Der Kirchenstreit in Preussen
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Der

Kirchenstreit in Preußen

von

Dr. Jolly, (Brc6bVi(t) B.idiscbem «tant^mimfter a. T. und Präsidenten der Oberiechnun^-kaninier.

Berlin. Druck und 'linlciR von W. iKmnrr.

1882.

In dem preußischen Kirchenstreit ist mit dem Gesetz vom 31. Mai d. I. ein sehr bedeutsamer Schritt gemacht worden von viel größerer Tragweite, als sie mit der vorangegangenen Novelle vom 14. Juli 1880 verbunden war.

DaS neue Gesetz greift an sich tiefer in die bestehende Gesetzgebung

ein und der bisherige Verlauf der Dinge läßt die auch von der Regie­ rung durchaus nicht abgelehnte Annahme als ziemlich zweifellos erscheinen, daß dieselbe eventuell zu noch wetteren Konzessionen bereit ist, um einen FriedenSstand mit der katholischen Kirche herbeizuführen.

Die Hoffnungen,

welche von der einen, die Befürchtungen, welche von der anderen Seite gehegt werden, mögen übertrieben sein,

jedenfalls beweist das lebhafte

Jnteresic, welches in unserer von fern abliegenden materiellen Aufgaben in Anspruch genommenen Zeit noch immer in allen Kreisen der kirchenpolitischen Frage entgegengebracht wird, wie tief dieselbe unser Volk be­ wegt.

Bor einem Jahrzehnt hatte sie die Nation mit solcher Macht er­

griffen, daß eS ihr gegenüber nur zwei Parteien zu geben schien, Gegner und Vertheidiger des UltramontaniSmuS, und von jenen mochten nicht wenige der Zuversicht leben, den zweiten und gefährlicheren wälschen Feind eben so rasch und vollständig zu Boden werfen zu können, wie unmittelbar vorher die Heere Frankreichs überwunden worden waren.

Die Schwierig­

keit des Kampfe- hat ernüchternd gewirkt, nicht wenige sind ermüdet und an die Stelle siegessichern Vertrauens sind vielfach Zweifel und Bedenken getreten.

Trotz dessen nimmt unser Volk auch heute noch an dem kirchen-

politischen Kampf einen so lebhaften und so spontanen Antheil, wie an keiner anderen politischen Aufgabe, indem eS fühlt, daß e» sich dabei in der That um eine Lebensfrage für uns handelt, und so mag auch der folgende Versuch,

bei dem zur Zeit

eingetretenen Wendepunkt

in dem

Kampf einen kritischen Rückblick auf daS bisher Geschehene zurückzuwerfen und sich Rechenschaft über die weiteren möglichen oder wahrscheinlichen Folgen zu geben, auf die Theilnahme deS LeserS rechnen dürfen.

1

2 Thatsächliches. Den Ausgangspunkt der Betrachtungen hat die Falk'sche Gesetzgebung zu bilden, welche als ein umfassendes, mit großer juristischer Feinheit und Schärfe vielleicht nur allzu kunstvoll ausgeführtes System sich darstellt, deren Grundgedanken aber höchst einfach sind unk deren eben so oft warm gepriesene als hart getadelte Neuheit viel mehr in ihrer Form als in ihrem materiellen Inhalt gelegen ist.

Es handelte sich bei dieser Gesetz­

gebung darum, unleidlich gewordene Mißstände zu beseitigen und Sicher­ heit gegen ihre Wiederkehr z>l schaffen.

Ein großer Theil des katholischen

Klerus hatte sich dem nationalen Staats- und Volksleben in bedenklichem Grade entfremdet oder gar direct feindlich gegenübergestellt; dem Staat fehlte cS an jedem Mittel, um einen Geistlichen, welcher sein Amt ge­ radezu gegen den Staat mißbrauchte, so lange er sich nur vor der Ver­ letzung

allgemeiner Strafgesetze hütete,

in geordnetem Rechtsweg

un­

schädlich zu machen; der niedere Klerus befand sich ohne irgend genügenden Rechtsschutz in so absoluter Abhängigkeit von seinen kirchlichen Oberen, daß er durch diese eventuell auch gegen seine eigene Neigung zu einem staatsfeindlichen Verhalten genöthigt werden konnte, und der UltramontaniSmuS hatte diese Lage der Dinge in einer je länger je mehr uner­ träglichen, wesentliche Staatsinteressen gefährdenden Weise auögebentet. AuS der Beschaffenheit der abzuwehrenden Mißständc ergab sich der In­ halt der neuen Gesetzgebung ganz von selbst.

Gleich das erste der preu­

ßischen sogenannten Maigesetze setzt die Bedingungen fest, von deren Er­ füllung staatlicher Seit- die Erlangung und Ausübung eines geistlichen Amtes d. h. jedes mit Seelsorge verbundenen, wenn auch nur vorüber­ gehenden und widerruflichen Dienstes

in der Kirche

abhängig gemacht

wird; es verlangt namentlich positiv deutsches Staatsbürgerrecht, eine be­ stimmte Art der Ausbildung durch Gymnasium und Universität unter Be­ schränkung bezw. Ausschließung der Knaben-Seminarien, Convicte ic. und den Nachweis einer entsprechenden (allgemein) wissenschaftlichen Bildung in einem Staatsexamen, und es legt der Negierung daö Recht bei, gegen die Nebertragung eines geistlichen Amtes Einspruch, unter Vorbehalt der Entscheidung durch den Staatsgerichtshof für Kirchensachen, zu erheben, wenn die gesetzlichen Bedingungen nicht erfüllt sind, wenn der Anzustellende wegen eines schweren Verbrechens oder Vergehens verurthcilt ist oder sich in Untersuchung

befindet,

oder wenn

gegen ihn Thatsachen vorliegen,

welche die Annahme rechtfertigen, daß er den StaatSgesetzcn oder gesetz­ lichen Anordnungen der Obrigkeit entgegenwirken oder Frieden stören werde.

den öffentlichen

Um der Regierung die Ausübung dieser Rechte zu

3 ermöglichen, ist bestimmt, daß von jed'er Berufung zu einem geistlichen Amt vor deren Ausführung dem Oberprüsidenten Kenntniß zu geben ist. DaS zweite der sogenannten Maigesetze eröffnet die Möglichkeit,

einen

Kirchendiener, welcher die auf sein Amt bezüglichen Gesetze oder gesetz­ mäßigen Anordnungen der Obrigkeit so schwer verletzt,

daß sein Ver­

bleiben im Amt mit der öffentlichen Ordnung unverträglich erscheint, durch Urtheil deS Staatsgerichtshof« für Kirchensachen aus seinem Amt zu ent­ lasten, und es zieht der kirchlichen Disziplinargewalt über Kirchendiener insofern gewiffe Schranken,

als es neben einigen allgemeinen Bestim­

mungen über den Inhalt derselben gegen die DiSziplinarverfügungen kirch­ licher Behörden dem Betroffenen, welcher sich dadurch in seinem Recht verletzt glaubt und, sofern ein öffentliche- Jntereffe vorliegt, auch der Staatsbehörde die Berufung an den genannten Gerichtshof gewährt.

Mit

diesen Bestimmungen, welche nach ihrem sachlichen Gehalt in fast allen anderen deutschen und in nicht wenigen außerdeutschen Gesetzgebungen in ziemlich ähnlicher Weise sich finden, ist der wesentliche Inhalt der ur­ sprünglichen sogenannten Maigesctze erschöpft, zil deren Charakterisirung nur da- Eine noch beigefügt werden mag, daß sie ihre Gebote und Verbote nur durch Geldstrafen schützten.

Der systematische Ungehorsam de- katho­

lischen Klerus gegen die Gesetze deS Staate- nöthigte diesen sodann zu immer weiter

gehenden Abwehr- und Zwangsmitteln.

So entstanden,

namentlich um der staatlichen Entlassung eine- Bischof- aus seinem Amte den thatsächlichen Erfolg zu sichern, die Vorschriften über die von einem BiSthumSverwalter — mag die Diözese im staatlichen und kirchlichen oder nur im staatlichen Sinne erledigt sein — zu erfüllenden Bedingungen; e- wurden die Voraussetzungen, von denen die Bekleidung eine- geist­ lichen, d. h. mit Seelsorge verbundenen Amte- staatlicher Seit- abhängig gemacht ist, auch auf ihn angewendet und ihm überdieß die Verpflichtung auferlegt, eidlich Gehorsam gegen die Staat-gesetze zu geloben, eine Ver­ pflichtung, welche in die nach dem Herkommen durch Verordnung be­ stimmte Eidesformel der Bischöfe selbst gleichzeitig auch in diese aufge­ nommen wurde.

Für die ordnungsmäßige Bestellung eine- BiSthumSver-

weferS wurde eine bestimmte Frist gesetzt» nach deren Ablauf kommiffarische Verwaltung deS BiSthumSvermögenS durch einen Beauftragten deS Staates einzutreten hatte.

Um die Besetzung der einzelnen kirchlichen Aemter auch

für den bei der ausgesprochenen Renitenz der Kirche vorauszusehenden Fall zu ermöglichen, daß ein gesetzlich anerkannter Bischof oder BiSthumSverwescr nicht vorhanden sei, wurde für diesen Fall dem Patron, auch dem bloßen Privatpatron, daS Recht beigelegt, das betreffende geistliche Amt seiner Seit- definitiv oder provisorisch an einen gesetzlich qualisiztrten Geistliche» 1*

4 zu übertragen und, wenn er von dieser Befugniß keinen Gebrauch mache, der betheiligten Gemeinde gestattet, durch Wahl das Amt zu besetzen, und zwar ist sowohl bei der Frage, ob überhaupt in dieser Weise von der Gemeinde vorzugehen sei, wie bei der Wahl selbst die Entscheidung in die Hand der einfachen Mehrheit der erschienenen, also möglicher Weise der Minderheit der sämmtlichen Stimmberechtigten gelegt.

Die Verbote

dieser neueren Gesetze wurden durch strengere, durch ziemlich erhebliche Freiheitsstrafen geschützt

und durch gleichzeitiges RcichSgeseh

renitenten

Kirchendienern Jnternirung und eventuell Verweisung aus dem LandeSbezw. Bundesgebiet angedroht.

Schließlich kam es zur Einstellung aller

der katholischen Kirche aus Staatsmitteln zufließenden Leistungen, bis in jeder einzelnen Diözese ein den Staatsgesetzen entsprechender Zustand her­ gestellt sein werde, mit dem Vorbehalt für die StaatSregicrung, einzelnen Empfangsberechtigten die ihnen zukommenden Leistungen verabfolgen zu laflen, sofern sie ausdrücklich schriftlich sich verpflichteten oder durch Hand­ lungen die Absicht an den Tag legten, die Gesetze deS Staates zu be­ folgen.

Endlich sind hier noch zwei weitere Gesetze zu erwähnen, welche

etwas außerhalb des streng systematischen Zusammenhangs der bisher be­ sprochenen Anordnungen stehen, aber praktisch von höchster Bedeutung sind, das Verbot aller geistlichen Orden und Congregationen mit Ausnahme der der Krankenpflege sich widmenden, und daS sehr umfaffcnde Gesetz über die Verwaltung deS katholischen örtlichen kirchlichen Vermögens. Mit einziger Ausnahme deS zuletzt erwähnten Gesetzes, welchem die katholische Kirche bekanntlich nach anfänglichem Widerstreben schließlich sich fügte, konnten alle übrigen nur soweit, als sie direct mittelst der Straf­ oder Polizeigewalt deS Staats durchzusetzende Verbote enthielten, durch­ geführt werden.

Dagegen weigerte sich die Kirche auf daS hartnäckigste,

die durch die Staatsgesetzgebung ihr angewiesene staatsrechtliche Stellung anzunehmen, und weit davon entfernt, durch die zum Theil recht empfind­ lichen Strafen, welche nicht wenige ihrer Diener zu erleiden hatten, oder durch die immer weiter um sich greifende Desorganisation deS ordent­ lichen Kirchendienstes in ihrer negativen Haltung sich beirren zu lassen, trieb sie diese im Gegentheil bis zum äußersten und benutzte planmäßig die daraus hervorgehende Verwirrung um wie durch ein modernes Inter­ dikt die Staatsgesetzgebung zu untergraben.

Die Regierung scheint die

daraus hervorgehenden Mißstände schon frühzeitig schwer empfunden zu haben; schon im Sommer 1878 leitete der Reichskanzler persönlich wäh­ rend seines Aufenthaltes in Ktfsingen Besprechungen mit dem päpstlichen Nuntius in München ein, welchen dann später lange Zeit hindurch fort­ gesetzte Erörterungen durch Bevollmächtigte in Wien nachfolgten, die aber

5 Im Frühjahr 1880, ohne zu einem brauchbaren Resultat geführt zu haben, abgebrochen wurden. Unmittelbar darauf brachte die Regierung ihre ersten Anträge auf Abänderung der Kirchengesetze an den Landtag; die äußerst knapp gehaltenen Motive betonten nur den von ihr schon lange gehegten Wunsch, den au» den kirchenpolittschen Wandlungen hervorgegangenen Be­ schwerden der katholischen Bevölkerung abzuhelfen und sprachen den Ent­ schluß au», nachdem die Verhandlungen mit der römischen Curie ergebnißlo» geblieben, da» hervorgetretene Bedürfniß, soweit e» ohne Gefährdung der staatlichen Interessen möglich erscheine, durch einen Akt der LandeSgesetzgebung zu befriedigen. Nach langen und schwierigen Verhandlungen kam endlich da» Gesetz vom 14. Juli 1880 zu Stand, da» jedenfalls in der Gestalt, welche e» durch die Landtagsbeschlüsse erhalten hat, nur wenig erhebliche, da» Wesen der Sache nicht berührende Aenderungen der Falkschen Gesetzgebung enthält. Nur in drei Punkten erfährt dieselbe eine definitive Aenderung; e» soll in Zukunft gegen einen Kirchendiener wegen staatswidrigen Verhalten» in seinem Amt nicht mehr auf Absetzung, son­ dern nur auf Unfähigkeit zu fernem Bekleidung de» Amte» erkannt werden, wesentlich nur eine Aenderung der Urtheilsformel; e» wird ferner zur Beseitigung einer unter der früheren Gesetzgebung entstandenen Controverse die rein aushilfsweise Vornahme geistlicher Amtshandlungen durch gesetzmäßig angestellte Geistliche in gesetzmäßig nicht besetzten Pfarreien für straflos erklärt, und den geistlichen Orden für Krankenpflege, die, wie bereit» erwähnt, auch von der Falk'schen Gesetzgebung zugelassen sind, werden einige Erleichterungen zugestanden. Im Uebrigen handelt e» sich bei der Novelle von 1880 und ebenso bei dem ihr zu Grunde liegenden Entwurf lediglich um Vollmachten für die Regierung, von der strikten Anwendung der an sich intakt erhaltenen Gesetze in gewissen Beziehungen absehen zu dürfen. Die Vollmachten waren von der Regierung ur­ sprünglich für unbegrenzte Zeit verlangt, wurden aber durch da» Gesetz vom 14. Juli 1880 nur für eine sehr kurze Frist, bis zum 1. Januar 1882 gewährt und zugleich, wa» viel wichtiger war als die beigefügte Zeitbeschränkung, sachlich sehr erheblich eingeengt. DaS Gesetz gestattet nämlich nur, den BiSthumSverweser von den gesetzlichen persönlichen Er­ fordernissen, mir Ausnahme der deutschen Staatsangehörigkeit, zu dispensiren und ihm die eidliche Verpflichtung auf die Staatsgesetze zu erlassen; eS bestimmt ferner, die kommissarische Verwaltung des kirchlichen Ver­ mögen» in einem gesetzmäßig nicht besetzten BiSthum solle gegebenen Falle» nicht kraft Gesetzes, sondern nur nach Entschließung de» StaatSministerium» eintreten und es läßt auf eben diesem Weg die Wiederauf­ nahme eingestellter StaatSleistnngen an die Kirche auch in Ermangelung

ß der gesetzlichen Voraussetzungen zu. sehr viel weiter gegangen.

Die Anträge der Regierung waren

Sie wollte die Berufung gegen kirchliche DiS-

ciplinarerkenntnisse nicht mehr direct dem Betroffenen, der sich in seinem privaten Recht verletzt fühlte, sonder» mit dem Vertreter der Regierung, an den sich der Betroffene zu wenden habe, nach politischen Erwägungen gestatten, ebenso jede strafgerichtliche Verfolgung eines Geistlichen wegen Uebertretung der Kirchengesetze von einem Antrag der politischen Behörde abhängig machen; das Recht des Patrons oder der Gemeinde, ein auf dem gewöhnlichen ordentlichen Weg nicht zu besetzendes geistliches Amt zu übertragen, sollte nur mit Ermächtigung des Oberpräsidenten ausgeübt, und der Vorsitz in dem katholischen Kirchenvorstand, Gesetz den Pfarrer ausschließt, durch Verordnung werden können.

von welchem das

anderweitig

geregelt

Alle diese schließlich abgelehnten Punkte hatten nur ein

mäßiges Interesse erregt; um so lebhafter war der Kampf um zwei wei­ tere, von der Regierung mit größter Ausdauer vertheidigte Anträge, ihr die Befugniß zuzugestehen, von den gesetzlichen persönlichen Erfordernissen zu Bekleidung eines geistlichen Amte- zu dispenfiren, auch die Staats­ prüfung zum Nachweis der allgemeinen wissenschaftlichen Bildung durch eine andere Einrichtung zu ersetzen, und das königliche Begnadigungsrecht dahin zu erweitern, daß einem durch gerichtliches llrtheil aus seinem Amt entlassenen Bischof durch königliche Gnade die staatliche Anerkennung als Bischof seiner früheren Diözese wieder ertheilt werden könne.

Auch diese

Punkte mußte die Regierung, um den Nest des Gesetzes zu retten, fallen lassen. DaS Gesetz vom 14. Juli 1880 ist verglichen mit den ihm zu Grunde liegenden Regierungsvorschlägen nur ein sehr dürftiger Torso dieser letzteren; aber auch diese Vorschläge, soweit sie gehen und so mancherlei man gegen sie einzuwenden haben mag, enthalten sich doch jedes grundsätzlichen Ein­ griffes in die Falk'sche Gesetzgebung.

ES bestand ohne Zweifel die Ab­

sicht, von den verlangten sehr umfassenden Vollmachten einen sehr um­ fassenden Gebrauch zu machen, und auf diesem Weg hätten, zumal die Vollmachten zeitlich unbeschränkt verlangt waren, sehr erhebliche Theile jener Gesetzgebung thatsächlich außer Wirksamkeit gesetzt werden können. Immerhin blieb nicht nur die Gesammtheit der Rechte des Staates der Kirche gegenüber gesetzlich unverändert und unangetastet bestehen, sondern die Absicht war unverkennbar darauf gerichtet, die materiell wichtigsten dieser Rechte auch thatsächlich zur Geltung zu bringen.

Eharakteristisch

in dieser Beziehung ist z. B., daß neben dem Recht, von den persönlichen Erfordernissen zu Bekleidung eines geistlichen Amtes einschließlich der dazu gehörigen wissenschaftlichen Staatsprüfung

zu dispenfiren,

da«

weitere

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Recht beansprucht war, diese Prüfung durch eine andere den Nachweis der erforderlichen wissenschaftlichen Bildung sichernde Einrichtung zu ersetzen; von dem Nachweis dieser Bildung sollte also auf die Dauer ordentlicher Weise nicht dlSpensirt werden, wie denn auch der damalige Cultu-minister v. Puttkamer schon in den Commissionsberathungen den Antrag auf Aufhebung deS sogenannten Culturexamen- ohne Ersatz einfach ablehnte. Derselbe Minister erklärte gleich bei der ersten Berathung deS von ihm eingebrachten Gesetzes, die Regierung habe auch die Vertreter der Curie darüber nicht im Unklaren gelassen, daß die Grundlinien der Regulirung deS Grenzgebietes zwischen Staat und Kirche für Preußen durch die Ge­ setzgebung von 1873 bis 1875 unwiderruflich gezogen seien, und am Schluß seiner Rede hebt er, nachdem er bemerkt, daß die Anzeigepflicht der kirchlichen Oberen bei Uebertragung eine- geistlichen Amtes und das Einspruchsrecht deS Staats den springenden Punkt in dem kirchenpolitischen Kampfe bilde und daß darin durch die Novelle nichts geändert werde, mit dem größten Nachdruck hervor, daß die Regierung, welche so Vieles und so Schweres hingenommen habe, um den Preis dieser fundamen­ talen Errungenschaft der neuesten Zeit nicht fallen zu lassen, unter keinen Umständen sich darauf einlassen könne, jemals darauf zu verzichten. Das Gesetz vom 14. Juli 1880 hat, so sehr eö durch die Kammer­ beschlüsse beschnitten worden war, dennoch sofort in sehr erheblichem Um­ fang in Gunsten der Wiederherstellung eines geordneten Dienstes in der katholischen Kirche gewirkt, Namentlich scheint die präzise Vorschrift, daß die aushilfsweise Vornahme geistlicher Amtshandlungen in gesetzmäßig nicht besetzten Pfarreien durch gesetzmäßig angestellte Geistliche straffrei sei, von sehr günstigem Erfolg für den Gottesdienst und die Seelsorge in zahlreichen einzelnen Gemeinden gewesen zu fein, und indem die Re­ gierung von den für die Einrichtung der Diözescnverwaltung ihr zuge­ standenen Vollmachten Gebrauch machte, gelang eS, die ordentliche kirch­ liche Verwaltung in allen Diözesen wiederherzustellen mit Ausnahme der­ jenigen, deren Bischöfe durch gerichtliches Urtheil ihres Amtes entsetzt waren und noch leben. Die Curie erkannte diese BiSthümer nicht als erledigt an, die Regierung konnte die früheren Bischöfe nicht in ihr Amt zurückkehre» lassen, so mußte eS hier einstweilen bei dem alten Zustand verbleiben. Daß einer der neu eingesetzten Bischöfe oder BiSthnmSverweser sich bei Ernennungen zu geistlichen Aemtern der Anzetgepflicht ge­ fügt hätte, ist nicht bekannt geworden, und damit ist der unmittelbar und praktisch dringendste und wünschenSwerthestc Erfolg ihrer Berufung, die reguläre Besetzung der verwaisten Pfarreien, vereitelt; nur eine Anzahl fiskalischer PatronatSpsarieien scheint seither neu besetzt worden zu sein.

