Der Kampf um die Kanzeln: Erinnerungen und Dokumente aus der Hitlerzeit [Reprint 2020 ed.] 9783112313244, 9783112301975


185 14 12MB

German Pages 166 [188] Year 1957

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsübersicht
Erstes Kapitel. Im Vorfeld des Kampfes
Zweites Kapitel. Evangelische Kirche
Drittes Kapitel. Katholische Kirche
Viertes Kapitel. Atempause
Fünftes Kapitel. Dramatische Zuspitzung
Sechstes Kapitel. Konkordatsnöte
Siebentes Kapitel. Zwei Kirchen?
Achtes Kapitel. Letzte Versuche (Katholische Kirche)
Neuntes Kapitel. Immer toller!
Zehntes Kapitel. Versteifung
Elftes Kapitel. Staatsdilettantismus
Anhang 1
Anhang 2
Anhang 3
Namenverzeichnis
Recommend Papers

Der Kampf um die Kanzeln: Erinnerungen und Dokumente aus der Hitlerzeit [Reprint 2020 ed.]
 9783112313244, 9783112301975

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

CONRAD • DER KAMPF UM DIE KANZELN

WALTE R

C O N R A D

DER KAMPF UM DIE K A N Z E L N Erinnerungen und Dokumente aus der Hitlerzeit

ALFRED

TÖPELMANN 1957

- BERLIN

W35.

Printed in Germany • Satz und Druck Paul Funk, Berlin W 35

Vorwort „Ich kann nicht dulden, daß der liebe Gott gegen mich ausgespielt wird." Diese Worte Hitlers, gesprochen gegenüber zweien seiner ältesten Parteifreunde, fielen zeitlich zusammen mit einem der Siedepunkte des Kirchenkampfes. Die Erregung der Auseinandersetzung hatte diese Bekundung eines unvorstellbaren Größenwahns einem Manne entlockt, der sonst über die tiefsten Hintergründe seines Denkens und Handelns selbst gegenüber Weggenossen aus langer Vergangenheit sich in undurchsichtige Schleier zu hüllen pflegte. Und wie der Riß im Wolkenpanzer, der die Bergwelt umschließt, dem erschreckten Auge des Kletterers den Blick in den Abgrund freigibt, so zerbrach damals jener lapidare Satz in den Angesprochenen eine Kette von Illusionen, die immer noch zu halten suchten, wo längst nichts mehr zu halten war. Auch die rückschauende Betrachtung sollte einen solchen Ausspruch trotz seiner Einmaligkeit mit der ganzen Schwere begreifen, die er verdient: „Tugend oder Laster eines Menschen leuchten nicht immer aus den berühmtesten Taten hervor; vielmehr verraten eine unbedeutende Handlung, eine Rede oder ein Scherz den Charakter des Menschen oft deutlicher als blutige Schlachten", sagt Plutarch mit Recht in der Einleitung zu seiner Biographie Alexanders des Großen (zitiert nach der Übersetzung von Wilhelm Ax). „Auch kleine Schlüssel öffnen große Tore", heißt es im Türkischen. Noch ist die Zeit nicht reif, um eine grundlegende Geschichte des heroischen und letzten Endes doch erfolgreichen Widerstandes zu schreiben, den die christlichen Kirchen gegen den Totalitätsanspruch des Nationalsozialismus geleistet haben. Wesentliches an Dokumenten und Zeugnissen ist vernichtet oder zerstreut. Die Zahl derer, die aus der Restmasse mit der K r a f t untrüglicher Erinnerung ein echtes Gewebe historisch einwandfreier Zusammenhänge herstellen können, wird kleiner und kleiner. Gerade diese persönliche Aussage der unmittelbar Beteiligten hat aber in allem, was die Entwicklung während der Hitlerzeit betrifft, eine fundamentale Bedeutung, die weit über das hinausgeht, was sonst den Erkenntnisquellen dieser Art beigemessen zu werden pflegt. Insbesondere das staatliche Aktenmaterial ermöglichte früher dem forschenden Auge des Historikers Einblicke in eine Fülle vor Erwägungen und Begründungen, aus deren Hin und Her schließlich eine T a t geboren oder unterlassen wurde. Diese weite und wichtige Hintergründigkeit fehlt — von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen — für die Zeit von 1933 bis 1945, soweit es sich dabei um Auffassungen handelt, die nicht mit der Linie des Regimes übereinstimmten.

V

Nach einem bekannten "Wort von George Sand gleicht das Leben mehr einem Roman als umgekehrt ein Roman dem Leben ähnelt. Man kann zweifeln, ob dieses Wort für Zeiten gilt, wo ein träger Alltag mit müder Hand das Gestern dem Morgen hinüberreicht. Aber die Gleichung geht auf, wenn die Stürme des Lebens Menschen und Dinge durcheinanderschütteln und die Wirklichkeit, wenn sie nur echt und wahr gesehen wird, jene Grenzen überspringt, die dem Roman, der immer unvollkommen bleibenden Nachbildung des Lebens, nun einmal gesetzt sind. Noch fällt es Vielen schwer, den Blick leidenschaftslos auf die Entwicklung während der Hitlerzeit zu richten. Die Oberflächentechnik einer billigen Schwarz-Weiß-Malerei erschwert, j a versperrt den Weg zur Wahrheit. W o die Tatsachen in Dunkel gehüllt sind, hilft die Legende nach. Man zeigt das Haupt der Medusa, um Schrecken auszulösen. Wäre es nicht richtiger, das echte Menschenantlitz zu malen, um für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft die Wirklichkeitsnähe zu wahren? Macaulay hatte sich vorgenommen, die Geschichte seines Landes für einen Zeitraum von fast zweihundert Jahren zu schreiben. Er bewältigte mit seinem umfangreichen Werk nur ein Spanne von wenigen Jahrzehnten. Und doch hat er für die historische Kenntnis seines Volkes mehr geleistet als irgendein anderer Geschichtsschreiber. Nicht die Länge der erfaßten Zeitspanne begründet den Wert einer Darstellung, sondern die vertiefte Darstellung, die Erfüllung der Figuren mit echtem Leben aus Fleisch und Blut, der Beweis, daß die Gesetze von Ursache und Wirkung sich Geltung verschafft haben und wie dies geschehen konnte, ja geschehen mußte. Die T a t sache, daß ich in entscheidenden Jahren des Kirchenkampfes an zentraler Stelle beobachtend, nicht unwesentlich auch handelnd tätig werden konnte, schafft die Voraussetzungen, um Lücken zu schließen, die sonst wohl jedenfalls teilweise schwerlich auszufüllen wären. So kann Farbe gegeben werden, wo sonst wohl die Gefahr der Färbung in ein akutes Stadium treten würde. D a ß dabei der Zeitraum von 1933 bis 1935 den Löwenanteil erhält, betrachte ich nicht als Nachteil. Alles Wesentliche, was jene Entwicklung im weitesten Umfang interessant macht, ist bereits in den ersten drei Jahren nach der „Machtergreifung" mit voller Schärfe der Umrisse, mit absoluter Klarheit der inneren Trächtigkeit zu T a g e getreten. Um den Auslauf der Entwicklung bis 1945 deutlich werden zu lassen, habe ich in einem Schlußkapitel Anhaltspunkte gegeben. Eine über 1935 hinaus fortgesetzte Schilderung im Detail würde, fürchte ich, das Interesse des Lesers überfordern, das idi nicht für eine Kettenfolge von Ereignissen, sondern für wesentliche politische und menschlische Thematik wachhalten möchte. Kirchenkampf — eins der gewaltigsten Elemente im geschichtlichen Aufbau der abendländischen Welt — ein Begriff fast so alt wie das Christentum selbst — oft totgeglaubt, aber immer wieder und in immer neuen Formen

VI

neu erwacht. Es wäre unmöglich, das Problem, welchen Zeitabschnitt auch immer man vor Augen nimmt, ohne stärkste Inanspruchnahme politischer Erkenntnis und Beleuchtung zu betrachten. Es wäre aber auch ein hoffnungsloses Beginnen, aus dem Gesamtkomplex der politischen Entwicklung und Erfahrung jene Bestandteile herauszunehmen, die sich aus dem Zusammenprall der weltlichen und der geistlichen Macht ergeben haben. W e r tiefer sieht, wird unschwer finden, daß bei aller Verschiedenheit des zeitlich Gebundenen eine häufige Wiederkehr im Kernmaterial zu verzeichnen ist. Der Kampf um die Kanzeln in der Hitlerzeit war in erster Linie ein Politikum; er wird daher mit einem Schwergewicht vom Politischen her gesehen und verstanden werden müssen. Thukydides, der eigentliche Vater der pragmatischen Geschichtschreibung, wollte sein Werk für diejenigen brauchbar machen, die eine klare Vorstellung haben wollen von dem Vergangenen „und damit von dem, was sich nach dem Lauf menschlicher Dinge so oder ähnlich wieder einmal ereignen wird." Es ist ein Unterschied, ob ein Historiker auf der Suche nach Motiven und Zielen in den Begebenheiten in Gefahr gerät, zuviel aus seinen eigenen Anschauungen herzuleiten, — oder ob die sichtbaren und unsichtbaren Fäden, die man selbst einmal in Händen hatte, zur Entwirrung der Vergangenheit herangezogen und damit der Sicht in die Zukunft nutzbar gemacht werden. Macdiiavelli spricht in seinen Discorsi (Buch I I I Kap. 43) von dem Gesetz der ewigen Wiederkehr in der Weltgeschichte; er führt seine Geltung darauf zurück, daß die Leidenschaften der Menschen immer gleich bleiben und damit notwendigerweise auch die Auswirkungen, die sie hervorrufen. Und in dieser Einschränkung sollte die Frage eines lehrhaften Gewinnes aus der Geschichte stets zu denken geben. Es wird von der Echtheit und der Überzeugungskraft der Darstellung abhängen, ob sie mehr bedeutet als ein Herumblättern in den Annalen der Vergangenheit. Vergessen wir nicht: Allein der scharfe Gegensatz geschichtlicher Epochen gibt bereits einen starken psychologischen Auftrieb für eine Darstellung, die aus einer völlig veränderten politischen und geistigen Situation heraus die Geister einer eben erst überwundenen Vergangenheit beschwören will. Damit ist einerseits ein Freibrief für ein zwar meistens erfolgreiches, aber •völlig unkontrollierbares Spiel der Phantasie geschaffen, aber andererseits die Verpflichtung umso stärker geworden, im Dienste der Wahrheit, die den Einzelheiten auf die Spur geht, fest zu bleiben. Friedrich der Große hat einmal in schwieriger Lage (Juli 1760) erklärt: „Anfangs, als die Sorgen anfingen, verzweifelte ich; aber Leiden macht zum Philosophen, und das ist die beste Philosophie." Niemand, der die schweren Kirchenkämpfe besonders der Jahre 1933 bis 1935 miterlebt hat, wird die Eindringlichkeit der Sprache, die unübertreffliche Prägung der Gedanken vergessen, mit denen damals die kirchliche Selbstbehauptung zu einer weit

