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German Pages 350 [360] Year 1918
D E R K A M P F UM E I N E N GEISTIGEN LEBENSINHALT NEUE GRUNDLEGUNG EINER WELTANSCHAUUNG VON
RUDOLF EUCKEN DRITTE UMGEARBEITETE AUFLAGE
LEIPZIG VERLAG VON VEIT & COMP. 1918
Alle Rechte, einschließlich des Übersetzungsrechts, vorbehalten
Druck von Metzger 4 Wittig in Leipzig
Vorwort zur ersten Auflage I j i e
folgenden Darlegungen wissen sich in vollem Gegensatz zu den geistigen Strömungen, die heute äußerlich noch vorherrschen. Sie müssen abgelehnt werden von dem konventionellen und offiziellen Idealismus. Denn sie behandeln viel zu sehr die Probleme als im Fluß und verlangen viel zu eingreifende Umwandlungen, als daß sie demjenigen gefallen könnten, dem alles fest und fertig dünkt. Sie müssen ferner abgelehnt werden von dem Naturalismus jeder Färbung. Denn viel zu energisch verfechten sie eine geistige Wirklichkeit jenseits des sinnlichen Daseins, und viel zu entschieden verwerfen sie alle Kompromisse zwischen den in Wahrheit unversöhnlichen Gegensätzen, als daß sie nicht die volle Gegnerschaft jener Richtung auf sich nehmen müßten. Endlich müssen sie auch abgelehnt werden von der selbstbewußten und selbstgerechten Fachgelehrsamkeit. Wo alles Streben nach Weltanschauung und zusammenhaltender Überzeugung eine leere Utopie dünkt, wo man die Philosophie nur so weit gelten läßt als sie auf alle Prinzipienfragen verzichtet und entweder Geschichte oder Naturwissenschaft wird, da kann sich kein Verständnis finden für ein Streben nach einer inneren Wendung aus dem Großen und Ganzen. So sind wir auf die Minorität angewiesen und müssen uns besonders in unserer eignen Wissenschaft recht vereinsamt fühlen. Aber das schreckt uns nicht im mindesten. Einmal ist diese Minorität nicht so klein wie sie sich bei der Zerstreuung
IV
Vorwort
der Geister ausnimmt, und dann gibt es keine bessere Position als die in einer Minorität, welche ein unabweisbares Bedürfnis und auch schon den inneren Zug der Zeit für sich hat. Daß dem heutigen Kulturleben eine alles durchdringende und zusammenhaltende Hauptüberzeugung, ein gemeinsames Ideal fehlt, das kommt immer deutlicher zur Empfindung, zugleich aber auch dieses, daß wir damit einer geistigen Substanz entbehren, ja überhaupt einen Lebensinhalt, der diesen Namen verdient, einzubüßen drohen. So haben wir um ein geistiges Leben überhaupt wie um etwas Neues zu kämpfen. Ist aber ein solches Problem einmal wach geworden, so kann es nicht wieder einschlummern, so läßt es sich auch nicht als eine Nebensache behandeln. Vielmehr wird es die Gemüter immer mächtiger bewegen und immer mehr den Vordergrund des Lebens einnehmen. Die Zeit dürstet nach einem fester begründeten und zugleich größeren und freieren Leben, nach mehr Verwandlung der Wirklichkeit in innere Erfahrung der Menschheit; sie bedarf d a f ü r einer größeren Aktivität des Geistes, sie bedarf einer kräftigen Urerzeugung und Neubewährung geistigen Lebens. Und einem solchen Problem sollte die Philosophie ihre Mitarbeit versagen, es als ein minder „exaktes" von sich schieben! Will sie aber daran mitarbeiten, so muß sie neben den Spezialuntersuchungen, deren Wert in vollen Ehren bleibt, wieder eine Wendung ins Prinzipielle und Ganze vollziehen; so darf sie den Gegensatz, des Idealismus und Naturalismus — die unliebsamen Schlagwörter seien hier der Kürze halber entschuldigt — nicht verschleiern und durch einen matten Synkretismus abschwächen, sondern sie hat sich entschieden für den Idealismus zu erklären, freilich zugleich auch eine neue, wesenhaftere Art des Idealismus zu fordern; so kann sie sich endlich bei der Entfaltung der Geisteswelt nicht mit einer bloßen Schilderung und Zurechtlegung empirischer Art begnügen, sondern sie muß einen überlegenen Standort gegenüber der zerstreuten und fließenden Erfahrung erringen, von hier aus eine Umwandlung der Welt des ersten Eindruckes unternehmen und auch dem Leben, neue Kräfte zuführen. Gegenüber der unerträglichen Veiworrenheit der gegenwärtigen Lage muß sie auf einer schärferen Scheidung der Geister bestehen; die notwendige Vertiefung des Lebens kann sie nur
Vorwort
V
erreichen durch einen Bruch mit dem nächsten Dasein, durch eine U m k e h r u n g der vorgefundenen Lage. Ohne Wagnis läßt sich dabei nicht auskommen, riumquam periclum sine periclo vincitur. In den Dienst dieser Aufgaben stellen sich die folgenden Ausführungen. Ihrer Unvollkommenheit ist sich der Verfasser voHauf b e w u ß t ; gern h ä t t e er besseres geboten als hier geboten ist. Aber die Gesinnungsgenossen darf er bitten, der Schwierigkeiten eingedenk zu sein, mit denen ein solches Unternehmen in dem geistigen Dunkel der Gegenwart zu kämpfen hat, und von Herzen würde er sich freuen, wenn die leitenden Ideen, über deren schließlichen Sieg kein Zweifel sein kann, von anderen glucklicher und eindringlicher verfochten würden. J e n a , im Herbst 1895. Rudolf Eucken
Vorwort zur dritten Auflage W e i t dem ersten Erscheinen des Buches sind über zwanzig Jahre verflossen. Ein Blick in das damals geschriebene Vorwort zeigt, d a ß die Fragen dieselben geblieben sind, d a ß sie sich im Lauf der Jahrzehnte eher verschärft als gemildert haben; sie sind dringender geworden als je. Die neue Bearbeitung aber wird auch zeigen, d a ß meine prinzipielle Stellung zu ihnen sich nicht verändert h a t ; hoffentlich wird sie zugleich Fortschritte in ihrer Behandlung zeigen, Fortschritte sowohl in der Richtung eines einfacheren und flüssigeren Stils, Fortschritte auch in der Richtung einer engeren Beziehung zum Leben der Gegenwart. Zu diesem Zwecke ist der Schlußteil vollständig neu gestaltet worden, er hofft in dieser Gestalt darzutun, daß die Grundgedanken des Buches keineswegs zeitfremd sind, d a ß sie vielmehr eben der Lage der Gegenwart manche Anregung bringen können, J e n a , im J a n u a r -1918. Rudolf Eucken
Inhalt Seite
Einleitung 1.
1
Aufsteigender T e i l .
Die S t u f e n der
Bewegung.
A. Der K a m p f um die S e l b s t ä n d i g k e i t des 1. Die U n h a l t b a r k e i t der ersten
Geisteslebens.
Lage.
a. Das Hinauswachsen des Menschen über die N a t u r . . .
4
b. Der Widerspruch im u n m i t t e l b a r e n Dasein
19
c. Die F o r d e r u n g einer selbständigen T a t w e l t
25
2 . Das neue
Leben.
a. Die H a u p t t h e s e
29
b. Das Zeugnis der weltgeschichtlichen A r b e i t
34
c. Der U m r i ß der neuen W i r k l i c h k e i t
39
B . Der K a m p f um den C h a r a k t e r des
Geisteslebens.
1. Das P r o b l e m des C h a r a k t e r s . a. E r s t e r E n t w u r f
57
b. Neue Aussichten und Aufgaben
62
2 . Die E n t w i c k l u n g des -Charakters a. Einzelne H a u p t p u n k t e
73
'
74 91
b. Der U m r i ß des L e b e n s s y s t e m s « . Die älteren L e b e n s s y s t e m e
93
ß. Das S y s t e m der W e s e n s b i l d u n g
106
aa. Allgemeine Züge
107
b b . W e l t und N a t u r
111
cc. Der Mensch
116
dd. Die W e s e n s - und G e i s t e s k u l t u r
123
c. K o n s e q u e n z e n und E n t w i c k l u n g e n
131
a . Die V e r s ö h n u n g von E i n h e i t und Vielheit ß. Die B e f r e i u n g v o m
131 -
Intellektualismus
138
•/. Das U n r e c h t und das R e c h t der G e s c h i c h t e 3 . Die A u s e i n a n d e r s e t z u n g m i t der m e n s c h l i c h e n
. . . .
143
Lage.
a . Das P r o b l e m
155
b . Die B e w e g u n g des Daseins zum Geistesleben
157
c . Die V e r s ö h n u n g von
170
Idealismus und R e a l i s m u s . . . .
VIII
Inhalt C. Der Kampf um die Weltmacht des Geisteslebens.
Sdte
1. Das Problem a. Die Natur b. Das geistige Vermögen c. Die moralische Gesinnung d. Die Geschichte e. Die Gesellschaft f. Das Schicksal
180 181 184 188 191 194 200
2. Das Suchen nach Lösungen. a. Die Wegdeutung des Bösen b. Die Zurückdrängung des Bösen c. Der Verzicht auf die Geisteswelt d. Die Philosophie der Entsagung
208 212 217 219
3. Der Weg der Rettung. a. Begründung b. Auseinandersetzung mit dem Zweifel c. Entwicklung der neuen Welt d. Verwicklungen und Abgrenzungen . •
226 238 252 263
D. Zusammenfassung. 1. Das Gesamtbild des Geisteslebens 2. Die Lage des Menschen
282 289
II. Absteigender Teil. A. Auseinandersetzung mit der Zeit. B . Einzelne Hauptgebiete. 1. Die Religion
313
2. Die menschlichen Verhältnisse a. Der Mensch selbst b. Menschheit und Nation c. S t a a t und Nation d. Die innere Gestaltung des Staates ...
321 321 323 324 325
3. Bildungsfragen. a. Das Gesamtziel b. Volksschule und Gelehrtenschule Der Aufstieg der Begabten. c. Die Verzweigung des gelehrten Schulwesens
329 330 333
4. Die Philosophie
335
Schluß
337
Sachregister
339
Einleitung. I
Jnserer Untersuchung seien einige Worte über ihren Sinn und Zweck vorangeschickt. Was wollen wir, wenn wir uns mit dem „Kampf uiji einen geistigen Lebensinhalt" befassen? Der Begriff „geistig" ist selbst recht unklar, weitere und engere Fassungen laufen in ihm durcheinander: das Geistige scheint einerseits jedem Menschenwesen von Haus aus zuzukommen, andererseits aber stellt es sich als eine schwere Aufgabe dar; augenscheinlich sind hier verschiedene Stufen auseinanderzuhalten, die doch eine Verwandtschaft besitzen müssen, um sich unter jenem Begriff zusammenzufinden. In Wahrheit erscheint als neue gemeinsame Eigenschaft aller verschiedenen Stufen eine gewisse Selbsttätigkeit des Lebens. Eine solche erweist sich schon da, wo das Seelenleben die Stufe der bloßen Assoziation und der blinden Naturtriebe überschreitet; insofern läßt sich schon bei den Anfängen menschlicher Entwicklung von geistigen Eigenschaften reden. Aber diese Eigenschaften stehen zunächst ganz und gar im Dienst der natürlichen Selbsterhaltung, -von einem geistigen Lebensinhalt kann keine Rede sein. Es kann das auch dann nicht, wenn diese Eigenschaften sich hie und da vom Druck der Natur befreien und Eigentümliches schaffen, wie in der Religion und in der Moral, denn das kann eine bloße Nebenerscheinung eines andersartigen Lebens bleiben. Eher schon läßt sich die Frage stellen, wenn gewisse der natürlichen Selbsterhaltung überlegene Tätigkeiten, sei es im gesellschaftlichen Zusammensein, sei es in der Kulturarbeit, zur Hauptsache im Leben werden, so daß über die Richtung des Handelns auf geistige Ziele kein Zweifel bestehen kann. Aber auch das ergibt noch keineswegs einen geistigen Lebensinhalt. Auch eine angespannte geistige Beschäftigung kann so ausschließlich von besonderen Aufgaben eingenommen sein und dadurch so E u c k e n , Kampf.
III. Aufl.
1
2
Einleitung
einseitig gestaltet werden, daß das Ganze der Seele leer bleibt; dann aber kann nicht wohl die Rede von einem geistigen Lebensinhalt sein. Das kann nur da geschehen, wo der Mensch sich in ein Ganzes zusammenfaßt, als solches zum Ganzen der Wirklichkeit Stellung nimmt, hier Entscheidungen trifft und Richtungen einschlägt, damit alle Mannigfaltigkeit des Strebens in einen inneren Zusammenhang bringt. Diese äußerlich unscheinbare Wendung ist aber von bedeutendsten Folgen für den Einzelnen wie für das Ganze der Menschheit. Denn nur damit gewinnt der Mensch eine innere Selbständigkeit, ein Beisichselbstsein des Lebens, nur so kann er aus einem bloßen Stückmenschen ein Vollmensch, eine weltumspannende Persönlichkeit werden. Die Sache reicht aber weit über den Einzelnen hinaus. Ein geistiger Lebensinhalt in jenem Sinne ist unentbehrlich für alle Gebiete, welche den Bereich der bloßen Arbeit, das Wirken am Gegenstande, überschreiten und in Umspannung des Gegensatzeis von Kraft und Gegenstand eine innere Weiterbildung des Lebens erstreben, wie es Religion, Philosophie, Kunst, auch alle tiefer gefaßte Mpral t u t ; diese Gebiete müssen notwendig verarmen, wo ein geistiger Lebensinhalt fehlt, der sich in ihnen entfalten und an ihnen messen könnte. J a ohne jenen, ohne eine Belebung des Ganzen des Menschenwesens, kann das gemeinsame Streben zum Aufbau der Kultur kein leitendes und erhöhendes. Gesamtziel finden, und kann sich kein Fortgang von einer bloßen Arbeitskultur zu einer Geisteskultur vollziehen, auch kein innerer Zusammenhang der Menschheit bilden. So steht bei der Frage nach einem geistigen Lebensinhalt wahrlich genug auf dem Spiel; daß aber diese Frage eine dringende Aufgabe der Gegenwart ist, daß wir das Seltenwerden von starken, vollausgeprägten Persönlichkeiten, das Stocken des geistigen Schaffens, den Mangel eines die Menschheit verbindenden und kräftigenden Hauptziels immer schmerzlicher empfinden und immer mehr darunter leiden, das ist wohl jedem Denkenden klar. Zugleich aber kann über die Notwendigkeit möglichster Gegenwirkung kein Zweifel sein. R£cht begrenzt ist freilich, was philosophisches Streben d^für nutzen kann. Denn der Mangel an geistigem Lebensinhalt liegt keineswegs am bloßen Erkennen, er liegt an erster Stelle an der überwiegenden Richtung der Zeit auf materielle Erfolge und Güter, an zweiter an der unablässig fortschreitenden Spe-
Einleitung zialisierung
der
Arbeit,
die
immer
3 mehr
bloße
Stückmenschen
züchtet und die Probleme des ganzen Menschen wohl gar verachten zu dürfen glaubt. Wehr.
Dagegen
hat jenes
Streben unmittelbar
A b e r was f ü r sich nicht unmittelbar
das kann
zu wirken
keine
vermag,
eine Voraussetzung und eine Hilfe eines weiteren
Stre-
bens sein; gleichgültig ist es doch nicht, ob ein Ganzes der Überzeugung und
ein
geistigen
gegenüber Kampf
Leben
zerstörenden Wendung
das
Lebensinhaltes
f ü h r t wird. führen.
jener für
Recht
auch
und
auf
die
aufrechtgehalten
Notwendigkeit
wissenschaftlichem
E r ist aber hier nach drei
eines
Boden
Hauptrichtungen
ge-
hin zu
E i n geistiger Lebensinhalt fordert zunächst, daß geistiges eine
über dem
Selbständigkeit
und eine selbständige
Reich der bloß natürlichen
Aufgabe
gegen-
oder auch sozialen
Selbst-
erhaltung besitze; so ist dies zunächst ins Auge zu fassen.
Aber
zur Macht kann jenes Leben nicht kommen, solange es beim allgemeinen Umriß verbleibt, es muß zu einem ausgeprägten gelangen,
um
sich
gegen
unsägliche
Hemmungen
k ö n n e n ; wie steht es mit einem solchen C h a r a k t e r ? wird die Wendung zu
jenem
Leben
gehemmt
Charakter
aufarbeiten Endlich
durch
die
Zweifel,
welche seine Stellung im Ganzen unserer Welt hervorruft. dem ersten
Eindruck nach
erscheint es hier als durchaus
zu aber
Denn neben-
sächlich, j a gleichgültig; muß es bei diesem Eindruck bleiben, oder ist er zu ü b e r w i n d e n ? Alle drei
Fragen
verbinden sich schließlich
zu einer
Haupt-
frage, und ihre Behandlung mündet in ein Endergebnis ein; dieses muß aber f ü r die verschiedenen Seiten und Gebiete des Lebens, auch f ü r das Erkenntnisproblem, tiefgehende Folgen haben. Diese Folgen werden in einem zweiten absteigenden Teile näher entwickelt; es wird dabei das Problem mehr ins Anschauliche zu wenden und dabei zu zeigen gesucht, daß eben die hier gewonnene Gesamtüberzeugung
Forderungen
erfüllbar macht,
einzelnen Gebiete notwendig bestehen müssen.
auf
denen
die
Zugleich wird eine
engere Beziehung zur unmittelbaren Gegenwart angestrebt. So hoffen wir, daß die verschiedenen Stufen sich in ein einheitliches Ganzes zusammenschließen und mit der K r a f t eines solchen wirken.
1*
I. A u f s t e i g e n d e r
Teil.
Die Stufen der Bewegung. A. D e r K a m p f
um die S e l b s t ä n d i g k e i t des
Geisteslebens.
1. Die Unhaltbarkeit der ersten Lage, a. Das Hinauswachsen des Menschen Uber die Natur. Y Y / e r heute nach einem Sinn unseres Daseins und nach einem Ziel unseres Handelns fragt, dem trägt nicht nur eine Hochflut der Zeitmeinung, sondern ein mächtiger Strom der weltgeschichtlichen Arbeit eine entschiedene und siegesgewisse Antwort entgegen. Der Mensch, so heißt es, gehört ganz und gar zur Natur; nicht nur von außen umfängt ihn ihre überlegene Gewalt, auch innerlich beherrscht ihn ihr Zwang, mit sicheren Zügen weist sie ihm den einzigen Weg zu Wahrheit und Glück. Wenn den Menschen ein keckes Unterfangen von dieser seiner Heimat losriß und ihm ein selbständiges Reich geistiger Art vorhielt, so hat es ihn damit nur ins Irre und Leere geführt; je mehr sich solcher Wahn im Lauf der Zeiten befestigte und unser Denken und Tun durchdrang, desto mehr ist er ein Hemmnis wahren und echten Lebens geworden, desto energischer ist er nach Gewinn besserer Einsicht zu bekämpfen und auszurotten. Das erscheint als eine Hauptaufgabe der Neuzeit und Gegenwart. Ein Wendepunkt der Zeiten scheint gekommen, der mit einer Rückkehr zu uralter Wahrheit zugleich eine völlige ( Erneuerung verspricht; eine erkünstelte und greisenhafte Kultur soll einer wahren und jugendfrischen weichen. Verzichten wir nur auf die hochmütige Absonderung wie die eingebildete Scheidewand zwischen uns und den Dingen, und wir werden aus der Berührung mit unserer Mutter Erde unerschöpfliche Kraft gewinnen.
D a s H i n a u s w a c h s e n des M e n s c h e n über die Natur
5
Das sind zunächst bloße Meinungen und Stimmungen. Aber hinter diesen Meinungen und Stimmungen steht die Arbeit der Menschheit, steht eine weltgeschichtliche Bewegung. In der Tat hat die Neuzeit den Menschen in ein engeres und fruchtbareres Verhältnis zur Natur gebracht. Sie hat das getan, indem sie zunächst eine Scheidung vollzog und damit erst der Natur zu ihrem Rechte verhalf. Das unmittelbare Ineinanderfließen beider, wie ein naiverer Lebensstand es enthielt, war durch lange und zähe Gedankenarbeit des Altertums und Mittelalters wissenschaftlich durchgebildet und festgelegt, so daß ein Netz menschlicher Begriffe hier die Welt fest umfing. Dies Gewebe war vor allem aufzulösen, die Natur mußte in ihrer Selbständigkeit anerkannt sein, um ihre Eigentümlichkeit offenbaren zu können. Diese Eigentümlichkeit aber zeigte bald den weitesten Abstand, ja einen vollen Gegensatz zur menschlichen Art. Wir sahen aus der Natur alle seelischen Größen wie leere Einbildungen durch seelenlose Massen und Bewegungen vertrieben, alle Gesamtgebilde in kleine und kleinste Elemente aufgelöst, alles Geschehen aus einer vermeintlichen Innerlichkeit in die äußeren Berührungen jener Elemente verlegt, alle Werte und Zwecke als leere Hirngespinnste zugunsten einer bloßen und reinen Tatsächlichkeit entfernt. Indem sich solche Antriebe im Lauf der Jahrhunderte mehr und mehr in fruchtbare Arbeit verwandeln und die Unermeßlichkeit des Stoffes ergreifen, erhebt sich immer anschaulicher und immer eindringlicher das Bild einer selbstgenugsamen Wirklichkeit der Natur jenseits unseres Treibens und Tuns. Eine Welt unerschöpflich in dem Reichtum ihrer Bildungen und denkbar einfach in den Grundformen ihres Lebens, aus lauter Einzelpunkten bestehend, aber sie alle untrennbar verwebend; rastlos bewegt im Spiel der Erscheinungen, unveränderlich im Grundbestande; ohne Spuren einer menschenartigen Vernunft, aber mit ihrer unverbrüchlichen Gesetzlichkeit und ihrem strengen Kausalgefüge das gewaltigste System einer immanenten Logik; von durchsichtiger Klarheit in ihren Äußerungen, von tiefem Dunkel in ihrem Grunde, aber unter so deutlicher Abgrenzung beider, daß das Geheimnis die Arbeit des Tages nicht stört. Diese neue Welt erhob sich zunächst dem Menschen gegenüber als ein abgegrenztes Reich, sie beließ daneben ein eignes Gebiet der seelischen Innerlichkeit. Ja, die deutliche Auseinandersetzung schien dies nur noch mehr in seiner Art zu bestärken.
6
D e r Kampf um d i e S e l b s t ä n d i g k e i t d e s G e i s t e s l e b e n s
Bald aber wandte die Natur sich gegen jene Sonderstellung des Menschen und begann ihn immer mächtiger an sich zu ziehen und sich zu unterwerfen. Es entsprang aber solche Unterwerfung des Menschen unter die Natur vornehmlich der Ausbildung einer Herrschaft über sie; nichts verlieh der Natur mehr Macht über ihn als ihre intellektuelle und technische Bewältigung. Die Abschüttelung der mittelalterlichen Vorstellungsbilder und der Fortgang zu einer objektiven und exakten Naturerkenntnis war zunächst ein Triumph des Intellekts üjber die sinnliche Welt. Aber wie oft, so überwand auch hier der Besiegte schließlich den Sieger. Durch den präzisen .Inhalt, den die Natur den Begriffen gab, bezwang sie die geistige Arbeit, um so sicherer und nachhaltiger, je unmerklicher sich diese Wirkung vollzog. So groß war die Macht der an der Natur gewonnenen Festigkeit, Anschaulichkeit, Gliederung der Begriffe, daß das dort gefundene Bild auf die Innenwelt übergriff und immer mehr auch ihre Gestaltung beherrschte. Auch direkte Gegner konnten sich diesem Einfluß nicht entziehen, so hat z . B . selbst ein L e i b n i z in der Bekämpfung des „Naturalismus" eine Hauptaufgabe gefunden und zugleich durch die nähere Fassung seiner Begriffe dem Gegner vielfach die Wege bereitet. Ward so von innen her einem neuen Leben der Boden gesichert, so wirkte ins Weite mehr die erst langsame, dann rasche Entfaltung einer technischen und industriellen Kultur, dieses Sprößlings der neuen Naturwissenschaft. B a c o n hatte Recht mit dem Worte, der Mensch werde nur durch willfähriges Dienen zum Herrn der Natur; er vergaß nur hinzuzufügen, daß er in ihrem Dienste verbleibt, auch nachdem er ihr Herr geworden ist, daß er immer tiefer in ihren Bann gerät, je mehr er aus ihr zu machen versteht. Denn der Fortschritt der Technik verlegt mehr und mehr die Arbeit in das Werkzeug, die Maschine mit ihrer Nutzung der Naturkraft; das Erzeugnis menschlicher Einsicht und Geschicklichkeit erlangt eine Selbständigkeit gegen seinen Erzeuger, weist seinem Tun die Bahnen und beherrscht schließlich auch sein Denken. Innerhalb unseres eignen Daseins erhebt sich damit ein Naturprozeß, dringt von der Arbeit in die Gesinnung, von der Gesinnung in das Wesen und wird endlich unser ganzes Leben. Die technische Arbeit mit ihrer ausschließlichen Richtung auf die Leistung, ihrer zusehends wachsenden Verzweigung, ihrer Anhäufung riesiger Massen, ihrer Ausbildung schroffer Gegensätze, ihrer fieberhaften Hast, ihrer Ver-
Das H i n a u s w a c h s e n des M e n s c h e n über die N a t u r
7
schärfung des Kampfes ums Dasein wird maßgebend f ü r unser ganzes Leben; das erfahren nicht n u r die Einzelnen in ihren gegenseitigen Beziehungen, das erfährt auch die Menschheit als Ganzes; auch sie wird in den Wirbel hineingezogen, in fieberhafter Aufregung gehalten, sie wird ein bloßes Mittel eines rast- und sinnlosen Kulturgetriebes. Ist ein solches Kulturgetriebe mehr als eine bloße Fortsetzung jenes mechanischen Naturprozesses? So h a t die N a t u r uns auf unserem eignen Gebiete geschlagen; indem wir sie unterwerfen wollten, sind wir ihr unterlegen. Es stellt sich aber diese W e n d u n g zur N a t u r der geschichtlichen Lage gegenüber als eine große Aufgabe dar. Die Losreißung von der N a t u r h a t u n t e r u n s zu viel Bestand erlangt, um nicht viel Widerspruch und Widerstand zu leisten. So bedarf es angestrengter Arbeit um alles Unechte auszutreiben, das Echte freizulegen und zu v e r b i n d e n ; es gilt alle „ W e r t e " umzuwerten, um sowohl die ganze Seele des Menschen als alle Verzweigung der geistigen Arbeit n a t u r g e m ä ß zu gestalten. Immer eifriger wird dieses Streben, immer stärker die Bewegung; hier vornehmlich finden sich die K r ä f t e zusammen, hierher geht viel Eifer unserer Zeit, auch viel Glaube und Hoffnung. S o ' v o r d r i n g e n und so die Menschen bezwingen h ä t t e jene Bewegung nicht v e r m o c h t bei stärkerem Widerstand anderer Gedankenmassen. An Widerstand fehlte es freilich n i c h t : sowohl ein religiöses System mit seiner Bindung unseres Lebens an eine überweltliche Ordnung als eine i m m a n e n t e K u l t u r mit ihrer Veredlung des Daseins durch K u n s t und Wissenschaft widersprachen und widersprechen dem Naturalismus. Aber ihnen fehlt auf dem Boden der Zeit die K r a f t zu überzeugen, zu verbinden, vorzudringen. Sie fehlt namentlich deshalb, weil jene Bewegungen heute wenig ursprüngliches Schaffen erzeugen, weil die ewigen W a h r h e i t e n , die sie vertreten, kein sicheres Verhältnis zur Zeit erlangen und nickt ihre Seele gewinnen. So bleiben wir auf überkommene Gestaltungen angewiesen, die dem S t a n d e der weltgeschichtlichen Arbeit und den Bedürfnissen der Gegenwart nicht voll entsprechen, und bei denen sich leicht Unentbehrliches mit Unmöglichem u n t r e n n b a r verquickt. Indem wir hier das Unmögliche weiterschleppen, um n u r nicht das Notwendige zu gefährden, e n t s t e h t leicht eine Halbwahrheit, ein Halbwollen m a t t e r A r t . Es fehlt auf der geistigen Seite ein die Arbeit beseelendes und verbindendes, die Individuen
8
D e r K a m p f um d i e S e l b s t ä n d i g k e i t d e s
Geisteslebens
aufrüttelndes und erhöhendes Lebensziel. Das Natursystem dagegen bietet ein solches; kein Wunder, daß ihm einstweilen die Gewalt über die Gemüter gegeben ist und aller Widerstand es nicht zu erschüttern vermag. Die Verworrenheit und Halbwahrheit der anderen Lebensordnungen verstärkt dabei den Eindruck seiner Einfalt und schlichten Tatsächlichkeit. Wohl fordert es schwere Opfer vom Menschen, er muß vielen Lieblingswünschen und aller Sonderstellung entsagen. Aber das Entsagen selbst hat den Reiz einer mannhaften Tat, und mit den Vorrechten fallen zugleich die Schranken zwischen Mensch und All, so daß dessen unermeßliches Leben ihn ungehemmt zu durchfluten vermag. Das sind eingreifende Wandlungen, auch insofern einzig in ihrer Art, als nie zuvor der Naturalismus so wie jetzt einen selbständigen Aufbau der Kultur unternahm, nie so in alle Verzweigung des Daseins eindrang. Dieser neuen Lage gegenüber versagen alle geschichtlichen Hilfen. Auch vermögen gegen jenen Strom von Tatsachen und Ideen nichts individuelle Stimmungen, noch auch einzelne Gegendaten; einem Ganzen der Wirklichkeit ist nur ein ebensolches Ganzes gewachsen. Aber dürfen wir überhaupt nach einem anderen fragen, nachdem die Zeit und die Menschheit, wie es scheint, f ü r das Natursystem schon entschieden h a t ? Wir dürfen es nur, wenn wir die Endgültigkeit dieser Entscheidung bezweifeln; das aber tun wir in Wahrheit. Wir tun es aus der Überzeugung, daß die sichtbarste Strömung der Zeit keineswegs schon die ganze Zeit bedeutet, daß weiter das menschliche Leben überhaupt nicht in eine besondere Zeit und Zeitlage aufgeht. Steht es so, dann gibt es eine Berufung von der Leistung der Zeit an die Seele der Zeit, sowie eine von der bloßen Zeit an eine ewige Wahrheit und zeitlose Wirklichkeit. Diesen höchsten Richter rufen wir an, und vor ihm gedenken wir jene ausschließliche Verwandlung des menschlichen Daseins in einen Naturprozeß, jene Unterordnung und Einfügung des Geisteslebens in die Natur, als eine Irrung zu erweisen. Begründen kann diese Behauptung nur der Aufweis eines andersartigen, überlegenen Lebens, das von Grund aus wirkt, aber unserer Zuwendung bedarf, um für uns volle Wirklichkeit zu werden. Eine solche Untersuchung kann ihren Standort nicht im Bewußtsein der Individuen, sondern nur in dem weltgeschichtlichen Lebea und Schaffen der Menschheit nehmen, d. h. in dem weltgeschichtlichen Leben nicht
Das H i n a u s w a c h s e n des M e n s c h e n über die Natur wie
es
unmittelbar
Prüfung und hier u m
vorliegt,
den
Ewigkeitsgehalt
Arbeit h e r a u s h e b e n
Daß
die
sondern
wie
es
sich
S e l b s t b e s i n n u n g zu e r k e n n e n g i b t . der
Geschichte,
9
eindringender
E s h a n d e l t sich den
erst
geistige
allem,
was
sie
kann.
Bewegung
der Menschheit
bei
N a t u r v e r d a n k t und worin sie von ihr a b h ä n g i g bleibt, den
der Kreis
der N a t u r d u r c h b r i c h t und eine neue W e l t e r ö f f n e t , d a s sei z u n ä c h s t a m allgemeinsten U m r i ß des Lebens aufgezeigt. Richtungen
zeigt
er eine
deutliche
In drei v e r w a n d t e n
Weiterbewegung
des
Z u n ä c h s t ergibt d e r Aufstieg der K u l t u r ein neues zwischen
sinnlichem
und
unsinnlichem
Leben.
Ganzen. Verhältnis
Der
Natur-
prozeß in der präzisen F a s s u n g der neueren W i s s e n s c h a f t k e n n t kein W i r k e n von innen her, kein Fürsichsein, keine S e l b s t t ä t i g k e i t Dinge.
Vielmehr
ist
jedes
Element
eng
mit
seiner
der
Umgebung
v e r s c h l u n g e n , es b e s t e h t n u r als Glied einer f o r t l a u f e n d e n
Kette,
alle L e i s t u n g erfolgt auf die Reizung v o n d r a u ß e n h e r u n d in d e r R i c h t u n g nach d r a u ß e n ; n u r m i t e i n a n d e r , n u r in unablässigem Austausch sind die Dinge, was sie sind. als bloße
A u c h d a s Seelenleben
F o r t f ü h r u n g der N a t u r seinen
könnte
G e h a l t n u r aus der
Be-
r ü h r u n g m i t der U m g e b u n g s c h ö p f e n ; eine solche Bildung aber w ü r d e all u n s e r e m D e n k e n u n d T u n einen sinnlichen C h a r a k t e r geben u n d es auch in seiner h ö c h s t e n
Entfaltung streng daran
binden.
Es
m ö c h t e d a n n etwa U n t e r s c h i e d e einer g r ö b e r e n u n d einer f e i n e r e n , einer u n m i t t e l b a r e n und einer abgeleiteten Sinnlichkeit geben, n i c h t aber
ein
völliges
Ausgangspunkt,
Losreißen ein
vom
Bearbeiten
Daseins aus einem n e u e n Leben. der S i n n l i c h k e i t , m ü ß t e n
Sinnlichen, und
einen
Umwandeln
selbständigen des
sinnlichen
Zugleich m ü ß t e n die G r u n d f o r m e n
R a u m und Zeit u n s e r ganzes Leben be-
h e r r s c h e n , ohne irgendwie als eine E i n e n g u n g e m p f u n d e n zu w e r d e n . Nun e r s t r e c k t sich jene sinnliche A r t weit auch in das menschliche Leben hinein, weit ü b e r den ersten E i n d r u c k h i n a u s .
Aber sie er-
füllt es n i c h t ganz, ein unsinnliches Leben erscheint n i c h t n u r hie und d a , s o n d e r n in u m f a s s e n d e n Z u s a m m e n h ä n g e n , n i c h t n u r
als
eine E r g ä n z u n g , sondern als eine U m k e h r u n g des bisherigen Daseins. In aller M u n d e ist d a s W o r t K u l t u r , u n d von der K u l t u r will auch d e r P a r t e i g ä n g e r d e r N a t u r n i c h t lassen.
Aber den
der
ohne
Kultur
können
wir
nicht
genauer
fassen,
in
Begriff ihr
eine
10
D e r K a m p f um d i e S e l b s t ä n d i g k e i t des G e i s t e s l e b e n s
W e n d u n g des Lebens anzuerkennen. Schon das Wort (colere bestellen, bebauen) d e u t e t auf ein selbständiges Vorgehen und eignes Unternehmen des Menschen. Mag diese Bewegung zunächst innerhalb des sinnlichen Daseins liegen, bei wachsender K r a f t f ü h r t sie darüber hinaus und erzeugt sie eigne Größen und G ü t e r ; aus einer bloßen U n t e r s t ü t z u n g der natürlichen E r h a l t u n g wird die K u l t u r m e h r und mehr zur Erschließung einer neuen Welt, zur W e r k s t a t t eines neuen Lebens. Dies neue Leben aber versetzt über alle Sinnlichkeit hinaus in ein Reich der Gedanken und Ideen, wie sich deutlich genug durch alle Verzweigung des Daseins erweist. Sein eignes Bild verschiebt sich dem Menschen allmählich von jener Sinnfälligkeit der alten Zeiten, wo der Körper d a s wahre Selbst u n d die Seele den bloßen Schatten bildete, in ein gedankliches Sein; nicht n u r die W i s s e n s c h a f t e r s t r e b t eine Ausscheidung aller sinnlichen Elemente aus dem Seelenbegriff, auch die Überzeugung und Lebensführung des Menschen behandelt unsinnliche Größen, wie das Ich, die Individualität, die Persönlichkeit, als den K e r n seines Wesens. Die menschliche Gemeinschaft erhebt sich in S t a a t und Recht über d i e räumliche Nähe und die sinnlichen Formen, ein stärkeres Band als alles physische Zusammensein werden gemeinsame Schicksale, Ideen und Ziele; was an den Handlungen äußerlich ist, das sinkt aus einem Hauptbestandteil m e h r und m e h r zu einem bloßen Zeichen, einem an sich gleichgültigen Mittel zur Bek u n d u n g von E n t s c h l u ß und Gesinnung. Auch die Arbeit wird m e h r u n d m e h r auf das Denken gestellt, vom Denken g e t r ä n k t , j a ganz und gar in ein Gedankenreich umgewandelt. So zeigt es besonders deutlich die Wissenschaft selbst mit ihrer Zerstörung des naiven Weltbilds, ihrem Auflösen, Neubegründen, Wiederaufrichtelt der W i r k l i c h k e i t . Wohl k e h r t auch sie schließlich zu dem Ausgangsp u n k t der E r f a h r u n g zurück, aber die Welt ist ihr inzwischen verä n d e r t , der Verlauf der Arbeit h a t sie in ein Reich von G e d a n k e n größen v e r w a n d e l t . Mit dem Gehalt v e r ä n d e r t sich aber auch die Form des Lebens. J e n e Gedankengrößen gewinnen ein eignes Leben u n d befreien sich von unserer Macht wie von unseren Zwecken. Zugleich schließen sie sich u n t e r e i n a n d e r zusammen und bilden immer ausgedehntere Z u s a m m e n h ä n g e . Diese wollen sich durchsetzen und ausleben, sie t u n d a s mit elementarer Gewalt, u n b e k ü m m e r t um das W o h l und Wehe der Menschen, in rücksichtslosem Dahinschreiten
D a s H i n a u s w a c h s e n d e s M e n s c h e n über die N a t u r ü b e r die I n d i v i d u e n , Völker u n d Zeiten. und
Vorurteile
überwindet
schließlich
nichts übertrifft an bewegender zipien u n d Ideen.
Die s t a r r s t e n
die
Macht
n
Interessen
des
Gedankens,
K r a f t die L e i d e n s c h a f t der
Prin-
J e m e h r wir a b e r im Licht des G e d a n k e n s sehen
u n d a u s der K r a f t des G e d a n k e n s h a n d e l n , d e s t o m e h r wird d a s Sinnliche in die A u ß e n s e i t e des Lebens g e d r ä n g t u n d z u m Mittel h e r a b g e s e t z t .
Den W e r t der ä u ß e r e n
j e t z t n i c h t sowohl
ihr sinnlicher
Ereignisse
bloßen
bestimmt
U m f a n g als ihr E r t r a g f ü r eine
unsinnliche W e l t ; d e r K e r n des Lebens verlegt sich aus d e m hältnis
zur
Umgebung
in
die A u f g a b e n
und
Ver-
Bewegungen
einer
inneren, v o m D e n k e n g e t r a g e n e n W e l t . In
solchen
Wandlungen
w i n d u n g von R a u m
und
vollzieht
Zeit.
sich
zugleich
eine
Über-
Die alte Meinung, des Menschen
Leben v e r l a u f e gänzlich in R a u m und Zeit, ist so falsch, d a ß gerade umgekehrt
es n i c h t s
unterscheidend
Menschliches gibt,
n i c h t Zeit u n d R a u m ü b e r w i n d e n m ö c h t e .
Zeit u n d scheinen lediglich i h r e m S t r o m e zu folgen. das nicht
mit unserem
ganzen W e s e n ;
täten
Geschichte
entsteht
nicht
a u s einem
Aber wir t u n
wir es, so gäbe
keine Geschichte im eigentümlich m e n s c h l i c h e n solche
Sinne.
bloßen
D e n n eine Leistungen.
Z u r Geschichte g e h ö r t , d a ß der Mensch n i c h t bloß die der
Zeit
erlebt,
die d a s
Geschick
ihm
es
Vorbeiziehen
der Dinge, auch n i c h t a u s einem A u f s p e i c h e r n ä u ß e r e r Spanne
das
W o h l s t e h e n wir in der
besondere
zuweist,
sondern
d a ß sein G e d a n k e ihn in f r ü h e r e Zeiten z u r ü c k f ü h r t ; er k a n n
das
Vergangene zu n e u e r W i r k u n g erwecken, sowie den Lauf der Zeiten in ein Ganzes zu f a s s e n s u c h e n .
W i r b e t r a c h t e n dabei die Vergangen-
heit n i c h t bloß, wir v e r k n ü p f e n sie m i t Aneignung uns
von
des F r ü h e r e n der
fälligkeit
Gegenwart
und
Überkommene gänglichem harrende ringen.
des
Beschränktheit
zeitüberlegenen
unserem
soll u n s e r Leben
Gegenwart
bloßen zu
Augenblicks
und
Bleibendem sind
mit
Soviel werden
erfolgt; dem
und
ihrer
kann uns
S o n d e r u n g zwischen
ewige
Wechsel
Wahrheiten und
die
stärken,
einer" z e i t u m s p a n n e n d e n
führen.
n u r , sofern bei ihm eine
Wirklichkeiten
eignen T u n ;
ergänzen
Wandel
Zuund das Ver-
und
be-
zu
ent-
Solches Scheiden eines sterblichen u n d eines unsterblichen
Teiles m a c h t alle e c h t e Befassung m i t
d e r Vergangenheit
Zerstörung
alles
der
bloßen
Vergangenheit,
Eingehen
zu einer
in die
zu einem K a m p f gegen die bloße Zeit. — A b e r n i c h t n u r V e r g a n g e n h e i t , i m m e r f o r t w i r k t bei u n s ein überzeitliches
an
Zeit der
Streben.
12
Der Kampf um die S e l b s t ä n d i g k e i t des
Geisteslebens
Alle geistige Arbeit enthält als Voraussetzung und als Triebkraft die Idee einer an sich gültigen ewigen Wahrheit; eine Wahrheit für heute und morgen, für die besondere Zeitlage und auf Kündigung, ist ein Widerspruch in sich selbst. So sehr uns also nach unserer natürlichen Bedingtheit die Zeit festhält, eine Ewigkeit wirkt ihr entgegen, der Zusammenstoß beider durchdringt unser Leben. Mag das schwere Verwicklungen ergeben, die Mühen und Zweifel selbst befreien von der Enge eines bloßnatürlichen Daseins. Was aber von der Zeit, das gilt auch vom Raum. Die geistige Arbeit überwindet das bloße Nebeneinander ebenso gewiß wie das bloße Nacheinander; die bloßräumliche Berührung weicht mehr und mehr einer inneren Zusammengehörigkeit, einer sachlichen Verknüpfung der Dinge, einer Anordnung der Teile nach der Leistung für das Ganze. Hier läßt sich zeigen, daß in der geistigen Arbeit wie die Zeit von der Ewigkeit so der Raum von einer unräumlichen Welt aus erlebt wird. Aber diese Fragen seien hier nur gestreift, da sie für das Ganze unserer Arbeit nur Vorfragen sind. Das Gesagte genüge zur Rechtfertigung der Überzeugung, daß Zeit und Raum und mit ihnen die sinnliche Natur das menschliche Dasein nicht ganz erfüllen, und daß uns über sie nicht bloß ein Ahnen und Hoffen einer jenseitigen Ordnung der Dinge, sondern alle kräftige geistige Arbeit erhebt. Mit der Wendung vom Sinnlichen zum Unsinnlichen geht Hand in Hand eine Befreiung vom bloßen Einzeldasein; G e s a m t g r ö ß e n entstehen, und es richtet sich das Handeln über das Ich hinaus auf andere Wesen und auf andere Zusammenhänge, das aber in schroffem Gegensatz zur Natur. Denn der Naturprozeß gewährt ein eignes Sein und eine ursprüngliche Kraft nur dem Einzelnen, Kleinen, Elementaren, er kennt keinen anderen Zusammenhang als die Zusammensetzung der Elemente, keine andere Gesamtwirkung als die Summierung der Einzelvorgänge. Die einzige Kraft der Bewegung bildet demgemäß hier der Naturtrieb der Selbstbehauptung von Element gegen Element; mag das Streben insofern die Umgebung einschließen als jedes Einzelne damit verkettet und f ü r sein Befinden darauf angewiesen ist, immer verbleibt die Zurückbeziehung auf das Ich; auch bei wachsender Ausdehnung darf die Kette nicht zerreißen; nie kann die Lebensbewegung sich an eine andere Stelle versetzen und dem natürlichen Wohl widersprechen. Eine innere Unterordnung unter ein Ganzes, die Anerkennung eines fremden
D a s H i n a u s w a c h s e n des M e n s c h e n über d i e N a t u r
13
R e c h t e s , Liebe u n d A u f o p f e r u n g f ü r a n d e r e , sie sind in diesem Z u s a m m e n h a n g e unbegreifliche W u n d e r . N u n u n t e r l i e g t u n s e r Dasein z u n ä c h s t j e n e r Vereinzelung, mit
starkem
Zwange
hält
die
A b e r alle geistige A r b e i t u n d
natürliche
Besonderheit
und
uns
alle B i l d u n g m e n s c h l i c h e r
fest.
Gemein-
s c h a f t e n t h ä l t eine D u r c h b r e c h u n g j e n e r S c h r a n k e n , ein A u f k o m m e n und Wirken
innerer
bedarf
Einheitspunktes,
eines
t r e f f e n ; je m e h r
Einheiten.
aber das
Schon an
dem
Leben
nächste
Bewußtsein
die Vorgänge
das
zusammen-
aus einem bloßen Vorgehen zu
eignem T u n u n d S c h a f f e n wird, je m e h r die geistige A r b e i t von sich aus Ziele e n t w i r f t u n d W e g e ersinnt, d e s t o m e h r E i n h e i t im
Wirken,
desto
selbständiger
hebt
sich
diese
erscheint
Einheit
heraus,
d e s t o m e h r ü b t sie eine z u s a m m e n h a l t e n d e wie u m w a n d e l n d e K r a f t . Die H a u p t r i c h t u n g der geistigen A r b e i t g e h t w e d e r v o m zum
Einzelnen,
noch
vom
Einzelnen
zum
Ganzen,
Einzelnen
sondern
von
einem u n b e s t i m m t e n , bloß e n t w o r f e n e n , c h a o t i s c h e n zu einem stimmten, liegt
ausgeführten,
innerhalb
dieser
seine Stellung u n d läßt
die
geistige
durchgebildeten
Bewegung
Bedeutung. Arbeit
einen
des
Ganzen;
Ganzen
alles erhält
daraus
N u r die V e r b i n d u n g z u m
Ganzen
ausgeprägten
und
be-
Einzelne
Charakter
gewinnen,
d a s Einzelne f ü r sich h a t keinen Sinn u n d b e k o m m t ihn auch n i c h t durch massenhafteste Anhäufung.
M a n sollte z. B. m e i n e n ,
sei leichter u n d e i n f a c h e r als das W e s e n des Urteils, jener f u n k t i o n alles E r k e n n e n s , festzustellen.
Aber w e n n wir die g r o ß e n
D e n k e r , M ä n n e r wie D e s c a r t e s u n d L o c k e , L e i b n i z und darum
nichts GrundKant,
b e f r a g e n , so e r h a l t e n wir r e c h t verschiedene A n t w o r t e n ;
ergibt sich
a b e r eines jeden A n t w o r t aus seiner
es
Gesamtauffassung
d e s E r k e n n t n i s p r o z e s s e s , j a aus d e m Ganzen seiner philosophischen Überzeugung.
E b e n d a s sind große D e n k e r , bei d e n e n solche A u s -
p r ä g u n g der geistigen hineinreicht.
I n d i v i d u a l i t ä t bis in die kleinsten
D a s n i m m t n i c h t der d i r e k t e n B e o b a c h t u n g des ein-
zelnen Falls ihren W e r t ; Einzelnem
Elemente
kommt
n u r in W e c h s e l w i r k u n g v o n G a n z e m u n d
unsere Arbeit
v o r w ä r t s , u n a b l ä s s i g gilt es,
d e m E i n z e l n e n zu p r ü f e n , zu b e s t ä t i g e n , w e i t e r z u f ü h r e n , w a s Ganzen richtung,
behauptet die
war.
Aber die E n t s c h e i d u n g
Herausbildung
eines
Charakters,
ü b e r die die
an vom
Haupt-
führende
und
t r e i b e n d e K r a f t bleibt i m m e r eine Sache des G a n z e n . Ebenso
gewiß
unseres Handelns.
wird
das
Ganze
auch
zur- treibenden
W o h l m ü h t sich seit J a h r t a u s e n d e n
Kraft
kleinkluger
14
D e r K a m p f um d i e S e l b s t ä n d i g k e i t d e s G e i s t e s l e b e n s
Scharfsinn, all unser Handeln auf das „wohlverstandene Interesse" der Individuen z u r ü c k z u f ü h r e n ; von H a u s aus sei der Einzelne m i t seiner Umgebung zu sehr verwachsen, um sie nicht in seine Selbsterhaltung mit einzuschließen, d a n n verflechte die K u l t u r ihn immer enger mit der Gesellschaft und binde immer mehr das Glück jedes Einzelnen an das Wohlergehen der A n d e r e n ; so müsse er, um selbst glücklich zu sein, d a s Wohl der Anderen fördern. Das ist nicht ganz aus der Luft gegriffen, aber es beweist nicht, was es beweisen soll. Denn m a n m u ß von der Moral recht niedrig denken, man m u ß ihr Wesen völlig verkennen, um durch den Nachweis, d a ß der Mensch nach der natürlichen V e r k e t t u n g der Dinge auch die Umgebung in sein Streben a u f n i m m t , Moral begründet zu glauben. Denn dort h a n d e l t es sich um eine bloße Ausbreitung, hier um eine Überwindung des Ich, dort um Leistungen, die auch den anderen zugute kommen, hier um Gesinnungen, die direkt auf die Anderen und das Ganze g e h e n ; der höchste Erfolg jenes Scharfsinns besteht also in dem Nachweis, d a ß die bloßen Mittel des sozialen Mechanismus etwas erreichen lassen, was von draußen her wie Moral aussieht und einem Nichtkenner als solche erscheinen mag. In W a h r h e i t h a t jenes ganze Getriebe mit der Moral nicht das Mindeste zu t u n . D e n n welche Aufopferung liegt in dem Wirken f ü r fremdes Wohl, wenn es lediglich zum eignen Vorteil erfolgt, und was gewinnt die Gesinnung d a d u r c h , d a ß wir klug genug werden, in der Aufopferung direkter Vorteile zugunsten indirekter ein besseres Geschäft zu e r k e n n e n ? Die Sache s t ü n d e anders, wenn der Mensch mit allen Fasern seines Wesens so eng der Umgebung verwachsen wäre, d a ß eine Sonderung und E n t gegensetzung gar nicht eintreten k ö n n t e und uns nie vor die Notwendigkeit einer Entscheidung stellte. Aber gab es je einen solchen Unschuldsstand, so h a t die geschichtliche Bewegung u n s längst daraus vertrieben; mit E r ö f f n u n g der K l u f t aber e n t s t e h t sofort die Frage, was n u n m e h r zur H a u p t - , und was zur Nebensache w i r d ; je nach der Entscheidung wird sich das Leben völlig anders gestalten. Wohin dabei die E n t s c h e i d u n g der Individuen falle, u n d wie es mit der Durchschnittsleistung stehe, das ist eine Frage f ü r sich; jedenfalls lassen sich aus dem Menschenwesen und aus der weltgeschichtlichen Arbeit Mächte wie Gerechtigkeit, Liebe, Pflicht auch durch angestrengtesten Scharfsinn nicht ganz vertreiben. So sehen wir das menschliche Dasein an wesentlichen P u n k t e n
D a s H i n a u s w a c h s e n d e s M e n s c h e n über d i e N a t u r die
bloße
Natur durchbrechen
Schwerlich
wäre
Lebensprozeß.
das
und
möglich Leben
n u r ein
webes p h y s i s c h e r W i r k u n g e n u n d in seiner
nackten
Durchleuchtung sinnliche
einen
von
Grund
Ein solcher e n t s t e h t in der T a t .
h a f t e s Sein w ä r e u n s e r wäre
eine neue O r d n u n g
ohne
und
Berührung
ziehungskraft; das
hinaus Dasein
Als
hätten
ohne
allen
Einzelnen
Ge-
Geschehen
Versuch
hinzunehmen;
die Dinge f ü r u n s
f i n d e n des besonderen P u n k t e s a u f .
neuen
bloßnatur-
Gegenwirkungen; das
Aneignung
des
beginnen. aus
S t ü c k eines endlosen
Tatsächlichkeit
inneren
15
ginge g a n z
einer
über
die
keine
An-
in
das
Be-
So ein Leben g a n z in Trieb
u n d E m p f i n d u n g , ein völliges G e b u n d e n s e i n a n die U m g e b u n g , ein Aufgehen
in
Schwere
und
natürlichen
das
unmittelbare
Sinnlosigkeit,
Dasein
keine
ohne
anderen
alles
Gefühl
Probleme
als
seiner
die
der
Selbsterhaltung.
Diesen n a t u r h a f t e n
Stand
des Daseins f i n d e n wir a b e r
s c h r i t t e n , soweit die geschichtliche
über-
Erinnerung zurückreicht.
Die
F o r s c h u n g zeigt u n s ein a n t h r o p o m o r p h e s u n d mythologisches Zeitalter, wo d e r Mensch alle Dinge v e r m e n s c h l i c h t , alles von sich aus mißt,
alles
zieht.
auf
Ein
sein
Ergehen
solches
als den
Einspinnen
liche Vorstellen u n d
Mittelpunkt
der Wirklichkeit
Begehren w a r sicherlich eine
der W e l t
in d a s
be-
mensch-
Irrung, a b e r in
aller I r r u n g w a r es zugleich eine Leistung, ein Zeugnis der K r a f t , ein
Überschreiten
der
bloßen
Natur.
Über
dem
Besonderen
sei
n i c h t d a s Allgemeine d e r T a t s a c h e , ü b e r der falschen D e u t u n g u n d über dem verkehrten vergessen,
daß
V e r h ä l t n i s z u m All n i c h t d a s
überhaupt
gedeutet,
h ä l t n i s z u m All g e s u c h t w a r d . ein
Zerreißen
der
bloßphysischen
natürlichen
Große
Ver-
D e n n d a s w a r n i c h t möglich
ohne
Verkettung,
ein
Abschütteln
des
D r u c k e s d e r Dinge, ein Z u s a m m e n f a s s e n des Men-
schen bei sich selbst u n d ein Ringen m i t der U m g e b u n g . der krasse
dessen
ü b e r h a u p t ein seelisches
Egoismus dieser
S t u f e m i t seiner B e u g u n g der
Selbst ganzen
U n e n d l i c h k e i t u n t e r die Zwecke des Menschen ist ein Beweis der K r a f t ; wie weit ist sein Bedürfnis
Abstand
begrenzten,
man
aber
diese
von
möchte
der tierischen, d u r c h
sagen
unschuldigen
das
Selbst-
erhaltung! Dann einen
bloßen
bildet
Durchgang.
Stufe Es
nicht
kommt
die
den
Abschluß,
Zeit,
wo der
sondern Mensch
sein eignes Gewebe zerreißt u n d eine eigne N a t u r der Dinge a n e r k e n n t ; zugleich a b e r wird er sich selbst zu gering, u m das M a ß der Dinge
16
Der Kampf um die Selbständigkeit des
Geisteslebens
und den Mittelpunkt der Wirklichkeit zu bedeuten. Subjekt und Objekt, Mensch und Welt, deren Leben bis dahin unmittelbar zusammenfloß, scheiden sich jetzt und die Bewegung führt zunächst immer weiter auseinander bis zum schroffsten Gegensatz. Das nächste Verhältnis wird das einer völligen Spaltung, kalt und fremd stehen gegen uns die Dinge, und eine himmelweite Kluft scheint den Menschen von ihrer Wahrheit zu trennen. Dazu greift der Zweifel bald von außen nach innen, er kehrt sich von der Welt gegen das eigne Wesen. Jenes Getriebe des Empfindens und Begehrens, jenes Reich subjektiver Zuständlichkeit, worin bis dahin unser Leben aufging, wird zur bloßen Oberfläche, hinter der wir ein wahres Sein erst suchen. Aber wir ahnen es mehr, als daß wir es ergreifen und entwickeln könnten; zunächst scheinen wir an die Außenseite der Dinge gebannt, ohne daß doch der einmal geweckte Zweifel uns genügen läßt, was hier an Erkenntnis und Glück erreichbar ist. So zerfällt der Mensch nicht nur mit seiner Umgebung, sondern auch mit sich selbst, der Spalt zerreißt sein eigenes Wesen. Es kommt eine Zeit des Zweifels, der Erschütterung, der Demütigung. Diese Krise wird aber nicht rasch ein- für allemal erledigt, sondern sie entsteht immer von neuem, dauernd wird uns ein bequemes Fortschreiten in gerader Linie verwehrt, dauernd aller geistigen Arbeit ein Zug der Kritik und Verneinung eingeprägt. Aber auch hier ist die Erfahrung der Kleinheit zugleich ein Zeugnis der Größe. Denn jene Schranken der subjektiven Lebensführung werden uns nicht von außen, sondern von innen, durch die eigne Tätigkeit, bemerklich gemacht; es ist der Mensch selbst, der das Bloßmenschliche empfindet, verwirft und bekämpft; eine größere Art, ein wesenhafteres Leben, muß in ihm stecken, wenn ein solches Wollen und Wagen möglich sein soll. Mag dies Neue zunächst als eine Kraft der Zerstörung wirken, mag es uns weniger die Dinge sehen lassen als den Schleier, der sie verhüllt, mag es uns höhere Ziele nur vorzuhalten scheinen, um uns alle Wege dahin zu versperren, eine Verzweiflung oder Entsagung könnte daraus nur entstehen, wenn jener Stand den letzten Abschluß bedeutete. Das aber tut er nicht. Jenseits der Kritik und Verneinung entsteht ein geistiges Schaffen und mit ihm ein Unternehmen, die Kluft zu überbrücken und das Unmögliche durchzusetzen, ein Versuch, den Lebensprozeß bei sich selbst soweit zu vertiefen, daß
Das Hinauswachsen des M e n s c h e n über die Natur
17
er auch den Kern des Lebens ergreift, und zugleich so zu erweitern, d a ß er aus eignem Vermögen einen Z u s a m m e n h a n g mit den Dingen gewinnt, die sich ihm von draußen her streng verschlossen. Diese innere Fortbildung, dieses bei sich selbst Vordringen des Lebens und was daraus an Wirklichkeit entspringt, ist ein Hauptproblem, ja das H a u p t p r o b l e m unserer ganzen U n t e r s u c h u n g ; an dieser Stelle sei n u r an einige greifbare Züge erinnert. Nur die Alltäglichkeit h a t die E m p f i n d u n g f ü r das Merkwürdige der Tatsache a b g e s t u m p f t , d a ß innerhalb unseres Daseins der Begriff einer S a c h e , einer sachlichen W a h r h e i t , eines sachlich Guten a u f k o m m t und Macht gewinnt, Denn d a m i t ist ein Widerspruch nicht nur erzeugt, sondern auch überwunden, ein Rätsel gestellt und zugleich gelöst. Die Sache t r i t t uns gegenüber als etwas Fremdes, sie entwickelt eigne Gesetze, K r ä f t e und Forderungen, sie darf unseren Wünschen und Meinungen nicht das Mindeste zugestehen. Aber bei solcher E n t f e r n u n g wird sie uns keineswegs fremd, sie liegt nicht außerhalb, sondern innerhalb unseres Lebens; f ü r uns will sie etwas sein und bedeuten, aus uns etwas anderes machen. So e n t s t e h t ein schroffer W i d e r s p r u c h : jenes Sachliche soll uns entgegentreten ohne sich von uns abzulösen, allein sich selber leben und doch f ü r uns etwas sein, unser Wohl und Wehe gleichgültig nehmen und dabei uns anziehen als ein hohes Gut, alle Affekte unterdrücken und selbst einen neuen Affekt erzeugen. Und alles dies Unmögliche u m f ä n g t u n s fortwährend mit unwidersprechlicher Wirklichkeit. Ohne ein A u f n e h m e n der Sache in den Lebensprozeß gibt es keine Arbeit, Arbeit im Sinne des Menschen, Arbeit innerlich angesehen. Wir verehren die befreiende, befestigende, beruhigende Macht der Arbeit, aber worauf anders g r ü n d e t sie sich als auf dem Eingehen unserer Tätigkeit in den Gegenstand, auf der Hingebung an seine Probleme, der Freude an seiner F ö r d e r u n g ? So allein wird das kleine Ich gebändigt, überwunden, vergessen. — Eine Wissenschaft gegenüber den bloßen Meinungen und ü b e r h a u p t eine geistige Arbeit jenseits der Lagen und Launen der Individuen gibt es nicht ohne ein Selbständigwerden des Denkens gegenüber dem Vorstellungsgetriebe mit seiner Gebundenheit. Dem Denken aber ist wesentlich das Umspannen der Sache. Mögen wir Begriffe bilden oder Urteile fällen oder Schlüsse ziehen, immer gilt es eine Erö f f n u n g der Sache, immer h ä n g t an ihr die Entscheidung. Nur E u e k e n , Kampf.
III. Aufl.
2
18
D e r K a m p f um d i e S e l b s t ä n d i g k e i t d e s G e i s t e s l e b e n s
sie verleiht dem Denken seine zwingende Kraft und seine Allgemeingültigkeit, nur sie begründet eine uns allen gemeinsame Innenwelt. Die Sache ist es auch, mit deren Hilfe wir die bloßsubjektive Lust überwinden. Einem Wesen, das so schwere Erschütterungen durchzumachen und so hart um sich selbst zu kämpfen hat, muß jene Lust, die dem Beginne genügt, leer und läppisch, das Sicheinspinnen in ein subjektives Wohlbefinden zu einem engen Gefängnisse werden. Ein Leben für so sinnlose Ziele könnte nach allen Erfahrungen nicht mehr als lebenswert gelten. Aber wenn sich das Dasein ein edleres Glück erringt, wenn das Angenehme und Nützliche dem Guten weichen muß, was anderes ist es wiederum als die Sache, an die sich solche Wandlungen und Erhöhungen knüpfen ? Jene Wandlungen verändern zugleich die Art des Lebens, sie befreien es von der dunklen und starren Tatsächlichkeit des Anfangs. Mit der Richtung auf die Sache erhält unser Tun ein dem unmittelbaren Eindruck überlegenes Ziel; ein Normalstand schwebt vor und übt einen Zwang durch Messen und Richten. Dieser Zwang kommt aber nicht von außen und überwältigt nicht mit physischem Drucke. Denn die Sache mit ihrer Welt ist ohne unsere Tat und Aneignung für uns gar nicht vorhanden, sie bindet uns nicht ohne unsere Zustimmung. Dieser Zwang durch Freiheit gewinnt eine besondere Anschaulichkeit in der Idee der Pflicht, verbindet sie doch mit höchster Gebundenheit höchste Freiheit, und vollzieht sie dadurch einen deutlichen Bruch mit dem bloßen Naturstand. Das alles ist im einzelnen und nach der Seite der Leistung bekannt und anerkannt. Aber die gewöhnliche Ansicht verbleibt bei den einzelnen Erscheinungen und vollzieht keine Zusammenfassung zum Ganzen, keine Wendung ins Innere. Erfolgen diese, so ist das Aufkommen eines neuen Lebens gesichert, das nicht zwischen den Dingen hin- und hergeht, sondern sie umfaßt, mit ihnen lebt, durch sie weiterkommt. Auch kann darüber kein Zweifel sein, daß ein solches neues Leben sich nun und nimmer von draußen zuführen, nie einer äußeren Erfahrung entlehnen läßt. Auch der sinnfälligste Eindruck verleiht den Dingen nicht eine innere Gegenwart und erzeugt nicht die Idee einer objektiven Wahrheit. Nur als Selbstentfaltung des eignen Wesens sind jene Bewegungen möglich; in ihren Mühen und Kämpfen strebt das
D e r W i d e r s p r u c h im u n m i t t e l b a r e n D a s e i n
ig
Leben selbst zu einer höheren Stufe empor. Zugleich verwandelt sich die K l u f t zwischen uns und den Dingen in einen Gegensatz bei uns selbst, den Gegensatz eines auf E m p f i n d u n g und Begier des Einzelpunktes beschränkten und eines die Wirklichkeit von innen her umfassenden, eine Welt aus sich erzeugenden Lebens. In diesem Leben bedeutet die Hingebung an die Sache die E n t f a l t u n g unsers wahren Selbst, sie wird zur Treue gegen unser eignes Wesen. — Zugleich eröffnet sich eine neue Art der Innerlichkeit, eine universale Innerlichkeit der geistigen Arbeit, gegenüber der halbseitigen des bloßen Individuums; nur jene Innerlichkeit kann eine Tätigkeit erzeugen, die als V o i l t ä t i g k e i t den Gegenstand u m s p a n n t , sich nicht von d r a u ß e n her an den Dingen nur zu t u n macht. Wie sich mit der so eröffneten Zweiheit des menschlichen Lebens die Lehre vom All abfindet, und wie sich mit ihr das Weltproblem verwickelt, darf uns an dieser Stelle nicht k ü m m e r n . Bequem ist jener Zwiespalt der ersten Lage nicht, aber darf u n s Bequemlichkeit den M a ß s t a b der W a h r h e i t b i l d e n ? Es wäre eine neue Art des Anthropozentrismus, zum Prüfstein der W a h r h e i t den Grad der Leichtigkeit zu machen, mit dem sich die Dinge f ü r den S t a n d p u n k t des Menschen ordnen. W e n n sie sich in W a h r heit nicht so leicht zusammenfinden, wenn die Wirklichkeit sieh reicher und d a m i t auch verwickelter zeigt, dürfen wir die Probleme herabmindern, um nur ja dem Schein eines Dualismus, dem Schein einer geringeren Fürsorge f ü r die Einheit des Alls zu entgehen ? Was sich heute mit besonderem Nachdruck Monismus nennt, wird so rasch fertig nur, weil es außer der sinnlichen N a t u r lediglich ein an die Individuen verstreutes und ihrer E r h a l t u n g dienstbares Seelenleben k e n n t , nicht eine Gemeinschaft geistigen Lebens noch eine E n t f a l t u n g geistiger Arbeit in der Geschichte. Bei Absehen von so bedeutenden Stücken der Wirklichkeit ist eine Einheit des Ganzen ohne viel Mühe erreichbar. Es f r a g t sich nur, ob diese Einheit nicht eine bloße Einbildung ist.
b. Der Widerspruch im unmittelbaren Basein. Das Weltproblem sollte uns an dieser Stelle nicht bemühen. Aber unser nächster Vorwurf e n t h ä l t eine Verwicklung, einen Widerspruch, der sich nicht leichtnehmen läßt. Das ist der Wider2*
20
D e r Kampf um die S e l b s t ä n d i g k e i t d e s G e i s t e s l e b e n s
Spruch zwischen d e m i n n e r e n G e h a l t des N e u e n u n d der A r t seiner Verwirklichung beim M e n s c h e n .
D a s n e u e Leben sollte bei seinem
A n s p r u c h auf Ü b e r l e g e n h e i t s e l b s t ä n d i g sein, u n g e s t ö r t seine eigne B a h n .verfolgen, a u s solcher
Unabhängigkeit
die
A u s p r ä g u n g u n d voller D u r c h s e t z u n g s c h ö p f e n . die
E r f a h r u n g d a s geistige
K r a f t zu
reiner
S t a t t dessen zeigt
Leben des M e n s c h e n
an
Fremdes
ge-
b u n d e n , von F r e m d e m d u r c h k r e u z t u n d e n t s t e l l t , f r e m d e n , j a feindlichen
Zwecken
unterworfen,
ü b e r w i n d e n wollte.
zurücksinkend
in eben
das,
was
D a s erzeugt n o t w e n d i g einen Zweifel an
Wahrheitsgehalt jener ganzen
Bewegung.
Das neue Leben wollte die S i n n l i c h k e i t s a i k t R a u m u n d überwinden, mit kühnem verjüngen und
S c h a f f e n alle W i r k l i c h k e i t
erhöhen.
es
dem
Eine
solche
Bewegung
Zeit
durchleuchten, beginnt
in
der
T a t , a b e r sie g e r ä t bald ins S t o c k e n , sie s i e h t sich auf allen Seiten gehemmt und zurückgeworfen. außen
D a s Sinnliche w i r k t n i c h t n u r von
h e r m i t der M a c h t d e r H a n d g r e i f l i c h k e i t , es u m s t r i c k t
b e w ä l t i g t auch d a s Innere.
E s fließt in d a s vermeintlich
ein u n d
Bahn;
zieht
es in seine
Geistigkeit e r h o b e n
und
haben
wir g l a u b e n
doch
uns
Geistige
o f t zu reiner
n u r f ü r eine g r ö b e r e
des Sinnlichen eine f e i n e r e e i n g e t a u s c h t .
und
Form
Die Geschichte ist voller
Beispiele, d a ß , w a s f r ü h e r e n E p o c h e n als reingeistig g a l t , d e m ges c h ä r f t e r e n Blick s p ä t e r e r sich als ein n u r v e r b l a ß t e s Sinnliches erw i e s ; was zuerst die
Sache selber d ü n k t e , s a n k s p ä t e r
bloßen Bilde, einer sinnlichen V e r k ö r p e r u n g . griffen von
Gott,
so auch
bei d e n e n der
i m m e r so weiter gehen, wird frühere
ersetzen, w e r d e n
Seele.
nicht immer
Wird
nach
n a u e r e s Zusehen u n d
das
Benicht
n u r ein n e u e s Bild
Ähnlich e r g e h t es den Zielen u n s e r e s H a n d e l n s . Streben
einem
das
wir je ü b e r eine w a c h s e n d e V e r f e i n e r u n g
des Sinnlichen h i n a u s zu einer w a h r e n U n s i n n l i c h k e i t greifenden
zu
So z. B. bei d e n
übersinnlichen
Gütern
gelangen? In d e m h o c h -
entdeckt
ein
eine s c h ä r f e r e B e u r t e i l u n g leicht einen
gesinn-
lichen G r u n d s t o c k , ein Verlangen n a c h sinnlicher R e i z u n g u n d sinnlichem G e n u ß ; dies
Sinnliche
mag um
so sicherer die
Bewegung
b e h e r r s c h e n , je u n v e r m e r k t e r es sich u n t e r einem f r e m d e n
Deck-
m a n t e l einschleicht. W i e sinnlich, wie von L u s t u n d G e n u ß b e h e r r s c h t sind die gewöhnlichen religiösen Vorstellungen von einem jenseitigen Leben!
Wie o f t v e r s c h m e l z e n
Sinnlichkeit u n t r e n n b a r Wie
viel
aber
die
feinste
Geistigkeit u n d
raffinierte
miteinander! unsinnlichen
Größen
an
Wirklichkeit
be-
D e r W i d e r s p r u c h im u n m i t t e l b a r e n D a s e i n
21
sitzen mögen, jedenfalls erscheinen sie bei uns an einem sehr späten P u n k t der Entwicklung, als ein Ergebnis mühsamer und langwieriger Arbeit, als eine Krönung, n i c h t eine Grundlegung des Gebäudes. Sie beruhen auf zahllosen Voraussetzungen und Vermittlungen. Werden sie sich davon ablösen und aus eignem Vermögen leben können, werden sie nicht ohne jene Hilfen und Stützen zusammenbrechen, d a m i t aber der Unmittelbarkeit und Ursprünglichkeit entbehren, ohne die es keine K r a f t des Lebens und kein Gelingen des Schaffens g i b t ? Sicherlich-ist bei ihnen das Nein weit deutlicher als das J a . Das Sinnliche wird abgewiesen, aber der eigne Gehalt des Nichtsinnlichen bleibt in tiefem D u n k e l ; so erscheinen jene Größen nicht als volle Wirklichkeiten, sondern als bloße Gespenster, nach denen wir haschen, ohne sie je zu fassen. B e h a u p t e t sich trotzdem jene Halbwirklichkeit, so wird sie schwerlich die Sinnlichkeit mit ihrer handgreiflichen Breite unterwerfen. Weit n ä h e r liegt die Wendung, d a ß sie mit allem ihrem Vermögen in den Dienst des anderen gezogen wird, d a ß die Geistigkeit nur als ein Mitte! dient, das n a t u r h a f t e Leben zu verfeinern oder auch zu verbilden. Alsdann würde das, was über die N a t u r h i n a u s f ü h r e n wollte, uns nur noch fester an sie ketten, und zwar nicht an die echte und einfache, sondern an eine zurechtgemachte und aufgestutzte Natur. Nicht anders ergeht es der Bewegung zu einem Ganzen des Lebens und zu inneren Zusammenhängen der Dinge. W a s sich an Gesamtgrößen bildet, das schwebt meist wie ein bloßes Nebelgebilde über den Dingen, s t a t t sie zu durchdringen und umzuwandeln. Schließlich, so scheint genauere Beobachtung zu zeigen, besteht das Gewebe unseres Daseins aus lauter Einzelgrößen und Einzelvorg ä n g e n ; nur an diesem Einzelnen findet sich ein Allgemeines als etwas Verbindendes und Zusammenhaltendes, und es erhält sich n u r bei unablässiger Zurückbeziehung auf jene Elemente; es d a v o n ablösen und ihm den Schein einer eignen Existenz geben kann nur die abstrahierende Reflexion, und sie kann es nicht, ohne ihm alle Anschaulichkeit zu nehmen. — In aller Gemeinschaft der Völker und der Menschheit sind leibhafte Wirklichkeiten, Wesen von Fleisch u n d Blut, lediglich die Individuen; gewiß entwickelt ihr Zusammensein vieles über das Vermögen der gesonderten Elemente hinaus, aber bedarf es zu dessen Erklärung der A n n a h m e eines alle umfassenden L e b e n s ?
22
D e r K a m p f um d i e S e l b s t ä n d i g k e i t d e s G e i s t e s l e b e n s
Auch mit der U n t e r w e r f u n g des Willens u n t e r unegoistische Zwecke ist es ein eignes Ding. Von einer selbstlosen Liebe, einer Aufopferung f ü r d a s Ganze usw. wird so viel geredet, d a ß wir schließlich auch d a r a n glauben. Aber zugleich ist die Tatsache unbestreitbar, d a ß als Menschenkenner von jeher nicht die Optimisten, sondern die Pessimisten galten, um so mehr, je entschiedener sie waren. So bleibt die Frage offen, ob hinter jener Behauptung eine echte Wirklichkeit steht, und ob es jenen Größen nicht geht wie den Gestalten des Märchens, die jeder zu sehen erklärt, um nicht einem bösen Schein zu verfallen, die aber niemand gesehen h a t . Selbst die G r u n d f o r m des neuen Lebens, die Überwindung der bloßen Zuständlichkeit, das A u f n e h m e n der Weite und W a h r heit der Dinge in das eigne Leben, e n t g e h t der A n f e c h t u n g und E r s c h ü t t e r u n g n i c h t . Wohl d r ä n g t es u n s über den engbegrenzten Kreis des natürlichen Daseins h i n a u s in eine u n b e s t i m m t e Weite. Aber überwinden wir d a m i t wirklich unsere S u b j e k t i v i t ä t , begleitet sie uns nicht in alle Weite, und u m k l a m m e r t sie uns dabei n i c h t noch fester als zu B e g i n n ? Müssen wir u n t e r e i n a n d e r nicht noch viel h ä r t e r z u s a m m e n t r e f f e n , wenn jeder sich zu einem All erweitern u n d die ganze Wirklichkeit von sich aus gestalten möchte, wenn Welten auf Welten stoßen, die doch alle n u r Sonderwelten sind ? Denn wenn der K u l t u r m e n s c h zu einer W e l t anwächst, so t u t er das zunächst n u r in seinen eignen Gedanken, in diesen Gedanken aber steckt er selbst, in ihrer Verfechtung b e j a h t er sich selbst. J a wenn eine sachliche W a h r h e i t mit einer aller Vereinzelung und allem Eigensinn der Individuen überlegenen K r a f t sichtlich hervorbräche, rasch allen Nebel vorgefaßter Meinung zerstreute und alles U n t e r n e h m e n der Individuen fest zu einer Gemeinschaft des Schaffens verbände 1 Aber das Gegenteil liegt deutlich zutage. Wir reden viel von der Sache, aber jeder pflegt u n t e r ihr eben das zu verstehen, was er f ü r sich will und w ü n s c h t . Alle Meinungen und Irrungen, alle Interessen und Leidenschaften der Menschen fließen in sie ein; nichts h a t den Fanatismus, den Parteisinn, die Selbstgerechtigkeit mehr geschürt und g e s t ä r k t als die Berufung auf die Forderung der Sache. So wird überall das Neue von dem festgehalten und zu dem zurückgezogen, das es zu überwinden strebte. Eine eigne Wirklichkeit begründen und darin unser Wesen a u f n e h m e n k a n n es offenbar n i c h t ; vielmehr scheint es eine bloße Z u t a t u n d Begleit-
D e r W i d e r s p r u c h im u n m i t t e l b a r e n D a s e i n
23
erscheinung einer im Grunde n a t u r h a f t e n Welt, die zu Unrecht mit einem eignen Sein bekleidet wird. Wie aber das Bestehen des Neuen unsicher, so ist sein Wirken höchst bestreitbarer Art. Es zerstört die Einfalt fter reinen Natur, ohne einen Ersatz d a f ü r zu b i e t e n ; es steigert die K ä m p f e und gewährt keine Aussicht auf Frieden; es erweckt Wünsche über Wünschen, ohne sie zu erfüllen. Mit dem allen m a c h t es das Leben nur aufgeregter und schwankender, begehrlicher und friedloser als zuvor. Soweit daher der Mensch von sich aus zu entscheiden h a t , m ü ß t e die Lebensweisheit empfehlen, jener Bewegung möglichst zu widerstehen, jene angeblich höheren Ziele als irreleitende Wahnbilder möglichst falten zu lassen.
Aber können wir das, auch wenn wir es wollten ? In aller Unfertigkeit h a t das Neue f ü r eine bloße Einbildung zu viel Wirklichkeit. Mag der Widerstand seine Entwicklung noch so sehr h e m m e n , durchkreuzen, entstellen, irgendwelche Wirklichkeit m u ß er ihm lassen; h a t es zur vollen Selbständigkeit nicht K r a f t genug, so hat es ihrer zu viel, um einfach verschwinden zu k ö n n e n . Gewiß bleibt die Bewegung weit hinter ihrem Ziel zurück, aber sie ist begonnen und erhält sich; die Antworten genügen nicht, aber die Fragen verstummen n i c h t ; die Probleme haben uns gepackt und lassen uns nicht wieder los, auch sie sind Tatsachen, auch sie geben unserm Leben einen inneren Stand, der sich nicht willkürlich abschütteln läßt. Namentlich ü b t das Neue im Verneinen, Zersetzen, Zerstören eine gewaltige M a c h t ; trotz seiner Schattenhaftigkeit h a t es dasjenige was sich in seiner Sinnfälligkeit bis dahin völlig sicher fühlte, bis zum Grunde e r s c h ü t t e r t ; mit der Naivetät der ersten Lage, dem kindlichen Glauben an die sinnliche Wirklichkeit wie der Befriedigung durch ihre Güter, ist es auf immer vorbei; nicht mehr können wir den bloßen T a t b e s t a n d gedankenlos hinnehmen, nicht an die E r h a l t u n g des natürlichen Daseins unser ganzes Streben setzen, nicht das Weltproblem als etwas Fremdes von uns weisen. Keine Gewalt kann uns in einen Stand zurückversetzen, dem wir innerlich entwachsen sind. Dazu fehlt dem Neuen nicht alle Befestigung und Bewährung in einem größeren Zusammenhange. Sein W e r k ist die Geschichte im auszeichnend menschlichen Sinne, d i e weltgeschichtliche
24
D e r Kampf um d i e S e l b s t ä n d i g k e i t d e s G e i s t e s l e b e n s
Arbeit.
Sie gesellt z u r W i r k l i c h k e i t des sinnlichen Daseins
eine
a n d e r e A r t der W i r k l i c h k e i t , sie l e h r t im Menschen n i c h t bloß ein n a t ü r l i c h e s , sondern auch ein geschichtliches W e s e n e r k e n n e n .
Als
ein solches t r ä g t er d a s W i r k e n d e r J a h r t a u s e n d e in sich, es h a t ihn in eine b e s t i m m t e V e r f a s s u n g g e b r a c h t , die sich n i c h t einfach abschütteln
läßt.
Das
hält
allem
Unternehmen
einen
Standort
vor, zu d e m es sich e r h e b e n m u ß , u m voll zu befriedigen. gewinnen
jene
ideellen
Größen
bei
aller
M a c h t f ü r den Einzelnen wie f ü r die Zeit. ihr eignes Meinen u n d Wollen.
Damit
Schattenhaftigkeit
eine
Und z w a r auch gegen
D e n n w a s Menschen u n d
Zeiten
als B e k e n n t n i s leugnen, j a verfolgen, d a s ü b e n sie o f t in den einzelnen
Fällen
wirft und Gebiete Ideen
ohne
Bedenken,
verketzert,
das
des L e b e n s . einer
Pflicht
Prinzipien
sachlichen
aus
einem
und
was
behauptet und
Wahrheit,
Ganzen
die
im
Ü b e r z e u g u n g e n , welche
die
innerer Zusammenhänge,
begründen,
verwirft
wird.
Was
einmal
wie wesenlos u n d sicht
eine
Arbeit, es ist und
als
ein
Wirklichkeit,
unserm
Wesen
neue
Leben
einer
ein
trüber
Nebel,
mehf- als
Gedankending
nichtig aussieht, das gewinnt
das scheint das
bloßes
das
jene
den
(ens
den
rationis)
durchdringt
Hinunsere
verwachsen. in
bloßen
menschliche
und
genommen
in a n d e r e r
untrennbar Auflösung
E i t e l k e i t , u m die Dinge h ü l l t e n ,
s c h l u ß rasch v e r t r e i b e n k ö n n t e .
einer
Hauptzug
Augenscheinlich ist der
n i c h t so e i n f a c h , wie er o f t
unbestreitbare
widersteht
der
Aber trotzdem üben
Ideen a u c h auf i h r e m Boden viel M a c h t . Wirklichkeit
weiten
ver-
Raum
u n s e r e r Zeit m i t aller E n t s c h i e d e n h e i t . Begriff d e r
Überzeugung
o f t einen
ein
So
Schein,
Einbildung
kräftiger Ent-
Zugleich a b e r bleibt jenes
andere
in Geltung, d a ß j e n e s Leben keine volle K ö r p e r l i c h k e i t , keine volle Selbständigkeit
bei u n s erreicht,
daß
es wie h e i m a t l o s ü b e r
den
Dingen schwebt. Das ergibt eine u n e r t r ä g l i c h e
Lage.
Wir können weder
vor-
w ä r t s noch r ü c k w ä r t s , d a s Alte ist u n z u l ä n g l i c h g e w o r d e n , u n d d a s Neue
kann
nicht
geboren w e r d e n .
Im
besonderen
geraten
sinnliche Dasein u n d die geschichtliche A r t des Menschen härtesten hier ein
Streit. Reich
Entzweiung
Dort innerer
versetzt
die
Natur
Größen unsere
ihr
und
Übergewicht
Werte
geistige
Arbeit
in
die
Begleiterscheinung
eines
anderen
Seins,
das den
behauptend,
im A u f s t i e g .
Solche
unsicherste
L a g e ; die Art, wie sie bei u n s a u f k o m m t u n d w i r k t , als und
in
Anhang
widerstreitet
ihrer
Die Forderung einer selbständigen Tatwelt.
eignen N a t u r : eine unselbständige W e l t erzeugen und t r a g e n !
Seele
soll
eine
25
selbständige
Das ist ein Problem, das sich nicht wie Verwicklungen an der Grenze unseres Daseins beiseite schieben oder der Z u k u n f t zuweisen läßt. So gewiß wir bei der Frage unseres eignen Glückes nicht bloße Zuschauer sind, so gewiß müssen w i r - e i n e E n t scheidung treffen, so notwendig jenen Spalt überwinden. Und zwar müssen wir es gleich jetzt, nicht erst in späteren Zeiten. Die bloße B e t r a c h t u n g kann ihre Entscheidung verschieben, nicht aber kann es die T a t , d a ihr sich die ganze Unendlichkeit in ein J e t z t zusammend r ä n g t und Vergangenheit wie Z u k u n f t der Gegenwart dienen müssen. Nun ist darüber kein Zweifel, d a ß das unmittelbare Dasein jener Spaltung ganz unterliegt. So ist entweder alle Einheit des Lebens u n d alles Wollen des ganzen Menschen preiszugeben, oder es sind die Schranken jenes Daseins irgendwie zu durchbrechen. Ein drittes ist ausgeschlossen, einer Entscheidung daher nicht zu entgehen. c. Die Forderung einer selbständigen Tatwelt. Das u n m i t t e l b a r e Dasein lief in einen unerträglichen Widerspruch a u s ; so gewiß das Verlangen nach einem Charakter des Lebens und nach geistiger Selbsterhaltung über ihn hinausdrängt, so gewiß m u ß es auch jenes Dasein überschreiten. Aber sehen wir, was das bedeuten k a n n . Ein zweites, abgeschlossenes Dasein, eine andere, neben uns befindliche Welt, diese Zuflucht früherer Zeiten, ist uns Neueren viel zu fremd und ungewiß geworden, um uns einen Halt zu gewähren. So kann jenes Weiterstreben zunächst (¡iur auf innere W a n d l u n g e n gehen. Die R i c h t u n g aber, in der wir solche zu suchen haben, ist durch die bisherige E r ö r t e r u n g deutlich genug bezeichnet. Die Verwicklung e n t s p r a n g vornehmlich aus dem Widerspruch des Gehalts des neuen Lebens und seiner Daseinsform bei uns Menschen: jene W e l t befindet sich hier innerhalb eines fremdartigen Bereiches, sie ist hier gebunden an eben das, was sie überwinden wollte. Eine Befreiung von diesem Widerspruche bietet nur ein einziger W e g : jene Entwicklung übersinnlichen Lebens darf nicht als ein bloßes Erzeugnis unserer Lage, nicht als eine Privatangelegenheit der Menschheit gelten, sondern als E r ö f f n u n g , Erweisung* Bet ä t i g u n g einer tiefer begründeten u n d bei sich selbst befindlichen
26
D e r Kampf um die S e l b s t ä n d i g k e i t d e s G e i s t e s l e b e n s
Wirklichkeit; und
sie
kann
Bedürfnissen,
nicht
sondern
Alls e n t s p r u n g e n sein.
aus
nur
den
aus
bloßmenschlichen
der
inneren
Kräften
Bewegung
des
W a s n o t t u t , ist d a h e r eine B e f r e i u n g jenes
Lebens v o m Menschen, d. h . eine B e f r e i u n g von d e m , w a s in jener E n t f a l t u n g bloßmenschlich freiung aber gehört,
u n d kleinmenschlich
daß
sich
f u n d h i n a u s h e b t u n d bei sich selbst Nur
als
selbständige
Zerstücklung
und
und
i s t ; zu dieser Be-
d a s Leben ü b e r den n ä c h s t e n zu einem
zusammengehörige
Abhängigkeit
Ganzen Welt,
des m e n s c h l i c h e n
Be-
verbindet.
nicht
in
Befundes,
der kann
sich h ö h e r e s Leben h a f t e n ; n u r bei solcher A b l ö s u n g k a n n es die ihm
eignen
Hemmung
Kräfte und und
Gesetze
Trübung
k a n n n u r m i t diesem
nicht
rein zu
entfalten,
überwinden
Selbständigwerden
jenes
die
bei
uns
vermögen. Leben
die Auch
als
Selbst-
zweck u n s e r H a n d e l n bewegen u n d es innerlich u n a b h ä n g i g m a c h e n , w ä h r e n d s o n s t der Erfolg bei d e n M e n s c h e n die letzte I n s t a n z bed e u t e t u n d mit ihm alles Äußerliche, S c h e i n h a f t e , U n w a h r e , das von ihm u n t r e n n b a r ist. stehen
geistigen
mehr an dem
N u r bei solcher E m a n z i p a t i o n h ä n g t d a s Be-
Lebens
und
die
Geltung
geistiger
Werte
nicht
Grad der V e r w i r k l i c h u n g u n t e r d e n M e n s c h e n ; erst
d a m i t , n u r als s e l b s t ä n d i g e s Leben g e w i n n t Geistigkeit einen d e u t lichen Sinn u n d wird ihre W e l t eine T a t w e l t . Eine
solche
Befreiung
des
Lebens
von
der
Kleinheit
des
Menschen u n d d e m Zufall seiner Lage h a t schon P l a t o m i t seiner Ideenlehre vollzogen. hier
der
aufgeht,
Gedanke die
Mit d e r Siegeskraft voller J u g e n d f r i s c h e ist
durchgebrochen,
nicht
aus
dem
daß
bloßen
im
Menschen
Menschen
eine
stammt,
Welt
daß
ein
an sich W a h r e s , G u t e s , Schönes b e s t e h t , u n a b h ä n g i g d a v o n , wie wir u n s zu i h m v e r h a l t e n u n d wie wir zu ihm g e l a n g e n ; d e r Mensch h ö r t d a m i t auf, d a s M a ß der Dinge zu sein. Gestalt
der
platonischen
schütterungen namentlich
und
Eruns
Welt
nicht
durch
mehr
die
als
Erfahrungen
besondere
der J a h r t a u s e n d e hinfällig geworden sein, m a g
jene
Lehre
Mag die
fertig
vorhanden
und
in
r a s c h e m A u f s t i e g e r r e i c h b a r gelten, der Grundgedanke,, ist die stillschweigende V o r a u s s e t z u n g alles S c h a f f e n s u n d d a s B e k e n n t n i s alles Idealismus
geworden
u n d wird
es
bleiben
f ü r alle Z e i t e n .
Jede
A b w e i c h u n g von ihm ist ein H i n a b g l e i t e n zur Sophistik m i t i h r e m Verflüchtigen
der
Standpunkten
und
bloßen
und
Wahrheit,
ihren
Gesichtspunkten,
einzelnen
Menschen
zum
kaleidoskopisch ihrer
kecken
wechselnden Erhebung
M a ß aller Dinge.
Die
des So-
Die Forderung einer selbständigen Tatwelt
27
phistik bleibt aber auch dann Sophistik, wenn an den Platz der Individuen ihre Durchschnitte, die Massen, treten, wenn das „Zeitbewußtsein", die „öffentliche Meinung", das „Milieu" sich zum Richter a u f w i r f t , oder wie immer die Schlagwörter lauten, mit denen das Bloßmenschliche seine Dürftigkeit versteckt und sich bei sich selbst in die Höhe redet. Zwischen der Anerkenn u n g einer vom Menschen unabhängigen W a h r h e i t als eines festen Poles und einem ziellosen Hin- und Hertreiben auf den Wogen menschlicher Lagen und Launen gibt es kein Mittelding. Jedoch darf jener Grundgedanke nicht bloß in jenseitiger Hoheit über uns schweben, er m u ß mit umwandelnder und erneuernder K r a f t unser Dasein ergreifen. Wie aber ein solches Eingehen erfolgen kann, das beherrscht als ein Hauptproblem alle weitere Untersuchung. Zuvor aber sei in kurzem der W a n d l u n g des Weltbilds gedacht, die mit der B e h a u p t u n g einer selbständigen Tatwelt eint r i t t . Ein Überspringen dieser Frage würde im Hintergrunde einen gefährlichen Zweifel belassen, der jeden Augenblick störend hervorbrechen könnte. Für den ersten Anblick mag jene Behaupt u n g die Einheit des Weltalls f ü r immer zu zerreißen scheinen und damit alle Neigung der Wissenschaft gegen sich haben. Xber einen Schritt weiter, und die Sache gewinnt einen anderen Anblick. Denn durch die Anerkennung einer selbständigen Tatwelt wird das Verlangen nach Einheit nicht u n t e r d r ü c k t , sondern nur in eine eigentümliche R i c h t u n g gelenkt; es versperren sich gewisse, nicht aber alle Wege. Unvereinbar d a m i t sind alle Systeme, welche eine Einheit des Alls auf Kosten des Innenlebens suchen, indem sie dieses in roherer Weise zu einem Erzeugnis, in feinerer zu einer Begleiterscheinung oder einer Parallele der sinnlichen N a t u r herabd r ü c k e n ; demgegenüber ist auf einer Einheit zu bestehen, die das Eigentümliche beider Reiche zu gebührender Geltung bringt. Einen Weg, im Streben zur Einheit die Verschiedenheit festzuhalten, eröffnet aber die Idee, d a ß gebundenes und selbsttätiges Leben, also N a t u r und Geist, die H a u p t s t u f e n einer Bewegung des Alls bedeuten, d a ß Ein begründendes und umfassendes Leben sich in ihnen und durch sie e n t f a l t e t . Die N a t u r mit ihrem Gewebe von lauter Einzelkräften zeigt die Wirklichkeit als ein bloßes Nebeneinander einzelner P u n k t e ; sie zeigt sie zugleich in einem Stande der V c ä u ß e r l i c h u n g , sofern h i n t e r aller Betätigung ein
28
Der Kampf um die S e l b s t ä n d i g k e i t des
Geisteslebens
d u n k l e r Grund verbleibt. Ein solches System läßt demnach zwischen Betätigung u n d Grund eine unüberwindliche K l u f t ; es h a t , vom Beisichselbstsein aus gewürdigt, weder Zweck noch Sinn; alle Sinnfälligkeit und aller Lebenstrieb ergibt hier n u r ein Gewebe von Beziehungen, eine bloße Beziehungswelt. Wohl weist die Natur" selbst über den bloßen Mechanismus einefs solchen Gewebes hinaus. Irgendwelchen Z u s a m m e n h a n g verrät die durchgängige Wechselwirkung der Körper, die Gesetzlichkeit alles Geschehens, die unerschöpfliche Formbildung, der aufsteigende Gestaltungstrieb, endlich auch das Seelenleben, das überall aus der N a t u r aufquillt. Aber den Mechanismus lockern heißt nicht ihn überwinden, eine neue Ordnung ahnen n i c h t sie begründen. Auch bei jenen Milderungen verbleibt ein peinliches Mißverhältnis, ja ein schroffer Widerspruch zwischen der K r a f t , ja Gier, weldie dies Leben erweckt, und dem Ertrage, den es g e w ä h r t . Zähe klammern sich die Wesen an dies Dasein und k ä m p f e n d a r u m bis zu gegenseitiger Vernichtung; was aber haben sie an ihm, was gewinnen und genießen sie mit i h m ? Wohl heißt es, d a ß durch Kampf und Tod der Individuen hindurch das Ganze w e i t e r k o m m t , aber wo ist in einem seelenlosen All ein Ganzes jenseits der Individuen, das solchen Fortgang erlebt, und das aus all jener endlosen Mühe Freude und Förderung z i e h t ? Dazu ist jeder F o r t s c h r i t t im Kreislauf der N a t u r begrenzt, die elementaren K r ä f t e brechen immer wieder hervor und üben Zerstörung, schließlich wirft der Zerfall der Welten immer wieder zum A u s g a n g s p u n k t zurück. Entweder ist dieser Kreislauf nicht das Ganze, und es h a t die N a t u r eine größere Tiefe des Lebens in sich und eine Bewegung zur Tatwelt vor sich, oder der Weltprozeß verläuft in leere Sinnlosigkeit, und ein Wesen wie der Mensch, das nun einmal d e n k t und eine Innerlichkeit nicht aufgeben kann, ist ein unerklärlicher Mißgriff der N a t u r ; aus der Krone der Schöpfung wird ein wunderliches Zwitterding, das einer Vereinsamung und inneren Vernichtung nicht zu entgehen vermag. Einen solchen Ausgang v e r h ü t e t lediglich und allein die Anerkennung eines selbständigen Lebens, eines Lebens, das nicht eine Welt außer sich findet, sondern eine solche aus sich selber hervorbringt und d a h e r nicht an der Außenseite der Dinge h a f t e t , das aus einem bloß anhängenden ein bei sich selbst befindliches, auf sich selbst gestelltes Leben wird.
Die Hauptthese
29
Dieser W e n d u n g widerspricht nicht die Tatsache, d a ß in unserem Bereiche die Betätigung der höheren Stufe durchgängig an das Mitwirken der niederen gebunden bleibt. Denn wird nur der verführerische, aber schiefe und schließlich den Geist der N a t u r aufopfernde Gedanke eines Parallelismus beider Reiche ferngehalten, so g e s t a t t e t die Überzeugung von der wesentlichen Selbständigkeit eines schaffenden Lebens eine Abhängigkeif aller Lebensäußerung beim Menschen von Naturbedingungen anzuerkennen. Doch s t a t t einer weiteren Ausführung dessen seien lieber die Konsequenzen jener W e n d u n g f ü r das Lebensproblem schon hier in Kürze angedeutet. Das so verstandene Geistesleben erscheint vonhier aus nicht als eine bloße Zierde und Z u t a t zur Wirklichkeit, sondern als die Erschließung ihrer eignen Tiefe; es beschränkt sich nicht auf einen besonderen Kreis, sondern es m a c h t Anspruch auf das All, es k a n n sich als wahr nicht behaupten, ohne als Weltm a c h t zu gelten. Demnach h a t auch das Streben nach jenem Leben nicht den Sinn, einer vorhandenen Wirklichkeit n u r diese oder jene Eigenschaft hinzuzufügen oder sie nach dieser oder jenei Richtung auszubauen, sondern nichts Geringeres s t e h t hier in Frage als ein echtes Leben ü b e r h a u p t ; jenes Streben nach einem Grundleben ist ein Kampf u m eine Tiefe des eignen Wesens. Erst als solches Suchen eines Wesens kann jenes Streben eine Macht und eine W ä r m e erreichen, die den Triebkräften des physischen Daseins gewachsen, ja überlegen sind. Zugleich verwandelt sich unser ganzes Dasein in Ein großes P r o b l e m ; so wie es vorliegt, ist es ungeklärt u n d u n b e f e s t i g t ; in schwankender Stellung zwischen den W e l t s t u f e n bildet es eine trübe Mischung von W a h r h e i t und Schein, ein Durcheinander höherer und niederer Art. K a n n es diesen haltlosen Stand überwinden, wird das Selbstleben auch in uns als eine lebendige K r a f t zur Scheidung, Erhöhung, Erneuerung w i r k e n ?
2. Das neue Leben. a. Die Hauptthese. Aus den Verwicklungen der ersten Lage fand sich k e i n ' anderer Ausweg als die W e n d u n g zu einer selbständigen Innenwelt, einem Beisichselbstsein des Lebens. Aber diese W e n d u n g , das erhellte zugleich, m u ß so lange u n f r u c h t b a r bleiben, als nicht jene Welt sich
Die Hauptthese
29
Dieser W e n d u n g widerspricht nicht die Tatsache, d a ß in unserem Bereiche die Betätigung der höheren Stufe durchgängig an das Mitwirken der niederen gebunden bleibt. Denn wird nur der verführerische, aber schiefe und schließlich den Geist der N a t u r aufopfernde Gedanke eines Parallelismus beider Reiche ferngehalten, so g e s t a t t e t die Überzeugung von der wesentlichen Selbständigkeit eines schaffenden Lebens eine Abhängigkeif aller Lebensäußerung beim Menschen von Naturbedingungen anzuerkennen. Doch s t a t t einer weiteren Ausführung dessen seien lieber die Konsequenzen jener W e n d u n g f ü r das Lebensproblem schon hier in Kürze angedeutet. Das so verstandene Geistesleben erscheint vonhier aus nicht als eine bloße Zierde und Z u t a t zur Wirklichkeit, sondern als die Erschließung ihrer eignen Tiefe; es beschränkt sich nicht auf einen besonderen Kreis, sondern es m a c h t Anspruch auf das All, es k a n n sich als wahr nicht behaupten, ohne als Weltm a c h t zu gelten. Demnach h a t auch das Streben nach jenem Leben nicht den Sinn, einer vorhandenen Wirklichkeit n u r diese oder jene Eigenschaft hinzuzufügen oder sie nach dieser oder jenei Richtung auszubauen, sondern nichts Geringeres s t e h t hier in Frage als ein echtes Leben ü b e r h a u p t ; jenes Streben nach einem Grundleben ist ein Kampf u m eine Tiefe des eignen Wesens. Erst als solches Suchen eines Wesens kann jenes Streben eine Macht und eine W ä r m e erreichen, die den Triebkräften des physischen Daseins gewachsen, ja überlegen sind. Zugleich verwandelt sich unser ganzes Dasein in Ein großes P r o b l e m ; so wie es vorliegt, ist es ungeklärt u n d u n b e f e s t i g t ; in schwankender Stellung zwischen den W e l t s t u f e n bildet es eine trübe Mischung von W a h r h e i t und Schein, ein Durcheinander höherer und niederer Art. K a n n es diesen haltlosen Stand überwinden, wird das Selbstleben auch in uns als eine lebendige K r a f t zur Scheidung, Erhöhung, Erneuerung w i r k e n ?
2. Das neue Leben. a. Die Hauptthese. Aus den Verwicklungen der ersten Lage fand sich k e i n ' anderer Ausweg als die W e n d u n g zu einer selbständigen Innenwelt, einem Beisichselbstsein des Lebens. Aber diese W e n d u n g , das erhellte zugleich, m u ß so lange u n f r u c h t b a r bleiben, als nicht jene Welt sich
30
D e r K a m p f um d i e S e l b s t ä n d i g k e i t d e s G e i s t e s l e b e n s
auch für uns eröffnet, nicht auch in unserem Kreise neues Leben schafft. Sehen wir nun, was das heißen und wie das geschehen kann. Soll jene Selbständigkeit des Innenlebens auch uns eine Umwälzung bringen, so darf jenes Leben bei uns nicht ein bloßes Stück der vorgefundenen Lage bleiben, an ihre Bedingungen gebunden und in ihre Gegensätze verstrickt, sondern es muß sich von dieser Lage ablösen und ihr gegenüber eine ursprüngliche Bewegung e P zeugen; es wird seine Aufgabe nicht in der Leistung für jene, sondern in seiner eignen Verwirklichung finden, nicht aus jener, sondern aus sich selber Kräfte schöpfen, nicht in jenem verworrenen Gemenge, sondern in sich selbst Ausgangspunkte und Ziele finden, überhaupt dem Ganzen des Daseins als ein Ganzes der Tatwelt begegnen. Ein solches Leben dürfte nicht" Dinge außer sich anerkennen und sich von draußen her an ihnen zu schaffen machen, sondern es müßte als Volltätigkeit in dem oben erörterten Sinne den Gegenstand in sich schließen und aus sich entwickeln. Es dürfte ferner nicht bloß innerhalb einer gegebenen Welt etwas leisten, es müßte ein selbständiges Reich gegenüber aller Gegebenheit sein; es dürfte nicht in einer vorhandenen Welt nur dieses und jenes verbessern, es hätte eine neue Welt mit eigentümlichen Größen und Gütern zu schaffen. Damit entsteht eine zwiefache Art des Lebens, da das Dasein nicht einfach verschwindet; es eröffnet sich ein weiter Abstand zweier Wirklichkeiten. Hier das Gegebene voran und alle Bewegung ihm anhangend, dort ein Tun das Ursprüngliche und alles Sein sein Erzeugnis; hier ein Fortspinnen eines überkommenen Fadens, dort ein ursprüngliches Einsetzen und Neubeginnen; dort Geistiges und Sinnliches unter starkem Übergewicht des Sinnlichen ineinander geschoben, hier ein Aufsteigen einer reingeistigen Wirklichkeit; dort der Durchschnitt der menschlichen Art und Lage als Maß, hier das Geistige über jene Stufe hinausgehoben und als Maß und Norm dem Menschen gegenübergestellt; dort überall einengende Schranken einer natürlichen Besonderheit, hier ein Leben und Schaffen aus der Unendlichkeit; mit einem Wort dort eine gebundene', hier eine freie Lebensführung. Damit eröffnet sich die Aussicht auf unermeßliche Bewegungen und Spannungen, auf einen unser ganzes Dasein durchdringenden Kampf. Denn friedlich nebeneinander bestehen können die beiden Lebensarten unmöglich, die eine muß die andere zu unterwerfen oder aufzulösen streben.
Die Hauptthese
31
Diese Gegensätzlichkeit v e r b i e t e t es auch, den Beweis f ü r die Möglichkeit u n d die N o t w e n d i g k e i t führen. durch
Es w ä r e die
eine
Leistung
Weiterbildung außen
her
Stelle
durch
für
das
die
fähig
jenes,
andere
der W i r k l i c h k e i t
weder
d e s Neuen v o m Alten h e r zu
Erniedrigung
noch
wollte
ist ü b e r h a u p t b e d ü r f t i g , sie
Fruchtbarkeit
es sein
erhärten.
und
den
Eine
eines muß
Erweises sich
an
von erster
Zusammenhang
eignen E n t w i c k l u n g erweisen, d a n n erst k a n n sie sich am d u r c h ein Sichten u n d Steigern bezeigen.
Recht
derartige
ihrer
anderen
Wie der Gegensatz u n -
m i t t e l b a r a n den Menschen k o m m t , r u f t er ihn zu einer persönlichen E n t s c h e i d u n g a u f , zwingt er ihn zu einer A n t w o r t auf die
Frage,
ob er g a n z in die W e l t der G e g e b e n h e i t a u f z u g e h e n v e r m a g , oder ob ihn eine N o t w e n d i g k e i t seines i n n e r s t e n W e s e n s zu einer W e l t selbstätigen das
Lebens t r e i b t .
Fichte
in
seiner
Das ist d a s große
„Bestimmung
des
E n t w e d e r — Oder,
Menschen"
so
packend
geschildert h a t ; n i c h t weit k ö n n e n wir m i t d e m gewaltigen m e r g e h e n ; u m so e n t s c h i e d e n e r
möchten
Stür-
wir b e t o n e n , d a ß
sein
A u s g a n g s p u n k t , sein G r u n d g e d a n k e eines u r s p r ü n g l i c h e n u n d welts c h a f f e n d e n Lebens im Menschen
auch u n s als die G r u n d l a g e n i c h t
n u r aller a u s g e p r ä g t e n Philosophie, sondern aller k r ä f t i g e n arbeit einer
gilt.
Das
lebensvollen
jener Selbsttätigkeit Aber
je
A n s i c h w a h r e ~nnd Wirklichkeit
für
Ansichgute uns
nur
Pia tos
in
zu mit
Fichtes.
umwälzender
die
Idee
eines u r s p r ü n g l i c h e n
b e h ü t e n , sowie der Bedingungen zu g e d e n k e n , k a n n , was sie leisten soll.
die es sich dabei v o r n e h m l i c h 1. J e n e
wird
Verbindung
ist, d e s t o m e h r h e i ß t es, sie von A n f a n g a n vor sie leisten
Geistes-
Wendung
zur
Drei
Lebens
Entstellung
unter
denen
P u n k t e sind
zu
allein
es,
um
handelt.
Selbstätigkeit m u ß
den
ganzen
Um-
f a n g u n s r e r K r ä f t e u m s p a n n e n , n i c h t eine einzelne Seite h e r a u s greifen u n d sie ü b e r d i e , a n d e r n h i n a u s h e b e n . sammenfassung
imsers
volle
Ursprünglichkeit
wird
einerseits
Ganzen
der
des Lebens
ganzen wie
Seins
erlangt
Gewißheit.
bevorzugte
Teil
auferlegen, wird
Bei
seine
D e n n n u r in die
Bewegung
einer
besondere
andererseits
Beschränkung Natur
W i d e r s t a n d leisten u n d d a s R e c h t des a n d e r n b e s t r e i t e n .
einen gegen die a n d e r e .
Vernunft und
dem
das Unergriffene So ver-
werfen wir im besondern die h e u t e beliebte S c h e i d u n g einer retischen u n d einer p r a k t i s c h e n
Zueine
d a s Ausspielen
theoder
W o h l s t e h e n auch wir zu der Ü b e r z e u g u n g ,
32
Der Kampf um die S e l b s t ä n d i g k e i t des
Geisteslebens
daß
zentrale
Geisteslebens,
ontologische stimmen
Erfahrungen
des
Spekulationen,
haben
und
anderes
als
nunft.
Nicht um
menschlichen
unsere
in W a h r h e i t
letzten
Überzeugungen
bestimmen;
jene Zerlegung und leicht auch Seiten, sondern u m
nicht zu
a b e r d a s ist
be-
etwas
E n t z w e i u n g der
Ver-
S t u f e n des Lebens h a n d e l t
es sich, u m den G e g e n s a t z eines g e b u n d e n e n , v e r m e n g t e n , f r e m d e n Zwecken
unterworfenen
sich selbst angehörigen alle
Lebensentfaltung
durch das Handeln.
und
eines
Lebens. so
autonomen,
rein
ausgeprägten,
Dieser G e g e n s a t z g e h t wie d u r c h
auch
sowohl
durch
das
Erkennen
als
Bei diesem auf der einen Seite ein selbsttätiges
W i r k e n u n t e r S c h ö p f u n g eigner Größen u n d W e r t e , d a s A u f b a u e n eines Reiches reiner I n n e r l i c h k e i t ; auf der a n d e r e n ein Streben und Leisten i n n e r h a l b des gegebenen Daseins, ein G e t r i e b e n w e r d e n d u r c h dunkle
eine s t a r r e
Kräfte,
bensdranges.
Gebundenheit
o f t i n m i t t e n wilden Le-
Ähnlich bei d e r Theorie d o r t eine U r e r z e u g u n g
von
G e d a n k e n u n t e r i n n e r e r A n e i g n u n g u n d D u r c h l e u c h t u n g des Gegens t a n d e s , die E n t f a l t u n g einer s e l b s t ä n d i g e n eignen
Gedankenwelt
aus der
Bewegung des L e b e n s ; hier die R i c h t u n g auf ein f r e m d e s ,
s t a r r e s , im G r u n d e u n z u g ä n g l i c h e s Sein, ein bloßes E r m i t t e l n O r d n e n gegebener ganzen
Wesens,
Daseins. der
Vor
Daten. — ein
Gegensatz
allen
Gegensatz
für den
Unterschieden
einer
und
So die A u f g a b e einer B e f r e i u n g des
vollen
ganzen
innerhalb
Vernunft
und
Bereich
der
unseres
Vernunft
einer
muß
Halbvernunft
stehen. 2. D e m
Menschen
zuerkennen,
das
h e i ß t n i c h t die ganze V e r n u n f t auf den M e n s c h e n stellen u n d
zur
Sache des bloßen
ein
Menschen
gehörige,
alles
menschliche
fangende
Welt
kommt
ursprüngliches machen.
Ohne
Unternehmen
unser
Tun
Leben
eine sich selbst
begründende
nicht
über
und
seine
anum-
natürliche
E n g e h i n a u s u n d in ein s c h a f f e n d e s Leben h i n e i n ; eine W e l t , die es
aus
sich
allein
hervorspänne,
bildung, ein haltloses
Gewebe.
würde
leicht
eine
bloße
Ein-
aller
Vor-
Mit d e r A b s c h ü t t e l u n g
a u s s e t z u n g e n u n d Z u s a m m e n h ä n g e g e l a n g t d a s S u b j e k t noch n i c h t zu
einem
selbständigen Schaffen
und
einem
neuen
Lebensgehalt.
Eine neue W e l t g e g e n ü b e r d e m bloßen Dasein k a n n B e s t a n d Wahrheit
nur
gewinnen, wenn
unser Streben
l e b e n w u r z e l t u n d von i h m getrieben w i r d . menschliches
Schaffen
Mitschaffen,
ein
kein
Eintreten
absolutes in
ein
in einem
Es ist e i n m a l
Schaffen, sondern ursprüngliches,
und
Gesamtunser
nur
ein
Wirklichkeit-
Die H a u p t t h e s e
33
bildendes Leben; f ü r uns gibt es keine Freiheit ohne eine Bind u n g und keine Stärke ohne eine Beugung u n t e r eine überlegene Macht. 3. Ist derart unser Vermögen von innen her gebunden, so h a t auch seine Leistung ihre festen Bedingungen und Schranken. Ein selbsttätiges Leben als Ursprung u n d Kern aller Geistigkeit setzen, das heißt nicht behaupten, d a ß dieses Leben bei uns lediglich aus sich selbst allen Inhalt erzeuge u n d u n m i t t e l b a r unsere ganze Wirklichkeit schaffe. In unserm menschlichen Kreise kann, wie später näher erörtert wird, jenes neue Leben n u r bei Beziehung auf die W e l t d e r E r f a h r u n g und bei Ergreifung des in ihr enthaltenen Tatbestandes zu einer vollen Gestalt, zu gleichmäßiger Durchbildung kommen. Das bedeutet nicht, d a ß es von dort einen Stoff fertig aufnehmen und seine Welt aus inneren und äußeren Bestandteilen zusammensetzen könnte. Denn wenn die Selbsttätigkeit zu dem zurückkehrt, von dem sie sich losreißen mußte, so sieht sie es n u n m e h r in neuem Lichte, u m f a ß t es mit überlegener K r a f t und n i m m t von ihm nichts auf, ohne es in der Aneignung umzugestalten und zu erhöhen. Das ursprüngliche Leben bleibt d a h e r auch in der Anerkennung des anderen immer führend, bewegend, d u r c h l e u c h t e n d ; es entwickelt den R a u m , wohin das andere zu versetzen ist, wenn es geistige F r u c h t tragen soll. Was immer das Dasein an eignem und neuem enthalten mag, das eröffnet es n u r der geistigen Arbeit und nach dem Maße der an es gewandten Selbsttätigkeit; diese h a t den Entwurf vorzuzeichnen, worin jenes einzutragen h a t , diese stellt die Fragen, die jenes beantworten soll. So bedarf das Erkennen der E r f a h r u n g , aber es kann aus ihr nicht schöpfen, ohne die äußere Welt in Begriffe und Gesetze, d . h . in geistige Größen zu verwandeln. So kann auch das praktische und das künstlerische Handeln sich nicht vollenden und seine eigne Durchbildung finden, ohne zur sichtbaren Leistung fortzuschreiten und am Äußeren das Innere zu gestalten. Es b e h a u p t e t demnach auch in der W e n d u n g der Arbeit nach außen das Schaffen seine Überlegenheit; die Notwendigkeit des Zusammenwirkens besagt keineswegs eine Gleichstellung, vielmehr bleibt die Entscheidung beim inneren W e r k , und jenseits der Spaltung hält eine H a u p t b e w e g u n g das Leben zusammen. Ja die nähere Beschaffenheit, welche die Selbsttätigkeit im Ringen mit der Gegebenheit a n n i m m t , ist schließlich ein Fortschreiten E H e l t e n , Kampf.
III. Aufl.
3
34
D e r K a m p f um d i e S e l b s t ä n d i g k e i t d e s G e i s t e s l e b e n s
bei sich selbst, ein Entwickeln ihres eignen Wesens; alle echte E r f a h r u n g wird d a m i t zur Selbsterfahrung. — Das ergibt einen anderen Weg als den der k o n s t r u k t i v e n Systeme mit ihrer' Mißa c h t u n g der E r f a h r u n g , als den des Empirismus mit seinem Herleiten der V e r n u n f t aus der U n v e r n u n f t oder doch H a l b v e r n u n f t , aber auch als den des Dualismus mit seiner Spaltung und Zusammensetzung des Lebens.
b. Das Zeugnis der weltgeschichtlichen Arbeit. So viel zur Abgrenzung und Verwahrung. Alles z u s a m m e n gibt aber der Hauptidee noch nicht die Anschaulichkeit und die Überzeugungskraft, die wir ihr vor der näheren A u s f ü h r u n g mit ihren Verwicklungen wünschen. Um in dieser R i c h t u n g wenigstens etwas zu t u n , sei in Kürze das Zeugnis der weltgeschichtlichen Arbeit angerufen. Denn es h a t jenes neue Leben seine Selbständigkeit in gewaltigen Wirkungen auf dem Boden der Geschichte bewährt, und es f ü h r t hier einen unerbittlichen K a m p f gegen die Welt des Durchschnitts und der Gebundenheit. J a , der Zus a m m e n s t o ß beider Welten bildet ein H a u p t s t ü c k der geschichtlichen Bewegung. Besonders einleuchtend ist das bei den schaffenden Persönlichkeiten des Denkens wie des Handelns, der Religion wie der K u n s t ; sowohl durch die Schärfe des Gegensatzes als durch die Fülle und Macht des Neuen sind sie alle Beweise des Geistes und der K r a f t f ü r die Wirklichkeit einer neuen Welt. Denn es haben alle jene Männer ihr Lebenswerk nicht aufgenommen aus jenem t r ü b e n Durcheinander des Alltags, es nicht g e f ü h r t mit seinen Mitteln und f ü r seine Zwecke, sondern aus einer anderen Welt, die bei aller Unsichtbarkeit ihrem W i r k e n näher, vertrauter, gewisser war als alles sinnliche Dasein m i t seiner H a n d festigkeit. Sie konnten aber die neue Welt nicht e n t f a l t e n , die Grundüberzeugungen nicht in Arbeit und Schaffen verwandeln, ohne jenes andere als eine unerträgliche H e m m u n g zu empfinden und sich einen Platz dagegen im Kampf auf Leben u n d Tod zu erstreiten. Dabei sahen sie den Fehler des vorgefundenen Standes nicht in einem bloßen Zurückbleiben hinter den Forderungen des neuen Lebens, in irgendwelchen Mängeln und Lücken, sondern darin, d a ß hier das Höhere mit Niederem verquickt und u n t e r ein Fremdes gebeugt war, und d a ß dies widerspruchsvolle Ge-
Das Zeugnis der weltgeschichtlichen Arbeit
35
menge als eine selbstherrliche Macht auftrat, ja sich als die höchste Instanz gab. Es war die Anmaßung, die innere Unwahrheit, die Scheinhaftigkeit jenes anderen Lebens, die jene Männer erregte und entflammte; der Eifer um die Wahrheit, die Entrüstung über die Lüge ist der Grundtrieb alles geistigen Schaffens. In dem Kampf aber gegen das, was dem Menschen sonst als die ganze Welt galt, waren jene Männer von vornherein verloren, hätten sie nicht eine feste Stellung jenseits jenes Getriebes gewonnen und aus ihr mit freudiger Sicherheit gewirkt. So haben sie in Wahrheit — im Fortgang der Zeit immer bewußter — einen archimedischen Punkt gesucht, um von dort die vorhandene Welt zu bewegen und umzuwandeln. Jenen Punkt aber konnten sie nirgends finden, als in einer Konzentration ihrer eignen Tätigkeit, in einer Vertiefung zu den inneren Notwendigkeiten des Schaffens, an denen für sie — für jeden nach seiner Art — die Möglichkeit eines geistigen Bestehens hing, im Ergreifen der Stelle, wo ein ursprüngliches Leben bei ihnen durchbrach und sie sowohl über alle zufällige Besonderheit als über alle tastende Erwägung in die Gewißheit einer neuen Welt erhob. Von hier aus entsprangen zwingende Forderungen, die dem Wirken seine Hauptrichtung wiesen. So fand sich ein Übergang von stürmischem Antrieb zu fruchtbarer Arbeit, aus dem Nein sprang ein Ja hervor, im Niederreißen erschien ein Erbauen. Diesem Aufbauen aus ursprünglichem Schaffen und Schauen verdanken wir den Geistesgehalt der Kultur und alle seelische Vertiefung des Daseins. Dieser schroffe Gegensatz und solches Neueinsetzen einer anderen Ordnung der Dinge erstreckt sich in alle Verzweigung der Arbeit. Alle Höhepunkte der philosophischen Bewegung enthalten einen Bruch des Denkens mit der Durchschnittsmeinung. Auch diese Meinung bereitet ein Weltbild und fügt die Erscheinungen irgendwie zusammen; sie beruhigt sich nicht bloß bei solcher Leistung, sie behandelt sie als abschließend und vollgenügend, sie mißt danach alles andere, sie usurpiert damit die Stellung und alle Rechte einer letztgültigen Wahrheit. Das aber erweckt unvermeidlich den Widerspruch des Denkens, wo immer es zur Selbständigkeit geweckt ward. Es erweist diese Selbständigkeit zunächst in verneinender Richtung durch Aufdeckung der unsicheren Grundlage jenes ersten Weltbildes, durch Herausstellung unerträglicher Widersprüche, durch Auflösung der vermeintlichen Zu3*
36
Der Kampf um die S e l b s t ä n d i g k e i t des G e i s t e s l e b e n s
sammenhänge;
es
erweist
w e r f e n einer n e u e n
Welt
fens und
Kraft,
logischer
sie
weiter
bejahend
im Z u s a m m e n w i r k e n durch
ein
durch
energisches
vertrauender
des
alltäglichen
Weltbildes
g e f a ß t , sondern
es e n t s t e h t
andere, w e n n herabsinkt.
Begriffsarbeit.
nicht
zu
So wird
eine
bloßem
neue
epoche
der
Philosophie
in
Weltbilde
dem
eingeleitet,
Besonderheit
windung
erweist
verschiedenen verfolgen,
durch
der
und
es wird
der Philosophie aus
oder
die
zum springenden
meisten
den
den
in
das
Hauptwider-
halbwissenschaftlichen
eigne
dieses W i d e r s p r u c h s am
jene
Nebensache
die A u f d e c k u n g eines
Epochen; jenen
das
gegenüber
V i e l m e h r wird jede H a u p t -
unwissenschaftlichen
ü b e r diesem W i d e r s p r u c h Die
zusammen-
B e d ü r f n i s s e n jenes Milieu h e r v o r g e g a n g e n ,
eine m a t t e Zeit ihr ganzes W e s e n s e t z t . spruches
innerhalb
gedeutet,
Welt,
neu-
Folgerichtig-
bloß
Scheine, so doch zur
Nie sind große W e n d u n g e n
Meinungen u n d
nicht
zurechtgerückt,
EntSchaf-
Ausführen
g e w o n n e n e r A n f ä n g e m i t t e l s zäher, n u r i h r e r eignen keit
ein
erhöhenden
Behauptung
P u n k t e des
und
die
Art
eigentümlichen
Konflikt durch
h e i ß t d e m Gewirr d e r Lehren
gegen-
Schaffens.
seiner
Über-
Charakter
seine
der
Hauptphasen
u n d Meinungen
eine
innere Geschichte d e r Philosophie e n t r i n g e n . So Sein,
wird
von
unerträglich; haftiges
einem
Plato
Fließendem indem
Sein
in
die
und
er
seiner
Vermengung
Festem
beides
im
deutlich
Ideenwelt
von
Werden
herkömmlichen scheidet
festlegt,
und
weicht
und
Weltbilde ein
die
wahr-
Welt
Meinung u n d des Scheines einer w e s e n h a f t e n O r d n u n g der
der
Dinge.
In a n d e r e r R i c h t u n g , aber einer S e l b s t ä n d i g k e i t des D e n k e n s n i c h t minder gewiß, wirkt e i n a n d e r von
Descartes,
indem
er d a s bisherige
Seele u n d A u ß e n w e l t , von D e n k e n u n d
zerstört, wirkt K a n t
Durch-
Ausdehnung
m i t seiner s c h ä r f e r e n S c h e i d u n g von
Subjekt
u n d O b j e k t , von F o r m u n d Stoff, j e d e r d a b e i gleich energisch d a r a u f bedacht,
f ü r den
zerschlagenen
Zusammenhang
a r b e i t einen n e u e n wiederherzustellen. Gegensatz dieser
der
Philosophie
selbstverständlich
und
dünkt,
der wird
durch
Gedanken-
In d e m allen ein s c h r o f f e r Durchschnittsmeinung;
was
jener
Pro-
zum
schwersten
blem, u n d worauf sie u n b e d i n g t b e s t e h e n m u ß , d a s gilt d e r a n d e r e n leicht
als
Überspannung
und
Torheit.
Was
immer
die
t r e n n e n m a g , eine S e l b s t ä n d i g k e i t des D e n k e n s b e k e n n e n Könnte
a b e r d a s D e n k e n eine solche
Stellung behaupten,
es seine W e l t als die w a h r e erweisen, w e n n nicht d a s
Denker sie
alle.
könnte
Ganze
des
D a s Z e u g n i s der w e l t g e s c h i c h t l i c h e n A r b e i t
37
Lebens eine neue Wirklichkeit in sich trüge, aus der jenes Tätigkeit zu schöpfen v e r m ö c h t e ? Eine fast noch größere Schroffheit erlangt der Gegensatz freier und g e b u n d e n e r , reiner und vermengter Geistigkeit auf dem Gebiete des Handelns. Das Glück des Durchschnittslebens und die Tugend des gesellschaftlichen Durchschnitts gelten einem P l a t o , einem A u g u s t i n , einem K a n t nicht nur als hie und da mangelh a f t , sondern als von Grund aus verfehlt. Denn was solcher Stand an geistiger Regung, an Bedürfnissen und Bestrebungen höherer Art erreicht, das ist eine bloße Z u t a t zu einem andersgearteten Leben, auf den äußeren Erfolg gerichtet und von der Meinung der Menschen beherrscht. Nicht die eigne Befriedigung, ein im eignen Wesen W e i t e r k o m m e n , sondern n u r ein Glücklich- und Tüchtigsein in der Schätzung anderer, ein glücklich und tüchtig Scheinen wird hier das bewegende Ziel. W e n n nun dieser Schein sich selbstgenugsam in seine eignen Kreise einspann, wenn er nicht nur lautere W a h r h e i t , sondern der Quell aller W a h r h e i t sein und nichts außer sich dulden wollte, so m u ß t e das jenen von echterem und ursprünglicherem Leben erfüllten Männern als eine ungeheure Verkehrung erscheinen, die zum Schutz der W a h r h e i t und zum Heile der Menschheit nicht entschieden genug b e k ä m p f t werden könne. Zu einer heiligen Aufgabe wurde es ihnen, die Scheinhaftigkeit jener Lebensführung aufzudecken und ihre A n m a ß u n g abzuweisen. Jenes Durchschnittsglück mit seiner Selbstgenügsamkeit galt ihnen als ein „schimmerndes Elend", die Tugenden jenes Standes als „glänzende L a s t e r " , das ganze Dasein als eine finstere Höhle, aus der n u r ein gewaltsamer Ruck den Menschen befreien und zur lichten Höhe emporheben könne. Diese Angriffe aber schöpften ihre innere W a h r h a f t i g k e i t und ihre gewaltige W u c h t aus der lebendigen Gegenwart eines selbständigen und selbsttätigen Lebens. Ähnliche Spannungen zeigen die anderen Gebiete des Lebens. Die Geschichte der Religion ist voll h a r t e n K a m p f e s zwischen einer Beugung des Göttlichen u n t e r die Zwecke des menschlichen Wohlseins, sei es der Individuen, sei es der Massen, und einer Erhöhung des Menschlichen durch göttliche Macht u n d Liebe, wobei der W e g zum J a durch ein entschiedenes Nein ging. Auch was im künstlerischen Schaffen zu echter Größe und schlichter Einfalt e n t s t a n d , das schöpft aus anderen Zusammenhängen und wirkt mit anderen K r ä f t e n als denen des Durchschnittslebens.
38
D e r Kampf um d i e S e \ b s t ä n d i g k e i t d e s G e i s t e s l e b e n s Daß durchgängig
und
eine
zelnen
das m e n s c h l i c h e
in sich
trägt,
Leben einen
das drängt
Gebieten m i t viel zu ü b e r w ä l t i g e n d e r
u m sich kannt,
ernstlich d a ß die
einer nur
so
Spannung
bestreiten
einen
einzigen
bildet, u n d
großen
selbständigen,
abhängigen,
Gegensatz
bekundet
Durchschnittsstand,
die
die
auf,
oft
ver-
entwickeln:
den
Geistigkeit.
S t ä r k e eines
Stück
Gegensätze Gegensatz und
Die
heit d e s Z u s a m m e n s t o ß e s aber, wie sie d e r Spiegel d e r uns vorhält,
ein-
Gebietes n u r ein
vollausgeprägten
vermengten
den
Anschaulichkeit
d a ß die b e s o n d e r e n
ursprünglichen,
abgeleiteten,
Gegensatz
auf
D a s a b e r wird
E r f a h r u n g des einzelnen
Gesamttatsache
einer
zu lassen.
sich
einer
Schroff-
Geschichte
Hinausstrebens
über
S t ä r k e des V e r l a n g e n s nach einem
den
neuen
Leben. Dieser
Gegensatz
beschränkt
direkten Zusammenstoßes, Bewegung.
sich
nicht
Die D u r c h s c h n i t t s m e i n u n g
quem zurechtzulegen.
auf
die
Punkte
er begleitet u n d d u r c h d r i n g t
die
p f l e g t sich die
des
ganze
Sache
be-
Den h a r t e n K o n f l i k t u n d die o f t t r a g i s c h e n
W e n d u n g e n k a n n sie n i c h t leugnen, a b e r sie b e s c h r ä n k t d e n Gegens a t z auf einzelne Stellen u n d b e r u h i g t sich bei d e m G e d a n k e n , d a ß das
Gute und
e r l i t t e n e Unbill
Große s p ä t e r u m so m e h r a n e r k a n n t u n d f ü r die d u r c h einen vollen Sieg e n t s c h ä d i g t w e r d e .
g e m ä ß hält jene Meinung das rückweisung die
für endgültig
Sophistik
durch
Feindliche
überwunden;
Sokrates,
der
Dem-
m i t der einmaligen
Zu-
es scheint
z. B.,
als
Pharisäismus
durch
Jesus,
wie er ihn v e r s t a n d , ein f ü r allemal a u s g e r o t t e t .
sei
In W a h r h e i t a b e r
gibt j e n e n V e r i r r u n g e n die Zeitlage n u r die L o k a l f ä r b u n g , in
der
Sache kehren sie i m m e r wieder, oder v i e l m e h r sie e r h a l t e n sich u n t e r wechselnden weiter
Namen
müßten
dringen
wir
und
Gewändern
sein
als
wir
durch
sind,
des Q u t e n auch einen inneren
alle Zeit.
wenn
das
Sehr
äußere
Sieg besagte.
Durch-
Oft verhält
sich die Sache u m g e k e h r t , u n d s c h ä d i g t der ä u ß e r e T r i u m p h inneren
Stand.
Wenn
erkannte und mit
nämlich
Lob u n d
das Durchschnittsleben
an-
E h r e n ü b e r h ä u f t e , so h a t es d a s
Ge-
herabgezerrt,
es v e r f l a c h t
und
m e n s c h l i c h t ; es h a t in d e r H u l d i g u n g selbst seine eigne A r t anderen
zwungen Macht
und
des
aufgedrängt, entstellt.
Guten
Lebensbereich
als
in
Die
der
des
Anerkennung
Überzeugung
aufrechthalten den
den
jenen
feierte zugleich zu sich selbst dem
viel
kann
von
nur,
gesellschaftlichen
wer
selbst der
es
verauch be-
überlegenen
einen
anderen
Durchschnitts
an-
Der U m r i ß der neuen W i r k l i c h k e i t
39
e r k e n n t ; gibt es ü b e r h a u p t in unserem Kreise einen Sieg des Guten, so kann er nicht in Erfolgen auf jenem Boden bestehen, sondern nur in einem deutlicheren Heraustreten des Höheren aus der Verwicklung, einer reineren Gestaltung und kräftigeren E n t faltung zu einer selbständigen Tatwelt. So vereinigt sich alles zu dem Schluß: kein Sinn und kein Charakter, kein Mark und keine K r a f t irgendwelches Geisteslebens ohne eine Erhebung über den Durchschnitt, keine solche Erhebung ohne eine Selbsttätigkeit, keine Selbsttätigkeit am einzelnen P u n k t e ohne eine Selbsttätigkeit im Ganzen, ohne ein begründendes Gesamtleben, ohne die E r ö f f n u n g einer neuen Welt.
c. Der Umriß der neuen Wirklichkeit. Versuchen wir jetzt eine Entwicklung des Grundgedankens, so geschieht es mit dem Bewußtsein, einstweilen dabei bloße Umrisse zu entwerfen. Aber das liegt an der Sache, nicht an der Behandlungsweise. Es läßt sich einmal bei einem Aufbau nicht anders als vom Umriß beginnen; d a ß namentlich das selbständige Leben seinen Gehalt nicht fertig mitbringt, sondern ihn nur durch Kampf und Erfahrung, durch Scheidung und Wiederverbindung gewinnt, das ist ein Grundgedanke unsrer ganzen Untersuchung. In jenem Leben erkannten wir eine neue Stufe des Alls, den Fortgang von einer ^ e l t der Beziehungen zu einer Welt des Beisichselbstseins. Dies Neue fällt aber uns Menschen nicht ohne weiteres zu, es verlangt eigne Arbeit und E r f a h r u n g ; eine Grundwelt u m f ä n g t uns nicht als gegeben, sie wird nur durch das ursprüngliche Schaffen eines selbsttätigen Lebens gewonnen. Diese Aufgabe der Erzeugung einer Wirklichkeit aus der Selbsttätigkeit b r a u c h t aber nur entwickelt zu werden, u m verschiedene Seiten in sich erkennen zu lassen und verschiedene Forderungen hervorzutreiben; sie h a t im besonderen darin eine durchgehende Spannung, d a ß einerseits keine Wirklichkeit zustande kommt ohne eine Scheidung des anfänglichen Chaos, ohne ein Festwerden der Arbeit gegenüber dem unsteten Spiel der K r ä f t e , daß andererseits das Abgehobene seinen geistigen Charakter einbüßen müßte, bliebe es nicht von dem Lebensprozeß u m s p a n n t , und f ü h r t e jene Ablösung zu einer völligen Trennung. Diesen Gegensatz h a t der Lebensprozeß herauszustellen und zu überwinden;
40
D e r K a m p f um d i e S e l b s t ä n d i g k e i t d e s G e i s t e s l e b e n s
er wird
damit
sich selbst eigentümlich
gestalten
und
namentlich
in sich a b s t u f e n m ü s s e n . Das
Erste,
was
das
ursprüngliche
Leben
besitzen
muß,
um
eine Wirklichkeit zu erzeugen, ist ein W e l t c h a r a k t e r ; w e d e r eine Besonderheit des T r ä g e r s darf es innerlich begrenzen, noch d ü r f e n fremde Mächte Welt
es v o n
aufsteigen
soll;
außen ohne
beengen,
ein
wenn
in
Weltvermögen
ihm
im
eine
eignen
neue
,Wesen
gibt es f ü r den Menschen kein M i t b a u e n einer neuen W e l t . D a s besagt
zunächst
eine
Ablösung
des s e l b s t t ä t i g e n
von der Enge u n d G e b u n d e n h e i t des bloßen Einzelwesens.
Lebens Könnten
wir an keiner Stelle u n s d a v o n befreien, w ä r e u n s e r Geistesleben bis zu seiner tiefsten
Wurzel
an
B e s c h a f f e n h e i t jenes
die
gebunden,
so w ü r d e alle seine E n t f a l t u n g d u r c h ein f r e m d e s E l e m e n t g e t r ü b t , gebrochen,
entstellt, u n d
wie es nie mit
reiner
Gestalt a u s
dem
t r ü b e n Gemenge h e r v o r s c h e i n e n k ö n n t e , so w ü r d e es a u c h nie die bezwingende K r a f t eines Selbstzwecks erlangen u n d u n s d a m i t beherrschen.
Auch k ö n n t e bei solcher G e b u n d e n h e i t a n d e n
punkt
Gemeinschaft
die
sammentreffen an wirken
im
führen.
Kern
den
der
Arbeit
Ergebnissen
des
Lebens,
zu
nie
über
hinaus
einer
zu
ein
einem
Verbindung
Zu-
Zusammen-
der
Kein k r ä f t i g e s u n d glückliches W i r k e n z u m
ein ursprüngliches W i r k e n a u s d e m
Einzel-
leidliches
Gemüter
G a n z e n ohne
Ganzen!
Aber die B e s o n d e r h e i t d e s E i n z e l n e n ist n i c h t der s c h l i m m s t e Gegner d e r geistigen A r b e i t , w e i t gefährlicher ist die des Menschen als Menschen. n i c h t sowohl jenen
darauf
Besonderheit
D a die Bewegung zu j e n e m
geht, dem
menschlichen
Dasein
N u t z e n zu b r i n g e n , s o n d e r n den Menschen von
umzubilden
und
die
jedes Einfließen
gesamte
Wirklichkeit
einer menschlichen
engen, s o n d e r n entstellen u n d
zu
Grund
erhöhen,
S o n d e r a r t sie
irreleiten.
Leben
diesen
oder aus
so
muß
nicht nur
ver-
N u n bleibt es eine T a t -
sache, die u n s s p ä t e r g e n u g zu t u n geben w i r d , d a ß eine B e s o n d e r heit menschlicher A r t alles geistige S c h a f f e n begleitet u n d u m s p i n n t . Aber es m a c h t
einen g r o ß e n
Unterschied,
ob solche
Bedingtheit
den G r u n d g e h a l t des Geisteslebens t r i f f t oder n u r seine E n t f a l t u n g f ü r unsere
Lage,
ob
das
Sandbank
menschlicher
ob
seinam
es
in
winden h a t . universaleren,
Unternehmen
Kleinheit
Verlauf
von
Widerstände
W ä r e d e m Menschen kosmischen
und
eines
Weltlebens
vornherein und
an
scheitert,
Gefahren
zu
jede Scheidung zwischen
einer
partikularen,
der oder übereiner
bloßmensch-
Der U m r i ß der n e u e n W i r k l i c h k e i t
41
liehen Art versagt und entfiele d a m i t alle Kritik seiner selbst, aller Kampf gegen vorgefundene Schranken, so blieben wir immer im Netz des Kleinmenschlichen gefangen und müßten, wie der Wahrheit der Dinge, so auch einer Tiefe des eignen Wesens entbehren. Die Universalität m u ß sich aber von der Wurzel des Lebens auch in sein Wirken erstrecken, der Befreiung von inneren Schranken m u ß eine Überwindung aller äußeren Grenzen entsprechen. Die Selbsttätigkeit k a n n den Anspruch auf volle Wahrheit nicht durchsetzen, wenn sie bloß einen Ausschnitt des Seins ergreift und das Übrige u n b e r ü h r t l ä ß t ; . s i e darf ihre Welt nicht als ein besonderes Reich neben anderen geben, sondern sie m u ß alles Wirkliche und Mögliche umspannen, sie m u ß alles von sich aus beleben und nach ihren Gesetzen gestalten, überzeugt, es damit der eignen Tiefe zuzuführen. Einer Einschränkung von außen würde bald eine innere E r s c h ü t t e r u n g folgen, denn wie könnte sich als die Seele des Ganzen behaupten, was Fremdes neben sich dulden müßte? Dabei k a n n nicht die hloße Ausdehnung ins Weite, die vage Unbegrenztheit, dem Weltleben geistigen Schaffens genügen. Bei aller Weite m u ß dies Schaffen einen inneren Zusammenhang wahren, alle Mannigfaltigkeit zu einer Einheit fügen und mit einem lebendigen Ganzen umspannen. Damit erhebt sich gegenüber dem vorwiegend negativen Begriff der Endlosigkeit ein positiver der U n e n d l i c h k e i t : dort ein unbeschränktes Fortgehen von einem P u n k t einer gegebenen Welt zu anderen, hier ein allumfassendes Wirken des Ganzen. Spekulative Denker ersten Ranges, Männer wie D e s c a r t e s , S p i n o z a , H e g e l , waren eifrig beflissen, jene Begriffe auseinanderzuhalten; nur in der positiven Unendlichkeit fanden sie die der Ursprünglichkeit des Lebens und der Selbständigkeit seines Schaffens entsprechende Lebensform. Auch die geschichtliche E r f a h r u n g bestätigt diesen Z u s a m m e n h a n g ; dieselben Neuplatoniker, welche ein reines Beisichselbstsein des Lebens verkündeten, haben die Idee der positiven Unendlichkeit aufgebracht; wo immer jener Grundgedanke Eingang f a n d , da stand diese Idee in Ehren. Solche Zusammenhänge stellen in ein helleres Licht, was der erste Abschnitt von einem Wirken überlegener Gesamtgrößen und einer Herrschaft des Ganzen über das Einzelne erkennen
42
D e r Kampf um d i e S e l b s t ä n d i g k e i t d e s G e i s t e s l e b e n s
ließ.
Diese Begriffe blieben im n ä c h s t e n Dasein u n g e k l ä r t und u n -
b e g r ü n d e t , ein G a r z e s vor den Teilen ist im v o r g e f u n d e n e n Nebeneinander
der
Dinge
eine
bare
Unmöglichkeit.
Der
Widerspruch
v e r s c h w i n d e t erst, wenn die T ä t i g k e i t als S e l b s t t ä t i g k e i t zur Quelle der Wirklichkeit w i r d ; d a n n k a n n n i c h t n u r , d a n n m u ß d a s Ganze v o r den Teilen s t e h e n .
Zugleich erhellt, d a ß es eine innere
h e i t n u r i n n e r h a l b solcher T ä t i g k e i t u n d draußen
davon
vorzufinden . glauben,
Leben u n d weist d a r a u f z u r ü c k . eines
organischen
gebracht, machen,
um er
sonst ist
entdeckt,
das
stammt
und
sondern
der
aus
wir
jenem
einer
Natur
nicht
organischen
Ein-
es ist v o n innen her
rätselhafte Verwebungen
von
Ein-
Was
So ist z. B. der wichtige Begriff
Zusammenhanges
heit nicht draußen
f ü r sie gibt.
auf-
irgendwie f a ß b a r zu
mitgeteilt,
sondern
in
sie
hineingelegt. Solche B e g r ü n d u n g des Triebes z u m G a n z e n m u ß
unmittelbar
zu seiner K r ä f t i g u n g wirken u n d ein m u t i g e s Vordringen über die gegebene Lage e m p f e h l e n . nach inneren
W o h l g e h t d u r c h d a s Leben ein Streben
Zusammenhängen
sammenhängen;
und
ein W i r k e n
aus inneren
keine geistige Arbeit, keine V e r b i n d u n g d e r Men-
schen o h n e ein Ü b e r w i n d e n d e r Vereinzelung.
Aber die Z u s a m m e n -
h ä n g e sind m i t vieler Zufälligkeit b e h a f t e t u n d
wirken n i c h t
der K r a f t voller U r s p r ü n g l i c h k e i t ; bald s c h i e b t sich kreuz u n d Erst
mit
einem
q u e r d u r c h e i n a n d e r , bald verbleiben der
Zu-
Wendung
allumfassenden,
Verschiedenheit
zur alle
Selbsttätigkeit Mannigfaltigkeit
ordnenden und
klaffende
siegt
aus
mannigfaches der
Lücken.
Zug
nach
umschließenden,
alle
abstufenden Zusammenhange;
nun
k a n n die K r a f t des Ganzen jeder Stelle zugegen sein u n d den E r t r a g der b e s o n d e r e n Leistung in d a s Ganze z u r ü c k z u f ü h r e n s u c h e n . Eine draußen ihr
solche her
wachsen.
Unendlichkeit
übermitteln; Nur
wenn
nur das
des
Lebens
w e r zu
ihr
Weltleben
läßt
sich
angelegt
nicht
ist,
unmittelbar
kann zur
von zu Ent-
f a l t u n g eines Selbst, zum Erleben eines Selbst wird, k a n n es u n s von der E n g e einer Sonderexistenz befreien, ohne u n s einer leeren und
matten
Allgemeinheit
preiszugeben;
nur
so
kann
uns
die
sonst f r e m d e u n d kalte Unendlichkeit eine eigne Angelegenheit u n d eine innere N o t w e n d i g k e i t w e r d e n .
Das neue Selbst aber, d a s sich
in solchen W a n d l u n g e n e n t f a l t e t , s t e h t in vollem Gegensatz- zu d e m n a t u r t i a f t e n Selbst mit seiner B e h a u p t u n g des besonderen
Punktes.