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indem bei diesen, bei welchen die Regierung selbst den Candidaten be­ zeichnet, eine Benennung desselben durch den Bischof bet der Regierung nicht nöthig ist. Waren durch da» Gesetz vom 14. Juli 1880 die Verhältnisse der katholischen Kirche erheblich gebessert worden, so fehlte doch noch viel zu einem anerkannten Friedensstand zwischen ihr und dem Staat. Die Re­ gierung setzte deßhalb ihre Bemühungen, zu einem solchen zu gelangen, unausgesetzt fort, indem sie einer Seit- die Verhandlungen mit der römi­ schen Curie wieder aufnahm und bei derselben behufs dauernden Connexe» eine ständige preußische Gesandtschaft errichtete, anderer Seit- ohne oder wenigstens in nicht ausgesprochenem Zusammenhang damit, auf's Neue Vorschläge zu Aenderungen an der bestehenden Gesetzgebung machte, welche theil- einzelne der im Jahr 1880 abgelehnten Regierungsanträge wieder­ holten, theil- ganz Neues enthielten. Daraus ist dann da- neueste Gesetz vom 31. Mai diese- JahreS erwachsen, welche- von dem ursprünglichen Regierung-entwurf kaum minder erheblich abweicht als sein Vorgänger von 1880 von dem damaligen Regierung-entwurf, nur daß die Ab­ weichungen in gerade entgegengesetzter Richtung sich bewegen. Dieses jüngste Gesetz erneuert zunächst die im Jahr 1880 der Regierung nur für die Zeit bi- zum 1. Januar 1882 bewilligten Vollmachten auf zwei weitere Jahre bis zum 1. April 1884, eine Ausdehnung der Frist, welche übrigens erst durch Intervention de- Herrenhauses erreicht werden konnte, während daS Abgeordnetenhaus ursprünglich auf Betreiben de- Centrums sie nur bis zum 1. April 1883 hatte erstrecken wollen. DaS Gesetz bestimmt ferner, daß ein durch gerichtliche- Urtheil seines Amtes entsetzter Bischof, wenn er durch den König begnadigt werde, wieder als staatlich anerkannter Bischof seiner Diözese gelte und eS ist der Regierung damit gelungen, einen Punkt, auf welchen sie schon im Jahr 1880 den größten Werth ge­ legt hatte, jetzt durchzusetzen, wenn sie auch eine ihr wohl nicht ganz ge­ nehme Formulirung de- Gesetzes und die Beifügung einer etwas unklaren und wenig praktischen Bestimmung zugeben mußte, nach welcher die vor dem Jahr 1880 durch gerichtliche- Urtheil ihres Amte- entsetzten Kirchen­ diener, außer den Bischöfen, so behandelt werden sollen, als fei gegen sie nach dem Gesetz vom 14. Juli 1880 nur auf Unfähigkeit zu Bekleidung ihre- Amte- erkannt worden, sofern nicht inzwischen eine Wiederbesetznng der Stelle erfolgt ist. Noch in einem anderen Punkte geht da» Gesetz weiter als die Vorschläge der Regierung; diese hatte wie im Jahr 1880 die Vollmacht verlangt, von den persönlichen Erfordernissen zu einem geistlichen Amt einschließlich der wissenschaftlichen Staatsprüfung dispensiren zu dürfen; die Befugniß, diese Prüfung durch eine andere Einrich-

9 tun- zu ersetzen, hatte sie nicht mehr beansprucht. Da- Gesetz gewährt die gewünschte Vollmacht, hebt aber überdieß da» wiffenschaftliche Staats­ examen als Regel auf und verlangt statt desselben nur, daß von den Candidaten de- geistlichen Amte- während ihrer Universität-studien Vor­ lesungen über Philosophie, Geschichte und Literatur mit Fleiß gehört werden. Endlich ist dem Gesetz noch die in der Regierungsvorlage gar nicht berührte Bestimmung einverleibt, daß der Patron oder die Gemeinde fortan nicht mehr berechtigt sein sollen, ein geistliche- Amt zu besetzen, da- in Ermangelung einer gesetzlich anerkannten zuständigen Kirchenbe­ hörde in der sonst geordneten Weise nicht besetzt werden kann. Ist in dieser Weise da- definitive Gesetz im Vergleich mit dem ursprünglichen Entwurf auf der einen Seite durch sehr bedeutungsvolle Zuthaten be­ reichert, so wurden auf der anderen Sette die nicht minder wichtigen Re­ gierung-vorschläge abgelehnt, nach welchen da» staatliche Einspruchsrecht bei Besetzung geistlicher Aemter unter Beseitigung de- gerichtlichen Ver­ fahren- in letzter Instanz durch den Cultu-minister im Sinn der Zurück­ weisung der staatlich minder genehmen Personen geübt und die Regierung ermächtigt werden sollte, für bestimmte Bezirke in widerruflicher Weise von der Benennung anzustellender Hilf-geistltcher zu entbinden, sofern bei denselben nur die allgemeinen gesetzlichen Erfordernisse erfüllt seien. Und die Ablehnung dieser Vorschläge, die ganz unverkennbar zu Herbeiführung eine- Ausgleich- in hohem Grad geeignet waren, wurde, wa- besonder­ hervorgehoben zu werden verdient, durch da- Centrum herbeigeführt, welches unbedingt auf ihrer Verwerfung bestand und davon eben so sehr wie von der Annahme der von ihm herrührenden Zuthaten seine für daZustandekommen de- Gesetzes unentbehrliche Zustimmung zu demselben abhängig machte. Würdigung deS Geschehenen. Die beiden Novellen vom 14. Juli 1880 und vom 31. Mat d. I. haben unverkennbar den sehr vortheilhaften Erfolg gehabt, daß durch die­ selben der katholischen Kirche in Preußen in weitem Umfang ein regel­ mäßiges Funktioniren wieder ermöglicht wurde. Mag die Kirche immerhin die eingetretene Desorganisation selbst verschuldet haben durch ihren un« motivirten Widerstand gegen eine Gesetzgebung, welche ihr nicht- Un­ billige- und nicht- andere- zumuthete, als waS sie in anderen Ländern unbedenklich thut und geschehen läßt, thatsächlich scheint in Preußen in Folge deS Kirchenkonflikts eine Zerrüttung de- ordentlichen Kirchendienstes in solchem Maße eingetreten gewesen zu sein, daß daraus eine auch von dem Staate zu beachtende öffentliche Calamität erwachsen war. Wenn

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der Cultusminister v. Puttkam er in seiner ersten Rede, mit welcher er den von ihm vorgelegten Gesetzentwurf dem Abgeordnetenhaus em­ pfehlend erläuterte, mit besonderem Nachdruck die über die politisch-constitutionellen Pflichten hinausgehende moralische Pflicht hervorhob, solcher kirchlichen Noth zu steuern, so lassen sich gegen diese AllSdruckSweise wegen der Consequenzen, welche daran angeknüpft werden könnten, vielleicht Be­ denken erheben; höhere als rechtlich-politische Pflichten wird eS für den Staatsmann als solchen nicht geben, er darf die Mittel, über welche er als Vertreter eines bestimmten Pflichtenkreises verfügt, nicht für andere außerhalb dieses Pflichtenkreises gelegene Aufgaben verwenden, und die Anerkennung der Ansprüche der Kirche gewissermaßen als absolute sittliche Pflicht hinzustellen, wenn auch mit der Beschränkung, soweit das StaatStnterefse dadurch nicht gefährdet wird, ist mindestens sehr gefährlich; das verhängnißvolle Gleichniß: soviel der Himmel höher ist alS die Erde u. s. w. liegt auf diesem Wege allzu nahe. Dagegen ist gegen die schlichte Motivirung deS ersten Gesetzentwurfs, die Regierung habe den Wunsch, den Beschwerden der katholischen Bevölkerung Abhilfe zu schaffen, soweit eS ohne Gefährdung der staatliche» Interessen möglich erscheine, durchaus nichts einzuwenden; der Staat hält sich auf dem klaren Gebiet seiner po­ litischen Pflichten, wenn er für das Wohlbefinden aller seiner Angehörigen Sorge trägt. Die kritische Würdigung der Aenderungen an der Falk'schen Gesetzgebung wird sich demnach auf die eine Frage beschränken können, ob durch dieselben die Würde, die Macht und Autorität des Staates nirgends Schaden gelitten hat, denn daß sie alle Erleichterungen für die katholische Kirche bezweckten und bewirkten, kann auch der eifrigste Ultra­ montane, so ungenügend ihm da- Erreichte dünken mag, nicht bestreiten. Die entscheidende Frage ist leider zu verneinen, der Staat hat bis jetzt nur Verluste zu verzeichnen. Selbst in untergeordneten imb in solchen Punkten, in welchen die neuen Gesetze als relative Verbesserungen der früheren gelten können, ist der staatliche Gesichtspunkt nicht immer mit wünschenSwerther Schärfe gewahrt. Wenn ;. B. nach dem Gesetz vom 14. Juli 1880 bei Verurtheilung eines Kirchendieners wegen staatswtdrigen Verhaltens nicht mehr auf Entlassung aus dem (kirchliche») Amt, sondern nur auf Unfähigkeit zur Bekleidung desselben erkannt werden soll, so ist dieß insofern richtig, als durch das Urtheil eines staatlichen Ge­ richtes die kirchliche Qualität des Betroffenen an sich nicht berührt wird. Mag aber dieselbe vom kirchlichen Gesichtspunkt aus betrachtet fortdauern, rechtlich und für den Sfaat ist, wenn anders das Urtheil seines Gerichts Hofs nicht bedeutung-lpS werden soll, der betreffende Kirchendiener als solcher nicht mehr vorhanden und seine Stelle nicht mehr besetzt. War

11 früher die richtige Grenze vielleicht zum Nachtheil der Kirche übrigens mehr theoretisch als praktisch überschritten, so wird sie jetzt zum Nachtheil de- Staat- thatsächlich verrückt, wenn man mit dem Minister v. Putt­ kam er zugibt, von Seiten de- Staate- sei, nachdem ein Kirchendiener d»«rch gerichtliche- Urtheil für unfähig zu Bekleidung seine- Amte- er­ klärt worden, gleichwohl die fortdauernde kirchliche Besetzung seine- Amtemit rechtlicher Wirksamkeit der Art anzuerkennen, daß ein Verfahren zu Wiederbesetzung der Stelle, auch nur durch einen Verweser, nicht einge­ leitet werde könne, oder wenn gar in dem neuesten Gesetze vom 31. Mai diese- Jahre-

da- Centrum den praktisch freilich ziemlich gleichgiltigen

Triumph feierte, daß ein früher seine- Amte- entsetzter und jetzt be­ gnadigter Bischof, wieder al- staatlich anerkannter Bischof seiner (statt seiner früheren) Diözese gelten solle.

Mag der Staat keinen Grund

haben den kirchlichen Standpunkt in ausdrücklichen Worten zu negiren, er hat jedenfalls noch weniger Grund, denselben gegen seine eigenen RechtSsatzungen ausdrücklich anzuerkennen und ihm eine gewisse, freilich schwer definirbare rechtliche Bedeutung zuzugestehen. — Oder ein andere- Bei­ spiel.

Die Beeidigung de- Bi-thum-verweserS (oder Bischofs) hat in

gewissem Sinn eine wesentlich formale, theoretische Bedeutung,

indem

damit die Unterordnung der Kirche in ihrer äußeren Erscheinung unter die Recht-ordnung de- Staate- ausdrücklich anerkannt wird, und e- be­ greift sich, daß die Kirche je nach Umständen lieber alle, auch die ihr an­ stößigen Gesetze de- Staate- befolgt, als daß sie ihren Dienern jenes ausdrückliche Anerkenntniß gestattet.

So lange die Kirche thatsächlich den

Gesetzen Gehorsam leistet, mag e- deßhalb ganz klug sein, sie nicht durch Auferlegung eine- Eide-, welcher ihrem theoretischen Standpunkt wider­ strebt, zum Widerspruch zu reizen; übrigen- wird sich ln solchem Falle auch unschwer eine Fassung de- Eide- finden lassen, bei welcher beide Theile sich beruhigen könnten.

Wenn aber während de- heftigsten Kampfe-

zwischen Staat und Kirche der erste den Eid ohne jegliche Gegenleistung fallen läßt, so ist damit wenigsten- bi- zu den äußersten Grenzen groß­ müthiger Nachsicht gegangen; mag

er immerhin

an seiner

rechtlichen

Hoheit über der Kirche festhalten und fest entschlossen sei», dieselbe gege­ benen Falle- zur Geltung zu bringen, Millionen sehen nur ben Sieg der Kirche und finden in dem Vorgang ein Verhältniß anerkannt und bestätigt, welche- der Staat unmöglich zulassen kann und mit seiner Nachgiebigkeit in der That auch nicht zulassen wollte.

Schlimmer noch ist, daß man

von der Ermächtigung, von der eidlichen Verpflichtung auf die Staats­ gesetze Umgang zu nehmen, Gebrauch machte, ohne sich vorher zu ver­ gewissern, daß die betreffenden kirchlichen Würdenträger wenigsten- da-

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wesentlichste aller in Frage stehenden Gesetze thatsächlich befolgen und also die Ernennung zu einem geistlichen Amt vor dem Vollzug der zuständigen Staatsbehörde anzeigen werden. Keiner der neu eingesetzten Bischöfe oder Bi-thumöverweser hat dieß bisher gethan, und dem Verzicht de- Staates auf den theoretischen Ausdruck der rechtlichen Unterordnung der Kirche unter die Staatshoheit steht auf der anderen Seite, ungerügt und un­ geahndet, der fortgesetzte thatsächliche Ungehorsam der Kirche gegen die Staat-gesetze gegenüber. — Ungleich schwerer al- die vorgetragenen und andere ähnliche Bedenken von halbwegs theoretischer Natur wiegen die durchaus praktischen Ein­ wände gegen die zwei in dem neuesten Gesetz enthaltenen höchst bedeutungs­ vollen Konzessionen, die Beseitigung de- sogenannten Culturexamens und die in Aussicht genommene Rückkehr einzelner zu begnadigender Bischöfe auf ihre früheren Sitze. Hinsichtlich de- ersten Punktes ist zunächst zu constatiren, daß da- sogenannte Culturexamen in der That einfach und ohne Ersatz aufgegeben ist; über die völlige Bedeutungslosigkeit der Vor­ schrift, daß die Studirenden der Theologie während ihrer Studienzeit Vorlesungen über Philosophie, Geschichte und Literatur fleißig hören sollen, ist kein Wort zu verlieren; sie sollte wohl nur der Regierung, welche bis dahin darauf bestanden hatte, die Staatsprüfung nicht ohne jeglichen Ersatz aufgeben zu können, al- goldene Brücke zum Rückzug dienen. Im Uebrigen war da- sogenannte Culturexamen von Anfang an nicht nur auf den offenen Widerstand der katholischen, sondern auch auf eine weit verbreitete Abneigung in der protestantischen Kirche gestoßen, weil in demselben eine Beeinträchtigung der Würde der Kirche und eine Unbilligkeit gegen die einzelnen Candidaten liege, welchen damit mehr als den Examinanden in irgend einem anderen Fach zugemuthet werde. Es kann aber doch nicht bestritten werden, daß der Staat ein wohlbegründetes Interesse daran hat, zu dem öffentlichen Amt eine- Geistlichen mir solche Personen zuzulassen, welche außer den erforderlichen kirchlichen Eigenschaften auch eine ent­ sprechende weltliche Bildung besitzen, die für die heilsame Ausübung der mit dem Amt untrennbar verbundenen Function eine- Lehrer- des Volkeim eminentesten Sinn dieses Wortes wenigstens insoweit Garantien bietet, al- dieß von dieser Seite her überhaupt möglich ist. Wenn die Kirche die gleiche Tendenz verfolgt, so ist dieß sehr erwünscht; der Staat kann sich aber doch nicht ohne Weitere- daraus verlassen und jedenfalls ist es keine Beeinträchtigung der Würde der Kirche, wenn er die au- seiner Aufgabe fließende Pflicht erfüllt und von sich auö dafür sorgt, daß die Candidaten de- geistlichen Amtes sich über den Besitz der allgemeinen wiflenschaftltchen Bildung auszuweisen haben, welche von seinem Stand-

13 Punkt auS als nothwendig erscheint.

Warum e- aber unbillig sein soll,

daß die künftigen Geistlichen außer über ihre theologischen Kenntnisse auch über die allgemeine wissenschaftliche Bildung, welche für die gedeihliche Ausübung ihres Berufs vorausgesetzt wird, eine Prüfung abzulegen haben, ist nicht einzusehen; erstreckt sich doch in allen Fällen, in welchen für die Ausübung eines Berufs daS Bestehen einer Prüfung verlangt wird, diese auf alle für erforderlich erachteten Kenntntsie, und wird e- doch Niemand al-

eine unbillige Härte bezeichnen, wenn z. B. von einem künftigen

Gymnasiallehrer der Mathematik auch der Nachweis einer solchen huma­ nistischen Bildung verlangt wird, wie sie zu ersprießlicher Wirksamkeit in einem Gymnasium erforderlich ist.

Wie dem aber sei, jedenfalls hat da»

Culturexamen, ohne Zweifel mit veranlaßt durch die Gegnerschaft der pro­ testantischen Kirche, auch in solchen Kreisen, welche sonst für die Stärkung de- nationalen Staate» einzutreten stet- bereit sind, vielfach nur halbe und laue Freunde oder gar offene Widersacher gefunden, die in unserer examenreichen Zeit jede» Examen weniger al- einen Gewinn betrachten; und doch ist mit der wtffenschaftlichen Staatsprüfung der Geistlichen ein Schutzmittel de» Staate» au» der Hand gegeben, dessen Verlust zumal der katholischen Kirche gegenüber bet den zur Zeit dieselbe beherrschenden Tendenzen vielleicht in Kurzem bitter beklagt werden wird.

Selbst da»

politische Moment, da» in derselben gelegen ist, darf nicht unterschätzt werden; sie hält dem Studenten, dem werdenden Manne, Augen,

immer vor

daß auch der Staat eine über ihm stehende Instanz ist,

vor

welcher er sich über das von dieser für nothwendig Erachtete wird aus­ weisen müssen, und drängt schon durch Ihr Dasein auch dem Widerstre­ benden gleich bei dem Beginn seiner Laufbahn da» Bewußtsein auf, daß er auch auf die Staat-gemeinschaft, welcher er angehört, Rücksichten zu nehmen hat.

Aber auch abgesehen hievon ist die wissenschaftliche Staats­

prüfung an sich von höchstem Werth.

Die Gesinnung de» Menschen wird

freilich nicht durch sein Wissen bestimmt; aber die Wirksamkeit eine- un­ wissenden spanischen Mönch- und die eine- unter der Zucht deutscher Wissenschaft gebildeten Priesters wird, auch wenn beide den gleichen kirch­ lichen Tendenzen huldigen, doch eine sehr verschiedenartige und die de» letzteren die für unseren Staat sehr viel wünschenSwerthere sein.

ES be­

ruht aber auf einer Selbsttäuschung, wenn man annimmt, die Absolvirung eine» Gymnasium» genüge und mache die spätere wissenschaftliche Staats­ prüfung entbehrlich.

So sehr da» geistige Leben de» Studenten und

später veS fertigen Manne» durch die im Gymnasium gewonnenen Ein­ drücke und Resultate beeinflußt sein mag, ln gewissem Sinn vielleicht nicht selten stärker al» durch die eigentlichen Fachstudien, da- Gymnasium kann

14 bei dem Alter seiner Schüler, bei seiner Lehraufgabe und seiner Lehrmethode ganz unmöglich wissenschaftliche Anschauungen und Ueberzeugungen begründen, wie sie die Frucht der Universitätöstudien sein sollen.

Philo-

sophic wird auf dem Gymnasium überhaupt nicht gelehrt, und doch ist es für den Staat von eminentestem Interesse, daß die Geistlichen, diese ein­ flußreichsten Lehrer

des Volkes, zwar diesem

nicht ei» philosophische-

System vortragen,

aber doch mit dem Inhalt und der Methode

der

philosophischen Forschungen bekannt seien, durch deren Resultate hundert­ fach unser nationale- geistige- Denken und sittliche- Empfinden bestimmt wird.

Den Jdeenkrei- der Faustdichtung, die erhabene Toleranzlehre, wie

sie in Nathan dem Weisen oder in der religiösen Erziehung de- Menschen­ geschlecht- niedergelegt ist, mit der geistigen Selbstständigkeit erfaßt zu haben, wie sie erst für den angehenden Mann möglich wird, gibt freilich immer noch keine Sicherheit, daß dieser nicht dennoch ein wüster Fanatiker werde.

Aber schon da- bloße Kennen der Schätze unserer Literatur ge­

währt doch eine gewisse Sicherheit gegen die Gefahren geistiger Dumpf­ heit, bildung-feindlicher Bornirthcit, und der Staat hat deßhalb guten Grund zu verlangen, daß die künftigen Geistlichen in der Zeit ihrer sich vollendenden und abschließenden geistigen Ausbildung mit denselben sich beschäftigen.

Wir können nn- darüber nicht täuschen, die Curie begünstigt,

von ihrem Standpunkt au- nicht ohne Grund, die möglichste Entfremdung de- Clcru- von unserer nationalen deutschen Bildung, und sie hat in dieser Beziehung bei unS leider größere Erfolge, als in den romanischen Ländern erzielt.

So gewiß darin ein schwerer Schaden für unsere Ent­

wickelung gelegen ist, so gewiß haben wir alle Ursache, mit jedem geeig­ neten Mittel dagegen anzukämpfen; ein solche- war da- Culturexamen, da- man

erst in dem einstweilen nicht absehbaren künftigen Zeitpunkt

hätte fallen lassen sollen, in welchem die römische Curie anerkannt haben würde, der deutsche Cleru- fei in spezifisch deutschem Geist und Sinn zu erziehen,

und dann würde ihr Widerstand gegen da- ihren geänderten

Intentionen nicht mehr widersprechende Culturexamen von selbst aufge­ hört haben. Waren und sind über die wissenschaftliche Staatsprüfung, zu deren ersatzloser Beseitigung

die Regierung nur

schwer

sich

entschloß,

die

Stimmen auch in liberalen Kreisen getheilt, so ist umgekehrt die eventuelle Rückkehr einzelner zu begnadigender Bischöfe auf ihre früheren Sitze auch bei anderen Parteien auf schwere Bedenken gestoßen.

Unter allen seit

zwei Jahren verhandelten kirchenpolitischen Fragen hat keine andere daallgemeine Interesse in gleichem Grad erregt. bestimmung,

im Jahr 1880 abgelehnt,

Die betreffende Gesetzes­

jetzt durch die Verbindung der

15 Deutschkonservativen mit dem Centrum zur Annahme gebracht, wird auch von sonst sehr entschiedenen Anhängern der Regierung als verhängnißvoller Mißgriff getadelt, diese selbst legte aber darauf ein so große- Ge­ wicht, daß sie nicht nur ihre früher abgelehnten Anträge erneuerte, son­ dern anch, um dieselben durchzubringen, zu positiven und negativen Kon­ zessionen, durch Zusätze zu ihrem Entwurf und Abstriche von demselben sich entschloß, die ihr an sich unverkennbar wenig genehm waren.

In der

That knüpft sich auch an keine andere der verhandelten Fragen ein so große- unmittelbare- praktische- Interesse wie an die Rückkehr einzelner zu begnadigender Bischöfe in ihre früheren Diözesen. die Regierung

für die fragliche Ausdehnung

Die Gründe, welche

de- Begnadigungsrecht-

geltend macht, sind, wenn man den Standpunkt, auf welchen sie sich dabei stellt, zugibt, absolut zutreffend und nicht zu widerlegen.