VII

über Zeitgebundenes hinausragenden Höhe emporgeführt wurde. Vieles ist seither verschüttet oder vergessen worden. Und doch besteht hier ein Interesse, überzeitlich Wertvolles, desssen Gestaltung nur in einer ungeheuren seelischen Drucklage aus einem großen Verantwortungsgefühl heraus gelingen konnte, der Nachwelt zu erhalten. Ich habe daher nicht nur in den Text der Darstellung vielfach wörtliche Zitate eingefügt, sondern auch häufiger, als es sonst geschehen würde, Dokumente mit ihrem vollständigen oder doch nur wenig gekürzten Inhalt als Zeugnisse verwendet, an denen der Leser meine eigenen Schilderungen kontrollieren möge. Ein besonderes Wort des Dankes schulde ich der Witwe des Ministerialdirektors Dr. Rudolf Buttmann, dessen ich auf Grund mehrjähriger intensiver Zusammenarbeit im Reidisministerium des Innern in herzlicher Verehrung gedenke. Frau Karoline Buttmann hatte mir auf Grund meiner ersten Veröffentlichung über den Kirdienkampf der Hitlerzeit (1947) in Gestalt der Handakten ihres verstorbenen Gatten ein überaus wertvolles Material zur Verfügung gestellt, das den Totalverlust meiner eigenen Dokumentensammlung mehr als ausgleicht. An Hand dieser Quellen habe ich vieles in meine Erinnerung zurückrufen können, was unter der Wucht des zwischzeitlichen Erlebens in den Hintergrund gerückt worden war. Ich glaube, im Namen der Leser zu sprechen, wenn ich besonderen Dank auch allen denen zum Ausdruck bringe, die mir durch Hergabe oder Mitwirkung bei der Beschaffung des Bildmaterials behilflich waren. Die Darstellung der Vergangenheit dürfte durch diese optische Bereicherung wesentlich an Plastik und Kraft gewonnen haben. Berlin-Nikolassee, im JJuni 1956

VIII

^ „„ , „ Dr. Walter Conrad

Inhaltsübersicht Seite

V—VIII

Vorwort E R S T E S

K A P I T E L

1—7

Im Vorfeld des Kampfes Ein vorgefaßter Plan Hitlers? 1 • D a s deutsche Volk war nicht vorbereitet für einen Kirchenkampf 1 • Notwendiger Rückblick auf die Entwicklung vor Kampfbeginn 1 Evangelische Kirche: „Entkirchlichung der Kirche" (Schweitzer) 2 • Notwendigkeit der K r i t i k (Althaus) 2 • Neubelebung der Theologie 2 • Gemeindeleben 3 Katholische K i r c h e : Festigung der äußeren Struktur 3 Stärkung des inneren Gefüges 3 • Katholisches Parteiwesen 3 Ausbau des Vereinswesen 4 V e r f a s s u n g s s c h u t z ? Zweifelhafter W e r t von Verfassungsbestimmungen 5 • Erste Versuche in der vorkonstitutionellen Zeit i • Belgien 5 • Weimar 5 Die

politische Front: Psychologische Auswirkung der Präsidialdiktatur (Art. 48) 6 • Die nationalsozialistischen Wahlsiege 6 • Korrespondierende Wahlerfolge der Kommunisten 6 Hetztempo der nationalsozialistischen Machtbefestigung 7 • „Tag von Potsdam" 7 Z W E I T E S

K A P I T E L

Evangelische Kirche

7—31

Keine Provozierung des Kampfes von kirchlicher Seite 7 • Es geht um den Besitz der Kirche selbst 8 • Politische Lage des Nationalsozialismus im ersten H a l b j a h r 8 • Propagandaministerium 8 • Herrschaft über Gut und Böse 8 • „Positives Christentum" und „Vorsehung" 9 • Vergottung des „Führers" 9 „Deutsche Christen": Aussprache mit Hosemann 10 Historische Wurzeln der „Glaubensbewegung" 10 Buntes Gemisch in der Zusammensetzung 10 • Zuzug der kirchlich E n t fremdeten 11 • Reichstagung im April 1933 11 • Parole: Reichskirche 11 „ S t a a t s k o m m i s s a r e " : Zwielichtigkeit der reichskirchlichen Parole 11 • Stellenhunger 12 • Notrufe an das Reichsministerium des Innern 12 • Personalverhältnisse im Ministerium 12 Vormarsch über die Landesregierungen 13 • Das preußische Kultusministerium 13 • August Jäger 14 • Einsetzung der „Staatskommissare" 14 • Keine Rechtsgrundlage I i • Verschiedene Beurteilung der Reichskirche im Innenministerium I i

IX

P l a n z u r Beseitigung der „ S t a a t s k o m m i s s a r e " 16 • Besprechung bei H i t l e r 16 • Z u s a m m e n a r b e i t mit dem E v . P r e ß v e r b a n d ( P r o f . H i n d e r e r ) 17 • Attacke auf den P r e ß v e r b a n d 17 Reichskirche: Verschiedene A u f f a s s u n g e n über die S t r u k t u r d e r Reichskirche 19 • Müller o p e r i e r t mit d e m „Willen des F ü h r e r s " 19 • Kirchen Verfassung v o m 11. 7. 33 19 • O r g a n e d e r Reichskirche 20 • Gesetzgebung 20 • Feierlicher A k t im Reichsministerium des I n n e r n 20 • M o l t k e 21 • Begleitschutz des Reichsgesetzes 21 • Berechnete K ü r z e des Reichsgesetzes (14. 7. 33) 21 • Ü b e r s t ü r z t e K i r d i e n w a h l e n 22 • H i t l e r s E i n greifen 22 • Politische Instinktlosigkeit der N i c h t w ä h l e r 22 Reichsbischof : C h a r a k t e r i s t i k M ü l l e r s 23 • Mein erstes Gespräch mit ihm 24 • Z i m m e r n a c h b a r im M i n i s t e r i u m 24 P a r t e i k a n d i d a t 24 • D . v o n Bodelschwingh 25 • Übereilte W a h l 25 • M ü l l e r - I n t e r v i e w 26 • D e r K a n d i d a t H i t l e r s n i m m t öffentlich Stellung 28 • Besetzung des Kirchenbundesamts 28 W a h l w i r r e n u m d e n Reichsbischof 29 • K o m ö d i e in W i t t e n berg 29 D R I T T E S

K A P I T E L

K a t h o l i s c h e Kirche

31—45

Vorteile der katholischen Lage 31 • I m Schatten d e r Z e n t r u m s politik 31 • Geistliche als P a r l a m e n t a r i e r 31 „Berichte r s t a t t e r " 32 • G e g e n s a t z zwischen K l e r u s u n d N S D A P v o r H i t l e r s R e g i e r u n g s a n t r i t t 32 R e i c h s k o n k o r d a t : Allgemeines ü b e r K o n k o r d a t s p o l i t i k 33 Konkordatsgeschichte in Deutschland 33 • Versuche u m ein R e i c h s k o n k o r d a t 34 • Kirchliches Interesse an einem Reichsk o n k o r d a t nach d e m 30. 1. 33 nicht v e r w u n d e r l i c h 34 • B e d e u t u n g eines Vertrages f ü r H i t l e r 34 • Überraschung im Reichsministerium des I n n e r n 35 • B u t t m a n n fliegt nach R o m 36 V e r h a n d l u n g e n im V a t i k a n 36 • L ä n d e r k o n k o r d a t e ? 36 • K o m p e t e n z - K o m p e t e n z 36 • H i r t e n b r i e f e 37 • Politische Klausel bei Bischofswahl 37 T r e u e i d d e r Bischöfe 37 • Ablösung d e r Staatsleistungen 38 Schulunterricht 38 • Kirchliche N o t t r a u u n g 39 • A r t . 31 (Schutz der katholischen V e r b ä n d e ) 39 Geistliche in politischen P a r t e i e n ? 40 • P a t e r D r . W i n z e n rechtf e r t i g t den Beschluß d e r Bischofskonferenz 40 • E i n gescheitertes C o m m u n i q u e 42 • H i t l e r s „ b e r u h i g e n d e " V e r f ü g u n g (9. 7. 33) 43 • „ A u s l e g u n g s g r u n d s ä t z e zu A r t . 31 des K o n k o r d a t s 44 • U n t e r z e i c h n u n g des Vertrages 45 VIERTES

K A P I T E L

Atempause E v a n g e l i s c h e K i r c h e : D e r Reichsbischof versucht sich zu etablieren 45 • A b b a u der politischen P a r t e i e n 46 • R ü c k w a n d e r u n g des Interesses auf die Landeskirchen 46 • Bildung des „ P f a r r e r n o t b u n d e s " 47 • E r n ü c h t e r u n g im deutsch-christlichen L a g e r 47

X

45—57

D i e k a t h o l i s c h e L a g e : Die „Freiheit des Bekenntnisses" 48 Mängel der Weimarer Verfassung 48 • Sicherheitsgefühl der Parteibonzen 49 • Eine Sitzung des Reichskabinetts 49 • Geheime Staatspolizei 50 • Wirkung der Gestapo-Berichte auf die Inhaber hoher Stellen 50 • Gleichschaltung der Presse 50 Aufruf des Erzbischofs von Bamberg 51 M o r g e n d ä m m e r u n g : Bildung der „Dritten Konfession" 52 „Glaubensbewegung Deutsche Volkskirche (Krause) 52 • „Kirchenbewegung Deutsche Christen" 53 • Annäherung der christlichen Konfessionen 53 • Gefahr der inneren Zermürbung 53 Keine Kampferfahrung auf evangelischer Seite 53 • Meiser, Wurm, Niemöller 54 • Reichsinnenministerium sagt offiziell Hilfe gegen Müller zu 54 -Nächtliche Zusammenkünfte 55 • Die Lage Anfang November 55 • Die Sportpalast-Versammlung 55 Kompromittierung hoher kirchlicher Stelleninhaber 56 • Scharfer Widerspruch 56 FÜNFTES

KAPITEL

Dramatische Zuspitzung 57—67 Die Zeit ist reif zur Offensive 57 Keine Reidhsleistungen für die Reichskirche 57 • Verbot sämtlicher kirchlicher Gruppen? 58 Frick will keine Hilfsstellung geben 58 • „Bischöfliche Gesinnung" (Sachsen) 58 • Trickkünstler Goebbels 59 • Erneutes Drängen auf Verbot aller Gruppen 59 • Frick setzt bei Hitler „strikte Neutralität" durch 59 • Lammers hilft mit 60 • Absagen für Amtseinführung Müllers 60 • Selbstauflösung der „Deutschen Christen"? 60 • Scharfes Rundschreiben des Reichsinnenministers 60 • Torpedierung der Kandidatur Jägers 61 Müllers Verdrehungskunst 61 • Der Chef der Gestapo holt sich Rat 61 • Völlige Pressesperre 62 • Keine Patenschaft des Ministeriums für Eingliederung der evangelischen Jugend 62 Müllers Selbsterkenntnis 62 • Sein Maulkorb- und BrotkorbGesetz 62 • Müller und Jäger verlangen Eingreifen der Gestapo 63 • Reichsbischöfliche Flunkerei 63 • „Endlich ein Keil zwischen Frick und Conrad" 63 • Ausrufung der Freikirche? 64 Beschwerde des Gauleiters Kube über midi 64 • Werden die Landesbischöfe weich? 64 • Dr. Werner überbringt Material 65 Frick und Buttmann bei Hitler 65 • Scharfes Rundschreiben an die Länder 65 • Herr von Steinrück vermittelt zu Hindenburg 65 • Uberfall auf Pfarrer Jacobi 65 • Der Gestapo-Chef wird ausfällig 65 • Unglückstag (25. 1. 34) 66 • Das unglückliche Telefongespräch 66 • Müller beutet seinen Sieg aus 67 Ich verliere das Referat für die evangelische Kirche 67

