er ihnen das lastbare Tier. So kommen sie bald den Berg herauf zum Meister zurück und der rastenden Menge 4670 und werfen dem Tier ein Gewand auf den Rücken, und Jesus besteigt's — und ein Jubelsturm braust empor aus der Pilgerschar. Da breiten manche die Mäntel hin aus den Weg, daß der Staub nicht wirble und stiebe von dem stampfenden Huf an den Fuß des Herrn. Andere hauen Halme vom Acker, sie hinzustreun auf die Straße vor ihm. Und die vor ihm schreiten und die, so ihm folgen, hören nicht auf, den Ruf zu erheben: 4680 „Hosannal Hülfe und Heil und Segen! Gelobt, der da naht im Namen des Herrn! Gelobt das kommende Königtum unsres Vaters Dawid! Heil in der Höhe! So kommen sie an vor den ewigen Toren. Ja, erhebet, ihr Bogen, hoch eure Häupter, daß der König der Ehren Einzug halte! Wer ist der mächtige Ehrenkönig? Jesus von Nazaret ist's, der nahet, von Gott erkoren zum Himmelskönig, 4690 durch treustes Opfer des Thrones wert! So sagen wir, die sinnend verweilen

— 110 — bei dem Bilde, das Wonne und Wehmut weckt für den Mann, der frei und freudigen Mutes einem Volke sich weihte, das ihn verwarf. Und schon geschah's: Pharisäer, besorgt, daß der rauschende Ruf die Römer erreiche und die eiserne Faust das Fest vereitle, bestürmten ihn:„Meister, steure dem Rufen!* Da schwur ihnen Jesus: „Schweigen jene, so werden die Steine der Straße schrein!* So stieg der Zug durch die steilen Gassen zum heiligen Hause des Höchsten hinan. Doch da er nun durch des Tempels Tor in den Vorhof trat — was fand der Meister? Händler, die feil ihr Vieh dort hielten» Stände mit Turteltaubengestellen, Bänke der Wechsler, die heidnisches Bargeld zu dem frei gezahlten heiligen Zinse in Münze des Tempels den Pilgem tauschten. Der Rinder Gebrüll, der Schafe Geblök, Gekeife der Käufer, Gelächter, Gelärm erfüllten das Ohr; und das Auge ward von des Bilder buntem Gewoge verwirrt. Ja, es war wirklich ein Jahrmarkt geworden! Denn feit der König Iosia dereinst allenthalben die Opferstätten auf Höhen, in Hainen, an heiligen Quellen bei jedem Dorfe und Markte Judas im Namen des neuen Gesetzes vernichtet und Zion allein im Lande gelassen als Ort, da der Name des Einigen wohne, mußte der Jude zu jeglichem Opfer weite Wege von Haufe wandern. Das eigene Vieh zum Altar zu treiben, ward ihm da lästig; er kaufte lieber, was am Heiligtume des Händlers Klugheit bequem dem Bedarf der Wallfahrer darbot. So entstand der Markt an der Stätte des Herrr Und mit dem Markte kam Marktgewühl, Gieren und Gaunern, Gezeter, Gezänk, davor alle guten Geister entfliehn. So fand der Herr seines Vaters Haus! Wohl wußt' er darum von früheren Reifen. Und dennoch, da es sich heute ihm darbot, wo er kam, das hehrste Heil zu verkünden, zu reinstem Wandel nach Gottes Willen seines Volkes Söhne am Fest zu sammeln..

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— 111 — wie verletzte ihn da der unleidliche Lärm, der Hader des Geizes mit gieriger Habsucht, 4740 ach, all das ekele, fchäb'ge Geschäft I Und sah er nicht dort gedankenlos, des Ortes Heiligkeit achtlos höhnend, den Weg zu kürzen, im Arbeitskittel mit gemeiner Last die Menschen laufen? So schwand, wo der schwere Frevel sich frech der Duldung erfreute, im Denken der Leute die hehre Hoheit der Stätte dahin! Ja, sollte das Herz eine Heimstatt haben, da in Andacht ernst sich sammelt der Sinn — 4750 hier war der Seele die Rast versagt, hier konnte der Geist nicht in sich gehn! Drum heiß im Innersten wallt' es ihm auf, und Grimm ergriff ihn und zitternder Zorn — vom nächsten Rinde reißt er den Strick, und Knoten schürzt er knirschend daran und schüttelt dem Schacher die Geißel entgegen und reckt sich auf und rüst darein: „Steht nicht geschrieben in heiliger Schrift: „Mein Haus soll ein Bethaus heißen der Welt!-? 60 Ihr aber macht einen Markt daraus!" Und er trieb die Händler zum Hofe hinaus mit erhobener Faust zusamt ihrem Vieh und herrschte die Taubenhändler an: „Hebt das von hinnen, das her nicht gehört!" und warf die Tische der Wechsler um, daß die Pfennige über das Pflaster tanzten; und die Bankhenn bückten sich über den Boden, die rollenden Münzen zu retten und raffen, und stolperten über die Steine dahin. 4770 Und das Volk verstand ihn und fiel ihm bei und jauchzte ihm zu und jagte und scheuchte und half ihm kehren das Haus des Herrn. Da ward es stille, da blieb er stehn mit wogender Brust und brennendem Blick. Die Jünger jedoch, die der jähe Grimm des Meisters wie Wettergewalt übermannt, mußten des Dichterwortes gedenken: „Der Eifer verzehrt mich ob deinem Haus!" Bald fand er das Volk zu seinen Füßen 4780 und griff zum Worte der Unterweisung. — Die Kunde der Tat aber kam alsbald zu den Herren des Hauses, den Hohenpriestern. Die hätten am liebsten ihn kurz erledigt.

112 — Doch sie hüteten sich, an ihn die Hand zu legen. Denn der ganze Haufe war hingerissen und hing ihm lauschend an Augen und Lippen. Da aber der Abend hernieder sich neigte, entwich er der Stadt und wandte zum Ölberg und nächtigte dort, den Nachstellungen der herausgesorderten Feinde sowohl wie dem Zudrang der eignen Verehrer entzogen.

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Der Montag

Am Montagmorgen stellte der Meister in den Hallen des Tempelhofes sich ein; Bald hielt auch horchend ein Kreis um den Herrn, und er lietz sich's geliehen, die Leute zu lehren. Ihm lag es lastend auf sorgender Seele, wie fern dem Vater die Stadt er gefunden. Ja, durste ein Volk, das einzig ihm diente mit dem seelentötenden Tun des Gesetzes 4800 und dem Schacher des Tagewerkes im Tempel, dessen Hand ihn ehrte, indes das Herze sich kalt und hart abkehrte von ihm — ja, durst' es erwarten, daß Gottes Geduld es weiter werde gewähren lassen zu eigenem Dünkel und niemandes Dank? O, daß es sich warnen und weisen ließe zu später Frist auf die Spur des Heils I So stellte er, was ihn im Innern verstörte, mit glücklicher Hand in ein-heller Gleichnis 4810 und ließ vor den Lauschenden also sich aus: „Es hatte ein Wirt in seinem Weinbera einen Feigenbaum stehen und fand eines Tages sich davor, zu sehen, wieviel er wohl trage. Doch der Baum war träge, er trug ihm nichts I Da sagt' er zu seinem Gärtner: „Nun siehe: Drei Jahre sind es doch jetzt, daß ich komme, zu schaun, ob der Baum seine Frucht mir wohl biete. Doch wie ich auch forsche — ich find' ihrer nicht. Haue ihn um! Er hindert das Land." 4820 Der Gärtner aber entgegnete ihm: „Herr, magst du nicht lieber zum letzten Male dies Jahr es versuchen — so will ich sehen, daß ich grabe um ihn und Dünger gebe. Wer weiß, oh er bann nicht doch noch trägt?! Wo nicht, so magst du ihn ntederhaun 1 * „Denn wie hat der Vater die Völker der Welt und den einzelnen Mann auf Erden gestellt?

113 — Wie ein Herr, der zur Reise sich rüstet' und rief seines Hauses Diener und händigte ihnen, was er übrig hatte an Geldern, ein. Dem einen vertraute er an: fünf Pfund, dem zweiten zwei, einem anderen eins. Ein jeder empfing, wie er fähig war. Dann sprach er: „Nun handelt mit dem, was ihr hab bis ich wiederkommel" und reiste hinweg. „Alsbald, der fünf Pfund hatte empfangen, ging aus und verdiente fünf andre damit. Der mit zweien Bedachte verdiente zwei. Der aber, dem eins war eingehändigt, der tat es in einen tönernen Topf und ging und vergrub im Garten das Geld. „Wie der Herr nun wieder nach Haufe kam, da hieß er die Diener herbescheiden, daß er Rechnung halte mit ihnen und höre, was ein jeder beschickt und beschafft mit dem Schatze „Da trat hervor, der fünf Pfund empfangen, und brachte noch fünf zum Vorschein und sprach: „Ich hatte fünf der Pfunde empfangen; siehe, fünf weitere hab' ich erworben I" Da dankte der Herr dem Diener und sprach: „Wohl, mein guter, wackerer KnechtI Du bist bei Wenigem wacker gewesen — über Großes sollst du von nun gesetzt sein. Gehe ein zu dem Fest, das dein Herr heut feiert!" „Da trat hervor, der zwei Pfund empfangen, und zählte noch zweie hinzu und sprach: „Ich hatte zwei Pfund empfangen, o Herr. Siehe, zwei weitere hab' ich erworben!" Da dankte der Herr auch dem und sprach: „Wohl, mein guter, wackerer Knecht! Du bist bei Wenigem wacker gewesen — über Großes sollst du von nun gesetzt sein. Gehe ein zu dem Fest, das dein Herr heut feiert I' „Da trat verdrossen der dritte herzu: „Herr, ich wußte, du bist ein gewaltsamer Mann: Erntest, was du nicht ausgesät, und erhebst, was du nicht hingelegt. Da war mir bange. Ich barg dein Pfund in der Erde, und siehe, da ist dein Eigen!" „Da gab ihm der Herr eine Antwort zu hören: „Nach deines eigenen Mundes Auftun verdamme ich dich, verworfener Wicht! Du wähntest, ich fei ein gewaltsamer Mann,

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— 114 — der ernte, was er nicht ausgesät, und erhebe, was er nicht hingelegt — was gabst du mein Geld nicht bar einem Bankherrn? Dann hätte ich, heimgekommen, doch können mein Eigen mit Zinsen an mich ziehen I" Und gebot den andern, die bei ihm standen: 4880 „Nehmet das Pfund dem Nichtsnutz fort! Es sei zugelegt dem, der zehn Pfund hat. Denn wer da hat, der erhalt noch mehr; doch dem, der nichts hat, nimmt man auch noch das wenige, was er bisher gehabt. Den unnützen Wicht aber werfet hinaus in die Finsternis draußen, da mag er feiern!" Doch ach, der Ruf zur Reue fand anders einen Widerhall, als Jesus erwartet: Noch ehe er offen und ohne Gleichnis 4890 die Lauscher gewarnt, mit der Langmut Gottes nicht Mutwillen frech vermessen zu treiben und die hohen Gaben, die Gottes Huld vor anderen Völkern Israels Söhnen geschenkt, mit trägem Trotz zu verscherzen — da rückten heran, gesandt vom Rate, Alteste, Rabbiner und Oberpriester und traten vor und forderten Aufschluß: „In was für Vollmacht gehst du hier vor? Und wer hat Vollmacht, so zu verfahren, 4900 wie du dir erlaubst, deiner Hand verliehen? * So sprachen sie stolz. Und doch ... verstohlen huschte ihr blinzelnder Blick zu dem Hausen, der horchend da harrte...: Wie wird der sich halten? Nähme er's hin, so die Hand man legte an den neuen Lehrer, oder litte er's nicht? Ja, wär' es gewiß, er ließe gewähren — man zöge andere Saiten auf und faßte fest den Verführer an! Indes die drohend verdrossenen Blicke 4910 der Freunde des Fremden schreckten den Schritt. Der Meister ahnte ihr ängstlich Vermuten. Er fand sich gefeit durch die Furcht der Feigen. Sie würden ihn jetzt nicht wagen gewaltsam hinweg aus der Runde der Lauscher zu reißen. Verächtlich maß er die Meister der Macht, und spröde sprach er mit sprühendem Blicke: „Steht es mir frei, eine Frage zu stellen, rh' auf die eure ich Antwort euch gebe? ... Die Taufe Johannis — war sie vom Himmel, 4920

— 115 — oder war sein Walten nur Menschenwerk? Das wüßte ich gernl Antwortet mir!" Und er weidete sich, wie sie sich wanden. Denn gaben sie zu: Sie war von Gott.— (und Johannes besaß nicht Brief noch Siegel; seiner Botschaft bürgte der Bote allein) so mußten bei ihm, dem Machterweise als Gottes Gewähr gegeben waren, das Recht, als Berufener Gottes zu reden, sie um so eher und offener lassen; 4930 oder wiederum, so Worte wie Walten des Täufers, zumal ihn der Tod zum Martyr der heiligen Hoffnung erhoben hatte, als Menschenerdichten und Wahn zu verdammen, das wagten, wohl wissend, wie wenig im Volke ihr weltliches Wesen Wurzel hatte, die Klugen noch weniger, klar zu behaupten. So zogen, verächtlich die Achseln zuckend, mit Lächeln ihre Verlegenheit deckend, die Herren vom Rat sich behutsam zurück 4940 und erwiderten spitz:„Wir wissen es nicht." Da versetzte der Herr: „So versage ich Antwort, in wessen und welcher Vollmacht ich walte," Sie warfen höhnisch das Haupt in den Nacken und kehrten und hoben sich kurz von hinnen. Der Meister schaute den Scheidenden nach, von Gram nicht minder wie Grimm ergriffen. Daß er hier zur Stunde die Stätte behauptet und der Angriffe ersten abgeschlagen — wie wenig ihn das mit Wollust erfüllte 1 4950 O hält' er des Volkes Fürsten gefunden als Lenker und Leiter zu Leben und Licht, er hätte den Hütern des Heil'gen gehuldigt, So sah er Wölfe gesetzt der Weide — um der Herde willen, wie haßte er sie! Er wandte sich wieder zu seinen Gesellen und bannte des Busens Groll in ein Bild: „Einen Weinberg legte ein Landwirt an: Er hieb eine Kelter ins harte Gestein 4960 und baut' eine Bude und zog einen Zaun, tat alles Erdenkliche für das Gebethn. Da mußte der Mann das Land verlassen und gab den Weinberg Winzern in Pacht. Wie die Zeit nun kam, den Zins zu erheben und von den Trauben Ertrag zu empfangen, entsandte der Herr einen Knecht dahin.