Staat und Kirche

sind in einen schweren Conflict mit einander gerathen, in Folge deffen auch eine größere Anzahl hoher kirchlicher Würdenträger in Strafen ver­ fallen und von Staat- wegen ihre- kirchlichen Amte- entsetzt worden sind. Nicht- scheint natürlicher und billiger, als daß bei eintretendem Ausgleich derselbe auch auf diese prinzipiell delikateste und praktisch eingreifendste Frage ausgedehnt werde, die Kirche also, welche die Erledigung de- kirch­ lichen Amt- durch einen Staatsakt nicht anerkennt, durch kirchliche Ent­ fernung einiger der betroffenen Prälaten von ihrem Amte auch in kirch­ lichem Sinn

eine Bacatur desselben und damit die Möglichkeit seiner

ordentlichen Neubesetzung herbeiführe, und daß dagegen der Staat mittelst seine- Gnadcnrecht- andere der in Frage stehenden Prälaten wieder in da- ihnen staatlich aberkannte Kirchcnamt zurückkehren lasse.

Man kann

annehmen, die Regierung, welche da- zunächst ja nur eine Vollmacht für sie enthaltende Gesetz nach freiem Ermessen anwenden kann, werde nur solchen Bischöfen die Rückkehr in ihr frühere- Amt gestatten, deren Per­ sönlichkeit genügende Garantien bietet, und auch diesen vielleicht erst dann, wenn man sich versichert hat, daß sie bei der Besetzung geistlicher Aemter da- Einspruchsrecht de- Staate-, wie e- jetzt geordnet ist oder späterhin geordnet werden mag, thatsächlich beachten werden.

Allerdings hat der

Cultu-ministcr v. Goßler den Antrag, diese Bedingung ausdrücklich in da- Gesetz aufzunehmen, wohl an- Rücksicht auf die nicht zu entbehrenden Stimmen de- Centrum- au- dem schwerlich stichhaltigen Grunde bekämpft, eS liege darin eine nicht zu billigende Beschränkung de- königlichen Be­ gnadigungsrecht-, während eS sich zugestandener Maßen um einen über den

natürlichen

Inhalt

de- Begnadigungsrechte-

handelt, der ein besonderes Gesetz voraussetzt,

hinausgehenden

Akt

also auch durch diese-

Gesetz an bestimmte Bedingungen wird geknüpft werden können, und wäh-

1(1 rend derselbe Minister lein Bedenken trug, die eine wirkliche Beschränkung de» königlichen Begnadigungsrecht» involvirende Fassung de»' Centrum» für den Bischof-paragraphen zu acceptircn, nach welcher dem König nur die Wahl bleibt, entweder gar nicht zu begnadigen, also auch eine etwa ausgesprochene Geld» oder Freiheitsstrafe nicht zu erlassen oder mit der Begnadigung zugleich die Rückkehr in daS frühere Amt zu gestatten.

Auch

sind ja bisher mehrere neu ernannte BiSthumSverweser zugelassen worden, ohne von ihnen zu fordern, daß sie der Anzeigepflicht bei der Besetzung geistlicher Aemter genügen.

An» allem dem folgt aber nicht, daß die

Regierung bei der Wiederzulaffung eine» seines Amtes entsetzten Bischofs mit der gleichen Nachsicht zu verfahren gesonnen ist.

Mit der schwer er.

rungenen Vollmacht zu diesem Gnadenakt hat die Regierung ein außer­ ordentlich wirksames Unterhandlungsmittel der Curie gegenüber gewonnen, um für die Anzeigepflicht bei Ernennungen zu geistlichen Aemtern zu dem tolerari posse zu gelangen und von diesem Gesichtspunkt ou6 würde sich der entscheidende Werth, welchen sie auf die viel umstrittene Vollmacht legte, sehr wohl erklären lasten. Aber selbst die günstigste Verwerthung deS Begnadigungsrechts vor­ ausgesetzt, wird doch jeder um diesen Preis errungene Erfolg zu theuer bezahlt fein.

Das ganze, wie es scheint in Aussicht genommene Ab­

kommen, daß der Staat einen Theil der verurtheilten Bischöfe begnadigt, die Curie dagegen die übrigen auf andere kirchliche Aemter versetzt, mag ein passender Ausgleich fein von Macht zu Macht; indem aber der Staat auf diesen Standpunkt sich hindrängen läßt, erleidet er eine Niederlage, welche durch die günstigsten ihm bewilligten Einzelbedingungen nicht aus­ geglichen werden kann.

Die wegen ihrer Renitenz gegen den Staat ab-

gesetzten Bischöfe sollen nicht, wie eS in der Natur des Begnadigungs­ recht» läge,

deßhalb

begnadigt

werden, weil

sie ihren staatSwidrtgen

Standpunkt aufgegeben und ihre geänderte Gesinnung durch Thatsachen bewährt haben — sie werden im Gegentheil voraussichtlich bis zu dem zu erwartenden Ausgleich in ihrer Renitenz verharren — sondern der Staat paziSzirt wenn auch selbstverständlich nicht in der Form deS Ver­ trags

über die Behandlung

seiner

ihm

gegenüber

straffällig

gewor­

denen Unterthanen mit einer fremden Macht, nach deren Weisungen die­ selben seinen Gesetzen den Gehorsam verweigert hatten, und welcher durch die in einem solchen Ausgleich von selbst gelegene Anerkennung ihrer Bedeutung und ihre» Einflusses der Weg zu eventuellen neuen Uebergriffen in die Rechtssphäre deS Staates förmlich geebnet wird. den Staat unmöglicher

Standpunkt.

Die zu

Da» ist ein für

begnadigenden

Bischöfe

werden in ihre früheren Diözesen in der That als Triumphatoren zurück-

17 kehren, selbst wenn ste, was kaum zu erwarten, au- irgend welchen Rück­ sichten ihr erste- Auftreten in den bescheidensten äußeren Formen voll­ ziehen sollten, denn sie kehren in Wirklichkeit zurück Dank der von dem Staat thatsächlich anerkannten Macht ihre- auswärtige» Herrn. So wird auch die Sache von der Masse der katholischen Bevölkerung aufgefaßt. E- bedarf für sie keiner Einsicht ln die obwaltenden feinen juristischen Beziehungen, ihr Sinn ist durch die Lehren ihrer Geistlichen darauf ge­ richtet, in ihren kirchlichen Oberen eine Verkörperung auch der äußeren Autorität zu erblicken, die Kirche als die qualitativ höchste und deßhalb von Recht- wegen auch äußerlich entscheidende Autorität und Macht zu betrachten; sie kann nach ihrer ganzen Anschauungsweise in der Rückkehr der früher durch den Staat au- ihrem Amt entfernten Bischöfe, wie immer man den Vorgang einkleide und motivire, nur eine Bestätigung der ihr anerzogenen Ueberzeugung finden, daß die Herrlichkeit der Kirche jeden irdischen Widerstand zu überwinden berufen ist und wirklich über­ windet. Eine protestantische Bevölkerung könnte und würde vielleicht in einer ähnlichen, ihr gemachten Concession den Triumph der evangelischen Wahrheit feiern und der in ihr gelegenen und auf's Neue geoffenbarten Macht sich erfreuen, die Maffe der Katholiken sieht darin wesentlich nur den Sieg der kirchlichen Autorität, darüber wird unter allen denen, welche die katholische Weltanschauung mit der instinktiven Sicherheit kennen, wie sie nur au- einem lebenslänglichen, in die Unbefangenheit der Jugend zurückreichenden Verkehr mit katholischen Bevölkerungen gewonnen werden kann, ein Widerspruch kaum erhoben werden. Auch die dankbare Freude über die Wiederherstellung besserer kirchlicher Verhältnisse, auf welche die Regierung in den betroffenen Kreisen zu rechnen scheint und welche ja unzweifelhaft bei zahlreichen Einzelnen vorhanden sein wird, kann den Eindruck nicht ändern, welchen da- sichtbare Zurückweichen de- Staategegenüber der Kirche bei der Maffe der Anhänger der letztern nach ihrer ganzen Anschauungsweise hervorrufen muß. Sie erblickt in solcher Nachgibigkeit nicht einen Akt freier Willen-entschließung, der, weil er auch hätte unterbleiben können, besondern Dank verdient, sondern nur die schuldige Anerkennung der Autorität der Kirche; ob der Staat diese An­ erkennung freiwillig au- gutem Willen gewährt oder weil er der kirch­ lichen Macht nicht zu widerstehen vermag, ist für diese Betrachtungsweise ziemlich gleichgiltig, im Gegentheil die letzte Alternative ist ihr die ge­ läufigere und genehmere. Ja die Wiedereinsetzung der entlaffenen Bischöfe in ihr Amt, während sic nach wie vor bei den Grundsätzen verharren, deren versuchte Geltendmachung zu ihrer Entsetzung geführt hatte, kann der Menge nur als ein Schuldbekenntniß des Staates erscheinen; er nber2

18 nimmt in Ihren Augen, indem er seine Forderungen fallen laßt und damit beweist, daß er sie doch nicht für unerläßlich hält, nachträglich die Verantwortunng für allen Jammer und alles Herzeleid des Culturkampfs, für jede GewiffenSnoth, in welche durch die kirchlichen Wirren die fromme Einfalt gedrängt wurde. Sind die meisten einzelnen Bestimmungen der beiden Novellen von 1880 und 1882 mehr oder minder erheblichen, zum Theil sehr schwerwiegenden Einwürfen ausgesetzt, so muß der wiederholte Wechsel in der allgemeinen Stellung der Regierung in der kirchenpolitischcn Frage noch größere Be­ denken erregen. Bei dem successiven Abschluß der umfassenden kirchen­ politischen Gesetzgebung der 70er Jahre war, wie der damalige CultuSminister Falk und der Reichskanzler selbst bei verschiedenen Gelegenheiten nachdrücklich hervorhoben, die Absicht darauf gerichtet, durch Gesetze eine Defensivstellung für den Staat herzustellen, in welcher er, seiner Seite fern von Aggression, seine Rechte gegenüber kirchlichen Uebergriffen mit Sicherheit zu schützen vermöge; die Regierung kann, so faßt Hahn in seiner aulhenthischen Geschichte deS Culturkampfs in Preußen (S. 205) den damaligen Regierungöstandpunkt in einen Satz zusammen, die Re­ gierung kann gestützt auf die Bestimmungen der vervollständigten Gesetz­ gebung mit voller Zuversicht den Zeitpunkt abwarten, wo die Kirche um ihrer wirklichen Heilsaufgaben willen den Frieden suchen muß und wird. Daneben betonte die Regierung stets mit der gleichen Wärme und Ent­ schiedenheit ihre Geneigtheit zum Frieden und ihre Bereitwilligkeit, zum Zustandekommen desselben auch activ mitzuwirken, sobald sich Aussichten dazu unter einem friedliebenden Papste bieten würden. UebeY die Be­ dingungen eines solchen Friedensschlusses, der seine Voraussetzung und seine Grundlage in der vervollständigten Staatsgesetzgebung finden sollte, waren damals irgend welche Andeutungen selbstverständlich nicht möglich. Sehr bald, nachdem mit der Wahl Leo'S XIII. günstigere Aussichten, zu einem annehmbaren Frieden zu gelangen, eröffnet schienen, und der Papst durch sein Schreiben vom 24. März 1878 an den Kaiser mit der An­ deutung, eine andere Politik als Pius IX. gegen Deutschland befolgen zu wollen, einen entgegenkommenden Schritt gethan hatte, begannen schon im Sommer 1878 die ersten Annäherungsversuche durch die persönliche» Besprechungen des Reichskanzlers mit dem päpstlichen Nuntius in Kissingeu und Gastein. Ueber den Verlauf und den Inhalt derselben ist nicht» be­ kannt. Rur in einem Erlaß deS Reichskanzlers an den deutschen Bot­ schafter in Wien vom 20. April 1880, welcher zusammen mit andern Gor« respondenzstücken gelegentlich der Berathung der Puttkamcr'schen Novelle an den preußischen Landtag gelangte, findet sich die Aeußerung: „Ich

19 habe die Rückkehr zu der Gesetzgebung von vor 1840 im Prinzip für an­ nehmbar erklärt, die Rückkehr zu dem von 1840 bi- 1870 erwachsenen Zustand aber stet- mit großer Bestimmtheit abgelehnt." Eine einfache Rückkehr zu der älteren Gesetzgebung war unter den völlig veränderten Verhältnissen sicher niemals beabsichtigt, sondern mit dem Hinweis auf dieselbe wohl nur gemeint, man muffe materiell auf den gleichen Garan­ tteen bestehen, wie sie durch jene dem Staat geboten waren, und dawürde zur Aufrechterhaltung de- wesentlichen materiellen KernS der Falk'schen Gesetzgebung führen, mit dem Vorbehalt, an dem Formellen, an mehr oder weniger Nebensächlichem, an Ausführung-bestimmungen man­ cherlei, vielleicht nicht unwichtige Aenderungen zu treffen. Jedenfalls war die abwartende Stellung de- Staats hinter dem sichernden Bollwerk seiner Gesetze, bis die Kirche von der Erfolglosigkeit ihres Widerstandes über­ zeugt, sich thatsächlich fügen werde, aufgegeben und der Versuch unter­ nommen, auf dem Weg gegenseitiger Konzessionen zu einer Verständigung zu gelangen. Auch über den Inhalt der, wie eS scheint sehr ausführlichen Erörterungen, welche in Verfolgung dieses Planes zwischen Bevoll­ mächtigten der preußischen Regierung und dem päpstlichen Nuntius in Wien vom Herbst 1879 bis in das Frühjahr 1880 stattfanden, wissen wir nicht» Genaueres. Nur in formeller Beziehung wird in einem, zu der oben erwähnten Correspondenz gehörigen Bericht deS deutschen Bot­ schafter- vom 16. April 1880 mitgetheilt, man sei in Rom weit davon entfernt, den Abschluß eine» ConcordatS zu verlangen, habe auch schon darauf verzichtet, den Schluß der Verhandlungen durch einen Notenaus­ tausch zu konstatiren und werde sich damit begnügen, daß, wenn eine Einigung erfolgt sein werde, seiten» der königlichen Regierung die Vor­ schläge für eine Abänderung der Maigesetze dem preußischen Landtage vorgelegt würden, m. a. W. e- war nur eine thatsächliche Verständigung in Aussicht genommen, deren Inhalt dann, soweit die Zustimmung des Landtages dazu zu erreichen sein würde, durch selbstständige Staat-gesetze in'- Leben gerufen werden sollte. Ueber den Inhalt der von dem Staat eventuell zu machenden Konzessionen giebt die erste Rede, mit welcher Kultusminister v. Puttkam er seine Vorlage bet dem Abgeordnetenhaus einführte, einigen Aufschluß, indem er al- äußerste Anerbietungen der Regierung, die aber als vollkommen ungenügend zurückgewiesen seien, z. B. die Beschränkung der Berufung gegen kirchliche Diöciplinarerkenntntsse auf die Fälle der Entsetzung oder Suspension vom Amt, Erleichte­ rungen für die Krankenpfleger-Orden u. s. w. bezeichnete. Die Verhandlungen wurden bekanntlich im SDZm 1880 abgebrochen, ohne daß die Regierung, mit ihren bekannt gewordenen, vielleicht auch

20 noch weiteren der Oeffentlichkeit nicht mitgetheilten positiven Angeboten einen Erfolg erzielt halte. DaS Berlrauen des Kanzlers scheint durch die Haltung deS Centrums im Reichstag und prerißischen Landtag erschüttert worden zu sein; er hatte, wie er in den Erlassen vom 20. April und 14. Mai ausspricht, auf die Unterstützung, welche die Regierung im Som­ mer 1879 bei der Tarifreform durch daS Centrum erfahren, die Hoffnung auf günstigeren Erfolg der Verhandlungen mit Rom gestützt ; er hat dieses Bertraucn verloren, weil er das Centrum, auf welches die römische Curie unzweifelhaft einen bestimmenden Einfluß zu üben vermöge, in allen auch die Kirche nicht berührenden Fragen, dem Militäretat, dem Socialisten­ gesetz, den Steuervorlagen auf dem Reichstag, der Eisenbahnfrage, dem Schanksteuergesetz, der polnischen Frage im Landtag, wie einen Mann gegen die Regierung stimmen sah. Der unmittelbare Grund des Scheiterns der Verhandlungen lag darin, daß der Papst seinen in seinem Schreiben an den früheren Erzbischof von Cöln vom 24. Februar 1880 enthaltenen Ausspruch, die Anzeige der zu geistlichen Aemtern zu ernennen­ den Kleriker können zugelassen werden, zunächst an die weitestgehenden Bedingungen knüpfte (Zusicherung, die preußische Gesetzgebung in Ueber­ einstimmung mit den Grundsätzen der katholischen Kirche zu bringen!), die Anzeigepflicht und da- staatliche Einspruchsrecht auf inamovible Pfarrer beschränkte und das letztere bei einer Meinungsverschiedenheit zwischen der Regierung und dem Bischof der Entscheidung deö Papstes unterordnete. (Bericht des deutschen Botschafters vom 29. März 1880.) Die Regierung hatte dagegen schon durch Ministerialbcschluß vom 17. März 1880 festgestellt, der erwähnten päpstlichen Kundgebung sei, so lange Zweifel über deren Congruenz mit den bezüglichen staat-gesetzlichen Borschriften bestehen, so­ wie in Anbetracht deö in ihr zu Tage tretenden Mangel- an einer be­ stimmten, die Erfüllung der gesetzlichen Anzeigepflicht sichernden Anordnung vorerst nur ein theoretischer Werth bcizumessen; sie erwarte, daß der ver­ söhnlichen Absicht de» Papste- praktische Folge gegeben werde, und werde, sobald sie den sichtlichen und in Thatsachen ausgedrückten Beweis hierfür in Händen habe, sich bemühen, von der Landeövertrctung Vollmachten zu freierer Anwendung der betreffenden Landesgesetze zll gewinnen. Un­ mittelbar nach dem Abbruch der Verhandlungen mit der Curie wurde so­ dann abweichend von diesen im März ausgesprochenen Absichten dem Landtag im Mai der Entwurf der Novelle von 1880 vorgelegt, um un­ abhängig von allen Verhandlungen mit Rom nnd ohne Rücksicht auf Gegenkonzessionen au- freier Entschließung im Interesse der katholischen LandcSangehörigen bessere kirchliche Zustände herbeizuführen oder anzu­ bahnen, jetzt in eventuellem Gegensatz gegen daS Centrum, dessen ablehnende

21 Haltung von vornherein als Möglichkeit in'S Auge gefaßt war (Erlaß an den deutschen Botschafter in Wien vom 20. Mat 1880). Diese- Zurück­ ziehen de- Staate- auf sich selbst war übrigen- nur formell und temporär. Die Regierung suchte wesentlich nur die gesetzliche Möglichkeit für die Akte, welche sie zu Herbeiführung eine- Au-gletch- für nothwendig oder förderlich hielt, zum Voraus zu gewinnen, ehe mit der Kurie eine Ver­ ständigung über deren wirkliche Vornahme und die dagegen zu gewährende Gegenleistung erzielt war, sie beabsichtigte aber von Anfang an, gestützt auf die wirklich gesetzlich gegebene, nicht mehr erst zu erwirkende Mög­ lichkeit, von gewissen Vorschriften der bestehenden Gesetzgebung abzusehen, die Verhandlungen mit der Curie wieder aufzunehmen und hat die- auch bekanntlich wieder gethan. Immerhin war momentan der Standpunkt, auf Grund von Verhandlungen pari passu vorzugehen, verlassen und eine erste ändernde Hand an die bestehende kirchenpolitische Gesetzgebung ge­ legt, ohne daß eine Vorleistung der Curie im Sinne der Staat-Ministerial­ entschließung vom 17. März stattgefunden hatte. Die sichtbaren Früchte der Wiederaufnahme der Verhandlungen mit Rom sind die Wiederherstellung einer regelmäßigen diplomatischen Ver­ tretung Preußen- bei der Curie und die Besetzung einer Reihe erledigter Bi-thümer, sei e- mit Bischöfen, sei eS mit BiSthumSverwesern. Erstere war ursprünglich als eine Konzession an die Kurie in'S Auge gefaßt; nach einem Bericht deS deutschen Botschafter- in Wien vom 15. April 1880 wurde in Rom zwar ein hoher Werth auf dieselbe gelegt, ohne daß man aber dort geneigt scheine, einen Preis dafür ;u> bezahlen, worauf hin der Reichskanzler in der Depesche vom 20. April die Absicht aussprach, von Errichtung einer Gesandtschaft bei der Curie Umgang zu nehmen; jetzt ist eS dennoch und zwar ohne Gegenleistung Seitens der letzter« dazu ge­ kommen, weil man es dem eignen staatlichen Interesse entsprechend fand. Die Wiederbesetzung verschiedener Bi-thümer ist auf dem Weg direkter Verhandlungen mit Rom überraschend leicht und schnell gelungen, freilich wurde aber auch nicht auf der sofortigen Erfüllung der Anzeigepflicht durch die neuen Würdenträger bestanden, während der Reichskanzler in dem Erlaß an den deutschen Botschafter in Wien vom 14. Mat 1880 eS zwar als die Hauptsache bezeichnet, die Ausübung der bischöflichen Functionen, sei eS durch die früheren Inhaber deS Amts, sei eS durch neue, wieder zu ermöglichen, aber beifügt: vorausgesetzt, daß dierinen wie die andern die Anzeigepflicht erfüllen. Die neu eingesetzten Bischöfe und BiSthumSverweser haben zwar diese Anzeigepflicht nicht ver­ letzt, natürlich, weil sie eS ohne in Strafe zu verfallen und sofort die alten Conflicte wieder heraufzubeschwören nicht konnten, sie haben dieselbe

22 aber auch nicht befolgt und lieber die verwaisten Pfarreien nach wie vor verwaist gelassen. Dieser blos negative Gehorsam war schwerlich gemeint und ist jedenfalls werthloS. sieben den Verhandlungen mit Rom — ob auch unabhängig von denselben, ist zur Zeit nicht zu erkennen — setzte die Regierung ihre Be­ mühungen fort, auf dem Weg der selbstständigen Staatsgesetzgebung den Frieden mit der Kirche anzubahnen. Der Standpunkt, welchen bei Ver­ theidigung der neuen Vorlage der Kultusminister v. Goßler einnahm, ist aber von dem, auf welchen zwei Jahre vorher der damalige Kultus­ minister v. Puttkamer sich gestellt hatte, merklich verschieden. Wäh­ rend dieser für die Regierung jede Verantwortung an den entstandenen Wirren nachdrücklich ablehnte und auf den Widerspruch deS Centrums verstärkend hinzufügte, sie wisse ganz sicher, daß diese Verantwortung auf anderen Seiten beruhe, erklärt sich der Kultusminister v. Goßler von der historischen Auffasiung beherrscht, daß der Kampf nicht künstlich ge­ schaffen und gemacht, sondern mit einer gewissen Näturnothwendigkeit er­ wachsen ist, und will sich für seine Person an den Bemühungen nicht bcthciligen, welche dahin gerichtet sind, festzustellen, ob nicht in gewissem Maße irgend einem Factor ein Verschulden zur Last gelegt werden könnte; und während Hr. v. Puttkamer erklärt hatte, die Grundlinien der Regulirung deS GränzgebietS zwischen Staat und Kirche seien für Preußen durch die Gesetzgebung von 1873—75 unwiderruflich gezogen, lehnte sein Nachfolger bei den Kommissionsverhandlungen eine ähnliche Erklärung ab, weil man sich vorher erst über das, was unter Grundlinien zu verstehen sei, zu verständigen habe, und wollte, wenn auch zur Zeit mehr als die Vorlage nicht gegeben werden könne, doch dem Lande die Hoffnung auf eine weitere, von ihm nicht umgränzte, Revision der Mai­ gesetze nicht entziehen. ES handelt sich hier doch wohl um stärkere Unter­ schiede als nur um die verschiedene Ausdrucksweise zweier verschiedener Personen, und die Differenz hört dadurch nicht auf, eine solche zu sein, daß die Regierung, welche im Jahre 1880 auf die Gegnerschaft deS Cen­ trums gefaßt war, im Jahre 1882 auf seine Unterstützung sich angewiesen sah und deshalb Rücksicht auf dasselbe nehmen mußte. ES bleibt doch immer die Thatsache übrig, daß die Regierung ganz in Uebereinstimmung mit der geänderten Ausdrucksweise ihrer Vertreter, nicht etwa blo» ein­ zelne Anträge, für welche eine Majorität nicht zu erhalten war, fallen ließ, sondern durch Beseitigung deS Kulturexamens und durch Zulassung der recht verfänglichen Fassung deS sogenannten BischofSparagraphcn jetzt posilive Konzessionen machte, um welche sich daS Centrum früher vergeb­ lich bemüht hatte.