SECHSTES

KAPITEL

Konkordatsnöte Der Osservatore Romano nimmt Stellung 68 • Berliner Entgegnung 68 • Erziehung zur Vaterlandsliebe 68 • Bedingung oder Begründung (politisches Verbot für Kleriker) 69 • Be-

67—90

XI

deutet der Abschluß des Reichskonkordats eine Anerkennung der nationalsozialistischen „Richtung"? 69 • Wird das Konkordat ratifiziert werden? 69 • Göring verdirbt die Stimmung 69 • Der Kardinalstaatssekretär sucht zu vermitteln 70 Pacelli geht auf Urlaub 70 • Besprechungen in Rohrschach? 71 Reichsgesetz zum Konkordat 71 • Enttäuschte Hoffnungen für die Durchführung 72 • Sturmlaufen gegen Artikel 31 (Vereinschutz) 72 • Der Schatten der Vergangenheit 72 • „Tätigkeit außerhalb jeder politischen Partei" 73 Ein folgenschwerer Bericht der bayerischen Geheimen Staatspolizei (Himmler) 73 Beschleunigte Vorschläge des Reichsinnenministeriums 74 • Buttmann fährt erneut nach Rom (Oktober 1934) 74 • Memorandum des Kardinalstaatssekretärs 74 • Zu früh ratifiziert? 74 „Mit immer stärkerer Ungeduld" 75 • Der „bei der Vertragsunterzeichnung vorliegende und vertraglich geschützte Besitzstand" 75 • Schwierigkeiten bei Durchführung des italienischen Konkordates 75 Charakteristik Buttmanns 76 • Schwere Enttäuschung der Kurie 76 • Warum setzt sich der Diktator nicht durch? 77 • Buttmann weicht verbindlichen Erklärungen aus 77 • Bischofsbesuche in Rom 78 • Kaas in einer Doppelrolle? 78 • Die deutsche Seite versucht, von den „Auslegungsgrundsätzen" zu Art. 31 (Vereinsschutz) abzurücken 79 • Der „kleine Zettel" 79 • Buttmanns Gegenoffensive 80 • Scharfer Zusammenprall wegen der katholischen Verbände 80 • Erzbisdiof Groebers Argumentation 81 • Der Kardinal bittet den deutschen Botschafter zu sich 81 • Mystik um eine verpaßte Gelegenheit? 81 • Weiteres Abrücken von den „Auslegungsgrundsätzen" 82 • Die bayerische Pandorabüchse 82 • Kein Verständnis bei Himmler f ü r die Schutzliste 83 • Vorschau f ü r die „Volksabstimmung" am 12. November 83 • Die Stimmzettel 84 • Wahlaufruf der Bischöfe 84 • Hetze der Geheimen Staatspolizei 85 • Bayerische Sondertour 85 • Göring zerschlägt wiederum Porzellan 85 • Das „kleinere Übel" 86 • Wachsende Verstimmung im Vatikan 87 • Berliner Besorgnis wegen der Weihnachtsanspradie des Papstes 87 • Buttmann sucht in Rom zu beruhigen 87 Bringt die Beseitigung der Länder das Reichskonkordat zu Fall? 87 • Rechtsgrundsätzliches 88 • Berlin sdieint einzulenken 88 • Wieder eine Hitler-Hypothese 88 Bayern leugnet ab 89 • Belastende Vereinsführung? 89 • Neues Reidiskonkordat? 89

SIEBENTES

KAPITEL

Zwei Kirchen? Baisse-Stimmung 90 • Kapitulationserklärungen in Württemberg 91 • Mein Nachfolger: „Wer gegen Müller ist, ist gegen Hitler" 92 • Meiser holt auf 92 • Auch Marahrens distanziert sich 92 • Ist Müller am 25. 1. von Hitler wirklich gestützt worden? 92 • Tagung des Pfarrernotbundes in Barmen 93 • Drohungen Müllers im Sportpalast 93 • Meiser und Wurm warnen vor Schisma 94 • Beide erneut bei Hitler 94 • Hitler will „ehrlicher Makler" sein 94

XII

90—105

R ü c k k e h r z u r B r u t a l i t ä t : Jäger wird „Kirchenminister" 95 • Die Entfernung Werners ein erneuter Rechtsbruch 95 Skandal in Württemberg 96 • Komplott Müller — Reichsstatthalter Murr 96 • Wortmeldungen der Opposition werden nicht beachtet 97 • Jäger läßt die Maske fallen 97 • Protestkundgebung im Ulmer Münster 98 • Das Referat im Reichsinnenministerium wieder in andere Hände gelegt 98 • „Abteilung für den kulturellen Frieden" 98 • Erneuter Angriff auf den Evangelischen Preßverband 98 • Ein Schreiben des Außenministers an Frick schildert die Lage im Ausland 99 • Ausschlachtung ausländischer Pressestimmen durch Goebbels 100 • Erzwungene „Eingliederungen" in die Reidiskirche 101 • ReidisBekenntnissynode in Barmen 101 • Sechsmal Verdammung 101 Müllers Erfurter Konferenz — ein Fehlschlag 102 • GestapoMaßnahmen gegen Barmer Erklärung 102 • Müller demaskiert sich in Stettin 102 • „Tischgebet" der Hitlerjugend 103 • Wieder einmal Gauleiter Kube 103 • Verleumdung der von Erfurt Ferngebliebenen 103 • Gesetz zur Entfernung unbequemer Mitglieder aus der Nationalsynode 103 • Ostentativer Empfang Müllers bei Hitler 104 • Frick will öffentliche Auseinandersetzungen im Kirchenstreit verhindern 104 • Einseitige Anwendung dieses Erlasses gegen die Opposition 105

ACHTES

KAPITEL

Letzte Versuche (katholische Kirche)

105—117

Römische Verhandlungen im Februar 1934: Neue Sorgengebiete 105 • Der bayerische Kultusminister Sdiemm schafft Klarheit 106 • Diplomatische Vorbereitungen f ü r die neuen Verhandlungen 106 • Ein Weißbuch des Papstes? 106 „Flurbereinigung" im katholischen Vereinswesen? 107 • „Zu schnelles Vorgehen bei Konkordatsabschluß" 107 • Der „Mythos" auf dem Index 107 • Hintergründe, über die man nicht sprach 107 • Schiradis Brief an Papen wegen der Jugendverbände 108 • Schirach-Rede in Essen 109 • Skandalöse Vorgänge auf der Freusburg 109 Letzte Romreise: „Vergiftung der Atmosphäre"? 109 Pressefreiheit in Deutschland? 109 • Keine Einigung in der Vereinsfrage (Art. 31) 110 Abschließende Bemühungen des Reichsinnenm i n i s t e r i u m s : Mein Votum über die katholische Gesamtlage 110 • Ein scharfes Promemoria des Kardinalstaatssekretärs 114 • Rüge wegen ständig fehlender Vollmachten des deutschen Unterhändlers 114 Wo bleibt der „Führergedanke"? 114 • Verkappte Kommunisten 114 • Juni-Konferenz im Ministerium 115 • Die Parteivertreter werden zurechtgewiesen 116 • Ein Arrangement für eine etwa mögliche Einigung 116 • Der Vatikan sagt: Nein! 117 • Mordaktion des 30. Juni 117

XIII

NEUNTES

KAPITEL

Immer toller (evangelische Kirche)

117—125

Im Reichsministerium des Innern bekommt man kalte Füße 117 Säuberung der Nationalsynode 117 • Das „Geistliche Ministerium" wird ausschließlicher Gesetzgeber 118 • Treueid der Geistlichen auf Hitler 118 • Der Reichsbruderrat wehrt sich 119 Scharfe Verurteilung durch die Weltkonferenz für praktisches Christentum 119 • Die deutsche Delegation leugnet alles ab 119 Amtseinführung des Reichsbischofs im Berliner Dom 120 • Jäger wütet in Süddeutschland 120 • Wird dann ausgebootet 120 Tagung der Bekenntnissynode in Berlin-Dahlem 121 • Verkündung des kirchlichen Notrechts 121 • „Vorläufiges Kirchenregiment" 121 • Müller wiederum bei Hitler 122 • Reichsinnenministerium verbietet Kanzelabkündigung 122 • Hitler plant völlige Trennung von Staat und Kirche 123 • Fricks Nürnberger Rede 123 • Ein bedenklicher Aktenvermerk 124 Hitler summus episcopus? 124 • Redeblüten der „Deutschgläubigen" 124 Die preußischen „Finanzabteilungen" 125 Ein Reichsgesetz gegen die Autorität der Gerichte 125 ZEHNTES

KAPITEL

Versteifung (katholische Kirche)

126—132

Hirtenbrief der Fuldauer Bischofskonferenz (Juli 1934) 126 „Ihr habt gehört und gelesen" 126 • „Es ist nicht Politik" 127 Waren die 3 Bischöfe im Juni 1934 „bevollmächtigt"? 128 Nochmals Rückgriff auf „Zusicherungen" bei Konkordatsabschluß 128 • Acht klare Forderungen des Vatikans 129 • Ein erneuter Besuch Buttmanns in Rom „zunächst" abgelehnt 130 Nuntius Orsenigo und Bischof Berning im Innenministerium 130 • Zwei weitere Noten des Kardinalstaatssekretärs 131 Der Präsident der Reichspressekammer provoziert 131 Wiederum Bezugnahme auf „Feststellungen" im Juli und September 1933 131 und auf eine amtliche Erklärung der Reichsregierung (14. 3. 34) 132 • Direkter Angriff des Osservatore Romano auf die Reichsregierung 132 ELFTES

KAPITEL

Staatsdilettantismus E v a n g e l i s c h e K i r c h e : Der „Reichs- und Preußische Minister für die kirchlichen Angelegenheiten 133 • Frick nicht genügend parteihörig 133 • Kerrls Vorgeschichte 134 • Hoffnungen auf Herrn von Detten 134 • Letzte Kabinettsvorlage des Innenministeriums: Gesetz zur Entwirrung der Rechtslage 134 • Kerrl macht daraus etwas völlig Anderes 135 • Bildung eines Reichskirchenausschusses 135 Sein trügerischer „Aufruf" 136 • Seine Auflösung — reichsgesetzliche „Finanzabeilungen" — „freie Kirchenwahlen"? 136 • Bekenntnissynode in Oeynhausen 136 • Himmler will die „Bekennende Kirche"