Hier eine s t a r r e E i n e n g u n g , d o r t eine unendliche W e i t e ;
hier ein
Der Umriß der neuen Wirklichkeit
43
alles ausschließendes, dort ein alles einschließendes Selbst; hier die blinde Tatsächlichkeit eines Naturtriebes, der uns willenlos bindet, dort das Leben auf die eigne Tat gestellt, das Wesen durch Freiheit geweckt und erhöht.
Ein solches Freiwerden von der Enge und Gebundenheit einer Sondernatur, wie sie alles gegebene Dasein umklammert, bildet den ersten Schritt zur Entwicklung einer geistigen Wirklichkeit. Aber auch nur den ersten Schritt. Alles Wogen und Wallen unbegrenzter Lebensfluten gibt der Arbeit noch keinen festen Boden, bloßer Sturm und Drang findet nicht schon den Weg zur Gestaltung, die Bewegung schwebt in jener anfänglichen Unbestimmtheit über den Dingen wie der Geist vor der Schöpfung über den Wassern. Aber schon das Frühere enthielt Ansätze zu weiterem Fortgang. Von einer bloßen Kraftentfaltung, die sich den Dingen gegenüberstellt und von draußen her nicht sowohl mit ihnen als an ihnen beschäftigt, schied sich die Volltätigkeit mit ihrem Ergreifen des Gegenstandes und ihrem Umspannen beider Seiten. Eine neue Art des Lebens ward damit eingeleitet. Die Welttätigkeit des Geisteslebens ist sicherlich nur als solche Volltätigkeit zu verstehen. Aber mit dem Problem einer Weltbildung kann die Volltätigkeit sich nicht berühren, ohne selbst über den Anfangsstand und den allgemeinsten Begriff hinausgetrieben zu werden. Denn dieser Begriff bezeichnet die Aufgabe mehr als er sie löst. Die Volltätigkeit hält beide Seiten des Lebens zusammen und bringt Kraft und Vorwurf in Wechselwirkung. Aber sie tut das zunächst nur der Gesamtrichtung nach; sie verweist beide Seiten aufeinander, ohne zu zeigen, wie sie sich finden und wie sie einander weitertreiben; sie behauptet eine Zusammengehörigkeit, ohne sie zu entwickeln und durch die Entwicklung jedwede Seite zu bestimmen. Die Wendung zu einem Weltleben und die Forderung einer selbständigen Wirklichkeit macht jenen Stand der Halbverbindung und Halbbestimmung durchaus ungenügend, sie steigert die Unfertigkeit zu einem unerträglichen Mangel; die Volltätigkeit selbst stellt sich nun als eine noch ungelöste Aufgabe dar, das Leben erzeugt aus sich selbst ein Ziel und stellt eine Forderung. Dies Ziel einer vollen Einigung und gegenseitigen Bestimmung wird aber nur erreichbar durch eine Verbindung beider Seiten zu
44
D e r K a m p f um d i e S e l b s t ä n d i g k e i t d e s G e i s t e s l e b e n s
einem gemeinsamen Schaffen, durch die Herausbildung und Festlegung eines W e r k e s . Der Fortgang zum W e r k ist der Hauptwendep u n k t der Lebensbildung. Erst hier erreichen die beiden Seiten des Lebens einen festen Zusammenhang, die Arbeit am Werke erö f f n e t eine S t ä t t e der E r f a h r u n g und einer gegenseitigen Mitteilung, die K r a f t vermag hier ihre Leere, d e r Vorwurf seine Fremdheit abzulegen, die Lebensbewegung sich zusammenzuschließen und in sich selbst zu befestigen. — Im W e r k vollzieht das Leben einen bedeutenden Fortschritt bei sich selbst, einen Anstieg, der sich nicht aus den gegebenen Daten ableiten läßt, sondern der etwas wesentlich Neues bringt. Dabei ist es voller Gegensätze. Das Werk entspringt aus der Tätigkeit und darf sich nicht von ihr trennen, u n d es ist zugleich etwas Eignes gegenüber der Tätigkeit, es scheint unser Dasein zu spalten und f ü h r t es allererst zur Einheit, es vollzieht eine Begrenzung des Lebens und will zugleich seiner Unendlichkeit genügen. Ihr volles Licht erhält diese W e n d u n g zum W e r k erst bei einer Fortbildung des Begriffs über die Fassung des Alltags, das aber namentlich an zwei P u n k t e n . — Z u n ä c h s t darf ' d a s W e r k nicht vornehmlich als eine Leistung nach d r a u ß e n , als ein fremden H ä n d e n zu übermittelndes Ergebnis g e l t e n , sondern es bedeutet eine Schöpfung bei u n s selbst, ein Zusammenschießen, eine Konzentration und Kristallisation im eignen Bereich. In dieser Innerlichkeit entspringt das W e r k nicht nur, sondern hier verbleibt es f ü r die Dauer. Es d r a u ß e n in sichtbaren Leistungen vorzufinden können wir nur währten, weil u n v e r m e r k t das Sichtbare aus dem Unsichtbaren beseelt u n d d a n n was bloße W i r k u n g des Innern, f ü r die erzeugende K r a f t genommen wird. W e n n das Streben zum W e r k all unser Tun durchdringt und der Fortgang zu ihm so viel hoffen läßt, so erklärt sich das eben daraus, d a ß wir bei dem W e r k u m die Weiterbildung, die Befestigung und Vollendung des eignen Wesens kämpfen, d a ß wir bei uns selbst mit dem Werke werden und wachsen. Alle Leistung ist auch bei den erstaunlichsten Erfolgen nach außen leer und tot bei sich selbst, wenn sie sich n i c h t auf diesen Boden zu versetzen und sich hier zu bewähren vermag. Die Forderung der Innerlichkeit des Werkes ergibt aber u n mittelbar die einer allumfassenden Ganzheit. Wie bei der Selbsttätigkeit ein Gesamtteil alle Mannigfaltigkeit zu tragen hat, so m u ß auch das Werk, das diese Tätigkeit weiterführt, in erster
Der U m r i ß der n e u e n W i r k l i c h k e i t
45
Stelle ein umfassendes Ganzes, ein Gesamtwerk, ein Lebenswerk sein. Wenn die menschliche Tätigkeit zunächst nur einzelne Werke hervorbringt und erst allmählich größere Zusammenhänge herstellt, so treibt und richtet die Idee des Ganzen auch beim einzelnen W e r k ; erst sie d r ä n g t zur Verbindung und Ausgleichung der einzelnen Leistungen, erst sie verleiht dem Einzelwerk eine Festigkeit und volle Bestimmtheit. Wir pflegen von der Wirklichkeit als einer Ordnung der Dinge zu reden, die uns von draußen u m f ä n g t und uns ohne unser Zutun einnimmt. In W a h r heit entsteht eine Wirklichkeit als das W e r k der Werke n u r durch einen Zusammenschluß unseres eignen Tuns, sie ist eine Forderung und eine Leistung des Geisteslebens bei sich selbst; nur soweit verwandelt sich uns das Chaos der Erscheinungen in eine Wirklichkeit, als ein Z u s a m m e n h a n g geistiger Tätigkeit aus ihm herausgehoben wird. So ist das, was die unphilosophische Ansicht als den selbstverständlichen Ausgangspunkt h i n n i m m t , in W a h r h e i t der E n d p u n k t und die schwierigste Aufgabe; unser Leben s t e h t nicht von vornherein auf einem sicheren Grunde, sondern es h a t einen solchen der Ungewißheit, Verwirrung und Scheinhaftigkeit des nächsten Daseins erst abzuringen, es k a n n das nie von außen, sondern nur von innen her durch eine Fortbildung, Zusammenfassung und Befestigung seiner selbst. Aber es h a t an einer solchen echten, durch Arbeit e r k ä m p f t e n Wirklichkeit auch unvergleichlich mehr als an jener vermeintlich vorgefundenen des Anfangs, es h a t an ihr nicht ein leeres Gefäß, sondern eine sachlich erfüllte, durchgebildete Welt. W e n n die Z u r ü c k f ü h r u n g des Werkes auf die Selbsttätigkeit u n d die geistige Selbsterhaltung allererst aufhellt und sicher begründet, was die Weite der E r f a h r u n g an Streben zum W e r k e zeigt, so erhebt sie zugleich die Sache über den Durchschnittsstand und erzeugt eine Gegenwirkung gegen die bloße E r f a h r u n g . Denn bei dieser ist die Werkbildung keineswegs ein reines Erzeugnis der Tätigkeit. Von d r a u ß e n strömen unerwiesene Voraussetzungen ein, von d r a u ß e n werden undurchleuchtete Ziele aufgedrängt, unsere Arbeit findet überall Schranken an einer f r e m d e n Welt, auch innerhalb ihres Bereiches vermengt sich unablässig dem Eignen Fremdes. Demgegenüber bedarf es f ü r die Zwecke des Geistes einer ständigen Gegenwirkung, sie erfolgt auf allen H ö h e p u n k t e n geistigen Schaffens. Hier heißt es alles Vorgefundene
46
D e r Kampf um d i e S e l b s t ä n d i g k e i t d e s G e i s t e s l e b e n s
einer P r ü f u n g zu u n t e r z i e h e n , a m von
draußen
stammt,
es
rein
W e r k alles auszuscheiden,
aus
der
Tätigkeit
zu
was
entwickeln,
m i t dem allen d a s Leben zu e r n e u e r n , zu v e r j ü n g e n , zu vertiefen. Zeugnis dessen ist der durchgehender was
früheren
verständlich
Gesamtverlauf
Fortschritt Zeiten
als
ist ohne
galt, s p ä t e r e n
der
Geschichte.
namentlich weiteres
darin
gegeben
z u m schweren
Denn
sichtbar, und
als
Problem und
selbst-
zur Sache
eignen E n t s c h e i d e n s w u r d e ; was z u n ä c h s t f e r t i g von d r a u ß e n geboten schien, d a s w a r d galt
das W a r u m
zu geben. immer mehr
des W a r u m
So wird i m m e r
weiter in
weiterhin
die
des
ergründen, Lebens
zugleich
den
Zielen
ein
wachsende
Ziel
zerstört,
zurückgeschoben,
immer
a b e r es bei sich selbst
zu einer W e l t zusammengeschlossen. Geschichte als eine
dar-
auf die T ä t i g k e i t gestellt; es
mehr „Selbstverständliches"
Grenze
es hineingezogen,
zu
ein daß
mehr
Von hier aus erscheint
Umsetzung
des Daseins
nehmlich der W e r k b i l d u n g in volle S e l b s t t ä t i g k e i t ;
und
die
die vor-
Ursprüng-
lichkeit u n d D u r c h s i c h t i g k e i t läßt zugleich einen n e u e n u n d wesenhafteren Inhalt gewinnen. Diese
Stellung des in seiner
erkannten und
Werkes
begründet
der A r b e i t , die d a s
durchdringt.
Das
Werk
Innerlichkeit
vollauf
die
Bewußtsein bietet
und
Ganzheit
Schätzung
und
Leben
gegenüber
des
der
dem
Menschheit
Schwanken
ersten Lage einen f e s t e n H a l t , g e g e n ü b e r d e m T a s t e n u n d ein
deutliches
Ziel,
Geschlossenheit. und
in ein
und klären.
gegenüber
Hier
können
Gleichgewicht
der
Zerstreuung
die
setzen,
Kräfte
hier d a s
verworfen, w a s a b e r j e n e um
so
Nebensache stufen.
enger
Lebens
Leben
sich
die
Falsches wird
Jetzt
können
Mannigfaltigkeit
Erst solchÄ Drängen
und
Entscheidung erkannt
sich
in eine
und
bestärkt
Haupt-
sich gliedern
Zwängen
eine
entfalten
P r ü f u n g b e s t e h t , u m so m e h r
verbunden.
scheiden,
der
Suchen
zusammenfinden
D e r Ü b e r g a n g z u m W e r k z w i n g t zur
zwischen s o n s t o f f e n e n Möglichkeiten; und
des
sich
an-
Werkes
und
und
feste
abBahn
f ü h r t zu einer E r f a h r u n g der Dinge u n d
v o r allem u n s e r
selbst,
erhebt uns
und
uns
sicher
Wie d a s W e r k d e n M e n s c h e n über sich
selbst
über
schwankendes
im eignen Leben. hinausführt,
so
gibt
alle A u ß e n w e l t u n d
es
ihm
Grübeln eine
volle
Unabhängigkeit
alle menschliche Meinung,
Stellung in geistigen Z u s a m m e n h ä n g e n , a n einem Reich des Geisteslebens.
die
macht
eine
gegen
unangreifbare
Gewißheit der
Arbeit
Der Umriß der neuen Wirklichkeit
47
Bei solcher Bedeutung des Werkes entscheidet es über den Gehalt und das Glück des Lebens, ob der Fortgang zu ihm gelingt oder nicht, ob sich mit ihm das Streben und Handeln in ein charaktervolles Ganzes zusammenfaßt, oder ob es der Ungewißheit und Zerstreuung verfallen bleibt. Bei der Unableitbarkeit des Werkes, bei seiner Individualität und Positivität ist dieser Fortgang keineswegs selbstverständlich, alle seelische Erregung und alle emsige Betriebsamkeit an der Oberfläche des Daseins vermag ihn nicht zu erzwingen. Die Sache bedarf einer Gunst von Natur und Geschick: das eigne Wesen muß eine Richtung enthalten, und die Umstände müssen die Entwicklung dieser Richtung, wenn nicht befördern, so doch gestatten. Aber alles von innen und von außen Entgegengebrachte führt nicht zum Werk ohne erhöhende eigne Tat; solche Tat muß den Umkreis des Daseins beleben, zusammenfassen und richten, auch die äußeren Verhältnisse unter sich bringen, sonst ist alle jene Gunst vergeblich. So unentbehrlich Voraussetzungen und Bedingungen, vornehmlich bleibt aas Werk unsere eigne Tat. Daß in Wahrheit der Fortgang zum Werk über den inneren Erfolg des Lebens entscheidet, das zeigt mannigfachste Erfahrung. Um von den Individuen zu beginnen, wie hätte z. B. ein K a n t bei aller Größe seiner Denkkraft und bei aller Treue seiner Arbeit die Höhe seines eignen Wesens und damit eine inneren Befriedigung erreicht, wäre ihm nicht der Aufstieg zum Werke seiner Vernunftkritik gelungen, und hätte sich ihm nicht damit alles, was in ihm lebte und strebte, in eine einzige Tat zusammengefaßt. Nicht anders steht das Problem bei Völkern und Zeiten. Wo die Bewegung durch alle Hemmung glücklich zum Werke vordringt, und wo sich mit solchem Werk das ganze Wesen erhöht, da entstehen klassische Leistungen, da wird alle Mühe und Not des Kampfes von der Freude des Schaffens überboten, da findet sich auch das Edle und Große zur Gemeinschaft der Arbeit zusammen. Wo aber die vorhandenen Kräfte durch Schuld oder Schicksal den Weg zum Werke verfehlen, da bleibt der Mensch dem Zweifel, der Spaltung, der Ohnmacht verfallen, da summiert sich leicht das Gemeine und Kleine, da ist ein Sinken nicht zu vermeiden. Auch die letzte Überzeugung vom Werte des Menschenlebens bemißt sich vornehmlich nach der Beantwortung der Frage, wie weit die Kräfte der Menschheit in dem Gesamtwerke einer geistigen Wirk-
48
D e r K a m p f um d i e S e l b s t ä n d i g k e i t d e s G e i s t e s l e b e n s
lichkeit eine
Befestigung,
Verbindung
und
Erhöhung
finden,
ob sich d a m i t d a s Leben zur E i n h e i t z u s a m m e n s c h l i e ß t ,
und
oder
ob
es in sich- selbst d u r c h eine u n ü b e r w i n d l i c h e K l u f t g e s p a l t e n bleibt.
So läßt sich es h a t
diese
vom
Werke
Bedeutung
kaum
immer
groß genug
nur
im
denken.
Zusammenhange
stigen Bewegung, es verliert sie, sobald es ihn a u f g i b t .
Aber der
gei-
Wird d a s
W e r k n i c h t u n a b l ä s s i g von d e m G r u n d l e b e n d u r c h s t r ö m t , aus d e m es e n t s p r a n g , so m u ß es e r s t a r r e n , in einzelne S t ü c k e zerfallen, seinen Geist verlieren.
Dabei zeigt die E r f a h r u n g der Geschichte deutlich
genug, d a ß im Geistesleben n i c h t wie in der A u ß e n w e l t der einmal" erreichte Sinken
Stand
ohne
weiteres
beginnt,
wenn
die s c h a f f e n d e T ä t i g k e i t
beharrt,
sondern
daß nicht
sofort
ein
immer
mit
neuer Kraft einsetzt. Diese G e f a h r e n einer E r s t a r r u n g werden n i c h t schon gehoben, daß das f i n d e n bezieht u n d
es sich n a c h
Denn
das trifft nicht
nicht
zu
der
daß
eine
mit
großer
dadurch
I n d i v i d u u m d a s W e r k auf sein s u b j e k t i v e s den
inneren
unerläßlichen
Vergröberung Zartheit
Fassungskraft
Gehalt
u n d Belebung
Veräußerlichung
Innigkeit
des
k a n n , d a s zeigt z. B. das M i t t e l a l t e r .
Be-
naherückt.
des W e r k e s u n d f ü h r t
Durchdringung
und
und
seiner
des
Gefühls
seiner;
Lebensganzen zusammengehen
W a s v e r l a n g t wird, ist eine
Innerlichkeit n i c h t n e b e n d e m W e r k e , sondern
über und
in
dem
W e r k e ; die Belebung darf sich nicht nachträglich anschmiegen, sie m u ß von v o r n h e r e i n d a s W e r k u m s p a n n e n u n d beseelen. Daß
a b e r so d a s
schaffende
Leben
K r a f t sich
nicht
seine in
Überlegenheit
die
Schöpfung
wahrt
und
die
verliert,
daß
das
W e r k einen belebenden
H i n t e r g r u n d h a t , d a s ist n u r d u r c h
weiteren
Bewegung
muß
Fortgang
nicht
nur
zurückkehren;
der
in
das W e r k
es m u ß
nicht
zu
erreichen:
eingehen, nur
dem
sondern Werke
Werkes
durch
ein
wird
aber
eine
Förderung
einfaches Z u r ü c k f l i e ß e n ,
des
sondern
auch
aus
ihm
sondern
Die E r f a h r u n g
Wesens nur
einen
Grundleben
mitteilen,
auch von ihm e m p f a n g e n u n d aus ihm g e w i n n e n . des
das
nicht
durch
eine
schon fort-
schreitende T a t , d u r c h ein Ringen des G a n z e n des Lebens m i t d e m Ganzen des W e r k e s , d u r c h ein Bewältigen des W e r k e s m i t t e l s W e i t e r bildung des W e s e n s .
Die A u s b i l d u n g des W e r k e s stellt d a s Leben
vor eine neue A u f g a b e .
D a s W e r k f ü h r t u n t e r Bedingungen, u n d
Der U m r i ß der neuen W i r k l i c h k e i t
49
seien es solche des eignen Wesens, es kann sich nicht zusammenschließen ohne eine Einschränkung und Ausscheidung zu vollziehen, es erhält d a m i t eine Positivität, die stets in P a r t i k u l a r i t ä t zu verfallen droht. Demgegenüber s t e h t der allgemeine Lebensd r a n g mit seinem Verlangen nach Unbedingtheit, Unendlichkeit, Universalität. Um diesen Zwiespalt zu überwinden und die Zweiheit wieder zur Einheit zu b r i n g e n , bedarf es eines weiteren Schrittes aus freier T a t . Das bisher so u n b e s t i m m t e Grundleben h a t sich mit Hilfe des Werkes und u n t e r Festhaltung des Werkes näher zu bestimmen, sich zu näherer Durchbildung, zu einem ausgeprägten Charakter zu erheben; erst d a n n kann der Spalt zwischen ihm und dem Werke sich schließen, erst d a n n können Leben und Werk sich von innen her zu einer vollen Wirklichkeit verbinden, die, fest und innerlich zugleich, eine geistige zu heißen in W a h r heit verdient. Dies Zurückkehren des Lebensprozesses zu sich selbst m a c h t es allererst möglich, von einem S i n n e d e s L e b e n s zu reden und nach ihm zu fragen, es erklärt zugleich das starke Verfangen des Menschen nach einem solchen. W a s wir bei der Frage des Sinnes suchen: ein Messen von einer Einheit her, ein inneres Verhältnis zu dem Erlebten, einen E r t r a g f ü r das Ganze unseres Lebens, das läßt sich nicht von draußen empfangen, sondern n u r da erringen, wo das Leben bei sich selbst verläuft und aus aller E n t f a l t u n g zu sich selbst zurückkehrt, wo es ein Sicherleben wird u n d in allen Bewegungen ein eignes Wesen erfaßt, erfährt und erhöht. Ein solches Selbstleben lag bei u n s der ganzen Entwicklung zugrunde u n d erwies sich an allen H a u p t p u n k t e n . Aber zu voller Klarheit und Durchbildung bringt es erst der letzte S c h r i t t ; erst mit ihm erhellt, d a ß alle Bewegung auf die eigne Vollendung geht, und d a ß der Fortgang des Selbstlebens vom Umriß zur Durchbildung, sein Kampf um ein völliges Wirklichwerden, die Seele aller geistigen Arbeit bildet. Solche Selbstentwicklung und Selbsterhöhung des Lebens ist etwas anderes als ein bloßes B e w u ß t w e r d e n , ein bloßes Finden dessen, was von H a u s aus vorhanden war. Das würde weder den Reichtum und die Tiefe des Lebens, noch seine Spannung und Verwicklung zu ihrem Rechte bringen. Denn d a n n wäre es bei aller rastlosen Bewegung innerlich festgelegt und in eine vorgezeichnete Bahn gewiesen, wesentlich Neues könnte es nicht erE u c k e n , Kampf.
I I I . Aufl.
4
50
D e r K a m p f um d i e S e l b s t ä n d i g k e i t d e s G e i s t e s l e b e n s
zeugen. Zugleich würde das Geistesleben zu einer bloß intellektuellen Leistung verengt. Unsere Fassung erhöht die Gefahr, aber auch den Ertrag. Nicht das bloße Bewußtwerden, sondern das Selbständigwerden, das Sichselbstvollenden steht hier in Frage. Dazu aber bedarf es notwendig jener drei Stufen, dazu bedarf es des Werkes als der Achse der Bewegung. Weltbildung, Werkb i l d u n g , S e l b s t b i l d u n g miteinander führen zum Ziel; in Befreiung, Befestigung, Verinnerlichung entsteht Leben, Schaffen und Geist. Mit diesen Stufen und mit dem Gegensatz des Eingehens in das Werk und des Zurückkehrens aus dem Werk erhält das Leben bei sich selbst eine unablässige Spannung. Denn es sind die früheren Stufen nicht bloße Durchgangspunkte, die nach getaner Schuldigkeit wegfallen dürften, sondern das Spätere würde erstarren und zusammenbrechen, die Freiheit des Ganzen erlöschen ohne ein Verbleiben und Fortwirken des Früheren. Damit werden die den einzelnen Phasen charakteristischen Leistungen Erweisungen und Eigenschaften des Ganzen. In der Weltbildung zeigt es eine unermeßliche Weite, in der Werkbildung das Vermögen fester Gestaltung, in der Selbstbildung die Kraft der Konzentration. Alle Leistung aber wird von freier Tat umfaßt und getragen, diese ist es, welche die ganze Ausdehnung selbständigen Lebens von aller natürlichen Entwicklung, allem bloßen Hervorgehen aus einem Gegebensein aufs deutlichste unterscheidet. Nur in freier Tat wurzelt das Weltleben des Geistes mit seinem Gegensätze zu allem natürlichen Lebensdrange, nur die freie Tat gibt dem Leben den Stand der Beweglichkeit, in dem ein Zusammenschießen der Kräfte zum Werk erfolgen kann, nur die freie Tat läßt endlich das Selbst durch das Werk gewinnen. Die freie Tat ist in dem allen unmittelbar auch eine ethische Tat, sofern aus der Freiheit immer auch ein Gesetz entspringt, welches das Handeln bindet. Eine Unterordnung, ja Aufopferung ist das unerläßliche Gegenstück des Teilhabens an jenem Selbstleben des Geistes; so bildet die deutliche Ausprägung des ethischen Charakters der Bewegung einen Prüfstein ihrer Echtheit. So die allgemeinsten Umrisse der Bewegung zur geistigen Wirklichkeit. In allen Kämpfen und Erfolgen untersteht sie dem Gesetz des geschichtlichen Werdens, wie es als eine ebenso wenig selbstverständliche als irgendwie erklärliche Tatsache unser Da-
Der U m r i ß der n e u e n W i r k l i c h k e i t
51
sein und unsere Weltlage beherrscht. Diese Geschichtlichkeit besagt nicht nur, d a ß wir die W a h r h e f t erst zu suchen haben und erst allmählich zu finden vermögen, sondern weiter auch, d a ß unser Streben an jeder Stelle der Ungewißheit und Irrung ausgesetzt ist. So v e r l ä u f t die Sache nicht so glücklich u n d g l a t t wie der erste Überblick es uns vorhält. Die Stufen verbinden sich n cht ohne weiteres in ein zusammenhängendes Leben, sie können miteinander in Widerspruch geraten, und es k a n n das Leben sich auf einer von ihnen festlegen, wie denn nach der vorwiegenden Richt u n g auf die Lebensentfaltung, die Werkbildung, die Verinnerlichung die verschiedenen Epochen in W a h r h e i t weit auseinandergehen. Ferner läßt solche Ungewißheit nicht erwarten, d a ß die aufsteigende Bewegung in einem einzigen Zuge durchdringt u n d an jeder Stelle sofort die volle W a h r h e i t erreicht. Vielmehr ist unser Unternehmen immer ein Suchen und Versuchen, ein W e t t e n u n d W a g e n ; selbst im Gelingen werden wir die Wahrheit nur zum Teil, nur in einer besonderen R i c h t u n g erreichen. Dartiber aber treibt der Drang unseres Wesens nach letzier und ganzer W a h r h e i t immer wieder hinaus, die Bewegung vollzieht durch ihre eigne Entwicklung ein Gericht über alle besondere Leistung, sie m u ß den versuchten Abschluß immer wieder bezweifeln und neue Anfänge setzen. So zerlegt sich die eine Bewegung in eine K e t t e von Bewegungen, es scheiden sich große Epochen, und aus dem Untergang der einen steigt eine andere empor. Aber das besagt nicht eine Aufhebung alles Zusammenhanges. Jene i m m a n e n t e Selbstkritik des Lebens wäre unmöglich," der Forttrieb der Bewegung unbegreiflich, jede Verständigung der Epochen ausgeschlossen, wirkte nicht durch alle Vielheit und Gegensätzlichkeit eine überlegene Einheit des Ganzen, und würde nicht jede besondere Leistung auf diese bezogen und von ihr gemessen, auch innerhalb ihrer mit den übrigen verbunden. Ohne d a s unablässige Wirken einer absoluten und zeitlosen W a h r heit inmitten alles Wechsels und Wandels, aller Ungewißheit und Irrung gäbe es keine Gesamtbewegung, nicht einmal ein Streben nach W a h r h e i t und^ Wirklichkeit. Diese übergeschichtliche N a t u r des Geisteslebens erweist sich deutlich auch innerhalb unserer Erf a h r u n g , indem sie immerfort aus dem Vergänglichen Bleibende^ heraushebt und der Zeit ein Zeitloses abringt. Jede ausgeprägte Epoche schreibt sich mit unvertilgbaren Zügen in das Geistesleben ein und v e r m e h r t den geistigen Besitz der Menschheit. So 4*
52
D e r Kampf um d i e S e l b s t ä n d i g k e i t d e s G e i s t e s l e b e n s
.
v e r m a g sich die geistige A r b e i t m e h r u n d m e h r von der Z e i t zu b e f r e i e n , in sich selbst einen
H a l t gegen ihre S c h w a n k u n g e n
zu
f i n d e n , einen G r u n d zu s c h a f f e n , der die B e w e g u n g e n t r ä g t . D a s alles ergibt einen eigentümlichen lebens.
Es
t r e f f e n in
ihm
nicht
Anblick des
bloß verschiedene
MenschenStufen
der
W i r k l i c h k e i t z u s a m m e n , s o n d e r n es k a n n sich von der v o r g e f u n d e n e n Vermengung Gründen
befreien,
dringen,
von
sich
den
zu
Ergebnissen
einem
Weltleben
zu
den
zu
erheben
bewegenden suchen.
Dies W e l t l e b e n m u ß u n s freilich von vornherein u m f a n g e n u n d t r e i b e n . Aber so lange wir bei d e r
bloßen
Gegebenheit
verharren,
ist
es
viel zu z e r s t r e u t u n d z e r s p l i t t e r t , auch bildet es hier zu s e h r einen bloßen A n h a n g eines a n d e r s a r t i g e n Daseins, als d a ß es sich zu einem G a n z e n z u s a m m e n f a s s e n u n d eine n e u e W i r k l i c h k e i t e r ö f f n e n k ö n n t e . Das wird erst möglich m i t der W e n d u n g z u r S e l b s t t ä t i g k e i t , dem
A u f n e h m e n eines u r s p r ü n g l i c h e n
Lebens.
Nun
erst
mit
können
wir die K r a f t eines W e l t l e b e n s in u n s e r k e n n e n , n u n dieses W e l t leben ergreifen u n d jetzt
an unserer
die Einzelnen Züge z u m
Stelle w e i t e r f ü h r e n .
Indem
Ganzen zusammenschließen,
sich
erhellt,
d a ß es sich bei d e r Bewegung n i c h t u m bloße E r g ä n z u n g e n
und
Weiterbildungen,
den
Aufbau
einer
sondern
neuen
um
eine
Wirklichkeit
völlige handelt.
Umwälzung, Wie
diese
um
Wirklich-
keit alles von G r u n d aus u m w a n d e l n m u ß , w a s ihr z u g e h ö r e n soll, so
entwickeln
auch .die
einzelnen
Hauptstufen
Forderungen
für
die g a n z e A u s d e h n u n g des L e b e n s ; hier k a n n n i c h t s E i n g a n g f i n d e n , ohne in d e m G a n z e n einer W e l t einen P l a t z zu s u c h e n , o h n e n a c h einer G e s t a l t u n g im W e r k zu s t r e b e n , ohne der D u r c h b i l d u n g des Selbst zu dienen. Wie solche W a n d l u n g e n , wie der Gewinn eines n e u e n
Boiens,
d a s Aussichherausgehen u n d Z u s i c h z u r ü c k k e h r e n d e s L e b e n s d u r c h die g a n z e
Verzweigung
neue A u f g a b e n u n d
des
neue
Daseins
wirken
und
an j e d e r
E r f a h r u n g e n e r ö f f n e n , wie
sie
u n e r m e ß l i c h e r A r b e i t a u f r u f e n , d a s wird sich erst darlegen n a c h d e m eine engere B e z i e h u n g j e n e r
Ideen u n d
f u n d e des menschlichen Daseins hergestellt ist. ctes
Neuen
auf
Selbsttätigkeit
das
Ganze
dem nächsten
geht,
und
daß
Stelle uns
zu
lassen,
Kräfte zum
Be-
D a ß der A n s p r u c h
die
Dasein eine T a t w e l t
Entwicklung
der
gegenüberstellt,
das s t e h t schon j e t z t a u ß e r Zweifel. Mit
dieser - A n e r k e n n u n g
sich auch die
einer
neuen
G r u n d f o r m des Lebens.
Wirklichkeit
verändert
N u n läßt sich d a s
höchste
Der Umriß der neuen Wirklichkeit
53
Ziel nicht mehr durch ein Fortspinnen des von N a t u r und Geschick überkommenen Fadens erreichen, nun bedarf es eines Abbrechens und Neubeginnens, nun versagen alle vermittelnden Begriffe, wie z. B. der einer natürlichen Entwicklung, welche die Spannung verringern und das Geistesleben der N a t u r unterwerfen. Einer Entscheidung des ganzen Wesens ist hier nicht auszuweichen, sie ist unsere T a t und unsere Schuld, w i ; immer sie ausfällt; auch die Ergebung in das bloße Dasein, auch der Verzicht auf die Freiheit, ist schließlich ein Werk der Freiheit. Solche Entscheidung aber ist nicht eine Sache des Augenblicks, sondern des ganzen Lebens; sie ist auch nicht ein bloßes Bekenntnis zu irgendwelcher Formel, sie t r ä g t in sich eine Umsetzung in Arbeit und Schaffen, ein Mitbauen der neuen Welt. So unfertig das Bild des neuen Lebens hier bleibt, dem Ges a m t c h a r a k t e r und der G r u n d s t i m m u n g nach t r ä g t es deutliche Züge. Indem jenes Leben alle Mannigfaltigkeit, ja Unendlichkeit in ein Beisichselbstsein zu verwandeln sucht und d a m i t s t a t t des n a t u r h a f t e n ein geistiges, s t a t t des punktuellen ein universales, s t a t t des leeren ein erfülltes Selbst herausarbeitet, kann der Affekt der Selbstbehauptung sich über d a s ganze Sein ergießen und damit sich selbst veredlen. Weit überwunden ist nun die n a t ü r liche Selbsterhaltung, die Tätigkeit s t e i g e r t mit der Vertiefung die ihr innewohnende Freude und läßt darin das Glück des Lebens finden, nicht in der sinnlichen Lust und dem subjektiven Befinden. Echtes Glück und volle Tätigkeit verbinden sich hier zu u n t r e n n b a r e r Einheit. Dazu gesellt sich ein anderes. Wie das neue Leben nicht ein vorhandenes Sein nur bearbeitet, sondern alle Wirklichkeit aus der Tätigkeit hervorbringt, so ist es von der Überzeugung durchdrungen, die ganze Tiefe der Dinge zu erfassen, eine absolute W a h r h e i t zu gewinnen. Wo keine dunkle Tiefe h i n t e r dem Geschehen beharrt, da darf es nicht heißen, d a ß das Leben sich n u r in Beziehungen abspielt und das Erkennen n u r auf Erscheinungen g e h t ; wo das Leben nicht eine Welt fertig vorfindet und sie erst nachträglich an sich zieht, da b r a u c h t es sich nicht seine W a h r h e i t von draußen her verbürgen zu lassen, sondern es wird ihrer durch seine eigne Entwicklung, durch seinen Fortgang zur vollen Durchbildung gewiß. So weit dabei eine volle Ursprünglichkeit erreicht wird, so weit wird es auch eine volle, ausschließliche und ab-
54
D e r K a m p f um d i e S e l b s t ä n d i g k e i t d e s G e i s t e s l e b e n s
solute Wahrheit. Denn es kann nichts Ursprünglicheres geben als das Ursprüngliche, und ebensowenig verschiedene Grade der Wahrheit. Wohl erkannten wir schwere Aufgaben und Verwicklungen in der Erhebung des Lebens zur Selbsttätigkeit und der Erringung einer ursprünglichen Wirklichkeit. Die Sache liegt nicht so bequem, daß sich rasch und einfürallemal ein unbedingt fester Ausgangspunkt ergreifen und von ihm mit voller Sicherheit fortschreiten ließe; sondern der Kampf greift immer wieder zum Ausgang zurück, erst allmählich werden die Schranken zurückgegeschoben, immer von neuem gilt es das Ganze zu gewinnen und zu befestigen. Aber was immer daraus an Zweifeln erwächst, das trifft nur die Ausführung; das Hauptgeschehen selbst bleibt ihnen überlegen, die Bewegung zu einem ursprünglichen Leben und damit zugleich die Tatsache einer in uns wirksamen Selbsttätigkeit bleibt unbestritten. Der sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht, dem die Verwicklungen der näheren Gestaltung die durchgehende Tatsache verdunkeln. Mit der Überzeugung aber, daß unsere erste Lebenslage ein Weltleben aus der Wahrheit der Dinge hinter sich hat, und daß wir uns dieses Lebens zu bemächtigen und es weiter und weiter uns anzueignen vermögen, ist darüber entschieden, wo der Kern des Lebens und die Hauptspannung unseres Daseins liegt. Die Hauptsache bildet nun weder das Verhältnis zur Außenwelt noch das zu den Menschen neben uns, noch das zu unserer eignen Subjektivität, sondern das zu der Welt, die in der geistigen Bewegung von innen her aufsteigt; weder die Erfassung der Außenwelt noch die Verbesserung der gesellschaftlichen Lage, noch das subjektive Wohlbefinden des Individuums kajin den Menschen noch befriedigen, nachdem sich jene Tiefe der Wirklichkeit eröffnet und der Kampf der Welten begonnen h a t ; gegenüber der kosmologischen, der sozialen, der subjektivistischen Lebensführung erhebt sich hier eine neue, n o e t i s c h e , die ihnen allen überlegen ist, die das Recht und die Bedeutung einer jeden erst abzumessen hat und aus einem größeren Zusammenhange ihnen allen Sinn und Seele erst zuführt. Dies alles hat sich später weiter zu entwickeln und zu bewähren. Hier sei zum Abschluß dieses grundlegenden Abschnittes nur noch ein kurzer Rückblick auf das gestattet, was sich uns an Hauptforderungen für die Selbständigkeit des Geisteslebens ergab. In der Mannigfaltigkeit der einzelnen Punkte wurde eine zu-
Der U m r i ß der n e u e n W i r k l i c h k e i t
55
s a m m e n h ä n g e n d e Bewegung, ein Forttrieb vom einen zum andern erkannt. Zunächst galt es das Durcheinander von Geist u n d N a t u r aufzulösen, das die erste Lage beherrscht, gegenüber allen Vermittlungen und Abschwächungen erwies sich eine unvergleichliche Eigentümlichkeit des Geisteslebens. Sich halten, rein ausprägen und zu kräftiger W ' r k u n g bringen kann sich aber diese Eigentümlichkeit nur, wenn in dem Geistesleben ein Selbständigwerden des Lebens, die Tiefe der Wirklichkeit erkannt und ane r k a n n t wird. Aber diese Selbständigkeit des Lebens bliebe f ü r uns eine wertlose Anweisung, vermöchte sich nicht in uns ein ursprüngliches Leben zu entfalten, u n d dieses endlich konnte seiner Aufgabe nur genügen, indem es eine zusammenhängende Wirklichkeit schuf und in sie alles Vorhandene hineinzog. Das alles bildet eine einzige fortlaufende Kette, deren einzelne Glieder in so enger Wechselwirkung stehen, d a ß das erste schon auf das letzte hinweist, und d a ß der Kampf um das letzte auch das Recht des ersten verficht. So verbindet auch alle Stufen ein gemeinsamer Grundgedanke: es gibt keine Selbständigkeit des Lebens u n d damit kein echtes Geistesleben ohne eine Ablösung von der Durchschnittslage des Menschen, ohne ein Sichzusammenschließen bei sich selbst, ohne ein Gegenwirken gegen jene Lage. Die D u r c h f ü h r u n g jenes Gedankens aber erfolgt vornehmlich in zwei Richtungen. Einmal gilt es die Gegensätze deutlich zu scheiden, im besonderen nicht bloß Geist und N a t u r , sondern mehr noch das gegebene Dasein und eine Welt der Selbsttätigkeit, eine T a t w e l t , scharf voneinander abzuheben. Sodann aber ist das durch die Scheidung Herausgehobene bei sich selbst zu ergreifen und zur Selbständigkeit des Lebens und Wirkens zu bringen. Dort bedarf es einer präziseren Anschauung, hier einer größeren Lebensenergie, welche die Dinge nicht gleichgültig n i m m t und sie stehen läßt, wie sie sich finden, sondern welche sie ergreift, sich aneignet und u m g e s t a l t e t . Solche P r ä zision der Anschauung und solche Energie des Lebens sind wiederum nur zusammengehörige Seiten eines selbständigen Eintretens in die Bewegung. Wo als die H a u p t t h e s e des Ganzen gilt, d a ß eine Selbständigkeit des Lebens nicht aus der gegebenen Welt heraus, sondern nur ihr gegenüber und im Kampf mit ihr zu erreichen und zu beh a u p t e n ist, da wird notwendig das ganze W e s e n des Menschen
56
D e r K a m p f um d i e S e l b s t ä n d i g k e i t d e s G e i s t e s l e b e n s
zur Tat und Entscheidung berufen. Jenes Eintreten in die Bewegung ist durch alle Beweise von draußen her nicht zu erzwingen; auch die Bestätigung, welche die Bewegung selbst durch die Fruchtbarkeit ihrer eignen Entwicklung, den Fortgang zu einer näheren Durchbildung, den engen Zusammenhang der einzelnen Stufen liefert, wird voll nur den überzeugen, der jene als sein eignes Wesen ergriffen hat. So kommen wir von allen Seiten auf das Ganze, es handelt sich um eine Annahme oder eine Verwerfung des Ganzen. Schlechthin unhaltbar ist jene Mittelstellung der Durchschnitt'smeinung, die, ebenso lau in Liebe und Haß wie verschwommen in den Begriffen, bejahen möchte, aber vor den Konsequenzen des J a zurückscheut, die das Einzelne in Ehren hält, aber das Ganze verwirft und wie eine Torheit verketzert. Haben wir den Mut und die Kraft ganz zu wollen, was wir wollen! Ein volles Nein ist in diesen Dingen einem halben J a vorzuziehen. Denn dieses erweckt den falschen Schein des Besitzes und wirkt zu lähmender Schlaffheit, da doch in Wahrheit unser unter schwere Aufgaben und schroffe Gegensätze gestelltes Leben aller Kraft bedarf, um jenen gewachsen zu werden.
B. D e r
Kampf
um
den
Charakter
des
Geisteslebens.
1. Das Problem des Charakters. a. Erster Entwurf. I m Kampf um ein geistiges Leben galt es zunächst seine Selbständigkeit zu sichern. Dazu bedurfte es einer Ablösung von der menschlichen Lage in unserer Welt. Ohne eine solche Befreiung fand sich kein Zusammenschluß zu klarer Gestalt, keine siegreiche Erweisung eigner Art gegenüber dem Fremden und Feindlichen. Jede Abschwächung oder Verdunklung dieser Befreiung vermindert- seine K r a f t und verwischt seine Eigentümlichkeit. So bildet jene Ablösung nicht einen flüchtigen Durchgangspunkt, sondern ein bleibendes Werk, das immer von neuem einsetzen muß. Aber zugleich unterliegt es keinem Zweifel, d a ß solcher Stand der Ablösung sich nicht als endgültig hinnehmen l ä ß t ; sowohl die geistige Arbeit selbst, als die Sorge f ü r eine Einheit des Lebens treibt über ihn zwingend hinaus. — D a ß das Leben der Tatwelt eine andere Welt neben sich h a t , ohne sich ihren Inhalt aneignen zu können, m u ß ihm selbst zum Schaden gereichen. Seinem Wesen hach ist es auf die ganze Wirklichkeit angewiesen; u m bei sich selber w a h r zu sein, m u ß es alles an sich ziehen. Läßt es jene Welt d r a u ß e n stehen, so h a t es daran nicht nur eine äußere Schranke, auch seine innere Durchbildung k a n n alsdann nicht voll gelingen. W a s immer das neue Leben erschloß, das bedeutet mehr einen Umriß, ein Schema der Wirklichkeit als diese selbst; jener Entwurf zeigt uns weder einen Weg in die Mannigfaltigkeit der Dinge, noch ein Mittel zu ihrer U n t e r w e r f u n g ; wir würden i n m i t t e n der Frage stehen bleiben, wollten wir an dieser Stelle enden. Das bestätigt auch die E r f a h r u n g der Geschichte. Seit J a h r t a u s e n den h a t die Idee, alle und jede Wirklichkeit aus freischwebender Tätigkeit des Geistes hervorzubringen, eine berückende Macht ge-
58
D e r Kampf um den C h a r a k t e r d e s G e i s t e s l e b e n s
übt
und
i m m e r neue
Versuche . h e r v o r g e t r i e b e n .
A b e r wenn
wir
in der Philosophie die K e t t e der B e w e g u n g , v o n P l o t i n bis H e g e l verfolgen, bei
so ersehen wir
bloßen
Umrissen
geschätzte
leicht,
verblieb,
E r f a h r u n g zur
gänzen und
zu
beleben.
d a ß dabei
oder
entweder das
daß
unvermerkt
Hilfe k o m m e n
mußte, um
Ähnliches
Leben
die
gering-
jene zu
er-
e r f u h r die Religion wie auch
die Moral. Auch
der- Mensch
als
Ganzes
kann
jenes
Auseinanderfallen
d e r beiden W e l t e n n i c h t e r t r a g e n , es wird i h m zu ^iner peinlichen S p a l t u n g des eignen W e s e n s .
Einerseits fesselt ihn die gegebene
W e l t m i t der K r a f t des u n m i t t e l b a r e n E i n d r u c k s u n d d e m Schwergewicht des V o r h ä n d e n s e i n s ; hier f ü h l t er sich auf sicherem Boden, hier scheint sich der G r u n d s t o c k des L e b e n s zu f i n d e n . aus
mag
aber
eine
Geisteswelt
als
etwas
Von hier
Jenseitiges
erscheinen,
als eine bloße N e b e n s a c h e , die das Selbst des Menschen wenig ber ü h r t , es jedenfalls n i c h t f ü r sich zu g e w i n n e n v e r m a g . —
Aber
a n d e r e r s e i t s w i r k t d a s n e u e Leben, u n d z w a r n i c h t b l o ß in einzelnen E r s c h e i n u n g e n , s o n d e r n in einem g r o ß e n Z u s a m m e n h a n g e .
Bei
aller U n f e r t i g k e i t h ö r t es n i c h t auf u n s zu b e s c h ä f t i g e n , in aller Z u r ü c k d r ä n g u n g b e h a u p t e t es sich als ein
S t ü c k unseres
Wesens.
Sind wir doch n i c h t von d r a u ß e n , s o n d e r n von i n n e n h e r zu ihm gelangt. seine
V e r m a g es n i c h t m e h r , so wird es doch j e n e m
Schranke zum
ihm v e r h i n d e r n . zulegen
und
Bewußtsein
Jenem
bei
ihm
Geistesleben
den
Standort
können.wir nicht unterlassen. Seiten
und
droht
Trieb
und
die
uns
und
einen h ö h e r e n W e r t der
Beurteilung
So zieht es u n s nach
anderswo
die
liegen
keine M a c h t
Hingebung
an
beizu-
verschiedenen
Ziele
wiederum
unserer
Welten
so
vermittelt stehen und
bei
nehmen, liegt
und
der
Werte
ü b e r die Breite unseres
dieses
nicht mehr.
keit
zu
anderswo
die
folgter Freilegung einer T a t w e l t Brust,
anderen
einen A b s c h l u ß
W a s wir als d a s H ö c h s t e zu s c h ä t z e n n i c h t auf-
hören k ö n n e n , d a s h a t seins,
und
auseinanderzureißen;
Kraft,
unseres Lebens.
bringen
wirken
zwei
o f t auch
sinnlicher,
seine
in
genügt
nach
Daer-
Wie zwei Seelen in unserem
Leben;
in d e r
K u l t u r freischwebende
Roheit
kaum
verhüllender
un-
Geistig-
Naturtrieb
nebeneinander. Bei j e n e r S p a l t u n g k a n n u n d darf es n i c h t b l e i b e n ; sie m u ß überwunden
werden
und
wird
überwunden
unser Leben einen Sinn h a b e n soll.
werden,
wenn
anders
K a n n n u n das eine d a s andere
Erster Entwurf
59
nicht einfach verdrängen, so bleibt nur eine solche Lösung, die jedem zu seinem Rechte verhilft und zugleich verwertet, was hier u n d dort an W a h r e m und K r ä f t i g e m vorliegt. Diese Lösung ist aber nicht durch einen Einfachen K o m p r o m i ß , eine friedliche Abgrenzung erreichbar. Dazu ist der Gegensatz viel zu schroff und zu starr. So ist im besonderen der Versuch verfehlt, den Lebensprozeß in Form und Stoff zu zerlegen und der Selbsttätigkeit die Form, dem Dasein den Stoff zuzuweisen. Denn was immer der Selbsttätigkeit noch zu einer vollen Wirklichkeit fehlen mag, die Rolle eines bloßen Faktors, einer bloßen Seite, die einer anderen zur Ergänzung bedarf, kann sie nicht übernehmen, ohne ihre Unabhängigkeit aufzugeben und d a m i t innerlich zusammenzubrechen. Das Dasein aber s t e h t der Tatwelt viel zu kalt und fremd, viel zu eigenwillig und zurückhaltend gegenüber, um sich ihr unm i t t e l b a r als stoffliche Hälfte angliedern zu können. Wie sollte ferner eine solche Zusammensetzung dem Leben eine Einheit zu geben vermögen, wer sollte die Verbindung herstellen, wer das Ganze als sein eigen erleben? Endlich m ü ß t e n wir u n s mehr als antike denn als moderne Menschen fühlen, um das H a u p t problem der geistigen Arbeit in das Verhältnis von Stoff und Form zu setzen. So ist dieser Ausweg v e r s p e r r t ; wer die Autorität des gewaltigen kantischen Systems zu seiner E m p f e h l u n g herbeizieht, der übersieht, d a ß K a n t selbst ihn verlassen h a t , sobald er sich von der Kritik zu positivem Schaffen wandte, wie z. B. bei seinem Begriffe von der Persönlichkeit. — Demnach ist innerhalb des bis j e t z t eröffneten Lebensraumes kein Ausgleich möglich; ohne innere W a n d l u n g e n und Weiterbildungen des Ganzen werden die beiden Welten nun und n i m m e r zusammenkommen, die zunächst einander weder vertragen noch entbehren können. Wiederum befinden wir uns an einem großen Wendepunkte und müssen eine weitere Erschließung der Wirklichkeit fordern. W e n n gegenüber jenem notwendigen Fortgange zur Selbsttätigkeit das Alte b e h a r r t und aus der unerläßlichen Scheidung eine unerträgliche Spaltung zu werden droht, so kann die Schuld nur d a r a n liegen, d a ß jene Bewegung zunächst nicht wesenhaft genug ist, um eine allbezwingende Macht zu üben, d a ß hingegen die niedere Stufe manches enthält und festhält, ohne dessen Aneignung das Leben keine volle K r a f t , ja keine volle W a h r h e i t erreichen kann. Dieses Unentbehrliche ihm zu entwinden und durch seine
60
D e r K a m p f um d e n C h a r a k t e r des G e i s t e s l e b e n s
Aneignung zur eignen Vollendung fortzuschreiten, das hätte damit die Tatwelt als Aufgabe zu ergreifen; in dem scheinbar nach außen gerichteten Kampfe müßte sie auch bei sich selber wachsen, ja eine wesentlich höhere Stufe erreichen. Näher gestaltet dies Problem sich folgendermaßen. Wenn die Selbsttätigkeit im ersten Anlauf die Trägheit des Daseins nicht überwinden und seinen Reichtum nicht an sich ziehen konnte, so lag dies vornehmlich an einem Hauptmangel: jener fehlte bei allem Streben zu einem Selbstleben eine feste, die Mannigfaltigkeit umspannende Einheit, es fehlte damit dem Selbst die volle Wesenhaftigkeit. Ohne eine solche aber schwebt jenes ganze Gewebe von Tätigkeiten in der Luft, und die Gesamtbewegung erhält nicht die überwältigende Kraft einer Selbstbehauptung. Hingegen wirkt eine solche aus dem Reich der Natur und Gegebenheit mit gewaltigen Trieben und einem elementaren Ungestüm der Affekte; sie dürfen als Zeugnisse dafür gelten, daß dieses Gebiet einen festen Gehalt besitzt und sich nicht zu einer bloßen Erscheinung herabsetzen läßt. Hier also ist der entscheidende P u n k t : es gilt, die Grund- und Urkraft, welche in der Natur- und Gegebenheit steckt, ihr zu entwinden und der Stufe der Tatwelt zuzuführen, eben damit aber diese so zu vertiefen, d a ß sie im eignen Bereich ein Wesen zu entwickeln, das Fremde anzueignen, das bis dahin gespaltene Leben zur Einheit zu bringen vermag. Es muß sich sowohl gegenüber der Gegebenheit als gegenüber der freischwebenden Tätigkeit eine neue Stufe w e s e n h a f t e r S e l b s t t ä t i g k e i t erweisen, wenn die Bewegung zum Ziel kommen soll. Erst solches Leben ist volle Wirklichkeit, ist wahrhaftiges Geistesleben; erst dieses kann den Kampf gegen die Unbestimmtheit und Mattheit bestehen, die bisher aller Tätigkeit anhing. In Wahrheit wird dem Leben mit der Wesenhaftigkeit zugleich ein C h a r a k t e r gewonnen. Mit der Idee einer wesenhaften Geistigkeit, deren Tätigkeit weder einem fremden Sein anhaftet, noch aus bloßer Tätigkeit alles Sein hervorbringen will, eröffnet sich ein neuer Anblick unserer Welt und unseres Lebens, eine neue Erfahrung der Wirklichkeit. Die beiden Welten, deren jede bis dahin aus eignem Rechte leben und für sich das Ganze bedeuten wollte, werden nun zu Äußerungen und Stufen eines tiefer gegründeten Lebens; auch die freischwebende Tätigkeit muß ein ursprünglicheres Leben hinter sich anerkennen. Indem so das bisher am ersten Platz Befindliche sich mit dem zweiten be-
Erster Entwurf
61
g n ü g e n u n d sich auf jenes a n d e r e s t ü t z e n m u ß , vollzieht sich im W e l t a n b l i c k eine g r ü n d l i c h e U m k e h r u n g .
Diese U m k e h r u n g m a c h t
u n s e r Leben größer u n d .gespannter, sie stellt es in h ö h e r e m auf unsere eigne E n t s c h e i d u n g .
Grade
Denn m a g jenes W e s e n h a f t e von
A n f a n g an in beiden Reichen wirken, erst der Z u s a m m e n s t o ß
der
W e l t e n t r e i b t es deutlich h e r v o r ; es erlangt keine volle Wirklichkeit ohne E r g r e i f u n g u n d Vollendung durch eigne T a t . Kampf
geweckte,
durchaus
den
wendig u n d
selbständig
Gedanken
vordringende
einer n a t ü r l i c h e n
f r u c h t b a r dieser
Diese durch den
Tat
verbannt
Entwicklung.
eigne
Beginnen,
So n o t -
Begriff anderswo sein mag, bei
Frage der W e s e n s b i l d u n g verschleiert er die A u f g a b e , er d a s
hier
kann
er ein
Asyl
der
unterdrückt
der T r ä g h e i t
(asylum
inertiae) w e r d e n . Jene
Idee der W e s e n s b i l d u n g
s u n g in folgender Weise.
erlangt
aber eine n ä h e r e
Fas-
Es h e i ß t , d a s T u n solle d a s Sein in sich
a u f n e h m e n u n d sich d a d u r c h z u m Wesen e r h ö h e n .
Das k a n n
nur
so geschehen, d a ß i n n e r h a l b der T ä t i g k e i t eine A b s t u f u n g e i n t r i t t : es
muß
ihren
eine
Scheidung
zwischen
einzelnen
K o m p l e x e n u n d einer den ganzen
fassenden,
in
sich
e r f o l g e n ; d o r t eine
selbst
ruhenden
Betätigungen
samt
Umkreis des Lebens
Haupt-
und
um-
Gesamttätigkeit
R i c h t u n g über sich hinaus, hier eine
Zurück-
beziehung zu einer E i n h e i t ; d o r t eine Mannigfaltigkeit u n d ein u n ablässiger
Wechsel,
hier
ein
Beharren
d e m allen eine Befestigung u n d selbst. sich
und
Zusammenhalten;
in
Vertiefung der T ä t i g k e i t bei sich
Die G e s a m t t ä t i g k e i t d ü r f t e n i c h t s F r e m d e s an oder h i n t e r
dulden,
sie m ü ß t e
Schaffen e n t f a l t e n .
ihren
ganzen
Bestand
in
ursprünglichem
Soweit dies gelänge, gewönne das T u n in sich
selbst einen f e s t e n Grund und ein Sein, n u n h ä t t e der G r u n d
d«
anfängliche
als
von
Starrheit und
der T ä t i g k e i t
Dunkelheit
selbst getragen
abgelegt, u n d
und
das
durchleuchtet,
Sein,
würde
erst
r e c h t u n s e r eigen, erst in dieser A n e i g n u n g u n d Erschlossenheit verd i e n t e es W e s e n zu heißen. Wortes gedenken:
„Edle
Man m ö c h t e dabei des S c h i l l e r s c h e n
N a t u r e n zahlen m i t d e m was sie sind,
gemeine m i t d e m was sie t u n . " Mit diesem P r o b l e m e der A b s t u f u n g u n d V e r t i e f u n g der T ä t i g keit, ein
dem
Problem
Gegensatz
für
der
Wesensbildung
alle
Lebensentfaltung;
sie ausfallen, je n a c h d e m sich
hat,
sich
darauf
durch
sie e n t w e d e r
bezieht
und
Tätigkeit,
entsteht
grundverschieden
ein solches W e s e n es
weiterführt,
oder
wird hinter ohne
62
D e r K a m p f um d e n C h a r a k t e r d e s G e i s t e s l e b e n s
einen solchen Rückhalt, ohne solchen beseelenden Grund bloße Kräfte aufbietet und sie in wechselnde Beziehungen bringt. Das ist der Gegensatz einer wesenhaften und wesenlosen, einer charakterhaften und charakterlosen Lebensführung. Nur da, wo d a s Tun in sich selbst die Aufgabe der Aufgaben findet, erhält das Leben ein volles Ziel bei sich selbst, und läßt sich die Frage nach einem Sinn des Tuns erheben. Daß aber eine solche Frage durch das Leben der Individuen, Völker und Zeiten geht, wer möchte und könnte es leugnen? Wie wären Begriffe wie Überzeugung, Gesinnung, Charakter usw. denkbar ohne eine begründende Einheit innerhalb des Tuns, ohne eine umfassende Gesamttätigkeit? Daß wir nicht nur wirken, sondern in dem Wirken ein Wesen erweisen und für das Wesen etwas gewinnen können, das gibt allererst dem Begriff des Handelns eine schärfere Fassung und eine volle Bedeutung. Wird nunmehr klar, daß alle diese Größen, die wir leicht als Woße und selbstverständliche Formen nehmen, in Wahrheit einen eigentümlichen Inhalt fordern und bekennen, so erhellt, daß sie unserem Leben ein hohes Ziel vorhalten, und daß sie alle in die Idee der Wesensbildung münden. Wie viel an Erkennen und Wollen, Fühlen und Wirken kann andererseits aufkommen und den Menschen einnehmen, ohne daß ein Wesen und eine Seele darin erscheint und durch sie etwas gewinnt, und wie leer und nichtig ist in aller Selbstbewußtheit solches Tun, solche bloße Kraftäußerung! Kurz ein Gegensatz ist klar, er bezeugt aber deutlich, daß hier ein echtes Problem vorliegt und die Idee der Wesensbildung keine bloße Einbildung ist. Daß sie aber den Ausgangspunkt einer neuen Welt und eines neuen Lebens bedeutet, das bedarf einer näheren Darlegung. b. Neue Aussichten und Aufgaben. Daß die wesenbildende Tätigkeit in Wahrheit geeignet ist, ein neues Leben zu erzeugen und uns in ihm von der Zerrissenheit zur Einheit, von bloßschematischem Umriß zu einem Charakter zu führen, das wird am ehesten sichtbar in der Überwindung der schroffen Widersprüche, die sonst unser Leben zerreißen. Unerträgliche Widersprüche im Grundbestande zeigt das bisherige Leben in dreifacher Richtung: sowohl über die Form der Tätigkeit, das Woher und Wie, als über die Kraft, das Womit und Wodurch, als über den Ort und die Hauptrichtung des Lebens
N e u e Aussichten und A u f g a b e n
63
w a l t e t h ä r t e s t e r Streit. — Die F o r m d e s L e b e n s zeigt den Gegensatz, d a ß wir einerseits sinnliche
Mitteilung
als S t ü c k e einer gegebenen
der
Dinge
gebunden
sind
Welt
und
an
die
damit
allen
S c h r a n k e n einer solchen unterliegen, d a ß wir andererseits als
Ge-
nossen eines f r e i s c h w e b e n d e n ScBaffens a u s eigner Bewegung
eine
Welt
ent-
erzeugen,
die n i c h t s
d u l d e t , was n i c h t
s t a m m t u n d von ihm d u r c h l e u c h t e t wird.
d^m
Dfriken
So in der W i s s e n s c h a f t
der ewige Streit des E m p i r i s m u s u n d des R a t i o n a l i s m u s , im Grunde n u r ein A u s d r u c k eines größeren Gegensatzes, des Gegensatzes eines Lebens, d a s alles aus der B e r ü h r u n g m i t d e r U m g e b u n g s c h ö p f t , u n d eines a n d e r e n , d a s a u s eignem Schaffen eine neue W e l t als die einzig w a h r e h e r v o r b r i n g t .
D a s sind n i c h t bloß zwei Seiten, die
sich zu einem Leben z u s a m m e n f i n d e n , sondern zwei g r u n d v e r s c h i e dene
Lebensprozesse,
zunächst
die
e i n a n d e r ausschließen
und
die
m i t e i n a n d e r k a u m f r u c h t b a r zu s t r e i t e n v e r m ö g e n . Das
wesenbildende
Geistesleben
d u n g dieses Gegensatzes.
strebt
nach
einer
Z u n ä c h s t m u ß es mit d e m
Überwin-
Rationalismus
darauf b e s t e h e n , d a ß die geistige — n i c h t bloß die e r k e n n e n d e Tätigkeit
sich
über d a s
bloße
Dasein
sich selbst z u s a m m e n s c h l i e ß e .
erhebe
und
sich f e s t
O h n e d a s keine A u s p r ä g u n g
einer
selbständigen Art, kein innerer Z u s a m m e n h a n g des D e n k e n s , Gehalt u n d Sinn des Lebens. möchte,
so s e t z t
Ergebnis vorschwebt, s t e t s schon B e s c h ä f t i g u n g mit d e m Ganze g e h t .
Nur
kein
W e n n der E m p i r i s m u s d u r c h allmäh-
liche, möglichst langsame A n h ä u f u n g der E i n d r ü c k e d e m einen Sinn ablocken
-bei
so scheint
die
als
über
der
U m k e h r u n g , die d u r c h
das
voraus und
Einzelnen die ohne
Sinnlosen
er die Geistigkeit, übersieht
Selbsttätigkeit
die
Erfahrung
leisten zu k ö n n e n , was sie n u r mit i h r v e r m a g . Aber
solche
Erhebung
über
das
bloße
Dasein
braucht
dem
n e u e n Leben nicht zu einer G e r i n g s c h ä t z u n g des Daseins m i t seiner E r f a h r u n g zu werden.
N a c h d e m ein Leben h i n t e r der Gegebenheit
a n e r k a n n t ist, gilt es dieses zu erringen u n d m i t d e m zu v e r b i n d e n . Herstellung
Das k a n n n i c h t von a u ß e n her, sondern n u r d u r c h
einer
inneren
Berührung
n ä c h s t zu schroffem Z u s a m m e n s t o ß . andere in
auf
seine
geht.
seinen
Boden
Ausbreitung,
seine
ziehen;
dem
Fluß
geschehen, Das
es
kann
Lebensformen,
Es k a n n dem Ä u ß e r e n ein
Zusammenhang,
Hauptleben
der
und
Geistesleben dies seine
nur,
sei
es
zu-
muß
das
indem
Erfahrung
Inneres, der Z e r s t r e u t h e i t Zeit
ein, Ewiges
abringen
es ein-
einen nur,
64
D e r Kampf um den C h a r a k t e r des G e i s t e s l e b e n s
w e n n es sich in
Zeitlichkeit
ver-
s e n k t , sich in sie v e r s e n k e n
k a n n , ohne d a r ü b e r seine eigne
Art
zu
abzuschwächen.
verlieren
die Ä u ß e r l i c h k e i t , Z e r s t r e u t h e i t ,
oder
auch
solches A n s i c h n e h m e n noch steigern.
nur
des
Fremden
mag
Solche
zunächst
Aneignung,
die
Spannung
D e n n n u n wird jeTies aus einem ä u ß e r e n W i d e r s t a n d
zu einer inneren
Hemmung;
a u s d e m G e g e n s a t z der Welten wird
ein K a m p f u m die E i n h e i t des eignen W e s e n s , u m die A u f r e c h t e r h a l t u n g des Selbst. In
diesem
Kampfe
Erfahrungsbestand er
an
Wesenhaftem
gebung
herabsinkt;
Selbsttätigkeit zuscheiden.
aber
zerlegt,
liegt
und
enthält, jenes
einzugehen,
aller
daß
während
hat
eine
dies
aus
Erfolg
ihm
daran,
der R e s t
innere dem
daß
der
wird,
was
bloßer
Um-
abgerungen zu
Verbindung
Kern
des
mit
Lebens
der aus-
In solchem L ä u t e r u n g s p r o z e ß wird die E r f a h r u n g r a -
tionalisiert; aus d e m , was bis d a h i n als ein Blindpositives g e g e n ü b e r s t a n d , erwächst eine Bewegung, W e i t e r b i l d u n g , D e t e r m i n a t i o n geistigen
Lebens, eine F o r t f ü h r u n g innerer
solche Hilfe s t o c k e n m ü ß t e n . in
den
Geist
zur
Bewegungen, die
des ohne
So w i r k t die A u f n a h m e d e r E r f a h r u n g
Vernichtung
der
bloßen
Erfahrung;
es
wird
dabei n i c h t ein B e s t a n d a u f g e n o m m e n , wie er sich f i n d e t , sondern alles Mitgeteilte
erfährt,
auf
einen
neuen
Boden
versetzt,
eine
d u r c h g r e i f e n d e Vergeistigung. Der U m w a n d l u n g der E r f a h r u n g e n t s p r i c h t eine W e i t e r b i l d u n g der T a t w e l t , d a s Positive läßt sich n i c h t rationalisieren, o h n e d a ß d a s R a t i o n a l e positiv wird, die ä u ß e r e E r f a h r u n g n i c h t v e r n i c h t e n , ohne
daß
das
Innere
selbst
einen
Erfahrungscharakter
u n d sich ü b e r den Allgemeinbegriff h i n a u s g e s t a l t e t .
annimmt
Diese Eigen-
t ü m l i c h k e i t läßt sich w e d e r v o n a u ß e n m i t t e i l e n , noch aus und
Äußerem
zusammensetzen,
sie
entspringt
allein
der
Innerem inneren
Arbeit, die das Allgemeine d e r T ä t i g k e i t m i t der Besonderheit der E r f a h r u n g z u s a m m e n b r i n g t ; die P o s i t i v i t ä t h a t hier eine Bewegung des
Geistes
einen
hinter
Gehalt,
Wahrnehmen
sich
einen eines
und
Sinn;
erhält die
Vorhandenen
daraus
Erfahrung
eine wird
ein Vordringen
Durchleuchtung, hier
aus
einem
des Lebens
bei
sich selbst. Damit Geisteslebens Aufnehmen
ergibt
sich
ein
eigentümliches
zur W e l t , die i h m dieser
Welt,
durch
Grundverhältnis
gegenüberliegt. die
Fortbildung
des
Nur durch mittels
W e l t wird es von der anfänglichen S c h a t t e n h a f t i g k e i t
ein
dieser
befreit, ge-
Neue Aussichten und Aufgaben winnt
es eine
volle Wirklichkeit,
viduelle und unvergleichliche
wird
Leben.
65
es dieses besondere,
indi-
D e n n n u r als solches ist es
eine volle u n d feste Wirklichkeit, n i c h t m i t j e n e n Allgemeingrößen, in die
uns
noch
immer
eine
Nachwirkung
griechischer
Denkart
d a s W e s e n der Dinge setzen h e i ß t . Diese echte Wirklichkeit k a n n gewiß n i c h t von a u ß e n k o m m e n , die A r b e i t
des
Geistes h a t
sie bei sich selbst
zu
erringen,
aber
sie erringt sie n u r in Beziehung auf jenes Dasein, n u r in Freilegung u n d A n e i g n u n g des Gehalts So
hat
die
menschliche
und der
Arbeit
bei
Kraft, aller
die in
innern
d a s Dasein i m m e r wieder zu i h m z u r ü c k z u k e h r e n . klassisch öffnung nicht
aus d e m W a n d e l ewiger
aus
der Zeiten
Wahrheit
jenseitiger
zugefallen, sondern
und
Höhe
in
ruhiger
Jetzt
über
leichter
als
Er-
ist
uns
Erschließung hartem
Zu-
Streben die Zeit von
der
N u r aus d e r R i c h t u n g auf d a s Hier und
e n t z ü n d e t e sich mußten
und wird,
es ist in engster B e r ü h r u n g u n d
bloßen Zeit zu befreien. Erdreich
verehrt
und
stecken.
Auch was als
hervorscheint
Schönheit
s a m m e n s t o ß m i t der Zeit errungen, im das
ihm
Erhebung
Liebe
die
und
Flamme Sorge
des
Schaffens, in
feste W u r z e l n
diesem
schlagen,
von
hier a u s s t r ö m t e K r a f t und Glut in d a s H a n d e l n , u m allen W i d e r s t a n d zu brechen und alle T r ä g h e i t zu überwinden. stehende
Beobachter
konnte
diese
Kämpfe
des
N u r der f e r n Werdens,
diese
W e h e n der G e b u r t übersehen u n d u n t e r s c h ä t z e n . Wie
solche
Überzeugung
vieles v e r ä n d e r t und
vieles
anregt,
so g e s t a t t e t sie allererst, eine zeitüberlegene N a t u r des Geistes zusammen
mit einer geschichtlichen
kennen.
Ohne j e n e s ,
ohne
Bewegung
das, was die
des
Lebens
Schulsprache
n e n n t , w ü r d e d a s Geistesleben ein Spielball wechselnder
anzuera
priori
Eindrücke;
ohne einen f e s t e n E i n s a t z in die Bewegung m i t z u b r i n g e n ,
könnte
es nie z u r S e l b s t ä n d i g k e i t gelangen, nie eine k r ä f t i g e Gegenwirkung gegen d a s Ä u ß e r e ü b e n . bloß ein
Nebeneinander
Es darf a b e r dieses Ursprüngliche
nicht
einzelner A n r e g u n g e n , es m u ß ein
Trieb
u n d eine Bewegung z u m
Ganzen sein; es m u ß sich ü b e r d a s
kennen
Selbsttätigkeit
hinaus
auf
alle
erstrecken;
eine bloße F o r m , es m u ß einen E n t w u r f , einen volltätigen
Lebens
enthalten.
w ä c h s t s o f o r t ein P r o b l e m sache
der
Verworrenheit
Aber
hervor. des
aus
es darf
Ernicht
Entwicklungskeim
solcher
Tatsächlichkeit
N i c h t n u r ist die
Durchschnittslebens
erst
Grundtatzu
ent-
winden, sie bedarf auch zu ihrer vollen Verwirklichung einer weiE u c k e n , Kampf.
III. Aufl.
5
66
D e r K a m p f um d e n C h a r a k t e r d e s G e i s t e s l e b e n s
teren
Durchbildung,
und
mühsame
und
zu
dieser
ist
unentbehrlich
die
lange
E r f a h r u n g der A r b e i t .
So g e n ü g t es z u m A u f b a u
d e r E r k e n n t n i s n i c h t , ein Vermögen
in uns a u f z u d e c k e n , das die
Vorgänge
k a u s a l v e r b i n d e t , die E i n d r ü c k e
auf den
Einheitspunkt
eines D i n g e s bezieht, d a s Chaos d e r E r s c h e i n u n g e n in ein allgemeiner
Begriffe u m s e t z t .
Reich
D e n n es m u ß bloße E n t w ü r f e f ü r
volle W i r k l i c h k e i t n e h m e n , wer n i c h t in j e n e m allen o f f n e Fragen erblickt, zeigen,
Forderungen, wie
es
die sagen,
geschehen
was geschehen
kann.
Welche
soll, n i c h t
besondere
aber
Verbindung
eine kausale O r d n u n g ergebe, wo der E i n h e i t s p u n k t zu setzen sei, in welcher R i c h t u n g die Begriffsbildung d a s Allgemeine zu suchen h a b e , d a s ist erst zu e r m i t t e l n , u n d d a r u m m ü h t sich die A r b e i t der Jahrtausende.
Das
a
priori
ist
demnach
so
entfernt,
eine
ge-
schichtliche A n s i c h t der Dinge zu v e r b i e t e n , d a ß im Gegenteil n u r d a eine wirkliche Geschichte e n t s t e h t , wo ein a priori w i r k t sich d u r c h z u b i l d e n s t r e b t .
und
D e n n n u r d a s gibt der Geschichte einen
inneren Zusammenhang.
Der Ü b e r w i n d u n g des Gegensatzes in der F o r m e n t s p r i c h t eine solche in der t r e i b e n d e n sches
Fürsichsein
engen Kreise
und
K r a f t des L e b e n s .
geistiges
abschließend,
Hier s t e h e n seeli-
S c h a f f e n gegeneinander,
dieses
sich
zur
jenes
Unendlichkeit
im
eines
Alls erweiternd, jenes allein u m den eignen Z u s t a n d besorgt, dieses auf eine sachliche W a h r h e i t g e r i c h t e t . keine
Selbständigkeit
und
daher
Wir sahen, daß das
keinen
geistigen
l a n g t e , ohne sich v o n d e m engen, d u m p f e n , selbstischen sein
zu
befreien,
Leben
Charakter
er-
Fürsich-
d a s zu u n e r t r ä g l i c h e r Verengung alles in seine
Besonderheit p r e ß t u n d nach seinem W o h l u n d W e h e b e m i ß t .
Daß
der Mensch dies erste Leben mit seinen A f f e k t e n h i n t e r sich lassen und
ü b e r d e n F r e u d e n u n d Sorgen geistigen S c h a f f e n s sein eignes
W o h l u n d W e h e vergessen könne, d a s galt mit R e c h t als ein Zeugnis einer größeren u n d edleren A r t , d a r a n hing alles S t r e b e n Aufstieg des seelischen des war,
Kräften
andern
bloßes
der
und
Gewiß m u ß t e
wirken,
gestellt;
Mittel
desto
dünkte
Lebens. je
sie
waren
dies neue hier
mehr
das
Seelenleben
Werkzeug
der
geistigen
besser schien Stand
aber
auch
des
in
des
Leben den
mit
Dienst
Subjekts
Bewegung
zum
ein
geworden
es seine A u f g a b e zu lösen, d e s t o höher Ganzen.
Mit
jener
Unterordnung
des
Neue Aussichten und Aufgaben
67
Seelenlebens wurde ein Leben ohne Liebe und Haß, lediglich aus der W a h r h e i t und der Notwendigkeit der Dinge zum höchsten Ziel. So z. B. in der Gedankenwelt eines S p i n o z a . Gewiß hat diese Befreiung ein gutes R e c h t ; ob aber freischwebendes Schaffen sich allein auf sich selber stellen und jenes andere ganz zurückschieben kann, ohne selbst geschädigt zu werden, das ist eine andere Frage. Die Systeme, welche den Menschen in ein bloßes Gefäß der geistigen Arbeit verwandeln möchten, verwerfen mit dem Kleinmenschlichen zugleich anderes, das sich nicht wohl aufgeben l ä ß t ; Größen wie Gesinnung, Überzeugung, Freiheit, Charakter, Moral können sich hier nur auf Umwegen einschleichen, nicht aber volle Anerkennung und eine kräftige Entwicklung erlangen. Ein solcher Verzicht aber verrät einen Mangel im eignen Kern der Systeme: jene ausschließliche Hingebung an die geistige Arbeit n i m m t ihnen eine zentrale Innerlichkeit und zugleich eine durchgehende Beseelung. Ohne sich in dieser Richtung versteckt zu ergänzen, würden sie bald zu toten Mechanismen sinken und den Menschen in ein bloßes Stück einer seelenlosen K u l t u r verwandeln. So scheint in jenem Fürsichsein mehr zu stecken und ein tieferer Gehalt zu wirken, der nicht zu verwerfen, sondern zu gewinnen i s t ; zur Aufgabe wird d a m i t eine Scheidung von Niederem und Höherem, die Befreiung einer G r u n d k r a f t von der Stufe der N a t u r u n d Gegebenheit, die sie zunächst bei sich festhält. Dies aber ist es, was das wesenhafte Geistesleben u n t e r n i m m t , in der zusammenhaltenden, zurückbeziehenden, beseelenden Tätigkeit, die es entwickelt, wird ein Fürsichsein angeeignet, aber zur Stufe der Selbsttätigkeit erhoben und damit völlig verwandelt; hier liegt das Wesen nicht außerhalb, sondern innerhalb der Tätigkeit, so m u ß es zur Befestigung, Vertiefung, Beseelung des Lebens wirken. Solche Scheidung zwischen einer unverwerflichen G r u n d k r a f t im Seelenleben und ihrer ersten E n t f a l t u n g bei uns ergibt eine eigentümliche Überzeugung von den Zielen u n d Aufgaben des Lebens. Nun wird es zu einem gefährlichen Irrtum, das Selbstleben mit seinen A f f e k t e n deswegen herabzusetzen und möglichst zu unterdrücken, weil die nächstvorliegende Form mit der geistigen Bewegung in Widerspruch k o m m t ; denn die Sache erschöpft sich nicht mit dieser Stufe und Form. Die Liebe ist zunächst ein natürlicher Affekt, welcher der bloßen Selbsterhaltung 5*
68
D e r Kampf um d e n C h a r a k t e r d e s G e i s t e s l e b e n s
dient und steht als
gewöhnlich
und
durch
solche
nur das ergreift,
die
kann
sie
Notwendigkeit den
w a s u n s äußerlich
des
kleinen Kreis
Lebens nicht
nahe-
verknüpft
näher
ist;
zusammen-
schließen, ohne alles a n d e r e a u s z u s c h l i e ß e n ; sie v e r e n g t das Leben, i n d e m sie es e r w ä r m t ; sie wird m i t ihrer Neigung, d a s Eigne über das
F r e m d e u n d die
s u b j e k t i v e E m p f i n d u n g ü b e r d a s Gesetz der
Sache zu stellen, zu einer G e f a h r f ü r die W a h r h e i t . alle u n d
jede L i e b e ?
Menschen und
von
ihn
der
durch
echtere*
Ist n i c h t eine Liebe
dunklen
die
Selbst
Gewalt
Zerstörung
gewinnen
läßt,
eine
dem
Leben
Liebe,
Ich
weiteres,
die neue
den
befreit reineres,
Zusammen-
überwindet,
die
tiefsten N ö t e des Lebens begleitet u n d
ihn
der Wahrheit, einen
ein
Empfindungen
zugleich ü b e r W e l t u n d Tod h i n a u s h e b t ? keine Feindin
welche
natürlichen
hindurch
h ä n g e s c h a f f t u n d die n a t ü r l i c h e n den Menschen in die
des
Aber ist das
möglich,
Sinn
vielmehr
und
einen
Eine solche Liebe
können Wahrheiten, Wert
verleihen,
ist
welche
sich
nicht
wohl erschließen ohne eine w e s e n h a f t e G e m e i n s c h a f t m i t Menschen u n d Dingen, wie n u r die Liebe sie h e r s t e l l t .
Wie a b e r der Schlüssel
zur W a h r h e i t , so liegt hier a u c h die T r i e b k r a f t des Lebens. Leben
Liebe
ohne
und
Haß
wäre
Schattenspiel, ein Zerrbild echten Weisheit statt
als g r e i s e n h a f t , welche die
ihre
welche
Kraft
zu
gewinnen
ein
Lebens.
und
Leben
ohne
Ein
Seele, ein
So verwerfen wir jene
Affekte unterdrücken
möchte,
f ü r höhere
nutzen,
Ziele
zu
die N a t u r w e g w i r f t s t a t t ihr einen u n e n t b e h r l i c h e n
Kern
zu e n t w i n d e n . W a s a b e r von des Lebens.
den A f f e k t e n , d a s gilt auch von den
Werten
Die S e h n s u c h t n a c h B e f r e i u n g von aller kleinmensch-
lichen A r t h a t sie o f t als ein bloßes Erzeugnis u n s e r e r S u b j e k t i v i t ä t bekämpfen Leben
lassen.
so
eng
nichten hieße.
In W a h r h e i t
verwachsen,
sind
daß
sie
die
Werte
austreiben
allem jenes
seelischen selbst
Nach den S t u f e n des L e b e n s gibt es a b e r
verWerte
niederer u n d h ö h e r e r A r t , u n d d a s E i n d r i n g e n der niederen in die geistige A r b e i t Wollen
wir
ergibt
aber
allerdings viel
nicht
lieber
solche
Verwirrung und Irrung
Verzerrung.
bekämpfen
als
das
Ganze verwerfen, n i c h t d e m geistigen Gebiet seine eignen W e r t e zuerkennen
und
sie
möglichst
zu
fördern
suchen?
Gerade
Ganze der W e s e n s b i l d u n g m i t seiner A u f n a h m e des Seins T ä t i g k e i t m a c h t begreiflich, wie sich zu v e r b i n d e n v e r m ö g e n ,
Wesen und
Wert
in
das die
untrennbar
u n d wie das Beisichselbstsein des
Lebens
Neue Aussichten und Aufgaben
69
zum Gut der Güter zu werden vermag. D a ß alle Lebensbewegung schließlich durch die Idee des Guten — natürlich nicht im bloßmoralischen Sinn — beherrscht werde, das ist nicht eine Sondermeinung Piatons, sondern ein Ausdruck allgemeiner und unangreifbarer Wahrheit, die immer wieder aus aller Verdunklung hervortreten wird. Mit ganzer K r a f t begehren können wir nur, was unser echtes Selbst angeht und fördert, und dies eben nennen wir g u t ; auch die Wahrheit kann n u r als ein Gut unser Streben bewegen. Von hier aus läßt sich dem Menschen nicht ein Verzicht auf Glück zumuten und wohl gar als Gipfel edler Gesinnung erklären. J a , wenn es kein anderes Glück gäbe als das des n a t u r h a f t e n Selbst, des kleinen Ich! Aber das behaupten, heißt das Geistesleben zu einer bloßen Nebensache machen und es vom Kern unseres Wesens trennen. Denn was solchem Kern angehört, dessen Gelingen oder Mißlingen m u ß uns glücklich oder unglücklich machen, mit dem müssen wir lieben und leiden, das können und dürfen wir nicht als gleichgültig von uns weisen. Ein Verzicht würde hier nicht sowohl Größe als Mattheit bekunden. Die Philosophie im besonderen ist keine geistige Askese, kein Mittel, das Leben blutleer und s c h a t t e n h a f t zu m a c h e n , sondern ein W e g zu seiner Verstärkung und Vertiefung; sie h a t das Glücksverlangen dem Menschen nicht auszureden, sondern es auf die rechte Bahn zu leiten. An Kampf und Entsagung wird es dabei schwerlich fehlen. Aber auch in ihnen ist die treibende K r a f t schließlich positiver Art, und der tiefste Zug des Strebens geht immer auf eine Bejahung, nicht eine Verneinung des Lebens. D a ß ein solches Verlangen nach Selbstbehauptung des Lebens als eine Empfehlung wilden Lebensdranges oder auch kleinbürgerlichen Behagens verstanden werde, das ist in diesen Zusammenhängen nicht zu befürchten. Denn wo das Geistesleben seine eigne Tiefe nicht erreichen kann, ohne in das Fremde einzugehen und sich mit ihm auseinanderzusetzen, d a t r ä g t die Arbeit in sich einen Widerstand, der zwingend ein ruhiges Verweilen wie ein bequemes Fortschreiten verbietet. Alles Aneignen erfolgt hier durch ein Verwerfen und alles Bejahen durch ein Verneinen h i n d u r c h ; wir können nicht suchen ohne zu fliehen, nicht lieben ohne zu hassen. Mit solcher Gegensätzlichkeit wird unserem Leben ein verneinender Zug tief eingepflanzt und ihm alle s a t t e und selbstische Befriedigung ausgetrieben.
70
D e r K a m p f um d e n C h a r a k t e r d e s G e i s t e s l e b e n s
Die bisher behandelten Gegensätze f ü h r e n zu einem weiteren und abschließenden P r o b l e m : dem Problem des O r t e s und der H a u p t r i c h t u n g des Lebens. Auch hier nämlich zeigt die Ges t a l t u n g der Arbeit wie die Bewegung der Geschichte einen völligen Gegensatz. W o wir alles von der bloßen E r f a h r u n g erwarten, und nicht nur die Dinge, sondern auch uns selbst als etwas Äußeres b e h a n d e l n , wo ferner das sinnlichunmittelbare Seelenleben unser ganzes Leben bildet, da wird seine H a u p t s t ä t t e das menschliche Zusammensein, wie es in Zeit und R a u m vorliegt, da e n t s t e h t eine Lebensführung gesellschaftlicher Art. Wo wir hingegen glauben, aus freischwebender Tätigkeit unsere Wirklichkeit erzeugen und in solchem Schaffen unser ganzes Wesen entfalten zu ( können, da wird das Streben zum All, vornehmlich in Wissens c h a f t und K u n s t , zur Hauptsache, da fühlen wir uns vor allem als Weltwesen und erstreben eine Lebensführung kosmischer Art. So streiten G e s e l l s c h a f t und A l l um den Menschen. Damit entstehen grundverschiedene Typen, deren Gegensätzlichkeit sich nur deshalb verbirgt, weil das Durchschnittsleben sich ein Gemenge beider gefallen läßt. — Die soziale Lebensf ü h r u n g beschäftigt sich vor allem mit der Bildung von Lebensgemeinschaften und findet in dem Wohlbefinden der Gesellschaft das höchste Ziel; die Verhältnisse und Bedürfnisse der Gesells c h a f t stecken dem Handeln seine Ziele und weisen ihm seine Wege; wie alle E t h i k hier aus dem Zusammenleben erwachsen soll, so ist sie nichts anderes als das Wirken f ü r andere Menschen, „ A l t r u i s m u s " und Moral bedeuten dasselbe. Die Arbeit an den Weltproblemen ist hier weniger Selbstzweck als ein Mittel zur Verbesserung jener gesellschaftlichen Lage. In der kosmischen Lebensführung hingegen ist es der A u f b a u einer Geisteswelt, das Ergreifen und Fördern der Weltprobleme, das allererst dem menschlichen Leben einen W e r t verleiht und einen Trieb zur Arbeit einpflanzt. Hier gilt es ein Weitwerden des Wesens ins Unermeßliche u n t e r Abstreifung der menschlichen Kleinheit; zum Kern der E t h i k wird das volle und lautere Aufgehen des Menschen in die geistige Arbeit, die selbstlose Hingebung an die Sache. Hier s t a m m t alle Verbindung aus der Gemeinschaft jener A r b e i t ; das soziale Z u s a m m e n sein h a t nur W e r t als Bedingung und Mittel f ü r sie, d a v o n abgelöst scheint es niedrig und klein. Dort eine sinnliche, hier eine G e d a n k e n k u l t u r ; dort ein demokratischer Zug zur breiten Masse,
Neue Aussichten und Aufgaben
71
hier ein aristokratischer zu großen Individuen; dort der Mensch an die menschliche Umgebung und die äußere Lage, hier an das geistige Vermögen und das innere Schicksal gekettet. Die Geschichte zeigt die Menschheit zwischen beiden Lebensf ü h r u n g e n hin- und hergeworfen, sie zeigt sie bald von hier, bald von dort angezogen, bald mehr auf eine schärfere Scheidung, bald auf eine engere Verbindung beider bedacht. Zu vollem Bewußtsein k a m das Problem mit der Losreißung der geistigen Arbeit von der bloßsozialen Sphäre, wie sie die Höhe des klassischen Altertums, in der Philosophie die sokratische Schule vollzog. Seitdem ist die Sache nicht wieder zur Ruhe gekommen. Die inneren und äußeren Schranken unseres weltbauenden Vermögens trieben immer wieder zum sozialen Leben als zur sicheren Heimat des Menschen zurück, die Enge und Flachheit der bloßmenschlichen Sphäre hießen immer wieder das Streben zum All zurückkehren und das Weltproblem auf sich n e h m e n . Wenn heute die soziale Richtung alles Denken und Sinnen beherrscht, so zeigt sie auch ihre Mängel mit besonderer Stärke. An Versuchen der Überwindung des Gegensatzes h a t es nicht gefehlt, namentlich bildet eine großartige Leis t u n g das kirchliche Lebenssystem des Mittelalters, wie es einerseits die Organisation der menschlichen Gesellschaft an Weltzusammenhänge b a n d , andererseits das All in dieser Organisation gipfeln ließ. Es ist aber dies System bei aller Größe der Leistung schließlich hinter der geschichtlichen Bewegung zurückgeblieben, zum Teil auch deshalb, weil die Verbindung nicht tief genug angelegt war u n d der Selbsttätigkeit des Lebens zu wenig R a u m vergönnte. In W a h r h e i t können beide Lebensführungen n u r zusammengehen, wenn sie sich in Seiten und Äußerungen eines ursprünglicheren Lebens verwandeln, und sie darin umzusetzen g e s t a t t e t in der T a t das selbsttätige Leben mit seiner Wesensbildung. Hier verd a n k t der Mensch die Vergeistigung seines Daseins letzthin nicht dem Zusammensein mit den Nebenmenschen, aber auch nicht dem Vermögen einer freischwebenden Tätigkeit, sondern der inneren Zugehörigkeit zu einem Beisichselbstsein des Lebens. Die hier wirksame wesenhafte Innerlichkeit bildet die H a u p t s t ä t t e seines Lebens, hier weiter zu kommen und im Miterleben des unendlichen Ganzen zugleich eine Unvergleichlichkeit eigner Art zu erkämpfen das Hauptziel. Dies Ziel ist aber n u r mit Hilfe sowohl der Gesells c h a f t als auch der Weltarbeit erreichbar. Der Mensch m u ß sich
72
D e r K a m p f um d e n C h a r a k t e r d e s G e i s t e s l e b e n s
vom Menschen losreißen und in ein freischwebendes Schaffen versetzen, um zur nötigen Weite und Ursprünglichkeit des Lebens vorzudringen; aber er würde sich damit ins Leere verlieren, wollte er nicht zum Menschen zurückkehren und das Geistesleben durch die inneren Erfahrungen weiterbilden, die sein besonderer Kreis Jene Lebensführungen bilden die Entfaltungen, nicht eröffnet. den tiefsten. Kern der Geistigkeit; an ihnen und durch sie, nicht aber aus ihnen entwickelt sich schaffendes Leben; nur weil sie eine ursprüngliche Tiefe hinter sich haben, können sie für die Vergeistigung des Lebens leisten, was sie leisten, kann im Menschen mehr gesehen werden als der bloße Mensch, kann die Weltarbeit zur Entfaltung eignen Wesens werden. Mit der Zurückbeziehung auf jenes andere müssen sie sich aber auch die Prüfung, Sichtung, innere Umwandlung gefallen lassen, welche diese neue Stellung mit sich bringt; immer weisen sie über sich selbst hinaus, immer haben sie sich einem ursprünglicheren Zusammenhange einzufügen. Lösen sie dieses Band, und wollen sie — jede für sich — das Letzte und Ganze sein, so werden sie aus einer Entfaltung des wesenhaften Lebens zu Halbwirklichkeiten und verlieren zugleich an Seele. Hier wie auch zuvor wird klar, daß die Überwindung der Gegensätze, ja die Arbeit an solcher Überwindung eine Umkehrung des Lebens, die Ausbildung einer n e u e n U n m i t t e l b a r k e i t gegenüber den Unmittelbarkeiten des sinnlichen Eindrucks und der freischwebenden Tätigkeit fordert. Jene wesenhafte Geistigkeit darf nicht etwas mühsam Erschlossenes und Herangeholtes, dem andern als bloßer Hintergrund Dienendes sein, sondern sie muß die erste und ursprüngliche Lebensquelle werden, die Kraft, die alles übrige trägt und treibt, der feste Punkt, woran sich alles andere häli. Dazu gehört an erster Stelle, daß ein Alleben wesenhafter Geistigkeit in uns unmittelbar durchbricht, daß es gegenüber allen Schranken und Gefahren unserer Sondernatur sein Wesen unverfälscht bei uns aufrecht erhält. Ohne diese begründende Tatsache gibt es keine Wahrheit und keinen Sinn unseres Lebens. Aber die unbestreitbare Tatsache ist zugleich ein schweres Problem; jener tiefere Grund, der von Haus aus in uns wirkt, ist immer erst durch freie Tat anzueignen, auszubilden, gegen das andere durchzusetzen. Dazu gehört eine Umkehrung der nächsten Lebensführung, die ihre Unmittelbarkeit als die letzte gibt und, bedingt wie sie ist, als unbedingt auftritt. Von ihr aus erscheint das
Neue Aussichten und Aufgaben
73
w a h r h a f t Ursprüngliche und Unmittelbare als e t w a s Jenseitiges und Unfaßbares, v o n ihr aus läßt es sich immer bestreiten. Bei solcher S p a n n u n g ist d e m Menschen sein eignes Leben ein unablässiges Problem, eine Sache harten und heißen K a m p f e s , i m m e r neuen Entscheidens u n d Ergreifens. W a s immer u n s an Zweifeln p a c k t und bewegt, Zweifel an der W e l t u n d an Gott, an den Menschen und a m Leben, es führt schließlich auf diesen P u n k t zurück, auf den Zweifel an uns selbst, den Zweifel an der Geistigkeit unstrer eignen Natur, an der Gegenwart eines wesenhaften schaffenden Lebens in unserem Bereich. Hier ist die größte Spannung, hier aber auch die beste Möglichkeit, alle K r a f t in Eins zusammenzufassen. Wird in solchem K a m p f des Menschen u m sein eignes Wesen eine Gewißheit erreicht, so läßt sich das Übrige in Ruhe erwarten und getrost der Verwicklung der Weltprobleme e n t gegensehen.
2. Die Entwicklung des Charakters* Das echte Geistesleben könnte nicht s o zwingend über die Gegensätze des Lebens hinaustreiben, ohne eine selbständige A r t zu besitzen; ob es sich d a m i t aber zu einem Lebensganzen zu gestalten, dieses durchzusetzen und uns nach W e i t e und Tiefe darin aufzunehmen v e r m a g , d a s bleibt zu untersuchen, u n d d a s erst würde über jenen A n s p r u c h entscheiden. D i e Behandlung dieser Frage aber wird durch die Verworrenheit des unmittelbaren Lebensbefundes gehemmt, in welchem Höheres u n d Niederes, Eignes und Fremdes, Schaffen und Aneignen, W i r k u n g u n d Gegenwirkung einander durchkreuzen; die Sache wird erst angreifbar, wenn w i r bei u n s selbst zwischen geistiger Arbeit und d e m Verhalten des Menschen zu ihr deutlich scheiden. D i e A r t , w i e sich der nächste Befund unseres Daseins zu der in u n s aufgehenden Geisteswelt stellt, enthält besondere A u f g a b e n , eigentümliche Erfahrungen u n d Verwicklungen, die f ü r sich betrachtet sein wollen. D a s zerlegt unsere Untersuchung in zwei H a u p t a b s c h n i t t e . — Jene Heraush e b u n g des Geisteslebens kann nicht erfolgen ohne eine E n t fernung v o m unmittelbaren E i n d r u c k . A b e r w a s v o n Geistigkeit e r k a n n t ist, das braucht deshalb nicht auf eine fortlaufende B e s t ä t i g u n g durch die E r f a h r u n g zu verzichten. Sie v e r m a g eine solche in doppelter R i c h t u n g z u f i n d e n : einerseits durch ein Aneignen,
Neue Aussichten und Aufgaben
73
w a h r h a f t Ursprüngliche und Unmittelbare als e t w a s Jenseitiges und Unfaßbares, v o n ihr aus läßt es sich immer bestreiten. Bei solcher S p a n n u n g ist d e m Menschen sein eignes Leben ein unablässiges Problem, eine Sache harten und heißen K a m p f e s , i m m e r neuen Entscheidens u n d Ergreifens. W a s immer u n s an Zweifeln p a c k t und bewegt, Zweifel an der W e l t u n d an Gott, an den Menschen und a m Leben, es führt schließlich auf diesen P u n k t zurück, auf den Zweifel an uns selbst, den Zweifel an der Geistigkeit unstrer eignen Natur, an der Gegenwart eines wesenhaften schaffenden Lebens in unserem Bereich. Hier ist die größte Spannung, hier aber auch die beste Möglichkeit, alle K r a f t in Eins zusammenzufassen. Wird in solchem K a m p f des Menschen u m sein eignes Wesen eine Gewißheit erreicht, so läßt sich das Übrige in Ruhe erwarten und getrost der Verwicklung der Weltprobleme e n t gegensehen.
2. Die Entwicklung des Charakters* Das echte Geistesleben könnte nicht s o zwingend über die Gegensätze des Lebens hinaustreiben, ohne eine selbständige A r t zu besitzen; ob es sich d a m i t aber zu einem Lebensganzen zu gestalten, dieses durchzusetzen und uns nach W e i t e und Tiefe darin aufzunehmen v e r m a g , d a s bleibt zu untersuchen, u n d d a s erst würde über jenen A n s p r u c h entscheiden. D i e Behandlung dieser Frage aber wird durch die Verworrenheit des unmittelbaren Lebensbefundes gehemmt, in welchem Höheres u n d Niederes, Eignes und Fremdes, Schaffen und Aneignen, W i r k u n g u n d Gegenwirkung einander durchkreuzen; die Sache wird erst angreifbar, wenn w i r bei u n s selbst zwischen geistiger Arbeit und d e m Verhalten des Menschen zu ihr deutlich scheiden. D i e A r t , w i e sich der nächste Befund unseres Daseins zu der in u n s aufgehenden Geisteswelt stellt, enthält besondere A u f g a b e n , eigentümliche Erfahrungen u n d Verwicklungen, die f ü r sich betrachtet sein wollen. D a s zerlegt unsere Untersuchung in zwei H a u p t a b s c h n i t t e . — Jene Heraush e b u n g des Geisteslebens kann nicht erfolgen ohne eine E n t fernung v o m unmittelbaren E i n d r u c k . A b e r w a s v o n Geistigkeit e r k a n n t ist, das braucht deshalb nicht auf eine fortlaufende B e s t ä t i g u n g durch die E r f a h r u n g zu verzichten. Sie v e r m a g eine solche in doppelter R i c h t u n g z u f i n d e n : einerseits durch ein Aneignen,
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Der Kampf um den Charakter des G e i s t e s l e b e n s
Aufhellen, Zusammenfassen vorhandener D a t e n , andererseits durch die Eröffnung neuer Aufgaben und die Weckung neuer Kräfte. Es gilt, sowohl den bisher eröffneten Tatbestand zu gewinnen als den Lebensprozeß über ihn hinaus zu steigern, sowohl in den Dingen mehr zu sehen als an ihnen mehr zu bewegen. Das alles gemäß der Hauptüberzeugung unserer Untersuchung, d a ß uns nicht eine fertige Welt von draußen her zufällt, sondern d a ß wir von innen her einer Ordnung der Dinge angehören, die selbst erst im Werden begriffen ist, und zu deren Vollendung es unserer eignen Arbeit bedarf. — Es seien aber zunächst einzelne H a u p t p u n k t e betrachtet, an denen sich eine Umwandlung der überkommenen Lage vollzieht, sodann als die Hauptsache ein Gesamtbild entworfen, endlich die wichtigsten Konsequenzen für das Leben des Einzelnen wie die Kulturarbeit entwickelt.
a. Einzelne Hauptpunkte. Das neue Leben erweist seine Eigentümlichkeit am deutlichsten in wesentlichen Veränderungen, die es an dem überkommenen Bestände vollzieht. Diese also seien hier verfolgt, und zwar in der Richtung von der Form zum Gehalt. 1. Das wesenbildende Leben wird durch sein Bestehen auf voller Selbsttätigkeit zu einem unerbittlichen Kampf gegen alle Gebundenheit des Seins getrieben; seine Absicht, das Sein allein aus der Tätigkeit, und zwar einer erst aufzubringenden Tätigkeit, zu entwickeln, kann es nicht ausführen ohne mit dem vorgefundenen Stande aufs härteste zusammenzustoßen. Denn hier scheint vor aller Tätigkeit ein ruhendes Sein gegeben, feste Zusammenhänge umfangen uns, und unser Tun erhält sowohl seinen Ausgangspunkt als sein Ziel wie vom Schicksal zugewiesen. Irgendwelche Freiheit, Selbständigkeit, Ursprünglichkeit kann hier nur möglich dünken im Widerspruch mit dem Befunde des Ganzen. Demgegenüber entfaltet sich jetzt ein energisches kritisches Wirken, das von der Tätigkeit ausgeht und nach der Tätigkeit mißt. Jenem Sein wird jetzt seine Grundlage entzogen, jene Zusammenhänge lösen .sich auf, die vermeintlichen Anfangs- und Endp u n k t e erscheinen nun nicht mehr als unverrückbare, schicksalgegebene Marksteine, sondern als die Grenzen, welche die Tätig-
Einzelne Hauptpunkte
75
keit selbst sich setzte, vielleicht nur weil sie an dieser Stelle erlahmte. Überall erhellt, wie viel Tätigkeit enthält, was aller Tätigkeit voranzugehen schien. Aber es war eine verschleierte, gebundene, zerstückelte, vor ihren eignen Erzeugnissen sich beugende Tätigkeit, und die genügt jetzt nicht mehr. Tritt mit dem Prinzip der Wesensbildung die Selbsttätigkeit als Ganzes, Autonomes, Alleinherrschendes in Wirkung, so heißt es alles Fremde auszuscheiden, das Eigne aber kräftiger zusammenzuschließen, so müssen alle Ziele und Richtungen aus der Tätigkeit selbst entspringen, alle Festigkeit ihr entstammen, in Ausführung dessen die Welt sich bis zum Grunde erneuern. Das Geistesleben wird dann nicht mehr darin seine Hauptaufgabe sehen, in einer vorhandenen Welt oder einem vorhandenen Lebensstande dieses oder jenes zu verschieben oder umzuwandeln, sie in dieser oder jener Richtung weiterzuführen, sondern zum Problem wird das Ganze; es handelt sich nicht um eine Verbesserung einer gegebenen Welt, sondern um das Ganze einer besseren Welt, um die allein wahrhaftige und wesenhafte Welt. Diese Begründung der Welt auf reine Tätigkeit fordert eine Erweiterung des Begriffs der Tätigkeit und eine Abstufung in ihr. Bis dahin galt das Gesamtgefüge der Welt, die Absteckung des Daseinsraumes, die Ausdehnung und Begrenzung des Lebens als eine Tatsache unantastbarer Art; vor der Handlung war ihr Hintergrund und ihre Atmosphäre gegeben. Das wird mit der Wendung zur Wesensbildung hinfällig, jene Voraussetzungen verwandeln sich ihr in Schwefe Probleme, in ein großes Gesamtproblem. Nunmehr muß die Arbeit zwischen Grundlegung und Ausführung, zwischen prinzipieller und spezieller, zwischen grundlegender und ausführender Aufgabe scheiden. Die geschichtliche Arbeit hat diese Aufgabe in Wahrheit gelöst; nichts trennt mehr die ältere von der modernen Art, als daß dort das Wirken seine Welt als eine gegebene Ordnung und ein unabweisbares Schicksal hinnimmt, während hier die Grundlagen und Zusammenhänge selbst erst erstritten sein wollen, und die Arbeit lieber in die tiefsten Abgründe des Zweifels hinabsteigt als fremder Anweisung folgt. Diese Wandlung erstreckt sich über das Denken hinaus auf das Ganze des Lebens, im besondern auch auf das Handeln. Ebenso notwendig wie jenem eine begründende Prinzipienlehre — mag sie Metaphysik oder Erkenntnislehre heißen —,
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D e r K a m p f um d e n C h a r a k t e r d e s G e i s t e s l e b e n s
ist dem Handeln eine ursprüngliche Erzeugung von Ideen, ein Gesamtsystem der Werte und Zwecke. Hier wie da eine Behandlungsart, die nach Kant eine t r a n s z e n d e n t a l e heißen dürfte. Mit dieser neuen Aufgabe erhält die Arbeit eine neue Gestalt. Denn wenn sie nicht mehr sofort auf das Einzelne geht, sondern zunächst mit dem Ganzen zu tun hat, so gewinnt freies Entwerfen und kühnes Wagen einen weiteren Raum; ohne Phantasie und Spekulation ist hier nicht weiter zu kommen, nur energische Zusammenfassung der Kräfte kann einen Plan des Ganzen entwerfen. Es besagt aber jene Scheidung nicht, daß die eine Aufgabe erst völlig zu erledigen wäre, ehe die andere angreifbar wird, vielmehr steht für unser erst im Werden befindliches Geistesleben beides in unablässiger Wechselwirkung. Gerade dieses, daß an jeder einzelnen Stelle auch das Recht des Ganzen wieder in Frage kommt, daß das Ganze sich immer von neuem zu erweisen hat, das eröffnet erst eine echte Erfahrung und gibt dem Leben des Menschen und der Menschheit eine wahrhaftige Geschichte. Denn das wäre keine rechte Geschichte, die bloß eine Anwendung und Ausführung unbestreitbarer Wahrheiten enthielte, die nicht auch immerfort um das Ganze kämpfen müßte, nicht auch in dem Ganzen weiterstrebte. Wenn die Antike die Geschichte nicht recht zu schätzen und auch dem Leben des Individuums keine innere Geschichte zu geben wußte, so lag das mit an dem Schlummern jenes Problems tiefster Grundlegung. Wie aber hier, so ergibt auch weiter jene Scheidung erhebliche Umwandlungen im Gefüge und im Gehalt des Lebens. Die volle Begründung des Lebens auf Tätigkeit und die Ausdehnung dieser Tätigkeit auf die Grundlagen und Bedingungen des Daseins zieht eine tiefe Kluft zwischen dem, was aus dem Ganzen ursprünglicher Selbsttätigkeit hervorgeht und hier seinen Platz hat, und dem anderen, was noch unergriffen draußen liegt, was ihm fremd und starr gegenübersteht. Jenes allein kann hier als berechtigt und sinnvoll gelten, während diesem nur ein bloßer und blinder Tatbestand zukommt. So tritt das Problem des Rechts in den Vordergrund. Schwerlich ist es ein Zufall, daß derselbe K a n t , dem die Wendung zu einer kritischen und transzendentalen Behandlung der Lebensprobleme weitaus das Meiste verdankt, sein Unternehmen der Vernunftkritik unablässig durch das Bild des Rechtsstreits erläutert, ja daß er gern seine ganze Arbeit als die Herstellung
Einzelne Hauptpunkte
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eines sicheren Rechtsstandes faßt. Denn es bedeutet hier das Verlangen des Rechts nichts anderes als ein Bestehen auf Begründung aus ursprünglicher Geistestätigkeit. Die Durchführung jenes Verlangens aber und seine Ausdehnung auf das Ganze der Arbeit mit all ihrer Gliederung ist wieder ein charakteristischer Hauptzug der Neuzeit. Mit dem scharfen Auseinanderhalten dessen, was geschieht, und dessen, was geschehen soll, verbindet sich hier ein energisches Drängen nach Überwindung dieses Widerspruches, nicht durch eine Anpassung des Rechtes, sondern durch eine Unterwerfung des Tatbestandes. "So ein gewaltiger Antrieb zur Umwandlung und Erneuerung, von der felsenfesten Überzeugung aus, daß das innerlich Notwendige sich schließlich auch nach außen zur Geltung bringen und die ganze Welt einnehmen werde; so die umwälzende Macht der Ideen, ein Flüssigwerden alles Bestehenden. Ohne einen solchen Grundtrieb besäße auch die soziale Bewegung der Gegenwart schwerlich die Gewalt, die sie besitzt. Endlich erklärt sich erst in diesem Zusammenhange eine weltgeschichtliche Tatsache, die schon früher zur Sprache kam: die Wendung unseres Lebens zur Unsinnlichkeit, die Umsetzung aller Größen in Gedankengrößen, in ideelle Mächte, worin ebenfalls die Neuzeit einen neuen Abschnitt beginnt. Ohne eine Zusammenfassung der Tätigkeit zu einem selbständigen Ganzen und ohne Ausbildung eines Transzendentalcharakters hätte jene nicht aufkommen und sich durchsetzen können. Denn solange die Tätigkeit sich zerstreut und an vorgefundene Dinge bindet, bleibt alle Geistigkeit an den sinnlichen Eindruck gebunden; aller Fortschritt innerhalb dieser Lage kann nur ein anderes Verhältnis der Mischung von Sinnlichem und Unsinnlichem, nicht aber eine Befreiung vom Sinnlichen und die Eröffnung eines Reichs ideeller Größen ergeben. Wird hingegen die Grundlage selbst, der Lebensraum usw., in die Tätigkeit hineingezogen, und wird zugleich anerkannt, daß bei echter geistiger Arbeit in jeder besonderen Leistung eine allgemeine steckt, ja ihr ideell vorangeht, so verliert das nächste Dasein seine Gewißheit und Handfestigkeit, das Sinnliche muß die erste Stelle mit der zweiten vertauschen und sich bescheiden, ein Ausdruck, eine Verkörperung, ja eine Erscheinung einer unsichtbaren Ordnung zu sein. Diese Bewegung erstreckt sich in alle einzelnen Gebiete, und es haben die Kulturvölker der Neuzeit die gemeinsame Aufgabe
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D e r Kampf um d e n C h a r a k t e r d e s G e i s t e s l e b e n s
a n verschiedenen es
einen
Punkten
angegriffen.
In der Philosophie
unvergänglichen
Ruhmestitel
deutscher
Art,
bildet
das
Pro-
blem mit ganzer K r a f t e r f a ß t u n d die D e n k a r b e i t allererst zu voller S e l b s t ä n d i g k e i t g e b r a c h t zu h a b e n .
Solche W a n d l u n g e n im inner-
s t e n Gefüge des Lebens lassen sich zeitweilig v e r d u n k e l n und
ver-
leugnen, n u n u n d n i m m e r a b e r z u r ü c k n e h m e n und a u ß e r W i r k u n g setzen, soweit irgendwelcher geschichtlicher Z u s a m m e n h a n g
reicht.
— Auch k a n n n a c h solcher W e c k u n g des Lebens d a r ü b e r kein Zweifel sein, d a ß , wer jenes t r a n s z e n d e n t a l e P r o b l e m a b l e h n t , d a m i t keineswegs alle eigne B e h a u p t u n g u n t e r l ä ß t sächlichkeit
gewinnt.
Seine
und
d e n Boden reiner T a t -
Behauptung
ist
nur
ungeprüft,
zer-
s t ü c k e l t u n d v o m u n g e k l ä r t e n G e s a m t e i n d r u c k der Dinge a b h ä n g i g ; sie g l a u b t d a s P r o b l e m gelöst, weil sie es n i c h t b e m e r k t . ein D o g m a t i s m u s ,
Das ist
der n i c h t n u r eine falsche Ansicht v o m Leben
gibt, s o n d e r n es selbst h e r a b d r ü c k t . Die Wirklichkeit wurde nun
durch und
das
des
neuen
Ganze
nimmer
Lebens
aus
aller
der geschichtlichen
könnte
ein
Selbsttätigkeit
Bewegung
bloßsubjektives
bestätigt,
Meinen
und
ein-
gebildetes Verlangen so viel Neues bringen, so schwere
Erschütte-
r u n g e n bewirken, so s e h r den G e s a m t s t a n d des Lebens
verändern.
Einen
Zusammenhang
aber
Prinzip der W e s e n s b i l d u n g ,
gibt
der
Mannigfaltigkeit
erst d a m i t g e w i n n t die
erst
das
geschichtliche
Bewegung einen f e s t e n G r u n d u n d eine innere E i n h e i t . Aber zugleich
treibt
sondere geschichtliche einer
besondern
die
Erhebung
ins
Ganze
Gestaltung hinaus.
geschichtlichen
Lage
hat
über
alle
be-
Jede
Behandlung
aus
ihre
Zufälligkeit
und
ihre S c h r a n k e n ; i m m e r v o n n e u e m gilt es d e m g e g e n ü b e r die Arbeit neu a u f z u n e h m e n , die S c h e i d u n g zwischen E i g n e m u n d d e m zu v e r s c h ä r f e n , d a s E i g n e f e s t e r zu einem Ganzen
Frem-
zusammen-
zuschließen, der Bewegung die R i c h t u n g auf d a s Wesen zu g e b e n . Ferner schichte
läßt
der
unmittelbare
weit m e h r
die
Eindruck
Verneinung
im
als die
Fortgang Bejahung
der
Ge-
empfinden.
Die ü b e r k o m m e n e n Z u s a m m e n h ä n g e lösen sich auf, d a s s c h e i n b a r e Feste wird flüssig, die A n s c h a u l i c h k e i t des u n m i t t e l b a r e n verblaßt.
Aber
lange n i c h t
Verlust e n t s p r e c h e n d e n
so deutlich
Gewinn:
sich selbst, die E r ö f f n u n g n e u e r
sehen
wir d e n
Eindrucks solchem
die B e f e s t i g u n g d e r T ä t i g k e i t E r f a h r u n g e n , den
Aufbau
in
neuer
O r d n u n g e n , die E n t w i c k l u n g einer v o m G e d a n k e n g e t r a g e n e n W e l t . N u r eine selbständige A n e i g n u n g des P r o b l e m s ,
n u r ein u r s p r ü n g -
Einzelne Hauptpunkte
79
liches Einsetzen der Arbeit kann den Gewinn erkennen lassen u n d zur vollen Wirkung bringen. Zugleich aber werden weitere Erschließungen der Welt eines wesenhaften Geisteslebens erfolgen.
2. Solche Erschließungen erfolgen zunächst in der Richtung der V e r i n n e r l i c h u n g des Daseins; dem Kampf der Selbsttätigkeit gegen alle bloße Gegebenheit entspricht ein Kampf der Innerlichkeit gegen alles Außensein, einer Innerlichkeit, die gegen die anfängliche Fassung noch weiter gesteigert ist. Sobald das Leben sich in sich selbst zusammenfaßt und über seine eignen Bedingungen Klarheit gewinnt, kann es sich nicht als ein Verkehren mit einer Außenwelt, als einen Austausch von Wirkung und Gegenwirkung d a m i t verstehen. Denn n u n leuchtet ein, d a ß etwas völlig außerhalb unseres Kreises Befindliches uns in keiner Weise erregen und bewegen könnte, ja d a ß es f ü r uns ü b e r h a u p t nicht vorhanden sein w ü r d e ; ein vermeintlich Äußeres kann nur soweit uns anziehen, als es irgendwie zu uns g e h ö r t ; i» .jener Verhüllung und E n t f r e m d u n g aber wird es nie zu voller K r a f t und reiner W a h r h e i t gelangen. So wird eine Versetzung ins Innere zur zwingenden Forderung eines nach K r a f t und Wahrheit dürstenden Lebens, in der T a t zeigt der Lauf der Geschichte ein mächtiges Vordringen in dieser Richtung. Eine volle Selbständigkeit erreicht aber die Innerlichkeit nicht als ein bloßsubjektives Fürsichsein des Individuums, auch nicht als ein bloßes Gewebe freischwebender Gedanken, sondern n u r als eine wesenhafte Welt. Erst hier, wo die Tätigkeit sich zu einem Selbst vertieft und von ihm her alle Mannigfaltigkeit erlebt, e n t s t e h t eine feste Grundlage, eine umfassende Einheit, eine Gegenwart des Ganzen im Einzelnen, ein Sinn und Inhalt des Lebens. Hier kann das Leben seine Aufgabe nicht in einer Leis t u n g nach außen, sondern nur in seiner eignen Vollendung finden, d. h. darin, im eignen Kreise alle Mannigfaltigkeit zu verbinden, alle Widersprüche zu überwinden, alle Möglichkeit zur Wirklichkeit zu f ü h r e n . Alle Arbeit geht hier auf das eigne Selbst, das Erk e n n e n wird zum Selbsterkennen, die E r f a h r u n g zur Selbsterfahrung usw. Auch das Problem der Wirklichkeit liegt hier innerhalb des Lebens, es h a t n u n keinen anderen Sinn, als d a ß die Hauptbewegungen unseres Lebens, die jede f ü r sich unfertig und
80
D e r K a m p f um d e n C h a r a k t e r d e s G e i s t e s l e b e n s
halbwirklich
blieben,
daß
nunmehr
keit
und
der
der
sich
zu
Zwiespalt
Wesenhaftes
einer
Einheit
zusammenschließen,
der
erst
aufstrebenden
Selbsttätig-
bei
sich
festhaltenden
Gegebenheit
erfolgreich ü b e r w u n d e n wird.
E r s t d a s ergibt einen festen
des
der
Lebens,
der
das
Problem
Ausdehnung
und
Kern
Abgrenzung
u n s e r e s geistigen B e s t a n d e s a n g r e i f b a r m a c h t . Aber die Innerlichkeit, die so viel leisten soll, ist f ü r u n s eine schwere A u f g a b e , ein h o h e s Ideal; sie ist m ü h s a m und S c h r i t t f ü r Schritt Erst
einem
unter
Beziehungen, sich d a s
scheinbar
vielfachen
gleichgültigen
Bewegungen
Berührungen,
und
Dasein
Verbindungen
F r e m d e in d a s eigne
finden,
abzuringen. werden
sich
mittels
Lager herüberziehen
pflegt die Arbeit zwei S t u f e n zu d u r c h l a u f e n . mit dem draußen
erst
Wandlungen
derer
läßt.
Dabei
Z u n ä c h s t gilt es,
Befindlichen irgendwelche F ü h l u n g zu
gewinnen
u n d es irgendwie, w e n n auch in u n g e s c h i e d e n e m R o h b e s t a n d e , d e m e i g n e n Lebenskreis einzuverleiben.
W i r müssen z. B. von den Dingen
wissen, u m u n s m i t ihnen befassen, irgendwie d u r c h sie erregt sein, u m u n s f ü r sie e r w ä r m e n zu k ö n n e n . die Verwicklung.
A b e r d a m i t b e g i n n t erst recht
N u n ist e t w a s in den Lebenskreis a u f g e n o m m e n ,
d a s den F o r d e r u n g e n der S e l b s t t ä t i g k e i t n i c h t e n t s p r i c h t ; es wird d a m i t zu einem W i d e r s t a n d , j a einem W i d e r s p r u c h ; i n n e r h a l b jenes Kreises s t e h e n sich j e t z t zentrales u n d peripheres Geschehen gegenüber,
aufeinander
Freunde.
angewiesen,
aber
zunächst
mehr
Gegner
als
N i c h t a n d e r s ist dieser S p a l t zu überwinden als d u r c h
eine W e i t e r b i l d u n g beider Seiten, d u r c h eine A n p a s s u n g des F r e m den a n das Selbst wie d u r c h eine W e i t e r b i l d u n g des Selbst in seiner Aneignung.
N u r auf diesem Wege vollzieht sich der Aufstieg v o m
K e n n e n z u m E r k e n n e n , u n d es erhellt zugleich, d a ß ein
Erkennen
der Dinge letzthin nichts a n d e r e s b e d e u t e t als ein sich in den Dingen E r k e n n e n ; ebenso wird auch das Wollen aus einem bloßen Wollen d e r Dinge zu einem sich selbst in den Dingen Wollen. Verinnerlichung
nicht
bloß
eine
neue
Art
der
D a ß solche
subjektiven
eignung, sondern eine sachliche U m w a n d l u n g des Lebens
An-
bedeutet,
d a ß es den G e s a m t a n b l i c k der W i r k l i c h k e i t d u r c h neue A u f g a b e n , neue
K r ä f t e , neue
Erfahrungen
verändert,
das wird
am
ehesten
anschaulich w e r d e n , wenn wir es in den K a m p f gegen F r e m d e s u n d Feindliches verfolgen. D a s Leben d e r Menschheit ist z u n ä c h s t in enge Grenzen
ge-
b a n n t , ohne d a ß die Enge Sorge erregt u n d die Grenzen zu pein-
Einzelne Hauptpunkte
81
liehen Schranken werden. D a n n aber kommen solche zur E m p f i n d u n g , wir fühlen uns und unser Vermögen klein. Eben diss aber erweist eine größere Weite des Seins und einen Trieb unserer N a t u r über das Engmenschliche hinaus. Denn wie ließe sich eine Einschränkung, ein Unvermögen, eine Bindung als eine solche erkennen, fühlen, erleben, wären wir ganz in der Enge befangen; wie könnte eine Leistung als zu klein befunden werden, wenn nicht unsere eigne N a t u r uns größere Maßstäbe auferlegte? Nunmehr erscheinen die Schranken nicht mehr als äußere Widerstände, sondern als Hemmungen im eignen Lebenskreise, sie werden namentlich dort bemerklich, wo ein Grundtrieb unseres Wesens und unsere Arbeit an den Dingen sich nicht zusammenzufinden vermögen. Mit der deutlichen Erkenntnis dessen verändert sich das Gesamtbild unseres Lebens: nicht nur das Diesseits, auch das Jenseits gehört n u n m e h r zu uns, wir gewinnen ein größeres und reicheres, aber auch ein bewegteres und minder fertiges Sein. Zugleich verwandelt sich die Verneinung in eine Bejahung. Die schmerzliche E m p f i n d u n g unserer Endlichkeit wird nun u n m i t t e l b a r zur Erweisung einer Unendlichkeit in unserem Wesen, in der Kleinheit erleben wir die Größe und im Unvermögen die K r a f t des Strebens. Das Denken kann sich jetzt nicht mit Widersprüchen befassen, ohne eines überlegenen Verlangens nach Einheit inne zu werden, das Handeln kein Gesetz als innerliche Norm, als ein Soll anerkennen, ohne sich mit ihm zu einigen, in ihm sein eignes Grundwollen zu erkennen. So gibt es kein Böses ohne ein Gutes vor ihm. Diese Anerkennung des Umfaßtseins der Gegensätze vom Leben ist wieder ein unterscheidendes Kennzeichen der neueren, übrigens schon im Ausgang des Altertums kräftig einsetzenden Art gegenüber den klassischen Lebenssystemen; nun entsteht jene unablässig im Schweben befindliche Stimmung, wie sie, aus einem bloßen D u r c h g a n g s p u n k t zur abschließenden Hauptsache gemacht, die Mystik und die R o m a n t i k kennzeichnet. Aber so gewiß alles, was solchen Widerspruch in unserm Wesen nicht selbst e m p f u n d e n h a t , starr, dürftig und seelenlos bleibt, dabei verharren und mit solcher Stimmung das ganze Leben erfüllen läßt sich nicht. Ein solcher Widerspruch im eignen Wesen m u ß selbst ein starker Antrieb werden, die Grenzen des Könnens vorzuschieben und das Unmögliche irgendwie möglich zu E u c k e n , Kampf.
III. Aufl.
6
82
D e r K a m p f um d e n C h a r a k t e r d e s
Geisteslebens
machen. Die Arbeit der J a h r t a u s e n d e h a t in Wahrheit vieles errungen, was früher völlig unmöglich schien, beim Großen wie beim Kleinen, im Wirken zur Welt, in den gesellschaftlichen Verhältnissen und beim Innenleben, im Wissen sowohl als im Handeln. Wenn jede Lösung neue Probleme h e r v o r r u f t und die Aufgabe ins Unermeßliche wächst, so vermag sich auch die K r a f t weiter und weiter zu steigern. Nur wo die Widersprüche keinerlei Gegenwirkung mehr hervorzurufen, keinerlei Weiterbildung des Lebens anzuregen vermöchten, m ü ß t e n wir endgültig Halt machen; aber wer will d esen P u n k t im voraus bestimmen, wer kann wissen, wie sich durch neue E r f a h r u n g e n und vordringende Taten neue Vermögen eröffnen und neue Angriffspunkte zeigen? Nikolaus von Cues erklärte ein präzises Erfassen mathematischer Naturgesetze als dem Menschengeiste versagt, Kepler erwies die Möglichkeit des vermeintlich Unmöglichen durch seine Leistung. Solche umwandelnde K r a f t der Verinnerlichung kommt zu noch eindringlicherer Wirkung gegenüber dem Feindlichen in unserm Dasein, gegenüber dem Bösen. Das Böse galt anfänglich als etwas Naturgegebenes, schlechthin Unverrückbares, in der Welt und der gesellschaftlichen Ordnung, wie in der Seele und GeD a n n k o n n t e es zur Summe der Lebenssinnung des Menschen. weisheit werden, sich möglichst wenig mit ihm zu befassen, es der schaffenden Arbeit möglichst fernzuhalten, es in die Außenseite des Lebens zu drängen. Dann aber vollzieht sich in weltgeschichtlichen Umwälzungen ein völliger Umschwung: das Böse wird in das Innere des Lebens a u f g e n o m m e n , es erscheint als unsere eigne T a t , als eine Folge unserer Entscheidung, aus einem Schicksal wird es zur Schuld. Damit tritt das moralische Übel vor das physische, und mit dem Aufsichnehmen der Verantwortung wird das Leben schwer belastet, ja bis zum Grunde erschüttert. Aber aus d e r Erschütterung erwächst eine Vertiefung und Erneuerung des Leb e n s ; alles andere Verlangen e r m a t t e t jetzt gegenüber dem einen Drange, jenen Stand der Schuld und Zerrissenheit zu überwinden und eines ihm überlegenen Lebens teilhaftig zu werden. So die Macht, man kann wohl sagen Allmacht der Idee der Befreiung und Erlösung über das menschliche Gemüt, so auch als stärkste Triebkraft alles Wirkens das Verlangen, durch unermüdliche Arbeit gegen Schäden und Leid des Daseins die Schuld der Mensch-
Einzelne Hauptpunkte
83
heit daran zu tilgen. Diese Bewegungen gehen in großen Wogen durch die Geschichte der Menschheit, sie reichen weit über alle dogmatischen Fassungen hinaus, ja sie können ihnen widersprechen. Alles Dunkel jener Verantwortlichkeit, alle Unvereinbarkeit mit einer kausalen Ordnung der Dinge hindert nicht ihr Fortbestehen und ihre Macht. J e n e Bewegungen sind aber zugleich innere E r f a h r u n g e n , neue Eröffnungen, Zeugnisse unergründlicher Tiefen und Zusammenhänge, solcher Tiefen, welche nicht eine grübelnde Reflexion, sondern nur Kampf und T a t , eigne Erfahrung und Umwandlung zugänglich m a c h t . So v e r s t ä r k t sich von hier aus der geschichtliche Charakter des Lebens. Zugleich aber erhellt, d a ß die kritische Lebensführung keineswegs mit der Forderung zusammenfällt, die Schranken unseres Geisteslebens endgültig abzumessen, d. h. sie in einem bes t i m m t e n Z e i t p u n k t ein- f ü r allemal festzulegen. Denn wo das Leben so sehr im Fluß ist und so sehr in den Erfahrungen wächst, da m u ß alle kritische und transzendentale Überlegung und Vorentwerfung freien R a u m f ü r weitere Eröffnungen lassen. Sonst kann leicht die Kritik sich selbst in Dogmatismus verwandeln und ein Dogmatismus kritischer Reflexion entstehen, der gefährlicher ist als ein naiver Dogmatismus. Solche Verschiebungen und Wandlungen bestätigen augenscheinlich die Selbständigkeit eines g e i s t i g e n Geschehens gegenüber dem b l o ß s e e l i s c h e n . J e n e Erfahrungen und Vertiefungen im Lauf der Geschichte sind offenbar Erfahrungen des Menschen. Aber wir machen u n d erleben sie nicht aus unserer individuellen Besonderheit, sondern nach unserer geistigen Natur, nicht in der Isolierung, sondern in geistigen Zusammenhängen, nicht vom bloßen Dasein aus, sondern auf Grund der Tatwelt. Damit erweist sich eine andere und größere Art des Lebens, des Lebens, nicht der bloßen Betrachtung. Nur weil in Wirklichkeit mehr vorgeht, kann eine neue Art der B e t r a c h t u n g a u f k o m m e n , kann sich dem p s y c h o l o g i s c h e n Verfahren gegenüber ein n o o l o g i s c h e s mit selbständiger Art entwickeln. D a ß jenes dem Bestände des geistigen Lebens nicht gewachsen ist, darüber sind bei den einzelnen Gebieten die meisten einig; wir scheiden die logische Behandlung scharf von der psychologischen, wir wissen, d a ß die E t h i k auf empirische Psychologie gründen sie zerstören heißt. Aber wir sträuben uns gegen eine Erhebung dieser Überzeugungen ins Ganze, gegen ein 6*
84
D e r K a m p f um den C h a r a k t e r d e s
Geisteslebens
Anerkennen der Tatsache, d a ß ü b e r h a u p t ein ursprünglicheres und wesenhafteres Leben von d e r ' T a t w e l t aus in uns waltet als das psychische des unmittelbaren Daseins. Erst bei kräftiger E n t f a l t u n g dieses Lebens wird die Innerlichkeit s t a r k genug, eine Welt zu bereiten und d a m i t den Menschen ebenso von der Bindung an eine äußere Welt zu befreien als ihn über die Kleinheit und Zufälligkeit des' bloßen Punktes zu erheben. Gegenüber dem kosmologischen und dem psychologischen Verfahren entwickelt sich d a m i t ein noologisches m i t eigentümlichen Aufgaben, Leistungen u n d Erf a h r u n g e n ; erst allmählich wird es sich rein herausarbeiten, alsd a n n aber nicht nur den Gesamtanblick des Lebens verändern, sondern auch die einzelnen Gebiete eigentümlich gestalten. So besagt es z. B. viel f ü r die Vertiefung u n d die Befestigung der Religion, wenn sie f ü r Grundlage und Gehalt an erster Stelle weder auf den Kosmos noch auf die Einzelseele, sondern auf die T a t w e l t des Geisteslebens angewiesen wird. Doch d a r ü b e r näheres in anderen Z u s a m m e n h ä n g e n .
3. Die Verwandlung des Lebens in reine Innerlichkeit und volle Selbsttätigkeit ist innerhalb der nächsten Lage nicht zu erreichen, es bedarf dazu einer U m k e h r u n g , einer W e n d u n g zum begründenden W e s e n ; erst sie k a n n das Ziel und den Gehalt des neuen Lebens ersichtlich machen. Dem allgemeinen Gedanken nach ward das zur Genüge erörtert, hier h a n d e l t es sich u m die nähere A u s f ü h r u n g , um die Frage, was das wesenhafte Selbst an sich weiterbilden k a n n und muß, u m jene U m w a n d l u n g durchzusetzen. Die A n t w o r t kann aber keine andere sein, als d a ß es vom bloßen Entwurf zu einer vollen Wirklichkeit fortschreiten m u ß , d a ß es sich vom allgemeinen Antrieb zur Stufe der Werkbildung aufzuarbeiten h a t , die wir oben als die Achse des Lebensprozesses e r k a n n t e n ; d a m i t erst kann eine geistige Individualität u n d eine unvergleichliche Konzentration der gesamten Wirklichkeit entstehen. Dies Eingehen in die Besonderheit, die unbegrenzte Erzeugung eigentümlicher Lebenspunkte, lebendiger Keime eigner Welten, bildet eine G r u n d t a t s a c h e ebenso unableitbarer wie u n bestreitbarer Art. Sofern ein Lebenskomplex in jenem
Sinne eine geistige
Indi-
vidualität geworden ist, oder, von der anderen Seite angesehen, so-
Einzelne Hauptpunkte
85
fern sich in ihm eine Individualisierung des Geisteslebens vollzogen h a t , heiße er uns eine E n e r g i e ; den einheitlichen Sinn aber einer solchen Energie, die ihren ganzen U m f a n g durchdringende, belebende und gestaltende K r a f t heiße I d e e . In diesem Sinne können wir von der Idee eines Einzellebens, eines Kunstwerkes, eines Staatswesens usw. reden. Überall geht ein gewisses Dasein voran, aber es ist in eine zerstreute, höchstens von außen zusammengehaltene Vielheit aufgelöst, seine Geistigkeit ist gebundener Art, es fehlt ein erleuchtender Sinn u n d eine z u s a m m e n h a l t e n d e K r a f t , es ist im Grunde sich selber fremd und h a t als Ganzes kein Eigenleben. Eine W a n d l u n g dahin erfolgt erst, wenn sich in dem Ganzen ein geistiges Selbst entdeckt und in ihm zu einer konkreten Individualität und zugleich zu einer vollen Wirklichkeit aufstrebt, wenn eine Idee mit innerer Einheit alles belebt und verbindet. Eine solche Idee als eine den Dingen innewohnende Einheit ist grundverschieden vom bloßen Begriff, sie t r o t z t aller Zerlegung u n d b e h a u p t e t eine Überlegenheit gegen das unmittelbare Seelenleben. Aber was sich nicht in eine Formel bannen läßt, kann bei sieh selbst eine Einheit besitzen; d a ß in W a h r h e i t solche Einheiten in den Lebensbereichen durchbrechen und den Lebensprozeß bis zum Grunde verwandeln, das ist der einzige Weg zu einer Durchgeistigung der Wirklichkeit. So verstanden, ist die Idee f ü r uns nicht sowohl eine Tatsache als eine Aufgabe, die einzelnen Bereiche h a b e n sie erst zu erringen; ob sie darin Erfolg haben oder nicht, das f a ß t ihre ganze Lebensarbeit in ein einziges Problem zusammen und entscheidet über ihr Gelingen oder Mißlingen. Gewiß bedarf jene Bewegung einer Vorbereitung: ein gewisses Dasein wird entgegengebracht, gewisse Ansätze zur Bildung sind vorhanden, gewisse Bahnen stehen offen, während andere sich versperren. Aber das alles ergibt noch keineswegs ein wesenhaftes Selbst, ein Zusammenschießen zur inneren Einheit, die Ausprägung einer alles durchwaltenden Idee. Das k a n n n u r geschehen, wenn eine schaffende Tätigkeit sich losreißt, voraneilt u n d jenseits der Schwere wie der T r ü b h e i t des nächsten Daseins sich bei sich selbst zusammenschließt; bei solcher Befreiung und inneren Sammlung k a n n sie ein geistiges Ganzes entwerfen, dabei wagen und s c h a f f e n ; nur inmitten solcher Bewegungen kann die Idee aufleuchten, eine Konzentration zur Energie sich vollziehen. So ist uns unser eignes Wesen zunächst ein Ideal, und unsere treueste
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D e r K a m p f um d e n C h a r a k t e r d e s G e i s t e s l e b e n s
Gehülfin in d e m K a m p f u m unser geistiges Selbst b i l d e t die P h a n t a s i e . N i c h t bloß in der K u n s t bringt sie d a s S c h a f f e n in Fluß, zur k ü n s t l e rischen P h a n t a s i e gesellt sich eine logische, p r a k t i s c h e , Die H y p o t h e s e n d e r
Forscher
wie die
die g r o ß e n E r n e u e r u n g e n in Moral u n d
Spekulationen
technische. der
Denker,
Religion, die u m w ä l z e n d e n
E r f i n d u n g e n der T e c h n i k , sie alle e n t s p r a n g e n
in der Region frei-
s c h a f f e n d e r T ä t i g k e i t , n i c h t in der Breite d e s v o r g e f u n d e n e n P a s e i n s . Alle diese M a n n i g f a l t i g k e i t ist a b e r n u r eine Verzweigung u n d Äußerung
eines u n s e r ganzes
Vermögens, d e m ersten
Wesen
u m f a s s e n d e n Vermögens,
des
S t a n d e v o r a n z u e i l e n , u n s ü b e t u n s selbst
zu e r h ö h e n , von der Z e r s t r e u t h e i t zur E i n h e i t , v o n der keit zu einem Sinn v o r z u d r i n g e n .
Sinnlosig-
Ihre h ö c h s t e A u f g a b e u n d
ihre
t i e f s t e W i r k u n g h a t die P h a n t a s i e n i c h t n a c h a u ß e n h i n , sondern gegen
uns
selbst:
in
der
Weiterbildung,
ja
Umbildung
Dienst
der
Wesensbildung
gestellt, ist
unseres
innersten Wesens. So in den bildung nicht
eine
Flucht
aus der W i r k l i c h k e i t
und
die
Ideal-
ein
Suchen
ferner, entlegener, jenseitiger Dinge, s o n d e r n ein Streben von einer scheinbaren
oder n u r h a l b w a h r e n W i r k l i c h k e i t
S e l b s t v e r t i e f u n g des eignen Lebens. Schweben
und
Schwelgen
in
Auch
zu einer e c h t e n in
e m p f i e h l t sie n i c h t ein
unbestimmten
Gedanken,
sondern
sie will eine eigentümliche u n d individuelle G e s t a l t u n g , eine solche m u ß sie auch vagen eine
unsrer
Gedanken Werkstatt
des
Arbeit
verleihen.
Guten,
Wahren
großer
Dinge
Das und
als eine
Schwärmen
Schönen
Zuflucht
f ü r die
war
weniger
geistiger
Armut.
Endlich v e r w i r f t jene Idealbildung die beliebte u n d b e q u e m e
Ideali-
s i e r u n g als eine bloße K a r i k a t u r ihres eignen U n t e r n e h m e n s .
Denn
s t a t t wie diese d a s Dasein in möglichst rosigem
Lichte zu
malen
u n d d u r c h solche Schönfärberei d a s Leben zu schädigen, stellt sie ihm ein anderes Sein gegenüber, als e i n s i e h t s c h o n verwirklichtes, sondern
erst zu
v e r w i r k l i c h e n d e s ; so m u ß sie die
Welt mit besonderer
Schäden
jener
Grellheit b e l e u c h t e n u n d zu besonders
ener-
gischem K a m p f dagegen t r e i b e n . und
solches
Voraneilen
des
Solche Zerlegung der Wirklichkeit
S c h a f f e n s ergibt
eine
kräftigere
w e g u n g des Daseins, eine lebendigere A n s i c h t von der und
ein
aktiveres
Menschheit u n d lungslehre,
Verhalten
zu d e n
der E r z i e h u n g
welche
auch
das
der
Problemen Individuen
Geistesleben
nach
der
Bildung
als eine Art
prozesses S c h r i t t f ü r S c h r i t t sicher aufsteigen l ä ß t .
Be-
Geschichte
eines
der
EntwickNatur-
Einzelne Hauptpunkte
87
Deutlich genug "bezeugt auch an dieser Stelle die E r f a h r u n g , wenn nur etwas genauer b e t r a c h t e t , d a ß c h a r a k t e r h a f t e s Geistesleben mehr ist als eine Blüte der N a t u r . Gewiß k a n n bei Individuen, Völkern und Zeiten nicht jedes aus jedem entspringen. Aber die Höhe der geistigen Arbeit war überall weniger eine F o r t f ü h rung als eine Gegenwirkung gegen die bloße N a t u r , es gab keine Selbstbildung ohne eine Selbstüberwindung. Die durch und durch individualistischen und glücksdurstigen Inder fanden ihre geistige Höhe in dem gänzlichen Aufgehen des Individuums in das All und dem Verzicht auf alles selbstische Glück, und von den unruhigen u n d leidenschaftlichen Griechen ist das Ideal des Maßes und der in ihrer eignen Anschauung selig ruhenden Tätigkeit ausgegangen. So erfolgt auch beim Einzelnen meist der Aufstieg zur geistigen Energie im Kampf mit dem nächsten Befunde. Dies Streben zu einer geistigen Energie und einer lebenbeherrschenden Idee bedeutet bei allem Bestehen auf Individualität keine Abschließung und Isolierung. Als geistige Energie läßt sich das eigne Wesen nur mit dem Ganzen und in dem Ganzen wollen, seine Bej a h u n g e n t h ä l t die B e j a h u n g und Verfechtung einer Geisteswelt ü b e r h a u p t . Das eben ist eine Grundbedingung des geistigen Lebens, d a ß wie alles Einzelne am Ganzen h ä n g t , so auch das Ganze an den einzelnen Stellen u n m i t t e l b a r gegenwärtig sein k a n n , ohne dabei der Besonderheit zu unterliegen, d a ß es auch im Eingehen in die Mannigfaltigkeit die Überlegenheit einer einheitlichen, allen gemeinDas eben verlangt und erweist samen W a h r h e i t behaupten kann. die unvergleichliche Art einer Lebensenergie, d a ß Gemeinsames und Besonderes an einem P u n k t e zusammentreffen und eine unt r e n n b a r e Verbindung eingehen ohne ineinander überzulaufen. So wächst die Individualität zum Mjkrokosmos und das All zu einer Welt von Welten. Zugleich aber erhellt, d a ß jene Ausbildung von Energien das Weltall nicHt in zerstreute Stücke zerreißt, sondern d a ß innerlich das eine auf das andere angewiesen u n d jedes an die große Welt gebunden bleibt. So u n f a ß b a r die Einheit dieser großen Welt uns ist, die wir von den Teilen aus arbeiten u n d von ihnen her Bilder entwerfen, jedenfalls m u ß das All, geistig verstanden, mehr sein als ein Nebeneinander allgemeiner Gesetze; auch hier bedarf es einer selbständigen und eigenartigen Einheit, die auch die gemeinsamen Wahrheiten tragen m u ß . Demnach vermag die Energie als Mikrokosmos ein unbegrenztes
88
D e r Kampf um den C h a r a k t e r d e s G e i s t e s l e b e n s
Leben
zu
bilden,
Selbstleben
sammenzuschließen.
und
Weltleben
in
Ein
Leben
zu-
Freilich gelingt ihre Vereinigung n i c h t leicht,
der Gegensatz von W e i t e u n d K r a f t des Lebens, d e m wir schon öfter begegneten, erreicht hier seine h ö c h s t e S p a n n u n g ,
er f i n d e t einen
g r e i f b a r e n A u s d r u c k in d e m Streit ü b e r die P e r s ö n l i c h k e i t
und
die persönliche
das
merkwürdige
Gestaltung
des
Lebens.
Es b i e t e t sich hier
Schauspiel, d a ß dasselbe, w a s die einen als höchstes
Ziel u n d leitenden W e r t v e r e h r e n , von d e n a n d e r e n als e t w a s Niederes u n d H e m m e n d e s a b g e l e h n t wird. wirrung
Mag einige Schuld an dieser Ver-
der vieldeutige A u s d r u c k
Persönlichkeit
tragen:
wie
oft,
so erscheint auch hier im S t r e i t u m d a s W o r t ein sachlicher Gegensatz.
Es
werden
hier
zwei g r u n d v e r s c h i e d e n e
Lebensideale ersichtlich. und
W e i t e , ein
Lebenstypen
und
Auf der einen Seite der D r a n g ins Große
Verlangen n a c h
Reinheit und
K l a r h e i t in
H ö h e eines Allebens, ein Abstreifen aller eigentümlichen
lichter
Mensthen-
a r t , ein U n t e r d r ü c k e n der A f f e k t e z u g u n s t e n eines völligen Aufgehens in die Dinge, ein Verzichten auf Glück z u g u n s t e n sachlicher W a h r heit.
Auf
der a n d e r e n
dagegen ein engeres, a b e r w ä r m e r e s
m e h r geschlossenes Leben, ein U n t e r w e r f e n u n d der
Dinge,
ein
Gestalten
Gefühlsleben voll nach
Glück.
scheidet der
Feuer und
dem
Flamme,
Über die geistige A r t
kaum
anderen
gemäß
etwas
mehr
Richtung;
das
als
Verlangen ein
des
Überwiegen
Gesamtleben
Selbst,
allverzehrender
der einzelnen
das
der
und
Zusammendrängen ein
Drang
Epochen
der
einen
Menschheit
entoder
scheint
keine von ihnen e n t b e h r e n zu k ö n n e n . Freilich reicht der Gegensatz zu s e h r in den G r u n d des Lebens hinein, u m sich friedlich beschwichtigen zu l a s s e n ; soll sich d a h e r n i c h t das Leben zwischen j e n e n W i d e r s p r ü c h e n zerreiben, so
muß
der eine T y p u s sich siegreich ü b e r den a n d e r e n e r h e b e n u n d sich als biegsam g e n u g erweisen, u m jenes a u f z u n e h m e n u n d
das
zur eignen
Fruchtbare
und
Berechtigte
F o r t b i l d u n g zu v e r w e r t e n ;
gilt eine E n t s c h e i d u n g f ü r den einen gegen d e n a n d e r n .
es
Sie k a n n
a b e r nach den Z u s a m m e n h ä n g e n u n s e r e r U n t e r s u c h u n g n u r f ü r das Selbstleben fallen.