— 116 — Doch die Winzer schlugen ihn lahm und weich und ließen mit leeren Händen ihn heim. Da sandte der Herr einen andern hin. Dem warfen sie Steine wider die Stirn 4970 und taten ihm Schimpf und Schande an. Da hatte der Herr noch einen zur Hand, das war sein lieber, leiblicher Sohn, den ließ er zuletzt zu den Gärtnern gehn und sagte: „Sie werden doch wohl sich besinnen, an meinem Sohne sich zu versündigen." Die Gärtner hingegen, sobald er herbeikam, hetzten einander: „Das ist der Erbel Bringet ihn um, und das Erbe ist unse^I" Und sie fielen ihn an und brachten ihn um 4980 und warfen die Leiche zum Weinberg hinaus. „Was wird nun der Herr des Weinberges tun? Er kommt und tötet die Tollen und tut den Weinberg aus an andere Winzer I „Nehmt ihr auch wohl des Wortes wahr: „Der Stein, den die Bauer beiseite geworfen, der ist als Eckstein eingesetzt I Der ist vom Herrn dazu erhoben, und 's ist ein Wunder in unseren Augen. Wer die Stirne stößt wider diesen Stein, 4990 der zerschellt sich den Schädel an seiner Schärfe. Und wer ihn herab von der Stelle reißt, der Vermessene wird zermalmt von der Wucht."? Wer es fähig ist, der fasse dies Wortl" Wohl merkten die meisten: Es war gemünzt auf des Heiligtums Hüter, die Hohenpriester; doch denen es galt, die waren gegangen. Sie erfuhren indessen durch feile Diener noch jegliches Wort, das Jesus wagte. Auch der Märe vom Weinberg ward ihnen Meldung, 5000 und es wurmte sie weidlich, in der Maske der Winzer so schimpflich und schlimm sich geschildert zu sehn. Wohl lechzte ihr Haß, wohl lehrte auch Klugheit, den gefährlichen Volksentzünder bei Zeiten und sonder Gezag' und Gezier zu beseit'gen. doch sie wagten des Volkes wegen es nicht; denn nicht allein seine Galiläer, — alle Welt hing wie verwunschen an ihm und hätte es schwerlich schweigend gelitten, daß den neuen Propheten gefangen man nahm. 5010 So verließ der Herr denn unbehelligt

117 — am Abend abermals Tempel und Tor und verschwand in der hüllenden Hut der Nacht. Der Dienstag

Das Land Judäa, seitdem Archelaos, des Herodes Sohn, gar bald von den Römern, der Herrschaft entsetzt, aus der Heimat verbannt war, ward von dem Weltoolk selber verwaltet, und ein Statthalter stand, vom Kaiser bestellt, über dem Volk. Deren erster unterfing sich, eine Steuer dem Lande aufzuerlegen; 5020 ein Silberling kam auf den Kopf im Jahr. Da erhob sich das Volk in heller Empörung! Denn der Jude erkannte nur Gott an als König, der Zins für den Kaiser bezeugte ihm Knechtschaft. Der Aufruhr wurde mit Waffengewalt zwar bald erstickt. Doch ständig im stillen glomm in den Herzen die Glut des Hasses; und knirschend zahlte den Knechteszins, wer immer als echter Israelit vom Joche der Fremden nach Freiheit lechzte. 5030 Kein Schriftgelehrter lebte im Lande, der die Steuer der Römer als recht bestätigt; und der Lehrer Gefolgschaft, die Pharisäer, die gesetzesfreudigen Fremdenfeinde, stellten sich starr auf den Standpunkt der Meister: „Kein Heide darf Zins von den Heil'gen erheben I" — So lautete freilich nur die Lehre. Im Leben bequemten sie sich und erlegten die Steuer und wagten nicht Widerstand, vom Himmel allein die Erlösung hoffend. 5040 Die „Eiferer" nur, die echten Zeloten, wühlten und hetzten zur Waffenerhebung. Den herrschenden Priesterhäusern behagte der widerspenstige Sinn gar wenig. Sie wünschten Ruhe, dieweil die Römer denen Gewalt sie und Würde verdankten, (denn sie ließen den Priestern des Landes Verwaltung) den Rest von Macht ihnen wieder entrissen, so man Ausruhr nicht wußte hintan zu halten. Und gab der vermeintliche Gottesmann 5050 dem Meuterermute nicht neue Nahrung? Solange der Haufe hielt zu dem Hetzer, war's zwar unmöglich, sich sein zu bemächt'gen; doch wenn es gelang, ihn dem Volk zu verleiden, konnte man hoffen, sein Herr zu werden.

— 118 — Drum still! Wie stellte er sich zu der Steuer? Das war eine Frage, den Frechen zu fassen, ihn matt zu setzen, so oder so! Denn entschied er, die Steuer bestehe zu Recht, und riet er, den Zins den Römern zu zahlen, so brauchte man nur das Wort zu verbreiten, und dahin war gar seine Gunst beim Haufen! Dann galt er den Leuten als Landesverräter und zählte als Zöllner- und Sündergesell. War aber sein Urteil, die Steuer sei Unrecht, und widerriet er, sie zu entrichten, so war es ein Leichtes, bei Pontius Pilatus, dem römischen Landvogt, ihn zu verleumden und hinzustellen als Hetzer und Schürer, der das Volk aufwiegle zur Steueroerweigrung. Und der Landvogt würde nicht lang überlegen, den Kecken in Kerker und Ketten zu tun. — Sie selbst nach dem ersten übelen Abgang gelüstet' es nicht, sich nochmals der Laune des eigensinnigen Augenblickes auszusetzen und aufzuopfern; Sie wußten gewandt einen Wink zu geben ihren Feinden sonst, den Pharisäern, mit denen sie jetzt der Kampf wider Jesus, ihrer beider Gegner, einstweilen verband. Es fanden sich ihrer auch etliche vor, ihren Geist und Witz an dem Meister zu wagen. Und als er am nächsten Morgen sich nahte und in den Hallen am Heilig tume die Hörer zu seinen Füßen hockten, da traten die Abgesendeten auf und begannen mit schmutzigen Schmeichelworten: „Meister, wir wissen, du liebst die Wahrheit und kehrst dich an keinen und siehst die Person der Menschen nicht an; du lehrest mutig den Weg des Herrn in Wahrhaftigkeit. — Ist's recht, dem Zäsar den Zins zu entrichten oder ist's nicht erlaubt? Wie lehrest du? Rätst du uns also, ihn zu entrichten, oder weisest du uns, ihn zu verweigern?" Jesus durchschaute den Trug der Schelme, die, redlich, bieder und brav sich gebührend, mit Lobhudelei ihn verlocken wollten, sich selbst zu verderben mitsamt seiner Sache. Drum sagte er kalt: „Was soll die Versuchung? Zeigt mir die Münze, die man bezahlt,

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damit ich sie sehe." Da suchten sie emsig einen Silberling aus dem Säckel hervor und hielten ihn hin. Er fragte sie frostig: „Wessen Abbild ist das und wessen Umschrift?" Sie versetzten: „Du siehst doch den Kopf des Kaisers!" Da sprach er bitter mit beißendem Spott: „So erstattet dem Kaiser, was Kaisers ist, und gebet Gotte, was Gottes ist!" Sie blickten verblüfft, überrascht und ratlos 5110 und taten verlegen den Taler fort. Ja, Kaffe machen mit Kaisermünzen, im Schutze des römischen Reiches schachern — den Vorteil ließ man sich fein gefallen, da störte die Herrschaft der Heiden nicht. Bei Zoll und Zins aber stellte der Zorn sich und der Eifer um Israels Ehre ein. Ich will nicht behaupten, daß Jesus die Herrschaft der Römer für gut oder recht gehalten und als Werkzeug Gottes gewürdigt habe, 6120 wie nachmals Paul, der Apostel, getan. Doch eben so fern stand er dem Eifer und der lodernden Wut der wilden Zeloten. Was Gott begehrt — was der Fürst befiehlt — ist weder dasselbe, noch widersagt sich's. Du kannst ihnen beiden das Ihre bieten; einem jeden darfst du in Treue dienen, ohne dem andern untreu zu werden. Was beiden gebührt, das neidet sich nicht. Das war ein Gedanke, noch ungedacht 5130 zu jener Stunde an jeglicher Stätte des Erdenrunds! Da geriet er dem Einen! Doch wehe, wie lange noch litt die Welt von der bösen Vermengung der beiden Gebiete: Kaiserveryimmlung und. Christenhetze, Kampf zwischen Kaiser, König und Papst, Wiedertäuferwirren und -wehe, Leiden und Not der Hugenotten, Heuchlergetön von Thron und Altar, Haß und Hohn bei der Trennung von beidem, 5140 die Wehn der Geburt einer neuen Welt gesteigert vom Kampfe um Kirche und Staat — o Meister, wann wirst du der Menschheit Herr? Zu jener Stunde freilich da stand er als Sieger im Feld, und die Pharisäer kehrten mit roten Köpfen zurück, nicht minder vom Munde des Wahrheitsmächt'gen

— 120 — gerichtet wie gestern die Herren vom Rat.

Als die Störenfriede die Stätte verlassen, da wagte der Herr den gewaltigen Hieb, mit dem er des Landes bisherigen Lehrern, den gefeierten Fechtern für Sitte und Volk, den Gesetzesforschern und Pharisäern, ihren Führerstecken und Richterstab aus der dürren Hand zu schlagen gedachte: „Es sitzen heute die Pharisäer und Schristgelehrten auf Moses Lehrstuhl. Sie binden und schnüren schwere Bürden und legen sie auf der Leute Achseln. Sie selbst aber fassen mit keinem Finger mit an, die Last vom Ort zu bewegen. Doch was sie tun, das tun sie im Wunsche, an der Menschen Bewunderung sich zu weiden: Sie binden breit die Gebetesriemen und tragen lang am Talare die Quasten. Beim Mahle und bei der Gemeindeversammlung beeilen sie sich um die Ehrensitze. Sie lieben am Markte die Grüße der Menge und hören gern sich „Meister" geheißen. Sie bieten sich dar mit langen Gebeten und — fressen der Witwen Häuser und Wesen. „Drum weh euch, verlogene Schriftgelehrte und Pharisäer — gesalbte Heuchler! Ihr zahlt von Minze und Dill den Zehnten und laßt im Gesetze das Größte beiseite: Das Recht, das Erbarmen und die Treue! Seihet die Mücke und schluckt das Kamel. „Weh euch, verlogene Schristgelehrte und Pharisäer — gesalbte Heuchler! Ihr scheuert außen Schüssel und Becher, doch innen ist Raub und Üppigkeit! „Weh euch, verlogene Schristgelehrte und Pharisäer — gesalbte Heuchler! Ihr Gräber, von außen artig getüncht, innen voll Unflat und Totengebein! „Weh euch, verlogene Schristgelehrte und Pharisäer — gesalbte Heuchler! Ihr errichtet auf der Gerechten Gräbern Denksteine und führt den Propheten ihr Mal aus: >,So wir in den Tagen der Väter gewesen, wir wären nicht schuld an ihrem Geschick!" und bezeugt: Ihr seid die Söhne der Mörder! Drum hat des Höchsten Weisheit verheißen:

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— 121 „Siehe, ich sende Propheten und Seher. Von denen verdammt ihr, stäupt und steinigt, daß über euch komme alles Blut der Gerechten, das je zur Erde geronnen, vom Blute Abels an, des Gerechten, bis zum Blut Zacharias', den ihr ruchlos getötet zwischen Altar und Tempel." 5200 „Weh euch verlogene Schristgelehrte und Pharisäer — gesalbte Heuchler I Ihr habt den Schlüssel zur Wahrheit verschleppt. Ihr haltet vom Himmelreich ab die andem. Ihr gelangt nicht hinein! Doch ihr laßt auch die Leute nicht hineingelangen, die danach lechzen! „Weh euch, verlogene Schristgelehrte und Pharisäer — gesalbte Heuchler! Ihr reist umher unter allen Himmeln, daß ihr einen Iudengenossen erjagt — 5210 doch ist er's erst, so macht ihr ihn eilends zum ärgeren Satanssohne denn ihr! „Ihr lehrt die Leute den Eid verachten und sagt: „Wer beim Tempel schwört, das tut nichts! Nur ein Eid beim Golde des Tempels gilt I" Ihr Tüftler und Toren! Denn was ist wicht'ger: Das Gold am Hause oder das Haus, das dem Golde die Heiligkeit erst gibt? Oder: „Wer beim Altar schwört, das ist eitel. Nur der Eid bei der Gabe darauf ist gültig I" 5220 Ihr blöden Blinden! Was ist wicht'ger: Das Opfer auf ihm oder der Altar, der der Gabe die Heiligkeit erst gibt? Wer also beim Altar den Eid tut, schwört bei ihm und allem, was auf ihm liegt. Und wer beim Tempel es tut, der schwört bei ihm und all seinem Prunke und Pracht; denn er schwört bei ihm, der Tempel und Altar aus Holz und Stein zum Heiligtum macht! „Uun laßt eine Frage vor- euch legen: 5230 Sehet, ein Mensch besaß zwei Söhne; und er sagte zum ersten und sprach: „Mein Sohn, geh hin und werke im Weinberg heute!" Der erwidert verwegen:„Ich will aber nicht!" Hernach bedachte er's und — ging doch! „Der Vater indessen befahl dem andern und sagte zu ihm dieselbigen Worte. Der entgegnete: „Gern!" und ging nicht hin. „Welcher von beiden hat nun den Willen