XIV

133—139

lahmlegen 137 • Reichsbruderrat gegen Kirchenwahlen 137 Niemöller verhaftet 137 • Kerrl träumt von einer „Volkskirchlichen Arbeitsgemeinschaft" 137 • Denkschrift der bekenntnistreuen Kirchenführer ( J a n u a r 1939) 137

Seite

K a t h o l i s c h e K i r c h e : Heydrich (Gestapo) erläßt eine „Polizeiverordnung gegen die konfessionellen Jugendverbände" 137 Schirach enthüllt sein wahres Gesicht 138 • Die päpstliche Enzyklika „Mit brennender Sorge" 138 • Goebbels und Kerrl antworten mit Kleriker-Prozessen 138

Anhang 1

140

(Entwurf einer Vereinbarung betr. Ausführung von Art. 31 des Reichskonkordats)

Anhang 2

143

(Entwurf einer Vereinbarung zwischen Parteistellen und Episkopat)

Anhang 3 (Ubersicht über die Rechtsverwirrung kirchen nach Jägers Abgang)

Namenverzeichnis

144 in den einzelnen

Landes-

150

XV

TAFEL 1

TAFEL

2

Erzbischof Dr. Gröber (Freiburg)

Erstes

Kapitel

Im Vorfeld des Kampfes H a t Hitler den Kampf gegen die christlichen Kirchen, der die Zeit des nationalsozialistischen Regimes und insbesondere seine ersten Jahre mit soviel Bitterkeit und Enttäuschung erfüllte, nach einem vorgefaßten Plane geführt? War er die zentrale Befehlsstelle oder hat er Anderen Handlungsfreiheit gegeben, sich selbst aber mit der Rolle des Zustimmenden begnügt? Wie war es möglich, daß, wenn die zweite Alternative zutrifft, die Anderen imstande waren, die politische Hochstimmung der ersten Hitlerjahre an empfindlichster Stelle zu trüben und einen Brand zu entfachen, der die Kirchengeschichte, die Geschichte des deutschen Volkes um eins ihrer düstersten und zugleich, heroischsten Kapitel erweitert hat? War die persönliche Rolle Hitlers während der ganzen Kampfzeit die gleiche oder hat sie sich gewandelt — und wenn letzteres zutrifft: waren hier Gründe maßgebend, die, aus der Person Hitlers verstanden, irgendwie zwingend waren? Ob diese Fragen jemals mit eindeutiger Beweisführung beantwortet werden können, erscheint zweifelhaft. Die an den Eingang des Vorworts gestellten Worte Hitlers beweisen viel; aber sie sind zu einer Zeit gefallen, als die Reibungsflächen zwischen Nationalsozialismus und Kirchen sich bereits heißgelaufen hatten. Wer es miterlebt hat, wie die Leichtigkeit des politischen Erfolges den Wahnwitz der Hitlerschen Planung immer höher steigen ließ, wird mit der Rückbeziehung von Äußerungen vorsichtig sein, so beweiskräftig diese auch für die Zeit sein mögen, in der sie gefallen sind. Das Ringen im kirchlich-religiösem Raum, wie wir es im dritten Reich erlebt haben, wird für immer einen Ehrenplatz in der Geschichte des Christentums finden. Aber die Schilderung, die hier notwendig ist, muß auch auf die oben gestellten Fragen eingehen. Und insofern wird sie zu einem Krankheitsbilde der Diktatur. Der Kirchenkampf des Nationalsozialismus traf ein Volk, das nach den stürmischen Auseinandersetzungen in den Wahlschlachten von 1932 zwar auf Umwälzungen im politischen Bereich, aber nie und nimmer auf Zusammenstöße größten Ausmaßes im kirchlich-religiösen Raum gefaßt war. Es wäre indessen falsch, dieses Unvorbereitetsein zum Ausgangspunkt zu nehmen, wenn man die Entwicklung betrachtet, die nach dem 30. Januar 1933 zunächst langsam, dann aber immer brutaler zum Ablauf gebracht wurde. Vieles, was geschah, wird überhaupt erst verständlich, wenn man in einem kurzen Rückblick auf die kirchliche und religiöse Lage, die der Natio2

Conrad, Der Kampf um die Kanzeln

1

nalsozialismus vorfand, Ansatzpunkte zu ermitteln versucht, die dann zu Einfallstoren im Kirchenkampf geworden sind. Das kirchliche und religiöse Bild im ersten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts wird durch die Spuren gekennzeichnet, die das neunzehnte Jahrhundert gezogen hatte. Die von diesen Grundlagen her beeinflußte Entwicklung verlief dann für die evangelische und die katholische Kirche in so grundverschiedenen Bahnen, daß eigentlich schon von dieser Seite her die großen Unterschiede vorgezeichnet waren, die dann in den Kämpfen der Hitlerzeit zutage traten. Evangelische Kirche Es ist klar, daß die Darstellung, die hier sowohl wie im folgenden Abschnitt gegeben wird, nur eine Zeichnung in Umrissen sein kann. „Man muß schon von einem Prozeß der Selbstauflösung der Kirche sprechen, die nicht mehr wagt, Kirche zu sein, sondern epigonenhaft sich selbst für eine vergangene Größe hält. D i e s e E n t k i r c h l i c h u n g der K i r c h e , diese Säkularisation, ist aber die eigentliche N o t ; die Entkirchlichung der Welt ist nur die entsprechende Folge." So kennzeichnete Carl Schweitzer („Neuentdeckung der Kirche") die Lage im Jahre 1929. Und warnend bemerkt er: „Der römisch-katholischen Kirche gegenüber kommt die evangelische . . . in eine merkwürdige Lage: So sehr ihr Fernstehende empfehlen möchten, es jener an Glanz und sinnlichen Mitteln, an Machtentfaltung und an Massenwirkung gleichzutun — auf dieser Ebene darf und kann sie nicht mit jener konkurrieren, ohne sich untreu zu werden." „Aber gerade wenn die Kirche auf alle sichtbaren Machtmittel bewußt verzichtet, tritt das wahre Wesen der Kirche Christi an den T a g . . . " (K. Heim). An den Kern des evangelischen Kirchenproblems rührt auch die Forderung von Paul Althaus (im Anschluß an das Lutherwort „Immer dann war die Kirche im besten Stande, wenn sie sich zu den Allersündigsten hielt"): „Bis in die Tiefe muß die Buße dringen! Darum muß jede Kirche gegen sich selber protestantisch und „antikirchlich" sein und zu ihren Dogmen und Lebensformen stets in der Haltung der Kritik stehen, zu dem unbestritten und geschichtlich Notwendigen am meisten." Diese kraftvolle Entfaltung des Willens, die evangelische Kirche vom Innersten her neu zu gestalten, fand eine Parallele in dem Bestreben, die evangelische Theologie nicht zum wenigsten auf dieses Ziel neu auszurichten. Der Periode der historischen Theologie, die um 1900 ihre Blütezeit erlebte, folgte das Ringen um die „Kirchlichkeit der Theologie" (Althaus) als der Verkörperung des „Selbstbewußtseins der Theologie." Schon um 1930 waren auf diesem Gebiete Höhepunkte erreicht und damit wichtigste Voraussetzungen geschaffen, um starke dogmatische Pfeiler in den von Vielen ersehnten Neuaufbau der evangelischen Kirche einzufügen. 2

In diesem Zusammenhang, wo nur Wesentliches zum Ausdruck gebracht werden soll, bedarf auch das evangelische Gemeindeleben rühmender Erwähnung. Hier lag zu allen Zeiten eine Stärke des deutschen Protestantismus, die weder von dem Verblassen des Kirchenbegriffs noch von den Wandlungen der Theologie wesentlich berührt wurde. Hier waren auch die Wurzeln der Stärke zu suchen, die bei dem Aufeinanderprall der kirchlichen und politischen Kräfte im Hitlerreich den Ausgang des Ringens mitentscheidend beeinflußte. Katholische Kirche Die Lage auf katholischer Seite erhielt ihre Prägung durch vier wesentliche Momente, nämlich durch die Festigung der äußeren Struktur der Kirche, durch die Stärkung ihres inneren Gefüges, durch die Gewinnung einer sicheren Stütze im politischen Parteileben und durch den Ausbau des katholischen Vereinswesens. Indem der Papst im Jahre 1854 das Dogma von der unbefleckten Empfängnis der Jungfrau Maria durch ihre Mutter Anna ohne ein allgemeines Konzil verkündete, hatte er den entscheidenden Schritt zur Anerkennung der päpstlichen Unfehlbarkeit getan, die dann 1870 auf dem Vatikanischen Konzil zum Dogma erhoben wurde. Damit war ein wesentlicher Strukturwandel vollzogen, dessen Auswirkung nichts anderes als die Festigung des Kirchenbaus im Ganzen sein konnte. Der Kirchenreform auf höchster Ebene entsprach die Stärkung im Innern, wie sie insbesondere durch die zu Pfingsten 1917 verkündete und vom Pfmgsttag 1918 an in K r a f t gesetzte Kodifikation des katholischen Kirchenrechts, des Codex juris canonici, darstellte. Hier war die Zentralgewalt mit großer Folgerichtigkeit in den Mittelpunkt der kirchlichen Rechtsordnung im Ganzen gerückt — ein Markstein der Entwicklung, wie er seit 1317 nicht mehr erlebt worden war. Seit dem „Katholischen Verein" in der Frankfurter Nationalversammlung (1848) und der „Katholischen Fraktion" im preußischen Abgeordnetenhaus (1852) haben die Bestrebungen nicht aufgehört, eine katholisch orientierte Partei in das politische Leben einzuführen. Sie brachten im Winter 1870/71 die Konstituierung der Zentrumsfraktionen im Reichstag und preußischen Abgeordnetenhaus. Der konfessionelle Charakter der Partei wurde durch den Kulturkampf verstärkt, ihr innerer Zusammenschluß von diesen U r sachen her gefestigt. Durch die Reichstagswahl 1894 wurde das Zentrum stärkste Fraktion; es besaß bis 1933 die Schlüsselstellung für Mehrheitsbildungen. Wenn auch der katholische Charakter dieser Partei in der Theorie mehrfach in Abrede gestellt wurde, heißt es doch in der „Berliner Erklärung" der Partei von 1909 ausdrücklich: „Abgesehen von dem Programm, bietet die Tatsache der Zugehörigkeit fast aller ihrer Wähler und ihrer Ab2*