23 Bet einem Rückblick auf den Entwickelungsgang, welchen die kirchen­ politische Frage seit der Falk'schen Gesetzgebung und dann seit dem Be­ ginn der AuSgleichSverhandlungen im Sommer 1878 genommen hat, ist nicht zu verkennen, daß der Weg der Regierung nicht immer in gerader Linie verläuft; ihr deshalb den Borwurf unsichern Schwanken» zu mache», wäre aber unbegründet. Seit dem Sommer 1878 ist sie, sei c» weil sie mit dem damals zur Regierung gelangten jetzigen Papst leichter als mit seinem Vorgänger glaubte sich verständigen zu können, sei e» weil sie von Beseitigung der kirchlichen Streitigkeiten eine günstige Rückwirkung auf die unerträglich gewordenen socialdemokratischen Wühlereien sich versprach, zu dem Entschluß gekommen, den Kirchenkonflikt wenn irgend möglich auS der Welt zu schaffen, und diesem Entschluß ist sie seither unbedingt treu geblieben. Ihre Geduld erlahmte nicht an den übertriebensten Forderun­ gen und der hartnäckigsten Zurückhaltung der Curie; sie scheute nicht zurück vor der Unpopularität ihrer Vorschläge und dem Mißtrauen, welchem sie mit denselben bei den verschiedensten Parteien begegnete; sie verstand eS, eine Reihe ihrer nächsten gesetzgeberischen Ziele mit Hülfe von Majoritäten, die sich auS ganz entgegengesetzten Elementen zusammen­ setzten, zu erreichen, und mußte sie auch dabei ihre Stellung im Einzelnen mehrfach wechseln, auf manche Wünsche verzichten und manche Konzessionen machen, die sie vielleicht lieber nicht gemacht hätte, so hat sie doch ihrem letzten Zweck nie etwa» vergeben. Auch war nicht nur die Absicht, übet» Haupt den gestörten Frieden mit der Kirche gegebenen Falls wieder zu suchen, selbstverständlich immer vorhanden, sondern eS lag auch der Weg, auf welchem jetzt diesem Ziel entgegengestrebt wird, schwerlich je­ mals ganz außerhalb deS Gedankenkreise» dcS leitenden Staatsmannes in Deutschland und Preußen. Dem Minister Falk war und ist wohl die kirchenpolttische Frage eine absolute Prtnzipienfrage von so fundamentaler Bedeutung für den deutschen Staat, daß jeder Wechsel in der Stellung­ nahme zu derselben auSgeschlosien ist; dem Kanzler dagegen scheint sie mehr alö eine politische Machtfrage sich darzustellen, welche je nach den wechselnden Umständen eine verschiedene Betrachtung»- und Behandlungs­ weise zulasse. Er hat den „friedlichen" Zuständen der fünfziger und sechziger Jahre sein Lob zu oft und zu reichlich ertheilt, als daß ihm die­ selben an sich al» bedenklich und verwerflich erscheinen könnten, und wenn er in dem mehrerwähnten Dcpeschenwcchsel wohl die Zustände von vor 1840, aber nicht die von 1840—1870 als annehmbares Vorbild hin­ stellt, so ist als der Haupteinwand gegen die letztern in seinem Sinne wohl nur der zu betrachten, daß dem Staat die erforderlichen Rechte imb Machtmittel fehlten, um die Kirche zu einem politisch genehmen oder we-

24 nigstenS nicht direct konträren Gebrauch ihrer im Uebrigcn ihr gegönnten Machtstellung veranlassen zu können.

Er war sofort nach der Gründung

deS Reichs auf die Ultramontanen als eine ihm und der neuen Schöpfung feindlich gegenüber stehende Partei gestoßen;

er sah dieselben im engste»

Eonnex mit der Kirche, deren Interessen vertretend und durch ihre Macht unterstützt und getragen, und da die Erfahrung zeigte, daß die Kirche sich eine Position geschaffen hatte,

in welcher sie ohne Gefahr für sich eine

dem Staat politisch gegnerische Partei unterstützen eben diesem Staat

entgegengesetzten

unb für ihre eignen

Interessen verwerthen

zu

können

glaubte, schritt er gegen daS Uebermaß der den Staat unmittelbar ge­ fährdenden kirchlichen Machtstellung ein.

Er wird,

darüber kann Jeder­

mann beruhigt sein, an Rechten und Macht der Staatsgewalt gegenüber der Kirche unter allen Umständen soviel wahren, als er für nöthig hält, um die Curie jeder Zeit bestimmen zu können, die ihr ergebene kirchliche Partei wenigstens nicht in direkte Gegnerschaft gegen den Staat gerathen zu lassen; mehr war wahrscheinlich nie beabsichtigt,

und ob der Kanzler

sich jemals die Aufgabe gestellt hatte, die Frage des BerhältnisfeS deS Staats, speciell des

deutschen Staats zu der römischen Hierarchie als

solche zur Lösung zu bringen oder auch nur ihrer Lösung systematisch cntgegenzusühren, darf mindestens bezweifelt werden. sich das Wechselvolle

So aufgefaßt erklärt

in der Stellung der Regierung zu den kirchliche»

Streitigkeiten sehr natürlich und cd begreift sich, daß sie die Beseitigung deS an sich verderblichen und politisch in jeder Beziehung hinderlichen KirchenconfliktS selbst

um den

Preis

einem principielleren Standpunkt fragt es sich,

von Opfern erstrebt,

aus als

unzulässig

welche von

erscheinen.

Rur

ob dieser principiellere Standpunkt, welchen seine Gegner

gern als einen doctrinären verschreien, in der kirchenpolitischen Frage nicht auch der praktisch allein richtige ist.

DaS ultramontane System — und

um dessen mehr oder minder beschränkte Zulassung handelt es sich — ist mit unserm Staat so absolut unvereinbar, daß ein Compromiß mit ihm unmöglich ist tmd praktisch

immer nur zur Stärkung deS unerbittlichen

Gegners führt, und in dem bisherigen Verlauf deS preußischen KirchenstreiteS kann man leider nur eine neue Bestätigung dieser alten Wahr­ heit finden.

Während die deutsche Diplomatie seit einem Jahrzehnt eine

ununterbrochene Reihe der großartigsten Erfolge zu verzeichnen hat, scheint ihr in Rom daS Glück bis jetzt sich versagt zu haben und eS drängt sich die Frage auf, ob der Curie gegenüber der Staat nicht zu seinem Nachtheil allzu sehr in die Rolle der werbenden Partei sich drängen ließ und ob er dabei nicht mehr als wünschenSwerth die bestimmende Direktive für den Gang der Dinge verloren hat.

Der Staat hat bereits eine Reihe zum

25 Theil schwerwiegender

Konzessionen gemacht, darunter auch solche, die

besser überhaupt nicht gemacht worden wären; er ist dadurch seinem Ziel, einen FricdenSstand mit der Kirche unter staatlich annehmbaren Bedin­ gungen zu erreichen, vielleicht näher gerückt; eine Sicherheit dafür, daß die gebrachten Opfer nicht vergebliche sind, besteht aber nicht. als selbstständige StaatSacte sich darstellenden bisherigen rungen

können und sollen

Die formell GesetzeSände-

auch nach der Absicht der Urheber, für sich

allein zu dem erstrebten Ziel nicht hinführen, sie stehen materiell in un­ trennbarem Zusammenhang mit den fortgesetzten Verständigungsversuchen mit der Curie; zu einer greifbaren Gegenleistung dieser ist eS aber bis jetzt nicht gekommen, eine irgend wie bindende Zusage derselben scheint nicht erlangt, ist jedenfalls nicht bekannt geworden. eine Ziel

ins Auge faßt, zu

Curie zu gelangen,

Wenn man nur da­

einem acceptabeln Friedensstand mit der

mag die Freiheit, mit welcher die Regierung ihre

Stellung nach dem Bedürfniß der jeweiligen Lage änderte, große taktische Vortheile geboten haben, nur steht diesem Gewinn der Nachtheil gegen­ über,

daß

jede solche Aenderung den inneren Staatözustand selbst, um

dessen Sicherung eS sich handelt, ins Schwanken bringt.

Läßt man statt

der Wahl des Bischofs durch das Kapitel die Ernennung desielben durch den Papst,

selbstverständlich im Einverständniß

mit der Regierung, zu,

so mag die- ein Mittel sein, um rasch zur Besetzung des BiSthumS mit einer persoua grata zu

gelange»;

die Diözesenverwaltung wird aber

dadurch, anstatt sie im Interesse deS Staats möglichst selbstständig z» er­ halten, möglichst

abhängig von Rom gemacht.

Wenn ein Bischof oder

ein BiSthumSverweser unter der stillschweigenden Verabredung zugelassen wird,

daß

eine Vergebung

geistlicher Aemter ohne vorhergehende Be­

nennung deS Candidaten an die Regierung zwar nicht stattfinden werde, daß aber die erledigten Aemter lieber nicht besetzt werden sollen, um nur der Anzeigepflicht nicht genügen zu müssen, so ist eine Diöcesenverwaltung, die freilich ihre wichtigste Function unerfüllt läßt, allerdings ohne direktes Preisgeben deS Staatsgesetzes hergestellt, gewahrt ist aber die Autorität dieses Gesetzes nicht.

Die entscheidende Frage, ob die rechtliche Stellung

der Kirche im Staat durch Staatsgesetze, wenn auch unter jeder thunli'chen Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse und Wünsche der Kirche, oder nur unter Mitwirkung und Zustimmung der letzteren zu regeln sei, kann eben

nicht

umgangen

werden.

Vorläufige Concessionen

an die Kirche

können dahin führen, daß diese sich leichter zu der ihr schließlich doch nicht zu erlassenden Gegenleistung, der Befolgung der Staatsgesetze, entschließt, sei eS weil ans diese Weise einzelne ihr anstößige Bestimmungen beseitigt werde», sei eS weil sic dadurch, worauf sie vielleicht noch größeren Werth

26 legt, bis zu gewissem Grade in die Rolle eines gleichberechtigten Pazis­ zenten einrückt.

Eben dadurch gewinnt sie aber eine über den unmittel­

baren Bereich der Concession hinauSreichende günstigere Position für sich und eS entsteht die Gefahr, daß

mit ihren Erfolgen auch ihre Begehr­

lichkeit wächst, und jedenfalls erleidet das StaatSintcreffe zunächst insofern eine Schädigung, als bestehende Staatsgesetze mit Rücksicht auf eine einst­ weilen nicht

zu

überwindende Renitenz gegen

irgend wie außer Vollzug gesetzt werden.

dieselben geändert oder

Das Vertrauen auf die unbe­

dingte Festigkeit des Staates ist durch den bisherigen Verlauf der Dinge in weiten Kreisen erschüttert,

und

sollten die jetzigen Ausgleichsversuche

nicht zum Ziel führen und er wieder zu einseitigem Vorgehen sich genöthigt sehen, so ist zu befürchten, daß er in einem neu entbrannten Kampfe nur eine merklich kühlere und vorsichtigere Unterstützung als in dem früheren finden würde. Die bisherigen Aenderungen der Falk'schen Gesetzgebung habe» die für ihr Zustandekommen ja unentbehrliche Zustimmung des preußischen Landtags gefunden; daß sie aber der adäquate Ausdruck der Anschauungen einer

constanten

und homogenen Majorität dieser Versammlung seien,

läßt sich nicht behaupten, setzte

sich doch die Mehrheit in den Jahren

1880 und 1882 sehr verschieden zusammen und gingen doch in beiden Jahren die zur Majorität vereinigten Gruppen durchaus nicht von iden­ tischen Gesichtspunkten aus.

Der Zustand, wie er durch die beiden No­

vellen geschaffen ist, entspricht nicht nur deshalb, weil er in sich unfertig ist, den Wünschen keiner Partei vollständig; jede derselben hätte wohl die Gesetze etwas anders gewünscht, und jede denkt sich die Fortführung des begonnenen Werkes in anderer Weise.

Unzweifelhaft

am

geschicktesten

operirt und die größten Erfolge davon getragen habe» die Ultramon­ tanen, deren Taktik um so mehr Anerkennung verdient, alS ihre Lage namentlich im Jahre 1880 in der That eine recht schwierige war.

So

entgegenkommend gegen die Kirche die Regierung schon damals sich zeigte, der Centrumspartei stand sie eher abwehrend gegenüber; sie ließ von An­ fang an erkennen, daß sie eventuell

auch gegen dieselbe ihre Vorlage

durchzusetzen gedenke, und der ursprüngliche Inhalt dieser letzter», nach welchem eigentlich

die Anwendung

oder Nichtanwendung der gesammten

Maigesetzgebung in das Ermessen der Regierilng gestellt wurde, konnte in Verbindung mit den Anklagen gegen das Centrum, welche in den gleich­ zeitig veröffentlichten Depeschen des Kanzlers an den Botschafter in Wien enthalten sind, die Auffassung zu rechtsertige>t scheinen, cS solle der Ver­ such gemacht werden, die Kirche dazu zu bewegen, daß sie das Centrum Preis gebe oder vielmehr daffelbe, um den stets niöglichen Widerruf er-

27 langtet Concessionen zu verhüten, zu einer regierungsfreundlichen Haltung nöthige. Die plumpe Unmöglichkeit eines derartigen Plane- sprach stet» lich von Anfang an gegen die Wahrscheinlichkeit seine» Bestehen», und nachdem Minister v. Puttkamer gleich bei der ersten Berathung der Vorlage erklärt hatte, die Regierung werde sich auch bei zeitlich be­ schränkter Bewilligung der begehrten Vollmachten beruhigen, konnte von der Gefahr, ein System diScretionärer Gewalten für die Regierung an die Stelle fester gesetzlicher Normen treten zu sehen, nicht wohl mehr die Rede sein. Da» einmal erwachte Mi-trauen wirkte aber, wie die Ver­ handlungen deutlich erkennen lassen, 6t» zum Schlüsse derselben fort, und auch abgesehen davon war e» eine schwere Wahl für da» Centrum, ent­ weder durch Zustimmung zu den (nicht principiellen) Aenderungen an der Falk'schen Gesetzgebung diese thatsächlich anzuerkennen oder auf die sehr erheblichen Vortheile zu verzichten, welche die Novelle für ihre Sache in Aussicht stellte. Die Partei hat sich bekanntlich für da» letztere entschieden, nachdem sie sich überzeugt hatte, daß ihr principielle Concessionen nicht würden gemacht werden. Mochte sie immerhin darauf rechnen, daß da» Gesetz auch gegen ihre Stimmen zu Stande lomtnen werde, sie hat doch, da die Majorität schließlich auf nur zwei Stimmen beruhte, großen po­ litischen Muth bewiesen, freilich aber auch gezeigt, daß ihr der politische Vortheil principieller Wahrung ihre» Parteistandpunktes höher stand als die Beseitigung der von ihr so laut und so vorwurfsvoll beklagten kirch­ lichen Noth. Für das Zustandekommen des neuesten diesjährigen Gesetze» haben die Ultramontanen mitgewirkt und dadurch, da dasselbe eine Reihe von Bestimmungen der Novelle von 1880 wiederholt, thatsächlich aner­ kannt, daß sie auch für diese hätten stimmen können; sie haben aber die Gunst der Situation, nach welcher für da- neue Gesetz ihre Stimmen unentbehrlich waren, so vortrefflich auszunutzen verstanden, daß sie dem ihnen enorm vortheilhaften Bischof-paragraphen nur unter der Bedingung zustimmten, daß durch Beseitigung der wissenschaftlichen Staatsprüfung die erste wirkliche Bresche in die Falk'sche Gesetzgebung gelegt wurde und die Regierung ihre übrigen» dem kirchlichen Standpunkt entgegenkommenden Vorschläge über die Anzeigepflicht und da» staatliche Einspruchsrecht bei Besetzung geistlicher Aemter fallen ließ. Diese letzte Bedingung ist ganz besonder- charakteristisch; die Partei konnte ihre möglichst geringe Neigung zum Ausgleich und ihren specifisch römischen Standpunkt gar nicht schla­ gender beweisen al» dadurch, daß sie Vorschläge, welche die reguläre Wiederbcsetzung der Pfarreien zu erleichtern bezweckten und dazu sehr wohl geeignet waren, ohne Weiteres perhorre-zirte und deutlich ju er­ kennen gab, daß die Anzeigepflicht von der Curie zugestanden sein müsse,

28 ehe sie über ein dieselbe voraussetzende- Gesetz verhandeln könne oder wolle. DaS Zentrum kann sich rühmen, seiner SeitS so gut wie nichteoncedirt, sich die Hände in keiner Weise für die Zukunft gebunden, im Gegentheil seine Forderung absoluter Umkehr in der Staat-gesetzbung in der schroffsten Weise aufrecht erhalten und doch der Kirche den ganzen Gewinn der Gesetze von 1880 und 1882 gesichert zu haben. Die Deutschkonservativen sind diejenige Partei, welche den neuen Ge­ setzen, dem von 1880 in Gemeinschaft mit den Freikonservativen und den Nationallibcralen, dem von 1882 im Verein mit dem Centrum, am be­ reitwilligsten zustimmte und auch die weiteren Vorschläge der Regierung gern angenommen hätte, wenn eine Majorität dafür zu finden gewesen wäre. Die Partei ist sich vollkommen konsequent geblieben; sie ist be­ kanntlich seiner Zeit nur mit Widerstreben auf die Falk'schc Gesetzgebung eingegangen, au- welcher ein Theil von ihr sogar Anlaß zu secessionistischer Stellung innerhalb der Partei und zu entschiedener Opposition gegen den Reichskanzler genommen hatte. Kein Wunder also, daß Angesichts der in Folge jener Gesetzgebung hervorgetretenen Schwierigkeiten und bei der scheinbaren Umkehr de- Kanzlers die ganze Partei jetzt ihre alten Ueberzeugungen von der Nothwendigkeit de- Zusammengehen- von Staat und Kirche selbst um den Preis erheblicher Opfer von Seiten de- ersten zur Geltung j» bringen sucht, und daß innerhalb derselben jetzt die schär­ feren Elemente ein gewisse- Uebergewichl behaupten. Zu einer erneute» Spaltung ist e- bi- jetzt nicht gekommen, die alten Gegensätze traten aber doch in den Landtag-verhandlungen deutlich genug hervor; ein Theil der Partei wäre wohl zu viel weiter gehenden Konzessionen, auch zu solchen, welche die Regierung schwerlich zu machen Lust hat, bereit ge­ wesen, während für einen, andern Theil die Gränze de- Nachgeben- so ziemlich erreicht und derselbe entschlossen zu sein scheint, den wesentlichen materiellen Kern der bestehenden Kirchengesetzgebung nicht ohne WeiterePreis zu geben. Alle andern Parteien hatten gegenüber den Aenderung-vorschlägen der Regierung verschiedene Zweifel und Bedenken, welche einen Theil von ihnen schon zur Ablehnung der Novelle von 1880 und alle zu der deneuesten Gesetze- führten; im Uebrigen nehmen sie untereinander sehr verschiedene Standpunkte ein. Die Freikonservativen scheinen von der Ansicht au-zugehen, die Falk'sche Gesetzgebung lasse sich in ihrer scharfen Geschlossenheit nicht aufrecht erhalten und sind demnach allen mildernden vermittelnden Vorschlägen geneigt, machen aber in lebhafter Empfindung für die Gefährdung der Staat-autorität durch zu weit getriebene Nach­ giebigkeit gegen die Kirche weitere Concessionen an dieselbe, so weit thun-

29 lich, davon abhängig, daß sie vorher die bestehen bleibenden Gesetze that« sächlich befolge.

Die Fortschrittspartei vertritt ihre alte These der Tren­

nung von Staat und Kirche, hat aber namentlich während der diesjährigen Verhandlungen bei aller Betonung montanem Kirchenthum

ihres scharfen Gegensatze- zu ultra­

praktisch dem Centrum

so entgegenkommend sich

erwiesen, daß die Deutschkonservativen zeitweise fast gefürchtet zu haben scheinen, dieses könne statt mit ihnen mit dem Fortschritt ein Bündniß eingehen. frühere

Die sogenannte liberale Vereinigung, linke Flügel der ungetrennten

im

Wesentlichen

der

nationalliberalen Partei hat die

Novelle von 1880 als einen zu starken Eingriff in die Maigesetzgebung enthaltend' abgelehnt, auch neuerdings gegen die diesjährige Vorlage ge­ stimmt, scheint aber von dem Gesichtspunkt aus, daß jene Gesetzgebung die formalen Freiheit-rechte zu sehr beeinträchtige, einer umfassenden Re­ vision derselben nicht abgeneigt. Nur die sehr zusammengeschmolzene Schaar der Nationalliberalen hält noch im Wesentlichen an dem Falschen System fest, aber auch hier hat da- Wort von der Revisionsbedürftigkeil mehr willige Ohren gefunden, als mit der Erhaltung jenes System- ver­ träglich ist. Der kühne

Wurf der Falk'schen

Gesetzgebung hätte nur dann ge­

lingen können, wenn der Curie die Ueberzeugung sich aufgedrängt hätte, daß für Jahrzehnte, für alle absehbare Zeit, jede Aussicht auf Aenderung schlechthin ausgeschlossen sei; mit den als unabänderlich erkannten That­ sachen hat sic von jeher sich abzufinden verstanden, daß aber die Dinge in Preußen-Deutschland so nicht lagen, hat man in Rom mit gewohntem Scharfblick.nur allzu frühzeitig erkannt. ganz allein,

Im Jahre 1880 war eS Falk

der den Standpunkt vertrat, die bestehende Gesetzgebung

müsse um ihrer selbst willen absolut intact wenigstens bis dahin erhalten werden, daß die Curie derselben thatsächlich sich unterwerfe.