— 122 — des Vaters erfüllt?" Kam Antwort:,Der erste!" Da erwiderte Jesus: „Wahrlich, ich sage euch: Die Zöllner und Huren halten sich zu und gehn als die ersten zum Gottesreich ein! Denn Johannes trat auf und heischte Umkehr; und Gesetzesforscher und Pharisäer haben dem Heil'gen Gehorsam versagt. Die Zöllner und Huren haben gehört! Doch jene, selbst da sie solches sahen, haben auch hinterher noch verharrt in Ungehorsam und Abkehr von ihm. Sie stellen sich selbst vor den Augen der andern als Heilige hin. Der Herr aber kennt ihres Herzens Grund. Ihm ist ein Greuel, was unter den Menschen groß sich macht!" So zerschlug der Meister mit mächtiger Rede den Ruhm der verkehrten Gerechtigkeit, an die die verrannten Heuchler herzlos die bekümmerten Seelen verkaufen wollten. Da erhob sich aus der horchenden Runde ein Schriftgelehrter, der lange gelauscht und alle die herben Worte gehört, mit denen der Herr den Götzen gegeißelt, dem Führer und Volk bisher gehuldigt. Gr hatte wohl längst mit lechzender Seele einen Weg aus dem Wust der Rabbinerweisung gesucht und gesonnen, zu sondern und sichten, was als „Lehre der Väter" lastend sich legte auf Scheitel und Schultern jeglichem Juden, der in Ernst dem Ew'gen zu dienen gedachte. Hier hatte er heut' den Propheten gefunden, der mit klingender Stimme und klarer Stirn das offen lehrte, was leise er ahnte. Da faßt' er ein Herz und fragte den Herrn: „Meister, was muß ich geleistet haben, um das Leben der künftigen Welt zu erlangen?" Er versetzte: „Was steht im Gesetze bestimmt? So laß doch hören: Wie liesest du?" Da gab er zur Antwort: „„Israel, höre! Der Herr, unser Gott, ist Herr allein. Und du sollst den Herrn, deinen Helfer, lieben mit ganzem Sinne und ganzer Seele, mit ganzem Gemüte und aller Macht! " An zweiter Stelle stehet jedoch und ist mit dem ersten Gebote eins: „Du sollst wie dich selbst deinen Nächsten lieben!" Kein ander Gebot geht über die beiden!"

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Da Jesus vernahm, wie vemünstig er sprach, antwortet' er ihm: „Meiner Treu, vortrefflich Meister, sagst du der Wahrheit gemäß: „Er ist der einz'ge und 's ist kein andrer 1* Und: „Ihn zu lieben mit aller Macht, 5290 mit ganzem Sinne und ganzer Seele* und: „Den Nächsten so wie sich selbst zu lieben * — das gilt wohl mehr in Gottes Augen als alle „Brände und anderen Opfer" I Du hast nicht weit zu der Herrschaft der Himmel!* Poch jetzt an die Jünger wandte sich Jesus: „Und nun vernehmet von Liebe zum Nächsten ein schönes Beispiel, das ich euch schildre, damit ihr lernet, daß solche Liebe des Vaters Wohlgefallen erwirbt: 5300 Es reiste ein Mann von Jerusalem die Straße hinab nach Jericho und geriet in die Hand einer Horde von Räubern. Die raubten den Armen völlig aus und schlugen ihn obenein noch schlimm und gingen von dannen und ließen ihn dort voll Wunden halbtot am Wege liegen. Da fügte es sich von ungefähr, daß ein Priester des Weges gewandert kam. Der ward fein gewahr und — eilte vorüber. 5310 In gleicher Weise kam ein Levit an den Ort, sah ihn und — eilte vorüber. Ein Samariter indes auf der Reise, da er kam an den Mann und bemerkte ihn kaum, so trat er, von Mitleid getrieben, hinzu, verband ihm die Wunden, goß Wein darauf und 01 und setzte ihn auf seinen Esel und brachte den Wunden zum nächsten Wirtshaus und pflegte seiner und sorgte um ihn. Des anderen Tages zog er zwei Taler, 5320 überwies sie dem Wirte und sagte: „Sorg' für den Mamn 1 Und was du noch mehr aufwendest, das zahl' ich, sobald ich vorbei wieder komme!* — Ko sollt ihr sein die Sonne der Welt! Eine Stadt auf dem Berge verbirgt sich nicht; euer Licht soll leuchten unter den Leuten, sodaß sie schaun eure schönen Taten und dafür euren himmlischen Vater loben. Denn wem da viel ist zugefallen, bei solchen sucht und fordert man viel. 5330 und wer da viel empfangen hat,

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von dem verlangen sie desto mehr. „Menn aber dereinst bei der Weltenwende in der Fülle der Macht der Menschensohn mit allen Engeln zur Erde sährt und den Stuhl besteigt seiner Majestät und werden ihm vorgeführt alle Völker — wie der Hirte die Schafe und Böcke scheidet, so trennt er alle, die vor ihn treten, und reiht sie zu seiner Rechten und Linken. Dann redet er die auf der Rechten an: „O kommt, ihr meines Vaters Erkorene, und erbet das Reich, das euch bereit liegt vom Urgeschehen der Schöpfung an. Denn ich habe gehungert, da bracht ihr mir Brot; vor Durste gelechzt, da labtet ihr mich; bin nackt gewesen, ihr gabt mir Gewand; und heimatlos, ihr habt mich beherbergt; war siech, da habt ihr gesehn nach mir, im Kerker, und seid zu mir gekommen!" Dann werden die Wackern ihm erwidern; „Aber Herr, wann hätten wir dich im Hunger getroffen und Speise dir gespendet, vor Durste lechzend und dich gelabt; da du nackt gewesen, Gewand dir gegeben; heimatlos und dich beherbergt; oder siech und hätten gesehn nach dir; im Kerker, und wären zu dir gekommen?" Dann wird der König ihnen verkünden: „Wahrlich, das wisset: Was ihr erwiesen einem der ärmsten von all meinen Brüdern, das habt ihr an ihm — mir angetan!" „Dann wird er an die zur Linken sich wenden und wird sie verwerfen und von sich weisen. Denn was sie verabsäumt zu tun an dem Ärmsten, das haben auch ihm sie nicht angetan! „So erben die einen der Ewigkeit Leben, die andern eilen zum Untergang. Denn nicht nach Worten und weicher Wallung — nach Werken wägt der Ew'ge die Welt!"

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Neunter

Gesang

Echte» in Zeit und Ewigkeit

Der

Mittwoch

Wie der Meister am anderen Morgen inmitten der Jünger gegenüber dem Opferstock saß, da schaute er an, wie die Leute alle in den Stock ihre Kupferstückchen steckten. Und viele Begüterte gaben auch viel. Da kam gewankt eine arme Witwe, die nahm zwei Heller und tat sie hinein. Da redete Jesus die Jünger an und versetzte, „Wahrlich, ich sage euch: Diese arme Mutter hat mehr geopfert, 5380 als alle die andern geopfert haben. Sie alle haben vom Überfluß geopfert. Doch sie, von ihrer Armut, hat soeben alles, was ihr war, geopfert, ihren ganzen ärmlichen Unterhalt I" — „Drum nehmt euer wahr und hütet euch wohl, dieser Kleinen einen mir zu verachten! Denn hört: Ihre Engel im Himmel haben meines Vaters Angesicht allezeit!" — „Es war einmal ein reicher Mann, 5390 trug Purpurgewand und weichen Flanell und lebte üppig tagaus, tagein. Ein Armer aber lag an der Einfahrt, voll Schwüren den Leib, der nur verlangte, den nagenden Hunger in herber Not mit den Resten vom Tische des Reichen zu stillen. Ja, es kamen sogar die Gassenhunde gelaufen und leckten an seinen Geschwüren. Da geschah es, daß endlich der Arme verschied 5400 und die Engel ihn trugen an Abrahams Brust. Dann starb auch der Reiche und ward bestattet. In der Unterwelt aber erhob er die Augen und gewahrte von weitem Abraham oben

— 126 — und den Bettler an seinem Busen ruhn. Da rief er ihn an: „Vater Abraham, o habe Erbarmen und sende den Bettler daß er nur seines Fingers Spitze befeuchte und letze mir die lechzende Zunge. Denn sieh, ich verderbe vor höllischem Durst!" Doch Abraham versetzte: „Mein Sohn, 5410 du hast dein Liebes im Leben gehabt, der Bettler gleichermaßen das Böse, jetzt aber erhält er hier seinen Trost, Doch du dort unten mußt dursten und darben. Und dann überdem — zwischen uns und euch ist breit eine klaffende Kluft befestigt, daß, welche von uns zu euch hin wollten, es nicht vermöchten, noch wäre es möglich, von euch zu uns herüberzukommen 1"-------Mnd ich rate euch wieder: Erwerbt einen Schatz 5420 mit dem argen Mammon hienieden auf Erden: Gib einem jeden, der von dir begehrt! Und wenn dir das Deine ist weggenommen, was trachtest du da, es wiederzunehmen? Gebt, so wird man euch wiederum geben! Ein mächtig, gehäuft und gerütteltes Maß, das überläuft, schüttet man euch in den Schoß. Denn mit dem Maße, da ihr mit messet, wird man auch euch hinwiederum messen!"

Da traf es sich trefflich, daß vor ihn traten etliche aus den üppigen Kreisen der daseinsseligen Sadduzäer, die, angesehen und reich und satt, die Volkserwartung der Weltenwende (da der Teufel stürzt und die Toten erstehen und nach dem Gericht die Gerechten das Reich des Ewigen erben mit seinem Gesalbten) spöttisch als Hirngespinste verhöhnen, sich lieber verlassend auf dieses Dasein, das gewiffer bleibt denn der blühende Wahn, für den diese Tollen den Tod gern tauschten, ihrer Auferweckung zum Leben gewiß! Deren etliche hofften denn, eitel genug, nachdem Pharisäer und Ratsgesandte jämmerlich hatten vor Jesu versagt, mit eigener, albern erfundener Fabel den Herrn als Künder der künftigen Welt und der Auferstehung zum anderen Leben dem Gelächter der Leute auszuliefern.

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127 So begannen die Herren denn gönnerhaft: 6450 „Meister, Moses hat uns geheißen: „So eines Bruder das Auge bricht, und er läßt ein Weib, aber keine Kinder, so soll um die Witwe der Bruder werben und Nachwuchs wecken dem Verwichnen." Nun sind der Brüder jüngst sieben gewesen. Und der erste von ihnen gewann ein Weib und starb. Aber Nachwuchs hatte er nichtI Da nahm der nächste die Witwe zum Weibe und starb. Aber Nachwuchs ließ er ihm nicht. 5460 Und so der dritt' in derselben Weise. Und sämtlichen sieben war Nachwuchs versagt. Zuletzt von allen starb auch das Weib. — Und nun: Bei der Auferstehung am Ende — wes Weib, wenn sie auferweckt sind, wird sie? Denn besessen haben sie sämtliche sieben!" Sie verstummten, stolz auf den albernen Einfall, überzeugt, den eitelen Aberwitz einer Auferweckung erwiesen zu haben. Doch Jesus maß sie musternden Blicks, 5470 und Mitleid und Spott umspielt' ihm den Mund. Dann gab er Antwort: „Nicht wahr, ihr irrt, dieweil ihr weder wisset die Schrift, noch Ahnung habt von der Allmacht Gottes! Denn wenn sie erweckt von den Toten werden, dann freien sie nicht, noch freit man sie. Sie sind wie Engel der Ewigkeit, von der Wundermacht des Höchsten gewandelt, — Und wenn ihr bewandert wärt in der Schrift und hättet gefunden beim „Feurigen Busch" 5480 wie Gott dem Mose entgegenrust: „Ich bin der Gott Abrahams, Isaaks, Jakobs!" so stimmtet ihr ein, daß sie auserstehn; denn er nennt sich wohl nicht dreier Leichname Gott» dieweil er der Gott der Lebenden ist! — Meiner Treu wie arg ihr im Irrtum steckt!" Und er würdigte jene nicht weiter des Blicks; dem Volk sich zu widmen, das wog ihm mehr. So fuhr er denn fort, von der Weltenwende die lauschende Runde recht zu lehren: 5490 „Löset den Gurt von den Lenden nicht los und haltet die Leuchter helle und licht, wie Diener, die harren auf ihren Herrn, wann er heim mit der Braut von der Hochzeit kommt Benedeit die Diener, die er alsdann,

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wenn er wiederkehrt, auch wachend trifft I Fürwahr, das sage ich euch gewiß: Er gürtet sich auf und deckt einen Divan und reicht herum und bedient seine Diener! — Doch wann er kommt, das weiß wohl keiner, auch die Geister nicht, nur Gott allein. — Doch mag er um Mitternacht oder am Morgen heimwenden und findet sie wachend vor: Benedeit die Diener! Er wird es danken! „Doch nur daß niemand sich leicht verlasse auf seiner Gesellen Wachen und Werk! Da ist kein Leihen und Borgen erlaubt, ist jeder gelassen auf sich allein. Und mancher sputet sich dann zu spät: „Wie jene Iungfraun, zehn an der Zahl, die mit Lampen dem Bräutigam leuchten wollten! Fünf waren töricht, fünf waren klug. Die törichten nämlich nahmen wohl Lampen, aber nicht eigens 01 mit sich. Die klugen aber nahmen auch 01 in Krügen außer den Krüseln mit. Doch wie der Erwartete lange verweilte, entschlummerten alle und schliefen ein. Doch um Mitte der Nacht vernahm man den Ruf: „Jetzt bringt er die Braut! Nun geht ihm entgegen I" Da wachten alle die Jungfrauen auf und schmückten die Lampen mit Laubgewinde. Und die törichten klagten jetzund den klugen: „Gebt uns doch ab von eurem Ole, denn unsere Lampen erleschen schon!" Die weisen aber erwiderten ihnen: „Mitnichten! Daß uns und euch gebreche?!" Nur hurtig zum Händler und 0l geholt!" Doch als sie nun eilten, um 01 zu besorgen, da nahte der Zug. Die Bereiten nahmen die Lampen und gingen dem Paare entgegen und folgten hinein zum festlichen Mahl. Dann wurde die Türe zugetan. „Nicht lange danach, so nahten die andern und hoben an:„Herr, tue uns auf!" Doch er erwiderte: „Wahrlich, ich sage euch: . Ich weiß nicht, von wannen und wer ihr seid!"" Ko wollte der Meister die müß'ge Erwartung der besseren Welt zur Buße wenden und Blicke, die starr wie aus Blendwerk stierten, aufs eigene Innere einwärts lenken.