3

geordneten zur katholischen Kirche genügend Bürgschaft dafür, daß die Zentrumspartei die berechtigten Interessen der deutschen Katholiken auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens nachdrücklich vertreten wird." Ein hervorstechendes Merkmal des deutschen Katholizismus war der seit hundert Jahren mit äußerster Systematik betriebene Ausbau des katholischen Vereinswesens. Die Entwicklung begann 1848 mit der Gründung des Piusvereins zur Förderung und Verteidigung der Rechte der katholischen Kirche. Von ihm zweigten sich dann ab — um nur einige wenige zu nennen — die Vinzentius-, Bonifatius-, Männer-, Arbeiter-, Gesellen-, kaufmännischen Vereine, der „Augustinusverein" (1878) zur Pflege der katholischen Presse, ferner der „Volksverein für das katholische Deutschland", 1890 gegründet, um die Irrtümer und Umsturzbewegungen auf sozialem Gebiet zu bekämpfen und die christliche Ordnung der Gesellschaft zu verteidigen. Dann die Görresgesellschaft, 1876 zur Pflege der Wissenschaften im katholischen Sinne gegründet, und die „Windthorstbünde", seit 1895 ins Leben gerufen zur politischen Ausbildung der Jugend im Sinne des Zentrums. Mit besonderem Eifer widmete man sich der organisatorischen Erfassung der Jugend auf Betätigungsgebieten, die sonst ein interkonfessionelles Gepräge tragen. Man gründete katholische Sportvereine und nahm zunächst das witzelnde "Wort „katholische Bauchwellen" in Kauf, bis man bereits 1920 zum allgemeinen Erstaunen mit der beachtlichen Stärke von über 700 000 Mitgliedern aufwarten konnte. Auch die Wandervogel- und ähnliche Bewegungen mußten eine Abtrennung unter katholischem Kennwort hinnehmen („Quickborn"), ebenso die Schülergemeinschaft höherer Lehranstalten („Neudeutschland"). Katholische Studentenverbindungen und vieles andere ergänzen das Bild einer durchgreifenden Konfessionalisierung des gesamten Vereinswesen. Einen derart vielgestaltigen Ausbau gab es in keinem anderen Lande der Welt. Die kritischen Stimmen, die ihm gegenüber laut wurden, kamen nicht nur aus dem evangelischen Lager. Jedenfalls war vorauszusehen, daß hier ein Konfliktsstoff erster Ordnung vorhanden war, wenn einmal eine politische Richtung ans Ruder kommen sollte, die ihrerseits auf den Grundsatz organisierter Straffheit eingeschworen war. Verfassungsschutz? Als der Nationalsozialismus zur Macht kam, konnten die Religionsgesellschaften glauben, durch Verfassungsbestimmungen soweit geschützt zu sein, daß der auf politischem Gebiete teils erhoffte, teils befürchtete „Umbruch" jedenfalls an den Kirchentüren Halt machen würde. Die während der zwanziger Jahre energisch gehandhabte Reichsaufsicht hatte dafür gesorgt, daß der Rechtsschutz, der den Kirchen durch die Weimarer Verfassung zugedacht war, nicht von den mancherorts noch vorhandenen Reminiszenzen an die einstige Machtstellung des Staates überschattet wurde.

4

Es sollte sich indessen erweisen, daß selbst bestgemeinte Verfassungsbestimmungen in ihrem Wert stark herabgemindert werden, wenn die darin verwendeten staatsrechtlichen Grundbegriffe ihren Inhalt wechseln. Die Schwierigkeit, das kirchliche Freiheitsideal und das Staatsinteresse in einer gemeingültigen, niemals verschiebbaren "Weise gegeneinander abzugrenzen, hat nicht erst mit der Arbeit an den Verfassungen begonnen. Schon das preußische Allgemeine Landrecht von 1794 (II 11 § 1,2) fand die schöne Formulierung: „Die Begriffe der Einwohner des Staats von Gott und göttlichen Dingen, der Glaube und der innere Gottesdienst können kein Gegenstand von Zwangsgesetzen sein. Jedem Einwohner im Staat muß eine vollkommene Glaubens- und Gewissensfreiheit gestattet werden." Was indessen die Religionsgesellschaften mit anderen bürgerlichen Gesellschaften gemein haben, sollte nach preußischem Landrecht dem Zugriff des Staates offen liegen. Das klingt zwar einfach, enthält aber insofern ein labiles Element, als das „Gemeinsame" eben ein verschiedenes Gesicht haben kann, je nachdem es von kirchlicher oder von staatlicher Seite her betrachtet wird. Die belgische Verfassung (1831) sucht aus dem Dilemma durch die Formulierung herauszukommen, daß die Freiheit der Religionsübung dort eine Grenze finden soll, wo Delikte gelegentlich des Gebrauches dieser Freiheit begangen werden. Aber wer bestimmt, was ein Delikt ist? Natürlich der Staat! Die Weimarer Verfassung bekräftigt die „volle Glaubens- und Gewissensfreiheit" ebenso wie die „ungestörte Religionsübung" (Art. 135), fügt aber sogleich hinzu: „Die allgemeinen Staatsgesetze bleiben hiervon unberührt". Was heißt „allgemeines Staatsgesetz"? Welchen Inhalt haben diese Worte insbesondere dann, wenn der liberale und konservativ-klerikale Einfluß im Staatsleben schwindet und das totalitäre Dogma Geltung erlangt? Und in welchem Lichte erscheint dann Art. 136, wonach die staatsbürgerlichen Pflichten durch die Ausübung der Religionsfreiheit nicht beschränkt werden? Dieselbe Zwielichtigkeit begegnet dann wieder bei Art. 137 Abs. 3: „Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes . . . " Wieweit kann der Vorrang des allgemeinen Staatsgesetzes anerkannt werden, ohne das Recht der kirchlichen Autonomie, das offenbar geschützt werden sollte, zu verletzen? Soviel Fragen, soviel Zweifel. Die Erfahrung seit 1933 hat den Glauben an die Einfachheit der Problemstellung, die in Weimar noch zu finden war, erschüttert. Sie hat die Überzeugung, in einem Verfassungssystem der bisherigen Art geborgen zu sein, ins Wanken gebracht. Die politische Front „In einer Zeit schwerer wirtschaftlicher Krise und gefahrdrohender Unsicherheit hat der Reichstag versagt. Unfähig, aus sich selbst heraus zu 5

handeln, und außerstande, einer verantwortlich handelnden Regierung zu folgen, verfiel er der Auflösung." Diese lapidare Feststellung findet sich am Anfang des Wahlaufrufs, mit dem die Deutsche Zentrumspartei ihren Wahlkampf für die Reichstagswahl am 14. September 1930 einleitete. Aber die Räder der Regierungsgewalt standen nicht still. W o das Parlament versagte, handelte der Reichspräsident mit Hilfe des Artikels 48 der Reichsverfassung. Diese Notverordnungen hatten bereits zu Anfang 1925 die Zahl 135 erreicht; bis zur Jahreswende 1932/3 war es ein Vielfaches dieser Summe. Und die Resonanz im Volke? W a r es ein Wunder, daß die Meinung um sich griff: es geht auch ohne Reichstag? W a r ein ernster innerer Widerstand im Volke zu erwarten, als nach der „Machtergreifung" das System der Regierungsautonomie, das vorher wenigstens nach außen den Stempel des Ausnahmezustandes trug, zur formell sanktionierten Regel erhoben wurde? Nach der Gewöhnung im Großen war jedenfalls die Anwendung diktatorischer Methoden auch in den Gemeinschaftsgebilden aller Art psychologisch weitgehend vorbereitet. Es ist schwer, sich heute noch die suggestive Wirkung vorzustellen, die von den sensationellen Ziffern der nationalsozialistischen Wahlsiege ausgelöst wurde. In der Maiwahl des Jahres 1928 hatte die Partei rd. 810 000 Stimmen gezählt. Im September 1930 sprang sie auf 6,4 Millionen, am 31. 7. 1932 auf 13,7 Millionen, ging dann zwar am 6. 11. 1932 auf 11,7 Millionen zurück, erreichte aber am 5. 3. 1933 die Rekordzahl von 17,3 Millionen Wählern. D a ß bei der Märzwahl des Jahres 1933 bereits kräftig gemogelt worden war, wurde zwar von vielen gefühlt, schwächte aber kaum die Suggestion des Zahlenrausches, der allein schon genügte, um die Stellung der Partei praktisch unangreifbar zu machen. Hitler hat im Kampfe um die Festigung seiner Macht ausgiebig mit dem Argument gearbeitet, er habe eine lebensgefährdende Bedrohung des deutschen Volkes durch den Kommunismus abgewendet und könne daher auf Anerkennung und Dank Anspruch erheben. Rein äußerlich betrachtet, schien die Kurve der Wahlziffern seine Behauptung zu bestätigen. Die K P D hatte im Jahre 1928 rd. 3,2 Millionen Wähler auf ihrer Seite. Im September 1930 waren es 4,5 Millionen, im Juli 1932 rd. 5,3 Millionen, im November des gleichen Jahres rd. 6 Millionen. Aber man darf diese Zahlen nicht absolut bewerten. Nach einem alten Erfahrungsgesetz wirken die Bewegungen in den Extremen wie kommunizierende Röhren aufeinander ein. Im übrigen waren beide Flügelparteien Nutznießerinnen der ständig sich mehrenden Arbeitslosigkeit. Man sollte schließlich, wenn man die psychologische Lage im deutschen Volk in der Vorschau auf den Kirchenkampf des Nationalsozialismus betrachtet, sich recht gründlich der Tatsache bewußt werden, daß das mörderische Tempo, in dem die N S D A P seit dem 30. Januar 1933 ihre Macht befestigte, das öffentliche Interesse so stark in Anspruch nahm,

6

daß die Empfindungsfähigkeit für andere Dinge weitgehend geschwächt wurde. „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des deutschen Volkes" (4. 2. 33), „V. d. R. zur Herstellung geordneter Regierungsverhältnisse in Preußen" (6. 2. 33). „V. d. R. zum Schutze von Volk und Staat" (28. 2. 33), „V. d. R. gegen Verrat am deutschen Volke und hochverräterische Umtriebe" (28. 2. 33), „V. d. R. zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung" (21. 3. 33), „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich" (24. 3. 33) usw. usw. Und dazu die Begleitmusik der Parteipropaganda, die mit virtuoser Fangtechnik und souveräner Beherrschung der suggestiven Mittel in Presse und Rundfunk dafür sorgte, daß das gesamte Denken des Volkes über das, was man gemeinhin „offentliches Interesse" nennt, in die gewünschten Bahnen gelenkt wurde. Zu unguter Letzt hat die Tatsache, daß der am 5. 3. 1933 gewählte Reichstag seine Eröffnungssitzung am 21. März, dem „Tag von Potsdam", in der Garnisonkirche neben der Ruhestätte der beiden großen preußischen Könige hielt, nicht wenig dazu beigetragen, einen trügerischen Schein in die Zukunft zu werfen. Die Benutzung einer Kirche für eine politische Veranstaltung wurde von den meisten nicht als Schändung eines Kirchenraumes, sonders eher als Bekenntnis zur Kirche gewertet, verbunden mit einer Treuekundgebung für alles, was Tradition hieß. Die Wahl des Tagungsortes schien eindeutig in diesem Sinne zu sprechen.