Denn
auch die U n e r m e ß l i c h k e i t
kann uns
soweit anziehen, als wir in ihr irgendwie u n s e r eignes Wesen f a s s e n ; ohne eine
Beziehung dazu w ä r e sie f ü r u n s o h n e
nur er-
Gehalt
und W e r t , sie wird u n s in d e m Maße k ä l t e r u n d leerer, als sie den inneren Zusammenhang mit jenem
Selbstleben a u f g i b t .
gleich ist die R i c h t u n g z u m u n p e r s ö n l i c h e n All f ü r u n s e r
Aber
zu-
mensch-
Einzelne Hauptpunkte
89
liches Streben nicht zu entbehren. Jenes persönliche Leben pflegt, selbst wo es sich der N a t u r entgegenstellt, ihren Einfluß nicht leicht a b z u s c h ü t t e l n ; ja es e n t s t e h t eine gefährliche Verwirrung daraus, d a ß Natur- und Geistesgrößen sich ineinander schieben u n d zu scheinbar unzertrennlicher Einheit verwachsen. Damit scheint leicht das ungeschiedene Ganze als schlechthin wertvoll; was in W a h r h e i t das äußerste Ziel, das d ü n k t hier ein fertiger A u s g a n g s p u n k t ; s t a t t einer Konzentration innerhalb des Ganzen einer neuen Welt wird das Einzelwesen ein selbstgenugsamer M i t t e l p u n k t , es schließt sich bei aller äußeren Erweiterung dadurch innerlich ab, daß es alles Geschehen auf sein eignes Wohl und Wehe bezieht, es hegt und pflegt d a m i t einen Egoismus feinster Art, bald im Selbstgenuß des gebildeten Individuums, bald in einem u n g e s t ü m e n Verlangen nach F o r t d a u e r und Seligkeit um jeden Preis u n t e r Herabsetzung der ganzen Unendlichkeit und Ewigkeit zu einem bloßen Mittel eignen Wohlseins. So tiefen Schäden ist kein bloßes Berichtigen im Kleinen, kein allmähliches Zurechtrücken gewachsen. Ohne einen Bruch mit jener Lage und eine Überwindung der Enge jenes Selbst ist hier nicht weiterzukommen. D a m i t aber gelangt jenes andere zur Geltung, was sich zunächst als unpersönlich, ja widerpersönlich a u s n i m m t . Nur das Schmelzfeuer des Allebens k a n n die gegerneine Lebensgier vernichten und das Selbstleben von dem zähe a n h a f t e n d e n Kleinen u n d N a t u r h a f t e n befreien. Um aber das zu leisten, darf solche L ä u t e r u n g kein flüchtiger D u r c h g a n g s p u n k t sein. So wenig der P a n t h e i s m u s und die Mystik uns als letzter Abschluß gefallen, eine Lebensgestaltung, die nicht sie durchgemacht h a t und nicht sie als eine Stufe der Bewegung festhält, sinkt leicht in die enge u n d selbstische A r t zurück, die es zu überwinden gilt. Aber bei aller Notwendigkeit einer Gegenwirkung gegen die erste Form des Selbstlebens bleibt dieses die überlegene Macht, der das andere n u r zur L ä u t e r u n g und Erweiterung dienen muß. So darf in allem Streben zur Unendlichkeit die Energie sich nicht der Unendlichkeit willenlos unterwerfen, sondern sie m u ß diese zu meistern u n d zur Einheit zu zwingen suchen. Gewiß ein unermeßliches U n t e r n e h m e n , dessen Abschluß in weiter Ferne liegt, u n d das wir doch nicht aufgeben können ohne unser geistiges Selbst aufzugeben. J e mehr aber jene Bewegung des Selbstlebens zu einer höhe-
90
Der Kampf um den Charakter des
Geisteslebens
ren Stufe in unabsehbare Probleme verwickelt, desto notwendiger ist es, rasch über bloße Anregungen und Antriebe hinaus zu f r u c h t barer Arbeit und innerer U m w a n d l u n g zu gelangen. Das aber ist nur möglich, wenn unsere geistige Organisation von vornherein auf die Weite angelegt ist, wenn sie ein Eingehen und Sichentfalten von Neuem innerhalb des eignen Kreises g e s t a t t e t . W ü r d e nämlich der Lebensprozeß alles, was an ihn gebracht wird, sofort sich assimilieren und g e m ä ß seiner Besonderheit f ä r b e n , so wäre alle äußere Erweiterung f r u c h t l o s , in alle Unendlichkeit ergösse sich die Enge einer Sondernatur. In W a h r h e i t s t e h t es anders. Wir sehen unablässig Fremdes in den Lebenskreis eingehen, auf diesem Boden seine Eigentümlichkeit zeigen, seine Konsequenzen hervortreiben, als Macht gegen das andere wirken. Aller Einfluß des übrigen Lebens läßt sich dabei zunächst fernhalten, so d a ß die besondere Art sich rein aussprechen k a n n . Solche Selbständigkeit beschränkt sich nicht auf einzelne P u n k t e , sondern es können sich größere Reihen und Komplexe, ja ganze Reiche bilden. Aus einem einzigen Faden oder einem alles f o r t f ü h r e n d e n Strome wird d a m i t der Lebensprozeß ein vielfach verschlungenes Gewebe, ein reichhaltiges Ganzes, innerhalb dessen sich verschiedene, gegeneinander selbständige Reihen bewegen, untereinander in Beziehungen u n d Wechselwirkungen t r e t e n , eigne Lebenszentren innerhalb des weitern Raumes werden. Diese innere Weite und Beweglichkeit ist die Grundbedingung alles geistigen W a c h s t u m s , sie allein m a c h t eine Z u f ü h r u n g von Neuem, eine f r u c h t b a r e E r f a h r u n g , eine Umbildung durch die E r f a h r u n g möglich. Nur durch dies Vermögen, Neues in den Lebensprozeß selbst zu verpflanzen u n d es hier ungestört gedeihen zu lassen, erklärt sich alles, was Eingehen in andere Wesen, Versetzung auf den S t a n d p u n k t eines andern, Anerkennung sachlicher Notwendigkeiten usw. h e i ß t ; n u r dadurch wird eine innere Gemeinschaft mit anderen, sei es der Liebe, sei es des Rechtes, eröffnet, nur d a r a u s ergibt sich ein Denken und Handeln aus dem Recht und nach den Forderungen der Sache. In aller scheinbaren S e l b s t e n t f r e m d u n g ist es aber immer das Selbst, clas in den Gegenwurf übergeht, ihm sein Leben einflößt, ihm die K r a f t der Bewegung verleiht. Als ein Urphänomen erweist sich hier die Tatsache, d a ß etwas scheinbar aus dem Lebenskreise h e r a u s t r i t t u n d zu ihm einen Gegensatz bildet, und d a ß es dabei innerlich gegenwärtig bleibt und sich somit als noch vom Lebensprozeß um-
Der U m r i ß des L e b e n s s y s t e m s
91
f a ß t erweist, d a ß es zugleich d e m Ich u n d d e m Nicht-ich a n g e h ö r t . So e r ö f f n e t sich ein Verkehr des Lebens m i t sich selbst, es zeigt sich ein engeres u n d
ein weiteres
Selbst, die Möglichkeit
einer
Span-
n u n g zwischen beiden, die Aussicht auf eine u n b e g r e n z t e E r w e i t e r u n g durch
ihr
liehene
Zusammenwirken.
Da
es eine
K r a f t ist, mit der d a s s c h e i n b a r
so m u ß schließlich
aus
zum
Ausgangspunkte
alles
zuführen,
was
aller
Ferne
zurückkehren sich
der
dem
Selbstleben
Entgegenstehende
die Bewegung und
der
Unendlichkeit
entwirkt,
immer
wieder
Bildung
des
abringen
ließ.
Selbst Bei
solcher i n n e r n W e i t e des Lebens v e r s c h w i n d e t aller Zweifel d a r a n , d a ß die Energie in der E i n h e i t eine U n e n d l i c h k e i t u n d im
Selbst-
leben ein W e l t l e b e n zu erreichen v e r m a g . Mit d e m allen e r w a c h s e n g e g e n ü b e r gewaltige A u f g a b e n : ihre
Durchbildung
lichkeit,
die
zur
Individualität
ihre V e r b i n d u n g
der V e r n u n f t . das weist h i n
W a s dabei auf
Erweckung zu
dem
Durchschnittsstande
selbständiger im
Ringen
einer W i r k l i c h k e i t
an einzelnen
Lebenszentren, m i t der des
Unend-
Sinnes
Zügen e r k e n n b a r
ein z u s a m m e n h ä n g e n d e s
Ganzes, auf
und
wurde, ein
cha-
rakteristisches L e b e n s s y s t e m . O b a b e r ein solches aus j e n e r Bewegung h e r v o r z u g e h e n v e r m a g , das f o r d e r t eine eigne
Untersuchung.
b. Der Umriß des Lebenssytems. D a ß d a s Prinzip
der W e s e n s b i l d u n g s t a r k e r W i r k u n g e n
ist, d a ß viel Bewegung aus i h m e n t s p r i n g t , u n d ins s t r e b t , d a r ü b e r k a n n kein Zweifel m e h r sein.
fähig
Unermeßliche
Aber noch
ist n i c h t e n t s c h i e d e n , ob sich jene Bewegungen zu einem
immer Ganzen
Zusammenschließen, zu einem Ganzen, d a s einerseits alles v o n i h m U m f a ß t e vollständig b e s t i m m t u n d ohne R e s t in diesen Z u s a m m e n hang aufgehen läßt,
d a s a n d e r e r s e i t s alles D r a u ß e n g e l e g e n e
sich zu bringen u n d sich als die einzig e c h t e W i r k l i c h k e i t zusetzen
vermag.
D a s allein ergäbe
ein
Lebenssystem,
unter durch-
und
ein
solches System k ö n n t e bei d e m A n s p r u c h der Geisteswelt auf volle W a h r h e i t sich n u r als d a s einzig mögliche, ausschließlich w a h r e g e b e n . E r s t diese W e n d u n g z u m System ergibt eine geschlossene W i r k l i c h keit m i t völlig d e u t l i c h e m J a u n d N e i n ; erst hier k a n n d a s M a n n i g f a c h e sich
gegenseitig b e l e u c h t e n
und
stützen,
erst
hier sich
einer Gliederung u n d A b s t u f u n g des G a n z e n v e r b i n d e n . läßt
sich
die
Frage
nach
dem
Vermögen
und
den
zu
Erst hier
Grenzen
des
92
D e r K a m p f um den C h a r a k t e r d e s G e i s t e s l e b e n s
Ganzen stellen und zugleich herausheben, was an Weltanschauung in ihm angelegt ist. Denn je nach der inneren Fassung des Lebensprozesses werden sich auch die Voraussetzungen und Umgebungen, wird sich das Gesamtbild der Wirklichkeit eigentümlich gestalten. Was immer an Besonderheit des Gehalts und an Kraft der Bewegung in dem Ganzen steckt, das wird erst damit hervorgetrieben und zu voller Wirkung gebracht, erst so läßt sich eine Vermittlung zwischen dem leitenden Gedanken und der Einzelarbeit gewinnen. Wie sich aber das Gewebe in seinem inneren Gefüge fester zusammenschlingt, so wächst der Lebensprozeß auch ins Große und Weite. Daß bei der Frage des Lebenssystems verschiedene Antworten möglich sind und in der Tat gegeben wurden, wird uns gleich zu beschäftigen haben. Damit erscheint die Verfechtung eines besonderen Lebenssystems als eine Behauptung über das Ganze und für das Ganze,"als eine einzige Frage an die Wirklichkeit. So kommt in das Leben eine Bewegung vom Ganzen zum Ganzen, nirgends mehr als hier wird es als Ganzes zur eignen Tat und Entscheidung. Darum geht ein Drang nach solcher Selbstkonzentration durch alle Kulturarbeit. Die verschiedenen Zeiten mögen sich verschieden zu dieser Aufgabe stellen, die einen sich mit bloßen Entwürfen begnügen, die anderen auf strenger Durchbildung bestehen, die einen vorwiegend fremde Leistungen an sich nehmen, die anderen eine eigne Art einsetzen, irgendwie mit der Sache sich befassen müssen sie alle. Indem sie es aber tun, wird ihr eigner Bestand zerlegt, es erfolgt eine Scheidung zwischen dem, was einem Systeme angehört oder doch seinem Zuge folgt, und dem anderen, waä draußen verbleibt und sich mit jenem erst auseinanderzusetzen hat. So entsteht eine Bewegung vom einen zum andern: das System sucht jenes andere an sich zu ziehen und von sich aus zu gestalten; das weitere Leben hingegen übt seinerseits eine ständige Kritik am System, in aller Unfertigkeit kann es inhaltlich reicher, tiefer, wahrer sein, als jenes andere, das formell überlegen ist und aus größerer Geschlossenheit wirkt. Keine Bewegung trifft tiefer den inneren Bestand der Kultur als dieser Kampf zwischen weiterer und engerer Art, dies Ringen um einen Charakter des Lebens. Die Möglichkeit verschiedener Lebenssysteme erklärt sich in folgender Weise. Eine einheitliche Durchbildung der ganzen Weite des Lebens mit dem dazu nötigen Zusammenschluß von Innerem
D e r U m r i ß des Lebenssystems
93
und Äußerem, von Menschenleben und Welt ist nur so erreichbar, d a ß sich zunächst innerhalb unseres eignen Lebenskreises eine besondere Tätigkeit über alles andere hinaushebt, es u n t e r sich bringt u n d nach ihrer Art gestaltet, d a ß aber dieselbe Tätigkeit zugleich als der H ö h e p u n k t einer Weltbewegung erscheint u n d durch die ganze Weite des Daseins A n k n ü p f u n g e n findet. Wird in dieser Weise eine Verbindung zwischen dem Zentrum unseres Lebens und der Weite des Alls gewonnen, so läßt sich eine allbeherrschende H a u p t t ä t i g k e i t herausarbeiten, so ist ein Hebel f ü r die Bewegung des trägen Stoffes und ein Schlüssel f ü r das Verständnis unser selbst und der Welt gewonnen; n u n vermag die geistige Arbeit sich in den Mittelpunkt der Wirklichkeit zu stellen und die Ausbildung eines Lebenssystems zu u n t e r n e h m e n . Eine derartige H a u p t t ä t i g k e i t k o m m t uns nicht mit überwältigender Anschaulichkeit entgegen, sondern sie ist dem Chaos erst abzuringen u n d zu selbständiger Wirkung freizulegen; wie die weltgeschichtliche E r f a h r u n g zeigt, sind hier verschiedene Versuche möglich; je nach dem Stande der inneren Entwicklung, nach dem G r u n d v e r h ä l t n i s zur Außenwelt, nach den E r f a h r u n g e n des gemeinsamen Lebens k a n n der Mensch seinen eignen geistigen Mittelp u n k t an verschiedenen Stellen suchen und von da aus eine andere geistige Wirklichkeit bilden. So ergeben sich verschiedene, einander widerstreitende Lebenssysteme. Gewiß wirkt in aller Abweichung und Gegensätzlichkeit eine einzige W a h r h e i t — wie könnten ohne ihre innewohnende Macht die einzelnen Systeme die Arbeit beherrschen und die Gesinnung erfüllen? —, aber das erste Bild ist das der Entzweiüng und des Streites; erst nach Ergreifung des allbeherrschenden Zieles wird es möglich, die W a h r h e i t an jeder Stelle von dem a n h a f t e n d e n Irrtum zu befreien, sowie eine Vers t ä n d i g u n g der verschiedenen Versuche zu u n t e r n e h m e n . Ein bequemer K o m p r o m i ß verbietet sich nirgends mehr als hier, wo eines jeden B e h a u p t u n g auf das Ganze geht.
a. D i e ä l t e r e n L e b e n s s y s t e m e . Die Geschichte übermittelt uns namentlich zwei volldurchgebildete Lebenssysteme, ein älteres und ein neueres, ein k ü n s t . lerisches der Gestaltung und ein dynamisches der K r a f t e n t f a l t u n g . Beide reichen auch in die Gegenwart hinein; d a ß sie aber weder
94
Der Kampf um den Charakter des
Geisteslebens
g e t r e n n t noch vereint mehr genügen, darüber lassen schwere Ers c h ü t t e r u n g e n , sowie das A u f t a u c h e n neuer Fragen keinen Zweifel. D a ß die Gegenwart sichtlich nach einem neuen Lebenssystem verlangt, das gibt auch dem philosophischen Problem die lebendigste S p a n n u n g . Kein Problem ist aktueller als dieses. Das ältere System ist eine Schöpfung des Griechentums; es quoll nicht aus seinem Alltagsleben sicher und ruhig hervor, es ward auf der Höhe geistiger Arbeit durch Mühe u n d Kampf errungen. Es h a t , wenn auch verflacht u n d vergröbert, das Mittelalter beherrscht, d a n n wiederholt seine ursprüngliche Art wiederaufzunehmen und sich zugleich mit der veränderten Lage auseinanderzusetzen ges u c h t ; so wirkt es auf uns von verschiedenen Stellen her und in verschiedener Weise. — Dies System verficht als die H a u p t t ä t i g keit das künstlerische Gestalten, die Verbindung der Mannigfaltigkeit zur Einheit künstlerischen Schaffens und Schauens, und zwar der besonderen Art des plastischen Kunstwerks gemäß. Es ist aber diese Verbindung keine äußerliche Z u s a m m e n f ü g u n g , sondern ein inneres Zusammenschießen, ein Sichzusammenfinden u n d d a m i t zugleich eine alle Teile erhöhende Beseelung. Mit dieser Bildung scheint das Leben seine eigne W a h r h e i t zu finden, zugleich aber einen Z u s a m m e n h a n g mit der großen Welt zu erlangen, mit ihr die ganze Wirklichkeit eine V e r n u n f t aus sich zu e n t f a l t e n . Wie die Dinge ihr Wesen erreichen, indem sie sich zum lebensvollen K u n s t w e r k zusammenschließen, so liegt uns durchgängig ob, das K u n s t w e r k aus dem Chaos des ersten Eindrucks herauszusehen oder, wo die Sache uns selbst betrifft, es klar u n d k r ä f t i g herauszuarbeiten. Diese Aufgabe reicht von dem großen All durch mannigfache Abstufungen bis ins Leben des Einzelnen hinein: ein K u n s t werk ist die sichtbare Welt, dem Denker auch die Gedankenwelt, ein K u n s t w e r k werde der S t a a t , ein K u n s t w e r k die Einzelseele. Auch alle geistige T ä t i g k e i t gestaltet sich demgemäß. Das Denken wird ein Herausheben des Beharrenden aus dem Wechsel und ein Verbinden der Mannigfaltigkeit zu einem festen Gefüge, seine Arbeit läßt die Synthese die Analyse beherrschen; was sie an Begriffen und Methoden erzeugt, das erhält sein rechtes Licht erst von jenem künstlerischen Bilden aus. Die festgefügte alte Metaphysik wird ein leeres Gerüst bei Verdunklung solches Zus a m m e n h a n g e s ; die Begriffe, welche hier die Formen der Wirklichkeit herausheben sollen, verlieren bei deren E r s t a r r u n g ihr
D e r U m r i ß des L e b e n s s y s t e m s
95
frisches Leben und ihre Anschaulichkeit. Die praktische Tätigkeit scheidet sich scharf von der künstlerischen, und das Ethische erhält den unbedingten Vorrang, aber bei genauerem Zusehen findet sich das künstlerische Gestalten nur von außen nach innen verlegt; s t a t t ein W e r k nach d r a u ß e n abzuliefern, wird das eigne Wesen in ein K u n s t w e r k zu verwandeln gesucht. Ein solches Bilden verflicht eigentümlich freies Beginnen und gegebene Ordnung. Nur die eigne Arbeit kann das K u n s t w e r k erzeugen, nur eine f o r t d a u e r n d e Tätigkeit es gegenwärtig h a l t e n ; so ist eigenes T u n unentbehrlich f ü r Inhalt u n d Glück des Lebens. Aber dies T u n r u h t auf festen Grundlagen und s t e h t in einer geschlossenen W e l t ; besondere Richtungen u n d K r ä f t e werden vorg e f u n d e n ; wohl läßt das E m p f a n g e n e sich weiterführen, durchleuchten, veredlen, nicht aber in völlig freie T a t verwandeln. Ebenso wirken hier feste u n d u n v e r r ü c k b a r e Ziele; die Bewegung schreitet nicht unter Anbildung immer neuer Vermögen ins Endlose fort, sondern sie erreicht t i n e n H ö h e p u n k t , den sich nicht zu überschreiten vermag, den sie nicht einmal dauernd festhalten kann. So gibt es hier keinen weltgeschichtlichen Prozeß, kein langsames Aufstreben zur Wahrheit durch die E r f a h r u n g e n der Geschichte, kein Hoffen und Harren auf eine bessere Z u k u n f t . Vielmehr s t e h t das Leben vornehmlich auf der Gegenwart und f i n d e t hier alle ü b e r h a u p t erreichbare W a h r h e i t . Demnach h a t das Wirken nach allen Richtungen feste Grenzen, die später beengend wurden, aber es h a t zugleich eine volle Sicherheit u n d innere Geschlossenheit. Ü h e r h a u p t hält dieses System die großen Gegensätze unseres Lebens noch in einem Gleichgewicht, das schwere Erschütterungen u n d neue Erfahrungen später zerstören m u ß t e n . Wie N a t u r und Freiheit so sind auch S u b j e k t und Objekt, Mensch u n d Welt noch n i c h t schroff auseinander gerissen «und feindlich gegeneinander get r e t e n . Wohl befinden wir uns hier jenseits des N a t u r s t a n d e s , wo der Mensch sein eignes Bild unbedenklich in alle Welt hineintrug; ein Abstand ist zur E m p f i n d u n g gekommen u n d m u ß durch geistige Arbeit überwunden werden. Aber diese Überwindung scheint nicht zu große Mühe zu kosten. Denn es gilt der Mensch mit seiner innern Art als dem All innerlich v e r w a n d t , u n d es scheint sich in der Begegnung, es scheint sich namentlich in der künstlerischen Anschauung n u r zusammenzufinden, was zueinander gehört und was einander schon suchte. Es scheint d r a u ß e n u n d drinnen im
96
Der Kampf um den Charakter des
Geisteslebens
wesentlichen dasselbe vorzugehen und Wirkungen von hier nach dort leicht hinüberzuspielen. Das Geistige bleibt hier auch in der Entgegensetzung gegen das Sinnliche diesem innerlich nahe, u n d die Grundbegriffe von ihm sind von sinnlichen Vorstellungen d u r c h tränkt. So erfolgt no'ch kein schroffer Bruch zwischen dem Menschen und der Welt. Das Menschliche klärt und veredelt sich an der Welt, aber es gibt d a m i t seine innerste Art nicht auf, es wird nach jener L ä u t e r u n g u m so unbedenklicher als Ausdruck und Höhe des Weltgeschehens b e h a n d e l t . Ausgeglichen scheint in jener Gestaltung der Wirklichkeit zum K u n s t w e r k auch der Gegensatz von Einheit und Vielheit. Denn n u r als ein Glied des Ganzen h a t hier das Einzelne einen Sinn u n d W e r t , auch eine Freiheit besteht hier n u r innerhalb des Ganzen. Das Ganze aber bedarf der Mannigfaltigkeit der Teile, u m sich auszubilden und anschaulich darzustellen. Ausgeglichen scheint hier auch der Gegensatz von R u h e u n d Bewegung. Denn die k ü n s t lerische Anschauung, die hier als das Urbild echten Lebens gilt, erstrebt nichts über sich selbst hinaus, sie ist Bewegung, aber auf sich selbst gerichtete, zu sich zurückkehrende Bewegung, das Glück besteht hier weder im bloßen Streben, noch im trägen Besitz, sondern in der f o r t d a u e r n d e n tätigen Aneignung. Endlich h a t hier auch der Gegensatz des Guten u n d des Bösen noch nicht die spätere Schroffheit erlangt. Unter F e r n h a l t u n g alles flachen Optimismus fließt Ruhe und Befriedigung aus der Überzeugung, d a ß die H e m m u n g e n und Störungen nicht in den innersten Kern des Lebens reichen, d a ß die geistige K r a f t immer überlegen bleiben k a n n , d a ß das Böse mehr einen Mangel, eine Störung, als eine völlige Verkehrung bed e u t e t . J a selbst jener Mangel scheint ein Übel schlechthin n u r f ü r die vom Einzelpunkt beherrschte B e t r a c h t u n g ; in dem Z u s a m m e n schluß zum Ganzen, wie ihn das künstlerische Denken u n d Bilden vollzieht, vermag sich der Fehler der besonderen Stelle in einen Vorteil des Ganzen zu verwandeln, u n d sich schließlich aus allen Disharmonien eine große Harmonie herauszuheben. Dies Lebenssystem e n t h ä l t eigentümliche Wertschätzungen, sowie Ziele und Angriffspunkte. Verworfen wird hier durchgängig das Unendliche als das Gestaltlose und der Bearbeitung Unzugängliche; eine Grenze sowohl nach dem Großen als nach dem Kleinen hin wird in der Welt als v o r h a n d e n angenommen, in den menschlichen Verhältnissen eifrig erstrebt. Ebenso erfolgt im Innern
Der U m r i ß des L e b e n s s y s t e m s
Q7
der W e s e n eine deutliche Scheidung b e s o n d e r e r Teile, eine k r ä f t i g e Ausprägung fung
und
scharfe
aller fließenden
biete,
ein
Zug
Abgrenzung gegeneinander,
Übergänge
nach
eine
Verwer-
und
aller
Vermengung
der
Spezialisierung
und
Differenzierung,
Gestets
a b e r i n n e r h a l b des G a n z e n , nicht ohne das Ganze u n d gegen Ganze,
Daher
zugleich
durchgängig
ein
Streben
nach
das
Wieder-
v e r e i n i g u n g des Geschiedenen zur G e m e i n s c h a f t eines W e r k e s , nach einem Gleichgewicht aller M a n n i g f a l t i g k e i t , n a c h A b s t u f u n g , maß und
Als leitender W e r t b e g r i f f w i r k t dabei die Schema,
Eben-
Harmonie. sondern
als
lebendige
Gestalt,
Form, n i c h t als totes
nicht
von
draußen
den
Dingen auferlegt, s o n d e r n i h r e m eignen Wesen e n t q u e l l e n d . Das ganze Leben
trägt
hier in sich
Allgegenwart
und
den
überlegene
Glauben Macht
an
der
die
Unwandelbarkeit,
Form;
sie
erzeugt
ein
Ideal edler Bildung, das sich in alle einzelnen Gebiete e r s t r e c k t , allen Stoff beseelt, alle M a n n i g f a l t i g k e i t z u s a m m e n h ä l t .
So d u r c h d r i n g t
alle A r b e i t eine g e m e i n s a m e L e b e n s s t i m m u n g , eine S t i m m u n g f r e u diger, a b e r m a ß v o l l e r u n d g e h a l t e n e r Art.
Der Mensch s t e h t hier
in einer W e l t der V e r n u n f t u n d wird von sicherer W a h r h e i t u m f a n g e n ; er h a t
die
Aufgabe, den
ewigen
Bestand
auch
im
menschlichen
Kreise zu w a h r e n , t r e u die heilige F l a m m e zu h ü t e n .
Was
sein
W i r k e n a n Grenzen h a t , d a s e m p f i n d e t er n i c h t als eine E i n e n g u n g , da kein inneres Verlangen ihn d a r ü b e r h i n a u s t r e i b t . So ein L e b e n s s y s t e m
geistiger
K r a f t u n d geistigen
ein S y s t e m , das nicht n u r m i t seiner Ausgleichung der dauernd
ein hohes Ziel
v o r h ä l t , sondern d a s auch
Schaffens, Gegensätze
mit d e m
Be-
s o n d e r e n seiner B e h a u p t u n g , m i t der F o r m u n d d e m Verlangen der F o r m g e b u n g , ein U r p h ä n o m e n u n d eine bleibende A u f g a b e v e r t r i t t . D e n n wie i m m e r sich die Stellung der F o r m in der W e l t v e r ä n d e r t h a t , wie s e h r auch die F o r m in den F l u ß des Geschehens hineingezogen i s t , u n d wie sehr sie a u c h bei der Frage des i n n e r e n W e r d e n s v o n Mensch u n d Menschheit a n d e r e Mächte neben, j a über sich a n e r k e n n e n m u ß , sie b e h a u p t e t in allen W a n d l u n g e n eine T a t s ä c h l i c h k e i t , jedes
Lebenssystem
irgendwie
würdigen
und
sich
aneignen
die
muß.
Seine h e r r s c h e n d e S t e l l u n g aber h a t dies System n i c h t zu b e haupten vermocht. lung des
Von A n f a n g a n f o r d e r t e es m i t seiner V e r w a n d -
Lebens in k ü n s t l e r i s c h e s
Bilden eine geistige K r a f t
und
eine V o r n e h m h e i t der G e s i n n u n g , welche n u r A u s n a h m s z e i t e n
dar-
bieten k ö n n e n . Eueken,
Kampf.
Das u n v e r m e i d l i c h e III. A u f l .
Sinken des Schaffens 7
mußte
98
D e r K a m p f um d e n C h a r a k t e r d e s G e i s t e s l e b e n s
bald einen Abstand zwischen den Forderungen jenes Systems und dem Vermögen der Menschheit bemerklich machen, und die Erweiterung dieser Kluft eine peinliche Leere empfinden lassen. Auch litt jenes System insofern an einem innern Widerspruch,. als der enge Zusammenhang des Menschen mit der Welt, die Zugehörigkeit zur Wahrheit, welche hier alle Ausführung t r ä g t , in ihm nicht sowohl erwiesen als aus eben dem naiveren Lebensstande mitgebracht ist, über den jener geistige Aufbau hinausstrebt; es waltet hier wie bei anderen Hauptpunkten der Widerspruch, daß jenes System zugleich das griechische Volksleben mit seinen Überzeugungen und Einrichtungen überwinden wollte, und in dem Eigentümlichen seiner Behauptung daran gebunden blieb. — Was aber in den geschichtlichen Verhältnissen vornehmlich einer Gegenbewegung zum Siege verhalf, das war das Problem des Bösen, die Erfahrung härterer Widerstände und die Empfindung schwererer Leiden im menschlichen Dasein, vor allem ^ber das Gewahrwerden eines tieferen moralischen Konfliktes, als jenes System anzuerkennen und anzugreifen vermochte. Die Menschheit sah sich vor einem jähen Abgrund, es galt einen Kampf um Sein oder Nichtsein. Die Schwere dieses Kampfes und die tiefe Erschütterung durch ihn drängten jenes Lebensideal geistiger Kraft und freudigen Schaffens weit zurück; gegenüber der Empfindung eines unerträglichen Zwiespalts und bei dem Ringen um das Heil der unsterblichen Seele konnte den alten Christen die Freude an jenem Ideal sogar als ein Unrecht erscheinen, und die Sorge um den Gehalt des Lebens sie zu barbarischer Geringschätzung der Form verleiten. Bei späterem Sinken der Spannung und bei der Notwendigkeit, die christlichen Überzeugungen zu einem geschlossenen Systeme auszubilden, erfolgte wieder eine Ausgleichung mit der antiken Lebensordnung. Denn es hat das geschichtliche Christentum ein durchgebildetes Lebenssystem aus eignem Vermögen und gemäß seiner eignen Art nicht hervorgebracht; ein allumfassendes Lebensganzes ist es nur geworden mit Hilfe des antiken Systems und in leidlicher Verschmelzung mit ihm. Eine solche Verschmelzung, großartig in äußerer Ausdehnung und Anordnung, voll Klugheit, ja Weisheit in der Abmessung der verschiedenen Aufgaben, aber mit einem innern Widerspruch behaftet und daher nur einer mittleren Höhe genügend, bildet die hierarchische Ordnung des Mittelalters.
D e r U m r i ß des L e b e n s s y s t e m s Die
Erschütterung
dieser
Ordnung
99
erfolgte
zunächst
durch
eine E r s t a r k u n g und Befreiung des Individuums, das sich dem hergebrachten auf
Zusammenhange
alte Christentum
das
entwand, zurückgriff
direkt
auf
die Antike
und bei stärkerem
und
Erleben
der Eigentümlichkeit beider sofort der Unmöglichkeit einer unmittelbaren Einigung inne wurde.
So fielen die beiden Welten auseinander,
und es kam damit in das Leben ein Zwiespalt, der bis zur Gegenwart fortwirkt.
Dann aber entstand auf dem neuen Boden
auch
ein eigentümliches Leben, und zwar von vornherein unter anderen Bedingungen alte
und
in
anderer
Richtung
S y s t e m f a n d kein andersartiges
als
im
Altertum.
Lebensganzes im
Das
Besitz,
das
es anzugreifen und zu verdrängen hatte, es durfte sich selbst f ü r das einzig mögliche, unbestreitbar richtige halten.
Das neue Leben
f a n d dagegen den Platz besetzt, es konnte sich selbst nicht bejahen ohne das andere zu verneinen, es mußte verwerfen und verdrängen, um seine eigne A r t zu entfalten. auf
überlegende Arbeit
gestellt
Schon deswegen ist es weit mehr und
hat
einen
höheren Grad
der
B e w u ß t h e i t ; es muß den eignen Weg mühsamer suchen und sich stärker
mit Zweifeln
plagen.
Über solche geschichtliche Verwick-
lungen hinaus greift aber der Zweifel bis in den Grundbestand des Lebens zurück.
Nach so vielen Wandlungen und
nach so schmerzlichen den
Glauben
Erfahrungen des
Erschütterungen,
Irrtums hat
daran verloren, unmittelbar
der
Mensch
von der Wahrheit
um-
fangen und von N a t u r zum rechten Ziel sicher gewiesen zu werden; er sieht sich auf die eigne Seele mit ihrem Denken als auf das Einzige
zurückgeworfen,
Aber die
was
ihm
in sonstiger
Verworrenheit
bleibt.
Seele steht nun allein auf sich selbst und ist von
großen W e l t
abgelöst.
des Zusammenhanges
So bildet den Ausgangspunkt der
jetzt
der statt
Gegensatz; es erscheint eine tiefe K l u f t
zwischen S u b j e k t und Objekt, deren Überwindung eine völlige Umwandlung des nächsten Weltbildes fordert. — von S u b j e k t und
Welt,
lichem. Gabe
des
Mit dem
Gegensatz
und Objekt verschärft sich zugleich der von Mensch von
Innerm
und Äußerm, von
Seelischem
und
Sinn-
Überall ist die Verbindung, die in der Antike wie eine Schicksals
zuzufallen schien, mühsam
erst
herzustellen,
und die Herstellung fordert eingreifende W a n d l u n g e n ; die geistige Arbeit gibt uns die Dinge wesentlich anders zurück als wir sie an sie brachten.
In besondern wird, wo harte Gedankenarbeit
durch
Zweifel und Zerlegung hindurch alles Erkennen zu vermitteln hat, 7*
100
D e r Kampf um d e n C h a r a k t e r d e s G e i s t e s l e b e n s
der erste E i n d r u c k der Dinge verblassen, der g a n z e
Umkreis
W i r k l i c h k e i t sich m e h r ins G e d a n k l i c h e , Ideelle verschieben.
der
So be-
g r ü n d e t sich jene W e n d u n g zur Ideellität, die als eine geschichtliche T a t s a c h e u n s s c h o n oben e n t g e g e n t r a t . Aber das alles e r g i b t m e h r V o r a u s s e t z u n g e n eines neuen Lebenss y s t e m s als ein solches
S y s t e m selbst.
Die W e n d u n g d a h i n
hat
sich erst allmählich vollzogen; b e h e r r s c h t e v o n A n f a n g an die Gemüter
eine E n t f a l t u n g der K r a f t des Menschen
an
der W e l t
um
ihn u n d in i h m , so h a t die K r a f t sich i m m e r selbständiger gestellt u n d schließlich in i h r e r
eignen B e t ä t i g u n g
ihre H a u p t a u f g a b e
ge-
f u n d e n , ihre eigne S t e i g e r u n g w u r d e d a m i t z u m h ö c h s t e n aller Ziele. Ohne
den G l a u b e n
an
eine
größere
eigne
Kraft
und
ihr
Recht
sich d u r c h z u s e t z e n h ä t t e m a n gar n i c h t w a g e n d ü r f e n , d a s so f e s t wurzelnde alte Leben a n z u g r e i f e n ; j e d e r E r f o l g a b e r w a r eine B e s t ä t i g u n g dieses G l a u b e n s . Dienst
Z u n ä c h s t m o c h t e sich die n e u e K r a f t in den
der a l t e n Ziele stellen u n d
Aneignung
der
überkommenen
nur
eine
Güter
E r s t a r k e n a b e r m u ß t e sie diese B i n d u n g f i n d e n u n d sich v o n ihr b e f r e i e n ; n u n
frischere u n d
erstreben.
Bei
vollere
weiterem
als eine H e m m u n g
suchte und
f a n d sie
empihren
Zweck in sich s e l b s t , n ä m l i c h in der eignen, ins U n e r m e ß l i c h e zunehmenden
Steigerung.
Mit solcher W e n d u n g
erhält
das
Leben
vom
Kleine eine n ä h e r e B e s t i m m u n g u n d Z u s p i t z u n g . a u f g a b e wird
nun,
die
gesamte
Wirklichkeit
Großen Seine
in u n s
bis
ins
Hauptaufund
außer
u n s i m m e r m e h r in B e w e g u n g zu b r i n g e n , sie m e h r u n d m e h r aus dem
Stande
bindung
der
und
Geistesleben
Zerstreuung
vollen dabei
und
Betätigung nicht
als
Hemmung
überzuführen.
ein
neuer
den
in
einer
Auch
wenn
Ausgangspunkt,
Verdas
sondern
als eine F o r t f ü h r u n g der N a t u r gilt, so h a t es doch gegenüber der niederen S t u f e eine besondere A r t u n d ü b e r s c h r e i t e t jene m i t seinen L e i s t u n g e n weit.
Zum
K e r n des Lebens wird
hier
die Bewegung
u m der Bewegung, d. h . des W a c h s t u m s der B e w e g u n g willen, seinen E r t r a g bildet d a s Mehr der B e w e g u n g , d a s M a ß seines wird der G r a d der K r a f t e n t w i c k l u n g , sein gesteigerten
Lebens.
Was
immer
hier
Glück die
d a s Leben
Gelingens
Empfindung
an Bestand
er-
h ä l t , das liegt n i c h t v o r der B e w e g u n g , s o n d e r n d a s ist aus ihr h e r v o r g e g a n g e n u n d von i h r a u s zu v e r s t e h e n ; als ein solches E r z e u g nis d e r B e w e g u n g a b e r b l e i b t es selbst v e r ä n d e r l i c h u n d darf
nie
als
Be-
endgültiger
Abschluß,
nie
als
bindende
Norm
weiterer
Der U m r i ß des Lebenssystems wegung entgegengehalten werden.
So w e r d e n n u n auch die F o r m e n
erweicht u n d in den F l u ß hineingezogen. harrenden Größen und Werte.
101
A u c h gibt es keine be-
D e n n als g u t k a n n hier n u r gelten,
w a s die Bewegung f ö r d e r t , die K r a f t sich freier u n d reicher f a l t e n l ä ß t ; dies a b e r wird n a c h den v e r s c h i e d e n e n
ent-
Lagen der Be-
w e g u n g verschieden ausfallen, so d a ß alles in W e c h s e l u n d W a n d e l gerät. die
W o d a s N ü t z l i c h e im Sinne des der B e w e g u n g Förderlichen
alleinige
über
alle
ihre
Norm
absolute
bedeutet,
da
Gestaltung
ist
der
Sieg
entschieden,
des
da
Relativismus
erhält
jede
Zeit
eigne W a h r h e i t u n d ihr eignes G l ü c k ; d a h e i ß t es n i c h t die
Zeit an einer ewigen W a h r h e i t blick
in
seiner
Besonderheit
sonderheit einzurichten,
zu messen, s o n d e r n zu
erfassen
und
jeden
nach
Augen-
diesfcr
Be-
die ganze H i n g e b u n g der Seele an diesen
Z e i t p u n k t zu setzen. So verzweigt
sich
das
Leben
ins
teilt sich seiner g a n z e n A u s d e h n u n g
Unendliche,
die
Spannung
m i t , jedes einzelne
gewinnt,
i n d e m es, ohne sich a b z u l ö s e n , seiner eignen A r t leben d a r f ; d a s Ganze der W i r k l i c h k e i t wird d a m i t reicher u n d freier, m e h r d u r c h sichtig u n d und
kein
beweglich. Ende,
keine
Kleinen z u ; ohne
D a b e i h a t diese Bewegung keinen A n f a n g Grenze
nach
dem
eine U n e r m e ß l i c h k e i t
Großen
nach
wie nach
dem
jeder R i c h t u n g ver-
m ö c h t e sie n i c h t sich als selbstherrlich u n d allgenugsam zu geben. So e r h ä l t den älteren packender
der L e b e n s p r o z e ß eine u n b e g r e n z t e A u s d e h n u n g , Daseinskreis als winzig erscheinen die E r ö f f n u n g u n e n d l i c h e r W e i t e n
l ä ß t ; ist
welche
äußerlich
in Zeit u n d
Raum,
so g r e i f t in die innere G e s t a l t u n g m e h r die W e n d u n g ins
Kleine,
die U n e n d l i c h k e i t des Kleinen. elementare und soll
molekulare
verstanden,
f r e i u n g der
vom
Kräfte,
gehoben werden.
Das D e n k e n wie d a s Leben g e h t auf
Vorgänge z u r ü c k :
Kleinsten durch
her
die
Herstellung
vom
Kleinsten
Wirklichkeit
neuer
mächtiges
Anschwellen
der
Lebensflut,
s c h l e u n i g u n g der Bewegung, eine u n a b s e h b a r e Erfahrungen und
Be-
Verbindungen
usw.
So in der T e c h n i k , so in der E r z i e h u n g , so in
S t a a t u n d Gesellschaft, so d u r c h d a s ganze Leben. ein
her
durch
eine
In d e m
allen
wachsende
Fülle
Be-
bestätigender
Leistungen d u r c h die g a n z e W e i t e des
Daseins.
Aber bei allen solchen Bestätiguftgen ist d a s S y s t e m der K r a f t e n t w i c k l u n g kein W e r k d e r bloßen E r f a h r u n g .
Auch dies
System
h a t seinen
G l a u b e n , der alle E r f a h r u n g u n d
Beweisführung
schreitet.
Es ist der Glaube an die A l l m a c h t der Bewegung,
überan
102
Der Kampf um den Charakter des G e i s t e s l e b e n s
ihr Vermögen, alles in Fluß zu bringen und auch die zähesten Widerstände schließlich zu überwinden; es ist der Glaube an einen Aufstieg zu immer größerer Höhe, an einen unablässigen Fortschritt, wenn nicht im Einzelnen, so doch im Ganzen. Mit diesem Glauben steht und fällt das System, alle von ihm enthaltene Tatsächlichkeit könnte nach seiner Erschütterung nicht mehr das Letzte und Ganze bedeuten. Solche Überzeugung bringt die Arbeit durchgängig in einen Gegensatz zur älteren Art. Nicht die Ordnung und Schönheit, sondern das Leben und die Kraft, nicht die ewigen Formen, sondern den unablässigen Wandel gilt es nun an den Dingen zu suchen und auszubilden. So kann die Wissenschaft nicht darin ihre Hauptaufgabe finden, aus dem Chaos und dem Fluß der sinnlichen Eindrücke einen umwandelbaren Kosmos, eine „ewige Zier" herauszuheben, vielmehr hat sie jetzt die gegebene, scheinbar ruhende Welt in ein Reich lebendiger Kräfte umzusetzen; die Begriffe eröffnen ihr nicht die Formen, sondern die Kräfte der Dinge. Das verlangt eine weit stärkere Umwandlung des ersten Befundes; das nächste Dasein ist als eine bloße Erscheinung aufzulösen, ein sicherer Standort erst zu erringen. Nur mühsame Analyse ermittelt die Elemente, die ein Durchschauen der Wirklichkeit möglich machen. Zugleich ergibt sich meist ein anderes Verhältnis der Teile untereinander und zum Ganzen als bei der älteren Art. Die Wirklichkeit besteht aus lauter einzelnen Elementen, aber diese Elemente sind nur miteinander, nur in gegenseitiger Verkettung, was sie sind, die Kraft entfaltet sich niefit ohne einen Gegenwurf, immer bleibt das Einzelne auf den Zusammenhang angewiesen und erhält aus ihm seine nähere Gestalt. Damit entfallen alle starren Begrenzungen und Abstufungen; die Zwischenbildungen, die Übergänge von der einen Form und Stufe zur anderen, von der älteren Art als eine Störung der Ordnung abgelehnt, werden hier ein willkommenes Zeugnis für das alles verbindende und durchflutende Leben. Das System der plastischen Anordnung weicht einem System aufsteigender Bewegung. In diesem System hat das Einzelwesen nicht eine naturgegebene Grenze zu wahren, sondern es schtint einer unbegrenzten Erweiterung fähig, die ganze Welt steht ihm offen. Das verändert nicht nur die Betrachtung, sondern auch das Leben, es ergibt andere Ideale der Bildung, andere Ordnungen der Gesellschaft.
Der U m r i ß des L e b e n s s y s t e m s Ein S y s t e m , gefundenen
d a s so viel v e r l a n g t
Stande
zusammenstößt,
und
103
so h a r t
kann
mit d e m v o r -
die W i d e r s p r ü c h e ,
das
D u n k e l u n d die U n v e r n u n f t des Lebens u n m ö g l i c h gering a n s c h l a g e n . Im Gegenteil wird es vielfach mehr
die E m p f i n d u n g d a f ü r s c h ä r f e n u n d Aber E i n e Ü b e r z e u g u n g s t e h t
K r a f t d a g e g e n beleben.
unerschütterlich fest:
ihm
die Ü b e r z e u g u n g , d a ß die K r a f t den W i d e r -
s t ä n d e n gewachsen sei, d a ß sie w e d e r v o n v o r n h e r e i n d u r c h sie gel ä h m t , noch Böse hier
in i h r e m
berührt
hier
ebensowenig
Fortgange
nicht ein
die
d u r c h sie g e b r o c h e n w e r d e ;
Elemente
radikales
Böse
des
wie
Lebens. die
das
So gibt
Antike
es
es
kannte.
Hier wie d o r t scheint alle U n v e r n u n f t schließlich sich in V e r n u n f t aufzulösen.
Hier ist es der G e d a n k e , d a ß eben die
die K r ä f t e zu größerer L e i s t u n g treiben u n d einer
stärkeren
Spannung
mehr
Widerstände
dem Weltprozeß mit
Eigenleben
verleihen,
wodurch
sich schließlich alle W i r k l i c h k e i t in ein Reich der V e r n u n f t zu verwandeln scheint. Schon
diese
unbeachtet
Grundzüge
konnten
mit
Mühe
einen
lassen, der die g a n z e W e i t e des n e u e n
Gegensatz
Lebenssystems
d u r c h d r i n g t ; jede n ä h e r e A u s f ü h r u n g m u ß sich n o t w e n d i g m i t ihm befassen.
D a s ist der Gegensatz einer idealistischen u n d einer rea-
listischen,
einer
spekulativen
und
einer
ur-
Dort
be-
ganze W i r k l i c h k e i t u n d d a m i t zugleich
die
s p r ü n g l i c h e n u n d einer abgeleiteten d e u t e t der P r o z e ß die absolute Wahrheit, der
Dinge
hier
entwickelt
untereinander,
hinter
einer
empiristischen,
Art d e s Prozesses. er sich denen
aus ein
den
Beziehungen
Sein
unzugänglich
liegen b l e i b t , seine W a h r h e i t wird d a m i t n u r r e l a t i v .
D o r t ist die
W i r k l i c h k e i t im K e r n e geistig, hier bildet d a s Geistesleben, n i c h t ein Erzeugnis, so doch eine bloße B e g l e i t u n g eines artigen und
den
Geschehens. Fortschritt
Bewußtheit,
das
Dort
wird
zur
des Weltprozesses
Sichselberfinden
des
Bildung wird der Gewinn alles G u t e n ,
Grundkraft
die
wenn anders-
Intelligenz,
bildet d a s W a c h s t u m Geistes,
der
der
intellektuellen
die H e i l u n g aller
Schäden
z u g e t r a u t ; hier s t e h t die E n t s c h e i d u n g bei n a t u r g e g e b e n e n K r ä f t e n , und
es h ä n g t alle geistige E n t w i c k l u n g a m materiellen
so d a ß d e r w i r t s c h a f t l i c h e F o r t s c h r i t t
Gedeihen,
z u m H a u p t z i e l des
wird, d e m auch d a s D e n k e n zu dienen h a t .
Dort
Strebens
erwächst
dem
Menschen die W e l t von innen h e r a u s d u r c h die Bewegung des D e n k e n s , hier aus der B e r ü h r u n g m i t der U m g e b u n g .
D o r t ist der
Prozeß
ein einheitliches Ganzes, u n d dies Ganze t r e i b t alle M a n n i g f a l t i g -
104
D e r K a m p f um d e n C h a r a k t e r d e s G e i s t e s l e b e n s
keit aus sich hervor, auch ist das Ganze jeder Stelle u n m i t t e l b a r gegenwärtig; hier liegt alle Wirklichkeit beim Einzelnen, und alles Ganze, das mehr sein will als eine Z u s a m m e n s e t z u n g der Elemente, wird als ein Unding verworfen. Dort vollzieht sich der Aufstieg durch eine Bewegung des Ganzen, das im Ausgehen und Zurückkehren, durch Satz und Gegensatz hindurch, mittels großer Umwälzungen seiner eignen Höhe z u s t r e b t ; hier durch ein Zusammenwirken der zahllosen Elemente, die ihre Wirkungen s u m mieren und d a m i t langsam, aber sicher ins Ungemessene weiterdringen. So und weit d a r ü b e r hinaus stoßen die beiden Richtungen h a r t zusammen, u m so unversöhnlicher, weil sie denselben P l a t z verlangen, weil sie denselben Grundgedanken v e r t r e t e n , der sich nicht durchbilden k a n n , ohne die eine oder die andere R i c h t u n g zu wählen. So reizen u n d treiben sie sich gegenseitig u n d machen auch innerlich aus dem Leben einen unaufhörlichen K a m p f . Aber durch alle Gegensätzlichkeit hindurch erhält sich und w i r k t dieselbe Grundrichtung, vor dem Streit liegen gemeinsame Behaupt u n g e n , sie kommen zu besonders deutlichem Ausdruck in der Verneinung, in der auflösenden u n d zerstörenden K r a f t , die beide vereint an allem Starren u n d Fremden üben. Gerade dieses Auseinandergehen des einen H a u p t s t r o m s in zwei Arme h a t s t a r k dahin gewirkt, alle Gebiete in die Bewegung hineinzuziehen u n d auch den ganzen Umkreis der Arbeit d a m i t zu ergreifen. Nicht n u r die Leistungen, auch die Probleme und Konflikte erweisen das Ganze als eine z u s a m m e n h ä n g e n d e Tatsächlichkeit. Viel zu viel ist durch die Entwicklung dieser Tatsächlichkeit zerstört, viel zu viel an neuen E r f a h r u n g e n und Bewegungen gewonnen, viel zu sehr der Lebensprozeß selbst v e r ä n d e r t , als d a ß sich nicht von hier aus Wirkungen dauernd b e h a u p t e n m ü ß t e n . Aber das System will nicht bloß eine Tatsache neben anderen, es will die letzte und ganze Wirklichkeit sein, und dieser Anspruch begegnet immer h ä r t e r e m W i d e r s t a n d , W i d e r s t ä n d e n nicht bloß von draußen her, die sich zurückschieben und der Z u k u n f t überweisen ließen, sondern W i d e r s t ä n d e n , die aus der Bewegung selbst entspringen, sich mit ihrem Fortgange steigern und ihr schließlich überlegen zu werden drohen. Sie h a b e n den Glauben an die Allm a c h t jenes Systems schon s t a r k e r s c h ü t t e r t , sie setzen ihr Zerstörungswerk unablässig fort, sie bereiten den Boden f ü r neue Ge-
Der Umriß des Lebenssystems staltungen.
105
O f f e n b a r h a t das S y s t e m der K r a f t e n t w i c k l u n g seine
H ö h e schon h i n t e r s i c h ; was u n s von a u ß e n h e r n o c h . a l s Gegenwart umfängt und
lebendige
auch die Z u k u n f t f ü r sich v e r l a n g t ,
das
m u t e t u n s innerlich o f t s c h o n a n wie eine f e r n e V e r g a n g e n h e i t . Die E r s c h ü t t e r u n g b e g i n n t , ähnlich wie bei der Auflösung des alten
Systems,
aus den
nicht
von
allgemeinen
Erwägungen
her,
sondern
E r f a h r u n g e n des M e n s c h h e i t s l e b e n s , v o r n e h m l i c h
aus
Immer zwingender
E r f a h r u n g u n d E m p f i n d u n g des Bösen.
der
macht
sich b e m e r k l i c h , d a ß die B e f r e i u n g der K r ä f t e n i c h t schon
einen
sicheren Z u s a m m e n s c h l u ß u n d die R i c h t u n g auf die V e r n u n f t verb ü r g t ; j e n e Befreiung, als einziges, letztes, u n b e d i n g t e s
genommen,
w i r k t in aller E r h ö h u n g des Lebens auch zur E n t f e s s e l u n g wilder Leidenschaften
und
duen
der Massen
als auch
feindlich
zerstörender
gegeneinander
V e r n u n f t des Lebens.
und
und
Selbstsucht
sowohl
der
Indivi-
Völker;
die
Kräfte wenden
sich
gefährden
im
Zusammenstoß
alle
Das stellt der g e g e n w ä r t i g e W e l t k r i e g wohl
j e d e m U n b e f a n g e n e n deutlich vor A u g e n .
Auch in d e n ä u ß e r e n Ver-
h ä l t n i s s e n h a t das Neue m i t aller F ö r d e r u n g so viele Verwicklungen und Ü b e l s t ä n d e erzeugt, der v e r m e i n t l i c h reinen V e r n u n f t ist so viel U n v e r n u n f t e n t s p r u n g e n , u n d es h a t sich beides so eng verschlungen, d a ß d a s V e r t r a u e n auf d a s Ganze zu v e r s c h w i n d e n d r o h t , j a weithin v e r s c h w u n d e n ist.
In solcher Lage a b e r zu scheiden u n d
zu
s o n d e r n , sowie den K a m p f gegen d a s a n h a f t e n d e , j a ü b e r w u c h e r n d e Böse
aufzunehmen,
dazu
lage u m g e s t a l t e n , dazu
müßte
das
System
auf seine h e r r s c h e n d e
dazu ein anderes werden
als es ist.
seine eigne Stellung
Grund-
verzichten,
So wie es ist, h a t es gegen
jene P r o b l e m e keine g e n ü g e n d e W e h r . Aber den
Kern
alle des
Erfahrung Ganzen
von
Schranken
unangetastet
des
lassen,
Vermögens bei
allem
könnte
Schmerze
wäre das Böse e r t r ä g l i c h , w e n n d a s Leben in seinem K e r n k r ä f t i g u n d w e r t v o l l verbliebe, w e n n wir aus aller N o t u n d
Unsicherheit
u n s in ein Gebiet sicherer W a h r h e i t zu f l ü c h t e n v e r m ö c h t e n . . auch
das
ward
dem
modernen
Leben
ungewiß.
Nur
Aber deshalb
w i r k e n alle einzelnen S c h ä d e n so s t a r k , weil sie einen Mangel u n d eine
Leere des
Ganzen
zur
Empfindung bringen.
Als
unzuläng-
lich, j a leer erweist sich schließlich ein S y s t e m a b s o l u t e n W e r d e n s , ein S y s t e m , d a s alles in d e n Wechsel u n d W a n d e l h i n e i n z i e h t n i r g e n d s einen
festen P u n k t
erreicht,
u m sich
dem
und
Strome
zu
e n t z i e h e n , ihm ewige W a h r h e i t e n zu e n t r i n g e n , die unsägliche
Ar-
106
D e r K a m p f um d e n C h a r a k t e r d e s G e i s t e s l e b e n s
beit für ein Selbstleben zu verwerten. In unaufhörlicher und unaufhaltsamer Flucht ziehen hier die Erscheinungen an uns vorbei und über uns hinweg, die Leistungen jagen einander, Individuen verdrängen Individuen, Völker die Völker, Zeiten die Zeiten. Wird uns aber gesagt, daß durch Freud und Leid, durch Werden und Vergehen, durch Vernunft und Unvernunft der Lebensprozeß zunehme und sich damit alles ins Gute kehre, so fragen wir entgegen, was ist dieser Lebensprozeß, dieses allverzehrende Wesen, dieser Moloch, dem wir Gut und Blut, Arbeit und Glück, Ehre und Gewissen zu opfern h ä t t e n ? Wer erlebt sich in dem Ganzen, wer hat etwas von dem Ganzen, wem frommt das Ganze? Fehlt dem modernen System die Antwort darauf, so ist ihm damit das Urteil gesprochen. Es fühlte sich glückselig im Bewußtsein des Fortschreitens und hing mit seinem Blick ausschließlich an der Zukunft. So sah es nicht die andere Seite, es sah nicht das unaufhörliche Versinken, nicht die Schmalheit der Linie, die seine Wirklichkeit trägt. Das alles kam nicht zur Empfindung bei frischer Jugendkraft, welche kühn die Zustimmung der E r f a h r u n g ' v o r a u s n a h m ; es wurde nicht beachtet, solange dem bloßen Prozeß noch aus anderen Zusammenhängen ein fester ^Bestand entgegenwirkte und einen Halt gegen die Verflüchtigung im ausschließlichen Werden bot. Aber jener Bestand ist mehr und mehr durch die Bewegung aufgezehrt, nun hat diese mit eigner Kraft für das Ganze aufzukommen, nun ist der Mangel an Gehalt, die Leere und Sinnlosigkeit des Ganzen nicht länger zu verkennen. Das um so mehr, als jene Bewegung mit ihrem Anschwellen den Durst nach Glück sehr gesteigert und dem Menschen anscheinend ein Recht auf die volle Befriedigung seiner Wünsche gegeben hat. Alles aber ist eher zu ertragen, Leid und Not, Enge und Druck, als eine Leere bei völliger Wachheit des Lebens und einmal erregtem Verlangen. Eine solche Lage muß überwunden werden und wird überwunden werden, so gewiß der Mensch nicht in die Fläche des Daseins aufgeht. ß. Das System der W e s e n s b i l d u n g . Eine Gegenwirkung gegen die Ausschließlichkeit des modernen Kultursystems ist schon lange im Gange. Von Anfang an enthielt das Leben der Neuzeit mehr als jene besondere Art, dies weitere Leben brachte mannigfachste Ergänzung und Berichtigung. Zu größerer Tiefe und Wärme wirkte das Christentum, zur
D e r U m r i ß des L e b e n s s y s t e m s Förderung
der
doch
das eine
dort
die
Kulturarbeit
bot
eben
enthalten,
d a s zu
F o r m , hier
die
sich
die
Kraft, dort
107
antike
was
dem
Ruhe,
Welt.
Schien
anderen
fehlte:
Ordnung,
Schönheit,
hier W e r d e n , Freiheit, L e b e n ; d o r t die B e w e g u n g v o m O b j e k t zum S u b j e k t , hier v o m S u b j e k t z u m O b j e k t u s w .
So s c h i e n e n sie zu-
s a m m e n das ganze Leben e i n z u n e h m e n u n d seine Gegensätze zugleichen. Polen
In
die
Wahrheit
Kulturarbeit
bewegt
der
sich
letzten
zwischen
diesen
Jahrhunderte.
aus-
beiden
Die
höchste
S t u f e einer Verschmelzung des Alten u n d Neuen h a t die klassische Literatur
Deutschlands
sönlichkeiten gefunden.
erreicht,
in W a h r h e i t Aber
das
und
es h a b e n
eine individuelle
ist
keine
Lösung
und
zu
des
f ü r alle.
s y s t e m e w i d e r s p r e c h e n e i n a n d e r viel zu s e h r , mittelbar aneinanderlegen
schöpferische Per-
Lösung
Problems
Jene
Lebens-
als d a ß sie sich u n -
gemeinsamem Werke
verbinden
k ö n n t e n , der Boden f ü r eine bleibende V e r s t ä n d i g u n g will erst gew o n n e n sein. gesamte
F e r n e r erschöpfen sie auch
Leben,
gewisse
Grenzen
a n t i k e n System g e m e i n s a m . hinweg, vollauf
beide wissen zu
die
begründen,
Natur
scharf
nötige
Selbständigkeit
miteinander
dem
nicht
modernen
und
das dem
Beide gleiten zu rasch ü b e r d a s Böse Innerlichkeit,
beide
abzugrenzen, zu
sind
die sie v e r f e c h t e n ,
das
freie
Handeln
beide
der
ethischen
geben;
beide
sind
nicht
nicht
gegen
die
Idee
nicht
die
im
tiefsten
Grunde
ungeschichtlich, d a s eine, weil es die Bewegung, d a s andere, weil es d a s B e h a r r e n u n t e r d r ü c k t , j a a u f h e b t .
So ist der Blick n i c h t
r ü c k w ä r t s , sondern v o r w ä r t s zu r i c h t e n , wir b e d ü r f e n einer L e b e n s o r d n u n g , erst v o n ihr aus w ü r d e sich in d e n Ordnungen
das Wahre
vom
gänglichen scheiden lassen.
Verfehlten, das
neuen
überkommenen
Bleibende v o m
F ü r eine solche O r d n u n g a b e r
Verbietet
sich als G e d a n k e n g e r ü s t die W e s e n s b i l d u n g ; p r ü f e n wir n u n , ob sie in W a h r h e i t geeignet
ist, ein
Ganzes der W i r k l i c h k e i t
einzuleiten
und d u r c h w e g die Dinge ihrer eignen Tiefe z u z u f ü h r e n . aa. Allgemeine Züge. Seine E i g e n t ü m l i c h k e i t g e g e n ü b e r d e n M i t b e w e r b e r n das
System
der
Wesensbildung
E i g e n s c h a f t e n , die hier
rasch
zunächst
betrachtet
bekundet
in
einigen
allgemeinen
sein
mögen;
es sei
uns
dabei gegenwärtig, d a ß W e s e n s b i l d u n g hier n i c h t die bloße Ausbild u n g eines schon
vorhandenen
Wesens, sondern
die
Urerzeugung
eines W e s e n s b e d e u t e t im G e g e n s a t z zu bloßen T ä t i g k e i t e n .
108
Der Kampf um den Charakter des
Geisteslebens
1. Das System der Wesensbildung mit seiner Erringung eines Wesens durch eigne T a t ist das erste, das beim Geistesleben zwischen begründendem Entwurf und näherer Durchbildung deutlich zu scheiden und zugleich eine Bewegung des Lebens bei sich selbst anzuerkennen vermag. Die älteren Systeme verwirren die Lage, indem sie beides zu sehr ineinanderschieben, sie unterscheiden nicht genügend zwischen weiterer u n d engerer Art und entbehren zugleich eines Antriebs, vom einem zum andern fortzuschreiten. Dies Durcheinander f ü h r t leicht zu einer Entzweiung beider Seiten und läßt die Arbeit zwischen ihnen schwanken. Bald sollen die allgemeinen Formen und K r ä f t e aus eignem Vermögen einen vollen Lebensgehalt erzeugen, ein s t a r k e r Glaube an die Macht freischwebender Gedankengrößen möchte aus bloßen Möglichkeiten Wirklichkeiten b e r e i t e n ; bald hingegen unterwerfen wir u n s einer dunklen und, starren Tatsächlichkeit und behandlen sie wie ein Reich der V e r n u n f t . Beides f i n d e t sich aber nicht selten miteinander vereint bei denselben Personen u n d in denselben Z e i t e n : Hangen an a b s t r a k t e n Prinzipien u n d blinder T a t s a c h e n k u l t ; an solchem Zwiespalt leidet auch unsere Zeit. So ist es nichts Geringes, wenn die Wesensbildung mit ihrer A n e r k e n n u n g der Zweistufigkeit des Lebens und einer inneren Bewegung in ihm darin Wandel zu schaffen versucht. 2. Die älteren Systeme vermögen dasjenige Verhältnis von selbsttätiger und gebundener Geistigkeit, das der Verlauf der Untersuchung als notwendig zeigte, nicht in sich a u f z u n e h m e n ; wohl a b e r vermag das die Wesensbildung. Dem antiken System verlaufen Selbsttätigkeit u n d Gegebenheit noch zu sehr ineinander, als d a ß jedes seine Eigentümlichkeit deutlich entfalten u n d der Gegensatz seine Probleme kräftig hervortreiben könnte. Das moderne Leben h a t die Scheidung vollzogen, aber ein bloßes K r a f t s y s t e m k a n n nicht beide Reiche nebeneinander anerkennen, es m u ß das eine dem anderen gänzlich einfügen wollen, sei es, d a ß die Selbsttätigkeit die Gegebenheit, oder d a ß die Gegebenheit die Selbsttätigkeit u n t e r sich zwingt, ein Unternehmen, das zu höchst gewaltsamen Verrenkungen der Wirklichkeit f ü h r t u n d schließlich notwendig mißlingt. Läßt das neue System hingegen ein volles Wesen erst aus d e m Z u s a m m e n s t o ß von freier u n d gebundener Tätigkeit gewinnen, so ist zugleich beides geschieden und aufeinander angewiesen. Diese Fassung des Verhältnisses g e s t a t t e t sowohl die Bedeutung freien
Der U m r i ß d e s L e b e n s s y s t e m s S c h a f f e n s als die M a c h t
der W i d e r s t ä n d e
des
109 Lebens
vollauf
zu
w ü r d i g e n , w ä h r e n d sich s o n s t leicht die Sache zu einfach a u s n i m m t u n d die A u f g a b e ü b e r r a s c h m i t Einem Zugriff gelöst w e r d e n soll. 3. Die W e s e n s b i l d u n g s e t z t W e r k u n d G r u n d l e b e n in ein richtigeres
Verhältnis und
bringt
zugleich
den
lebens m e h r zur G e l t u n g als die älteren Aufmerksamkeit und Tun
Charakter
Systeme.
des
Selbst-
Diese
wenden
einseitig d e m W e r k e zu u n d
versenken
sie in das W e r k ; das Leben e r s c h ö p f t sich ihnen in d a s Schaffen und
Schauen
des K u n s t w e r k s oder in
entfaltung.
Die
Zurückwendung
die F ö r d e r u n g
zum
Selbst,
der
der
Kraft-
Gewinn
des
Selbst f ü r die A r b e i t u n d seine B e f r i e d i g u n g d u r c h die A r b e i t werden hier zu
Nebensachen. — Wir sahen
die
Innerlichkeit,
W a h r h a f t i g k e i t des Lebensprozesses d u r c h solche einer
beherrschenden
und
zusammenhaltenden
G e f a h r g e r a t e n ; wir müssen erwarten, wenn grund rückt.
Kraft
und
Vernachlässigung
Einheit
in
schwere
d a h e r erhebliche W a n d l u n g e n
die W e s e n s b i l d u n g jenes P r o b l e m in den
davon Vorder-
Auch sie will den F o r t g a n g z u m W e r k u n d m u ß ihn
wollen, u m d e m Leben einen vollen G e h a l t u n d eine volle W i r k l i c h keit zu g e b e n .
D a ß aber d a s W e r k seine E i g e n t ü m l i c h k e i t
e r ö f f n e n , seine Z u s a m m e n h ä n g e
n i c h t f i n d e n , seine
n i c h t entwickeln k a n n , ohne sich v o m i h m g e g e n ü b e r eine S e l b s t ä n d i g k e i t uns überzeugt.
Ein
Heraustreten
Grundleben
nicht
Konsequenzen abzulösen
und
auszubilden, davon haben
wir
aus d e m
ersten
Lebensstande,
ein O b j e k t i v w e r d e n gegen u n s selbst, wird d a h e r auch hier g e f o r d e r t . A b e r bei der W e s e n s b i l d u n g verbleibt sätzlichkeit
innerhalb
des
das Werk
Lebensprozesses;
das
bei Selbst
auf in i h m zu w i r k e n u n d es zu sich z u r ü c k z u z i e h e n ;
aller
Gegen-
hört
nicht
verständlich
wird n u n , wie es sich in d e m W e r k erleben, aus i h m gewinnen u n d zugleich ihm überlegen bleiben k a n n .
Ein so f r u c h t b a r e s V e r h ä l t n i s
zum
Werk
Ganzen
des
Lebens
kann
das
nicht
erreichen,
ohne
sich selbst zu beleben u n d von innen h e r zu einer E i n h e i t z u s a m m e n z u s t r e b e n , ohne ein Verlangen, j e n e m G a n z e n g e w a c h s e n zu w e r d e n . W o i m m e r die A r b e i t in den G r u n d z u r ü c k r e i c h e n u n d d a s weiterführen durchlebt
soll,
und
da
muß
innerlich
in
solcher Weise
überwunden
das
w e r d e n ; zu
Werk dem
Selbst beseelt,
allen
aber
bedarf es der A n e r k e n n u n g einer W e s e n s b i l d u n g . 4.
Jedes
eigentümlichen
System
f i n d e t den
Gipfel seiner T ä t i g k e i t in einem
H ö h e p u n k t , der das Übrige b e h e r r s c h t u n d die A r t
des G a n z e n zu einem a n s c h a u l i c h e n A u s d r u c k b r i n g t .
Das
ältere
110
D e r K a m p f um d e n C h a r a k t e r d e s G e i s t e s l e b e n s
System hatte diesen Höhepunkt im plastischen Gestalten, das neuere entweder in der wachsenden Entfaltung der Naturkräfte oder in der logischen Bewegung des Denkprozesses, das System der Wesensbildung muß ihn im ethisch bestimmten Handeln suchen. Denn der Aufstieg zum Wesen erfolgt hier durch freie Tat, und es waltet dabei die Überzeugung, daß echte Freiheit ein festes Gesetz enthält, einen eigentümlichen Inhalt des Lebens erzeugt, ja eine neue Wirklichkeit jenseits aller Willkür der Individuen schafft. Das aber kann nicht geschehen, ohne daß der Mensch gegenüber aller Verflechtung in die umgebende Welt eine Aufgabe der reinen Innerlichkeit, gegenüber aller Vielheit der Betätigungen eine Bewegung des ganzen Lebens, gegenüber aller Abhängigkeit von fremden Ursachen eine eigne Entscheidung anerkennt; mit solcher Innerlichkeit, Einheit, Selbständigkeit empfängt er ein neues Leben, das ein Reich ethischer Größen aufbaut. Wo immer dies Handeln zu reiner Entfaltung und klarer Bewußtheit kam, da trug es in sich die Überzeugung, daß die neue Stufe allem anderen Leben unvergleichlich überlegen sei, und daß ein Leben ohne die Wendung dahin ohne Saft und Kraft, ohne Seele und Tiefe bleibe. So werden die Systeme, die nicht hier ihren Mittelpunkt finden, ungenügend. Das ist eine alte Überzeugung, dem, was Stoa und altes Christentum, Reformation und kritische Philosophie über die einzigartige Hoheit dieses Lebens gelehrt haben, ist kaum etwas hinzuzufügen. Aber die alte Wahrheit stellt zugleich ein immer neues und immer dringlicheres Problem. Die Wendung zur neuen Ordnung kann nicht aufkommen und erstarken ohne eine Losreißung und Entgegensetzung zum übrigen Leben, und es ist diese Umkehrung kein bloßer Durchgangspunkt, sie muß bleibend festgehalten werden, wenn das neue Leben seine Eigentümlichkeit wahren und den Kampf mit der Welt bestehen soll, statt von dem Fremden abgestumpft, geschwächt und schließlich verschlungen zu werden. Aber die notwendige Forderung enthält zugleich eine große Gefahr. Will jenes überlegene Leben sich nicht verengen, ja erstarren, so darf es nicht ausschließlich in dem Gegensatz verbleiben, es muß unter Festhaltung der Überlegenheit zur Breitie des Daseins zurückkehren und sie den neuen Zielen gemäß gestalten. Die ethische Idee muß die Seele eines eigentümlichen Lebenssystems, das Salz der Welt, der Sauerteig eines neuen Lebens werden. Hier bleibt bei aller Größe der Vergangen-
D e r U m r i ß des L e b e n s s y s t e m s heit
der Z u k u n f t noch viel zu t u n .
punkten beim
ethischen
Gegensatze
s i n n u n g der
An d e n
S c h a f f e n s verblieb und
die
111 klassischen
Höhe-
Bewegung viel zu
b e g n ü g t e sich v o r n e h m l i c h
damit,
sehr
die
Ge-
Individuen zu g e w i n n e n , ihnen einen f e s t e n H a l t
zu
g e b e n , sie aller U n r u h e u n d Unbill des n ä c h s t e n Daseins überlegen zu m a c h e n .
W a s n i c h t d i r e k t dieser A u f g a b e d i e n t e , das
dünkte
gleichgültig oder doch m i n d e r w e r t i g ; die B e s c h ä f t i g u n g mit ihm galt leicht als ein R a u b
an
wichtigeren Dingen.
So k a m es n i c h t zu
voller D u r c h d r i n g u n g der geistigen A r b e i t u n d voller des gemeinsamen
Lebens,
nicht
zum
Ausbau
der
Durchbildung
ethischen
Idee
zu e i n e m a l l u m f a s s e n d e n Lebensganzen, zugleich auch n i c h t zu einer V e r w a n d l u n g des g a n z e n M e n s c h e n . zusetzen. und
In der schweren
der s c h e i n b a r e n
dem harten
Kampf
Hier h a t weitere A r b e i t ein-
Erschütterung
Entwertung
aller
u m ein geistiges
aller geistigen
überkommenen
Leben u n d d e m
Idee sein,
deren A n e i g n u n g
dem
u n d seinem Leben einen W e r t geben wird. Notwendigkeit
der Sache,
die d u r c h
Menschen
in
Zweifel an
allem Sinn unseres Daseins m u ß u n d wird es schließlich ethische
Größen
Güter, doch
wieder
die Mut
D a h i n t r e i b t die innere
d a s Verlangen
nach
geistiger
S e l b s t e r h a l t u n g schließlich auch u n s e r e eigne N o t w e n d i g k e i t w i r d ; alle Irrung der
Individuen wird diese W e n d u n g n i c h t v e r h i n d e r n .
Die
E r f a h r u n g e n der J a h r t a u s e n d e u n t e r s t ü t z e n das, i n d e m sie zeigen, d a ß die ethische Idee, im Alltagsleben o f t v e r s p o t t e t ,
in schweren
Krisen sich d e r Menschheit s t e t s als der sicherste H a l t erwiesen h a t . Der e t h i s c h e n
Kräftigung möchte
auch d a s
b i l d u n g d i e n e n ; g e w i n n t es in d e r e t h i s c h e n
System
der
Idee eine
Wesensbelebende
Seele, so v e r m a g es seinerseits j e n e r einen breiteren G r u n d zu gew ä h r e n u n d ihr S t r e b e n n a c h W e l t b e h e r r s c h u n g zu f ö r d e r n .
Nur
in E r g r e i f u n g eines solchen Zieles k a n n die A r b e i t die Sinnlosigkeit der D u r c h s c h n i t t s k u l t u r
ü b e r w i n d e n , n u r so k ö n n e n
zur
Gemein-
s c h a f t des W i r k e n s wir u n s z u s a m m e n f i n d e n , die wir sowohl
der
G e b u n d e n h e i t einer kirchlich hierarchischen O r d n u n g als der F l a c h heit einer n a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h v e r b r ä m t e n A u f k l ä r u n g w i d e r s t e h e n . bb. Welt und Natur. So g r e n z t das System der W e s e n s b i l d u n g sich gegen die a n d e r e n S y s t e m e deutlich a b ; w e n d e n wir u n s j e t z t zu seiner eignen
Ent-
w i c k l u n g u n d sehen wir, wie sich u n t e r seinem E i n f l u ß d a s G r u n d g e s c h e h e n des Lebens, das Bild der W e l t , vor allem a b e r der m e n s c h -
112
Der Kampf um den Charakter des
Geisteslebens
liehe Kreis gestaltet. Welche Aufgaben jenes System enthält, und in welche Bewegung es den ü b e r k o m m e n e n S t a n d der Dinge bringt, das m u ß sich dabei P u n k t f ü r P u n k t e r w e i s e n . — Die Wesensbildung h a t ihre eignen Überzeugungen vom Leben u n d Sein. W o die Welt allererst in der W e n d u n g des Lebens zu einem vollen Beisichselbstsein, — das bedeutet u n s ja das Geistesleben — echte Wirklichkeit wird, da m u ß alles eine Beziehung zum Geistesleben besitzen, da k a n n es nichts schlechthin Außergeistiges geben. Mag in unserer E r f a h r u n g das Beisichselbstsein des Lebens als die s p ä t e F r u c h t einer langwierigen Weltbewegung erscheinen: schon von der Wurzel her m u ß ein Trieb dahin wirken, wenn das Ganze jene F r u c h t hervorbringen soll; mag ferner jene E r f a h r u n g eine erdrückende Ü b e r m a c h t des Untergeistigen sowie einen Stand der Zersplitterung u n d der Veräußerlichung zeigen, sie selbst bedeutet hier nicht die ganze Wirklichkeit, vielmehr m u ß gegenüber der Zersplitterung eine Einheit u n d gegenüber der Veräußerlichung eine Tiefe unablässig am Werke sein, wenn die W e n d u n g zum Wesen erfolgen soll, die in unserem Bereiche erfolgt. Nie könnte aus dem völlig Sinnlosen ein Sinn, ja auch n u r der Gedanke, das Verlangen eines Sinnes, nie aus der Zerstreuung toter Elemente ein lebendiges Selbst entspringen. Zugleich wird auch der Lebensprozeß fester in sich zusammengeschlossen u n d strenger auf sich selbst gerichtet. Er ist hier kein Verkehren mit einem fremden Sein, kein Suchen einer draußen befindlichen Welt. Sondern sein G r u n d t r i e b ist das Suchen seiner selbst, der Drang nach eigner Vollendung, nach Überwindung alles Unfertigen, Widersprechenden, Feindlichen im eignen Bereiche. In solchem Z u s a m m e n h a n g e bedeutet W a h r h e i t nicht eine Übereinstimmung mit einem jenseitigen, der Tätigkeit gegenüberliegenden Sein, sondern ein Einswerden mit sich selbst, das heißt aber eine Erreichung eignen Wesens, eine E r h ö h u n g des Lebens bei sich selbst, eine Aufbietung u n d Zusammenfassung alles seines Vermögens. Eine solche W a h r h e i t liegt nicht hinter, sondern vor uns, sie läßt sich nicht einfach entdecken, sie ist zu erringen, ja zu schaffen. So verstanden k a n n das Leben n i c h t einfach h i n n e h m e n , was immer von d r a u ß e n an es k o m m t , auch im A u f n e h m e n m u ß er alles verwandeln u n d erhöhen. D a m i t wird alles flüssiger, durchsichtiger innerlicher; das Ereignis vertieft sich zum Erlebnis, die äußere E r f a h r u n g f r e m d e r Dinge zu einer inneren E r f a h r u n g eignen Vermögens, eigner T a t e n , eigner Geschicke.
Der U m r i ß d e s L e b e n s s y s t e m s
113
A b e r m i t der A u f g a b e w ä c h s t auch der W i d e r s t a n d h ä l t n i s s e u n d die S p a n n u n g der A r b e i t . wesenhaften einem
der
Ver-
A n d e m Verlangen
eines
Lebens gemessen, s c h e i n t die v o r g e f u n d e n e Lage
sinnlosen
Dasein
auszuliefern;
eine
Selbstentfremdung
Lebens ließ eine W e l t e n t s t e h e n , die bei u n e r m e ß l i c h e r
uns des
Bewegung
u n d s t r e n g e r Gesetzlichkeit kein E i g e n l e b e n , k e i n e n Sinn, j a keine echte Wirklichkeit hat.
Diese W e l t ist u n s wie von d r a u ß e n a u f -
erlegt u n d g e h ö r t doch zu u n s e r e m eignen S e i n ; sie erscheint wie ein f r e m d e s G e w a n d u n d läßt sich doch n i c h t wie ein solches a b t u n ; wir müssen u n s e r eignes Wesen in ihr s u c h e n u n d k ö n n e n das n i c h t , o h n e ihren u n m i t t e l b a r e n K o n f l i k t e voll zur und
B e f u n d zu z e r s t ö r e n .
E n t f a l t u n g , so m u ß
W a h r h a f t i g k e i t allem a n d e r e n
der
Kommen
Drang
nach
solche Einheit
S t r e b e n überlegen werden
und
sich i n m i t t e n aller D u n k e l h e i t u n s e r e r W e l t s t e l l u n g u n d aller
Un-
g e w i ß h e i t u n s e r e r Begriffe k r ä f t i g , j a t r o t z i g b e h a u p t e n . Diese
Überzeugungen
erweisen
und
bewähren
sich
zunächst
a n u n s e r e r Stellung zur N a t u r wie auch
an d e m eignen Bilde
der
Natur.
das
des
Von
hier
aus
fällt
Licht
auf
Doppelverhältnis
Menschen zur N a t u r , wie es die geistige A r b e i t z e i g t : ein V e r h ä l t n i s d e r E n t f e r n u n g u n d der A n n ä h e r u n g , d e r A b s t o ß u n g u n d der Anziehung.
Die
Zwecke d u r c h
Austreibung
menschlicher
die W i s s e n s c h a f t m a c h t
Vorstellungsbilder
und
die N a t u r u n s f r e m d
und
u n z u g ä n g l i c h , ihre E l e m e n t e hüllen sich u n s in tiefes D u n k e l , ihre Unermeßlichkeit h i e r ist d a s teilnahmlos Erscheinung eine Seite.
spottet
aller
Versuche
Reich, wo jenseits Dinge und
alles
einer
Zusammenfassung;
Geschehens unergriffen
v e r h a r r e n , wo die s c h r o f f e Scheidung Sein zu
Recht
besteht.
und
zwischen
A b e r d a s ist n u r
die
Bliebe es gänzlich bei solcher E n t g e g e n s e t z u n g , so k ö n n t e
u n s die N a t u r u n m ö g l i c h soviel sein, wie sie i s t ; ein völlig F r e m d e s könnte fördern.
den
inneren
A u f b a u unseres
Lebens
nicht
im
mindesten
In W a h r h e i t h ä l t u n s d a s S t r e b e n fest, die N a t u r wieder-
zugewinnen
und
zu i h r ein inneres
Verhältnis
auszubilden.
Wir
h ö r e n n i c h t a u f , sie als ein Ganzes zu b e h a n d e l n , u n e r m ü d l i c h sind wir a m W e r k e , sie in G e d a n k e n g r ö ß e n u m z u s e t z e n , in Begriffe, die d e r A r b e i t des Geistes e n t s t a m m e n . ein
Gewebe
gängigen Gesetze
von
Beziehungen,
Kausalzusammenhang, zurück.
Außenwelt,
Alle diese
sondern
E u c k e n , Kampf.
Gebilde
III. AufJ.
D e n n wir v e r w a n d e l n
wir e r k e n n e n wir
Größen des
führen sind
Denkens;
in ihr einen sie
nicht sie
auf
sie in durch-
Kräfte
Mitteilungen sind
nicht 8
und der bloße
114
D e r K a m p f um den C h a r a k t e r d e s G e i s t e s l e b e n s
Umschreibungen,
sondern
Umwandlungen
des E m p f a n g e n e n .
Bei
Z u r ü c k z i e h u n g dieser geistigen L e i s t u n g als einer u n g e h ö r i g e n Z u t a t w ü r d e die N a t u r allen Z u s a m m e n h a n g rippe
auseinanderfallen.
Auch
verlieren u n d wie ein
die
Hoffnung,
da»
Ge-
Geistesleben
d u r c h den V e r k e h r m i t ihr zu e r w e i t e r n , zu l ä u t e r n , zu befestigen, ist n u r bei
F o r t f ü h r u n g des
Natur festzuhalten. und
sie zu u n s
herüberziehen,
Dürftigkeit kleinmenschlicher keit,
Kampfes um
eine Vergeistigung
der
N u r sofern wir u n s e r e K r ä f t e a n ihr messen
Unermeßlichkeit,
ihr
kann
Art
sie u n s von
b e f r e i e n ; ihre
Erhabensein
über
der
Enge
Ordnung,
unser
und
Festig-
Meinen
und
Begehren, sie k ö n n e n u n s n u r ergreifen u n d weiterbilden, sofern sie in u n s e r e n
G e d a n k e n k r e i s eingehen u n d ein S t ü c k u n s e r e s
Lebens w e r d e n . das
eignen
So ist es g e r a d e die D o p p e l h e i t des Verhältnisses,
Wechselspiel
von
Anziehung
und
Abstoßung,
wodurch
die
v e r m a g die W e s e n s b i l d u n g
den
N a t u r so tief auf das Geistesleben w i r k t . Im
eignen
Bereich der N a t u r
S t a n d der Vereinzelung u n d Z e r s t r e u u n g , die A u f l ö s u n g in Beziehungen,
die
starre
Gleichgültigkeit
der
Elemente
lauter
gegenein-
a n d e r , clie Gewalt des blinden K a m p f e s u m s Dasein voll zu w ü r d i g e n , das
Recht
der
exaktmechanischen
Erklärung
anzuerkennen
und
alle E i n m e n g u n g s p e k u l a t i v e r P r i n z i p i e n u n d M e t h o d e n in i h r biet abzuweisen. Wirklichkeit Grund
Ge-
Aber diese A r t des G e s c h e h e n s k a n n ihr n i c h t die
völlig e r s c h ö p f e n , sie
verlangen, sondern
auch
wird
nicht
in j e n e m
nur
einen
Geschehen
tieferen
selbst
mehr
f i n d e n , als j e n e E r k l ä r u n g a n e r k e n n t . W a s i m m e r die m e c h a n i s c h e T h e o r i e als letzte T a t s a c h e n
und
V o r a u s s e t z u n g e n h i n n i m m t , d a s v e r w a n d e l t sich der W e s e n s b i l d u n g in
Probleme;
schon
das
Bewußtwerden
ä n d e r t d a s Bild des G a n z e n . Naturprozeß r u h t : gängige
nicht
und den
die
Probleme
ver-
die W e c h s e l w i r k u n g d e r Dinge u n d die d u r c h -
Gesetzlichkeit
des
Geschehens,
f ü r eine d a s Ganze z u s a m m e n h a l t e n d e lung
solcher
Die Z u s a m m e n h ä n g e , auf d e n e n d e r
Formbildung
letzten
Kern
des
im
sie werden hier Einheit.
Reich
der
Geschehens,
Zeugnisse
Die K r a f t e n t w i c k -
Natur
sondern
bedeuten sie w e r d e n
hier zu
Ä u ß e r u n g e n , zu Seiten u n d S t u f e n eines A u f s t r e b e n s zur S e l b s t ä n d i g keit, einer Z u s a m m e n s c h l i e ß u n g
und
B e l e b u n g des Daseins.
Nur
so e r k l ä r t
des
Ganzen,
der
sich
Differenzierung,
der
Fortschritt
Spezifizierung,
das
Formbildung,
Wachstum das
i m m e r weiterer u n d f e s t e r e r L e b e n s k o m p l e x e aus d e m
Aufsteigen Strom
des
Der U m r i ß d e s L e b e n s s y s t e m s Geschehens,
das
unablässige
Hervorquellen
115
des
Seelenlebens
aus
der Natur.
Mit so g u t e m R e c h t d e r M e c h a n i s m u s d a s alles z u n ä c h s t
aus
Verwebung
der
sich selbst
hinaus
einer
weist
über
eines G a n z e n .
Elemente auf
versteht,
eine
diese
Einheit
und
Verwebung das
Wirken
So gewiß f e r n e r die B e w e g u n g im Reich des Leben-
digen n i c h t o h n e den K a m p f u m s Dasein v o r d r i n g t , so u n e n t b e h r lich der T r i e b u n d die Not der Einzelwesen zur A u f r ü t t e l u n g der Kräfte
und
zur
Ausnutzung
L e i s t u n g wird der K a m p f schaffende
Macht;
aller
Vorteile
ist,
mit
aller
solcher
u m s Dasein noch n i c h t die das
vielmehr
setzt
er
ein
ursprüngliches
Ganze
Schaffen
a n d e r e r A r t voraus, er ist der G e b u r t s h e l f e r , n i c h t der Vater, der Dinge.
So
Interessen
kommt
und
nicht
der ganze
Befund
Zwecke der s t r e i t e n d e n
der
Wesen
Natur
auf
z u r ü c k , die
die
Natur
ist m e h r als eine N ü t z l i c h k e i t s f a b r i k .
W o h l k a n n sich hier nichts
d u r c h s e t z e n u n d b e h a u p t e n , ohne d e n
Individuen zu n ü t z e n ,
das
besägt
keineswegs
ein
volles A u f g e h e n in diese
aber
Nützlichkeit,
es k a n n , j a es m u ß eine Ablösung von den Zwecken der n u r u m d a s eigne W o h l
besorgten
Individuen
erfolgen, u n d
eine
in sich
r u h e n d e O r d n u n g der Dinge sich allem Wechsel u n d W a n d e l , aller Hast
und
gegenüber
Leidenschaft aller
entwinden.
Ableitung
aus
Schließlich
dem
Werden
behauptet
ein
Verstehen
b e h a r r e n d e r Tiefe des Lebens, mit ihm d a s R e c h t einer baren
Erklärung
sowie
das
einer
künstlerischen
eines tieferen Erfassens der W i r k l i c h k e i t . verbleiben, die
schon
Forschung
Bewußtsein,
die
vor
Anerkennung
hastigem
einer e c h t e n
nisch-exakte
Erkenntnis
macht,
muß
sich
einmal
der
dem
einer g r ö ß e r e n
Abschluß
Wahrheit
und
gibt
zu d i e n e n .
zur
letzten
Leben
und
Grenze Welt
aus
unmittel-
Anschauung
M a g dabei
sich
als
viel D u n k e l
Tiefe der
behütet
Kunst
Wer
die
der
das
mecha-
Wirklichkeit
überaus
dürftig
ge-
stalten. Ist a b e r
Blick nach
dieser
R i c h t u n g gelenkt,
so
g e w i n n t an Z u s a m m e n h a n g u n d an B e d e u t u n g a u c h , was sich im Seelenleben der
der einzelnen
Selbsterhaltung,
Teilnahme
zeigt.
Naturwesen
an
B&freiung v o m
a n freiem Spiel der K r ä f t e , a n Mag j e n e
B e f r e i u n g selbst
auf
Zwange
gegenseitiger
der
Höhe
der
Tierwelt sich r e c h t bescheiden a u s n e h m e n , m a g die Intelligenz n u r selten
und
mögen
Liebe u n d A u f o p f e r u n g noch so s e h r mit N a t u r t r i e b e n
flüchtig
sich
dem
Zwang
des
Begehrens
entwinden, ver-
q u i c k t sein, auch bei geringer A u s d e h n u n g bleibt die T a t s a c h e be8*
116
D e r K a m p f um d e n C h a r a k t e r d e s G e i s t e s l e b e n s
merkenswert als eine Ankündigung eines neuen Lebens und eine Vorstufe einer anderen Ordnung der Dinge. cc. Der Mensch.
Sicherlich gehört auch der Mensch zur Natur; ihn davon losreißen und ihn lediglich auf sich selbst verweisen, heißt weniger vom Menschen groß als klein von der Natur denken. Aber den Menschen im Zusammenhang mit der Natur verstehen, kann d a , wo die Natur selbst nur eine Stufe der Wirklichkeit bildet, nicht ihn ausschließlich aus der Natur verstehen heißen. Das Neue aber, das ihn auszeichnet, findet die Wesensbildung nicht in einem bloßen Mehr der seelischen Anlagen und Leistungen, etwa in einer beweglicheren Intelligenz, einem feineren Gefühl, einem kräftigeren Wollen. Wer darin allein den Vorzug des Menschen setzt, unterscheidet ihn vom Tier nicht wesentlich. Vielmehr ist alles solches Mehr nur wertvoll als Erscheinung und Erweisung einer wesentlich neuen Art des Lebens. Es erfolgt eine große Wendung dadurch, daß beim Menschen ein Beisichselbstsein des Lebens innerhalb unserer Welt erwacht, daß hier ein ursprüngliches Leben und Schaffen durchbricht, neue Größen und Güter erzeugt, eine sich selbst angehörige Wirklichkeit aufbringt. Der rastlose Strom der Bewegung kommt hier zum Stehen, und dem blinden Naturgetriebe entringt sich ein Verlangen nach einem Sinn und Gehalt des Lebens. Das verwandelt die Lage von Grund aus und hält gänzlich neue Aufgaben vor. Jenes neue Leben ist ein Weltleben, es verlangt eine Ablösung von der Enge einer besonderen Natur, eine Teilnahme an der Weite und Wahrheit des Alls. Und zwar muß das Leben diesen Weltcharakter nicht als zweiten, sondern als ersten, nicht als mühsam erschlossenen, sondern als ursprünglich und unmittelbar wirksamen Zug besitzen. Aller Spaltung, aller Entgegensetzung muß hier eine umfassende Einheit vorangehen und überlegen bleiben. Aber das bedeutet nicht eine bloße Hingebung an die Welt um uns, eine Beruhigung bei der vorgefundenen Ordnung der Dinge. Denn eine Welt des Beisichselbstseins, eine Tatwelt, enthält bestimmte Ansprüche und erzeugt einen energischen Kampf gegen alles bloße Dasein, in der Forderung der Ursprünglichkeit liegt auch die einer neuen Welt. Soll der Mensch diese neue Ordnung heraufführen helfen, so muß er sich von der Verkettung mit der alten Welt befreien und aus einem bloßen Niederschlag
Der Umriß des Lebenssystems der
Geschichte
werden.
und
Umgebung
ein
Keim
¡17
selbständigen
Lebens
Es e n t s t e h t hier bei aller F e s t h a l t u n g des W e l t c h a r a k t e r s
ein völlig anderes Lebensideal als d a s des P a n t h e i s m u s mit seinem S t r e b e n , die W i r k l i c h k e i t so wie sie ist als v o l l e n d e t und
dem
Menschen
die
Befriedigung
h ö c h s t e W e i s h e i t zu e m p f e h l e n . Problem
bei
dieser
darzustellen
Wirklichkeit
als
D e n n wo der W e l t s t a n d selbst zum
w i r d , d a gilt es n i c h t n u r zu billigen, sondern auch zu
v e r w e r f e n , n i c h t bloß zu lieben, s o n d e r n auch zu h a s s e n .
Aus der
matten
des P a n -
Friedfertigkeit und
bequemen
Vertrauensseligkeit
t h e i s m u s wird hier d a s Leben zu einem u n e r b i t t l i c h e n K a m p f gegen d a s Niedere u n d
Böse a u f g e r u f e n ; es wird seinen K e r n n u n
nicht
m e h r in irgendwelcher, sei es ä s t h e t i s c h e r , sei es s p e k u l a t i v e r , Betrachtung,
sondern
in
Tätigkeit finden.
einer
seinen
ganzen
Umkreis
H i e r f ü h r t ein W e g z u r
bewegenden
Selbstbehauptung
nur
d u r c h die enge P f o r t e der Seltostverneinung; als T e i l h a b e r a n d e m Kampf Dinge
der W e l t e n s t e h t der Mensch i n m i t t e n der U r s p r ü n g e und
hat
eine
Freiheit
jenseits
alles
natürlichen
der
Daseins.
Die geistige U n m i t t e l b a r k e i t , die d a m i t a u f k o m m t , ist die einzige w a h r e U n m i t t e l b a r k e i t ; sie allein ergibt eine w a h r h a f t i g e G e g e n w a r t und
ein selbsteignes Leben.
solches
nur
scheinbar.
ständigkeit
besitzen,
Umgebung
hängen,
Denn
die gegebene W e l t
Wo
die
einzelnen
Elemente
sondern
im
Tun
Ergehen
die
sinnliche
da
mag
und
bietet ein keine
ganz
Empfindung
Selb-
an
eine
der Un-
m i t t e l b a r k e i t v o r t ä u s c h e n , das kausale E r k e n n e n wird bald solchen Schein zerstören u n d
u n s nach allen
Seiten h i n
abhängig
zeigen.
E n t w e d e r m u ß der F o r t g a n g der K u l t u r d a s Leben i m m e r bedingter, verwickelter, seelenloser m a c h e n ,
eine geistige
Ur-
s p r ü n g l i c h k e i t , welche d e m Verlust einen Gewinn e n t g e g e n h ä l t
und
das
Leben
vor
jener
inneren
oder es b e s t e h t Auflösung
schützt.
Die
Gegeben-
heit s t r e n g auf ihre eigne A r t b e s c h r ä n k e n , das h e i ß t ihr allen I n h a l t n e h m e n u n d die U n m ö g l i c h k e i t eines Abschlusses bei ihr e r k e n n e n . Wie
überhaupt
erst
mit
der
Wesensbildung
die
Geistigkeit
eine S e l b s t ä n d i g k e i t u n d Sicherheit gegen d e n N a t u r p r o z e ß e r l a n g t , so
kommen
prägung
und
auch
ihre Ziele u n d
Wirkung.
Selbsterhaltung und seins. Arbeit
Auch unter
auf die
es sich n i c h t u m
In
der
Güter nun Natur
dient
erst zu voller alles
Streben
Ausder
S e l b s t e n t f a l t u n g i n n e r h a l b der Fläche des D a geistigem
Gebiet
Aufgabe der ein gegebenes
stellt
die
Selbsterhaltung,
Wesensbildung
alle
a b e r hier
handelt
Selbst, d a s u n s mit der
blinden
118
Der Kampf um den Charakter des
Geisteslebens
Tatsächlichkeit eines Naturtriebs umklammert, sondern um ein Selbst der Freiheit, in dem unsere eigne Tat steckt, und hier bewegt uns nicht unsere Stellung in der Gegebenheit, sondern unsere Zugehörigkeit zu den schaffenden Gründen der Wirklichkeit; es ist ein K a m p f n i c h t u m d a s p h y s i s c h e , s o q d e r n u m e i n m e t a p h y s i s c h e s S e i n , um die Erhaltung einer Persönlichkeit, und dieser Kampf weist über das Reich der Erfahrung hinaus-in eine unergründliche Tiefe. Es gelangt damit auch philosophisch zur Anerkennung, was die Religionen von dem unvergleichlichen Werte der Seele und ihrer Rettung lehren; es erhellt zugleich, wie weit die Güter der neuen Ordnung die der alten überragen. Wie verschwindend erscheinen gegenüber der Frage, ob auch an dieser Stelle ein ursprüngliches Leben' aufgenommen und eine Teilnahme an seiner Unendlichkeit gewonnen wird, alle Erfahrungen, Gewinne und Verluste auf jener Fläche des Daseins; nicht bloß dieses oder jenes wird hier unzulänglich, sondern das Ganze bleibt hinter den geistigen Forderungen der menschlichen Art weit zurück; deutlich empfunden wird hier die Flachheit und Nichtigkeit alles und jedes Nützlichkeitsstrebens, sei es von noch so gefälliger Form. Jenes Ringen um ein geistiges Selbst, um die Behauptung des dem Menschen anvertrauten Lebenskeimes, vermag unbegrenzte Kraft zu entzünden, ja die Welt aus den Angeln zu heben; solche Kämpfe-, solche Not und Sorge um das ewige Heil der Seele können völlig gleichgültig machen, was in jener anderen Ordnung zum Vorteil oder Nachteil gereicht. Gewinnt so das Leben des Menschen eine größere Tiefe, so wird auch das gegenseitige Verhältnis ein wesentlich anderes als im bloßen Dasein mit seiner Richtung auf sichtbare Leistungen. Alle echte Teilnahme und Liebe wird nicht durch das begrenzt und bedingt, was der Mensch der Erscheinung aufweist, sie ergreift dahinter den Keim eines ursprünglichen und unendlichen Lebens, sie schöpft daraus immer neue Kraft und neuen Mut gegenüber allen Mißständen der vorhandenen Lage. So allein wird es möglich, den Menschen, wie er ist, zu durchschauen und nicht an ihm zu verzweifeln, mit klarer Menschenkenntnis Glauben und Wärme für das Menschenwesen zu verbinden. Denn über die Unzulänglichkeit, ja Kleinlichkeit des menschlichen Durchschnitts besteht unter den Denkern kaum ein Streit; diese Unzulänglichkeit macht es unmöglich, innerhalb jenfer Lage erheblich weiter zu kommen; ent-
Der U m r i ß d e s L e b e n s s y s t e m s weder t ä u s c h e n
ü b e r solche
119
Verwicklung P h r a s e n
von
Fortschritt
u n d M e n s c h e n w ü r d e h i n w e g , oder es erfolgt eine A n e r k e n n u n g j e n e r neuen W e l t u n d einer g r ö ß e r e n Tiefe i m Menschen.
D a n n werden
auch die W o r t e L u t h e r s v e r s t ä n d l i c h u n d e r h a l t e n ein g u t e s R e c h t : „Ein
christlicher
Wandel
und
Liebe
steht
nicht
darin,
daß
sie
f r o m m e , gerechte, heilige Menschen f i n d e , sondesn d a ß sie f r o m m e , g e r e c h t e , heilige M e n s c h e n m a c h e . " So bildet j e n e G r u n d t a t s a c h e ein A x i o m , m i t d e m alle W a h r h e i t u n d alle A r b e i t des Lebens s t e h t u n d f ä l l t . Aber die T a t s a c h e stellt sich zugleich als eine s c h w e r e A u f g a b e d a r .
Der bloße V o r s a t z besagt
hier wenig, ein einziger heroischer E n t s c h l u ß m ^ c h t u n s n i c h t jene W e l t zu eigen. ist, weiter näheren
So n o t w e n d i g eine A u f r ü t t e l u n g des g a n z e n W e s e n s
bedarf
Inhalt
es z ä h e r
m i t der menschlichen lichen A r b e i t . Geschichte
Arbeit
erschließt
das
Art
und
langer
Erfahrung;
Beisichselbstsein
erst
seinen
im
Ringen
u n d d u r c h die E r f a h r u n g der
mensch-
D e n n d e r K e r n derselben u n d der H a u p t e r t r a g der
liegt
darin,
was
durch
Leistung
und
Erlebnis,
Erfolg u n d Mißerfolg a n V e r l i e f u n g u n d E r w e i t e r u n g des
durch Beisich-
selbstseins, an E r s c h l i e ß u n g einer W e l t des Geisteslebens gewonnen wird.
Diese S e l b s t e r f a h r u n g unseres W e s e n s u n d
scheidet
letzthin
wie ü b e r die
Bild der W i r k l i c h k e i t . Abhebung einer
der
kräftigen
Abhebung setzung
des
Zu j e n e r
Geistigkeit Scheidung Geistigen
verbleiben
Richtung
E r f a h r u n g bedarf es a b e r
von der m e n s c h l i c h e n innerhalb besagt
soll, es m u ß
Vermögens
unseres
nicht, zum
daß
Art, damit
Lebens. es in
anderen
Geschichte
ein
Sichfliehen
und
das einer aber
Aber
der
jene
Entgegen-
zurückkehren
in A u s e i n a n d e r s e t z u n g m i t ihm sich selber w e i t e r b i l d e n . die
ent-
der A r b e i t so ü b e r
Sichsuchen,
und
So zeigt
ein
Wechselspiel
von A b s t o ß u n g u n d A n z i e h u n g , v o n E n t f e r n u n g u n d
Annäherung.
W o d a s Geistesleben rasch m i t der menschlichen
Art
zusammen-
r i n n t u n d die V e r m e n g u n g in alles S c h a f f e n h i n e i n t r ä g t , da h a f t e t überall
Kleinmenschliches
an -und
verstrickt
alle W i r k l i c h k e i t
in
seine E n g e ; wo a b e r die n o t w e n d i g e S c h e i d u n g zu einer s c h r o f f e n und starren
S p a l t u n g wird, d a e n t f ä l l t die bewegende
Kraft,
da
wird d a s Leben i m m e r blasser, m a t t e r u n d leerer, da f e h l e n d e m Geistigen schließlich alle b e j a h e n d e n Züge. Dieser
Gegensatz
alle einzelnen Gebiete.
erstreckt
sich
vom
Ganzen
des
Lebens
in
So h a t z. B. die Religion u n a b l ä s s i g ihren
W e g zwischen einer a n t h r o p o m o r p h e n
F a s s u n g zu s u c h e n ,
die-den
120
Der Kampf um den Charakter des
Geisteslebens
sinnlichen Vorstellungen und den natürlichen Begehrungen des Menschen folgt, und einer Ablösung und Entgegensetzung des Göttlichen gegen alles Menschliche, die allen Zusammenhang preisgibt und das Göttliche schließlich uns ganz entfremdet. So muß überall sowohl die Kleinheit als die Größe des Menschen, sowohl sein Gegensatz als seine Zugehörigkeit zur Geisteswelt Anerkennung finden; jede Vernachlässigung einer dieser Seiten gereicht dem Ganzen zum Schaden. Das aber sind die Höhenpunkte in Leben und Geschichte, die großen Feste der Menschheit, wo eine Einigung die Spaltung überwindet und sich als überlegene Macht in volltätigem Schaffen, im Aufbau neuer Wirklichkeiten bewährt. So entfaltet sich, was wir an Wesensbildung erreichen, immer nur in hartem Kampfe nach außen wie nach, innen; schon die Form des Lebens zeigt einen schroffen Zusammenstoß. Das Dasein bildet ein Gewebe mechanischer Kausalität, die Verkettung, das Miteinander und das Nacheinander bestimmt alles Einzelgeschehen. Nur unklares Sehen kann in diesem Netze Lücken entdecken und damit der Willkür einen Spielraum zugestehen, in diesem Gebiete herrscht unbestreitbar der Determinismus. Aber er gerät ins Unrecht, wenn er unbedenklich jenes Reich als das Ganze der Wirklichkeit behandelt und damit für selbstverständlich erklärt, was zum mindesten ein offnes Problem ist; ihm widerspricht nun die Wesensbildung mit der Behauptung einer Ursprünglichkeit des Handelns und der Erzeugung einer Wirklichkeit aus solcher Tätigkeit, ihre Entwicklung ist eine Erweisung der Freiheit, eine Überwindung der Gebundenheit. Aber diese Freiheit, eine Grundtatsache des Menschenlebens, wird zugleich immer von neuem zur Aufgabe, sie will immer erst erworben und angeeignet sein. Der Mensch kann nicht mit raschem Entschluß sich der Notwendigkeit entledigen, die ihn aus Natur, Gesellschaft und Seele umklammert; sie hält ihn fest begrenzt und beherrscht sein Handeln. Das verhindert freilich nicht die Möglichkeit der Freiheit; diese kann voll geweckt alle Hemmungen durchbrechen, alle Wirkung von Vererbung und Umgebung zu bloßer Anregung und bloßem Antrieb herabsetzen, die sich überwinden und umwandeln lassen, sie kann das Zentrum des Lebens hinter den Bereich der Gebundenheit zurückverlegen und jenes alles zur bloßen Außenseite machen. Aber sie kann das nur in hartem Zusammenstoß mit dem anderen, in Aufrüttelung und Erschütterung des ganzen Daseins, mit immer neu
Der Umriß des Lebenssystems beginnender ablässigen damit
Arbeit.
Kampf
allererst
So g e s t a l t e t
zwischen
sich
Freiheit
eine w a h r h a f t i g e
das
und
121
Leben zu einem
Schicksal u n d
Geschichte,
ja
eine
es
un-
erhält
dramatische
S p a n n u n g ; es k a n n in ihm eine T r a g i k d a r a u s e n t s t e h e n , d a ß innere W e n d u n g e n erfolgt sind, sie aber im Verlauf d e m zähen W i d e r s t a n d des Gegners u n t e r l i e g e n , so d a ß der Mensch von der e r k l o m m e n e n Höhe wieder zur Niederung zurücksinkt. W a s a b e r v o m Leben des E i n z e l n e n , d a s gilt auch v o m geschichtlichen
Leben d e r M e n s c h h e i t .
welt-
Auch hier sehen wir einer-
seits alles k a u s a l v e r b u n d e n u n d v e r s t e h e n wir d a s S p ä t e r e als die n o t w e n d i g e Folge des F r ü h e r e n .
Aber auch hier e r k l ä r t das n u r die
A u ß e n s e i t e der Dinge, n i c h t ihren geistigen C h a r a k t e r , n i c h t irgendwelche
lebendige
stung.
So g e w i ß alles Große seine B e d i n g u n g e n u n d V o r a u s s e t z u n g e n
in
Gegenwart,
Vergangenheit
und
nicht
irgendwelche
U m g e b u n g h a t , in seinem
schaffende
Lei-
K e r n ist es
ur-
s p r ü n g l i c h e r u n d u n m i t t e l b a r e r A r t , u n d b e d e u t e t es n i c h t sowohl eine W i r k u n g der Zeit als eine G e g e n w i r k u n g wider die Zeit, ein A b w e r f e n des
Bloßzeitlichen, eine
sich gültige W a h r h e i t . heit;
so e n t h ä l t
das
zwischen
Freiheit
Schelling
mit
wendigkeit
und
Das a b e r v e r s e t z t in d a s Reich der Leben
und
gutem
Versetzung in eine zeitlose,
der Menschheit
Schicksal. Recht:
Freiheit
würde
Von
„Ohne
den
nicht
einen s t e t e n
diesem
Philosophie
FreiKampf
Gegensatz
Widerspruch
an
von
allein,
sagt Not-
sondern
jedes h ö h e r e Wollen des Geistes in den Tod v e r s i n k e n . " E i n G e g e n s a t z u n d ein K a m p f e n t w i c k e l t sich auch des n e u e n
Lebens.
Hervorbringung
Je entschiedener
einer
selbständigen
innerhalb
die W e s e n s b i l d u n g Wirklichkeit
auf
bestehen
der muß,
desto, m e h r gibt die T a t s a c h e ihr zu t u n , d a ß d a s Geistesleben f ü r u n s M e n s c h e n zu einer vollen D u r c h b i l d u n g u n d V e r k ö r p e r u n g n u r d u r c h ein E i n g e h e n in die W e l t der E r f a h r u n g g e l a n g t . lich
erscheint
stellt d a s
hier
folgender
Widerspruch.
Die
Vornehm-
neue
Ordnung
I n d i v i d u u m v o r a n als die S t ä t t e , wo allein die
welt u n m i t t e l b a r
d u r c h b r i c h t ; von hier m u ß
her alles z u r ü c k k e h r e n , was a n n e u e m
Lebens-
alles b e g i n n e n ,
Leben e n t s t e h t .
hier-
Aber zu-
gleich ist d a s I n d i v i d u u m u n f ä h i g z u m A u f b a u einer W e l t .
Wohl
m a g es in seiner S t i m m u n g Unendliches f ü h l e n u n d t r ä u m e n , sich f r e i ü b e r alle W e l t e n e r h e b e n , seine A r b e i t ist e n g b e s c h r ä n k t , sie fordert strenge
K o n z e n t r a t i o n auf
einen b e g r e n z t e n
Vorwurf.
Soll
dteser W i d e r s p r u c h n i c h t d a s Leben zerstören, so h a t sich die gei-
122
Der Kampf um den C h a r a k t e r d e s G e i s t e s l e b e n s
stige A r b e i t ü b e r d a s I n d i v i d u u m h i n a u s e i g e n t ü m l i c h e F o r m e n zu s c h a f f e n ; sie t u t d a s in der H e r v o r b r i n g u n g der Geschichte u n d der Gesellschaft, i n d e m sich d o r t einander verbindet
und
das N a c h e i n a n d e r , hier d a s
eng z u s a m m e n s c h l i e ß t .
Neben-
Solcher
Gemein-
s c h a f t wird d a s s o n s t Unmögliche möglich, hier v e r m a g d a s geistige Leben
als
Ganzes
wird
der
Aber
solche
einer
inneren
zu wirken
unerträgliche
Begründung
von
Notwendigkeit
ihre S c h r a n k e n .
und
Zwiespalt
als im
Ganzes eignen
Geschichte
unseres
zu
gewinnen,
Bereich und
Wesens
hier
aufgehoben.
Gesellschaft
bezeichnet
aus
zugleich
N u r in s t e t e r R ü c k k e h r z u r E w i g k e i t u n d
Inner-
lichkeit k ö n n e n sie leisten, w a s sie hier leisten sollen; w e r d e n sie bei sich selbst
abgeschlossen
u n d festgelegt, so verfallen sie
den
F o r m e n der G e g e b e n h e i t , der V e r ä u ß e r l i c h u n g u n d der Z e r s t r e u u n g . A l s d a n n v e r s c h w i n d e t die K r a f t , welche die Geschichte d u r c h Auss c h e i d u n g des Bloßzeitlichen a n ihr innerlich z u s a m m e n h ä l t ; alsdann b e d r ü c k t u n d s c h ä d i g t u n s die V e r g a n g e n h e i t m e h r fördern vermag. der
Arbeit
als sie u n s zu
F e r n e r f e h l t d a n n der gesellschaftlichen
die
Gegenwirkung
b e r ü h r e n sich a b e r
einer
die einzelnen
j e d e r P u n k t auf seine besondere
Kreise n u r
der Geschichte
das
und
scheinung herabzusetzen. rechnung, Sichten, der
sondern
es
Ausscheiden,
bloße N e b e n e i n a n d e r
und
der Geist
fcloße
hat
Nacheinander
der Gesellschaft zu
Sinnliche a n ihnen zur bloßen
Er-
Dazu a b e r g e n ü g t n i c h t eine leichte U m -
fordert
eine
gründliche
Zusammenfassen,
Selbstgenügsamkeit
Geschichte
wird
L e i s t u n g e i n g e s c h r ä n k t , so s i n k t
So gilt es i m m e r w i e d e r d a s
überwinden, das Endliche und
Einheit;
äußerlich, u n d
d a s Ganze zu e i n e m seelenlosen M e c h a n i s m u s , u n d keinen G e w i n n .
Teilung
zusammenhaltenden
einen
Umwandlung, harten
kämpf
des geschichtlich-gesellschaftlichen
Gesellschaft f ö r d e r n
die
Vergeistigung
lichkeit n u r n a c h d e m M a ß des u r s p r ü n g l i c h e n
ein mit
Kreises.
der
Wirk-
Lebens, d a s
ihnen
g e g e n ü b e r e n t f a l t e t w i r d ; d a s Geistesleben bildet sich a n der
Ge-
schichte u n d a n d e r Gesellschaft, aber n i c h t aus ihnen, n i c h t
als
ihr Erzeugnis. W i e in solchen
Bewegungen
mehr
und
mehr
Geistigkeit
zur
A n e i g n u n g g e l a n g t , so wird auch das I n d i v i d u u m d a d u r c h ü b e r die anfängliche
Enge
l i c h k e i t erhöht. in sich.
hinausgehoben
und
zur
geisterfüllten
Persön-
Als solche h a t es eine W e l t n i c h t n e b e n , s o n d e r n
N u n e r h ä l t es eine d o p p e l t e B e d e u t u n g u n d zugleich eine
zwiefache Stellung z u r Geschichte u n d
Gesellschaft.
Nach
seinem
Der U m r i ß des L e b e n s s y s t e m s
123
u n m i t t e l b a r e n Befunde s t e h t es unter ihnen und m u ß aus ihnen seine Aufgabe schöpfen, mit seiner geistigen Ursprünglichkeit und dem Idealgehalt seines Wesens überragt es sie, und h a t es sie immer von neuem auf ihren geistigen Gehalt zurückzuführen. Ein solches Doppelverhältnis von Freiheit und Bindung, eine solche Gegenläufigkeit der Bewegung entzieht sich jeder einfachen Formel, im besonderen genügt hier nicht das Bild des organischen Z u s a m m e n hanges, das dazu weniger der modernen als der antiken Lebenss t u f e entspricht. O f f e n b a r gebührt hier bei aller Bedeutung der Bindung der Vorrang der Freiheit, als Wesensfreiheit erhält sie hier einen unendlichen W e r t . Handelt es sich doch dabei um die Zugehörigkeit des Menschen zu einer Tatwelt, um seine Überlegenheit gegen alles bloße Dasein. Nur als E n t f a l t u n g und Ausdruck dieser Wesensfreiheit h a t Halt und Wert, was sich an politischer, sozialer, religiöser Freiheit entwickelt. Die Freiheit aber in der Breite des Lebens als ein hohes Gut zu verehren, seinem Grunde hingegen abzusprechen, das gehört zu den schreienden Widersprüchen des modernen Lebens, das nicht selten in den Konsequenzen bejaht, was es im Grunde verneint h a t . dd. Die Wesens- und Qeisteskultur.
Eine ähnliche Bewegung wie bei den Formen des Lebens erzeugt die Wesensbildung auch bei seinem Gehalt. Auch hier bedarf es einer E n t f a l t u n g und Steigerung des Vermögens am Gegens t a n d e , einer festen und greifbaren Arbeit, ebenso notwendig wie eines Zurücknehmens und Zurückverwandeins in reine Innerlichkeit. J e n e Arbeit, als Ganzes angesehen, bedeutet uns die K u l t u r ; nur mittels ihrer Hilfe erlangt die Wesensbildung feste Gestalt und eigentümlichen G e h a l t ; wie notwendig jene ist, das haben die Religionen zu ihrem eignen Schaden erfahren, wo sie f ü r sich allein ohne die erziehende Macht der K u l t u r a r b e i t der Menschheit genügen wollten. Aber nicht minder notwendig als die Arbeit ist ein Kampf gegen die Arbeit, eine Befrei^ing von ihrer erd r ü c k e n d e n und entseelenden Macht. Einen W e r t f ü r das Ganze und Innere unseres Lebens kann die Arbeit n u r gewinnen, wenn ein Selbstleben sie u m s p a n n t und aus ihr einfache Grundzüge, durchgehende E r f a h r u n g e n , leitende Ideen hervorscheinen läßt. Aus solcher E i n f ü g u n g der K u l t u r in die Wesensbildung erwächst eine scharfe Kritik aller allein auf sich selbst gestellten und
124
Der Kampf um den Charakter des
Geisteslebens
selbstgenugsamen Kultur. Eine solche selbstherrliche Kultur gibt (Jen Menschen in die bloße Arbeit und Kraftbetätigung aus und gefährdet damit die Selbständigkeit des Inneren; sie bindet ihn an die Weltumgebung und zerstört damit die Ursprünglichkeit des Lebens; sie erzeugt eine satte Selbstbefriedigung und schwächt dadurch die Empfindung der Widersprüche des Daseins. Bleibt diese Bewegung ohne eine Gegenwirkung, so führt sie immer weiter ins Flache, Profane, Gemeine; statt den Menschen zu neuem Wesen in eine- geistige Wirklichkeit zu erheben, zieht eine solche Kultur alles Vermögen in den Dienst des bloßen Menschentums und entfremdet den Menschen den wahren Bedürfnissen seines Wesens. Um die Kultur vor solchem Sinken zu bewahren, bedarf immer wieder einer Bewegung gegen -die bloße Kultur, einer Zurückführung zu den inneren Zusammenhängen der Wesensbildung. Immer von neuem gilt es eine Scheidung zwischen Kern und Schale, eine Vertiefung. und Schärfung der Probleme dahin, daß schließlich nicht um unser Verhältnis zur Außenwelt, nicht auch um das zur Gesellschaft, sondern um das zu uns selbst, um die Überwindung eines unerträglichen Zwiespalts, um die Einigung unseres Daseins und unseres Wesens gekämpft wird. Mit solcher Zusammenhaltung der Gegensätze und solcher überwindenden Macht der Wesensbildung gelangt der ethische Charakter dieses Lebenssystems zu deutlicher Ausprägung; Moral und Kultur stehen so lange kalt, ja feindlich gegeneinander, als die bloße Kultur mit ihrer Richtung auf die Leistung, ihrer Erhöhung des Kraftbewußtseins, ihrer Gebundenheit an natürliche Bedingungen und Anlagen selbstherrlich auftritt und sich als das Ganze des Lebens gibt, als andererseits die Moral sich auf die subjektive Gesinnung beschränkt und dem Aufbau einer neuen Welt entzieht. Indem die Wesensbildung beide Größen, in ihrem Sinne gefaßt, zu einer gemeinsamen Aufgabe verbindet, schafft sie ein Verhältnis fruchtbarer Wechselwirkung. Wir sahen, daß die Wesensbildung sowohl ein ursprüngliches Leben, eine Versetzung des Daseins in Freiheit, eine fortlaufende Entscheidung, als auch eine Erhebung von der Enge des bloßen Punktes zu einem Leben aus dem Ganzen fordert; damit aber besitzt sie die beiden Hauptseiten der ethischen Aufgabe und hebt sie zugleich über die Zufälligkeit und Zerstreutheit der bloßen Erscheinung hinaus, sie enthüllt ihren engen Zusammenhang mit dem Ganzen der neuen Wirklichkeit. So ver-
D e r Umriß des Lebenssystems standen,
wird
die
Moral
eine
notwendige
e n t b e h r l i c h e T r i e b k r a f t aller echten
125
Voraussetzung,
Kulturarbeit.
ja
un-
D e n n die p r i n -
zipielle E n t s c h e i d u n g f ü r die Ziele u n d d e r e n volle A n e i g n u n g
ist
j e n e r u n e n t b e h r l i c h zur A u f b i e t u n g aller K r a f t , zur E r r e i c h u n g der l e t z t e n Tiefe, zur V e r b i n d u n g aller M a n n i g f a l t i g k e i t zu g e m e i n s a m e m Streben.
N u r so l ä ß t sich alles Ä u ß e r e u n d
so
ganzes
unser
dieses
Selbst
Selbst
sowie
einsetzen,
nur
Weiterbildungen
so
Fremde abtun,
nur
Erfahrungen
für
sind
seiner
erreichbar.
Solche
V e r t i e f u n g der A r b e i t zu einem K a m p f u m d a s eigne Wesen solches große
Zurückgreifen Wendungen
auf
der
die eigne
Kultur
im
Tat
ist
Werke
besonders
sind
und
und
nötig,
es neue
wo An-
f ä n g e zu s e t z e n gilt. e m p f ä n g t n i c h t n u r von der Moral, sie
er-
s t a t t e t ihr auch vieles z u r ü c k , sie d i e n t ihr, w e n n auch n i c h t
Aber die
zur
Begründung, Bereich.
Kultur so zur
Befestigung u n d
Entfaltung im
menschlichen
D e n n m a g die K u l t u r ihr S t r e b e n auf die
Gegenstände
r i c h t e n u n d d a s S u b j e k t einem Gesetz der Sache u n t e r w e r f e n , oder m a g sie die M e n s c h e n
einander
verbinden
und
aus der
Gemein-
s c h a f t der A r b e i t einen E i n k l a n g der G e s i n n u n g h e r v o r g e h e n lassen, hier
wie
da
f r e i u n g von mit
ihrem
Dasein
ein
fordert enger
Aufbau
eine
einer
Element
d e r physischen
sie
Erweiterung
Selbstsucht. neuen
der
Ferner Welt
Freiheit;
Erhaltung
erzeugt
des
enthält
gegenüber
nicht
die
Wesens, alle dem
bloße
eine Be-
Kulturarbeit natürlichen
Notwendigkeit
eine W i s s e n s c h a f t ,
eine
Kunst,
eine R e c h t s o r d n u n g , es g e h ö r t dazu ein eignes Beginnen des Geistes, ein u r s p r ü n g l i c h e s u n d f o r t l a u f e n d e s W i r k e n v o n innen h e r .
Frei-
lich ist die hier b e t ä t i g t e ethische G e s i n n u n g z u n ä c h s t an den
Ge-
g e n s t a n d g e b u n d e n , sie k a n n sich so in die A r b e i t v e r s e n k e n ,
daß
sie
für
den
ganzen
Menschen,
f ü r seine
Gesinnung
H a l t u n g n i c h t voll zur W i r k u n g g e l a n g t .
und
innere
A b e r w e n n jenes
Über-
w i n d e n des n a t ü r l i c h e n Selbst u n d jene E r h e b u n g zur Freiheit aus der K u l t u r a r b e i t i m m e r erst h e r a u s z u h e b e n
ist, so ist solcher
Be-
f r e i u n g der e t h i s c h e n K r ä f t e der A r b e i t die W e s e n s b i l d u n g vollauf g e w a c h s e n , sie v e r m a g , i n d e m sie j e n e e n t f a l t e t , eine innere bindung
zwischen
Kultur
und
Moral
zu
erreichen.
In
Ver-
solcher
Weise einen e t h i s c h e n G r u n d s t o c k der K u l t u r verlangen, d a s h e i ß t n i c h t einem engen u n d
aufdringlichen M o r a l i s m u s h u l d i g e n .
überall, so w i r k t auch hier die b e w u ß t e
Absicht zerstörend,
Wie weil
sie k ü n s t l i c h h e r v o r b r i n g e n will, was n u r eine innere N o t w e n d i g k e i t
126
D e r K a m p f um d e n C h a r a k t e r d e s
Geisteslebens
vermag, und weil sie die Arbeit zu einem bloßen Mittel herabsetzt, s t a t t sie den Zwecken innerlich zu verbinden. Alle diese Bestrebungen der Wesensbildung dienen dem einen Ziele, das W e r k u n d die Innerlichkeit in f r u c h t b a r e Wechselwirkung und feste Verbindung zu b r i n g e n ; erreicht aber wird dies Ziel erst mit der W e n d u n g zur Lebensenergie, in dem Sinne, wie sie sich uns oben erschloß; die Bildung von Energien über die ganze Weite der Welt erstrecken, das heißt die Wesensbildung zu einem geschlossenen System ausbauen. Unter E n e r g i e verstanden wir eine eigentümliche E n t f a l t u n g des Geisteslebens am einzelnen P u n k t e , ein Aufquellen ursprünglichen Lebens gerade an dieser Stelle; dabei wird der besondere Kreis von einer tätigen Einheit u m s p a n n t und c h a r a k t e r h a f t gestaltet, und zugleich wird die eigne Vollendung zu u n m i t t e l b a r e r Mitarbeit am A u f b a u der neuen Welt. Erst mit der Verwandlung der Wirklichkeit in ein Gewebe solcher Energien d u r c h d r i n g t die Wesensbildung ihre ganze Weite u n d Breite u n d verwandelt sie in ein durchgliedertes Lebensganzes, das den Systemen der Formgebung u n d K r a f t s t e i g e r u n g gewachsen, j a als das ursprünglichere überlegen ist. Die Bedingungen u n d die Forderungen der Energie kamen oben zur Sprache. Die weitere Behandlung m u ß d a v o n namentlich gegenwärtig halten, d a ß die Energie nicht direkt aus der gegebenen Lage herauswächst, sondern n u r durch eine U m k e h r u n g , n u r durch ein Einsetzen ursprünglicher Tätigkeit zustande k o m m t . Auch m u ß sie von freier T a t f o r t w ä h r e n d getragen bleiben, nie darf sie aus ihr heraustreten wollen. So ist auch der Gehalt der Energie dem gewöhnlichen Dasein überlegen; was sie diesem an Voraussetzungen und Vorbereitungen e n t n i m m t , das pflegt sie wesentlich u m zuwandeln. D a ß aber die W e n d u n g zu diesem neuen Leben an allen H a u p t p u n k t e n unseres Wesens u n d T u n s zur Aufgabe u n d Forderung wird, das ist leicht zu ersehen. Zur Energie bildet sich das Individuum mit der E r h e b u n g zur geisterfüllten Persönlichkeit, d a m i t aber zu einem eignen Lebensmittelpunkt, einer eignen Wirklichkeit. Ohne innere Einheiten in jenem Sinne zu werden, könnten die menschlichen Gemeinschaften keinen geistigen C h a r a k t e r erlangen und weder die volle Hingebung des Menschen gewinnen, noch den A u f b a u einer Welt des Beisichselbstseins fördern. Auch die Arbeitskomplexe, wie Wissenschaft und K u n s t , werden selbständige
Der Umriß des Lebenssystems Mitarbeiter
am
Beseelung. der
Geistesleben n u r m i t j e n e r Z u s a m m e n f a s s u n g
Bei
Lebens' n i c h t Lauf
Steigerung.
dem
von
der
127
allen
sind
die
Quellpunkte
A n f a n g an festgelegt u n d
Geschichte
ursprünglichen
abgegrenzt,
h ä l t sie in u n a b l ä s s i g e r
sondern
Wandlung
Nicht n u r e r n e u e r n sich f o r t u n d f o r t die
das
tritt
Verästelung.
später
Was
auseinander,
und
früher was
in
eins
durch
zusammenging,
anfänglich
wird n a c h h e r z u m T r ä g e r selbstherrlichen
und
Individuen,
a u c h die G e m e i n s c h a f t e n wie die A r b e i t s k o m p l e x e w a c h s e n fortschreitende
und
dienen
Lebens.
mußte,
Den Zug der
geistigen A r b e i t zur D i f f e r e n z i e r u n g e r f a h r e n wir h e u t e s t ä r k e r als j e ; sein K e r n a b e r ist n i c h t s a n d e r e s als die B i l d u n g i m m e r neuer selbständiger Zentren.
N i c h t so merklich ist j e n e r P r o z e ß bei der
menschlichen G e m e i n s c h a f t , a b e r wir b r a u c h e n n u r größere Strecken zu ü b e r s c h a u e n , b r a u c h e n
z. B. n u r die
Fülle v o n
s c h a f t e n , a n d e n e n wir j e t z t teil h a b e n , m i t der
Lebensgemein-
Ausschließlichkeit
des altgriechischen S t a d t s t a a t e s zu v e r g l e i c h e n , u m auch hier eine fruchtbare
Bewegung,
eine
Bildung
immer
neuer
Lebenszentren
zu g e w a h r e n .
Auch die w a c h s e n d e A u s p r ä g u n g u n d W e c h s e l w i r k u n g
verschiedener
Kulturvölker gehört hierher.
wegung auch Verluste:
W o h l zeigt diese
zu G e g e n s t ä n d e n bloßer E r i n n e r u n g , einzelne R i c h t u n g e n u n d zentrationen
Be-
Individuen u n d Völker v e r s i n k e n u n d werden
der A r b e i t
werden
durch
den
Fortgang
der
KonKultur
als u n w a h r erwiesen u n d aufgelöst (Astrologie, Alchemie usw.), auch erfolgen gelegentlich
R ü c k f ä l l e zu e i n f a c h e r e n L e b e n s f o r m e n .
Aber
im Ganzen verbleibt der Sieg d e m W a c h s t u m d e r Verzweigung, i m m e r reicher wird unsere W e l t , i m m e r m e h r Eigenleben e r w a c h t in ihr, i m m e r m e h r steigert sich d u r c h die A u s b i l d u n g v o n E n e r g i e n unsere W i r k l i c h k e i t zu e i n e r Geisteswelt. Es v e r m a g a b e r a n j e d e r Stelle die W e n d u n g zur Energie vornehmlich
deshalb
so
viel
fortzubilden
und
umzuwandeln,
dabei n i c h t sowohl eine bloße L e b e n s f o r m ergriffen u n d
weil
angeeignet,
als d u r c h ein Z u s a m m e n w i r k e n von K r a f t u n d Gegenwurf ein vollt ä t i g e s W i r k e n , ein v o n T ä t i g k e i t g e t r a g e n e s W e s e n erreicht wird. A u c h die Lebenslage m i t ihren Begegnissen u n d
Schicksalen
hier in die A r b e i t a u f g e n o m m e n ; v o r n e h m l i c h a u s d e m s t o ß u n d d e m Z u s a m m e n s c h l u ß von i n n e r e r A r t u n d Geschick e n t s p r i n g t dingtheit hier
nicht
ein C h a r a k t e r des L e b e n s .
sowie
das
als
etwas
Feindliche schlechthin
in
unserer Fremdes,
wird
Zusammen-
zugewiesenem
Auch unsere
Be-
Lebenserfahrung
gilt
das
möglichst
fern-
128
D e r Kampf um den Charakter d e s G e i s t e s l e b e n s
z u h a l t e n u n d abzuweisen sei, s o n d e r n es ist in d e n
Lebensprozeß
hineinzuziehen u n d als eignes auf sich zu n e h m e n , es m u ß zur A u s r p r ä g u n g seiner E i g e n t ü m l i c h k e i t , zur A b s t e c k u n g seines
Bereiches,
zur S c h m i e d u n g seines C h a r a k t e r s h e l f e n . So t r ä g t z u n ä c h s t
der E i n z e l n e
eine große A u f g a b e in
ein weiter A b s t a n d t r e n n t die Z e r s t r e u t h e i t u n d
Subjektivität
sich: des
n a t ü r l i c h e n I n d i v i d u u m s u n d die L e b e n s e n t f a l t u n g der g e i s t e r f ü l l t e n Persönlichkeit,
die n i c h t
dem
Reichtum
des Alls
s o n d e r n ihn g a n z u n d g a r a u f n e h m e n m ö c h t e .
gegenübersteht,
H i e r h e i ß t es, an
dieser b e s o n d e r e n Stelle d a s Ganze der geistigen Bewegung zu ergreifen u n d a n z u e i g n e n ; diese E n t s c h e i d u n g ü b e r d a s Ganze bleibt die
erste
grundlegende
A u f g a b e , i n n e r h a l b des
Tat.
zu einer unvergleichlichen heit und
Aber
sofort
entspringt
daraus
G a n z e n eine eigne W e l t zu w e r d e n ,
Gegensätzlichkeit
die sich
E i n h e i t f o r t z u b i l d e n , die alle Z e r s t r e u t der ersten
Lage ü h e r w i n d e t ,
alles
Be-
sondere eigentümlich g e s t a l t e t , aller B e t ä t i g u n g u n d aller E r f a h r u n g eine u n t e r s c h e i d e n d e A r t v e r l e i h t .
Die E n t s c h e i d u n g f ü r das G a n z e
u n d die Bildung bei sich selbst sind im G r u n d e n u r
verschiedene
Seiten derselben S a c h e ; die E n t s c h e i d u n g f ü r das Ganze h a t n u r volle W a h r h e i t u n d d u r c h d r i n g e n d e K r a f t , w e n n sie m i t der G e s t a l t u n g des Einzelkreises sich in T a t u n d W e r k v e r w a n d e l t .
Solche U n t e r o r d n u n g
u n t e r d a s Ganze u n d SQlche K r i t i k aus d e m G a n z e n u n t e r s c h e i d e t diese V e r f e c h t u n g der Einzelenergie scharf von j e d e r A n p r e i s u n g des n a t ü r l i c h e n Individuaiseins, einem Hegen u n d P f l e g e n seiner Zufälligkeit, oder g a r einem sich Aufspreizen zu einer v e r m e i n t l i c h überlegenen Größe. Eine Energie in j e n e m Sinne v e r l a n g t eine W e n d u n g gegen die bloße N a t u r , v e r l a n g t eine i n n e r e W i e d e r g e b u r t des Menschen.
Hier
e r h ä l t d a s Leben in sich selbst eine einzige H a u p t a u f g a b e u n d wird d a d u r c h u n a b l ä s s i g bewegt, getrieben, in F l u ß g e h a l t e n ; die H a u p t frage, die ü b e r sein Gelingen e n t s c h e i d e t , wird n u n , o b j e n e r sammenschluß
zu
einer geistigen
Einheit
und
zugleich
Zu-
eine feste
B e g r ü n d u n g im G a n z e n der Geisteswelt g e w o n n e n wird oder n i c h t . H a t a b e r d a s Leben so viel bei sich selbst zu t u n , u n d h ä n g t a n der Lösung dieser A u f g a b e sein B e s t a n d u n d sein Heil, so wird es seineA r b e i t erstwesentlich
gegen sich
selber
kehren und
sein Ziel bei
sich selber s u c h e n ; es wird von müssiger B e f a s s u n g m i t Dingen u n d scheelsüchtiger Vergleichung derer lassen.
m j t den
fremden
Schicksalen
an-
Hier wird seine Größe von der ä u ß e r e n L e i s t u n g u n -
a b h ä n g i g , hier k a n n auch in den b e s c h e i d e n s t e n M a ß e n ein H e l d e n -
Der U m r i ß des L e b e n s s y s t e m s tum
entstehen.
die
gewöhnliche
Dort
D a s ergibt
ein D u r c h e i n a n d e r von
und
eine energische
Lebensführung
N a t u r , eine ä u ß e r e
auch
auf
Gegenwirkung
der
Eignem u n d
129
Höhe
gegen
der
Kultur.
F r e m d e m , von
Freiheit
H a s t u n d eine innere T r ä g h e i t , zu
wenig
S i n n , u m zu befriedigen, zu viel Verlangen n a c h Sinn, u m auf Bef r i e d i g u n g v e r z i c h t e n zu k ö n n e n .
Dagegen n u n ein
der Widersprüche,
der
ein
Empfinden
A u f r ü t t e l n zu a l l u m f a s s e n d e r , n e u b e g r ü n d e n d e r Nicht Wendung stand
minder
wird
die
menschliche
und
s t e t s in
ein
Tat.
Gemeinschaft
z u r Energie in neue B a h n e n g e t r i e b e n .
ist widerspruchsvoll
Durchschauen
N i c h t i g k e i t j e n e r Lage, mit
der
Ihr D u r c h s c h n i t t s -
Gefahr
in
einen
seelen-
losen M e c h a n i s m u s zu v e r f a l l e n .
Eine arge V e r k e h r u n g d r o h t
be-
sonders
Neigung
Zu-
aus
der
unausrottbaren
des
menschlichen
s a m m e n s e i n s , sich, so wie es vorliegt, n i c h t n u r als fertig, s o n d e r n a u c h als h ö c h s t e n Selbstzweck zu geben u n d d a m i t alle Geistigkeit u n t e r b l o ß m e n s c h l i c h e Zwecke zu beugen, s t a t t eine schwere A u f g a b e in sich
zu
entdecken
Geisteslebens
u n d bei sich selbst
zu vollziehen.
Auf
diesen
b i l d u n g m i t i h r e r W e n d u n g zur Energie. fester Zusammenhang
mit dem
eine K o n z e n t r a t i o n Weg treibt
die
Wesens-
D e n n hier wird sowohl ein
Ganzen des
Geisteslebens als eine
Ü b e r w i n d u n g d e r Z e r s t r e u u n g im eignen Kreise v e r l a n g t . und
Geschichte,
tätigen
Umgebung und
Einheit
selbständiges
Leistung w e r d e n
zusammengeführt,
des
es e n t s t e h t
von
damit
Anlage zu
einer
innen her ein
L e b e n s z e n t r u m , das den ganzen U m f a n g des
Gemein-
s c h a f t s l e b e n s e i g e n t ü m l i c h g e s t a l t e t u n d an jeder Stelle ein Ganzes g e g e n w ä r t i g h ä l t ; dieses a b e r m a c h t eigne seine A r t
allem
welche
die
bloßen
Nutzen,
Befunde mit.
einzelnen sondern
Erfahrungen und
teilt
Hier ist es die M a c h t einer
Idee,
Glieder durch
zusammenhält; eine
innere
nicht
durch
den
Notwendigkeit,
die G e b u n d e n h e i t d e r eignen T ä t i g k e i t a n die A r b e i t der
durch
Gemein-
s c h a f t wird hier d e r eine auf den a n d e r e n gewiesen u n d i h m kettet.
eine A r b e i t f ü r u n s selber w e r d e n , es k a n n sich die ganze lichkeit des Menschen, legen
ver-
So k a n n die A r b e i t f ü r die Zwecke der Gesellschaft zugleich
und
in
dem Äußeren
Ewiges s u c h e n . sein, d a s
sein G l a u b e n u n d ein
Inner-
H o f f e n in jenes W i r k e n
Inneres,
in d e m
Zeitlichen
ein
I n n e r h a l b der G e m e i n s c h a f t a b e r g i b t das B e w u ß t -
Ganze
durch
vereinte
Arbeit
zu
tragen,
den
einzelnen
Gliedern eine innere Gleichheit, die allen U n t e r s c h i e d e n von Stellung und
Leistung
entgegenwirkt.
E u c k e n , Kampf.
III. Aufl.
Die
Gegebenheit
in
Natur 9
und-
130
Der Kampf um den Charakter des
Geisteslebens
Geschichte ist das Reich der Ungleichheit, kein Gesetz, auch keine Gewalt k a n n sie d a r a u s v e r t r e i b e n ; n u r die Ursprünglichkeit des Selbstlebens mit ihren Ideen vermag eine Gleichheit zu beg r ü n d e n und durchzusetzen. In dem Wirken d a f ü r liegt ein H a u p t grund der Macht und der Unentbehrlichkeit der Religionen. Ähnliches wie f ü r die Lebensgemeinschaften gilt f ü r die Arbeitskomplexe. Auch f ü r die Arbeit an den Dingen m u ß sich ein neuer Anblick eröffnen, wenn nicht die Formen oder die K r ä f t e , sondern die Lebenszentren ihr H a u p t p r o b l e m bilden, wenn sie mit ihrer Aufdeckung und Durchbildung die Wirklichkeit a b s t u f t und belebt. Das um so mehr, als jene W i r k u n g sich nicht auf den Umriß der Gebiete b e s c h r ä n k t , sondern auch ihre Gliederung ergreifen m u ß ; selbst die einfachsten Elemente, wie z. B. die Begriffe der Wissenschaft, werden sich u n t e r dem Einfluß der neuen Gedankenwelt eigentümlich gestalten. Demnach k a n n über die durchgängige Geltung und Macht des Prinzips der Wesensbildung keinerlei Zweifel bestehen. Jene W e n d u n g zur Ursprünglichkeit und jene Individualisierung des ursprünglichen Lebens fültrt in eine neue W e l t u n d eröffnet eine unermeßliche Fülle von Tatsächlichkeit. Neue T a t s a c h e n sind zunächst die einzelnen Energien selbst, denn die Bildung einer jeden von ihnen ist eine besondere E r f a h r u n g , eine eigentümliche Erschließung; weitere T a t s a c h e n ergeben sich aus den gegenseitigen Beziehungen der E n e r g i e n ; alle Mannigfaltigkeit aber f ü h r t schließlich zum A u f b a u einer neuen Welt, die sich als eine tatsächliche g i b t . Aber diese Tatsächlichkeit ist zugleich eine unerschöpfliche A u f g a b e ; mit der A n e r k e n n u n g des neuen Zieles m u ß eine d u r c h gängige Bewegung e n t s t e h e n , die nicht wie die Kraftsteigerung nach außen, sondern als Wesenserzeugung nach innen, gegen sich selbst gekehrt ist, d a m i t aber weit eingreifender wirkt als aller Lebensdrang j e n e r K r a f t e n t f a l t u n g . Wohl mag zunächst mit der Bildung der Energien die Wirklichkeit auseinanderzustreben u n d die verschiedenen Lebensbahnen u n b e k ü m m e r t um einander zu verlaufen scheinen. Aber dieser Schein m u ß der Anerkennung der Tatsache weichen, d a ß jede Energie nur vom Ganzen her e n t s t e h t und nur u n t e r F e s t h a l t u n g des Z u s a m m e n h a n g e s bestehen k a n n , d a ß ferner alle K r ä f t i g u n g der Besonderheit nicht das Streben a u f h e b t , den Gehalt und die Unendlichkeit des Ganzen auch an dieser besonderen Stelle zu erleben. Daher wird auch innerhalb
131 der einzelnen Lebenskreise hier der Bewegung zur Besonderheit eine Bewegung zum Ganzen entgegenwirken, das Einzelne bedarf auch im Gelingen seines eignen Werkes der E r g ä n z u n g ; das u m so mehr, je schärfer es seine Eigentümlichkeit ausprägt. So d r ä n g t es aus aller Verzweigung zurück zum Ganzen, zu einem inneren Zus a m m e n s c h l u ß der Wirklichkeit, und es ist schließlich das Ganze, das in Ausgehen und Zurückkehren zu einer eigentümlichen Wirklichkeit, einer vollen Tatsächlichkeit, einer lebendigen Gesamtenergie aufstrebt. c. Konsequenzen und Entwicklungen Die Wesensbildung m u ß in ihrem Ausbau zum System den ganzen U m f a n g der Wirklichkeit in Fluß versetzen und überall neue Aufgaben stellen. Hier seien von den W a n d l u n g e n nur einige hervorgehoben, die das Bild des Ganzen weiter ausführen mögen. Sie alle e n t h a l t e n die Voraussetzung, d a ß auf dem neuen Boden die H a u p t b e w e g u n g nicht aus der gegebenen Lage hervorgeht, sondern eine U m k e h r u n g ihrer vollzieht, d a ß aber diese Umkehrung auch in der Gegebenheit weit mehr zu erkennen und zu t u n g i b t ; sie alle verfechten die Überzeugung, d a ß Scheidung und Kampf innerhalb eines umfassenden Ganzen dem neuen Leben wesentlich sind. a. D i e V e r s ö h n u n g v o n E i n h e i t u n d V i e l h e i t , Die f r ü h e r e n Systeme entwickeln — jedes in seiner Weise — ein eigentümliches Verhältnis von Einheit und Vielheit, das in vielfachsten W i r k u n g e n fortlebt, schließlich aber entweder den Forderungen des Denkens oder dem Reichtum der Wirklichkeit widerspricht. Das alte System hält Einheit u n d Vielheit noch nicht d e u t lich auseinander, es schiebt beides in Einer Fläche des Daseins zus a m m e n , es t r ä g t kein Bedenken, ein Ding mit verschiedenen Merkmalen a u s z u s t a t t e n , einer Substanz mehrere Eigenschaften beizulegen. Der Neuzeit erscheint ein solches Ineinander als ein unerträgliches Durcheinander, sie will nur eines von beiden als wirklich anerkennen und von ihm her das andere verstehen. So wird entweder alles Ganze zu einer bloßen Z u s a m m e n s e t z u n g der Elemente oder aber älle Mannigfaltigkeit zur bloßen E n t f a l t u n g einer einzigen W e l t s u b s t a n z ; beides ergibt eine einseitige Gestaltung der 9*
132
D e r . K a m p f um d e n C h a r a k t e r d e s G e i s t e s l e b e n s
W i r k l i c h k e i t , m i t d e r sich unmöglich abschließen l ä ß t .