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129 Drum wandt' er sich jetzt auch wider den Wahn, der, an Dawids Heldengestalt sich hängend, aus seinem Haus den Gesalbten erhoffte, der den Weg der Waffen zu schreiten wage und mit Judas Jugend die Römer verjage. Ob der Herr dem Hause des Helden entstammte, das steht dahin. Denn später erst spann man diese Meinung aus zu artigen Mären und stellte dem Meister Stammbäume auf, 5550 seine hohe Herkunft der Welt zu beweisen. Er selber suchte das Recht seiner Sendung mitnichten im Blute, dessen sich blöde auch mancher entartete Edeling rühmt. Ihm galt der Geist von Gott wohl mehr! 5555 Wie hätte er sonst dem Hoffen und Sagen vom Dawidssohn mit Bedacht widersprochen? Denn Markus meldet, wie damals der Meister dem Dawidstraume entgegentrat, einen alten Königspsalm sich erkiesend, 5560 den er wie alle für Dichtung Dawids, eingegeben vom Geiste, ansah. Denn also fragte der Meister die Freunde: „Wie können denn nur die Rabbiner verkünden, der Gesalbte Gottes sei Dawids Sohn? Denn Dawid selber saget und singt, im Geiste entzückt, vom König der Zukunft: „Der Herr hat meinem Gebieter verheißen: „Setze dich mir zur Seite nieder, bis daß ich die Feinde zu Füßen dir lege!"" 5570 Da heißt ihn Dawid Herrn und Gebieter — Wie kann man dann sagen, er sei sein Sohn?" Das sollte wohl heißen: Er selber huld'ge anstatt der Hoffnung auf Dawids Sohn der Gestalt, verheißen durch Daniels Gesicht, eines „Menschensohns", der in Gottes Macht auf des Himmels Wolken herniederwallt und anstatt der Herrschaft heidnischer Bestien das Reich der Heil'gen des Höchsten errichte, nicht irgend in einem Erdenwinkel 5580 eines Menschleins Macht mit Mühe verfechtend, nein, licht und leuchtend in allen Landen durch himmlische Wundergewalt erhöht. Kalb ging ein jeder nach Haus. Doch Jesus entwich gegen Abend wieder zum Ölberg.

130 — Der

Donnerstag

Ko war unter Kampf und stiller Verkündigung der Donnerstag endlich heraufgedämmert, der letzte Tag, da dem Herrn zu lehren und des Worts der Wahrheit zu walten vergönnt w Noch einmal kostet' er Kampfesgefahr, 5590 genoß noch einmal der edeln Wonne, empfänglichen Herzen vom hehrsten Empfinden des Menschengemütes zu melden und zeugen. So lasset, ihr Lieben, uns lauschen und hört, wie der letzte Tag vor dem Leiden verlief!

Am Morgen erschien der Meister wie sonst im Tempel und alles eilte ihm zu; und er ließ sich nieder, die Leute zu lehren. Doch da er eben zu reden anhob, da kamen und kündeten etliche ihm von dem furchtbaren Lose der Galiläer, deren Blut Pilatus vergießen lassen über der Pilger eigenen Opfern. Doch der Meister in Unmut gab zur Antwort: „Denkt ihr vielleicht, diese Galiläer waren ärgere Sünder denn andre der Ihren, weil ihnen das Furchtbare ist widerfahren? Doch ich sage euch: MitnichtenI Nein! Vielmehr, so ihr selber euch nicht besinnt, so werdet ihr alle ebenso enden! Und jene achtzehn andern, die jüngst der stürzende Turm zu Siloah getötet — denket ihr etwa, diese Erschlagenen waren ärger als andre Jerusalemer? Ich sage: Mitnichten! Und obermal: Nein! Vielmehr, so ihr selber euch nicht besinnt, so werdet ihr alle ebenso enden!" — So bitter haßt' er die billige Strenge, die anderer Unglück als Strafe ansieht und setzt für die Strafe Sünde voraus und sichtet und siebt die Sitten des Nächsten, und täte weit besser, vor eigener Türe zu kehren und sonst sich um keinen zu kümmern, denn Unrat findet sich überall! Doch war es der Juden Schwäche von jeher, über andre zum Richter sich aufzuwerfen. Und heute sollte der Herr so häßlich wie nimmer bislang noch einmal erleben, wie satte Selbstgerechtigkeit roh eine arme Seele mit ihrer Sünde

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— 131 an den Pranger zerrt und der Schande preisgibt, ob letztes Ehrgefühl drob auch erlischt, wenn der Stab nach Brauch nur gebrochen wird. Jetzt nahten ihm nämlich mit heftiger Hast Gesetzesforscher und Pharisäer und bringen ein Weib, auf Ehebruch betroffen, in Tränen geschleift und geschleppt und stoßen es in die Mitte und stellen an Jesus jetzt die verfängliche Frage: „Meister, die Frau ist frischer Tat auf Ehebrüche soeben ertappt. Im Gesetze aber hat Mose bestimmt, eine solche zusamt dem Manne zu steinigen. Wie denkst nun du? Was dünket dich?" Das sagten sie aber, um ihn zu versuchen, daß sie Klage gewönnen wider ihn; sie vermuteten wohl: In seiner Milde werde der Meister dem wohl widersprechen, daß Mose so streng im Gesetze es strafe, wenn ein Mensch erliegt der lockenden Lust. Denn wagte er, Mose verwegen zu meistern, so ließ sich leicht eine Klage auf Lästrung erheben und vollen Erfolg erhoffen. Der Herr aber hatte sich nicht erhoben, er hockt' auf der Erde nach östlicher Art. Jetzt neigt' er sich vor und fuhr mit dem Finger durch den Sand, als vernähme und sähe er nichts. Doch als sie nun hart auf der Frage beharrten und ihn zu belästigen ab nicht ließen, erhob er das Haupt und sprach zu den Herren, angeekelt vom übelen Eifer: „Wer ohne Fehl unter euch sich fühlt, trete auf und werfe den ersten Stein!" und neigte sich vor und schrieb mit dem Finger weiter, als achtet' er ihrer nicht. Doch sie, nachdem sie solches vernommen, gingen sie ab, der eine, der andre, überführt vom Reste redlichen Fühlens, die äll'sten voran, die anderen nach, und blieb zuletzt nur Jesus allein und das Weib an der Stelle, allwo sie stand. Da erhob der Herr am Ende das Haupt, und, keinen gewahrend außer dem Weide, sagte er: „Weib, wohin sind sie verwichen? Hat ihrer dich denn nicht einer verdammt?" Sie sprach:„Nicht einer." Gab er zur Antwort: „So gedenke auch ich dich nicht zu verdammen,

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— 132 — Geh hin und fehle hinfort nicht mehr!" Schon schickte sie sich im Scheiden an, übermannt dem Meister zu Füßen zu fallen. Doch wehrte er ab; sie wandte hinweg, gesenkten Haupts, das Gesicht verhüllend. Gebe Gott, daß recht ihre Reue gerate!

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Der Meister sammelte wieder den Sinn und sprach zu den Seinen, die auf ihn sahen: „Es gingen einmal zwei Menschen hinauf in den Tempel zu beten: Der eine von beiden ein Pharisäer, der andre ein Zöllner. Der Pharisäer trat dar nach vorne und stellte allein sich von den Leuten und betete bei sich selber so: „Ich danke dir Ew'ger, daß ich nicht bin 5690 wie die andern Leute — Ehebrecher, Räuber, Ungerechte und auch wie dieser Zöllner. Ich gebe den Zehnten von allem ab, was ich erwerbe, und zweimal der Woche wart' ich des Fastens!" Der Zöllner aber hielt an, verzagt, und mochte auch nicht einmal seine Augen im Gebet vom Boden zum Himmel erheben, sondern schlug seine Brust und seufzte brünstig: „Allgütiger, sei mir Sünder gnädig!" 5700 Ich sage euch: Dieser ging heim von dannen freigesprochen statt jenes Gespreizten. Denn wer sich selber erhöht, der soll erniedrigt werden; doch wer sich erniedrigt, der wird im Himmel erhöhet werden. — „Ko aber dein Bruder etwas verbricht, zuerst vermahne ihn unter vier Augen. Und besinnt er sich, so vergib ihm gern. Wohl dir, du hast deinen Bruder gewonnen! Und so er des Tages siebenmal sündigt 5710 und siebenmal sich besinnt und bereut.., vergib ihm sieben- und siebzigmal! Und vergebt ihr den andern ihre Vergehen, so vergibt euer himmlischer Vater euch auch! Vergebt aber ihr den andern nicht, so vergibt euch Gatt die Vergehn auch nimmer! Doch wehrt sich der Bruder des Wortes der Warnung, so zieh einen Freund hinzu oder zweie! Und erst, wenn er euer dann auch nicht achtet, so mögt ihr ihn offen der Untat zeihen 5720 und ohne Schuld euch scheiden von ihm.

— 133 — „Da laßt euch künden von einem König, der gedachte zu rechnen mit seinen Dienern. Und als er nun anhob abzurechnen, da führte man ihm ihrer einen vor, der fünfzigtausend Taler ihm schuldete. Doch er war nicht imstande, sie ihm zu erstatten. Da gebot der König, den Mann zu verkaufen, seine Kinder, die Gattin und all sein Gut, und ihm den erzielten Erlös zu bezahlen. 5730 Doch er fiel dem König zu Füßen und rief: „Herr, habe Geduld mit deinem Diener, so erhältst du alles bei Heller und Pfennig!" Da dauerte denn den Herrn der Diener, und er gab ihn los und erließ ihm die Schuld. „Doch wie nun der Wicht auf die Treppe trat, so traf er aus einen der anderen Diener, dem er fünfzig Taler jüngst oorgeschossen. Er packt' ihn und würgt' ihn und brüllte wütend 5740 „Bezahle, Bube, wenn du was borgst!" Der knickt' in die Kniee und bat ihn erbärmlich: „Gedulde dich doch und warte ein Weilchen, so erhältst du alles bei Heller und Pfennig!" Doch er wollte es nicht und warf den Armen in den Kerker, bis er sein Geld bekäme. „Die andern Diener jedoch, die dessen gewahr geworden, packte Empörung. Sie gingen und gaben dem König Kunde. Der ruft den Diener zurück und donnert: 5750 „Du verworfener Wicht! Die gewaltige Schuld erlasse ich dir, dieweil du mich bittest — ja, mußtest nicht du dich wieder erbarmen über diesen Mitdiener wie ich mich dein?" Und gab ihn empört in der Peiniger Hand, bis er alles bezahlte bei Zinseszins. „Drum, wenn du etwa dein Opfer darbringst und wirst vor dem Altar eingedenk, daß dein Bruder mit dir gebrochen hat — so laß auf dem Altar das Opfer liegen 5760 und eile zuerst und suche Versöhnung mit deinem Bruder; und dann erst dringe deinem Gotte die Gabe, wie du begonnen! „Das aber bedenkt: Es wird der Diener, der den Willen des Herrn wohl weiß und dennoch nicht tut noch verfährt noch seinem Befehl schlimmere Streiche zur Strafe empfangen, als wer ihn nicht weiß, aber dennoch Dinge

134 — begeht, die Streiche zur Strafe verdienen. Denn sie dürfen sich nicht mit dem Vorwand decken, als wüßten sie nicht, was sie begehn!" Da erhob sich der Herr:„Genug für heute!" Wir wissen: Ihm wurde kein „Morgen" mehr! „Genug für ewig und immerdar I" wenn so er gesagt, so war es wahrer als letztes Wort an die, so ihm lauschten, und tiefer wahr für alle Jahrtausende: Genug für ewig und immerdar! Doch als er nun langsam den Tempel verließ, sprach einer der Jünger zu Jesu die Worte: „Meister, siehe! Welch mächtiger Bau! Und welche Steine!" Da stand er stille und hob die Hand und wiegte das Haupt: „Dein Auge gewahrt den gewaltigen Bau! Doch es sei euch gesagt: Ich schaue es schon: Kein Stein wird bleiben an seiner Stelle, der nicht heruntergerissen wird!" Und Tränen traten ihm in die Augen und netzten die Wange dem Weinenden, und er rief voll Leides: „Jerusalem! Ach hättest du doch zu Herzen genommen jetzo zu dieser deiner Frist, was dir zum Frieden wahrhaft frommt...! Nun aber bleibt's deinem Blicke verborgen. Denn stehe, es ziehen Zeiten herauf über dich und deine Kinder in dir, da werfen die Feinde Wälle auf und schließen und engen dich ein ringsum und bedrohen und ängst'gen und drängen dich und machen dem Boden die Mauern gleich und lassen nicht einen Stein auf dem andern, dieweil du die Stunde nicht hast verstanden, da der Herr zum Heile dich heimgesucht!" Und wahrlich — bürgte der Bau für den Geist, dies Heiligtum hätte ihn müssen erhalten! Doch immer noch hat es sich anders erwiesen: Der Geist erhielt den heiligen Bau. Der Wahn, der im Tempel Jerusalems wohnte, hat Tempel und Stadt in die Tiese gestürzt!