Zweites

Kapitel

Evangelische Kirche Das farbenreichste Bild im Kirchenkampf der Hitlerzeit bieten die Auseinandersetzungen auf evangelischer Seite. Hier lagen äußere und innere Spannungen miteinander im Wettstreit. Was überhaupt an Gegensätzen möglich war, kam hier zum Ausbruch und Austrag. Umso bewundernswerter waren die Einsatzfreudigkeit, Nervenstärke und Ausdauer derjenigen, die auf diesem heißen Boden zu kämpfen hatten. Hatte die evangelische Kirche die gegen sie gerichtete Offensive des Nationalismus irgendwie provoziert, sei es durch ihr Verhalten während der sogenanten „Kampfzeit" der Hitlerpartei, sei es wegen irgendwelcher Gegensätzlichkeiten nach der „Machtergreifung"? Die Frage ist vorbehaltlos zu verneinen. Die Kirche trat erst dann zum Kampfe an, als sie auf ihrem ureigenstem Gebiet bedroht wurde. Da von beiden Seiten die Kern7

substanz in den Streit gezogen wurde, konnte es nicht ausbleiben, daß auch die kirchliche Haltung bisweilen offensiven Charakter tragen mußte. Die Frage, was in solcher Lage reine Defensive, was Offensive ist, kann aus den Verhältnissen heraus schwer beantwortet werden; sie ist auch für die Gesamtbeurteilung gleichgültig. Der Kampf des Nationalsozialismus nach der evangelischen Seite hin insofern etwas Besonderes, als es hier um die direkte Herrschaft über kirchlichen Organismus und damit um den Besitz der Kanzeln ging. mangelnde Geschlossenheit im evangelischen Bereich, die leider eine hervorstechendsten Schwächen im Vergleich zum Katholizismus war, hierbei einen für jede Machtgier natürlichen Anreiz.

hat den Die der bot

Die politische Lage des Nationalsozialismus besonders im ersten Halbjahr der Hitlerherrschaft war keineswegs so gefestigt, wie die äußerliche Staffage vortäuschen wollte. Gewiß: man konnte Parteien auflösen, Gewerkschaften entmachten und anderes mehr. Aber selbst das Grundgesetz der nationalsozialistischen Herrschaft, das mit verfassungsändernder Mehrheit beschlossene Gesetz vom 24. März 1933 („zur Behebung der N o t von Volk und Reich"), ließ noch eine gewisse Unsicherheit erkennen, die in Gegensatz stand zu den späteren Ansprüchen auf tausendjährigen Bestand. Das hier statuierte Recht der Reichsregierung, in voller Autonomie Reichsgesetze sogar mit verfassungsänderndem Charakter zu beschließen und (welche Rücksicht auf den verfassungsmäßig an sich zuständigen Reichspräsidenten!) durch den Reichskanzler ausfertigen und verkünden zu lassen, — diese staatsrechtliche Ungeheuerlichkeit sollte nach dem Gesetzestext mit dem 1. April 1937 ihr Ende finden, — aber auch dann, „wenn die gegenwärtige Reichsregierung durch eine andere abgelöst wird." Im späteren Verlauf der Hitlerherrschaft wäre eine derartige Rückversicherung undenkbar gewesen. Man brauchte also, um die eigene, in gewaltigen Wirbeln und Strudeln errungene Stellung zu festigen, neue Mittel, neue Instrumente der Propaganda. Die Schaffung eines besonderen Reichsministeriums „für Volksaufklärung und Propaganda" (13. 3. 1933) ließ die Bedürfnisse ebenso wie die neuen Wege erkennen, die nunmehr einzuschlagen waren. Was lag näher als der für normal veranlagte Menschen wahnwitzige, aber für Meisterspieler psychologischer Artistik keineswegs unmögliche Gedanke, das weitverzweigte, bis in letzte Verästelungen hinein wirkungskräftige Netz der evangelischen Kanzeln für die Werbung zu gewinnen? Ein weiteres Interesse war hier im Spiele. Die im dritten Reich begangenen Unmenschlichkeiten geben wohl die tiefsten Fäden des Verständnisses dafür, wie wichtig es sowohl für die Zentralfigur des Despotismus wie für alle die großen und kleinen Machthaber im Lande sein mußte, sich mit der äußeren Kommandogewalt in Staat und Volk zugleich die Herrschaft über die Be8

griffe Gut und Böse zu sichern, also das göttliche Gesetz in den Zwangsgriff menschlicher Gewalt hineinzuzerren. Noch zu allen Zeiten hat die Tyrannei in dem religiös geschärften Gewissen ihren gefährlichsten Feind gewittert, jenen Gegner, den sie weder durch das Tricksystem der Massenbeherrschung einzuschläfern noch durch die Lähmung aus Terrorfurcht mattzusetzen vermochte. Es gilt hier, alles in Einem zu sehen, die große Rundung des Ganzen zu erkennen. Hitler selbst war zu klug, um zu grundsätzlicher Leugnung des Gottesbegriffs überzugehen. Das hätte sich nicht mit Punkt 24 des nationalsozialistischen Parteiprogramms vertragen, wo erklärt wurde: „Die Partei a l s s o l c h e vertritt den Standpunkt eines positiven Christentums . . . " Es hätte auch zu viel Gegnerschaft im Volke herausgefordert — und vor allem: es hätte tiefe Gegensätzlichkeiten zu offenkundig gemacht. Aber Hitler verstand es, den Gottesbegriff zu dem nebelhaften Phantom der „Vorsehung" zu verflüchtigen und ihn dadurch völlig unverbindlich zu machen. Im übrigen war die Ersetzung der Christus-Gestalt durch die Person Hitlers ein Hauptstück in dem dogmatischen Umformungsprozeß, wie er von Parteiseite betrieben wurde. So verstieg sich der Gauleiter Kube einmal zu dem Mißbrauch eines Bibelwortes: „Adolf Hitler — gestern und heute — und derselbe auch in Ewigkeit". Der Ernährungsminister Darre bezeichnete es als Sinn des Erntedankfestes, „dem Führer für den Ertrag der Felder zu danken." Der Kirchenminister des Dritten Reiches, Kerrl, äußerte sich sogar dem Sinne nach etwa dahin, daß „der Führer — Gott gleichzusetzen" wäre. Das sind nur wenige Zeugnisse aus dem Munde der Parteiprominenz; sie wurden durch eine unübersehbare Fülle von Äußerungen und Taten aus der täglichen Praxis der Parteiagitation ergänzt. "Wer den Nationalsozialismus kennengelernt hat, weiß, wie sehr sein ganzes System auf Vergottung Hitlers ausgerichtet war. Hitler selbst hat einmal den Sinn seines Kirchenkampfes mit jenen Worten gekennzeichnet, die ich an den Anfang des Vorwortes gesetzt habe: er könne nicht dulden, daß der liebe Gott gegen ihn ausgespielt werde. Man erkennt hieraus, um was es letzten Endes ging: die Umfälschung des ersten der Zehn Gebote auf die Person Hitlers. Es war die religiös-dogmatische Vollendung des sogenannten Führerprinzips, die hier vollzogen wurde, und die verheißungsvollste Frucht des Führerkultes, wie er in den Jahren des Kampfes um die Macht mit immer deutlicher werdenden Merkmalen halluzinierten Narrentums betrieben worden war. Abseitsstehende haben die Exzesse der Glorifizierung als Abgeschmacktheiten erster Ordnung empfunden. Nur wenige dürften geahnt haben, daß die Musterstücke der Vergötzung wesentlich mehr bedeuteten als ekelhafte Lächerlichkeit. Ging das alles auf persönlichen Befehl oder Einfluß Hitlers zurück? O b ein positiver Beweis dieser Art jemals gelingen wird, kann dahingestellt bleiben. Auf jeden Fall wußte er von diesem Kult mit allen seinen Einzelheiten und — er duldete ihn.

9

Deutsche Christen Bereits in den ersten Monaten der neuen Ära war mir eine gewisse Häufung vertraulicher Anfragen von evangelisch-kirchlicher Seite aufgefallen, in denen immer wieder die Sorge zum Ausdruck kam, ob wohl der neue Staat sich in innerkirchliche Angelegenheiten einmischen würde. Da ich die Bearbeitung dieser Dinge im Reichsministerium des Innern einigermaßen fest in Händen hatte, konnte ich mit gutem Gewissen beruhigen und erklären, daß mir von derartigen Absichten nichts bekannt wäre. Schließlich aber bat midi der mir aus langjähriger dienstlicher Zusammenarbeit befreundete Direktor des Deutschen Evangelischen Kirchenbundesamtes D. Hosemann um eine eingehende Aussprache, die wir bei einem ausgedehnten Spaziergang in milder Frühlingsnacht erledigten. Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich zum ersten Male in breiter Ausführlichkeit von kirchlichen Sorgen, die sich — damals wenigstens — weniger auf etwaige Eingriffe des Staates als vielmehr auf den Machthunger jener Gruppe bezogen, die die Hitlerpartei seit Jahr und Tag im inneren Lager der Kirche aufgezogen hatte: der sogenannten „Glaubensbewegung Deutsche Christen". Es ist heute leicht, diese Gruppe en bloc in Acht und Bann zu tun. Kollektiv-Verurteilungen sind niemals von Nutzen; der Fanatismus, mit dem sie ausgesprochen werden, steht meist im umgekehrten Verhältnis zur Kenntnis der Tatsachen, die einer nüchternen Beurteilung zugrunde gelegt werden müssen. Die großen äußeren Erfolge, die den „Deutschen Christen" im ersten Ansturm des Jahres 1933 zufielen, lassen sich nicht nur mit dem Parteiterror erklären, der ihnen zu Hilfe kam. Eine Auflösung jener Gruppe in ihre historischen Wurzeln ergibt ein buntes Bild, dessen Farbenspiel allerdings schon gegen Ende des Jahre 1933 ein völlig anderes Aussehen zeigte als zu Beginn der neuen Ära. Man kann die „Deutschen Christen" kaum in einem Atemzuge mit den althergebrachten kirchlichen Gruppen der Orthodoxen und Liberalen nennen. Sie waren, als Hitler zur Macht kam, eine noch recht junge Erscheinung, wenn man ihren Namen und ihren Zusammenschluß zu einer nach außen abgegrenzten Einheit im Auge hat. Noch bei den Kirchenwahlen im Herbst und Winter 1932/3 vermochten sie keine entscheidenden Erfolge zu erzielen. Ihren vielleicht stärksten Zuwachs erhielten sie von der Seite des einstigen kirchlichen Liberalismus her. Es war die Kritik an der Starrheit im Kirchenwesen und an einer gewissen Engherzigkeit und Lebensfremdheit der kirchlichen Verkündigung, die viele in das Lager der „Deutschen Christen" trieb. Daneben hatten aber auch Männer mit bekannten Namen in ihren Reihen Platz, Vertreter jener theologischen Richtung, die im Gegensatz zu der historisch-kritischen Forschung der vorangegangenen Zeit wieder eine Hinwendung zum kirchlichen Dogma anzubahnen suchten und in dem Autoritätsglauben, wie ihn der National10