Die Wesens-
b i l d u n g v e r f i c h t eine u m f a s s e n d e E i n h e i t ohne die Vielheit
damit
a u f z u h e b e n ; sie k a n n beide F o r d e r u n g e n d u r c h die ihr eigentümliche Scheidung von W e s e n u n d E n t f a l t u n g v e r b i n d e n .
W a s nämlich im
Wesen ein einheitliches Ganzes bildet, d a s legt sich in d e r E n t f a l t u n g zur
Vielheit
auseinander;
jedes
Glied
der
Mannigfajtigkeit
kann
hier s e l b s t ä n d i g w e r d e n , s o f e r n sich d a s Ganze in es hineinlegt u n d a u s ihm w i r k t ; es k a n n d a s Ganze* f ö r d e r n , sofern die
Bewegung
zu diesem z u r ü c k k e h r t u n d ihren E r t r a g d a r i n e i n m ü n d e n l ä ß t .
Dies
Ausgehen
weil
und
Zurückkehren
hier der G e s a m t s t a n d
ist d e s h a l b
nötig und
wichtig,
als u n f e r t i g g i l t ; n u r d u r c h j e n e
Scheidung
u n d Bewegung m i t ihren E r f a h r u n g e n k a n n er die eigne Vollendung erreichen. seiner
Alles Einzelne bleibt hier v o m G a n z e n u m f a ß t , a b e r m i t
Besonderheit
es
kann
am Ganzen
selbständig
mitarbeiten,
es teilt den K a m p f u m d a s Ganze, die S p a n n u n g der G e s a m t a u f g a b e d e h n t sich d a m i t ü b e r den g a n z e n U m f a n g des Lebens aus. — Alles N ä h e r e sei d e n einzelnen Gebieten v o r b e h a l t e n , von d e n e n u n s hier v o r n e h m l i c h d a s Seelenleben u n d die K u l t u r a r b e i t a n g e h e n . D a ß d a s alte N e b e n e i n a n d e r v e r s c h i e d e n e r S e e l e n v e r m ö g e n
die
E i n h e i t der Seele z e r s t ö r t , d a r ü b e r b e s t e h t K l a r h e i t n i c h t erst seit H e r b a r t , s o n d e r n seit Beginn der n e u e n Philosophie. Zugleich e n t stand
d a r a u s ein
S t r e b e n , alle M a n n i g f a l t i g k e i t
eine einzige A r t des G e s c h e h e n s z u r ü c k z u f ü h r e n . Versuche s i n d g e m a c h t ,
eine
auf U m w e g e n
ein zu enges
j e n e Vielheit wieder e i n ,
einen solchen Gebiet
es
möglichen entworfen.
a u f , sie f ü h r t e n
die sie e n t f e r n e n
wollten.
lassen k a n n n u r
gilt eiifen n e u e n W e g
eine
zu f i n d e n ,
e r ö f f n e t die W e s e n s b i l d u n g . —. Sie b e k ä m p f t
die Vielheit d e s u n m i t t e l b a r e n ganze
Alle
N i c h t n u r legten j e n e
Schema
Aber d a s alte N e b e n e i n a n d e r einfach s t e h e n unwissenschaftliche Denkart,
B e f u n d e s auf
Fülle n e u e r D u r c h b l i c k e
A b e r d a s e r s t r e b t e Ziel w a r d n i c h t erreicht. Versuche d e r W i r k l i c h k e i t
des
zur
Peripherie
E n t f a l t u n g eines einheitlichen
Seelenlebens, a b e r sie m a c h t eines
tiefergegründeten
Wesens.
nicht dieses
Lebens,
zur
Alsdann widerstreitet
die
Vielheit n i c h t m e h r der E i n h e i t , s o n d e r n sie v e r m a g ihr zu d i e n e n , d i e S o n d e r u n g u n d s e l b s t ä n d i g e A u s p r ä g u n g einzelner notwendig
f ü r die eigne
d a f ü r nur, wenn das
Vollendung
Ganze j e n e
des
Seiten
Ganzen; aber
wird
sie
nützt
Seiten u m s p a n n t , sich in
ihnen
erlebt u n d n ä h e r b e s t i m m t . So g e w i n n t d a s Leben eine innere B e w e g u n g , es t r ä g t in sich
K o n s e q u e n z e n und E n t w i c k l u n g e n selbst
einen
Gegensatz
Zusammenhange
und
erlangen
eine
die
Spannung.
einzelnen
133
Bei
allem
Gebiete
inneren
Selbständigkeit
g e n u g , u m eigne K r ä f t e a u f z u b r i n g e n und eigne Gesetze zu erweisen, d a m i t a b e r d a s G a n z e sowohl w e i t e r z u f ü h r e n als an seinem K r i t i k zu ü b e n . Gefahr
eines
einzelnen aber in
Freilich e n t s t e h t mit solcher
Starrwerdens
Gebiete
einer
zu
des
Gegensatzes,
vermeintlich
Herabdrückung
der Z u r ü c k b e z i e h u n g
und
sie hicht
des
die einzelnen
Verbindung
der
damit
Lebens.
Nur
Betätigungen
auch
nur in der Z u r ü c k b e z i e h u n g
G e h a l t zu e n t w i c k e l n ; in der
n u r die
die
Losreißung
Selbständigkeit,
Zersplitterung
erhalten
u n t e r sich einen Z u s a m m e n h a n g , mögen sie einen
einer
völliger
Gehalt
S c h e i d u n g auch
mit der
Isolierung
Arbeit
und
ver-
verlieren
Erfahrung
des
G a n z e n , sondern auch eine feste R i c h t u n g bei sich selbst. Denn d a n n wird leicht f r e i s c h w e b e n d e n leisten
k ö n n e n , die bloße
Kräften zugemutet, was
zeugen u s w . ; das m a c h t d a s
den
Kern
ganze
Gebiete
zuweisen,
Denkens,
des W e s e n s u n e r g r i f f e n bringen. die
Arbeit
Religion
er-
Alle B e w e g u n g an d e r PeriFühlens
und
lassen und d a s
Handelns Ganze
Von hier aus m u ß es als v e r f e h l t
geistiger
etwa
unmöglich
Leben leerer und leerer und f ü h r t es
i m m e r m e h r ins S c h a t t e n h a f t e hinein. pherie, alle A u f r e g u n g des Tätigkeit
sie
R e f l e x i o n z. B . soll eine ^Erkenntnis
besonderen
dem
Intellekt, die K u n s t der P h a n t a s i e .
Gefühl,
kann
nicht in
erscheinen,
Seelenvermögen die
zu-
Wissenschaft
dem
Denn d a s heißt den Z u s a m m e n -
h a n g dieser Gebiete mit dem Ganzen
des
Geisteslebens, seine
Lei-
stungen und seine E r f a h r u n g e n preisgeben und sie zugleich ins Leere führen. So enthält gegenläufige
das
hinein, u m das heißt
es,
zubilden.
Seelenleben
Bewegung.
eine z w i e f a c h e
Einmal
geht
der
Aufgabe
Zug
in
und
die
eine
Vielheit
Grundleben zu voller E n t f a l t u n g zu bringen.
alle
Besonderheit
deutlich
abzuheben
und
Hier
kräftig
aus-
S o d a n n aber ist von der V e r z w e i g u n g i m m e r w i e d e r zur
u m f a s s e n d e n E i n h e i t zurückzukehren und der E r t r a g der einzelnen Kreise
in einen
Gewinn
des
Ganzen
zu
verwandeln.
s a m m e n f o r d e r t eine W e n d u n g gegen das wo
das
Entgegengesetzte
ungeschieden
Beides
Chaos der ersten
und
träge
durcheinander
liegt; beides v e r l a n g t eine A n e r k e n n u n g dessen, daß das bare seelische
Dasein
nicht unser ganzes
Leben
zu-
Lage,
unmittel-
bedeutet, d a ß
es
jenseits der Verzweigung eine u m f a s s e n d e E i n h e i t zu ergreifen und auszubilden gilt.
Sie allein v e r m a g eine selbständige
Innerlichkeit
134
D e r Kampf um d e n C h a r a k t e r d e s G e i s t e s l e b e n s
zu b e g r ü n d e n u n d d e m Leben eine E i n h e i t wie eine Tiefe zu geben. Von hier a u s e n t s t e h e n von
hier
aus
hier
a u s wird
G r ö ß e n wie G e s i n n u n g u n d
entspringt der
ein
Mensch
Gemütsleben
Persönlichkeit
tätiger
Überzeugung, Art,
in d e m
erst
Sinne, wie
diesen vieldeutigen u n d a b g e n u t z t e n A u s d r u c k v e r s t e h e n . allen zeigt sich d a s Seelenleben m i t t e n
von wir
In d e m
im F l u ß ; es ist n i c h t
ein
fertiger S t a n d , s o n d e r n eine S t ä t t e d e r B e w e g u n g u n d des K a m p f e s , die n a c h d e m
A u f g e b o t der
Kraft und
dem
Gelingen der
Arbeit
ein v e r s c h i e d e n a r t i g e s Bild g e w ä h r t . Ähnlich« V e r h ä l t n i s s e
und Aufgaben
zeigt
die
Kulturarbeit.
Sowohl d a s ältere als d a s neuere S y s t e m geben ihr eine e i g e n t ü m t ü m l i c h e O r d n u n g , die u n s h e u t e n i c h t m e h r b e f r i e d i g t .
Die ältere
Art,
im Mittel-
die
von
Aristoteles
her
durch
ihre
Blütezeit
alter tief in die Neuzeit reicht, v e r k e t t e t alle M a n n i g f a l t i g k e i t Gebiete
zu
einer g r o ß e n
Hierarchie;
die
allgemeinen
der
Wahrheiten
w e r d e n v o r a b gesichert u n d ergeben von sich a u s ein in den H a u p t zügen fertiges G e s a m t b i l d ; d a n n erst k o m m e n die a n d e r e n
Gebiete
u n d e r h a l t e n j e n e W a h r h e i t e n von der Spitze h e r m i t g e t e i l t ; a u c h w e n n sie dieselben in der A n w e n d u n g auf ihr eignes Gebiet f r u c h t b a r w e i t e r f ü h r e n , so bleiben sie i m m e r e i n g e f ü g t u n d nie
können
sie
das
Gesamtproblem
die G e s a m t l a g e w e i t e r b i l d e n .
selbständig
untergeordnet,
aufnehmen
und
Der G r u n d s t o c k gilt hier als fest u n d
geschlossen, eine v o r d r i n g e n d e Bewegung h a t keinen P l a t z . Diesem
hierarchisch-metaphysischen
System
widerspricht
der Neuzeit ein Verlangen n a c h m e h r Freiheit, m e h r
in
Individualität,
m e h r B e w e g u n g ; d a s Leben schien d o r t a n voller E n t w i c k l u n g g e h e m m t u n d zugleich viel zu s t a r r f ü r alle Zeit f e s t g e l e g t ; zur neuerung und
E r h ö h u n g des G a n z e n b e d u r f t e es einer
j e n e r Hierarchie u n d der Bildung einer n e u e n O r d n u n g . jene zerschlagen oder doch
erschüttert,
f r e i t e n sich u n d v e r s t ä r k t e n
die einzelnen
ihre E i g e n t ü m l i c h k e i t ,
Er-
Zerstörung So w a r d
Gebiete
be-
alle Dinge g e -
rieten in F l u ß , d u r c h g ä n g i g w u r d e eine engere V e r b i n d u n g m i t d e r Erfahrung gewonnen zugeführt. sättigter; Berührung erwartet.
und
ein
Strom von Anschauung
der
Arbeit
Das g e s t a l t e t e d a s Leben m a n n i g f a c h e r , bewegter, geein und
Zusammenhang
aber
V e r f l e c h t u n g der
wurde
einzelnen
von
der
D a s a b e r erwies sich als n i c h t so e i n f a c h .
i n n e r e n E i n h e i t k a m e n die einzelnen
gegenseitigen
G e b i e t e " zuversichtlich Mangels einer
Gebiete in G e f a h r , sich
e i n a n d e r wenig zu k ü m m e r n u n d i m m e r w e i t e r
um-
auseinanderzugehen,
135 bis aller Z u s a m m e n h a n g entschwand, bei aller Fülle des Lebens drohte eine Zersplitterung und A u f l ö s u n g ; zu vermeiden war eine solche auf diesem Boden nur d a d u r c h , d a ß sich eine besondere Arbeitsrichtung über alle anderen h i n a u s h o b und das ganze Leben u n t e r sich zu bringen suchte. Zu solcher f ü h r e n d e n Stellung gelangte einerseits die intellektuelle Tätigkeit mit ihrer D u r c h l e u c h t u n g des Daseins und ihrer Rationalisierung der Verhältnisse, andererseits die wirtschaftlich-soziale Bewegung m i t ihrer U n t e r o r d n u n g aller Aufgaben u n t e r die wirtschaftliche Entwicklung und ihrer Heranziehung aller Individuen zu Macht, Besitz und Genuß. Aber die Einheit ward in beiden Fällen zu teuer e r k a u f t durch eine höchst einseitige Gestaltung, eine Verengung u n d V e r k ü m m e r u n g des ges a m t e n Lebens; der Sozialismus wird auf die Dauer die Menschheit ebensowenig befriedigen, wie es der Intellektualismus vermocht h a t . So erwächst mit Notwendigkeit das- Verlangen nach einer neuen Ordnung, einer Ordnung, welche eine überlegene Einheit mit einer Selbständigkeit der Vielheit v e r b i n d e ; diesem Verlangen aber k o m m t das Streben der Wesensbildung entgegen. Denn sie verficht eine umfassende Einheit, ohne d a m i t die Mannigfaltigkeit erdrücken zu wollen; sie g l a u b t die Einheit n i c h t als im Dasein vorhanden ergreifen zu können und n u r anzuwenden zu brauchen, sondern sie erwartet sie von freier, wesenschaffender T a t ; sie ist zugleich überzeugt, durch solche T a t nicht mit Einem Schlage das Ziel zu erreichen, sondern von einem u n b e s t i m m t e n E n t w ü r f e zur vollen Durchbildung erst durch ein H e r a u s t r e t e n aus dem Grundleben in seine E n t f a l t u n g , durch eine Ausbreitung des Lebensprozesses u n d eine Entgegensetzung gegen die Einheit vorzudringen. Nur ein Selbständigwerden der Verzweigung ermöglicht eine enge B e r ü h r u n g der K r a f t mit dem Gegenwurf, eine g r ü n d liche Auseinandersetzung mit den W i d e r s t ä n d e n , ein A u f n e h m e n des Reichtums der E r f a h r u n g . So erwächst hier innerhalb des Lebens selbst eine reiche u n d f r u c h t b a r e Bewegung. Die einzelnen Gebiete können hier Eigentümliches leisten, indem sie eine Selbständigkeit erlangen, eigne Lebenszentren werden, u n b e k ü m m e r t um alles andere ihren Weg verfolgen, ihre E r f a h r u n g e n h e r a u s arbeiten. Jedes Gebiet h a t seine besonderen Gesetze u n d K r ä f t e , seine besonderen Ziele; um ihnen gerecht zu werden, m u ß es sich fest in sich selbst zusammenschließen u n d alles Fremde von sich weisen. So werden die Wissenschaft, die K u n s t , die Religion usw.
136
D e r K a m p f um den C h a r a k t e r d e s G e i s t e s l e b e n s
eigentümliche
Durchschnitte
ja eigne W i r k l i c h k e i t e n ,
der
Wirklichkeit,
eigne
Lebenskreise,
sie m ü s s e n bei sich selbst als ausschließ-
liche Selbstzwecke- g e l t e n .
Wie aber s e l b s t ä n d i g gegen d a s
so werden sie a u c h u n a b h ä n g i g g e g e n e i n a n d e r .
Ganze,
W e n n d a s eine das
a n d e r e in seine Kreise zieht u n d ihm seine Maße a u f e r l e g t , so wird beides in seiner lähmt;
Eigentümlichkeit gestört und
in seiner
K r a f t ge-
es w a r n i c h t n u r der W i s s e n s c h a f t , es w a r auch d e r Reli-
gion kein G e w i n n , d a ß die Religion zeitweilig die W i s s e n s c h a f t als ihre Magd b e h a n d e l t h a t . durch
das
können
N u r bei gegenseitiger A n e r k e n n u n g ,
Ganze hindurch
die einzelnen
und
Gebiete
im
Zusammenhange
auch
nur
des
Ganzen
aufeinander fruchtbar
wirken,
sich e r g ä n z e n , s t a t t sich zu s t ö r e n . Die
Befreiung
kann
aber
nicht
zu
einer
w e r d e n , w o f e s t s t e h t , d a ß alle bewegende
völligen
K r a f t im
Ablösung
Ganzen
wur-
zelt u n d v o m G a n z e n d e n einzelnen G e b i e t e n z u g e h t ; hier k ö n n e n nur
bei
Wahrung
Einzelgebiete
ihre
eines
Zusammenhanges
eigne
Bestimmung
Wirklichkeit aufbauen helfen.
mit
erfüllen
dem
Ganzen
und
In ihnen allen s t e c k e n
eine
die
geistige
Behauptungen
v o m G a n z e n , u n d die A r t dieser B e h a u p t u n g e n g e s t a l t e t a u c h ihren Anblick und
ihre
Aufgabe eigentümlich.
Grundverschieden
wird
die W i s s e n s c h a f t , wird die K u n s t ausfallen, je n a c h d e m d a s Geistesleben oder
als eine bloße Begleiterscheinung der sinnlichen als ein u n s i n n l i c h e r ,
aber unpersönlicher
Natur
gilt,
Lebensprozeß,
oder
als eine in freier T a t g e g r ü n d e t e u n d von freier T a t g e t r a g e n e W i r k lichkeit.
Wie
ferner
der
Mensch
zum
Geistesleben
steht,
seinem S t r e b e n a n W i d e r s t ä n d e n begegnet, was Schuld u n d
was
Schick-
sal ihm a u f e r l e g e n , wie sich im K a m p f dagegen sein Leben g e s t a l t e t , alle solche
Grund-
und
Haupterfahrungen
erschließen
sich
nicht
in der B e s o n d e r h e i t der einzelnen Gebiete, s o n d e r n n u r in d e r Zusammenfassung zum
G a n z e n , n u r in d e m
Kampf
um das
Ganze.
N u r mit d e r W e n d u n g d a h i n l ä ß t sich eine u r s p r ü n g l i c h e Tiefe, die Innerlichkeit Freiheit
einer
erreichen,
Gemütswelt, n u r so d a s
die
Umsetzung
Zufällige, Ä u ß e r e ,
des
Lebens
Naturhafte
in aus-
scheiden, d a s aller bloßen B e s o n d e r h e i t a n h a f t e t ; n u r d a m i t g e w i n n t die Bewegung d e s Lebens die K r a f t eines K a m p f e s u m ein geistiges Sein u n d ein w a h r h a f t i g e s Selbst. gebiete
umfassen
und
ihrer
Arbeit
So m u ß d a s G a n z e die Einzelinnerlich
zugegen
sein.
Das
legt a b e r d e n Einzelgebieten n i c h t ein bloß passives V e r h a l t e n a u f , es m u t e t i h n e n n i c h t zu, fertige Ergebnisse blindlings a u f z u n e h m e n
Konsequenzen und E n t w i c k l u n g e n und
als Z w a n g s g e b o t e
auszuführen.
Sondern w a s
137 an sie
gelangt,
d a s v e r w a n d e l n sie in ein neues und eignes P r o b l e m , das h a t sich auf ihrem Boden neu zu erweisen, das w i r d d a m i t auch f ü r sich selbst gewinnen.
Die besondere
Gegenwirkung fangene
fähig,
bestätigen
sie
und
Stelle ist hier nämlich einer K r i t i k kann
aus
ihren
weiterführen,
sie
z w e i f e l n und zur U m b i l d u n g t r e i b e n . gerade besten;
in der W a h r u n g was
immer
sie
ihrer an
Erfahrungen kann
aber
So dienen die
Besonderheit
großer
es
das
an
auch
be-
Einzelgebiete
auch dem
Leistung,
und Emp-
Ganzen
neuer
am
Wendung
e n t h a l t e n , das g r e i f t in das G a n z e z u r ü c k und m u ß ihm zu Nutzen gereichen.
Indem so j e d e r P u n k t an dem G a n z e n m i t t r ä g t , v e r b r e i t e t
sich die S p a n n u n g über den g e s a m t e n U m k r e i s des
Lebens.
D a m i t entsteht ein eigentümliches G e s a m t b i l d der K u l t u r . Streben
zum
seelen.
A b e r zur V e r k ö r p e r u n g
Ganzen
muß
alle
Betätigung
durchdringen
k o m m t die B e w e g u n g
und
Ein be-
nur in der
W e n d u n g zur B e s o n d e r h e i t ; einzelne L e b e n s k r e i s e , Teilwirklichkeiten, müssen
sich
bilden,
aufrechterhalten
und
durchzusetzen
suchen.
Die Beziehung zur E i n h e i t des Selbstlebens ist hier, wenn auch nicht völlig gelöst, so doch s t a r k g e l o c k e r t ; die A r b e i t , das
Ringen
Kraft
Hauptsache
mit
dem
Gegenstande,
erscheint
hier
als
die
und der beherrschende Z w e c k ; zur H a u p t f o r m der B e w e g u n g hier der Prozeß, ein F o r t s c h r e i t e n aus der K o n s e q u e n z und den Forderungen der S a c h e . Vielheit einzelner
Leistung
d r ä n g t die
Gesinnung
r ü c k , und das W e r k n i m m t die Stelle des W e s e n s ein. nur als die eine
R i c h t u n g der
andere widerstrebt ihr und n i m m t den Geistescharakter und
hat das
einen f e r t i g e n
und ursprünglich
Leben
Besitz,
wird
gemäß
So v e r w a n d e l t sich d a s Leben in eine
S t r ö m e , die
aber gilt n u n m e h r
der
es
zu erzeugen.
nie gilt
Kampf
Das
alles
Bewegung,
eine
m i t ihr a u f .
als eine ruhende ihn
immer
zu-
neu
Den
Eigenschaft zu
erringen
D a s aber k a n n n u r v o n der
Ein-
heit her und durch freie T a t g e s c h e h e n , erst die V e r w a n d l u n g
des
Seins in T a t und die Ü b e r w i n d u n g des bloßen Prozesses gibt
dem
Leben ein
Selbst, eine Seele, einen
Gehalt.
Ohne die
Gegenwart
einer solchen wesenbildenden T a t verlieren die Prozesse ihre Innerlichkeit und ihre Geistigkeit, die völlige Losreißung v o n j e n e r und die A u s b i l d u n g einer Selbstherrlichkeit
gegen d a s
Ganze f ü h r t
notwendig zu einem S i n k e n auch der Einzelgebiete, alle E x a k t h e i t ersetzt nicht den M a n g e l a n
technische
Ideen, die leere F o r m
d r ä n g t den G e h a l t , ein mechanisches Getriebe den
Tat
Geist.
ver-
138
D e r K a m p f u m den C h a r a k t e r d e s Nicht
geringere
Mißstände
alle a n d e r e n u n t e r w e r f e n
und
drohen,
werden.
bewegung nicht
Aber
hervor,
sondern
entstehen,
ein
und immer
wieder
wieder
politischen,
lichen, religiösen, Lebensführung
immer
immer
vorwiegend
wenn
Einzelgebiet
sich
d a s G a n z e in seine B a h n ziehen will.
Oft s c h o n w a r d d a s u n t e r n o m m e n , nommen
Geisteslebens
ruft
wird
das
sozialen,
neu wird
es
auch
Verlangen
ästhetischen,
einer w e s e n h a f t e n u n d
nach
einer
wissenschaft-
universalgeistigen aller
bezu-
sammenfällt,
Be-
ihren
Lebensführung,
unterGegen-
d a r f , die a b e r w e d e r m i t den einzelnen n o c h m i t ihrer S u m m e die
einer
es
eine
nächsten
Ausdruck
lebung u n d U m w a n d l u n g des g a n z e n Eine
solche
schnittsstande verworrenen
Ordnung
der
des
Kultur
Durcheinander
in
der
muß
sie
auf
eine
erhält.
mit
zusammenstoßen.
wird
ethischen
Lebensbereiches
Kulturlebens
hart
die j e n e r
dem
Durch-
Gegenüber
deutliche
dem
Scheidung
und A b s t u f u n g i n n e r h a l b der K u l t u r a r b e i t d r i n g e n , wird sie ebenso eine
scharfe
Ausprägung
der
einzelnen
Gebiete
f o r d e r n wie ihnen g e g e n ü b e r ein G e s a m t l e b e n richtung tritt,
erstreben.
wenn
fahrungen auf
in
Kräfte
große allen
beides
hinüber-
sich g e g e n s e i t i g
eine
Aber
die
Wenn
und
mitteilen,
Bereicherung, Erfolgen
in
fruchtbare
nicht
nur
Teilkulturen Grund-
Wechselwirkung
herüberspielen
und
die
sich
die
Aussicht
Vertiefung
des
so e r ö f f n e t
Beseelung,
bleibt
und
mit ethischer
die
Er-
Lebens.
Ausführung
unfertig,
i m m e r v o n n e u e m ist a u c h u m die W a h r h e i t des G a n z e n zu k ä m p f e n , i m m e r neu seine G r u n d l a g e ihm zu s i c h e r n .
ß . Die Befreiung vom Ähnliche
Gedankengänge
Intellektualismus, können.
den
Intellektualismus.
führen
wir h e u t e
auch
weder
D a s ä l t e r e wie d a s n e u e r e
zu einer
ertragen
Befreiung
noch
vom
abschütteln einig,
den
Intellekt z u m K e r n d e s Seelenlebens u n d die E r k e n n t n i s a r b e i t
zum
Träger der in
unser
K u l t u r zu m a c h e n ; j e n e
geschichtliches
oder v e r s t e c k t —
Dasein
aufs s t ä r k s t e
Schätzungen, ja Bezeichnungen.
S y s t e m sind d a r i n
S c h ä t z u n g h a t sich d a h e r
eingegraben, aus
den
und s c h m e r z l i c h e , E r f a h r u n g e n
haben
wie w e n i g
Erkennen
zusammenfallen,
und
Seele,
wie mißlich
wirkt
überkommenen
—
tief offen
Begriffen,
Ü b e r die N o t w e n d i g k e i t einer
freiung d a v o n sind h e u t e die m e i s t e n einig. Denken
sie
Be-
Schwere Erschütterungen
uns viel zu und
deutlich
Geistesleben
es ist, u n s e r g a n z e s
gelehrt, in
Eins
Schicksal an
die
L e i s t u n g des E r k e n n e n s zu binden, wie leicht ein v e r m e i n t l i c h
ab-
K o n s e q u e n z e n und E n t w i c k l u n g e n
139
solutes Denken in bloße und leere Reflexion umschlägt, und wie diese zwischen uns und die Dinge, ja zwischen uns und unser eignes Wesen unsere Vorstellung schiebt, wie sie schließlich alle Wirklichkeit in Schein und Schatten aufzulösen d r o h t . W ä r e n u r die Überwindung solcher Mißstände ebenso leicht wie ihre E r k e n n t n i s ! Aber wir e n t r i n n e n dem Intellektualismus nicht d a d u r c h , d a ß wir ihn schelten, herabsetzen, zum Sündenbock aller Verkehrtheit m a c h e n ; wir entrinnen ihm auch nicht d a d u r c h , d a ß wir uns auf derselben Fläche des Lebens in das gerade Gegenteil werfen u n d die praktische Tätigkeit, das Wollen, die Affekte preisen. Denn auch der Intellekt gehört zum Bestände des Lebens und b e d e u t e t viel f ü r seine A r b e i t ; im nächsten Dasein des Menschen h a t er alles einzuleiten und alle Tätigkeit zu begleiten; kein Seelenleben ohne Vorstellung, kein geistiges Schaffen ohne D e n k a r b e i t , das können alle Klagen nichts ä n d e r n . So wäre der Intellektualismus unüberwindlich, wenn das u n mittelbare Leben unser ganzes Leben wäre u n d nicht eine Tiefe hinter sich h ä t t e , wenn nicht eine U m k e h r u n g der Art möglich wäre, d a ß jenes Dasein zur E n t f a l t u n g u n d Erweisung eines ursprünglicheren Lebens wird. Denn d a n n könnte, was im Dasein vorangeht, u n d aus eigner K r a f t zu wirken scheint, letzthin einem größeren u n d tiefer gegründeten Ganzen angehören und nur in Verbindung d a m i t Antriebe und R i c h t u n g e n , Gehalt u n d Charakter gewinnen. Die Wesensbildung mit ihrer Zurückverlegung des Lebens, ihrer Scheidung und gegenläufigen Bewegung in ihm verwirklicht diese Möglichkeit. W e n n sie im u n m i t t e l b a r e n Dasein dem Intellekt die F ü h r u n g zugesteht, so m a c h t sie ihn d a m i t keineswegs zum Kern des Lebens, so läßt sie die E r k e n n t n i s selbst ihren Inhalt nicht aus dem Vermögen des bloßen E r k e n n e n s u n d noch weniger aus bloßer Reflexion, sondern n u r im Z u s a m m e n hang mit einem begründenden und u m f a s s e n d e n Gesamtleben finden. Gewiß k a n n auch hier das einzelne Gebiet nichts vom Ganzen empfangen, ohne es bei sich selbst zu prüfen und eigentümlich zu gestalten. Aber auch dabei bleibt das Ganze gegenwärtig und wirksam; es gibt kein vordringendes E r k e n n e n , in dem nicht ein geistiges Schaffen lebte, und das uns die geistige Wirklichkeit nicht irgendwie weiterbildete. Diese W a n d l u n g e n treffen z u n ä c h s t das seelische Gebiet. Der Intellektualismus findet das Wesen der Seele im Bewußtsein, sei es
140
D e r Kampf um den C h a r a k t e r d e s G e i s t e s l e b e n s
d a ß er dies mit d e m E m p i r i s m u s passiv als ein Aneignen z u g e f ü h r t e r Eindrücke,
sei es d a ß er es m i t d e r
Selbsterzeugung
des
Denkens
Spekulation
versteht.
aktiv
als eine
Demgegenüber
besteht
die W e s e n s b i l d u n g d a r a u f , d a ß alles B e w u ß t s e i n ein Ich v o r a u s s e t z t , u n d d a ß die Vorstellungen n i c h t als f r e i s c h w e b e n d e G r ö ß e n , sondern n u r als B e t ä t i g u n g e n
eines S u b j e k t s
bestehen.
Die E i n h e i t wird
n i c h t d e n einzelnen Vorstellungen n a c h t r ä g l i c h h i n z u g e f ü g t , sondern eine jede von ihnen ist w a s sie ist n u r als u n s e r e eigne u n d daher unter
Voraussetzung
einzelne
einer
Vorstellungen,
Einheit,
sondern
auch
auch
e r f a h r e n wir n i c h t
bloß
Durchkreuzungen
und
ihre
V e r w e b u n g e n ; w a s i m m e r a n M a n n i g f a l t i g k e i t v o r g e h t , d a s ist ein E r l e b n i s des
Ganzen
oder k ö n n t e
es doch
werden.
Ein
passives
B e w u ß t s e i n , in d e m die Vorgänge wie in einem leeren G e f ä ß z u s a m m e n träfen, kann
den
wirklichen
Leistungen
gewachsen
nur
scheinen,
w e n n u n v e r m e r k t eine A k t i v i t ä t m i t bildender K r a f t h i n z u g e d a c h t w i r d ; ein a k t i v e s a b e r t r ä g t den W i d e r s p r u c h in sich selbst, d a die B e w e g u n g eines bloßen
Intellektes
das
Ich,
d a s sie erzeugen soll,
v i e l m e h r schon v o r a u s s e t z t u n d in sich t r ä g t . So darf u n s d a s B e w u ß t s e i n
n i c h t als der G r u n d b e s t a n d
Seele, sondern n u r als die F o r m ihrer Ä u ß e r u n g g e l t e n .
der
W i e der
Mensch in der Zeit lebt u n d zugleich ü b e r der Zeit s t e h t , wie sich ihm
alles
räumlich
den
Raum
gestaltet
überwindet,
so
und kann
zugleich das
alle geistige
Leben im
Tätigkeit
Bewußtsein
laufen u n d zugleich in seinem K e r n ihm überlegen sein. ist dieser Kern n i c h t
zur E r k l ä r u n g
mühsam
ver-
Und zwar
erschlossen,
sondern
als Selbstleben ist d a s Geistesleben u n m i t t e l b a r u r s p r ü n g l i c h e r u n d realer als d a s B e w u ß t s e i n ; je s e l b s t ä n d i g e r es sich e n t w i c k e l t
und
zu einer eignen W e l t a u s b a u t , d e s t o m e h r wird d a s B e w u ß t s e i n v o m Selbstleben u m f a ß t u n d g e t r a g e n . — W o h l b e h ä l t d a s
Bewußtsein
auch als Daseinsform eines u r s p r ü n g l i c h e r e n Lebens eine große Bed e u t u n g . D e n n f ü r u n s e r u n f e r t i g e s u n d von G e g e n s ä t z e n d u r c h w i r k t e s Leben ist u n e n t b e h r l i c h die E n t w i c k l u n g u n d K l ä r u n g , A u s e i n a n d e r s e t z u n g u n d V e r b i n d u n g , die nirgends a n d e r s als hier erfolgen k a n n ; n u r hier lcommen die W i d e r s p r ü c h e zur E m p f i n d u n g , n u r hier l ä ß t sich
eine
Überwindung
erstreben.
Auch
hat
f ü r den
Menschen
keine volle Wirklichkeit, was sich n i c h t auch h i e r h e r e r s t r e c k t . das
alles
macht
jenen
Schauplatz
schaffenden Grundgeschehen; verlangt
zu
seiner
Erklärung
auch
des
Lebens
was
im
mehr
als
das
noch
nicht
Bewußtsein bloße
Aber zum
vorgeht,
Bewußtsein.
K o n s e q u e n z e n und E n t w i c k l u n g e n Ähnliches Hier
erfährt
verficht
unterwirft ständig
er
alle
würde
der
eine
anderen das
Intellektualismus
völlige
Gebiete
Erkennen
bei
Selbständigkeit seiner
nur
14]
der
des
Macht.
Kulturarbeit.
Erkennens
Aber
d a n n sein, wenn
und
völlig
es ein
selbbloßes
W e r k eines f r e i s c h w e b e n d e n , mit sich selbst b e f a ß t e n Denkens w ä r e . Nun
hat
allerdings
das
Denken
ein
Verhältnis
zu sich selbst,
es
k a n n sich auf sich selber richten und als Denken des D e n k e n s eine gewisse W i r k l i c h k e i t erzeugen.
A b e r wie leer und s c h a t t e n h a f t diese
W i r k l i c h k e i t a u s f ä l l t , wie sie den Schein einer lebendigen W e l t
nur
durch ein u n a b l ä s s i g e s Aneignen f r e m d e r E l e m e n t e erschleicht,
das
zeigt die G e s c h i c h t e der s p e k u l a t i v e n
bis
Konstruktion
v o n Plotin
Ist aber das D e n k e n nicht die ganze W i r k -
Hegel d e u t l i c h g e n u g .
lichkeit, so m u ß es ein V e r h ä l t n i s zur übrigen erst suchen. ein solches
zu
f i n d e n , genügt
sein V e r m ö g e n und seine darf dazu v o r allem
nicht
ein
bloßes
Stellung zu den
U m aber
Reflektieren
über
D i n g e n , sondern es be-
einer A u f h e l l u n g des Ganzen des Geisteslebens,
einer Orientierung über den K e r n der W i r k l i c h k e i t . Die E n t s c h e i d u n g d a r ü b e r e n t h ä l t auch eine W e i s u n g f ü r die Stellung und den gangspunkt, Schranken kann
den der
Verlauf
und
die
Erkenntnisarbeit;
das T e c h n i s c h e sein W e r k
es glücklich v o l l f ü h r e n . nistheoretischen
K ä m p f e zurück,
den
Prinzipienkampf
ihn
hier
auf
nach
Vermögen solcher
Aus-
und
die
Grundlegung
beginnen, nur bei W a h r u n g
ihrer
ihren
sie werden u n f r u c h t b a r mit Freilich h a t die eignen
Vermögen
samtbilds
S t r e b e n und
Zusammenhange erfolgen.
Nur
Leisten darf und der
unter
auch
und
bestritten.
im
auszufechten,
zu v e r p f l a n z e n das
muß
Waffen
Boden
Auf-
Erkenntnisarbeit
einer eigentümlichen W e i t e r f ü h r i i n g wird ihr keineswegs A b e r all ihr
eignen
erst
das
Auf jenes Z e n t r a l p r o b l e m weisen alle e r k e n n t -
h e b u n g dieses Z u s a m m e n h a n g e s . mit
Wege,
nicht in der
Isolierung, es
Vergegenwärtigung
Grundprozeß
des
des
Ge-
Geisteslebens
ent-
w i r f t die W i r k l i c h k e i t , die das E r k e n n e n w e i t e r e n t f a l t e t und die es nicht f ö r d e r n k a n n , ohne dem entgegenzuhalten.
Wenn
aber das
in solcher V e r k e t t u n g mit dem seine
E r f o l g e zugleich
lichkeit.
Erkennen
G a n z e n des
Erweiterungen
klärt,
G a n z e n auch eine eigne
und
Art
nur v o r d r i n g e n k a n n Geisteslebens, so sind
V e r t i e f u n g e n der
Wirk-
Die S c h ö p f u n g e n der großen D e n k e r sind nicht bloß v e r -
schiedene Spiegelungen einer u m uns v o r h a n d e n e n W e l t , s u b j e k t i v e Meinungen und A n s i c h t e n v o n derselben
S a c h e , sondern bei
ihnen
ist die S a c h e selbst noch im F l u ß , und an ihrer F ö r d e r u n g erweisen
142
Der Kampf um den Charakter d e s
Geisteslebens
sie ihre Eigentümlichkeit; nur deshalb und darin waren sie groß, d a ß sie eine eigne Wirklichkeit h a t t e n und mit ihr das Ganze des Lebens w e i t e r f ü h r t e n . Als Denker waren sie in ihrer Weise ebenso schöpferisch, wie der Künstler es in seiner ist. Sie k o n n t e n das aber n u r sein, weil sie keine bloßen Theoretiker waren, weil ihnen die Denkarbeit den H ö h e p u n k t einer Lebensbewegung bedeutete. Als Oedankenbildner waren sie Lebensschöpfer. So auf das Ganze des Lebens angewiesen, kann die Wissenschaft nicht aus eignem Vermögen den anderen Gebieten ihren Gehalt zuf ü h r e n u n d ihnen ihre Grenze stecken, wie es der Intellektualismus u n t e r n i m m t . E r gewährt den einzelnen Gebieten nur so viel Realität, als sie vor dem Erkennen d a r z u t u n vermögen, das Maß des Erk e n n e n s wird hier zum Maße des Lebens. Die Religion, die Kunst, die Moral usw. bestehen hier nur soweit zu Recht, als sie der Wissens c h a f t erwiesen und in ihre Begriffe eingegangen s i n d ; die ganze Wirklichkeit, unser eignes Leben, unser Ich werden ungewiß, wenn sie sich nicht der Theorie mit einleuchtenden Gründen vorstellen können. Die Wesensbildung erklärt das alles f ü r eine Verkehrung, welche die zweite Ansicht zur ersten, die A u s f ü h r u n g zur Begründung m a c h t . Gewiß treibt der Lebensprozeß über die sinnliche Unmittelbarkeit h i n a u s zum Verlangen einer geistigen; diese m u ß sich f ü r unser Bewußtsein d a r t u n und entwickeln, aber sie e n t s t e h t deshalb nicht aus solcher Entwicklung, sie weist immer auf eine ursprünglichere, wesenbildende T a t des Ganzen zurück. Durch den Z u s a m m e n h a n g d a m i t erhalten die einzelnen Gebiete ihre K r a f t und Gewißheit; wohl haben sie einen Beweis ihrer W a h r h e i t zu f ü h r e n , aber sie können ihn nicht durch ein logisches Ableiten f ü h r e n , sondern n u r durch ein Aufdecken ihrer Verbindung mit jener G r u n d t a t des Geisteslebens, durch ihre F r u c h t b a r k e i t f ü r das Ganze der geistigen Wirklichkeit, ihr Erzeugen neuer und eigentümlicher Lebensgehalte. Diese geistige Leistung, die keine Willkür der Individuen u n d keine bloße Reflexion hervorbringen k a n n , wird n u n m e h r das Maß der W a h r h e i t und echten Wirklichkeit, nicht die Klarheit und Deutlichkeit eines freischwebenden Erkennens, wie das der Intellektualismus v e r k ü n d e t . Wie schlimm s t ü n d e es um die Religion, hinge ihr Wirken an der Überzeugungskraft der Beweise f ü r das Dasein Gottes, wie schlimm um die Moral, d ü r f t e n wir nicht eher mit Fug und Recht w a h r h a f t i g sein, ehe die Pflicht der W a h r h a f t i g k e i t
K o n s e q u e n z e n und E n t w i c k l u n g e n
143
sonnenklar nachgewiesen wäre, wie schlimm um die K u n s t , m ü ß t e n wir die Freude an ihren Schöpfungen solange verschieben, bis wir sie begründen k ö n n t e n ! In W a h r h e i t ist überall der Lebensgehalt reicher als die E r k e n n t n i s und sind die Beweise des Geistes und der K r a f t s t ä r k e r als die der bloßen Theorie. Damit wird nicht der reinen Wissenschaft eine eigentümliche u n d wichtige Aufgabe abgesprochen. Schon das ist nichts Geringes, d a ß sie allen geistigen Besitz zu klären und zu sichten, zu entwickeln u n d in ein Ganzes zusammenzufassen vermag, d a ß sie ihn d a m i t durchleuchtet u n d uns näher bringt, ihn in höherem Grade in einen eignen Erwerb, ein wahrhaftiges E i g e n t u m verwandelt. Solches ist die F o r d e r u n g jeder gereiften K u l t u r , hier k a n n daher nichts Geistiges seine volle Wirkung üben ohne sich auch vor dem Erkennen darzulegen u n d zu begründen. Aber noch m e h r ! Für unser im Werden befindliches und der Irrung ausgesetztes Leben k a n n die Erkenntnisarbeit auch in den Kern zurückgreifen und den Grundprozeß fördern. Ihr Auseinandersetzen und Verketten kann Widersprüche aufdecken und Irrungen anzeigen, es kann zugleich neue Forderungen stellen, neue Möglichkeiten e n t w e r f e n , große Wendungen anregen. Das alles aber nicht aus dem Vermögen des isolierten Erkennens, sondern nur sofern das Erkennen einen Zus a m m e n h a n g mit der Gesamttätigkeit wahrt, sofern in seiner Arbeit das Ganze lebt u n d wirkt. So heißt es, den G r u n d g e h a l t u n d die Lehrform sowohl auseinanderzuhalten als aufeinander zu beziehen; wiederum zeigt d a s Leben bei sich selbst eine Scheidung und eine innere Bewegung; zugleich entgeht es einem unsicheren Schwanken zwischen einer Überschätzung u n d einer U n t e r s c h ä t z u n g der Erkenntnisarbeit. y. U n r e c h t u n d R e c h t d e r G e s c h i c h t e . Die Art, wie das Leben sich zur Geschichte stellt, ist so bezeichnend f ü r seine eigentümliche Art, d a ß auch unsere Überzeugung sich hier zu erweisen h a t . Die Wesensbildung k a n n nicht jener Schätzung der Geschichte folgen, die das 19. J a h r h u n d e r t beherrscht, die zuerst in spekulativer Fassung die Geister gewann, d a n n aber mit zäher Arbeit den ganzen Befund der E r f a h r u n g ergriff und verwandelte. Der dabei waltenden Überzeugung wird die Geschichte zur ausschließlichen W e r k s t a t t des Geistes und gehört unser Leben und W e s e n , unsere Gesinnung und Leistung ganz
144
D e r Kampf um d e n C h a r a k t e r des G e i s t e s l e b e n s
ihrem den
rastlosen Gewinn:
Strom. das
Das
Jahrhundert
Flüssigwerden
starrer
sah
in d e m
Größen,
u m f a s s e n d e r Z u s a m m e n h ä n g e , die V e r j ü n g u n g u n d
die
allen
nur
Herstellung
K r ä f t i g u n g des
L e b e n s ; es sah n i c h t die K e h r s e i t e , die d e m S y s t e m der Wesensbild u n g nicht entgehen kann.
D e n n wie k ö n n t e die W e s e n s b i l d u n g ein
Selbstleben des Geistes aller bloßen B e t ä t i g u n g u n d K r a f t e n t f a l t u n g entgegensetzen,
ohne die F l ü c h t i g k e i t
Geschichte zu d u r c h s c h a u e n ?
und
Nichtigkeit
der
bloßen
Sie f i n d e t in j e n e r völligen Hingebung
an den S t r o m der Dinge eine P r e i s g e b u n g aller S e l b s t ä n d i g k e i t und U r s p r ü n g l i c h k e i t der G e g e n w a r t , eine A u f l ö s u n g aller festen Größen z u g u n s t e n eines sich selbst v e r z e h r e n d e n nichtung
aller u n d
Wirklichkeit.
jeder
Gegenwart
R e l a t i v i s m u s , j a die Ver-
und
zugleich
aller
geistigen
D e n n w a s a n d e r s wird hier d a s Leben als ein
vorüberziehender
Schatten?
Wenn
Heer
hier der eine Augenblick f ü r
den a n d e r e n sorgen u n d d a s eine Geschlecht f ü r d a s a n d e r e leben soll, u n d
dieses wieder
f ü r ein
anderes,
und
das
so weiter
und
w e i t e r o h n e E n d e , so b r a u c h t ein Selbstleben n u r n a c h einem Sinn u n d Zweck zu f r a g e n , u n d in die A u g e n .
die N i c h t i g k e i t
dieses
Ganzen
springt
Aus d e r V e r n e i n u n g g e h t a b e r die B e h a u p t u n g hervor,
d a ß die Geschichte einen tieferen G r u n d , eine ewige O r d n u n g der Dinge h i n t e r sich h a b e n m u ß , u m geistig irgend e t w a s zu s c h a f f e n , u m Geistesgeschichte g e g e n ü b e r einer bloßen N a t u r - u n d Menschengeschichte zu w e r d e n ; n i c h t als ein s e l b s t g e n u g s a m e s Reich u n d eine f r e i s c h w e b e n d e M a c h t , s o n d e r n n u r als E r w e i s u n g eines w e s e n h a f t e n Lebens k a n n sie u n s
innerlich w e i t e r f ü h r e n .
So g e b ü h r t der
Ge-
s c h i c h t e n i c h t der erste, s o n d e r n n u r der zweite P l a t z . Aber auf d e m zweiten „ P l a t z e r ö f f n e t ihr g e r a d e die Wesensbild u n g ein b e d e u t e n d e s W e r k .
Aus bloßer Z e i t ü b e r l e g e n h e i t
kann
d a s menschliche Geistesleben w e d e r zu voller D u r c h b i l d u n g noch zu voller W i r k l i c h k e i t g e l a n g e n , d e n W e g d a h i n f i n d e t es n u r d u r c h ein E i n g e h e n in die Zeit u n d die E r z e u g u n g einer G e s c h i c h t e ; n u r eine A u s e i n a n d e r s e t z u n g m i t d e m , w a s auf diesem B o d e n v o r g e h t ,
nur
eine Ü b e r w i n d u n g d^r hier v o r h a n d e n e n W i d e r s t ä n d e u n d eine Verwandlung jenes
der g e g e n s t ä n d l i c h e n
Ziel
mittel
erreichen.
des K a m p f e s u m
Das
Erfahrung
macht
die
in
Selbsterfahrung
Geschichte
eine geistige W i r k l i c h k e i t ,
zum zugleich
läßt
Hauptüber-
w i n d e t es sicher u n d weit u m l a u f e n d e M e i n u n g e n des Alltags. Die Geschichte unseren
hat
keineswegs
Vorstellungen
bloß
eine
abzuspiegeln,
vorhandene sondern
Wirklichkeit
Arbeit
und
in
Kampf
Konsequenzen und E n t w i c k l u n g e n
145
wollen W a n d l u n g e n im Wesen bewirken, die rechten Ziele und Wege ermitteln, neue K r ä f t e gewinnen, eine Tatwelt gegenüber dem bloßen Dasein erringen. Auch den Menschen h a t sie nicht als fertig hinzunehmen, auch nicht den bloßen Zwecken seines Befindens zu dienen, sondern mit jenen Wandlungen arbeitet sie auch an seinem Innern und bildet sie sein Wesen weiter. Was die erste Ansicht als festen Ausgangspunkt n i m m t , das wird im Fortgang mehr u n d m e h r zum P r o b l e m ; es erhellt, d a ß uns nicht von Haus aus deutlich die Bahn gewiesen ist, die wir sorglos nur weiterzuwandeln b r a u c h t e n , sondern d a ß auch die H a u p t r i c h t u n g in Frage steht und sich nur durch Wagen und Schaffen, durch Zweifel und K a m p f , durch E r f a h r u n g und Selbsterfahrung gewinnen läßt. Nicht anders ist hier ein Fortgang d e n k b a r als durch die Bewegung des Lebens selbst, als in Selbstprüfung des eignen Wirkens. Auf dem Boden der Geschichte m u ß das Geistesleben sich zu umfassender T a t zusammenschließen, zu einem Werke verkörpern und daran sein ganzes Streben setzen, d a m i t sein ganzes Vermögen in Wirklichkeit umzuwandeln suchen. Solches Schaffen ist ein Wagnis, es e n t h ä l t die B e h a u p t u n g , das einzig wahre und vollgenügende zu sein. Über das Recht dieser B e h a u p t u n g kann nur das Leben selbst entscheiden, nur die A u s f ü h r u n g jenes Unternehmens kann zeigen, ob wirklich jene Bahn die ganze Weite und Tiefe des Geisteslebens in sich aufn i m m t , ob nicht d r a u ß e n und drinnen Widerstände verbleiben, die nach und nach hervorbrechen und schließlich das Ganze erschüttern, zugleich aber eine W e n d u n g zu neuen Zielen nahelegen. Eine solche Selbsterfahrung, ein solches Sichweiterbilden wird aber nur dadurch möglich, d a ß das Geistesleben in das geschichtliche Dasein eine zeitüberlegene Art hineinlegt und in seinen K ä m p f e n gegenwärtig h ä l t ; nur durch ein solches Wirken des Ewigen in ihr wird die Geschichte mehr als Erscheinung und Schein, dient sie dem Aufbau einer echten Wirklichkeit. Aber das Ewige m u ß sich nicht nur unablässig in die Zeit versenken u n d sich mit ihr verschmelzen, es m u ß fortwährend auch eine Überlegenheit bewahren und aus ihr zurückkehren. Eine gänzliche Versenkung in die Zeit und Geschichte würde das Geistesleben u n t e r f r e m d e Formen u n d Gewalten bringen, würde es immer mehr der Zerstreuung und Veräußerlichung überliefern. So ist die Leistung der Geschichte immer wieder in das Ewige und Ursprüngliche umzuwenden, d a s bloß Zeitliche an der geschichtlichen Leistung E u c k e n , Kampf.
III. Aufl.
10
146
D e r Kampf um den C h a r a k t e r d e s G e i s t e s l e b e n s
energisch a u s z u t r e i b e n ; n u r eine G e g e n l ä u f i g k e i t der Bewegung im Suchen
und
im
Fliehen
der
Zeit
führt
zu
dem
erstrebten
D a m i t b e k o m m t u n s e r V e r h a l t e n z u r G e s c h i c h t e einen Charakter:
bei u n s
m u ß das
Geistesleben
die
Ziel.
dialektischen
Geschichte
sowohl
a u f b a u e n als z e r s t ö r e n , sich m i t ihr v e r b i n d e n u n d v o n ihr lösen, in ihr sein W e s e n s u c h e n u n d sie zur E r s c h e i n u n g h e r a b s e t z e n .
Diese
D i a l e k t i k unseres Verhältnisses z u r G e s c h i c h t e gibt u n s e r e m Leben eine
unablässige
Spannung
und
einen
eigentümlichen
Anblick.
Sehen wir, wie sich die H a u p t p u n k t e d a n a c h g e s t a l t e n . Das E i n g e h e n d e r Ewigkeit in die Zeit u n d zugleich der endlichkeit in ein
endliches W e r k
ristischen L e b e n s f ü h r u n g ,
die
erweist sich
mit
ihrer
in j e d e r
besonderen Aufgabe
L e i s t u n g d a s Ganze des Geistesleßens sein will. die s o g e n a n n t e n h i s t o r i s c h e n
Un-
charakte-
Ideen,
Hierher
und
gehören
h i e r h e r a u c h die E n t w i c k -
lung geschlossener L e b e n s s y s f t m e . Bei j e n e n Ideen sehen wir eigentümliche
Gedankenmassen
und
Interessenkomplexe
sich
als
die
einzige u n d vollgenügende W a h r h e i t g e b e n u n d d e n g a n z e n M e n s c h e n in A n s p r u c h
nehmen.
Solche
Ideen h a b e n
ihre
natürlichen
Be-
d i n g u n g e n u n d ihre geschichtlichen Z u s a m m e n h ä n g e , a b e r sie h a b e n zugleich eine hervorgehen
U r s p r ü n g l i c h k e i t , die n u r aus eigner u n d f r e i e r T a t kann;
sie
behaupten
eine
Überlegenheit,
ja
Einzig-
keit, welche d e n A n s p r u c h in sich schließt, m i t ihrer L e i s t u n g d a s Ganze des Geisteslebens zu bilden.
Die
Ideen h a b e n d a s
engste
Verhältnis zur Zeit, n u r als eine Frage des J e t z t e r h a l t e n sie die E i n d r i n g l i c h k e i t , e r h a l t e n sie a u c h die volle
I n d i v i d u a l i t ä t , die zu
ihrem Bestehen n o t w e n d i g ist.
Aber diese s c h e i n b a r e n K i n d e r der
Zeit
werden
Herren
Zeit
nicht
in bloß
Wahrheit dienen,
zu nicht
bloß
s o n d e r n sie v e r f e c h t e n ihren »eignen
der für
Zeit.
ihre
Gehalt
Sie
wollen
Bedürfnisse
als s c h l e c h t h i n
der
sorgen, wahr,
als u n a b h ä n g i g von der Zeit, j a , als im G e g e n s a t z d a z u gültig, sie geben sich n i c h t als einen P u n k t einer f o r t l a u f e n d e n Reihe, als ein Mittel f ü r weitere Zwecke, s o n d e r n als einen völligen S e l b s t z w e c k ; der
Fluß
der
Geschichte s c h e i n t
hier z u m
Stehen
gebracht,
die
bloße Zeit v e r n i c h t e t , eine G e g e n w a r t g e w o n n e n , die n i c h t d e r Zeit, sondern der Ewigkeit a n g e h ö r t . f ü r jenes
Eingehen
Schaffens
in
des
Das alles ist ein d e u t l i c h e s Zeugnis
Ewigen
die V e r k e t t u n g
in die Zeit, eines
der D i n g e ;
eben
ursprünglichen
dieses
Zusammen-
t r e f f e n ist es, w a s den Ideen eine so m e r k w ü r d i g e M a c h t v e r l e i h t , die
alle
sonstige
Leistung
überbietet.
So
sahen
wir
es
nach-
Konsequenzen
einander
bei
der
religiösen
der d e s u n i v e r s a l e n sozialen
dem heit
bei der
ja
Erstrebten
scheint
aus
in dem
ihr
Glaube,
Leidenschaft gespannt,
dem
hier das
Aufklärung, jetzt
bei
bei
der
übrige
mit
richtet
heit
befreit.
Wie
eine
Grundwahr-
und
die
Kraft
an-
natürlicher
und
äußerste
Kleinheit
Überwindung Gewißheit
aber der Mensch sich
summieren
auch und
und
Aufopferung
gegen Logik
alle
feindliche ihre
ihren
Forderungen
dringen.
Wem
mannigfachen
aufnehmen;
Konsequenzen
unterwerfen,
wäre
das
Walten
Idee sie
in den
geistiger
der
Werke
entwickeln,
tief
Wahrhinaus-
Leistungen
gemeinsamen
K r ä f t e k a n n die
Welt
klügeln-
einleuchtender
ü b e r sich selbst
einem
den
eine
hier
die zu
Im B e s i t z so g e w a l t i g e r
unerbittlicher
vor
hierher
unbestreitbarer
Begeisterung
die
über die
verbinden.
hältnisse
Was
Macht
die
wird
hinaus zur
die freudige
vermögen zu
über-
erreichbar,
Interessen g e t r i e b e n , auch v o n allen Z w e i f e l n durch
Kampf
alles
Streben.
der
sich
hier
Individuum
Reflexion so
scheint
Hierher g e h t denn a u c h der A f f e k t der Zeit
Selbsterhaltung
Einzelnen
alles
wirkt
Menschen,
der
Lebens
der
wir es
L e b e n s p r o z e ß selbst als
es
hierher
des
seiner eignen
wächst,
der
sehen
Einen
verblaßt
Selbstverständlichkeit.
sozialer
bei so
147
Idee sehen wir eine A u f g a b e alle a n d e r e n
hervorzuquellen,
wie
Idee,
Humanismus,
verdrängen,
hier
gehört,
Entwicklungen
Idee.
Denn ragen,
und
zu
getrost
wird
mit
alle
Ver-
Bestand Mächte
des über
den M e n s c h e n a n s c h a u l i c h zu m a c h e n , dem es nicht die Ideen zu erkennen g ä b e n ? A b e r die
Geschichte
auch ein S i n k e n der dem
siegreichen
lösung.
zeigt
nicht
nur ein A u f s t e i g e n , sie
Ideen, a u c h den
Vordringen
folgt
Ideen ist eine
ein
Niedergang
Frist
und
zeigt
gesetzt,
eine
Auf-
Und z w a r f ü h r t meist der Sieg selbst die W e n d u n g herbei.
Die volle
D u r c h f ü h r u n g der
Idee m a c h t
auch
ihre
Schranken
be-
m e r k l i c h ; die innige V e r s c h m e l z u n g v o n B e s o n d e r e m u n d A l l g e m e i n e m , von
Sichtbarem
und
Unsichtbarem,
von
Zeitlichem
und
Ewigem,
die z u n ä c h s t eine g e w a l t i g e S t ä r k e g a b , wird z u r S c h w ä c h e , sobald die zu sich
damit
umgrenzte
eng f ü r die auch
hier
Wirklichkeit
Unermeßlichkeit bewährt,
daß
in
des
für
den
m i n a t i o n ohne eine N e g a t i o n g i b t . im Siege die mit seinen
Idee ihre
F o r m e n und
Jenseitigkeit
ihrem
Festwerden
Geisteslebens Menschen
sich
erweist, u n d es
keine
K r ä f t e n a u f s engste v e r k e t t e t . 10*
dem
es
Deter-
A u c h m u ß es sich rächen, a u f g i b t und sich
als
daß
Dasein
Denn
das
)48
Der Kampf um den C h a r a k t e r d e s G e i s t e s l e b e n s
Besiegte
behauptet
strickt und
auch
in der
verfängt darin
U n t e r o r d n u n g seine A r t , es
den
ver-
Sieger; d a s Äußere,
Mechanische,
K l e i n m e n s c h l i c h e g e w i n n t i m m e r m e h r R a u m bis z u r
Verdunklung
u n d G e f ä h r d u n g aller Geistigkeit.
So s i n k t d e n n der Glaube u n d
die H i n g e b u n g des Menschen, die f r ü h e r so e i n l e u c h t e n d e n
Wahr-
heiten verfallen d e m Zweifel, die alten W e r t e verlieren ihren Kurs, die G ö t t e r w e r d e n zu G ö t z e n , die Reflexion v e r d r ä n g t d a s Schaffen, die positive
E p o c h e m u ß einer kritischen weichen.
Glaubte
sich
d o r t d e r Mensch d e m Geistesleben u n t r e n n b a r v e r b u n d e n , so e r f ä h r t er n u n schmerzlich einen weiten A b s t a n d ,
j a G e g e n s a t z , sein
Un-
v e r m ö g e n wird s o n n e n k l a r , u n d er neigt d a h i n , seine Grenzen enge zu 'Ziehen, gering von sich selbst zu d e n k e n . A b e r j e n e W e n d u n g ist kein bloßer Verlust.
A u c h ein Gewinn
wird in ihr ersichtlich, sobald sie in ihrer w a h r e n N a t u r v e r s t a n d e n wird, als ein Z u r ü c k k e h r e n des Geisteslebens aus d e m W e r k e
der
Zeit
als
zu
seiner
eignen
Ewigkeit
und
reinen
Ursprünglichkeit,
ein Zeugnis dessen, d a ß es sich n u n u n d n i m m e r in d a s Werk und eine
die geschichtliche
überlegene
Natur
aller Zeitleistung ü b t .
Lage e r s c h ö p f t , s o n d e r n
entgegenhält
und
daraus
besondere
ihnen
eine
allen
Kritik
an
Solche E r h a b e n h e i t m u ß den M e n s c h e n
zu-
n ä c h s t zur Kleinheit h e r a b d r ü c k e n , a b e r sie wird ihn a u c h
wieder
e r h e b e n , d a j e n e W e n d u n g ihm n i c h t von a u ß e n her z u f ä l l t , sondern sich in seinem eignen I n n e r n v o l l z i e h t ; so teilt er auch die G r ö ß e , Unendlichkeit
und
Innerlichkeit
des
Geisteslebens.
Mag
er
sie
z u n ä c h s t im G e g e n s a t z zu aller positiven G e s t a l t u n g u n d d a h e r in voller U n b e s t i m m t h e i t u n d hierher a u s allen
Formlosigkeit e m p f i n d e n , er k a n n
Sorgen u n d
sich
S c h m e r z e n des Daseins als in seine
u n v e r l i e r b a r e H e i m a t f l ü c h t e n , er k a n n hier i n m i t t e n alles Zweifels u n d aller U n f e r t i g k e i t eine G r u n d ü b e r z e u g u n g Ja störend
noch
mehr!
wirken
Jene
ohne
versteckte Bejahung.
Verneinung
eine
in
ihr
behaupten.
könnte
unmöglich
enthaltene,
wenn
so
Dies J a , z u n ä c h s t z e r s t r e u t u n d f ü r die
k u n g verloren, wird sich allmählich s a m m e l n
und
Persönlichkeiten,
um
die
Höhe
zu
gewinnen
und
Wir-
deutlicher
p r ä g e n ; es bedarf n u r der G u n s t der Lage u n d vor allem zu f ü h r e n .
die
zer-
auch tiefaus-
großer
Bewegung
So e r h e b t sich gegen die alte T h e s e eine n e u e , sie wird
ihr n i c h t bloß einen ä u ß e r e n W i d e r s t a n d , s o n d e r n a u c h eine a n d e r e Art entgegensetzen. sein
Recht
nicht
N a m e n t l i c h das, w a s in d e r f r ü h e r e n L e i s t u n g erhielt,
was
zurückgestellt
und
mißachtet
war,
K o n s e q u e n z e n und E n t w i c k l u n g e n
149
wird sich nun mit frischer K r a f t erheben und die Führung nehmen.
über-
Demnach bewegt sich die Geschichte nicht in gerader Linie,
sondern in Gegensätzen.
Eine solche Gegensätzlichkeit anerkennen,
heißt aber nicht sich zur Hegeischen Lehre von einem gleichförmigen Fortschreiten
durch
Bejahung
und
und Wiederverbindung bekennen.
Verneinung,
durch
Scheidung
Schon deswegen nicht, weil die
Wesensbildung, gemäß ihrem Streben nach einem Geftalt des Selbstlebens, nicht vornehmlich mit formalen Gegensätzen logischer sondern mit realen Gegensätzen zu tun h a t . verschiedene
Gestaltungen,
verschiedene
Art,
Bei diesen aber sind
Wendungen
möglich;
so
kann auch der Angriff auf das alte Lebenssystem verschiedene Ausgangspunkte und Richtungen haben. keiten
die
lehren.
anderen überwindet,
Welche von diesen Möglich-
darüber
kann
keine
Formel
mal in Fluß geraten, so wird es schmieden, wer kühn und der Bewegung deutliche Bahnen weist. großer
Persönlichkeiten.
zubrechen,
auf
Sie vermögen
ein ursprüngliches
Kant
geben.
kann der ganzen
vorangeht
Das aber ist das Wesen alle
Voraussetzungen
S c h a f f e n zurückzugreifen,
Grundelemente zur Wirkung zu bringen. ein
be-
Ist nämlich in solchem kritischen Zeitpunkt das Eisen ein-
abneue
Ein Augustin, ein Luther,
Bewegung eine unerwartete
Wendung
Damit wird die Geschichte irrational und widersteht aller
Auflösung in eine einfache Formel, aller Verwandlung in ein a u f gezogenes Uhrwerk.
E s eröffnet sich die Aussicht auf einen Wechsel
von A u f - und Abstieg und auf eine Fülle von Bildungen.
Die Frage
wird
zu
damit
unabweisbar,
ob sich
alle
Mannigfaltigkeit
einem
Ganzen zusammenfügt und dem Menschen einen sicheren
Gewinn
verheißt. Diese Frage bejaht mit stolzer Zuversicht die geschichtsphilosophische
Überzeugung,
welche
hundert durchdrang und noch dankenwelt
bildet.
von
Hegel
her
das
immer ein Hauptstück
Ihr erscheint
die Geschichte
ganze unserer
als ein
großer Prozeß, durch den sich, weniger durch langsamen
JahrGe-
einziger Zuwachs
als durch den Streit der Gegensätze, eine Vernunft, aber eine unpersönliche Vernunft a u f a r b e i t e t ; nicht irgendwelche Überlegung und bewußte Zielsetzung lenkt diese Bewegung, sondern eine sachliche Notwendigkeit, eine Logik der D i n g e ; sie treibt Widerstände heraus, aber sie überwindet sie auch, sie erklimmt in sicherem Zuge immer weitere Höhen.
Der Mensch wird hier zum bloßen Werkzeug
un-
persönlicher Mächte, sein Weg ist ihm gewiesen, ein ehernes Schicksal
150
D e r K a m p f um den C h a r a k t e r d e s G e i s t e s l e b e n s
beherrscht
sein
nungen.
Wollen
Aber
aus
und
der
spielt
mit
Unterordnung
seinen
Plänen
empfängt
er
und
Hoff-
zugleich
die
G e w i ß h e i t , m i t seiner A r b e i t a m B a u der W e l t e n zu w i r k e n ,
und
läßt
ihn
ü b e r alle E n d l i c h k e i t f ü h r t ihn d a s D e n k e n h i n a u s u n d die U n e n d l i c h k e i t des Allebens teilen.
Solche b e s t r i c k e n d e n
h a b e n sich i m m e r m e h r zu e i n e m f e s t e n
Glauben
Lehren
verdichtet,
der
a u c h d a sich z ä h e b e h a u p t e t , wo s o n s t die Skepsis der Zeit allem G l a u b e n an eine V e r n u n f t e n t s a g t h a t . Die
Wesensbildung
ziehen.
muß
dem
allen
eine
bestimmte
D a ß einzelne G e d a n k e n m a s s e n eine gewisse
Grenze
Selbständigkeit
auch gegen d a s G a n z e des Geisteslebens e r l a n g e n , d a ß K r ä f t e sich m i t ihren G e g e n s t ä n d e n zu P r o z e s s e n u n d P o t e n z e n
eigentümlicher
A r t z u s a m m e n s c h l i e ß e n , d a s s a h e n wir schon, wie auch dieses, o h n e eine solche E m a n z i p a t i o n es keine B e f r e i u n g von der Zuständlichkeit,
keine
keine A n e i g n u n g des
Sonderung
der
Sachgehalts der
verschiedenen
daß
bloßen
Lebensfäden,
Erfahrung gibt.
Aber
die
V e r n u n f t v e r w a n d e l t sich in U n v e r n u n f t u n d d e r F r e u n d in einen Feind, wenn jene Emanzipation
zu einer völligen
Ablösung
wird,
w e n n jene Prozesse aus selbsteigner K r a f t zu leben u n d zu w i r k e n , j a alle Geistigkeit a n sich zu ziehen v e r s u c h e n . d e r einzelnen
Gebiete u n d
Denn das
Leben
K o m p l e x e w u r z e l t n u n einmal im
Ge-
s a m t l e b e n , d e r P r o z e ß selbst m u ß als Ganzes v o n einer T a t g e t r a g e n u n d u m s p a n n t sein, er wird
zu einem
Wird daher jene Beziehung zum
Ganzen
o d e r doch g e l o c k e r t , so versiegen die Bewegung
verliert
ihren
G a n z e n n u r d u r c h die und
zur T a t
Tat.
aufgegeben
Quellen des L e b e n s u n d
Haupttrieb;
die
Arbeit
verfällt
die
einem
seelenlosen M e c h a n i s m u s , der u m so z e r s t ö r e n d e r w i r k t , als er nicht a u ß e r h a l b , s o n d e r n i n n e r h a l b des L e b e n s liegt. So sind j e n e
Prozesse u n d
Gewalten
w a l t e n , u n d es w i r k t a u s ihnen relative
Notwendigkeit.
Denn
nicht
die h ö c h s t e n
keine a b s o l u t e , s o n d e r n im
Grunde
nur
ist es n u r d a s
einer G e g e n w i r k u n g , d a s ihnen eine ü b e r w ä l t i g e n d e M a c h t es ist die S c h w ä c h e des z e n t r a l e n bildender
Tat,
Jene Tat
kann
ihnen
die i h n e n den
das ganze
Kampf
eine s e l b s t ä n d i g e
Lebens, Feld
der Mangel
gegen die Prozesse
Geisteswelt
Fehlen verleiht,
an
einzunehmen
wesen-
gestatten.
aufnehmen,
entgegenstellen,
Geeine
kann
kann
sie
hier a u s innerlich zu bewältigen s u c h e n , i n d e m sie d a s W a h r e ihnen and
anerkennt auflöst.
und
Dieser
an
sich
Kampf
zieht,
wird
im
das
Unwahre
aber
Lauf d e r G e s c h i c h t e
von in
angreift immer
Konsequenzen und Entwicklungen
151
heftiger werden, da die Ausdehnung u n d Vertiefung der Arbeit die K r ä f t e immer enger mit den Gegenständen verflicht und eigne Lebenskreise d a r a u s bildet, da sich immer mächtiger unpersönliche Potenzen erheben und gegen uns wirken. Die gefährlichsten Gegner s c h a f f t u n s die eigne Arbeit, und mehr als die äußere N a t u r geben uns die eignen Werke des Geistes zu t u n . Aber zugleich lassen sich von einer glücklichen Überwindung jener Potenzen um so größere Weiterbildungen und Vertiefungen des Selbstlebens h o f f e n ; auch hier erweist sich der Streit als das Gesetz dieser Welt, als den Vater und König der Dinge. In dieser Weise die T a t als das letzte Weltprinzip und das Selbstleben als den H a u p t c h a r a k t e r des Geistes verfechten, das h e i ß t aller mechanischen Evolutionslehre widersprechen, auch der Geschichte ihre Selbstherrlichkeit nehmen. Die T a t liegt über dem bloßen Nacheinander, sie kann nicht in Eins zusammenfassen u n d solches a u f r e c h t e r h a l t e n , ohne aus dem Fluß der Zeit in eine zeitlose Gegenw a r t zu versetzen. W a s immer die Geschichte an w a h r h a f t Großem und Geistigem aufweist, das ist ein W e r k solcher zeitlosen Gegenwart. Diese erschien im Hervorbringen allbeherrschender Ideen, sie erschien auch in der Zerstörung der Ideen; ohne sie gibt es keinen inneren, keinen geistigen Z u s a m m e n h a n g der Zeiten, kein W a c h s t u m durch das Ganze der Bewegung. Denn die Selbsterfahrung, diese Grundbedingung aller Vertiefung, e n t s t e h t nie aus dem bloßen Strome heraus, sondern nur bei einem Anhalten des Stromes, n u r nach Erreichung eines R u h e p u n k t e s , an dem sich die Mannigfaltigkeit zusammenfinden und aufeinander wirken k a n n . Es ist aber jene T a t keine feste Größe, die, einmal erreicht, ohne weiteres b e h a r r t , sondern sie will immer von neuem a u f gebracht sein; sie sinkt und versinkt mit dem N a c h l a ß der Spannung, mit der Hingebung an Mächte ungeistiger oder halbgeistiger Art. So besteht bei diesem H a u p t p u n k t keine Sicherheit eines Fortschritts durch die ganze Breite des Lebens. Vielmehr zeigt die E r f a h r u n g wie ein Steigen so ein Fallen, und zwar nicht in einem gleichmäßigen R h y t h m u s , sondern in einer f ü r u n s u n a b leitbaren A r t ; die H ö h e p u n k t e ursprünglichen Schaffens und reinen Gestaltens sind seltene Festtage, aus denen das Durchschnittsleben rasch in die Prosa des Alltags zurücksinkt, und von deren Ertrage es lange zu zehren h a t ; dies Sinken ist keineswegs bloß ein Zurückfluten innerhalb des Geisteslebens, ein W i d e r s t a n d , den seine eigne
152
D e r K a m p f um den C h a r a k t e r d e s G e i s t e s l e b e n s
B e w e g u n g h e r v o r t r e i b t u n d zu i h r e m eignen F o r t g a n g w e n d e t , sondern
es b e d e u t e t
Ermatten
ein
Nachlassen
selbständiger
des
Geistigkeit,
geistigen, ja widergeistigen M ä c h t e n . Fortschritt
und
die Ü b e r z e u g u n g ,
Lebensprozesses
ein
selbst,
Zurückweichen
vor
ein un-
Der Glaube a n irgendwelchen d a ß die A r b e i t
der
f ü r d a s Geistesleben n i c h t verloren ist, h a t g u t e n
Geschichte
Grund nur für
eine d e m Dasein u n d der bloßen Zeit überlegene S p h ä r e ; in solcher h ö h e r e n O r d n u n g m a g jene Arbeit der Geschichte einen den S c h w a n kungen
unseres
Daseins
überlegenen
Bestand
und
Wert
besitzen.
F ü r den Menschen der E r f a h r u n g a b e r ist d e r E r t r a g d e r Geschichte z u n ä c h s t n u r ein Gewinn von M ö g l i c h k e i t e n ; er k a n n sich die E r f a h r u n g e n u n d V e r t i e f u n g e n j e n e r B e w e g u n g a n e i g n e n , er k a n n ein w e i t reicheres Leben e n t w i c k e l n , als er es o h n e alle Beziehung z u r Geschichte v e r m ö c h t e , a b e r er k a n n d a s n u r bei V e r w a n d l u n g d e s G a n z e n in eigne T a t , n u r in H e r a u s a r b e i t u n g einer zeitlosen Gegenw a r t aus der Folge der Zeiten.
So ist die G e s c h i c h t e , geistig a n -
gesehen, f ü r u n s m e h r A u f g a b e als T a t s a c h e , u n d es b e m i ß t
sich
ihr W e r t nach d e m G r a d e dessen, was sie an ü b e r z e i t l i c h e m Vermögen weckt. Alles d a s l ä ß t die übliche
Selbstgenügsamkeit
der
Geschichte
u n d die V e r w a n d l u n g des Menschen in ein bloßgeschichtliches W e s e n aufs entschiedenste
verwerfen.
Jene
Selbstgenügsamkeit
schließlich
Preisgebung
eines
selbständigen
mit
der
die Wurzel alles Geisteslebens.
zerstört
Geisteslebens
Der Mensch a b e r ist im K e r n seiner
Geistigkeit ein übergeschichtliches
W e s e n , ein geschichtliches
er n u r in d e r n ä h e r e n D u r c h b i l d u n g u n d vollen A n e i g n u n g
wird jener.
E r bildet sich l e t z t h i n weniger a u s der Geschichte als an d e r schichte. blinden
Ge-
Die r ü c k h a l t l o s e H i n g e b u n g an sie ergibt e n t w e d e r einen K u l t d e r T a t s ä c h l i c h k e i t , der v e r e h r t , w a s einmal d a
ist,
o d e r eine u n w a h r e S c h ö n f ä r b e r e i , die mit allen M i t t e l n d a s Dasein als ein Reich d e r V e r n u n f t d a r s t e l l t ; beides erzeugt m i t N o t w e n d i g k e i t den
R ü c k s c h l a g eines geschichtsfeindlichen
seiner F l a c h h e i t ein R e c h t .
Aus solchem
Radikalismus und
gibt
Dilemma befreit nichts
anderes als die W e n d u n g von d e r bloßen G e s c h i c h t e zu einer zeitüberlegenen Eine
Gegenwart.
Gegenwart,
eine
echte
Gegenwart,
eine
geistige
Gegen-
w a r t , sie ist es v o r n e h m l i c h , d e r e n E r r e i c h u n g ü b e r d e n I n h a l t des Lebens u n d seinen W a h r h e i t s b e s i t z e n t s c h e i d e t .
E i n e solche Gegen-
w a r t s u c h e n wir e r s t ; sie fällt u n s n i c h t aus d e m u n m i t t e l b a r e n D a -
Konsequenzen und Entwicklungen
153
sein zu, sie will durch eigne T a t im Kampf mit jenem erstritten sein; eine solche Gegenwart wird schmerzlich e n t b e h r t , wo immer ein Verlangen nach selbständiger Geistigkeit erwacht, zu ihr drängt aller Kampf um ein geistiges Wesen, aller Trieb nach geistiger Selbstbehauptung. So ist in allen Beziehungen, die das menschliche Leben zur Geschichte h a t , die H a u p t a u f g a b e die Umwandlung der bloßen Zeit in eine echte G e g e n w a r t ; wir k ä m p f e n d a r u m sowohl in dem Verhältnis zur eignen Zeit als in dem zur gesamten Folge der Zeiten als endlich im Gegensatz zu aller Zeit, wir kämpfen um eine z e i t g e s c h i c h t l i c h e , e i n e w e l t g e s c h i c h t l i c h e , e i n e ewige G e g e n w a r t . Eine Gegenwart begehren wir zunächst gegenüber der eignen Zeit. Denn nicht schon liefern u n s jene die Eindrücke und Antriebe der Welt, die u n s alle u m f ä n g t und mit der auch der Gegner der Zeit rechnen m u ß . Denn diese Sphäre des unmittelbaren Daseins beherrscht ein unablässiger Wirbel u n d Wandel, widerstreitende Mächte durchkreuzen einander, von Augenblick zu Augenblick wechselt die Schätzung, nirgends ein überlegenes Ziel, nirgends eine ruhige S a m m l u n g ; so verfallen wir schließlich jener Ergebung an die flüchtigsten u n d nichtigsten Eindrücke, die sich heute „ A k t u a l i t ä t " n e n n t , in W a h r h e i t aber nichts anderes ist als eine Flucht vor sich selbst, ein Zerrbild echter Gegenwart. Auch in der eignen Zeit haben w i r , die Gegenwart erst zu suchen, und wir können sie nicht anders finden als durch eine A n k n ü p f u n g ihrer Arbeit an die letzten Ziele des Lebens, durch eine derartige Verbindung von Zeit und Ewigkeit, wie die geschichtliche Idee sie erkennen ließ. Ein sonst unerreichter H ö h e p u n k t m u ß j e t z t erreichbar scheinen, eben jetzt gilt es, etwas zu t u n , das, wenn nicht jetzt gewonnen, f ü r immer verloren ist. E r h ä l t das J e t z t nicht in dieser Weise eine unersetzliche Bedeutung, so sinkt es zu einem gleichgültigen P u n k t einer endlosen Linie. W a r u m sollte es uns aber d a n n als etwas Besonderes gelten, was wäre in ihm zu erreichen, was zu vers ä u m e n ? Gewinnt es aber jene Beziehung zu tieferen Gründen und einer ewigen Ordnung, so wächst es ins Unermeßliche und erhält eine einzigartige Aufgabe, die alle Unendlichkeit der Zeitfolge ihm nicht abnehmen k a n n . So nur s t e h t Großes auf d e m Spiel u n d t r ä g t jede Zeit in sich ein E n t w e d e r — Oder; sie k a n n ergreifen, was gerade ihr an ursprünglicher und wesenhafter Geistigkeit nahek o m m t , u n d d a m i t Ewiges in den menschlichen Gesichts- und Lebens^
154
D e r K a m p f um den C h a r a k t e r d e s G e i s t e s l e b e n s
kreis
ziehen, sie
Charakter in d e r
kann
verlieren.
Zeit
es u n t e r l a s s e n
und
Im b e j a h e n d e n
sehen
und
in ihr u n t e r s c h e i d e n ,
an
auch
damit
ihren
geistigen
Fall w e r d e n wir weit
ihr h a b e n ,
Haupt-
es als T o r h e i t
und
mehr
Nebensachen
e r k e n n e n , der Zeit
fliehen zu wollen, s t a t t in sie einzudringen
u n d sie ihrem
entEwig-
keitsgehalt z u z u f ü h r e n , auch u n s e r H a n d e l n wird d a h e r den engsten A n s c h l u ß a n die Zeit e r s t r e b e n ; d a s alles a b e r n u r , s o f e r n u n s eine geistige G e g e n w a r t
aus Sklaven
der
Zeit
zu H e r r e n
der Zeit
zu
werden gestattet. Ü b e r die zeitgeschichtliche G e g e n w a r t a b e r t r e i b t es n o t w e n d i g h i n a u s zu einer weltgeschichtlichen
Gegenwart.
So zwingend
uns
die unvergleichliche Z u s p i t z u n g der W i r k l i c h k e i t in d e m J e t z t
um-
f ä n g t , der Mensch e r s c h ö p f t sich n i c h t in dieses
ver-
J e t z t , ihm
s c h w i n d e t n i c h t die V e r g a n g e n h e i t in d a s J e t z t , die geistige Arbeit e r w e c k t sie zu n e u e m Leben u n d r u f t sie zu u n s z u r ü c k . steht
ein
neuer
weltgeschichtlicher
Lebenskreis;
sein
Es e n t -
Gehalt
be-
s c h ä f t i g t u n s n i c h t n u r in seiner W i r k u n g auf u n s e r e Lage, sondern auch d i r e k t u n d an sich s e l b s t ; sein Ganzes ergibt einen Stand,
dem
alles e n t s p r e c h e n m u ß ,
gewissen
was d e n Menschen voll
be-
wegen u n d bis z u m G r u n d e befriedigen soll; von hier aus wird
an
den einzelnen Zeiten eine K r i t i k g e ü b t , u n d m a n c h e s e l b s t b e w u ß t e L e i s t u n g , die sich d e n eignen unterliegt d e n stillen
U m g e b u n g e n weit überlegen
dünkt,
Gegnern, den unsichjjoaren Geistern, die aus
der V e r g a n g e n h e i t a n u n s k o m m e n . Dieser weltgeschichtliche
Lebenskreis m i t seiner
Mannigfaltig-
keit w ä c h s t a b e r keineswegs v o n selbst zu einem Ganzen z u s a m m e n ; er t u t es n u r bei V e r w a n d l u n g jenes N a c h e i n a n d e r in eine u n m i t t e l bare
Gegenwart,
bei
sprüngliches T u n .
Umsetzung
des
Fremden
in eignes u n d
D a z u g e h ö r t ein kritisches W i r k e n , ein
ur-
Sichten
u n d S o n d e r n , ein A b s t r e i f e n des Zufälligen u n d Vergänglichen, n i c h t m i n d e r a b e r auch ein H e r a u s h e b e n des E w i g e n , ein V e r j ü n g e n u n d Neubeleben des W e s e n h a f t e n , ein energisches Z u s a m m e n f a s s e n G a n z e n einer W i r k l i c h k e i t . fertig
und
abgeschlossen
So liegt auch die V e r g a n g e n h e i t h i n t e r uns,
sondern
i m m e r von
ist u m sie zu k ä m p f e n , i m m e r N e u e s gilt es in ihr zu Die W e l t g e s c h i c h t e
ist" ebensowenig
n u n f t wie die Zeitgeschichte, das bringt uns bedarf
zu
nicht
seiner
ein
Reich
der
Strom
mühsamer
entgegen,
Arbeit.
neuem
entdecken.
reinen
u n d was an V e r n u n f t in ihr
sicherer
Freilegung
ein
Versteckt,
sondern
Atar
zum nicht
das
es e r ö f f n e t
155 dann eine Individualität und Positivität, die das Leben bereichert und k r ä f t i g t . Eine Individualität der weltgeschichtlichen Arbeit und Gegenwart ist aber nicht erreichbar ohne eine B e r u f u n g an eine noch höhere O r d n u n g , ohne ein Messen aus reiner Ursprünglichkeit und Ewigkeit. So erhebt sich notwendig die Idee einer ewigen Gegenwart als der Quelle aller geistigen Gegenwart. Jene Idee w i r k t f ü r uns zunächst nur innerhalb der zeitgeschichtlichen und der weltgeschichtlichen Ordnung, aber sie könnte hier nicht so wirken wie sie w i r k t , sie könnte nicht über alle Endlichkeit und Bedingtheit hinaustreiben ohne eine volle Selbständigkeit und Überlegenheit gegen die Zeit. Gänzlich in die ewige Gegenwart aufzugehen und die Zeit völlig abzustreifen suchen, wie es frühere Zeiten erstrebten, das können wir Neuern nicht mehr, welche lange und h a r t e Erf a h r u n g über die Schranken des Menschen und sein Unvermögen belehrt h a t , jener abgelösten Ewigkeit irgendwelchen Inhalt zu geben. Aber ohne den Abschluß in j e n e r ewigen Gegenwart verfällt u n d vergeht ailes Streben nach Gegenwart, ohne die Befestigung an jenem sichern R u h e p u n k t e zerbröckelt das Leben in flüchtige Phasen u n d vergängliche Augenblicke, und aus der Wirklichkeit wird d a m i t eine sinnlose Flucht, ein leerer Schatten und TrautTK
2. Die Auseinandersetzung mit der menschlichen Lage. a. Das Problem. Dem System der Wesensbildung war es ein Leitgedanke, d a ß das Geistesleben nicht aus freischwebender Tätigkeit eine volle Wirklichkeit werden könne, d a ß es d a f ü r zum Reich der E r f a h r u n g zurückkehren müsse, u m durch seine Unterwerfung sich selbst zu vollenden. D a ß aber diese Unterwerfung gelinge, d a ß durch Arbeit und Kampf die geistige Bewegung vorwärtskomme, d a s wurde als sicher vorausgesetzt. Aber es f r a g t sich, ob das immer so glücklich verläuft, ob nicht der Widerstand o f t so s t a r k und so starr wird, d a ß schwere Stockungen daraus erwachsen, d a ß das Durchdringen der V e r n u n f t g e h e m m t und der geistige Charakter g e f ä h r d e t wird. Dies Problem des Widerstandes wird u n s noch viel zu schaffen m a c h e n ; hier beschränken wir u n s auf die Seite der Frage, ob ü b e r h a u p t eine f r u c h t b a r e Beziehung zwischen dem geistigen Schaffen und dem Grundstock des Daseins zustande k o m m t , ob sich dieses irgendwie
155 dann eine Individualität und Positivität, die das Leben bereichert und k r ä f t i g t . Eine Individualität der weltgeschichtlichen Arbeit und Gegenwart ist aber nicht erreichbar ohne eine B e r u f u n g an eine noch höhere O r d n u n g , ohne ein Messen aus reiner Ursprünglichkeit und Ewigkeit. So erhebt sich notwendig die Idee einer ewigen Gegenwart als der Quelle aller geistigen Gegenwart. Jene Idee w i r k t f ü r uns zunächst nur innerhalb der zeitgeschichtlichen und der weltgeschichtlichen Ordnung, aber sie könnte hier nicht so wirken wie sie w i r k t , sie könnte nicht über alle Endlichkeit und Bedingtheit hinaustreiben ohne eine volle Selbständigkeit und Überlegenheit gegen die Zeit. Gänzlich in die ewige Gegenwart aufzugehen und die Zeit völlig abzustreifen suchen, wie es frühere Zeiten erstrebten, das können wir Neuern nicht mehr, welche lange und h a r t e Erf a h r u n g über die Schranken des Menschen und sein Unvermögen belehrt h a t , jener abgelösten Ewigkeit irgendwelchen Inhalt zu geben. Aber ohne den Abschluß in j e n e r ewigen Gegenwart verfällt u n d vergeht ailes Streben nach Gegenwart, ohne die Befestigung an jenem sichern R u h e p u n k t e zerbröckelt das Leben in flüchtige Phasen u n d vergängliche Augenblicke, und aus der Wirklichkeit wird d a m i t eine sinnlose Flucht, ein leerer Schatten und TrautTK
2. Die Auseinandersetzung mit der menschlichen Lage. a. Das Problem. Dem System der Wesensbildung war es ein Leitgedanke, d a ß das Geistesleben nicht aus freischwebender Tätigkeit eine volle Wirklichkeit werden könne, d a ß es d a f ü r zum Reich der E r f a h r u n g zurückkehren müsse, u m durch seine Unterwerfung sich selbst zu vollenden. D a ß aber diese Unterwerfung gelinge, d a ß durch Arbeit und Kampf die geistige Bewegung vorwärtskomme, d a s wurde als sicher vorausgesetzt. Aber es f r a g t sich, ob das immer so glücklich verläuft, ob nicht der Widerstand o f t so s t a r k und so starr wird, d a ß schwere Stockungen daraus erwachsen, d a ß das Durchdringen der V e r n u n f t g e h e m m t und der geistige Charakter g e f ä h r d e t wird. Dies Problem des Widerstandes wird u n s noch viel zu schaffen m a c h e n ; hier beschränken wir u n s auf die Seite der Frage, ob ü b e r h a u p t eine f r u c h t b a r e Beziehung zwischen dem geistigen Schaffen und dem Grundstock des Daseins zustande k o m m t , ob sich dieses irgendwie
156
D e r Kampf um den C h a r a k t e r d e s G e i s t e s l e b e n s
in die geistige Bewegung hineinziehen l ä ß t u n d n i c h t ihr gegenüber in t r ä g e r u n d s c h r o f f e r A b l e h n u n g b e h a r r t .
In diesem
Fall ginge
die E i n h e i t des Lebens verloren u n d das Geistesleben bliebe in jenseitiger F e r n e . D a ß an dieser
Stelle e r n s t e
Verwicklungen
e n t s t e h e n , d a ß in
der T a t n i c h t n u r hie u n d d a , s o n d e r n d u r c h die g a n z e A u s d e h n u n g dés
Paseins
ein zäher W i d e r s t a n d
vorliegt, d a s k a n n
entgehen, d e m die h e r k ö m m l i c h e n
Beschwichtigungen
niemandem der
k u l t u r n i c h t den w a h r e n S t a n d der Dinge v e r d e c k e n .
Alltags-
Ihre
Schön-
färberei e n t f e r n e n , d a s h e i ß t eine b e d a u e r l i c h e O h n m a c h t d e r geistigen M ä c h t e im u n m i t t e l b a r e n Dasein e n t h ü l l e n .
Hier ist es die n a t ü r -
liche E x i s t e n z , es sind die T r i e b e d e r individuellen
Selbsterhaltung,
welche die K r a f t u n d die A r b e i t b e h e r r s c h e n , den A f f e k t u n d
die
L e i d e n s c h a f t e n t z ü n d e n ; hierher s c h e i n t d e r g a n z e Mensch zu gehören, hier wird sein
Streben mit tausend
Klammern
Einrichtungen
des
Durchschnittes
gesellschaftlichen
festgehalten.
Alle
rechnen
mit
dieser selbstischen G e s i n n u n g ; die K u l t u r m a g die R o h e i t des N a t u r triebes
durch
ein
gefälliges
Rankenwerk
konventioneller
Formen
v e r d e c k e n , seinen K e r n l ä ß t sie u n a n g e t a s t e t , d a s a u f g e s t u t z t e Ich des K u l t u r m e n s c h e n ist alles e h e r als ein geistiges Selbst.
So f e h l t
hier d e m Geistesleben aller s e l b s t ä n d i g e W e r t , alle a u f r ü t t e l n d e u n d e r h ö h e n d e K r a f t ; wird es ü b e r h a u p t e r s t r e b t , so gilt es meist als ein bloßer Z u s a t z z u m sonstigen Leben, als ein Mittel fiir f r e m d e Zwecke. Die W e s e n s b i l d u n g m u ß die Lage b e s o n d e r s s c h w e r e m p f i n d e n . D e n n ihre B e h a u p t u n g , d a ß in der W e n d u n g zur
Geistigkeit
das
Leben zu seinem eignen W e s e n s t r e b e , e n t h ä l t die F o r d e r u n g ,
daß
überall ein A n t r i e b nach j e n e r R i c h t u n g wirke, d a ß d e r S t r o m der Vergeistigung alles in sich zu ziehen u n d m i t sich f o r t z u f ü h r e n vermöge.
Die N i c h t e r f ü l l u n g dieser
des Ganzen zu g e f ä h r d e n inneren
Widerspruch
seine S e l b s t e r h a l t u n g ,
zu
und
F o r d e r u n g s c h e i n t die
den ä u ß e r e n W i d e r s t a n d
steigern.
So
w e n n es i m m e r
k ä m p f t jenes
Wahrheit zu
einem
System für
v o n n e u e m f r a g t , ob
nicht
t r o t z alles w i d e r s t r e i t e n d e n Scheines die K l u f t zwischen d e m geistigen Schaffen u n d
dem
Dasein
sich
irgendwie
überbrücken
und
eine
Bewegung a u c h auf dieser Seite anregen lasse. Dabei ist j e n e r W i d e r s t a n d von a u ß e n her k a u m der s c h l i m m s t e F e i n d , auch in seinem i n n e r e n
Bestände scheint das
Geistesleben
f ü r d e n Menschen keine volle Wirklichkeit zu erreichen. Die E r h e b u n g zur
S e l b s t t ä t i g k e i t sollte von der Sinnlichkeit
befreien, die
zuerst
Die B e w e g u n g des Daseins zum G e i s t e s l e b e n
J57
alles Leben beherrschte. Aber die Reinheit, welche das Geistesleben mit seiner T a t w e l t in der Entgegensetzung gewinnt, ist bedenklich nahe einer Leere v e r w a n d t ; überall scheinen die Begriffe des geistigen Gebiets von der Verneinung her gebildet: was wir nicht sinnlich zu fassen vermögen, das nennen wir geistig; im Gegensatz zum Bedingten, Endlichen, Weltlichen entwerfen wir die Begriffe des Unbedingten, Unendlichen, Göttlichen; aber wieviel Inhalt verbleibt diesen Begriffen, wenn wir sie von dem Gegensatz ablösen und auf ihr eignes Vermögen s t e l l e n ? Auch was wir Glück, was wir Tugend nennen, bezeichnet mehr die Abwesenheit von Schmerzen, das Fehlen von Lastern als eine B e j a h u n g ; auch ihre Größe messen wir mehr nach der Stärke des überwundenen Widerstandes als nach einer eignen Beschaffenheit. Sobald wir gegenüber solcher Verneinung ein eignes Gestalten versuchen, geraten wir unter die Macht eben des Sinnlichen, von dem wir uns mühsam befreiten; in Bildern, E m p f i n d u n g e n , Affekten dringt es tausendfach ein und reißt die Bewegung mit sich fort. Von alters her ist der Religion vorgehalten, d a ß sie in ihren Begriffen vom Göttlichen entweder der Bildlichkeit oder der bloßen Verneinung verfalle und nur durch das Hin- und Herschwanken zwischen beiden den Schein eines Inhalts erschleiche; in W a h r h e i t leidet alles geistige Schaffen an dem Dilemma einer unsinnlichen Leere oder einer verblaßten Sinnlichkeit; d a m i t aber gewinnt es keine Macht über das menschliche Gemüt, auch bleibt es dem Eindringen kleiner und selbstischer Beweggründe wehrlos preisgegeben. So bietet die Geschichte der Religion, auf die T r i e b k r ä f t e der Handelnden angesehen, ein wenig erquickliches Schauspiel. So tief eingreifende Probleme können nicht ruhig dahingestellt werden, notwendig sind sie aufzunehmen und gewissenhaft zu behandeln; es gilt also zu untersuchen, erstens, ob nicht auch innerhalb unseres Daseins eine Bewegung zur Geistigkeit a u f k o m m t , und zweitens, ob nicht das Geistesleben trotz jener H e m m u n g eine bejahende Art zu entfalten und selbst aus dem Widerstande einen eignen Gewinn zu ziehen v e r m a g . b. Die Bewegung des Daseins zum Geistesleben. Um ein besseres Verhältnis zur Geisteswelt zu gewinnen, m u ß das Dasein selbst u n t e r einen neuen Anblick t r e t e n und mehr in sich zu erkennen geben, als die erste B e t r a c h t u n g e r f a ß t e . Näher h a n d e l t es sich hier um zwei H a u p t b e d i n g u n g e n , die sich gegenseitig ergänzen.
158
Der Kampf um.den Charakter des G e i s t e s l e b e n s 1. D a s Dasein darf n i c h t so wie es vorliegt als in sich g e g r ü n d e t
u n d geschlossen gelten.
Vielmehr m u ß es ein tieferes W e s e n in sich
bergen, d a s zurzeit a n diese besondere Lage u n d S t u f e g e b u n d e n ist, n i c h t a b e r letzthin in sie a u f g e h t . O h n e d e n A u f t r i e b e i n e r t i e f e r e n N a t u r im Menschen, o h n e einen u n s e r e m augenblicklichen T u n u n d B e f i n d e n ü b e r l e g e n e n Zug derselben b e s t ü n d e keine H o f f n u n g , jenen ungeistigen S t a n d des Daseins zu ü b e r w i n d e n .
J e n e A n n a h m e einer
tieferen N a t u r e n t s p r i c h t a b e r g e r a d e der W e s e n s b i l d u n g mit ihrer A u f f a s s u n g von
Natur
und
Geist als zweier
Stufen
Eines
Seins.
Gerade hier k a n n die niedere S t u f e n i c h t bloß einen G e g e n s a t z , sie m u ß auch eine V o r b e r e i t u n g b e d e u t e n . 2. Aber
das
bloße
Bestehen
eines solchen
Auftriebes
genügt
n i c h t , er m u ß auch b e s t i m m t e D u r c h b r u c h s p u n k t e f i n d e n , m i t t e l s d e r e r er sich a u f a r b e i t e t , u m d a n n die K r ä f t e der bloßen N a t u r zu e n t w i n d e n u n d z u m Geist h i n ü b e r z u l e i t e n .
Wir bedürfen besonderer
Hilfen, g u t e r Geister der M e n s c h h e i t , Erzieher zur Geistigkeit, j e n e l ä h m e n d e K l u f t im eignen W e s e n zu ü b e r b r ü c k e n .
um
Jene Durch-
b r u c h s p u n k t e sind keineswegs die S c h ö p f e r des Geisteslebens, v i e l m e h r b e d ü r f e n sie einer überlegenen
Geistigkeit u r s p r ü n g l i c h e r u n d
selb-
s t ä n d i g e r A r t , u m wirken zu k ö n n e n , w a s sie wirken sollen; ohne die lebendige nichts.
Gegenwart
eines
Geistesgehaltes
hilft jene
Vermittlung
Aus d e r bloßen N a t u r d a s Geistige h e r v o r z a u b e r n
alle Mittel, auch m i t d e r Hilfe endloser Zeiten, n i c h t . mittlung
bleibt wichtig als ein u n e n t b e h r l i c h e r
Menschen
für das
Hauptaufgabe
Geistesleben
des geistigen
zu g e w i n n e n .
S c h a f f e n s diese
können
A b e r jene Ver-
W e g , den
ganzen
So gesellt sich zweite d e r
zur
seelischen
A n e i g n u n g ; es e r ö f f n e t sich eine psychagogische u n d a n t h r o p a g o g i s c h e Aufgabe, eine A u f g a b e , die t h e o r e t i s c h n u r in Umrissen f a ß b a r i s t , w ä h r e n d die H a u p t e n t s c h e i d u n g bei p r a k t i s c h e r E i n s i c h t u n d g l ü c k lichem Geschicke liegt.
Aber in K ü r z e müssen auch w i r u n s d a m i t
befassen. D a s D u r c h b r e c h e n des Geistes i n n e r h a l b des Daseins ist zweiseitiger
Bejahung,
ein
Zerstören u n d ein B i l d e n ; jenes sofern i n n e r h a l b d e s Daseins
A r t : es e n t h ä l t
eine
Verneinung
und
eine
das
U n g e n ü g e n des bloßen Daseins a u f g e h t , dieses sofern in ihm ein A u f stieg z u m Geist b e g i n n t , eine U m b i l d u n g der K r ä f t e erfolgt.
Beides
m u ß sich die W a g e h a l t e n , u m die rechte G e s a m t w i r k u n g zu erzeugen, ein Nein o h n e alles J a w ü r d e einen trostlosen P e s s i m i s m u s , ein J a , d a s nicht ein Nein in sich schließt, einen flachen O p t i m i s m u s ergeben.
D i e B e w e g u n g des D a s e i n s zum G e i s t e s l e b e n
159
Von Verneinung und Zerstörung reden wir, sofern innerhalb des Daseins Mißstände erwachsen, welche eine Befriedigung bei ihm verbieten und d a r u m entweder eine neue Art des Lebens einleiten oder alle Lust am Leben verleiden. Einer derartigen W i r k u n g sind nicht solche Mißstände fähig, welche mehr gelegentlich an der Oberfläche des Daseins e n t s t e h e n ; solche lassen sich da, wo sie entsprungen sind, überwinden oder doch b e k ä m p f e n , sie treiben nicht über das Dasein hinaus. Vielmehr kommen nur solche Mißstände hier in Frage, welche der gesamten N a t u r des Daseins innewohnen, seine Grundbedingungen treffen, sich bis in seine tiefste Wurzel erstrecken und daher durch alle bessernde Arbeit nicht völlig heben lassen. Solche Mißstände mögen im äußeren Gelingen noch stärker zum Ausdruck kommen als im Mißlingen, im Glück noch mehr als im Unglück; in ihrer Hoffnungslosigkeit müssen sie einen Bruch mit dem Ganzen jener Lage erzwingen und das Sinnen des Menschen gründlich davon befreien. Bedeutet aber dieser Bruch nicht eine gänzliche Vernichtung, sondern die A n b a h n u n g eines höheren Lebens, so werden jene Mißstände in aller peinlichen E r s c h ü t t e r u n g und allem gewaltigen Schmerz zu guten Geistern der Menschheit, ohne deren strenge Erziehung sie nicht vorwärts gelangen k a n n . Solche wesentlichen Mißstände könnten nicht zur E m p f i n d u n g k o m m e n , wirkte nicht eine tiefere N a t u r im Menschen; aber diese N a t u r ist zunächst wie g e b a n n t und begraben, sie m u ß erst befreit und zum Leben erweckt sein, und das geht nicht anders als durch jenen Weg der Verneinung. So sind in jenem Sinne als gute Geister der Menschheit zu begrüßen die Widersprüche, die Leiden, selbst der Tod. Die W i d e r s p r ü c h e sind es vornehmlich, welche das Denken über die Sinnlichkeit hinaus eine eigne Welt zu erbauen t i e i b e n ; wie sie nicht bloß gelegentliche Anstöße sind, die eine verständige B e t r a c h t u n g beschwichtigen k a n n , sondern eine Aufdeckung der Uustetigkeit oder Unzulänglichkeit der elementaren Größen, der Sinnlosigkeit aller bloß mechanischen Prozesse, ein Aufweis des Unvermögens gegenüber unabweisbaren Aufgaben, so müssen sie kräftig zur A u f r ü t t e l u n g und E r s c h ü t t e r u n g wirken, so müssen sie entweder in einen gänzlichen Skeptizismus oder zu voller Selbständigkeit einer Gedankenwelt führen. Diese a u f r ü t t e l n d e und befreiende K r a f t des Widerspruches h a t schon Plato in großen Zügen geschildert, so h a t sie sich auch durch den Lauf der Geschichte b e w ä h r t ; nirgends h a t die
160
D e r K a m p f um den C h a r a k t e r d e s
Geisteslebens
Wissenschaft eine Selbständigkeit gegen das gewöhnliche Weltbild erreicht ohne ein Hindurchgehen durch das Fegefeuer solcher Widers p r ü c h e ; die Philosophie aber, der die Hauptsorge f ü r solche Selbständigkeit obliegt, verliert ohne das den H a u p t g r u n d ihrer Existenzberechtigung und d r o h t eine bloße Z u t a t zum sonstigen Wissen zu werden. Schon das bloße A u f k o m m e n solcfier Widersprüche bezeugt eine Gegenwart des Denkens in unserer Arbeit, aber erst die Entwicklung u n d Überwindung des Widerspruches f ü h r t das Denken zu klarem Bewußtsein seiner Aufgabe und seines Vermögens, die energische Auseinandersetzung mit den Widersprüchen ist das Hauptkennzeichen der wissenschaftlichen Philosophie gegenüber aller bloßen Popularphilosophie. Denn wissenschaftlich ist nicht die Philosophie, welche sich möglichst eng an andere Wissenschaften anschmiegt, sondern die, welche ihre eigne Aufgabe scharf e r f a ß t und k r ä f t i g a u s f ü h r t . Nicht n u r in der Philosophie sind eben die Denker, denen wir das Einschlagen neuer Bahnen verdanken, wie Plato, Descartes, K a n t , von der Hebung eines f u n d a m e n t a l e n Widerspruches ausgegangen, auch in anderen Gebieten, wie in der Religion und der Politik, brachte n a m e n t lich das starke Bewegungen in Fluß, d a ß in dem überkommenen Lebensstande bis dahin verborgene Widersprüche klar zutage t r a t e n u n d d a m i t unerträglich w u r d e n . Was f ü r das Denken die Widersprüche, das sind f ü r das Leben die L e i d e n . Auch hier erzwingen den Bruch mit dem Dasein nicht einzelne Schäden und Mängel, denn diese k ö n n t e n wir mit dessen Mitteln zu überwinden h o f f e n ; wohl aber erzwingt ihn das E r f a h r e n der Unzulänglichkeit jenes ganzen Gebiets f ü r das Glücksverlangen u n d die Lebensbewegung eines geistigen Wesens. Dahin wirkt die Gebundenheit unserer Lage, die Abhängigkeit alles Strebens, die Zufälligkeit und Unsicherheit alles Erfolges, die Sisyphusarbeit des unablässigen Mühens und Hastens, mehr als alles d a s aber die Leere und Sinnlosigkeit des so mühevoll umworbenen und errungenen Glücks. Denn auch der schwerste W i d e r s t a n d , dem das Streben begegnet, k a n n nicht so lähmen wie die Einsicht in die Nichtigkeit des höchsten Zieles; läßt das doch nicht nur dieses oder jenes Unternehmen als verfehlt, sondern alles irgend mögliche Streben als eitel und fruchtlos erscheinen. Das k a n n in den Abgrund der Verzweiflung stürzen, aber es k a n n auch, wenn anders die menschliche N a t u r Tieferes in sich birgt, dieses erwecken und zu einem Kampf auf Leben und Tod f ü r die geistige Selbsterhaltung t r e i b e n ; eben die E r f a h r u n g der
D i e B e w e g u n g des D a s e i n s zum G e i s t e s l e b e n
151
Unmöglichkeit jenes W e g e s k a n n eine zuversichtliche H o f f n u n g n e u e r Wendungen
erzeugen.
Das P r o b l e m
auf
diese H ö h e
zu h e b e n ,
m e i n s a m Religion, K u n s t u n d Philosophie.
daran
arbeiten
ge-
In d e m Besonderen von
Leid u n d Leere s c h a u e n sie ein Ganzes der L a g e ; mit ihrer H e r a u s stellung u n d eindringlichen V o r h a l t u n g verleiden sie d e m
Menschen
g r ü n d l i c h die L u s t an j e n e m Dasein u n d stellen ihn vor die große E n t s c h e i d u n g zwischen E n t s a g u n g oder E r h ö h u n g .
Dazu genügt nicht
eine bloße V e r a l l g e m e i n e r u n g d e r individuellen E r f a h r u n g e n , k ö n n t e doch sogar der Egoismus einen T r o s t d a r a u s s c h ö p f e n , d a ß d a s eigne Leid sich überall d r a u ß e n w i e d e r f i n d e t .
Vielmehr bedarf
es einer
gründlichen V e r t i e f u n g der ersten Ansicht, einer E r h e b u n g ins Ganze, Prinzipielle, W e s e n t l i c h e ; d a m i t e r h ä l t der Schmerz eine innere Weihe, denn n u n v e r m a g in ihm ein tieferes Leben h e r v o r z u b r e c h e n ,
und
v e r m a g alles Leid der Verneinung, wenn auch d u n k e l , so doch m e r k lich genug, den Aufstieg eines J a zu b e k u n d e n . Selbst den T o d guten
d ü r f e n wir in diesem Z u s a m m e n h a n g e zu den
Geistern der Menschheit
rechnen.
E r k ö n n t e gar nicht
als
ein Übel gelten, lebte sich unser Wesen in dieser Z e i t s p a n n e aus, u n d w ü r d e n unsere H a u p t p r o b l e m e hier im wesentlichen gelöst oder doch erheblich g e f ö r d e r t ; er k ö n n t e u n s n i c h t so tief erregen u n d so u n a b lässig b e s c h ä f t i g e n , w e n n n i c h t ein Ewiges in u n s e r e m Leben
und
Streben sein Zerschneiden des F a d e n s als eine schroffe Verneinung u n d zugleich als einen u n e r t r ä g l i c h e n W i d e r s p r u c h e m p f ä n d e . Überwindung
dieses W i d e r s p r u c h s
Eine
s u c h t eine flachere Ansicht
in
der bloßen A u s d e h n u n g jener Z e i t s p a n n e u n d e r s i n n t d a f ü r ein n e u e s Leben
ähnlich
jenem
alten,
auch
innerlich
unzulänglichen.
Ein
tiefergehendes D e n k e n dagegen f i n d e t den W i d e r s p r u c h n i c h t sowohl in der zeitlichen B e g r e n z u n g als in der Zeitlichkeit ü b e r h a u p t ;
ihr
Mißverhältnis zur Ewigkeit u n d der Widersinn eines bloß der Zeit angehörigen u n d m i t ihr f o r t w ä h r e n d versinkenden Geisteslebens, den der gewöhnliche Lauf des Daseins u n t e r gefälligen T ä u s c h u n g e n versteckt, wird d u r c h den Tod zu u n b a r m h e r z i g e r trieben. Mensch
Klarheit
hervorge-
Aber die K l ä r u n g k a n n z u r B e f r e i u n g w i r k e n , w e n n dadurch
des Ewigen
seiner Art
inne
wird
und
der
mit i h m
ein unvergleichlich gehaltvolleres Leben g e w i n n t als d a s t r ü b e G e m e n g e des D u r c h s c h n i t t s b i e t e t .
So ist es überall die Verneinung, welche
weckt u n d reizt, w e i t e r t r e i b t u n d zur E n t s c h e i d u n g zwingt. Aber so gewiß die Verneinung diese u m w ä l z e n d e K r a f t n u r der E u c k e n , Kampf.
III. A u f l .
11
162
Der Kampf um den C h a r a k t e r d e s G e i s t e s l e b e n s
B e j a h u n g v e r d a n k t , die in ihr s t e c k t , es bedarf einer E n t w i c k l u n g der B e j a h u n g , d a m i t die Bewegung K r a f t g e w i n n e . Diese E n t w i c k l u n g erfolgt auf zwei H a u p t w e g e n : e i n m a l w a c h s e n die G r u n d f o r m e n des Lebens d u r c h d a s Leben selbst ins Geistige, f e r n e r a b e r erscheinen u n t e r besonderen Verhältnissen
H ö h e p u n k t e d e r Leistung, die sich
von d e r a n f ä n g l i c h e n B e g r e n z u n g abzulösen u n d d e m G a n z e n f r u c h t b a r zu w e r d e n v e r m ö g e n . Mit j e n e m ersten s t e h t es so.
Das Leben u n t e r l i e g t anfänglich
mit allen seinen F o r m e n der n a t ü r l i c h e n T r i e b g e h t auf die F ö r d e r u n g des bloßen
S e l b s t e r h a l t u n g , der erste Ich.
Aber es gibt keine
E n t f a l t u n g des Lebens ohne ein Ü b e r s c h r e i t e n des bloßen
Punktes,
o h n e ein A n k n ü p f e n u n d Ausbilden von B e z i e h u n g e n , o h n e ein Verk e t t e n mit der U m g e b u n g .
So t r i t t auch ein g e g e n s t ä n d l i c h e s E l e m e n t ,
eine B e s c h a f f e n h e i t der Dinge, in u n s e r e n Lebenskreis ein, u n d n u n vollzieht sich eine folgenreiche W e n d u n g d a h i n , d a ß dies
Sachliche
selbst den Menschen a n z i e h t u n d zu sich h i n ü b e r z i e h t ; die T ä t i g k e i t w ä c h s t ü b e r die a n f ä n g l i c h e n B e w e g g r ü n d e h i n a u s , es erfolgt eine B e f r e i u n g von der Enge j e n e r B e s o n d e r h e i t .
Diese W e n d u n g b e k u n d e t
d e u t l i c h , d a ß u n s e r Leben n i c h t m i t n a t u r g e s e t z l i c h e r
Notwendigkeit
d e r bloßen S e l b s t e r h a l t u n g d i e n t , s o n d e r n d a ß es d a s n u r f ü r eine gewisse Lage t u t , u n d d a ß seine eigne B e w e g u n g diese Lage ü b e r w i n d e n kann.
Diese Ü b e r w i n d u n g erfolgt in verschiedenen S t u f e n ; je s c h ä r f e r
sich die T ä t i g k e i t a u s p r ä g t , u n d je enger sie ü n s m i t der W i r k l i c h k e i t v e r f l i c h t , d e s t o m e h r wird sie j e n e e r h ö h e n d e u n d reinigende K r a f t ausüben. Eine
emporbildende
unbestimmtesten
Fassung.
Macht
hat
die T ä t i g k e i t
schon
Sie e n t s p r i n g t z u n ä c h s t d e n
in
ihrer
Antrieben
des Ich u n d d i e n t seiner L u s t e m p f i n d u n g . Aber sie r e i ß t sich in i h r e m eignen F o r t g a n g
von
selbst eine F r e u d e .
dieser E m p f i n d u n g los u n d
gewinnt
in
Eine L u s t a m W i r k e n , a n der S p a n n u n g
sich der
K r a f t , an der Bewegung des Lebens ergreift d e n Menschen u n d b e f ä h i g t i h n , v o n d e m N u t z e n f ü r d a s kleine Ich a b z u s e h e n , ja solchem N u t z e n zuwiderzuhandeln. Diese W i r k u n g s t e i g e r t sich gewaltig in der A r b e i t , bej T u n , d a s den G e g e n s t a n d e r f a ß t u n d u m z u b i l d e n s t r e b t .
dem
Die A r b e i t
m i t ihrer G e b u n d e n h e i t — im G e g e n s a t z zur spielenden T ä t i g k e i t — ist n i c h t ein N a t u r t r i e b des Menschen, v i e l m e h r e m p f i n d e t der n a t ü r liche Mensch U n l u s t ßti ihr, u n d es ist v i e l m e h r die N o t w e n d i g k e i t der
L e b e n s e r h a l t u n g , v e r s t ä r k t d u r c h den Z w a n g der g e s e l l s c h a f t -
Die B e w e g u n g des D a s e i n s zum G e i s t e s l e b e n liehen
Ordnung,
welche ihm die A r b e i t
auferlegt.
163
Aber je
mehr
die A r b e i t sich e n t f a l t e t und mit den Dingen v e r k e h r e n läßt, d e s t o m e h r vollzieht
sich
eine Ablösung
von den
draußenliegenden
Zwecken,
d a s W e r k wird u n s wertvoll auch ohne eine Beziehung auf jene, wir f r e u e n u n s seiner H e r v o r b r i n g u n g und in ihr auch des G e g e n s t a n d e s , wir
vermögen
seine
Gesetze
anzuerkennen,
seine
Forderungen
zu
erfüllen, ü b e r h a u p t u n s von einer sachlichen N o t w e n d i g k e i t bewegen u n d leiten zu lassen.
So eine Ü b e r w i n d u n g des Egoismus, ein Sich-
selbstvergessen in die Arbeit, ein W e i t - u n d
Freiwerden d u r c h die
A r b e i t ; d a s aber n i c h t d u r c h den bloßen M e c h a n i s m u s der ä u ß e r e n Leistung,
sondern
durch
das
Erwachen
einer tieferen
Natur,
das
Aufsteigen eines geistigen Selbst im Menschen. Solches u m b i l d e n d e n W i r k e n s wird
die A r b e i t u m so f ä h i g e r
werden, je m e h r sie einen individuellen C h a r a k t e r a n n i m m t , je weniger sich das T u n des Einzelnen als eine u n b e s t i m m t e Größe in die Masse verliert.
Das f ü h r t
auf
die
Betätigung
der
Individualität
eines H a u p t m i t t e l s zur Vergeistigung des Daseins.
als
Die individuelle
A r t ist z u n ä c h s t auch e t w a s N a t u r g e g e b e n e s u n d wird d a h e r als ein S t ü c k der n a t ü r l i c h e n dividuelle e n t h ä l t Begrenzung,
Selbsterhaltung verfochten.
Aber jedes
In-
in seiner Besonderheit auch eine A b s t e c k u n g und
die der
Roheit
des
blinden
Naturtriebes
widersteht;
d a s Individuelle v e r f e c h t e n , d a s h e i ß t i n n e r h a l b der eignen A r t ein M a ß u n d Gesetz a n e r k e n n e n . Dabei h a t die Verwandlung.
I n d i v i d u a l i t ä t in sich selbst viel Bewegung,
Zunächst
erscheint
sie
nur
in
einzelnen
und
ja zer-
s t r e u t e n Zügen, die alle B e a r b e i t u n g verwerfen u n d kein Gesetz über sich a n e r k e n n e n . Züge
Im F o r t g a n g des Lebens a b e r vermögen sich diese
zusammenzuschließen
und
gegenseitig
zu
verstärken;
damit
wird die I n d i v i d u a l i t ä t i m m e r weniger bloßes Schicksal, i m m e r m e h r auch Sache eigner T a t , wird sie u n s e r eignes W e r k ; in solcher E r h ö h u n g v e r m a g sie n i c h t n u r neben der allgemeinen O r d n u n g , s o n d e r n auch i n n e r h a l b ihrer zu w i r k e n ; in der k r ä f t i g e n E n t w i c k l u n g eignen A r t v e r m a g n u n der Einzelne zugleich eine des g e m e i n s a m e n
Lebens zu w e r d e n .
der
Konzentration
So ist es auch hier die
tat-
sächliche Bewegung des Lebens, welche, aller bloßen Reflexion überlegen, das Streben der N a t u r e n t w i n d e t und der S t u f e des
Geistes
zuführt. Diese
Individualisierung
reicht
Lebens h i n a u s auch in die einzelnen
über
den
Gesamtanblick
Betätigungen
hinein, 11*
des
durch-
D e r Kampf um d e n C h a r a k t e r des G e i s t e s l e b e n s
164
gängig w i r k t sie zur F o r m g e b u n g u n d Veredlung, z u r N i e d e r h a l t u n g bloßer N a t u r t r i e b e .
So wird z. B. der Geschlechtstrieb, der sonst
den Menschen an die S t u f e d e r T i e r h e i t b a n n e n w ü r d e , d u r c h die Individualisierung veredelt u n d ins Geistige u m g e b o g e n ; , u m individuellen A r t der Mensch
allen
und Entscheidung äußeren
treu
Verhältnissen
zu bleiben, Trotz
g r ö ß t e r O p f e r , j a der S e l b s t v e r n i c h t u n g fähig.
zu
seiner
v e r m a g hier
bieten,
ist
er
Bei aller A n g r e i f b a r -
keit dieser Lösung e n t h ä l t solche W e r t s c h ä t z u n g der
Individualität
eine Größe, die den Menschen ü b e r alle bloße N a t u r u n d auch über die gesellschaftliche S p h ä r e h i n a u s h e b t . Bei und oder
Individualität
denken
wir
zunächst
dieses bleibt ihre H a u p t s t ä t t e . größere
Kreise
zu
an
das
Einzelwesen,
A b e r d a ß sich auch
individueller
Art
kleinere
zusammenschließen,
sei
d a r ü b e r n i c h t v e r g e s s e n ; d e n n diese E r w e i t e r u n g ist f ü r die H e r a n ziehung der g a n z e n besonders wichtig.
Breite der Menschheit
zu geistigen
Aufgaben
W i r d e n k e n hier an die T a t s a c h e der P a r t e i -
b i l d u n g , an die S c h e i d u n g u n d S a m m l u n g der Menschen zu e n t gegengesetzter
oder doch v e r s c h i e d e n e r B e h a u p t u n g u n d die
Ent-
s c h e i d u n g der
Individuen f ü r diese oder jene S e i t e ; wir erblicken
d a r i n ein u n e n t b e h r l i c h e s Mittel f ü r die Bewegung der t r ä g e n Massen, f ü r d a s Wurzelschlagen geistiger Zwecke in d e m d ü r r e n Boden des natürlichen
und
gesellschaftlichen
Daseins.
Was
den
Einzelnen
z u n ä c h s t zur P a r t e i h i n z i e h t , ist n i c h t s anderes als die, freilich vor sich
selbst
versteckte
Überzeugung,
hier
am
besten
die
eignen
Interessen v e r f o c h t e n zu f i n d e n , die er sich zugleich als die an sich wichtigsten vorstellt.
W e n n große geistige Bewegungen die Massen
ergriffen u n d fortgerissen h a b e n , so ist von v o r n h e r e i n
anzunehmen,
d a ß n i c h t der reine Geistesgehalt, der Idealgehalt in seiner A b l ö s u n g v o m Dasein, allein solche W i r k u n g ü b t e , s o n d e r n d a ß es z u n ä c h s t die m i t den Ideen v e r b u n d e n e A u s s i c h t auf eine V e r b e s s e r u n g der eignen
Daseinslage w a r , welche die G e m ü t e r
anzog u n d
festhielt.
Auch f ü r die religiösen Bewegungen gilt das, auch hier sind überall Interessen,
vornehmlich
wirtschaftlicher
Art,
aufzusuchen.
Aber
so gewiß solche Interessen die Sache in F l u ß zu bringen h a b e n , so wenig erklären sie d a s Ganze. das
Individuum
Sache,
es w ä c h s t
den
In d e m A n s c h l u ß a n die P a r t e i ergreift
I n h a l t der P a r t e i b e h a u p t u n g
damit zusammen,
als seine
eigne
es legt seine Liebe u n d seine
T r i e b k r a f t h i n e i n , es wird d a m i t zu selbstloser A r b e i t , j a zu g r o ß e n Opfern b e f ä h i g t , es w i r d m i t E i n e m W o r t e , i n d e m es seinen Vorteil
D i e B e w e g u n g d e s D a s e i n s zum G e i s t e s l e b e n
165
s u c h t , von d e m L e b e n s g e h a l t ü b e r w ä l t i g t u n d weit ü b e r alle
Inter-
essen, ja über sein ganzes Ich h i n a u s g e h o b e n . Nirgends m e h r als hier t r i f f t zu, was H e g e l von der List der Idee s a g t , die den Menschen f ü r ihre Zwecke wähnt.
benutzt, während
nimmt. Sache
arbeiten
D e n n z u e r s t g l a u b t der Mensch in ehrlicher Meinung der zu
dienen,
beherrschen; dann Gedanken,
von
wo
in W a h r h e i t
l ä ß t ihn sein
ihn noch seine eignen Zwecke
a b e r f ü h r t ihn der K o m p l e x . v o n
dem
sie
es v e r b l e i b t ein
wo die V e r m e n g u n g von
lautere
Gebilde e r z e u g t ; a b e r d a ß in d e m g a n z e n und
Niederem
und
Mittel-
Höherem
das Individuum
Gleichgültigkeit des A n f a n g s herausgerissen
oft
Getriebe
un-
Kraft
a u s der s t u m p f e n
wird, d a s bleibt
dabei
bestehen.
So z e r s p r e n g t überall d a s Leben d u r c h seine eigne
Bewegung
die anfängliche E n g e , v e r f l i c h t die große W e l t m i t dem lichen
innere
D a m i t v e r s c h w i n d e t freilich
Selbstische,
gebiet,
f ü r geistige Ziele g e w o n n e n
eine
S t a n d o r t j e n e r Zwecke h i n a u s u n d
Ich willig u n t e r o r d n e n .
alles U n l a u t e r e , T r ü b e ,
vollauf
Kräften und
Befriedigung h o f f t e n , d u r c h
U n t e r w e r f u n g ü b e r den g a n z e n nicht
er f ü r sich selbst zu
J a die Sache ist noch verwickelter als sie sich bei Hegel aus-
Streben, drängt
zurück.
Alle
die bloße N a t u r d u r c h geistige
Verworrenheit
verdunkelt
nicht
mensch-
Leistungen
einen, a u f s t e i g e n d e n
Zug, eine Selbsterziehung des Lebens, eine innere
Selbsterhöhung.
Die a n d e r e B a h n des F o r t s c h r i t t e s ist die, d a ß Leistungen, die z u n ä c h s t n u r in b e g r e n z t e n Gebieten, auf b e s o n d e r e n unter
glücklichen
Bedingungen
gelingen,
befreit u n d ins Ganze a u s g e d e h n t w e r d e n . Berührungspunkte
zwischen
Geist u n d
von
Höhepunkten,
solcher
Schranke
So w e r d e n A n n ä h e r u n g e n , Natur
gewonnen,
die
dem
A u f s t r e b e n zur h ö h e r e n S t u f e die leichtesten B a h n e n bereiten. Erweiterung
kann
eine solche
könnte
nicht
durch
unmöglich
eine die
bloßen N a t u r c h a r a k t e r ü b e r w i n d e n . nicht v o m wandeln.
bloße
Ausbreitung
anfängliche
Bindung
Jene
erfolgen, und
den
Auch k a n n die Bewegung sich
Einzelnen ins Ganze w e n d e n ohne sich innerlich
umzu-
Beides f o r d e r t , d a ß die A n r e g u n g von innerer K r a f t a u f -
g e n o m m e n u n d v e r a r b e i t e t werde, d a ß ein G r u n d z u g geistigen Verm ö g e n s jene Gelegenheiten ergreife u n d in freie T a t v e r w a n d l e .
Aber
zugleich behält der besondere A n s t o ß seinen W e r t als das, was die Sache in
Fluß
bringt.
Jene Wendung zum
G a n z e n e r s c h e i n t in e i n f a c h s t e r F o r m
als
eine A u s d e h n u n g v o m b e g r e n z t e n G e b i e t auf den g e s a m t e n U m f a n g ,
166
D e r K a m p f um d e n C h a r a k t e r d e s G e i s t e s l e b e n s
vom Teil auf das Ganze. Was an Interessen und Gefühlen unter der Gunst besonderer Lagen und in einzelnen Richtungen erwuchs, das entwindet sich der anfänglichen Beschränkung und erstreckt seine Wirkung auf das Ganze; die Geistigkeit, die zunächst an der Hand einer geneigten Natur in Bewegung kam, vermag nach genügender Kräftigung des Führers zu entraten und selbständig ihren Weg ¿Ü verfolgen. So treibt den Menschen über die natürliche Selbstsucht zuerst der enge Kreis des F a m i l i e n l e b e n s hinaus, der natürliche Instinkt kommt hier entgegen, die Notwendigkeit des. Lebens ergibt eine Interessengemeinschaft und treibt zu Arbeit, Sorge und Opfer; so findet hier das Aufkommen einer selbstlosen Gesinnung am wenigsten Widerstand, so daß diese von hier zu einer Macht auch für das weitere Leben werden kann. Schon der flüchtigste Blick auf die Entwicklung von Humanität und Religion zeigt den starken Einfluß der im Kreise-der Familie erwachsenen Gefühle: die Ideen der Brüderlichkeit der Menschen, sowie der Kindsqhaft zu Gott, sie bekunden, daß jener Kreis für alle Hauptverhältnisse des Menschen vorbildlich geworden ist, und wie er sie alle fortwährend zu schlichter Einfalt und Wahrhaftigkeit zurückruft; die dort erwachsenen und erstarkten Kräfte geben dem ganzen Leben Wärme und Innigkeit. Das freilich nur unter innerer Erhöhung des Ahfangsbefundes und bei Aufdeckung reinmenschlicher Kräfte, die in jenem besonderen Kreise wohl zuerst erscheinen, nicht aber letzthin entstehen. Aber mögen wir von dort erst weiter vordringen müssen: daß von dort ein aufsteigender Weg gebahnt ist, bleibt wichtig, ja unersetzlich. Aber nicht nur besondere Kreise, auch besondere Lagen erweisen sich der Pflege und Heranbildung von Gefühlen günstig, die schließlich alles Leben durchdringen. Unvergleichlich viel leichter wird dem Menschen die T e i l n a h m e a n dem L e i d e als an der Freude des anderen; diese hat den ganzen Widerstand der Selbstsucht und des Neides zu überwinden, der Mitempfindung des Leides hingegen fehlt nicht nur ein solcher Widerstand, sondern ihr kommt die Natur entgegen, indem die Vergegenwärtigung des fremden Schmerzes unmittelbar eignes Unbehagen erweckt. Ein so eng bloßen Naturtrieben verwachsenes, mehr passives, von zufälligen Eindrücken abhängiges Mitleid vermag freilich für sich allein nicht viel, aber es beginnt damit doch ein Schmelzen der anfänglichen Starrheit, ein Weich- und Weitwerden der Empfindung, und es kann das bei einem Entgegenstreben des Kernes unseres Wesens sich in sich selbst ver-
D i e B e w e g u n g des D a s e i n s zum G e i s t e s l e b e n
167
t i e f e n , s e l b s t ä n d i g v o r d r i n g e n u n d alle Verhältnisse e r g r e i f e n ; Liebe, T e i l n a h m e , A u f o p f e r u n g k ö n n e n d a r a n in die H ö h e r a n k e n . anderes
zu solchen W e n d u n g e n
So viel
g e h ö r t , f ü r die menschliche
Lage
bleibt es wichtig, den A n k n ü p f u n g s p u n k t in der N a t u r f e s t z u h a l t e n ; eine e t h i s c h e B e t ä t i g u n g , in die n i c h t der T o n e i n f a c h e n
Mitleides
h i n e i n k l i n g t , wird leicht seelenlos, u n d selbst die Liebe d r o h t flach u n d m a t t zu w e r d e n , w e n n ihr die a u f r ü t t e l n d e K r a f t des Mitleids fehlt. Von hier
aus ergeben sich e i g e n t ü m l i c h e
Überzeugungen
und
W i n k e f ü r den A u f b a u der g e m e i n s a m e n K u l t u r , es erhellt die Bed e u t u n g der B i l d u n g geschlossener Kreise, in d e n e n sich d a s geistige Leben zu befestigen, G e s t a l t zu g e w i n n e n u n d k r ä f t i g a u s z u p r ä g e n v e r m a g , u m sich d a n n erst in eine u n a b s e h b a r e W e i t e zu ergießen. N u r ein s t a r k e r O p t i m i s m u s k a n n solche K o n z e n t r a t i o n e n , sie z. B. in d e n N a t i o n e n , d e n B e r u f e n , f e s t e n
wie
Bildungstradi-
t i o n e n u s w . vorliegen, f ü r überflüssig e r k l ä r e n u n d sofort ins U n e r meßliche wirken
wollen.
Der Z u g zur a b s t r a k t e n
Gleichmacherei
k a n n leicht im Verlangen von U n m ö g l i c h e m d a s Mögliche v e r s c h e r z e n . Aber freilich f o r d e r n n e b e n dieser Seite d e r S a c h e auch a n d e r e
Er-
w ä g u n g e n ihr R e c h t , u n d es w e r d e n jene K o n z e n t r a t i o n e n n u r d a n n z u m Segen w i r k e n , w e n n sie sich in den D i e n s t des G a n z e n stellen u n d die e r r u n g e n e K r a f t v o m engen Kreise ablösen, n i c h t in h o c h m ü t i g e r A b s c h l i e ß u n g sie d a r a n b i n d e n . In v e r w a n d t e r A r t w i r k t die F e s t h a l t u n g g r o ß e r
Augenblicke
u n d die V e r w a n d l u n g ihrer Leistungen in einen d a u e r n d e n
Besitz.
D a ß in gewissen Augenblicken d u r c h schwere A u f g a b e n u n d d r i n g e n d e Gefahren, durch
ein Z u s a m m e n t r e f f e n g ü n s t i g e r
Umstände,
durch
den Z w a n g , die ä u ß e r s t e n K r ä f t e a u f z u b i e t e n , d e r Mensch zu einer d e n D u r c h s c h n i t t weit ü b e r r a g e n d e n H ö h e der L e i s t u n g u n d der
G e s i n n u n g g e h o b e n werden
k a n n , d a s erleben die
wie die Völker, wie die M e n s c h h e i t als G a n z e s .
Größe
Individuen
Solchen
wunder-
b a r e n A u g e n b l i c k e n wird m i t d e m N a c h l a s s e n der S p a n n u n g u n v e r meidlich ein Sinken folgen.
Aber was einmal u n s e r w a r , k a n n sich
nie wieder u n s völlig e n t f r e m d e n , es bleibt als ein S t ü c k
unserer
E r f a h r u n g , j a unseres W e s e n s g e g e n w ä r t i g , es e n t h ä l t ein Maß, an d e m sich alles S p ä t e r e p r ü f e n m u ß , es v e r m a g auch in die H ö h e zu ziehen u n d t r ü b e n T a g e n M u t u n d K r a f t e i n z u f l ö ß e n .
So der Segen
einer großen V e r g a n g e n h e i t , m i t ihren klassischen H ö h e p u n k t e n
ist
sie ein K a p i t a l , auf d a s sich i m m e r wieder z u r ü c k g r e i f e n l ä ß t ; so
168
D e r K a m p f um den C h a r a k t e r d e s G e i s t e s l e b e n s
gewiß dieses Kapital nur bei Umsetzung in eigne Arbeit wahren Nutzen stiften kann, die Arbeit selbst ist erleichtert, nachdem die Bahn gebrochen und das Vertrauen auf das eigne Vermögen durch die Tat begründet ist. Ein anderer Weg der Erziehung der Menschheit ist die Bewegung von außen nach innen, die innere Aneignung dessen, was zunächst die Gewalt äußerer Umstände, ja ein drückender Zwang an uns brachte. Hierher gehört die Macht aller äußeren D i s z i p l i n , der S i t t e und G e w ö h n u n g , hierher gehört auch die rückwirkende Kraft des Tuns, die Förderung der Gesinnung durch die Tat, des Wesens durch das Werk. Überall erfahren wir hier, daß das zunächst von draußen Auferlegte und uns scheinbar innerlich kaum Berührende bei dauerndem Tun in uns Wurzel schlägt, eine Macht unserer eignen Wahl wird und schließlich als eignes Ziel aus freier Entscheidung verfolgt wird. Das bedeutet nicht bloß eine leise Verschiebung, sondern eine völlige Umkehrung, es verlegt sich dabei der Schwerpunkt des Geschehens, es verwandelt sich seine Aufgabe und sein Sinn. Solche Wirkungen überschreiten das Vermögen eines mechanischen Niederschlags des Äußeren oder einer bloßen Dressur, wiederum bedarf es des Erwachens einer inneren Natur, der das Äußere nur die Anregung geben kann; jede Überspannung des Äußeren, jede Abschwächung der Selbständigkeit des Inneren führt zur Werkgerechtigkeit, zu einer Mechanisierung des Lebens, der selbst ein A r i s t o t e l e s nicht entging, und die im mittelalterlichen Kirchenleben einen bedenklichen Umfang angenommen hat. Aber bei aller Möglichkeit von Irrungen, bei aller Gefahr, in dem stecken zu bleiben, was nur tiefere Erlebnisse zu vermitteln hat, bleibt jene Bewegung vom Äußeren zum Inneren ein unumgänglicher Weg zur Erziehung des Individuums wie der Menschheit, ein unentbehrliches Stück des weltgeschichtlichen Lebens. Besondere Verhältnisse verzweigen diese Einwärtswendung noch weiter. So erwächst z. B. zwischen den Individuen aus dem äußeren Zusammentreffen am Werk nach und nach eine innere Gemeinschaft; wer uns zunächst nur durch die Leistung als Mitarbeiter schätzbar war, der kann allmählich unter Verinnerlichung des Verhältnisses zum wahren Freunde werden. Überall ist es das Äußere, was zunächst die Kraft anregt und Verbindungen herstellt, aber die Kräfte und Verbindungen selbst drängen über den Anfangsstand hinaus und vollziehen eine Wendung nach innen. Nahe verwandt ist dieser Bewegung der Zug, die geistige Be-
D i e B e w e g u n g des D a s e i n s z u m G e i s t e s l e b e n
169
t ä t i g u n g aus einem anfänglichen Mittel f ü r f r e m d e Zwecke in einen Selbstzweck Zweck. aber
zu
verwandeln,
die
Umkehrung
von
Mittel
und
Der e r s t e D r a n g g e h t auf die n a t ü r l i c h e S e l b s t e r h a l t u n g ,
die v/achsende
Verwicklung der menschlichen
Lage
gestaltet
diese nicht e i n f a c h , sie v e r l a n g t ein A u f g e b o t m a n n i g f a c h e r geistiger K r a f t , einstweilen lediglich f ü r die Zwecke der N a t u r .
So erscheint
d a s geistige L e b e n zuerst im Dienste der n a t ü r l i c h e n S e l b s t e r h a l t u n g ; f ü r ihr erstes A u f k o m m e n sind W i s s e n s c h a f t u n d K u n s t , S t a a t u n d R e c h t keiner M a c h t zu g r ö ß e r e m D a n k v e r p f l i c h t e t als der Not des Lebens.
Aber was die Not ins Dasein h o b , d a s h a t sich allmählich
von ihr abgelöst, das an sich W e r t v o l l e erwies eine eigne Anziehungsk r a f t , h o b sich über das bloß Nützliche h i n a u s u n d v e r m o c h t e dieses sich
unterzuordnen.
Aber
ohne den K a m p f
u m s Dasein wäre es
schwerlich eine M a c h t f ü r d e n Menschen g e w o r d e n . Diese U m k e h r u n g von Mittel u n d Zweck, dies Aufsteigen z u m Schönen d u r c h d a s Nützliche erscheint besonders deutlich im Verhältnis
des Menschen
zur
Gesellschaft.
Er handelt
zunächst,
um
im gesellschaftlichen Dasein e t w a s zu erreichen, u m bei den a n d e r e n Beifall u n d G u n s t zu f i n d e n , u m a n d e r e n v o r a n z u k o m m e n .
So wird
der E h r g e i z der m ä c h t i g s t e Hebel des H a n d e l n s , im kleinen wie ins großen Kreise, seiner k a n n die soziale O r d n u n g n i c h t wohl e n t b e h r e n ; aller
Inhalt
gültiges
erscheint
Mittel.
dagegen
Aber
mehr
zu
und
Beginn mehr
als ein
zieht
an sich
er selbst
gleich-
die
Kraft
u n d das S t r e b e n an s i c h ; n a c h d e m die Sache einmal in F l u ß geraten,
wächst
die
Bewegung
über
die
anfänglichen
Beweggründe
weit h i n a u s , der Ehrgeiz v e r b l a ß t vor der F r e u d e an d e m
Guten
und
Güter,
Schönen,
dem
menschlichen
Getriebe
entwinden
sich
welche die S c h ä t z u n g u m k e h r e n und alles gesellschaftliche Leben als bloßes Mittel b e h a n d e l n .
Aber ehe sich d a s Feuer zu reiner F l a m m e
k l ä r e n k o n n t e , m u ß t e es e n t z ü n d e t sein, und h i e r f ü r w a r jenes Mittel n i c h t zu e n t b e h r e n . Mit d e m
allen g e w i n n t
das
Dasein
Anblick als in der ersten B e t r a c h t u n g . die von
zunächst
die
Aufmerksamkeit
einen
wesentlich
Neben den r o h e r e n
beherrschen,
a n d e r e r u n d h ö h e r e r A r t ; in t a u s e n d f a c h e n
erscheinen
anderen Zügen, feinere
F ä d e n sehen
wir
eine Bewegung a m W e r k e , die anfängliche S t a r r h e i t aufzulösen u n d die K r ä f t e a u f w ä r t s zu f ü h r e n .
D a s a b e r u n a b h ä n g i g von d e r
Re-
flexion u n d der b e w u ß t e n W a h l der Individuen, d a s n i c h t hie u n d d a , sondern d u r c h den ganzen U m f a n g des Daseins bis in die ein-
170
D e r Kampf um den C h a r a k t e r des G e i s t e s l e b e n s
fachsten
Grundformen
Selbsttätigkeit
und
hinein.
dem
So bleibt
die
Dasein n i c h t ohne
K l u f t zwischen
der
V e r m i t t l u n g , und
die
A r b e i t des M e n s c h e n b r a u c h t n i c h t zu verzweifeln.
c. Die Versöhnung von Idealismus und Realismus. Die zweite F r a g e w a r , o b d a s Geistesleben des Menschen eine volle
Bestimmtheit
steckter
erlangen
Sinnlichkeit
und
und
das
blutloser
Schwanken
Leere
zwischen
überwinden
ver-
kann.
Die
e r s t e E r f a h r u n g schien d e m zu w i d e r s p r e c h e n , a b e r es f r a g t sich, ob diese E r f a h r u n g d e n h ö c h s t e n Gerichtshof bildet.