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Zehnter

Letzte

Gesang

Klebe

Es fehlten nur noch am vollen Monde zwei Toae, dann nahte die Passahnacht, 5810 da das Osterlamm man opfert und ißt und das Fest der süßen Brote feiert. Drum hielten denn Rot die Hohenpriester und Schristgelehrten, wie man mit List sich des Meisters bemächt'ge, ihn töte und tilge; denn sie fürchteten, daß er am Fest im Volke Unruhe errege und übelen Aufruhr. Da ward ihnen Hilfe, von wo sie nicht hofften: Judas Iskariot, Jesu Jünger, einer der Zwölfe, die nie er bezweifelt, — 5820 wer weiß, von welchen dunkeln Gedanken teuflisch betört zu unseligem Tun — ging zu den Priestern, ihn preiszugeben, den Reinen und Reichen zu verraten an die allerarmseligst' unsaubere Selbstsucht, an die herrschostshungrigen Tempelhüter, den Gottgeweihten der Gier der Welt. Was der Meister gehütet als hehres Geheimnis und nur denen enthüllt, auf die er gehofft: Daß ihn, so er dienend und duldend für alle 5830 sein Leben lasse zur Sühne der Sünden, der Vater ersehe zu seinem Gesalbten — dies heil'ge Geheimnis gab er den Hunden, daß ihnen es diente, den Herrn zu verderben. Daß der Lohn ihn lockte, die Gier nach dem Gelde, wie die erste Gemeinde der Christen gemeint, das will der wägenden, nüchternen Nachwelt, die wohl den Grimm der Getreuen begreift, doch nicht in den Sinn: Wie hätte zur Seite als Weggesellen und Tischgenossen, 5840 als Wortgesandten und Teiler der Not der Meister den Mann so lange gelitten und nichts von dem niederen Trachten des Neidings die Wochen und Monde her wahrgenommen?!

— 136 — Uns dünkt, daß eher Gedankenirrsal den Heillosen zog dem Verhängnisse zu. Vielleicht, daß der Hoß betrogener Hoffnung auf ein himmlisches Reich nach dem Herzen der Welt dem Enttäuschten zu tückischer Rache riet — vielleicht, daß er meinte, er müsse den Meister 5850 erst stürzen in Sturm und Sterbensgefahr, damit er ein Ende des Zauderns mache und hehr sich enthülle als König des Herrn — — das Herz des Menschen ist heftig und heiß sein Dichten und Trachten dunkel und trüb: Wer will die verworfenste Tat der Welt aus den dämmernden Gründen der Seele begreifen? Nun ist sie geschehen. Gott schenk' ihm die Schuld und helfe dem übel Verirrten heim! Da indessen der Hohepriester es hörte, 5860 was Judas vom Herrn zu enthüllen hatte, freut' es ihn hoch, und er rieb die Hände und verhieß dem Kläglichen klingenden Lohn, sobald er den Herrn tu die Hand ihm spiele. Da ging er von dannen und spähte seitdem nach Ort und Stunde, in aller Stille an die Häscher den holden Herrn zu verraten. Am Tage darauf war der Herr in Bethanien mit den Seinen bei Simon, dem Aussätzigen, zu Gaste geladen und log zu Tisch. 5870 Da trat ein Weib in den trauten Kreis, das hielt in der Hand ein feines Gefäß von Alabaster mit köstlichem Balsam, aus Narde gemischt, und nahte dem Meister und hob die Hände und netzte sein Haupt; dann warf sie das Wundergeschirr in Scherben. Da wurden alsbald ihrer etliche unwirsch und sagten: „Was soll die Vergeudung der Salbe? Man hätte sie können leicht verkaufen und über dreihundert Denare erhalten 5880 und das Geld den Armen gönnen und geben!“ So schalten sie jene. Doch Jesus entschied: „Was wollt ihr? Lasset das Weib gewähren! Ein gutes Werk erweist sie an mir! Arme habet ihr allezeit und könnt ihnen wohltun, wann ihr wollt. Mich aber habet ihr bald nicht mehr. Sie hat ihr Bestes mir geboten: Sie hat meinen Leib beizeiten geletzt und gesalbt zur Bestattung in dieser Stunde! 5890

137 Ich sage euch wahrlich: In oller Welt wird man noch reden von ihr und rühmen, was diese getan, zu ihrem Gedächtnis." Dann ging unter Reden der Tag zur Rüste, und der Abend nahte, mit ihm das Ende. Der Meister fühlte, daß vor dem Feste die Feinde ihr Werk vollführen würden. Doch wie er offen vor allem Volke, vor Freund und Feind seine Sache geführt, so durst' er nicht dulden, daß tückisch im Dunkel bei Nacht und Nebel in Stille verstohlen die Widersacher beiseite ihn brachten. Vor Volk und Führern, bei Tage, im Tempel sollten sie's wagen, Gewalt zu üben, den Boten der Buße in Bande zu schlagen, die Stimme der Wahrheit stumm zu machen. Noch aber lebte er seinen Lieben. So wollt' er noch einmal, weilen es anging, mit ihnen halten das Mahl des Himmls, in irdischer Armut feiern mit ihnen und ihnen bedeuten, wie er gedenke, die ewige Welt für sie zu erwerben und durch sein Opfer Gott abzuringen. Drum hatt' er beredet bereits in Jerusalem mit einem Ergebenen, daß er zu Gaste in seinem House das Mahl möge halten und mit den Gefährten ein sich finden. Nur hegte er Argwohn bei einem der Zwölfe: Des Judas Züge erschienen verzerrt, unter biedern Gebärden verbarg er Böses. So ließ denn keinem er kund es werden, woselbst er das Brot heut brechen wollte. Nein, heimlich hatte er Zeichen und Zeit mit dem Freund in Jerusalem beraten. Jetzt sandte er zwei der Seinen und sprach: „Ihr geht in die Stadt zur Steilen Gasse, da trefft ihr einen, der trägt einen Krug. Dem folgt zu dem Hause, dahin er euch führt; Dort meldet dem Herrn: „Der Meister spricht: Wo ist das Gemach, da das Mahl ich halte mit meinen Genossen heute zur Nacht?" Und er wird einen Saal auf dem Söller euch weisen, eine Tafel inmitten, und Matten gelegt. Dort rüstet und machet das Mahl bereit!" Und die Jünger eilten und kamen zum Orte und fanden es so, wie der Meister gesagt,

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und richteten her nach seinem Geheitz. Am Abend brach er dann ebenfalls auf. Und als er den ölbetg abwärts stieg, da ragte im Abendröte empor 5940 mit Zinnen und Türmen der Tempelberg, und Zions Mauern und trotzige Macht glänzten und gleißten in herrischer Glut. Da ergriff ihn der Grimm und der bittere Gram um die störrische Stadt, die kalt und starr gegen Gottes Stimme den Sinn verstockte, und er reckte die Hand und rief über sie: „Jerusalem! Jerusalem! Stadt, die die Mahner Gottes mordet und steinigt, die ihr zu Boten bestellt sind: 5950 wie hab' ich versucht, deine Kinder zu sammeln, wie die Henne die Küchlein unter sich hegt... ihr aber — wehe — habt nicht gewollt! So habt und behaltet es denn, euer Haus! Doch das vernehmt: Mich schaut ihr nimmer, bis ihr rufet:„Heil, der da kommt im Herrn!" Dald deckte Abenddunkel die Gaffen, da stellte der Meister zum Mahle sich ein. Und als sie sich alle zum Esten gelagert, da nahm er das Wort und sprach mit Wehmut: 5960 „Mich hat herzlich verlangt, dies Mahl zu halten mit euch, den Meinen, ehe ich leide. Denn wahrlich, ich sage euch, das wisset: Ich werde hinfort vom Gewächse des Weinstocks nimmermehr trinken, bis daß ich es neu mit euch tue an Gottes Tisch. Denn ihr seid die Geselln, die beharret haben bei mir in Anfechtung und Ängsten. So will ich euch das Reich vererben, wie mir's mein Vater hat vermacht: 5970 Daß ihr ruht in der Runde in meinem Reiche und trinket und esset vor meinem Angesicht und sitzet auf Thronen und richtet getreu alle Seelen, die Gott zur Vergeltung versammelt. „Doch ihr wißt, wie die weltlichen Fürsten walten und die Herren sich huldreich lasten heißen. Bei euch aber soll es nicht also sein! Der Erste bei euch soll sein wie der Ärmste und wer die Gewalt hat, wie der, der dient! Denn welcher von beiden ist der Gebieter: 5980 Der da tafelt am Tisch oder der, der bedienet? Wohl jener! Doch ich bin je unter euch

139 gewandelt als der, der andern dienet!" Und er nahm ein Brot und dankte und brach's und bot es den Seinen und sagte dabei: »Das ist mein Leib, — gebrochen, für euch I * Und sie aßen alle und schauten ihn an und wußten dennoch das Wort nicht zu deuten. Nun bat er:„Gebt einen Becher Weins!" Und er nahm auch den zum Dankgebete 5990 und bot ihn den Seinen und sagte dabei: „Das ist mein Blut, — geopfert für alle zur Sühne der Sünden, das Reich zu erringen!" Und alle tranken und schwiegen betroffen dem schweren Geheimnis des herben Worts und der düstern Bedeutung der dunkeln Gebärde. Doch es pochte ihr Herz mit heftigen Pulsen — so stürmisch ergriff sie der Stunde Gewalt! Da löste der Meister das lähmende Schweigen: „Da sonder Sohlen ich einst euch sandte, 6000 ohne Beutel und Ranzen, den Ruf zu entbieten — habt irgend ihr müssen Mangel leiden?" Sie versetzten:„An nichts!" Er sprach: „Doch nun — wer etwa ihn hat, der behalte den Ranzen; wer keinen hat, der verkaufe den Mantel und geh' und erschwinge ein Schwert dafür! Denn wisset: Mein Weg, der eilt zum Ende I" Sie sagten: „Herr, hier sind zwei Schwerter." Er sprach ernüchtert:„Genug davon."-------Da richtet' er wieder das Wort an sie, 6010 und Kummer und Bitterkeit kämpften in ihm: „Die Hand des Verräters hier über Tische! — Des Menschen Sohn zwar, wie ihm gesetzt ist, geht seinen Weg. Doch wehe dem Menschen, durch den er verraten wird! Mich dünkt, er wäre besser nie geboren!" Das Wort schlug ein mit Donnergewalt. Sie starrten betäubt und totenstill. — Doch als sie sich endlich mühsam ermannten, da hoben sie an mit heftiger Hast 6020 und fragten einander und fragten ihn: „Wer gewönne das über sich, dürste das wagen?! Meister, du kannst doch mich nicht meinen!" Doch er ließ sie im Zweifel: „Einer der Zwölf, der mit mir isset aus einer Schüssel, hat Herz und Hand der Hölle verhandelt!" Und soviel sie auch forschten, um mehr zu erfahren, der Herr enthielt sich anderer Antwort,

140 — so daß sie ratlos unter sich raunten mit scheuem Geflüster in flammender Scham. — Schon blickte der Mond hoch ins Gemach, da machte der Meister dem Mahle ein Ende und hob die Hände zum letzten Lob, und sie fielen ein und sprachen das Amen. Und der Herr stand auf: „Wohlan zum Ölberg!" Kie traten hinaus in die klare Nacht und gingen entlang die leeren Gossen durchs dunkle Tor ins Kidrontal, den Ölberg hinan gen Gethsemaneh — das ist verdolmetscht aus Deutsch „Ölkelter" und war ein Garten, da gern er weilte. — Da sie nun gingen, begann der Meister: „Ihr werdet alle irr an mir werden; wie es heißt in der Schrift: „Ich schlage den Hirten, und die Schafe der Herde scheuen dahin." Doch wenn der Vater mich wieder erweckt, so leite ich euch nach Galiläa, das Reich zu errichten nach Gottes Rat!" Doch Simon versicherte heftig und heiß : „Herr, wenn auch alle irr an dir werden, so ich doch nimmer!" Der Herr vernahm es und blickt' ihm ins Auge und gab Mr Antwort: „Simon, der Satan begehrt von Gott, euch zu sichten und sieben wie Weizen. Doch ich habe gebeten deinethalben, daß in der Versuchung du nicht versagest!" Doch er mit hitzigem Ungestüm trat vor und rief: „Ich bin bereit, Ketten und Tod mit dir zu teilen!" Allein der Meister lächelte müde: „Simon, der Hahn wird heut nicht krähen, ehe du dreimal mich abgeleugnet I" Wie er aber sprachen auch alle die andern. Ko schritten sie weiter, und keiner gewahrte, in der Tiefe erregt von des Meisters Reden, daß langsam allein als letzter im Zuge der Verräter Judas gemach zurückblieb, bis er endlich an Weges Wendung anhielt, an den Baum gelehnt noch spähte und lauschte, wie Worte und Wandrer sich langsam verloren und im fahlen Mondlicht fern an der Mauer ihre schwarzen Gestalten stille verschwanden. Da nickt' er, als wisse er nun genug, und wandte um und eilte zur Stadt.

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141 Der Meister hingegen, da er den Garten Gethsemaneh mit den Seinen erreicht, hielt an bei den ersten Bäumen und bat: „Setzet euch hie und harret die Weile, daß dort ich bete unter den Bäumen!" Und nahm dorthin Jakobus, Johannes und Simon, die liebsten unter den Seinen, und sprach erregt in ruhloser Unrast: „Meiner Seele ist bang, als säh' ich den Tod. Wartet hier und wachet mit mir!" Und ging ein wenig von ihnen weiter und warf sich zu Boden und betete. Doch Müdigkeit übermannte die drei, und mühsam rangen sie, sich zu ermuntern, erschöpft von der Last der letzten Tage. Sie hörten ihn reden und rafften sich auf und vernahmen traumestrunken die Worte: „Abba, es ist dir alles möglich — so du kannst, enthebe mich dieses Kelches! Doch nicht, was ich will — nur was du willst!" Doch die Kraft verließ sie. Die Lider sanken. Die Macht des Schlafs übermochte sie. Da rief sie wiederum wach feine Stimme. Er stand vor Petrus, der fuhr empor. „Schläfst du, Simon? Muß ich denn sagen: Nicht eine Stunde bist du imstande, bei mir zu wachen? Betet und wachet, auf daß der Satan euch nicht versuche! Der Geist ist willig. Das Fleisch ist schwach." Und wieder ging er und betete weiter und kehrte zurück nach geraumer Zeit und fand sie aufs neue umfangen vom Schlaf; sie vermochten die Augen kaum zu öffnen und wußten nicht, was sie erwidern mochten. Und er sprach:„Ja, schlummert nur und schlaft!" Doch als er den Müden zum dritten Male sich nahte, gebot er: „Nun ist es genug! Stehet auf! Wir gehen! Doch eh' es geschah, da er sie rüttelte und noch redete, — horch I Ein Geraune verhaltener Rede, ersticktes Stampfen von vielen Füßen, das näher dringt mit gedämpftem Gedröhn und plötzlich verstummt zu unheimlicher Stille. Dann aber deutlich kündet sein Kommen ein einzelner an, der rasch heraneilt: Judas Iskariot — kommt der erst jetzt?