Sozialismus mit äußerster Folgerichtigkeit forderte, einen gewissen Anklang im Grundsätzlichen zu finden glaubten. Persönlichkeiten wie Asmussen, Fezer, Gogarten müssen in diesem Zusammenhang genannt werden. Der Nimbus der Verheißung, daß aus der „veralteten" Kirche etwas „völlig Neues" gemacht werden sollte, veranlaßte auch viele ehemalige, der Kirche längst entfremdete Marxisten, sich dieser Bewegung anzuschließen. Das überraschend starke Ansteigen der kirchlichen Trauungen und Kindtaufen besonders im ersten Halbjahr 1933 ist höchstwahrscheinlich von dieser Seite her zu erklären. Und schließlich darf nicht verkannt werden, daß starke psychologische Gründe der Parallelschwingung ins Spiel kamen, wenn — besonders in den ersten Monaten nach der „Machtergreifung" — die Flut der Parteieintritte von einem zahlenmäßig imponierenden Einströmen in die deutschchristliche Glaubensbewegung begleitet war. Die Reichstagung der Deutschen Christen am 3. und 4. April 1933, nur um Monatslänge von den triumphalen Reichstagswahlen Anfang März entfernt, stand ganz im Zeichen einer Gewißheit des Sieges und der Erfüllung hochgespannter Hoffnungen, die insbesondere auf das Stichwort eines besseren Verständnisses zwischen Kirche und Volk eingestellt waren. Wenn auch schon damals und kurz nach jener Reichstagung gewisse Risse im inneren Zusammenhalt der Bewegung sichtbar wurden, so standen doch die „Deutschen Christen" jedenfalls mit einer ihrer Hauptforderungen im Vordergrunde der Popularität, nämlich mit dem Verlangen, daß die Vielzahl der evangelischen Kirchen in Deutschland beseitigt und eine einheitliche Deutsche evangelische Kirche geschaffen werden sollte. Es war nicht zuletzt der Hinweis, daß auf diese Weise das Ansehen deutschen evangelischen Kirchentums gestärkt werden würde, der viele zum Einschwenken auf diese Linie veranlaßte. Staatskommissare Kaum war das Wort von der Reichskirche geboren, als auch schon der Mißbrauch einsetzte. Die Frage „Wer ist dafür?" wurde mit drohender Zuspitzung dahin erweitert: „Wer ist dagegen?". In dieser Zuspitzung lag ein gewisser Trick. Selbstverständlich war im Grunde genommen kaum jemand dagegen. Zweifelhaft konnte nur sein, welche Gestalt die Reichskirche im Ganzen und im Einzelnen haben sollte. Auch die „Deutschen Christen" vermochten hierauf keine präzise Antwort zu geben. Jedenfalls war eine günstige Gelegenheit geboten, in dem trüben Nebel von Zukunftshoffnungen, allgemein gehaltenen Forderungen und Zweifeln allerhand dunkle Geschäfte zu machen. Der Elan der Stellenumbesetzung auf staatlichem Gebiete, von der Partei mit dem Heißhunger skrupelloser Machtpolitik betrieben, reizte zur Nachahmung. Elemente, die weder kirchlich noch überhaupt religiös eingestellt 11

waren, drängten in der Kirche nach oben. Das Beispiel des staatlichen Bereichs machte Schule. Die Landsknechtsnaturen innerhalb der „Glaubensbewegung" kamen zum Vorschein; sie hofften, in der Kirche ein womöglich noch leichteres Spiel zu haben als im Staate. Ihre Versuche, sich in den Besitz der Kirche zu setzen, waren zunächst darauf abgestellt, durch mehr oder weniger nachdrückliches Zureden mit Hinweisen auf die „völlig veränderte politische Lage" die bis dahin amtierenden Inhaber hoher Kirchenämter zum Abtreten zu veranlassen. Die Betroffenen suchten zunächst bei ihren Landesregierungen Schutz. Das war nach dem geltenden Recht der gegebene Weg; denn die Kirchen waren Körperschaften des öffentlichen Rechts der Länder. Selbstverständlich hätte die Staatsaufsicht der Länder eingreifen müssen, da ja die Wahrung des Rechtsbestandes und der Schutz der kirchlichen Organe eine elementare Verpflichtung der mit Kultusangelegenheiten betrauten Staatsinstanzen war. Aber man fand taube Ohren. Die Kultusministerien der Länder waren — ich glaube: ausnahmslos — in den Händen parteihöriger Kreaturen, die mit den „Deutschen Christen" zum mindesten sympathisierten. Selbst wo in Einzelfällen eine bessere Einsicht vorhanden war, kam die in jener Zeit erschreckend verbreitete Mentalität zum Durchbruch, auf jeden Fall vor einem Menschentyp kapitulieren zu müssen, der bereits im staatlichen Bereich erfolgreiche Raubzüge auf alle mit Macht und Gewinn verbundenen Positionen durchführte und ein Schranke für seinen dynamischen Schwung im allgemeinen nur dort anerkannte, wo ein noch mächtigerer Parteibonze den Weg versperrte. In ihrer N o t wandten sich die von dem „deutschchristlichen" Ämtersturm Betroffenen an das Reichsministerium des Innern. Von dieser Seite her unternommene Versuche, im Wege der Reichsaufsicht die Länderinstanzen zum Einschreiten gegen offenbare Rechtsbrüche zu bewegen, schlugen fehl. So blieb denn nichts anderes übrig, als den psychologischen Gegendruck vom Reiche her zu verstärken. Ich erklärte den Herren mit aller Bestimmtheit, daß keinerlei Grund vorläge, dem Drängen der „Deutschen Christen" nachzugeben, und ermächtigte sie, von dieser Auffassung des zuständigen Reichsministeriums beliebig Gebrauch zu machen. Der Zustimmung des Ministers hatte ich mich vorher versichert. Daraufhin wechselte nun das Bild der Besuche im Reichsministerium des Innern insofern, als auch die Vertreter der „Deutschen Christen" immer häufiger in meinem Ministerium erschienen, um Stimmung für ihre Pläne zu machen. Aber man zeigte ihnen die kalte Schulter und sparte nicht mit drastischen Antworten, die das Ungeheuerliche der versuchten oder bereits vollendeten Rechtsbrüche handgreiflich vor Augen führten. Die Stimmung und die persönlichen Verhältnisse im Reichsministerium des Innern lagen günstig. Ich selbst hatte seit 1922 die Kirchenpolitik in Händen und war mit den einschlägigen Rechtsbeständen und Personalverhältnissen vertraut. 12

Mein damaliger Abteilungsleiter, Ministerialdirektor Gottheiner, ein ehemaliger deutschnationaler Reichstagsabgeordneter, stand völlig auf meiner Seite. Auch der damals noch nicht für die evangelische Seite zuständige Ministerialdirektor Dr. Buttmann gewährte mir jede Unterstützung. Er stand in parteipolitischer Hinsicht denkbar gefestigt da; gehörte er doch zu den ältesten Kampfgefährten Hitlers, hatte die Parteinummer vier und war in jeder Beziehung nicht nur für die Forderung nach Rechtswahrung, sondern auch für die Interessen kirchlicher Eigenständigkeit aufgeschlossen. Ich darf sagen, daß ich in meinem langen amtlichen Leben nicht gerade häufig einem Menschen mit einer derartigen Grundanständigkeit der Gesinnung begegnet bin. Der Einfluß, den wir drei — Gottheiner, Buttmann und ich — auf den Reichsinnenminister Dr. Frick auszuüben vermochten, war also völlig einheitlich. Übrigens hatte Frick — das muß zur Steuer der Wahrheit gesagt werden — auch von sich aus ein erfreulich klares und nüchternes Urteil über die Verhältnisse. Ich habe ihm gegenüber häufig ein Wort von Alexandre Dumas zitiert, das mir der Situation in hohem Grade angepaßt erschien und von Frick auch stets mit Beifall und Anerkennung aufgenommen wurde: „Les opinions sont comme les clous: plus on tape dessus, plus on les enfonce." * ) Die Methoden der sogenannten „Glaubensbewegung" waren ihm im höchsten Maße zuwider. Er bewertete ihre Führerschicht, wie er sich mir gegenüber einmal ausdrückte, in der Hauptsache als „kirchliche Futterkrippler" und gab dieser Einstellung mehr als einmal in drastischer Nichtachtung Ausdruck. In dieser Lage eines klaren „Unentschieden" reifte in den Köpfen der „Deutschen Christen" ein Plan, der ungefähr das Tollste an Rechtsschändung, das Schamloseste an Politik der vollendeten Tatsachen darstellte, was denkbar war. D a die Bremswirkung vom Reichsministerium des Innern her immer fühlbarer in Erscheinung trat, beschloß man, den weiteren Vormarsch über die Landesregierungen anzutreten. Hier saß — mit Ausnahme Görings, des preußischen Ministerpräsidenten —nicht die erste Garnitur der Partei in den Ministersesseln. Eine Chance, mit H i l f e des nötigen Parteidruckes auf diesem Wege weiterzukommen, war also immerhin vorhanden. Der Hauptstoß sollte dort geführt werden, wo man es nach Tradition und früherem Behördenansehen am wenigsten erwartet hätte: in Preußen. Die geistliche Abteilung des preußischen Kultusministeriums, sozusagen die Stammabteilung des Hauses, zeichnete sich seit langem durch eine besonders qualifizierte Zusammensetzung ihrer Mitglieder aus. Nach 1918 hatten die Ministerialdirektoren Fleischer und Trendelenburg dafür gesorgt, daß der hohe Ruf gerade dieser Abteilung gewahrt blieb. Für die Kirchen nicht immer sehr bequem, bewegte sich doch die Arbeit dort auf einem so * ) „ D i e Meinungen sind wie die N ä g e l : je mehr man d a r a u f losschlägt, u m so tiefer treibt man sie hinein."