In der T a t k a n n
sich bei u n s keine Geistigkeit e n t f a l t e n , o h n e d a ß auch ein Sinnliches m i t b e w e g t w i r d ; wir k ö n n e n solche B i n d u n g n i c h t k ü h n e n
Rucks
a b s t r e i f e n u n d u n s g a n z in reines Geistesleben v e r s e t z e n . Aber deshalb brauchen
noch
nicht
Geistiges u n d
Sinnliches völlig in Eins
zu-
s a m m e n z u r i n n e n u n d die F o r m e n des Sinnlichen sich allem geistigen S t r e b e n als M a ß e u n d
Schranken aufzulegen; warum könnte nicht
in allem Z w a n g e des Z u s a m m e n s e i n s d a s Geistige eine keit b e h a u p t e n u n d eine Ü b e r l e g e n h e i t e r w e i s e n ?
Selbständig-
So a b e r s t e h t es
in der T a t , u n d z w a r r e i c h t j e n e S e l b s t ä n d i g k e i t soweit wie die Selbsttätigkeit.
D u r c h die T ä t i g k e i t u n d i n n e r h a l b der T ä t i g k e i t
erfolgt
eine S c h e i d u n g zwischen Sinnlichem u n d U n s i n n l i c h e m ; hier v e r m a g d a s U n s i n n l i c h e sich rein zu e n t f a l t e n u n d a u c h zu einem zusammenzuschließen, fremder Elemente
die
Tätigkeit
erwehren,
das
kann
Sinnliche
sich
des
aus d e m
A u ß e n s e i t e d r ä n g e n u n d es zu einer n e b e n s ä c h l i c h e n nung
machen.
Erst
eine
Erschlaffung und
Ganzen
Eindringens Kern
in
die
Begleiterschei-
E r s t a r r u n g des T u n s
liefert d a s Geistige u n r e t t b a r d e r V e r m e n g u n g m i t d e m
Sinnlichen
a u s ; es k a n n seine U n a b h ä n g i g k e i t n i c h t w a h r e n o h n e einen Heroism u s in A u f s t i e g u n d A u f r e c h t e r h a l t u n g , a b e r ein solcher H e r o i s m u s ist keine bloße Diese deutlich des
Einbildung.
Überlegenheit
der
geistigen
in d e r f r e i e n B e h a n d l u n g
Denkens.
Vorstellungen
So wenig ablehnen
unser
kann,
Denken wir
Arbeit
erscheint
besonders
der sinnlichen E l e m e n t e die
vermögen
Begleitung zwischen
seitens
sinnlicher dem,
was
d e m Begriff, u n d d e m , w a s der bloßen Vorstellung a n g e h ö r t , deutlich zu scheiden, zugleich a b e r dieser allen E i n f l u ß auf die
Gestaltung
des Begriffs zu v e r s a g e n ; wir b e d ü r f e n zur V e r a n s c h a u l i c h u n g
der
Bilder, a b e r wir e r k e n n e n d a s Bild als ein bloßes Bild, wir k ö n n e n
Die V e r s ö h n u n g von Idealismus und Realismus
171
mit den Bildern frei schalten und walten, sie bald näher bald ferner rücken, sie nach unserem Ermessen wechseln, ü b e r h a u p t den S t a n d ort der B e t r a c h t u n g über ihnen, nicht in ihnen n e h m e n . So ist das Denken auch der Sprache nicht wie einem übermächtigen Schicksal blind u n t e r w o r f e n , bei aller Bindung an sie ü b t es auch eine Gegenwirkung, ja es f ü h r t gegen sie, wenn aych meist versteckt, einen unablässigen K a m p f . Solcher A b s t a n d , der sich im Alltagsleben verbirgt, k o m m t zu kräftiger E m p f i n d u n g , sobald geistige Umwälzungen erfolgen u n d neue Gedankenmassen erzeugen. Dann h e m m t die Sprache leicht mehr als sie fördert, eine Auseinandersetzung mit ihr ist nicht zu vermeiden. So e r f u h r es das Christentum gegenüber der hellenistischen, die aufstrebende Neuzeit gegenüber der scholastischen Sprache, so ist auch heute die überkommene wissenschaftliche Sprache m i t ihrer Abhängigkeit vom Rationalismus und Intellektualismus ein wenig genügendes Gefäß f ü r die wahren Probleme der Zeit. Das Problem des Denkens ist aber nur ein Ausschnitt aus dem Problem des Lebens, überall kann die höhere Stufe eine Selbständigkeit bewahren. So brauchen die kleinen Beweggründe der Individuen nicht mit den T r i e b k r ä f t e n des geistigen Schaffens zusammenzurinnen und d a m i t jenes Schaffen zu entstellen. Gewiß b e h a u p t e n Sinnlichkeit u n d Selbstsucht bei uns ihren Platz und lassen sich nicht daran hindern, bei aller Bewegung des Lebens mitzuschwingen. Aber d a ß sie zu Faktoren des geistigen Bestandes werden, das läßt sich allerdings verhindern, alles A n h a f t e n jener niederen Stufen b r a u c h t den Kern des Geisteslebens nicht zu treffen. Deshalb also, weil es ziemlich überall gelingt, jenes Kleine aufzuweisen, davon in kleinkluger Weise alles Große und Edle abzuleiten und es d a m i t jn bloßen Schein aufzulösen, ist sachlich falsch u n d erklärt nicht einmal den Schein; es ist eine bedientenhafte Gesinnung, die am Großen nur das Kleine w a h r n i m m t , und der es eine Herzensfreude bereitet, dieses Kleine hervorzukehren. So wenig sich daher sagen läßt, d a ß reines Denken und reines Wollen als fertige Größen vorhanden sind, sie sind Tatsachen, Wirklichkeiten im Reich der Tätigkeit, sie sind Triebkräfte geistigen Schaffens. Solche Selbständigkeit des Geistigen anerkennen, das heißt ihm auch eine positive Art zuerkennen. Nur eine B e t r a c h t u n g von draußen her u n d eine Messung nach fremden Maßstäben k a n n ihm
172
D e r K a m p f um den C h a r a k t e r d e s G e i s t e s l e b e n s
dies versagen. Denn warum anders wird es bloß negativ gescholten, als weil es sich nicht sinnlich ausführen und darstellen l ä ß t ? Aber m u ß es darum bei sich selbst negativ sein, kann es nicht in seiner eignen Arbeit eine Positivität besitzen und erweisen? Von der Tatsächlichkeit einer solchen Umkehrung überzeugten wie uns schon oben. Begriffe wie die d^s Unendlichen, Unbedingten usw. werden in der geistigen Arbeit positive Größen; auch hat alle jene Bildlichkeit oder Negativität des Gottesbegriffse den Aufbau eines Reiches der Religion nicht gehindert; wie hätte sie von den großen Ordnungen des> Mgnschheitslebens bis ins tiefste Gemüt des Individuums so mächtig wirken können, hätten nicht ihre Größen eine positive Bedeutung gewonnen? Verständlich wird allerdings diese geistige Positivität erst vom Selbstleben aus; denn, wie wir sahen, kann erst dadurch, daß ein Selbst den Betätigungen gegenwärtig bleibt, in ihnen Erfahrungen macht, aus ihnen zur Einheit zurückkehrt, dem Leben ein Inhalt erwachsen. So braucht bei deutlicher Abgrenzung der Selbsttätigkeit gegen das Dasein über die Selbständigkeit und die Positivität des Geisteslebens keine Sorge zu sein. Aber noch mehr, das Sinnliche braucht nicht nur das Geistige nicht zu hemmen, es kann ihm zu seiner Entwicklung nutzen und dienen. Solche Förderung wird dadurch notwendig, daß, wie wir fanden, die geistige Bewegung in der bloßen Entgegensetzung gegen das Dasein sich selbst nicht vollenden k a n n ; von dem scheinbaren Gegner muß ihr Hilfe kommen, eine Hilfe, die sich freilich nicht^ blindlings aufnehmen läßt, sondern die nur in der Aneignung und Umbildung wertvoll wird. Ein solches Wachstum der Tatwelt durch das Dasein wird eben durch die Wesensbildung verständlich, indem sie auf beiden Seiten einen Gehalt erkennt und in dem Dasein nur eine Lebensform dieses Gehaltes, nicht seinen Kern erblickt. So kann ganz wohl aus dem Zusammenstoß des Daseins mit der Selbsttätigkeit neues hervorgehen; in dem zunächst scheinbar bloß Sinnlichen mag die Berührung mit der Selbsttätigkeit eine geistige Leistung erwecken. Hieher gehört das Wirken der P h a n t a s i e , das nicht nur der Kunst, sondern allen Zweigen des Geisteslebens unentbehrlich ist. Jene bewegt sich zunächst im Elemente des Sinnlichen und scheint vornehmlich auf seine Anschaulichkeit angewiesen. Aber jene geistige Leistung wäre unmöglich, wenn nicht in dem Sinnlichen ein Geistiges stäcke, nicht in den Lagerungen der sinnlichen Elemente geistige
173 Synthesen aufstrebten, nicht in dem Bilde ein Gedanke schlummerte, der n u r der Weckung bedurfte. So wird das Sinnliche ein Mittel geistiger Entwicklung, nicht von sich aus, aber durch die befreiende M a c h t der Selbsttätigkeit. Wie viel Förderung in diesem Sinne bringt nicht dem Denken die der Sprache innewohnende P h a n t a s i e ? Aber nicht nur eine Bereicherung des Gehalts, auch eine Vers t ä r k u n g der K r a f t läßt sich von diesem Wege erwarten. Das natürliche Ich scheint zunächst ein Feind aller geistigen Bewegung; es w ü r d e es bleiben, wenn es die tiefste Wurzel des Lebens und nicht eine Stufe seines Aufstiegs wäre. Seine Macht aber v e r d a n k t es nicht der bloßen N a t u r , sondern dem wesenhaften Selbst, das es an sich zieht u n d bei sich f e s t h ä l t ; so lange aber die geistige Arbeit dieses nicht ganz ergriffen h a t , e n t b e h r t sie selbst der vollen Triebk r a f t ; so wird es zur Aufgabe, das Selbst von jener Bindung zu befreien und f ü r die Geistigkeit zu gewinnen. D a m i t erhält das natürliche Ich eine positive Bedeutung, seine K r a f t und Frische darf nicht verloren gehen, sie k a n n die geistige Arbeit beträchtlich steigern, freilich n u r u n t e r innerer W a n d l u n g u n d L ä u t e r u n g . Alle diese P u n k t e zeigen ein freundlicheres Verhältnis des Geistigen und des Sinnlichen, der Selbsttätigkeit und des Daseins, als die Anfangsb e t r a c h t u n g es f a n d . Solche Wendungen eröffnen die Möglichkeit, den alten Gegens a t z des I d e a l i s m u s und des R e a l i s m u s zu verstehen und zu versöhnen. Zunächst gewinnen die meist verschwommenen Begriffe n u n m e h r einen genaueren Sinn. Den Kern und die W a h r h e i t des Idealismus bildet die Überzeugung, d a ß in der Geistigkeit eine neue Welt mit neuen Größen und unvergleichlichen Gütern aufsteigt und sich als unbedingten Selbstzweck g i b t ; als nähere A u s f ü h r u n g aber k o m m t hinzu, d a ß sich uns Menschen diese neue Welt n u r in Ablösung und Entgegensetzung gegen das Dasein entfalten k a n n , d a ß sie zur Selbstbehauptung einen unablässigen Kampf dagegen zu f ü h r e n h a t . Diese Überzeugung h a t sehr eingreifende Folgen. Denn aus ihr ergibt sich unmittelbar, d a ß die geistige Arbeit nun und n i m m e r in den Dienst des Daseins treten darf, sondern d a ß sie ihre Zwecke bei sich selbst, in der Schöpfung einer eignen u n d neuen Welt zu suchen h a t . Hier k a n n nicht die Moral ein Mittel f ü r d a s Wohl der Gesellschaft, nicht die Religion eine Hilfe f ü r das bedrängte Individuum oder die erschütterte Gesellschaft, nicht die Metaphysik die Befriedigung eines subjektiven Bedürfnisses nach Ordnung der
174
D e r Kampf um den C h a r a k t e r d e s G e i s t e s l e b e n s
E r s c h e i n u n g e n bilden.
Solche B i n d u n g an d a s Niedere und solche
B e u g u n g u n t e r seine Zwecke erscheint hier als eine innere Z e r s t ö r u n g ; e n t w e d e r e r ö f f n e n jene Gebiete m i t e i n a n d e r , jedes in seiner Weise, eine neue Wirklichkeit, oder sie verlieren alle
Existenzberechtigung,
u n d es bleibt n u r die s t r e n g s t e E i n s c h r ä n k u n g auf d a s bloße Dasein m i t der Abweisung aller weiteren B e s t r e b u n g . M e t a p h y s i k sind
entweder
E t h i k , Religion u n d
Zeugnisse einer n e u e n
W e l t oder
leere
Einbildungen. So d u l d e t der Idealismus in j e n e m Sinne keinerlei A b s c h w ä c h u n g . Aber es erhellte zugleich, d a ß die S e l b s t t ä t i g k e i t i m m e r z u m Dasein z u r ü c k k e h r e n m u ß , u m sich vollauf d u r c h z u b i l d e n ; d a s Dasein k a n n a b e r n i c h t leisten, was es hier leisten soll, w e n n es v o n
vornherein
u n t e r ein auferlegtes S c h e m a gestellt, w e n n es n i c h t in seinem B e f u n d e vollauf a n e r k a n n t und g e w ü r d i g t w i r d , w e n n es sich n i c h t in voller Unabhängigkeit
und
Unbefangenheit
aussprechen
darf.
Hier
be-
g i n n t d a s R e c h t des Realismus, er d a r f , j a er m u ß v e r l a n g e n , d a ß diese Seite der W i r k l i c h k e i t volle K r a f t u n d A n s c h a u l i c h k e i t erlange. Hier m u ß alle B e d i n g t h e i t u n s e r e s Seins u n d u n s e r e r W e l t l a g e zur Geltung Macht
kommen:
die
des Äußeren
Lebenserhaltung, Mühseligkeit
die
Abhängigkeit
und
Materiellen,
verschwindende
des Aufstiegs,
alles
geistigen
die M ü h e n Kleinheit
Wirkens,
die
Sorgen
der
Anfänge,
die
und der
der W a n d e l u n d Wechsel
menschlicher
Verhältnisse, d e r bald b r u t a l e , bald listige K a m p f u m s Dasein, die Vereinzelung u n d Z e r s t r e u u n g der I n d i v i d u e n , diese g a n z e Kehrseite der Dinge m u ß u n d k a n n hier voll a u s g e s p r o c h e n werden. der
und
anerkannt
Hier h a t die U n m i t t e l b a r k e i t des E i n d r u c k s , der A n s c h a u u n g ,
E m p f i n d u n g ihr u n b e s t r e i t b a r e s
Recht,
die g a n z e
Weite
E r f a h r u n g ist hier zu d u r c h w a n d e r n , ihre g a n z e D u n k e l h e i t kosten.
Zum
schweren
tuschung dessen,
um
der
auszu-
Fehler wird eine A b s c h w ä c h u n g oder Verdie
Probleme
nicht
zu s e h r zu
verwickeln.
Diese d o p p e l t e B e t r a c h t u n g stellt a u c h eine d o p p e l t e A u f g a b e . Überall gilt es n i c h t n u r u n s eines Geistesgehaltes zu
bemächtigen,
s o n d e r n ihn auch im Dasein zur W i r k u n g zu b r i n g e n .
Ein a n d e r e s
ist z. B. der Ideengehalt der christlichen Religion, ein a n d e r e s seine E r g r e i f u n g u n d B e h a n d l u n g s e i t e n s der M e n s c h e n u n d Z e i t e n ; eine a n d e r e A u f g a b e ist es, j e n e
Ideen rein h e r a u s z u h e b e n , eine a n d e r e ,
die Seele der I n d i v i d u e n d a f ü r zu g e w i n n e n .
Bei d e r zweiten F r a g e
gilt es die E r m i t t l u n g v o n B e r ü h r u n g e n zwischen d e m Dasein u n d der S e l b s t t ä t i g k e i t , den Gewinn v o n D u r c h s b r u c h s p u n k t e n des Geistes-
Die V e r s ö h n u n g von Idealismus und Realismus
175
lebens wie sie vorher geschildert w u r d e n . Das ist eine Sache f ü r sich, und es k a n n hier ein an sich tieferes und gehaltvolleres Geistesleben besondere H e m m u n g e n zu überwinden h a b e n ; das Christent u m z. B. mag hier sowohl gegen den B u d d h i s m u s als gegen den Islam zunächst im Nachteil sein. Immer aber bleibt jene Wirkung im unmittelbaren Dasein ein wichtiger P u n k t , indem die geistigen Bewegungen hier nicht nur eine Macht nach außen erweisen, sondern selbst von d a h e r eine neue Beleuchtung e m p f a n g e n ; hier mögen bei u n g e h e m m t e r W i r k u n g des Gesamteindruckes neue Probleme erwachen, Weiterbildungen angeregt werden, selbst W a n d lungen des Ganzen in Fluß g e r a t e n ; zum mindesten verbietet der Realismus allen hastigen Abschluß und alle dogmatische Starrheit. In dieser Richtung und mit dieser Beschränkung h a t ein gutes Recht die psychologische Behandlung der F r a g e n , wie sie neuerdings z. B. die Religionspsychologie in f r u c h t b a r e r Weise entwickelt. So sind in der Sache der Realismus u n d der Idealismus nicht sowohl Gegner als Mitarbeiter an einem gemeinsamen W e r k , sie können sich, recht verstanden, gegenseitig H a n d r e i c h u n g leisten. Sie mögen namentlich in der B e k ä m p f u n g eines gemeinsamen Gegners freundschaftlich zusammengehen. Dieser Gegner ist kein anderer als die D u r c h s c h n i t t s k u l t u r des Alltages mit ihrem Ineinanderschieben beider Reihen u n d der Abschwächung ihrer Eigentümlichkeit, mit ihrer AbSchleifung und Herabziehung der T a t w e l t einerseits, ihrem Ausputzen und A u f p u t z e n des Daseins andererseits. So wird jedwedes v e r k ü m m e r t und aller Antrieb zur Bewegung gelähmt. Die Verherrlichung dieses Mischmasches aber ü b e r n i m m t der landläufig« Idealismus mit seinem Idealisieren des Bestehenden, seinem Anpreisen der besten aller möglichen Welten. Sein trübes und verfälschendes Bild der Wirklichkeit r u f t keine Aufgabe hervor, die den Menschen kräftig bewegen könnte, sondern den Problemen sind die Spitzen von vornherein abgebrochen, der träge Schlaf k a n n sofort beginnen. Diese Philosophie der Bequemlichkeit ist so u n a u s r o t t b a r wie die Bequemlichkeit selbst; u m so notwendiger ist d a s Z u s a m m e n h a l t e n jener beiden Gedankenreihen zu ihrer B e k ä m p f u n g . In dieser Weise ehrlich z u s a m m e n h a l t e n aber können die beiden Seiten nur, wenn sie zunächst deutlich auseinandertreten und ihr Recht gegenseitig anerkennen. Alsdann aber k a n n das eine dem anderen zur direkten Förderung gereichen. Gerade ein k r ä f t i g e r Idealismus wird eine energische W i r k u n g auf das Dasein er-
176
D e r Kampf um d e n C h a r a k t e r d e s G e i s t e s l e b e n s
s t r e b e n ; u m so m e h r m u ß er sich m i t i h m befassen, es e r k e n n e n u n d bewegen, u m so m e h r wird er in den Dingen e n t d e c k e n , ihre P o s i t i v i t ä t u n d ihren W i d e r s t a n d e m p f i n d e n .
So zeigt z. B. die Ge-
s c h i c h t e der Philosophie, d a ß die W e n d u n g z u m Positivismus wegung
namentlich
spekulativer
da
fruchtbar wurde,
Oedankenarbeit
voranging
Empirismus
und
wo eine große
Be-
und
alle
Begriffe
s c h ä r f t e . So h a b e n auch die U m w ä l z u n g e n der Moral u n d der Religion neue Seiten der E r f a h r u n g erschlossen, d a s Dasein reicher u n d verwickelter g e m a c h t . A n d e r e r s e i t s t r e i b t d e r R e a l i s m u s , a u s d e m Ganzen des Lebens e r f a ß t , n o t w e n d i g z u m Idealismus, e i n e m k r ä f t i g e n u n d s e l b s t ä n d i g e n Idealismus.
J e m e h r d a s D u n k e l , die V e r w o r r e n h e i t , die
keit des Daseins e m p f u n d e n , je s c h ä r f e r es in seinem
Unstetig-
tatsächlichen
B e s t ä n d e e r f a ß t w i r d , d e s t o m e h r m u ß seine U n f ä h i g k e i t erhellen, a u s eignem
Vermögen
die
Geisteswelt
aufzubauen,
desto
stärker
wird d a s B e d ü r f n i s n a c h einem f e s t e n H a l t in der T a t w e l t w e r d e n . J e m e h r f e r n e r jenes Dasein A r b e i t , M ü h e u n d Sorge k o s t e t ,
desto
w e n i g e r l ä ß t sich in es m i t seiner geistigen Leere d a s g a n z e Leben des Menschen s e t z e n .
W e n n a b e r der Realismus d u r c h seine eigne
E n t w i c k l u n g zu einem
Idealismus t r e i b t , so m u ß es ein
kräftiger
u n d w e s e n h a f t e r Idealismus sein, d e r allein ihn befriedigen k a n n .
So
wird der Realismus z u m K r i t i k e r des Idealismus zu dessen
eignem
Besten, er d r ä n g t ihn zu seiner eignen T i e f e ; die H e m m u n g ,
welche
die geistige Bewegung d u r c h d e n W i d e r s t a n d e r f ä h r t , m u ß schließlich ihrer S t ä r k u n g u n d
Berichtigung
dienen.
Aber w a s in der S a c h e a u f e i n a n d e r angewiesen ist, d a s
kann
in den menschlichen Verhältnissen sich zerwerfen u n d arg v e r f e i n d e n , d a s k a n n sich gegenseitig alles R e c h t z u m Dasein b e s t r e i t e n . a b e r z u m S c h a d e n n i c h t n u r des G a n z e n , s o n d e r n auch j e d e r ja das
gemäß
der u n s e r Leben d u r c h d r i n g e n d e n
Streben
oder doch
Kreis kennt,
Seite;
D i a l e k t i k wird
leicht
d a s g e r a d e Gegenteil dessen erreichen, w a s es
wollte
zu wollen g l a u b t e : d e r
Pseudorealismus, kehren.
Das
der
Realismus
in
I d e a l i s m u s wird sich in einen
Pseudoidealismus
einen ver-
Ein Idealismus, d e r s e l b s t b e w u ß t n i c h t ü b e r den a b g e s t e c k t e n hinausblickt gerät
in
und Gefahr,
den die
Werdecharakter Widerstände
unseres zu
Lebens
ver-
unterschätzen,
das
A u f g e b o t eigner K r a f t zu m i n d e r n u n d die S e l b s t k r i t i k e i n z u s t e l l e n . So ein voreiliger A b s c h l u ß , eine F e s t l e g u n g einer b e s o n d e r e n
histo-
rischen Lage, ein Sinken u n t e r die F o r m e n u n d K r ä f t e des D a s e i n s -
Die V e r s ö h n u n g von I d e a l i s m u s und R e a l i s m u s So e n t s t e h t
ein d o g m a t i s c h e r ,
Unterdrückung aber
leicht
der
ein
Anpassung
ein offizieller
Freiheit und
Erlahmen
aller
an die gegebenen
mit
seiner
G e f ä h r d u n g der W a h r h e i t ,
damit
kräftigen
Idealismus
177
Antriebe,
Verhältnisse,
eine
eine
bequeme
Herabsetzung
der
geistigen G ü t e r zu bloßen Mitteln f ü r die Interessen einzelner K l a s s e n , kurz
eine
eines
innere
Auflösung
des
Idealismus
und
ein
Der Kampf dienst
des
Idealismus können. Arbeit
dagegen ist ein gutes
Realismus;
Totengräber
eines
sein
Unrecht
erloschenen
zerstören
R e c h t und ein w a h r e s aber
beginnt,
wenn
Idealismus, g l a u b t , allen
und selbst
die g a n z e
Ver-
er,
und
Wirklichkeit
der
jeden
bilden
zu
E i n solcher Schein kann d e s h a l b e n t s t e h e n , weil die geistige mit
tausend
Fäden
in das
Dasein
hineinwirkt
d a h e r A n k n ü p f u n g s p u n k t e in Hülle und F ü l l e b i e t e t ; heit,
Aufwuchern
Pseudorealismus.
bereichert
emanzipieren auftreten.
durch
und
Aber
den
Ertrag
jener
Arbeit,
und
die
kann
Gegeben-
sich
völlig
als eine selbständige und s e l b s t g e n u g s a m e aller
blendende
Schein
vermeintlicher
Ursprüngliches v o n A b g e l e i t e t e m ,
Welt
Anschau-
lichkeit k a n n nicht über die V e r k e h r t h e i t des V e r f a h r e n s stehen zu lassen.
dieses
täuschen,
Reines a u s der V e r m e n g u n g
ent-
D a s Geistige ist dort viel zu zerstückelt und zer-
s t r e u t , viel zu a b h ä n g i g und s c h w a n k e n d ,
als d a ß es sich
dorther
zu einer eignen N a t u r und neuen O r d n u n g a u f r i n g e n k ö n n t e ;
wenn
es aussieht, als o b uns l a n g s a m e E n t w i c k l u n g und allmähliche
An-
h ä u f u n g zum Ziele f ü h r e , so wird im G r u n d e die andere W e l t , die Welt
des
Idealismus,
immer
schon
vorausgesetzt
und
dahin
alle
L e i s t u n g u m g e d e u t e t ; w e r aus dem Vorstellungsgetriebe eine W i s s e n schaft herausklaubt,
der p f l e g t ein
R e i c h , der K a u s a l i t ä t
und
der
B e g r i f f e jenseits jenes Getriebes anzunehmen und dahin alle einzelnen L e i s t u n g e n zu v e r s e t z e n ; w e r aus d e m Nützlichen, e t w a d e m N u t z e n der
Gesellschaft, das
Gute
herausspinnt,
der v e r k e n n t
die
völlige
U m w ä l z u n g , die in jener W e n d u n g l i e g t ; er h ä l t d a s , w a s in W a h r h e i t vorausgesetzt
wird,
für erklärt,
weil
er
die
Voraussetzung
stück-
weise e i n f ü h r t . V e r p ö n t aber der R e a l i s m u s alle R i c h t u n g auf die
Geisteswelt
und m ö c h t e er sich streng auf d a s Dasein b e s c h r ä n k e n , so m ü ß t e er sich willenlos v o n seinen Wellen d a h i n t r e i b e n nur alle G e g e n w i r k u n g , sondern auch allen eignen zum
Ganzen
unterlassen.
Er
dürfte
nicht
als
und könnte nicht S a c h e der Ü b e r z e u g u n g w e r d e n . Eucken,
Kampf
III Aufl.
lassen und
nicht
Zusammenschluß Prinzip
auftreten
Denn wie sollte 12
178
D e r K a m p f um den C h a r a k t e r d e s G e i s t e s l e b e n s
sich in dem regellosen Fluß der Eindrücke der dazu nötige feste Standort und die umfassende Übersicht f i n d e n ? Aber auch abgesehen von diesem Anstoß taugt der Realismus offenbar nicht* zur Führung der Kulturbewegung. Dem Durcheinander, das ihm bei strenger Fassung die Welt werden muß, lassen sich keine klaren Formen und Gesetze entringen, das Beharren wird hier vom Werden, der Zweck vom Mittel, das Innere vom Äußeren verschlungen, die inneren Probleme und Gegensätze des Lebens bleiben unverstanden. Diese Richtung ist weit fähiger, einen vorhandenen Lebensstand zu kritisieren als neues zu erzeugen, geneigter,, die Probleme aufzudecken als .ihre Lösung zu fördern, geschickter, zu beschreiben und eindringlich vorzuhalten als zu ergründen und energisch umzuwandeln. Sobald sie zu positiver Leistung übergeht, m u ß sie in Ideen, Überzeugung und Glauben Waffen ^us der Rüstkammer des Idealismus borgen. In die Bahnen des Idealismus gerät sie auch insofern, als sie nicht irgendwelche Wertschätzungen und Zielsetzungen vollziehen kann, ohne einzelne Punkte auszuzeichnen, sie über den wirklichen Stand hinauszuheben, in sie etwas Großes und Schönes hineinzusehen, damit aber das Dasein zu idealisieren. Es wird z. B. die von der Kultur unberührte Natur, die Volksmasse oder auch umgekehrt das starke Individuum idealisiert. So schlägt in Wahrheit der Realismus in einen Idealismus um, jedoch in einen Pseudoidealismus; so langen beide Richtungen in ihrer Isolierung- beim vollen Gegenteil an. Demnach zeigt sich direkt wie indirekt, daß beide nicht gegeneinander auszuspielen sind, sondern daß sie zusammengehören und erst miteinander einen gesunden und kräftigen Lebensprozeß ergeben. Uns liegt eine zwiefache Aufgabe ob: einen Idealgehalt des Lebens zu erringen und das Dasein ganz dafür zu gewinnen; dort das Problem geistigen Schaffens, hier das der Belebung und Heranbildung des menschlichen Kreises; so eine doppelte Reihe von Erfahrungen, ein Arbeiten von entgegengesetzten Polen, ein Hinüber- und Herüberwirken der Kräfte, eine innere Bewegung des gesamten Lebens. Der Hauptertrag dieser Bewegung ist aber, daß was zunächst nur Widerstand scheint, sich in Förderung verwandelt, und daß sich schließlich die positiven Mächte aller Verwicklung siegreich entwinden. Daß aber die Wesensbildung die zu solcher Bewegung nötige Weite und Tiefe des Lebensprozesses gewährt, und daß sich hier die scheinbar entgegengesetzten Ströme des Idealismus und des
Die Versöhnung von Idealismus und Realismus
179
Realismus versöhnen lassen, das bildet eine wichtige Bestätigung dieser Grundüberzeugung. Aber keinen Augenblick sei vergessen, d a ß solche Versöhnung nicht die Anerkennung eines gleichen Wertes, nicht einen c h a r a k t e r losen Kompromiß bedeutet. Nur Eins k a n n herrschen und entscheiden; dies aber ist zweifellos die T a t w e l t , hier liegen die letzten Ziele und auch die treibenden K r ä f t e . Mag ihre Betätigung noch so sehr des anderen bedürfen, sie bleibt dabei überlegen,-sie sucht in dem anderen das Ihrige, sie kehrt aus der scheinbaren E n t f r e m d u n g stets zu sich selbst zurück. Die Seite des Lebens, die im Realismus ihren Ausdruck findet, war viel zu lange zurückgedrängt, als d a ß nicht eine zeitweilige Überschätzung vollauf zu verstehen wäre. Aber verstehen heißt keineswegs billigen. Es ist ein kurzsichtiges Verfahren, den Idealismus ü b e r h a u p t zu verschmähen, weil die überkommene Art nicht mehr ausreicht, d a m i t den Grundgedanken starr an die besondere A u s f ü h r u n g zu k e t t e n . Der Grundgedanke läßt sich wohl zeitweilig zurückstellen, nicht aber endgültig preisgeben. Was also heute an großen Wogen des Realismus durch die Menschheit geht und die Gemüter sp mächtig p a c k t , seinen W e r t , ja seine K r a f t h a t es schließlich nur als Ausdruck innerer W a n d lungen, nur als Vorbereitung eines neuen Idealismus.
12*
C. D e r K a m p f u m
die W e l t m a c h t
des
Geisteslebens.
1. Das Problem. I m Kampf um einen geistigen Lebensinhalt war dem Geistesleben zunächst eine Selbständigkeit zu sichern; es geschah das durch eine Zerlegung des ersten Befundes u n d einen Zusammenschluß der geistigen Arbeit gegenüber dem u n m i t t e l b a r e n Dasein. Aber die Antwort trieb sofort eine Frage h e r v o r : wird das Geistesleben, in solcher Entgegensetzung nicht einer Leere verfallen, wird es von dort zur Ausbildung eines Charakters g e l a n g e n ? Wie ein solcher in Zurückwendung zum Dasein und in siegreichem Kampf mit den Widerständen zu erringen sei, das bildete den Vorwurf des vorigen Abschnitts. Aber auch hier erwächst aus der A n t w o r t alsbald eine Frage. Wohl zerschmolz die Starrheit des Daseins, und die feindlichen Mächte w u r d e n zurückgedrängt, das Geistesleben schien mit überlegener und überwindender K r a f t sich den Durchschnitt der Dinge zu unterwerfen und ihn allmählich zu sich heranzubilden. Aber dagegen erhebt sich n u n der Zweifel, ob d a s g l a t t und glücklich v e r l ä u f t , ob die im vorigen Abschnitt aufgewiesenen Hilfen den unermeßlichen W i d e r s t ä n d e n vollauf gewachsen sind, ob nicht das Niedere, das dienen soll, d a s Höhere f e s t h ä l t u n d u n t e r d r ü c k t . Solche Frage zwingt, auf den Befund der E r f a h r u n g genauer einzugehen; w a s bis dahin im H i n t e r g r u n d e blieb und n u r nebenbei b e a c h t e t wurde, das m u ß n u n als Ganzes zur Darstellung k o m m e n u n d sein volles Recht erlangen. Das wird in R i c h t u n g u n d Ton eine U m k e h r u n g gegen die bisherige Behandlung ergeben. Die bis dahin zurückgehaltene Flut des Dunklen u n d Feindlichen wird n u n mit voller Macht hervorbrechen u n d u n s mit fortzureißen drohen, das einstweilen U n t e r d r ü c k t e wird sich n u n um so stärkere Geltung verschaffen. Das mag eine E r s c h ü t t e r u n g des Ganzen bewirken; soll nicht alles Gewonnene wieder verloren gehen, so werden erhebliche W e n d u n g e n
Die N a t u r
jgl
und Weiterbildungen notwendig werden. Die weitere A u s d e h n u n g der E r f a h r u n g können wir dabei nicht würdigen, ohne eine Mannig. faltigkeit von Reihen nacheinander zu durchlaufen, alle Mannigfaltigkeit aber wird sich zu einem Gesamtbild verbinden, und dies wird u n s von neuem vor eine prinzipielle E n t s c h e i d u n g stellen.
a. Die Natur. Der Lebensordnung der Wesensbildung gilt die N a t u r als eine Vorstufe des Geistes. Als solche m u ß sie eine gewisse V e r n u n f t e n t h a l t e n und eine höhere vorbereiten. Wie die N a t u r mit ihren Gesetzen, Formen und Zusammenhängen, ihrem Aufsteigen zu i m m e r reicheren Gestaltungen und ihrem Hervorbringen des Seelenlebens sich als einen Vorhof der V e r n u n f t darstellt, d a v o n haben wir uns ü b e r z e u g t ; gerade die neuere Forschung h a t zu völliger Klarheit g e b r a c h t , d a ß jene nicht ein wirres Knäuel durcheinanderlaufender Vorgänge, sondern ein Ganzes fester Ordnungen bildet. Aber je mehr O r d n u n g u n d Gesetzlichkeit die N a t u r bei sich selbst erweist, desto ferner scheint sie dem Geiste zu r ü c k e n ; je m e h r V e r n u n f t sie an sich zieht, desto undurchsichtiger wird sie dem Menschen. Wir konnten der N a t u r uns nahe fühlen, so lange sie als das W e r k eines überlegenen Geistes galt, so lange Zwecke sie d u r c h w a l t e t e n und ihre K r ä f t e seelischen Vorgängen glichen; mit Erlangung voller Selbständigkeit weicht sie nicht nur f ü r unsere Begriffe in ein u n d u r c h d r i n g liches Dunkel zurück, sondern stellt sie sich auch fremd und kalt gegen unser, gegen alles geistige Streben. Die N a t u r k r ä f t e wirken u n d schaffen in bloßer und blinder Tatsächlichkeit, völlig unbesorgt d a r u m , was an Geistigem d a d u r c h g e h e m m t und zerstört w i r d ; unterschiedslos verheeren und vernichten in gewaltigen K a t a s t r o p h e n Feuer u n d Wasser, S t ü r m e u n d Erdbeben, unterschiedslos auch wirken mit unheimlichem Eifer die K l e i n k r ä f t e der Zerstörung, unterschiedslos t r i f f t Gunst oder Ungunst der N a t u r b e d i n g u n g e n Gute u n d Böse, Starke und Schwache. Denn u n f ü h l e n d ist die Natur, sie behandelt das Individuum, diesen H a u p t w e r t des Geisteslebens, dieses „ S a m e n k o r n der Ewigkeit", mit völliger Gleichgültigkeit, sie erzeugt es und vernichtet es wie in spielender Laune, sie verfolgt ihren Weg, indem sie die Individuen maßlos vergeudet, j a zur gegenseitigen Zerstörung wider einander treibt. Oder kann ein fleischfressendes Tier ohne Zerstörung l e b e n ?
182
D e r K a m p f um d i e W e l t m a c h t d e s
Geisteslebens
Dabei leuchtet die Abhängigkeit des Menschen von der Natur immer mehr ein und wird immer drückender. Stand die Bedingtheit alles Seelenlebens durch den Körper früher nur im Umriß vor Augen, so wird sie weit anschaulicher und eindringlicher durch, den Nachweis, wie durchgängig besondere seelische Leistungen an besonderen körperlichen Vorgängen hängen; ähnlich wird auch die alte Tatsache der Vererbung wie ein neuer Druck empfunden, je mehr ihr Wirken bis ins Einzelne erkannt wird; immer mehr erscheinen wir mit unserem ganzen Leben und Sein als ein streng gebundenes Glied der endlosen Naturverkettung. In dieser Verkettung ist nicht nur die Lebensfrist des Einzelnen knapp bemessen, auch die Menschheit als Ganzes bildet eine bloße Episode des Weltprozesses; entstanden auf dem Boden der Natur, und zwar als ein spätes Ergebnis, wird sie auf ihm auch mit dem Sinken der Lebensbedingungen vergehen. Nirgends ordnet sich hier das Niedere dem Höheren unter, sondern dieses weicht und verschwindet, sobald es mit jenem zusammenstößt. So erscheint unsere ganze Existenz als ein bloßer Anhang der Natur, Aber auch das Innere des Geisteslebens unterliegt der Umklammerung überlegener Natur. Elementare Naturtriebe sind die stärksten Gewalten auch im menschlichen Dasein. Da es die individuelle Existenz immer von neuem der Natur abzuringen gilt, so hält uns der Kampf um sie unablässig in Spannung; zu ihm gesellt sich der Trieb der Fortpflanzung, und es werden Hunger und Liebe — Liebe in diesem gemeinen Sinn — die Herren unserer Welt. Der Zusammenstoß der Individuen erzeugt einen harten Kampf ums Dasein, auch hier steigert der Mensch nur weiter, was die Natur ihm zuführt. Dabei mag das Wachstum der Kultur die bloße Naturform verstecken oder auch verfeinern, den Kern der Sache läßt es unverändert; ja in dem größeren Raffinement des Lebens und bei dem immer engeren Zusammendrängen der Menschheit wuchert unvergleichlich mehr List, mehr Leidenschaft, mehr Selbstsucht auf als in der untergeistigen Natur. Was hier schlichte Tatsache war, das wird zu widerwärtiger Gemeinheit als Erlebnis denkender Wesen. Die nähere Gestalt aber, die jene Selbstbehauptung im Wechsel der Lagen annimmt, bestimmt den jeweiligen Charakter des Lebens, die Art der Arbeit um die Mittel des Lebens gestaltet die Interessen und beherrscht das Denken und Sinnen des Menschen, die Ideale mit ihrer Mannigfaltigkeit scheinen lediglich die verschiedenen Phasen
Die Natur
183
des K a m p f e s u m s Dasein zum Ausdruck zu bringen. So ein schroffer Realismus, den die wirtschaftlichen K ä m p f e der Gegenwart uns anschaulich vor Augen stellen. Alles z u s a m m e n läßt das menschliche und geistige Leben mehr als eine höhere Stufe innerhalb der N a t u r d e n n als ein neues Reich ihr gegenüber erscheinen; die natürliche Selbsterhaltung findet neue Mittel und Wege, aber ein neues Leben, ein Inhalt des Daseins, eine selbständige Innerlichkeit wird d a m i t nicht gewonnen. Die unermessliche N a t u r überschreiten heißt noch keineswegs ein geistiges Wesen werden. Aber es m u ß der Mensch k r a f t seines Denkens solche innere Leere u n d Sinnlosigkeit des Daseins, dessen E r h a l t u n g ihm so unsägliche Mühe kostet, als einen schweren, ja unerträglichen Mißstand e m p f i n d e n ; so läuft diese B e t r a c h t u n g in einen ebenso u n a b w e i s b a r e n als unauflösbaren Zweifel aus. Solche Bindung des Menschen an die N a t u r lasse nicht sein E m p o r k l i m m e n über die N a t u r vergessen. W i s s e n s c h a f t und Technik dringen unablässig vor, Übel werden b e k ä m p f t u n d eingeschränkt, Güter und Genüsse gesteigert, das Leben gewinnt mehr Reichtum u n d Beweglichkeit, die N a t u r wird i m m e r mehr zum Herrschergebiet des Menschen. Weithin waltet er frei über sie, u n d aus dem stolzen Bewußtsein solches Vermögens s c h ö p f t er viel Mut u n d Glück. Aber bald werden auch hier starre Schranken ersichtlich. Alle Leistung liegt "innerhalb der Schranken der N a t u r ; K r a n k h e i t u n d Tod, Elend u n d N o t lassen sich zurückdrängen, nicht aber a u f h e b e n ; auch wo wir sie überwunden glaubten, kehren sie in neuen Formen zurück, aus dem Kampf kommen wir nicht hinaus. Die Zweischneidigkeit aber des Sieges selbst, die Gefahr eines inneren Unterliegens durch die Mechanisierung unserer Arbeit und unserer Gesinnung e r k a n n t e n wir schon zu Beginn. Endlich k a n n alle U n t e r w e r f u n g der N a t u r , kann aller A u f b a u einer technischen K u l t u r unser Leben nicht a u s f ü l l e n ; immer geht dabei die Bewegung nach außen, immer von neuem e n t s t e h t die Frage, was das handelnde Wesen f ü r sich selbst aus allen Mühen u n d Erfolgen gewinne, immer wieder stellt sich als Ergebnis heraus, d a ß es nicht zu einem selbständigen Leben der N a t u r gegenüber gelangt. So hält die N a t u r das Menschenleben fest, ohne d a ß die formale V e r n u n f t , die wir in ihr spüren, zu einer inhaltlichen w ä c h s t .
184
D e r K a m p f um d i e W e l t m a c h t d e s G e i s t e s l e b e n s
b. Das geistige Vermögen. Aber aller Widerstand feindlicher Mächte und alle Schwäche des Menschen erschüttert nicht die Grundtatsache der Wendung zu einer geistigen Welt. Das Zusichselbstkommen der Wirklichkeit, das Erwachen eines Beisichselbstseins von draußen her abzuleiten, ist ein verzweifeltes Unternehmen. Es bleibt dabei, daß eine neue Welt bei uns auftaucht, neue Ordnungen uns umfangen, neue Aufgaben zu uns sprechen. Eine Welt ewiger Wahrheiten und an sich gültiger Werte wölbt sich in sicherer Hoheit über dem hastigen Tun und Treiben, dem unsteten Suchen und Irren des Menschen. Wäre nur das Licht der neuen Welt uns nicht durch so viel Nebel getrübt und verfinstert! So aber leidet all unser Tun an einer peinlichen Ungewißheit. Wir stehen nicht innerhalb der Wahrheit, sondern müssen uns den Weg zu ihr erst bahnen, wir suchen zuverlässige Wegweiser dafür, können sie aber nur demselben Stande der Dinge entnehmen, den wir überschreiten wollen. Allerdings entwindet der Fortgang der Arbeit weite Gebiete des Denkens und Handelns dem Zweifel: aus einem Tummelplatz wechselnder Meinungen werden Natur und Geschichte ein Reich exakter Einsicht und männlicher Betätigung, und im menschlichen Zusammensein, das zunächst der Willkür und Laune von Individuen oder Massen preisgegeben war, befestigen sich immer mehr überlegene Ziele und durchgehende Ordnungen. Insofern kommt das Leben der Menschheit aus anfänglichem Schwanken immer mehr in sichere Bahnen. Aber prüfen wir genauer, so überschreitet die Sicherheit nicht unsere Beziehung zur sinnlichen Welt; bei dem Innern, rein Geistigen scheint sie eher abzunehmen als zu wachsen. Nur das macht die exakte Forschung unangreifbar, daß sie die Frage nach dem Wesen der Dinge völlig zurückschieben kann, d. h. aber, daß sie auf ein Erkennen in tieferem Sinne verzichtet; nur deshalb rühmen wir uns sicherer Erfolge der praktischen Arbeit, weil wir ein weites Gebiet der Leistungen von den Grundfragen abzusondern lernten, d. h. weil wir in der Durchschnittskultur die letzten Zwecke unseres Daseins, weil wir eine geistige Erhöhung unseres Lebens dabei ganz aus dem Spiel lassen können. Erheben sich aber die unterdrückten Fragen — und sie müssen ,und werden das, soll nicht das Leben veröden —, so übermannt uns sofort die Unsicherheit, dem Einfluß der Subjektivität scheint das Geistige selbst zu erliegen. Die Hauptrichtung
Das geistige Vermögen
]85
der i n n e r e n A r b e i t . i s t u n s w e d e r von H a u s a u s g e w i e s e n noch wird sie leicht d u r c h geschichtliche A r b e i t g e f u n d e n , sie u n t e r l i e g t stärksten
den
S c h w a n k u n g e n u n d scheint o f t a m Zufall zu h ä n g e n .
N i c h t s b e s t i m m t den e i g e n t ü m l i c h e n C h a r a k t e r
philosophischer
S y s t e m e m e h r als d a s Ergreifen, B e t o n e n u n d D u r c h s e t z e n einzelner Tatsachengruppen
Geschichte
oder
G e s e l l s c h a f t ; ü b e r die A l l t a g s f a s s u n g zu voller R e i n h e i t u n d
abso-
luter
Gültigkeit
aus
Natur
gesteigert
oder
und
Geistesleben,
mit
gestaltender
Kraft
überallhin
w i r k e n d , g e b e n sie d e r ganzen W e l t eine e i g e n t ü m l i c h e B e l e u c h t u n g . W e r a b e r e n t s c h e i d e t ü b e r solchen A n s p r u c h d e r Steht
hier n i c h t
zwingende
Behauptung
gegen
Grundtatsachen?
Behauptung,
N o t w e n d i g k e i t sich siegreich d e m
ohne
daß
W a s a b e r v o n d e r Philosophie, d a s gilt von aller geistigen und
vom
Ganzen
Fülle" v o n
der
Kultur:
Möglichkeiten
von
eine
Streit e n t w ä n d e ?
—
Arbeit
einer s c h e i n b a r
unbegrenzten
w e r d e n einzelne k ü h n u n d
zuversichtlich
ergriffen, a n d a u e r n d verfolgt u n d zu E n d e g e f ü h r t , von d e m weiten Reiche
der
Möglichkeiten
kleinen A u s s c h n i t t . erwählten Mögen
Möglichkeiten
die
bildet
die
Wirklichkeit
hier
nur
einen
W o r i n a b e r liegt die G e w ä h r , d a ß g e r a d e die
bevorzugten
die r i c h t i g e n , Lebenskreise
die l e t z t h i n so
lange
gültigen
sind?
abschließend
und
u n b e s t r e i t b a r scheinen, als w i r i n n e r h a l b ihrer s t e h e n , der ungewisse C h a r a k t e r , die A b h ä n g i g k e i t von geschichtlichen
Lagen u n d
Stim-
m u n g e n , erhellt, sobald wir aus i h n e n h e r a u s t r e t e n u n d sie p r ü f e n d betrachten.
Einen
völlig u n b e i r r t e n
Glauben
lichen V e r h ä l t n i s s e n n u r die E n g e zu h a b e n .
scheint
in
mensch-
A u c h s c h e i n t solche
U n s i c h e r h e i t m i t der A u s d e h n u n g d e r geschichtlichen E r f a h r u n g u n a b l ä s s i g zu w a c h s e n .
Zu A n f a n g m a g das eigne W e r k als einzig
möglich u n d s e l b s t v e r s t ä n d l i c h g e l t e n ; die E r f a h r u n g hingegen, d a ß alle
Kraft und
Wärme subjektiver
G e s i n n u n g n i c h t vor
I r r u n g b e w a h r t e , d a ß wir z u r ü c k n e h m e n
mußten, was
unserer
alle
Verehrung
war,
das
vernichtet
schwerer
Gegenstand
Unbefangenheit
und
b r e i t e t den Zweifel wie einen M e h l t a u ü b e r alles S c h a f f e n a u s ; m e h r u n d m e h r e r h e b t sich als S c h a t t e n d e r geistigen A r b e i t die R e f l e x i o n , w ä c h s t ihr ü b e r den mit unerbittlicher a m Schaffen.
Kopf u n d z e r s t ö r t , selbst völlig u n f r u c h t b a r ,
S c h ä r f e alle naive H i n g e b u n g , alle reine
u n d die K u l t u r sich i m m e r m e h r zu verwickeln. n a c h gleicher gionen,
Freude
So scheint die W a h r h e i t u n s i m m e r f e r n e r zu r ü c k e n Auch d a s
wirkt
R i c h t u n g , d a ß die v e r s c h i e d e n e n K u l t u r e n u n d Reli-
die f r ü h e r weit abgeschlossener g e g e n e i n a n d e r w a r e n ,
und
186
D e r K a m p f um d i e W e l t m a c h t d e s G e i s t e s l e b e n s
d e r e n j e d e sich d a h e r lich
betrachten
leicht als s e l b s t v e r s t ä n d l i c h ,
als einzig mög-
k o n n t e , in n e u e s t e r Zeit in w e i t m e h r
Berührung
t r e t e n u n d d e m m o d e r n e n M e n s c h e n m i t e i n a n d e r g e g e n w ä r t i g sind. Solche
Erweiterung
des
Gesichtskreises
fördert
unbestreitbar
die
W i s s e n s c h a f t , a b e r sie f ü h r t leicht zu einer E r s c h ü t t e r u n g des Lebens. Diese
Unsicherheit
wird
b e s o n d e r s deshall
peinlich, weil
nun
einmal große Gegensätze unsere Welt durchdringen und unsere Entscheidung
verlangen.
Wir
erkannten
den
dialektischen
Charakter
aller geistigen A r b e i t , d e n u n a b l ä s s i g e n Z u s a m m e n s t o ß v o n sätzen. Arbeit
N u r in U m s p a n n u n g u n d gelingen.
e r r e i c h t solche
Aber
der
Durchschnitt
Überwindung
Gegen-
Ü b e r w i n d u n g dieser k o n n t e
nicht,
der
menschlichen
der Mensch
steht
die Lage
nicht
über,
s o n d e r n u n t e r u n d zwischen d e n G e g e n s ä t z e n , sie w a c h s e n d a m i t f ü r ihn
zu
schroffen
Widersprüchen,
innerlich zu z e r s t ö r e n d r o h e n .
die
ihn
hinundherwerfen
und
So k ä m p f e n z. B. u m d e n M e n s c h e n ,
u n t e r h e f t i g e n E r s c h ü t t e r u n g e n des G e s a m t s t a n d s , die R i c h t u n g z u m I n d i v i d u u m u n d die z u m G a n z e n , die Freiheitsidee u n d die O r d n u n g s i d e e ; es k ä m p f e n eine k o s m i s c h e
L e b e n s f ü h r u n g , die d a s
Grund-
v e r h ä l t n i s des M e n s c h e n in seine B e z i e h u n g z u m All s e t z t , u n d eine soziale, die es in der zur G e s e l l s c h a f t f i n d e t ; z u r F ü h r u n g erbieten sich hier die p r a k t i s c h e , d o r t die t h e o r e t i s c h e V e r n u n f t ; es l ä ß t einm a l d a s Vollgefühl d e r K r a f t u n d d a s E r k e n n e n f r u c h t b a r e r A u f g a b e n d e n M e n s c h e n sich der n ä c h s t e n W e l t eng v e r b i n d e n , es t r e i b t d a n n wieder das
Verlangen
Kräften zum Ähnlich treibt
Bruch
e r g r e i f t die sie
feindlich
nach
reineren
m i t ihr u n d Entzweiung
Idealen u n d
zum auch
gegeneinander.
Suchen die
ursprünglicheren
einer n e u e n
einzelnen
Indem
Welt.
Gebiete
dabei jedes
und
Einzelne
in seiner B e s o n d e r h e i t zugleich d a s G a n z e sein will, wird d a s W a h r e mit
F a l s c h e m u n t r e n n b a r v e r q u i c k t , u n d der Mensch bald
bald
dorthin
leicht,
gezogen.
solange wir
sie
Eine aus
Versöhnung der Ferne
der
Gegensätze
betrachten
und
wie
hierher scheint etwas
f r e m d e s b e h a n d e l n ; sobald wir a b e r u n s selbst an die A r b e i t m a c h e n , versagt jene m a t t e
G e r e c h t i g k e i t , d e r W i r b e l d e r P a r t e i u n g ergreift
a u c h u n s , u n d d a s b e q u e m e Sowohl — Als a u c h w e i c h t einem u n e r bittlichen Entweder — Allerdings
wecken
Oder. diese
Bewegungen
bei
aller
viel K r a f t , diese K r a f t ü b e r w i n d e t i m m e r m e h r die
Unfertigkeit Gebundenheit
a n einen b e s o n d e r e n Vorwurf u n d s c h w e b t schließlich wie eine selbs t ä n d i g e M a c h t völlig frei ü b e r d e n D i n g e n .
A b e r d a s e r g i b t eine
Das geistige Vermögen neue die
G e f a h r : es d r o h t ein Ablösung
einer
187
Gleichgültigwerden
formalen
Vernunft
von
gegen allen aller
Gehalt,
Inhaltsbildung.
Diese S c h e i d u n g v o n f o r m a l e r u n d i n h a l t l i c h e r V e r n u n f t , v o n
Form
u n d Gehalt, ist u n e n t b e h r l i c h f ü r die G e s a m t e n t w i c k l u n g des L e b e n s ; sobald a b e r d e r G e g e n s a t z e r s t a r r t , u n d d a s g e s c h i e h t u n t e r , m e n s c h lichen V e r h ä l t n i s s e n leicht, k o m m e n die M i ß s t ä n d e ins Ü b e r g e w i c h t . A m d e u t l i c h s t e n zeigt d a s die v e r h ä n g n i s v o l l e M a c h t d e r f o r m a l e n Logik.
Ihr A u s d e n k e n ,
Verketten
und
Zusammenschließen
der
G e d a n k e n ist f ü r alle K u l t u r a r b e i t n o t w e n d i g , a b e r gleichgültig gegen den
Inhalt
kann
sie
ebensogut
der
Unvernunft
wie
der
Ver-
n u n f t D i e n s t e leisten u n d der U n v e r n u n f t eine M a c h t v e r l e i h e n , die d e r e n eignes V e r m ö g e n w e i t ü b e r s t e i g t .
D a s geradlinige F o r t s c h r e i t e n
v o n K o n s e q u e n z zu K o n s e q u e n z v e r d r ä n g t die A n s c h a u u n g ,
die u n -
mittelbare Empfindung, den unbefangenen Eindruck mehr und mehr u n d u m s p i n n t d a s L e b e n m i t e i n e m k ü n s t l i c h e n F o r m e l s y s t e m ; dieses e n t g e i s t i g t e n A p p a r a t s k a n n sich a u c h d e r I r r t u m , die L e i d e n s c h a f t , das Parteiwesen
bemächtigen
Waffen bekämpfen.
und
die W a h r h e i t
mit ihren
eignen
Nie w ä r e d e r religiöse F a n a t i s m u s so v e r d e r b l i c h
g e w o r d e n o h n e j e n e M a c h t d e r s t a r r e n K o n s e q u e n z , die d a s e i n m a l Ergriffene ohne
Zurückbeziehung
auf
die geistigen
weiter und weiter ausspinnt und dem
Grundprozesse
Gegner alles z u s c h i e b t ,
was
er n a c h d e r Logik des a n d e r e n a u s seinen G r u n d s ä t z e n a b l e i t e n m ü ß t e . Diese seelenlose Logik ist es a u c h , die d a s R e c h t o f t aus einem Segen zu e i n e m F l u c h d e r M e n s c h h e i t g e m a c h t h a t .
E i n geistvoller
Jurist,
der selbst allem F o r m a l i s m u s w e i t überlegen w a r , h a t die F o r m eine Zwillingsschwester
der
Freiheit
genannt.
besser eine S t i e f s c h w e s t e r g e n a n n t . keineswegs in e i n e m
Verhältnis
Vielleicht
hätter
sie
D e n n v o n H a u s aus s t e h e n beide
der
F r e u n d s c h a f t ; sie m ü s s e n
solches erst f i n d e n u n d z e r w e r f e n sich leicht i m m e r w e i t e r . d a s logische V e r m ö g e n
er
eine d ä m o n i s c h e
ein
So wird
M a c h t , gleichgültig
gegen
G u t o d e r Böse. Ä h n l i c h e s gilt v o n a n d e r e n geistigen K r ä f t e n .
Auch B e g e h r u n g e n ,
G e f ü h l e , S t i m m u n g e n u s w . w e r d e n f r e i s c h w e b e n d e M ä c h t e , sie g e h ö r e n u n d g e h o r c h e n d e m , der sie k e c k e r g r e i f t , d e r S t a r k e m a c h t sie sich zur B e u t e u n d b e n u t z t sie f ü r seine Z w e c k e . O b d a s Leben d a b e i einen Inhalt
gewinnt,
b l e i b t leicht völlig u n b e a c h t e t .
V e r n u n f t k a n n eine gewisse
Jene bloß formale
K u l t u r a u s eignen M i t t e l n
bestreiten,
emsig G e s c h ä f t e b e t r e i b e n u n d sich allen A u f g a b e n u n t e r z i e h e n , im Innern
aber
völlig
leer
sein u n d
alles W e s e n s e n t b e h r e n .
Diese
188
D e r K a m p f um d i e W e l t m a c h t d e s G e i s t e s l e b e n s
Möglichkeit und Tatsächlichkeit einer wesenlosen K u l t u r m u ß a b e r der Wesensbildung zum h ä r t e s t e n A n s t o ß werden. Wir fanden die N a t u r gleichgültig gegen die V e r n u n f t , n u n finden wir sogar eine V e r n u n f t gleichgültig gegen den Geist, n u n erscheint das Geistesleben als mit sich selbst zerfallen, n u n erzeugt es aus seinem eignen Schoß einen schlimmeren Feind als alle äußeren Gegner. K a n n es bei solcher E n t z w e i u n g sich als W e l t m a c h t durchzusetzen h o f f e n ?
c. Die moralische Gesinnung. Gegenüber aller Verwicklung geistiger Arbeit bleibt aber noch Eine Zuflucht, nämlich däs Reich der Moral; wenn alles andere s c h w a n k t und bricht, der W e r t des guten Willens, der edlen Gesinnung bleibt u n e r s c h ü t t e r t . In diesem Reiche erhebt sich der Mensch von der Gebundenheit natürlicher Anlage zur Freiheit des Handelns und Seins, hier wird die Enge des bloßen P u n k t e s zers p r e n g t , und das Ich, der „dunkle D e s p o t " , weicht dem Leben mit den Genossen, ja mit der Unendlichkeit des Seins. Dieser Boden erzeugt einer allem Vermögen der N a t u r weit überlegene Größe u n d W ü r d e , Freude und Liebe, ein neues Selbst, ein neues Leben. Auch scheint uns hier die innere Stimme des Gewissens sicher zur W a h r h e i t zu weisen und aller Streit über die nähere Ausführung einen Grundstock nicht zu berühren. Aber d a f ü r stellen sich andere Verwicklungen ein. Wir sahen, wie den Menschen die moralische Welt nur zu gewinnen vermag u n t e r B e n u t z u n g von Übergangspunkten, wo das natürliche Seelenleben der moralischen Forderung e n t g e g e n k o m m t ; zuerst m u ß in kleinen Kreisen und u n t e r der Gunst besonderer Umstände keimen und reifen, was schließlich dem Ganzen des Lebens zukommen soll. Nun aber gewahren wir, d a ß die Übergangspunkte in jenen Dienst keineswegs völlig a u f g e h e n ; sie beharren und halten die Bewegung bei sich fest, sie verflechten das Gute eng mit derselben N a t u r , die es überwinden wollte; das ergibt eine Vermengung und innere E n t stellung. Das zeigen beide H a u p t r i c h t u n g e n , welche die Entwicklung des Guten einschlägt, die L i e b e wie die G e r e c h t i g k e i t . Die Liebe scheint volle K r a f t und W ä r m e nur in den kleinen naturgegebenen Kreisen und in engster Verflechtung mit Naturtrieben zu erlangen; sie kann aber die Individuen in diese Kreise nicht zusammenschließen,
Die moralische Gesinnung
189
o h n e sie gegen d a s Übrige a b z u s c h l i e ß e n ; je m e h r d e r Mensch d o r t seine G e f ü h l e a u s g i b t , desto f r e m d e r u n d gleichgültiger wird ihm d a s andere.
W i e v e r s c h w i n d e n d ist die Liebe, wie m a t t u n d t r ä g e d a s
Wohlwollen eine
jenseits
jener
allüberwindende,
Naturzusammenhänge!
selbstaufopfernde
W o sie
Stärke
einmal
erlangen,
da,
s t a u n e n wir sie wie seltene W u n d e r a n u n d v e r r a t e n d a m i t d e u t l i c h , wie gering wir v o m D u r c h s c h n i t t des Lebens d e n k e n .
In ihm lassen
j e n e kleinen Kreise zwischen sich eine völlige Leere, sie bilden zers t r e u t e u n d verlorene P u n k t e wie die W e l t k ö r p e r im u n e r m e ß l i c h e n Raum. Ähnlich
s t e h t es m i t der
unserm besonderen
Gerechtigkeit.
Wo das
Recht
Kreise, u n s e r e r P a r t e i , u n s e r e m Volke,
uns,
unserer
Religion g ü n s t i g d ü n k t , d a g e w i n n t es leicht u p s e r e n Eifer u n d erf ü l l t u n s m i t f r e u d i g e r Z u v e r s i c h t ; wo es aber gegen u n s u n d
die
Unsrigen s p r i c h t , d a verfliegt der Eifer rasch, u n d es wird s o n n e n klar, d a ß wir in d e m Förderer
unserer
R e c h t weniger die sittliche M ^ c h t als einen
Zwecke
Gewicht, je n a c h d e m
schätzen.
Doppeltes
Maß,
doppeltes
u n s e r Urteil u n s selbst oder a n d e r e t r i f f t , d a s
ist eine alte K l a g e ; diese U n g e r e c h t i g k e i t d r i n g t v e r g i f t e n d in alle soziale u n d geistige A r b e i t ; die P a r t e i u n g , v o r h e r als ein Hebel d e r K r ä f t e a n e r k a n n t , k a n n d a m i t ein Unsegen w e r d e n .
So ist auch hier
d a s Moralische eine M a c h t n u r mit der N a t u r , n i c h t gegen sie; h a t es a b e r in solcher G e b u n d e n h e i t rechten W e r t ?
W i e deutlich
u n d V e r m e n g u n g ü b e r h a u p t einen
zeigt der gegenwärtige W e l t k r i e g die
Ungleichheit des Urteils, je n a c h d e m es F r e u n d e o d e r Feinde t r i f f t . Aber die V e r w i c k l u n g reicht noch w e i t e r : die N a t u r h ä l t n i c h t n u r die B e w e g u n g z u r Moral bei sich f e s t , sie t r i t t zu ihr in einen vollen Gegensatz, insofern alle E n t w i c k l u n g des Geisteslebens in den Dienst des bloßen
Ich gezogen, dieses selbst a b e r in ein
gebilde v o n N a t u r u n d Geist v e r w a n d e l t wird.
Zwitter-
Bei solcher W e n d u n g
m u ß aller F o r t s c h r i t t der K u l t u r d e n Egoismus s t e i g e r n , es w ä c h s t u n a u f h ö r l i c h die S t ä r k e u n d auch d a s R a f f i n e m e n t der S e l b s t s u c h t , welche die geistige B e w e g u n g n i c h t n u r begleitet, s o n d e r n sie d u r c h dringt und entstellt.
W o i m m e r e t w a s Großes auf d e m Boden d e r
Geschichte
da wächst
erscheint,
kleinen u n d selbstischen
alsbald
I n t e r e s s e n ; dies
das
Schmarotzertum
Unkraut wuchert
weiter, bis es endlich d a s Edle ü b e r w u c h e r t u n d e r s t i c k t .
der
immer
So e r f u h r e n
es alle großen Ideen, die anfänglich den Menschen so weit ü b e r seine Kleinheit
hinauszuheben
s c h i e n e n ; so erlebt
es z. B. die
Neuzeit
190
D e r K a m p f um d i e W e l t m a c h t d e s G e i s t e s l e b e n s
mit der Idee der Befreiung des Individuums, die zuerst die Tiefe und Wahrheit des Lebens unermeßlich zu fördern schien, und aus der dann so viel rücksichtslose Selbstsucht und eitle Überhebung, so viel erbitterter Streit und dreiste Ausbeutung hervorwuchs, so daß schließlich der Wert des Ganzen in Zweifel geriet. Daß das moralisch Böse eine eigentliche Verkehrung bedeutet, und daß diese Verkehrung in das Geistige selbst hineinreicht, das ist der Kern der Lehre von einem radikalen Bösen im Menschen. Die Preisgebung dieser Lehre bedeutet ein Sichverschließen vor augenscheinlichen Tatsachen und verflacht die Lebensprobleme bedauerlich. Ein radikales Böse anerkennen heißt aber keineswegs das Böse ganz und gar auf den menschlichen Willen schieben und den Menschen als von Grund aus schlecht behandeln. Vielmehr ist es auch die Natur, die ihm Triebe niederer Art einflößt, es sind die gesellschaftlichen Verhältnisse, die ihm Aufgaben stellen, die ihn leicht, wenn nicht herabziehen, so doch gefährden. Da an die Erhaltung des natürlichen Ich alle und jede Betätigung geknüpft ist, so kann, ja darf sich unser Streben nicht völlig davon ablösen; die körperliche Organisation führt dem Menschen Triebe und Begierden zu, welche die natürliche Unschuld stören und schwere Gefahren bereiten; dann kommt das gesellschaftliche Leben mit seinen wirklichen und eingebildeten Bedürfnissen, die Enge des Raumes treibt die Individuen immer härter aufeinander, die Kraft des einen verlangt zu ihrer Entwicklung eine Einengung des anderen, Ehrgeiz, Eifersucht, Neid wachsen hier ins Grenzenlose; andererseits wirkt die bittere Not der Lebenserhaltung mit ihren Mühen und Sorgen zur Abstumpfung edler, zur Erzeugung gemeiner Gefühle. Das Leben als bloßes Leben verlangt soviel Zeit und Kraft, daß das Schöne gegen das Nützliche keinen genügenden Raum gewinnt; die Not und Hast des Alltags verwischt selbst eindringende Erfahrungen und schwerste Erschütterungen oft ohne bleibende Spur. Bis zum Überdruß wird die bildende und erziehende Macht des Lebens gepriesen. Die Gerechtigkeit verlangt auch der Kehrseite zu gedenken und sein herabziehendes, erniedrigendes, vergemeinerndes Wirken als Gegengewicht in die Wage zu werfen. Würden wir uns so nach der Reinheit und Unschuld der Kindheit sehnen und die kindliche Gesinnung als ein hohes Ideal verehren, entfernte der Verlauf des Lebens uns nicht so weit d a v o n ? Was aber f ü r die Lebensspanne des Individuums, das gilt wohl noch mehr für das
Die Geschichte geschichtliche Leben der Menschheit.
jgj
H i e r wie d a g e r a t e n wir i m m e r
tiefer in die Verwicklung hinein, u n d i n d e m Schuld u n d in engster V e r k e t t u n g i m m e r größere L a s t e n h ä u f e n ,
Schicksal
verschwindet
i m m e r m e h r die H o f f n u n g , ein Reich des G u t e n auf E r d e n zu g r ü n d e n u n d hier der Unbill des Daseins überlegen zu w e r d e n .
d. Die Geschichte. Gewährte
der Durchschnitt
des
Lebens
bis d a h i n
keinen
er-
f r e u l i c h e n Anblick, so k a m das vielleicht d a h e r , d a ß hier die Zusammenhänge
welche
die
Z e r s t r e u u n g in Z e i t u n d R a u m ü b e r w i n d e n u n d die L e i s t u n g
dem
Vermögen
noch
der
nicht
einzelnen
zur
Wirkung
Individuen
gelangten,
und
Augenblicke
m a c h e n : die Geschichte u n d die G e s e l l s c h a f t .
überlegen
D e r Mensch h a t , so
s a h e n wir, eine a n d e r e A r t d e r Geschichte o d e r er k a n n sie doch h a b e n als die bloße N a t u r .
Eine
Geschichte im geistigen
Sinne
enthält
ein H e r a u s t r e t e n a u s der Zeit u n d eine Ü b e r w i n d u n g der Z e i t ; ihr Ü b e r b l i c k e n , D u r c h l e b e n , V e r b i n d e n d e r Zeit e r g i b t n i c h t bloß eine äußere und
Summierung,
sondern
Nebensächlichem,
Zeitüberlegenem, Geistes.
eine
eine
eine
Scheidung
Freilegung
Selbsterfahrung
von
Wesentlichem
von
Ursprünglichem
und
und
Selbstvertiefung
des
So bildet die Geschichte ebenso ein Zeugnis einer h ö h e r e n
A r t des Menschen wie einen Hebel g r o ß e r , d e r bloßen Zeit ü b e r l e g e n e r Leistungen. Aber u m eine solche Stellung zu e r l a n g e n , m u ß die Geschichte von
einem
ursprünglichen
d e r zeitlichen
Geistesleben
getragen
L e i s t u n g eine ewige W a h r h e i t
E r z e u g n i s in ein Erlebnis z u r ü c k v e r w a n d e l t .
werden,
das
heraushebt und
aus alles
Die dazu nötige K r a f t
a b e r pflegt d e m D u r c h s c h n i t t des m e n s c h l i c h e n Daseins
zu f e h l e n .
D e r Mensch l ä ß t sich willenlos v o n d e r G e s c h i c h t e t r a g e n , s t a t t sie d u r c h geistige K r a f t zu u m s p a n n e n u n d zu beseelen; wie ein Schicksal ergeht sie ü b e r i h n .
D a m i t a b e r fällt die Möglichkeit einer i n n e r e n
V e r b i n d u n g der endlosen M a n n i g f a l t i g k e i t u n d einer S c h e i d u n g v o n Vernunft
und
Unvernunft.
Ein
Überwuchern
bloßer
Zeitlichkeit
u n d Zufälligkeit erzeugt M i ß s t ä n d e , die leicht alle Vorteile der Geschichte überwiegen. Hierher g e h ö r t z u n ä c h s t die S c h m ä l e r u n g u n s e r e r
Unabhängig-
keit, die G e f ä h r d u n g einer frischen u n d k r ä f t i g e n G e g e n w a r t . nehmen
bereitwillig
a u f , was
die V e r g a n g e n h e i t
uns
Wir
übermittelt,
192
D e r K a m p f um d i e W e l t m a c h t des G e i s t e s l e b e n s
wir lassen als b e r e c h t i g t g e l t e n , w a s wir v o r h a n d e n f i n d e n .
Solches
passive u n d m a s s e n h a f t e A u f n e h m e n belastet schwer u n s e r
Leben;
w a s u n s b e s c h ä f t i g t , bleibt u n s innerlich f r e m d , u n d w a s sich Eignem solche
regt,
ist
jener
Unselbständigkeit
langen:
zerstreute
belebende Geist.
Hemmung nicht
den
Erscheinungen
Einheit, greifbare
nicht
gewachsen.
K e r n des teilen
Formeln
sich
Auch
Großen leichter
leichter
an läßt
an u n s
ge-
mit
die
als der
als
unsichtbare
So h a l t e n wir u n s an die D a t e n u n d F o r m e l n , u m sie schließ-
lich gegen den Geist zu w e n d e n , d e m sie dienen sollten.
S t a t t von
d e n D a t e n zu i h r e n G r ü n d e n a u f z u s t e i g e n , schieben wir j e n e zwischen u n s u n d die G r ü n d e , s t a t t der Helden s c h ä t z e n wir ihre M a u s o l e e n ^ oder a u c h wir m a c h e n die Helden zu G e g e n s t ä n d e n blinder V e r e h r u n g s t a t t an i h r e m Leben eignes Leben zu e n t z ü n d e n ; s t a t t m i t ihnen zu g l a u b e n , g l a u b e n wir a n sie.
So k a n n die V e r e h r u n g s e l b s t ein
Mittel w e r d e n , u n s d a s Große bei ä u ß e r e r N ä h e innerlich f e r n z u h a l t e n . Auch k a n n u n s d a s Große unmöglich die S i e g e s k r a f t u n d u n b e d i n g t e R e c h t erweisen, die es zu seiner eignen Zeit b e s a ß .
das Denn
so viel U n v e r g ä n g l i c h e s es e n t h a l t e n m a g , sein W i r k e n h a t ein Verh ä l t n i s zur Zeit zu suchen u n d g e r ä t d a m i t u n t e r die B e d i n g u n g e n der Z e i t ; auch d e m Besten h a f t e t sich Vergängliches a n , n a c h W a n d lung der Wohltat schütteln,
Lage
kann
anfängliche
zur Plage w e r d e n . dazu
fehlt
jener
Unvernunft,
kann
A b e r u m solches Vergängliche
Vernunft zur
abzu-
passiven
Behandlung
der
Geschichte
aller A n t r i e b u n d alles V e r m ö g e n ; ihr gilt d a s G r e i f b a r e , Sinnfällige, Zeitliche als echte W i r k l i c h k e i t .
So h ä l t sie jenes innerlich
Über-
w u n d e n e , u n v e r n ü n f t i g Gewordene m i t b e s o n d e r e m Eifer f e s t , u n d läßt
die
plagen,
Arbeit über
die
der
Menschheit
sie innerlich
sich
fortwährend
mit
Irrtümern
h i n a u s ist oder doch h i n a u s
sein
könnte. Als weitere Verwicklung k o m m t hinzu, d a ß die Überlieferung u n s g r u n d v e r s c h i e d e n e
geschichtliche
Gedankenmassen und
Lebens-
r i c h t u n g e n z u f ü h r t u n d z u s a m m e n auf u n s eindringen l ä ß t .
Denn
die Bewegung des Geisteslebens h a t n i c h t eine einzige Linie v e r f o l g t , sie h a t b e t r ä c h t l i c h e W a n d l u n g e n
durchgemacht, hat
verschiedene
R i c h t u n g e n eingeschlagen, ist wohl g a r in d a s g e r a d e Gegenteil u m g e schlagen. Alle P h a s e n a b e r h a b e n ihre Folgen u n d S p u r e n h i n t e r l a s s e n , deren ungeschiedenes Gemenge zu u n s w i r k t .
So u m s c h l i e ß t z. B .
unsere h e u t i g e Bildung klassisches A l t e r t u m u n d . C h r i s t e n t u m , A u f klärung und
modernen
H u m a n i s m u s , jedes einzelne dabei
in
ver-
Die G e s c h i c h t e
jg3
schiedenen Stufen. Diese Mächte bilden in ihrem unmittelbaren Befunde Gegensätze, ja W i d e r s p r ü c h e ; an diesen Widersprüchen könnte sich neues Leben entzünden, jedoch nur, wenn es sie mit überlegener K r a f t ergriffe und innerlich überwände. Das aber vermag jene Durchschnittsbehandlung der Geschichte nicht. So verbleibt das Verschiedenartige und Entgegengesetzte miteinander und durcheinander, alles Ausgeprägte wird abgeschliffen, das Ganze zu m a t t e r Alltäglichkeit h e r a b g e s t i m m t , d a m i t nur nicht der Widerspruch bemerklich werde und die träge R u h e störe. Demnach lastet die Geschichte auf -der Menschheit wie ein Alp, s t a t t des eignen Lebens unterschiebt sie uns ein fremdes. Der Verlauf der Zeiten m u ß das immer weiter steigern. Kein Wunder, d a ß sich viel Gegenbewegung erhob, d a ß der Mensch mit allen K r ä f t e n sich jener Last zu entledigen suchte. Aber das ergab neue Verwicklungen. Die Reaktion gegen die Geschichte war milderer und schrofferer A r t : dort ein Zurückgehen zu einfacheren und ursprünglicheren Lebensformen, hier eine radikale Bewegung gegen alle und jede Geschichte. Ein Aufsuchen reiner Anfänge, ein Wiederaufnehmen ursprünglicher Leistungen erfolgt überall, wo die K u l t u r sich bei sich selbst verwickelt h a t und auf der eingeschlagenen Bahn nicht vorwärts k o m m t . An jenem Einfachen möchte sie sich über die eigne Aufgabe klären, aus seiner unversieglichen Jugendfrische neue K r ä f t e schöpfen. So namentlich in der Religion und in der K u n s t , so aber auch in der Philosophie; d a ß das Neue hier wohl geradezu eine Wiederbelebung des Alten d ü n k t e , das erleichterte nicht nur die Wirkung nach außen, das s t ä r k t e auch das eigne Glauben und Schaffen. Aber wenn die Geschichte d a m i t ein sicheres Mittel eigner S t ä r k u n g schien, so kam bald ein innerer Widerspruch zur E m p f i n d u n g . Die neue Zeit kann im Alten nicht suchen, was ihr selber not t u t , ohne etwas Neues in ihm zu sehen, etwa Neues aus ihm zu machen. Es gibt keine völlige R e s t a u r a t i o n . Der Glaube d a r a n f ü h r t nicht nur die gelehrte Meinung ins Irre, er schädigt auch das Leben, indem die Bindung an das Alte das Neue seine eigne Art rein zu entfalten h e m m t , auch indem Altes und Neues sich ohne Klärung ineinanderschiebt. So ist es begreiflich, d a ß noch einen Schritt weiter gi.ng, sondern d a ß sie alle u n d jede die reine, geschichtslose N a t u r E u c k e n , Kampf.
III. A u f l .
die Bewegung gegen die Geschichte d a ß sie nicht diese oder jene Epoche, geschichtliche K u l t u r angriff u n d ihr entgegenhielt. Alle Mißstände jener 13
194
D e r Kampf um die W e l t m a c h t d e s G e i s t e s l e b e n s
K u l t u r schienen solches Streben zu r e c h t f e r t i g e n u n d zu u n t e r s t ü t z e n . Aber so s t a r k diese B e h a u p t u n g in der V e r n e i n u n g , so schwach ist sie in der B e j a h u n g . W a s bleibt d e m Menschen, wenn m a n ihm alles e n t z i e h t , w a s die Geschichte aus i h m g e m a c h t h a t , u n d ihn auf die bloße N a t u r das
alles
zurückführt?
auf
die
Wie klein u n d
jeweilige
Gegenwart
flach wird ein
stellt?
Die
Leben,
dann
unver-
meidliche Leere läßt sich n u r d a d u r c h v e r d e c k e n , d a ß in die N a t u r der E r t r a g der Geschichte, g e l ä u t e r t u n d v e r e d e l t , hineingesehen u n d d a m i t einer N a t u r r o m a n t i k g e h u l d i g t wird, die einen b e i n a h e kindlichen O p t i m i s m u s v e r r ä t . die
Geschichte
entsprang
nicht
trotz nur
Auch wird der Mensch in dieser Weise
aller
Bemühung
aus
besonderen
nicht
los.
Jene
geschichtlichen
Reaktion Lagen,
sie
t r ä g t auch d e n S t e m p e l dieser L a g e n , sie ist selbst e t w a s G e s c h i c h t liches u n d Das
wird
empfindet
ein
Stück
alsbald
des
die
weiteren Verlaufs d e r
folgende
Zeit.
Die
Geschichte.
naturrechtlichen
D e n k e r u n d P r a k t i k e r des 18. J a h r h u n d e r t s g l a u b t e n sich frei von allen Z u s a m m e n h ä n g e n der Geschichte, wir e r k e n n e n in allen ihren G e d a n k e n u n d B e s t r e b u n g e n die b e s o n d e r e A r t des 18. J a h r h u n d e r t s , e r f a ß t e n es n u r im G e w ä n d e ihrer
sie wollten e t w a s Zeitloses u n d eignen Zeit.
D e m n a c h h ä l t die Geschichte d e n Menschen f e s t , er k a n n sich ihrer n i c h t d u r c h einen raschen E n t s c h l u ß entledigen, er m u ß sich m i t ihr a u s e i n a n d e r s e t z e n , er k a n n sie n u r ü b e r w i n d e n , i n d e m ihr ihren W a h r h e i t s g e h a l t e n t w i n d e t .
er
F e h l t dazu die K r a f t , so v e r -
bleibt ein v e r w o r r e n e s V e r h ä l t n i s zur V e r g a n g e n h e i t , ein S c h w a n k e n zwischen aber
willenlosei
ist es die
Hingebung
Regel;
die
S c h a f f e n die zeitliche O r d n u n g Zeiten
in
eine
und angestaunte
wahrhaftige
und
ungerechter
Augenblicke,
wo ein
in eine ewige u n d
Gegenwart
verwandelt,
Befehdung.
So
ursprüngliches die
Folge
bilden
der
seltene
Höhepunkte.
e. Die Gesellschaft.
Die im
Hauptverwicklungen
Zusammenhange
schaftlichen
Leben.
mit
der
Wie s e h r
der
Geschichte
Gesellschaft,
erscheinen
im
aber
die menschlich-geistige
Gesellschaft
alles b l o ß n a t ü r l i c h e Z u s a m m e n s e i n ü b e r r a g t , wie sie den
Menschen
n i c h t bloß nach a u ß e n hin k r ä f t i g t , s o n d e r n auch innerlich wie die
G e m e i n s c h a f t des W e r k e s
und
des
erst
geschichtlich-gesell-
Schicksals
auch
hebt, eine
Die G e s e l l s c h a f t
¡95
Verbindung der Gemüter zu fördern vermag, d a r ü b e r sind wir uns einig und klar. Aber alle Leistung der Gesellschaft kann der Wesensbildung nur dann als ein echter Gewinn erscheinen, wenn sie sich in den Dienst der Geisteswelt stellt, wenn sie mit all ihrem Wirken und Wollen ein ursprüngliches Selbstleben vertreten und fördern, nicht aber aus eignem Vermögen leben und die ausschließliche Wirklichkeit des Menschen bedeuten will. Gibt sie jene Beziehung auf und behandelt sie ihr eignes Ergehen als abschließenden und ausschließenden Selbstzweck, so werden schwere Mißstände, ja eine Verkehrung des gesamten Lebens unvermeidlich. Diese Ablösung zeigen aber die menschlichen Verhältnisse als die Regel; mag je nach der H a u p t r i c h t u n g des Lebens bald der S t a a t , bald die Kirche, bald die Gesellschaft als freies Zusammensein der Menschen sich als das Letzte und Höchste geben, im Grunde ist es ein und dieselbe Selbstüberhebung des Menschen, die wechselnde Gestalten a n n i m m t . Solche Usurpation des gesamten Geisteslebens durch die Gesellschaft ist deshalb so verderblich, weil diese ihr eignes Bestehen und Ergehen nicht zur H a u p t s a c h e machen kann, ohne das Hauptleben zur Nebensache herabzusetzen und es fremden Maßen zu unterwerfen. Wissenschaft und K u n s t , Recht, Religion und Moral bedeuten hier nicht Eröffnungen einer neuen Welt, innere Erhöhungen des Menschen, sondern bloße Einrichtungen zum Nutzen der Gesellschaft, Hilfsund Heilmittel f ü r ihr Gedeihen. Solche Herabsetzung zu bloßen Mitteln lähmt aber ihre innere Triebkraft. Das Nützliche v e r d r ä n g t hier das Gute, die Zwecke der Gesellschaft bestimmen, was gut oder böse, ihre Meinungen, was wahr oder falsch sei; der Mensch, nicht als Individuum, aber als Durchschnitt, wird zum Maß aller Dinge. Zugleich werden die Daseinsformen der Gesellschaft: das Nebeneinanderleben in R a u m und Zeit, das Wirken von außen nach innen, das Gebundensein an den seelischen Stand des Menschen, zu Bedingungen und Gesetzen des Geisteslebens. Dabei pflegt die Gesellschaft die U n t e r o r d n u n g des Geistigen, die sie v o r n i m m t , nicht nur anderen, sondern auch sich selbst zu verstecken; sie hegt und pflegt mit allen Mitteln den Schein, das Gute und W a h r e seiner selber wegen zu wollen. So gesellt sich zur Verkehrtheit der Sache eine U n w a h r h a f t i g k e i t der Gesinnung. Das bloßgesellschaftliche Leben k a n n nicht alles auf den Menschen stellen, ohne dem Durchschnitt der Meinungen u n d Strebungen die leitende Stellung einzuräumen. Denn wie aristokratisch die 13*
196
D e r K a m p f um d i e W e l t m a c h t d e s G e i s t e s l e b e n s
ä u ß e r e Gliederung d e r Gesellschaft sein m a g , ihre innere A r t h ä n g t immer
am Durchschnitt.
W i r d a b e r u n s e r e A r b e i t m i t all ihren
P r o b l e m e n auf den D u r c h s c h n i t t g e s t i m m t , so d r o h t z u n ä c h s t eine A b s c h l e i f u n g des
Individuellen
d r ü c k u n g oder doch tisches u n d
schablonenhaftes
Betrieb
Kultur
der
Einzelnen n i c h t
nur
und
Unterscheidenden,
eine
Isolierung des G r o ß e n , es d r o h t ein reicht,
Leben. weist
im s p ä t e r e n
Soweit
jene
der
Unterschema-
gesellschaftliche
Durchschnittsbildung
Verlauf
des Lebens
den
auf
ausge-
t r e t e n e P f a d e , sie u m f ä n g t u n d b e h e r r s c h t ihn schon im W e r d e n u n d bei den e i n f a c h s t e n
E l e m e n t e n ; seine
Begriffe folgen den
Worten
der Sprache, seine E m p f i n d u n g e n u n d A f f e k t e dem Zuge des gesellschaftlichen Lebens, f ü r alle Ä u ß e r u n g e n seines Gefühls, f ü r u n d Leid, f ü r Seligkeit u n d Verzweiflung liegen h a n d l i c h e bereit, derer sich bedienen Bindung
an
fertige
Ä u ß e r e n ins
m u ß , wer n i c h t a n s t o ß e n will.
Schablonen
wirkt
aber
Lust
Formeln Solche
unvermeidlich
Innere zurü,ck, sie e r s t i c k t von v o r n h e r e i n
die
vom Kraft
u n d die Frische aller R e g u n g , sie m a c h t u n s m a t t u n d u n w a h r n i c h t n u r gegen a n d e r e , s o n d e r n auch gegen u n s selbst. sich
hier
stets
zwischen W a h r h e i t u n d
wird z u m bloßen E x e m p l a r einer
Das Leben bewegt
Schein,
der Mensch
Gattung.
Anders s t ü n d e es, w e n n der D u r c h s c h n i t t eine d e r V e r n u n f t vollzöge, d a d u r c h d a s
Individuum
Summierung ü b e r sich
erhöbe oder alle in ihm s c h l u m m e r n d e V e r n u n f t e r w e c k t e . Denker
haben
eine
solche
aber
Summierung
der
Vernunft
selbst Große
verfochten,
von der m a ß v o l l e n F a s s u n g eines Aristoteles bis zur r a d i k a l e n eines Rousseau.
Aber es w a r e n d a s D e n k e r , deren B e h a n d l u n g
mensch-
licher Dinge ü b e r h a u p t optimistisch g e s t i m m t w a r u n d die i n n e r e n Verwicklungen
unseres
Lebens n i c h t
vollauf
würdigte.
ward ihnen die Lehre von einer S u m m i e r u n g
der
Seit
Plato
Unvernunft
e n t g e g e n g e h a l t e n ; m o c h t e n die O p t i m i s t e n sich auf eine gewisse Auss c h e i d u n g v o n V e r k e h r t e m u n d eine He,raushebung gewisser
Wahr-
heiten d u r c h d a s Z u s a m m e n s e i n b e r u f e n , es ließ sich e r w i d e r n , d a ß diese W a h r h e i t e n n i c h t die G r u n d ü b e r z e u g u n g e n sind, die d e m Leben Sinn u n d W e r t verleihen, u n d d a ß die schöpferischen
Ideen
nicht
n u r zur Zeit ihres E n t s t e h e n s p a r a d o x w a r e n , s o n d e r n d a ß sie alle Zeit p a r a d o x
geblieben
sind; entgegenhalten
ferner, daß das
Zu-
s a m m e n w i r k e n von Massen n o t w e n d i g eine U n t e r d r ü c k u n g der feineren Züge, eine V e r g r ö b e r u n g und
der A r b e i t , ein Anschwellen
L e i d e n s c h a f t e n bis zur
der A f f e k t e
G e f ä h r d u n g aller sachlichen
Wahrheit
Die G e s e l l s c h a f t bewirkt. ist
Wird
die
unzulänglich, solcher
der Mensch
geistige
Regung
wie
wir
Elemente
so sehr von
so
matt,
erzeugen.
innerhalb
unseres
Es
eine
wäre
Naturtrieben
die
es fanden, so
unmöglich
Vernunft
I97
moralische
kann
neue
die
bloße
Ordnung,
möchten
wir
so
Anhäufung
ein Reich
das ein Wunder, und
Lebenskreises
beherrscht,
Gesinnung
ein
der
solches
am wenigsten
zu-
gestehen. Die Gesellschaft kann, als der sichtbaren Welt, dem Reich der Erscheinung angehörig, nur schätzen, was in dieses Reich hineinfällt; sie muß daher das Äußere vor das
Innere, das Ergebnis vor das
Streben, die Leistung vor die Gesinnung "stellen; überall muß sie nach
dem Erfolge schätzen und
dem Erfolge huldigen.
Mag das
im einzelnen Fall als eine Ungerechtigkeit empfunden werden, das Ganze ist auf
diesem
Boden
unvermeidlich.
Das Dasein bildet ein Nebeneinander einzelner
Erscheinungen;
so muß auch die Gesellschaft sich an das Einzelne halten und alles, was sich als ein Ganzes gibt, in einzelne Elemente zerlegen.
Die
Tüchtigkeit
die
bedeutet
hier eine
Summe
nützlicher
Leistungen,
Überzeugung eine Anzahl von Lehrsätzen, in der Religion wird zur Hauptsache
die
Erfüllung
sog.
„religiöser
Ganzes jenseits dieser Zerstreuung,
ein
Verpflichtungen";
Ganzes, das
alle
ein
Mannig-
faltigkeit beseelte und prüfte, wird mißtrauisch angesehen, als etwas, das
Irrungen nahelegt und zur Absonderung
verleitet.
Das Dasein kennt als wirklich nur Festes und
G r e i f b a r e s ; so
schätzt auch die Gesellschaft vom Geistigen nur, was ihr fertig und abgeschlossen dargeboten w i r d ; ihr gilt nur das Vorhandene,
Fest-
gewordene, durch Autorität Übermittelte, nicht das Werdende Aufstrebende.
und
Auch von hier aus erklärt sich, daß der K u l t der Toten
die Schätzung der Lebenden hemmt und das Große der Vergangenheit zum Feinde des Großen der Gegenwart wird. Solches H a f t e n am Einzelnen, Äußeren, Fertigen wird sich gegenseitig steigern
und
Höhe festhalten.
das
Ganze
dieser
Lebensführung
auf
geringer
Hier überwiegt das Legale das Moralische, die kon-
ventionellen Satzungen die ewigen Ordnungen, die Form die Sache, der Schein das Sein. liche
Notwendige Wahrheiten werden an
Erscheinungsformen
zwingend
auferlegt.
gebunden,
Durch
diese
die Ansprüche
aber der
jedem
vergängEinzelnen
Gesellschaft
unab-
lässig in Atem gehalten, erreicht der Mensch keinen ruhigen Anblick und keine richtige Würdigung des Lebens als eines Ganzen, er kommt
198
D e r K a m p f um d i e W e l t m a c h t d e s G e i s t e s l e b e n s
n i c h t zu eifriger A r b e i t a n d e n P r o b l e m e n , an d e n e n seine Geistigkeit hängt. Das alles n a t ü r l i c h in m a n n i g f a c h e r A b s t u f u n g u n d Verzweigung, u n t e r m a n c h e n G e g e n s ä t z e n bei sich selbst.
Namentlich geht durch
alle diese L e b e n s f ü h r u n g ein G e g e n s a t z u n d K a m p f einer festen und einer freien F o r m der Gesellschaft.
Einerseits die offiziellen Lebens-
s y s t e m e , die ihren B e s t a n d
als a b s o l u t e u n d ewige W a h r h e i t
ver-
künden,
nichts
als w a s ihre
und
zugleich
alle
anerkennen Betätigung
eng
und
Genehmigung
fand,
zünftig gestalten;
andererseits
d a s freiere Z u s a m m e n s c h i e ß e n der M e i n u n g e n u n d G e f ü h l s l a g e n m i t seiner U n b e s t ä n d i g k e i t u n d seiner W e h r l o s i g k e i t gegen die zufälligsten E i n d r ü c k e , m i t seiner Neigung, gewisse Ü b e r z e u g u n g e n ,
Schätzungen
u s w . auch v o n den heiligsten Dingen als eine Sache der Mode zu behandeln, trifft.
die
man
aufnimmt
und
fallen l ä ß t , wie es sich
eben
Auch v o n hier a u s ein s t a r k e r D r u c k auf den E i n z e l n e n , ein
u m so gefährlicherer, weil er u n m e r k l i c h ist.
O f t ist d e r Mensch sozial
u m so a b h ä n g i g e r , je freier er sich politisch f ü h l t . In d e m A u g e n b l i c k , wo alle diese S c h ä d e n n i c h t n u r a n
ein-
zelnen P u n k t e n , — d e n n d a g e w a h r t sie ein j e d e r — , s o n d e r n als Eigens c h a f t e n de« G a n z e n , u n d sondern
als einer
verwachsen
n i c h t n u r als oberflächliche
bloßgesellschaftlichen
erkannt
werden,
muß
eine
Lebensführung
Störungen, untrennbar
innere A b w e n d u n g
davon
erfolgen, d a s Ganze als eine u n e r t r ä g l i c h e V e r k e h r u n g e r s c h e i n e n , u n d z u g u n s t e n von W a h r h e i t u n d Glück ein energischer K a m p f d a g e g e n a u f g e n o m m e n w e r d e n . Dieser K a m p f k a n n v o n verschiedenen P u n k t e n ausgehen u n d sich s e h r verschieden
gestalten.
Besonders tief g e h t eine G e g e n w i r k u n g von d e r Religion
her.
D e n n den von ihr e r f ü l l t e n G e m ü t e r n schien j e n e S e l b s t h e r r l i c h k e i t der Gesellschaft als eine A u f l e h n u n g des m i t d e m Schein des
Gött-
lichen u m k l e i d e t e n Menschlichen gegen d a s Göttliche s e l b s t ; so ließ sich hier die tiefste Innerlichkeit der G e s i n n u n g u n d die g a n z e K r a f t der moralischen Ü b e r z e u g u n g z u m K a m p f a u f b i e t e n . Den klassischen A u s d r u c k solcher evangeliums.
G e s i n n u n g bildet d a s 23. K a p i t e l des
Auch
die
individuelle
Seelenlage
der
Matthäusschaffenden
Geister der religiösen W e l t b e f a n d sich gewöhnlich in einem s c h r o f f e n Gegensatz zur Gesellschaft, sie f ü h l t e n sich einsam gegen d a s D u r c h schnittstreiben.
E i n s a m w a r J e s u s n i c h t n u r in G e t h s e m a n e , s o n d e r n
d u r c h sein ganzes L e b e n ; einsam m u ß sich in der Fülle des Besitzes B u d d h a g e f ü h l t h a b e n , w e n n er d e n Kreis der Seinen verließ, u m
Die Gesellschaft
199
in der F r e m d e den Weg der W a h r h e i t zu s u c h e n ; eine ähnliche E m pfindung klingt auch aus den W o r t e n M o h a m m e d s : „ H a t er mich nicht einsam gefunden und mir eine Heimat g e g e b e n ? " Aber diese W e n d u n g gegen die Gesellschaft verlangt die feste Überzeugung von einer überweltlichen Wirklichkeit. Gewöhnlich liegt es näher, besonders auch unserer Zeit, die Gesellschaft innerhalb des Daseins zu bekämpfen. Das geschieht mit der W e n d u n g zum Individuum, durch die Berufung an seine ungebrochene und unverfälschte Natur, durch das Streben, die hier vorhandenen K r ä f t e aller sozialen Einschnürung zu entziehen und in ihrem vollen Umfang zu entfalten. In dieser Richtung wirkt heute der naturalistische Subjektivismus, er h a t eine gewaltige Stärke und ein unbestreitbares Recht in seiner Kritik der Gesellschaft, in der Abweisung ihrer Selbstgerechtigkeit und Selbstgefälligkeit, in der Auflösung des trüben Nebels, worin sie das menschliche Dasein hüllt. Die Frage ist nur, ob die eigne Leistung der Kritik entspricht, und ob der P u n k t , den man wählt, einen sicheren S t a n d o r t gewährt. Uns d ü n k t das Verfahren des Subjektivismus kurzsichtig und in einseitiger Tendenz befangen; seine Vertreter gehören zu den Menschen, die nach einem Ausdruck L e i b n i z e n s nur in einem einzigen Syllogismus, nicht in mehreren denken. Denn ganz erfüllt von der einen Aufgabe, die Schäden der Gesellschaft möglichst scharf und grell zu beleuchten, vergessen sie zu prüfen, wie es mit dem Vermögen des Individuums steht, das der Gesellschaft als überlegen entgegengehalten w i r d ; ihre Kritik erschöpft sich so bei der Gesellschaft, d a ß f ü r das Individuum nur die romantische Verherrlichung v e r b l e i b t ; mit der W e n d u n g dahin verwandelt sich der sonstige Pessimismus gegen menschliche Dinge in einen blinden Optimismus. Denn was ist das Individuum der E r f a h r u n g mit seiner Gebundenheit an die N a t u r , seiner S t u m p f h e i t f ü r geistige Zwecke, seiner gröberen oder feineren Selbstsucht, seinem Mangel an geistiger A u s p r ä g u n g ? Gewinnen wir etwas d a d u r c h , d a ß f ü r die Selbstherrlichkeit und Eitelkeit der Gesellschaft die des Individuums eingetauscht w i r d ? Wir empfinden die Seelenlosigkeit der bloßen A u t o r i t ä t , aber fahren wir besser bei der Willkür und dem Eigensinn der bloßen I n d i v i d u e n ? Die Starrheit und Äußerlichkeit der gesellschaftlichen Ordnung ist gewiß ein Übel, aber darf sich der N a t u r t r i e b mit seiner Roheit und seiner Flüchtigkeit überlegen d ü n k e n , m u ß jene nicht ihm gegenüber noch immer als eine Erzieherin g e l t e n ? Die Gesellschaft d r ä n g t und beengt
200
Der Kampf um d i e W e l t m a c h t d e s G e i s t e s l e b e n s
d a s I n d i v i d u u m in t y r a n n i s c h e r Weise, a b e r w ä r e ohne s t a r k e Mittel seine n a t ü r l i c h e T r ä g h e i t irgendwie zu ü b e r w i n d e n ? u n t e r w i r f t u n s d e m Schein, a b e r der Schein
Die Gesellschaft
e n t h ä l t n i c h t n u r eine
gewisse H u l d i g u n g gegen die W a h r h e i t , er k a n n aus d e m herauszubilden
und
b ä n d i g e n helfen.
die \ S e l b s t s u c h t
wenigstens
So ist es eben d e r S t a n d
Gröbsten
einigermaßen
zu
des I n d i v i d u u m s , welcher
der Gesellschaft ein R e c h t verleiht u n d ihr t r ü b e s Gemenge von Vernunft und Unvernunft unentbehrlich macht.
D e r geistige u n d sittliche
H ö h e n s t a n d der empirischen Gesellschaft u n d des bloßen
Individuums
ist im G r u n d e genau d e r s e l b e ; s t a t t sich gegenseitig die Schuld
an
d e m kläglichen S t a n d e d e s Daseins z u z u s c h i e b e n , h ä t t e n sie an d e m Ganzen Das
Kritik
aber
in Bewegung ablässigen sellschaft
zu
gehört
üben auf
und
über
und Gegenbewegung,
Schwanken und
der
unzulänglich;
hier
das
Ganze
hinauszustreben.
ein a n d e r e s B l a t t ; der erste S t a n d erscheint zwischen
in der
Überspannung wie
da
des
befindet
in
dem
un-
Selbstgerechtigkeit
Ja
und
Nein,
der
Ge-
Individuums das
als
durchaus
Geistesleben
sich
auf
einem f r e m d e n B o d e n .
f. Das Schicksal.
So k a n n
d e m Menschen sein eignes T u n
unmöglich
genügen,
die Geisteswelt, worin sein Wesen w u r z e l t , scheint f ü r sein und
Leben
und
Hoffnung.
erträglich,
verloren.
Aber
immer
Alle V e r k e h r t h e i t
waltete
zweifellos
verbleibt und
und
noch
Eine
Unbill u n s e r e r
augenscheinlich
über
Dasein Aussicht
Welt
wäre
uns
eine
höhere M a c h t zur F ö r d e r u n g u n d S t ä r k u n g des G u t e n , z u r H e m m u n g und
B r e c h u n g des Bösen, l e n k t e n
Liebe u n d
Gerechtigkeit
Geschicke, und g ä b e es eine W e n d u n g von aller des menschlichen
Standes
zu
einer überlegenen
unsere
Unzulänglichkeit Macht
als
einem
sicheren H a l t u n d T r o s t . Die W i r k l i c h k e i t einer solchen M a c h t sei keinesfalls rasch keck v e r n e i n t .
Viel zu s e h r s t e h e n wir Menschen a m
Saume
und der
Dinge, viel zu u n d u r c h s i c h t i g ist der W e l t l a u f u n d viel zu v e r w i c k e l t d a s G e t r i e b e des m e n s c h l i c h e n Daseins, als d a ß u n s e r geringes Wissen alle Möglichkeit ausschließen u n d eine e n d g ü l t i g e L e u g n u n g dürfte.
Aber
solche Z u r ü c k h a l t u n g
kann
nicht
die
wagen
unbefangene
E r ö r t e r u n g d e r Frage v e r w e h r e n , o b sich i n n e r h a l b u n s e r e r E r f a h r u n g eine solche M a c h t deutlich u n d u n w i d e r s p r e c h l i c h erweist, ob G e s t i r n e ,
201 die unsere Geschicke lenken, aus dem t r ü b e n Nebel unseres Daseins genügend klar hervorscheinen. Bei dieser Frage g e r ä t aber das Leben des Menschen u n t e r verschiedenartige Eindrücke und entgegengesetzte S t i m m u n g e n , die einander bald ablösen, bald d u r c h k r e u z e n . Einerseits g l a u b t e n wir im Leben der Individuen wie der Völker das W a l t e n einer allmächtigen L i e b e zu erkennen, die den Menschen, über sein eignes Wissen und Wollen hinaus, b e h ü t e t und l e n k t ; aus dem Vertrauen auf solche Liebe e n t s p r a n g die erhebende Idee eines Reiches Gottes wie im Himmel so auf Erden. Bald hingegen g l a u b t e n wir w a h r z u nehmen, d a ß freilich Bedeutendes vorgeht und sichere V e r k e t t u n g e n das Geschehen verbinden, d a ß aber diese Verkettungen das Wohl und Wehe des Menschen nicht beachten und achten, d a ß ein ehernes S c h i c k s a l ihn als ein bloßes Mittel b e h a n d e l t , ihn bald ergreift und erhebt, bald verwirft und z e r m a l m t . Endlich bieten die Erlebnisse so viel Wechsel und W a n d e l , so viel U n v e r m i t t e l t e s und Plötzliches, so viel Umschlagen ohne e r k e n n b a r e n G r u n d , solche Macht des Kleinen und des bloßen Augenblicks, d a ß alles dem bloßen Z u f a l l ü b e r a n t w o r t e t , der blinden Laune der Glückgöttin preisgegeben scheint. So s c h w a n k t die Überzeugung des Menschen zwischen Vorsehung, Schicksal und Zufall; der Wechsel der E r f a h r u n g e n m a c h t ihn bald diesem, bald jenem geneigter und wirft ihn von einer Seite zur anderen. Bei diesen P r o b l e m e n ist das erste u n d dringlichste Verlangen des Menschen d a s nach G e r e c h t i g k e i t . Das innerlich Wertvolle m ü ß t e sich auch zur Wirklichkeit bringen und als Macht erweisen, das G u t e sollte das S t a r k e und Siegreiche, das Böse das Schwache und Unterliegende sein. Aber die sittliche Ordnung, die wir aus innerer Notwendigkeit fordern, finden wir nicht durch unsere Erf a h r u n g bestätigt. Diese zeigt z u n ä c h s t bei der eignen Seele des Menschen ein Auseinandergehen von K r a f t und Gesinnung. Edle Gesinnung ist o f t wehrlos u n d schwach, schlechte und gemeine voll K r a f t ; selbst großes geistiges Schaffen k a n n m i t moralischer Enge, zerstörender Leidenschaft, kleinlicher Eitelkeit, ja rücksichtsloser Selbstsucht z u s a m m e n g e h e n . — Ein Spalt erscheint weiter in den Erlebnissen, beim Verhältnis von T u n u n d E r g e h e n . Das Gute gelangt durch sein eignes Vermögen keineswegs sicher zum Siege. W a s es im menschlichen Dasein an Vorteilen h a t , v e r d a n k t es weniger seinen inneren Vorzügen als seiner Verflechtung mit der äußeren O r d n u n g
202
Der Kampf um die W e l t m a c h t des
Geisteslebens
der Dinge, seinem Nutzen f ü r die Gesellschaft usw. J e deutlicher wir aber die Allgewalt einer physischen Kausalität erkennen, desto schmerzlicher vermissen wir eine moralische Kausalität, eine A n gemessenheit der Absicht u n d der Folgen, ein Durchdringen desGuten, einen Niedergang des Bösen. So wenig im Durchschnitt des Daseins regelmäßig das Gute siegt, ebensowenig r ä c h t sich hier alles Böse. Vielmehr scheint alles b u n t d u r c h e i n a n d e r zu wirbeln und mehr Laune als Gerechtigkeit zu entscheiden. Bald hinterlassen auch schwere Verschuldungen keinerlei Spur, nicht einmal in dem eignen s t u m p f e n Gewissen des Täters, bald wird strengste Abrechnung gehalten, und eine unbarmherzige Kausalität schmiedet den Menschen an seine T a t ; bald scheint unser T u n den Lauf des Geschehens zu lenken, bald ist selbst der kräftigste Wille machtlos gegen die Starrheit der Verhältnisse oder die Blindheit des Zufalls; auch k a n n in der unübersehbaren V e r k e t t u n g der Dinge eine verschwindende Nebensache die wichtigsten Angelegenheiten, ein Augenblick die Geschicke von J a h r h u n d e r t e n entscheiden. J a es läßt das t r ü b e Durcheinander der Lage das menschliche Handeln o f t das Gegenteil von dem erreichen was es wollte, das Schicksal verkehrt das Gute in Böses, das Böse in Gutes. W e n n den Menschen in solchen Verwicklungen manches Leid schuldlos t r i f f t , so kann er sich nicht von aller Schuld entlasten, vielmehr ist es eine undurchsichtige Verwebung von Schuld und Schicksal, die sein Leben b e d r ü c k t und b e t r ü b t . Mag er dunkel in seinen Geschicken ein W a l t e n überlegener Mächte ahnen, eine sittliche Ordnung erkennt sein Auge darin nicht. Die Ungleichmäßigkeit der Behandlung, die das Verhältnis von Tun und Ergehen zeigt, die Gleichgültigkeit des Weltlaufs gegen unser Befinden, erstreckt sich über dies besondere Problem hinaus auf die ganze Weite des Lebens; sie wird u m so mehr zur Härte, als dabei nicht nur der Erfolg nach außen, sondern auch die innere Bildung in Frage s t e h t . Innerlich und äußerlich wird dem einen das Leben leicht, dem anderen schwer g e m a c h t ; oft fällt dem einen spielend in den Schoß, was der eifrigen Arbeit des anderen versagt b l e i b t ; o f t t r i f f t den Sorglichen das Unglück, während der Leichtsinnige ungeschädigt seinen Weg ^ verfolgt. Bei dem einen wird das Gute und Edle, das a u f s t r e b t , gehegt und gepflegt, bei dem anderen, so scheint es, im Keime z e r t r e t e n ; der eine wird sorgsam vor aller Versuchung b e h ü t e t , der andere wehrlos ihr preisgegeben. Oft drängt sich die E m p f i n d u n g auf, d a ß der eine in allem U n t e r -
Das Schicksal
203
nehmen den Strom und Wind ebenso f ü r sich, wie der andere ihn gegen sich h a t . W a s in solchen Erlebnissen an Unbill steckt, steigert sich durch die Verkettung des Schicksals des einen mit dem des anderen. Diese Verkettung wächst mit dem F o r t s c h r i t t der K u l t u r , mit der Verwicklung der Verhältnisse; immer abhängiger wird das Individuum von dem Tun und Ergehen anderer. Wie leicht kann hier der Untüchtige den Tüchtigen, der Böse den Guten in den Abgrund reißen! Oft t r ä g t der eine die Schuld, der andere die Folgen, der Leichtsinn des einen gereicht dem anderen zum Verderben. In dem allen vermissen und entbehren wir die Gerechtigkeit. Noch weniger können wir hoffen, darin ein W a l t e n der L i e b e zu entdecken. Wohl gewahren wir bisweilen ein merkwürdiges Zus a m m e n t r e f f e n von Umständen, das uns zum Segen gereichte; auch unser Handeln scheint wohl durch eine unsichtbare Macht auf rechte Ziele gelenkt und vor menschlicher Irrung b e h ü t e t . Aber alle Versuche, solche Fälle zu deuten oder zu einer Lehre auszubauen, stoßen auf die Schranken menschlichen Vermögens und geraten leicht u n t e r den Einfluß menschlicher Überhebung und Eitelkeit, die den Einzelnen sich als den Mittelpunkt aller Wirklichkeit fühlen läßt. Man meint, als habe ,,Gott die ganze Welt vergessen bis auf m i c h allein", ( M e i s t e r E c k h a r t . ) Dem T a t b e s t a n d aber wird entgegengehalten, d a ß in anderen Fällen ein sonderbares Z u s a m m e n t r e f f e n kleiner U m s t ä n d e schweres Unheil bewirkte, oder d a ß eine geringe Handreichung unsägliches Elend h ä t t e v e r h ü t e n können. Leicht war der Strauchelnde dem Abgrund zu entreißen, leicht der Versinkende zu r e t t e n , aber es fehlte die helfende H a n d , wenigstens fehlte sie f ü r unser Auge. Diese negativen Fälle schiebt das menschliche Glücksverlangen gern zurück, um allein bei den positiven zu verweilen; der D a n k der Geretteten redet so laut, d a ß die s t u m m e Klage der Gefallenen dagegen nicht a u f k o m m e n kann. Der gewaltige Weltkrieg läßt alles das mit besonderer Schwere empfinden. So erscheint undurchsichtig und unbegreiflich die Ordnung der menschlichen Geschicke. Dazu erstreckt sich die Dunkelheit über unser Ergehen hinaus in den Kern unsers W e s e n s ; was wir als eignes Wesen anerkennen und wofür wir u n s verantwortlich fühlen, das ist in W a h r h e i t weit weniger unser Werk als das jener dunklen M ä c h t e ; ja so sehr u m f ä n g t uns an jeder Stelle ein Schicksal, d a ß f ü r eigne Wahl und T a t kaum irgendwelcher Platz zu verbleiben
204
D e r K a m p f um die W e l t m a c h t d e s
Geisteslebens
scheint. Zunächst unterstehen wir dem Schicksal unserer eignen N a t u r . Die besondere Art, die uns von Haus aus zugewiesen ist, die Individualität, e n t h ä l t das Maß unserer K r ä f t e , sie zeichnet unserem Streben seine Richtung vor, sie begrenzt unseren Lebenskreis mit festen, unverschiebbaren Linien. Dem einen ist diese N a t u r zu harmonischer Einheit gestimmt, dem anderen klafft sie schroff auseinander; dem einen pflanzt sie Neigung zum Großen und Guten, dem andern zum Kleinen und Bösen ein. Bei aller solchen Verschiedenheit erscheint sie aber als das eigne Werk des Menschen und wird ihm bald zum Verdienst, bald zur Schuld gerechnet. Zum Schicksal der N a t u r gesellt sich das Schicksal der V e r h ä l t n i s s e , der Umgebung, der Lebenslage. W a s die N a t u r unfertig ließ, wird hier bearbeitet und gestaltet, dabei aber bald g e s t ä r k t und gehoben, bald geschwächt und h e r a b g e d r ü c k t . Hierher gehört auch das Schicksal der Zeit, ihr verschiedenes Verhältnis zum Einzelnen. Die Zeit kann den Menschen in große Bewegungen oder in eine geistige Leere stellen, ihm den Weg zur Tiefe der Geisteswelt und seines eignen Wesens erleichtern oder erschweren, die H a u p t richtung seiner besonderen Art u n t e r s t ü t z e n oder h e m m e n , ihn danach mehr zur Mitarbeit oder zum K a m p f e treiben. Das alles entscheidet zum guten Teil über Inhalt und Glück seines Lebens; wie aber das Los hier fällt, b e s t i m m t nicht eigne W a h l . Auch die e i g n e T a t wird uns zum Schicksal. Sie geht nicht spurlos vorbei, sie wirkt auf den Träger zurück, am Werk bildet sich auch die Gesinnung, das Wesen. Was von unseren K r ä f t e n zur T a t erweckt wird, das wird d a m i t innerlich v e r s t ä r k t ; Ungewecktes hingegen v e r k ü m m e r t und versinkt. Aber jene Umsetzung in Tat liegt oft mehr bei den Umständen als bei unserem Willen; so gilt als edel und tapfer, als hilfreich und großmütig, dem weniger eignes Verdienst als die Gunst der Lage zu entsprechender Handlung verholten h a t . Wir preisen oder v e r d a m m e n den Menschen und vergessen das Schicksal, den wahren Werkmeister. Diese Ungleichmäßigkeit ^ind Undurchsichtigkeit der Behandlung begleitet den Menschen bis an sein Ende, auch der T o d bekundet jene Unbill des Schicksals. Ist dem einen vergönnt, sein Lebenswerk zu vollenden, sich, menschlich gesprochen, voll auszuleben, so wird der andere noch werdend vernichtet oder m i t t e n in der Arbeit abberufen. Der Tod läßt o f t auf sich warten, wo das
205 Leben zur drückenden Last w a r d ; d a n n wieder zerstört er ein Leben, das unentbehrlich und unersetzlich d ü n k t . Aber alle Unbill der einzelnen Fälle verschwindet hier gegen die Unbill des Ganzen, gegen die Unverständlichkeit des g e m e i n samen Schicksals. Nur äußerlich angesehen, kann unser Sein sich in dieser Zeitspanne erschöpfen, können sich hier die Aufgaben unseres Wesens erfüllen. In W a h r h e i t läßt das Gelingen uns ebenso unfertig wie das Mißlingen, die H a u p t p r o b l e m e der inneren Bildung werden k a u m angegriffen, höchstens ein wenig gefördert, wir haben die Arbeit kaum recht begonnen, so setzt der Tod f ü r unseren Bück allem Streben ein Ziel. Es ist nicht nur ein Teil der Blüten, der nicht zur Reife gelangt, sondern zur vollen Reife k o m m t gar nichts; das Ziel unserer Lebensbewegung wird nirgends erreicht. So endet das Ganze, vom sichtbaren Dasein aus b e t r a c h t e t , in einen schrillen Mißklang. Noch bleibt eine B e r u f u n g von aller Dunkelheit und U n v e r n u n f t der Einzelgeschicke an das G e s c h i c k d e r M e n s c h h e i t , wie die Weltgeschichte es aufrollt; vielleicht lassen hier die größeren Züge erkennen, was die Kleinheit des Einzellebens verbirgt. Aber bald überzeugen wir uns, d a ß im wesentlichen dieselben Probleme verbleiben. Die Lehre, d a ß die Weltgeschichte das Weltgericht sei, enthält, soweit sie wahr ist, keinen T r o s t ; sofern sie aber Trost bringen könnte, ist sie nicht zu erweisen. Gewiß erlaubt die zunehmende E n t f e r n u n g des Beobachters eine unbefangenere Beurteilung, viel Schein verschwindet, manche T ä u s c h u n g wird durchschaut, wenn der Lärm und die Leidenschaften der Zeit v e r s t u m m t sind. Aber ein solches „ o b j e k t i v e s " Urteil hat mit der Ruhe auch alle Kühle der Ferne, gerecht sind wir im Grunde nur gegen das, was uns gleichgültig ward, während das, was w a h r h a f t bedeutend ist und durch die Zeiten fortwirkt, nie aus dem Streit h e r a u s t r i t t . Oder haben wir z. B. aufgehört, uns über die B e d e u t u n g von S o k r a t e s und P l a t o zu s t r e i t e n ? Und mag die Einsicht richtiger werden, was hilft ein Erkennen, das dem Leben so sehr n a c h h i n k t , was n ü t z t dem Unterlegenen und Zertretenen die Anerkennung einer fernen Zukunft? Anders s t ü n d e die Sache, wenn nachweisbar wäre, d a ß die Geschichte mit innerer Notwendigkeit das Kleine und Niedrige ausscheidet, das Große und Gute voll zur W i r k u n g bringt. Aber nur ein starker Optimismus kann das bei diesen Fragen b e h a u p t e n .
206
Der Kampf um die W e l t m a c h t des
Geisteslebens
Was uns die Geschichte anschaulich und eindringlich vorhält, ist vielmehr die Beschränktheit u n d Vergänglichkeit alles menschlichen Strebens und Tuns. Großes ward u n t e r n o m m e n und gewann eine Zeitlang die Kräfte, aber d a n n kam ein Stillstand, ein Sinken, der Unterg a n g ; was sich an Spuren erhielt, das konnte nun und n i m m e r das e n t schwundene Leben ersetzen. In W i r k u n g und Gegenwirkung, in Bilden und Zerstören, erscheint ein gewisser Kausalzusammenhang, nicht aber erscheint ein deutlicher Plan, nicht ein sicherer Aufstieg zu einem allbeherrschenden Ziele. Indem die K r ä f t e in der Geschichte ihr Vermögen zeigen und die Bewegungen sich entfalten, erweisen sich d e u t liche Schranken, und das Böse findet ein Ziel. Aber mit dem Bösen vers i n k t auch das Gute, und ein gemeinsames Grab deckt alles Streben. Im Einzelnen freilich ist manches erreicht, ein Z u s a m m e n t r e f f e n glücklicher U m s t ä n d e ließ vieles gelingen, große Augenblicke wurden o f t benutzt, oft fand die Zeit den rechten Mann. Aber u m darin ein Werk nicht des Zufalls, sondern einer überlegenen V e r n u n f t zu sehen, m ü ß t e n wir auch die Gegenrechnung machen und prüfen können, ob nicht auch viele Gelegenheiten u n b e n u t z t blieben, ob nicht o f t der Zeit der rechte Mann fehlte, m ü ß t e n wir die verlorenen Möglichkeiten, das Reich des Ungeborenen, übersehen k ö n n e n ; das aber können wir nicht. So bleibt jene Frage ungelöst, und es läßt d a s Ganze der Geschichte mit ihrem steten Versinken und der Hinfälligkeit alles Unternehmens mehr eine Kleinheit als eine Größe des Menschen empfinden, es erweist mehr eine U n n a h b a r k e i t höherer Gewalten als eine innere Gemeinschaft mit ihnen. Die Geschichte zeigt uns mehr das W a l t e n des alttestamentlichen Gottes, der die Sünden der V ä t e r heimsucht an den Kindern, als das des n e u t e s t a mentlichen, dessen Liebe auch das Kleinste b e h ü t e t . Um diesen E i n d r u c k der Geschichte mit voller Deutlichkeit zu e m p f i n d e n , brauchen wir nur im Geist eine hervorragende S t ä t t e geschichtlichen Lebens, etwa R o m , zu überschauen und uns zu vergegenwärtigen, was dort vorging. Hohe Ziele wurden verfolgt und glänzende Siege erfochten, aber in alles Große verwoben sich menschliche Zwecke und Leidenschaften und zerstörten schließlich seine K r a f t . Neue Ideale e n t s t a n d e n , ein neuer Glaube gab neue K r ä f t e , u n d der Zug ging wieder a u f w ä r t s , um aber endlich ebenfalls die Schranke des Menschen zu erfahren. Hier war nichts flüchtig, sondern alles h a t t e Zeit sich voll durchzuleben; um so mächtiger spricht sein Geschick. Hier war alles gewaltig und weltbewegend, aber auch
Das Schicksal
207
trotzig, gewalttätig und weltbedrückend. Fragen wir aber, was in all den unsäglichen Mühen und K ä m p f e n , in A u f b a u und Zerstörung an bleibendem E r t r a g f ü r das Ganze der Menschheit gewonnen, wie der innere Mensch dadurch gefördert ist, so kann eine gewissenhafte A n t w o r t nicht zuversichtlich lauten. Großes ist in W a h r h e i t geschehen, aber es zog mehr über den Menschen dahin, als d a ß es ihm selbst gehörte und zu bleibendem Besitze w a r d ; die Bewegungen p a c k t e n ihn und ließen ihn fallen; das Große versank, und die Erinnerungen rufen auch in der lebhaftesten Ausmalung nie das vergangene Leben z u r ü c k ; wohl aber legen sie sich mit erdrückender W u c h t auf die Gegenwart und lassen ihren Kampf um das Dasein, ihr geschäftiges Alltagstreiben als würdelos und nichtig erscheinen. Die Geisterhaftigkeit des Vergangenen d r o h t auch die Gegenwart zu u m k l a m m e r n und in das Nichts herabzuziehen, bevor sie sich recht e n t f a l t e t h a t . So durchgängig eine Riesengewalt des Schicksals, ein Unvermögen des Menschen. /
Überblicken wir in Einem, was uns bei Natur, geistiger K r a f t , moralischer Gesinnung, Geschichte, Gesellschaft und Schicksal entgegentrat, so ist eine durchgängige H e m m u n g und Einengung des menschlichen Daseins nicht zu verkennen. Die Schäden liegen nicht an der bloßen Oberfläche, sie reichen bis in den Grund unseres Daseins; was an Vernunft bemerklich wird, das scheint zu schwach, die starren Widerstände zu brechen, das bildet mehr eine gegen allen Inhalt gleichgültige Form als eine selbständige Welt. Dabei läßt der Lauf der Geschichte die Verwicklungen eher steigen als sinken, jedenfalls läßt er sie immer deutlicher empfinden. Denn mehr und mehr versinken die Illusionen jugendlicherer Zeiten, zerreißen die Schleier, die eine gefällige P h a n t a s i e um die Wirklichkeit w o b ; schien f r ü h e r der Himmel die Erde zu berühren, so scheiden die Gegensätze sich schärfer und s c h ä r f e r ; Möglichkeiten, die f r ü h e r die H o f f n u n g beflügelten, entfallen, die Klarheit eines wacheren Seins zieht dem Leben bei wachsender Ausdehnung innerlich .immer engere Kreise und weist es in unverrückbare Bahnen. Und in diesen Bahnen s t ö ß t es auf so viel Widerstand und H e m m u n g , wird es in seinem eignen Bestände so h a r t angegriffen und so schwer e r s c h ü t t e r t ! Wie soll es solcher Verwicklung begegnen, wie sich gegen die herabziehenden und zerstörenden Mächte b e h a u p t e n ?
208
D e r Kampf um die W e l t m a c h t d e s G e i s t e s l e b e n s
2. Das Suchen nach Lösungen. Der W i d e r s p r u c h , der sich u n s m i t d e m allen a u f t u t , kann u n möglich ruhig s t e h e n b l e i b e n ; d a s Verlangen n a c h einem Sinn unseres Lebens voller
u n d n a c h B e h a u p t u n g eines Beisichselbstseins läßt uns mit Entschiedenheit
fordern.
seine
Überwindung
oder
doch
j a sie bildet einen u n a b l ä s s i g e n Versuch, d e m peinlichen zu e n t r i n n e n . gesetzte
Milderung
In der T a t ist die weltgeschichtliche A r b e i t voller Versuche, Zwiespalt
M a n n i g f a c h e s w a r d hier u n t e r n o m m e n , völlig entgegen-
Bahnen
wurden
u m w e r b e n den M e n s c h e n .
eingeschlagen,
verschiedenste
Lösungen
Aus dieser Fülle sollen u n s hier n u r die
H a u p t t y p e n b e s c h ä f t i g e n , sie müssen es schon deshalb, weil nur die Ausschließung der u n z u l ä n g l i c h e n Versuche u n s zu d e m Wege weist, der w e i t e r z u f ü h r e n v e r m a g . Z u n ä c h s t seien die Versuche erwogen, den W i d e r s p r u c h ausschließliche
Anerkennung
in e n t g e g e n g e s e t z t e r
der einen
Seite zu lösen.
R i c h t u n g g e s c h e h e n : auf
j a h u n g u n d d e m der V e r n e i n u n g .
durch
Das
kann
d e m Wege der
Die einen glauben u n s e r
Be-
Leben
v o m Bösen gänzlich befreien u n d völlig ins G u t e stellen zu k ö n n e n , die a n d e r e n e r w a r t e n d a s Heil von d e m D u r c h s c h a u e n der Nichtigkeit aller
Güter
und
einer gänzlichen
Verzichtleistung.
Wie
sich
jede dieser Bewegungen weiter verzweigt, d a s h a t die U n t e r s u c h u n g zu zeigen. a. Die Wegdeutung des Bösen. Als e i n f a c h s t e r Ausweg e m p f i e h l t sich der Versuch, d a s
Böse
als einen bloßen Schein a u f z u w e i s e n ; ihn ergreift u n d verfolgt die optimistische
Fassung
von
Leben
und
Welt.
Um
gegenüber
der
u n e r m e ß l i c h e n A u s d e h n u n g des Bösen einen Erfolg zu h o f f e n , m u ß sie eine neue A r t der B e t r a c h t u n g u n d B e u r t e i l u n g b r i n g e n ; d a s a b e r t u t sie in W a h r h e i t .
J e n e ü b e r w ä l t i g e n d e M a c h t , so h e i ß t es, erhielt
d a s Böse n u r d a d u r c h , d a ß der Mensch die E r f a h r u n g zu u n m i t t e l b a r auf sein Wohlsein bezog u n d nach seinen Zwecken s c h ä t z t e , d a m i t aber ein zu viel enges M a ß a n die W i r k l i c h k e i t legte.
Dem aber läßt
sich b e g e g n e n : v o m S t a n d o r t des Menschen k ö n n e n wir u n s auf den des Alls v e r s e t z e n u n d d a s Ganze, d e m wir a n g e h ö r e n , aus sich selbst zu v e r s t e h e n suchen.
und
in seinen eignen Z u s a m m e n h ä n g e n
D a s e r ö f f n e t n e u e Ausblicke u n d
zu
würdigen
M ö g l i c h k e i t e n ; es s t e h t
zu h o f f e n , d a ß , wie sich d e m A s t r o n o m e n d u r c h Verlegung
seines
Die W e g d e u t u n g des Bösen
209
ideellen S t a n d o r t s von der E r d e in die Sonne die scheinbare w i c k l u n g des
Sonnensystems
in eitel
Ordnung
und
Ver-
Gesetzlichkeit
v e r w a n d e l t h a t , so auch d e m P h i l o s o p h e n eine H a r m o n i e der W e l t e n a u f g e h e n wird, sobald er „ d a s Auge in die Sonne s t e l l t " (Leibniz). So wird in der T a t e t w a s Neues g e b o t e n , dessen P r ü f u n g wir u n s n i c h t e n t z i e h e n k ö n n e n . D a f ü r sind aber die n ä h e r e n G e s t a l t u n g e n ins Auge zu fassen, welche die weltgeschichtliche A r b e i t j e n e m danken
einer
Betrachtung
n ä m l i c h ein jedes eine
besondere
Optimismus
der
aus d e m G a n z e n gegeben
großen
Antwort
geschaffen.
geschichtlichen
erteilt
und
damit
hat.
Es
Lebenssysteme einen
hat hier
eigentümlichen
Jede Zusammenfassung unserer Welt
E i n h e i t hielt sich f ü r v e r p f l i c h t e t , auch die V e r n u n f t der keit
Ge-
zur
Wirklich-
nachzuweisen. Die W e l t legt alle U n v e r n u n f t a b u n d zeigt sich als die beste der
W e l t e n , w e n n sie als ein großes K u n s t w e r k v e r s t a n d e n w i r d : so lehrt d e r k ü n s t l e r i s c h e O p t i m i s m u s v o m A l t e r t u m bis in die Neuzeit hinein.
Denn
das
Mannigfaltigkeit verwandeln;
was
Kunstwerk
zum
Ganzen
zuerst
kann den
einander
durch
seine
Verbindung
anfänglichen
zu
hemmen
Eindruck
und
stören
der
völlig schien,
d a s m a g als Glied einer u m f a s s e n d e n H a r m o n i e sich v e r s ö h n e n u n d gegenseitig e r h ö h e n ; j a , es k a n n ein K u n s t w e r k schwerlich ein inneres Leben u n d einen k r ä f t i g e n Gehalt erlangen ohne D i s h a r m o n i e n h e r v o r z u b r i n g e n u n d sie aufzulösen. So scheint eine D i s h a r m o n i e d e m W e l t a l l nötig, d a m i t die H a r m o n i e u m so v o l l k o m m e n e r w e r d e ;
eine solche
a b e r l ä ß t ein w e l t ü b e r s c h a u e n d e s D e n k e n u n s Menschen m i t e r l e b e n . Die W e l t ist g u t als eine lückenlose V e r k e t t u n g von u n d W i r k u n g e n , als ein System von
Ursachen
Gesetzen, als ein Reich for-
m a l e r V e r n u n f t : so m e i n t ein l o g i s c h e r O p t i m i s m u s , den n i e m a n d reiner g e s t a l t e t h a t als S p i n o z a .
W a s an den einzelnen
Punkten
d u n k e l u n d sinnlos s c h e i n t , d a h e r a u f r e g t u n d s c h m e r z t , d a s wird klar
und
v e r n ü n f t i g als
Glied
jener
Verkettung
betrachtet.
Der
Einzelne h a t sein e c h t e s W e s e n im Ganzen zu s u c h e n , seine Größe in der H i n g e b u n g der Besonderheit zu f i n d e n .
Dazu bedarf es einer
W e n d u n g v o n der S u b j e k t i v i t ä t der E m p f i n d u n g zur
Objektivität
der E r k e n n t n i s ; m i t ihrer A u f d e c k u n g der N o t w e n d i g k e i t
vertreibt
sie alle t r ü b e n A f f e k t e , u n d v e r s ö h n t sie mit der W i r k l i c h k e i t ; die K r a f t u n d F r e u d e des w e l t u m s p a n n e n d e n D e n k e n s ü b e r w i e g t w e i t a u s den S c h m e r z , den der Z u s t a n d des abgelösten, doch n u r s c h e i n b a r selbständigen
Einzelwesens bereiten
E u c k e n , Kampf.
III. Aufl.
mag. 14
210
D e r K a m p f um d i e W e l t m a c h t d e s G e i s t e s l e b e n s Die W e l t ist die b e s t e W e l t als ein u n a b l ä s s i g , u n d zwar d u r c h
eigne K r a f t f o r t s c h r e i t e n d e r P r o z e ß , als ein S y s t e m d e r w i c k l u n g : so ist die Ü b e r z e u g u n g eines d y n a m i s c h e n
Kraftent-
Optimismus,
der v o n allen F o r m e n des H a u p t g e d a n k e n s u n s e r e r Zeit a m n ä c h s t e n liegt.
W a s f o r t s c h r e i t e n soll, k a n n n i c h t f e r t i g g e g e b e n sein, es m u ß
e r s t die
H ö h e e r k l i m m e n ; soll f e r n e r die B e w e g u n g e r s t a r k e n ,
so
m u ß sie W i d e r s t ä n d e f i n d e n u n d b r e c h e n ; auch die H e m m u n g wird hier n ü t z l i c h u n d w e r t v o l l , s o f e r n sie die K r a f t a n r e g t u n d ü b e r die bisherige
Leistung
einzelnen
Augenblicks verschwinden
hinaustreibt.
Die
und
Schmerzen
des
g e g e n ü b e r der
Sorgen
F r e u d e an
der
B e l e b u n g des g a n z e n W e s e n s u n d d e m V o r d r i n g e n a u s eigner K r a f t . Viel besser d ü n k t es K a m p f u n d N o t auf sich zu n e h m e n , a b e r zugleich sein L e b e n u n d
B e f i n d e n selbst zu b e r e i t e n , als sich v o n
h e r ein P a r a d i e s anweisen zu lassen. p o u r u n ê t r e actif,
cest-à-dire fertile en o b s t a c l e s
E n d l i c h h a t a u c h die r e l i g i ö s e sonderen Optimismus. lichen W a l t e n s .
draußen
Le m o n d e est ce qu'il doit être (Vauvenargues).
Weltanschauung
ihren
be-
Die W e l t ist die beste als d a s Reich des g ö t t -
Was uns Menschen
Leid d ü n k t , ist lediglich
ein
E r z i e h u n g s m i t t e l , es ist u n e n t b e h r l i c h zur V e r i n n e r l i c h u n g des L e b e n s ; so w i r k t es schließlich z u m G u t e n .
J a selbst die sittliche Schuld r e c h t -
f e r t i g t sich in dieser O r d n u n g (felix c u l p a ) , d a die E r l ö s u n g v o n ihr eine g r ö ß e r e Tiefe d e r g ö t t l i c h e n eine g r ö ß e r e
Liebe u n d G n a d e o f f e n b a r t , auch
Innigkeit m e n s c h l i c h e n
Glaubens und Vertrauens
her-
s t e l l t , als o h n e d a s möglich w ä r e . So die
Haupttypen
des O p t i m i s m u s .
Sie einzeln zu
erörtern,
g e h ö r t n i c h t h i e r h e r ; auch zeigen sie d e u t l i c h g e n u g g e m e i n s a m e Züge, die f ü r ein G e s a m t u r t e i l g e n ü g e n . — Alle A r t e n des O p t i m i s m u s sind weit
mehr
beflissen, Möglichkeiten
zu
entwerfen
und
auszumalen
als ihre W i r k l i c h k e i t d a r z u t u n ; sie n e h m e n d e n Nachweis, d a ß m a n c h m a l Böses G u t e s e r z e u g t , a l s - e i n e n g e n ü g e n d e n Beweis d a f ü r , d a ß es d a s d u r c h g ä n g i g t u t ,
und
d a ß alle s c h e i n b a r e U n v e r n u n f t sich
schließlich in V e r n u n f t a u f l ö s t . D a z u sind a b e r die Verwicklungen zu. s c h w e r u n d die E r s c h ü t t e r u n g e n zu tief, als d a ß ihnen g e g e n ü b e r bloße Möglichkeiten, unsichere A n w e i s u n g e n , v a g e H o f f n u n g e n k ö n n t e n , es bedarf hier einer a u g e n s c h e i n l i c h e n u n d
ausreichen
unbestreitbaren
T a t s ä c h l i c h k e i t , eine solche a b e r zeigt d e r O p t i m i s m u s u n s n i c h t . — F e r n e r b e h a n d e l t er in allen seinen A r t e n d e n Menschen als e'n vorwiegend b e t r a c h t e n d e s W e s e n ; Bereich
n u r ein solches k a n n sich ü b e r den
des K o n f l i k t e s h i n a u s s c h w i n g e n
und
das harte und
wilde
Die W e g d e u t u n g des Bösen
211
Weltgetriebe in ein angenehmes Schauspiel verwandeln oder auch mit erbaulicher Stimmung begleiten; die Forderung eines wesenbildenden Lebens läßt aber eine solche Flucht zur bloßen Betrachtung als eine Verflachung und Verflüchtigung des Lebensprozesses erscheinen. — Alle jene Formen behandeln das Böse als einen nur gelegentlichen Anhang, n u r so verstanden kann es in sicherer Überwindung begriffen d ü n k e n . H a t sich uns dagegen gezeigt, d a ß die H e m m u n g auch den tiefsten Grund betrifft, d a ß die allgemeinen Bedingungen des Lebens voller U n v e r n u n f t sind, und d a ß die Vernunft sich selbst bis zu schroffen Gegensätzen entzweit, so m u ß die Betrachtung vom Ganzen her den Druck des Bösen eher steigern als m i n d e r n ; jedenfalls hebt sie das Böse nicht auf. Eine Kritik des Optimismus kann leicht zeigen, d a ß er die Herrschaft der Vernunft weniger erweist als voraussetzt, d a n n alle K r a f t und Mühe einsetzt, das Dasein möglichst dem vorgefaßten Bilde anzupassen, damit aber leicht seine wahren Probleme a b s t u m p f t und seine Spannung verringert. Das gilt besonders von dem Unternehmen einer Theodizee, das mit seiner Verquickung von Philosophie und Religion leicht den wahren Interessen sowohl der Philosophie als der Religion widerspricht. Denn Sache der Philosophie ist es keineswegs, das Weltall möglichst a n n e h m b a r darzustellen, alles Unbequeme und Dunkle hingegen aus den Augen zu r ü c k e n ; wo aber die Religion eine Macht ward, da empfindet der Mensch viel zu s t a r k unversöhnliche Gegensätze, als d a ß er auf ihre Abschwachung ausgehen könnte, da f ü h l t er sich viel zu schwach, um es wagen zu dürfen, den Anwalt der Gottheit zu spielen (causam dei agere). F ü r w a h r , wer eine so künstliche Beweisführung gelten läßt, wie die Vorkämpfer der Theodizee sie verwenden, der kann ohne Mühe die Sache u m kehren und eine Satanodizee entwerfen, der k a n n guten Muts den Beweis antreten, d a ß alle Vernunft zur U n v e r n u n f t wirkte, und d a ß alle Entwicklung von Gutem das Böse gesteigert h a t . Solche Abweisung des Optimismus lasse nicht seine Verdienste vergessen. D a ß er das Problem des Glückes vom ersten Eindruck ablöst, d a ß er die Gedankenarbeit a u f r u f t und eine Würdigung aus dem Ganzen verlangt, das eröffnet, namentlich in der Verzweigung der näheren Ausführung, neue Aussichten und ergibt neue Angriffsp u n k t e , die deshalb keineswegs u n f r u c h t b a r sind, weil sie zur Lösung der H a u p t a u f g a b e nicht genügen. Vornehmlich aber zieht der Optimismus daraus immer wieder neue K r a f t , d a ß er mit besonderem 14*
212
Der K a m p f um d i e W e l t m a c h t d e s G e i s t e s l e b e n s
Eifer eine W a h r h e i t verficht, die wir alle nicht aufgeben können und dürfen. Das ist die Überzeugung von dem W a l t e n einer Macht des Guten im tiefsten Grunde der Dinge. Ohne eine solche Überzeugung könnte der Mensch weder Mut noch K r a f t zum Wirken und Schaffen finden, ohne diesen Anker würde sein Leben haltlos hin und her geworfen. Aber was diese Idee an Recht enthält, das gerät ins Unrecht, wenn der letzthin gehoffte, nur mit Einsetzung aller K r a f t und unter eingreifender W a n d l u n g des Weltbildes erreichbare Abschluß als unmittelbar vorhanden oder doch naheliegend behandelt wird. D a r u m müssen wir uns gegen jene Philosophie der Bequemlichkeit verwahren, deren Schönfärberei die W a h r h e i t schädigt, und deren Verwandlung des Menschen in einen bloßen Zuschauer des großen W e l t k a m p f s die Spannung des Lebens mindert.
b. Die Zurückdrängung des Bösen. So mißlingt der Versuch, das Böse völlig wegzudeuten. Aber vielleicht läßt es sich so weit zurückdrängen, d a ß es eine f r u c h t bare Lebensarbeit nicht h e m m t und die Freude am Guten nicht s t ö r t . Das ward in der T a t versucht, und zwar in der Weise, d a ß einzelne Gebiete, innerhalb derer ein reiner Sieg des Guten möglich schien, zum Kern des Ganzen, zur Seele des Lebens erhoben w u r d e n ; indem sich die Tätigkeit hierauf vornehmlich richtete, schien alles Böse nach außen verwiesen und in seiner Macht gebrochen. Hier kam nicht bloß die Betrachtung, sondern die Arbeit selbst in Frage, eigne Reiche sollten entstehen, die dem Guten einen sicheren Wohnsitz böten, das Böse aber von sich fernhielten. Das ist eine Weiterbildung, aber sie e n t h ä l t einen Parallelismus mit den Bestrebungen des Optimismus, seinen Weltbildern entsprechen eigentümliche Lebensrichtungen, die im Grundsatz geringere Ansprüche als jene machen, in der T a t aber fester wurzeln, mehr leisten und das Leben tiefer erregen, auch jenen kühnen Spekulationen eine festere Grundlage geben. Dem ästhetischen Optimismus entspricht die E r h e b u n g der K u n s t zur Seele des Lebens, die Flucht aus den Mühen und Sorgen des Alltags in das edle Reich des Schönen. Hier entwickelt die ewig jugendliche Phantasie, so scheint es, eine neue Welt, die keine Schwere des Stoffes kennt, da sie von den Dingen nur ihre reine Gestalt in sich a u f n i m m t ; hier überwindet ein frohes- Spiel der K r ä f t e allen D r u c k der Notwendigkeit; hier ist alles Rohe, Gemeine und D u n k l e ver-
Die Zurückdrängung des Bösen bannt.
213
Die T e i l n a h m e an dieser Welt h e b t den Menschen auf eine
Höhe, die d a s alltägliche Dasein als niedrig, ä u ß e r l i c h , gleichgültig erscheinen l ä ß t ; selbst was in diesem verletzt, m a g im Bilde F r e u d e bereiten. Sicherlich gibt solche Bewegung u n s e r e m Leben m e h r Frische u n d
Leichtigkeit, ohne diese Hilfe w ü r d e die
schwer auf u n s lasten, wäre u n s e r e m E m p f i n d e n alle
Freiheit,
Wirklichkeit Beweglichkeit
v e r s a g t , k ö n n t e u n s e r Leben auch bei großer Tiefe s t a r r und ungelenk werdent Aber an dieser Stelle g e h t die Frage nicht d a h i n , ob jenes S c h a f f e n vieles v e r m a g , s o n d e r n d a h i n , ob es u n s g a n z erfüllen u n d sicher ü b e r alles Leid h i n a u s h e b e n k a n n ; diese Frage a b e r läßt sich unmöglich bejahen.
Die K u n s t selbst e r s c h ö p f t sich n i c h t in j e n e F l u c h t z u m
Schönen, sie k ö n n t e leicht bis zur Flachheit sinken, wollte sie sich zu einem b e s o n d e r e n R e i c h abschließen.
Den ganzen und
inneren
Menschen bewegt u n d f ö r d e r t sie n u r , wenn sie d a s Leben mit allen seinen P r o b l e m e n in sich a u f n i m m t u n d sich auch den tiefsten Abg r ü n d e n von Zweifel u n d Schmerz n i c h t e n t z i e h t ; m a g sie dabei d u r c h ihre F o r m eine E r l e i c h t e r u n g bringen, die Sache selbst m a c h t
sie
n u r noch eindringlicher; sie m a g m i t ihrer eigentümlichen A r t eine Vergteistigung, eine innere L ä u t e r u n g der P r o b l e m e vollziehen, a b e r vergeistigen so
die
Kunst
heißt
nicht
Verwicklungen erstrecken,
und
mindern
des
Lebens
wenn
oder sich
gar
völlig
auch
in
jene W e n d u n g z u m
lösen. das
Wenn
Reich
Schönen
der nicht
einmal der K u n s t selbst g e n ü g t , so k a n n sie noch weniger die Seele des ganzen Lebens bilden u n d von allem Übel befreien. Ist der Menschheit ein K a m p f m i t der U n v e r n u n f t des Daseins auferlegt, so kann die F l u c h t zur Schönheit eine Flucht vor der W a h r h e i t w e r d e n .