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Don wannen, mit wem? Der Meister weiß es I Zum Hohenpriester war er entwichen. „Nun rasch ans Werk! Jetzt wird's geraten I" Eine Rotte von Knechten mit Waffen und Knütteln wird bald gesammelt. „Ist er dabei, so merkt: Ich küss' ihn! Sonst aber kehrt, wenn ich bei ihnen bleibe und um mich blicke, daß keiner der anderen Argwohn schöpfe, leise zurück zu geleg'nerer Stundei" So kommt er daher und grüßt, der Heuchler: „Friede sei mit dir!" und nähert den Mund des Meisters Antlitz — doch voll Abscheu hebt der die Rechte: „Judas, verraten kannst du den Menschensohn mit dem Kuß? * Doch kaum den Kuß erschauen die Schergen, da brechen sie vor mit wüstem Gebrüll: Fäuste fahren nach Hals und Händen, reißen am Rocke, strecken mit Strängen hastig sich vor, die Hände zu fesseln. Doch indes die Knechte den Herrn schon knebeln, da zückt von den zaudernden Jüngern Jesu einer das Schwert und schwingt's und trifft aufs Haupt den Sklaven des Hohenpriesters und haut ihm das eine Ohr herunter. Da werfen die andern sich wütend auf ihn. Die Jünger fliehen. Da flüchtet auch er. Wohl hasten die Häscher ihnen nach in die Nacht; doch alle entkommen, sie fangen keinen. Den letzten erwischen sie am Gewände — er läßt es fahren und läuft davon. Uun stehen sie alle mit fliegendem Atem vor dem Gefesselten, froh des Erfolges, und gaffen ins Antlitz ihrem Opfer. Der schaut sie an mit ernster Verachtung und spricht zu den Führern seiner Verfolger: „Als wär' ich ein Räuber, so kommt ihr: Gerüstet mit Schwertern und Knütteln, mich zu knebeln. Und war doch täglich bei euch im Tempel und lehrte offen vor allem Volk. Ihr aber scheuet den Schein der Sonne und nehmt die Nacht zu der teuflischen Tat!" Wir wissen nicht, was ihm die Wichte erwidert. Sie führten ihn fort in Hannas' Hof, des ehemaligen obersten Priesters, zu dessen Palast man geladen hatte, soviel man vom Rate zu finden gewußt.

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U»r de« Gewaltige« dieser Welt Doch als nun der Haufe beim Hofe ankam, mischte sich Petrus unter die Menge, der den Häschern soweit nur war entwichen, daß er von dannen noch konnte erkennen, wohin die Feinde den Herrn entführten. Jetzt nahm er verwegen des Augenblicks wahr, sich sacht mit der Schar in das Tor zu schieben, hoffend, ein jeder werde ihn halten für einen der Knechte aus anderem Hause. Die List gelang: Es kehrte sich keiner an den einen, der auch mit den anderen eintrat. Und schon erschien auch Hannas im Hofe, und mit ihm nahten seine Genossen. Er lieh den Gefangenen vor sich führen und fragte Jesus nach seinen Jüngern, nach seiner Lehre unter den Leuten, um für die Verhandlung gleich zu erhaschen, womit man den Meister verdammen möchte. Der gab zur Antwort: „Ich habe offen alle Tage in Schule und Tempel vor aller Welt meinen Weg gelehrt. Was fragst du mich? Frage die Menge! Sie hat gehört, was ich kam zu künden!" Wie er solches sagte, sieh, da versetzte ihm einer der Sklaven, die um ihn standen, einen Streich aus die Backe. „Die Antwort beutst du dem Hohenpriester? " Der Herr entgegnete: „War's übel geredet — gib an, was schlimm war. War's recht geredet — was schlägst du mich? " Da wandte sich Hannas und gab die Weisung, den Menschen bis morgen im Hofe zu halten, daß vor das Gericht des Hohen Rates in aller Frühe er abgesührt werde. Dann ging er hinein mit seinen Genossen ins Haus vorbei an dem Gebundnen.

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144 — Doch einer von ihnen matz den Meister von oben bis unten mit kalter Verachtung und spie ihm ins Antlitz. Dann folgt' er den andern erhobenen Haupts, der tapfere Held! Uun legten die Leute, um Licht zu haben und Wärme — es fror sie, die Nacht war frisch — ein Feuer sich an, das fing und lohte, und hockten die Knechte ums knisternde Holz, ihre Taten erzählend bei diesem Zuge. Da nahte sich lachend, von Neugier gelockt und dem Reize der Mannheit, eine der Mägde und scherzte und schäkerte mit der Mannschaft. Aber mitten im Plaudern stutzte sie plötzlich... Ihr Blick traf Simon, der saß da bleich und nahm nicht teil an dem Necken und Tändeln, so wenig verstand er die Kunst der Verstellung. Er suchte den Meister: Der lehnte versunken an der Wand, und vor ihm hielt der Wächter. Und die Magd hielt inne, ehe sie anhob. Ihr kam es vor, als kannte sie Simon. Fürwahr, sie entsann sich dieses Gesichtes: Dor Tagen im Tempel, als sie mit andern dem Galiläer auch hatte gelauscht, da stand der Mann mit dem mächtigen Barte als erster unter den Jüngern Jesu. »Warst du denn nicht mit dem Nazarener, dem Jesus?" — Simon fuhr jäh zusammen. Doch er leugnete rasch: „Was redest du, Weib? Ich weiß nicht, verstehe auch nicht, was du willst!" Sie wandte sich wiederum ab an die andern. Doch ihn durchfuhr es: Das war die Gefahr! So stand er stille auf und stahl sich fort von dem Feuer und wandle zum Vorhof. Die Magd aber sah, wie er sachte abseits ging, und schaute ihm nach und nickte befriedigt und sprach zu den Leuten, die vor ihr lagen: „Dieser ist dennoch einer von denen!" Er vernahm das Wort und leugnete nochmals, trat wieder heran zu der Runde am Feuer, um allen Argwohn auszulöschen, und mischte sich ein in die Unterhaltung. Doch er hatte nur wenige Worte gewechselt, da hielt ihm schon einer der Häscher entgegen: „Du gehörst dazu: Deine Zunge verrät dich! Leugne nur nicht, du Galiläer!" Da hob er an und verschwor sich heftig

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145 und verwünschte sich wild mit zornigen Worten: „So verhänge der Himmel mir dieses und das... ich kenne den Menschen nicht, den ihr meint I" Da krähte ein Hahn, da traf ihn heiß ein Blick aus dem Auge des Meisters ins Inn're. Und er hob die Hand und verhüllte sein Antlitz, die bitteren Zähren keinem zu zeigen, die wider Willen die Wangen ihm netzten, dann wandt' er sich rasch und entwich aus dem Hofe, Und Gelächter dröhnte hinter ihm drein. Da der Glanz erglomm des Todestages, versammelten sich zu förmlicher Sitzung die Hohenpriester und Häupter des Adels und wer noch als Rabbi zum Rate gewählt war und riefen den Meister vor ihren Richtstuhl und hoben an, gegen ihn zu verhandeln. Sie suchten Zeugnis, ihn zu bezichtigen einer Tat, für die er den Tod verdiene. Doch soviel sie auch forschten — sie fanden nichts. Wohl stellten sich Leute, ihn zu belasten. Ihre Aussagen lauteten nicht überein oder reichten nicht aus, ihn umzubringen. Da sanden sich zweie, die brachten vor: „Wir hörten vom Tempel den Tollen behaupten: „Dies Haus, errichtet von Menschenhand — ich breche es ab und bringe euch in dreien Tagen statt dessen den Tempel, der nicht von Menschenhänden gemocht ist."" Auch in diesen Worten blieb Dunkels genug. Freilich, der Hohepriester fragte: „Willst du denn schweigen der schweren Schuld, deren hier die Zeugen hart dich zeihn? " Doch blieb er stumm und blickte starr vorbei, überhörte die Frage des Heuchlers. Vermeinten sie denn, er mache es mit das gottvergessene Gaukelspiel, das schnöde sie trieben mit Treue und Recht? Durst' er den Schurkereien zum Scheine des Rechts verhelfen, indem er bereit war, zu widerlegen, wo Lug man wollte und in Widerspruch ihn zu verwickeln wünschte? Ja, hätte er Hoffnung dürfen hegen, hier Richter zu finden, die redlich es faßten mit hohem Sinn: Wie er sei gesandt — nicht als ein Prophet, der ferne vertröstet, nein, als der Vollender aller Ahnung,

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146 — als König, dem kein Nachfolger kommt — er hätte des Herzens tiefste Töne, der heiligen Wahrheit Himmelsgewalt mit seines Mundes mächtiger Rede wogen lassen, um sie zu gewinnen, sie hinzureihen fürs göttliche Reich. Doch die Herzen hier waren starr wie Stein, die Gemüter an Welt und Macht vermarktet, die Ohren taub, die Gewissen tot. So stand er stumm in bitterem Stolz. Doch jetzt trug Frucht des Judas Frevel, der dem Priester die heilige Hoffnung preisgab. Kaiphas kannte sie. So versucht' er, da der Zeugen Wort zum Ziele nicht führte, um ein Ende zu setzen der Untersuchung, als letztes: Ob er die Lästerung leugne, der erkorne Gesalbte des Himmels zu sein. Er erhob sich heftig und herrschte ihn an: „Verwegner an Wort gleichwie an Wandel, du deutest dunkel auf Dinge, dergleichen sich kein Prophete der Vorzeit erkühnt. Drum, wo du vermessen etwa vermeinest, du seist der Gesalbte, vom Himmel verheißen, so habe die Stirn und gesteh' es ein!" — War sie gekommen, die Zeit, zu bekennen? Zu weichen und leugnen war ihm verwehrt. Doch seine Hoffnung verhärteten Herzen, die nichts vernahmen von Gottes Nähe, hinzugeben zu giftigem Hader — das konnte der Vater nicht von ihm fordern. Und müßte er gar die Marter leiden, schief und schillernd der Welt zu erscheinen, hier bekennen konnte er nicht! So warf er ihnen das Wort entgegen: „Wollt' ich bekennen, so glaubte es keiner! Aber fragte ich frei, so hießet ihr's frech und ginget nicht ein auf Red' und Antwort! Doch das erfahrt: Fortan erfüllt stch's, und der Menschensohn sitzt zur Rechten der Macht des Höchsten und naht aus des Himmels Wolken I" Da rufen sie alle rasend ihn an: „So willst du der Sohn des Höchsten sein?" Er versetzt:„Ihr sagt es, daß ich cs sei!" Da zerriß der Hohepriester den Rock: „Ihr habt die Verhöhnung des Himmels gehört! Wozu noch Zeugen? Wir sind am Ziel!

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147 Wir haben es selbst aus seinem Munde. Was dünket euch drum, daß dieser verdiene?" Da erklärten sie einer sowohl wie der andre: „Er hat Gott gelästert. Das gilt das Leben!" Indes die Richter nunmehr berieten, Gesuch und Antrag aufzusetzen an Pilatus, der Heiden Statthalter im Lande, und erwogen, wie sie aufs allergewiegteste und klügste kleideten ein die Klage, die fromme Hoffnung in freche Hetze verkehrend, damit er auf Tod erkenne, ( denn die Römer hatten den Juden das Recht des Blutgerichtes beim Rate genommen ’) so holten die Knechte den Herrn hinaus und hoben an, ihn im Hof zu verhöhnen, denn sie hatten erfaßt, er fei ein Prophet: Sie verhüllten fein Haupt und versetzten ihm Hiebe und schrien: „Weissage, wer dich schlug I" und gaben die Knechte ihm Knüffe und Stöße, bis die Herren im Hause die Arbeit vollendet und in voller Zahl den Zug antraten — der Meister gefesselt in ihrer Mitte — ihn auszuliesern dem Landpfleger, der zum Osterfeste aus Furcht eines Aufruhrs von Zäfarea herausgerückt war mit der Römerlegion nach Jerusalem und die Burg Antonia beim Tempel bezogen.

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Freitag

Dort erhoben sie Klage, indem sie erklärten: „Wir finden, der Mensch verführt unser Volk und wehrt ihm, Zins dem Zäsar zu zahlen, und verkündigt, er sei der Gesalbte König!" 6370 und stellten ihn hin als Stachler und Hetzer zum Hasse gegen die Herrschaft der Römer, da sie wußten, so würde er eher verurteilt denn ob einer Sünde vor Gott und Gesetz. So stand der Meister der Menschengemüter, der Hort der Gewissen, der Walter der Wahrheit der Verklärer des Ew'gen, angeklagt von den hoffnungsleeren Heiligtumshütern und den satzungssücht'gen Gesetzesknechten, vor dem Manne der Macht, dem Rechner, als Richter. 80 Pilatus hob an, verächtlich lächelnd: „Du also kommst als König der Juden? " Der Dulder versetzte:„So sagst du!"