Niemand

selbst unter den entschiedensten Vertheidigern dieser Gesetzgebung mochte sich entschließen,

so weit zu gehen und damit praktisch die Ueberzeugung

von der Richtigkeit seines theoretisch allerdings mehrfach gebilligten Aus­ spruchs zu bethätigen,

schon der bloße Vorschlag von Aenderungen sei,

weil er die Möglichkeit derselben declarire, machender Fehler.

ein

nicht

wieder gut

zu

Aber schon viel früher, zu einer Zeit als Falk noch

an der Spitze des CultuSministeriumS stand, hatte LaSker in einer seiner Zeit viel besprochenen Rede zu einer Versöhnlichkeit und einem FriedenSbedürfniß sich bekannt, welche den Gegner nur zum Ausharren in seinem Widerstand crmuthigen tonnten, und vergegenwärtigt man sich, wie viele Bedenken und Vorbehalte von den verschiedensten Seiten her, nicht blos von grundsätzlichen Widersachern, der Maigesetzgebnng vom ersten Anfang

30 an entgegengehalten wurden, so erklärt eS sich, daß der Gegner nie daran glaubte, der Nation stehe der Entschluß unerschütterlich fest, jene Gesetz­ gebung durchzuführen, unbeirrt durch die bei dem Kampf ja unvermeid­ liche Beängstigung deS kirchlich frommen Sinn-, unangefochten von allen Zweifeln und Bedenken, ob auch jede Einzelheit richtig sei, resignirt, auf jede wirkliche oder vermeintliche Verbesserung zu verzichten, Hauptschlacht nicht gewonnen

war.

einzelne Schuldige zu suchen,

mit

sation,

welche

bei

so lange die

ES wäre vergeblich und ungerecht, der wachsenden kirchlichen Desorgani­

größerer Vorsicht von Seiten deS Staats

engere Grenzen hätte beschränkt werden können,

wuchs

wohl auf

auch im Schooß

der Nation die Unsicherheit,

ob man, wenn man auch das richtige Ziel

verfolge,

oder im Einzelnen mit unrichtigen Mitteln

nicht

im Ganzen

operire, und an die Stelle der hochgespannten Erwartungen, mit welchen die Falk'sche Gesetzgebung begrüßt worden war, trat in immer weiteren Kreisen

ein

Gesetz,

unter

gewisse- MiStrauen gegen daS um seine Existenz ringende welchem dasselbe unterliegen mußte.

Und außer mit der

stets wachsenden inneren Unsicherheit hatte die kirchenpolitische Frage von Anfang an mit einer ganz eminenten äußeren Schwierigkeit zu kämpfen. Sie wurde dem Staat aufgenöthigt gleichzeitig mit der Begründung deneuen deutschen Reiche-, gelegt

wurde,

an

dem sofort in seine Wiege wieder die Aufgabe

welcher

das

alte Reich

zu Grunde gegangen war.

Deutschland imb Preußen konnten in diesem Moment noch schwerer als in jedem andern ertragen, daß ein Drittel oder ein Viertel der Bevölkerung verbittert zur Seite stehe und sich in den Parlamenten durch eine Partei vertreten laste, welche al» fest geschloffene Phalanx jeden Schritt zur Be­ festigung

und Weiterentwickelung

der neuen Schöpfung systematisch be­

kämpfte und numerisch stark genug war, anderen Parteien

für. da-

bei

jeder Differenz unter den

verneinende Votum den Ausschlag zu geben.

Wie man darum nur zögernd und widerstrebend den Kampf aufgenommen hatte, so mußte sich immer und immer wieder die Erwägung aufdrängen, ob nicht

der Friede

und

so

ein

selbst um den Preis von Opfern zu erkaufen sei,

kluger und weil blickender Mann,

Führer de- Centrum-,

mochte

wie

der welterfahrene

selbst in den Zeiten der schwersten Be-

drängniß seiner Partei die Hoffnung nie ganz aufgegeben haben, für die­ selbe um den Preis der von ihr bei andern Fragen zu gewährenden par­ lamentarischen Unterstützung schwer wiegende Concessionen auf kirchlichem Gebiet zu erlangen.

Selbst aus der auf dem Höhepunkt des Streits dem

Centrum ertheilten Warnung, seligen Führer zu wählen,

sich einen andern,

politisch

minder feind­

klang doch heraus, daß eS CompensationSob-

jrctc für die kirchlichen Forderungen gebe.

Die mächtige, pure »cgirende

31 Partei in da- politische Leben de- neuen Reich- hereinzuziehen, war in der That ein großer Gewinn, der eine- Opfer- werth erscheinen konnte, und dieser nicht abzuweisende Gedanke mußte geneigt machen, die prin­ cipielle, sich stete gleich bleibende Bedeutung der kirchenpolitischen Frage mehr in den Hintergrund zu drängen, um dem politischen Bedürfniß deAugenblickeS Rechnung tragen zu können. Schon in der Zulassung von Verhandlungen mit dem Ultram ontani-mu- liegt aber ein Gegensatz zu dem Falk'schen Standpunkt von viel größerer Tiefe und Bedeutung als alle Differenzen über einzelne Punkte, die immer wieder auf ihn als auf ihre letzte Quelle zurückführen, und jedenfalls wird gegenüber einer Be­ handlung der Frage nach politischer Opportunität die schon durch innere Bedenken und Zweifel bedrängte Falk'sche Gesetzgebung, welche auf einem andern Gedankengang beruht, unhaltbar. Sie konnte so, wie sie gedacht und geschaffen war, in ihrer geschlossenen Ganzheit nur dann sich durch­ setzen, wenn e- gewiß war, daß sie bi- zu ihrem endlichen Triumph um keiner Bedenken und um keiner ihr fremdartigen Rücksichten willen werde angetastet werden.

Aussichten. Die Ultramontanen sind zur Zeit Sieger. Nachdem ihnen schon die Novelle von 1880 gegen ihre formelle Opposition recht annehmbare Vor­ theile entgegengebracht hatte, ist durch da- ergänzende Gesetz von diesem Jahr mit ihrer Beihilfe und unter ihrer Führung in der vorbereiteten Rückkehr wenigstens einzelner der abgesetzten Bischöfe die praktisch wohl bedeutungs- und verhängnißvollste Concession gemacht und durch die Be­ seitigung deS sogenannten Culturexamenö die Falk'sche Gesetzgebung in einem für daS ganze System derselben wichtigen Punkte durchbrochen. Auch wenn die Regierung ihre Geneigtheit zu weiterem Entgegenkommen nicht angedeutet hätte, müßte ein solche- nach der natürlichen Logik der Dinge erwartet werden, und die Ultramontanen sehen der Zukunft mit um so größerer Zuversicht entgegen, als sie glauben, dieselbe beherrschen und nöthigen Falls selbst gegen ein gewisse» Widerstreben der Regierung derselben noch weitere Zugeständnisse abringen zu können. Da- Centrum ist zur Zeit in der That — und darin liegt unzweifelhaft sein größter Erfolg — int Reichstag wie im preußischen Landtage die entscheidende und den Gang der Dinge activ bestimmende Partei, soweit von einer solchen unter unsern Verhältniffen überhaupt die Rede sein kann, und die römische Curie mag sich brüsten, den leitenden deutschen Staat thatsächlich zu dem Anerkenntniß genöthigt zu haben, daß ihre Mitwirkung zur Ord­ nung der Verhältnisse, welche er vor einem Jahrzehnt selbstständig zu

32 regeln unternommen hatte, nicht entbehrt werden kann.

Sc günstig aber

die Aussichten des UltramontaniSmuS zu liegen scheinen,

so

wird doch

wahrscheinlich seine Erndte um ein erhebliches geringer ausfallen, als er jetzt sich vorspiegeln mag.

Man kann die Kirchenpolilik deS Reichskanzlers

miSbilligen und finden, er sei in seinen Concessionen bereits zu weit gegangen und habe durch dieselben die Macht und daS Ansehen deS Staatgeschädigt, man darf aber daraus, daß er in einzelnen Punkten die von uns für richtig gehaltene Grenze übersprungen hat, nicht folgern, daß er überhaupt keine Grenze in seinen Concessionen kennen werde;

er müßte

nicht er selbst sein, wenn er von ihm selbst als unentbehrlich betrachtete Rechte des Staates Preis gäbe oder über das schlechrhin für den Staat Unentbehrliche sich irrte.

Er schrieb am 20. April 1880 an den deutschen

Botschafter in Wien: „Wenn man (in Rom) geglaubt hat, daß wir nicht blos abrüsten, sondern unsere Waffen

im Wege der Gesetzgebung ver­

nichten wollten, so hat man uns eine große Thorheit zugetraut, wozu ich durch keine meiner Aeußerungen Anlaß Grund zu der Bcsorgniß vorhanden,

gegeben habe", und es ist kein

daß die Regierung

diesen Stand­

punkt im Großen und Ganzen verlassen wird, wenn sie auch namentlich durch daS diesjährige Gesetz einzelne ihrer Waffen, welche sie für minder wesentlich halten mochte, in der That vernichten ließ.

Bon diesem Stand­

punkt aus wird aber die Grenze für eigentlich sachliche Concessionen ziem­ lich nahe liegen. So wahrscheinlich die Falk'sche Gesetzgebung formell zerfallen wird, so wahrscheinlich wird da- Wesentliche ihres materiellen Inhalt- in Gel­ tung bleiben.

Gleich die ersten Grund legenden Bestimmungen derselben

über die persönlichen Erfordernisse zur Bekleidung eine- geistlichen Amtwerden sachlich nicht

wieder

aufgegeben werden.

Der Staat kann un­

möglich darauf verzichten, bei der Besetzung der geistlichen Aemter, welchen

eine

ganz

ausgeht, wenigsten-

eminente Einwirkung insofern

von

auf da- gesammte BolkSleben

einen gewissen Einfluß auszuüben, als er

Bedingungen (deutsche Staatsangehörigkeit und einen bestimmten Bildungs­ gang) aufstellt, von welchen er die Zulassung zu dem öffentlichen Amt eineGeistlichen abhängig macht, und sich vorbehält, ungeachtet der Erfüllung dieser Bedingungen au- bestimmten Gründen (Berurtheilung zu gewissen Strafen oder staat-widrige- Berhalten) die Bewerber von dem Amte auszu­ schließen.

Aehnlichc Vorschriften, die sich ganz von selbst au- der Macht­

vollkommenheit des Staats ergeben, die staatlichen Voraussetzungen festzu­ stellen, unter welchen innerhalb seines Gebietes eine bestimmte öffentliche Thätigkeit geübt werden darf, bestehen so ziemlich in allen deutschen Län­ dern,

und auch daS preußische Pfandrecht hatte dem Staat analoge nur

33 sehr viel weiter gehende Rechte beigelegt, welche aber, wie e- scheint, in Folge einer miSverständlichen Auslegung der Berfassungsbestimmungen über die Selbstständigkeit der Kirche außer Anwendung gekommen waren. Vielfach besteht hinsichtlich der dem Staat bei Besetzung geistlicher Aemter zukommenden Rechte in irgend einer Form eine Verständigung mit der Curie oder sie beruhen auf altem geschichtlichen Herkommen, welches in den Augen der Kirche statt einer solchen dienen mochte. In Preußen machte man aber den Versuch, nachdem die historische Ueberlieferung ab­ gerissen war, die für den Staat al- nothwendig erachteten Rechte einfach durch Staatsgesetz und ohne vorhergehende Verständigung mit der Curie zu constituiren, woraus sich zur Genüge der erbitterte Widerstand gegen Einrichtungen erklärt, welche anderwärts in der Hauptsache ganz ebenso unangefochten bestehen und von der Kirche respectirt werden. Sie wird schließlich auch in Preußen sich fügen, ohne die Form deS selbstständigen staatlichen GesetzgebungSrechtS durchbrechen zu können. Auf ein Concordat oder ein auch nur in die losesten BertragSformen gekleidetes Abkommen scheint sie längst verzichtet zu haben; sie mag die Thatsache, daß die Durchführung de- staatlichen Rechts doch erst nach langen, mit Opfern für den Staat verbundenen Verhandlungen gelingen wird, statt formeller Vereinbarung gelten lassen; sie hat auf diesem Wege bereit- die Beseiti­ gung deS sogenannten Culturexamens erreicht und kann auf demselben hinsichtlich der Anzeigepflicht und des staatlichen Einspruchsrecht-, welche sie freilich schließlich wird zugestehen müssen, wohl auch noch andere, wenngleich nur nebensächliche und formelle Zugeständnisse um so leichter erlangen, als bei der gesetzlichen Formulirung diese- Punkte- in der That mancherlei Variationen unbeschadet wirklicher staatlicher Interessen mög­ lich sind. Fast möchte man sich versucht fühlen, die Etappen nachzuweisen, über welche man, wenn auch in weiten Windungen, dem Ausgleich in dieser brennendsten Frage zustrebt: da- tolerari posse in dem päpstlichen Breve vom 24. Februar 1880, da- zwar nur Theorie geblieben und schließlich zurückgenommen worden ist, aber doch immer ein bestimmteZiel al- erreichbar hinstellt; der Vorschlag de- diesjährigen Regierungs­ entwurfs, da- staatliche Einspruchsrecht in Uebereinstimmung mit der ur­ sprünglichen Falk'schen Vorlage mehr in dem Sinne der Zurückweisung der personae ingratac zu formuliren, wie e- in den meisten andern deutschen Gesetzgebungen von der Curie anerkannt besteht und selbst dem staatlichen Interesse besser entspricht als die jetzt vorgeschriebene, durchaus unzweckmäßige gerichtliche Entscheidung; die in Verbindung mit diesem Vorschlag erbetene Vollmacht für die Regierung, bei bloßen HilfSgeistlichen die Anzcigepflicht widerruflich zu erlassen; endlich das deutlich er3

34 kennbare Motiv, aus welchem das Centrum für jetzt auf Beseitigung der im Ganzen ja seinem Standpunkt entgegenkommenden Borschläge be­ stand, weil sie in Rom noch nicht zugestanden seien, womit anerkannt ist, daß sie zugegeben werden können und dann selbstverständlich auch bei der Partei nicht mehr auf Widerstand stoßen werden. Ei» zweiter fundamentaler Punkt betrifft daS Recht des Staates, einen Geistlichen, welcher Gesetze oder gesetzmäßig erlassene Anordnungen in Ausübung seines Amte- so schwer verletzt, daß sein Verbleiben in dem Amt mit der öffentlichen Ordnung unverträglich erscheint, au- demselben zu entfernen. Diese- Recht ist für den Staat so unentbehrlich, daß er, wo seine ordentliche Gesetzgebung e- ihm nicht bietet, äußersten Falldurch ein Specialgesetz es sich beilegen oder selbst ohne solches kraft seineRothrechtS handeln würde; er kann eben nicht dulden, daß ein Unterthan die ihm eingeräumte eminent einflußreiche öffentlich-rechtliche Stellung dazu mißbrauche, Krieg gegen ihn zu führen. Es ist deshalb nicht daran zu denken, daß die Regierung dieses ihr unentbehrliche Recht, da- jetzt gesetzlich genau geordnet ist, Preis geben werde, um cS bet drohender Gefahr wieder neu begründen zu müssen. Die Kirche wird dasselbe frei­ lich niemals anerkennen und wird, wo es ausgeübt wird, als ecclesia pressa mit Klagen und Anklagen nicht sparsam sein; sie kann aber prak­ tisch seine Geltendmachung nicht hindern und schon darum ist ein Gesetz, welche- zunächst doch nur theoretisch daS Recht der Regierung definirt, ohne es unmittelbar zur Anwendung zu bringen, für sie kein unüberwind­ licher Stein des Anstoßes. 3m Grunde genommen ist dieser Streitpunkt bereit- erledigt, wenigstens insoweit al» e» überhaupt möglich unb zur Herbeiführung eine» thatsächlichen Friedensstandes nothwendig ist. Da» Gesetz vom 31. Mai d. 3. behandelt die Unfähigkeit-erklärung eine» Geist­ lichen zu fernerer Bekleidung seine» Amt- durch staat-gerichtliche- Urtheil unter Zustimmung der Klerikalen, also auch wohl mit stillschweigender Connivenz der Curie, als eine zu Recht bestehende Institution; damit ist der Streit über da- Gesetz als solches, worauf eS einstweilen allein an­ kommt, erledigt, wenn auch die Anwendung desselben in seiner neuen Formulirung genau dieselben Schwierigkeiten wie in der früheren auf Ab­ setzung vom Amt lautenden veranlassen würde. Auch in der Richtung, daß die kirchliche DiSciplinargewalt nicht miß­ braucht werde, sind gewisse Schutzmittel unerläßlich. Bedarf die Kirche so gut wie jede andere Corporation einer solchen Gewalt über ihre zahl­ reichen Beamten und Diener, so ist sie doch, ebenfalls wie alle andern Corporationen, bei Ausübung derselben nothwendig der Controle des Staats unterworfen. Dieser kann, ohne seiner principalsten Aufgabe de-

35 Rechtsschutzes ungetreu zu werden, unmöglich der Pflicht sich entziehen, jedem seiner Angehörigen, der in seiner privaten RechtSsphäre, in seiner persönlichen Freiheit oder in seinem Vermögen widerrechtlich verletzt zu sein behauptet, rechtliches Gehör und eventuell rechtliche Hilfe zu gewähren. Dieser Grundgedanke der Falk'schen Gesetzgebung kann und wird nicht wieder Preis gegeben werden, wenn auch die Form, in welcher er äuSgeprägt wurde, daß nämlich die Entscheidung über da» angefochtene DiSciplinarerkenntniß mittelst einer gerichtlichen Procedur zu erfolgen und in ihrer Wirksamkeit auch auf den rein kirchlichen Inhalt de» Erkenntnisses sich °zu erstrecken habe, manchen Einwürfen ausgesetzt sein mag. Die Sache ist schon bei den Wiener Besprechungen erörtert worden und die Regierlmg scheint damals geneigt gewesen zu fein, die Berufung gegen kirchliche DiSciplinarerkenntnisse einigermaßen inconsequent auf den Fall zu beschränken, wenn kirchlicher SeitS auf Amtsentsetzung erkannt sei, al» wenn nicht auch z. B. durch Geldstrafen eben so empfindliche als unge­ rechtfertigte Nachtheile zugefügt werden könnten; und in dem Entwurf von 1880 war der andere übrigens abgelehnte Vorschlag gemacht, die Berufung gegen kirchliche DiSciplinarverfügungen solle nie direct dem Betroffenen, sondern nur der politischen Behörde, eventuell auf sein Ansuchen, zustehen, wobei politische Erwägungen als allein maßgebend betrachtet und die Rücksicht auf den Rechtsschutz ganz in den Hintergrund gedrängt ge­ wesen zu sein scheint. Die Kirche hat biS jetzt jeden recursus ab abusu perhorreSzirt; sie wird aber diesen Standpunkt, ganz abgesehen davon, daß sie anderwärts AehnlicheS zugegeben hat, nicht behaupten können, wenn der Staat sich einfach auf die natürliche alle» Wesentliche schätzende Position zurückzieht, daß kirchliche DiSciplinarerkenntnisse, welche irgend wie in die private Rechtssphäre eingreifen, gegen den Willen deS Be­ troffenen nicht ohne Staatsgenehmigung vollzogen werden dürfen. Einem solchen direkten gesetzlichen Verbot muß und wird die Kirche sich fügen, und wäre e» auch nur, weil sie nicht anders kann und unter Klagen über die ihr auferlegten Beschränkungen; äußersten Falls bleibt da» nicht frei­ willig befolgte Erkenntniß unvollzogen. Aehnlichen Beschränkungen wie die DiSciplinargewalt unterliegt naturgemäß auch der Gebrauch der allgemeinen kirchlichen Straf- und Zuchtmittel. Es versteht sich im Grund genommen von selbst, daß sie einen rein kirchlichen Charakter zu bewahren haben und daß durch die­ selben das Recht irgend Jemanden», auch de» kirchlich zu Tadelnden, nicht verletzt werden darf. Wenn aber der Staat ferner verbietet, kirch­ liche Straf- und Zuchtmittcl, selbst unter Einhaltung der angegebenen Grenzen, a»S dein Grunde zu verhängen, weil Jemand seine öffentlichen 3*

36 Wahl- oder Stimmrechte in bestimmter Richtung ausgeübt oder eine Handlung vorgenommen hat, zu welcher er staatlich verpflichtet ist, so er­ füllt er damit nur ein Gebot der Nothwehr, und es ist schwer zu ver­ stehen, wie die Regierung bei den Wiener Besprechungen eS für disku­ tabel erklären konnte, ob nicht die Verweigerung der Absolution, daS weitaus am stärksten wirkende unter allen kirchlichen Zucht- und Straf­ mitteln, unbedingt straffrei zu bleiben habe, auch wenn sie zu den oben angedeuteten Zwecken verwendet werde. Man denke sich den Fall, bei einer Mobilmachung gegen eine katholische, vom Papst unterstützte Macht, werde einem einberufenen Reservisten die Absolution verweigert, weiln er dem Ruf zur Fahne folge; kann irgend eine Regierung das dulden? oder würde eine unter der gleichen Drohung $u Stande gekommene Wahl von irgend einer nicht unbedingt durch Ultramontane beherrschten Volksvertre­ tung als gütig anerkannt werden? Es ist um so weniger Grund vorHanden, der Kirche in dieser Frage Concessionen zu machen, als ihr die Möglichkeit des Widerstandes fehlt; so gut sie den Kanzelparagraphen er­ trägt, wird sie wenn auch mit Widerstreben auch andere Strafbestim­ mungen hinnehmen und im großen Ganzen befolgen, welche ihr unbequem sein mögen, aber zum Schutz deS Staates und des öffentlichen Friedens nothwendig sind. Im Uebrigen ist die Falk'sche Gesetzgebung in ihren weit und juristisch fein auSgesponnenen Detailbestimmungen wesentlich darauf berechnet, den mehr und mehr sich versteifenden Widerstand der Kirche möglichst ein­ zuengen, ihr alle Auswege, auf welchen sie sich der' Erfüllung der StaatSgefetze zu entziehen suchte, zu verbauen, durch directe und indirecte Zwangs­ mittel sie zum Gehorsam zu nöthigen. Unter den Einzelvorschriften dieser Gesetzgebung finden sich manche an sich sehr werthvolle Cautelen, die auch unter einem friedlichen modus vivendi ihre Bedeutung behalten z. B. die Bestimmungen, welche darauf berechnet sind, die Zahl der nicht de­ finitiv angestellten Inhaber geistlicher Aemter nicht allzu sehr anschwellen zu lassen, und zu verhindern, daß nicht die-geordnete, fest gegliederte Pastoration in fluctuirende Missionen aufgelöst werde. In der Haupt­ sache sind aber die weiteren Falk'schen Gesetze nach ihrem Grund und ihrem Zweck mit Recht als Kampfgesetze bezeichnet worden, welche außer dem Kampf ihre Bedeutung von selbst verlieren, und wer ernstlich und ohne Hintergedanken die Herstellung eines Friedensstandes wünscht, wird am besten thun, im Vertrauen auf diese Thatsache die Gesetze an sich dahin gestellt sein zu lassen. Die Curie wird, so verlockend eS sein mag, der verhaßten Falk'schcn Gesetzgebung eine möglichst augenfällige Nieder­ lage beizubringen, doch deS kanzlerischen Wortes, der S:aat könne wohl