Mag
d e m n a c h jenes Reich des abgelösten Schönen eine e r q u i c k e n d e Oase auf m ü h s a m e r W a n d e r s c h a f t bilden, unser s t ä n d i g e r W o h n s i t z k a n n sie n i c h t w e r d e n . Dem
logischen
Optimismus
wissenschaftlichen Arbeit,
entspricht
die
Emporhebung
der
die Überzeugung, j p ihrer u n e r m ü d -
lichen u n d f r u c h t b a r e n T ä t i g k e i t einen vollen S c h u t z gegen des Lebens Unbill zu f i n d e n . An die Stelle der Schönheit t r i t t hier die W a h r h e i t , W a h r h e i t im Sinne einer E r f a s s u n g der gegenständlichen keit.
Wirklich-
Diese anzueignen u n d in G e d a n k e n u m z u s e t z e n , wird zu einem
hohen Ziel; u m es zu erreichen oder doch ihm sich zu n ä h e r n ,
muß
der Mensch auf alles s u b j e k t i v e Meinen und Mögen verzichten u n d
214
D e r Kampf um d i e W e l t m a c h t d e s G e i s t e s l e b e n s
sich g a n z in die W e l t der G e g e n s t ä n d e v e r s e n k e n , auch in seinem Handeln
n u r der sachlichen
Notwendigkeit
folgen.
So
entspringt
eine t ü c h t i g e u n d emsige, das Leben bis in die einzelnen Augenblicke erfüllende A r b e i t u n d zugleich eine g r o ß e B e r u h i g u n g des G e m ü t e s , ein Schweigen
der A f f e k t e , die reine u n d selbstlose F o r s c h e r f r e u d e .
Diese Arbeit t r ä g t ihren Zwexk in sich s e l b s t ; was a u ß e r ihr liegt, s i n k t zur N e b e n s a c h e , wird zu einer bloßen Bedingung u n d U m g e b u n g , die den Frieden dieses Lebens n i c h t scheint s t ö r e n zu k ö n n e n . Auch hier ist der W e r t , ja die U n e n t b e h r l i c h k e i t der
Leistung
u n b e s t r e i t b a r , ein Verzicht auf d a s erweiternde, k l ä r e n d e , b e r u h i g e n d e W i r k e n der wissenschaftlichen A r b e i t w ä r e ein S c h a d e n und Verlust f ü r das g e s a m t e Leben.
Aber d a s b e s a g t n i c h t , d a ß sich in jenes
Gebiet alle. H o f f n u n g des Lebens r e t t e n k a n n , u n d d a ß sein Licht alles Dunkel austreibt. und
Die E r k e n n t n i s selbst erreicht ihre letzte
Tiefe
eine volle Gewißheit n i c h t in der bloßen B e f a s s u n g m i t G e g e n -
ständen.
D e n n d a m i t sich u n s der G e g e n s t a n d e r ö f f n e , d a m i t wir
ein inneres V e r h ä l t n i s zu ihm erlangen u n d d a d u r c h f ü r u n s e r W e s e n gewinnen, dazu m ü ß t e er die bloße Gegensätzlichkeit a b t u n u n d in ein u m f a s s e n d e s Ganzes des Lebens a u f g e n o m m e n , in ein Stück u n s e r e s Selbst v e r w a n d e l t w e r d e n ; so d r ä n g t es ü b e r alle Erfolge der bloßen F o r s c h u n g s a r b e i t mit N o t w e n d i g k e i t h i n a u s z u m P r o b l e m der W a h r heit des g a n z e n tiefsten G r u n d
Lebens, die W a h r h e i t in einer W a h r h e i t
der E r k e n n t n i s
des geistigen
muß
ihren
Schaffens suchen.
E n t z i e h t sich die W i s s e n s c h a f t diesen inneren Z u s a m m e n h ä n g e n , so k a n n sie bei allem Gewinn a n den Dingen geistig i m m e r m e h r ins Flache u n d
Leere g e r a t e n
und
statt
eines Erken.nens
ein
bloßes
K e n n e n , ein Feststellen u n d O r d n e n b i e t e n ; d a s A u f n e h m e n j e n e r Z u s a m m e n h ä n g e aber erweckt sofort alle P r o b l e m e wieder, v o n denen die F o r s c h u n g s a r b e i t Sorgen.
Wenn
befreien sollte, erweckt neu alle Zweifel u n d
aber jene A r b e i t
nicht
einmal
f ü r das
Erkennen
selbst a u s l a n g t , wieviel weniger k a n n sie unser ganzes Leben beseelen u n d von allem Leide befreien. Den
Idealen der K u n s t u n d der W i s s e n s c h a f t t r i t t d a s
Ideal
der g e s e l l s c h a f t l i c h e n A r b e i t gegenüber, d a s M ü h e n und S c h a f f e n f ü r die menschliche U m g e b u n g , das S t r e b e n , den g e m e i n s a m e n S t a n d , sei es durch W i r k e n im einzelnen, Ganzen
zu e r h ö h e n .
Dieses
sei es d u r c h U m w a n d l u n g e n des
Streben
O p t i m i s m u s der K r a f t e n t w i c k l u n g .
entspricht
am
meisten
dem
D e n n nirgends ist m a n des F o r t -
s c h r i t t s gewisser als hier, die Verwicklungen der W e l t p r o b l e m e stören
Die Z u r ü c k d r ä n g u n g des Bösen diese
Arbeit
nicht, sichere
215
A n g r i f f s p u n k t e f i n d e n sich
leicht,
F r u c h t b a r k e i t des W i r k e n s und sein unablässiges Vordringen a u ß e r Zweifel.
Hier wird
g e s c h w ä c h t , sondern sich
die
Bewegung
der Lebenstrieb
zu höchster nicht
auf
des Menschen n i c h t a b -
Kraft geweckt;
einzelne
die steht
hier
beschränkt
hervorragende
Individuen,
sondern sie ergreift alles „ w a s menschliches Angesicht t r ä g t " ,
ein
festerer Z u s a m m e n s c h l u ß der Menschheit erzeugt d a s Gefühl innerer V e r w a n d t s c h a f t und ein williges Schaffen aller f ü r alle.
Hier h a t
seinen Boden das Evangeliuni der sozialen A r b e i t ; so sehr scheinen wir in diese alles Grübeln und Sorgen versenken u n d vergessen zu k ö n n e n , d a ß wir keiner weiteren Ziele b e d ü r f e n .
Travaillons
sans
raisonner —, c'est le seul moyen de r e n d r e la vie s u p p o r t a b l e (Voltaire). Die B e d e u t u n g dieser gesellschaftlichen Arbeit ist n i c h t
leicht
zu ü b e r s c h ä t z e n , ihr erziehendes und stählendes, verbindendes abschleifendes W i r k e n ohne schweren Schaden n i c h t zu
und
entbehren.
Den E i n f l u ß der ä u ß e r e n Verhältnisse und E i n r i c h t u n g e n gering zu a c h t e n , die E r w e c k u n g u n d E n t f a l t u n g des Inneren d u r c h das Äußere zu v e r k e n n e n , das bleibe einem
blutleeren
Idealismus
überlassen,
der sich überlegen d ü n k t , weil er die Bedingungen des menschlichen Aufsteigens ignoriert. —
Aber es h a t die gesellschaftliche
Arbeit
solche B e d e u t u n g nicht in einer Abschließung gegen das Ganze geistigen Lebens, sondern n u r als seine Erscheinung u n d V e r k ö r p e r u n g ;
die
äußeren Verbesserungen ziehen innere Belebungen und Vertiefungen nach sich nicht durch eine mechanische K a u s a l i t ä t , sondern n u r bei Einfügung
in
Aufbietung
des
ein
tieferes
sofort alle Probleme u n d die
Wendung
Welche mit
zur
ursprünglicheres
Verwicklungen
gesellschaftlichen
Verkehrung
und
Beugung
unter
der
und
ganzen und inneren Menschen.
nur
wieder, d e n e n wir
Arbeit
innere Z e r s t ö r u n g ein
Leben,
zu
bei
D a s aber e r w e c k t entgehen
aber d a s
bloßgesellschaftliches
durch
hofften.
Geistesleben
Leben
erfährt,
d a v o n h a b e n wir uns schon ü b e r z e u g t ; das Befinden der Gesellschaft z u m letzten Selbstzweck m a c h e n , das heißt alles ursprüngliche Schaffen verleugnen
und
das
Leben
innerlich
verengen.
„Alles,
auch
das
E r h a b e n s t e , verkleinert sich u n t e r den H ä n d e n der Menschen, wenn sie die Idee desselben zu ihrem Gebrauch v e r w e n d e n " ( K a n t ) .
Der
E i n l a d u n g aber, z u a r b e i t e n ohne zu räsonnieren, sei e n t g e g e n g e h a l t e n , d a ß wir geistig nicht arbeiten k ö n n e n ohne zu d e n k e n u n d Oberzeugungen
auszubilden,
d a ß .also jenes
löhnern machen w ü r d e .
Geheiß u n s zu bloßen
Tage-
216
Der Kampf um die W e l t m a c h t des
Geisteslebens
Endlich erhebt mit besonderem Nachdruck die R e l i g i o n den Anspruch, die Seele des Lebens zu bilden und den Menschen gegen alle Not des Lebens zu schützen; sie bricht mit d e m , u n m i t t e l b a r e n Dasein ebenso entschieden wie die soziale Lebensführung den Menschen daran kettet. Eine vom übrigen Leben abgelöste Religion bietet dem Menschen als Zuflucht eine unsichtbare Ordnung der Dinge, eine jenseitige Welt, die ihm in Glauben und H o f f n u n g zur Gegenwart wird und ihn allen Sorgen des Daseins entrücken soll, ihm eine überschwängliche Seligkeit vorhält. Das übrige Leben weicht dann in weite Ferne zurück und erhält eine t r a u m h a f t e A r t ; mag das Leben der Religion auch dorthin ein hilfreiches Wirken erstrecken, es t u t das nur nebenbei und in Hinblick auf jene übersinnliche'Ordnung. Diese Wendung verspricht eine große Befreiung und Verinnerlichung des Lebens: „ I n dieser Region des Geistes strömen die Lethefluten, aus denen Psyche t r i n k t , worin sie allen Schmerz versenkt, alle H ä r t e n , Dunkelheiten der Zeit zu einem Traumbild gestaltet und zum Lichtglanz des Ewigen v e r k l ä r t " (Hegel). Wie notwendig und wie umwälzend die Einfügung der nächsten Welt in eine wesenhaftere und ursprünglichere Ordnung ist, das wird uns weiter zu beschäftigen h a b e n . Aber hier s t e h t in Frage, ob die Religion, abgelöst und dem übrigen Dasein entgegengehalten, alles zum Guten wenden k a n n , u n d das ist schwerlich zu b e j a h e n . Denn die Religion k a n n sich in solcher Ablösung nicht befestigen, ohne alles andere Leben als nebensächlich u n d geringwertig zu behandeln, die Spannung des Ganzen zu verringern, die K r a f t des Antriebs zu schwächen. Das aber wird der Religion selbst zur Gefahr und zum Schaden. Denn sie schöpft ihre Stärke zum guten Teil aus dem Gegensatz; es sind die Erfahrungen, Leiden, Schranken des Lebens, welche einen Bruch mit dem nächsten Dasein erzwingen und eine neue Welt verlangen lassen, die das echte Selbst zu retten vermag. Jene E r f a h r u n g e n aber können nur eindringlich wirken, jene Leiden und Schranken nur als eigne e m p f u n d e n werden, solange der gesamte Lebensprozeß von uns kräftig aufgenommen u n d mit ganzer Hingebung geführt wird. Mit einem Verzicht darauf sinkt auch die Energie der Gegenwirkung, die Religion droht in der E n t f r e m d u n g starr und formelhaft zu werden, jenes Leben und Weben des Gemütes nicht in den Kern des Lebens zu greifen, sondern das übrige Leben n u r wie eine Z u t a t , eine tgachtlose Stimmung zu begleiten. J a es bringt solche Absonderung und Erstarrung selbst die
D e r V e r z i c h t auf e i n e s e l b s t ä n d i g e G e i s t e s w e l t
217
Gefahr, d a ß die Religion, s t a t t die Selbstsucht des Menschen zu brecheil und seine bösen Triebe zu überwinden, sie in ihr eignes Gebiet eindringen und dort üppig aufwuchern l ä ß t ; nicht minder auch die Gefahr, daß sie nicht eine innere Umwandlung unserer Gedankenwelt vollzieht, sondern nur die vorhandene Welt mit all ihrer Äußerlichkeit und Zeitlichkeit über dies Dasein hinaus in ein Jenseits verpflanzt; so kann die Isolierung leicht sie ihren Hauptzwecken untreu machen. Auch hat eine bloß religiöse Lebensführung besondere Not, ihre Wahrheit und Wirklichkeit zu erweisen. Denn leicht ist sie nach Aufhebung aller Verbindung mit der übrigen Geistesarbeit als ein bloßes Gewebe subjektiver Wünsche und Hoffnungen anzufechten, die lediglich ausmalen, was des Menschen Herz begehrt, zu leicht hinwegeilen über die Frage ihrer Tatsächlichkeit. Wenn aber, wie unvermeidlich, der Zweifel daran erwacht, wird d a n n nicht alle Wirkung gelähmt, werden nicht die Kämpfe und Sorgen nur noch gesteigert? Wie kann uns befestigen, was selbst Sicherheit erst zu suchen h a t ? So müssen alle einzelnen Gebiete dieselbe E r f a h r u n g machen. Sie alle besitzen ein eigentümliches W e r k und sind mit ihrer Leistung, jedes in seiner Weise, dem Menschen unentbehrlich. Aber sie alle geraten u n t e r dasselbe Dilemma. Sondern sie sich ab und geben sie ihren Eigenbesitz als das Ganze, so verlieren sie den belebenden Geist, so verfallen sie einer Verflachung und können alsdann unmöglich die Seele des Lebens bilden. Wollen sie hingegen die K r a f t und die Tiefe ihrer Arbeit behaupten, so müssen sie den Z u s a m m e n h a n g mit dem Gesamtleben wahren, zugleich aber auch seine Probleme teilen. Das aber wirft in alle Verwicklungen zurück, von denen die Wendung zu einem besonderen Gebiet befreien sollte.
c. Der Verzicht auf eine selbständige Geisteswelt. Das Mißlingen aller Versuche, den Sieg des Guten zu sichern, treibt notwendig das Streben in die gerade entgegengesetzte Bahn. Der Mißerfolg scheint deutlich zu zeigen, d a ß das Verlangen nach einer vermeintlich höheren Welt nicht zu befriedigen ist, und zugleich zu erweisen, d a ß jenes Unternehmen nicht aus einer sachlichen Notwendigkeit hervorgeht, sondern dem bloßen Wunsch des Menschen seinen Ursprung verdankt. Nach solcher Aufklärung gebietet, so scheint es, die Pflicht der Wahrheit, das Ganze als eine schädliche
218
D e r K a m p f um d i e W e l t m a c h t d e s G e i s t e s l e b e n s
Einbildung aufzugeben, auf ein selbständiges Geistesleben ein f ü r allemal zu verzichten und uns auf das Gebiet des natürlichen Daseins zurückzuziehen, wo unser Recht unbestritten ist, und wo unsere K r ä f t e den Aufgaben genügen. So erhebt sich von neuem der Naturalismus, der uns schon anfänglich beschäftigte, aber er h a t gegen den Anfang sich nicht wenig v e r ä n d e r t . Das Nein, das er jetzt bekennt und gern hervorkehrt, m a c h t ihn bewußter und kritischer, zu einer H a u p t a u f g a b e wird ihm jetzt die Abweisung alles Weiterstrebens; der unausgesetzte Kampf aber zeigt auch gegen den eignen Willen einen Zug der Entsagung, eine A n n ä h e r u n g an eine pessimistische Stimmung. Zunächst freilich hält er dagegen Stand und sucht eine Beruhigung bei dem Einstellen alles vergeblichen Suchens und der um so kräftigeren Bearbeitung des uns von Haus aus zukommenden Feldes. K ö n n t e er dabei nur völlig vergessen lassen, was der Mensch inzwischen getan und erfahren h a t ! Aber d a f ü r h a t die Bewegung zur Geistigkeit zu mächtig unser Leben gepackt, zu tief unser ganzes Wesen aufgewühlt, zu viel in Fluß gebracht, als d a ß sie ohne einen peinlichen Zwiespalt und eine L ä h m u n g aller S p a n n k r a f t sich einstellen ließe. Denn mögen die neuen Aufgaben nicht gelöst, die Fragen nicht b e a n t w o r t e t sein, auch als Fragen und Aufgaben sind sie Tatsachen und M ä c h t e ; schon d a ß sie gestellt werden konnten, erweist eine eigentümliche Größe des Menschen; was ferner das Mühen um sie an K r ä f t e n geweckt h a t , das kann nicht auf ein Gebot des U n m u t s einfach wieder verschwinden; was jenes Streben an Zielen und Maßen enthält, das wirkt auch gegen unseren Willen fort. Wäre ein Verzicht auf alles das ü b e r h a u p t möglich, so könnte jedenfalls der Mensch sich nicht wohl dabei befinden. Auch unser Verhältnis zum natürlichen Dasein haben jene inneren W a n d l u n g e n verschoben. Was dort an Schranken vorliegt, das wird n u n unablässig e m p f u n d e n und wird d a m i t zu einengendem D r u c k ; was sich aber erreichen läßt, das ist f ü r den durch so schwere E r s c h ü t t e r u n g e n geläuterten und vertieften Menschen völlig unzulänglich geworden. So ist an dieser Stelle unmöglich Halt zu gebieten; augenscheinlich stellt die Preisgebung der Geisteswelt uns auf eine schiefe Ebene, auf der wir notwendig weiter und weiter hinabgleiten müssen bis zum Nullpunkt völliger Entsagung, bis zur Ergebung an einen alles verneinenden Pessimismus.
D i e P h i l o s o p h i e der E n t s a g u n g
219
d. Die Philosophie der Entsagung. Den m a n n i g f a c h e n F o r m e n des Pessimismus, d e r e n Unterschiede u n s hier n i c h t zu k ü m m e r n b r a u c h e n , ist die Ü b e r z e u g u n g g e m e i n s a m , d a ß in unserer Welt die V e r n u n f t der U n v e r n u n f t unterlegen sei, d a ß sie n i c h t einmal eine volle W i r k l i c h k e i t besitze, sondern sich bei g e n a u e r e r P r ü f u n g als einen bloßen Schein erweise; die
praktische
Folgerung d a r a u s bildet der R a t , alles M ü h e n u m eine V e r b e s s e r u n g des Daseins als aussichtslos einzustellen. m e h r noch als alle H e m m u n g e n
und
Zu solchem E r g e b n i s d r ä n g t Leiden die E m p f i n d u n g
der
Nichtigkeit unseres Daseins u n d der Leere des Glückes, das eine reife, aber g r o ß e r Ziele u n d
innerer Z u s a m m e n h ä n g e e n t b e h r e n d e
Kultur
zu bieten p f l e g t ; hier f i n d e t der Pessimismus einen weit g ü n s t i g e r e n Boden als in Zeiten, wo Leid und Not den Menschen b e d r ä n g e n und seine K r a f t a n s p o r n e n . Die W e n d u n g z u m Pessimismus verhilft aber n e u e n S t i m m u n g e n zum
Ausdruck
und
verwandelt
Gegenteil der f r ü h e r e n A r t .
die
Lebensweisheit
in das
gerade
Hier gilt ein völliger u n d williger Ver-
zicht als die Höhe der Lebensweisheit.
Zwingt das Leben u n s u n a b -
lässig zur E n t s a g u n g im einzelnen, so d ü n k t es eine eigentümliche Größe, d a s ins Ganze zu fassen u n d zur eignen T a t zu m a c h e n ; die N o t w e n d i g k e i t v e r w a n d e l t sich d a m i t in Freiheit, und die gemeine Glücks- u n d Lebensgier weicht mit jenem Verzicht einer D e n k a r t , die sich als v o r n e h m e r f ü h l e n d a r f .
J a der Verzicht erscheint zugleich als
der Weg z u m echten Glück, indem er von der H a s t u n d A u f r e g u n g , von den Mühen und Sorgen des D u r c h s c h n i t t s l e b e n s ein f ü r allemal b e f r e i t ; das D u r c h s c h a u e n der Nichtigkeit unserer W e l t v e r h e i ß t dem Menschen eine sichere Überlegenheit, eine u n e r s c h ü t t e r l i c h e R u h e , einen seelischen Frieden.
S t a t t m i t dem O p t i m i s m u s überall eine verborgene
Ver-
n u n f t a u f z u s t ö b e r n , erhält die Philosophie n u n die A u f g a b e , die i m m e r von neuem aufsteigenden die Nichtigkeit
Illusionen bis z u m G r u n d e zu zerstören u n d
des Ganzen gegen alle sich e t w a einschmeichelnden
Eindrücke festzuhalten. Mit
solcher
Grundstimmung
m i s m u s in m a n c h e m v o r a u s .
ist
der
Pessimismus
dem
Opti-
E r g e s t a t t e t d e m Menschen ein offenes
Aussprechen und volles Ausklingenlassen des Leides, er m a g d a m i t gegenüber einer U n t e r d r ü c k u n g u n d k ü n s t l i c h e n W e g d e u t u n g wie eine W o h l t a t u n d Befreiung w i r k e n ; er g e h t g e n a u e r auf die menschliche Lage u n d ihre E r f a h r u n g e n ein, er läßt den u n m i t t e l b a r e n
Eindruck
320
Der Kampf um die W e l t m a c h t des
Geisteslebens
der Dinge ungebrochen auf uns wirken. Vornehmlich aber ist ein Bruch mit der nächsten Welt und der landläufigen W e r t u n g der Dinge, ein Durchschauen der Flüchtigkeit und Nichtigkeit aller dort erreichbaren Erfolge, ein Z u r ü c k t r e t e n dieser ganzen Sphäre f ü r die große W e n d u n g des Lebens, für die geistige Wiedergeburt schlechterdings unentbehrlich; ohne sie kann geistiges Leben für uns keine W a h r h e i t erlangen. Ein Leben, das nicht diese E r s c h ü t t e r u n g d u r c h m a c h t und auch immerfort erneuert, unterliegt der Gefahr einer Verflachung und V e r k ü m m e r u n g ; eine Bejahung des Willens zum Leben ohne eine entschiedene Verneinung rinnt unvermeidlich mit gemeiner Lebensgier und enger Selbstsucht z u s a m m e n ; ohne wahrhaftige, nicht bloß scheinbare Opfer gibt es keine innere E r h ö h u n g , kein Beisichselbstsein des Lebens. Aber das vollauf anerkennen und die Verneinung als ein H a u p t stück des Lebens verstehen, heißt noch nicht den Pessimismus als die Lösung des Problems und der Weisheit Schluß e r a c h t e n . Zur P r ü f u n g seines Anspruchs darauf gilt es ihn möglichst rein zu fassen, nicht in der Abschwächung und Vermengung, die er gewöhnlich zeigt, selbst auf indischem Boden. 'Ein solcher milderer Pessimismus verwirft nicht alles Bestehende, sondern nur diese besondere Art, nur diese unsere Welt, er läßt ihr gegenüber im Denken und Glauben eine neue Welt entstehen, eine Welt, die sich unserem Dasein gegenüber als bloße Verneinung ausnehmen mag, die aber in sich selbst irgendwelche Bejahung t r ä g t . Solche Anerkennung eines tieferen Grundes hebt aber auch die nächste Welt. Sie kann nicht d u r c h a u s nichtig und verwerflich sein, wenn sie das höhere, wahrhaftige Leben in ihren Gesichtskreis ziehen und in Mitleid und Aufopferung, in Friedfertigkeit und Entsagung einen Weg zu ihm finden, ja ihm eine innere Gegenwart geben kann. Die Verneinung selbst erhöht dann ihren Wert und arbeitet der eignen Absicht entgegen, wenn sip das Denken und Sinnen jenem neuen Leben zulenkt und das Streben darauf richtet. So ist bei diesem Lebenstypus der Verzicht kein völliger, der Gegensatz von Gut und Böse wird nicht durch eine Preisgebung des Guten gelöst, sondern noch weiter gesteigert. Eine völlig einfache Lösung bietet nur der absolute Pessimismus mit seiner Verneinung aller Vernunft, seinem Abschneiden aller Ausflucht. Hier gibt es gar nichts Wertvolles, alle vermeintliche Weisheit und Einsicht, alles Gute und Edle verschwindet als Lug und Trug, und es bleibt nach dem Einsturz aller Ideale nur eine
D i e P h i l o s o p h i e der E n t s a g u n g
221
große Leere, nur die Ruhe des Grabes. Die Bewegung des menschlichen Lebenskreises zur Geistigkeit m u ß hier mit allem, was sie an eigentümlichen Größen und Gütern aufbringt, als eine gänzliche Verirrung erscheinen, die an der H ä r t e der E r f a h r u n g zusammenbricht. Sofern hier ü b e r h a u p t eine Lebensweisheit möglich ist, k a n n sie nur die Einstellung alles Strebens, die A b s t u m p f u n g gegen Lust und Unlust, eine Ablösung von allen Zusammenhängen empfehlen. Alle Liebe ist hier nicht mehr als eine Täuschung und eine Verstrickung in Leid. Daher die indische M a h n u n g : „ W e r Liebe empfindet, der kennt auch F u r c h t ; die Liebe ist das Gefäß des Leidens, in der Liebe wurzeln die Leiden; wer nicht leiden will, m u ß der Liebe e n t s a g e n . " Solche Stimmungen gehen in breiten Wogen durch die Menschheit und beherrschen zeitweilig die Überzeugung. Aber zu einem Lebensganzen können sie sich nicht verdichten, ohne d a ß schroffe Widersprüche in ihnen ersichtlich werden und ein tieferes Wesen des Menschen sich gegen solche Selbstvernichtung a u f b ä u m t . — Einen Widerspruch bildet es zunächst, die Schwere des Leidens, die Schmerzlichkeit des Verlustes hervorzukehren und darüber zu vergessen, d a ß Leid und Verlust, namentlich als innere Erlebnisse, immer auf Güter zurückweisen, ja d a ß sie mit der Tiefe ihrer E m p f i n d u n g die Größe dieser Güter, wenn auch indirekt, bezeugen. H ä t t e das Leben nicht einen gehaltvollen Kern, so könnte das Leid n u n und n i m m e r so gewaltig werden. Denn es ist ein Unding, den Verlust von etwas schwer zu nehmen, dessen Besitz nicht das Mindeste wert w a r ; bestehen keine Güter, so kann auch die E n t b e h r u n g kein Übel sein. So gewiß das Böse mehr als eine H e m m u n g und Minderung des Guten bedeutet, so gewiß es in Leid und Bosheit eine Selbständigkeit erlangt, immer verrät es ein, wenn-auch weiter zurückliegendes und zunächst verborgenes Gutes. Die Höhe des körperlichen und geistigen Schmerzes wächst mit der Feinheit der Organisation; es gäbe keine Schuld ohne eine Freiheit des Handelns und eine sittliche Verantwortlichkeit; eine Schranke k a n n zur Einengung n u r werden, wenn von innen her eine Bewegung über sie hinaustreibt. Freilich pflegt der Verlust s t ä r k e r e m p f u n d e n zu werden als der Besitz, und o f t läßt erst er den Wert des früheren Besitzes ermessen; das Leid wäre daher in entschiedenem Übergewicht, ginge der Mensch in die E m p f i n d u n g gänzlich auf. Aber d a ß er das nicht t u t oder doch nicht zu t u n b r a u c h t , das haben schon die vorangehenden E r -
222
D e r Kampf um d i e W e l t m a c h t d e s G e i s t e s l e b e n s
ö r t e r u n g e n gezeigt; wir s a h e n , d a ß uns eine W e n d u n g zur Tätigkeit u n d d a m i t eine U m k e h r u n g des Lebens o f f e n s t e h t ; von da aus e r h e b t sich gegen den Pessimismus der Vorwurf, d a ß er den Menschen auf der niederen Stufe f e s t h ä l t u n d auch das geistige Leben an die E m p findung
schmiedet,
statt
es
zu
mannhafter
Selbsttätigkeit,
E r w e c k u n g s c h a f f e n d e r K r ä f t e , zu einem m u t v o l l e n der W i r k l i c h k e i t a n z u s p o r n e n .
zu
Aufsichnehmen
J e m e h r die T ä t i g k e i t sich in sich
selbst befestigt, desto m e h r k a n n sie auch d e m Leid einen W e r t abgewinnen, desto m e h r in ihm n i c h t bloß eine H e m m u n g , sondern auch eine Freilegung des G u t e n erblicken u n d erleben.
In diesem
h a b e n o f t christliche D e n k e r d a s „Selig sind die d a Leid verstanden. Nyssa
So h a t in der alten Kirche n a m e n t l i c h
geltend
gemacht,
daß
Gregor
von
das Leid u n m i t t e l b a r eine Seligkeit
e n t h a l t e , indem erst der Schmerz die Tiefe des G u t e n kennen
Sinne
tragen"
vollauf
er-
lasse.
D e r Pessimismus s c h r o f f e r G e s t a l t u n g m a g solche
Erwägungen
verwerfen u n d sich auf d e n S t a n d p u n k t völliger V e r n e i n u n g stellen. Aber v e r m a g er sich auf ihm zu h a l t e n o h n e einer inneren E r f a h r u n g des Menschen, ja d e m K e r n seines Wesens zu w i d e r s p r e c h e n ?
Gerade
die E r h e b u n g der V e r n e i n u n g ins Ganze, g e r a d e der Versuch, aller V e r n u n f t zu e n t s a g e n , l ä ß t die Unmöglichkeit des Verzichtes deutlich e r k e n n e n u n d zeigt einleuchtend die U n v e r d r ä n g b a r k e i t des
Guten
aus der Wurzel unseres W e s e n s . Der Mensch k a n n wohl f ü r sich allein, er k a n n n i c h t f ü r das Ganze der Menschheit u n d der geistigen W e l t v e r z i c h t e n ; er k a n n sein s u b j e k t i v e s Glück, er k a n n n i c h t die Geistigkeit seines W e s e n s
im Stiche lassen.
Das Verlangen nach Leben u n d
Wesen ist n i c h t bloß p h y s i s c h e r , sondern auch m e t a p h y s i s c h e r
Art.
Es h a n d e l t sich, wie wir s a h e n , n i c h t bloß d a r u m , die Einzelexistenz im Nebeneinander
zu
behaupten
und
ihr » W o h l b e f i n d e n
zu
fördern,
s o n d e r n d a r u m , d a s G e s a m t l e b e n , d a s in u n s a u f s t r e b t , zu ergreifen u n d w e i t e r z u f ü h r e n , es sowohl als Ganzes an dieser Stelle zu beleben, als es hier eigentümlich zu g e s t a l t e n .
Das ist zugleich eine M i t a r b e i t
am Bau der W e l t e n u n d ein K a m p f u m die eigne Seele; d a s ganze Leben des Menschen stellt sich d a m i t als eine A u f g a b e d a r , die nicht sein
eigener
Wunsch,
sondern
eine
innere
Notwendigkeit
seines
geistigen Wesens, seine Zugehörigkeit zu einer u n s i c h t b a r e n O r d n u n g der Dinge ihm a u f e r l e g t ; in dieser Bewegung wird n i c h t die anfängliche, naturhafte
Art
des
Menschen
nur
weitergeführt und
bekräftigt,
sondern es erfolgt eine d u r c h g r e i f e n d e G e g e n w i r k u n g , schwere O p f e r
Die P h i l o s o p h i e der E n t s a g u n g
223
werden gefordert, eine völlige Umwandlung verlangt, das alles ein deutliches Zeichen d a f ü r , d a ß in jener Bewegung m e h r steckt als gemeines Glücksverlangen und menschliche Überhebung. In dieser Richtung h a t namentlich A u g u s t i n den Gedanken verfochten, d a ß gerade das Elend der nächsten Welt die feste Überzeugung gebe, diese Welt könne unmöglich die ganze Wirklichkeit sein. J e n e Tiefe aber aus dem Gemenge des ersten Befundes zu selbständigem Wirken hervorzutreiben, d a f ü r scheint f ü r uns Menschen die E r s c h ü t t e r u n g durch Not und Leid unentbehrlich, d a sie zuerst das Leben in einen Kampf um ein geistiges Wesen verwandelt. Mag das Feindliche die Welt zerstören, die zu Anfang das Denken und Sinnen einnimmt, die Bewegung verläuft nicht in das reine Nichts, sie treibt zu einer neuen W e l t ; das alte Ich mag vergehen, ein geistiges Selbst steigt d a f ü r empor, die Bedrängung des niederen Lebenstriebes m a c h t das Beharren eines höheren um so o f f e n b a r e r ; eben in der Entsagung leuchtet ein, d a ß der tjefste Zug des Lebens nicht mit dem Drängen nach selbstischem Glück zusammenfällt, d a ß eine Selbstbehauptung in vollem Gegensatz zu niedriger Lebensgier möglich ist, zugleich aber auch, d a ß sie nicht eine bloße P r i v a t angelegenheit des Menschen bedeutet, die man t u n oder lassen k a n n . Mit der Anerkennung dessen verschwindet nicht die Tatsächlichkeit, wohl aber die Vorherrschaft des Bösen; das Menschenwesen gewinnt eine innere Überlegenheit über die Sphäre der Verwicklung, aus allen H e m m u n g e n und Einbußen entsteht als Gewinn die w e l t u m s p a n n e n d e P e r s ö n l i c h k e i t ; indem sie immer von neuem eine Gegenwirkung gegen das Feindliche aufzunehmen und sich immer mehr in sich selbst zu vertiefen vermag, erschließt sie jenseits der Konflikte eine neue Welt, und m a c h t sie die alte Welt m e h r und mehr zu einer Außenwelt, zur bloßen Umgebung des Lebens. In dem Zweifel mit seiner peinigenden Ungewißheit, ob nicht all die unsägliche Mühe und Arbeit verloren sei, lag ein H a u p t a n t r i e b zum Pessimismus; er wird ihm durch nichts sicherer entwunden als durch das Leid selbst mit der Schwere seiner K ä m p f e und der Tiefe seiner W a n d lungen. Für Schein und T r a u m mag das Leben erklären, wer n u r an der Oberfläche h a f t e t und in ihrem Spiel nichts findet, was jene Mühe l o h n t ; seine Wesenhaftigkeit wird unangreifbar, sobald die ungeheuren Widerstände die letzte Tiefe bewegen u n d die K r ä f t e des Grundes beleben. Das alles liegt freilich jenseits des Bereichs der Beweise, jenseits
224
Der Kampf um die W e l t m a c h t des
Geisteslebens
aller bloßen Ableitung. Aber selbst bei der wissenschaftlichen Forschung k o m m t die Arbeit schließlich auf einen P u n k t , wo alle Beweise in eine Griyidbehauptung m ü n d e n ; um so weniger kann es Bedenken erregen, das Ganze des Lebens auf eine Tatsache ursprünglicher Art zu gründen, anzuerkennen, d a ß schließlich alle Probleme auf das eine Problem einer bejahenden oder verneinenden Stellung zum Leben und zur Wirklichkeit f ü h r e n . Dort ein Ergreifen der Aufgabe als einer eignen Angelegenheit und ein freudiges Eintreten in den Kampf mit aller seiner Verwicklung, hier ein Ablehnen der Mühen und ein fremdes Verhältnis zu den Dingen; dort Liebe, Glaube und Arbeit, hier Kälte, Unglaube und Vernünftelei; dort ein williges Aufsichnehmen des Leides, weil aus ihm Liebe hervorgehen k a n n , hier ein Verzicht auf die Liebe, um nur ja das Leid fernzuhalten. Da es kein Drittes, da es keine höhere Instanz gibt, vor der die Gegner ihren Streit ausfechten könnten, so stehen wir hier vor einem grundsätzlichen E n t w e d e r — Oder, vor einer einzigen wesenbegründenden und lebenbestimmenden T a t . Die Entscheidung liegt d a n n nicht mehr bei verstandesmäßigen Beweisen, sondern bei Zeugnissen des Geistes und der K r a f t . Diese aber sprechen nicht zugunsten des Pessimismus. D e n n gemäß seiner Art, die Bewegung des Lebens mehr von a u ß e n h e r wie etwas Fremde? zu betrachten als sie tätig als etwas eignes mitzumachen, bei dem vorgefundenen Bestände endgültig abzuschließen, s t a t t sich eingreifenden Wandlungen und Erhöhungen offenzuhalten, k a n n er nichts fördern u n d weckeij, m u ß er alle Liebe h e m m e n ; da diese gehaltvolle Werte voraussetzt und diese Werte unermeßlich steigert, m u ß er überall lähmend, niederdrückend, ertötend wirken. Wo es als Kern der Lebensweisheit gilt, die Spannung herabzumindern, den Menschen und seine ganze Welt als gleichgültig zu behandeln, da kann nichts Großes keimen und reifen. Denn große Leistungen sind immer nur daraus hervorgegangen, d a ß Glaube und Vertrauen Unmögliches als möglich n a h m und durch schaffende Tat zur Wirklichkeit f ü h r t e ; während da, wo ein Unglaube des Wesens ein Aufquellen neuen Lebens h e m m t , alle Regung ins Kleine und Flache v e r l ä u f t . So h a t bekanntlich G o e t h e in dem Kampf zwischen Glauben und Unglauben das H a u p t t h e m a der Weltgeschichte gefunden. W e n n also der Mensch mit allem, was er h a t und ist, den feindlichen Mächten unterliegt, so h a t ihn nicht ein unabwendbares Schicksal dazu 'verd a m m t , sondern er selbst h a t sich v e r d a m m t , indem er nicht den Mut reinen Lebens f a n d .
Die P h i l o s o p h i e der E n t s a g u n g
225
Was immer daher jene Philosophie der E n t s a g u n g mit ihrer Schärfung des Nein bedeuten mag, das k a n n n u r so weit zur Förderung wirken, als das Nein ein J a vorbereitet und ihm d i e n t ; der Pessimismus h a t ein gutes Recht nur als Stück oder Stufe einer weiteren Überzeugung, einer Bewegung, die über ihn h i n a u s f ü h r t . Wie die völlige Verneinung das Leben verflacht und verflüchtigt, so m a c h t sie uns auch wehrlos gegen die Abarten eines echten Pessimismus, die der J a h r m a r k t der Durchschnittskultur in reicher Fülle v e r t r e i b t . Hier gewahren wir einen professionellen und deklamatorischen Pessimismus, der das Problem des Wertes unseres Daseins wie eine Schulthese mit Lust und Behagen verhandelt, seinen Witz und Scharfsinn daran ü b t und die ganze K u n s t seiner Rhetorik d a f ü r einsetzt, die Leiden des Daseins möglichst grell auszumalen; wir gewahren ferner einen Pessimismus der Eitelkeit, bei dem die Aufweisung der Torheit und Schlechtigkeit anderer vornehmlich die Überlegenheit des eignen Urteils und des eignen Geschmacks ins Licht stellen möchte, der daher aller Nichtigkeit gegenüber wenigstens den Trost der Vortrefflichkeit des Beobachters selber h a t ; wir gewahren endlich einen verbissenen und verärgerten Pessimismus, der hinter allem Großen Kleines, hinter allem Edlen Gemeines wittert, es schadenfroh aufstöbert und dem Menschen überall die Freude am Guten und Schönen vergällen möchte. Das sind freilich pathologische Erscheinungen, mit denen der echte Pessimismus nichts zu t u n h a t . Aber wie er sie mit seinen Mitteln überwinden will, ist nicht zu ersehen; auch zeigen sie deutlich, d a ß die Verneinung des Lebens einer Verzerrung durch menschliche Kleinheit nicht minder ausgesetzt ist als die Bejahung, d a ß der Pessimimus ebenso flach werden kann als der Optimismus.
So f ü h r t uns weder der eine noch der andere Weg aus der schweren Verwicklung heraus. Wohl widerlegen der Optimismus und der Pessimismus einander gegenseitig, nicht aber k a n n einer von ihnen den anderen gänzlich verdrängen und allein sich selber b e h a u p t e n ; jeder h a t nur so lange Recht als er angreift; er gerät ins Unrecht, sobald er sich des Gegners erwehrt. J a es kann keine Richtung allein gelten wollen, ohne d a ß das Leben erstarrt und verflacht; n u r der Gegensatz scheint es wach zu halten. — Wie aTjer unser Leben den Gegensatz umspannen und den Widerspruch überwinden könne, das ist bis jetzt noch nicht aufgehellt; was hier und da an Aussicht darauf Eucken,
Kampf.
III. A u f l .
15
226
D e r Kampf um die W e l t m a c h t des G e i s t e s l e b e n s
erschien, das m ü ß t e viel weiter verfolgt u n d viel festeren Z u s a m m e n hängen eingefügt werden, um
ü b e r d e n Zwiespalt
hinauszuführen.
So wie sich die Sache bis j e t z t a u s n i m m t , bleibt die Lage u n g e k l ä r t u n d das Leben bei sich selbst g e s p a l t e n .
Der V e r n u n f t gibt es zu viel,
als d a ß wir völlig verzichten, der U n v e r n u n f t zu viel, als d a ß wir f r e u d i g b e j a h e n k ö n n t e n ; eine Tiefe d e r Dinge w u r d e
ersichtlich,
a b e r zur vollen W i r k l i c h k e i t k a m sie n i c h t ; die Geisteswelt m i t ihren G ü t e r n will n i c h t v e r s c h w i n d e n , aber f ü r u n s Menschen b e h ä l t sie eine s c h a t t e n h a f t e A r t ; so k a n n sie d a s Feindliche von d e m den
sie selbst
Stimmung
fordern
muß,
nicht
vertreiben.
Daher
Platz,
bleibt
geteilt u n d d a s H a n d e l n g e l ä h m t , zu G r o ß e m
die
scheinen
wir b e r u f e n , a b e r der K r a f t zur A u s f ü h r u n g zu e n t b e h r e n ; die Lösungen sind
den P r o b l e m e n w e i t a u s n i c h t gewachsen.
So v e r b i e t e t
sich
ein A b s c h l u ß an dieser Stelle, es gilt n a c h a n d e r e n Lösungen auszus c h a u e n , es gilt eine W e n d u n g zu s u c h e n , die n i c h t den Zwiespalt aufhebt, uns
a b e r ü b e r seinen Bereich
3.]Der Weg der
hinaushebt.
Rettung.
a. Begründung. W e n n im W e l t p r o z e ß ein A u f s t i e g z u r Geistigkeit, die E r ö f f n u n g eines Beisichselbstseins des Lebens m i t neuen Größen u n d ebenso u n b e s t r e i t b a r ist, wie die T a t s a c h e eines Widerstandes
dagegen
Gütern
unüberwindlichen
u n d einer d a r a u s e r w a c h s e n d e n
Hemmung,
w e n n d a m i t u n s e r Leben als Ganzes in einen schroffen W i d e r s p r u c h a u s l ä u f t , so b e s t e h t kein a n d e r e r W e g z u r R e t t u n g als eine E r h e b u n g ü b e r den Bereich des Z u s a m m e n s t o ß e s ;
w e n n sich M u t u n d
Kraft
z u m Leben irgendwie e r h a l t e n sollen, so darf die W e l t des Z u s a m m e n s t o ß e s n i c h t die einzige u n d letzte bleiben, die H e m m u n g n i c h t die ganze Tiefe der W i r k l i c h k e i t t r e f f e n .
D a s f ü h r t z u r Frage, ob sich
nicht
ein W i r k e n u n d W a l t e n d e r V e r n u n f t jenseits der V e r w i c k l u n g erschließt, u n d ob wir n i c h t den K e r n unseres W e s e n s in solches W i r k e n versetzen u n d aus seiner K r a f t den W i d e r s p r u c h angreifen k ö n n e n . Diese neue O r d n u n g w ü r d e von der Breite des Daseins aus als e t w a s Jenseitiges, als eine Ü b e r w e l t erscheinen, in W a h r h e i t w ü r d e sie vielm e h r den Begriff der W i r k l i c h k e i t erweitern, i n n e r h a l b des n e u e n R a u m e s a b e r f ü r sich die erste Stelle f o r d e r n , die übrige W e l t hingegen als eine besondere A r t der W i r k l i c h k e i t v e r s t e h e n u n d sie an
226
D e r Kampf um die W e l t m a c h t des G e i s t e s l e b e n s
erschien, das m ü ß t e viel weiter verfolgt u n d viel festeren Z u s a m m e n hängen eingefügt werden, um
ü b e r d e n Zwiespalt
hinauszuführen.
So wie sich die Sache bis j e t z t a u s n i m m t , bleibt die Lage u n g e k l ä r t u n d das Leben bei sich selbst g e s p a l t e n .
Der V e r n u n f t gibt es zu viel,
als d a ß wir völlig verzichten, der U n v e r n u n f t zu viel, als d a ß wir f r e u d i g b e j a h e n k ö n n t e n ; eine Tiefe d e r Dinge w u r d e
ersichtlich,
a b e r zur vollen W i r k l i c h k e i t k a m sie n i c h t ; die Geisteswelt m i t ihren G ü t e r n will n i c h t v e r s c h w i n d e n , aber f ü r u n s Menschen b e h ä l t sie eine s c h a t t e n h a f t e A r t ; so k a n n sie d a s Feindliche von d e m den
sie selbst
Stimmung
fordern
muß,
nicht
vertreiben.
Daher
Platz,
bleibt
geteilt u n d d a s H a n d e l n g e l ä h m t , zu G r o ß e m
die
scheinen
wir b e r u f e n , a b e r der K r a f t zur A u s f ü h r u n g zu e n t b e h r e n ; die Lösungen sind
den P r o b l e m e n w e i t a u s n i c h t gewachsen.
So v e r b i e t e t
sich
ein A b s c h l u ß an dieser Stelle, es gilt n a c h a n d e r e n Lösungen auszus c h a u e n , es gilt eine W e n d u n g zu s u c h e n , die n i c h t den Zwiespalt aufhebt, uns
a b e r ü b e r seinen Bereich
3.]Der Weg der
hinaushebt.
Rettung.
a. Begründung. W e n n im W e l t p r o z e ß ein A u f s t i e g z u r Geistigkeit, die E r ö f f n u n g eines Beisichselbstseins des Lebens m i t neuen Größen u n d ebenso u n b e s t r e i t b a r ist, wie die T a t s a c h e eines Widerstandes
dagegen
Gütern
unüberwindlichen
u n d einer d a r a u s e r w a c h s e n d e n
Hemmung,
w e n n d a m i t u n s e r Leben als Ganzes in einen schroffen W i d e r s p r u c h a u s l ä u f t , so b e s t e h t kein a n d e r e r W e g z u r R e t t u n g als eine E r h e b u n g ü b e r den Bereich des Z u s a m m e n s t o ß e s ;
w e n n sich M u t u n d
Kraft
z u m Leben irgendwie e r h a l t e n sollen, so darf die W e l t des Z u s a m m e n s t o ß e s n i c h t die einzige u n d letzte bleiben, die H e m m u n g n i c h t die ganze Tiefe der W i r k l i c h k e i t t r e f f e n .
D a s f ü h r t z u r Frage, ob sich
nicht
ein W i r k e n u n d W a l t e n d e r V e r n u n f t jenseits der V e r w i c k l u n g erschließt, u n d ob wir n i c h t den K e r n unseres W e s e n s in solches W i r k e n versetzen u n d aus seiner K r a f t den W i d e r s p r u c h angreifen k ö n n e n . Diese neue O r d n u n g w ü r d e von der Breite des Daseins aus als e t w a s Jenseitiges, als eine Ü b e r w e l t erscheinen, in W a h r h e i t w ü r d e sie vielm e h r den Begriff der W i r k l i c h k e i t erweitern, i n n e r h a l b des n e u e n R a u m e s a b e r f ü r sich die erste Stelle f o r d e r n , die übrige W e l t hingegen als eine besondere A r t der W i r k l i c h k e i t v e r s t e h e n u n d sie an
Begründung
227
die zweite Stelle drängen. Um volle Befriedigung zu geben, m ü ß t e aber die neue Ordnung die letzte und schlechthin ursprüngliche bedeuten und damit aller H e m m u n g und Entstellung überlegen sein; n u r wenn sie als höchste Macht und W a h r h e i t uns ein schaffendes Leben eröffnet, sichert sie uns dagegen, wieder in alle Verwicklungen zurückzusinken, von denen sie befreien sollte. Daher wächst das Verlangen nach einer überlegenen Geistigkeit sofort zü dem nach einem letzten und höchsten, einem alles beherrschenden absoluten Leben. Das Streben, diesen letzten P u n k t zu ergreifen und ihm das menschliche T u n zu verknüpfen, ist die Seele aller Religionen. Unsere Untersuchung n i m m t das Problem in einem weiteren Sinn, indem sie die Gesamtbewegung des Lebens voranstellt, während die Religionen von dem Besonderen der neuen Ordnung zu beginnen pflegen. Die Frage eines Reiches schaffenden Lebens, einer in sich selbst g e g r ü n d e t e n Tatwelt, ist vor allem eine Frage der Tatsächlichkeit; n u n und nimmer genügt eine begriffliche Ablösung und Entgegenh a l t u n g . Ein bloßes Sichhinausschwingen des Denkens über die Welt, um alsbald zu ihr zurückzukehren, ein dialektisches Spiel zwischen Immanenz und Transzendenz, wie es die Hegeische Philosophie oft hervorgebracht h a t , mag f ü r den Augenblick blenden, m u ß aber bald als nichtig befunden werden. Wie nahe hier der Umschlag liegt, das zeigt die Geschichte der Hegeischen Philosophie selbst in der W e n d u n g zu einem zerstörenden Radikalismus deutlich genug. Es handelt sich also um die E r ö f f n u n g einer neuen, welterzeugenden Tatsächlichkeit; lebendige Mächte müssen eint r e t e n , ein neuer Standort, ein neuer Lebensgehalt gewonnen w e r d e n ; eine deutliche Entscheidung zwischen dem J a u n d dem Nein ist hier nicht zu umgehen. Das J a ergibt ein gewisses Auseinandertreten wie der Welt so des Lebens, wenn auch innerhalb einer umfassenden Wirklichkeit. Aber solche Zweiheit könnte und d ü r f t e nicht erschrecken, wenn anders die Welt nicht gemäß unseren Wünschen zurechtzulegen, sondern in ihrem wirklichen Bestände offen und ehrlich anzuerkennen ist. Aber wenn jede Tatsache erwiesen sein will, so m a c h t der Erweis einer so umfassenden und so umwälzenden Tatsache, wie sie hier in Frage s t e h t , überaus große Schwierigkeit; es versagen dabei die Mittel und Hilfen, welche innerhalb unserer E r f a h r u n g liegen. Selbst der S t a n d o r t , von dem aus sich der Erweis einer neuen Welt u n t e r 15*
228
D e r K a m p f um d i e W e l t m a c h t d e s G e i s t e s l e b e n s
n e h m e n l ä ß t , ist erst zu g e w i n n e n , u n d es h a t die E r f a h r u n g d e r geistigen A r b e i t hier m a n c h e Versuche als u n z u l ä n g l i c h erwiesen, die sich als die n ä c h s t e n e m p f a h l e n .
D e r Erweis ist n i c h t von der W e l t
der E r f a h r u n g her zu f ü h r e n , sei es der N a t u r , sei es der Geschichte. D e n n diese sind viel zu v e r w o r r e n u n d vieldeutig, j a zu widerspruchsvoll, u m von sich aus die e n t s c h e i d e n d e W e n d u n g zu
begründen;
auch ist was hier an G e i s t i g k e i t a u f k o m m t , viel zu g e b u n d e n
und
e i n g e s c h r ä n k t , u m u n s eines a b s o l u t e n Lebens vergewissern zu k ö n n e n . Einen aller B e s o n d e r h e i t überlegenen Gipfel e r k l i m m t die ontologische S p e k u l a t i o n m i t ihrer V e r f e c h t u n g v o n E i n h e i t u n d Ewigkeit, aber auf ihm v e r b l a ß t aller lebensvolle G e h a l t ; auch wird dabei im G r u n d e m e h r der Weltbegriff v e r t i e f t als eine wesentlich n e u e O r d n u n g gew o n n e n . — D a s Scheitern d e r Versuche beim M a k r o k o s m o s legte eine Wendung wich
zum
einem
Mikrokosmos
nahe,
psychologischen;
in
das
kosmologische
der eigenen,
inneren
Verfahren Erfahrung
des Menschen w u r d e n T a t s a c h e n a u f g e s u c h t , welche jenes überlegene Beisichselbstsein bezeugen u n d u n s innerlich n ä h e r bringen Das e r g i b t m e h f
sollten.
Frische u n d U n m i t t e l b a r k e i t des Erlebens,
ü b e r blassen Umrissen
gegen-
d e r E n t w ü r f e v o n der W e l t erscheint auch
m e h r W ä r m e u n d F a r b e . A b e r solange d a s Seelenleben sich auf seinen Sonderbereich
beschränkt,
die große W e l t d r a u ß e n
dabei unvermeidlich an l a u t e r einzelne
läßt
und
sich
I n d i v i d u e n z e r s t r e u t , ist es
viel zu s c h w a n k e n d u n d s c h w a c h , u m eine neue W e l t zu b e g r ü n d e n , sein eigner Z u s t a n d h ä l t es f e s t .
Auch h ä n g t es viel zu s e h r am
gegebenen B e f u n d e m i t all seiner Zufälligkeit, leicht fließen naturhafter
dabei
Glückstrieb u n d kleinmenschliche A r t in eben die W e l t
ein, die ü b e r sie h i n a u s h e b e n sollte. Das einzige V e r f a h r e n , d a s weiteres zu v e r s u c h e n g e s t a t t e t , durch
den
Gesamtverlauf
der
früheren
Abschnitte
g e r e c h t f e r t i g t w o r d e n ; es ist jene n o o l o g i s c h e
dargetan
Behandlung,
ist und die
weder die W e l t noch die Seele als gegebenes D a s e i n z u m A u s g a n g n i m m t , s o n d e r n d a s Geistesleben, d a s den G e g e n s a t z u m s p a n n t und sich n i c h t von d r a u ß e n h e r auf eine W e l t bezieht, s o n d e r n sich selbst v o n i n n e n h e r zu einer W e l t e r w e i t e r t .
Freilich gilt dies V e r f a h r e n
u n d v e r h e i ß t es einen W e g zur W a h r h e i t n u r als A u s d r u c k einer G r u n d ü b e r z e u g u n g , die jenseits aller bloß m e t h o d o l o g i s c h e n E r w ä g u n g liegt: die E r f a h r u n g e n des Geisteslebens k ö n n e n eine Tiefe der W i r k l i c h k e i t n u r erschließen,
wenn
d a s Geistesleben selbst als
Beisichselbstsein
des Lebens eine z e n t r a l e Stellung h a t , w e n n in d e r W e n d u n g zu ihm
Begründung
229
eine Bewegung des Weltprozesses, ein Selbständigwerden und eine Selbstvollendung der Wirklichkeit a n e r k a n n t wird. Nur d a n n kann die Teilnahme am Geistesleben den Menschen aus der Mitte des Stromes heraus in reine Ursprünge versetzen und eine W a h r h e i t echter Art erreichen lassen. Wer das noologische Verfahren und seine Grundlage ablehnt, der begibt sich jeder Möglichkeit, auf wissenschaftlichem Wege einer Welt selbständiger Geistigkeit inne zu werden und d a d u r c h das menschliche Sein dem zerstörenden Widerspruch zu e n t w i n d e n . Wie dieses Verfahren unser Problem weiterzuführen h a t , ist nun näher zu erwägen. Es haben hier die Erlebnisse und E r f a h r u n g e n des Lebens selbst zu sprechen, sie werden sprechen, wenn in seinem Ganzen eine innere A b s t u f u n g e r k a n n t wird, wenn sich eine Betätigung, die den Konflikt hinter sich h a t , genügend von der in ihn verwickelten scheidet, wenn sich damit die Geistigkeit nicht nur als s t r e b e n d und k ä m p f e n d , sondern auch als ü b e r w i n d e n d und v o l l e n d e n d erweist. Besteht eine Art des Lebens, welche die Tatsache der Unvern u n f t vollauf zu würdigen und sich gegenwärtig zu halten vermag, und die doch nicht unter ihren Bann gerät, vielmehr neues zu schaffen und dies Neue in ein Ganzes zusammenzuschließen vermag, das ist die Frage, die n u n m e h r zum M i t t e l p u n k t der Untersuchung werden muß. Nun haben schon die früheren Abschnitte sich so b e m ü h t , das Geistesleben als Ganzes zu erfassen, d a ß diese Stelle nicht etwas völlig Neues, Plötzliches, Überraschendes erwarten läßt ¡schon in dem Früheren m u ß das, was wir jetzt suchen, irgendwie enthalten sein. Aber dort ging die Frage noch nicht nach der Richtung, in der die E r f a h r u n g der schweren Verwicklung uns suchen heißt, zwischen dem, was vor oder nach dieser E r f a h r u n g liegt, war noch nicht deutlich geschieden; so k a n n ganz wohl das, was wir j e t z t suchen, schon dort vorhanden sein, aber noch mit anderem vermengt, daher ohne scharfe Ausprägung u n d ohne volle A u f b i e t u n g seines Vermögens. Sollte jetzt aber eine Scheidung möglich und notwendig werden, so mag sich das Neue zum Ganzen zusammenfassen und d a m i t auch f ü r uns als etwas Neues wirken, es mag eine innere Bewegung des Lebens von einer grundlegenden und k ä m p f e n d e n zu einer überwindenden Geistigkeit e r k e n n b a r werden, es mögen sich d a m i t in Fülle neue Tatsachen erschließen. Denn es ist ein Materialismus des Verfahrens, einen Gewinn an Tatsächlichkeit n u r von außer her zu erwarten,
230 da
D e r Kampf um die W e l t m a c h t d e s G e i s t e s l e b e n s doch
die w i c h t i g s t e n
Fortschritte
stets
von
innen
gekommen
sind, indem sich s c h ä r f e r zerlegte, was z u n ä c h s t einfach und gleichartig dünkte, indem
Bewegungen
ersichtlich w u r d e n , wo
zunächst
volle R u h e zu w a l t e n schien. D a s a b e r m u ß v o r allem von den G r u n d f r a g e n des Lebens g e l t e n . Es ist a b e r
bei
dieser
Frage
der
Scheidung
das
Augenmerk
v o r n e h m l i c h d a r a u f zu r i c h t e n , o b j e n s e i t s der H e m m u n g u n d schütterung aufkommt. das
ein
selbständiges
und
selbstgenugsames
Er-
Geistesleben
D e n n d a s w a r j a der H a u p t g r u n d der Verwicklung, d a ß
Geistesleben
wohl eine
Selbsttätigkeit
b e g i n n e n , d a ß es
aber
f ü r den Menschen n i c h t zu einem vollen A b s c h l u ß u n d a u s g e p r ä g t e n C h a r a k t e r gelangen k o n n t e , o h n e sich eines e n t g e g e n s t e h e n d e n Daseins zu b e m ä c h t i g e n u n d sich in seiner A n e i g n u n g w e i t e r z u b i l d e n .
Das
F r e m d e a b e r , auf d a s es d a m i t angewiesen w a r d , zeigte eine weit größere indem
Macht es
festhielt,
sich
und
Zähigkeit
starr
entstand
als
behauptete
zu
A n f a n g die
und
die
Hoffnung
aufsteigende
war;
Bewegung
j e n e s c h w e r e Verwicklung, ü b e r die wir h i n a u s -
streben müssen.
E i n e B e f r e i u n g d a v o n l ä ß t sich n u r h o f f e n , wenn
d a s Geistesleben
jenseits des
s c h l u ß vollzieht, w e n n
einen
Ab-
die n e u e W e l t eine Völle W i r k l i c h k e i t
K o n f l i k t e s in sich selbst
aus
sich h e r v o r b r i n g t . So weit die F r a g e , n u n h a n d e l t es sich u m die A n t w o r t . s t e h e n hier zu e i n e m e n t s c h i e d e n e n
Ja.
W o i m m e r jene
Wir
Analyse
des Innenlebens ihr R e c h t e r h ä l t , d a m u ß n i c h t bloß eine b e g r ü n d e n d e , n i c h t bloß eine k ä m p f e n d e , s o n d e r n auch eine ü b e r w i n d e n d e Geistigkeit a n e r k a n n t w e r d e n . Die E r s c h ü t t e r u n g , welche so tief z u r ü c k g r e i f t u n d u n s e r Geistesleben zwischen Sein u n d Nichtsein stellt, e n d e t n i c h t m i t gänzlicher V e r n i c h t u n g , m i t einer völligen Auflösung, sondern sie leitet eine n e u e A r t des Lebens e i n ; a u s d e m K o n f l i k t auf sich selbst z u r ü c k g e w o r f e n , bleibt d a s Geistesleben n i c h t g e l ä h m t , m a c h t l o s u n d u n f r u c h t b a r , s o n d e r n es v e r m a g ein s e l b s t ä n d i g e s S c h a f f e n a u f z u b r i n g e n ; g e g e n ü b e r der W e l t des K a m p f e s u n d der erfolgt eine W i e d e r g e b u r t des L e b e n s u n d Seins.
Vermengung
Dies neue
Leben
e n t s t e h t a b e r a u s d e r E n t f a l t u n g d e r zu sich selbst z u r ü c k g e k e h r t e n Innerlichkeit, aus einer t ä t i g e n E r w e i s u n g des vollen Beislchselbstseins des Lebens, hier b e g i n n t eine in sich selbst g e g r ü n d e t e
Innerlichkeit
einen eigenen G e h a l t
Fremde
zu zeigen
Feindliche d u r c h z u s e t z e n . alle W e i t e
und
ihn gegen alles
und.
Dies S c h a f f e n u m s p a n n t n i c h t gleichmäßig
des Seins, s o n d e r n es bildet ein besonderes Reich
und
Begründung gibt
dies
als
die
Seele
G e i s t i g k e i t zu v o l l e m
des
Ganzen;
231 es u n t e r n i m m t
in
ihm
die
Siege zu f ü h r e n .
E s h a t sich aber die n e u e W e l t s o w o h l im u n m i t t e l b a r e n
Leben
des E i n z e l n e n als in g r o ß e n B i l d u n g e n der G e s c h i c h t e zu b e w ä h r e n ; hier wie da m u ß sie s o w o h l einen n e u e n A u s g a n g s p u n k t der B e w e g u n g und e i n e Z u s a m m e n f a s s u n g z u m G a n z e n als eine E n t f a l t u n g
neuer
K r ä f t e u n d W e r t e b i e t e n ; sie wird n i c h t b l o ß den G e h a l t , sie wird auch die Art des Lebens v e r ä n d e r n , s o f e r n die T ä t i g k e i t n u n nicht m e h r in E i n e m Z u g e oder nach Einer Formel v e r l ä u f t , v i e l m e h r aus schwerer
Erschütterung
neue
Anfänge
hervorgehen
läßt
und
das
Leben a u s einer f o r t l a u f e n d e n R e i h e in eine S t u f e n f o l g e v o n B i l d u n g e n verwandelt. So e r s c h e i n t es z u n ä c h s t
im
Bereich
des
Einzelnen.
Jenseits
aller A u f r e g u n g u n d V e r w i c k l u n g , aller H e m m u n g u n d E r s c h ü t t e r u n g e r ö f f n e t sich ein Reich bei sich s e l b s t b e f i n d l i c h e n Lebens in der B i l d u n g einer w e l t ü b e r l e g e n e n P e r s ö n l i c h k e i t . aber n u r d a d u r c h direktes
entstehen,
Verhältnis zum
Verkehren
von
Ganzem
Quell alles zu
Es k a n n ein s o l c h e s
d a ß im
Grunde Lebens
Ganzem
unseres
möglich
entwickelt.
wird
Mag
Leben
Wesens und
ein
ein ein
solches
Leben z u n ä c h s t in jenseitiger Ferne über der W i r k l i c h k e i t zu s c h w e b e n s c h e i n e n , es b e h a u p t e t m i t g u t e m
R e c h t , dieser erst eine
Seele zu
g e b e n , es s e t z t alles andere Leben, d e m die direkte B e z i e h u n g auf d a s absolute L e b e n f e h l t , zu einer b l o ß e n U m g e b u n g herab. Daß
der M e n s c h
in diesem
neuen
Leben
nicht
ausschließlich
seine S t e l l u n g n e h m e n u n d d a s R e i c h seiner Arbeit n i c h t u n m i t t e l b a r daran a n s c h l i e ß e n k a n n , d a s wird u n s s p ä t e r zu b e s c h ä f t i g e n h a b e n ; d a ß wir ü b e r h a u p t in i h m S t e l l u n g zu n e h m e n und v o n ihm aus alles Übrige
zu
erleben
vermögen,
unseres g a n z e n Lebens. Ursprünglichkeit
das
ergibt
eingreifende
Wandlungen
W i e dieses erst m i t j e n e r W e n d u n g eine volle
erreicht, die ihm i n n e r h a l b der W e l t
verkümmert
wurde, s o e r h a l t e n erst durch die hier e r f o l g e n d e Verinnerlichung die ihm u n e n t b e h r l i c h e n Größen eines s e l b s t ä n d i g e n H a n d e l n s und einer vollen
Freiheit einen f e s t e n
Grund u n d w e r d e n
v o n innen u n d a u ß e n g e w a c h s e n . das
Handeln unter den
der
Entwicklung
aufhebt.
eine
Einfluß mechanischer solche
allen
Hemmungen
S o n s t stellt die W e l t des M e n s c h e n
Gestalt,
daß
sie
Kausalität alle
und
gibt
Selbsttätigkeit
D e n n w o eine einzige V e r k e t t u n g d e n g a n z e n Lauf der Zeiten
u m s p a n n t u n d d a s V o r h a n d e n e alles S p ä t e r e als n o t w e n d i g e
Folge
h e r v o r t r e i b t , da g i b t es kein eignes H a n d e l n u n d zugleich keine e c h t e
232
D e r Kampf um die W e l t m a c h t d e s G e i s t e s l e b e n s
Geschichte,
auch
keine
Gegenwart.
Entwicklung
und
Geschichte,
G r ö ß e n , welche die V e r w o r r e n h e i t des h e u t i g e n D e n k e n s o f t als gleichb e d e u t e n d n i m m t , sind in W a h r h e i t s c h r o f f e G e g e n s ä t z e : wo bloße E n t w i c k l u n g , da" ist keine Geschichte, w o e c h t e Entwicklung.
Geschichte,
Eine Geschichte u n d zugleich eine echte
keine
Gegenwart
e r ö f f n e t sich u n s mit Sicherheit erst d u r c h die Möglichkeit, von der W e l t a r b e i t auf ein u r s p r ü n g l i c h e r e s scheinbar
erledigte
Leben z u r ü c k z u g e h e n , hier die
F r a g e von n e u e m
aufzunehmen
und
von
hier
d e m in M e c h a n i s m u s u n d s t a r r e G e w ö h n u n g v e r f a l l e n d e n Dasein frische K r ä f t e z u z u f ü h r e n . So gewiß wir ein eignes H a n d e l n u n d eine lebendige G e g e n w a r t f o r d e r n , so gewiß v e r l a n g e n u n d b e j a h e n wir auch eine neue A r t des Lebens, eine überlegene u n d ü b e r w i n d e n d e Geistigkeit. H a n d e l n u n d G e g e n w a r t a b e r r u h e n auf d e m Begriff der
Freiheit;
auch diesen r e t t e t n u r die besondere W e n d u n g , welche er hier e r h ä l t . W o h l e n t h ä l t d a s Geistesleben v o n H a u s aus eine S e l b s t t ä t i g k e i t gegenüber aller B i n d u n g d u r c h K a u s a l i t ä t ; Freiheit u n d sind die G r u n d b e d i n g u n g einer geistigen W e l t .
Ursprünglichkeit
Aber in d e n m e n s c h -
lichen Verhältnissen k a m die Freiheit gegen feindliche M ä c h t e n i c h t voll a u f , N a t u r u n d Schicksal w i r k t e n ihr wie von a u ß e r so von i n n e n m i t solcher Gewalt entgegen, d a ß sie a u f s s t ä r k s t e eingeengt, j a b e i n a h e unterdrückt ward.
W e n n n u n jene d i r e k t e W e n d u n g z u m a b s o l u t e n
Leben eine neue W e l t e r ö f f n e t u n d eine E n t s c h e i d u n g ü b e r d a s Ganze v e r l a n g t , so wird d a m i t wieder ein P l a t z f ü r die Freiheit g e w o n n e n u n d ihr ein R e c h t in der inneren W e r k s t a t t des Lebens g e s i c h e r t . N u r bei einer solchen B e g r ü n d u n g in einer n e u e n W e l t u n d n u r als Entscheidung
über das
Ganze k a n n sich
die
Freiheit
behaupten,
n i c h t wo unser g a n z e s Leben einer g e g e b e n e n W e l t a n g e h ö r t alles H a n d e l n ein bloßes S t ü c k ihres Getriebes bildet. die
Freiheit
überall
der W e l t e n u n d
ein
hinfälliges W a h n b i l d ,
die innere
S p a n n u n g des
wo
und
Daher wird
die
Scheidung
Lebens v e r k a n n t
wird.
W i e a b e r die ü b e r w i n d e n d e Geistigkeit u n s allererst einer Freiheit, eines eignen H a n d e l n s u n d einer e c h t e n G e g e n w a r t so l ä ß t sich bildungen
auch g e t r o s t
behaupten,
d e r geistigen W i r k l i c h k e i t ,
versichert,
d a ß alle wesentlichen alles v o r d r i n g e n d e
und
Fortum-
w a n d e l n d e S c h a f f e n , aus einer W e c h s e l w i r k u n g beider L e b e n s s t u f e n , einem Hin- u n d H e r g e h e n v o n der einen z u r a n d e r e n , einem S t r e b e n nach V e r b i n d u n g zu einem G a n z e n des Lebens h e r v o r g e h t .
Der P u n k t
d e s Z u s a m m e n s t o ß e s bildet die Stelle, wo die t i e f s t e n Quellen des geistigen S c h a f f e n s fließen, wo innere E r w e i t e r u n g e n die
Schranken
Begründung
233
unseres S t a n d e s mehr und mehr zurückschieben und das Unmögliche durchsetzen können. W a s so schon der allgemeine Anblick des Lebens erkennen läßt, das b e s t ä t i g t und befestigt weiter die w e l t g e s c h i c h t l i c h e B e w e g u n g . Hier sind es besonders die Religionen, welche die Macht einer überwindenden Geistigkeit verkünden. Der Zusammenschluß der Religion zu einem besonderen Gebiet ist selbst eine Tatsache bedeutendster Art. Denn so gewiß von Haus aus alle E n t f a l t u n g geistigen Lebens vom Wirken des Ganzen der Tatwelt getragen wird, so e n t s t a n d aus der Beziehung darauf kein eigentümliches Leben, solange die Arbeit nicht durch den Widerstand auf den Ursprung zurückgeworfen w u r d e ; so blieb die Religion ein bloßes Stück der K u l t u r a r b e i t und diente ihrer Vertiefung; was die ganze Ausdehnung d u r c h d r a n g , das b e d u r f t e keiner Verkörperung zu einem besonderen Reich. Die selbständige Macht, welche die Religionen gewonnen, und die Fülle neuen Lebens, die sie erschlossen haben, sind beredte Zeugnisse f ü r das Bestehen und Wirken einer überwindenden Geistigkeit. Wo das religiöse Problem einmal die Menschen und Völker packte, da wurde es ihnen bald zur Seele des Lebens und ließ sie nicht wieder los ; selbst wenn sie sich f ü r die Verneinung entschieden, blieb es das Problem des Absoluten, das am meisten Leidenschaft e n t f l a m m t e und das Innere am s t ä r k s t e n hervortrieb. Wie die Einzelnen so prägen auch die Völker ihre Eigentümlichkeit nirgends kräftiger aus als auf diesem Gebiet. Auch verbindet dieselbe Macht, welche die letzte Tiefe der Innerlichkeit aufregt, mit einzigartiger K r a f t die Menschen zu großen Gemeinschaften und beherrscht ihr Zusammensein. Die stärkste Bewegung innerhalb der Welt erzeugte schließlich die Idee einer Überwelt. Dabei weiß sich die Religion mit ihrer unmittelbaren Beziehung auf das absolute Leben aller bloßen K u l t u r a r b e i t , die jenes nur durch Vermittlungen ergreift, unvergleichlich überlegen; während sie jene, wenn nicht als gleichgültig, so doch als minderwertig zu behandeln pflegt, gibt sie ihren eignen Gehalt als einen unbedingten Selbstzweck, als keiner Schätzung von draußen her f a ß b a r , keiner Begründung von d r a u ß e n bedürftig. Solche Überlegenheit verlangt eine Jenseitigkeit, aber nicht eine inhaltlose Jenseitigkeit, welche die Religion bald h ä t t e ins Leere f ü h r e n müssen, sondern eine solche, die einen neuen Lebensgehalt, eine neue Art grundmenschlichen Seins e i n f ü h r t , welche Tiefen erschließt, die der Mensch nicht wieder aufgeben k a n n . Von hier aus erhält auch der Kampf gegen die Religion
234
Der Kampf um die W e l t m a c h t des
Geisteslebens
ein anderes Ansehen als gewöhnlich. Wenn die Geschichte zusammen mit dem Aufsteigen der Religion auch einen starken Widerstand gegen sie zeigt, und zwar nicht n u r gegen die Besonderheit ihrer Gestaltung, sondern auch gegen ihre Gesamtidee, so richtet sich der Angriff, näher b e t r a c h t e t , meist n u r gegen die Ablösung und Isolierung jener neuen W e l t , nicht gegen die Verinnerlichung, Erweiterung und Umwandlung des Ganzen, welche sie b r i n g t ; von dieser h a t unser gemeinsames Leben in der T a t Besitz genommen, und selbst die Gegner können auf sie nicht verzichten; ohne die Möglichkeit, sich in ein der Verwicklung überlegenes Reich als in eine sichere Heimat zurückzuziehen und dort aus voller Ursprünglichkeit neue K r ä f t e zu schöpfen, h ä t t e es sich schwerlich in den h a r t e n Kämpfen und Widerständen b e h a u p t e t . N u r jener Rückhalt ergab die Möglichkeit, durchgreifende Erneuerungen zu vollziehen u n d gegenüber allem Verbrauch und unvermeidlichem Altern der K r ä f t e eine ewige Jugend zu wahren. N u r das läßt auch f ü r das Ganze eine Geschichte entstehen und verwandelt ihre Bewegung aus einer bloßen Leistung f ü r die K u l t u r in eine innere E r f a h r u n g und E r h ö h u n g , in einen Kampf des Lebens u m sich selbst. Es wird aber die überwindende Geistigkeit, indem sie den Gesamtbegriff der Geschichte b e k r ä f t i g t , innerhalb seiner eine eigne Art der Geschichte erzeugen, die sich deutlich gegen das übrige Vorgehen abgrenzt. Die Eigentümlichkeit dieses Neuen erhellt besonders klar aus der veränderten und gehobenen Stellung der P e r s ö n l i c h k e i t . Denn auf dem neuen Boden sind es durchweg einzelne Persönlichkeiten, seltene Männer ursprünglichen Lebens, welche das Schaffen vollbringen; n u r die Gewalt und die Tiefe ihres Lebenskampfes vermag jene innere Bewegung von Welt zu Welt zu erzeugen, vermag von allem Bedingten und Vermittelten auf ein ursprüngliches Leben zurückzugreifen und ihm deutliche Gestalten wie einen kräftigen Gehalt abzuringen. Diese Persönlichkeiten h ä t t e n aber nie wirken können was sie wirkten, wären sie vereinzelte P u n k t e geblieben, h ä t t e n sich nicht von ihnen aus Lebenstypen und Lebensmächte gebildet, welche durch J a h r h u n d e r t e und J a h r t a u s e n d e walten und zu einem gemeinsamen Besitz der Menschheit werden. Dies Gemeinsamwerden des zunächst in einzelnen Persönlichkeiten durchbrechenden Lebens ist selbst eine Tatsache wichtigster Art, es zeigt dieses Leben der Zufälligkeit und Begrenztheit der bloßen Individualität überlegen, es bildet ein beredtes Zeugnis f ü r die Wirklichkeit, ja Notwendigkeit
Begründung
235
der neuen Welt. Aber die Persönlichkeiten sinken d a m i t nicht zu einem bloßen Mittel und Werkzeug, in ihnen allein gewann das neue Leben volle Gestalt, ward es zu Fleisch und Blut, aus ihnen wirkt es mit überwältigender Klarheit und K r a f t ; so müssen sie der Ges a m t h e i t gegenwärtig bleiben und sie immer von neuem zu sich zurücklenken, das Weiterstreben selbst pflegt hier ein Zurückgreifen auf den Anfang zu werden. Damit ein völlig anderer Anblick der Geschichte, auch eine andere Stellung des Einzelnen zur weltgeschichtlichen Bewegung. Dies neue Leben erscheint, als Ganzes betrachtet, weit- unfertiger und zerrissener als die Kulturarbeit, aus den Leistungen wachsen immer wieder neue Fragen hervor, und immer von neuem verlangt das Ganze Entscheidung und K a m p f . Aber die Tatsächlichkeit des neuen Lebens wird dadurch nicht a u f gehoben. Denn nirgends mehr als hier, bei der Erschließung innerster Tiefen, sind die Fragen mit ihrer a u f r ü t t e l n d e n und fortbildenden K r a f t nicht nur Zeugnisse von Tatsachen, sondern Tatsachen selbst, und zwar Tatsachen erster Ordnung. Die W a n d l u n g e n und Weiterentwicklungen behandelten wir zunächst als Erlebnisse unseres eignen Kreises, nirgends anders als hier können wir das neue Leben ergreifen. Aber die Meinung ist dabei nicht, es auf uns zu beschränken und uns in ihm gegen d a s All a b z u s o n d e r n ; so gewiß wir von dem Seelenleben des bloßen Individuums ein Geistesleben scheiden und ihm eine eigne E r f a h r u n g zuerkennen, so gewiß gilt uns auch jenes neue Leben als u n m i t t e l b a r einem Weltleben angehörig; den W e l t c h a r a k t e r erhält es nicht n a c h träglich mit Hilfe verwickelter Schlußfolgerung, sondern es besitzt ihn von vornherein, es h a t ihn nur weiter zu klären und deutlicher abzugrenzen. Von Anfang an konnte das A u f k o m m e n des Geisteslebens gegenüber der N a t u r nicht als ein W e r k der zerstreuten Individuen gelten, sie wären einer unendlichen Welt gegenüber schier verloren gewesen; das Unternehmen des Menschen m u ß t e von innen her über das Vermögen des bloßen P u n k t e s hinausgehoben und einem Gesamtleben eingefügt sein, um auch nur als Streben verständlich zu w e r d e n ; alle späteren H e m m u n g e n und Verwicklungen heben diesen W e l t c h a r a k t e r des Geisteslebens nicht auf. Diesen Charakter m u ß die W e n d u n g zu einer überwindenden Geistigkeit noch d e u t licher hervorkehren und noch s t ä r k e r empfinden lassen. Denn n u n mehr ist das Unvermögen des bloßen Menschen noch sinnfälliger geworden, d. h. sein Gespaltensein durch Widersprüche, seine Ohn-
236
Der Kampf um die W e l t m a c h t des
macht gegenüber dunklen Gewalten.
Geisteslebens
E r f o l g t t r o t z d e m eine d u r c h -
greifende W e n d u n g u n d E r n e u e r u n g u n d bildet sich eine neue A r t des Lebens, so k a n n d a s n u r als eine weitere E r ö f f n u n g der Geisteswelt, als ein S c h a f f e n a u s einem überlegenen Ganzen, als eine Gegenw i r k u n g seiner gegen die w e l t b e d r o h e n d e U n v e r n u n f t gelten.
Jenes
Ganze erweist sich d a m i t in ü b e r w i n d e n d e r T a t , es erscheint
nun
n i c h t m e h r bloß als eine M a c h t der G r u n d l e g u n g u n d der E r h a l t u n g , s o n d e r n auch als eine M a c h t der R e t t u n g u n d der Damit
v e r ä n d e r t sich a u c h
das
Gesamtbild
der
Erhöhung. Wirklichkeit.
Der G r u n d b e g r i f f des Lebens v e r t i e f t sich, der K e r n des Geschehens verlegt sich z u r ü c k .
Es erscheint eine W e l t des Beisichselbstseins mit
f e s t e m E i g e n b e s i t z jenseits der W e l t der W i d e r s p r ü c h e , diese b e d e u t e t n i c h t m e h r die letzte u n d g a n z e W i r k l i c h k e i t , sie wird zu einer bes o n d e r e n A r t des Seins, zu einem Gebiete, wo eine tiefer g e g r ü n d e t e u n d m i t ihrer W u r z e l jn tieferen G r ü n d e n v e r b l e i b e n d e
Geistigkeit
sich erst a u f r i n g e n u n d im K a m p f gegen feindliche M ä c h t e d u r c h s e t z e n m u ß . W o h e r dieser W i d e r s t a n d k o m m e , u n d o b er schließlich vielleicht einem V e r n u n f t z w e c k diene, d a s k ö n n e n wir n u n u n d n i m m e r
er-
g r ü n d e n ; die E r k l ä r u n g s v e r s u c h e f ü h r e n u n s e n t w e d e r in p h a n t a s t i s c h e S p e k u l a t i o n e n , die d a s Rätsel d u r c h größere R ä t s e l lösen m ö c h t e n , oder in die G e f a h r einer A b s c h w ä c h u n g des T a t b e s t a n d e s der v e r n u n f t ; augenscheinlich
ist hier ein G r e n z p u n k t , jenseits
alles Mühen u n f r u c h t b a r w i r d .
Un-
dessen
So müssen wir u n s a n die T a t s a c h e
h a l t e n , d a ß allem Feindlichen g e g e n ü b e r schließlich d a s Leben eine Überlegenheit erweist, u n d d a ß die W i r k u n g dessen auch in u n s e r Leben h i n e i n r e i c h t u n d uns m i t u r s p r ü n g l i c h e r K r a f t der W e l t des Zwiespalts e n t w i n d e t .
Diese W e l t selbst t r i t t in ein anderes
Licht,
w e n n d a s Leben n i c h t m e h r in ihr abschließt, s o n d e r n sie ein Auss c h n i t t eines g r ö ß e r e n G a n z e n w i r d ; n u n verlieren ihre
Schranken
u n d B e d i n g u n g e n die ausschließliche G ü l t i g k e i t , n u n ergibt sich die Möglichkeit, d a ß , was hier u n f e r t i g bleibt, l e t z t h i n doch
irgendwie
v o l l e n d e t wird, d a ß , was hier b a r e U n v e r n u n f t s c h e i n t , in u n e r f o r s c h lichen Z u s a m m e n h ä n g e n winnt.
irgendwelche
Beziehung z u r V e r n u n f t ge-
Es k ö n n t e ja a u c h * z u r E r z i e h u n g d e r Menschheit
gehören,
d a ß m a n c h e s , w a s schließlich
einer V e r n u n f t d i e n e n m a g , u n s als
d u r c h a u s v e r n u n f t l o s erscheint,
D a s sind bloße Möglichkeiten, Unge-
wisse A u s s i c h t e n , die s o f o r t in Nebel v e r s c h w i m m e n .
Aber ü b e r den
S t a n d beliebiger Einfälle u n d leerer P h a n t a s m e n h e b t die T a t s a c h e u n s hinaus,
d a ß im Z e n t r u m unseres Leben die W e n d u n g zur ü b e r w i n -
H7 elenden Geistigkeit eine Notwendigkeit der geistigen Selbsterhaltung w i r d ; jene W e n d u n g aber schließt eine neue Welt in sich ein, unser Unvermögen einer näheren Entwicklung k a n n die G r u n d t a t s a c h e nicht e r s c h ü t t e r n . Von dieser aus angesehen erscheint aber das neue Leben n i c h t als etwas Fernes und erst zu Erhoffendes, sondern als etwas u n m i t t e l b a r Gegenwärtiges und völlig Gewisses, ja als das Nächste und Gewisseste von allem, es bildet kein Jenseits, sondern ein Diesseits, das einzigwahre Diesseits. Aber es ist dies nur u n t e r U m k e h r u n g nicht n u r des ersten Bildes der W e l t , sondern auch des Lebensstandes, es ist es n u r bei Anerkennung dessen, d a ß wir letzthin nicht von außen nach innen, sondern von innen nach außen leben und sehen.
Alles dies kann die Philosophie nur im allgemeinen Umriß e n t werfen, sie k a n n nur den R a h m e n abstecken, den die nähere Erf a h r u n g des Lebens ausfüllen m u ß . Diese Aufgabe ergreifen vornehmlich die g e s c h i c h t l i c h e n R e l i g i o n e n , mit ihrer Begründung durch ursprüngliche Persönlichkeiten und ihrer E n t f a l t u n g c h a r a k teristischer Lebenstypen möchten sie dem neuen Leben auch bei u n s eine volle Wirklichkeit geben. Der Beweis der W a h r h e i t h a t hier seinen Kern und seine K r a f t in der Anschaulichkeit und überwältigenden Macht des Lebens, das bei den schaffenden Persönlichkeiten aus dem direkten Verhältnis zum absoluten Leben e n t s p r a n g ; d a ß dies Verhältnis hier zum allesbeherrschenden Mittelpunkte wurde, d a ß hier die überwindende Geistigkeit mit der Gewißheit einer u n m i t t e l b a r e n Gegenwart wirkte und zugleich sich zu einer völlig durchgebildeten Art verkörperte, das e n t h o b die G r u n d t a t s a c h e allem Zweifel u n d g a b dem neuen Leben sichere Bahnen. Freilich k a n n die ausschließliche F e s t h a l t u n g dieser Art zu h a r t e m Z u s a m m e n s t o ß mit der philosophischen B e t r a c h t u n g f ü h r e n ; sie f ü h r t zu ihm, sobald alles neue Leben an diesen besonderen P u n k t g e k e t t e t und 'die gesamte Geschichte lediglich auf ihn bezogen wird. Denn d a n n wird das Maß zu eng, viel echtes Leben wird entweder ausgeschlossen oder doch unbillig herabgesetzt; auch e n t s t e h t die Gefahr, d a ß an dem H a u p t p u n k t e das Ewige nicht genügend von dem Zeitlichen geschieden wird, und d a ß dieses die Ansprüche erhebt, die jenem allein gebühren. Damit e m p f ä n g t , die Philosophie die Aufgabe, gegenüber jener drohenden Einengung die gemeinsame T a t -
238
Der Kampf um die W e l t m a c h t des
Geisteslebens
sache zu verfechten, eine die ganze Geschichte durchdringende Erweisung jener überwindenden Geistigkeit aufzuzeigen, auch die Religion bei aller Anerkennung des Geschichtlichen von der Zufälligkeit des Geschichtlichen zu befreien. Sie wird darauf bestehen, d a ß alle Eigentümlichkeit, so neu und unvergleichlich sie sein mag, d o c h von der gemeinsamen T a t s a c h e u m f a ß t bleiben m u ß ; ferner a b e r wird sie insofern auch eine Abmessung der verschiedenen geschichtlichen Bildungen vollziehen, als sie zu prüfen vermag, welche von ihnen vornehmlich das Ganze jenes Lebens a u f n i m m t und weiterf ü h r t . Dabei haben ihr die Religionen nicht als fertige Daten zu gelten, die geschlossen hinter uns liegen, sondern als lebendige Typen u n d Mächte, die sich immer neu gestalten und immer reiner ausprägen müssen, die nicht minder Aufgaben als T a t s a c h e n sind, — „ d a s große W e r k der geistigen Schöpfung d a u e r t noch f o r t " ( S c h l e i e r m a c h e r ) . — Für jene Schätzung wird besonders zur Frage, ob sowohl die positive als die negative Seite des Lebens genügend zur E n t wicklung gelangt, ob die H e m m u n g , das Leid, die Verkehrung voll gewürdigt und zugleich aller bloß n a t u r h a f t e Lebensdrang ausgetrieben wird, ob andererseits die Bewegung nicht in der bloßen Verneinung stecken bleibt, sondern sich aus der E r s c h ü t t e r u n g mit a u f b a u e n d e r K r a f t zu einer neuen Lebensstufe e r h e b t . Die drei Weltreligionen, der Buddhismus, das Christentum, der Mohammedanismus, scheiden sich deutlich bei dieser Frage, das Christentum aber darf sich an dieser Hauptstelle entschieden als die Spitze fühlen. Denn dem M o h a m m e danismus fehlt zu sehr iie innere E r s c h ü t t e r u n g u n d zugleich die E r h e b u n g über die bloße N a t u r ; der Buddhismus vollzieht die Verneinung so gründlich wie möglich, aber er gibt der B e j a h u n g nicht die entsprechende K r a f t ; indem das Christentum — in jenem Sinne als weiterschaffendes Leben verstanden — beide Seiten gleichmäßig zu u m s p a n n e n sucht, erzeugt es die s t ä r k s t e innere Bewegung u n d vermag es das Streben nach einer überwindenden Geistigkeit zu führen.
b. Auseinandersetzung mit dem Zweifel. Die neue Wirklichkeit bedarf offenbar einer weiteren K l ä r u n g und Entwicklung, aber diese Aufgabe können wir nicht angreifen, ohne uns zuvor m i l d e m Zweifel auseinanderzusetzen, der das Ganze -anficht und seine W a h r h e i t bedroht. Gewiß ist er nicht aus der L u f t
A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit d e m Zweifel
239
gegriffen, der neuen Wirklichkeit mangelt f ü r unseren Blick sowohl in der Erweisung nach außen als in der D u r c h b i l d u n g bei sich selbst so viel, d a ß die Frage sehr begreiflich ist, ob sie sich ü b e r h a u p t zu halten vermag. Die Umwälzung welche b e h a u p t e t wird, zeigt keinerlei sichtbare Wirkungen in unserer Welt, äußerlich bleibt hier alles beim Alten, die U n v e r n u n f t wird nicht g e h e m m t , die Vernunft nicht gefördert, das Böse kann sich breit e n t f a l t e n , dem Guten fehlen genügende Waffen, die verheerenden, zerstörenden, herabziehenden Mächte verrichten ihr Werk ungestört. W a s sollen wir davon d e n k e n ? Wäre nicht zu erwarten, d a ß der Quell der überwindenden Geistigkeit mit überlegener Macht in den Weltlauf eingriffe und dem Guten zum Siege v e r h ü l f e ? Und wenn unser Auge mit aller Mühe das nicht zu erkennen vermag, wenn der Weltlauf sich zu der in unserem Inneren vollzogenen W e n d u n g s t a r r und gleichgültig verhält, wenn selbst die überzeugtesten Anhänger schließlich nur die Unerforschlichkeit der göttlichen Ratschläge anrufen können, wird d a n n nicht der Zweifel an der Wirklichkeit jener Tiefe zu einem Recht, j a einer P f l i c h t ? Zu solcher O h n m a c h t nach außen gesellt sich unser Unvermögen, die G r u n d t a t s a c h e selbst genau zu fassen und sie uns verständlich zu machen. Wir vermögen mit aller Mühe keine anschauliche Vorstellung von jener höheren Macht und der Art ihres Wirkens zu gewinnen, wir scheinen u n r e t t b a r dem Anthropomorphismus verfallen, sobald wir jenes u n t e r n e h m e n . Muß sich d a m i t nicht der Eindruck verstärken, d a ß in dem Ganzen nicht sowohl sich eine unbestrittene Tatsächlichkeit erweist als vielmehr der Mensch bloß die eignen Wünsche und Hoffnungen zu einer scheinbaren Wirklichkeit v e r d i c h t e t ? Verwickelt ihn der vermeintliche Aufschwung nicht in ein Gewebe von Illusionen, das die Pflicht der W a h r h a f t i g k e i t und schließlich wohl auch die Sorge um das Glück zu zerstören gebietet? So wurde von alters her gefragt, und zwar auch auf der Höhe des Schaffens.« Denn auch die leitenden Geister blieben nicht vom Zweifel verschont, sie haben ihn vielleicht am s t ä r k s t e n durchgekostet, sie h ä t t e n ohne das schwerlich die Tiefe und K r a f t des Lebens erreicht, welche die anderen unwiderstehlich fortriß. Den Zweifel rasch beiseite geschoben und ihn als etwas Ungeheuerliches v e r d a m m t haben zumeist die Naturen mittleren Ranges, welche den Spuren anderer folgten und sich durch ihre A u t o r i t ä t die neue Welt als u n a n t a s t b a r versichern ließen.
240
D e r Kampf um d i e W e l t m a c h t d e s G e i s t e s l e b e n s Gewiß k a n n die B e a n t w o r t u n g jenes P r o b l e m s n i c h t rasch u n d
nach
dem
unmittelbaren
Eindruck
der
Dinge, s o n d e r n
nur
nach
m a n n i g f a c h e r V e r m i t t l u n g u n d aus d e m Ganzen der L e b e n s b e w e g u n g erfolgen; erst allmählich k ö n n e n wir u n s zu d e m P u n k t der E n t s c h e i d u n g h i n a r b e i t e n . — Die F r a g e ist in v e r n e i n e n d e m
Sinn f ü r den
entschieden, der dies sinnliche Dasein als die g a n z e u n d vollgenügende W e l t e r a c h t e t , in ihm keine Verwicklung u n d h i n t e r i h m kein h e i m n i s f i n d e t , der zugleich alles geistige Leben zu einer scheinung herabsetzt.
Ge-
Nebener-
D e n n eine solche Denkweise k a n n schlechter-
dings n i c h t v e r s t e h e n , wie innere Erlebnisse M a c h t u n d G e h a l t genug erlangen sollten, u m den G r u n d b e g r i f f der W i r k l i c h k e i t u m z u b i l d e n , u m A u f g a b e n des Inneren gegen den W i d e r s p r u c h der g a n z e n sichtbaren
Welt
durchzusetzen;
das
alles S c h w a n k e n wird d a n n zur
Nein
ist d a n n
selbstverständlich,
Schwäche.
Solche Ausschließlichkeit der Sinneswelt m a g den n ä c h s t e n Eind r u c k der
Dinge f ü r sich h a b e n u n d a u s ihm i m m e r v o n neuem
hervorgehen,
aber
ebenso
deutlich
hat
sie d e n H a u p t z u g der ge-
schichtlichen A r b e i t gegen sich. W e n n diese das Geheimnis i n n e r h a l b der n ä c h s t e n W e l t in d e m Maße verringerte, als sie alle M a n n i g f a l t i g keit einem K a u s a l g e w e b e e i n f ü g t e u n d allgemeinen Gesetzen u n t e r w a r f , so ist ihr die G r u n d l a g e des Ganzen dabei u m so u n d u r c h s i c h t i g e r , u m so geheimnisvoller g e w o r d e n , so h a t dieses f ü r d a s D e n k e n m e h r u n d m e h r ihre H a n d f e s t i g k e i t u n d S e l b s t v e r s t ä n d l i c h k e i t
eingebüßt.
W i r b r a u c h e n n i c h t K a n t i a n e r zu sein, u m den E r s c h e i n u n g s c h a r a k t e r dieser n ä c h s t e n
Wirklichkeit
Kern,
nur
sondern
eine
anzuerkennen,
besonderen
um
in ihr n i c h t
Bedingungen
B e t ä t i g u n g eines w e s e n h a f t e r e n Seins zu erblicken. sonderen
Bedingungen
schauenden
und
Zu diesen be-
g e h ö r t vor allem die Organisation
denkenden
den
unterworfene
S u b j e k t s , es wird z u m
des
an-
unerträglichen
D o g m a t i s m u s , d a v o n abzusehen u n d die W e l t u n s e r e r E r f a h r u n g u n d Vorstellung o h n e weiteres als d a s Reich der Dinge zu g e b e n . Der Z u r ü c k s c h i e b u n g des Sinnlichen e n t s p r a c h -«ine w a c h s e n d e E n t f a l t u n g u n d S c h ä t z u n g des Innenlebens.
Denn mehr und
h a t dieses sich von der anfänglichen Z e r s t r e u t h e i t zu einem zusammengefunden bloßen
Individuums
und
aller
schwankenden
f e s t e Gesetze
Zuständlichkeit
entgegengehalten;
mehr
Ganzen
immer
des mehr
erweist es eine selbständige A r t u n d n i m m t d a m i t den K a m p f gegen die A u ß e n w e l t auf.
Wie solche W a n d l u n g e n den
Gasamtcharäkter
unseres Lebens u n d u n s e r e r W i r k l i c h k e i t v e r ä n d e r n , wie sie
mehr
A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit dem Zweifel
241
und mehr die Gedankenwelt zur H a u p t s a c h e machen und die sinnliche in ihre Dienste ziehen, das h a t u n s genügend beschäftigt. Solche Verschiebung des Schwerpunktes eröffnet aber die Möglichkeit, von dem unscheinbaren Innern h e r tiefer in die Wirklichkeit einzudringen als aus aller Sinnfälligkeit der Außenwelt, ja sie macht es notwendig, die das Ganze unserer Überzeugung bestimmenden Tatsachen nicht hier, sondern dort aufzusuchen. Auch aller Einblick in die innere Entwicklung der Individuen bestätigt das; denn er zeigt, d a ß die H a u p t r i c h t u n g des Denkens nicht durch das bestimmt wird, was von draußen an den Menschen k o m m t , sondern durch das, was er selbst aus sich m a c h t ; das, worin er den Kern seines eignen Wesens setzt, entscheidet darüber, in welchem Lichte sich ihm das Ganze der Wirklichkeit darstellt. Zugleich gewahren wir, d a ß diese Entscheidung einen p e r s ö n l i c h e n F a k t o r enthält, der jenseits aller bloßen Beweise liegt. Mag das Innere noch so sehr die bewegende und gestaltende K r a f t sein, es bedarf der Anerkennung seiner Überlegenheit, um auch die Überzeugung f ü r sich zu gewinnen; diese Anerkennung aber ist nicht ohne eine Aneignung der Bewegung, ohne ein selbsttätiges Eintreten in den Kampf zu erreichen. Das aber ist von außen her niemandem aufzuzwingen. Die Macht dieses persönlichen Faktors beschränkt sich nicht auf den Allgemeinbegriff des Geisteslebens, sie erstreckt sich auch in seine E r f a h r u n g hinein, sie erweist sich besonders bei der Schätzung des Feindlichen, des Bösen. Mag die Ausdehnung der U n v e r n u n f t noch so sorgfältig aufgewiesen, noch so beredt geschildert werden, n u n u n d n i m m e r wird dadurch entschieden, wie schwer sie f ü r uns beim Gesamtbild des Lebens in die Wagschale fällt, nun und n i m m e r läßt sich d a d u r c h eine Grundüberzeugung, eine innere Stellungn a h m e zum Bösen erzwingen. Denn keine theoretische Anerkehnung der U n v e r n u n f t kann bewirken, d a ß die Mißstände den Menschen innerlich so packen und bewegen, d a ß dieses ihm zur Hauptsache wird. Wiederum kommen wir hier auf einen P u n k t freier Entscheidung, selbständiger Aneignung; erst das Aufsichnehinen des Problems macht die U n v e r n u n f t unerträglich, r u f t alle K r ä f t e zur Gegenwehr auf, verwandelt das Leben in einen Kampf um ein geistiges Sein, um die Selbsterhaltung des eignen Wesens. Auch hier liegt die Entscheidung bei der inneren Energie des Lebens, auch hier erweist sich die Macht eines persönlichen Faktors. Wie wichtig aber d-ie Stellung zum Problem Eucken,
Kampf.
111 A u f l .
16
242
D e r Kampf um d i e W e l t m a c h t d e s G e i s t e s l e b e n s
des Bösen f ü r d a s Ganze d e r Ü b e r z e u g u n g ist, d a s b e k u n d e t die E r fahrung
sowohl
Entwicklung. leichthin
des
geschichtlichen
Lebens
als
der
individuellen
D e n n wo die U n v e r n u n f t der W e l t flach g e f a ß t oder
beiseite
geschoben
wird,
d a fehlt d e m L e b e n s p r o z e ß das
Salz u n d die S c h ä r f e , d a bleibt vieles u n e r g r i f f e n u n d u n d u r c h l e u c h t e t , da k a n n die Lösung d e r P r o b l e m e bei aller e i n s c h m e i c h e l n d e n Glätte n i c h t f ü r die D a u e r Aber
auch
befriedigen.
dieser
Wendepunkt
der letzten E n t s c h e i d u n g .
bildet
noch
nicht
den
Die volle A n e r k e n n u n g d e r
M a c h t des Bösen k a n n d e n M e n s c h e n d e m
Punkt
ungeheuren
Zweifel u n d
der
Ver-
zweiflung ü b e r l i e f e r n ; er ist der V e r n i c h t u n g v e r f a l l e n , w e n n
nicht
eine überlegene M a c h t der U n v e r n u n f t ¿ n t g e g e n w i r k t u n d ihn selbst an d e r Ü b e r w i n d u n g t e i l n e h m e n l ä ß t .
Mit wie u m w a n d e l n d e r K r a f t
eine ü b e r w i n d e n d e Geistigkeit auch in u n s e r Leben h i n e i n r a g t , d a v o n h a b e n wir u n s ü b e r z e u g t .
Aber m e h r als auf d e n f r ü h e r e n S t u f e n
l e u c h t e t hier ein, d a ß was i m m e r a n T a t s ä c h l i c h k e i t vorliegt, eine volle Wirklichkeit
und
eine ü b e r z e u g e n d e
Gewißheit
für uns
nur
d u r c h unsere A n e i g n u n g e r h ä l t , d u r c h d a s A u f n e h m e n in d e n
Kern
unseres Lebens, oder besser d u r c h ein V e r w a n d e l n dieses K e r n e s in ein Ergreifen u n d E n t w i c k e l n j e n e r ü b e r w i n d e n d e n M ä c h t e .
Nur damit
k ö n n e n die einzelnen Züge sich in ein Ganzes z u s a m m e n f a s s e n ,
nur
d a d u r c h k a n n die volle U r s p r ü n g l i c h k e i t jenes S c h a f f e n s z u m eignen Erlebnis w e r d e n , n u r d a m i t d a s Neue s t a r k g e n u g w e r d e n , u m einer w i d e r s t r e i t e n d e n W e l t zu t r o t z e n .
Die E n t s c h e i d u n g e r s c h e i n t
aber
n a m e n t l i c h hier, g e r a d e in d e r k r ä f t i g s t e n B e l e b u n g u n s e r e s W e s e n s , zugleich als d a s W e r k einer überlegenen M p c h t , als eine G a b e u n d G n a d e , sie d ü n k t n u r möglich d u r c h die u m b i l d e n d e K r a f t des G a n z e n ; d a m i t a b e r vergewissert sie u n s u n m i t t e l b a r a u c h d e r des G a n z e n .
Wirklichkeit
Ist die E r s c h ü t t e r u n g u n s e r e s Seins d u r c h alles D u n k l e
u n d Feindliche voll z u r W i r k u n g g e l a n g t , so g e r ä t d a s Leben in die s c h w e r s t e Krise. barkeit
seiner
Die völlige Nichtigkeit des M e n s c h e n , die
S t e l l u n g in d e r W e l t , sein
Unvermögen
den A u f g a b e n seines eignen Wesens, die gänzliche des
Gleichgültigkeit
I n d i v i d u u m s f ü r die M e n s c h h e i t wie f ü r die W e l t
scheinlich g e w o r d e n .
Unhalt-
gegenüber ist
augen-
In diesem Reich der V e r w i c k l u n g g i b t es n i c h t s ,
was ihn h ä l t u n d t r ä g t , n i c h t s , w a s seinem S t r e b e n K r a f t , seinem Leben W e r t v e r l e i h t .
Solche E r s c h ü t t e r u n g m u ß allen T r i e b
Leben brechen, a u c h allen n a t u r h a f t e n G l ü c k s d r a n g z e r s t ö r e n .
zum Wenn
t r o t z d e m d a s Leben n i c h t völlig erlischt, w e n n a u s d e r V e r n i c h t u n g
Auseinandersetzung mit dem Zweifel
243
der alten Art eine neue entspringt, und wenn sich gar das ganze Sein zu einer erhöhenden T a t a u f r a f f t , so wird die W i r k u n g einer neuen Welt u n v e r k e n n b a r , so sind wir aller bloßen Willkür und Grübelei entronnen. Dies Neue, mit seinem Gegensatz zu allem bloß n a t u r h a f t e n Streben, mit seiner Gegenwirkung gegen den ersten Befund, als ein Erzeugnis selbstischen Glücksverlangens, als ein Hineinspielen menschlicher Wünsche in das All verstehen k a n n nur eine gröbliche Verkennung des T a t b e s t a n d e s . Unleugbar spielt aber hier der persönliche F a k t o r eine noch weit größere Rolle als an den anderen Stellen, und k o m m t schließlich alles auf eine persönliche Entscheidung hinaus. Aber diese E n t s c h e i d u n g ist nicht etwas Vereinzeltes und Zufälliges, sondern es d r ä n g t sich in sie das ganze Leben zusammen, und es bleiben bei ihr auch die anderen Stufen gegenwärtig; die früheren Entscheidungen fließen mit in diese H a u p t e n t s c h e i d u n g ein, die früheren Probleme erneuern und verstärken sich hier zu einem einzigen H a u p t p r o b l e m . Denn wenn hier eine Verneinung oder doch keine entschiedene Bejahung erfolgt, so fällt alles bisher Gewonnene dahin, so erwachen alle Zweifel von neuem, so sinken wir in die aite Ungewißheit, ja Nichtigkeit zurück. Wenn nämlich das Geistesleben zur Überwindung jener Widerstände zu schwach ist, wenn es an ihnen e r l a h m t , ermattet^ sich verzehrt, so kann es ü b e r h a u p t seine Weltstellung nicht mehr b e h a u p t e n , nicht mehr den Kern der Wirklichkeit bilden, auch nicht mehr bei uns weiterwirken. Zur Verirrung wird es n u n , durch die weltgeschichtliche Arbeit ein eignes Reich des Geistes der N a t u r entgegenhalten zu wollen, als leere Trugbilder erweisen sich die diesem Reiche eigentümlichen Größen und G ü t e r : Gutes und Edles, Liebe und Barmherzigkeit, W a h r h e i t und Recht, Achtung u n d Pflicht. Mit den Gütern müssen aber auch die Schmerzen geistiger Art verschwinden, mit der Liebe versinkt auch das Leid. Denn wo nichts zu gewinnen ist, da kann das Mißlingen n i c h t schmerzen, wo es nichts zu ehren und zu achten gibt, da gibt es auch nichts zu verwerfen und zu verachten. So m ü ß t e sich eine volle Gleichgültigkeit hinsichtlich aller jener Dinge unser bemächtigen, nichts könnte uns mehr erregen, nichts in Zorn u n d Schmerz versetzen. Nur dessen m ü ß t e n wir uns erwehren, ü b e r h a u p t in eine solche Verirrung verlockt und verstrickt zu w e r d e n ; was immer an K r a f t verbleibt, das wäre zum Kampf gegen jenen W a h n des Geisteslebens aufzubieten. Nur eine unklare und m a t t e D e n k a r t kann hier zwischen dem E n t w e d e r — O d e r vermitteln wollen. Wo 16*
244
D e r K a m p f um d i e W e l t m a c h t d e s G e i s t e s l e b e n s
sich das Geistesleben nicht als die Seele u n d Höhe der Wirklichkeit zu b e h a u p t e n vermag, da wird es zum Verfälscher u n d Zerstörer der W a h r h e i t , zu einer Macht der T ä u s c h u n g , gegen die n u r der Kampf ein Recht besitzt. Solche Verbindung und Steigerung aller Probleme zu einem einzigen Problem ergibt eine wesentlich neue Lage, alle bisherigen Hilfen versagen, alles scheinbar Gewonnene g e r ä t ins W a n k e n , es gilt eine neue und u n m i t t e l b a r e Entscheidung, die in dem Einen über das Ganze befindet u n d allererst die K e t t e des Lebens sicher zusammenschließt. Aber wenn hier alles wieder in Fluß gerät und der Zweifel seinen höchsten Gipfel erreicht, so m u ß auch zu vers t ä r k t e r W i r k u n g gelangen, was die Gesamtbewegung zur Geistigkeit an T a t b e s t a n d e n t h ä l t ; gerade der Versuch einer völligen Verneinung m u ß die begründenden T a t s a c h e n kräftiger hervortreiben, sie zu deutlicherer Aussprache zwingen, sie mit der A u f r u f u n g zum Kampf um die eigne E r h a l t u n g in tätige Bundesgenossen verwandeln. Mit frischer K r a f t erhebt sich zunächst, was die frühere U n t e r suchung d a r z u t u n strebte, d a ß die W e n d u n g des Lebens zur Geistigkeit mit ihrer Durchleuchtung der Welt durch das Denken, ihrer Erö f f n u n g eines Wollens und Handelns aus dem Ganzen, ihrer Befestigung eines Beisichselbstseins und einer Innenwelt gegenüber der Welt der Beziehungen eine völlige W a n d l u n g bedeutet, die keine. Anstrengung des bloßen Menschen hervorbringen konnte, noch auch wieder zurücknehmen k a n n . Von hier aus e n t s t a n d jenes geschichtlichgesellschaftliche Leben eigentümlich-menschlicher Art, dem wir uns nicht entziehen k ö n n e n ; von hier s t a m m t jene innere Erweiterung des u n m i t t e l b a r e n Lebens, die uns von der P u n k t u a l i t ä t des n a t ü r lichen "Daseins in ein Streben u n d Schaffen aus der Unendlichkeit der Tatwelt v e r s e t z t ; nicht von d r a u ß e n k o n n t e ein solches Weltleben k o m m e n , als eine G r u n d t a t s a c h e m u ß t e es von innen e n t s p r i n g e n ; k a n n es, so verstanden, ein Erzeugnis des bloßen Menschen s e i n ? Wohl verwickelte uns jene W e n d u n g in schwerste Probleme, die unsere K r a f t übersteigen und unser Wesen zu sprengen, d r o h e n . Aber gerade dies ward ein Zeugnis d a f ü r , d a ß die Sache unsere Willkür überragt, d a ß wir in Bewegungen der Welten verflochten sind, und d a ß nicht die bloße Sorge f ü r unser Behagen uns in jene Fragen hineinzieht. Die Gewalten, die uns ergreifen und hin- u n d herschleud e r n , mögen in ihrer Unzugänglichkeit als dämonische erscheinen, bloße Wahngebilde sind sie keinenfalls. Selbst in den Leiden innerer
A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit d e m Z w e i f e l
245
Art mit ihrer E r s c h ü t t e r u n g und Vertiefung e r k a n n t e n wir beredte Zeugen f ü r das Bestehen eines geistigen Lebensprozesses; wir können uns unmöglich gegen sie a b s t u m p f e n , sie gleichgültig über uns ergehen lassen. So hält uns das geistige Leben eben mit seinen Mühen und Sorgen, seinen Leiden und Schmerzen fest, wir können es nicht lassen, auch wenn wir es in diesen Verwicklungen zunächst mehr wie eine Last als eine Lust empfinden, in ihm mehr ein bedrückendes Schicksal als eine'selbsterkorene Freundesmacht erkennen. D a n n aber erschien wie ein Licht in der Finsternis gegenüber aller äußeren und inneren H e m m u n g eine überwindende Geistigkeit. W a l t e t einerseits volle Klarheit über die O h n m a c h t - des bloßen Menschen in den schweren, bis zur Wurzel reichenden Verwicklungen, wird andererseits der unvergleichliche Charakter des Neuen vollauf a n e r k a n n t , so wird die E r ö f f n u n g einer allem subjektiven Vermögen überlegenen Tatsächlichkeit augenscheinlich. Aber d a ß diese Tatsächlichkeit zu einem Ganzen zusammengeht, und d a ß dieses eine neue Stufe der gesamten Wirklichkeit und zugleich zur Seele unseres Lebens wird, das läßt sich nun und nimmer von draußen her d a r t u n , das kann uns nie zur Gewißheit werden, so lange wir u n s jenes Neue wie etwas Fremdes gegenüberstellen und uns lediglich betrachtend und beobachtend zu ihm verhalten. Vielmehr bedarf es hier einer Tat von innen her, es gilt, mit dem Neuen eins zu werden, den Kern des eignen Wesens darin zu setzen. Nur wer selbst zur Tätigkeit aufsteigt, kann Tätigkeit e r f a h r e n ; nur wer das eigne Sein zu einem Ganzen z u s a m m e n f a ß t , eines Ganzen inne werden; nur wer die letzte Tiefe des Wesens belebt und in den Kampf hineinwirft, die Ursprünglichkeit und Absolutheit der überwindenden Geistigkeit als eigne W a h r h e i t erleben. So s t e h t die Sache schließlich auf einer persönlichen Entscheidung, auf einer begründenden T a t . Diese ist d a d u r c h vorbereitet, d a ß an diesem P u n k t e als dem Mittelpunkte alle Fäden des Lebens zusammenlaufen, die doch nicht bloße Willkür gewoben h a t , d a ß die Verneinung hier einen unerträglichen Widerspruch ergibt, indem sie in ihren Konsequenzen alle Geistigkeit a u f h e b t , die sich doch nicht aufheben läßt. Aber alle Vorbereitungen und E m p f e h l u n g e n können die entscheidende T a t nicht erzwingen, sie bleibt stets eine Sache der Freiheit. Denn wo keine Energie des Lebens und Wesens waltet, da k a n n seine Zusammenfassung zur Einheit unterbleiben, da mögen wir die Widersprüche gelassen hinnehmen und bald dem einen bald dem anderen Antriebe folgen. So liegt alles
246
Der K a m p f um d i e W e l t m a c h t d e s G e i s t e s l e b e n s
an einem Vordringen des Ganzen durch wesenumfassende T a t . Eine solche T a t aber k a n n ihre W a h r h e i t n u r durch sich selbst, durch ihr eignes Gelinge«, das heißt hier aber durch die U m k e h r u n g des Lebens und die Entwicklung, einer neuen Welt erweisen. Der Lebensprozeß befindet sich hier an dem P u n k t der innersten u n d letzten Bildung, er h a t seinen eignen Kern erst zu suchen, ja zu schaffen, er ist dabei rein auf sich selbst gestellt, er schwebt- zwischen dem Nichts und der Unendlichkeit. Der Mensch, bisher durch den Zus a m m e n s t o ß ganzer Welten erdrückt, wird hier zum Schaffen einer neuen Art und zugleich zum Mitschaffen einer neuen Welt aufgerufen. Solche U m k e h r u n g weist alles, was sonst fest und sicher schien, auf die Freiheit als seine wahre Begründung, sie m a c h t aber diese, d. h. ein von allen gegebenen Voraussetzungen unabhängiges Schaffen, dies Rätsel aller Rätsel, zum schlechthin Gewissen und Unmittelbaren. Die Möglichkeit einer' so f u n d a m e n t a l e n W e n d u n g , die Möglichkeit einer Einssetzung des Menschen mit der überwindenden Geistigkeit, ist n u r durch die Tatsache ihrer Verwirklichung zu erhärten, nur die Wirklichkeit beweist hier die Möglichkeit. W e n n aber jene umwälzende T a t die höchste Freiheit des Menschen zeigt, so ist sie zugleich nur verständlich und h a l t b a r als eine T a t und O f f e n b a r u n g einer W e l t der Freiheit; das neu errungene Wesen k a n n nie dem bloßen Menschen e n t s t a m m e n , das Geschaffene m u ß zugleich ein Empfangenes und Erfahrenes sein, das Neue aus inneren Zusammenhängen entgegenkommen, bevor es sich aneignen läßt. Die Einheit von voller Freiheit und voller Abhängigkeit, das ist das unlösbare Geheimnis und zugleich die sonnenklare W a h r h e i t alles schaffenden Geisteslebens. So finden wir das Leben schließlich auf eine axiomatische T a t gestellt und diese als den Quell aller Gewißheit einer überlegenen O r d n u n g . D a r a n Anstoß nehmen k a n n n u r , wer v e r k e n n t , d a ß alle geistige Tätigkeit auf Axiomen b e r u h t . Alle Forschung endet in G r u n d w a h r h e i t e n , die sich nicht weiter ableiten lassen, sondern u n m i t t e l b a r einleuchten m ü s s e n ; das Handeln läßt sich nicht ins Unendliche weiter begründen, es m u ß schließlich seinen Zweck in sich selber t r a g e n . Alle einzelnen Tätigkeiten aber f ü h r e n auf eine das ganze Leben umfassende H a u p t t a t , ihre Axiome müssen an jenes G r u n d a x i o m Anschluß suchen, wenn sie feststehen wollen. D a ß aber die letzte Entscheidung in die Freiheit gestellt wird, und
A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit dem Zweifel
247
d a ß schließlich die Wahrheit selbst einen persönlichen Charakter a n n i m m t , das entspricht durchaus der Grundüberzeugung eines a u t o n o m e n Idealismus, die letzte Wurzel der Wirklichkeit in der Freiheit zu suchen. Das war auch die Meinung der Religionen, wenn sie die Verbindung mit dem Göttlichen nicht auf ein folgerndes Wissen, sondern auf ein unmittelbares Erfassen g r ü n d e t e n . Ein solches suchten sie in dem G l a u b e n , den sie dabei als eine Sache freier T a t verstanden, die als Pflicht an den Menschen komme. Von hier aus wirkt der Grundgedanke aufs eindringlichste zur Menschheit. Aber die Religionen haben o f t die A u s f ü h r u n g mit der Grundidee nicht im Einklang gehalten, ja sie wohl gar in einen Gegensatz dazu gebracht. Denn sie haben viel zu sehr den Glauben n u r als eine andere Art des Wissens behandelt, sie h a b e n ihn bald auf geschichtliche D a t e n und W u n d e r , bald auf spekulative Lehren vom Wesen der Gottheit bezogen. Solche Daten und Lehren haben aber keinen axiomatischen Charakter, entweder sind sie beweisbar und lassen sich dann jedem abzwingen, oder sie sind es n i c h t ; d a n n kann es nun und nimmer pflichtmäßig sein, sie unbewiesen gelten zu lassen oder die Anforderungen an die Beweisführung herabzustimmen. Die Religionen müssen eine festere W a h r h e i t besitzen, als alles Wissen zu geben vermag, sie sollten zu stolz sein, sich bei der Begründung ihrer H a u p t w a h r h e i t vom Wissen etwas schenken zu lassen. Wenn sie ferner oft den Glauben im Sinne eines Wissens von göttlichen Dingen mit dem Glauben im Sinne einer W e n d u n g des Wesens zur überwindenden Geistigkeit vermengten, so haben sie d a m i t viel schweren Druck erzeugt, das menschliche Leben verwirrt, schließlich aber am meisten sich selbst geschädigt. D a ß solche Vermengung aufhöre oder doch kräftig zurückgewiesen werde, das ist eben jetzt der Menschheit eine wichtige Angelegenheit geworden. Glaube und Freiheit haben ein Recht n u r da, wo innere Bewegungen und Wandlungen in Frage stehen, die jeder u n m i t t e l b a r erfahren k a n n , n u r da, wo es gilt, das eigne Leben in eine T a t zusammenzufassen u n d an dem Schaffen einer neuen Welt teilzugewinnen. Das besagt zugleich, d a ß die letzte Begründung der neuen Welt nicht von der Geschichte her, sondern u n m i t t e l b a r und ursprünglich zu erfolgen h a t . Die Geschichte k a n n n u r fördern, sofern sie sich an ein solches anschließt und es w e i t e r f ü h r t ; sie voranstellen, das heißt die Innerlichkeit und weiter auch die Sicherheit des Ganzen gefährden:
248
D e r Kampf um d i e W e l t m a c h t d e s G e i s t e s l e b e n s
Damit
wird
keineswegs jene W e i t e r f ü h r u n g d u r c h
zur bloßen N e b e n s a c h e .
die
Geschichte
D a ß d a s neue Leben ü b e r h a u p t auf dem
Boden der Geschichte zu u m f a s s e n d e n B i l d u n g e n , zur V e r k ö r p e r u n g und
Machtentfaltung
Hinausreichen
gelangte,
des P r o b l e m s
ist ein wichtiges Zeugnis f ü r
über
das
d a s bloße E i n z e l l e b e n ; wichtiger
als dieses ä u ß e r e Zeugnis ist die innere B e w ä h r u n g , welche in der geschichtlichen F o r t b i l d u n g des allgemeinen G e d a n k e n s zu e i g e n t ü m lichen G e s t a l t u n g e n liegt, d a solcher F o r t g a n g eine d u r c h keine k ü n s t lichen
Mittel erreichbare
Entwicklungsfähigkeit
der
Grundtatsache
b e k u n d e t ; a m wichtigsten a b e r ist die s t a r k e W i r k u n g , die i n n e r h a l b dieser neuen W e l t v o n den leitenden Geistern g e ü b t w a r d . ihr Leben g a n z von d e r ü b e r w i n d e n d e n
Denn da
Geistigkeit erfüllt u n d
das
u n m i t t e l b a r e V e r h ä l t n i s zur Quelle dieser Geistigkeit die G r u n d l a g e u n d die Seele ihres Lebens u n d W e s e n s g e w o r d e n w a r , so w a r d hier eine s e l b s t ä n d i g e
Innenwelt ü b e r alle Verwicklungen der W e l t des
Kampfes hinausgehoben
und
in sich selbst zur f e s t e n E i n h e i t eines
C h a r a k t e r s z u s a m m e n g e s c h l o s s e n ; in d u r c h g r e i f e n d e r U m k e h r u n g ist hier d a s Schwerste s e l b s t v e r s t ä n d l i c h g e w o r d e n u n d a u s d e m wickeltsten
eine schlichte
Einfalt
entsprungen,
zugleich
Ver-
aber
hat
das neue Leben eine solche A n s c h a u l i c h k e i t e r l a n g t , d a ß es als ein Urquell der E r w e c k u n g u n d Veredlung mit unversieglicher frische n i c h t
nur
die
Individuen
Gesamtstand
der Menschheit
zu
ergreifen, sondern
zu e r n e u e r n
vermochte.
W u n d e r , welches alle E r ö f f n u n g der ü b e r w i n d e n d e n ihrer
Erweisung des u n m i t t e l b a r e n
Jugend-
auch Das
Geistigkeit
W i r k e n s des a b s o l u t e n
den
innere mit
Lebens
e n t h ä l t , gelangt hier z u r - d e u t l i c h e n u n d ü b e r w ä l t i g e n d e n E r s c h e i n u n g ; es ist begreiflich, d a ß bei d e n S p ä t e r e n die Bewegung von hier aus g e w e c k t wird u n d sich auch in ihrem F o r t g a n g u n a b l ä s s i g d a r a u f z u r ü c k b e z i e h t . Aber bei aller B e d e u t u n g u n d U n e n t b e h r l i c h k e i t der E r g ä n z u n g d u r c h die Geschichte wird d a s Leben keine Z u s a m m e n s e t z u n g Geschichte u n d u n m i t t e l b a r e m Leben.
von
Dies Leben m u ß s t e t s ü b e r -
legen bleiben, die Leistung der Geschichte auf seinen Boden ziehen, hier entwickeln u n d beleben, was jene an b l e i b e n d e r W a h r h e i t e n t h ä l t . Eine
zeitüberlegene
Unmittelbarkeit
ist
dem
Geistesleben
u n e n t b e h r l i c h ; die Geschichte k a n n z u m Unsegen w e r d e n , w e n n sie sich zur H a u p t s a c h e a u f w i r f t ; sie wird zur w e r t v o l l e n
Verstärkung
des Lebens, w e n n sie sich der ewigen A u f g a b e a n s c h l i e ß t u n d e i n f ü g t . J e m e h r sich so d a s n e u e Leben bei sich selbst e r f ü l l t u n d bef e s t i g t , d e s t o zuversichtlicher k a n n es d e n K a m p f gegen die W i d e r -
Auseinandersetzung mit dem Zweifel
249
s t ä n d e unternehmen, die es anfänglich zu erdrücken schienen. Weder die innere Unfertigkeit noch die äußere H e m m u n g vermag n u n an i h m irre zu machen. Unser Unvermögen, die neue Wirklichkeit begrifflich durchzubilden und anschaulich vorzustellen, wäre nur gefährlich, wenn die Sache uns von d r a u ß e n auf dem Wege der Welterkenntnis zugeführt w ü r d e ; denn d a n n m ü ß t e allerdings in ausgef ü h r t e m Bilde gegenwärtig sein, was auf uns wirken und uns zur Teilnahme gewinnen sollte. Aber hier handelt es sich um eine W e n d u n g des Lebens von innen her, um eine innere E r h ö h u n g in der Ergreifung der neuen W e l t ; dabei können alle Verwicklungen der Ausführung die H a u p t t a t s a c h e nicht erschüttern, ja sie mögen die Macht und die Unwiderstehlichkeit jener Tatsache besonders s t a r k empfinden lassen. Gewiß m u ß die neue Welt zu einer Entwicklung in Begriffen und Gestalten streben, aber das ist nur ihre Erscheinung, nicht ihr Kern, die Erscheinung kann in Wandel und Fluß verbleiben, ohne d a ß der Kern dadurch unsicher wird. — Ebenso kann auch der Widerstand und die Gleichgültigkeit der nächsten Welt die überwindende Geistigkeit nicht ins W a n k e n bringen. Denn so wenig sie jenes ieicht nehmen darf, und so wenig sie auf einen vollen Sieg verzichten kann, viel zu deutlich durchschaut sie die Bedingtheit und Beschränktheit jener Welt, um die nächste E r f a h r u n g fiir die letzte Entscheidung zu n e h m e n . So erschüttert jene zwiefache Einwendung nicht die innere Gewißheit des neuen Lebens. Aber seine Existenzform f ü r den Menschen wird allerdings ein unablässiger K a m p f . Denn das n ä c h s t e Dasein gehört überwiegend den f r e m d e n oder feindlichen M ä c h t e n . Ihr Wirken dringt unablässig auf uns ein und u m f ä n g t uns mit der Macht der Selbstverständlichkeit, der zähe Widerstand des Kleinen u n d Werktäglichen l ä h m t den Aufschwung des Lebens, das Bild und die Ansprüche der sinnlichen Welt beherrschen den Menschen und e n t f r e m d e n ihm jene andere Welt. Je mehr sich das befestigt, um so mehr m u ß der Zweifel um sich greifen; was der Mensch in der Wurzel seines Wesens sicher e r f a ß t , das wird ungewiß f ü r die breite Fläche des Lebens. So ist bei der Begegnung von Zweifel und Gewißheit in demselben Leben jener f ü r die erste Ansicht im Vorteil, das andere scheint dawider nicht aufkommen zu können, dem Menschen bleibt seine eigne Tiefe verschlossen, eine unerträgliche Last scheint ihm auferlegt. Das läßt ihn in seinem Mute wanken und einer inneren Zagheit verfallen; fraglich wird ihm wieder, was schon sicher gewonnen schien. D a ß der Mensch in solcher E r s c h ü t t e r u n g Hilfe
250
D e r Kampf um d i e W e l t m a c h t d e s G e i s t e s l e b e n s
von a u ß e n anrief, ist vollauf begreiflich, ebenso a u c h , d a ß er eine solche v o r n e h m l i c h v o n s i n n l i c h e n . Z e i c h e n hoffte.
und
Wundern
er-
D e n n n u r sie schienen ein siegreiches W i r k e n der ü b e r w i n -
d e n d e n Geistigkeit auch i n n e r h a l b der s i c h t b a r e n W e l t zu erweisen, e t w a s u n e r s c h ü t t e r l i c h Festes zu bieten u n d d e m l ä h m e n d e n Zweifel ein sicheres E n d e zu m a c h e n . Macht darüber
Ob a b e r in dieser Weise eine höhere
m i t s i c h t b a r e r W i r k u n g in die sinnliche W e l t k a n n n u r die E r f a h r u n g des
hineinwirkt,
Lebens u n d der
Geschichte
e n t s c h e i d e n ; b e j a h e n d e n f a l l s m ü ß t e n die b e h a u p t e t e n D a t e n keinem Zweifel
unterliegen,
sie m ü ß t e n
mit
unzweideutiger
Klarheit
der
Menschheit entgegenscheinen, gleichmäßig f ü r alle B i l d u n g s s t u f e n u n d G e m ü t s l a g e n , Völker u n d Z e i t e n ; sie m ü ß t e n zu solchem Zweck sich unablässig
erneuern,
um
nicht
allmählich
zu
verblassen
und
aus
d u n k l e r Ferne zu w i r k e n , die n u r vielfach v e r m i t t e l t e Berichte zugänglich m a c h e n .
Mit solcher u n a n g r e i f b a r e n Gewißheit u n d A u g e n -
scheinlichkeit sind u n s a b e r ä u ß e r e W u n d e r n i c h t gegenwärtig, sie werden m e h r in der F e r n e b e h a u p t e t als in der N ä h e aufgewiesen, d a z u w i d e r s p r e c h e n die Berichte vielfach e i n a n d e r , i m m e r s t ä r k e r w e r d e n die B e d e n k e n der W i s s e n s c h a f t , die den lückenlosen
Zusammenhang
der N a t u r o r d n u n g v e r f i c h t ; so v e r f ä l l t das, w a s den Zweifel ü b e r w i n d e n sollte, selbst d e m Zweifel, ja m i t seiner inneren
Ungewißheit
und
Schwierigkeit h a t es o f t d e n Zweifel gesteigert, ist es der
Ü b e r z e u g u n g vieler m e h r zur B ü r d e als S t ü t z e g e w o r d e n . So
ist
in dieser
Weise
der
Ungewißheit
nicht
zu
begegnen,
s i c h t b a r e Zeichen sind d e m Menschen v e r s a g t , er bleibt in u n s e r e r Weltordnung angewiesen.
auf die inneren
Beweise des
Geistes u n d
der
Kraft
D a ß diese aber unerschöpflich u n d j u g e n d f r i s c h i m m e r
von n e u e m a u f q u e l l e n , d a ß die ü b e r w i n d e n d e Geistigkeit u n s gegenw ä r t i g bleibt, ihr S c h a f f e n n i c h t einstellt, sondern allen A n f e c h t u n g e n i m m e r neue u n d höhere Bildungen e n t g e g e n s e t z t , diese innere, von j e d e m zu erlebende, j a selbst zu vollziehende T a t s a c h e der E r z e u g u n g einer n e u e n
Welt,
innere W u n d e r
dies W a c h s t u m
durch
ist s t a r k g e n u g , y m
die
Erschütterung,
allen Zweifel zu
u n d im K a m p f einen f e s t e n R ü c k h a l t zu b i e t e n .
dies
überwinden
Auf der
Energie
u n d W a h r h a f t i g k e i t d e s i n n e r e n S c h a f f e n s s t e h t hier schließlich d a s Ganze.
Das
Leben
erhält damit
einen h e r o i s c h e n
Charakter,
seine A u f g a b e wird n u n , d a s innerlich N o t w e n d i g e gegen allen widersprechenden
Schein,
die
Hauptidee
A u s f ü h r u n g , d a s unerläßliche
gegen
Ziel gegen
alle alle
Verwicklungen
der
Unzulänglichkeit
der
Auseinandersetzung mit dem Zweifel
251
uns zustehenden Mittel a u f r e c h t z u h a l t e n . Die Überzeugung schließt dabei von dem Größeren auf das Kleinere (a majori ad minus): wo das Größere Wirklichkeit ward, da wird schließlich auch das Kleinere möglich w e r d e n ; das Größere aber ist die Schöpfung einer neuen Welt und eines neuen Lebens. Alle Begründer der großen Weltreligionen haben d e m g e m ä ß das innere W u n d e r f ü r größer geachtet als alle ä u ß e r e n ; auch Luther m e i n t : „ O b ' s nicht leiblich geschieht, so geschieht's doch geistlich in der Seele, da es viel größer ist". Die Reformation als Ganzes bekundet deutlich, d a ß große religiöse Bewegungen ohne sinnliche W u n d e r möglich sind. j a wenn hier die innere Tatsache rein bei sich selbst ergriffen und das neue Leben allein auf seine eigne K r a f t gestellt wird, so k a n n eben der Widerstand seine Festigkeit noch v e r s t ä r k e n ; gerade die Angriffe können die Unverlierbarkeit der neuen Welt und ihre Überlegenheit gegen die Sphäre jener Angriffe zu vollem Bewußtsein bringen. Hier entwickelt sich eine Gesinnung, welche nicht von der V e r n u n f t , sondern von der U n v e r n u n f t der Welt ihren Weg zum Göttlichen findet, welche durch den Widerspruch zu einer fast trotzigen Betonung ihrer Selbstgewißheit gereizt w i r d ; aus ihr erklärt sich auch jenes credo quia a b s u r d u m , ein in dieser Fassung freilich recht anfechtbarer, auch geschichtlich unbeglaubigter Ausdruck einer wohlverständlichen D e n k a r t . Denn wer k a n n leugnen, d a ß nicht das Glück, sondern das Unglück die Menschen zur Religion zu f ü h r e n pflegt, d a ß namentlich da die Tempel aus der Erde wachsen, wo schweres Leid die Menschen traf. Das ist nicht bloß ein selbstisches und äußerliches Hilfesuchen, sondern eine innerste Notwendigkeit des Lebens m a c h t die neue Welt dem Menschen u m so gewisser, je mehr die Unzulänglichkeit der alten e m p f u n d e n und a n e r k a n n t wird. Demnach ist es überall die Tiefe und K r a f t des Lebens, woraus die Überzeugung ihre Gewißheit s c h ö p f t ; jenes Leben steigern, das heißt auch die Überzeugung stärken. So ist das Beste, was zur Befestigung der neuen Welt in menschlichen Verhältnissen geschehen k a n n , die Verbindung zu gemeinsamer Arbeit, die Gestaltung eines dem Durchschnitt überlegenen Lebenskreises, der A u f b a u eines neuen Reiches innerlicher Art, wo jene neu« Welt auch bei uns eine Verwirklichung erlangt, wo die Güter des neuen Lebens zu Mächten werden, wo ihre W e r t e gelten, wo die aufstrebenden K r ä f t e sich gegenseitig heben u n d stützen und eine gemeinsame geistige A t m o sphäre das Leben u n d T u n umschließt. Auf den verschiedenen Stufen
252
Der Kampf um die W e l t m a c h t des
Geisteslebens
h a t die T a t einen verschiedenen Sinn, auf jeder von ihnen aber ist sie- es, der die H a u p t ü b e r w i n d u n g des Zweifels zufällt, nicht das Grübeln, das vielmehr nur immer weiter in ihn hineintreibt.
c. Entwicklung der neuen Welt. Aus der Begründung der neuen Welt erwächst u n m i t t e l b a r die Forderung einer näheren Entwicklung ihres Gehaltes. Denn die axiomatische T a t , bei der sich die letzte E n t s c h e i d u n g fand, verlangt zu ihrer Befestigung einen Aufweis ihrer F r u c h t b a r k e i t , wie ihn nur eine solche E n t w i c k l u n g bieten k a n n ; so h a t sie notwendig die bisherige Darlegung zu ergänzen. Zur Befestigung wird sie aber n a m e n t lich d a n n beitragen, wenn sich d a r t u n läßt, d a ß die überwindende Geistigkeit eine eigentümliche Gestaltung des Lebens mit neuen Größen und W e r t e n bringt, die f ü r a l l e V e r t i e f u n g d e s L e b e n s u n e n t b e h r l i c h sind, die in W a h r h e i t überall a n e r k a n n t werden, wo d a s Streben die Richtung zur Tiefe n i m m t . Denn so wird das ganze Leben zum Zeugnis f ü r das Recht der überwindenden Geistigkeit. Dabei m u ß das Neue sein Eigentümliches zunächst als etwas Unterscheidendes, ja Gegensätzliches bieten; alsdann erst läßt sich fragen, ob durch diese besondere A u s f ü h r u n g der G e s a m t c h a r a k t e r des Lebens g e s t ä r k t und vor sonst drohender Zerstörung bewahrt wird. In der Behandlung dieser Aufgabe darf die Philosophie sich nicht an eine der besonderen Gestaltungen binden, welche die einzelnen Religionen dem neuen Leben gegeben haben, sie h a t das Problem in allgemeinster Fassung aufzunehmen. Wenngleich das auf diesem Wege erreichbare Bild bloße Umrisse nicht überschreitet, so h a t eine solche Herausstellung des Gemeinsamen, Allgemeinmenschlichen einen selbständigen W e r t ; auch die besondere Gestaltung geschichtlicher Art darf sich sicherer fühlen und kann kräftiger wirken, wenn sie diese gemeinsame Tatsache hinter sich h a t . Zur Entwicklung des neuen Lebens ist unerläßlich, d a ß wir die H a u p t t a t s a c h e , das Erscheinen einer überwindenden Geistigkeit in unserem menschlichen Lebenskreise, in sich abstufen und in der Richtung vom Allgemeinen zum Besondern verfolgen; nur so wird eine Mannigfaltigkeit f a ß b a r und k a n n sich der Reichtum des neuen Lebens erschließen. — Solche A b s t u f u n g erblicken wir namentlich in v i e r P u n k t e n . Bedeutende Folgen h a t es zunächst, d a ß ü b e r h a u p t ein u n m i t t e l b a r e s Verhältnis zum absoluten Leben entsteht, weiter,
E n t w i c k l u n g der n e u e n Welt
253
d a ß das d a m i t gesetzte Leben eine H i n a u s h e b u n g über das Reich der Verwicklung vollzieht, ferner d a ß dessen Überwindung in einer Innenwelt erfolgt und hier eine neue Art des Lebens bereitet, endlich, d a ß d a m i t das Individuum eine neue Stellung zum Ganzen und zugleich eine beträchtliche innere E r h ö h u n g erhält. Diese Folgen sind nun P u n k t f ü r P u n k t zu betrachten. Aus dem unmittelbaren Verhältnis zum absoluten Leben e n t wickelt sich ein neuer Typus gegenüber den Richtungen des Lebens auf die Menschen oder auf das All,-die beide die Vernunft nur in der Ausbreitung und u n t e r Bedingungen und Vermittlungen erfassen. Wie schwere Verwicklungen daraus erwachsen, h a t sich uns zur Genüge gezeigt. Weder beim Menschen noch bei der Welt fand sich eine volle V e r n u n f t ; wird das Leben letzthin daran gebunden, so reicht die U n v e r n u n f t bis in seine tiefste Wurzel hinein und läßt sich nun und n i m m e r überwinden. Es wird d a n n zwischen der Kälte und Starrheit einer fremden N a t u r und der Kleinheit und Selbstsucht der menschlichen Art unsicher hin- und hergeworfen. Daher ward das Streben, sich diesem Gegensatz zu entwinden und ein eignes, ihm überlegenes Reich zu schaffen, ein H a u p t z u g aller geistigen Arbeit. Aber ohne die überwindende Geistigkeit ist dies Streben viel zu schwach, um durchzudringen; es bleibt eine bloße Regung, ein aussichtsloses U n t e r n e h m e n , bis es einen festen Rückhalt in der Entwicklung eines d i r e k t e n V e r h ä l t n i s s e s z u m absoluten L e b e n gewinnt und d a r a u s Mut und K r a f t auch f ü r die allgemeinere Aufgabe s c h ö p f t . Denn in jenem Verhältnis liegt sowohl eine Erwärmung und Verinnerlichung der Welt gegenüber der Seelenlosigkeit der bloßen N a t u r , als eine Befreiung von den bloßen Menschen, ihren Lagen und Launen, ihrer Torheit u n d Flachheit; dort k a n n sich ein reiches Leben im Kampf gegen die Menschen, auch in Verlassenheit von den Menschen entwickeln. So sichert erst jene W e n d u n g ein Beisichselbstsein des Geisteslebens und s t ä r k t zugleich alles andere Streben, das f ü r solche Unabhängigkeit eintritt. Auch m a c h t n u r eine u n m i t t e l b a r e Begründung im absoluten Leben es verständlich, wie im Menschen ein von aller Verderbnis des Durchschnitts u n b e r ü h r t e r Kern oder vielmehr Keim verbleiben k a n n , wie sich darauf aus allen Erschütterungen zurückgehen, und wie sich in aller Widerwärtigkeit des menschlichen Treibens eine-Liebe zu den Menschen und ein Glaube an die Menschen erhalten läßt. D e n n wie sich das aus dem kläglichen Durchschnittsstande rechtfertigen
254
D e r Kampf um die W e l t m a c h t d e s G e i s t e s l e b e n s
soll, ist schlechterdings n i c h t zu ersehen.
A u c h pflegt dieser S t a n d
d e n Einzelnen als ein bloßes Mittel zu b e h a n d e l n , ihm nirgends einen Selbstwert z u z u e r k e n n e n , u m den K e r n seines W e s e n s , u m die R e i n h e i t seines Herzens, u m die R e t t u n g seiner Seele u n b e k ü m m e r t zu sein. Nur
in d e n Z u s a m m e n h ä n g e n
der ü b e r w i n d e n d e n
Geistigkeit
ver-
mögen solche Ziele sich zu b e h a u p t e n , n u r hier ist unser Leben in einem überlegenen
Leben sicher geborgen.
So e r s c h e i n t schon
zu
A n f a n g die neue S t u f e zugleich als die V o l l e n d u n g u n d als die n o t wendige B e g r ü n d u n g des Beisichselbstseins des L e b e n s . Der zweite P u n k t zeigt die neue W e l t s c h o n deutlicher prägt.
Hier h a n d e l t es sich u m d a s E i n s e t z e n einer
Ordnung
gegenüber dem
Reich des K o n f l i k t e s .
ausge-
überlegenen
Das Neue
trägt
dabei den C h a r a k t e r freier T a t u n d bildet s o m i t einen vollen Gegens a t z zu aller gegebenen N a t u r u n d aller ihr angehörigen E n t w i c k l u n g ; w a s n i c h t von j e n e r T a t g e t r a g e n wird, d a s s i n k t hier zur
bloßen
N a t u r h e r a b ; so auch die geistige K r a f t , j a alles geistige Leben, d a s v o r j e n e r W e n d u n g liegt oder sie g a r v e r w i r f t . n u r d u r c h die E r f a h r u n g u n d
Wie aber d a s Neue
E m p f i n d u n g des W i d e r s p r u c h e s
gänglich wird, so m u ß d a s ' U n v e r m ö g e n
aller N a t u r e r k a n n t
zuund
a n e r k a n n t w e r d e n , d a m i t d a s Neue freien P l a t z g e w i n n e ; o h n e eine E r s c h ü t t e r u n g des Alten k a n n kein Neues e n t s p r i n g e n .
Das
ergibt
eine energische Abweisung aller bloß n a t u r h a f t e n S i t t l i c h k e i t ; alles G u t e aus b l o ß n a t ü r l i c h e r länglich, ja wertlos.
Kraft und
Neigung wird n u n m e h r
unzu-
Zugleich a b e r regen sich n e u e K r ä f t e , es b e g i n n t
ein A u f k e i m e n von B e s t r e b u n g e n u n d
E m p f i n d u n g e n jenseits aller
N a t u r ; n u r diese Z u s a m m e n h ä n g e m a c h e n eine Feindesliebe begreiflich, w ä h r e n d sie d e m n a t ü r l i c h e n V e r s t ä n d e mit K o n f u c i u s als ein U n d i n g erscheinen
muß;
empfundenen
nur
hier k a n n
Erniedrigung
N u r hier k a n n es h e i ß e n : (Luther).
zu
Dankbarkeit einer f r e u d i g e n
„ L i e b e sieht
aus
einer
drückend
Erhöhung
Undankbarkeit
werden.
nicht
an"
Auch zeigt sich n u n , wie alles L e b e n geistiger A r t n i c h t in
ein Verwenden u n d V e r k n ü p f e n gegebener K r ä f t e a u f g e h t , s o n d e r n wie es die K r ä f t e zu e r h ö h e n , d e n v o r g e f u n d e n e n B e s t a n d zu steigern vermag.