— 148 — Als nun die Gegner giftig begannen, eine Fülle von Klagen vorzubringen, und der Meister stand, stumm, stolzen Mundes, da wandte Pilatus sich wieder ihm zu: „Willst du dawider dich nicht verwahren? Höre, wie hart sie Klage erheben I" Jesus aber gab nicht mehr Antwort, 6390 so daß Pilatus sich dessen verwunderte. Wie sollt' er verstehen, warum er stumm blieb ? I Denn daß er verschmähn muß, im schmachvollen Spiele und Spott mit dem Recht eine Rolle zu nehmen, wo kochende Wut und kalter Weltsinn so Richter wie Klägern den Rechtssinn rauben — das ist's nicht allein, was da lastet auf ihm. Er schaut in dem Schicksal, das ihn umschattet, den letzten Willen des Weltenlenkers, der den bittersten Kelch seinen Büßer läßt kosten, 6400 der, aller Sünden zu sühnen gewillt, so wert soll werden der höchsten Würde. Die Hasser indes wiederholten nur hest'ger: Er wiegle die Leute auf, da er lehre, vom galiläischen Lande beginnend und sürder gehend durch ganz Judäa. Als Pilatus das Wort Galiläa hört, da merkt er auf und fragt, ob der Mann zur Herrschaft gehöre des Viertelfürsten, des Hcrodes Antipas, den ja gerade 6410 das Fest nach Jerusalem auch geführt. Und da er ersährt, daß der Fürst sein Herr ist, so hofft er, des lästigen Handels ledig zu werden, indem er ihn dorthin weist, und den Diertelsürsten, der ihm noch feind ist, durch solche Gewähr für sich zu gewinnen, So sandte er Jesum stracks zu jenem, daß er urteile über den eigenen Knecht. Sobald dem Herodes berichtet wurde, daß jener Jesum ihm vor lasse führen, 6420 behagt' es ihm wohl; denn er hegte den Wunsch, den Meister zu schauen, schon seit Monden; denn er hatte gehört von ihm und hoffte, ein Wunder durch ihn gewirkt zu sehn. So empfing er ihn denn mit seinem Gefolge in lustiger Laune voll nichtiger Neugier. Er fragte ihn albern in seiner Art und gab sich Mühe, den Mund ihm zu öffnen. Doch der Meister verschmähte, dem müßigen Schwätzer

149 — zu Dank mit Antwort und Auskunft zu dienen. So verhöhnte ihn auch mitsamt seinem Hofe der Viertelfürst; und mit lautem Gelächter warf er ein Purpurgewand ihm über, mit übelem Spähe verächtlich spottend dem Gegenkönig die Ehre zu geben. Dann entließ er ihn wieder des Wegs zu Pilatus. Er hatte genug am Haupt des Johannes und wünschte nicht, wiederum Haß zu erwecken, den Meister aus Nazaret gleichfalls ermordend. — Die Artigkeit aber, die also einander Herodes bereiteten und der Römer, die führte dahin, daß die Feinde bisher einander friedlich und Freunde wurden. Ko fiel denn die Last des leidigen Falles auf den römischen Prokurator zurück. Der Halle bisher dem Brauche gehuldigt, zum Feste dem Volke einen Gefangnen freizugeben, wen sie begehrten. Nun war unlängst von den Zeloten ein Aufruhr entflammt, Blut war geflossen. Doch hatte Pilatus die Lohe gelöscht und unter den Führern einen gefangen, Jesus Barabbas, den „Sohn des Rabbiners". Der lag in der Burg Verließen in Banden. Jetzt stieg die Menge die Stufen herauf, die vom Tempel zur Burg Antonia führten, und begann, vom Landvogt zu begehren, daß er tue, wie immer er ihnen getan. Da schien dem Gescheiten ein Ausweg geöffnet, dem Unerwünschten bequem zu entweichen, indem er den Meister der Menge anbot. Er witterte wohl, daß die Juden Jesus um Sünden wider ihr seltsam Gesetz vernichten wollten und jener nur ein Schwärmer war, doch schwerlich Empörer. So fing er denn an und sprach zu dem Volke: „Wie wär's ihr erköret den König der Juden?" Da die Hohenpriester den Vorschlag hörten, erfaßte sie Furcht, die Menge möchte den wählen, den sie erwürgen wollten. Da nahmen sie eilends des Augenblicks wahr, und es mischten sich etliche unter die Menge und hetzten sie auf zum Haß gegen Jesus, der dem Hohn aussetze Israels Hoffnung: Pilatus verachte den elenden „König"!

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— 150 — Sie müßten bekunden, der kärgliche Mann sei nie und nimmer der Held ihrer Hoffnung, der andere Jesus dagegen derjenige, dessen Los ihr Herze mit Leid erfülle. Und die Leute ließen sich leiten und taten's. 6480 Denn er, der das Schwert verzweifelt geschwungen für die heilige Hoffnung, der behagte ihnen besser als der nur ein Bote des Worts war und als „König" Pilatus Spottlächeln entlockte. Sie baten:„Laß uns den Barabbas los!" Der Landoogt indessen versuchte dennoch, den Meister zu retten vor Rache und Mord, und wähnte, es werde der Mann bei der Menge doch soviel gelten, daß sie ihm ihm gönnte, mitsamt dem Frevler befreit zu werden. 6490 So begann denn Pilatus, die Leute begütigend: „Was wollt ihr indessen, daß werde mit dem, der sich bekennt als König der Juden?" Da kreischen ein'ge:„Ans Kreuz mit ihm!" Pilatus entgegnet:„Was hat er begangen?" Er erhält zur Antwort Höllengeheul, daß alles erhallt:„Ans Holz mit ihm!" Da erlahmt der Widerwille des Landvogts; er beschließt, den schlimmen Wunsch zu gewähren, der tobenden Menge den Willen zu tun, 6500 schenkt ihnen Barabbas, wie sie gebeten; Jesus hingegen, den Gottesmenschen, übergibt er dem Kriegsvolk zu Geißel und Kreuz. Das führt den Gebundnen zum Hofe der Burg. Dort ruft man zuhause die ganze Kohorte und verkündigt der Mannschaft: Der Mensch sei der König des närrischen Volkes, das müsse man feiern! So ziehn sie ihn aus und zerren die Kleider dem Meister vom Leib; einen Mantel legt man von Purpur ihm an, und andere flechten 6510 eine Krone aus Dornen ums Haupt dem Dulder und drücken die Stacheln ihm dreist in die Stirne. Nun hoben sie an, ihn höhnisch zu ehren, und beugten wie Knechte die Kniee zu Boden und huldigten:„König der Juden, Heil!" Dann standen sie auf, und — oh I — mit den Stäben hieben sie roh ihm über das Haupt, am wüsten Spaße und Spotte sich weidend. Als der Narretei genug sie getan und der Pein, da nahmen sie wieder den Purpur 6529 und warfen sein eigen Gewand ihm über.

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Gesang

Kedeit

Die Soldaten nahmen nun den Verdammten und führten ihn fort durchs Tor zum Tode hinaus zur Stadt, am Pfahle zu sterben. Und er trug sein Kreuz mit wankendem Tritt. Da sahen sie Simon des Weges wandern von Kyrene, den Vater Alexanders und Rufus', herein vom Acker und rüstiger Arbeit. Und da er stand und den Zug anstarrte, 6530 so nöt'gen sie ihn, vom Nacken zu nehmen das Kreuz dem Meister, der kraftlos keucht. Die Gemeinde kennt die Söhne des Mannes, der der letzten Last den Meister entledigt. Es folgte dem Zug des Volks eine Menge und Weiber, die Jesum jammernd beweinten. Da hielt er inne und wandte sich um: .Ihr Mütter Judas, nicht jammert um michl Weint um euch selbst und eure Söhne! Denn seht, es ziehen euch Zeiten herauf, da man sagt: „Selig die Unfruchtbaren 6540 und die Brüste, die nimmer gesäuget haben!" Dann hebt man an, zu den Hügeln zu rufen: „Fallt über uns und ihr Berge auf uns!" Denn hält man es so mit dem saftigen Holze, bedenkt, was will mit dem dürren werden I" So ging es dahin zu der Höhe Golgatha, das bedeutet, ins Deutsche verdolmetscht: Schädel; denn die Kuppe erschien wie ein kahler Schädel. Und als sie dort oben angekommen 6550 und an- sich schickten, ihre Arbeit zu schassen, da hielten sie ihm aus Barmherzigkeit und Mitleid verwürzten Wein zum Munde, damit er betäubt die Marter nicht merke. Er aber lehnte die Linderung ab! Er wollte sich wohl die Marter nicht mindern, vor den Höchsten nicht treten trunkenen Hirns 1 —

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Uun rissen sie rücklings ihn zur Erde, auf den Balken warfen sie ihn am Boden, reckten die Arme weit ihm aus, mit Nägeln hämmerten an sie die Hände, 6560 und auswärts am Pfahl, den sie eingepflanzt, zogen sie Balken und blutende Bürde, die Last des Leibs, an den Händen hangend, und schlugen die Füße unten ihm fest. Und so hing er am Holz in der sengenden Sonne, im brennenden Weh der verwundeten Hände, in der zehrenden Marter verzerrter Muskeln, am Atem beengt mit lechzenden Lippen, belästigt vom ekeln Geschmeiße der Lust, pochenden Herzens in höllischer Pein — 6570 wie lange, bis endlich der Tod ihn erlöste, da doch manche zwei Tage die Marter getragen?! Gs war neun Uhr, da sie an ihn nagelten. Und es ward eine Inschrift angeheftet, seine Schuld verkündend: „Der König der Juden". Und mit ihm richteten sie zwei Räuber, einen zur Rechten, den andern zur Linken, zum Hohn auf ihn und Israels Hoffnung. Und die Leute, die Weges entlang dort kamen, verhöhnten den Dulder: „Holla! Du da! 6580 Der du den Tempel niederreißest und nach dreien Tagen neu ihn errichtest — hilf dir selber und heb dich vom Holz!" Es verhöhnten ihn auch die Hohenpriester und lachten bei sich mit den Schriftgelehrten: „Hat andern geholfen — kann ihm nicht helfen! Der erkorne Messias, der König von Israel — nun krieche er doch vom Kreuze herab, damit wir's schauen und Glauben ihm schenken!" Und die Mitgehenkten verhöhnten ihn auch. 6590 Und wie er die Augen auch wandern sieh durch die gaffende Menge, die ihn müßig umgab, von Gewand zu Gewand, von Haupt zu Haupt — kein angstvoll Antlitz, auch nicht eines der Männer und Weiber, die mit ihm waren, deren Herz er erquickt, deren Qual er gestillt. Verlassen von allen, einsam leidend, so hing er hülflos und harrte des Tods. Doch nach sechs Stunden unsäglicher Pein schrie er auf einmal schrecklich auf 6600 und verschied; sein Haupt sank auf die Schulter. Der Hauptmann aber, der unter ihm hielt,

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da er sah, wie er so den Geist aufgab — bewegten Herzens rief; „Fürwahr! In dem Mann ist ein Gottessohn gemordet!" Um allein von weitem standen die Weiber, die diese Dinge geschaut und geschildert: Das war Maria von Magdala, Maria, die Mutter des Jakob und Jose, und Salome — sie, die ehmals am See den Meister begleitet, versorgt und ummüht. Zum hohen Rate gehörte ein Ratsherr Joseph von Arimathäa, der aber gesinnt nicht war wie die Sadduzäer, die da leugnen den Tag des letzten Gerichts; denn er hoffte und harrte der Herrschaft Gottes: Jesu Botschaft fand bei ihm Boden. Den hatte das Schicksal des Meisters erschüttert, sein schmachvoller Tod schmerzte ihn tief: Sollte unbeerdigt die Leiche liegen, den Geiern und Hunden zu gierigem Fraße oder achtlos verscharrt wie ein ekeles Aas? Wie gern er die letzte Ehre ihm gäbe! Doch da nun die Nacht des Passahs auch nahte und dem kommenden Sabbath keiner sonst gleichkam an Ehre und Heiligkeit herrlich geachtet, so fand er den Vorwand und faßte ein Herz und begab zum Palast sich des Pilatus und bat den Landvogt um den Leichnam, daß nicht der Gehenkte den Sabbath entheilige. Der fragte erstaunt, ob er schon gestorben. Er ließ den Hauptmann vom Richtplatz holen, und auf den Bescheid, daß er eben verschieden, überließ er Joseph die Leiche Jesu, leicht beim Donk der Erlaubnis lächelnd. Doch die Sonne sank und der Sabbathsabend brach zusehends ein, da galt es denn Eile, den Leib des Geliebten baldigst zu bergen, auf daß nicht die Arbeit den Festtag entehre. Er ließ seine Leute ein Laken besorgen und begab sich mit ihnen nach Golgatha, und sie lösten vom Kreuze den Leib des Meisters. Er schlug ihn ins Laken, sie schleppten ihn fort und bargen die Bürde alsbald in der Gruft, die nicht ferne sich fand in einem Felsen. Und daß nicht das wilde Getier ihn wittre und nachts ihn benage, so wälzten sie wuchtig einen großen Block vor des Grabes Tür.

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Und die beiden Marien, die dieses berichtet, schauten mit an, wie alles geschah. 6650 Als sie lange verharrt, in Leid verloren, da raffte sich endlich die ältre Maria empor aus der Pein und dem dumpfen Dämmern und legte die Hand der Magdalenin auf den Arm:„Komm, laß heim uns kehren!" Sie umfing die Freundin und führte sie fort, die tränenblind noch rückwärts blickte, uach Jerusalem sie heimzuleiten zu dem Freundeshaus, da sie Herberge hatten. Doch kaum erreicht die Gebrochne die Kammer, 6660 so wirft sie aufs Bette in wildem Schmerz sich, schluchzend und zuckend mit heißen Zähren. So lag sie die Nacht und netzte ihr Lager, bis sie schließlich vor Morgen ermattet entschlief. Doch Vergessen war ihr auch da nicht gegönnt; denn im Traume trat der gemarterte Meister 6666 vors Auge ihr, sie wand sich, erwachte und schaute verstört, wie der Sterne Schimmer langsam verlosch und im Osten uusstieg der Sabbathmorgen in Sonnenglanz. 6670 Sie verbrachte den Tag in totem Brüten, sie zählte die Stunden der zaudernden Zeit, denn ihr Dichten und Denken und Trauern und Trachten taumelte zu dem neuen Tage und der Bergeskluft, die den Meister barg. Dann noch eine Nacht, die sie weinend verwachte, da kaum sie ein kärglicher Schlummer beschlich, und sie stahl sich von dannen beim ersten Dämmern vor Tau und Tag zu der teuern Gruft. Sie ging in den Garten, am Grab ihrem Grame 6680 uachzuhängen in seiner Nähe. So trat sie zur Treppe, die hinan zu der Nische führte, in der sich die Türe befand. Da ... gewahrt sie den Stein von der Stelle gewälzt, dunkel dämmert der Eingang sie an. Ihr Atem keucht, ihre Augen irren, es hämmert ihr Herz empor bis zum Halse. Mit wankenden Knieen wagt sie sich näher. Schon fühlen die zitternden Finger die Pforte, bebend beugt sie ins Finstre sich vor: 6690 Leer ist die Höhle — die Leiche ... wohin? Sie stemmt sich zurück. An die Stirn die Rechte preßt sie. Es rauscht und rast ihr im Hirne. Hülflos vor Angst schaut sie sich um.