37 abrüsten, aber seine Waffen nicht vernichten, eingedenk sein und sich hüten, da wo eigentliche praktische Vortheile nicht zu gewinnen sind, den Prinzipienstreit allzu scharf und weit fortzuspinnen. UebrigenS ist auch auf dem hier in Frage stehenden Gebiet dem Ausgleich wesentlich vorgear­ beitet. Eines der größten Aergerniffe für die Kirche, die Bestimmung, daß in Ermangelung einer gesetzlich anerkannten Diözesenverwaltung geistliche Aemter durch den Patron oder die Gemeinde besetzt werden können, ist bereits beseitigt. Die Einstellung der Staat-leistungen an die Kirche hört mit der ordnungsmäßigen Besetzung aller Bi-thümer von selbst auf, dagegen wird in einem dritten Punkte wohl die Curie zum Nachgeben sich entschließen müssen. Die Regierung wird schwerlich den Einfluß auf die Auswahl eines BiSthumSverweferS wieder aufgeben, welchen sie dadurch gewonnen hat, daß eS von ihrem Ermessen abhängt, ob ihm der Eid auf die Staatsgesetze erlaffen werden soll oder nicht. Indem da- Centrum die Vollmachten, welche da- diesjährige Gesetz in Uebereinstimmung mit dem vom Jahr 1880 der Regierung ertheilt, auf eine möglichst kurze Frist beschränkte, hatte es wohl hauptsächlich eben diese Facultät im Auge, statt deren e» die unbedingte Aufhebung der Beeidigung deS BiSthumSverweferS auf die Staatsgesetze verlangt; ekönnte in zwei Jahren genöthigt sein, dieselbe ohne Zettbeschränkung zu erneuern, wenn die Kirche nicht vorziehen sollte, dem Staat auf die Aus­ wahl des BiSthumSverweferS den gleichen direkten Einfluß wie auf die deS Bischof- durch Zurückweisung der personae minus gratae einzu­ räumen. Was endlich noch das Verbot der geistlichen Orden mit Ausnahme derjenigen, welche sich der Krankenpflege widmen, betrifft, so wird man in Rom ohne Zweifel alle- aufbieten, um diese- Verbot rückgängig zu machen, wenigstens soweit wie irgend möglich zu durchlöchern, hoffentlich vergeblich. Die Gründe, welche die geistlichen Orden vermöge ihrer Or­ ganisation, vermöge der in ihnen bestehenden absoluten Abhängigkeit von ihren auswärtigen Obern, vermöge der sie beherrschenden, von ihren aus­ wärtigen Leitern bestimmten Tendenz für unseren heutigen Staat uner­ träglich machen, sind in den Motiven, von welche» der betreffende Gesetz­ entwurf seiner Zeit begleitet war, mit so ruhiger, überzeugender Klarheit dargelegt, daß man hoffen darf, et werde keine preußische Regierung sich zur Zurücknahme de- Verbots bereit finden lassen. Bei den Wiener Besprechungen scheint gegenüber der römischen Forderung der grundsätz­ lichen Zulassung aller Orden vorbehaltlich de- etwa mit päpstlicher Dul­ dung erfolgenden Ausschlusses einzelner, dieser Gesichtspunkt stritt festgehalten und nur in Aussicht gestellt worden zu fein', den Orden für

38 Krankenpflege einzelne Erleichterungen zu gewähren, was dann auch durch da- Gesetz vom 14. Juli 1880 bekanntlich geschehen ist. Wenn der CultuSminister v. Goßler bet den diesjährigen Landtagsverhandlungen mit sichtbarer Genugthuung auf die Erfolge diese- Gesetze» hinweist und namentlich mit Befriedigung hervorhebt, daß die Zahl der Neuaufzu­ nehmenden Dank den noch über da- Gesetz hinaus freiwillig gewährten Erleichterungen bereit- auf 700 gestiegen sei, so kann man allerdings be­ fürchten, daß die Gefahren, welche selbst mit diesen, im Uebrigen ja un­ bestreitbar sehr viel Gute» wirkenden Orden verbunden sind, ihm minder deutlich vorschwebten als seinem Borgänger, welcher seiner Empfehlung der Orden für Krankenpflege die nach hundertfältigen Erfahrungen nur allzu gerechtfertigte Beschränkung beigefügt hatte: so lange und so weit sie ihre Thätigkeit lediglich im Kreise diese- Zwecke- ausüben. Schlimm genug, wenn eine laxe Praxi- die in dieser Beziehung gebotene Vorsicht außer Acht lassen sollte; daß aber grundsätzlich in der praktisch eminent wichtigen Frage der geistlichen Orden Concessionen in Aussicht genommen seien, ist doch bis jetzt nirgends angedeutet, und es ist dazu um so weniger ein Anlaß vorhanden, als diese Frage für die Erreichung deS erstrebten modus vivendi jedenfalls nicht entscheidend ist. Verboten, deren Vollzug einfach durch Strafgesetze und polizeiliche- Einschreiten zu sichern ist, fügt man sich in Rom schließlich immer, mit dem Vorbehalt, sie so weit irgend thunlich zu umgehen, welche Kunst gerade auf dem in Frage stehenden Gebiet von jeher in reichstem Maße geübt totirbe. Der Kirchenstreit in Preußen ist in ein Stadium eingetreten, in welchem der Herbeiführung eine- für beide Theile annehmbaren modus vivendi unüberwindliche sachliche Schwierigkeiten nicht mehr im Weg stehen dürften. Die Geneigtheit der Regierung dazu ist nicht nur wieder­ holt und nachdrücklich ausgesprochen, sondern auch durch eine Reihe sehr schwer wiegender Thatsachen bekräftigt. Beweise einer gleichen Gesinnung bei der Curie sind bi» jetzt freilich nicht bekannt geworden, und man könnte die Besorgniß hegen, sie werde Angesicht- der Erfolge, welche sie ihrer bisherigen Zurückhaltung zu verdanken hat, noch wettere Concessionen zu erpressen suchen. Der Staat hat immer noch die einzige, für ihn wcrthvolle Gegenleistung, die Zulassung der kirchlichen Anzeigepflicht und deS staatlichen Einspruchsrecht» bei der Uebertragung geistlicher Aemter, zu erwarten, und da alle von ihm gebrachten Opfer, so lange dieses Ziel nicht erreicht ist, vergeblich sind, liegt die Versuchung für Rom nahe, die Forderungen für diese Gegenleistung, deren Unentbehrlichkeit für sich der Staat durch sein ganze» Verhalte» nur allzu deutlich anerkannt hat, immer höher zu spannen. Diese Gefahr ist mit de» einseitigen Vor-

39 leistungen dcS Staats in der That untrennbar verbunden, man wird die­ selbe aber doch nicht allzu hoch veranschlagen dürfen. Auch für die Curie steht, wenn der unternommene Au-gleich-versuch nicht zu Stande kommen sollte, sehr viel auf dem Spiel. Hat sie schon längst nicht ohne eine ge­ misst Wehmuth auf ein Concordat und auf jede- in irgend eine DertragSform eingekleidete Abkommen verzichtet, so wäre e» doch für sie ein sehr schwer wiegender Erfolg, dahin zu gelangen, daß die rechtlichen Ver­ hältnisse der Kirche in Preußen thatsächlich nicht durch einseitige- Staat-, gesetz, sondern nur unter ihrer Mitwirkung geordnet werden können und geordnet werden. Mag die Rolle de- gleichberechtigten Mitcontrahenten, welche die Curie dabei für sich zu gewinnen sucht, zu einem guten Theil auf bloßem Schein beruhen, sie weiß den Werth auch diese- Schein- für ihre Zwecke zu würdigen, und jedenfalls liegt in dem ganzen Vorgang, wa- für sie da- praktisch Entscheidende ist, eine drastische Anerkennung ihrer reellen Macht. Der Staat, welcher, um die Bestimmungen seiner Gesetze über die rechtliche Stellung der Kirche zur Durchführung bringen zu können, sich eben genöthigt sah, in äußerst schwierige und opfervolle Verhandlungen mit der Curie sich einzulasien, wird mit Recht Bedenken tragen, ohne die zwingendsten Gründe in neuen Conflict mit der Kirche zu gerathen; sie kann ziemlich sicher darauf zählen, bei allen seinen Ent­ schließungen ein beachteter Factor zu sein. Darin liegt für un- der blei­ bende Verlust, für die Curie der bleibende Gewinn, den im günstigen Augenblick zu realisiren sie allen Grund hat. ES wäre ein Zeichen von noch größerer Verblendung al- Streitsucht, wenn die päpstliche Curie, in dem Wahn, den preußischen Staat demüthigen zu können, um übertrie­ bener Einzelforderungen willen den ihr in sicherer Aussicht stehenden großen Vortheil im Ganzen aus- Spiel setzte; ein friedliebender und noch mehr ein kluger Papst wird einen Ausgleich, welcher ihm da» für ihn Wesentliche vollständiger, al» er noch vor wenigen Jahren erwarten konnte, gewährt, nicht an unerfüllbaren Forderungen scheitern lasten. Ueber die Aufnahme, welche fernere Anträge auf weitere Abänderungen der bestehenden kirchenpolitischen Gesetze bei dem preußischen Landtag zu erwarten haben, ist Sicheres nicht vorherzusagen.' Die jüngste Novelle ist bekanntlich durch ein Bündniß zwischen den Deutschconservativen und dem Centrum durchgesetzt werden; ob auch in dem neuen Abgeordneten­ haus die Vereinigung dieser beiden Parteien die Mehrheit bilden wird, entzieht sich der Voraussage. Die frühere Novelle war durch Zusammen­ wirken der Mittelparteien mit den Deutschconservativen gegen da- Centrum zu Stande gekommen und auch die Wiederholung dieser Combination, die freilich zu einem ganz anderen Inhalt der vorzunehmenden Aenderungen

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als jene andere führen würde, ist nicht unmöglich. Auch die Stellung der einzelnen Parteien, jede für sich betrachtet, zu der kirchlichen Frage eröffnet ein weites Feld zu Vermuthungen, namentlich macht auch in dieser Beziehung der unselige Zerfall der nationalliberalen Partei sich sehr fühlbar. Der dem ursprünglichen Programm treu gebliebene Rest wird wohl auch in der kirchenpolitischen Frage auf seinem alten Standpunkt verharren und den wesentlichen materiellen Inhalt der Falk'schen Gesetz­ gebung, welcher den Partetanschauungen durchaus entspricht, so weit auf­ recht zu erhalten suchen, al» eS jetzt, wo auf den formellen Sieg derselben verzichtet werden muß, noch möglich ist; sie dürfen dabei wohl auf die Unterstützung der Freiconservativen rechnen, und auch eine Verständigung mit der Regierung über das zulässige Maß von Concessionen ist nicht als auSgeschlosien zu betrachten. Dagegen könnte man die links von den Rationalliberalen stehenden Gruppen bis zu gewissem Grad mit dem Centrum gemeinschaftliche Sache machen sehen, so diametral ihre letzten Ziele ausein­ ander gehen. Totale und principielle Revision der Maigesetze ist das Losungs­ wort der Ultramontanen, von ihrem Standpunkt aus mit vollem Recht; nicht bloß läge in dieser nachdrücklichsten Verwerfung des ihnen so verhaßten GesetzgcbungSwerkeS für sie die süßeste theoretische Genugthuung, auch praktisch könnten sie dabei, wie die Dinge liegen, schlimmsten Falls nichts verlieren, möglicher Weise aber manche- gewinnen. ES ist aber sehr zu befürchten, daß die Linke, sei eS ans unwiderstehlichem Drang nach theo­ retischer Klarheit und Glätte, sei eS aus tief eingewurzeltem Mißtrauen gegen die Regierung jeden vereinzelten Aenderungsvorschlag der letzteren als solchen bekämpfen und systematische Behandlung der Sache verlan­ gend insoweit das Centrum unterstützen wird. Principielle Erörterungen der kirchenpolitischen Frage werden zur Zeit völlig unfruchtbar sein; sie würden von der Fortschrittspartei als willkommene Gelegenheit benutzt werden, die vermeintlichen Vortheile ihres abstrakten System- der Tren­ nung von Staat und Kirche, ohne die geringste Aussicht auf praktischen Erfolg, auseinanderzusetzen, und die sogenannte liberale Bereinigung würde schwerlich der Versuchung widerstehen, die daS Verhältniß zwischen Staat und Kirche regelnden Rechtssätze unter ungenügender Berücksichti­ gung der praktischen Bedürfnisse des einen und der anderen nach den Forderungen einer selbstersonnenen RechtStheorie noch feiner zuzuspitzen, als sie eS bereits sind, und der ganzen betreffenden Gesetzgebung den Charakter reiner Justizgesetze in noch höherem Grad aufzuprägen, als sic ihn zu ihrem Schaden und großen Theils in Folge der von derselben Seite ausgegangenen Bestrebungen zur Zeit an sich trägt. In ganz ent­ gegengesetzter Richtung wie von dem Fortschritt und der liberalen Ver-

41 einignng Hai das Centrum vielleicht von den Deutschconscrvativen Unter­ stützung zu erwarte», nicht für principielle Kämpfe, aber für sehr weit gehende Einzelforderungen, für welche die Partei vermöge ihrer sehr ent­ schiedenen Vorliebe für eine möglichst starke Stellung der Kirche als Bundesgenossin der Ultramontanen gegen andere Parteien und möglicher Weise selbst gegen die Regierung auftreten könnte.

Wie immer aber die

verschiedenen Parteien sich stellen mögen, entscheidend ist, ob e- der Re­ gierung gelingt, mit der Curie zu einem annehmbaren Abkommen zu ge­ langen; einem solchen werden die Deutschconservativen nicht widerstreben wollen, das Centrum nicht widerstreben können, das, so laut eS seine ab­ solute Unabhängigkeit von Rom als politische Partei zu betonen pflegt, doch in kirchlichen Fragen

selbstverständlich

dem erkennbar gewordenen

Willen der Curie sich unterwerfen muß; die Mtttelparteien haben aber, nachdem die Falk'sche Gesetzgebung formell unhaltbar geworden ist, da» größte Interesse daran, den wesentlichen materiellen Inhalt derselben zu anerkannter Geltung gebracht zu sehen, wogegen die gesetzgeberische Form, in welcher der neue Zustand geschaffen werden soll,

und selbst kleinere

Opfer in der Sache selbst nicht in Betracht kommen können. Wie nahe oder fern man sich den Ausgleich mit der Kirche vorstelle, der

mögliche Inhalt desselben kann nur innerhalb nicht allzu weiter

Grenzen variiren, so daß die Frage nach demselben an Bedeutung in ge­ wissem Sinn hinter die andere zurücktritt, welche Folgen an den erreichten Ausgleich sich anschließen werden. ausmalen,

Man könnte sich eine ideale Zukunft

in welcher der confessionelle Hader schwiege und die Ange­

hörigen der verschiedenen Kirchen in dem beruhigenden Bewußtsein, daß ihren kirchlichen Interessen von keiner Seite Gefahr drohe, in freudiger Gemeinschaft dem vaterländischen Staate ihre Dienste widmeten nach po­ litischen, nicht nach kirchlichen Gesichtspunkten.

Wer diesem Glauben sich

hingibt, wird nur allzu bald sich traurig enttäuscht finden, und wer um dieses ja allerdings köstlichen Ziele» willen an sich ungerechtfertigte Con­ cessionen macht, handelt in verhängnißvollem Irrthum.

ES ist nicht ein­

zusehen, warum eine Partei, nachdem sie eben einen großen Erfolg er­ rungen, sich auflösen oder eine andere werden sollte.

DaS wäre nur

dann anzunehmen, wenn eS sich nur um einen einzigen, ganz concreten Zweck gehandelt hätte, nach dessen Erreichung die für ihn Verbündeten auseinander fallen mögen; daß aber das Centrum nicht so eng gesteckte Ziele verfolgt, und daß ihm, selbst wenn bei einem Ausgleich mit der Kirche diese sehr viel mehr erlangen sollte, al» sie erlangen wird, nach seiner Auffassung immer noch außerordentlich viel zu erstreben übrig blei­ ben wird, bedarf keines Beweise».

Die Partei wird nicht zerfallen, im

42 Gegentheil der Erfolg wird wie in allen Fällen, so auch zu Gunsten de» Centrums feine Anziehungskraft auf schwankende Gemüther ausüben, und selbst der Gefahr, daß der Eifer und die Di-ciplin innerhalb der Partei unter der von ihr gewonnenen leitenden Stellung einigermaßen erlahme, ist sie weniger al- alle anderen Fraktionen ausgesetzt. Man darf den Spaltungen, welche da oder dort unter den Ultramontanen bemerkbar werden, keine zu große Bedeutung beilegen, schließlich kann doch kein Theil der Entscheidung der Autorität sich entziehen, welche die ganze Partei be­ herrscht, und welche, wenn sie auch nicht in jede einzelne Differenz inner­ halb derselben sich einmischen kann und will, doch immer den Willen und die Macht haben wird, die getrennt von ihr unmögliche Partei im Großen zu gemeinsamer Action zusammenzuhalten. Wie das Centrum in seinem Bestand und in seinem Anhang, in seiner Kraft und seiner ActionSfLhigkeit durch Erfolge auf dem kirchenpolitischen Gebiet eher eine Stärkung al» eine Schwächung erfahren wird, so werden auch seine Tendenzen da­ durch nicht im geringsten geändert werden. Die Partei hängt allerdings mit der Kirche zusammen, ihre Zwecke sind aber nicht kirchlich-religiöse, sondern kirchlich-politische. Sie hat sich gesammelt zu AngriffSzwccken zu einer Zeit, in welcher von irgend einer Bedrängung oder Zurücksetzung der katholischen Kirche in Preußen nach den wiederholten officiellen Zeugnissen ihre» Oberhaupts selbst entfernt nicht die Rede sein konnte; sie hat die in Folge de» Kirchenstreits wirklich eingetretene kirchliche Noth so wenig sich zu Herzen genommen, daß sie lieber mit kältester Gleichgiltigkeit die­ selbe zu ihren politischen Zwecken ausbeutete, als diesen aus Rücksicht auf die GewissenSbedrängniß der Gläubigen daS geringste vergab. Die Wie­ derherstellung deS ordentlichen KirchendiensteS wird darnach zwar eine Wohlthat für die betreffenden Gemeinden sein, die auf etwa- ganz andere» als daS rein kirchliche Leben gerichteten Zwecke der Partei werden aber, wie sie vor dem Eintritt von Störungen im regelmäßigen Gottesdienst und unabhängig davon vorhanden waren, so auch nach Beseitigung der­ selben fortdauern, und der unerschöpfliche Vorrath unerfüllbarer For­ derungen für die Kirche gibt nach wie vor Gelegenheit, den Bestrebungen der Partei den unentbehrlichen Schein eines Kampfe- für kirchlich-religiöse Interessen zu wahren. E» wird ln Preußen die gleiche Erfahrung wie überall anderwärts gemacht werden, daß mit der vollsten Toleranz und selbst activer Fürsorge für die freiste Entfaltung deS kirchlichen Lebens, so sehr der Staat damit seiner sittlichen Aufgabe entspricht, doch der Ultra« montaniSmuS nicht bekämpft und unterdrückt werden kaun. Und auch der friedliebendste Papst wird demselbetr ernstlich entgegentreten weder können noch wollen, denn die römische Curie kann, nachdem für die Kirche alle

43 die unmittelbaren Herrschaftsrechte und der größte Theil der materiellen Macht, welche sie während deS Mittelalters unter den verschiedenartigsten Titeln zusammengebracht hatte, verloren sind, andere Mittel zur Aufrecht­ erhaltung ihrer selbstverständlich freiwillig nicht aufzugebenden Herrschaft jetzt weniger als je entbehren.

DaS wirksamste unter diesen Mitteln war

und ist aber zu allen Zeiten und in allen Ländern und Staaten die ultra­ montane Partei, welche, indem sie unter dem Schein einer staatlichen Partei in die Kämpfe des inneren StaatSlebenS sich einmischt, in Wahrheit die politischen Zwecke der römischen Hierarchie vertritt.

Sie ist für jeden

Staat, eben weil sie die eigenen Kräfte desselben bewußt oder unbewußt auswärtigen Interessen dienstbar macht, eine schwer zu ertragende Gefahr, sie ist eS doppelt und dreifach für den preußischen und den deutschen Staat.

Der Antagonismus zwischen ihm und der römischen Hierarchie

ist der denkbar schärfste und, so lange beide bleiben, was sie sind, durch keine StaatSkunst zu beseitigen oder zu verkleistern.

In dem

uralten

Kampf zwischen Staat und Hierarchie ist unserem Volke die Rolle deS Vorkämpfers zugefallen, ebenso sehr in Folge zufälliger historischer Com­ binationen, wie kraft deS unserem Volke unauslöschlich eingeprägten, antiromanischen Sinnes für individuelle geistige Freiheit.

Wir sind jetzt ein

durchaus paritätisches Volk, und die Ansprüche der Curie werden bei unnicht nur durch die akatholische Mehrheit der Nation mit nichtrömischen Augen geprüft, sondern eS hat sich auch in den weitesten auS beiden Confessionen gemischten Kreisen nicht auf dem Grund schwankender Theorien, sondern durch die zwingende Macht der Thatsachen die Ueberzeugung her­ ausgebildet, daß der Staat praktisch gar nicht anders kann, als über beide Kirchen sich zu stellen und die ihnen zu gewährenden Rechte nicht nach ihren einseitigen Ansprüchen, sondern von seinem höheren Standpunkt auim Interesse der Allgemeinheit zu bestimmen.

Alle diese Thatsachen und

Anschauungen lassen unS in den Augen der römischen Hierarchie — und von ihrem Standpunkt aus mit Recht — als deren schlimmsten Gegner erscheinen; sie würde heute noch in einem ultraradikalen republikanischen Präsidenten Frankreichs nicht ohne Grund und mit einer gewissen Sym­ pathie den Nachfolger deö ältesten Sohnes der Kirche herauszufinden und mit ihm lieber und leichter sich auseinanderzusetzen wissen als mit uns. Eine nüchterne Erwägung aller Verhältnisse kann nur zu der Ueber­ zeugung führen, daß das Centrum, wie immer der eigentliche Kirchenstreit beigelegt werden mag, ungeschwächt und mit unverändertem Charakter fort­ dauern wird; es mag äußerlich seine grundsätzlich oppositionelle Stellung etwas mildern, innerlich wird es seiner ganzen Tendenz nach dieselbe nie aufgeben.