Es ist die ü b e r w i n d e n d e Geistigkeit, auf G r u n d d e r e r d a s
menschliche Wesen zu wachsen Gemeinschaft
vermag, mehr
durch nur
d a s Ringen m i t d e m Vorwurf der A r b e i t k r a f t jener
Geistigkeit
kann
Liebe
und
und
Ge-
G e h a l t s ist a b e r zugleich
eine
a u s u n s m a c h e n , neue B e s t r e b u n g e n
s i n n u n g e n in u n s w e c k e n . Solche E i n f ü h r u n g eines n e u e n
E n t w i c k l u n g der neuen Welt
255
Befreiung von der alten Form, eine Überwindung der bloßnatürliehen Kausalität, welche zunächst die Herrschaft besitzt und sie in der Außenwelt dauernd b e h a u p t e t . K ö n n t e auch die Geisteswelt sie nirgends abwerfen, blieben wir dauernd an die natürliche Verkettung geschmiedet, so wäre bei der tatsächlichen Verwicklung der Welt und der Schwäche des Guten die Lage verzweifelt; immer schwerer m ü ß t e n die Folgen unserer Handlungen auf uns lasten, immer m a t t e r m ü ß t e das Streben u n t e r solchem Druck, immer geringer das Vermögen zum Reinen und Guten werden. Ein Abbrechen der Reihe, ein Neueinsetzen, ein ursprüngliches Schaffen, ein inneres W u n d e r ist unentbehrlich, wenn nicht das Leben der Riesengröße der hemmenden und zerstörenden Mächte erliegen, wenn sich nicht auch die beste K r a f t nutzlos verbrauchen und verzehren soll. Dieses Abbrechens und Neueinsetzens bedarf alle innere Bildung, es durchdringt als Gnade und Versöhnung, als Selbstüberwindung und Aufopferung alle menschlichen Verhältnisse. Aber einen Gehalt und einen Grund erhält es erst mit dem Selbständigwerden einer überwindenden Geistigkeit. Sie allein eröffnet eine Unerschöpflichkeit des Lebens, sowie eine Möglichkeit neuer Wendungen, einer Rückkehr zur Einfachheit und Kindlichkeit, während sonst das Leben immer verwickelter, verbrauchter, greisenhafter werden m ü ß t e . Die Möglichkeit reiner Anfänge, einer Erweckung jugendfrischer, ursprünglicher, schuldloser Mächte ist eine Notwendigkeit f ü r die E r h a l t u n g wahrhaftigen Lebens sowohl beim Einzelnen als bei der Menschheit. Wir fanden solche Freiheit unentbehrlich f ü r alle echte Geschichte u n d Gegenwart. Wenn große Möglichkeiten offen stehen und die Bildung des Ganzen sich noch in Fluß befindet, so wird das Leben aus einem Spiel an der Oberfläche ein Suchen seiner eignen Tiefe, aus einer bloßen Nutzung gegebener K r ä f t e ein Kampf um ein neues Wesen, aus einem willenlosen Dahintreiben mit der N a t u r ein selbständiges D r a m a von reichem Gehalt. Das alles wird stillschweigend a n e r k a n n t , wo immer die Bewegung sich nach innen kehrt und die H o f f n u n g und Arbeit auf wesentliche Erneuerungen geht, es ist die Voraussetzung alles ursprünglichen Schaffens. Wie aber k a n n es den Hemmungen und Verwicklungen gewachsen sein ohne eine überwindende Geistigkeit? In engem Zusammenhange d a m i t steht ein eigentümliches Verhältnis von Vernunft und U n v e r n u n f t , von Gutem und Bösem, das erst mit jener Überwindung volle Klarheit gewinnt, das in der T a t
D e r K a m p f um die W e l t m a c h t d e s G e i s t e s l e b e n s
256
a b e r v o n d e m G a n z e n des Lebens wie v o r a u s g e s e t z t so b e s t ä t i g t wird. N u r die Befestigung eines G u t e n jenseits des Reiches der Verwicklungen läßt einen f e s t e n P u n k t g e w i n n e n , an d e m sich das halten und stützen kann.
Leben
Zugleich besagt die A n e r k e n n u n g
einer
wesentlich höheren S t u f e , d a ß in der Bewegung des Lebens ein Mehr e r r u n g e n , ein A u f k l i m m e n vollzogen, n i c h t bloß ein S c h a d e n geheilt u n d ein Verlust ersetzt w i r d .
Die P r a x i s der Religionen h a t das nicht
selten v e r k a n n t ; so sehr e r f ü l l t e die Heilung der S c h ä d e n , die Befreiung v o m Bösen die G e m ü t e r , d a ß die E r n e u e r u n g u n d E r h ö h u n g d a r ü b e r vergessen
oder
doch
verdunkelt
wurde.
Aber
die
ausschließliche
V e r f o l g u n g dieser R i c h t u n g k a n n die Religion zu einem Spital des Geistes m a c h e n , d a s n u r S c h w a c h e u n d V e r k r ü p p e l t e anzieht, K r ä f t i g e u n d Mutige a b s t ö ß t .
Voller K r a f t a b e r u n d vollen Mutes bedarf es,
u m d e n geistigen K a m p f a u f z u n e h m e n u n d d u r c h z u f ü h r e n ; die Religion selbst
mit
Schaden
ihrer
an
ihrer s t a r k e n
E m p f i n d u n g des
Wahrhaftigkeit,
wenn
nicht
Konfliktes eine
leidet
aufstrebende
Energie des Lebens, eine Bewegung aller K r ä f t e h i n t e r ihr s t e h t , in ihr d r ä n g t u n d w e i t e r t r e i b t . Kampf
auch
einen
Ertrag
So müssen wir f o r d e r n , d a ß der schwere m i t sich
bringe, n i c h t
Verlust u n d Gewinn e i n a n d e r die W a g e
bloß im Leben
halten.
A b e r zugleich bleibt d a s Böse in m ä c h t i g e r W i r k u n g , sie wird durch
die W e n d u n g
scheint
jenes
als
eher
ein
gesteigert als v e r r i n g e r t .
schroffer Widerstand
gegen
Denn n u n das
er-
überlegene
G u t e , als ein Versuch der H e m m u n g u n d H e r a b z i e h u n g , es l ä ß t sich nicht mehr
als ein der N a t u r
a n h a f t e n d e r Mangel v e r s t e h e n
e n t s c h u l d i g e n , es wird z u m vollen u n d d i r e k t e n G e g e n s a t z .
und
Damit
w ä c h s t auch sein D u n k e l , alle D e u t u n g s v e r s u c h e zerschellen an der Undurchsichtigkeit
des T a t b e s t a n d e s .
s c h ä r f u n g verliert
das
Böse
A b e r bei aller solchen
die n i e d e r d r ü c k e n d e
und
Ver-
zerstörende
M a c h t , die es h a b e n m u ß , wo die W e l t , der es a n h ä n g t , das Letzte u n d Ganze
bedeutet,
wo
es
keine B e r u f u n g v o n
ihr
an
eine h ö h e r e
O r d n u n g g i b t ; die E r ö f f n u n g eines neuen Reiches verleiht die K r a f t , das
Leben t r o t z aller H e m m u n g
a u f r e c h t z u h a l t e n , indem sie
ihm
einen von j e n e r u n b e r ü h r t e n G e h a l t g e w ä h r t . Zu erklären v e r m a g d a s Böse keine der Ü b e r z e u g u n g e n , a b e r es b e l a s t e t sie in sehr verschiedener Weise.
Der P a n t h e i s m u s , der die W i r k l i c h k e i t u n m i t t e l b a r in einen
einzigen Z u s a m m e n h a n g f ü g t , s c h e i t e r t r e t t u n g s l o s a n diesem P r o b l e m ; denn
er m ü ß t e d a s Böse e r k l ä r e n u n d r e c h t f e r t i g e n , er v e r m a g d a s
a b e r ebensowenig wie wir a n d e r e n .
Auch f ü r den T h e i s m u s bleibt d a s
E n t w i c k l u n g der n e u e n W e l t
257
Böse ein unlösbares Rätsel, aber ihn e r s c h ü t t e r t es nicht bis zu seinem tiefsten Grunde, da er eijie andere Welt als dieses Gemisch von V e r n u n f t und U n v e r n u n f t k e n n t und daher die Lösung der Frage dahinstellen kann ohne sich selbst preiszugeben. So g e s t a t t e t allein die Anerkennung einer überwindenden Geistigkeit beiden Seiten des Gegensatzes ihre volle Stärke zu entfalten, ohne das Leben zu zerreißen, die Tatsächlichkeit des Bösen vollauf anzuerkennen, ohne ihr zu unterliegen. Eine Lösung bringt hier nicht eine Einstellung oder Milderung des Kampfes, sondern das Hervorgehen neuer Güter, ja eines neuen Lebens aus allem Gewirr des Kampfes. Luther drückt dies in seiner Weise so aus: „Dies ist eine geistliche Herrschaft, die da regiert in der leiblichen Unterdrückung, das ist, ich k a n n mich an allen Dingen bessern nach der Seele, auch d a ß der Tod und Leiden mir dienen müssen und nützlich sein zur Seligkeit". An dritter Stelle k o m m t zur Geltung, d a ß die überwindende Macht allererst ein s i c h e r e s R e i c h d e r I n n e r l i c h k e i t a u f b a u t . Es besagt das nicht eine stärkere W i r k u n g des bloßen Gefühls, denn ein Wallen und Wogen des Gefühls, das nicht einen echten T a t b e s t a n d ausdrückt, mag als ein bloßes Spiel das Leben begleiten und u m säumen, nun und nimmer kann es in den stürmischen Wirren einen festen Halt gewähren, noch auch der vorhandenen U n v e r n u n f t kräftig entgegenwirken. Das vermag nur eine neue Wirklichkeit, die größere und ursprünglichere K r ä f t e z u f ü h r t . Wir sahen, wie ein den Gegensätzen überlegenes Innenleben die Grundbedingung alles geistigen Schaffens bildet, wir sahen aber auch, wie ihm aus der Weltverwicklung starke Widersacher erwachsen, denen es zu erliegen d r o h t . Nun aber e n t s t e h t aus der direkten Beziehung unseres Lebens auf das absolute Leben eine eigentümliche Art der Innerlichkeit, die von jenen Hemmungen nicht betroffen wird, und die mit der eignen Entwicklung den Gesamtbegriff ret.tet und alles Wirken f ü r d a s Innenleben u n t e r s t ü t z t . Denn jene Beziehung entfaltet sich gänzlich jenseits der Verwicklungen der Welt, zugleich weiß das neue Leben sich unvergleichlich wertvoller als alle Leistung in der Ausbreitung der Dinge. Gegenüber der H a u p t a u f g a b e der Begründung des Wesens im absoluten Leben verschwinden alle anderen Aufgaben u n d Mühen, die äußeren Sorgen, diese „ S a n d b a n k der Zeitlichkeit", weichen der inneren Sorge, die alles Streben z u s a m m e n f a ß t und einem einzigen Ziele zuwendet. J a das ganze Reich des Äußeren, E u c k e n , Kampf.
III. Aufl.
17
258
D e r Kampf um d i e W e l t m a c h t d e s G e i s t e s l e b e n s
sofern es das S t r e b e n f e s t h ä l t , s i n k t zur W e l t im schlechten
Sinne
h e r a b , die abgewiesen u n d v e r w o r f e n w i r d . Bei sich selbst a b e r w ä c h s t m i t j e n e r K o n z e n t r a t i o n die Innerlichkeit zur Innigkeit, sie u m f a ß t n i c h t m e h r gleichmäßig den g a n z e n
U m f a n g des Lebens, a b e r sie
v e r b i n d e t alles, was a u s der B e w e g u n g v o m h e r v o r g e h t , zu einer
E i n h e i t , verlegt d a h i n
Ganzen z u m den
Ganzen
Schwerpunkt
T ä t i g k e i t und vollzieht zugleich eine innere A b s t u f u n g des
der
Lebens.
Die W e s e n s b i l d u n g , die s o n s t an d e n W i d e r s t ä n d e n s c h e i t e r t e , verm a g sich als G e m ü t s b i l d u n g n u n zu verwirklichen.
Hier fallen Wesen
u n d W e r t nicht m e h r a u s e i n a n d e r wie s o n s t , s o n d e r n sie verschmelzen m i t e i n a n d e r u n t r e n n b a r ; hier, a b e r auch n u r hier, in diesem
Reich
freien Schaffens a u s d e m V e r h ä l t n i s z u m a b s o l u t e n Leben, wird alles Leben g u t , alles Wirkliche w g f t v o l l . des
Innenlebens
alles
N u n m e h r v e r m ö g e n die Größen
N a t u r h a f t e a b z u s t r e i f e n , erst
in diesen
Zu-
s a m m e n h ä n g e n w a c h s e n Begriffe wie P e r s ö n l i c h k e i t , C h a r a k t e r u s w . aus h a l b e n N a t u r b e g r i f f e n zu reingeistigen
Größen.
A u c h d a s wird m i t j e n e r Z u r ü c k v e r l e g u n g u n d
B e f r e i u n g des
Lebens erreicht, d a ß die letzte S c h ä t z u n g des Menschen allen U n t e r schieden der ä u ß e r e n
Stellung, B e g a b u n g u n d
Leistung
entwächst.
Diese w e r d e n , m a g d e r Mensch sich d a g e g e n noch so s e h r s t r ä u b e n , überall d a den Ausschlag g e b e n , wo keine reine und
Innenwelt
besteht
d a s ganze W e s e n zu einer T a t z u s a m m e n f a ß t ; kein noch
d e m o k r a t i s c h e s P r o g r a m m k a n n v o r solcher W e n d u n g b e h ü t e n .
so
Denn
die Idee einer Gleichheit der Menschen w i d e r s p r i c h t aller E r f a h r u n g der W e l t ; n i c h t n u r im W e r k , auch im Vermögen w a l t e n h i e r die stärksten Unterschiede.
N u r bei der i n n e r s t e n A u f g a b e des L e b e n s -
werkes wird der Mensch alles F r e m d e n e n t l e d i g t u n d rein auf sich selbst gestellt, hier fällt alles U n t e r s c h e i d e n d e ab, u n d m ü s s e n v wir alle wesentlich gleiche B e d i n g u n g e n
anerkennen.
Diese V e r t i e f u n g u n d B e f r e i u n g des menschlichen L e b e n s wird aber d a , wo seine
E r f a h r u n g als einem W e l t g e s c h e h e n
zugehörig
v e r s t a n d e n wird, ein u n m i t t e l b a r e s Zeugnis f ü r eine g r ö ß e r e d e s Alls.
Die W e l t des G u t e n wird hier zur Seele u n d zur
Tiefe Haupt-
m a c h t alles Lebens, eine reine Innerlichkeit z u m T r ä g e r aller W i r k l i c h k e i t ; n u n w ä c h s t die
Idee des a b s o l u t e n
Lebens zu der
einer
G o t t h e i t , die Geisteswelt zu einem Reich G o t t e s , die V e r n u n f t zur a l l m ä c h t i g e n Liebe, die Freiheit besiegt e n d g ü l t i g d a s
Schicksal.
D a s alles e n t w i c k e l t sich z u n ä c h s t in d e r b e s o n d e r e n
Richtung,
die n i c h t das ganze Leben a n sich ziehen k a n n , die v i e l m e h r in einem
E n t w i c k l u n g der n e u e n Welt Gegensatz
zum
zu w a h r e n
und
Übrigen ihre
verharren
muß,
Eigentümlichkeit
um
259
ihre
Selbständigkeit
auszuprägen.
Aber
eben
in
d e r B e f e s t i g u n g s e i n e r B e s o n d e r h e i t s t ü t z t u n d f ö r d e r t es a u c h
den
allgemeineren
Des
Gedanken
R ü c k h a l t e s einer solchen bildende Schaffen.
einer
weltüberlegenen
Innerlichkeit.
I n n e r l i c h k e i t b e d a r f alles e c h t e u n d
D e n n o h n e d i e M ö g l i c h k e i t , a u s aller
u n d V e r w i c k l u n g d e r W e l t v e r h ä l t n i s s e auf eine reine
wesen-
Verwirrung
Ursprünglichkeit
d e s L e b e n s z u r ü c k z u g e h e n , h i e r e i n e W e l t ü b e r l e g e n h e i t zu g e w i n n e n , o h n e d a m i t ins Leere zu f a l l e n , g i b t es k e i n e i n n e r e Arbeit,
keine
Selbständigkeit
des
K a m p f e s gegen das Böse, keine Die g e s c h i c h t l i c h e
Erfahrung
solche
alles
Gesinnung
Charakters,
Größe und
bestätigt
kräftige
das
Wirken
Gewißheit
keine
Würde mit
Energie
der
dem
des
Gesinnung.
Aufweis,
f ü r ideale
der
Güter
daß
erfüllte,
auch wo das Bewußtsein anderen u n d widersprechenden
Weltbildern
folgte; selbst
haben
die politischen
und
sozialen
Bewegungen
ihre
K r a f t z u m g u t e n Teil a u s d e r H o f f n u n g auf eine i n n e r e E r h ö h u n g d e s M e n s c h e n g e s c h ö p f t u n d in d e m S t r e b e n n a c h w e s e n t l i c h e n
Erneue-
rungen das Vermögen bezeugt, dem vorgefundenen Weltstande
kühn
entgegenzutreten
Ziele
und
aus der
Innerlichkeit
z u e n t w e r f e n , n e u e K r ä f t e zu g e w i n n e n .
des
Geistes eigne
Wo der Mensch nicht
e i n w e l t ü b e r l e g e n e s W e s e n k ä m p f t , n i c h t a u f eine r e i n e
um
Ursprünglich-
k e i t z u r ü c k g r e i f e n k a n n , d a f e h l t s e i n e m S t r e b e n l e t z t h i n aller G l a u b e u n d alles F e u e r .
Aber wird jene lebenbeseelende
Weltüberlegenheit
n i c h t ein leeres W o r t , w e n n w i r in W a h r h e i t allein d e r W e l t d e r E r f a h r u n g a n g e h ö r e n , w e n n ein r e i n e s I n n e n l e b e n n i r g e n d s eine s i c h e r e Stätte findet?
D a w i r n i c h t als F o l g e f e s t h a l t e n k ö n n e n , w a s
Grunde aufgehoben
ist,
so e r g i b t
sich d a s
unerbittliche
im
Dilemma,
e n t w e d e r alle j e n e A n t r i e b e u n d d a m i t alle G r ö ß e d e s L e b e n s p r e i s z u g e b e n o d e r eine w e l t ü b e r l e g e n e h ä n g e n , w e l c h e sie f o r d e r t ,
Innerlichkeit mit den
Zusammen-
anzuerkennen.
D e r vierte P u n k t betraf die n e u e
Stellung des
Individuums.
D a s I n d i v i d u u m e r f ä h r t z u n ä c h s t die b e d e u t e n d s t e E r h ö h u n g d a d u r c h , d a ß in s e i n e r I n n e r l i c h k e i t , u n d n u r in d i e s e r , e i n e n e u e W e l t d u r c h zubrechen vermag. Gegenwart
des
Geistigkeit. durch
die
erdrückt,
W o h l e r s c h i e n , so s a h e n w i r , v o n A n f a n g a n eine
Gesamtlebens
Aber
dieser
Hemmungen undurchsichtige
im
Individuum,
Zusammenhang des
mit
darauf dem
Durchschnittsstandes
Mächte
bezwangen
den
beruhte
Ganzen
alle
wurde
verdunkelt
und
Menschen
und
v e r w a n d e l t e n i h n in ein b l o ß e s M i t t e l u n d W e r k z e u g f r e m d e r Z w e c k e . 17*
260
D e r Kampf um die W e l t m a c h t d e s G e i s t e s l e b e n s
G e w i n n t er hingegen j e t z t ein d i r e k t e s V e r h ä l t n i s z u m a b s o l u t e n Leben, so erreicht er d a m i t eine S e l b s t ä n d i g k e i t ; die geistige B e w e g u n g , die sonst gleichgültig ü b e r ihn f o r t g i n g , k e h r t n u n m e h r zu i h m z u r ü c k und v e r s i c h e r t ihn eines a b s o l u t e n W e r t e s . Die W e l t p r o b l e m e w e r d e n jetzt auch i n n e r h a l b der Seele des Einzelnen a u f g e n o m m e n , es wird hier u m d a s Ganze u n d m i t der K r a f t des G a n z e n g e k ä m p f t , f ü r d a s Ganze e r h ä l t B e d e u t u n g was hier geschieht, d e m G a n z e n darf diese besondere W e l t n i c h t verloren g e h e n . So g e w i n n t d a s Einzelleben eine Geschichte bei sich s e l b s t ; w i c h t i g , ja zur H a u p t s a c h e w i r d , w a s es aus sich selber m a c h t , w ä h r e n d sonst n u r die Leistung f ü r die allgemeinen O r d n u n g e n zählte. Dies W a c h s t u m des L e b e n s i n h a l t e s e r h ö h t die g e s a m t e des
Individuums.
Stellung
D a s u n m i t t e l b a r e V e r h ä l t n i s zu den s c h a f f e n d e n
u n d e r n e u e r n d e n G r ü n d e n e r h e b t es ü b e r alle bloße Zeit u n d sichtbare W e l t , es sichert d e m i n n e r s t e n K e r n seines W e s e n s eine Ewigkeit u n d eine R e t t u n g a u s allen G e f a h r e n .
Dies a b e r f ü h r t weiter zu
der F o r d e r u n g u n d d e r Ü b e r z e u g u n g , d a ß t r o t z alles w i d e r s p r e c h e n d e n Scheines auch d a s E r g e h e n des I n d i v i d u u m s n i c h t einem s t a r r e n Schicksal oder d e m blinden Zufall überlassen
bleibt,
sondern
daß
es in der H a n d einer h ö h e r e n M a c h t der Liebe u n d W e i s h e i t s t e h t , d a ß auch in seinem
Leben irgendwelcher
Sinn v o r h a n d e n ist
gelegentlich in der L e n k u n g v o n A r b e i t u n d alles D u n k e l der W e l t v e r h ä l t n i s s e
Geschick a u c h
und durch
hindurchscheint.
Aber dies alles h a t eine K e h r s e i t e , in j e n e r E r h ö h u n g des Lebens s t e c k t zugleich eine U n t e r o r d n u n g u n d B i n d u n g .
D e n n der Gewinn
erscheint in diesen Z u s a m m e n h ä n g e n n i c h t als eine eigne
Leistung,
s o n d e r n als d a s W e r k jener überlegenen M p c h t , welche a u s den Verwicklungen in eine neue W e l t e r h e b t ; d a s E r r u n g e n e wird d a m i t etwas E m p f a n g e n e s , ein Geschenk freier G n a d e u n d Grundlage versinkt
alles menschliche
Liebe.
Leben u n d
O h n e solche
v e r f ä l l t d e r Zer
Störung, ein Sieg der V e r n u n f t im Einzelnen ist n i c h t d e n k b a r ohne ihren Sieg im G a n z e n .
Selbst die Freiheit des Menschen, ohne die sich
die n e u e W e l t n i c h t aneignen l ä ß t , b e d e u t e t hier n i c h t ein von jener M a c h t u n a b h ä n g i g e s V e r m ö g e n , s o n d e r n etwas, d a s d u r c h sie gesetzt wird u n d i m m e r f o r t a u s ihr h e r v o r g e h t ; so e r s c h e i n t auch die höchste Leistung des Menschen n i c h t als ein Verdienst, s o n d e r n als eine freie Gabe
höherer
Mächte.
An
dieser
Stelle
der
letzten
Begründung
zwischen G ö t t l i c h e m u n d Menschlichem, zwischen G n a d e u n d Freiheit teilen
zu wollen, sowie d e m
Mensehen
irgendwelches
selbständige
E n t w i c k l u n g der n e u e n Welt
261
Verdienst beizulegen, ist ebenso unerträglich als Spaltung wie als Verflachung des Lebens. So hat hier die Abhängigkeit keine Schranken, und es ist unter den verschiedenen Fassungen jenes Verhältnisses, die innerhalb der Religionen miteinander streiten, die strengste gewiß auch die tiefste und wahrste. Aber zu ihrer W a h r h e i t gehört, d a ß das erneuernde Wirken der überwindenden Geistigkeit nicht an einen einzelnen P u n k t der Geschichte und des Lebens gebunden werde, sondern d a ß sich die Gegenwirkung gegen das Feindliche über das Ganze erstrecke. Sonst kann jene Abhängigkeit des Menschen zur Verwerfung von viel Edlem und Großem und zu einer H e r a b d r ü c k u n g des Lebens f ü h r e n . Nirgends mehr als an dieser zentralen Stelle bedarf es so sehr einer universalen Fassung, um die W a h r h e i t vor Entstellung zu behüten, nirgends mehr als hier erscheinen Freiheit und Tiefe, die sich in den menschlichen Verhältnissen leicht entzweien, als Zwillingsgeschwister. So bringt das neue Leben eine gewaltige Spannung in das menschliche Sein; Größe und Kleinheit, Selbständigkeit und Abhängigkeit werden hier aufeinander angewiesen, sie bilden verschiedene Seiten desselben Geschehens. Der dialektische Charakter, den das menschliche Geistesleben durchgängig zeigt, erreicht hier seine höchste Höhe. Das neue Leben h a t nach außen wie nach innen zu k ä m p f e n , sein Licht läßt das Dunkel der Welt n u r noch tiefer erscheinen, bei sich selbst aber k e n n t es kein Aufbauen ohne ein Zerstören, keine R e t t u n g ohne ein Opfer. So ist seine ganze Entwicklung von Gegensätzen d u r c h w i r k t : es verheißt eine allem anderen Glück unvergleichliche Seligkeit und steigert die U n v e r n u n f t des Daseins, es erstrebt vollen Frieden und verwickelt in endlosen Streit, es bringt eine abschließende Tatsächlichkeit und verwandelt das Leben in ein unablässiges Suchen, es gibt dem Menschen die Ruhe und Gewißheit einer ewigen W a h r heit und wirft ihn zugleich in die ärgsten Zweifel, es hebt in dem allen einerseits über das Reich der Gegensätze hinaus, es hält uns andererseits bei ihm fest und läßt uns seine Mühen und Sorgen tiefer empfinden als je zuvor. Demnach vollzieht das neue Leben wohl eine innere Befreiung, aber es bringt keinen fertigen Abschluß; unser Bereich wird bewegter, gehaltvoller, bedeutsamer, nicht aber f ü g t er sich zu einem h a r m o nischen Ganzen, nicht verschwindet aus ihm die U n v e r n u n f t . An der tiefsten Stelle ist ein fester Grund und ein sicherer Friede erreichbar, sonst aber bleiben wir m i t t e n im K a m p f e ; das Feindliche
262
Der K a m p f um d i e W e l t m a c h t d e s G e i s t e s l e b e n s
wird innerlich g e b r o c h e n , n i c h t a b e r völlig ü b e r w u n d e n .
So
kann
a u c h in allem Gewinn d a s Leben nie zu b l o ß e m G e n u ß u n d t ä n d e l n d e m Spiele w e r d e n , die N o t w e n d i g k e i t u n a u f h ö r l i c h e r K ä m p f e , Verzichte, O p f e r , j a des W e r d e n s des Neuen d u r c h d e n U n t e r g a n g des Alten g i b t i h m einen t r a g i s c h e n G r u n d z u g .
E i n Sieg wird e r r u n g e n , aber
zugleich wird die W e l t v e r w a n d e l t u n d d a s j e n i g e Leben a u f g e g e b e n , w a s z u n ä c h s t b e f r i e d i g t sein wollte. A b e r bei aller E i n s c h r ä n k u n g v e r b l e i b t die K r ä f t i g u n g des G u t e n durch
jene Wendung,
das sonst
k o m m t d a m i t wieder in F l u ß . gegenwärtig, .besonderen
d a ß die n e u e Art
zugleich
der
Erstarrung
Geistigkeit
den
verfallene
Leben
D u r c h die g a n z e E r ö r t e r u n g blieb u n s mit
gesamten
der
Entwicklung
Lebensprozeß
ihrer
aufrechthält
u n d i h m u n e n t b e h r l i c h e Größen sichert, welche die W e l t v e r w i c k l u n g hart gefährdete.
Die Größen einer reinen Geistigkeit,
Innerlichkeit,
Freiheit erlangen d u r c h die Befestigung in d e m besonderen
Gebiet
ü b e r h a u p t erst einen sicheren B e s t a n d ; v o n d o r t wird alles v e r s t ä r k t und
g e h o b e n , w a s zu solcher
Höhe
a u f s t r e b t ; die
Wesensbildung
g e w i n n t hier einen f e s t e n K e r n u n d k a n n n u n ihre A u f g a b e a u c h im weiteren Sinne e r g r e i f e n ; eine allem m e n s c h l i c h e n T u n u n d T r e i b e n überlegene W a h r h e i t w i r k t von hier auch z u r F ö r d e r u n g des übrigen Lebens. Diese K r ä f t i g u n g des Lebens e r s t r e c k t sich auch auf die beiden S t u f e n z u r ü c k , welche v o r d e r ü b e r w i n d e n d e n Geistigkeit liegen; sie erscheinen n i c h t n u r in n e u e r B e l e u c h t u n g , sie v e r m ö g e n auch z u m G a n z e n des Lebens m e h r b e i z u t r a g e n .
D a s Geistesleben als Beisich-
selbstsein entwickelte z u n ä c h s t ein g r u n d l e g e n d e s S c h a f f e n , alle s p ä t e r e H e m m u n g h o b diese T a t s a c h e n i c h t a u f .
W o h l a b e r w u r d e sie f ü r
die menschliche A n s c h a u u n g u n d E m p f i n d u n g weit
zurückgedrängt;
d a ß die K ä m p f e u n d N ö t e des Lebens so sehr v o r a n s t e h e n , d a s w a r es, w a s d e m Pessimismus so viel M a c h t ü b e r die G e m ü t e r Nun
verlieh.
aber befreit die E r h ö h u n g des G e s a m t l e b e n s die b e g r ü n d e n d e
Geistigkeit von jenem D r u c k , die H a u p t t a t s a c h e v e r m a g sich den
Verwicklungen der A u s f ü h r u n g abzulösen, der
Idealgehalt
von des
F r ü h e r e n erlangt volle G e l t u n g ; es läßt sich d a s G u t e beleben, d a s vor d e m Bösen, d a s S t r e b e n , das vor der I r r u n g , die T a t s a c h e , die in d e m P r o b l e m liegt; der Geistesgehalt u n d die ethische K r a f t der A r b e i t gelangen voll zur W i r k u n g .
So v e r m a g d a s Neue in d e m Alten
neue K r ä f t e zu w e c k e n . Endlich wird selbst d a s Feindliche von der W a n d l u n g ergriffen.
Verwicklungen und Abgrenzungen
263
So unerklärlich die Unvernunft bleibt, und so wenig ihr Tatbestand verringert wird, die H e m m u n g n i m m t sich anders aus, wenn sie zum Anlaß wird, d a ß neue K r ä f t e e n t b u n d e n werden, ja sich eine neue Welt e r ö f f n e t ; der Kampf gegen die U n v e r n u n f t aber ist nicht mehr so aussichtslos, wie er war, solange es keine Erhebung über das Reich der U n v e r n u n f t gab. So verbinden sich nun die drei Stufen der grundlegenden, kämpfenden, überwindenden Geistigkeit zu einem Ganzen des Lebens. Wohl sind diese Stufen auch hier auseinanderzuhalten, damit der Gehalt der Wirklichkeit dem Menschen zu eigner E r f a h r u n g werde, aber n u n m e h r vermögen sie sich gegenseitig zu stützen und fördern, nun können sich die Welten der Arbeit, des Kampfes, der Wiedergeburt zu der einen allumfassenden Aufgabe der Wesensbildung verbinden, i Für dieses Gesamtbild des Lebens h a t aber das Wort Luthers ein gutes R e c h t : „ D a r u m nur getrost und frisch dahin gesetzt, was auch die Welt nehmen k a n n ; die Wohnungen des Lebens sind viel weiter denn die Wohnungen des Todes".
d. Verwicklungen und Abgrenzungen. Das Verhältnis der verschiedenen Stufen und die Wirkung des Neuen erschien bis dahin als einfach und klar. Aber es konnte so nur erscheinen, weil die Betrachtung den allgemeinsten Umriß nicht überschritt. Strebt sie darüber hinaus, so zeigen sich nicht geringe Verwicklungen, die viel zu sehr das Gesamtbild des Lebens berühren, um nicht auch hier eine Erörterung zu fordern. Es finden sich solche Verwicklungen sowohl im eignen Bestände der überwindenden Geistigkeit, wie sie vornehmlich in der Religion zur Verkörperung gelangt, als in ihrem Verhältnis zum übrigen Leben; hier wie dort erwachsen Gegensätze, die nicht Ein Schlag aufheben kann, die vielmehr beharren und durch unablässige Arbeit immer von neuem bezwungen sein wollen. — Die Religion k a n n nicht selbständig und kräftig wirken, ohne sich von dem übrigen Leben abzuheben und gegenüber aller Arbeit an der Welt ein eignes Reich aus der direkten Beziehung auf das absolute Leben zu entwickeln, ohne ihren Grund ~ in sicherer Weltüberlegenheit zu halten. Aber solche bloße Weltüberlegenheit gibt ihr keineswegs schon einen lebensvollen Gehalt. D a f ü r bedarf sie einer Zurückwendung zur Welt der Arbeit und des
264
D e r Kampf um d i e W e l t m a c h t d e s G e i s t e s l e b e n s
K a m p f e s , n u r m i t Hilfe der E r f a h r u n g beim E n d l i c h e n k a n n sie die U n e n d l i c h k e i t ihres W e s e n s g e n ü g e n d z u r G e s t a l t u n g bringen.
Denn
d e r G e h a l t des Geisteslebens e r ö f f n e t u n s Menschen eine nähere und anschauliche
Beschaffenheit n u r d u r c h d a s
Ringen m i t der
Welt;
wir verzichten auf eine solche B e s c h a f f e n h e i t auch f ü r d a s Göttliche, wenn alle Beziehung zur Welt a b g e b r o c h e n wird.
Begriffe von der
W e l t e r f a h r u n g her sind u n s zu irgendwelcher lebendigen Fassung des Überweltlichen u n e n t b e h r l i c h ; auch sein W i r k e n bleibt u n s in nebelh a f t e r Ferne, w e n n wir es n i c h t auch i n n e r h a l b der W e l t ergreifen. Dieses aber, d a ß bei der ü b e r w i n d e n d e n Geistigkeit m i t einer Überlegenheit im Wesen eine G e b u n d e n h e i t f ü r unsere Lage z u s a m m e n t r i f f t , d a ß die Religion f ü r ihre eigne E n t f a l t u n g der Mittel derselben W e l t b e d a r f , ü b e r die sie innerlich h i n a u s f ü h r t , ergibt eine eigent ü m l i c h e Verwicklung, die schwere M i ß s t ä n d e erzeugt h a t u n d i m m e r f o r t zu erzeugen d r o h t .
Das Überweltliche a u s d r ü c k e n u n d weiter-
bilden k a n n aller B e f u n d der W e l t n u r , w e n n d a r a u s alles, was der bloßen W e l t u n d E n d l i c h k e i t a n g e h ö r t , e n t f e r n t u n d der a l s d a n n verbleibende Bestand zur U n e n d l i c h k e i t e r h ö h t w i r d .
D a ß dies möglich
ist, u n d d a ß die Bewegung zur ü b e r w i n d e n d e n Geistigkeit nicht beim bloßen Suchen u n d Sehnen, bei m a t t e n Umrissen u n d fernen A u s sichten bleibt, sondern d a ß die neue W e l t a u c h d e m Menschen m i t reicher Fülle g e g e n w ä r t i g zu werden v e r m a g , d a s ist d e r N e r v alles S t r e b e n s u n d die G r u n d ü b e r z e u g b n g alles S c h a f f e n s a u s der n e u e n Ordnung.
Aber auch im Gelingen bleibt die S c h r a n k e des Menschen
unverkennbar.
Mag der geistige Gehalt noch so sehr der V e r w i c k l u n g
überlegen sein, es v e r s c h w i n d e t d a m i t n i c h t die endliche u n d m e n s c h liche Art des E r l e b e n s ; diese h a t eigentümliche seelische Bedingungen und
S c h r a n k e n und e r h ä l t sich d a m i t neben u n d an d e m geistigen
S c h a f f e n , sie d r o h t bei irgendwelcher M i n d e r u n g der S p a n n u n g seinen G e h a l t
einzufließen u n d ihn zu entstellen.
in
So wird es zur
N o t w e n d i g k e i t , eben das, was wir in seinem K e r n f e s t z u h a l t e n und zur Unendlichkeit
zu erhöhen s t r e b e n , seiner D a s e i n s f o r m nach
weisen; wir mögen z. B. bei der Idee der P e r s ö n l i c h k e i t
abzu-
zugleich
den geistigen G e h a l t als den H a u p t b e g r i f f der n e u e n W e l t a n e r k e n n e n und
die E i n m e n g u n g d e r menschlichen A r t des Persönlichseins
die letzten G r ü n d e b e k ä m p f e n .
in
Es gilt d e m n a c h zugleich anzueignen
u n d a b z u s t o ß e n , zu billigen u n d zu v e r w e r f e n ; es bedarf einer u n a b lässigen Scheidung des W e s e n s von d e r D a s e i n s f o r m , einer s c h a r f e n S o n d e r u n g v o n Geistigem u n d
Bloßmenschlichem, einer siegreichen
Verwicklungen und A b g r e n z u n g e n
Aufrechterhaltung des Geistigen gegen das Bloßmenschliche. sahen, d a ß das geschehen kann.
265
Wir
Freilich wird jene Aufgabe immer nur annähernd gelingen, sie wird nicht selten gründlich mißlingen. Im besondern enthält jene Doppelaufgabe einen zwiefachen Keim der Irrung. Einerseits verleitet der Drang nach reiner Fassung des Überweltlichen dazu, mit der menschlichen Lebensform auch den geistigen Gehalt unserer E r f a h r u n g als eine Entstellung von ihm f e r n z u h a l t e n ; ein solcher gänzlicher Bruch aber ergibt nicht nur eine Gleichgültigkeit, ja Feindschaft gegen alle Weltarbeit, sondern er enthält auch einen Verzicht der Religion auf einen lebendigen Gehalt und eine wcltumwandelnde Wirkung. Andererseits läßt das Verlangen nach einer nahen, verständlichen, lebenswarmen Gestalt des Göttlichen mit dem geistigen Kern zugleich die Daseinsform des Menschen darin aufnehmen und beides eng mit einander verquicken, so d a ß schließlich Göttliches und Menschliches in Eins z u s a m m e n r i n n t ; alsdann wird jenes von seiner Höhe herabgezogen, dieses hingegen über sein Vermögen aufgebauscht, ein unerquickliches Gemisch droht das Leben zu entstellen. Das Streben, das G ö t t l i c h e von allem Weltlichen a b z u l ö s e n und rein bei sich selbst zu fassen, h a t eine gewaltige, ja berückende Macht über das menschliche G e m ü t ; indem jenes alle Verengung des Unendlichen abweist und zugleich dem Menschen an ihm teilgibt, scheint es sowohl ihn von der Kleinheit einer Sondernatur zu befreien als dein Göttlichen zuerst sein volles Recht zu gewähren. Nirgends d ü n k t der Mensch sich größer als in solcher W e n d u n g gegen sich selbst und seine Welt. — Nach der Seite des Denkens hat jenes Streben sich namentlich in der mystischen Spekulation verkörpert. Die Unzulänglichkeit aller menschlichen Begriffe f ü r das Absolute findet hier einen besonders kräftigen A u s d r u c k ; was immer auch im höchsten Aufschwung des Denkens an A n n ä h e r u n g versucht wird, das scheint alsbald eine Verweltlichung und E n t stellung zu werden, alles J a verwandelt sich in ein Nein, die Bewegung überfliegt und verschmäht jede Gestaltung. Höchstens ein Bild mag hier zulässig scheinen, und es wird auf diesem Wege die ganze Wirklichkeit zu einem bloßen Gleichnis; da sie aber das Gleichnis eines Unbekannten ist, so erhält das Ganze eine t r a u m h a f t e Art, alle nähere Beschaffenheit verschwebt und verschwindet, wie beim Erwachen die Gestalten des T r a u m e s dem, der sie festhalten möchte. Für diesen Verlust einer anschaulichen Welt findet sich kein E r s a t z
D e r Kampf um die W e l t m a c h t d e s G e i s t e s l e b e n s
266
bei der . Idee der G o t t h e i t , d e n n auch diese verliert bei solcher J e n seitigkeit
allen
eigentümlichen
Gehalt
und
alle belebende
Kraft;
die Religion wird innerlich leer u n d k a n n n u r m i t formloser Regung, n i c h t mit e r n e u e r n d e m S c h a f f e n , d a s Leben ergreifen. Nicht m i n d e r zerstörend w i r k t die E n t g e g e n s e t z u n g des lichen u n d des Weltlichen f ü r d a s H a n d e l n .
Gött-
Die Religion k a n n n i c h t
v o n der Ü b e r z e u g u n g lassen, d a ß alles menschliche T u n n u r W e r t h a t , w e n n es in einem göttlichen w u r z e l t , d a ß alle menschliche Liebe echter A r t aus der göttlichen quillt u n d zu ihr z u r ü c k k e h r e n A b e r diese
F o r d e r u n g wird zu einer B e d r o h u n g des
muß.
menschlichen
Lebens, w e n n d a s göttliche von ihm abgelöst u n d ihm schroff e n t gegengestellt wird. D e n n leicht erscheint d a n n alles, was d e m Menschen erwiesen wird, werflich wird
als ein u n g e b ü h r l i c h e r R a u b an der G o t t h e i t ; veralles, w a s neben d e m
Göttlichen
Arbeit und
Liebe
f o r d e r t ; alles Menschliche gering zu a c h t e n , j a sich dagegen bis zur vollen Gleichgültigkeit a b z u s t u m p f e n , d a s m a g d a n n die Höhe r e c h t e r Gesinnung d ü n k e n .
Alle Liebe zu Angehörigen u n ä Genossen, aller
Eifer f ü r S t a a t u n d V a t e r l a n d , alle A r b e i t f ü r K u n s t u n d
Wissen-
s c h a f t scheint
hier wertlos,
w a h r e n Ziele.
E i f e r s ü c h t i g d u l d e t hier die Idee des Absoluten n i c h t
das
j a eine verwerfliche A b w e n d u n g
Mindeste n e b e n sich, die Religion
kann
Moloch selbst die H u m a n i t ä t verschlingen.
als
vom
allesverzehrender
Zugleich aber d r o h t bei
solcher E n t g e g e n s e t z u n g gegen Menschen u n d W e l t d a s Leben auch iji der R i c h t u n g auf das Göttliche- leer u n d k a l t zu w e r d e n ;
aller
s t ü r m i s c h e A u f s c h w u n g der S t i m m u n g , alles Schwelgen in u n f a ß b a r e n Gefühlen bietet Regung
in
keinen
Arbeit
und
Ersatz für das Liebe
U n v e r m ö g e n , die
umzusetzen.
Die
seelische
Geschichte
aller
Religionen bietet Beispiele in Hülle u n d Fülle d a f ü r , -daß in solcher Weise die
Entgegensetzung
des
Göttlichen
und
des
Menschlichen
sowohl die W i r k u n g des G ö t t l i c h e n bei u n s g e f ä h r d e t e als die wicklung des Menschlichen
hemmte.
Irrungen a n d e r e r , aber n i c h t geringerer A r t erzeugt eine m e n g u n g des G ö t t l i c h e n und Menschlichen. sinnfälligen Daseins s i n k t , so e n t s t e h t
menschliche Vorstellungs- u n d
die
Ver-
W e n n das Ver-
langen n a c h einer lebendigen N ä h e zu einer F o r d e r u n g und
Ent-
sichtbaren
Gefahr, die
Lebensform in den
bloß-
K e r n des G ö t t -
lichen zu v e r p f l a n z e n , d a m i t a b e r sowohl d a s Göttliche in eine niedere Sphäre
herabzuziehen
als f ü r d a s Menschliche die A n s p r ü c h e
erheben, die n u r d e m Göttlichen g e b ü h r e n .
zu
Die Ablösung des G ö t t -
Verwicklungen und A b g r e n z u n g e n
267
liehen v o m M e n s c h l i c h e n s t e l l t e d i e E w i g k e i t s c h r o f f d e r Z e i t g e g e n ü b e r u n d d r o h t e d e r G e s c h i c h t e allen W e r t zu r a u b e n ; d i e
Verquickung
s t e l l t u m g e k e h r t d a s E w i g e , s t a t t es d i e G e s c h i c h t e als G a n z e s s p a n n e n zu l a s s e n , m i t t e n P u n k t e ; wird
in sie h i n e i n
und
es a b e r in d i e s e r b e s o n d e r e n
bindet
es a n
um-
einzelne
G e s t a l t u n g gegen
allen
W e c h s e l u n d W a n d e l d e r D i n g e als e t w a s U n a n t a s t b a r e s f e s t g e h a l t e n , so m u ß d a s e b e n s o z u r E r s t a r r u n g d e r
Religion wie z u r
der Kulturarbeit, zur Gefährdung der Freiheit und
Hemmung
UrsprüngJichkeit
des Lebens wirken.
Die a b s o l u t e W a h r h e i t , d i e d e m E w i g e n z u k o m m t ,
und
das
an
der
auch
Menschenwesen
teilgewinnen
muß,
wird
zu
s c h w e r e m D r u c k , w e n n sie auf d i e b l o ß m e n s c h l i c h e S e i t e ü b e r t r a g e n , u n d wenn f ü r einzelne Stellen hier der A n s p r u c h der
Unfehlbarkeit
e r h o b e n w i r d , auf d e n d a s G ö t t l i c h e n i c h t v e r z i c h t e n k a n n . gewisse Ä m t e r o d e r macht
f ü r die
Fällen
Zeitliches
einander
Schriften oder
Hauptsache und
keinen
Ewiges,
Lehren die Unterschied;
Menschliches
es
erhalten,
bleibt
und
in
allen
Göttliches
mit-
vermengt.
Diese
Vermengung
bedroht
zugleich
den
Inhalt
Z u n ä c h s t ist bei d e r V o r s t e l l u n g v o m G ö t t l i c h e n d e m phismus
Ob dabei
Schätzung
Tor
und
Tür geöffnet, wenn
der
des
Lebens.
Anthropomor-
Geistesgehalt
nicht
un-
a b l ä s s i g v o n d e r m e n s c h l i c h e n D a s e i n s f o r m g e s c h i e d e n u n d in s e i n e r R e i n h e i t b e h a u p t e t w i r d ; leicht k a n n hier,
w a s als ü b e r w e l t l i c h g i l t
u n d den M e n s c h e n von der Enge seiner W e l t befreien sollte, ihn n u r noch mehr darin
bestärken.
N o c h s c h w e r e r s i n d die F o l g e n d e r V e r m e n g u n g f ü r d a s
Leben.
D e n n h i e r e r h ä l t die S a c h e die G e s t a l t , d a ß g e w i s s e A u f g a b e n Gebiete,
als d e m
Göttlichen
näherstehend,
von
dem
Übrigen
und ab-
gesondert u n d i h m entgegengesetzt w e r d e n , d a ß eine Scheidung von Heiligem und
P r o f a n e m das Leben auseinanderreißt.
D a sich
aber
u n m ö g l i c h d i e e i n e Seite e r h ö h e n l ä ß t o h n e d i e a n d e r e zu e r n i e d r i g e n , so s i n k t die allgemeine A u f g a b e , n a m e n t J i c h die
schlichtmenschliche
M o r a l , zu e t w a s N e b e n s ä c h l i c h e m , sie w i r d im Fall e i n e s Z u s a m m e n stoßes unbedenklich preisgegeben.
Z u g l e i c h e r f o l g t ein S i c h e i n s p i n n e n
in d i e E n g e
es e r w ä c h s t
eines
Sonderkreises,
eines p a r t i k u l a r religiösen L e b e n s . entwicklung
eine w a c h s e n d e
die
Selbstgefälligkeit
D a r a u s bei u n g e h e m m t e r
Überspannung
Weiter-
des Menschlichen,
eine
V e r ä u ß e r l i c h u n g d e s G ö t t l i c h e n , eine i n n e r e U n w a h r h a f t i g k e i t , j e n e s G e w e b e d e s P h a r i s ä i s m u s , d a s alle M e n s c h e n u r s p r ü n g l i c h e r G e s i n n u n g auf L e b e n u n d T o d
bekämpften, niemand
m e h r als d i e H e l d e n
der
268
D e r Kampf um d i e W e l t m a c h t d e s G e i s t e s l e b e n s
Religion selbst. Protest
D e n n ihr ganzes Leben u n d W i r k e n bildete einen
gegen jene V e r m e n g u n g des G ö t t l i c h e n
sie b r a u c h t e n
und
Menschlichen,
d a s Göttliche n i c h t a n besonderer Stelle zu
weil es ihrer Seele im Ganzen g e g e n w ä r t i g w a r .
suchen,
Der P h a r i s ä i s m u s
— wir n e h m e n ihn hier als einen allgemeinen Begriff, n i c h t als eine geschichtliche B e h a u p t u n g — ist n i c h t ein E r z e u g n i s einer einzelnen u n d v e r g a n g e n e n Zeit, sondern eine s t e t e G e f a h r , j a Begleiterscheinung der Religion. So erzeugt die V e r m e n g u n g lichen
n i c h t geringere
Irrungen
des
Göttlichen
und
des
Mensch-
als eine schroffe E n t g e g e n s e t z u n g .
Dabei b e h ü t e t die eine R i c h t u n g n i c h t vor d e r a n d e r e n , pflegen sie sich gegenseitig h e r v o r z u r u f e n u n d
vielmehr
zu v e r s t ä r k e n .
Je
m e h r die Ablösung von der W e l t ins Leere t r e i b t , d e s t o dringlicher wird
eine A n l e h n u n g
diese w i e d e r u m verwickeln,
an sichtbare
in alle
desto
Verkörperungen,
Schranken
und
unwiderstehlicher
und
M i ß s t ä n d e des
wird
das
je
mehr
Weltlebens
Verlangen,
solcher
Verwicklung d u r c h die F l u c h t in ein Gebiet voller
Weltüberlegen-
heit zu e n t g e h e n .
Werkheiligkeit
A b s t r a k t e M y s t i k u n d kirchliche
mögen f ü r die Einzelnen u n v e r s ö h n l i c h e Gegensätze s e i n ; d a ß sie es nicht f ü r d a s Ganze der Menschheit sind, zeigt die E r f a h r u n g der Geschichte deutlich g e n u g . D e m n a c h gilt es, zwischen d e n V e r i r r u n g e n nach beiden
Seiten
das rechte V e r h ä l t n i s v o n G ö t t l i c h e m u n d Menschlichem zu s u c h e n , wir müssen im Lebensgehalt eine E i n i g u n g e r s t r e b e n u n d die menschliche
Lebensform draußen
lassen.
zugleich
Unablässig m u ß
hier
der Mensch in sich selbst eine Scheidung vollziehen, er h a t zugleich einen
K a m p f gegen die B e s o n d e r h e i t seiner A r t a u f z u n e h m e n
und
einer universalen Geistigkeit i n n e z u w e r d e n ; er wird das n i c h t k ö n n e n ohne eine U m k e h r u n g
der ersten
schöpferischer S e l b s t t ä t i g k e i t Zusammenhängen
das
Lage, er m u ß den
nehmen und
Leben
unablässig
in
a u s den hier e r ö f f n e t e n erneuern,
wie
seinen allgemeinen B e d i n g u n g e n oben e r ö r t e r t w u r d e . A b s t u f u n g des Lebens, die wir dabei e r k a n n t e n , die Religion, u m die E i n i g u n g v o n
Standort
bedarf
Göttlichem und
das
Der
nach
inneren
besonders
Menschlichem,
von Zeitlichem u n d E w i g e m zu erreichen, ohne die sie selbst, j a alle geistige W i r k l i c h k e i t Wesens
muß
der A u f l ö s u n g v e r f ä l l t .
unverlierbar
und
wirksam
In einem
vorhanden
Kern
des
sein, w a s
die
L e b e n s e n t f a l t u n g erst zu s u c h e n u n d a n z u e i g n e n h a t ; h a l t l o s w ü r d e n wir auf den W o g e n der Zeit e i n h e r t r e i b e n , w e n n nicht aus j e n e r Tiefe
Verwicklungen und A b g r e n z u n g e n
269
ein Ewiges wirkte und richtete; das Ewige aber wird zu starrem Druck, wenn es sich auch in der Lebensentfaltung als fertig gibt, wenn der sichere Besitz nicht zugleich eine unermeßliche Aufgabe bildet. F ü r uns vollendet sich auch das Ewige n u r durch die Zeit. So bleibt unser Leben zwischen Zeit und Ewigkeit, zwischen Menschlichem und Übermenschlichem in unablässiger Bewegung; bei diesen letzten Fragen der Wesensbildung ist alle echte Arbeit in der Zeit zugleich die Herausarbeitung eines Ewigen aus der Zeit und d a m i t ein Abstreifen der Zeit, alle Vertiefung des Menschlichen zugleich ein Ergreifen eines Übermenschlichen.
Mit der Frage der inneren Gestaltung der Religion berührt sich eng das Problem ihrer S t e l l u n g im G a n z e n d e s L e b e n s . Es ist hier namentlich das Verhältnis zur Weltarbeit, zur K u l t u r im engeren Sinne, wobei die Sache zum Austrag k o m m t . Eine eigentümliche Verwicklung ist dabei nicht zu verkennen. Die Religion und die K u l t u r befinden sich in einer steten S p a n n u n g gegeneinander, jede neigt dahin, der anderen ein selbständiges Recht zu bestreiten und alles Leben an sich zu ziehen, zum mindesten verlangt jede f ü r sich die unbeschränkte Oberhand. So sind h a r t e Zusammenstöße unvermeidlich, bald h a t die eine, bald die andere einen Kampf ums Dasein zu f ü h r e n . Aber zugleich sehen wir die Menschheit immer wieder auf beide zurückkommen, nie bei einer dauernd verweilen, ja im Kampf selbst scheinen sie einander ebenso zu suchen wie zu fliehen, sie scheinen bei allem Gegensatz einander nicht entbehren zu können. Alles das ein Zeichen, d a ß die Lage der A u f k l ä r u n g bedarf. Die Religion wird den eigentümlichen Lebenstypus, den sie aus der direkten Beziehung auf das absolute Leben gewinnt, nicht in enger Abschließung halten, sondern dem ganzen U m f a n g unseres Denkens und T u n s mitzuteilen bestrebt sein. Die ganze Welt wird hier zum Widerschein der G o t t h e i t ; die Macht und Herrlichkeit Gottes zu verkünden, gilt als ihre vornehmste, ja ihre einzige A u f g a b e ; alles Gute erscheint als u n m i t t e l b a r von Gott gewirkt, alles Böse als Widerstand gegen G o t t ; nur die Richtung auf Gott gibt dem Handeln einen W e r t , ja die Verbindung mit Gott wird zum einzigen Inhalt des Lebens. In solchem Leben fühlt die Religion sich nicht n u r von aller Weltarbeit unabhängig, sondern ihr unermeßlich überlegen; so weit das Unendliche alles Endliche überragt, so sehr scheint auch
270
D e r Kampf um die W e l t m a c h t d e s G e i s t e s l e b e n s
die B e s c h ä f t i g u n g mit i h m alle Leistung im Reiche der Bedingungen und Vermittlungen Geringschätzung
h i n t e r sich
der
Kultur,
zu bald
lassen.
D a s e r g a b eine
w u r d e sie als e t w a s
starke
Wertloses
gänzlich beiseite geschoben, bald n u r soweit a n e r k a n n t , als sie sich der religiösen A u f g a b e dienstwillig u n t e r o r d n e t e .
J e n e völlige Ver-
werfung^ der K u l t u r a r b e i t liegt a m n ä c h s t e n , wo die Religion sich gegen eine ihr feindliche K u l t u r a u f z u a r b e i t e n h a t , und wo es s t r e n g s t e r K o n z e n t r a t i o n der eignen A r t b e d a r f , u m sich des von allen Seiten zuströmenden Fremden
zu e r w e h r e n ; wir v e r s t e h e n und würdigen so
die k u l t u r f e i n d l i c h e n S t i m m u n g e n , die d a s alte C h r i s t e n t u m n a m e n t lich auf römischem Boden a u f w e i s t . Aber zugleich k a n n solche völlige Ablehnung
der
Kultur
nur
vorübergehend
sein;
bei
genügender
Sicherung ihres B e s t a n d e s m u ß die Religion schon f ü r die eignen Zwecke die
Kultur heranziehen
zu ihr s u c h e n .
und
ein f r e u n d l i c h e r e s
Verhältnis
D u r c h a u s erfüllt von ihrer Überlegenheit wird sie
zunächst
dies
irgendwie
a u f g e n o m m e n , dabei a b e r die Religion als d a s
so
gestalten,
daß
der
ganze
Umfang
des
Lebens
Hauptziel
gesetzt w i r d ; alle a n d e r e n Gebiete weisen hier über sich selbst h i n a u s zu ihr hin u n d h a b e n ihr alle Ergebnisse d a r z u b r i n g e n , G u t e s , W a h r e s , Schönes sind n u r W e g e u n d Anstiege z u m
G ö t t l i c h e n ; je
rascher
W i s s e n s c h a f t u n d K u n s t von der M a n n i g f a l t i g k e i t zur letzten E i n h e i t , von allem E n d l i c h e n z u m Unendlichen als der Quelle aller W a h r h e i t und
Schönheit f ü h r e n , d e s t o besser scheinen sie ihr W e r k zu ver-
r i c h t e n ; alles Verweilen ja gefährlich.
bei der
Besonderheit
So ein a l l u m f a s s e n d e s religiöses
dünkt
es i n n e r h a l b des C h r i s t e n t u m s n a m e n t l i c h A u g u s t i n Das
Bedenkliche
dieses
Lebenssystems
hier
unnütz,
Lebenssystem,
wie
vertritt.
liegt n i c h t d a r i n ,
daß
die Religion ihre D e n k - u n d E m p f i n d u n g s w e i s e ü b e r d a s Ganze des Lebens a u s d e h n t , — d a s m u ß sie t u n , w e n n sie groß von sich selber d e n k t , — s o n d e r n d a r i n , d a ß sie diese Denkweise zur ausschließlichen m a c h t u n d alles Interesse f ü r die e i g e n t ü m l i c h e A r t g e g e n s t ä n d l i c h e r Arbeit zerstört.
D e n n d a m i t v e r s c h w i n d e t zugleich aller A n t r i e b zur
Befassung m i t dieser, die Breite der W i r k l i c h k e i t bleibt u n e r g r i f f e n u n d unerschlossen, die geistige Bewegung s c h w e b t ü b e r den Dingen, s t a t t in sie einzugehen u n d sich a u s ihnen zu e r f ü l l e n .
J e n e r welt-
überlegene L e b e n s s t a n d d r o h t m i t seiner alles verschlingenden
Stim-
m u n g die W e l t a r b e i t völlig zu v e r n i c h t e n , h ö c h s t e n s v e r m a g er eine v o r h a n d e n e K u l t u r a u f z u n e h m e n u n d f ü r seine Zwecke zu n u t z e n , n i c h t aber k a n n er aus sich eine K u l t u r anregen oder auch n u r f ö r d e r n .
V e r w i c k l u n g e n und A b g r e n z u n g e n
271
W a s nie Selbstzweck werden k a n n , d a s k a n n auch nie wecken u n d schaffen. Aber solche
Preisgebung einer s e l b s t ä n d i g e n
K u l t u r wird
zu-
gleich eine S c h ä d i g u n g der Religion, d e r ä u ß e r e Erfolg l ä u f t leicht in einen inneren Verlust aus.
W o die A r b e i t u n d d a s Ringen
mit
d e m G e g e n s t a n d e f e h l t , d a fehlt leicht a u c h eine k r ä f t i g e F e r n h a l t u n g eines Einfließens
bloßmenschlicher
Art;
der Mensch
spinnt
sich
viel zu rasch in eine weltüberlegene S t i m m u n g ein u n d gibt die s u b j e k t i v e A r t seines Erlebens u n b e d e n k l i c h f ü r den G e h a l t der h ö h e r e n Welt.
Aus zwei H a u p t g r ü n d e n k a n n u n d darf die Religion n i c h t d a s
Ganze des Lebens sein, sondern m u ß sie sich bescheiden, eines g r ö ß e r e n
G a n z e n zu wirken.
E i n m a l gilt die
innerhalb
Überlegenheit
des G ö t t l i c h e n ü b e r alles Weltliche n i c h t auch f ü r unsere menschliche B e s c h ä f t i g u n g mit d e m G ö t t l i c h e n ; d e n n diese u n t e r l i e g t besonderen Bed i n g u n g e n u n d H e m m u n g e n , zu deren B e k ä m p f u n g die Arbeit an der W e l t u n e n t b e h r l i c h i s t ; d a ß zur Religion n i c h t bloß eine E r ö f f n u n g des G ö t t l i c h e n , s o n d e r n auch eine Aneignung seitens des Menschen g e h ö r t , wird n i c h t ohne schweren Schaden v e r d u n k e l t . auch die W e l t a r b e i t keineswegs g a n z von E n d l i c h e m
F e r n e r wird eingenommen,
s o n d e r n in aller V e r m i t t l u n g und Bedingung ist auch hier das U n e n d liche g e g e n w ä r t i g u n d d e m Menschen e r r e i c h b a r ; die Religion ist n i c h t die einzige A r t , in der sich Göttliches erschließt. die K u l t u r einen selbständigen A u s g a n g s p u n k t
So k a n n u n d m u ß des Lebens
bilden;
Religion u n d K u l t u r müssen sich gegenseitig ergänzen, sich gegenseitig P r o b l e m e stellen, sich gegenseitig in A t e m h a l t e n , w e n n das gesund u n d k r ä f t i g sein soll.
N u r so e r h ä l t der ganze
Leben
Tatbestand
der Wirklichkeit sein R e c h t ; die Religion a b e r k a n n als Tiefe des Lebens
nur
rein
und
k r ä f t i g wirken,
wenn
sie n i c h t allein alles
sein will. N i c h t m i n d e r a b e r als die Selbständigkeit d e r K u l t u r g e g e n ü b e r der
Religion
ist
die
K u l t u r zu v e r f e c h t e n .
Selbständigkeit
der
Religion
gegenüber
der
Die K u l t u r neigt leicht d a h i n , n u r die W e l t -
a r b e i t als echte T ä t i g k e i t gelten zu lassen und von hier aus die Religion als e t w a s Nebensächliches, ja Wesenloses zu b e h a n d e l n ; so weit von jener eine B e s c h ä f t i g u n g mit dem Göttlichen ü b e r h a u p t
anerkannt
w i r d , soll sie sich in der W e l t a r b e i t selber f i n d e n u n d nie von ihr ablösen d ü r f e n ; die Religion wird hier eine bloße Begleiterscheinung d e r K u l t u r , eine W e n d u n g ihres Gehalts z u m G e m ü t und zur Ges i n n u n g des Einzelnen.
So e n t s t e h t eine Religion der K u l t u r
und
272
D e r Kampf um die W e l t m a c h t d e s G e i s t e s l e b e n s
v e r k ö r p e r t sich im P a n t h e i s m u s ; d e n n d a s ist diesem eigentümlich, sich ausschließlich a n d a s i n n e r h a l b der W e l t a r b e i t f a ß b a r e Unendliche zu h a l t e n u n d alle d a r ü b e r h i n a u s s t r e b e n d e engung und
Religion als eine Ver-
leicht auch V e r m e n s c h l i c h u n g des Göttlichen zu ver-
w e r f e n ; er h a t seine S t ä r k e in der V e r b i n d u n g d e r religiösen S t i m m u n g mit d e r Arbeit, d e m A u f s u c h e n des Göttlichen auf allen W e g e n , dem H e r a u s h ö r e n seiner aus den S t i m m e n der N a t u r wie der Geschichte, d e m W i r k e n gegen alle abschließende Enge, der R i c h t u n g des Gefühls ins W e i t e u n d Freie.
Aber dies alles v e r m a g d e r P a n t h e i s m u s n i c h t
im Gegensatz zur Religion der ü b e r w i n d e n d e n
Geistigkeit, sondern
n u r im Z u s a m m e n h a n g m i t ihr u n d ihrer a u s g e p r ä g t e n A r t .
Denn
d a s Unendliche, wie es in der W e l t zur E r s c h e i n u n g k o m m t , ist viel zu s e h r m i t F r e m d e m und Feindlichem v e r q u i c k t , viel zu s e h r d u r c h den W i d e r s t a n d g e b u n d e n , es ist auch viel zu s e h r bloße F o r m , als d a ß von d a aus die Idee des G ö t t l i c h e n e n t s t e h e n und f e s t w e r d e n k ö n n t e . Den C h a r a k t e r der G ö t t l i c h k e i t e r h ä l t die der W e l t i m m a n e n t e V e r n u n f t n u r als A u s d r u c k einer bei sich selbst befindlichen,
welt-
überlegenen V e r n u n f t ; ohne eine solche m a g es einen P a n k o s m i s m u s , auch einen P a n l o g i s m u s , n i c h t a b e r einen P a n t h e i s m u s g e b e n .
Der
Pantheismus,
und
der sich feindlich gegen den T h e i s m u s w e n d e t
selbst als absolute Religion a u f t r i t t , z e r s t ö r t seine eigne u n d d a m i t sich selbst, er wird alsbald zu einer inneren
Grundlage
Unwahrheit;
was i m m e r er bei solcher E r s c h ü t t e r u n g f ü r die S t i m m u n g
leisten
m a g , d a s wird d u r c h den S c h a d e n der A b s t u m p f u n g der v o r h a n d e n e n Gegensätze u n d einer optimistischen V e r f l a c h u n g des L e b e n s p r o b l e m s weit ü b e r b o t e n .
So h a t auch in der Geschichte d e r
vornehmlich
förderlich g e w i r k t ,
da
wo h i n t e r
ihm
Pantheismus ein
T h e i s m u s s t a n d , aus d e m er sich i m m e r f o r t erfüllen u n d
kräftiger beleben
k o n n t e ; die P r e i s g e b u n g diese R ü c k h a l t e s ließ ihn rasch zu
einer
vagen und m a t t e n Stimmung sinken. Besitzt so die Religion in i h r e m K e r n eine S e l b s t ä n d i g k e i t , so k a n n ihr auch
der
Aufklärung und
Kleinkrieg n i c h t s c h a d e n , d e n die
K r i t i k gegen sie zu f ü h r e n p f l e g t .
Kultur
Die
als
Religion
m u ß m i t der K u l t u r z u s a m m e n s t o ß e n , sobald sie sich zu g e s t a l t e n anschickt, sobald
sie i n n e r h a l b der W e l t
zur
Erscheinung
strebt.
D a m i t n ä m l i c h b e t r i t t sie den Boden der K u l t u r u n d m u ß sich hier i h r e m Urteil u n t e r w e r f e n ; hier darf sie ihre B e h a u p t u n g n i c h t der K u l t u r a u f z w i n g e n u n d gegen ihren W i d e r s t a n d
verfechten.
Aber
es ist ein s t a r k e r Fehler, den sowohl F r e u n d e als Feinde der Religion
Verwicklungen und A b g r e n z u n g e n
273
begehen, die Gestaltung und das Wesen der Religion fn Eins zusammenzuwerfen und d a m i t die Überlegenheit der K u l t u r über ihre Gestaltung in eine Überlegenheit über ihr Wesen zu verwandeln. Die Religion k a n n sich aus aller Verwicklung und Ungewißheit der Gestaltung immer wieder auf ein u n a n t a s t b a r e s und unverlierbares Wesen zurückziehen und hier eine volle Überlegenheit gegen alle Angriffe finden. In dieser Seele besitzt sie eine u n a n t a s t b a r e Hoheit und eine von allen .Wandlungen der K u l t u r u n b e r ü h r t e ewige W a h r heit. Wenn die Religion von der K u l t u r Gefahr und Schädigung befürchtet, so zeigt das nur, d a ß sie bei sich selbst zwischen Kern und E n t f a l t u n g nicht genügend scheidet und über ihr eignes Innere unsicher w i r d ; so schiebt sie die Schuld nach draußen, die vor allem bei ihr selbst liegt. Auch die besondere Art der Religion ist nie durch bloße Kultur, sondern n u r von der Religion her zu überwinden; die Religion berichtigen kann keine andere Macht als die Religion. So ergibt sich das Verhältnis, d a ß Religion und K u l t u r sowohl ihre Selbständigkeit gegeneinander zu wahren haben, als gegenseitig aufeinander angewiesen sind; sie müssen sich weit genug trennen, d a m i t jede ein ursprüngliches und selbständiges Leben erzeugen und ihre Eigentümlichkeit voll entwickeln k a n n ; sie müssen sich nahe genug bleiben, um in f r u c h t b a r e r Wechselwirkung sich gegenseitig weiterzutreiben. Das zusammen ist nur möglich, wenn sie beide sich einem umfassenden Leben einfügen, wie die Wesensbildung es eröffnet, wenn die Bewegung sich weder hier noch da festlegt, sondern von beiden Seiten zum Ganzen s t r e b t , wenn beide zum Ganzen wirken, innerhalb des Ganzen sich berühren, aus dem Ganzen empfangen. Die eine Geisteswelt erschließt sich dem Menschen in zwiefacher Weise: in vermittelter und bedingter durch das Reich der Arbeit, u n m i t t e l b a r in der überwindenden Geistigk e i t ; hier wie da gilt es ein Zurückdrängen des Bloßmenschlichen und ein Erringen geistigen Wesens; bei dieser Aufgabe k a n n das eine das andere unterstützen, sie müssen sowohl auseinander als zueinander streben, zugleich Kampf führen und Frieden halten d a m i t f ü r das Ganze erreicht werde, was dem Menschen erreichbar ist. Solche Überzeugung empfiehlt nicht eine Teilung des Lebens zwischen den beiden Bewerbern, wie sie im Gegensatz zur mittelalterlichen Ordnung mit ihrer zu engen Zusammenschmiedung beider E u c k e n , Kampf.
III. Aufl.
18
274
D e r Kampf um d i e W e l t m a c h t d e s G e i s t e s l e b e n s
wohl auf p r o t e s t a n t i s c h e r Seite v e r s u c h t w a r d . Religion und K u l t u r u n b e k ü m m e r t
Diese Teilung l ä ß t
u m e i n a n d e r ihre eignen Wege
w a n d e l n , jede das R e c h t der a n d e r e n a n e r k e n n e n , alle B e r ü h r u n g aber sorgfältig m e i d e n . Als Abweisung einer V e r m e n g u n g u n d als W a h r u n g der Selbständigkeit der einen Seite gegen die a n d e r e h a t d a s ein gutes R e c h t , bedenklich u n d v e r f e h l t a b e r wird es, w e n n es jeden Z u s a m m e n h a n g a u f g i b t u n d das Leben in zwei g e s o n d e r t e H ä l f t e n a u s e i n a n d e r fallen l ä ß t .
D e n n so weit dies ü b e r h a u p t d u r c h f ü h r b a r ist u n d nicht
in
i m m e r eins der Gebiete zur H a u p t s a c h e wird, m u ß es
der T a t
eine Schädigung jeder Seite u n d eine H e r a b d r ü c k u n g des
Gesamt-
lebens b e w i r k e n ; d a ß ein Ganzes beide Seiten u m s p a n n t u n d sie in Wechselwirkung
hält,
Die K u l t u r bedarf
ist zur
Vollendung
eines u n a b l ä s s i g e n
einer jeden
notwendig.
A n t r i e b s , sich z u r
Wesens-
bildung zu vertiefen u n d den g a n z e n Menschen zu bilden, soll sie n i c h t bloße Oberfläche bleiben u n d schließlich ein seelenloser Me-chanismus w e r d e n ; jenen A n t r i e b a b e r e m p f ä n g t sie, w e n n auch n i c h t d i r e k t von der Religion her, s o n d e r n a u s d e m G a n z e n , so doch n i c h t ohne d i e . Hilfe der Religion; n u r von ihr aus wird die ganze Tiefe erregt
und
e r l a n g t d a s P r o b l e m m i t seiner Größe eine
Gegenwart, ohne sie verliert die K u l t u r leicht den mit den h ö c h s t e n F r a g e n des menschlichen
lebendige
Zusammenhang
Lebens.
Aber auch die Religion k a n n n i c h t gedeihen, die zur n u r ein äußeres, n i c h t auch ein inneres V e r h ä l t n i s h a t .
Kultur
Denn dann
erwachen alle die G e f a h r e n der A b s o n d e r u n g , die v o r h e r z u r Sprache k a m e n , die G e f a h r e n , sich auf allgemeine A n t r i e b e zu u n d den Lebenskern n i c h t zu f ö r d e r n . g r ü n d u n g aus d e m
Ganzen des Lebens k a n n selbst die
der Religion e r s c h ü t t e r n . durch
beschränken
J a die A b l e h n u n g aller BeSicherheit
So gewiß sie d i r e k t u n d bei sich selbst
ursprüngliche T a t s a c h e n
einer weiteren W e l t a n s c h a u u n g
erwiesen sein will, n i c h t als bloße
sich
F o l g e r u n g ableiten
jene T a t s a c h e n scheinen u n s n i c h t sinnfällig von a u ß e n
aus läßt,
entgegen,
sondern an den P u n k t , wo sie sich erschließen, f ü h r e n erst
innere
Bewegungen u n d E r f a h r u n g e n ; diese aber k ö n n e n sich n u r i n n e r h a l b eines u m f a s s e n d e n Lebens bilden, d a s die geistige A u f g a b e a n e r k e n n t u n d ergreift. Dazu a b e r bedarf es auch einer k r ä f t i g e n K u l t u r a r b e i t . Die beiden Seiten ohne alle Beziehung zu lassen, e t w a hier Materialist oder Positivist zu sein, d o r t a b e r einer s t r e n g e n F a s s u n g der Religion zu huldigen, ist allenfalls möglich, wo ein geschichtlich ü b e r k o m m e n e s , in sich festgeschlossenes Religionssystem auf A u t o r i t ä t hin a n g e n o m m e n
V e r w i c k l u n g e n und A b g r e n z u n g e n
275
wird; es ist unmöglich, wo die Religion vornehmlich auf die eigne Überzeugung und Erfahrung gestellt wird. Wir können und müssen in einer Wahrheit zwei Seiten und Ausgangspunkte, wir dürfen nicht eine doppelte Wahrheit gelten lassen; an jeder Stelle wird das Leben verflachen, wo nicht der ganze Mensch aufgeboten wird und die Bewegung nicht bis zur gemeinsamen Wurzel seines Wesens durchdringt. So können Religion und Kultur nicht voneinander lassen, aber es darf ihre Wirkung aufeinander keine direkte sein, sie muß durch das Ganze des Lebens vermittelt werden; jede hat zunächst auf das Ganze zu wirken und erst von hier aus zur anderen; Religion wie Kultur erreichen ihre eigne Höhe nur bei Einfügung in die eine Aufgabe der Wesensbildung.
Nach diesen Erörterungen sei zum Schluß kurz zusammengefaßt, wie die Wirkung der Religion, dieser Verkörperung der überwindenden Geistigkeit, auf das übrige Leben zu denken und zu wünschen ist. Solche Wirkung wird um so glücklicher sein, je weniger sie direkt auf die einzelnen Gebiete, je mehr sie zunächst auf das Ganze geht; sie wird um so tiefer dringen, je weniger sie irgendwelcher Tendenz unterliegt, je mehr sie einer inneren Notwendigkeit folgt. Der Gewinn des Ganzen besteht aber vornehmlich darin, daß durch eine neue Erschließung der Vernunft die Vernunft überhaupt gesichert und wiederbelebt wird, ohne daß die Dunkelheiten und Widerstände des Daseins künstlich weggedeutet werden. So ein mutiges Fortführen des Lebens inmitten der ungeheuren Hemmungen, ein Behaupten eines Sinnes inmitten aller Unvernunft, einer unergründlichen Tiefe in sonstiger Flachheit, einer Reinheit und Unschuld in aller Verworrenheit und Verderbtheit, einer Seligkeit inmitten alles Leides und aller Dunkelheit. Die dialektische Art, welche das Geistesleben im Verhältnis zum Menschen — nicht das Geistesleben bei sich selbst — durchgängig zeigte, erreicht hier ihren höchsten Gipfel. Denn nirgends ist der Gegensatz so schroff, nirgends betrifft er so sehr den Grundgehalt des Lebens, nirgends wird er so unmittelbar zur eignen Angelegenheit jedes Einzelnen. Den Kern aller Religion bildet die volle Einigung von göttlicher und menschlicher Natur in der überwindenden Geistigkeit; solche Einigung erhebt den Menschen im Kern seines Wesens zur höchsten 18*
276
D e r K a m p f um d i e W e l t m a c h t d e s G e i s t e s l e b e n s
Höhe, aber zugleich bringt sie alle H e m m u n g e n seiner Lage und seiner Art zur deutlichsten E m p f i n d u n g . D o r t eine Teilnahme nicht nur an der Unendlichkeit und Ewigkeit, sondern auch an der geistigen Vollkommenheit und sittlichen Hoheit, hier die verschwindende Kleinheit des Menschen, die Schwäche aller geistigen Antriebe, die zähe Festhaltung der selbstischen N a t u r . Nirgends ist daher die Kritik gegen das Bloßmenschliche schärfer als an dieser Stelle, nirgends aber erhebt sich deutlicher aus aller E r s c h ü t t e r u n g und Erniedrigung ein unverlierbares Wesen, nirgends wird die Scheidung zwischen kosmischem Beisichselbstsein des Lebens u n d Bloßmenschlichem gründlicher vollzogen. Indem das Menschenleben an dem Zusammenstoß der Welten und an dem Hervorbrechen ursprünglichen Schaffens teilnimmt, erhält es der nächsten E r f a h r u n g zum Trotz eine unvergleichliche Größe und unerschöpfliche Tiefe; die Möglichkeit einer Befriedigung beim gegebenen Dasein ist völlig zerstört, allem Abschließen bei endlichen Größen, allem selbstgenugsamen Dogmatismus des Denkens und Lebens sicher vorgebeugt. Der Kampf der Welten aber und die Entwicklung des Neuen erzeugt eine unermeßliche Bewegung, aus allen Problemen scheint ein H a u p t p r o b l e m hervor und durchdringt alle Ausdehnung des Lebens. N u n m e h r kann sich nichts träge verschließen und starr absondern, sondern alles k o m m t in regen Fluß, alle Mannigfaltigkeit m u ß aneinander Anschluß suchen, alle einzelnen Bewegungen vereinigen sich zu Einem Lebensstrome. Dies Zusammendrängen des Lebens an einen Mittel- und H a u p t p u n k t m u ß das persönliche Element sehr stärken und ein geistiges Selbst aller Zerstreuung e n t w i n d e n ; ein solches Selbst aber ist es, was durchgängig den Kampf mit der Endlosigkeit der E r f a h r u n g e n a u f z u n e h m e n und ihrer scheinbar blinden Tatsächlichkeit einen Sinn abzuringen h a t . Diese Aufgabe erlangt u n t e r den Widerständen des menschlichen Daseins nie eine reine Lösung, immer wieder entweicht die Unendlichkeit den auferlegten Maßen und verschließt sich in tiefes Dunkel. Aber d a ß das Unvollendbare nicht widersinnig ist, das beweist die F r u c h t b a r k e i t dieses Strebens. An ihm h ä n g t alles geistige Schaffen, n u r in kräftiger E n t f a l t u n g eines geistigen Selbst und in mutigem Ringen mit der Welt gewinnt das Leben eine Tiefe und die Arbeit einen Gehalt; wo jener Kampf endgültig eingestellt wird, da fällt alles auseinander, da siegt das Äußere über das Innere, da läuft das Leben in einen seelenlosen Mechanismus aus.
Verwicklungen und A b g r e n z u n g e n
277
Eigentümlich war der religiösen Bewegung, d a ß der Sieg nicht den Widerstand völlig vernichtet, wohl aber seine Gewalt durch die E r ö f f n u n g eines neuen Lebenskreises innerlich bricht. So verbleibt eine Geteiltheit der Stimmung, ein Hin- und Hergehen vom einen zum anderen, ein innerer K o n t r a s t ; t r u g doch selbst die Seligkeit den Schmerz über das Feindliche oder Verlorene in sich. In solchem K o n t r a s t , dessen Auf- und Abwogen die religiöse K u n s t , etwa die eines Bach, zu ergreifendem Ausdruck bringt, liegt wie eine Abweisung aller bequemen Ruhe so eine Ablösung von aller greifbaren Gestalt. JDie Gefahr eines Verfallens ins Formlose ist hier augenscheinlich, aber diese Gefahr läßt sich durch eine kräftige Zurückbeziehung des Lebens auf seine begründende Tiefe überwinden; so können innere Festigkeit und nnablässige Bewegung ganz wohl zusammengehen. Solcher Weite und Ursprünglichkeit bedarf dieses Leben nicht nur f ü r den Kampf nach außen, sondern auch f ü r sich selbst; die niederdrückenden Zweifel, mit denen es zu t u n h a t , kann nur ein stetes Neuentstehen, ein unablässiges Hervorgehen aus freier T a t überwinden. Nirgends mehr als hier ist das Leben ein immer neues Schaffen, gehört die Freiheit so sehr zur Wurzel des Wesens. Von hier aber k a n n sie den ganzen U m f a n g durchdringen und überall zur Verwandlung der Arbeit in T a t , Überzeugung und Wesensentfaltung wirken. Bei aller Freiheit h a t das Leben zugleich einen tiefen E r n s t . Aus unergründlicher Tiefe k o m m t das Problem der Welten an den Menschen, n u n m e h r erstreckt sich von dem zentralen Problem ein Entweder—Oder über alles T u n und fordert an jeder Stelle unsere eigne Entscheidung. D a ß die Wendung zur Geisteswelt eine völlige Umwälzung bedeutet, d a ß sie eine Herabsetzung des nächsten Daseins zu einer niederen Sphäre, einen Bruch des Menschen mit der Welt, mit den Menschen, ja mit sich selbst' in sich t r ä g t , das k o m m t von hier zu eindringlichster W i r k u n g . Dem allen k a n n sich das Kulturleben n u r entziehen, wenn es das Problem der Wesensbildung von sich weist und alle Betätigung entweder in den Dienst der natürlichen Selbsterhaltung stellt oder in ein bloßes Spiel der K r ä f t e verwandelt. Will die K u l t u r aber mehr sein, erstrebt sie ein selbständiges Innenleben und d a m i t eine Geisteswelt, so wird sie jene Umwälzung anerkennen und sich anzueignen suchen, im besonderen die Kräftigung des Persönlichseins, die von
278
D e r K a m p f um d i e W e l t m a c h t d e s G e i s t e s l e b e n s
dort ausging; sie wird dann die Bewegung auch den einzelnen Gebieten zuführen, um so mehr, je enger sie dem Ganzen des Lebens verbunden sind. — Obenan s t e h t hier das e t h i s c h e G e b i e t . Wohl h a t es seine Selbständigkeit auch der Religion gegenüber zu wahren. Denn es h a t eine breitere Grundlage in dem Gesamtverhältnis des Menschen zum Geistesleben, namentlich zur Wesensbildung; es k a n n sich weder seinen Inhalt von der Religion übermitteln lassen noch von ihr seine Antriebe borgen; eine derartige direkte Unterordnung u n t e r die Religion bringt der E t h i k schwere Gefahren. Aber eine Ethik, welche die Vertiefungen und die E r f a h r u n g e n der Religion schlechtweg ablehnt, verurteilt unvermeidlich sich selbst zur Flachheit und U n f r u c h t b a r k e i t . Oder sollte sie ohne schweren Schaden sich gegen die E r w ä r m u n g und Kräftigung der Lebensaufgabe verschließen können, welche von der persönlicheren und eindringlicheren Gestaltung jener ausgeht, gegen die Neubelebung des Wesens, welche aus dem Z u s a m m e n s t o ß der Welten und der E r ö f f n u n g einer höheren Ordnung entspringt, gegen den Zug zur inneren Einigung des ganzen Menschen, wie er von dort aller Zerstreuung des Durchschnittslebens e n t g e g e n w i r k t ? Nur im Zusammenhange mit der Religion vermag die E t h i k die Überwindung aller bloß n a t u r h a f t e n Art durchzusetzen, nur so wird ein unverlierbarer Keim des Guten vor aller Verkehrtheit und Verderbnis des Durchschnittslebens g e r e t t e t , nur so die Unvergleichlichkeit der ethischen Aufgabe gegenüber allen anderen Aufgaben sicher begründet. Über solche allgemeinere W i r k u n g hinaus entwickelt sich aber von der Religion her auch ein eigentümlicher ethischer Typus, der sich nicht ohne Schaden direkt über das ganze Leben ausbreiten k a n n , der aber mit seiner beseelenden und umwandelnden K r a f t das ganze Leben f ö r d e r t . Es ist der T y p u s der Liebe und Gnade einerseits, des Glaubens und Vertrauens andererseits, der Typus, in dem die Gegensätze sowohl aufs schroffste gespannt als aufs gründlichste aufgehoben werden. D a m i t eine durchgreifende E r s c h ü t t e r u n g des Menschen, ein Schmelzen aller H ä r t e vor der Gewalt neuer Lebensfluten, ein zwingender Antrieb zur Betätigung von D a n k und Liebe, ein E r s t a r k e n von Hingebung und Aufopferung, von D e m u t und Feindesliebe. W a s aber an besonderer und an allgemeinerer Wirkung erreichbar ist, das k a n n f ü r das Ganze des Menschheitslebens sich k r ä f t i g entfalten nur, wenn sich auf diesem Boden ein eigner Lebenskreis zusammenschließt, sich eine neue Art menschlicher Gemeinschaft
Verwicklungen und A b g r e n z u n g e n
279
im Dienst der überwindenden Geistigkeit bildet: eine e t h i s c h r e l i g i ö s e G e m e i n s c h a f t m u ß neben der politisch-rechtlichen stehen. Denn der Staat darf nur die allgemeine N a t u r des Geisteslebens voraussetzen und verwerten, nicht die näheren, auf volle Freiheit gestellten Erfahrungen, er ist den Notwendigkeiten des Lebens eng verflochten und kann des Zwanges nicht entbehren, er wird von dem Wechsel und Wandel der Zeit und selbst von den Schwankungen des Augenblicks s t ä r k e r bewegt, er entfesselt mit seinem Voranstellen der Macht unermeßliche K ä m p f e und Leidens c h a f t e n ; so kann er den inneren und ewigen Aufgaben des Menschenwesens nun und nimmer genügen. D a ß heute die Kirche, wie sie vorliegt, das Gesamtleben nicht befriedigt, das sollte uns nicht in der Überzeugung beirren, d a ß eine mehr auf Freiheit und Innerlichkeit gegründete und die näheren E r f a h r u n g e n der Geisteswelt a u f n e h m e n d e Gemeinschaft des Lebens, K ä m p f e n s und Wirkens der Menschheit ein unabweisbares Bedürfnis ist, und d a ß eine solche innere Gemeinschaft ein flüchtiges Luftgebilde bleibt ohne einen Anschluß an die Vertiefungen und Umwälzungen, weiche aus der Religion entspringen. Diese neue Gemeinschaft aber, derer wir heute mehr bedürfen als jemals, wird ihre Aufgabe um so besser erfüllen, je mehr sie ihre Selbständigkeit und Eigentümlichkeit gegenüber der politischen w a h r t ; sie darf weder äußerlich vom Staate abhängig sein und schließlich zum gehorsamen Diener der jeweiligen Regierung sinken, wie oft d e r - P r o t e s t a n t i s m u s , noch auch von innen her u n t e r die Macht der Staatsidee geraten, bei sich selbst zu einem geistlichen Staate werden, wie oft der Katholizismus. Endlich müssen die Erregungen und Vertiefungen des Gesamtlebens durch die überwindende Geistigkeit auch den einzelnen Arbeitsgruppen zugute k o m m e n ; sie lassen sich nirgends ablehnen, wo das Streben die Richtung zum Ganzen und zur Wesensbildung einschlägt. Wo immer die Arbeit sich nicht bloß in den Erscheinungen zurechtfinden will, sondern zu einem Sinn und Charakter a u f s t r e b t , da bedarf sie der Einsetzung eines geistigen Selbst, eines n a t u r ü b e r legenen Persönlichseins, das sich in die Leistung hineinlegt und aus ihr zu sich zurückkehrt, das durch die Erfahrungen der Arbeit innerlich fortzuschreiten und dadurch dem zu Beginn Unmöglichen gewachsen zu werden vermag. Durchgängig wird dabei zur Aufgabe, die Arbeit von der Subjektivität des Einzelnen wie der Besonderheit menschlicher Art zu befreien und in den eignen Be-
280
Der Kampf um die W e l t m a c h t des
Geisteslebens
stand der Dinge, in ein Reich der W a h r h e i t zu versetzen; dazu bedarf es aber sowohl einer inneren Scheidung unseres Lebenskreises als einer Befestigung in einer der Verwicklung überlegenen Ordnung. Das f ü h r t wiederum zu demselben Problem, das der Religion den M i t t e l p u n k t gibt. Alle solche Anregungen und Einwirkungen müssen sich durch das Ganze des Lebens hindurch auch auf die P h i l o s o p h i e erstrecken. Gewiß darf sie sich ihre volle Freiheit und Unbefangenheit nicht durch die Religion v e r k ü m m e r n lassen, sie m u ß alles, was von dort an sie k o m m t , neu zum Probleme machen und auf ihrem eignen Boden d a r g e t a n haben wollen. Aber sobald sie von der bloßen Sammlung und Anordnung der Erscheinungen zu einem K a m p f um eine innere Aneignung der Wirklichkeit vordringt, wird sie die überwindende Geistigkeit und ihre Verkörperung zu würdigen haben und f ü r die G e s a m t a r t des Strebens von dort f r u c h t b a r s t e Anregungen empfangen. Ohne ein starkes persönliches Element k a n n die Philosophie nicht den Kampf mit der endlosen Welt u n t e r n e h m e n , nicht irgendwelche Einheit des Weltbildes erstreben, noch eine geschlossene und überlegene Gedankenwelt erreichen. Gewiß will sie d a m i t etwas Unvollendbares, alle Leistung wird immer wieder als zu klein befunden werden. Aber ebenso gewiß wurde nur durch die hierbei erfolgte Konzentration und Aufbietung des ganzen Wesens erreicht, was die Philosophie an Großem und F r u c h t b a r e m geleistet h a t . Im K a m p f gegen die Unermeßlichkeit der Umgebung ist der Mensch verloren, wenn er ihr nicht von innen her eine Unendlichkeit entgegenstellen kann. Auch den anderen Wissenschaften gegenüber vermag die Philosophie eine selbständige Stellung n u r zu behaupten, wenn sie die Tatsächlichkeit und den Gehalt eines überlegenen Beisichselbstseins vertritt und daraus auch ein eigentümliches Verfahren gewinnt. Nur d a n n k a n n sie einen neuen Weltdurchblick bieten, nur d a n n wird sie eine innere Notwendigkeit, während sie ohne eine solche Wurzel zu einem intellektuellen Sport herabzusinken d r o h t . Wir haben uns in E u r o p a d a r a n gewöhnt, von Religion u n d Philosophie grundverschiedene Bilder der Welt sowohl als des Lebens zu e m p f a n g e n ; mit Recht wird uns von indischen Denkern entgegengehalten, d a ß solche Spaltung u n n o r m a l und schädlich ist. Bei aller Selbständigkeit ihrer Aufgaben müssen Religion und Philosophie sich zu einem gemeinsamen Leben weiterer Art bekennen. Wir suchten zu zeigen, d a ß das möglich ist.
Verwicklungen und A b g r e n z u n g e n So e r s c h e i n e n sammenhänge
überall innere Z u s a m m e n h ä n g e
f r e i l i c h , die sich
nicht
mechanisch
sondern der Aneignung durch Freiheit bedürfen. Selbständigkeit
bedarf,
wir
uns
aber
zugleich
des
281 Lebens,
mitteilen
Zu-
lassen,
D a ß jede Stelle voller überall
im
Ganzen
b e f i n d e n u n d u m d a s G a n z e k ä m p f e n , d a s ist es, w a s d a s L e b e n s c h w e r , a b e r zugleich a u c h s p a n n e n d u n d g r o ß m a c h t . .
D.
Zusammenfassung.
1. Das Gesamtbild des Geisteslebens. I n
drei Stufen fanden wir eine Bewegung entstehen, in drei Durchsichten die Wirklichkeit sich erschließen, mit drei Aufgaben das Geistesleben an uns k o m m e n . Das erste Problem war das der Selbständigkeit des Geisteslebens. Es zeigte sich, d a ß dieses Leben nicht eine bloße Nebenerscheinung eines andersartigen Geschehens bilden k a n n ; n u r als ein eignes Reich, ja eine eigne Welt kann es sich rein ausprägen und die K r a f t zu siegreichem Aufstieg finden. Dazu aber gehört in dfer Form eine Losreißung von dem bisherigen Durcheinander und das Einsetzen eines ursprünglichen Lebens, in der Sache die Entwicklung eines Reiches neuer, ideeller Größen und Güter, das seinen W e r t , und zwar einen unvergleichlichen W e r t , in sich selber h a t , ihn nicht erst durch die Beziehung auf das Dasein erlangt. Mit solcher Ausbildung einer Selbständigkeit wurde aber das Geistesleben nicht eine Sonderwelt neben der übrigen Wirklichkeit, sondern wir e r k a n n t e n in ihm die Seele der gesamten Wirklichkeit, eine W e n d u n g dieser zu ihrer eignen Tiefe, ein Sichselbstfinden und Erschließen des Lebens. So verstanden ist es mehr als ein innermenschlicher Vorgang, es zeigt vielmehr den Menschen in Weltbewegungen, die seine besonderen K r ä f t e und Ziele weit übersteigen, die eine innere Umbildung von ihm fordern und ihn zugleich über die Durchschnittskultur hinaustreiben. . Ihr gegenüber die Selbständigkeit und die Reinheit des Geisteslebens vollauf zu wahren und auch in der Denkarbeit alle offne oder versteckte Ableitung aus der bloßen N a t u r und Gegebenheit abzuweisen, das erschien als die erste Forderung, als *die notwendige Voraussetzung alles glücklichen Fortgangs. Aber so notwendig diese Ablösung und Entgegensetzung des Geisteslebens war, und so sehr es in allen weiteren Erfahrungen die
Das Oesamtbild des G e i s t e s l e b e n s errungene
Überlegenheit
zu
wahren
hatte,
jene
283 Entgegensetzung
ließ seine eigne G e s t a l t u n g n u r zu e n t w e r f e n d e m U m r i ß , nicht voller
Durchbildung
kommen.
Dafür
war
seine
zu
Zurückwendung
zum Dasein n i c h t zu e n t b e h r e n , n i c h t u m dieses in seinem n ä c h s t e n B e f u n d e als einen gleichberechtigten F a k t o r a n z u e r k e n n e n u n d sich mit
ihm
zusammenzusetzen,
sondern
um
es auf
den
Boden
des
Geisteslebens zu ziehen, ihm hier einen G e h a l t abzuringen und zugleich sich selber weiterzubilden.
Dieses
ohne alle Einzelarbeit m i t einem zu u m s p a n n e n ,
Streben
konnte nicht
gelingen,
Bilden von G a n z e m zu
Ganzem
es galt die Herstellung eines Lebenssystems,
eines
G e s a m t w e r k s , in d e m das Geistesleben als das Beisichselbstsein
des
Lebens zu einer vollen und s e l b s t g e n u g s a m e n Wirklichkeit w ü r d e .
Das
Streben nach einem solchen System d u r c h d r i n g t die ganze Geschichte, es ist n u r
ein a n d e r e r
Ausdruck
für das
Verlangen
nach
einem
C h a r a k t e r des Geisteslebens, alle a u s g e p r ä g t e K u l t u r s e t z t hier eine eigne B e h a u p t u n g ein.
W i r sahen aus den B e j a h u n g e n und Vernei-
nungen der Zeiten, aus ihren Erfolgen und Mißerfolgen die F o r d e r u n g eines S y s t e m s der W e s e n s b i l d u n g e n t s t e h e n ; n u r ein solches das F r e m d e u n d
Feindliche b e k ä m p f e n u n d
überwinden, nur
bereitet die T ä t i g k e i t aus sich selbst eine volle W i r k l i c h k e i t . der V o r h a l t u n g
eines
kann hier Aus
solchen S y s t e m s e n t s p r a n g e n d u r c h w e g neue
Aussichten und A u f g a b e n , ein h a r t e s , aber f r u c h t b a r e s Ringen mit der E r f a h r u n g b e g a n n , eine Z u r ü c k v e r l e g u n g des Lebens g e s t a t t e t e sonst unversöhnlichen
Gegensätzen sich zu v e r s t ä n d i g e n
und
sich
einem überlegenen Ganzen e i n z u f ü g e n , ein neues K u l t u r i d e a l b e g a n n d a m i t seinen Aufstieg. Auch zeigte sich, d a ß es der Bewegung d a h i n n i c h t an A n k n ü p f u n g s p u n k t e n i n n e r h a l b des Daseins fehlt, d a ß ihr v o n hier ein a u f s t e i g e n d e r Zug e n t g e g e n s t r e b t , der n u r geklärt u n d v e r s t ä r k t sein will. So schien ein glücklicher A b s c h l u ß des Lebens u n d ein Ausgleich mit dem W e l t s t a n d erreicht.
Aber neue Verwicklungen
bei einem n ä h e r e n Eingehen auf den B e f u n d u n s e r e r W e l t und E r f a h r u n g . äußeren so
zeigte
erschienen
menschlichen
H a t t e das Geistesleben bis d a h i n n e b e n den
H e m m u n g e n n u r eine innere U n f e r t i g k e i t zu
überwinden,
es n u n sich selbst von schroffen W i d e r s p r ü c h e n
zerrissen
u n d seiner eignen A r t e n t f r e m d e t , zugleich aber an eine s t a r r e u n d gleichgültige W e l t g e b u n d e n .
Alle Hilfen i n n e r h a l b der
gegebenen
Lage erwiesen sich als unzulänglich, ohne die E r ö f f n u n g einer n e u e n W e l t ü b e r w i n d e n d e r Geistigkeit w a r das Ganze verloren.
Aber bei
284
Zusammenfassung
der Wendung dahin durfte dem Menschen die alte Welt nicht entschwinden, ein Leben vor und nach dem Konflikte war sowohl auseinanderzuhalten als zu einander in Beziehung zu setzen, nur ihr Zusammenwirken vermochte die Aufgabe der Wesensbildung zu fördern. Ein fertiger Abschluß freilich wurde auch so nicht erreicht. Denn so gewiß ein letzter Punkt fester Art ergriffen wurde, das übrige Leben verblieb in Arbeit und Kampf, Geheimnisse umsäumten unseren Weg, nur als ein Glied weiterer, ihrer näheren Beschaffenheit nach undurchsichtiger Zusammenhänge konnte das Leben einen Sinn bewahren. Das Ganze dieser fortschreitenden Bewegung enthält eine entschiedene Abweisung solcher Überzeugungen, welche sich an einem früheren Punkte festlegen und gegen den Fortgang des Ganzen verschließen. So wird als verworren oder matt alle Weltanschauung verworfen, welche eine Geistigkeit bejaht, aber keine selbständige Geisteswelt anerkennt, verworfen wird auch das Beharren bei der Blutlosigkeit einer dem Dasein schroff entgegengesetzten Geistigkeit, verworfen der Versuch, aus einzelnen freischwebenden Tätigkeiten ein Lebenssystem zu entwickeln, als verflachender Optimismus verworfen die Leugnung oder Wegdeutung der Widersprüche unseres Daseins, verworfen aber auch der Pessimismus mit seiner matten Ergebung in diese Widersprüche. Aber nicht minder als auf den Fortgang ist darauf zu dringen, daß die späteren Stufen die früheren festhalten und fortwirken lassen, da das Leben sonst sich verengt und erstarrt. So geschieht es, wenn die überwindende Geistigkeit für sich einen geschlossenen Kreis bilden will und alle Beziehung zur grundlegenden abbricht, so wenn die Wendung zu einem Lebenssystem nicht immer neu von der breiten Grundlage des gesamten Geisteslebens aus erfolgt, so wenn das Geistesleben überhaupt das entgegenstehende Dasein als nicht vorhanden betrachtet und den Kampf mit ihm einstellt. An allen Punkten ist die selbstgerechte Abschließung zugleich eine Absperrung von den Quellen des Lebens, nur als ein Glied des Ganzen kann die besondere Stufe ihre Kraft und Wahrheit behaupten. So müssen alle jene Stufen und Richtungen in unablässiger Beziehung und der ganze Lebensprozeß in steter Bewegung bleiben. Jede Stufe hat ihre eignen Erfahrungen, die sich bei Vermengung mit denen anderer Stufen nicht vollständig ausleben und rein aussprechen können. Auch können nur bei deutlicher Scheidung und
D a s G e s a m t b i l d des G e i s t e s l e b e n s
285
u n g e s t ö r t e r E n t w i c k l u n g die S t u f e n als Ganzes "auf einander wirken und
damit
Gesamterfahrungen
wie
Gesamtbewegungen
Gilt es als eine besonders wichtige
E i g e n s c h a f t des
erzeugen.
individuellen
Seelenlebens, d a ß die einzelnen Vorgänge zu e i n a n d e r in Beziehung t r e t e n ohne z u s a m m e n z u r i n n e n , so ist auch f ü r d a s Geistesleben die Scheidung Wert.
der
Lebensstufen
und
Gedankenmassen
von
höchstem
N u r so k a n n es sein ganzes Vermögen erschließen, n u r so die
Fülle der W i r k l i c h k e i t an sich ziehen u n d in eigne E r f a h r u n g verwandeln.
Im besondern fordern die Gegensätze, die das Ganze jener
Bewegung e n t h ä l t , eine gleichmäßige
E n t f a l t u n g : sowohl die
Los-
reißung v o m Dasein als die R ü c k k e h r zu ihm, sowohl d a s Vermögen als die S c h r a n k e unseres Geisteslebens, sowohl der W i d e r s t a n d
als
die Ü b e r w i n d u n g . D e n n m a g der Einzelne je nach seiner individuellen Art
und
Lebenserfahrung
auf
dieser oder j e n e r
Seite u n d
Stufe
Stellung n e h m e n , u n d m a g sich d a m i t ein Ausblick auf eine reiche Fülle individueller G e d a n k e n w e l t e n eröffnen, d a s Ganze des Lebens m u ß innerlich weit genug sein, u m alle Seiten und S t u f e n zu
um-
s p a n n e n u n d zu einem einzigen Leben zu v e r b i n d e n ; von hier m u ß ein Gleichgewicht der Bewegungen w i r k e n , das der Einzelne i m m e r n u r a n n ä h e r n d e r r e i c h t ; , h i e r ist die Universalität zu erstreben, die f ü r volle W a h r h e i t u n e n t b e h r l i c h Je
mehr
aber
auf
eine
ist.
Festhaltung
der Mannigfaltigkeit
d r u n g e n wird, desto n o t w e n d i g e r ist zur F e r n h a l t u n g einer lichen
Zusammensetzung
die
kräftige Ausprägung
G e g e n w a r t einer allbeherrschenden
Gesamtidee.
und
ge-
äußer-
lebendige
Dies f a n d sich
in
der E r f a s s u n g der Geisteswelt als des Beisichselbstseins des Lebens, als des K e r n s d e r W i r k l i c h k e i t . e r h a l t u n g schieden
Subjektive und substantielle
sich d a m i t scharf
Selbst-
v o n e i n a n d e r ; die Welt
wird
hier n i c h t auf ein a u ß e r ihr s t e h e n d e s S u b j e k t bezogen, u m sein Besitz u n d G e n u ß zu w e r d e n , sondern die Wirklichkeit selbst s t e h t in Bewegung, sie s u c h t im Geistesleben ihre eigne Vollendung, ihre s c h a f f e n d e Tiefe.
Der W e l t c h a r a k t e r wird dem Geistesleben n i c h t n a c h t r ä g l i c h
beigelegt, es w ü r d e ihn nie erlangen k ö n n e n , w e n n es ihn nicht v o n H a u s aus besäße u n d n u r weiter zu klären h ä t t e . K e r n seines Wesens
an solchem
Weltleben
Mensch f ü r i m m e r von der W a h r h e i t
Ohne mit
t e i l z u h a b e n , wäre
a b g e s c h n i t t e n ; auch
er
dem der hat
sein echtes Selbst in d e m All als geistigem All zu f i n d e n , w e n n d a s Geistesleben sein eignes Leben, die Seele u n d F r e u d e seines Daseins w e r d e n u n d ihn u n m i t t e l b a r , n i c h t d u r c h die W i r k u n g auf d a s kleine
286
Zusammenfassung
Ich, bewegen soll.
D e r Gegensatz von Selbst u n d W e l t ist nie von
a u ß e n , sondern n u r v o n innen h e r zu ü b e r w i n d e n ; o h n e seine Überw i n d u n g aber bleibt der Mensch e n d g ü l t i g in d e n engen
Sonder-
kreis g e b a n n t . In jener W e n d u n g e r k a n n t e n wir eine völlige U m w ä l z u n g ersten L e b e n s f ü h r u n g u n d W e l t a n s i c h t .
der
N u n f a n d sich der Mensch
n i c h t m e h r in einer gegebenen W e l t u n d erhielt seine A u f g a b e n i c h t durch
äußere
oder
innere
Notwendigkeit
zugewiesen,
sondern
er
m u ß t e die echte Wirklichkeit u n d zugleich seinen eignen W e g erst suchen,
der
Gesamtstand
der
Welt
wurde
zum
Problem,
Welt-
s t u f e n stießen h a r t a u f e i n a n d e r ; solcher K a m p f a b e r w a r m i t seiner Auflösung aller s c h e i n b a r
festen
Ordnungen
zugleich
ein
Zeugnis
f ü r die Überlegenheit geistigen Lebens, g e g e n ü b e r d e r s c h w e r e n E r s c h ü t t e r u n g w a r nirgends a n d e r s als bei i h m selbst ein sicherer H a l t zu f i n d e n , nirgends a n d e r s als v o n hier die A r b e i t a u f z u n e h m e n . Die neue W e l t b r a c h t e n a m e n t l i c h eine d u r c h g r e i f e n d e Verinnerl i c h u n g des Bildes d e r W i r k l i c h k e i t .
Unmöglich k o n n t e d a s Geistes-
leben die Vollendung alles Lebens, d a s allein volle u n d selbständige Leben b e d e u t e n , ohne d a ß von v o r n h e r e i n ein Inneres als d e r Grund d e r Wirklichkeit, d a s Äußere als e t w a s S e k u n d ä r e s , ja in seiner bloßen Äußerlichkeit als e t w a s Abgelöstes u n d E n t f r e m d e t e s g i l t ; ein schlechthin Äußeres ist hier ein völlig unmöglicher G e d a n k e . J e n e Innerlichkeit h a t d a s R e c h t , alles a n sich zu ziehen u n d von sich a u s zu g e s t a l t e n ; erst
ihre Steigerung
W a h r h e i t gewinnen.
zu einer Innenwelt l ä ß t auch d a s a n d e r e eine So gilt es überall, eine Beziehung z u r Innenwelt
herzustellen u n d in aller L e i s t u n g ihr W i r k e n zu e r f a s s e n ; die Innenwelt gibt den S t a n d o r t , von d e m aus alles Leben zu e n t f a l t e n u n d alles Sein zu v e r s t e h e n ist.
Aber die T a t s a c h e ist zugleich ein u n -
ermeßliches P r o b l e m , zwischen der E r h e b u n g u n d d e r D u r c h f ü h r u n g d e s A n s p r u c h s liegt die weiteste K l u f t , liegt die ganze A r b e i t unserer Welt.
D e n n jene I n n e n w e l t ist u n s z u n ä c h s t n u r im
allgemeinsten
U m r i ß erreichbar, zwischen ihr u n d u n s b e f i n d e t sich die U n e r m e ß l i c h keit einer f r e m d e n u n d gleichgültigen W e l t u n d d r o h t u n s m i t ihrer W u c h t zu e r d r ü c k e n . u n t e r w e r f e n , ihrer
Und doch m u ß die Innerlichkeit sich jene W e l t Sinn, ihrer Ä u ß e r l i c h k e i t
einen
Geistesgehalt verleihen, erst in solchem K a m p f erreicht sie ihre
Starrheit
einen
eigne
Vollendung. Schon d a r a u s erhellt, d a ß die Verinnerlichimg d e r W i r k l i c h k e i t nicht m i t Eitlem Schlage, auch nicht in r a s c h e m Zuge erfolgen k a n n .
Das Gesamtbild des Geisteslebens
287
Die A n k n ü p f u n g s p u n k t e zwischen hier und dort wollen Schritt für Schritt gewonnen sein, nur langsam kann die Arbeit vorwärtskommen. Alle Verwicklung wäre dabei weit leichter zu überwinden, als sie es ist, wenn unsere Welt bei sich selbst ein vollendetes System wesenh a f t e r Innerlichkeit bildete und alle Äußerlichkeit nur aus unserer menschlichen Auffassung s t a m m t e ; d a n n könnte eine gründliche Berichtigung unserer Begriffe uns rasch ans Ziel versetzen. Die Untersuchung zeigte aber, d a ß die Verwicklungen nicht bloß von uns in die Welt hineingetragen sind, sondern zu ihrem eignen Bestände gehören; die Welt selbst ist in Bewegung begriffen, und diese Bewegung unterliegt undurchsichtigen Bedingungen, sie stößt auf harte, scheinbar unüberwindliche Widerstände. Spät erst und wie ein Nebenschößling erscheint in unserer Welt ein Beisichselbstsein des Lebens, es zeigt keine sichere Richtung und keinen inneren Zusammenhang, ja es gerät in h a r t e n Widerspruch mit sich selbst, es sieht sich nicht nur von außen gehemmt, sondern auch im eignen Innern gespalten. Soll dabei die Welt ihrem Grunde nach geistig sein, so ergibt das u n a u f lösbare Rätsel, es macht f ü r uns die Verinnerüchung der Wirklichkeit unvollendbar. Aber je größer die Widerstände erscheinen, desto größer erscheinen auch die Gegenwirkungen, desto deutlicher erweisen sie sich als Weltmächte, desto gewaltiger wird bei allem Dunkel die t a t sächliche Leistung-, D a ß aller H e m m u n g gegenüber das Geistesleben eine solche Macht werden konnte, wie es die Gesamttatsache der K u l t u r aufweist, d a ß es aus aller Zerstreuung so energisch zu einem Charakter strebt, d a ß so k r ä f t i g eine den Verwicklungen überlegene Geistigkeit wirkt, dieses ganze Sichbehaupten und Vordringen, es zeigt unser Leben und Streben in Weltzusammenhängen und gibt ihm in allen K ä m p f e n und Zweifeln das Bewußtsein eines Werfes und einer Bedeutung. J e unfertiger aber die Leistung bleibt, desto notwendiger sind feste Richtungen in dem "Werben und Ringen um ein Beisichselbstsein der Wirklichkeit. Zwei Forderungen erheben sich hier mit besonderem N a c h d r u c k : das Verlangen nach scharfer S c h e i d u n g von Universalgeistigem und Bloßmenschlichem und das Bestehen auf energischer Z u s a m m e n f a s s u n g des Geisteslebens bei sich selbst. W ä r e die bloßmenschliche Lebensform dem Geistesleben u n t r e n n b a r verwachsen, so würde nicht nur das Weltbild f ü r immer ein Gewebe anthropomorpher Vorstellungen bleiben, sondern auch unser Handeln bliebe an sinnliche und selbstische Zwecke gebunden; nicht nur eine
288
Zusammenfassung
volle Lösung der Aufgabe, auch alles Streben dahin wäre ausgeschlossen. D a ß der Mensch einer besonderen Art bewußt werden und das Bloßmenschliche von dem Kern der Arbeit fernhalten kann, ist wie ein sicheres Zeugnis seiner Größe so eine unerläßliche Bedingung alles Gelingens. Aber auch diese Aufgabe ist nicht u n m i t t e l b a r zu lösen, sie bedarf ausdauernder Arbeit der Geschichte. Das Bloßmenschliche ist zunächst in vollem Übergewicht, und grübelndes Nachdenken k a n n unmöglich ihm seine Grenze weisen, unentbehrlich d a f ü r sind die E r f a h r u n g e n , die Erfolge wie auch die Mißerfolge der ^Arbeit. Jede eingreifende W e n d u n g der Zeiten bringt hier neue Scheidungen u n d Aufklärungen, immer weiter wird das Bloßmenschliche zurückgetrieben, immer größer wird die innere Kluft, immer härter der Kampf des Menschen gegen sich selbst, immer stärker mit dem allen die geistige Spannung des Lebens. Ferner erlangte das Geistesleben eine Wesensbildung und damit den Aufbau einer selbständigen Wirklichkeit nur bei einer Zurückverlegung des Hauptprozesses hinter die einzelnen Tätigkeiten und besonderen Gebiete, bei U n t e r o r d n u n g aller Leistungen u n t e r ein überlegenes Ganzes. In diesem Ganzen m u ß t e die Bewegung von der Einheit zur Vielheit gehen, um zur Gestaltung fortzuschreiten, von der Vielheit aber zur Einheit zurückkehren, u m im Wesen zu gewinnen; beide Richtungen m u ß t e aber Ein»Lebensprozeß u m spannen, wenn das Wirken das Wesen fördern sollte. So erhielt d a s Leben eine Tiefe, aber es t r a t zugleich in einen Gegensatz zum u n m i t t e l b a r e n Dasein. Denn dieses gehört der Vereinzelung und Zerstreuung. So gilt es dagegen einen inneren Stand zu erkämpfen, eine Tatwelt auszubilden, aus ihr eine stete Gegenwirkung gegen den unmittelbaren Eindruck zu üben. Wieder wird eine A b s t u f u n g u n d eine U m w a n d l u n g nötig, wo zunächst die Bewegung in einer Fläche zu verlaufen schien. So fand sich eine Fülle von Gegensätzen, von Aufgaben und Verwicklungen. Unser Leben würde ein Spielball sich durchkreuzender Bewegungen werden, wenn nicht in ihm ein einziges Streben alle Mannigfaltigkeit durchdränge und zusammenhielte. Ein solches Streben zeigte sich in der T a t , es war das Verlangen nach einem Beisichselbstsein und zugleich nach einem Gehalt des Lebens. Dies Verlangen, dieser Durst nach Realität, steht vor allen besonderen Aufgaben und gibt ihnen erst eine bewegende K r a f t ; alle anderen Affekte überwiegt der Affekt des Lebens und der Bildung eines Wesens
D a s G e s a m t b i l d des G e i s t e s l e b e n s im Leben.
289
Dies aber ließ sich n i c h t entwickeln ohne die schärfste
A b g r e n z u n g gegen den bloßen N a t u r t r i e b m i t seiner u n b e d i n g t e n Festh a l t u n g des kleinen Ich in einer gegebenen W e l t .
G a b es doch ohne
die Ü b e r w i n d u n g dieses n a t u r h a f t e n leeren Selbst kein D u r c h d r i n g e n zu einem w a h r e n Selbst, keine Einigung m i t d e m Ganzen, kein Leben a u s d e m Ganzen.
Nicht m i n d e r zeigte die F o r m des Lebens einen
schroffen Gegensatz
zur N a t u r u n d bloßen G e g e b e n h e i t : d o r t
das
s t r e n g e W a l t e n einer mechanischen K a u s a l i t ä t , hier kein Bilden und S c h a f f e n ohne eine Ursprünglichkeit u n d Freiheit.
So ist d a s Geistes-
leben m i t seinem Beisichselbstsein gegenüber der n a t u r h a f t e n O r d n u n g ein wesentlich neues L e b e n ; seine Energie ist n i c h t die
physische
des blinden Triebes,
j a es ist
s o n d e r n die geistige der freien T a t ;
die ethische T a t , die jene ganze W e l t t r ä g t u n d den Menschen ihr verbindet. schroffes
D u r c h den tiefsten Grund des menschlichen Lebens g e h t ein Entweder—Oder,
die
Notwendigkeit
einer
Entscheidung
ü b e r d a s Ganze, die n i c h t d u r c h gegebene Motive g e l e n k t wird, sondern a u s sich selbst ihre Motive h e r v o r t r e i b t .
Alle V e r d u n k l u n g
dieses
e t h i s c h e n C h a r a k t e r s des n e u e n Lebens f ü h r t zur V e n r . e n g u n g von Geist u n d N a t u r u n d zur Preisgebung der Seele jenes Lebens. Diese B e w e g u n g e n reichen u n m i t t e l b a r in d a s Einzelleben hinein, sie t u n es in seiner E r h e b u n g zur P e r s ö n l i c h k e i t , z u m sönlichwerden.
Aber sie t u n es n u r , wenn in d e m
Per-
Persönlich-
sein d a s N a t u r h a f t e zurückgestellt u n d eine u n e r m e ß l i c h e Aufgabe a n e r k a n n t w i r d , w e n n kein Zweifel d a r ü b e r w a l t e t , d a ß kein s ö r l i c h s e i n e n t s t e h t ohne die G e g e n w a r t und ohne eine
Per-
eigentüm-
liche E r w e i s u n g der W e l t des Beisichselbstseins, kein Zweifel d a r ü b e r , d a ß alles W i r k e n w a h r h a f t i g , k r ä f t i g u n d f r u c h t b a r n u r wird A u s d r u c k eines solchen Persönlichseins.
als
Dieses Persönlichsein k a n n ,
so verloren es in der W e l t scheint, der ganzen U m g e b u n g
trotzen
u n d von sich aus ihren W e r t bemessen, hier k ö n n e n die verschied e n e n G e d a n k e n m a s s e n sich b e r ü h r e n u n d gegenseitig f ö r d e r n , hier w i r d sowohl d a s Geschick des Ganzen erlebt als u m ein besonderes Sein g e k ä m p f t ; k u r z hier ist der H a u p t p l a t z der E r f a h r u n g e n , hier die W e r k s t a t t geistigen Lebens. So e r g a b sich ein d u r c h a u s eigentümliches
Leben.
Was
aber
d a s bloße Wissen zu seinem A u f b a u v e r m a g , d a s reicht n i c h t über ein
E n t w e r f e n von
Umrissen
hinaus;
zu
voller W i r k l i c h k e i t
aus-
f ü h r e n k a n n diese n u r die vereinte A r b e i t der verschiedenen Lebensgebiete. Eucken,
Auf solche A r b e i t m u ß d a h e r Kampf.
III. Aufl.
alles
Streben n a c h 19
dieser
290
Zusammenfassung
R i c h t u n g v e r t r a u e n , erst d u r c h sie k a n n es glücklich gelingen.
Denn
schließlich h a t n i c h t das Wissen d a s Leben, s o n d e r n d a s Leben d a s Wissen zu t r a g e n .
2. Die Lage des Menschen. Das
System des Beisichselbstseins des Lebens u n d der Wesens-
b i l d u n g g i b t d e m Menschen eine e i g e n t ü m l i c h e Stellung.
So wenig
er sich als den M i t t e l p u n k t der W e l t b e t r a c h t e n d a r f , als Geisteswesen g e w i n n t er Anteil an d e n s c h a f f e n d e n G r ü n d e n u n d an einer ursprünglichen
Wahrheit;
ferner
wird
innerhalb
unserer
Welt-
e r f a h r u n g sein Bereich zu e i n e m wichtigen W e n d e p u n k t , er e r h ä l t eine
einzigartige
Bedeutung
dadurch,
daß
bei
ihm
das
Problem
einer i n n e r e n W a n d l u n g des Lebens a u f g e n o m m e n , hier der
Haupt-
zug
geleitet
des
Strebens
w e r d e n soll.
der
Natur
entwunden
und
zum
Geist
Mag dabei die L e i s t u n g noch so u n f e r t i g bleiben, d a s
P r o b l e m ergreift den Menschen u n d l ä ß t i h n n i c h t wieder los. Streben aber sind i h m erlösende u n d
Beim
e r h ö h e n d e Mächte g e g e n w ä r t i g ,
alle U n f e r t i g k e i t l ä ß t die G r u n d t a t s a c h e u n a n g e t a s t e t , d a ß der Mensch der N a t u r g e g e n ü b e r eine unvergleichliche G r ö ß e h a t , u n d d a ß sein Leben
inmitten
alles
Dunkels
und
Leides
einen
Sinn
und
Wert
besitzt. Eine
derartige
Fassung
des
Lebens
ergab
die
entschiedenste
Abweisung einer bloß g e s c h i c h t l i c h - g e s e l l s c h a f t l i c h e n f ü h r u n g , die h e u t e und
gern
als die
Hauptsache
Gesellschaft erwiesen sich als n o t w e n d i g e
des menschlichen gründenden
auftritt.
Lebens-
Geschichte
Entwicklungsformen
Geisteslebens, a b e r bei Ablösung v o n einem
Leben
und
bei einem
Abschluß
im
eignen
be-
Bereiche
d r o h t e n sie jenes zu veräußerlichen u n d tief h e r a b z u d r ü c k e n .
Das
Eingehen in die Zeit u n d die B i l d u n g einer Geschichte zeigte sich als u n e n t b e h r l i c h ,
um
das
Vermögen
des
Geistes zu
erschließen,
ihn in S e l b s t e r f a h r u n g e n zu versetzen u n d d u r c h solche E r f a h r u n g e n weiterzubilden.
F ü r uns e r l a n g t o h n e den A u f b a u einer geschicht-
lichen W e l t d a s Geistesleben
keine volle B e s t i m m t h e i t .
Aber
gleich erhellte, d a ß alles Geistesleben in ein bloßes W e r d e n
zu-
setzen
es zerstören, u n d d a ß d e m M e n s c h e n ein bloßgeschichtliches Dasein zuerkennen
ihn
eines s e l b s t ä n d i g e n
Lebens
berauben
heißt;
eine
Geschichte geistiger A r t e n t s t e h t n u r d u r c h die Beziehung auf eine zeitüberlegene
Ordnung
und
eine
Umsetzung
alles
Geschehens
in
290
Zusammenfassung
R i c h t u n g v e r t r a u e n , erst d u r c h sie k a n n es glücklich gelingen.
Denn
schließlich h a t n i c h t das Wissen d a s Leben, s o n d e r n d a s Leben d a s Wissen zu t r a g e n .
2. Die Lage des Menschen. Das
System des Beisichselbstseins des Lebens u n d der Wesens-
b i l d u n g g i b t d e m Menschen eine e i g e n t ü m l i c h e Stellung.
So wenig
er sich als den M i t t e l p u n k t der W e l t b e t r a c h t e n d a r f , als Geisteswesen g e w i n n t er Anteil an d e n s c h a f f e n d e n G r ü n d e n u n d an einer ursprünglichen
Wahrheit;
ferner
wird
innerhalb
unserer
Welt-
e r f a h r u n g sein Bereich zu e i n e m wichtigen W e n d e p u n k t , er e r h ä l t eine
einzigartige
Bedeutung
dadurch,
daß
bei
ihm
das
Problem
einer i n n e r e n W a n d l u n g des Lebens a u f g e n o m m e n , hier der
Haupt-
zug
geleitet
des
Strebens
w e r d e n soll.
der
Natur
entwunden
und
zum
Geist
Mag dabei die L e i s t u n g noch so u n f e r t i g bleiben, d a s
P r o b l e m ergreift den Menschen u n d l ä ß t i h n n i c h t wieder los. Streben aber sind i h m erlösende u n d
Beim
e r h ö h e n d e Mächte g e g e n w ä r t i g ,
alle U n f e r t i g k e i t l ä ß t die G r u n d t a t s a c h e u n a n g e t a s t e t , d a ß der Mensch der N a t u r g e g e n ü b e r eine unvergleichliche G r ö ß e h a t , u n d d a ß sein Leben
inmitten
alles
Dunkels
und
Leides
einen
Sinn
und
Wert
besitzt. Eine
derartige
Fassung
des
Lebens
ergab
die
entschiedenste
Abweisung einer bloß g e s c h i c h t l i c h - g e s e l l s c h a f t l i c h e n f ü h r u n g , die h e u t e und
gern
als die
Hauptsache
Gesellschaft erwiesen sich als n o t w e n d i g e
des menschlichen gründenden
auftritt.
Lebens-
Geschichte
Entwicklungsformen
Geisteslebens, a b e r bei Ablösung v o n einem
Leben
und
bei einem
Abschluß
im
eignen
be-
Bereiche
d r o h t e n sie jenes zu veräußerlichen u n d tief h e r a b z u d r ü c k e n .
Das
Eingehen in die Zeit u n d die B i l d u n g einer Geschichte zeigte sich als u n e n t b e h r l i c h ,
um
das
Vermögen
des
Geistes zu
erschließen,
ihn in S e l b s t e r f a h r u n g e n zu versetzen u n d d u r c h solche E r f a h r u n g e n weiterzubilden.
F ü r uns e r l a n g t o h n e den A u f b a u einer geschicht-
lichen W e l t d a s Geistesleben
keine volle B e s t i m m t h e i t .
Aber
gleich erhellte, d a ß alles Geistesleben in ein bloßes W e r d e n
zu-
setzen
es zerstören, u n d d a ß d e m M e n s c h e n ein bloßgeschichtliches Dasein zuerkennen
ihn
eines s e l b s t ä n d i g e n
Lebens
berauben
heißt;
eine
Geschichte geistiger A r t e n t s t e h t n u r d u r c h die Beziehung auf eine zeitüberlegene
Ordnung
und
eine
Umsetzung
alles
Geschehens
in
Die Lage des Menschen urimittelbares
Leben.
291
So fallen ihre Ergebnisse u n d
Erfahrungen
d e m Menschen n i c h t mühelos in den Schoß, sie sind i m m e r von neuem zu erringen.
Dazu s a h e n wir in der Verwicklung seiner
Verhält-
nisse n i c h t n u r die V e r n u n f t , s o n d e r n auch die U n v e r n u n f t wachsen, ja o f t die V e r n u n f t sich in U n v e r n u n f t v e r k e h r e n .
Endlich ist der
Mensch auch ein K i n d des Augenblicks, i m m e r f o r t d r o h t ihn
das
Jeweilige, d a s Zeitgeschichtliche, zu fesseln u n d
der
die W i r k u n g
weltgeschichtlichen Arbeit a u f z u h e b e n .
So ist die Geschichte, geistig
angesehen, weit m e h r offnes P r o b l e m
als fertiger T a t b e s t a n d , s e
bereichert das Leben mit ihren E r f a h r u n g e n n u r , soweit sie in eine Gegenwart v e r w a n d e l t w i r d ; u m im r e c h t e n Sinne zu wirken, bedarf sie einer G e g e n w i r k u n g ; das Beste, was sie geben k a n n , ist, d a ß sie die Möglichkeit eines weiteren, reicheren, g e s ä t t i g t e r e n
Lebens
f ö r d e r t , aber u n e n t b e h r l i c h ist ihr die T a t , welche die Möglichkeit in W i r k l i c h k e i t u m s e t z t . Ähnlich s t e h t es m i t der sozialen L e b e n s f ü h r u n g .
So n o t w e n d i g
f ü r die E n t w i c k l u n g des Geisteslebens das Z u s a m m e n s e i n der Menschen u n d die G e m e i n s c h a f t der Arbeit ist, es bleibt dabei, d a ß die ausschließliche
Bindung
an diesen
Kreis eine
Unterdrückung
und
bald auch Z e r s t ö r u n g aller selbständigen Innerlichkeit b e d e u t e t , d a ß die Welt des bloß mit sich selbst b e s c h ä f t i g t e n Menschen j ä m m e r l i c h z u s a m m e n s c h r u m p f t . N u r die E r h e b u n g aus der d u m p f e n L u f t dieses bei aller äußeren W e i t e innerlich engen Kreises in den Äther des Lebens u n d
Schaffens aus einem Beisichselbstsein der
Wirklichkeit
v e r m a g u n s e r e m Leben eine innere Weite, einen W e r t u n d eine echte F r e u d e zu g e b e n .
So k a n n das geschichtlich-gesellschaftliche Dasein
n u r als die S t ä t t e der
E n t f a l t u n g , n i c h t als die W u r z e l
geistigen
Lebens g e l t e n ; i h m gegenüber h a t sich ein selbständiges Leben reiner Innerlichkeit
zu
bilden,
das
alle E r f a h r u n g e n der Geschichte
Gesellschaft a u f n i m m t , sie in S e l b s t e r f a h r u n g e n v e r w a n d e l t , einen
geistigen
Gehalt
abgewinnt
und
ihn zur eignen
und ihnen
Förderung
wendet. Um
eine solche
Innenwelt
jenseits
aller empirischen
Lebens-
f o r m e n a n z u e r k e n n e n u n d in ihr das H a u p t l e b e n zu f i n d e n , gilt es w i e d e r u m d e n S c h w e r p u n k t des Lebens in die Einzelnen zu verlegen, auch von hier aus ergibt sich die F o r d e r u n g u n d die H o c h s c h ä t z u n g der g e i s t e r f ü l l t e n wahre
Persönlichkeit.
Grundverhältnis
selbst, d. h.
zu
der
des im
Hier allein k a n n sich
Geisteslebens,
eignen
Kreise
das
Verhältnis
gegenwärtigen 19*
zu
das sich
Unendlich-
292
Zusammenfassung
keit, Vollkommenheit, Ewigkeit, u n g e h e m m t entfalten, hier allein das Leben sich ganz gegen sich selber kehren und von aller äußeren Beziehung befreien, hier erhält es die W ä r m e und die Gewalt des Kampfes u m ein echtes Sein, hier k a n n wesenentfaltende Überzeugung des ganzen Menschen in alle Betätigung strömen und auch ihr eine W a h r h e i t geben, die hier erfolgende echte Selbsterhaltung ist der Urquell alles Schaffens u n d aller Größe. Aber das Selbst ist d a n n eine W e l t , nicht ein bloßer P u n k t . Diese Aufgabe wird namentlich d a d u r c h bedeutend, d a ß sich nicht n u r das D r a m a des Alls an jeder einzelnen Stelle erneuert, sondern d a ß jeder P u n k t mit seiner geistigen Individualität ein eigentümlicher Mikrokosmos, eine unvergleichliche Konzentration des Gesamtlebens zu werden vermag. Nur eine Vermengung von Natur und Geist k a n n eine solche Individualität als eine Gabe der bloßen N a t u r v e r s t e h e n ; in W a h r h e i t bringt diese nur eine Vorbereitung entgegen, das entscheidende Werk, die Ausbildung eines geistigen Charakters, bleibt immer eine Sache eigner u n d freier T a t und bezeugt zugleich das Bestehen u n d Wirken einer neuen W e l t . So steht der Mensch i n m i t t e n der Welten, zwischen Tatwelt und Dasein, zwischen Freiheit und Notwendigkeit, und es enthält sein äußerlich so bescheidener Lebenskreis alle H a u p t f r a g e n , aber auch alle H a u p t tatsachen unserer Welt.
II. A b s t e i g e n d e r
Teil.
Auseinandersetzung mit der Zeit. A. D a s I
Gesamtbild.
J n s e r e bisherige Untersuchung behielt die Gegenwart stets im Auge, aber sie kam nicht dazu, sie in ein Ganzes zu fassen und als ein solches kritisch zu würdigen. Dieses n u n m e h r zu unternehmen, treiben uns zwei H a u p t g r ü n d e . Einmal kann es zu weiterer Aufhellung und P r ü f u n g der entwickelten Gedankenwelt dienen, wenn das Verhältnis der Zeit zu ihr erörtert wird, im besondern würde es f ü r sie eine wertvolle Bestätigung sein, wenn sich zeigen sollte, daß die Zeit ihr ein Verlangen entgegenbringt, wenn eben das, wa» der Gesamtanblick menschlichen T u n s und Ergehens ersehen läßt, sich auch als eine zwingende Forderung der gegenwärtigen Lage darstellt. Weiter aber läßt sich eine Förderung der Zeitbestr.ebungen hoffen, wenn von einer zusammenhängenden Gedankenwelt aus eine Beleuchtung, Sichtung und Klärung an ihnen vollzogen wird. An Kritik unserer Zeit fehlt es Wahrlich nicht, eher wäre ein Ü b e r m a ß davon zu beklagen. Aber die Kritik pflegt m i t t e n aus dem Getriebe der Zeit heraus u n d mit starker S u b j e k t i v i t ä t zu erfolgen; unvermeidlich f ü h r e n dabei die Wege weit auseinander, u n d die Verwicklung der Lage wird durch das, was ihr abhelfen möchte, n u r noch gesteigert. Besser mögen die Aussichten werden, wenn das Ganze einer Gedankenwelt sich mit jener Lage mißt und auseinandersetzt; weit eher ist d a n n zu hoffen, d a ß was Recht und was Unrecht in der Zeit sich deutlicher voneinander scheidet, und was sie an notwendigen Forderungen enthält, sich mehr zur Wirkung verbindet lind gegenseitig v e r s t ä r k t .
294
A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit der Zeit
Aber es ist kein leichtes Ding, das Wollen einer Zeit zu erfassen; -denn was ihr G r u n d t r i e b erstrebt, und was sich nach außen' hervord r ä n g t , echtes Bedürfnis, und was sich als solches nur ausgibt, kann weit auseinandergehen. Ferner enthält jede ausgeprägte Zeit einen Rückschlag gegen sich selbst, ein Gegenstück ihrer H a u p t r i c h t u n g ; keine b e d e u t e n d e Zeit, die n i c h t Widersprüche in sich t r ä g t . Namentlich aber erschöpft eine Zeit sich keineswegs in das, was sich vorzugsweise Gegenwart n e n n t und leicht über alles Frühere erhaben d ü n k t . Denn was f r ü h e r e Zeiten aus dem Leben m a c h t e n , das versinkt keineswegs völlig mit der W e n d u n g des Strebens zu anderen Zielen; was damit dem Bewußtsein des Menschen ferner rückt, das pflegt in Gebräuchen, Gesetzen, Einrichtungen, auch in Begriffen, Lehren, Grundüberzeugungen weiterzuwirken, die unsichtbaren Geister der Vergangenheit h a l t e n den Menschen fest, sie können sogar die sichtbaren Gestalten der Gegenwart an Macht übertreffen. Vergangenheit selbst ist keine einfache Größe, sie bedeutet keineswegs bloß die letztverflossene Epoche, gegen welche unsere Zeit sich erhebt, sondern jene bildet nur die nächste Schicht, hinter der eine andere liegt und dahinter wieder eine andere bis in J a h r t a u s e n d e z u r ü c k ; alle diese näheren u n d ferneren Schichten ergeben miteinander einen weltgeschichtlichen Bestand, der mit allem, was er an Mannigfaltigkeit, ja an Widersprüchen e n t h ä l t , demjenigen zugegen sein m u ß , der eine Zeit vollauf verstehen und richtig beurteilen möchte. Demnach können wir die Gegenwart nicht verstehen, ohne die verschiedenen Schichten aufzurollen, welche ihrem Leben den Untergrund geben. Wenn wir aber jenes u n t e r n e h m e n , so bleibe dabei zunächst der jetzige Weltkrieg außer Acht, denn die innere Lage der Menschheit war vor ihm und wird nach ihm wiederkehren, ja durch ihn hindurch erhält sie ihre Forderungen a u f r e c h t . Sofern er neue Erfahrungen und neue Beleuchtungen brachte, .wird das an seiner Stelle gebührende W ü r d i g u n g finden. . „ Was sich h e u t e ' mit besonderem N a c h d r u c k „ m o d e r n " n e n n t u n d j n Wahrheit vieler Überzeugungen verbindet, das ist ein Hervorkehren des menschlichen Subjekts als des Grundelements des Lebens, ein Streben, seinen Zustand und seine Eigentümlichkeit kräftig herauszuarbeiten u n d zu voller Anerkennung zu bringen. Das Unterscheidende der Individuen wird mehr beachtet und sorglicher gepflegt, ein Fürsichsein der Seele aufgedeckt und als Lebenskern behandelt. Das H a u p t m i t t e l zu dessen Entwicklung wird die K u n s t ,
Das Gesamtbild
295
im besonderen das literarische Schaffen; sie gestaltet sich damit selbst eigentümlich u n d findet ihre H a u p t s t ä r k e darin, freischwebende Stimmungen zu verkörpern, die seelischen K r ä f t e in ein freies Spiel zu versetzen, in ihrem Weben und Schweben einer Unendlichkeit innezuwerden. Frei hebt sich dabei aus aller Bindung der jeweilige Augenblick hervor, Freiheit wird zur Forderung gegenüber allem, was von d r a u ß e n k o m m t und den Menschen einengen möchte, der Freiheitsgedanke ist es ü b e r h a u p t , der dem hier entwickelten Leben Wärme und Seele einflößt. Alle Einfügung und Unterordnung erscheint hier als eine große Gefahr, so löst sich das Leben möglichst in lauter einzelne Fäden und verschiedene Bahnen auf. Schon diese starke Betonung der Freiheit verrät, d a ß jenes moderne Leben zu einer anderen Art des Lebens in Widerspruch steht und sich von ihr bedroht f ü h l t ; so m u ß auch eine solche bei uns v o r h a n d e n sein u n d Ansprüche an uns stellen. Das ist in W a h r h e i t der Fall, es ist aber jenes andere Leben die Arbeitskultur, welche der Lauf des 19. J a h r h u n d e r t s erzeugt und zu großartiger E n t f a l t u n g gebracht h a t . Sie m a c h t zum Kern des Lebens das Verhältnis des Menschen zur Welt um ihn, an dieser h a t er seine K r a f t zu erweisen, sie intellektuell, technisch und praktisch in seinen Dienst zu ziehen u n d f ü r sein Wohl zu verwerten. Eine Grundbedingung d a f ü r ist eine gründliche Austreibung alles dessen, was der Mensch von sich aus dem Bilde der Dinge beifügt; zur Aufgabe wird es, ihre gegenständliche Art rein herauszuheben und das eigne Handeln daran anzuschließen. Mehr als sonst gestaltet sich damit das Wirken des Menschen zur A r b e i t ; diese kann aber zum Mittelpunkt des Lebens nicht werden ohne eine Weiterbildung an sich selbst zu vollziehen. Denn dem Ganzen der Wirklichkeit wird sie nur gewachsen, indem sie sich mehr und mehr vom bloßen Individuum ablöst, bei sich selbst ausgedehnte Zusammenhänge bildet und in ihnen eigne K r ä f t e und eigne Gesetze erweist. Das h a t sie in W a h r h e i t getan, damit ist sie s t a r k bei sich selbst geWörden, damit h a t sie ein eigentümliches Leben erzeugt. Die gewaltige W a n d l u n g und M a c h t steigerung, die ihr ein solches Selbständigwerden brachte, zeigt besonders deutlich der Fabrikbetrieb, aber in ihrer Weise t u n es auch die Wissenschaft, das Unterrichtswesen, die Staatsverwaltung, ja alle Verzweigung des Lebens. Die K u l t u r wurde damit mehr u n d m e h r zu einer technischen Arbeitskultur, welche ganz und gar auf die Hervorbringung tüchtiger Leistungen ausgeht, die Menschen in
2g6
A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit der Zeit
Reih und Glied stellt, von jedem Einzelnen gehorsame Einfügung f o r d e r t . Die großartigen Erfolge dieser Bewegung liegen deutlich zutage, sie h a t das Leben m e h r auf sich selbst gestellt u n d in eigne T a t verwandelt, sie h a t viel N o t und Elend verscheucht, mehr Fülle und Freude in das Dasein gebracht, dem Menschen das Bewußtsein männlicher Stärke gegeben u n d ihm die sichtbare W e l t mehr als je zur Heimat g e m a c h t . Aber je ausschließlicher sie das Leben einn a h m , desto mehr h a t sie auch Schranken erkennen lassen, Schranken n a m e n t l i c h gegenüber dem Innenstande der Seele, der hier wenig selbständige Entwicklung u n d auch keine genügende Schätzung f a n d ; bei allen T r i u m p h e n nach außen hin drohte d a m i t der innere Mensch zu verarmen u n d g a n z u n d gar ein bloßes Stück eines seelenlosen Kulturprozesses zu werden. D a s Bewußtwerden solcher Gefahr rief d a n n als Rückschlag jene W e n d u n g zum Subjekt u n d seinem Befinden hervor, von der wir begannen. Aber der Zwiespalt, den so die Gegenwart zeigt, r u h t auf einer gemeinsamen G r u n d überzeugung ^ technische Arbeitskultur u n d künstlerische Zustandsk u l t u r gehen darin zusammen, die Welt der E r f a h r u n g , d a s Dasein, wie es uns u n m i t t e l b a r sei es von außen u m g i b t , sei es innerlich einnimmt, als die alleinige Wirklichkeit anzuerkennen, als die Welt, die alle Ziele, alle Leiden u n d Freuden des Menschen e n t h ä l t ; alle Überschreitung dieses Kreises erscheint als eine Verirrung, die gefällige Wahnbilder vorspiegeln mag, aber mit aller Mühe und Aufregung das Leben nicht weiterführt, vielmehr es seinen wahren Zielen entfremdet. Solche Daseinskultur enthält eine entschiedene Absage an alles, was bis dahin dem Menschen eine überlegene Welt gegenwärtig hielt, eine Absage zunächst, wenn auch meist indirekter und verhüllter Art, an den in der deutschen klassischen L i t e r a t u r verkörperten Idealismus. Er h a t t e in kraftvollem Aufschwung, namentlich durch K u n s t und Spekulation, ein Reich reiner Innerlichkeit geschaffen, das, unser eigenster Besitz, zugleich als die begründende Tiefe und die belebende Seele aller Wirklichkeit galt. Denn jener Idealismus ließ das Ganze der Welt sich erst im Menschen vollenden, indem was draußen u n b e w u ß t u n d triebmäßig geschieht, bei uns sich zur vollen Klarheit und Selbsttätigkeit erhebt, so d a ß im Menschen sich das Geheimnis des Alls aufzuhellen, dies sich selber zu finden scheint. So blieb er, einzigartig gestellt, doch in engem Z u s a m m e n h a n g mit dem All, dem wirren Alltagsgetriebe gegenüber schuf er ein Reich
Das G e s a m t b i l d
297
echter Geisteskultur und fand darin eine unvergleichliche Größe und W ü r d e ; jeder Einzelne ward hier berufen als Persönlichkeit und geistige Individualität ein selbständiger Mittelpunkt zu werden und die Unendlichkeit des Lebens an seiner Stelle eigentümlich zu formen. Eine Wechselwirkung von unbegrenzter Weite und ursprünglicher Innerlichkeit gab hier dem Seelenleben eine wunderbare Frische, Fülle und Zartheit. Wenn diese Lebensgestaltung dem folgenden Geschlecht oft zu weich, zu wenig der Härte der Dinge gewachsen, zu sehr von der Wirklichkeit abgelöst dünkte, so hat die innere Fortbildung, die sie am menschlichen Stande vollzog, sich nicht wieder zurücknehmen lassen, auch die dem Boden der E r f a h r u n g e n t wachsenen Lebensbildungen zeigen deutlich ihren Einfluß. Die Arbeitskultur h ä t t e nicht so viel K r a f t gegen die Außenwelt einsetzen können, wie sie in Wahrheit getan h a t , h ä t t e nicht jene Geisteskultur die Seele gestärkt und v e r t i e f t ; die Herausbildung des Subjekts aber wäre rasch zu einem leeren Spiel geworder, h ä t t e nicht die Welt u n s e r e ^ Klassiker dem Leben des Subjekts einen geistigen Gehalt gegeben. So blieb eben das, was die Modernen bek ä m p f t e n , eine unentbehrliche Voraussetzung und Ergänzung ihres eignen Strebens. Aber auch der klassische Neuhumanismus mit aller seiner Verzweigung wußte sich in einem Gegensatz und schöpfte aus dem Bewußtsein dessen ein Gefühl der Überlegenheit. Diesen Gegensatz bildete die Aufklärung mit ihrer Verstandes- und Nützlichkeitskultur, ihrer Voranstellung des überlegenden Denkens, der planmäßigen Art ihres Handelns, ihrer inneren Scheidung des Menschen vom All, ihrer Erhebung der Klarheit und Deutlichkeit zum Hauptkennzeichen der W a h r h e i t . Das Leben, das dabei herauskam, wurde dem folgenden Geschlecht zu nüchtern, dürftig, ja flach, seine Abschüttelung schien unerläßlich, um ursprünglicheren Lebensquellen R a u m zu schaffen und alle K r ä f t e zu edler Harmonie zu entfalten. Aber auch hier war die Zurückdrängung keine völlige Verdrängung. Sie w a r es schon deshalb nicht, weil die Aufklärung ü b e r h a u p t erst den Boden geschaffen h a t , der alles weitere moderne Leben t r ä g t , erst in ihr gewann dieses Leben einen festen Grund und klare Ziele, hier zuerst f ü h l t e der moderne Mensch sich zu männlicher Selbständigkeit, zu voller Mündigkeit gereift, wie auch hier zuerst die Neuzeit d a s Bewußtsein einer völlig eignen Art gegenüber früheren Zeiten g e f u n d e n h a t . Auch in ihrer besonderen Art enthielt die A u f k l ä r u n g
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A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit der Zeit
Großes und Unverlierbares. Hier zuerst n a h m der Mensch in zielbewußter Arbeit einen Kampf mit allen M i ß s t ä n d e n des überkommenen Standes auf, alle Einrichtungen und Lehren wurden zu ihrer Rechtfertigung vor den Richterstuhl der Vernunft geladen, durch scharfe K r i t i k viel Aberglaube ausgetrieben und viel Druck aufgehoben, durch tätiges Wirken mehr Licht und mehr H u m a n i t ä t in das gemeinsame Leben gebracht. Alles Folgende zehrt von den Ergebnissen dieser Arbeit, o f t ohne es ihr D a n k zu wissen. Auch der H u m a n i s m u s schuldet seine m a ß - und gehaltvollere Art gegenüber der Renaissance, seine größere Klarheit u n d sittliche Zucht vornehmlich dem Fortwirken der Aufklärung; auch erstreckt diese über den H u m a n i s m u s h i n a u s erhebliche Wirkungen bis in die Gegenwart, vornehmlich die breiteren Massen stehen auch heute sehr unter ihrem E i n f l u ß , im besondern das politische Gebiet zeigt ein Fortwirken der A u f k l ä r u n g mit ihrer absoluten, ungeschichtlichen Denkart, ihrer H o c h h a l t u n g des a b s t r a k t e n Menschen, ihrer Überschätzung bloßer Verfassungsformen. Alle Schätzung einer „organischen" Rechts- und Staatslehre h a t das nicht verhindert. So ist die Aufklärung keine bloße Vergangenheit, sie bleibt ein Stück unseres eigenen Lebens. Es schöpfte aber die Aufklärung ihr Selbstbewußtsein vornehmlich aus dem Gegensatz und Kampf sowohl gegen die Übergangszeit als gegen das Mittelalter, von denen ihr jene viel zu stürmisch und verworren, dieses viel zu gebunden und befangen dünkte. An der Übergangszeit der Renaissance würdigte sie nicht genügend den ursprünglichen Lebensdrang und die frische J u g e n d k r a f t , nicht den Zug ins Große und Weite, nicht das überreiche Schaffen. Diese Übergangszeit h a t durch energische A u f r ü t t e l u n g viele Kräfte von ihrer Gebundenheit befreit und sie voll in die Welt sich ergießen lassen, sie erweckte die Persönlichkeit zur Selbständigkeit und zu mutigem Ringen mit der Unendlichkeit des Alls. Mußte sie in der Wissenschaft der A u f k l ä r u n g weitaus den Vorrang lassen, so stand sie um so mehr in der K u n s t voran, die ihr zum H a u p t m i t t e l der Selbstentdeckung u n d Selbsterhöhung des Lebens wurde. Diese befreiende und belebende K r a f t der Renaissance erhält sich auch in der A u f k l ä r u n g t r o t z alles Widerspruchs; wo das nicht geschieht, da droht diese zu einem seelenlosen Mechanismus zu sinken. Auch über die A u f k l ä r u n g hinaus wirkt die Renaissance mit ihrer belebenden K r a f t und ihrem Gestaltungstrieb durch die ganze Neuzeit
Das
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Gesamtbild
f o r t ; so bildet auch sie ein Element des gegenwärtigen Lebens.