155 — Dort am Gebüsch dünkt sie ein Mann zu stehen, der Gärtner ist's wohl des Gutes — Vernimmt sie nicht Worte: „Weib, was weinst du?" ? Und sie: „Man hat meinen Herrn geholt, und ich weih nicht, wo sie ihn jetzt bewahren!" Da ist ihr, als ob es raunte:„Maria!" 6700 Und sie sinkt zusammen mit seufzendem Hauche: „Mein Herr und Meister!" Doch wie sie die Hand verlangend ausstreckt, wehrt er ab: „Ich fahre auf zu meinem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott. Du aber bringe den Deinen Botschaft I" Die Gestalt verschwimmt und ist verschwunden. Sie aber erschauert; doch dann im Scheine der Ostersonne, die sieghaft aufgeht, eilt sie, den Ihren die Mär zu melden. 6710 Hinaus zum Tore, hinzu gen Bethanien wandert sie rasch, wo der Herr geweilt im Hause Simons, des Aussätzigen, wenn er abends vom Kampf in der Stadt heimkehrte. Dort, hofft sie, die trauernden Freunde zu treffen. Hinab zum Kidron ist bald sie gekommen; nun steigt sie des Olbergs Steile hinan und hastet und eilt, daß der Atem ihr ausgeht, bis endlich erschöpft den Ort sie erreicht. Dort hört sie: Die Freunde sind schon am Freitag 6720 verstört von der Stadt herübergestürzt mit der Kunde: Der Herr sei die Nacht verhaftet und am Morgen verurteilt zu blutigem Ende und fortgeführt zum furchtbaren Tod. Verängstigt, verzweifelt seien die Zwölfe hinweg nach Haus und Heimat entwichen. Bestürzt verstummt sie und starrt zu Boden, dann stürmt ohne Dank und Gruft sie von dannen des Wegs gen Jericho und zum Jordan mit dem heißen Geheimnis im pochenden Herzen. 6730 Und wieder saften am See Tiberias der Fischer viere gebeugt bei dem Boote: Andreas und Simon, Jonas' Söhne, Johannes, Jakobus, Zebedäus' Kinder, die Brüderpaar' aus Kapernaum, und starrten stumm aufs weite Gewässer, niedergeschmettert, betäubt vom Schmerze, unfähig, die furchtbare Fügung zu fassen: Der wortgewaltige Mann und Meister, durch Taten und Wunder von Gott bewährt, 6740

— 156 — durch Wesen und Wandel ein Herr ihrer Herzen, der ihnen enthüllt so hohes Geheimnis, in dem sie gesehn den Gesalbten Gottes, der lag nun vielleicht, eine wüste Leiche, dahingeworfen den Hunden zum Fraße oder eingescharrt wie ein ekeles Aas! Und sie hatten gehofft, er werde das Harren auf Israels Erlösung enden und das Stöhnen der Armen und Elenden stillen. Nun starb er verhöhnt am Holze der Schmach, 6750 wie ein Schächer geschändet von Volk und Fürsten, von den Priestern als Lästerer preisgegeben, als Verruchter verworfen vom höchsten Rate. War das die Meinung des Ewig-Allmächtigen? Hatt' er ihn nie noch bei Namen genannt, War es ein Wahn, er sei der Erwählte? Furchtbare Frage nagt und frißt an der Seinen gequälter, suchender Seele. Keine Antwort deutet ihr dumpfes Elend. Da faßt sich Petrus: „Ich gehe fischen. 6760 Fische fang' ich und meinte, Menschen zu sammeln und retten für Gottes Reichl" Sie entgegnen ihm: „So gehen wir auch." Sie schieben das Schiff vom Sande in See, fahren hinaus und werfen die Netze und schaffen die Nacht und — fangen nichts. Und wieder erwacht ein matter Morgen am östlichen Himmel. Sie steuern heim. Schon dämmert das Ufer über der Dünung, da fährt auf einmal Petrus auf: 6770 Wirst sich wortlos in Wasser und Wellen und schwimmt und rudert rüstig zum Rande. Jetzt faßt er dort Fuß und schreitet vorwärts und stürzt am Gestade gebückt zu Boden. Was sucht er? Was sieht er? Sie können's nicht sagen. Aber er, was gewahrt er geöffneten Augs? Auf dem Ufer wie einst vermeint er den Meister zu schauen und schon seinen Namen vernimmt er: „Simon bar Iona!" Jähe sinkt er zur Erde, die er noch eben erreicht. 6780 „Liebst du mich mehr denn alle die Meinen?" — „Meister, du weißt, wie ich dich liebe!" — Sagt er'„Simon, hüte die Herde!" Indessen heran sind die andern gerudert und finden den Freund zu ihren Füßen. „Was ist dir? Rede! Was riß dich nieder?"

— 157 — Doch er ermannt sich mit schwerer Mühe: „Brüder, der Herr! — „Hüte die Herde!" — so rief er mir zu. Er hat sich gezeigt!" Und sie sitzen beisammen und reden erregt 6790 und wechseln weiter suchende Worte, ihres Leids und Kummers Erlösung zu finden. Doch endlich meldet sich irdischer Hunger, und sie holen hervor, was sie mitgeführt, das Frühmahl unter einander zu essen. Doch als sie nun sitzen wie sonst in der Runde, nur des Führers beraubt, der vormals als Vater im Kreise der Seinen das Mahl gesegnet, da sieht den andern Simon ins Auge und nimmt das Brot und bricht es ihnen. 6800 Doch wie er den Segen darüber will sagen, da leuchtet es über fein leidoolles Antlitz, seine Blicke stutzen, sein Mund verstummt, aus springt er:„Herr, so bist du noch hier?" Und zur Stund' überfällt's und faßt es die Freunde und der Glanz Lbergleitet ihr Angesicht auch und verklärt ihre Züge mit Klarheit vom Licht: Es schaut ihr endlich entschupptes Auge bett Meister stehend in ihrer Mitte in himmlischer Hoheit licht und hehr: 6810 „Muhte des Menschen Sohn nicht Marter und Schmach erdulden, um zu verdienen, daß er heimgeholt werde zur Herrlichkeit Gottes? Doch wisset: Nun ist mir alle Gewalt überantwortet Himmels und der Erden. Ihr aber ziehet hinauf gen Zion und werbt die Heerschar meiner Geweihten I" So hörten entrückt den Herrn sie reden. Und in dem, so deuchte es ihren Augen, ward er emporgehoben gen Himmel; 6820 und wieder rote einst auf der Wolke gewahren sie leuchtend zwei Männer, Elia und Mose, als Gottes Gesandte gesellt dem Gesalbten, und schwebten auswärts und schwanden dahin. Da kamen sie zu sich aus der Verzückung, und Mut beseelte der Männer Sinn. Besiegt der Zweifel an seiner Sendung I Der Anstoß des Todes am Kreuze getilgt: Der dem Leiden Erlegene war der Erles'ne, vom Tode erweckt durch Gottes Gewalt, 6830 erhöht, entrückt zu feiner Rechten, bis er kommt in des Himmels Herrlichkeit,

— 158 zu errichten das Reich und zu walten der Welt. So brechen sie auf von Kapernaum, um die Reife zu rüsten IerusalemwörtsI Kald waren die Elfe alle beisammen, da ... langt von Jerusalem an Maria, erschöpft von der Reise und noch erregt, sagt, wie am Sonntag den Herrn sie gesehen vor dem leeren Grabe im Morgengraun; sie solle die M8r den Ihrigen melden. Da ward, wer zag noch schwankte, beschwichtigt und traute und glaubte dem göttlichen Trost. So standen sie auf, der Stoßtrupp Gottes, gewonnen, entschlossen, die Schlacht zu schlagen für das Reich des Lichts in Jerusalem; und der Herr in der Höhe gab Segen und Sieg.

*

Kn notvoller Zeit mitnichten verzagend, hat der Dichter selber sein Werk ge/l*W Braunschweig, im November 1922.

— 159

Inhalt Unseres

Gottes

Evangelium

v. 1

i. A n b r u ch ( Herrschaftsverhältnisse. Johannes der Täufer. Berufung der Zebedäus- und Ionassöhne. Der erste Sabbath in Kapernaum. Kommet her zu mir! Aufbruch am Morgen) 75

ii. Botschaft und Beistand (Im Nachen: Gleichnis­ se vom Reiche: Dom Wüchse der Saat, von mancherlei Boden, vom Senfkorn und Sauerteig, dem Schatz im Acker, der Perle. Selig der Schoß! Maria und Martha. Licht und Scheffel. Messen und Gemeffcnwerden. Altes und Neues. Wanderpredigt. Dienende Frauen. ) (Chorazin: Sorget nicht! Dom Schätzesammeln, Schiedsmann. Reicher Bauer) ( Bon der Sündenvergebung. Dom verlorenen Sohn ) (Fahrt zum Ostufer. Der Hauptmann von Kapernaum. Der Besessene von Gergesa. Vom Beten: Vaterunser. Bittet! Vom zudringlichen Nachbar und dem hartnäckigen Weibe. Jairus)

577

720 817 983

iii. Streit (Simon und die Sünderin. Tischregeln. Jesus und die Kinder. Vom Fasten, dem Umgang mit Sündern, dem verlorenen Schafe und Taler, den unnützen Knechten, den Ar­ beitern im Weinberge) 1276 (Von der Sabbathruhe: Ahrenraufen, das verkrümmte Weib, Priesterdienst am Sabbath, Barmherzigkeit, nicht Opfer, die „verdorrte" Hand, das Schaf in der Grube) 1653 ( Der Aussätzige) 1840

io. Zeitgenossen ( Anfrage des Täufers, fein Tod ) ( Von der Ehescheidung ) (Was ist Jesus? Wer sind meine Angehörigen? Vater und Mutter Haffen. Nicht Frieden, nein Schwert! Entmannte) ( Aussendung der Zwölfe: Bestellung und Namen. Aussendungs­ rede. Vom klugen Verwalter. — Der überschwängliche Reiche. Verstrickung des Reichtums. Erst wägen! Ersatz für Opfer. — Jesus in Nazaret. Auszug und Rückkehr der Zwölf. Offenbart den Unmündigen. Selig die Augen... Wehe über die Städte. Gesetz und Propheten, Reichsstürmer)

1914 2029 2073

2274

v. Alte und neue Gerechtigkeit (Zustrom von fern Von den Waschungen. Wovon das Herz voll.. Pflanzen, die Gott nicht gepflanzt. Blinde Leiter. — In Beelzebuls Namen. Unnütze Worte. Mit mir oder wider mich? Vom Rückfall. Anschlag der Pharisäer und Herodianer) 2730 (Zum Ostufer. Sauerteig der Pharisäer. Jünger und Meister. Versolgungsrede. Mut, kleine Herde!) 2985

— 160 —

(„Bergpredigt": Jesus aufgefunden. Schafe ohne Hirten. Heilun­ gen. Seligpreisungen. Nicht auslösen; bessere Gerechtigkeit. Ich aber sage euch l Alles, was ihr wollt... Almosen, Beten, Fa­ sten. Richtet nicht I Splitter im Auge. Frucht und Baum. Herr, Herr I Haus auf Felsen.) 3060 vi. Hirt und Herde (Hochgefühl. Fürchtet euch nicht, bekennt I Dom Kommen des Messias. Dom Einbrecher, dem sichern Verwalter, der engen und der verschlossenen Pforte, dem Feigenbäume. Meine Worte vergehen nicht I 3254 ( Das Gleichnis vom Mahle und das Mahl am See. Hoch bei Menschen. Wenige erwählt. Perlen vor die Säue) 3392 (Wandel über dem See. Bedräuung des Sturms. Zeichenfor­ derung, Wetterzeichen. Der Fuchs Herodes. Nachfolgeverhand­ lungen. Selbstbeirrung. Abzug aus Galiläa ) 3509

vii. Durch Opfer — Vollender ( Die Syrophönikerin. Cäsarea Philippi. Fades Salz. Schlichtes Auge. Feuer auf Erden. Der Gesalbte mutz leiden.) 3784 (Urteil über Johannes. Alles mir übergeben. Berufung bei der Taufe. Versuchung. Verklärung. Johannes-Elias. Epileptischer 3941 ( Rückkehr nach Galiläa. Kindersinn. Ärgernis. Gen Jerusalem Fremder Beschwörer. Samaritergastlichkeit. Letzter Scheideweg. Bitte der Zebedäussöhne. Zachäus. Bartimäus 4258

viii. Des Tempels und des Gesetzes Hüter ( Einzug in Jerusalem. Säuberung des Tempels. Glchns vom Feigenbäume und den Pfunden. Zur Rede gestellt vom Rate. Glns von den Weingartnern. Stein des Zerschellens. 4568 Zinsgroschen. Wehe euch, Pharisäer und Schristgelehrtel Zwei­ erlei Söhne, Zöllner und Huren. Vornehmst Gebot. Der barm­ herzige Samariter. Licht der Welt. Schafe und Böcke 5014

ix. Echtes in Zeit und Ewigkeit (Scherslein der Witwe. Engel der Kleinen. Reicher Mann und armer Lazarus. Gib dem Bittenden I Die Frage der Sadduzäer. Wache Diener. Zehn Jungfrau». Der Messias Dawids Sohn? 5371 (Los der Galiläer, Turm von Siloah. Ehebrecherin. Pharisäer und Zöllner. Seelsorge. Vergeben. Schalksknecht. Wissentliche Verfehlung. Steine des Tempels. Tränen über Jerusalem 5586 x. Letzte Liebe: Todesbeschluß. Judas' Verrat. Salbung in Bethanien. Bestellung des Mahle». Jerusalem Propheten­ mörderin. Das letzte Mahl. Throne verheißen. Ich diene. Zum Olberg. Gethsemaneh 5809 xi.

xii.

Dor den Gewaltigen

Tod und Leben

N«rchr»tra-em

dieser Welt

6162

6522

v. 100 b: und Gottes Geist war wieder ergossen