Damit ist aber sehr wohl verträglich, daß eS einzelne Regie-

44 rungSmaßregeln, am liebsten wahrscheinlich solche, auf welche die Regierung daS größte Gewicht legt, unterstützt, sofern eS die Hoffnung hegen kann, gegen solche Unterstützung auch für seine Wünsche willigere« Gehör zu finden. In derartigen Combinationen liegt vielleicht die größte Gefahr für die Zukunft. ES ist nicht zu befürchten, daß der Reichskanzler die Bedürfnisse deS Staates so verkenne oder so nachlässig oder schwach »et< trete, daß er unbedingt Unentbehrliches opferte; um so näher liegt die Gefahr, daß er im Besitz der nach seiner Auffassung zur Wahrung der staatlichen Autorität nothwendigen rechtlichen Mittel und im Bewußtsein seines unbeugsamen Willens, dieselben gegebene» Falles rücksichtslos zu gebrauchen, zu Erreichung eines ihm augenblicklich höher stehenden Zweckezu thatsächlichen Concessionen an den UltramontanismuS sich versteht, die er nöthigen Falls wieder unschädlich machen zu können sich gutraut, von denen e- aber nicht gewiß ist, ob sie nicht zu Folgen führen werden, die mindestens einen neuen schweren Kampf unter vielleicht ungünstigeren Ver­ hältnissen nothwendig machen. Wenn die Klugheit der Ultramontanen größer ist als ihre leidenschaftliche Begehrlichkeit, könnten sie auf diescktl Weg für sie sehr werthvolle Concessionen erlangen, um so erheblichere, je bescheideneren und vorsichtigeren Gebrauch sie zunächst davon machten. DaS Centrum wird z. B. nach den sehr deutlichen Auslassungen der Regierung auf dem letzten Landtag nicht nur darauf verzichten müssen, die Separat­ forderungen seiner polnischen Affiliirten durchzusetzen, cS hat auch alle Ur­ sache, jeden Verdacht von sich fern zu halten, als könnten irgend welche separatistischen, landeSverrätherischen Bestrebungen, wenn eS nur gelänge, sie mit der katholischen Kirche zu verquicken, bei ihm Unterstützung finden. Dagegen scheint die Regierung ungeachtet der sehr bedenklichen Erfahrun­ gen, welche im Jahr 1866 im Rheinland, im Münster'schen, in Bayern gemacht wurden, den Einfluß eine- entnationalisirten CleruS auf die Be­ völkerungen deutscher Zunge nicht zu fürchten; sie hat daS Culturexamen fallen kaffen und eS könnte in der Schule den Uttramontanen, sofern sie nur direct staatsfeindlicher Lehren sich enthalten, ein größerer Einfluß, als wünschenSwerth ist, gegönnt und eine religiöse Unterweisung zugelaffen werden, welche in der blinden Unterwerfung deS Volkes unter den CleruS gipfelt und die Pflichten gegen das Vaterland dem Gehorsam gegen die Kirche und deren Diener wenn nicht in Worten doch in der That und Wahrheit unterordnet. In den Beziehungen deS Kanzlers zu dem Centrum ist seit der Zeit de- Höhepunkts deö Kampfs unverkennbar eine sehr merk­ liche Aenderung eingetreten, au» welcher die Berücksichtigung noch mancher Wünsche deS letzteren hervorgehen könnte; wenn man deßhalb den Vor­ wurf eine« unbegreiflichen und unerhörten Wandels der Gesinnung gegen

45 den leitenden Staatsmann erhebt, so ist dieß schwerlich begründet, sehr begreiflich ist e- aber, daß darin die grundsätzlichen Gegner de- Ultra« montani-mu- eine Mahnung zu äußerster Vorsicht finden. Die Bcsorgniß, die Regierung könne der Kirche zu toitt gehende Concessionen machen und sie werde dieß am liebsten in der Form thun, daß sie ein ihr gesetzlich zuzugestehende- möglichst freie- Ermessen zu Gunsten der Kirche verwerthe, ist sehr weit verbreitet, und die Frage, in wie weit der Regierung eine solche freie Bewegung eingeräumt werden soll, wird bei den parlamentari­ schen Verhandlungen über weitere Modifikationen der bestehende» kirchen­ politischen Gesetzgebung voraussichtlich mit. kaum minder lebhaftem Interesse erörtert werden al- die andere, welche Concessionen direct durch da- Gesetz gemacht werden sollen. So unbeschränkte Vollmachten, wie die Regierung sie in der Vorlage von 1880 verlangt hatte, wird sie wohl niemals be­ willigt erhalten; anderer Seit- ist eS aber ganz unmöglich, sie so einzu­ schränken, daß sie nicht nach ihrem freien Ermessen einen sehr erheblichen Einfluß auf die thatsächliche Lage der Kirche auszuüben vermöchte. Selbst die Falk'sche Gesetzgeburg, welche die freie Bewegung der Regierung ent­ schieden mehr eingeengt hatte, als zweckmäßig war, hat doch unter der Ver­ waltung ihres Urhebers zu ganz anderen Resultaten geführt als unter der seiner Amtsnachfolger, und jedenfalls ist eine zweckentsprechende Leitung der Beziehungen deS Staat- zur Kirche nicht denkbar ohne eine gewisse Freiheit für die Regierung, den unendlich verschiedenartigen, stet- wechseln­ den Verhältnissen innerhalb nicht allzu eng gezogener gesetzlicher Grenzen Rechnung tragen zu können. Diese Lage der Dinge ist für diejenigen höchst peinlich, welche jede Concession an den UltramontaniSmuS, auch wenn er sich dafür zu Gegenleistungen auf anderen Gebieten entschließt und wenn sie auch nur widerruflich durch Regierung-verfügung gemacht werden, für verderblich halten; eS ist aber daran kaum etwa- zu ändern. Sie werden, selbst wenn sie mit Außerachtlassung deö sachlich Richtigen auf möglichst enge Umgrenzung der der Regierung zu gestattenden freien Bewegung hinarbeiten sollten, schwerlich einen Erfolg haben, und eS fehlt ihnen da- einzige Mittel, durch welche- sie auf einen ihren Anschauungen entsprechenden Gebrauch de- freien Ermessen- hinwirken könnten, eine par­ lamentarische Leistungsfähigkeit, welche nicht unberücksichtigt bleiben kann. Leider verfügen sie zur Zeit nicht über eine solche; wodurch eS so ge­ kommen, ist hier nicht zu erörtern. Kann die Stellung der Regierung zu dem Centrum einstweilen in gewissem Sinn als eine neutrale bezeichnet werden, die je nach Umständen zu freundschaftlichem Zusammengehen, möglicher Weise aber auch zu scharfer Gegnerschaft führen kann, so scheinen die Deutschconservativen eS für



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möglich zu halten, in festem und dauerndem Bund mit den Ultramontanen zu Bertheidigung kirchlicher Interessen zusammenzuwirken.

Sie haben da­

bei freilich zunächst die lutherische Kirche im Auge, deren absolute Gegen­ sätzlichkeit zu der römischen Hierarchie um so sicherer und schneller sich geltend machen muß, je mehr Erfolge dem Bündniß bescheert sein sollten; auch fehlt e» innerhalb der Partei schon jetzt nicht an Bedenken gegen eine allzu weit gehende Gemeinschaft mit den llltramontanen.

Einstweilen

ist aber doch die Partei im Ganzen durch ihre Borliebe für ein starkeauch politisch wirksame- Kirchenthum dazu gekommen, in ziemlich weitem Umfang gemeinschaftliche Sache mit dem Centrum zu machen, und dieseBündniß gewinnt noch an Kraft und Bedeutung durch die Unterstützung, welche ihm von dem gleichen Gesichtspunkt au- von einem Theil der pro­ testantischen Orthodoxen zu Theil wird.

Die protestantische Kirche als

solche hat an den bisherigen Kämpfen nur in geringem Maß sich betheiligt und auch die specifisch kirchlichen Parteien innerhalb derselben. Orthodoxe und Rationalisten, haben wenigsten- nicht in geschlossener Reihe bestimmte Stellung zu denselben genommen.

Den ersten sind die Steuerungen wohl

unsympathischer als den zweiten, aber auch die strengste Rechtgläubigkeit kann an einer Gesetzgebung keinen ernstlichen Anstoß nehmen, welche, jeden Eingriff in das innere Glaubensleben

sorgfältig vermeidend,

nur die

äußeren Beziehungen der Kirche im Staat zu regeln unternimmt; und wenn umgekehrt die neuen Gesetze den Anschauungen der Liberalen besser entsprachen, so mochten doch auch auf dieser Seite manche durch dieselben bewirkten Aenderungen an dem Hergebrachten als unwillkommene, wenn auch unschwer zu überwindende Störungen empfunden werden.

Dagegen

fehlt e- auch in der protestantischen Kirche nicht an Vertretern der hierar­ chischen Richtung und diese, die selbstverständlich nur unter den Orthodoxen nicht unter den Liberalen einen Boden für ihre Bestrebtmgen finden, sind eS, welche für die bedrohte Sache nicht der Kirche, sondern der Hierarchie mit den Ultramontanen Hand in Hand gehen.

Die Freunde hierarchischer

Einrichtungen in der protestantischen Kirche lassen ihre Sache, ohne per­ sönlich hervorzutreten, wesentlich durch die Deutschconservativen vertreten; e- ist aber, obgleich ein Theil der Orthodoxen das widernatürliche Bündniß entschieden verwirft, doch gelungen, in weiten Kreisen die Meinung zu verbreiten, al» könne und müsse auf solchem Weg die protestantische Kirche und die protestantische Rechtgläubigkeit vertheidigt werden und da- confer» vativ-nltramontane Bündniß hat, das läßt sich nicht läugnen, auf diese Weise eine nicht zu unterschätzende Stärkung erfahren.

Auf Grund eines

Bündnisse- zwischen den Deutschconservativen und dem Centrum ist überdieß zur Zeit sowohl im Reichstag wie int preußischen Abgeordnetenhaus

47 leichter als durch irgend eine andere Combination die absolute Majorität herzustellen, und sollte also, wa« freilich nicht- weniger als gewiß ist, die gegenwärtige Parteivertheilung für längere Zeit sich erhalten, so hätte jene Vereinigung auch noch die Aussicht, bei der Regierung die Rücksichtnahme auf ihre Wünsche ju finden, welche nach dem freimüthigen Bekenntniß deS Reichskanzler- eine der Regierung befreundete (über die Mehrheit ver­ fügende) Partei erwarten darf. Bäume so wenig liberalen;

Er wird freilich die clerical-confervativen

in den Himmel wachsen lassen, wie seiner Zeit die

immerhin liegen in allzu großen Fortschritten der Richt«mg,

welche durch daS conservativ-clericale Bündniß gekennzeichnet wird, sehr ernste Gefahren,

welche auch von einem nichtliberalen Standpunkt aus

nicht übersehen werden sollten. Der unmittelbare Grund und Zweck de- Bündnisses ist die Verthei­ digung eines scharfen CoiifessionaliSmuS; die sonst feindlichen Brüder haben sich darin zusammengefunden, daß beide Theile eS als ihre nächste Aufgabe betrachten, mit allen Mitteln die anticonfessionelle Richtung zu bekämpfen, welche nach ihrer Meinung unser Staat-leben ungebührlich beherrscht und in welcher sie die größte Gefahr für die gesunde Weiterentwickelung un­ seres Volkes erblicken.

Wie weit die vereinigten Conservativ-Clericalen

in ihrer Vertretung deS streng konfessionell-kirchlichen Standpunkt- gehen, mag nur an zwei Beispielen erläutert werden, an ihrer Agitation für Beseitigung der Civilehe und an ihren Bestrebungen für die Schule.

CS

begreift sich, daß einem Mann von entschieden konservativer Gesinnung der Entschluß, der Einführung der Civilehe zuzustimmen, schwer fallen mußte.

Die Ehe wurde von jeher in kirchlicher Form abgeschlossen, in

welcher sie nach allen ihren reichen und mannigfaltigen rechtlichen, sitt­ lichen, religiösen Beziehungen durch einen einzigen Akt zu Stande kam; in eine solche durch da- Alter geheiligte Volk-sitte bei einem Institut, das wie kein anderes die Grundlage aller Gesittung ist, auf die Gefahr hin einzugreifen, dadurch in den Augen des Volkes die Würde der Ehe mög­ licher Weise, und wäre cS auch nur vorübergehend, zu schädigen, ist eine so ernste Sache, daß sie gewiß nur durch höchst dringende Gründe gerecht­ fertigt werden kann. Solche waren aber und sind in mehr als genügender Stärke vorhanden.

So mannigfache und inhaltreiche Beziehungen in der

Ehe zusammentreffen, sie ist doch jedenfalls ganz unbestreitbar auch ein RechtSverhältniß, das als solches durch die Gesetze deS Staate- geordnet ist und auf diesem Weg schon um deßwillen geordnet werden mußte, weil die Satzungen der verschiedenen Kirchen auseinander gehen und die von keiner de» Anforderungen de- heutigen Lebens entsprechen.

Zu verlangen,

daß diese- Verhältniß in seiner Eigenschaft als Rechtsverhältniß von der

48 Vornahme eine- in da- Ermessen der Kirche gestellten Aktes in seiner rechtlichen Existenz abhängig gemacht werde, heißt doch nicht- andere«, als der Kirche au- einseitiger Vorliebe für ihre Wirksamkeit llebergriffe in die natürliche Sphäre de- Staate- gestatten, während dieser bei der Eivilehe auf da- sorgfältigste darauf bedacht war, den ausschließlich rechtlichen Eha« rakter der Institution in der nachdrücklichsten Weise zu betonen und die kirchlich-religiöse Frage vollkommen unberührt zu lasse».

Die Eivilehe ist

eigentlich nur die logische Consequenz davon, daß sowohl der Staat wie die Kirche auS ihrer wechselseitigen Durchdringung zu dem vollen Bewußt­ sein der einem jeden von ihnen in seiner Sphäre zustehenden Selbst­ ständigkeit gekommen sind, und sie ist zugleich praktisch daö einzige Mittel, um den Collisionen vorzubeugen, welche sonst auS dieser Selbstständigkeit unvermeidlich entspringen müssen.

Selbst in der protestantischen Kirche,

in welcher auS der Mißliebigkeit eines StaatSgesetzeS

ein Grund zum

Ungehorsam gegen dasselbe sonst nicht hergeleitet zu werden pflegt, ist be­ kanntlich vor einigen Jahrzehnten im Vertrauen auf eine den kirchliche» Ansprüchen günstige Strömung wiederholt der Fall vorgekommen, daß Geistliche den Abschluß einer staatsgesetzlich zulässigen Ehe, ans welchen also die Brautleute einen unbestreitbaren Rechtsanspruch hatten, aus kirch­ lichen Bedenken verweigerten.

Die preußischen Conservativen sollten am

wenigsten vergessen haben, daß der erste Kirchenstreit in Preußen wesentlich dem Versuch der katholischen Kirche entsprang, durch TrauungSvcrweigerung die katholische Erziehung der Kinder auS gemischten Ehen zu erzwingen, und noch unbegreiflicher ist eS, wie man bei der Agitation gegen die Eivilehe die Erfahrungen der allerjüngsten Zeit übersieht; wohin hätte daS moderne Interdikt geführt, wenn unter demselben der unvergleichlich wich­ tigste Akt de- ganzen socialen Leben-, der Abschluß einer Ehe, legal un­ möglich gewesen wäre? oder wodurch hält man sich gegen die Wiederkehr ähnlicher Zustände für alle Zukunft gesichert? Von noch viel größerer Bedeutung als die Frage der Eivilehe ist der Kampf um die Schule, bei welchem die vereinigten Eonservativ-Elericalcn nicht- geringere- erstreben als die Beherrschung der Schule durch die Kirche. Wenn sie auch dabei die historische Ueberlieferung für sich geltend machen, so ist dieß nur in sehr beschränktem Sinn richtig.

Die Schule steht aller­

dings von Alters her in sehr enger Verbindung mit der Kirche, welche durch Pflege de- Unterricht- nicht zu vergessende Verdienste auch jenseit« ihre- specifischen Aufgabenkreises sich erworben hat.

Die durchgreifende

Organisation der Volksschule, um welche eS sich in-erster Linie handelt, ist aber doch überall in Deutschland vom Staat ausgegangen, und wenn er dabei vielfach der Beihilfe -der Kirche und der Geistliche» sich bediente,

49 so haben diese dadurch zwar einen sehr erheblichen Einfluß auf da- Schul­ wesen gewonnen, die Leitung der Schule ist aber seit länger al- einem Jahrhundert Sache de- Staat- und die bestimmende Gewalt über sie steht diesem nicht der Kirche zu.

Wenn dieser historischen Wahrheit zum Trotz

die Ultramontanen die Beaufsichtigung und Leitung der Schule als ein unveräußerliches Recht der Kirche beanspruchen, so ist da- nicht zu »er» wundern; schwerer verständlich ist, daß in Verkennung eine- wesentlichsten Staat-bedürfnisse- die Deutschconservativen, wenigsten- der rechte Flügel derselben, zu ziemlich unbeschränkter Anerkennung der Forderung und daß die ganze Partei zu weit gehender Berücksichtigung derselben, wenn auch mit einigen Vorbehalten für die Staatsgewalt bereit zu sein scheint.

Die

geschichtliche Entwickelung der Dinge weist ans den gerade entgegengesetzten Weg.

Je mehr Staat und Kirche ihrer durchaus verschiedenen Natur und

ihrer, ganz verschiedenen Aufgaben sich bewußt geworden sind-und diesem Bewußtsein nach leben, um so schärfer müssen sie sich in den einem jeden von ihnen zukommenden Functionen trennen und jeder Theil die ihm zu­ fallenden rein

und ausschließlich in seine Hand nehmen.

Die Kirchen

haben darnach unzweifelhaft einen Anspruch auf die Leitung de- Religions­ unterricht-,

er wird ihnen nirgend- in Deutschland bestritten;

dagegen

kann der Staat eine- hochentwickelten Culturvolkes die Leitung der na­ tionalen Volksbildung nicht, ohne sich selbst aufzugeben, fremden Händen überlassen auf die Gefahr hin, daß sie in einem ihm gegnerischen Sinn gelenkt werde.

Dieser Gesichtspunkt ist auch bei der viel erörterten Frage,

ob die Volksschulen als confefsionelle oder als Simtiltanschulen zu organistreit seien, der entscheidende.

Rein technisch betrachtet hat jede dieser

Formen ihre besonderen Vorzüge und Nachtheile, und die Frage, ob die eine oder die andere die zweckmäßigere sei, ist durch so viele und so ver­ schiedenartige Rücksichten bedingt, daß sie schwerlich überall in der gleichen Weise zu beantworten ist.

Wenn aber die Conservafiv-Clericalen unbe­

dingt und principiell die confefsionelle Schule als ein Recht der Kirche fordern, so ist dieß völlig unannehmbar; der Staat kann ganz gut die konfessionellen Schulen ertragen unter der Bedingung, daß in denselben nicht unter der confessionellen Getrenntheit die nationale Zusammengehörig­ keit zu leiden habe; gerade diese Bedingung wird aber bet jener Forderung negirt, welche nur bedingungslose Ansprüche der Kirchen kennt und den Staat mit seinem Bedürfniß auf den guten Willen ihm fremder Mächte verweist.

Wie bedenklich in der That die grundsätzliche Förderung einer

confessionellen Scheidung der Schulen ist, zeigt sich viel deutlicher al­ bet der Volksschulk, welche in zahllosen, nicht gemischten Orten ganz von selbst thatsächlich immer confessioneü bleiben wird, bei den höheren Schulen,

4

50 für welche ebenso wie für jene, womöglich bis zur Universität hinauf, ein streng kirchlich-konfessioneller Charakter erstrebt wird. Auch die höheren Schulen sind ja zu einem sehr großen Theil ursprünglich als konfessionelle Anstalten gegründet und nicht wenige haben diesen Charakter, vielfach freilich mehr in Aeußerlichkeiten als nach ihrem inneren Wesen, bi- in die Gegen­ wart bewahrt. Dessen ungeachtet hat aber der höhere Unterricht bei uns in allmähliger, stetiger, übrigen- tendenziöser Entwickelung den konfessionellen Charakter schon längst abgestreift; für eine Schule, deren Lehraufgaben zum weit au- überwiegenden Theil außer aller Beziehung zu Religion und Kirche stehen, hat eben die Forderung streng confessioneller Haltung keinen Sinn und muß, wenn sie nicht zu unwahrem und ungesundem For­ menwesen führen soll, ein leeres Wort bleiben. Die höheren Lehranstalten Deutschlands haben aber auch noch in einem anderen positiven Sinn den Confessionali-mu- überwunden, und sind seit Generationen die hauptsäch­ lichsten Vermittler einer deutsch-nationalen Bildung geworden, welche in unbefangener Wahrheitsliebe die schroffen Gegensätze der Confessionen zu überbrücken sucht, und diese ihre positiven Leistungen sind eS noch viel mehr als ihr Mangel an konfessionellem Eifer, durch welche sie in den Augen ihrer Gegner gesündigt haben und um derentwillen sie reformirt werden sollen. Der freie, innerlich tolerante Sinn, die schönste Blüthe unserer Bildung und die unentbehrliche Voraussetzung unserer paritätischen Staaten, welche ohne wechselseitige- geistiges Verständniß der Anhänger der verschiedenen Confessionen nicht bestehen können, ist int Keim bedroht, wenn auch die höhere Schule dem Bann der Confessio», au- welchem sie in natürlicher Entwicklung sich befreit hat, wieder unterworfen werden soll. Ein Gedanke, der intensiv reaktionärer wäre, wie dieser, ist schwer zu finden, und wenn man sieht, wie in ihm und zu all den anderen Zielen de- schroffsten Confessionali-mu- nicht etwa nur einzelne, zu Extremen ge­ neigte Persönlichkeiten, sondern die ganze Partei der Deutschconservativen mit den Ultramontanen sich verbündet und so gefährliche Wege mit so gefährlichen Bundesgenossen wandelt, so fühlt man sich gedrungen, die Motive zu suchen, die stark genug sind, eine für die deutsche StaatSentwickelung so bedenkliche Thatsache zu erklären. Sie liegen wohl haupt­ sächlich in der Meinung, daß bet der heutigen Weltlage nicht- geringereauf dem Spiel stehe al- der christliche Glaube und die christliche Gesittung gegenüber dem Unglauben, der Frivolität und der moralischen Verwilde­ rung. Aehnliche Besorgnisse bestehen auch außerhalb der genannten Par­ teikreise und üben auf die Auffassung und Behandlung de- Kirchenstreits und aller kirchlichen Fragen einen so bestimmenden Einfluß aus, daß zti ihnen nothwendig «Stellung genommen werden muß.