Nicht
nur die K u n s t greift immer wieder auf sie zurück, immer von neuem erscheinen
unter
uns
Renaissancenaturen
oder doch
Stimmungen
der Renaissance. Die Renaissance selbst f ü h l t sich im Gegensatz zu dem, was später als Mittelalter bezeichnet wurde, in ihr zuerst bricht eine Bewegung durch, welche die gesamte Neuzeit beherrscht und eigentumlich gestaltet, das ist die W e n d u n g zur Welt die uns nicht n u r als Dasein u m g i b t , sondern auch diesem gegenüber aus unserer Tätigkeit h e r v o r g e h t ; denn Dasein und Tatwelt stimmen auf modernem Boden bei allem Gegensatz überein in der Abweisung eines Bruches mit dem All u n d einer Bindung des Lebens an eine jenseitige W e l t , überein, um es kurz zu bezeichnen, in Verfechtung einer immanenten L e b e n s f ü h r u n g gegenüber der transzendent-religiösen des, Mittelalters, überein auch in der Entwicklung eines stolzen Kraftgefühls der Menschheit, eines mutigen Vertrauens auf das eigne Vermögen. Diese religiöse Lebensordnung h a t t e in einer trüben und m a t t e n Zeit die H e r r s c h a f t über die Menschheit erlangt, ihr damals einen festen Halt geboten, neue Ziele vorgehalten und frischen Lebensmut eingeflößt, sie h a t t e ein neues Reich, ein Reich Gottes auf Erden, begründet u n d die Menschen als seine Glieder brüderlich miteinander v e r b u n d e n . Das alles erfolgte in Abhebung vom eignen Vermögen des Menschen, alles Gelingen ruhte hier auf göttlicher Offenbarung und Gnade, der Mensch h a t t e sich demütig unterzuordnen und gläubi« h i n z u n e h m e n . Es ist begreiflich, daß, wenn das Menschenwesen von neuem Mut u n d K r a f t zum Leben f a n d , es jene W e n d u n g als u n nötig, ja als verfehlt e m p f a n d und sich von ihr zu befreien suchte. Jene E r s t a r k u n g aber erfolgte mit dem Beginn der Neuzeit, oder vielmehr mit ihrem Eintreten e n t s t e h t ü b e r h a u p t eine neue Zeit. So e n t h ä l t denn diese Zeit durch alle ihre Phasen hindurch, in allem was ihr eigentümlich, einen Gegensatz zu jener religiöschristlichen Lebensordnung; das verdecken und verdunkeln wollen kann nur entweder Unklarheit oder Parteitendenz. Aber auch an dieser Stelle bleibt das, was einerseits ein schroffer Gegensatz ist, andererseits eine unentbehrliche Voraussetzung und ein s t e t e r Begleiter der modernen Lebensbewegung; ohne seine Verinnerlichung des Lebens u n d seinen tiefen moralischen Ernst, ohne eine Verklärung der Welt von einer Überwelt aus h ä t t e die Neuzeit unmöglich leisten können, was sie geleistet h a t ; eine völlige Ablösung davon
300
A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit der Zeit
führt sie rasch in ein jähes Sinken. Wer möchte leugnen, daß diese religiöse Lebensgestaltung auch für uns keine bloße Vergangenheit ist, daß sie ein unentbehrliches Stück des gegenwärtigen Lebens bildet Auch das Christentum selbst ist nicht frei von dem Widerspruch, etwas, das es entschieden ablehnt, als seine eigne Voraussetzung festzuhalten, festhalten zu müssen. Es ist aufgestiegen im Kampf gegen die antike Welt und insofern auch gegen die antike Kultur als diese ihr als eine heidnische galt, es hat die dort vollzogene Bindung des Lebens an eine fertige Welt und das Streben, mit dieser in einen freundlichen Ausgleich zu kommen, als unzulänglich, ja verfehlt abgelehnt, es hat die Führung des Lebens von der dort'vorwaltenden Kunst und Wissenschaft auf die ethische Aufgabe übertragen und s t a t t des Intellekts die tätige Gesinnung zum Kern des Lebens gemacht. Aber zugleich hat es nicht aufgehört, dem Altertum Bedeutendes zu entlehnen und sich aus ihm zu ergänzen. Die Wendung zu einer Überwelt selbst gewinnt volle Kraft und Wahrheit nur auf Grund der Erprobung des Vermögens der nächsten Welt und der Herausstellung ihrer Schranken; wo diese Erfahrung fehlt, da kann der Bruch mit der Welt leicht formelhaft, ja unwahr werden; jene Erprobung aber schöpfte das Christentum aus dem Verlauf des Altertums. Sodann aber konnte das Christentum sich zu einer geistigen Weltmacht nicht erweitern ohne die nächste Welt und auch die natürliche Vernunft irgendwie an sich zu ziehen und für seine Zwecke zu verwenden; dazu aber war ihm in der geschichtlichen Lage die Hilfe des Altertums unentbehrlich; so hat denn auf der Höhe des Mittelalters sich beides freundlich zusammengefunden und ein gemeinsames Werk geschaffen, das im kirchlichen Katholizismus eine mächtige Wirkung auch in die Gegenwart erstreckt. Darüber hinaus aber ist das Altertum mit seiner ursprünglichen Jugendfrische, seinem gestaltenden Wirken, seiner geistigen Durchdringung der Wirklichkeit auch der Neuzeit immer wieder eine Hilfe und Förderung geworden; wir brauchen nur die Lehrpläne unserer gelehrten Schulen anzusehen, um uns zu überzeugen, daß auch das Altertum uns keine bloße Erinnerung geworden ist, sondern selbst zur Gegenwart gehört und wohl auch weiter gehören wird. Was ist nach dem allen nun die Gegenwart? Wie es scheint, alles Vorgeführte miteinander, nur in verschiedenen Graden der Ab-
Das G e s a m t b i l d s t u f u n g ; was sich im das
bildet
andere
nur
den
besonderen Vordergrund
Schichten, und
301
Sinne h e u t e g e g e n w ä r t i g unseres
Lebens,
nennt,
dahinter
es ergibt sich die m e r k w ü r d i g e
stehen
Lage,
daß
darin n i c h t n u r sehr v e r s c h i e d e n a r t i g e s n e b e n e i n a n d e r s t e h t und uns n a c h v e r s c h i e d e n e n R i c h t u n g e n zieht, s o n d e r n d a ß wir u n s zu denselben G e d a n k e n m a s s e n zugleich b e j a h e n d u n d v e r n e i n e n d v e r h a l t e n , d a ß was u n s einmal als Gegensatz z u m W i d e r s p r u c h r e i z t , andererseits eine u n e n t b e h r l i c h e V o r a u s s e t z u n g u n d d a m i t ein S t ü c k unseres eignen . S t r e b e n s b i l d e t . gleich
eine
völlige
So ein u n g e h e u r e s D u r c h e i n a n d e r u n d
Ungewißheit.
Ein
ruhiges
Hinnehmen
zu-
dieser
Lage v e r b i e t e t sich u m so m e h r , als die Verschiedenheit n i c h t Fragen an
der Oberfläche, s o n d e r n
Namentlich
verlangen
drei
die H a u p t r i c h t u n g des Lebens b e t r i f f t . verschiedene,
ja
entgegengesetzte
Lö-
sungen die F ü h r u n g des Lebens u n d werben u m unsere Seele: die W e n d u n g zu einer Überwelt, die V e r w a n d l u n g der W e l t in geistiges Schaffen,
die
ausschließliche
Befassung
Dasein in N a t u r u n d seelischer
Lage.
grundverschiedene
Bilder v o m
Gehalt
der
sie
der
Wirklichkeit,
verschiedene
Ziele
und
stecken
mit
dem
unmittelbaren
Diese drei Lösungen dès Lebens u n d
menschlichen
rufen demgemäß
Tätigkeit
andersartige
geben
vom
Kern grund-
Kräfte
auf.
Bei der R i c h t u n g auf die Überwelt Moral u n d Religion die beherrschende
Seele des Lebens, die höchste M a c h t , als eine M a c h t
Gnade und
der
Liebe, n u r n a c h der A r t persönlichen Lebens, als welt-
b e h e r r s c h e n d e Persönlichkeit vorstellbar, der Mensch als freies Wesen der M i t t e l p u n k t des W e l t g e s c h e h e n s .
Bei der U m s e t z u n g der Wirklich-
keit in geistiges Schaffen K u n s t , L i t e r a t u r u n d Philosophie die H ö h e des Lebens, Moral u n d
Religion d e m gänzlich eingefügt oder doch
angeschlossen, der Begriff des Persönlichen zu eng u n d bloßmenschlich, u m d a s All in sich a u f z u n e h m e n u n d eine gegenständliche W a h r h e i t zu erzeugen, d a h e r die Neigung, d a s Geistesleben m e h r unpersönlich zu f a s s e n .
Der Mensch auch hier in h e r v o r r a g e n d e r Stellung, aber
n i c h t im G e g e n s a t z zur übrigen W e l t , s o n d e r n in engem Z u s a m m e n h a n g m i t i h r u n d als H ö h e des Weltgeschehens. der W e n d u n g zum Dasein.
W i e d e r anders bei
Hier e r f a h r u n g s g e m ä ß e F o r s c h u n g und
t e c h n i s c h e s Geschick die T r ä g e r des Lebens, das Geistige ein bloßes N e b e n e r g e b n i s des N a t u r p r o z e s s e s , n i c h t berechtigt sich in ein Ganzes zu fassen u n d als eine selbständige M a c h t a u f z u t r e t e n ; der Mensch bei allem Vermögen an der U m g e b u n g ohne ein inneres zur W e l t u n d gleichgültig f ü r den W e l t l a u f .
Verhältnis
F ü r geistiges Schaffen
302
A u s e i n a n d e r s e t z u n g m i t d e r Zeit
ist hier kein Platz, und das Moralische kann hier nur ein Mittel der Lebenserhaltung bedeuten. Zu diesen Hauptgegensätzen gesellen sich andere, wie die obige Darlegung zeigte. Leben und Welt streben bald auseinander, bald streben sie wieder zusammen, jenes namentlich an der Hand der Wissenschaft, dieses an der der Kunst, vergleichen wir nur Aufklärung und modernen Realismus einerseits, Renaissance, Neuhumanismus und modernen Subjektivismus andererseits. Müssen wir uns nun überzeugen, daß alles dieses im Lebensstande der Gegenwart zusammentrifft, so sehen wir zugleich, wie verworren, wie widerspruchsvoll das unmittelbare Leben dieser Gegenwart ist. Wenn dabei das eine gewisse Scheidung und Schichtung bewirkt, daß gewisse Gedankenmassen den Vordergrund des Lebens erfüllen, die anderen aber verschiedene Abstufungen des Hintergrundes bilden, so muß die Frage entstehen, ob beides leidlich zusammengeht und dem Ganzen ein« gewisse Einheit gibt. Die Antwort darauf kann aber nur verneinend lauten. Denn die Arbeitskultur, welche am meisten den Vordergrund' einnimmt, kann selbst bei Ergänzung durch den freischwebenden Subjektivismus den die Frucht der weltgeschichtlichen Bewegung in sich tragenden Menschen unmöglich befriedigen. Es steckt und wirkt viel zu viel in ihm aus jener Bewegung, deren Hauptzüge wir entrollten, als daß er an dem Punkte abschließen könnte, wohin die Arbeitskultur wie der Subjektivismus ihn führen. Da beide nichts für geistiges Schaffen leisten, ja dieses grundsätzlich verwerfen, — auch der Subjektivismus mit seiner Zurückziehung von der Welt hat kein Vermögen geistigen Schaffens —, so bringt ihre Vorherrschaft unvermeidlich alle Gebiete geistigen Schaffens ins Stocken, wie wir es heute unbestreitbar in der Kunst, der Religion, der Philosophie erfahren; nirgends setzt das spezifisch moderne Leben ein Ganzes der menschlichen Persönlichkeit in einen Kampf mit dem Weltall und mit sich selber ein, nirgends daher ein Großwerden der Seele, nirgends eine volle Ursprünglichkeit. Nun aber hat die weltgeschichtliche Arbeit eine Bewegung nach jener Richtung erzeugt und damit Bedürfnisse in unserer Seele erweckt, die, einmal ins Leben gerufen, nicht wieder einschlummern können; auch reden zu uns unablässig die Meisterwerke aller Zeiten und verhindern eine völlige Unterwerfung unter die kleinen Ziele und Maße des spezifisch modernen Lebens; so müssen wir jenes Stocken des geistigen Schaffens als einen schweren Mangel empfinden, so
303 können wir uns nicht endgültig darin ergeben, bei aller Fülle unseres Wissens und allem technischen Geschick im geistigen Schaffen bloße Epigonen zu bleiben. Nicht anders verhält es sich mit dem inneren Stande der Seele. Die bloße A r b e i t s k u l t u r k a n n f ü r ihn kein Interesse haben, d a ihr das Innenleben als e.'n bloßes Mittel und Werkzeug für Leistungen nach außen gilt; der Subjektivismus aber löst d a s Seelenleben in bloße Z u s t ä n d e und Augenblicke auf, auch er erreicht daher keine selbständige Innerlichkeit. Nun aber haben die früheren Zeiten durch ihr geistiges Schaffen ein Selbständigwerden der Innerlichkeit erreicht, haben sie in Persönlithkeit und geistiger Individualität eigentümliche Lebensträger gebildet, die aus innerer Notwendigkeit Forderungen stellen und ihre Befriedigung verlangen; so e n t s t e h t eine Spaltung des Lebens, wenn nichts d a f ü r geschieht. Was daraus an Mißständen erwächst, das reicht über die einzelnen P u n k t e hinaus in den Gesamtstand des Lebens. Denn auch der Lebensarbeit fehlt ohne die Hilfe des Schaffens die leitende Seele und damit die Größe. Jene moderne Art kann gute Beamte, aber keine leitenden Staatsmänner, sie kann tüchtige Gelehrte, aber keine ursprünglichen Denker, sie kann ferner gewandte Künstler, aber keine schöpferischen Geister erzeugen. Durchgängig anständige Mittelleistungen, aber keine überragende Größe. Nicht anders steht es mit der W e n d u n g zu einer Überwelt, welche die Religion vertritt. Vom modernen Leben aus kann sie höchstens als eine freundliche Umsäumung des Daseins gelten, welche sich die menschliche Phantasie aus eigenem Vermögen bereitet, der sie aber keinen Bestand gegenüber dem Menschen zu geben vermag. Und direkt widerspricht das K r a f t g e f ü h l , das die moderne Welt durchdringt u n d sich auch den schwersten Aufgaben auf ihren Gebieten gewachsen f ü h l t , der inneren Erschütterung und dem Bewußtsein menschlichen Unvermögens, das alle W e n d u n g zur Religion voraussetzt. Aber es h ä n g t an jener W e n d u n g viel zu viel an innerer Fortbildung des Lebens, als d a ß sie sich einfach zurücknehmen ließe. Erst von ihr aus h a t das Innenleben eine volle Selbständigkeit und sichere Weltüberlegenheit gewonnen, an welcher auch der moderne Mensch wohl oder übel f e s t h ä l t ; in ihr wurzelt fest der Ernst der moralischen Ziele und die a u f r ü t t e l n d e M a c h t der Pflichtidee, die wir doch nicht aufgeben m ö c h t e n ; a u c h m a c h t sie allein es möglich, die Mängel und Schäden des vorgefundenen Welt- und Lebensstandes vollauf anzuerkennen ohne darüber den
304
A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit der Zeit
L e b e n s m u t einzubüßen oder auch n u r zu mindern. Wäre der Mensch ausschließlich auf die Welt der E r f a h r u n g angewiesen, und könnte er zugleich hohe Ziele in seinem Wesen nicht verleugnen, so müßte er entweder das Dasein über seinen wirklichen Bestand hinaus fälschlich idealisieren oder aber sich der Spaltung und zugleich einer trüben Resignation f ü r alle Zeit ergeben. So verbleibt im Grunde des modernen Lebens auch die Religion in Wirkung, selbst bei denen, deren Bewußtsein sie aufs entschiedenste verwirft. Demnach e r s c h ö p f t sich das Leben der Gegenwart keineswegs in das bloße Dasein, in das W f r k e n zur Umgebung oder die Befassung mit dem eignen Befinden, es e n t h ä l t eine Fülle von Elem e n t e n , welche aus anderen Lebensordnungen s t a m m e n , es kann sich dieser Elemente unmöglich entledigen. Aber es bietet diesen Elementen weder einen festen Grund noch einen Zusammenhang m i t e i n a n d e r ; so bleiben sie auf die Neigung und Stimmung des Einzelnen gestellt u n d gewinnen keine aufrüttelnde u n d erhöhende Macht f ü r das gemeinsame Leben. Das durch die moderne Wissenschaft geweckte historische Bewußtsein m u ß das Mißliche, das Unhaltbare dieser Lage noch weiter steigern. Denn kraft seiner stehen uns die Unterschiede der Zeiten mit voller Klarheit vor Augen, und verbietet es sich, die Zeiten so ganz ineinander verfließen zu lassen und als ein so gleichartiges Ganzes zu behandeln wie es frühere Zeiten vermochten. Nicht minder hindert solches historische Bewußtsein u n s daran, uns in vergangene Zeiten einfach zurückzuversetzen und sie zum S t a n d o r t des Lebens zu machen. Das könnte uns die Verwicklungen der Gegenwart vielleicht f ü r einen kurzen Augenblick vergessen lassen, u n s aber unmöglich von ihnen befreien. Mit bloßen Bildern früherer Zeiten wird der Not der Gegenwart nicht abgeholfen. Oder hilft es einem in Hungersnot Darbenden, wenn m a n ihm gemalte Speisen v o r h ä l t ? So verbleibt die geschilderte Lage in ihrer vollen Unausgeglichenheit, ja Unerträglichkeit, es fehlt dem modernen Leben eine innere Einheit und zugleich eine seinen ganzen Umfang beherrschende H a u p t r i c h t u n g ; was die Tagesarbeit beschäftigt und das bewußte Wirken beherrscht, das befriedigt den Grund der Seele nicht, das widerspricht geradezu ihren Forderungen. W a s sich aber von innen her regt, das findet nicht die K r a f t , sich in ein Ganzes zu fassen und zu fester Gestalt zu verkörpern. Nirgends vermag der Mensch sein ganzes Wesen in das Werk einzusetzen und d a m i t dieses wie auch sich selbst zu heben.
305 Die Folgen eines solchen inneren Zwiespalts, solches Auseinanderfallens des Lebens, solcher K u l t u r ohne beherrschende Seele bedürfen keiner n ä h e r e n Schilderung, sie liegen allzu deutlich vor Augen. Erfreulich ist dabei nur die wachsende E m p f i n d u n g des Ungenügens dieser Lage, bekundet sie doch, d a ß das Menschenwesen flicht nur in jene nicht aufgeht, sondern auch, d a ß schon eine Bewegung zu ihrer Überwindung im Gange ist. Das aber f ü h r t zur Frage, ob dieser Bewegung zur Umwandlung die von uns entwickelte Gedankenwelt einiges bieten kann. Was bedürfen wir vornehmlich gegenüber jenem inneren Zerfall des L e b e n s ? Wir bedürfen an erster Stelle einer Einheit jenseits der Spaltung einer Einheit, welche f ü r Streben und Schaffen einen sicheren S t a n d o r t gewährt. Diese Einheit aber m u ß dem menschlichen Dasein überlegen sein, denn dieses ist viel zu zerrissen und schwankend, u m einen derartigen S t a n d o r t zu bieten; was immer in dieser R i c h t u n g versucht werden sollte, das würde bald in die Verwicklung und d a s Schwanken hineingezogen werden. Dieses Übermenschliche aber müßte zugleich etwas Innermcnschliches sein, d. h. der Mensch m ü ß t e u n m i t t e l b a r an ihm teilhaben können, sonst würde es seinen Nöten keine Hilfe bringen. Beides vereinen könnte nur ein Leben, das auf sich selber s t e h t , aus eignen K r ä f t e n und nach eignen Gesetzen einen Aufbau vollzieht, an dem aber der Mensch unmittelbaren Anteil gewinnen, das er als sein eignes, ja als sein H a u p t l e b e n führen könnte. Das freilich nur bei Umwälzung des vorgefundenen Standes, nur unter Verlegung des Schwerpunkts des Lebens. Weiter würde ein solches Leben bei dem Verflochten sein des Menschen in das All eine durchgreifende Hilfe nur gewähren können, wenn es nicht einen Sonderkreis neben dem großen All bedeutete, sondern wenn es innerhalb seiner stünde und in der eignen E n t f a l t u n g zugleich den Grundbestand der Dinge erschlösse. Alles aber, was damit verlangt wird, eröffnete sich uns in dem Beisichselbstsein des Lebens, das wir im besonderen Sinne Geistesleben n e n n e n . D e m solches Beisichselbstsein des Lebens stand nicht neben der Wirklichkeit, es ergab vielmehr erst eine rechte Wirklichkeit, e r s t in ihr kam zum Abschluß, was sonst in bloßem Aufstreben bleibt, hier faßt das Geschehen sich in ein Ganzes zusammen und wird damit aller Besonderheit überlegen. So gewiß aber im Menschen ein volltätiges Schaffen entsteht und ein Ganzes der Welt in ihm zur Wirkung bringt, ein volltätiges Schaffen, das den Gegensatz von Subjekt und Eucken
Kamüf
III. Aufl.
20
306
A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit der Zeit
Objekt, von Kraft und Gegenstand überwindet und seine beiden Seiten durcheinander erhöht, so gewiß kann er an jenem Leben teilgewinnen, so gewiß offenbart sich ihm eine Welt, in der er sein eignes Wesen zu finden vermag. Wäre aber damit eine überlegene und umfassende Einheit gesichert, so würde jenes bei sich selbst befindliche Leben ganz wohl auch das Auseinandergehen der Bewegung nach verschiedenen Richtungen, im besonderen die geschilderte Dreiheit verständlich machen. Denn jenes Leben ist für den Menschen nicht nur kein fertig vorhandener Besitz, er kann es auch durch eifrigste Zuwendung nicht seinem ganzen Umfang und Inhalt nach unmittelbar ergreifen; die Grundtatsache bildet für ihn zugleich ein schweres Problem, eine Sache angespanntesten Strebens. Sehr wohl kann von jener Lage aus eine Verschiedenheit von Angriffspunkten und zugleich von Wegen notwendig sein, die eine gewisse Selbständigkeit gegeneinander behaupten müssen, um Eigentümliches leisten zu können, die erst nach Darlegung dieses Eigentümlichen sich auf dem Boden eines Ganzen verständigen und zu einem gemeinsamen Werke verbinden könnten. Diesen gemeinsamen Boden, von dem aus sich alle Verzweigung entwickeln muß, bietet nun das volltätige Schaffen mit seinem Aufstreben zu einer Tatwelt, aber es t r i t t hier eine Scheidung dadurch ein, daß nur ein gewisser Umriß des Lebens sich unmittelbar ergreifen und ausbilden läßt; daß das Leben aber nach anderen Richtungen einer Erfahrung bedarf, einer Erfahrung einerseits vom Dasein aus, von dem es sich umfangen findet, andererseits aus seiner eignen inneren Bewegung, also durch Selbsterfahrung. Jenes Schaffen kann nur in besonderen Gebieten eine gewisse Wirklichkeit erreichen, im übrigen bleibt es nur Grundlage und Umriß, damit aber Anregung und Ausgangspunkt für weitere Bewegungen. Insofern ist zunächst das Dasein zum Ausbau des Lebens beim Menschen unentbehrlich, indem es mit seiner Erfahrung dessen Grundriß weiterzubilden hat, aber es tut das keineswegs von sich aus, und die Lebensbewegung wird keine Zusammensetzung von Dasein und Tatwelt, sondern die Mitteilung des Daseins ist auf den Boden der Tatwelt zu versetzen und hier mit deren Bewegung in Berührung und zu möglichster Ausgleichung zu bringen, so daß der Umriß weitergebildet, das Dasein aber geistig durchdrungen wird. In dieser Weise fördern aber kann das Dasein nur, wenn es seinen Bestand unverfälscht darlegen kann, nicht von vornherein nach feststehenden Begriffen oder
Das Oesamtbild
307
Zwecken zurechtgelegt wird. Ähnlich kann auch nach der anderen Seite hin innerhalb des Ganzen durch Selbstbewegung und Selbsterfahrung des Lebens eine Weiterbildung möglich, ja notwendig werden. Es muß aber diese Weiterbildung, um nicht aus echter Wirklichkeit herauszufallen, nicht vom bloßen Menschen, sondern vom selbständigen Leben her mit seiner Volltätigkeit erfolgen. Dieses Leben kann im menschlichen Bereich auf schwere Widerstände stoßen, die es nicht überwinden kann, ohne daß bei ihm selbst weitere Erschließungen erfolgen und tiefergegründete Zusammenhänge wirksam werden. In dieser Richtung eröffnet die Religion ein neues Gebiet der Tatsächlichkeit, das auch die Gedankenwelt bereichern und vertiefen wird; was aber sich davon bietet, das hat sich auf dem Boden des selbständigen Lebens mit den anderen Bewegungen auseinanderzusetzen und dabei möglichst alles abzustreifen, was an menschlicher Schranke und Zufälligkeit hängt. Jenes Leben mit seinem Streben zum Aufbau einer selbständigen Wirklichkeit hätte die verschiedenen Bewegungen zu umfassen, sie zueinander in Beziehung zu setzen, ihre Besonderheit dem Ganzen einzufügen und demgemäß zu gestalten. Damit würden die drei Hauptbewegungen, welche die Geschichte als Haupttypen menschlichen Strebens zeigte, ohne zusammenzufließen, miteinander vereinbar werden, und die von ihnen dem Leben gewiesenen Richtungen Würden ohne Preisgebung ihrer Eigentümlichkeit nach einer Verständigung und gegenseitigen Ergänzung streben können; die ethische Erneuerung, das geistige Schaffen, die Arbeitskultur könnten dann aus Gegnern sich zu Mitarbeitern an einem gemeinsamen Werke gestalten, Die unerläßliche Voraussetzung dessen ist aber der gemeinsame Boden des selbständigen Lebens mit seiner Erhebung über den menschlichen Erfahrungsstand, und weitere Voraussetzung ist, daß den Grundbegriff der Wirklichkeit nicht das Sein mit seiner Starrheit, sondern ein Leben bildet, das in Bewegung steht und verschiedene ^Antriebe enthalten kann. Einheit und Mannigfaltigkeit miteinander ergeben ein eigentümliches Lebens- und Kulturideal, bei dem das Lebensproblem seine Lösung oder doch Förderung nicht von einer geschlossenen Formel, sondern von einer durchgehenden, aber im Leben sicher begründeten Aufgabe findet. Bei uns Menschen ist unverkennbar dieses Leben erst im Werden, im Suchen seiner selbst begriffen, und dieses Suchen ist kein ruhiger Fortgang auf gebahntem Wege~ es kommt 20*
308 nicht vorwärts ohne harten Kampf und mannigfache Umbildung. Aber was daraus an Zweifel und Schmerz entstehen mag, das braucht nicht zu erschrecken, weil die Bewegung, aus der es hervorgeht, nicht aus dem bloßen Menschen entsprang und nicht durch bloßmenschliche Kräfte getrieben wird. Mögen wir daher noch so unfertig bleiben, unser Leben und Streben kann nicht vergeblich sein, es geht Großes in ihm vor, wir sind berufen an unserer Stelle zum Aufbau einer neuen Welt nach bestem Vermögen mitzuwirken. Das muß uns genügen, und das kann uns genügen. Erst indem so zugleich das Innewohnen eines überlegenen Lebens in uns und die Bedingtheit seiner Entwicklung durch unseren besonderen Stand vollauf anerkannt wird, vermögen wir den Widerspruch zu überwinden, den die Stellung des Menschen im modernen Leben zeigt, und der sowohl Ziele als Wege arg zu verwirren droht. Das moderne Leben hat immer mehr den Menschen und sein Ergehen zum Hauptziel des Strebens gemacht, das aber im Zusammenwirken verschiedener Gründe. Einmal fand das Denken der Neuzeit immer mehr Schwierigkeit darin, dem Menschen seine Welt von draußen her zuzuführen, unsicher ward dem Hauptzuge des Denkens eine jenseitige Welt und die Mitteilung von Wahrheit daher, zugleich verblaßte die Idee einer weltbeherrschenden Vernunft und ihrer Eröffnung an den Manschen, endlich verlor auch die sinnliche Welt die Handgreiflichkeit der naiven Fassung, und es stellte sich zwischen sie und jenen mit trennendem Wirken sein eignes Denken und Grübeln ; so scheint es uns durchaus verwehrt, den eignen Lebenskreis zu überschreiten. In gleicher Weise nahm aber auch unser Handeln die Richtung auf uns selbst. Die moderne Entwicklung des Lebens zeigt im menschlichen Bereich weit mehr Probleme, denken wir nur an ihre Gestaltung der Arbeit und an ihre sozialen Verwicklungen, sie zeigt aber auch weit mehr Vermögen, ihnen entgegenzuwirken; so hielt sie Streben und Kraft des Menschen weit mehr im eignen Kreise fest, ja es konnte scheinen und hat vielen so geschienen, als fände das ganze Leben in der Pflege und Weiterbildung dieses Kreises, in der Hebung des menschlichen Wohlseins sein vollgenügendes Ziel. Aber die Bewegung des Lebens selbst hat gezeigt, daß dieses Ziel nicht ausreicht, wenn es nur den Menschen des unmittelbaren Daseins im Auge hat. Meinungen und Interessen stehen hier unausgeglichen, ja leicht feindlich gegeneinander, das geistige Vermögen des Durchschnitts ist gering, die Ansammlung in Massen gewährt
Das Gesamtbild
309
keinen Schutz gegen Irrung, ja der Vernunft des Lebens drohen von hier aus besondere Gefahren, indem Selbstsucht, List und Geschick die Massen aufs leichteste nach ihren Sonderzwecken lenken; aber auch ohne solche Verführung kann der Massencharakter des Lebens nicht u m h i n seine feineren Züge abstumpfen und es seinen wahren Problemen zu e n t f r e m d e n . Flieht aber der Mensch, um dem zu entgehen, zu möglichster Unabhängigkeit der Individuen und zur Hervorkehrung ihrer unterscheidenden Züge, so f ä h r t er, wie wir sahen, auch d a m i t nicht besser, denn f ü r die Gefahren, welche entfallen, treten andere, nicht geringere, ein; das Hin- und Herschwanken zwischen Masse und Individuum mag dem Menschen die Nichtigkeit des Gesamtgetriebes verdecken, die Sache f ü h r t es nicht weiter. So befindet sich das Kulturleben der Gegenwart in der mißlichen Lage, d a ß es sich einerseits streng an den Menschen gebunden f ü h l t , andererseits aber bei ihm schlechterdings kein Genüge f i n d e t ; so einerseits eine flache Schönfärberei, wie z. B. bei denen, welche alles Heil von „sozialen" Reformen, einer „sozialen" Ethik usw. erwarten, als hebe die Q u a n t i t ä t ohne weiteres die Qualität, andererseits ein müder Pessimismus mit einem hoffnungslosen Verzicht. Dieses Dilemma müssen wir überwinden, wir können das aber nur, wenn wir die Unzulänglichkeit des menschlichen Daseinsstandes vollauf anerkennen, zugleich aber zur Geltung bringen, d a ß dieser Stand nicht das ganze Leben des Menschen ausmacht, d a ß in ihm vielmehr ein selbständiges Leben erscheint und ihn zur Teilnahme a u f r u f t , damit eine gründliche Umwandlung jenes Standes notwendig, aber auch möglich m a c h t . Die deutliche Scheidung von beidem rechtfertigt die Überzeugung, d a ß dem Menschen einen Wert nicht sowohl gibt, was er schon ist und was unmittelbar bei ihm vorliegt, sondern was an Aufstieg in ihm erfolgt und was aus ihm werden k a n n ; zugleich ergibt sich die Forderung, das höchste Ziel nicht in der Verbesserung des bloßen Zustandes des Menschen, sondern in dem Aufbau einer Welt selbständigen Lebens im Bereich der Menschheit zu suchen. Steht es so und sind wir überzeugt, d a ß jenes Leben sich selbst angehört und aus sich selbst übermenschliches Vermögen schöpft, so k a n n alle Unzulänglichkeit menschlicher Leistung uns nicht erschrecken und niederdrücken, so werden wir zugleich aber auch davor geschützt sein, den Menschen wie er leibt und lebt zu glorifizieren, auch davor, von bloßen Verschiebungen seiner Lage, etwa besonderen politischen oder sozialen Verfassungen, eine wesentliche
310
A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit der Zeit
Wandlung zu hoffen. Denn der Mensch der Erfahrung bleibt überall Mensch, und in alle Verfassungen und Lagen trägt er die Verwicklungen seines Standes hinein. Für Geistesarbeit und Kultur besagt es aber eine wesentliche Erhöhung, wenn sie nicht die menschliche Wohlfahrt, sondern den Aufbau eines bei sich selbstbefindlichen Lebens als des Kernes aller Wirklichkeit sich zur Hauptaufgabe machen. Alle Gebiete müssen dann die Richtung auf jene Aufgabe nehmen und sich damit umgestalten; wie, das werden wir im nächsten Abschnitt an einigen Hauptpunkten zu zeigen suchen. Dieser allgemeine Überblick möge nur noch der veränderten Stellung zur Geschichte gedenken, welche die Anerkennung des Aufbaus einer selbständigen Lebenswelt bei der Menschheit mit sich bringt. Das Bild, das uns der unmittelbare Anblick zeigte, kann nicht anders als niederdrückend wirken. Denn hier erschien eine unablässige Veränderung, eine Gestaltung folgte der anderen, und zwar erfolgte die Verschiebung gewöhnlich im Gegensatz; was der einen Zeit als Leitstern vorgeleuchtet hatte, das pflegte ihrer Nachfolgerin als bloßes Irrlicht zu gelten; mochte, was die bewußte Arbeit abwies, im Grunde des Lebens irgendwie verbleiben, mochte das Bekämpfte und vermeintlich Überwundene sogar eine Voraussetzung des eignen Strebens bilden, mochte endlich der Verlauf der Zeiten eine gewisse Ausgleichung, eine Anerkennung des anfänglich Abgewiesenen bringen, alle solche Milderung ändert nichts daran, daß das geschichtliche Leben zunächst ein bloßes Vorübergleiten bleibt, daß hinter der Woge, die uns trägt, schon wieder eine neue aufsteigt, daß, was wir heute mit Aufbietung aller unserer Kraft erstreben, morgen voraussichtlich als überflüssig, ja als verfehlt gelten wird. Muß die deutliche Erkenntnis dessen, ein unabweisbares Ergebnis der modernen Forschung, nicht erschütternd wirken, muß sie nicht,allen Antrieb zu freudigem Schaffen lähmen? Diese Wendung ist aber nur so lange unabweisbar, als das menschliche Dasein die einzige Wirklichkeit bedeutet; sie wird überwindlich, wenn noch eine andere Art des Lebens bei uns wirkt, und wenn dieses Leben eine Erhebung über den bloßen Fluß der Zeiten n ^ l i c h macht. So aber steht es, wie wir sahen, in Wahrheit, indem der Aufbau einer Wirklichkeit des Beisichselbstseins gegenüber der bloßen Zeitgeschichte eine Geistesgeschichte eröffnet und zugleich eine geistesgeschichtliche Betrachtung einführt. Einer solchen versinkt der Gehalt der einzelnen Zeiten nicht mit ihrem^Scheiden in den Abgrund des Nichts, sondern
Das G e s a m t b i l d er v e r m a g sich als ein S t ü c k des
311
A u f b a u s einer geistigen Welt zu
b e h a u p t e n u n d als solches d u r c h alle Zeiten f o r t oder vielmehr gegenü b e r allen Zeiten zu w i r k e n ; die einzelnen Leistungen b r a u c h e n hier einander
unter
Heraus-
a r b e i t u n g ihres Ewigkeitsgehalts sich z u s a m m e n f ü g e n und
einander
stützen. und
nicht
zu v e r d r ä n g e n , s o n d e r n sie k ö n n e n
D a m i t ergibt u n d ermöglicht sich die A u f g a b e der Bildung
A u f r e c h t e r h a l t u n g eines überzeitlichen
Gedankenreiches
inner-
h a l b der Menschheit u n d zugleich die H o f f n u n g , d a ß jede den Sachg e h a l t des Lebens f ö r d e r n d e L e i s t u n g jich in jenem Reiche erhalten u n d f o r t w i r k e n w e r d e . Mag zugleich das N a c h e i n a n d e r der Geschichte m i t s e i n e m K o m m e n u n d Gehen der W o g e n bleiben, es bildet n u n n i c h t m e h r unser ganzes Leben, es wird eine bloße Außenseite, eine menschliche Lebensform,
über die sich h i n a u s s t r e b e n l ä ß t .
N u r so
u n d n i c h t a n d e r s ist der W i d e r s p r u c h a u f z u l ö s e n , d a ß wir einerseits die
Geschichte
nicht entbehren
können,
andererseits aber uns
ihr
nicht ergeben dürfen. Z u s a m m e n f a s s e n d d ü r f e n wir sagen, d a ß die dargelegte G e d a n k e n welt
allerdings zur
F ö r d e r u n g der W e s e n s a u f g a b e n der
m a n c h e s beitragen k a n n . bewegungen beherrschende
des Lebens Einheit
Gegenwart
D e n n sie m a c h t es möglich, die vollauf
anzuerkennen,
a u f z u g e b e n ; sie m a c h t
ohne
Haupt-
darüber
es weiter
eine
möglich,
d e m Menschen eine Größe z u z u e r k e n n e n , ohne die Unzulänglichkeit des
vorhandenen
endlich
S t a n d e s irgendwie
möglich, eine
Überlegenheit
abzuschwächen; gegen den
sie m a c h t
bloßen
es
Zeitverlauf
zu e r s t r e b e n , ohne der Geschichte eine große B e d e u t u n g zu n e h m e n . D a s alles a b e r sind
Hauptpunkte
K u l t u r , j a eines neuen
Lebens.
f ü r die G e s t a l t u n g einer
neuen
B.
Einzelne
Hauptgebiete.
A uch f ü r die Gestaltung und die B e d e u t u n g der einzelnen Gebiete stellt die Lage der Gegenwart eigentümliche Forderungen, denen die von uns entwickelte Gedankenwelt h o f f t entgegenkommen zu können. Alte und neue Art stehen hier schroff gegeneinander. Jene, welche das Leben in ein fertiges Gefüge glaubte fassen zu können, gab seiner Verzweigung eine Anordnung, die eine hierarchische im weiteren Sinne des Wortes heißen k ö n n t e . Es wurde nämlich durch Religion o^er Metaphysik ein Wahrheitsgehalt festgelegt und dieser d a n n den einzelnen Gebieten z u g e f ü h r t ; sie erschienen d a m i t als bloße Anwendungen und nähere A u s f ü h r u n g e n , ihrem Streben war die H a u p t r i c h t u n g zwingend vorgeschrieben. Die Neuzeit fand diese Lebensstruktur zu drückend und eng, sie h a t g e m ä ß ihrem Zuge zur W e c k u n g aller K r ä f t e die einzelnen Gebiete von jener Bindung befreit und sie zur u n g e h e m m t e n E n t f a l t u n g ihrer eigenen Art aufgerufen. So gewannen Moral, Recht u n d Erziehung eine Selbständigkeit gegenüber der Religion, so die einzelnen Wissenschaften gegenüber der Pnilosophie. Dieses Auseinandergehen in verschiedene Zweige h a t das Leben unermeßlich bereichert und seiner ganzen Ausdehnung mehr ursprüngliches Streben z u g e f ü h r t . Aber die ausschließliche Verfolgung dieser R i c h t u n g f ü h r t e die Gebiete immer weiter auseinander, bis schließlich aller Z u s a m m e n h a n g verloren zu gehen drohte, alle innere Einheit des Lebens e n t s c h w a n d . Aber solchem Siege des Spezialismus können wir uns unmöglich dauernd ergeben, so wächst zusehends das Verlangen nach einer engeren Verbindung, nach mehr Leben aus dem Ganzen. Zugleich aber verhindern die E r f a h r u n g e n und Leistungen der Gegenwart streng eine einfache W i e d e r a u f n a h m e der älteren A r t ; so e n t s t e h t eine gespaltene und schwankende Lage. Ihr glaubt n u n unsere Gedanken-
^
Die R e l i g i o n
3j 3
weit in der Richtung Hilfe bringen zu können, d a ß sie den einzelnen Gebieten eine selbständige B e d e u t u n g zuerkennt, ohne d a r ü b e r eine Einheit des Ganzen aufzugeben. Es wird das dadurch möglich, d a ß sie wohl eine H a u p t - und Gesamtbewegung die ganze Weite durchdringen läßt, d a ß sie diese aber nicht als fertig abgeschlossen, sondern als m i t t e n im Fluß befindlich und als f ü r ihr Weiterkommen auf die Mitarbeit der einzelnen Gebiete angewiesen versteht. Diese haben nicht n u r eine empfangene G r u n d w a h r h e i t n ä h e r a u s z u f ü h r e n , sondern sie h a b e n sie auch immer wieder an ihren eigenen E r f a h r u n g e n neu zu messen und zu p r ü f e n ; so wird bei ihnen immer wieder auch um das Ganze g e k ä m p f t , so sind sie keineswegs bloße Gehilfen und Diener, sondern selbständige Genossen; was das Ganze ihnen zuf ü h r t , ist mehr eine Frage und Anregung, als eine zwingende Vorschrift und Wegweisung. Das Beisichselbstsein des Lebens, das wir verfechten, g i b t dem eine nähere A u s f ü h r u n g . Denn von hier aus gestaltet sich die Sache so, d a ß das Ganze des Lebens auch in den einzelnen Gebieten gegenwärtig bleibt und ursprünglich wirkt, d a ß es sich in sie hineinlegt, aber nicht um sich in ihre Besonderheit zu verlieren, sondern u m aus ihr zu sich zurückzukehren und die Erfahrungen des besonderen Gebietes in einen Gewinn des Ganzen zu verwandeln. In dieser Weise läßt sich ganz wohl eine Verständigung erstreben und k a n n auch die einzelne Stelle die S p a n n u n g des Ganzen wahren, ohne d a ß das Leben auseinanderfällt. Die Gesamtverzweigung und ihre Gliederung zu verfolgen, das würde uns hier zu weit führen und auch den Zweck der gegenwärtigen Arbeit überschreiten; beschränken wir uns daher auf die Gebiete, die heute besonders in Kampf und Bewegung stehen, sich daher aber auch besonders zur P r ü f u n g der G e s a m t r i c h t u n g eignen.
1. Die Religion. Mit der Religion h a t t e "der Verlauf unserer Untersuchung viel zu t u n ; unser Augenmerk war dabei aber vornehmlich ihren G r u n d fragen, nicht ihrem besonderen S t a n d e in der Gegenwart zugewandt. D a ß dieser aber voller Verwicklung ist u n d uns zu b e s t i m m t e n E n t scheidungen t r e i b t , das verrät schon ein völlig entgegengesetztes Verhalten der Gegenwart zur Religion. Einerseits nämlich greift ihre Verneinung immer weiter u m sich und dringt auch in solche Kreise, die ihr f r ü h e r gänzlich verschlossen waren, von hier aus
314
Einzelne
Hauptgebiete
kann die Religion als in voller Auflösung befindlich erscheinen; andererseits regt sich wieder ein starkes Verlangen nach Religion, zum mindesten gewinnen ihre Probleme eine wachsende Anziehungsk r a f t , das nicht n u r bei zahlreichen Individuen, sondern auch auf der Höhe der geistigen Arbeit, im litterarischen, künstlerischen, philosophischen Schaffen; hier scheint die Religion in neuem Aufstieg begriffen; als Ganzes b e t r a c h t e t scheint daher die Menschheit der Gegenwart von ihr gleichzeitig angezogen und abgestoßen zu werden. Dabei erscheint ein merkwürdiges Auseinandergehen der Schätzung von Religion und Kirche. Zur Kirche verhalten sich eben von denen, die der Sache der Religion eine warme Teilnahme, ja Sehnsucht entgegenbringen, viele gleichgültig, ja feindlich; die Kirchen befriedigen augenscheinlich die Ansprüche nicht, welche der moderne Mensch an die Religion stellt und zu stellen sich berechtigt f ü h l t . Woran liegt das, und wie ist das g e k o m m e n ? Dabei n i m m t sich freilich die Frage bei den verschiedenen Kirchen .verschieden aus, u n d es verhält sich d e m g e m ä ß auch das Streben der Zeit ihnen gegenüber verschieden. Beim Katholizismus vermißt es eine genügende Freiheit sowohl f ü r die Selbständigkeit und das Eigenleben der einzelnen Persönlichkeit als f ü r die Weiterbewegung des gesamten Lebens, es f i n d e t jenen zu s t a r r abgeschlossen, zu sehr an einen geistigen Stand gebunden, den der Fortgang des Lebens überholt h a t . Den d a r a u s erwachsenden Konflikt scheint die Weiterbewegung der K u l t u r unablässig zu steigern. Ist jenen Fragen gegenüber der P r o t e s t a n t i s m u s in offenbarem Vorteil, so unterliegt er der noch größeren Gefahr der Zersplitterung und der Preisgebung eines festen Grundgehalts der Religion, der dem Suchenden sowohl einen u n a n g r e i f b a r e n T a t b e s t a n d entgegenhält als ihm eine das Leben umfassende Aufgabe stellt. Befestigung und A u f r ü t t e l u n g aber ist es, was die Religion dem Menschen bieten m u ß ; alle Größe des protestantischen Geistes, sein Streben nach Erweckung ursprünglichen Lebens an jeder Stelle, seine Verfechtung einer aufrechten, männlichen Frömmigkeit, sein Verlangen nach einer offenen und vollen Auseinandersetzung mit der K u l t u r , auch die Größe seiner wissenschaftlichen Arbeit, sie alle verdecken n i c h t die Schwäche des protestantischen Kirchenwesens, es e n t b e h r t , sofern es n i c h t einfach die Fassung des 16. J a h r h u n d e r t s festhält, zu sehr einer Einheit und eines wesenhaften Gehalts, es leistet dem Menschen zu wenig, es würde bei wachsender Gleichgültigkeit
Die Religion
in D e u t s c h l a n d aussichtlich
31 5
mit A u f h ö r e n der s t a a t l i c h e n Hilfe und S t ü t z e
sich
auflösen
und
in
lauter
Sekten
D e m g e g e n ü b e r ist wieder der K a t h o l i z i s m u s
vor-
auseinanderfallen.
im Vorteil, der seinen
A n h ä n g e r n den festen H a l t einer d u r c h g e b i l d e t e n G e d a n k e n w e l t und einer
weltumspannenden
Religion
Gemeinschaft
unentbehrliche
metaphysische
k r ä f t i g z u m A u s d r u c k bringt.
bietet, Tiefe
und
der
mit ihrem
die
der
Geheimnis
A b e r das alles h e b t jene
Hemmungen
und V e r w i c k l u n g e n n i c h t auf, die wir eben e r w ä h n t e n .
Diese M i ß -
s t ä n d e der K i r c h e n erzeugen v i e l f a c h ein Streben nach einer außerkirchlichen
Religion und verleihen der alten M y s t i k eine neue
ziehungskraft; mit
der
aber
Kirche,
etwas
etwas
anderes
anderes
ist
eine
eine
Mystik
Mystik
ohne
innerhalb und
Anund
gegen
die
K i r c h e ; eine derartige M y s t i k s i n k t leicht zu einer b l o ß s u b j e k t i v e n Stimmung,
die
dem
Leben w e d e r
Halt noch
Gehalt gewährt
und
leicht in einen v a g e n P a n t h e i s m u s verfällt, der die g e w a l t i g e n
Ver-
w i c k l u n g e n der G e g e n w a r t eher zu fliehen als zu b e w ä l t i g e n s c h e i n t . E s r e i c h t aber der Z w e i f e l und die Verneinung über die K i r c h e n hinaus
in den
Kern
des
Christentums
zurück.
Das
eigentümlich
modern a u s g e p r ä g t e Leben zeigt d u r c h g ä n g i g einen schroffen G e g e n satz
zum
Christentum,
bei
den- Problemen
sowohl
L ö s u n g e n , bei den A n t w o r t e n wie bei den F r a g e n .
als
bei
den
Das Christentum
s e t z t einen völligen Bruch mit der W e l t der E r f a h r u n g als einem d u n k l e n Reich
der
Verirrung
und
Verwirrung voraus,
das moderne
Leben
liebt diese W e l t , f r e u t sich ihrer und h o f f t v o n ihr eine volle friedigung
seiner
Wünsche;
jenes
denkt
gering,
dieses
hoch
Bevom
V e r m ö g e n des M e n s c h e n ; jenes f i n d e t den t i e f s t e n Grund aller Mißs t ä n d e in der moralischen V e r s c h u l d u n g und e r w a r t e t eine W e n d u n g lediglich
von
einer
Wesenswandlung
durch
höhere
Macht,
dieses
k e n n t die Moral n u r als S t ü c k eines weiteren Lebens und h o f f t , ihre F o r d e r u n g e n aus der eigenen B e w e g u n g des Menschengeistes
vollauf
erfüllen zu k ö n n e n ; jenes v e r k ü n d i g t die Liebe als w e l t b e h e r r s c h e n d e M a c h t , dieses b e t r a c h t e t die W e l t v o r n e h m l i c h als einen harten
K a m p f e s ums D a s e i n ; jenes sucht eine
Konfliktes
vornehmlich
Menschlichem, Menschennatur,
durch
durch
ein
Geschichte,
Einigung
von
des
seiner
unmöglich
Grundwahrheiten
den der Glaube
großen
Göttlichem
Gottesgeistes
diesem f e h l t d a f ü r alles V e r s t ä n d n i s ,
als u n b e g r e i f l i c h , als d u r c h a u s Verwirklichung
eine
volles Eingehen
Schauplatz
L ö s u n g des
in
über alle bloße
einen
die
ihm m u ß das
g e l t e n ; jenes k n ü p f t an
und
Höhepunkt
die der
G e s c h i c h t e h i n a u s ins
315
Einzelne
Hauptgebiete
Ewige emporhebt, das moderne Leben b e k ä m p f t nicht nur prinzipiell eine Begründung von G r u n d w a h r h e i t e n auf geschichtliche Daten ( L e s s i n g ) , es löst auch durch seine historische Kritik den überkommenen Bestand der christlichen Überlieferung mit unbarmherziger Schärfe auf, m a c h t z u m mindesten zu schwerstem Probleme, was f r ü h e r eine felsenfeste T a t s a c h e d ü n k t e . Nun ist aber das, was einer Religion Macht über die Seele des Einzelnen wie über das Ganze der Menschheit verleiht, die u n t r e n n b a r e Verwebung einer selbständigen Gedankenwelt mit einem unbestrittenen geschichtlichen Bestände, mit dem, was, u n t e r entschiedener F e r n h a l t u n g aller herabziehenden Bedeutung, Mythus heißen k ö n n t e ; erst solches Zusammenwirken von Mythus und Gedankenwelt gibt der Religion die Körperh a f t i g k e i t , ohne welche sie zu einem flüchtigen, auf individuelle Neigung und Meinung gestellten Gebilde herabzusinken d r o h t . Nun aber sind der Neuzeit beim Christentum Gedankengehalt und Mythus auseinandergefallen, kein Scharfsinn und kein Geschick vermag sie wieder zusammenzubringen, wie ü b e r h a u p t ein solcher Zusammenh a n g werden und wachsen m u ß , nicht g e m a c h t werden kann; was hier an Problemen vorliegt, dem können nur eingreifende geschichtliche W a n d l u n g e n und das Erscheinen schöpferischer Persönlichkeiten genügende Hilfe bringen. Anders s t e h t es mit der Gedankenwelt selbst, hier sind augenscheinlich erhebliche Verschiebungen im Gange, welche die Menschheit wieder in die Nähe des Christentums oder doch seiner Probleme f ü h r e n . Das aber vornehmlich infolge der eignen Entwicklung und E r f a h r u n g der modernen K u l t u r , die dem Menschen vielfache E n t t ä u s c h u n g gebracht h a t und immer noch weiter bringt. Denn diese Entwicklung zeigt immer deutlicher Schranken der Sache, die der Mensch ohne Preisgebung seiner geistigen Art unmöglich als endgültig hinnehmen k a n n . Die überwiegende W e n d u n g des modernen Lebens zur Welt um uns h a t immer mehr die Selbständigkeit und den Selbstwert des Innenlebens e r s c h ü t t e r t , immer mehr eine Innenwelt haltlos g e m a c h t ; das Christentum bot eine solche; k a n n der Mensch aller Innenwelt e n t s a g e n ? Das moderne Leben h a t immer m e h r allen Lebensbestand in Bewegung versetzt u n d d a m i t in Wechsel und Wandel gezogen, der Mensch wird d a m i t ganz u n d gar ein bloßes Zeitgeschöpf, ein Augenblickswesen, eine Welle, die aufsteigt und v e r s i n k t ; das Christent u m vollzog eine E r h e b u n g über die Zeit und v e r k ü n d e t e eine ewige W a h r h e i t ; kann der Mensch sich der Zeit ganz und gar ergeben,
Die Religkon
317
kann er all sein Ergehen und Streben zu einer flüchtigen Erscheinung sinken l a s s e n ?
Das moderne Leben hat sich immer mehr in einen
harten
verwandelt,
Kampf
in
einen
Kampf
des
Menschen
nach
außen hin, in einen K a m p f auch im eigenen Bereich, immer deutlicher stellt es uns die Unbarmherzigkeit des Schicksals vor A u g e n ; das Christentum hielt dem eine Welt der Liebe als überlegen entgegen, die sich mit hilfreicher Gnade jedem einzelnen n a h e ; kann der moderne Mensch das von sich weisen und den K a m p f um das Dasein als das letzte Wort b e t r a c h t e n ? Die besonderen Ganzes z u s a m m e n :
Fragen und Zweifel wachsen schließlich in ein kann
überhaupt die
Kulturarbeit
den tiefsten
Grund der Seele befriedigen, ja bewegen, sichert sie dem Menschen ein gehaltvolles
Beisichselbstsein, gewährt sie seinem
Leben
einen
Sinn und Wert, liefert sie ihm Wehr und W a f f e n gegen alle Gefahren und Nöte, die ihn nicht nur von draußen, sondern mehr noch im eignen
Innern
bedrängen?
Das
Aufsteigen
solcher
Fragen
ver-
ändert den Gesamtstand des Lebens; manches Problem, das schon gelöst schien, erhebt sich als neues Rätsel, weit unfertiger, weit mehr im
Suchen
begriffen, weit
zerrissener,
weit
bedingter
fühlen
wir
uns als noch kurz vorher, wo die Kulturarbeit uns gänzlich erfüllte. Solche Wandlungen treiben das Denken und Sinnen wieder zu den Fragen der R e l i g i o n ; so wenig das schon zu einem
vordringenden
Schaffen führt, wir können doch wagen, Umrisse einer welt zu entwerfen und damit solchem auch
dabei
Gedanken-
Schaffen die Wege zu
erscheinen alsbald arge
Bedenken
be-
reifen.
Aber
und
Zweifel.
Bei der Religion handelt es sich nicht um eine bloße Welt-
ansicht, sondern um die Aneignung einer neuen Wirklichkeit, einer Wirklichkeit, hervorgeht.
welche
aus
dem
Verhältnis
von
Mensch
Wie aber kann der Mensch einer solchen
inne werden, wie sich in ihr befestigen?
und
Gott
Wirklichkeit
Die ältere A r t unternahm
das vom Weltall her, indem philosophische Spekulation aus der Beschaffenheit jenes
das
Walten
einer
weltüberlegenen
Vernunft zu
erschließen sich kühnlich v e r m a ß ; aber nicht nur hat dies Verfahren aus verschiednen Gründen seine Überzeugungskraft f ü r uns eingebüßt, es könnte selbst im Gelingen höchstens eine religiöse nicht eine lebendige
Religion
und Menschlichem erzeugen.
mit ihrer
Einigung
von
Weltansicht, Göttlichem
Demgegenüber wandte sich die neuere
A r t zum unmittelbaren Befunde der menschlichen Seele und suchte in ihren
Erlebnissen und
Erfahrungen die
Gegenwart
einer
über-
318
Einzelne
Hauptgebiete
legenen Gottheit- aufzuweisen; die von d o r t aufgebaute Religion h a t t e u n v e r k e n n b a r mehr Nähe und W ä r m e . Aber zugleich h a t t e sie größte Mühe, ihr Hinausreichen über den Kreis des bloßen Menschen d a r z u t u n , eine ihm überlegene Tatsächlichkeit zu werden und m i t erhöhender K r a f t auf ihn zurückzuwirken. Es e n t s t a n d die Gefahr, d a ß wir mit aller Mühe u n d Arbeit uns im eignen Kreise bewegen. Vom Menschen aus ist über den Menschen n u r hinaus zu gelangen, wenn er selbst mehr ist als bloßer Mensch, d. h. ein verschwindender P u n k t in der Unendlichkeit, wenn seinem Lebensbereich u n m i t t e l b a r eine Welt, ja die letzte Tiefe der Wirklichkeit zugegen ist. Nun aber überzeugten wir uns, d a ß die von uns vertretene Fassung des Geisteslebens als des Beisichselbstseins des Lebens dies möglich m a c h t , freilich nur bei einer völligen Umwälzung und einer Verlegung des H a u p t s t a n d o r t s des Lebens. Dieser neue S t a n d o r t ergab auch ein neues Verfahren, das als noologisches sich sowohl über das kosmologische- als über das psychologische hinaush e b t ; das religiöse Problem wird d a n n n i c h t sowohl vom bloßen Menschen mit seinem kleinen Glücksverlangen als von dem im Menschen gegenwärtigen Geistesleben aufgenommen, u n d die Frage erhält n u n den Sinn, ob die Bewegung des Geisteslebens eine übermenschliche, aber zugleich innermenschliche Welt erschließt; das a b e r ist eine Frage der Tatsächlichkeit, nicht grübelnder Spekulation. Diese Frage glaubten wir aber getrost bejahen zu d ü r f e n . Denn wo immer das Geistesleben als ein selbständiges und schaffendes Leben verstanden wird, in deutlicher Abhebung vom gegebenen Dasein mit seiner Bindung an die N a t u r , da t r i t t außer Zweifel, d a ß im Menschen eine neue Welt gesetzt wird, d a wird beim Einzelnen eine Scheidung zwischen ursprünglicher Geistigkeit und dem Getriebe bloßer Seelenkräfte, da wird bei der Menschheit eine Scheidung zwischen echter Geisteskultur u n d verworrener Menschenkultur n o t wendig werden. -Ein solches Auseinandertreten läßt sich aber nifcht anerkennen und in eigne T a t verwandeln, ohne d a ß auch die Überlegenheit des neuen Lebens a n e r k a n n t und d a m i t eine A n n ä h e r u n g an die Religion vollzogen wird. Insofern ist zu b e h a u p t e n , d a ß alles geistige Schaffen echter A r t , auch das in K u n s t und Philosophie, einen religiösen Zug e n t h ä l t , ein Getragen- und Getriebenwerden durch eine überlegene Macht. Das ergibt aber nur einen Vorhof der Religion, aus ihm f ü h r e n zur Religion selbst erst die E r f a h r u n g e n u n d Kämpfe des Lebens. Denn beim Menschen bringt eben die
Die
Wendung cler
zur
Geistigkeit
Menschheit
Widerstände,
an
Religion
ungeheure
Geistigkeit
3 j q
Verwicklungen.
aufsteigt,
das
Was
stößt
auf
nämlich schwerste
auf W i d e r s t ä n d e n i c h t nur in der, w e n n n i c h t f e i n d -
lichen, so doch g l e i c h g ü l t i g e n W e l t um u n s , s o n d e r n mehr n o c h auf W i d e r s t ä n d e in d e r eignen Seele und im G e s a m t s t a n d e der Menschheit, das aber n i c h t nur in d e m engeren
S i n n e der M o r a l ,
sondern
in dem weiteren der Ü b e r m a c h t eines d u n k l e n
G e s c h i c k e s und
starken
Entfremdung
von
Zielen.
Es e n t s t e h t
des geistigen damit
Vermögens
notwendig
die
Frage,
seinen ob
der
wahren
Mensch
und
Menschheit diesem W i d e r s p r u c h hilflos überlassen bleiben und d a m i t geistig verloren g e h e n , oder o b das Ganze des L e b e n s sie in ihre Bedrängnisse b e g l e i t e t und sie mit r e t t e n d e r T a t
durch
ein
Schaffen
neuer A n f ä n g e , d u r c h E r ö f f n u n g u r s p r ü n g l i c h e r e r T i e f e n über j e n e n Stand hinaushebt.
D a ß solche R e t t u n g t a t s ä c h l i c h erfolgt sei und
i m m e r f o r t im W i r k e n bleibe, das ist die B e h a u p t u n g der wenigstens
der
Religion
in
der
Richtung
des
Religion,
Christentums;
sahen aber, d a ß unsere B e t r a c h t u n g v o m L e b e n aus sich d e m w o h l anschließen k a n n , j a anschließen m u ß ,
um nicht
in S i n n l o s i g k e i t u n d N i c h t i g k e i t verfallen zu lassen.
wir ganz
alles Streben Die
Gewißheit
aber eines B e g l e i t e t w e r d e n s in den L e b e n s k a m p f und einer R e t t u n g aus seinen N ö t e n Wärme
und
m u ß allen B e g r i f f e n v o m a b s o l u t e n
Innigkeit
verleihen,
und
wächst
der
Leben Gedanke
mehr des
s c h a f f e n d e n Geisteslebens zu dem der G o t t h e i t als einer M a c h t der Liebe und g e w i n n t d a m i t mehr persönliche Z ü g e , t r i t t d e m Menschen bei
allem
bloßsymbolischen
vergleichlich das
näher.
verwandelt
mehr
gilt,
die W e l t
Was
Charakter
aber darin
sich, u n m i t t e l b a r
der
in eine
Aufgabe,
die n e u e W e l t ü b e r w i n d e n d e r und rein
bei sich selbst
Begriffe
seelisch
an T a t s ä c h l i c h k e i t
befindlicher
un-
erscheint,
indem
es
nun-
rettender Geistigkeit,
Innerlichkeit
voll
anzu-
eignen, d u r c h z u b i l d e n und in der M e n s c h h e i t z u r M a c h t tu b r i n g e n , w a s n i c h t ohne den A u f b a u und d a s W i r k e n einer neuen s c h a f t möglich ist, wie die K i r c h e sie d a r s t e l l t .
Gemein-
So e r ö f f n e t in W a h r -
heit die B e w e g u n g des Lebens selbst eine g r o ß e T a t s a c h e und s t e l l t zugleich sind
eine
große
Aufgabe;
d a r a u f h i n zu p r ü f e n ,
die
geschichtlichen
Religionen
w i e w e i t sie diese T a t s a c h e und
aber
Aufgabe
a u f n e h m e n , e i g e n t ü m l i c h g e s t a l t e n und zur W i r k u n g im menschlichen Kreise
bringen.
Das
eigentümliche,
unvergleichliche
Grundleben,
das dabei erscheint, bildet wie den K e r n der Religion so a u c h die ihre E n t f a l t u n g z u s a m m e n h a l t e n d e
E i n h e i t ; die L e h r e n , R i t e n
und
320 Einrichtungen sind n u r E n t f a l t u n g e n dieses Lebens und müssen sich unablässig darauf zurückbeziehen, u m nicht abzuirren; sie können als solche- E n t f a l t u n g e n ganz wohl sich auf dem Boden der Geschichte g e m ä ß der Gesamtlage der Menschheit verschieden gestalten, ohne d a ß darüber jene Einheit des Grundlebens verloren geht. So m a c h t jenes Grundleben es möglich, eine bleibende W a h r h e i t und eine freie Bewegung der Zeiten miteinander zu v e r b i n d e n , jeder Zeit ihr Recht zu geben u n d doch ihren Z u s a m m e n h a n g m i t dem Ganzen zu wahren. Auch g e s t a t t e t jene B e g r ü n d u n g der Religion auf ein überlegenes Leben der Verwicklung entgegenzuwirken, womit der Verlauf der Zeit die Religion b e d r o h t , u n d sie immer neu zur schlichten Einfalt ihres Kernes z u r ü c k z u f ü h r e n . D a ß h e u t e das besonders notwendig ist, wird k a u m zu bestreiten sein. So zeigt sich, d a ß wir von dieser Gedankenwelt aus einen festen S t a n d o r t f ü r die Behandlung des religiösen Problems gewinnen und von da aus auch die Verwicklungen des gegenwärtigen Standes bek ä m p f e n können. Im besonderen läßt sich von hier zur Versöhnung der Gegensätze wirken, die sich im Katholizismus und Protestantismus verkörpern. Denn eine Religion des Geisteslebens verlangt einerseits eine volle Ursprünglichkeit und Selbständigkeit an jeder Stelle, sie m u ß jede Bindung an sichtbare und menschliche Gewalten verwerfen; andrerseits aber k a n n sie diese Ursprünglichkeit nie als ein W e r k des einzelnen P u n k t e s , sondern n u r als eine Erweisung, eine Offenbarung des Ganzen des Lebens verstehen, sie m u ß daher allem eingebildeten Selbstbewußtsein der einzelnen P u n k t e , aller Vergötterung des bloßen Individuums aufs entschiedenste widerstehen. Das Streben auf diesem Gebiet vergesse aber nie die Schranken, die allem Vermögen der bloßen D e n k a r b e i t auf diesem Gebiete gesetzt sind. Sie kann Umrisse entwerfen, Richtungen andeuten, vor Abwegen warnen, aber über den Stand bloßer Vorbereitung f ü h r t alles das nicht hinaus, im besonderen Maße gilt hier, was G o e t h e einmal, zunächst von der künstlerischen Tätigkeit, sagte, d a ß wir Menschen n u r die Holzstücke zum Scheiterhaufen sammeln und aufschichten können, d a ß aber der Blitz, der sie in Flammen setzt, von oben kommen m u ß .
Der Mensch selbst
321
2. Die menschlichen Verhältnisse. Das Menschenleben gestaltet sich im Lauf der Geschichte grundverschieden,
je
nachdem
es
eine
richtungen
einschlägt: entweder
oder
dem All,
auch
heute
steht
oder
augenscheinlich
der
beiden
herrscht
das
aber
das
dieses
zum
folgenden Verhältnis
Hauptzu
menschlichen
voran,, und
Gott
Kreise;
es gewinnt
damit
alles, was die Beziehungen von Mensch zu Mensch betrifft, eine besondere Bedeutung,
zugleich aber das Recht genauer betrachtet zu
werden. a. Der Mensch selbst. Für die
Stellung
mir besonders
des Menschen
bezeichnend
im modernen
das bekannte
Wort
Leben
Ludwig
scheint Feuer-
b a c h s : „Gott war mein erster, Vernunft mein zweiter, der Mensch mein dritter und letzter Gedanke", es entspricht in Wahrheit einer Hauptbewegung der Zeit.
Zu Beginn der Neuzeit stand die Religion
noch in ungebrochener Macht, dann ergab das Streben zur Welt die Anerkennung und Verehrung einer Weltvernunft, endlich blaßte auch diese mehr und mehr, und als einzig fester
ver-
Bestand,
auch als einziges Ziel des Strebens blieb der Mensch wie er leibt und lebt; daraus erwuchs eine Gestaltung des gemeinsamen Lebens, die in Kürze eine soziale heißen könnte.
Es kann aber diese Wendung
die Hingebung an den Menschen und die Arbeit für den Menschen nicht rechtfertigen, ohne diesem einen hohen Wert beizulegen; zur Frage wird damit, ob sie diesen Wert zu begründen vermag, namentlich wenn das Menschenwesen alles aufgeben muß, was mit und Vernunft zusammenhängt.
Gott
Wenn das 18. Jahrhundert von der
Größe des Menschen (la grandeur de l'homme) berauscht war, so hatte das besondere Gründe. noch das verklärende
Auf dem Bilde des Menschen ruhte
Licht, das die Welt
der Religion
auf
ihn,
das Ebenbild Gottes, geworfen hatte; auch nach Erschütterung der Religion hielt man an solchem Bilde fest, ja es schien noch weiter durch den Wegfall alles dessen zu gewinnen, was die Religion an Bedingung
und
Einschränkung
enthielt,
auch
an
Spaltung
der
Menschheit mit sich brachte; so wurde der von aller Bindung abgelöste Mensch,
der abstrakte Mensch,
hoher, ja der höchste Wertbegriff. E u c k e n , Kampf.
III. Aufl.
der Mensch als Mensch, ein
Wie aber steht es damit h e u t e ? 21
322
Einzelne Hauptgebiete
Jene Verklärung ist nun gänzlich verschwunden, die Wissenschaft stellt die Gebundenheit des Menschen an die Natur und seinen engen Zusammenhang mit den Wesen unter ihm mit zwingender Klarheit vor Augen, die unbefangene Betrachtung des menschlichen Tuns und Treibens auf dem Boden der Geschichte liefert wahrlich kein erhebendes Bild; worauf gründet sich nun die Hochschätzung des Menschen, was erhebt ihn über die Stellung einer bloß zoologischen Gattung, was kann uns dazu treiben, ihm besondere Ehre und Achtung zu erweisen, seinem Wohl unsere Arbeit, ja Aufopferung zu widmen ? Die bloße Verallgemeinerung, die Wendung zur großen Zahl, genügt dazu keineswegs, mit der Quantität wächst nicht zugleich die Qualität, alles Zusammenzählen von Nullen ergibt immer wieder nur eine Null. Also schwebt jene Schätzung in der Luft, derart wurzellos kann sie unmöglich starken Einfluß üben, unmöglich dem Niederen und Selbstischen gewachsen werden, das so mächtig über die menschliche Seele ist. Aber preisgeben können wir andrerseits allen Wert des Menschen unmöglich; das würde unserem Leben Antriebe rauben, die es nicht wohl aufgeben kann, ohne sich selber aufzugeben. Was also tun, wohin sich wenden? Es bleibt nur die eine Möglichkeit, anzuerkennen, daß der Durchschnittsstand des Menschen wenig wert ist und wenig Schätzung verdient, daß aber im Menschen etwas vorgeht, was seinem Leben eine höhere Welt gegenwärtig hält, es damit über den vorgefundenen Stand hinaushebt, ihm Bewegungen zuführt, die mehr aus ihm zu machen versprechen und veredelnde Kräfte in ihm erwecken. Eine solche Oberzeugung durchdrang aber als leitender Gedanke unsere ganze Untersuchung, sie allein macht es möglich, die tatsächliche Beschaffenheit des Menschen offen und ehrlich anzuerkennen und doch nicht an ihm zu verzweifeln, vielmehr Mut und Hoffnung für ihn zu bewahren. Ohne eine solche Begründung metaphysischer Art — metaphysisch im weiteren Sinne, metaphysisch im Sinne einer Umkehrung des Lebens — scheitert alles „soziale" Streben an schroffen Widersprüchen, und yerliert es eine genügende Wehr gegen Phrase und Schein. Vertieft also das Menschenwesen und verstärkt es aus unsichtbaren Zusammenhängen, dann habt ihr genügende Gründe, es hochzuhalten und ihm euer Streben zu weihen, aber vergeudet nicht euer Fühlen und Handeln an ein bloßes Trugbild von Größe und Würde, das ihr selbst gezimmert habt, und das dem wirklichen Stande der Dinge schnurstracks widerspricht!
M e n s c h h e i t und N a t i o n
323
b. Menschheit und Nation. Als der nationale G e d a n k e in der Zeit der R o m a n t i k und der B i l d u n g einer geschichtlichen D e n k a r t zuerst m i t aller K l a r h e i t emporstieg, war er besonders a u f s Innere g e r i c h t e t : d a s Volk erschien als eine eigentümliche Verkörperung des M e n s c h h e i t s g e d a n k e n s ,
berufen,
seiner E n t w i c k l u n g zu dienen, ihn auch der Seele des Einzelnen erheblich
näher
zu
bringen.
Solche
Überzeugung
F i c h t e s R e d e n a n die d e u t s c h e N a t i o n . außen
hin
und
Hintergrunde,
der Erweiterung
alles
liegt
an der
durchglüht
z. B .
Die F r a g e der Macht nach
der Grenzen s t e h t
hier g a n z im
vollen
der geistigen
Ausprägung
E i g e n a r t . E n t s p r e c h e n d der s p ä t e r e n W e n d u n g auf die Außenwelt und d e m Verlangen nach M a c h t e n t f a l t u n g g e g e n ü b e r anderen Völkern hat d a s 19. J a h r h u n d e r t das mehr und mehr ins S i c h t b a r e , ins Realistische verschoben, leicht tritt nun die innere B i l d u n g zurück, und es betrachten sich die
Nationen mehr als
grenzten D a s e i n s p l a t z
denn
Konkurrenten
um einen
als Mitarbeiter an einem
be-
gemeinsamen
B a u ; auch gilt ihnen leicht die eigene Art nicht als ein hohes Ziel, sondern als ein fertiges D a t u m , nicht als ein Werk der
Geschichte,
sondern als eine G a b e der N a t u r , als e t w a s , d a s hinzunehmen
ist,
wie es sich f i n d e t , d a s nur energisch zur G e l t u n g g e b r a c h t werden muß.
So
ein
unbedingter
Nationalismus,
dessen
Rassendünkel
geistig recht u n f r u c h t b a r ist und schließlich einen K r i e g aller gegen alle in Aussicht stellt. und
ein t a p f e r e s
Nun verlangt aber die H o c h h a l t u n g der Nation
und treues
Stehen
einen derartigen N a t i o n a l i s m u s ; wie ihm zu entgehen ist,
zu s e i n e m
es gilt nur, sich
ohne einem gehaltlosen
Volke
keineswegs
klar zu
machen,
Kosmopolitismus
zu verfallen, der alle Unterschiede a u f h e b t oder doch möglichst abschwächt, der begriffliche Abstraktionen
als lebendige Mächte
handelt, dabei m e i s t einem flachen O p t i m i s m u s h u l d i g t .
be-
Möglich ist
d a s nur, wenn uns die Völker nicht als eine bloße A n h ä u f u n g von Individuen, eine A n s a m m l u n g von Menschen, sondern als eine eigentümliche
Gestaltung
des g e m e i n s a m e n Geisteslebens
gelten;
dieses
wiederum s e t z t aber d a s Wirken eines Beisichselbstseins des Lebens im Bereich der Menschheit voraus und hält ihr zugleich eine hohe A u f g a b e vor.
D a n n und nur d a n n können die Völker aus d e m Ver-
hältnis gegenseitigen Mißtrauens und u n a b l ä s s i g e n Verhältnis
gegenseitiger
Ergänzung
treten, denn
K a m p f e s in ein dann
kann,
was
d a s eine Volk in seiner besonderen R i c h t u n g leistet, auch dem anderen 21*
324
Einzelne Hauptgebiete
zu seinem geistigen Aufstieg förderlich, ja unentbehrlich sein. Damit sei nicht im mindesten abgeschwächt und nach Art des Kosmopolitismus möglichst beiseite geschoben, was Neid, H a ß und Unw a h r h a f t i g k e i t der Völker heute an traurigen Erscheinungen zeigen. Aber es m a c h t einen großen Unterschied, ob der darin bekundete Stand der Menschheit m i t ihrer Entzweiung und Verfeindung als letztgültig wie ein unabwendbares Schicksal hingenommen wird, oder ob eine E r h e b u n g darüber und eine Gegenwirkung möglich i s t ; dies aber k a n n u n d m u ß da geschehen, wo dem Leben ein geistiger Gehalt gegeben w i r d ; d a n n wird mit u n u m w u n d e n e r Kritik des Menschen wie er ist eine aufrichtige^ Schätzung des geistigen Lebens in Menschen und Völkern vereinbar.
c. Staat und Nation. Das Hervortreten der Nationalität m u ß t e den Wunsch und das Streben erzeugen, alle Glieder der Nation in einen einzigen S t a a t zu verbinden, d a m i t ihre Eigenart nach allen Richtungen auszuprägen und im Zusammenleben der Völker mehr zur Geltung zu bringen. Es war das aber ohne Verwicklung n u r erreichbar, wo die Glieder einer Nation ein geschlossenes Gebiet bewohnen, wo sich nicht verschiedene Völker miteinander vermengen oder geschichtliche Verhältnisse einzelne Teile einer Nation mit einem anderen S t a a t e zu fest verbunden haben, um eine einfache T r e n n u n g zu ges t a t t e n . W a s daraus an o f t recht verwickelten Fragen erwächst, das möglichst zu lösen, ist Sache der praktischen Politik; von prinzipieller Bedeutung ist n u r die Forderung, d a ß nicht schlechterdings eine nationale Minderheit dem Staatsgedanken völlig aufgeopfert und seitens des Staates ein offner oder versteckter Kampf zur E n t nationalisierung größerer oder kleinerer Teile seiner Angehörigen u n t e r n o m m e n werde. Ist in der Nation als einer eigentümlichen Verkörperung des Geisteslebens in der Menschheit etwas Hohes, ja Heiliges anzuerkennen, so g e b ü h r t ihr auch eine ethische B e t r a c h t u n g u n d B e h a n d l u n g ; wie wir den Grundsatz Cujus regio ejus religio verwerfen, so müssen wir auch den freilich nicht offen ausgesprochenen, aber praktisch o f t geübten Satz Cujus regio ejus natio mit voller Entschiedenheit von uns weisen. Natürlich erzeugt das Z u s a m m e n treffen verschiedener Nationen in Einem S t a a t erhebliche Schwierigkeiten, gewiß ist nichts dagegen einzuwenden, d a ß die überwiegende
Staat und Nation Nation
bestimmte
einheit stellt.
Forderungen
325
zur Aufrechterhaltung der
Staats-
Aber das kann geschehen, ohne die kulturelle
wicklung von Minderheiten zu unterdrücken;
Ent-
würde es "geschehen,
s o wäre damit ein Herd unablässigen Zwistes beseitigt, der überaus viel K r a f t und Zeit verlangt, ohne geistig weiterzuführen.
Es sind
hier beweglichere, elastischere Verhältnisse denkbar, als der schroffe Nationalstaat dabei
aber
sie
eine
kennt;
die erste
gegenseitige
Bedingung
Achtung
und
eines
das
Gelingens
ist
Bewußtsein 'eines
inneren Zusammenhanges aller Völker, wie es die bloße Natur
nie
zu geben vermag.
d. Die innere Gestaltung des Staates. Durch die Welt geht heute ein starkes Verlangen nach demokratischer Gestaltung der politischen Gemeinschaft; mag bei diesem Verlangen manches künstlich gemacht sein, es muß tiefere Wurzeln haben, um die Menschheit so fortreißen zu können, wie sie es in Wahrheit tut.
Sie zusammen darzulegen, das würde uns viel zu weit
führen; so sei nur daran erinnert, daß die Bildung sich immer mehr über alle Volkskreise ausgedehnt hat, daß auch an der Leistung für das Gemeinwesen sich immer mehr alle Schichten beteiligen; denken wir nur an die Militärpflicht und an die Steuern.
Als nächster An-
trieb nach dieser Richtung wirkt aber die Entwicklung der modernen Industrie mit ihrer Anhäufung großer Massen und ihrer Verbindung zu gemeinsamer Leistung, ihrem damit geweckten Selbst- und Machtbewußtsein.
W a s aber zunächst politisch gemeint ist, das erstreckt
sich notwendig auch auf die Kultur und alles gemeinsame
Leben,
es leitet damit gegenüber uralter Gewöhnung eine neue Epoche ein. Denn bis dahin wurde die Kulturarbeit unmittelbar nur von kleineren Kreisen verrichtet, erst nach der hier gewonnenen Befestigung und Durchbildung wurde sie weiteren Kreisen zugeführt, und zwar mehr zu williger Aufnahme als zu selbständiger Mitarbe.it; so vom Altertum her durch das Mittelalter bis in die Neuzeit hinein. lichsten prägte sich das im Unterrichtswesen aus. die
Forderung
einer vollen Teilnahme
des ganzen
Am deut-
Erhebt sich nun Volkes, so
scheint das zunächst als eine Forderung der Gerechtigkeit;
er-
es läßt
aber zugleich viele Vorteile für den Gesamtstand erwarten, es eröffnet weite
Aussichten,
die
begeistern
und
berauschen
können,
es scheint im besonderen ein sicherer Weg dazu, das Leben in frischem
326
Einzelne
H*nptgebiete
Umlauf zu halten und gegen alles Greisenhaftwerden zu schützen. Daran sei nicht gemäkelt, aber es seien auch die Schwierigkeiten und Gefahren nicht zu leicht genommen, welche auf diesem Wege liegen. Zunächst fordert der geistige Aufstieg viele Mittel, und solche stehen nicht unbegrenzt zur Verfügung; ferner aber sei jene ältere mehr aristokratische Art nicht ohne weiteres als ein Ausfluß von Kastengeist und Selbstsucht dargestellt. Denn eine Konzentration zunächst auf kleinere Kreise kann im Interesse des Ganzen selber liegen, indem dabei das Leben eine geschlossenere Art und eine genauere Durchbildung finden und dadurch verstärkt auch besser ins Weite wirken kann, als wenn alles in einer Fläche verläuft. Es fordern dabei auch die Unterschiede der Zeiten ihr Recht, wie wäre z. B. zur Zeit der Völkerwanderung ein demokratisches Staatsideal ausführbar gewesen? Aber lassen wir gelten, daß heute die demokratische Tendenz ein überwiegendes Recht besitzt, es folgt daraus nicht, daß sie gefahrlos ist. Daß bei der Anrufung der Massen leicht der unmittelbare Eindruck und die augenblickliche Stimmung entscheidet, daß der Ertrag der weltgeschichtlichen Arbeit hier geringe Würdigung findet, daß die individuelle Art von breiten Massenwirkungen leicht erdrückt wird, das kann wenigstens der nicht leicht nehmen, der allen Sinn und Wert des menschlichen Daseins von der Entwicklung eines neuen Lebens in ihm erwartet, und der zugleich die Hemmungen vollauf würdigt, die ihr im Durchschnittsstande begegnen. Dazu kommt ein Widerspruch aus der eignen Bewegung der Dinge, nicht aus menschlicher Zurichtung. Die Kultur kann nicht fortschreiten, ohne sich immer mehr ins Technische zu gestalten; immer mehr Anstrengung, Zeit und zugleich auch Mittel werden notwendig, um auf die Höhe der Arbeit zu kommen; wir brauchen nur die neuen Prüfungsordnungen der gelehrten Berufe anzusehen, um uns zu überzeugen, wie die Anforderungen fortwährend im Steigen sind. Zugleich aber erschwert sich der Zugang zur Höhe der Arbeit, werden Minderbemittelte abgeschreckt,^gelangen die Menschen später zu wirtschaftlicher Selbständigkeit. So widerspricht dem demokratischen Zuge des Menschen direkt ein aristokratischer der Kultur und stellt damit ein keineswegs leichtes Problem. Wenden wir uns von den Problemen der Kultur zu denen des staatlichen Lebens, so haben wir zunächst eine merkwürdige Schätzung abstrakter Verfassungsformen festzustellen; weitverbreitet
Die innere G e s t a l t u n g des Staates
327
ist die Meinung, als sichere ihre E i n f ü h r u n g allen Völkern gleichmäßig volles Gelingen und Gedeihen. Diese Schätzung e n t s t a m m t der Aufklärung, ihr Glaube an eine überall gegenwärtige geschichtslose V e r n u n f t , ihr Hinwegsetzen über alle Unterschiede der Verhältnisse begründet es vollauf, d a ß eine besondere Verfassung f ü r die absolute erklärt und allen Staaten z u g e m u t e t wurde. D a ß sich später dagegen die historische Schule erhob und eine Anpassung der Verfassungen an die besonderen Verhältnisse der Völker und Staaten forderte, das h a t die Wissenschaft sehr gefördert, auf das Völkerleben aber wenig Einfluß gewonnen, sein H a u p t z u g folgt noch überwiegend der Aufklärung, wie ü b e r h a u p t die meisten unserer Zeitgenossen geistig noch im 18. J a h r h u n d e r t leben. Diese Aufklärungstendenz k o m m t heute der D e m o k r a t i e zugute, es scheint auch vielen hochgebildeten Menschen, d a ß die E i n f ü h r u n g einer demokratischen Verfassung allen Völkern gleichmäßig einen sicheren Aufstieg verbürge; wie optimistisch m u ß m a n dabei vom Menschenwesen denken, wie gering alle Unterschiede der Völker und sozialen Zustände b e w e r t e n ! So konnte m a n in Schweizer Zeitungen vor kurzem lesen, die R u m ä n e n seien deshalb glücklich zu preisen, weil ihre militärische Niederlage ihnen zu einer demokratischen Verfassung verholfen h a b e ; die R u m ä n e n selbst werden wohl anders d a r ü b e r denken. Die Demokratie mit ihrer Verfechtung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts schöpft eine besondere Macht aus der Überzeugung, d a ß die Meinung und der Wille des Volkes darin rein zum Ausdruck komme. Aber ist das so zweifellos? J a , wenn alle Bürger gleich einsichtig, urteilsfähig und charaktervoll wären, wenn jeder n u r d a s Heil des Ganzen erstrebte, niemand sich von draußen beeinflussen ließe, wenn ferner die Idee der Freiheit und Gleichheit alle Abhängigkeit unmöglich machte, dem Großkapital keinen Einf l u ß gestattete, alle Demagogen gründlich verscheuchte, wenn die Freiheit nie zu einer Gefahr f ü r die Freiheit werden könnte, dann, ja d a n n läge die Sache einfach, d a n n könnte in jener Form der wirkliche Wille des Volkes rein zum Ausdruck gelangen. Aber leider gibt es noch immer manche Ungläubige in diesen Dingen, und die E r f a h r u n g der Geschichte scheint ihnen eher Recht als Unrecht zu geben. Jedenfalls d ü r f t e die Vertretung des Volkes nicht die bloße Masse zu Worte bringen, sie m ü ß t e auch seine Gliederung vollauf heranziehen, d. h. es m ü ß t e neben der Vertretung nach allgemeinem
328
Einzelne Hauptgebiete
und gleichem Wahlrecht auch eine Vertretung nach den Berufen vorhanden sein, natürlich eine solche, die nicht besondere Berufe privilegierte, sondern alle nach ihrem W e r t f ü r das Ganze a n e r k e n n t e . Diese B e r u f s v e r t r e t u n g d ü r f t e aber nicht neben der allgemeinen Volksvertretung eine besondere K a m m e r bilden, sondern beide Arten von Gewählten m ü ß t e n einem einzigen Hause angehören; n u r so könnte eine Ausgleichung der verschiedenen Denkarten und Interessen zu gegenseitiger Förderung erfolgen, n u r so wäre Eifersucht und Streit der beiden Vertretungskörper zu vermeiden. Denn bei einem Nebeneinander wird der eine von beiden der stärkere sejn, der andere sich zurückgesetzt f ü h l e n ; so wenig ein Körper zwei Schwerpunkte haben k a n n , so wenig k a n n politische Macht sich in vollem Gleichmaß verteilen. Wozu ü b e r h a u p t eine Zweiheit von Vertretungskörpern, die im Grunde doch n u r eine N a c h a h m u n g höchst eigenartiger englischer Verhältnisse i s t ? Endlich ist zu verlangen, d a ß über dem Recht des Einzelnen oder auch der einzelnen Berufe n i c h t völlig das Recht des Ganzen, des Staates, vergessen wird, wie es neuerdings leider oft geschieht. Es sieht j e t z t oft so aus, als sei der S t a a t n i c h t mehr als eine Aktiengesellschaft oder eine Lebensversicherung, wo jedes Mitglied gleichviel zu sagen haben m u ß . Doch das alles ist Sache des Politikers, nicht des Philosophen. Nur darauf zu dringen hat der Philosoph ein volles Recht, d a ß diese f ü r das menschliche Befinden und Gedeihen überaus wichtigen Fragen nicht nach fertigen Schablonen oder nach flüchtigen S t i m m u n g e n behandelt werden, d a ß vielmehr sowohl die besondere Lage jedes einzelnen Volkes als auch der intellektuelle und moralische G e s a m t s t a n d der Menschheit gebührende Beachtung finde. Wer mit uns davon überzeugt ist, d a ß im Menschenwesen große Aufgaben, aber auch große Verwicklungen stecken, wer den weiten A b s t a n d , ja o f t vollen Widerspruch des tatsächlichen Verhaltens des Menschen und der Forderungen seiner geistigen Art voll würdigt, der m u ß die Weise, mit der die O r d n u n g des Zusammenlebens und die Bildung eines gemeinsamen Willens behandelt zu werden pflegen, als recht unzulänglich und flach, zugleich aber als eine ernstliche Gefahr f ü r den Aufstieg der Menschheit u n d auch f ü r wahre Freiheit f i n d e n . J e d e r Blick in die Geschichte der politischen Theorien zeigt uns, d a ß die Überzeugung vom moralischen Stande des Menschen auf die Gestaltung der politischen Lehren aufs stärkste eingewirkt h a t . Oder sollte es zufällig sein, d a ß entschiedene Pessimisten wie H o b b e s
Das
Qesamtziel
329
und S c h o p e n h a u e r vorwiegend auf Ordnung drangen und daher unbedingte Anhänger einer absoluten Regierung waren; wird umgekehrt n i c h t zu sagen sein, d a ß jeder ausgesprochene Liberalismus, jeder Glaube an das Vermögen der Freiheit einen gewissen Optimismus voraussetzt, der flach wird, wenn er den Menschen wie er ist glorifiziert? Jedenfalls wird es den politischen Fragen nicht schaden, wenn sie etwas weniger aus jeweiliger Stimmung, etwas mehr in großen Zusammenhängen behandelt w ü r d e n .
3. Bildungsfragen. a. Das Gesamtziel. Die Geschichte des Bildungswesens zeigt, d a ß die Hauptepochen eigentümliche Erziehungsideale besaßen, ein solches ergab sich ihnen sowohl aus der F a s s u n g - d e s dem Menschenleben gesteckten Zieles als aus der Beurteilung seiner Beschaffenheit in der E r f a h r u n g . So fand das klassische Altertum die Aufgabe darin, die im Menschen mit festen Zügen angelegte N a t u r deutlich herauszubilden, in volle Wirklichkeit zu verwandeln, was die N a t u r schon vorgezeichnet h a t t e , zu „werden, was man i s t " ( P i n d a r ) . Eine Steigerung ins Unbegrenzte, eine wesentliche W a n d l u n g , eine Ausbildung immer neuer K r ä f t e war d a m i t ausgeschlossen. Das Christentum k o n n t e nicht den H a u p t n a c h d r u c k auf das Moralische legen und hier den Menschen d u r c h a u s unzulänglich, übernatürlicher Hilfe höchst bed ü r f t i g finden, ohne die Erweckung moralischer Gesinnung und zugleich das Empfänglichwerden f ü r jene Hilfe der Erziehung zum Hauptziel zu machen. Die Neuzeit mit ihrem Glauben an die menschliche K r a f t und ihre Steigerungsfähigkeit m u ß t e die volle E n t wicklung der K r a f t zum Ziel der Ziele machen, das Vermögen der Erziêhung schien d a m i t ins Grenzenlose zu wachsen bis zum Wort des H e l v e t i u s : „Die Erziehung k a n n alles" (l'éducation peut t o u t ) . Der N e u h u m a n i s m u s milderte das mit seinem Verlangen nach einet harmonischen Ausbildung, er kehrte auch insofern zum A l t e r t u m zurück, als er jeden Einzelnen mit einer festen N a t u r ausgerüstet dachte, aber diese N a t u r galt ihm nicht als fertig gegeben, sondern als ein hohes Ideal, jeder Mensch t r u g nach S c h i l l e r s Ausdruck einen „idealischen M e n s c h e n " in sieh; so ein gewisser Ausgleich zwischen Altem und Neuem.
Das
Qesamtziel
329
und S c h o p e n h a u e r vorwiegend auf Ordnung drangen und daher unbedingte Anhänger einer absoluten Regierung waren; wird umgekehrt n i c h t zu sagen sein, d a ß jeder ausgesprochene Liberalismus, jeder Glaube an das Vermögen der Freiheit einen gewissen Optimismus voraussetzt, der flach wird, wenn er den Menschen wie er ist glorifiziert? Jedenfalls wird es den politischen Fragen nicht schaden, wenn sie etwas weniger aus jeweiliger Stimmung, etwas mehr in großen Zusammenhängen behandelt w ü r d e n .
3. Bildungsfragen. a. Das Gesamtziel. Die Geschichte des Bildungswesens zeigt, d a ß die Hauptepochen eigentümliche Erziehungsideale besaßen, ein solches ergab sich ihnen sowohl aus der F a s s u n g - d e s dem Menschenleben gesteckten Zieles als aus der Beurteilung seiner Beschaffenheit in der E r f a h r u n g . So fand das klassische Altertum die Aufgabe darin, die im Menschen mit festen Zügen angelegte N a t u r deutlich herauszubilden, in volle Wirklichkeit zu verwandeln, was die N a t u r schon vorgezeichnet h a t t e , zu „werden, was man i s t " ( P i n d a r ) . Eine Steigerung ins Unbegrenzte, eine wesentliche W a n d l u n g , eine Ausbildung immer neuer K r ä f t e war d a m i t ausgeschlossen. Das Christentum k o n n t e nicht den H a u p t n a c h d r u c k auf das Moralische legen und hier den Menschen d u r c h a u s unzulänglich, übernatürlicher Hilfe höchst bed ü r f t i g finden, ohne die Erweckung moralischer Gesinnung und zugleich das Empfänglichwerden f ü r jene Hilfe der Erziehung zum Hauptziel zu machen. Die Neuzeit mit ihrem Glauben an die menschliche K r a f t und ihre Steigerungsfähigkeit m u ß t e die volle E n t wicklung der K r a f t zum Ziel der Ziele machen, das Vermögen der Erziêhung schien d a m i t ins Grenzenlose zu wachsen bis zum Wort des H e l v e t i u s : „Die Erziehung k a n n alles" (l'éducation peut t o u t ) . Der N e u h u m a n i s m u s milderte das mit seinem Verlangen nach einet harmonischen Ausbildung, er kehrte auch insofern zum A l t e r t u m zurück, als er jeden Einzelnen mit einer festen N a t u r ausgerüstet dachte, aber diese N a t u r galt ihm nicht als fertig gegeben, sondern als ein hohes Ideal, jeder Mensch t r u g nach S c h i l l e r s Ausdruck einen „idealischen M e n s c h e n " in sieh; so ein gewisser Ausgleich zwischen Altem und Neuem.
330
Einzelne
Hauptgebiete
W a s a b e r h a b e n wir j e t z t ? Lebensideals
entspricht
Dem Mangel eines selbständigen
der eines s e l b s t ä n d i g e n
Bildungsideals,
so
r a f f e n wir aus den v e r s c h i e d e n e n Zeiten z u s a m m e n , wir stehen hier u n t e r d e m E i n f l u ß der A u f k l ä r u n g , d o r t u n t e r d e m des H u m a n i s m u s , wie schon die A u s d r ü c k e B i l d u n g , K u l t u r , E n t w i c k l u n g zeigen, d a n n wieder u n t e r m o d e r n e n S t r ö m u n g e n bald sozialer bald n a t u r a l i s t i s c h e r Art.
Kein W u n d e r ,
d a ß der
massenhaft zuströmende
wehrlos f i n d e t , u n d d a ß u n s d a s Bildungswesen droht.
Stoff
uns
auseinanderzufallen
So ist eine d r i n g e n d e A u f g a b e der G e g e n w a r t eine Philosophie
der E r z i e h u n g , u n d wir m ö c h t e n m e i n e n , d a ß einer solchen die Philosophie des Geisteslebens wertvolle Dienste leisten k a n n . stellt im Beisichselbstsein b i l d u n g einer s e l b s t ä n d i g e n
D e n n sie
des Lebens, in der F o r d e r u n g der Lebensenergie
ein allumfassendes
AusZiel,
sie t u t d a s a b e r n i c h t ohne einen weiten A b s t a n d , j a einen Gegens a t z des v o r h a n d e n e n Menschen zu i h m zu e r k e n n e n u n d d a m i t eine g r ü n d l i c h e U m w ä l z u n g zu f o r d e r n , d a m i t allen S y s t e m e n bloßer E n t w i c k l u n g e n t s c h i e d e n zu w i d e r s p r e c h e n . E l e m e n t eine h e r r s c h e n d e
D a m i t w i r d d a s ethische
Stellung e r l a n g e n , d a s
a b e r n i c h t , ohne
wesentlich w e i t e r g e f a ß t zu w e r d e n , als in der ü b e r l i e f e r t e n G e s t a l t , die viel zu einseitig die Moral auf d a s V e r h ä l t n i s v o n Persönlichkeit zu P e r s ö n l i c h k e i t e i n s c h r ä n k t u n d leicht d a s R e g u l a t i v e in i h r - d a s Produktive zurückdrängen läßt.
Doch d a s sei hier n i c h t weiter ver-
folgt, hier soltte n u r eine n o t w e n d i g e A u f g a b e bezeichnet u n d ein schwerer Mangel der G e g e n w a r t offen a u s g e s p r o c h e n
werden.
b. Volksschule und Gelehrtenschule. Der A u f s t i e g der Begabten. Die Volksschule k o n n t e n i c h t teilung e l e m e n t a r e r
Kenntnisse
a u s einer E i n r i c h t u n g zur
zu einer Bildungs- u n d
Mit-
Menschen-
schule w a c h s e n , sie k o n n t e sich d a d u r c h n i c h t i m m e r m e h r der Gelehrtenschule n ä h e r n , o h n e d a ß d a s V e r h ä l t n i s beider m a n c h e bleme
erweckte
und
viel
Erörterung
hervorrief.
Die
Frage
Proder
Einheitsschule b e w e g t a u f s s t ä r k s t e die Zeit, u n d eng v e r b i n d e t sich d a m i t d a s Verlangen n a c h einem „ A u f s t i e g der B e g a b t e n " .
Auch
an dieser Stelle a b e r gilt es wie an so m a n c h e n a n d e r e n , n i c h t einen w o h l b e g r ü n d e t e n , ja u n a b w e i s b a r e n G e d a n k e n in eine zu enge B a h n zu Jeiten u n d d a d u r c h
Angriffen auszusetzen.
Die H a u p t f r a g e ist
hier z u n ä c h s t , o b ü b e r h a u p t die beiden A r t e n von Schulen w e s e n t -
Volksschule und G e l e h r t e n s c h u l e lieh v e r s c h i e d e n s i n d , oder ob sie
S t u f e n ein u n d
wegung bilden oder doch bilden sollten. entscheiden.
331 derselben
Be-
W i r müssen u n s f ü r jenes
Denn so g e w i ß ein u n d dasselbe Ziel der Menschen-
b i l d u n g beide Schulen d u r c h d r i n g e n u n d innerlich v e r b i n d e n
muß,
die w i r t s c h a f t l i c h e N o t w e n d i g k e i t , die B e g r e n z t h e i t der Mittel, m a c h t es u n m ö g l i c h , dies Ziel auf einem einzigen Wege zu e r s t r e b e n allen
Gliedern
des Volkes
eine
Scheidung
nach
dieselbe
dem
Bildung
Gesichtspunkt
zuzuführen;
und
so
unabweisbar,
wird
daß
ein
kleinerer Teil möglichst in die G e s a m t b e w e g u n g der Menschheit eing e f ü h r t wird u n d auch die G e g e n w a r t von der
weltgeschichtlichen
E n t w i c k l u n g a u s v e r s t e h t , d a ß dagegen der g r ö ß e r e Teil sich
mit
einem kleineren A u s s c h n i t t b e g n ü g e n m u ß und die P r o b l e m e d i r e k t e r vom
Standort
der
Gegenwart
a u f n i m m t , was
ja
keineswegs
ein
bloßer N a c h t e i l ist. Solche Lage r u f t aber begreiflicher-, j a n o t w e n d i g e r weise den W u n s c h h e r v o r , es möge den K i n d e r n
minderbemittelter
Kreise, die eine besondere B e g a b u n g f ü r jene a n d e r e A r t der B i l d u n g zeigen, die T e i l n a h m e d a r a n in j e d e r Weise erleichtert w e r d e n .
Wie
sehr d a s n e b e n allgemeinen E r w ä g u n g e n die d u r c h den Krieg herbeig e f ü h r t e Lage e m p f i e h l t , d a s bedarf u m so weniger einer E r ö r t e r u n g , als die F o r d e r u n g , so g e f a ß t , n i r g e n d s auf W i d e r s p r u c h s t ö ß t .
Wohl
a b e r e r z e u g t die n ä h e r e A u s f ü h r u n g m a n c h e Verwicklung u n d Frage. Sollen, u m
den
Ü b e r g a n g zu erleichtern, die h ö h e r e n
Schulen
e i n g e r i c h t e t w e r d e n , d a ß sie sich möglichst eng an die a n s c h l i e ß e n , wie eine W e i t e r f ü h r u n g ihrer erscheinen; sonderen die a l t e n fächer werden ?
S p r a c h e n e r s t in s p ä t e r e n
sollen im be-
Jahren
Unterrichts-
W i r sagen nein u n d a b e r m a l s n e i n ! W e n n die alten
S p r a c h e n als A u s d r u c k der a n t i k e n besitzen,
so
Volksschule
so m ü s s e n
sie f r ü h
K u l t u r ü b e r h a u p t einen
begonnen
werden,
damit
Wert
die
Seele
des K i n d e s sich in die alte W e l t einlebe und in ihr heimisch m a c h e ; wird
dies
nicht
erreicht,
wird
nicht
ein inneres
Verhältnis
w o n n e n , so l o h n t die Sache n i c h t die a u f g e w a n d t e Mühe.
ge-
Dabei
e r h e b t sich a n dieser Stelle auch eine prinzipielle Frage, welche die Philosophie u n d im besonderen eine Philosophie des eng b e r ü h r t .
Geisteslebens
Ist als H a u p t s a c h e zu e r a c h t e n , d a ß i n n e r h a l b eines
Volkes ein h o h e r
Stand
geistigen
Lebens ü b e r h a u p t
h a l t e n w e r d e , d a ß möglichst viel ursprüngliches
aufrecht
S c h a f f e n in
geFluß
g e r a t e , o d e r m u ß d a s M a ß der B i l d u n g die F a s s u n g s k r a f t des D u r c h s c h n i t t s sein, ist die wichtigste Frage, d e n U n t e r r i c h t so zu g e s t a l t e n , d a ß möglichst viele ihn genießen k ö n n e n ?
Es ist wohl n i e m a n d , d e r
332
Einzelne
Hauptgebiete
n i c h t beides m i t e i n a n d e r v e r b i n d e n m ö c h t e , der n i c h t sowohl e r z e u g u n g als möglichste Verteilung d e r geistigen G ü t e r
Ur-
wünschte,
a b e r beides k a n n unmöglich gleichwertig n e b e n e i n a n d e r s t e h e n ,
eins
m u ß die H a u p t s a c h e sein, u n d hier m u ß eine Philosophie des Geistesl e b e n s der U r e r z e u g u n g Sorge u m zu
sehr
unbedingt
den Vorrang geben.
die A u s b r e i t u n g ist die U r e r z e u g u n g
zurückgetreten,
und
eine
Weiterverfolgung
b e d r o h t u n s m i t geistiger V e r a r m u n g .
Über
dieses
Weges
Bei allem, was wir a n
f o r m e n , an Verbesserung der M e t h o d e n usw. im Schulwesen n e h m e n , sollte
der
bei u n s schon viel Re-
unter-
uns diese G e f a h r g e g e n w ä r t i g sein, d a m i t wir n i c h t
im G a n z e n verlieren, w ä h r e n d wir in d e n Teilen g e w i n n e n . Das ist a b e r eine G e f a h r , die ü b e r d a s P r o b l e m der
Einheits-
s c h u l e weit h i n a u s r e i c h t . Dieses besondere P r o b l e m t r e i b t folgende E r wägung hervor.
Man will allen B e g a b t e n z u m A u f s t i e g v e r h e l f e n ; g u t
u n d s c h ö n ; a b e r ist es r i c h t i g , d a ß m a n diesen A u f s t i e g lediglich vomÜbergange in die G e l e h r t e n s c h u l e n e r w a r t e t ? K a n n m a n es wünschensw e r t f i n d e n , d a ß alle B e g a b t e r e n d e n B e r u f e n , f ü r welche die Volksschule zunächst vorbereitet, entzogen w e r d e n ?
Ist f e r n e r n i c h t eine Über-
f ü l l u n g der gelehrten ' B e r u f e , j a ein G e l e h r t e n p r o l e t a r i a t von solcher W e n d u n g zu e r w a r t e n ?
Ist die D e n k w e i s e , welche a n dieser Stelle
h e r v o r t r i t t , n i c h t auch ein A u s d r u c k d e r Ü b e r s c h ä t z u n g des Wissens u n d der G e l e h r s a m k e i t , a n d e r wir D e u t s c h e vor a n d e r e n
Völkern
k r a n k e n ? Besser als dieses H i n e i n t r e i b e n aller B e g a b t e n — d. h . aller f ü r b e g a b t E r k l ä r t e n , d e n n o b sie es wirklich sind, k a n n n i c h t d a s psychologische
Experiment,
sondern
nur
die
Erfahrung
und
das
Leben e n t s c h e i d e n —, in die g e l e h r t e n B e r u f e wäre es, die a n d e r e n Berufe von innen h e r a u s zu h e b e n u n d auch die Volksbildung n a c h dem usw.
Vorbilde d e r s k a n d i n a v i s c h e n auszugestalten,
damit
sich
Völker d u r c h auch
dort
Volkshochschulen
Höherbegabten
w ü r d i g e r P l a t z der B e t ä t i g u n g ihrer K r ä f t e e r ö f f n e . Gesamtstandes
von innen
d a s ist es, worauf
heraus,
wir b e s t e h e n
K r ä f t e in eine einzige B a h n .
Ehre und
Würde
m ü s s e n , n i c h t ein
Hebung jeder
ein des
Arbeit,
Hinleiten
der
Freilich m ü ß t e n wir u n s d a f ü r von
d e m t ö r i c h t e n G e l e h r t e n s t o l z befreien, der ü b e r uns noch i m m e r so viel Macht h a t ; unsere G r ö ß e n , ein L u t h e r , ein K a n t , ein G o e t h e , w a r e n völlig frei d a v o n , n u r eine M i t t e l h ö h e ist in i h m
befangen.
So greift a u c h hier d a s P r o b l e m in die letzte S c h ä t z u n g der W e r t e des Lebens z u r ü c k ; w e r ein Beisichselbstsein des Lebens will, der weiß, wohin seine R i c h t u n g g e h t .
D i e V e r z w e i g u n g des g e l e h r t e n S c h u l w e s e n s
333
c. Die Verzweigung des gelehrten Schulwesens. Die Dreiteilung des gelehrten Schulwesens h a t sich erst im 19. J a h r h u n d e r t herausgebildet, es war der unermeßliche. Zustrom neuen Stoffes und die Fülle neuer Aufgaben, welche die einfache Beibehaltung des altklassischen G y m n a s i u m s unmöglich zu machen schien u n d in W a h r h e i t unmöglich m a c h t . Haben wir uns aber wohl klar g e m a c h t , zu welchen Konsequenzen der d a m i t eingeschlagen« Weg f ü h r t ? Unvermeidlich ist zunächst eine Spaltung der nationalen Bildung. Die verschiedenen Unterrichtswege bilden nicht n u r verschiedene Vorstellungskreise, sie enthalten auch, wenn auch m e h r u n b e w u ß t als bewußt, verschiedene Wertschätzungen menschlicher Dinge, sie müssen die aufstrebenden Zweige der Nation immer weiter auseinanderführen. Das um so mehr, je mehr die Gegenwirkung einer gemeinsamen Welt- und Lebensanschauung f e h l t ; h e u t e aber fehlt eine solche zweifellos. Was aber eine wachsende Spaltung — wir befinden uns heute ja erst in den Anfängen — an bedenklichen Folgen haben würde, namentlich in den Gebieten, die eine Einsetzung des ganzen Menschen fordern, wie z. B. die K u n s t , das bedarf keiner näheren Ausführung. Wir halten uns verpflichtet, mit voller Offenheit auszusprechen, d a ß uns jene ganze Spaltung des höheren Unterrichts als ein Irrweg erscheint. Wie sich f r ü h e r auf der Höhe des deutschen Lebens das Verhältnis von Gelehrtenschule zur Universität a u s n a h m , sollte jene eine allgemeinmenschliche Bildung geben, die Universität aber zu einer Verzweigung der verschiedenen Fächer und Berufe f ü h r e n . Nun aber greift die Verzweigung in das Schulwesen selbst zurück, n u n wird möglichst f r ü h der Knabe und bald auch das Mädchen f ü r einen besonderen Beruf bezeichnet und dafür der Weg seiner Bildung a u s g e w ä h l t ; was aus dem Menschen als Menschen wird, das gilt als eine völlige Nebensache. Solchen Gefahren und Mißständen gegenüber ist ein im wesentlichen gemeinsamer Weg f ü r alle höhere Bildung zu fordern. Seine nähere Gestaltung würde unvermeidlich viel Streit e n t z ü n d e n , aber dieser m ü ß t e zugunsten des notwendigen Zieles t a p f e r durchgefochten werden. Die nächste Frage wäre dabei, ob die Geisteswissenschaften oder die Naturwissenschaften bei jener Bildung f ü h r e n , sollten; wir meinen, die Entscheidung kann nur zugunsten der ersteren fallen. Denn soviel uns die N a t u r sein k a n n , und soviel mehr sie uns gegen f r ü h e r geworden ist, sie spricht nie so
334
Einzelne
sehr zum
Ganzen der
Hauptgebiete
Seele, wie es die Bewegungen
des
Geistes-
lebens t u n , die zu u n s aus d e r weltgeschichtlichen A r b e i t s p r e c h e n . Das Nächste bleibt allezeit d e m M e n s c h e n doch d e r Mensch.
Denn
bei aller sinnlichen E i n d r i n g l i c h k e i t , m i t der die N a t u r uns u m f ä n g t , u n d bei allem W a c h s t u m der E i n b l i c k e , die wir in ihr Gefüge t u n , bleibt ihr inneres Geschehen u n d d a m i t ihr Sinn u n s i m m e r d a r vers c h l o s s e n ; was an D e u t u n g dessen v e r s u c h t w a r d , d a s geschah s t e t s vom
Geistesleben her,
d a s w a r nie eine M i t t e i l u n g bloßer
Natur.
D a h e r k a n n die B e s c h ä f t i g u n g m i t d e r N a t u r , bei allem was sie an Kräften entfalten, an Anregungen
bieten, an Förderungen
bringen
m a g , n i c h t d a s Ganze der Seele in d e m Maße weiterbilden, wie es das
Miterleben
geistiger
Bewegungen
und
Geschicke
vermag;
so
wird jene m e h r b e r u f e n sein, a n der Peripherie als im Z e n t r u m des Lebens zu w i r k e n . — D a n n a b e r m u ß bei einer g e m e i n s a m e n Schule ein h a r t e r K a m p f ü b e r das V e r h ä l t n i s der ä l t e r e n u n d der neueren B i l d u n g s e l e m e n t e e n t s t e h e n , es wird n a m e n t l i c h d a s A l t e r t u m seine Stellung neu zu verteidigen h a b e n .
A b e r d u r c h alle Schwierigkeiten
dieser K ä m p f e sollte sich doch ein W e g f i n d e n lassen, wenn n u r ein f e s t e s g e m e i n s a m e s Lebensziel die Menschheit m i t e i n a n d e r u n d sichere R i c h t l i n i e n g ä b e ; n u r d a s
verbände
Fehlen eines solchen
Zieles
e r g i b t u n v e r m e i d l i c h ein unsicheres S c h w a n k e n in d e r S c h ä t z u n g d e r Bildungsmittel, wo
eine
es l ä ß t
Entwicklung
bei bloßen aus
Kompromissen
überlegener
Einheit
stehen
bleiben,
erforderlich
wäre.
Soviel ist g e w i ß : von beiden Seiten w e r d e n E i n s c h r ä n k u n g e n
not-
wendig sein.
und
Man k a n n a u f s h ö c h s t e v o m A l t e r t u m d e n k e n
doch auf einer s c h ä r f e r e n P r ü f u n g dessen b e s t e h e n , was von s e i n e m B e s t ä n d e noch h e u t e der geistigen B i l d u n g u n e n t b e h r l i c h ist. d a r a n ist doch u n b e d i n g t f e s t z u h a l t e n ,
d a ß ein großes
wie d a s deutsche n i c h t s von d r a u ß e n e n t l e h n e n sollte,
was es a u s
eigenem Vermögen e b e n s o g u t oder besser a u f b r i n g e n k a n n . z. B.
unsere
heranwachsende
Jugend
nicht
durch
Denn
Kulturvolk Es d ü r f t e
Schriftsteller
zweiten Ranges, wie V i r g i l u n d L i v i u s , Zeit verlieren u n d gelangweilt w e r d e n , auch d ü r f t e ü b e r der Sorge u m den lateinischen n i c h t die u m den d e u t s c h e n z u r ü c k g e s t e l l t w e r d e n .
Stil
Aber a u c h auf
der a n d e r e n Seite h ä t t e eine s c h ä r f e r e P r ü f u n g dessen zu erfolgen, was zur Bildung geistigen Vermögens u n b e d i n g t n o t w e n d i g ist, u n d es wäre dabei aller E i n f l u ß f l ü c h t i g e r T a g e s s t r ö m u n g e n fernzuhalten.
entschieden
So f i n d e n wir z. B. — u n d wir wissen, d a ß viele ä h n -
lich d e n k e n — die F o r d e r u n g e n , welche h e u t e in der
Mathematik
Die P h i l o s o p h i e
335
an alle gestellt werden, zu hoch, so halten wir auch die E i n f ü h r u n g der Biologie als eines besonderen Unterrichtsfaches f ü r einen Mißgriff. Man sollte sich doch der Ansicht entwöhnen, d a ß alles, was an sich wissenswert ist, Gegenstand des Schulunterrichts sein m u ß . Dieser hat sich vielmehr auf das zu beschränken, was wesentliche Züge des Geistes weiterbildet, K r ä f t e erweckt und in Bewegung setzt, mehr aus dem Menschen zu machen v e r s p r i c h t ; wir Deutschen aber verfallen auch an dieser Stelle der Überschätzung des bloßen Wissens u n d vergessen das Wort des alten Denkers, d a ß Vielwissen den Geist nicht bildet. Es ist weniger der Überfluß des Stoffes als unser Mangel an innerer Konzentration, der uns d a r a n verhindert, die wesentlichen Elemente zu einem gemeinsamen Bildungsideal zu verbinden. Sollte die Rücksicht auf den späteren Beruf schon auf der Schule eine gewisse Vorbereitung nötig machen, so könnte dem eine gewisse Gabelung bei einzelnen Fächern auf der höchsten Stufe entgegenkommen; würde das nicht genügen, so h ä t t e n die Universitäten Vorbereitungskurse f ü r die einzelnen Fächer einzur i c h t e n ; u n b e d i n g t aber ist der Satz zu v e r f e c h t e n , d a ß der Schule Menschenbildung vor Berufsbildung stehen m u ß . Es ist dieser P u n k t n u r ein Stücjc, aber ein wichtiges Stück, des durchgehenden Kampfes, gegenüber einer sich immer weiter ins Technische verzweigenden K u l t u r ein Ganzes des Menschenwesens aufrechtzuhalten, die Erfolge der Arbeit nicht die Seele v e r k ü m m e r n zu lassen.
4. Die Philosophie. Der Philosophie fehlt es heute nicht an tüchtiger gelehrter Arbeit und auch nicht an Teilnahme weiterer Kreise, aber die Arbeit verbleibt zu sehr beim Technischen u n d Formalen, und jene Kreise werden d a m i t einer bloßen Popularphilosophie überlassen; auch hier wie an so vielen anderen Stellen d r o h t das Leben der Gegenwart auseinanderzufallen. Ein Blick auf frühere Zeiten zeigt die Philosophie, wo immer sie Eigentümliches schuf, in engem Zusammenh a n g e mit den Gesamtaufgaben, wenn nicht der Menschheit, so doch ihrer näheren Umgebung. So bringt die Gedankenwelt P i a t o s den Idealgehalt der griechischen Kultur zu vollendeter Gestaltung, so bildet A r i s t o t e l e s von jener K u l t u r aus eine durchgliederte Gedankenwelt, welche erziehend auf J a h r t a u s e n d e gewirkt h a t , so gab
Die P h i l o s o p h i e
335
an alle gestellt werden, zu hoch, so halten wir auch die E i n f ü h r u n g der Biologie als eines besonderen Unterrichtsfaches f ü r einen Mißgriff. Man sollte sich doch der Ansicht entwöhnen, d a ß alles, was an sich wissenswert ist, Gegenstand des Schulunterrichts sein m u ß . Dieser hat sich vielmehr auf das zu beschränken, was wesentliche Züge des Geistes weiterbildet, K r ä f t e erweckt und in Bewegung setzt, mehr aus dem Menschen zu machen v e r s p r i c h t ; wir Deutschen aber verfallen auch an dieser Stelle der Überschätzung des bloßen Wissens u n d vergessen das Wort des alten Denkers, d a ß Vielwissen den Geist nicht bildet. Es ist weniger der Überfluß des Stoffes als unser Mangel an innerer Konzentration, der uns d a r a n verhindert, die wesentlichen Elemente zu einem gemeinsamen Bildungsideal zu verbinden. Sollte die Rücksicht auf den späteren Beruf schon auf der Schule eine gewisse Vorbereitung nötig machen, so könnte dem eine gewisse Gabelung bei einzelnen Fächern auf der höchsten Stufe entgegenkommen; würde das nicht genügen, so h ä t t e n die Universitäten Vorbereitungskurse f ü r die einzelnen Fächer einzur i c h t e n ; u n b e d i n g t aber ist der Satz zu v e r f e c h t e n , d a ß der Schule Menschenbildung vor Berufsbildung stehen m u ß . Es ist dieser P u n k t n u r ein Stücjc, aber ein wichtiges Stück, des durchgehenden Kampfes, gegenüber einer sich immer weiter ins Technische verzweigenden K u l t u r ein Ganzes des Menschenwesens aufrechtzuhalten, die Erfolge der Arbeit nicht die Seele v e r k ü m m e r n zu lassen.
4. Die Philosophie. Der Philosophie fehlt es heute nicht an tüchtiger gelehrter Arbeit und auch nicht an Teilnahme weiterer Kreise, aber die Arbeit verbleibt zu sehr beim Technischen u n d Formalen, und jene Kreise werden d a m i t einer bloßen Popularphilosophie überlassen; auch hier wie an so vielen anderen Stellen d r o h t das Leben der Gegenwart auseinanderzufallen. Ein Blick auf frühere Zeiten zeigt die Philosophie, wo immer sie Eigentümliches schuf, in engem Zusammenh a n g e mit den Gesamtaufgaben, wenn nicht der Menschheit, so doch ihrer näheren Umgebung. So bringt die Gedankenwelt P i a t o s den Idealgehalt der griechischen Kultur zu vollendeter Gestaltung, so bildet A r i s t o t e l e s von jener K u l t u r aus eine durchgliederte Gedankenwelt, welche erziehend auf J a h r t a u s e n d e gewirkt h a t , so gab
336
Einzelne
Hauptgebiete
die Stoa in einer wirren und unbefriedigten Zeit dem Individuum einen festen Halt und ein würdiges Lebensziel in der eigenen Seele, so h a t der Neuplatonismus der m ä c h t i g vordringenden religiösen Bewegung den belebenden und vertiefenden Hintergrund einer großen Gedankenwelt gegeben. Und so ist ein Wirken der Philosophie f ü r das Ganze des Menschenlebens auch in ihrem weiteren Verlauf offensichtlich, ganz besonders in der Neuzeit. Was aber leistet heute die Philosophie f ü r das Ganze der Menschheit, wo fördert jene die Ziele, welche dieses b e w e g e n ? Man schreibe doch einen Preis aus f ü r die B e a n t w o r t u n g dieser F r a g e ; die sicherlich zahlreich einlaufenden Antworten würden zeigen, eine wie große Unsicherheit darüber w a l t e t . So finden wir auch hier ein unnormales Verhältnis, ohne d a ß dieses Unnormale von den meisten auch n u r e m p f u n d e n wird. Eine solche Lage ist gefährlich f ü r die Philosophie, indem sie diese immer mehr in eine bloße Schulwissenschaft verwandelt, sie ist ein Schaden aber auch f ü r die Menschheit, indem sie ihrem Streben alle z u s a m m e n h a l t e n d e n und vertiefenden Ideen fehlen läßt und es d a m i t leicht an die Oberfläche b a n n t . Diese Lage ist um so unerträglicher, als der Stand der Menschheit eben heute schwerste Probleme e n t h ä l t . Ältere Lebensformen sind im W a n k e n und halten sich n u r m ü h s a m noch a u f r e c h t , neue steigen auf, dringen mächtig vor, aber bedürfen noch vielfach der K l ä r u n g , unsere eigene Arbeit verfeindet sich unserer Seele u n d d r o h t sie zu erdrücken, mangels befestigender und erhöhender Ziele wird unsere K u l t u r m e h r und mehr zu einer bloßen Halb-, ja Scheinkultur. Nirgends ein beherrschender Mittelpunkt, nirgends ein sicherer H a l t . Und in diese chaotische Lage hinein k o m m t das stürmische Vordringen neuer Bevölkerungsklassen, die wenig geschichtliche E r f a h r u n g besitzen, vielmehr nach den Eindrücken, den Einfällen, den Forderungen des Tages das Leben zu gestalten geneigt sind. Gab es je im Lauf der Geschichte einen Z e i t p u n k t , wo das Leben der Menschheit sich in so schwerer Krise befand, wo es so sehr auf eigne T a t gewiesen war, es so sehr höchster geistiger A n s p a n n u n g b e d u r f t e , um den Aufgaben leidlich zu g e n ü g e n ? Und in einer solchen Lage sollte die Philosophie einen gleichgültigen Zuschauer bilden und in ihre Spezialfragen a u f g e h e n ! Kurz, es gilt wieder eine engere V e r b i n d u n g zwischen den Problemen der Menschheit und der Philosophie herzustellen; wir sehen aber nicht, wie das anders geschehen k a n n als vom Leben aus in dem Sinne, wie es unsere U n t e r s u c h u n g beherrscht; allein in seiner
Schluß
337
Herausarbeitung und Durchbildung, in der E n t w e r f u n g einer Gedankenwelt von ihm aus kann die Philosophie eine Aufgabe finden, die u n m i t t e l b a r auch der Menschheit f r o m m t . W a s das aber f ü r ihre eigene Gestaltung ergibt, das gehört in andere Zusammenhänge.
Schluß. Was wir in diesem Abschnitt brachten, war mehr eine Anzahl von Beispielen als eine systematische Gliederung. Aber diese Beweise schienen uns zur Begründung der Überzeugung auszureichen, d a ß die von uns entwickelte Gedankenwelt manche Beziehung zu den Problemen der Gegenwart h a t und ihre Behandlung zu fördern vermag. Es k o m m t dabei nicht darauf an, ob m a n in den einzelnen P u n k t e n mit uns zusammengeht, sondern allein darauf, d a ß die Notwendigkeit einer größeren Konzentration und Verstärkung des ganzen und inneren Menschen vollauf a n e r k a n n t wird. Unsere Zeit ist wahrlich n i c h t u n b e d e u t e n d , im besonderen nicht m a t t und träge, große Wandlungen sind bei ihr im Fluß, neue Ziele steigen auf. Aber das alles ist noch sehr ungeklärt und voll großer Gefahren, es bedarf höchster Anspannung, d a m i t die V e r n u n f t überlegen bleibe, und die zahllosen K r ä f t e , die sich regen, rechten Zielen zugeführt werden. Es läßt sich sehr viel aus der Gegenwart machen, aber es m a c h t sich nicht von selbst, schließlich k o m m t die Sache auf T a t und Freiheit zurück, und es liegt alles d a r a n , was wir im Ganzen unseres Wesens u n d Lebens in den großen Kampf einsetzen. Wir bezeichneten d a s Ganze unserer Untersuchung als einen Kampf um einen geistigen Lebensinhalt, ein solcher Kampf war das Leben zu allen Zeiten, aber es war das f r ü h e r mehr f ü r die Einzelnen, jetzt ist es mehr als je zu einem Kampf f ü r das Ganze der Menschheit geworden, mehr als je h a t sie sich einen Sinn und W e r t ihres Lebens erst zu erringen. Das stellt an uns alle nicht geringe F o r d e r u n g e n : notwendig ist die Aufbietung alles geistigen Vermögens, die Austreibung aller trägen Gleichgültigk e i t ; notwendig ist ferner volle W a h r h a f t i g k e i t , das heißt Handeln aus innerer und eigener Notwendigkeit, Handeln f ü r sich selbst, n i c h t in s t e t e m Ausschauen nach anderen, d a m i t wir die HalbE u c k e n , Kampf.
III. Aufl.
22
Schluß
337
Herausarbeitung und Durchbildung, in der E n t w e r f u n g einer Gedankenwelt von ihm aus kann die Philosophie eine Aufgabe finden, die u n m i t t e l b a r auch der Menschheit f r o m m t . W a s das aber f ü r ihre eigene Gestaltung ergibt, das gehört in andere Zusammenhänge.
Schluß. Was wir in diesem Abschnitt brachten, war mehr eine Anzahl von Beispielen als eine systematische Gliederung. Aber diese Beweise schienen uns zur Begründung der Überzeugung auszureichen, d a ß die von uns entwickelte Gedankenwelt manche Beziehung zu den Problemen der Gegenwart h a t und ihre Behandlung zu fördern vermag. Es k o m m t dabei nicht darauf an, ob m a n in den einzelnen P u n k t e n mit uns zusammengeht, sondern allein darauf, d a ß die Notwendigkeit einer größeren Konzentration und Verstärkung des ganzen und inneren Menschen vollauf a n e r k a n n t wird. Unsere Zeit ist wahrlich n i c h t u n b e d e u t e n d , im besonderen nicht m a t t und träge, große Wandlungen sind bei ihr im Fluß, neue Ziele steigen auf. Aber das alles ist noch sehr ungeklärt und voll großer Gefahren, es bedarf höchster Anspannung, d a m i t die V e r n u n f t überlegen bleibe, und die zahllosen K r ä f t e , die sich regen, rechten Zielen zugeführt werden. Es läßt sich sehr viel aus der Gegenwart machen, aber es m a c h t sich nicht von selbst, schließlich k o m m t die Sache auf T a t und Freiheit zurück, und es liegt alles d a r a n , was wir im Ganzen unseres Wesens u n d Lebens in den großen Kampf einsetzen. Wir bezeichneten d a s Ganze unserer Untersuchung als einen Kampf um einen geistigen Lebensinhalt, ein solcher Kampf war das Leben zu allen Zeiten, aber es war das f r ü h e r mehr f ü r die Einzelnen, jetzt ist es mehr als je zu einem Kampf f ü r das Ganze der Menschheit geworden, mehr als je h a t sie sich einen Sinn und W e r t ihres Lebens erst zu erringen. Das stellt an uns alle nicht geringe F o r d e r u n g e n : notwendig ist die Aufbietung alles geistigen Vermögens, die Austreibung aller trägen Gleichgültigk e i t ; notwendig ist ferner volle W a h r h a f t i g k e i t , das heißt Handeln aus innerer und eigener Notwendigkeit, Handeln f ü r sich selbst, n i c h t in s t e t e m Ausschauen nach anderen, d a m i t wir die HalbE u c k e n , Kampf.
III. Aufl.
22
33S und Scheinkultur überwinden, wendig und in engstem
die immer unerträglicher wird;
Zusammenhange
mit solcher
not-
Wahrhaftig-
keit ist volle Tapferkeit, ein ruhiges und festes Verfolgen
unseres
eigenen
großen
Herde keit, bei
Weges, gefällt
völlig oder
Tapferkeit sich
Schätzung trägt.
selbst
unbekümmert
ihr
einmütig
widerspricht.
darum, Wenn
zusammengehen,
einen Wert
zu
erlangen,
ob
das
der
Kraft,
Wahrhaftig-
so vermag der aller
überlegen ist und in sich selbst eine volle
das
Leben
menschlichen Befriedigung
Sachregister A l t e r t u m : 300, 334. Anthropomorphismus; seine Überwindung: 15ff. a p r i o r i ; warum notwendig: 65ff. A r b e i t; das Problem in ihr: 17ff.; — ihre weiterbildende K r a f t : 162ff. A r b e i t s k u l t u r : 295ff. A r i s t o k r a t i s c h e r Zug der mod e r n e n K u l t u r : 326. A u f k l ä r u n g : 297ff. Aufstieg der B e g a b t e n 330ff.
B i l d u n g s i d e a l e 329ff. B ö s e s : wachsende Vertiefung seiner Fassung: 82.
C h a r a k t e r d e s L e b e n s : 57ff. C h r i s t e n t u m : 299ff., 315ff.
D e m o k r a t i s c h e r Z u g d e r Gegenw a r t : 323ff. Durchbruchspunkte des Geis t e s J e b e n s : 158. D u r c h s c h n i t t s l e b e n ; seine Schranke: 34ff.
E h r g e i z ; als Hebel des Handelns: 169.
E i n h e i t u n d V i e l h e i t ; wie zu versöhnen: 31 ff.; — Notwendigkeit einer Einheit des Lebens 305. E i n h e i t s s c h u l e : 330ff. E n e r g i e ; eigentümliche Fassung: 85ff., 126ff. E r f a h r u n g ; ihre Bedeutung f ü r das Leben: 33. E w i g k e i t u n d Z e i t : 145ff. F o r m a l e L o g i k ; ihre Macht: 187. F r e i h e i t ; ihre Notwendigkeit f ü r das Geistesleben 50ff., 120ff., 246ff., 255ff. F r e i h e i t u n d O n a d e , ihr Verhältnis: 260ff. G e d a n k e n g r ö ß e n ; ihre Macht und ihr Wirken: 9ff., 24, 17. G e g e n w a r t ; Forderung einerechten Gegenwart: 153 ff. G e g e n w ä r t i g e Z e i t ; Schilderung: 293ff.; — verschiedene Strömungen in ihr: 300ff.; — Widersprüche in ihr: 302. G e i s t e s k u l t u r ; ihr Wesen und ihre Forderungen: 123ff. G e i s t e s l e b e n ; Forderung seiner Selbständigkeit: 25ff., 29ff.; — seine S t u f e n : 50ff. 22*
340
Sachregister
G e i s t e s w i s s e n s c h a f t e n ; ihre Bed e u t u n g f ü r die B i l d u n g : 3 3 3 f f . G e i s t i g e s G e s c h e h e n ; unterschieden v o m bloßseelischen: 83. G e i s t i g k e i t ; grundlegende, k ä m p fende, ü b e r w i n d e n d e : 229. G e l e h r t e n s c h u l e ; ihre A u f g a b e : 33Off.; — ihre Verzweigung: 333. G e r e c h t i g k e i t u n d L i e b e : 188ff. Geschichte; eigentümliche Ges t a l t u n g beim Geistesleben: 11; — als Boden einer neuen W i r k l i c h k e i t : 24, 119; — was sich in ihrem Verlauf v e r ä n d e r t : 46, 7 5 f f . , 144; — ihr R e c h t und ihr U n r e c h t : 143ff. ihr E r t r a g : 150; — ihre G e f a h r : 191 f f . ; — Stellung zu i h r : 3 1 0 f f . ; — Geschichte u n d Gesells c h a f t : 122ff., 2 9 0 f f . Geschichtliche Persönlichkeit e n ; ihre B e d e u t u n g : 3 4 f f . G e s c h i c h t l i c h e R e l i g i o n e n ; ihr Verhältnis zur P h i l o s o p h i e : 237. G e s e l l s c h a f t ; i h r e G e f a h r e n : 194 f f . ; — Notwendigkeit einer ethischreligiösen G e m e i n s c h a f t : 2 7 8 f f . G e s e l l s c h a f t u n d A l l ; ihr Kampf u m den M e n s c h e n : 70. G e w ö h n u n g ; ihre B e d e u t u n g f ü r den geistigen A u l s t i e g : 168. G l a u b e ; richtiger u n d falscher S i n n : 247. G l ü c k ; Unmöglichkeit eines Verzichtes auf G l ü c k : 69. Göttliches und Menschliches; ihr V e r h ä l t n i s : 2 6 5 f f .
Historisches Bewußtsein G e g e n w a r t : 304.
der
Idealisierung der Wirklichkeit; abgewiesen: 86. I d e a l i s m u s u n d R e a l i s m u s ; ihre V e r s ö h n u n g : 173ff. I d e e ; eigentümlicher S i n n : 8 5 f f . I d e e n i n d e r G e s c h i c h t e : 146ff.
I n d i v i d u a l i s i e r u n g ; als Mittel der Vergeistigung 163ff. I n d i v i d u u m ; seine Stellung u n d B e d e u t u n g : 121 ff., 128ff., 2 5 9 f i . I n t e l l e k t u a l i s m u s ; Befreiung von i h m : 138ff.
K a t h o l i z i s m u s ; seine G e f a h r u n d seine G r ö ß e : 3 1 4 f f . K o n k r e t h e i t ; wie zu v e r s t e h e n : 64. K u l t u r ; ihr B e g r i f f : 9 f f . , 123; — ihr Verhältnis zur M o r a l : 124.
L e b e n s g e b i e t e ; ihre Stellung im modernen L e b e n : 3 1 2 f f . L e b e n s p r o z e ß ; sein K e r n : 5 4 f f . L e b e n s s y s t e m e ; Möglichkeit v e r schiedener L e b e n s s y s t e m e : 9 2 ; — D a r s t e l l u n g des a n t i k e n S y s t e m s : 94; — des m o d e r n e n : 9 9 f f . ; — E n t w i c k l u n g des Systems der W e s e n s b i l d u n g : 106ff. L e i d e n ; seine B e d e u t u n g fiir d a s L e b e n : 160ff.
M e n s c h ; seine S c h ä t z u n g zu v e r schiedenen Z e i t e n : 321 ff.; — seine Stellung im S y s t e m der Wesensb i l d u n g : 5 2 f f „ 1 1 6 f f . ; — seine geistige S c h w ä c h e : 184ff.; — sein moralisches U n g e n i i g e n : 188ff.; — seine Stellöng zur K u l t u r : 308. M e n s c h e n l e b e n ; sein d r a m a t i s c h e r C h a r a k t e r : 120ff. M e n s c h h e i t u n d N a t i o n : 323ff. Mittelalterliches Lebenssys t e m ; seine W ü r d i g u n g : 71. M o d e r n ; seine h e u t i g e B e d e u t u n g : 294ff. M o n i s m u s u n d D u a l i s m u s : 19ff. M o r a l ; ihre E i g e n t ü m l i c h k e i t : 14; — ihr Verhältnis zur Religion: 278; — ihre S t e l l u n g im S y s t e m der W e s e n s b i l d u n g : 110. M y s t i k ( m o d e r n e ) : 315.
Sachregister N a t i o n , ihre Bedeutung und ihr Verhältnis zum Staate: 324ff. N a t u r ; ihr Verhältnis zum Geistesleben- 27 ff., 113ff.; — Gleichgültigkeit ihres Verlaufs gegen geistige Zwecke: 181 ff. N a t u r a l i s m u s ; seine Macht in d e r Gegenwart: 4ff.; — K r i t i k : 8ff. N a t u r w i s s e n s c h a f t e n ; ihre Bedeutung f ü r die Bildung: 333ff. N e g a t i o n ; ihre Bedeutung f ü r das Leben: 159ff. N e u h u m a n i s m u s : 296. N e u z e i t ; ihr gemeinsames Ideal: 229. N o o l o g i s c h e s V e r f a h r e n : 83, 228.
O p t i m i s m u s ; seine A r t e n : 208ff.
verschiedenen
Iii
R a u m u n d Z e i t ; ihre Überwindung durch die geistige Arbeit 11 ff. R e l i g i o n ; ihr selbständiges Hervort r e t e n : 2 3 3 f f . ; — ihr Verhältnis zur K u l t u r : 269; — ihr Wirken in der Gegenwart: 303ff.; — ihre Probleme in der Gegenwart: 313; — verschiedene Arten ihrer wissen schaftlichen Begründung: 317ff.; — ihr K e r n : 319. R e n a i s s a n c e : 298ff.
Sache und sachliche Wahrheit. 17. S c h i c k s a l ; seine Macht über den Menschen: 200ff.; — seine verschiedenen A r t e n : 204ff. S e l b s t v e r s t ä n d l i c h k e i t ; ihre Zerstörung durch die Geschichte: 46. S i n n d e s L e b e n s ; das P r o b l e m : 49. S i n n l i c h e s ; seine Macht über u n s : 20ff.; — Verhältnis von Sinnlichem und Unsinnlichem: 20ff. S o z i a l e L e b e n s g e s t a l t u n g : 321. S t a a t ; sein Verhältnis zur N a t i o n : 324ff.; — Forderungen f ü r seine innere Gestaltung: 325ff. S u b j e k t i v i s m u s ; Darstellung und Kritik: 294ff. S u m m i e r u n g der V e r n u n f t u n d d e r U n v e r n u n f t : 196.
Pantheismus; Wurdigung und K r i t i k : 117. P a r t e i b i l d u n g ; ihre Bedeutung: 164. Persönlichkeit und Personlichs e i n ; Bedeutung: 122, 223, 231, 234, 289, 291; — Kampf zwischen persönlicher und unpersönlicher Lebensgestaltung: 88ff ; Bedeutung der Persönlichkeit in der Geschichte: 234ff.; — persönlicher Faktor bei den Überzeugungen: 241 ff. P e s s i m i s m u s ; sein Recht und sein Unrecht: 2 1 9 f f . P h a n t a s i e ; ihre Bedeutung: 172. P h i l o s o p h i e ; ihr Verhältnis zur Religion: 237ff., 280ff.; — ihre gegenwärtige Lage: 335ff. P r o t e s t a n t i s m u s ; seine Gefahr und seine Größe: 314ff.
U n e n d l i c h k e i t als p o s i t i v e r Beg r i f f : 41. Unmittelbarkeit; geistige geschieden von sinnlicher: 72, 248.
Rationales und Verhältnis: 64.
V e r f a s s u n g s f o r m e n ; ihre heutige Überschätzung: 326ff.
Positives;
ihr
T a t w e l t ; im Gegensatz zum sein: 26.
Da-
342 (.Off.; — ihr V e r g a n g e n h e i t ; Bedeutung einer 1 W e s e n s b i l d u n g : i System: 106ff.; — ihr ethischer großen Vergangenheit: 167. Charakter: 110, 123ff. V o l k s s c h u l e : 330ff. W i d e r s p r ü c h e ; ihr aufrüttelndes V o l k s v e r t r e t u n g ; Wünsche daWirken: 159ff. f ü r : 327. W i r k l i c h k e i t ; wie zu verstehen: V o l l t ä t i g k e i t : 19, 43. 4 5 , 60. W a h r h e i t ; ihr Begriff: 112. W e l t g e s c h i c h t l i c h e A r b e i t : 23ff. W e r k ; Bedeutung der Wendung zu ihm: 44ff. W e r t e des L e b e n s : 68ff. W e s e n ; Bedeutung des Begriffes: 61.
Z e i t ; Schwierigkeit des Bildes e ner besonderen Zeit: 294ff. Z w e i f e l ; Auseinandersetzung mit ihm: 238ff.
VERLAG
VON
VEIT