51 Gegenüber diesen Besorgnissen ist da» an sich Selbstverständliche auf da» nachdrücklichste hervorzuheben, daß in dem Christenthum die Grundkage unserer ganzen Gesittung gegeben ist; und e» ist ferner al» unbestreitbare Thatsache anzuerkennen, daß dasielbe nur in den verschiedenen einzelnen Confessionen zu einem bestimmten faßbaren Au-druck gelangt und nur in den entsprechenden Kirchen institutionell entwickelt ist. In dem Verkennen dieser letzteren Thatsache und ihrer Bedeutung wurzelt der Fehler der Fortschrittspartei, welche die Religion nur als individuelle» Besitzthum der Einzelnen, als deren individuelle Denk- und Empfindungs­ weise gelten läßt und die leibhaftige Kirche al» überflüssig oder wenigsten» ziemlich nebensächlich betrachtet und gern so weit als irgend möglich ignorirt. Mit Unrecht macht man diesem Standpunkt den Vorwurf der Jrreligiösität; dieß trifft so wenig zu, baß er mit einer sehr hoch gesteigerten Streng­ gläubigkeit ganz wohl vereinbar ist, wie e» ja auch einzelne demselben gar nicht fern stehende Seelen gibt. Dagegen ist die Nichtanerkennung der entscheidenden Bedeutung der Kirche durchaus antikatholisch, so unka­ tholisch, daß von diesem Standpunkt au» nicht einmal eine erfolgreiche Abwehr kirchlicher Uebergriffe möglich ist; auch zu den Lehren der pro­ testantischen Hauptkirchen steht jene Anschauungsweise in entschiedenem Gegensatz und sie widerspricht, worauf e» bei einer nicht theologischen, sondern politischen Erörterung zunächst ankommt, durchaus unserer geschicht­ lichen Entwickelung und den auf ihr beruhenden thatsächlichen Verhältnissen. Die Kirchen sind mit unserem Volksleben durch alle feine Entwickelungs­ stadien hindurch untrennbar verwachsen und für dasselbe so unentbehrlich, daß e» ohne sie und ohne einen an ihre Stelle tretenden Ersatz, der, wie auch der äußerste Radikalismus zugeben müßte, einstweilen ganz unab­ sehbar ist, in sittlicher Verkümmerung zu Grunde gehen würde. Daraus folgt, selbst wenn man von allen kirchlichen und dogmatischen Rücksichten absieht und ausschließlich nur durch weltliche Erwägungen sich bestimmen läßt, daß eS Pflicht de» Staates ist, die Kirchen nicht etwa nur zu dulden und zu schonen, sondern sie al» die für unser gesammte» Volksleben neben ihm selbst weitaus bedeutungsvollsten Organisationen anzuerkennen und sie demgemäß, soweit e» an ihm ist, auch positiv zu unterstützen und in ihrer Wirksamkeit zu erleichtern; eS folgt aber nicht daraus, daß er, sich selbst auf den Standpunkt einer Kirche stellend, in seinem Thun und Lasten durch specifisch-confessionelle Gesichtspunkte sich bestimmen lassen soll. Diese unrichtige Folgerung au» einem an sich richtigen Vordersatz bildet die Grundlage de» Bündnisses der Deutschconservativen mit den Ultramontanen, dessen geringste Schwäche übrigen» in der logischen Maugelhaftigkeit seine» Fundaments gelegen ist. E» ist facttsch unmög-

52 lich, einen Staat gleichzeitig

vom

konfessionell

ultramontan-katholischen

und orthodox-lutherischen Standpunkt au» zu leiten, und diese Unmöglich­ keit ist so unverkennbar, sein kann.

daß

sie auch den Verbündeten nicht entgangen

Welche letzten Ziele den 'Ultramontanen

vorschweben,

mag

dahin gestellt bleiben; dürfte man au» gelegentlichen Aeußerungen ihrer vorgeschrittensten Blätter schließen,

so gingen sie in da» Ungeheuerliche.

Die Meinung der Conservativen kann wohl kaum eine andere sein, aldem UltramontaniSmu» gegenüber der katholischen Bevölkerung

gewisse

Concessionen zu machen, im Uebrigen aber den Staat al» einen wesentlich .protestantischen

zu behandeln.

Da» alte Preußen hatte eine so gut wie

ausschließlich protestantische Bevölkerung, deren Tüchtigkeit in innigem Zu­ sammenhang stand mit ihrer

schlichten kirchlichen Frömmigkeit.

Ist e»

unter allen Umständen eine Erleichterung der Staatsaufgabe, wenn die gesammte Bevölkerung der gleichen Kirche angehört, so kann daraus, wenn dieselbe,

wie

dies

bei allen protestantischen Kirchen zutrifft, al»

Landeskirche constituirt ist und specifisch als solche sich fühlt, dem Staat überdieß ein sehr erheblicher positiver Bortheil erwachsen; die ganze Kraft, welche für sein Volk auS der Gemeinsamkeit der religiösen Ueberzeugungen hervorgeht, kommt unmittelbar ihm zu statten und kann, da die Landes­ kirche nicht wie die römische Universalkirche auswärtigen Impulsen unter­ worfen ist, nicht gegen ihn miSbraucht werden.

So begreift es sich, daß

diejenigen, welche in altpreußischen Traditionen leben, die möglichst innige Verbindung ihres Staats mit seiner protestantischen (lutherischen) Kirche als ein unbedingt zu erstrebendes Ziel betrachten; dieser Gedanke scheint auch außerhalb der noch

vielfach

conservativen Kreise in den altpreußischen Gebieten

die Gemüther zu beherrschen und er ist die Quelle von

mancherlei, in sich recht verschiedenartigen,

aber gleichmäßig bedenklichen

Vorschlägen geworden, die Gefahren des UltramontaniSmuS durch Hervor­ hebung de» protestantischen Charakters des Staats zu bekämpfen. abgesehen davon, mehr besteht,

daß

Aber

dieser Charakter in Wahrheit schon längst nicht

sind auch die Leistungen einer specifisch protestantisch-kirch­

lichen Politik nichts weniger als verlockend; wir sondere brauchen nicht weit zu suchen,

in Deutschland insbe­

um die traurigsten Belege ihrer

vollständigen Impotenz zu finden; schlimmer, selbst im Interesse der pro­ testantischen Kirche,

konnte» die politischen Angelegenheiten nicht geleitet

werden, al» eS von der Mitte de» IG. bis in die Milte de» 17. Jahr­ hunderts von den protestantischen Fürstenhöfen Deutschlands geschah unter dem dominirenden Einfluß kirchlicher Ideen und kirchlicher Männer. großartige Aufschwung

Preußens

konnte

Der

sich nicht vollziehen, ohne die

Emancipation von kirchlichen Anschauungen und Ansprüchen, wie sie zu-

53 nächst in der vollen und ehrlichen Gleichstellung der reformirten und der lutherischen, und als auch immer mehr katholische Länder erworben wur­ den, auch der katholischen Kirche sich darstellt.

Der Aufgabenkreis de-

Staates ist eben so unendlich viel weiter als der der Kirche — so hoch man den speciellen Beruf der letztern schätzen- mag — daß bei einer Be­ trachtung der Aufgaben des ersten unter dem Gesichtswinkel der zweiten da- Staatsleben nothwendig verkümmern muß. Wie immer man aber über die Borzüge oder die Schwächen einer Politik denke, welche in einem confessionell nicht gemischten Lande mit der in demselben allein bestehenden Kirche unter mehr oder minder vollstän« diger Annahme ihrer Gesichtspunkte Hand in Hand zu gehen sucht, in einem durchaus paritätischen Land ist eine solche Politik einfach unmöglich. Die eifrigen Anhänger der verschiedenen Confessionen, welche jetzt in be­ gründeter oder unbegründeter Furcht vor einem vermeintlich immer weiter um sich greifenden frivolen oder roh materialistischen Unglauben zu Be­ kämpfung dieses gemeinsamen Gegner- sich verbinden, zeihen sich unter­ einander selbst de- Un- und de- Aberglaubens, und je ernster sie sich auf einen scharf ausgeprägten confesiionellen Standpunkt stellen, niger

vermögen

sie dieser Consequenz zu

entrinnen.

um so we­

Ob dem zu be­

kämpfenden Uebel des Unglaubens überhaupt durch Verschärfung de- Con« fessionaliSmuS mit Erfolg entgegengewirkt werden kaun, ist eine auf einem andern Gebiet liegende Frage, dem paritätischen Staat können auf diesem Wege jedenfalls nur neue Gefahren erwachsen.

Die Exclusivität, die Un­

verträglichkeit, die gegenseitig schließlich bis zu bitterstem Haß gesteigerte Abneigung der verschiedenen Kirchen gegeneinander hat einen dreißigjäh. rigen Krieg und durch denselben namenlose- Elend über unser Vaterland heraufbeschworen, uns als Nation dicht gebracht.

an den Rand des Unterganges

Wir haben unter den heutigen politischen Verhältnissen gleich

Entsetzliche- wohl nicht zu befürchten; aber ähnliche Ursachen erzeugen ähn­ liche Wirkungen,

und wenn man den ConfessionaliSmuS gewissermaßen

zum Staat-principe macht, die konfessionellen Besonderheiten grundsätzlich verschärft und aufstachelt,

so

muß dies heute so gut wie vor Jahrhun­

derten zur Entfremdung der verschiedenen Confessionen und Kirchen gegen­ einander

und schließlich zur Gegnerschaft unter denselben

Wind säet, wird Sturm erndten.

führen.

Wer

ES ist absolut unmöglich, zwei in dem

nämlichen Staat vereinigten Kirchen, welche in nicht wenigen ihrer wich­ tigsten Principien und praktischen Bestrebungen in entschiedenem Gegen­ satz zu einander stehen, gleichzeitig in der Art gerecht zu werden, daß man beide confessionette Standpunkte neben einander als bestimmend anerkennt, denn sie schließen sich gegenseitig a»S; eS wäre eine empörende Ungcrech»

54 tigteit, einen von ihnen als maßgebend zu behandeln, das müßten die Anhänger der andern Konfession als bitterste Unterdrückung empfinden, welcher jeden möglichen Widerstand entgegenzusetzen sie für erlaubt, viel­ leicht sogar für geboten erachten würden; und daS gleiche Resultat trost­ losen Unfriedens muß sich ergeben, wenn man in unsicherer Unklarheit heute der einen Kirche Concessionen macht, um sie morgen auS Rücksicht auf die andere wieder zurückzunehmen oder durch noch größere dieser ge­ machte Zugeständnisse wieder aufzuwiegen. Und man täusche sich nicht; die Decke, unter welcher der religiöse Fanatismus schlummert, ist nicht so fest, daß eS ungefährlich wäre die Quelle desselben, einen schroffen ConfessionaliSmuS, sorglos großzuziehen. Nicht ohne Grund wird von den Konservativen dem Radikalismus vorgeworfen, ihm fehle daS Verständniß für die ungeheure Macht, welche religiöse Vorstellungen über daS Gemüth des Volkes ausüben, nur scheinen die Tadler ihrer «Seite zu übersehen, daß diese Macht, wie jede in dem Menschen wirkende Kraft, nicht nur gute, sondern auch gerade vermöge der in ihr wohnenden Gewalt Ent­ setzen erregende Früchte zu zeitigen vermag. Der Äiordversuch eines Kullmann mag die vereinzelte That eines verkommenen Menschen gewesen sein; daß sie durch die hochgehende kirchliche Agitation jener Zeit zwar nicht angestiftet, aber doch mitveranlaßt war, bleibt nicht- desto weniger wahr, und einen noch viel unheimlicheren Eindruck macht die Thatsache, daß bei dem Ausbruch des 1866 er Kriegs in zahlreichen paritätischen Dörfern Süddeutschlands die Protestanten in der ernsten Sorge lebten, de- Nacht- von ihren katholischen Mitbürgern überfallen und ihre- Eigen­ thum- und Leben- beraubt zu werden. Die gefürchteten Thaten sind nicht geschehen und die Gefahr war ohne Zweifel nie eine wirkliche, sondern nur die Eingebung einer erhitzten Phantasie; aber schon der jedenfalls übrig bleibende Rest, daß der Nachbar vor dem Nachbar in solche Angst versetzt werden oder sich selbst versetzen konnte, beweist, welche Keime zu religiösem Fanati-muS noch immer in den Massen vorhanden sind und zu Verderben bringendem Leben erweckt werden könnten. Unser Staat kann die Freundschaft, welche er den Kirchen unzweifel­ haft entgegenzubringen hat, nicht durch grundsätzlichen Konfessionaltsmus bethätigen; er soll und kann anderer Seit- eben so wenig von dem Boden der sittlich-religiösen Weltanschauung de- Volke» sich entfernen und diese ist wesentlich durch das Christenthum bestimmt; so gibt e» für deutsche Staatskunst für fruchtbare Behandlung der kirchlichen Frage nur einen Standpunkt, sie muß sich auf eine Höhe stellen, von welcher aus die ver­ schiedenen Konfessionen nur als verschiedene Erscheinungsformen jener nach ihrem höchsten Gehalt einheitlichen Weltanschauung sich darstellen. Die

55 Forderung ist keine utopische,

denn sie entspricht der in Wirklichkeit er­

reichte» nationalen geistig-sittlichen Bildung. Schaden,

welcher

Neben dem unermeßlichen

aus der Kirchenspaltung für un- hervorgegangen ist,

hat dieselbe doch zugleich unser nationales Leben in einer Weise bereichert und vertieft' wie eS ohne die aus ihr erwachsene Aufgabe schwerlich mög­ lich gewesen wäre.

Der Riß,

durch

welchen sie unser

Volk wie

kein

zweite» anderes in getrennte Lager auseinanderwarf, mußte geistig über­ wunden werden, wenn die Nation nicht als solche zu Grunde gehen sollte. Die schwere Aufgabe ist dank der selbstlosen, hingebenden Arbeit unserer besten und

Männer während mehr al» anderthalb Jahrhunderten gelungen

auS

dem gemeinsamen Zusammenwirken von Katholiken und Pro­

testanten ist eine nationale geistig-sittliche Bildung erwachsen, welche un­ abhängig von den verschiedenen Confessionen deren höchste Ideen einheit­ lich zu erfassen bestrebt ist und in ihrer eignen Art dieselben gestaltet und verwerthet; sie steht keiner Kirche feindlich, allen neutral gegenüber, lind indem sie ihrer Natur nach ihrer SeitS auf jeden Versuch, sich zu confessionellem Ausdruck zu verdichten, entschiedensten Anhänger Anfeindung,

einer

verzichten muß,

giebt sie selbst dem

bestimmten Confessio» keinen Anlaß zur

sofern er nur im Grund seine» Herzens so viel Duldung

sich bewahrt hat, den von ihm als den richtigen erkannten Weg nicht auch allen andern als den einzig möglichen aufdrängen zu wollen. Kirchen und Confessionen durchaus nicht negtrende, gränzung jeder einzelnen

Dieser die

aber über die Um*

sich erhebende Zug unsrer nationalen Bildung

hat unsre innerlich durch und durch paritätischen Staaten erst möglich ge­ macht, er muß in der Leitung derselben der bestimmende bleiben, wenn sie nicht der Selbstauflösung verfallen sollen.

Nur von diesem Stand­

punkt aus ist es möglich, mit konsequenter Sicherheit jeder Kirche die ihr unentbehrliche Freiheit der Bewegung zu gewähren und gleichzeitig jede in der Bethätigung ihrer Besonderheiten so weit zu beschränken, als e» im Jnteresie

der Erhaltung

de» Staats .und

Kraft ititb Frieden geboten ist. damit dem Staat zugedacht:

der Volksgemeinschaft in

Nicht ein polizeiliches Wächteramt wird

er kann und soll nur in dem Bewußtsein,

selbst eine sittliche Potenz höchsten Range» zu sein, die Kirchen, welche die auch für ihn maßgebende sittlich religiöse Weltanschauung de» Volke» ln* stitutioncll vertreten, in den Grenzen halten, welche sich daraus ergeben, daß jede derselben nur eine einzelne Erscheinungsform jener an sich ein­ heitlichen Weltanschauung zur Geltung bringt. Diese Umgründung muß jede Kirche, wenn sie nicht Exklusivität beansprucht, wa» im paritätischen Land unmöglich ist, nicht nur als zulässig, fonbmt sogar als nothwendig anerkennen, und sie kann den Beschränkungen, welche von diesem Gesichtspunkt auS ihr

auferlegt werden, ganz ander« als solchen, welche au« rem Standpunkt, einer andern ihr entgegenstehenden Konfession hervorgehen, au« freier Ueberzeu­ gung sich fügen. Dieser Auffassung de« Verhältnisses de« Staat« zur Kirche kommt auch da« Verständniß unsre« Volke« willig entgegen,

ist sie doch

nur da« natürliche Product seine« eignen geistigen EntwicklungSproccfseS, und in den Kreisen, welchen jede theoretische Einsicht in derartige Fragen nothwendig verschlossen bleibt, hat die Noth unserer Geschichte die Rolle der Lehrmcisterin in eindringlichster Weise übernommen.

Einem dreißig­

jährigen Morden war, da eben kein Theil den anderen zu vernichten ver­ mocht hatte, in dem Westphälischen Frieden eine erzwungene rein äußer­ liche Duldung in der Art gefolgt, daß al« Regel in jedem Territorium nur eine Kirche als vollberechtigt galt und daß demgemäß in einem Ge­ biet, welches eigentlich al« zu dem einen Bekenntniß gehörig

betrachtet

wurde, jedem anderen nur unter gewisien Voraussetzungen bestimmte, genau definirte Rechte zugesichert waren.

Länger als ein Jahrhundert hat die

Nation unter dieser unwürdigen Karrikatur wirklicher Toleranz, welche dem freudigen Zusammenwirken ihrer Kräfte selbst auf rein geistigem Gebiet hindernd im Weg stand, gelebt und gelitten, bis allmählig der Gedanke der innerlichen und wahrhaftigen Duldung sich durchrang, nach welchem der Sraat, über die Schranken der einzelnen Confessio« sich erhebend, kraft freier Entschließung allen Kirchen das gleiche Recht

als etwas selbstver­

ständliches zugesteht, eben so selbstverständlich aber auch kraft seiner Hoheit die Grenzen zieht, innerhalb welcher zur Erhaltung deS allgemeinen Frie­ dens jede einzelne sich zu halten hak.

Alle Siege des großen Preußen-

königs haften in der Erinnerung des deutschen Volkes nicht fester als fein berühmtes Wort:

„in meinem Staat kann jeder nach seiner Fa?on selig

werden", die grundsätzliche Emancipation des Staates von allem fefsionaliSmuS.

welche nur in Folge der Ueberwindung bundenheit

Con-

Es ist ein absoluter Widerspruch, um der Kirchen willen,

alle nebeneinander frei

der früheren confessionellen Ge­

im Staat

bestehen können,

diesem

wieder confessionelle Gesichtspunkte aufnöthigen zu wollen. Unsere Staaten sind christlich und werden eS, wenn auch ein wunder­ licher Schwärmer daran zweifeln oder frivoler Uebermu»h daran zu rütteln versuchen sollte, nothwendig immer bleiben, da unser Volk nach seiner ge­ schichtlichen Entwickelung in allen seinen Anschauungen und seiner ganzen Gesittung christlich ist.

Dagegen haben sich unsere Staaten über die Kon­

fessionen erhoben und dürfen von dieser Höhe nicht wieder herabsteigen. DaS conservativ-clericale Bündniß stellt diese Zumuthung an den Staat und wird eS auch sein Endziel wegen der inneren Unmöglichkeit desselben nicht erreichen, so ist doch sehr zu wünschen, daß dem Bund überhaupt

57

feine Früchte entsprießen; sie würden dereinst nicht unter den Siegen Preußen- und Deutschland- verzeichnet werden und jeder Schritt vorwärts in der Richtung, welche die Verbündeten verfolgen, droht zu einem verhängnißvollen Rückschritt in der preußisch-deutschen Entwicklung zu werden. Die Deutschconservativen verkennen ihr eigene- Parteiintereffe, wenn sie die wechselseitige Emancipation von Staat und Kirche für eine specifisch liberale Doctrin erklären und alö solche angreifen und verwerfen, sie ist da- nicht abzuweisende Ergebniß unserer geschichtlichen Entwicklung und ihm gegenüber kann eine richtige conservative Politik in Verbindung mit der streng kirchlichen Richtung innerhalb der protestantischen Kirche ihre Auf. gäbe nur darin finden, auf einem die Volk-sitte so innig berührenden Gebiet eine überhastete Anwendung de- Grundsätze- und zuweit gehende Consequenzen desselben abzuwehren. Der Grundsatz, selbst hat sich in allen Culturstaaten durchgerungen, er hat aber nirgend- die gleich eminente Wichtigkeit wie bei un- in Deutschland, wo cS sich nicht um die ungehin­ derte Duldung macht- und bedeutungsloser Minoritäten handelt, sondern wo die verschiedenen Kirchen neben dem gleichen Recht auch die gleiche thatsächliche Bedeutung beanspruchen und wirklich haben. Dieser absolut paritätische Charakter unserer Bevölkerung verleiht der kirchenpolitischen Frage für uns eine ganz fundamentale, das gesammte Staat-leben beherr­ schende Bedeutung. Kein Vortheil irgend einer Art, welcher durch principwidrtge Concessionen in derselben erkauft werden kann, wiegt die unver­ meidlich damit verbundenen Nachtheile auf; denn jede- Schwanken in der außerconfessionellen über die Kirchen sich erhebenden Stellung unserer Staaten berührt ihre empfindlichsten Grundlagen und erschüttert zugleich, wa- noch viel verderblicher wirkt, eine ihrer wesentlichsten geistigen Existenz­ bedingungen, da- aus den schwerste» Erfahrungen erwachsene öffentliche Bewußtsein, daß sie um ihrer und um der Kirchen selbst willen ihren Standpunkt außerhalb aller Confessioncn nehmen müssen. Der eigentlich grundsätzliche und unversöhnliche Gegner dieser An­ schauungsweise ist der Ultramontani-muS, der, wenn auch ein modus vivendi mit der Curie erzielt werden sollte, seiner Seit- die Waffen nicht niederlegen wird. DaS unmittelbare äußere Object de- Kampfe- ist Macht oder, wenn man lieber will, die Wiederbelebung einer 11118 widerstrebenden, undeutschen, längst vergangenen Jahrhunderten angehörigen Herrschaft-form. Wir haben alle Ursache, die Macht uud die Herrschaft ans unserem Boden unS ungeschmälert zu bewahren; eS steht aber für uns zugleich noch etwaandere- auf dem Spiel, die Erhaltung unserer nationalen, geistig-sittlichen Bildung, wie sie aus de» Ruinen des dreißigjährigen Krieges unter un­ endlicher Mühe und Hingebung der Besten des Volkes auS beiden Kirchen 5

58 sich aufgebaut hat.

Die römische Hierarchie kan» die erstreble Herrschaft

in Deutschland nicht erreichen, so lange diese Bildung nicht geknickt ist, und diese, im Gefühl der von dem UltramontaniSmus ihr stets drohenden Gefahr, kann nicht ander- als ihn bekämpfen.

3n diesem Sinn war und

ist der mit ihm geführte Kampf, so viele unreine und frivole Elemente sich eingemischt haben mögen, ein Culturkampf in der besten Bedeutung des Worte-, an welchem sich betheiligt zu haben, nur derjenige verläugnen kann, der seine Bedeutung nie erkannt hatte.

Die Ultramontanen tiium«

phiren jetzt, weil der Staat ihnen einzelne Concessionen gemacht hat und sie noch weitere erwarten.

Der Kampf wird aber nicht mit einem Feldzug

entschieden, und selbst wenn, was übrigens billig ju bezweifeln, der Staat zur Unterwerfung bereit wäre, würde unser Volk ihn fortführen, bis jener durch die -Noth gedrängt seiner Interessen und seiner Pflichten sich wieder erinnerte und die ihm gebührende Rolle deö Führers auf's Neue über­ nähme.

Unter den Ursachen, welche jetzt einen augenblicklichen Rückschlag

in der Bewegung bewirkten, ist gewiß nicht die letzte die in weiten Kreisen verbreitet gewesene Meinung, der UltramontaniSmus könne mit einem ein­ zigen glücklich und energisch geführten Schlag für immer kampfunfähig ge­ macht und vernichtet werden.

Haben die jüngsten Mißerfolge diesen Irr­

thum zerstört, so sind sie dadurch ausgewogen.

Der UltramontaniSmus

ist nur zu überwinden durch die unausgesetzte geistig-sittliche Arbeit der Nation und deS Staates.