13

hohen Niveau der Kenntnis und Konzilianz, daß die kirchenpolitischen Angelegenheiten kaum besseren Händen hätten anvertraut werden können. Nach der „Machtergreifung" übernahm der Studienrat a. D. Bernhard Rust aus Hannover die Leitung dieses Hauses. „Staatssekretär" wurde der bis dahin weitgehendst unbekannte Rechtsanwalt Dr. Studiart, ein noch recht jugendlicher Herr, der jedenfalls Gewähr bot für straffe Parteidisziplin. Nachdem der Leiter der geistlichen Abteilung, Dr. Trendelenburg, mehrfach Zusammenstöße mit Rust in grundsätzlichen Fragen der Kirchenpolitik gehabt hatte, wurde er, wie das seit 1918 sehr zum Schaden des Ansehens der deutschen Verwaltung allmählich üblich geworden war, kurzerhand in die "Wüste geschickt und durch einen Mann ersetzt, der bis dahin völlig im Schatten gestanden hatte, der aber, wenn ich midi recht erinnere, als ehemaliger Lehrmeister des Referendars Stuckart immerhin persönliche Verdienste für sich buchen konnte: Landgeriditsrat Jäger aus Hessen. Ich habe in meinem an Erfahrung mit Menschen reich gesegneten Leben niemals einen Mann kennengelernt, der, was Beschränktheit, Überheblichkeit, Anmaßung und Niedertracht betrifft, auch nur annähernd mit Jäger konkurrieren könnte. Schon als Landgerichtsrat war er schlecht qualifiziert und für weitere Beförderung als ungeeignet erklärt. Als Ministerialdirektor, also Verwaltungsmann, fand er endlich die Möglichkeit, dem Hang zu Brutalitäten jeder Art den ersehnten Auslauf zu gewähren. Schon in seinem ersten Renkontre gab es einen Zusammenstoß, der an Schärfe nichts zu wünschen übrig ließ. Er versuchte daraufhin, Zutritt zu Frick zu erlangen, um über meinen Kopf hinweg zu operieren; aber er wurde nicht angenommen. Dann erschien er nochmals in Begleitung seines Staatssekretärs Stuckart, um an Frick heranzukommen. Der persönliche Referent des Ministers, Dr. Metzner, hatte midi vorher verständigt und meinen Rat erbeten, der selbstverständlich negativ ausfiel. Frick willigte ein, und so mußten denn die Beiden wie begossene Pudel wieder abziehen. Der Anblick, wie die zwei mit hochroten Köpfen aus dem Zimmer Metzners herausstampften, ist mir unvergeßlich geblieben. Unter diesen Umständen war es im Grunde genommen nicht sonderlich verwunderlich, daß die „Deutschen Christen", als sie im kalten Krieg gegen die Kirchen nicht mehr recht weiterkamen, den Staat zu Hilfe riefen — den sogenannten Staat, der sich in Wirklichkeit immer mehr zu einem mit öffentlichem Glauben von früher her umkleideten Exekutivmedianismus der Partei entwickelt hatte. Der große Schlag, den man — vermutlich nicht ohne Rückendeckung durch maßgebende Parteistellen — ausgeklügelt hatte, war die mit echt nationalsozialistischer Schlagartigkeit — besser gesagt: Überfalltechnik — durchgeführte Einsetzung der sogenannten Staatskommisare, parteihöriger Kreaturen, denen der preußische Staat die Gewalt über die preußischen Landeskirchen übertrug. 14

Diese Maßnahme war wohl der stärkste Schuß in der freien Wildbahn absoluter Gesetzlosigkeit, den wir bis dahin erlebt hatten. Es ist bezeichnend, daß keine Veröffentlichung in der Preußischen Gesetzsammlung stattfand, wie das sonst bei der Einsetzung von Staatskommisaren allgemein üblich war. Rückfragen nach der rechtlichen Begründung wurden ausweichend beantwortet. Einmal war es die Reichspräsidialverordnung vom 4. Februar 1933 „zum Schutze des deutschen Volkes", auf die man mit dunkler Andeutung verwies; aber dort steht überhaupt nichts drin, was — sei es auch mit Biegen oder Brechen — zur rechtlichen Fundierung herangezogen werden konnte. Dann wieder berief man sich auf den Artikel 48 der Reichsverfassung; aber die Befugnis einer Landesregierung, den Diktator zu spielen, ist ausdrücklich an den Vorbehalt der „Gefahr im Verzuge" gebunden und setzt im übrigen eine erhebliche Störung oder Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung voraus. Beide Voraussetzungen waren nicht erfüllt. Schließlich kam man mit der Begründung heraus, die Einsetzung der Staatskommissare sei nötig gewesen, um den angeblichen Widerstand der Kirchen gegen die Schaffung der Reichskirche zu brechen. Das war erstens das Eingeständnis, daß eine Rechtsbasis überhaupt nicht vorhanden war. Zweitens war es eine Anmaßung gegenüber der Reichsregierung; denn die evangelische Reichskirche sollte eine Institution auf Reichsebene werden — folglich konnten Tempo und Methode des zu beschreitenden Weges nur vom Reiche, nicht aber von einer Landesregierung her bestimmt werden. Leider war inzwischen etwas geschehen, worauf ich weiter unten noch näher eingehen werde. In der Frage, wer Oberhaupt der künftigen Reichskirche werden sollte, hatten die bekenntnistreuen Kreise unter Führung des Präsidenten des Oberkirchenrats D. Dr. Kapler aus der Sorge heraus, von dem Kandidaten Hitlers, Wehrkreispfarrer Müller, überrundet zu werden, den Pastor D. von Bodelschwingh zum „Reichsbischof" erkoren, ohne daß eine rechtliche Grundlage hierfür vorhanden war. Es fiel der Gegenfront nicht schwer, in diese offene Flanke hineinzustoßen. Der Reichsinnenminister Dr. Frick begrüßte an sich den Gedanken der Reichskirche, war aber im übrigen für strikte Beachtung der geltenden Rechtsvorschriften. Ich selbst hatte Zweifel über die Notwendigkeit dieser Gründung. Wir hatten seit 1922 den Deutschen Evangelischen Kirchenbund, der die deutschen Landeskirchen zusammenfaßte und, soweit einheitliche Ordnung im Innern und Vertretung nach außen geboten schienen, dem vorhandenen Bedürfnis nach meinem Gefühl und den seither gemachten Erfahrungen durchaus genügte. Organisatorische Zusammenfassung hat in Fragen der Kultur- und Kultuspflege von vornherein ein anderes Gesicht als in der Staatsverwaltung. Die Vielheit landesfürstlicher Residenzen zum Beispiel hat der Entwicklung des deutschen Geistesleben nicht nur nicht 15

geschadet, sondern in der Reichhaltigkeit der Entfaltung eher Voraussetzungen für Gewinne im Ganzen geschaffen. So hätte man es wohl getrost der Zeit überlassen können, den organisatorischen Zusammenschluß im deutschen Protestantismus den wirklichen Bedürfnissen entsprechend so weiterzuführen, daß einem echten Wachstum der Weg geebnet wurde. Das Reichsministerium des Innern war von der dramatischen Zuspitzung der Entwicklung, wie sie durch die Einsetzung der preußischen Staatskommissare mit Jäger an der Spitze herbeigeführt worden war, einigermaßen überrascht worden. Die Drahtzieher in Partei, Staat und Kirche hatten ihre Pläne streng geheim gehalten. Man hatte wohl gehofft, die Aufsichtsinstanz des Reiches durch die Brutalität ebenso wie das Ausmaß des Zugriffs mattzusetzen. Die Überraschung war jedenfalls restlos geglückt. Die allgemeine Schockwirkung war zunächst beträchtlich. Ich meldete unverzüglich Vortrag bei meinem Minister an und legte dann einen Plan für unser Handeln vor, der etwa folgendermaßen aufgebaut war: Die Staatskommissare müssen unter allen Umständen so schnell wie möglich verschwinden. Der Gedanke der Reichskirche, der damals im Vordergrunde des Interesses stand, könne keinesfalls mit H i l f e von Staatskommissaren verwirklicht werden, sondern allein durch die Willensäußerung des Kirchenvolkes, das wohl auch, wenn die Sache in die richtige Form gebracht würde, durchaus für diese Idee zu gewinnen wäre. Die Fortdauer der Staatskommissariate werde voraussichtlich den kirchlichen Bestand überhaupt in Frage stellen und die Bildung von Freikirchen in jeder Beziehung begünstigen. Ein derartiger Rückschlag würde die Reichspolitik maßlos kompromittieren und das bereits mit dem Ansehen und Interesse des Reichs umkleidete kirchliche Einigungswerk wahrscheinlich zum Scheitern bringen. Es sei deshalb erforderlich, so schnell wie möglich durch Wahlen an das Kirchenvolk zu appellieren und die durch diese öffentliche Befragung bestätigte Reichskirche unverzüglich von allen staatlichen Fremdkörpern zu befreien. Der damalige Leiter der zuständigen Abteilung, Ministerialdirektor Gottheiner, unterstützte meinen Plan nach Kräften. Frick war schnell für ihn gewonnen und sagte sich sogleich telefonisch bei Hitler an. Wir gingen sehr bald zu dreien hinüber in die Reichskanzlei. Dort erwartete uns bereits der für die angerichtete Verwirrung letztlich Verantworliche, Herr Bernhard Rust, und der „Beauftragte des Reichskanzlers für die Angelegenheiten der evangelischen Kirche", der spätere Reichsbischof Müller. Es entspann sich bereits in Hitlers Vorzimmer eine ziemlich lebhafte Auseinandersetzung hauptsächlich zwischen Rust und mir. Frick, der offenbar für seinen Parteifreund Rust keine allzu große Achtung übrig hatte, folgte mit kaum verhehlter stiller Freude diesem Rededuell. Plötzlich bemerkte er Hitler, der in der behutsam geöffneten T ü r seines Arbeitszimmers der Unterhaltung schon eine Weile gefolgt zu sein schien. Der Kanzler hatte offenbar keine 16

Landesbischof D . Meiser (Bayern)

TAFEL

4

Landesbischof D. W u r m (Württemberg) in seinem Arbeitszimmer während des Hausarrestes, Oktober 1934

Neigung, den oppositionellen Fechter der Vorrunde bei sich zu sehen, und so wurden denn Gottheiner und ich ersucht, weiter im Vorzimmer zu warten. W i r mußten also Frick allein in den Kampf ziehen lassen. Er hat sich aber, wie ich später hörte, ganz brav geschlagen, ist stellenweise recht deutlich geworden und hat es — was bei Hitler psychologisch sehr wichtig war — auch nicht an temperamentvollen Ausfällen fehlen lassen. Endlich, nach geraumer Zeit, holte Frick uns herein und verkündete das Ergebnis: es sollen schleunigst Kirchenwahlen ausgeschrieben werden; bis zum Zusammentritt der aus ihnen hervorgehenden Körperschaften sollen die staatlichen Kommissare im Amte bleiben. Ich war nach Lage der Verhältnisse froh, dem Ziele wenigstens um einen Schritt nähergekommen zu sein, und machte meinem Minister den Vorschlag, der auch angenommen wurde: die Kirchenwahlen mit der reichsgesetzlichen Bestätigung der künftigen Reichskirchenverfassung zu verbinden. Inzwischen benutzten die „Staatskommissare" ihre Stellung nach Kräften, um im kirchlichen Bestände „aufzuräumen". Besonders die kirchlichen Zentralbehörden in Berlin, die ja dem Gewicht des von der Partei gelenkten Einflusses am stärksten ausgesetzt waren, wurden von ihnen unter Feuer genommen. Ich hatte, um über alle Ereignisse und Pläne stets schnell und ausführlich unterrichtet zu sein, meine alten dienstlichen Beziehungen zu dem Direktor des Evangelischen Preßverbandes für Deutschland, Prof. D . Hinderer, beträchtlich verstärkt. E r wohnte nicht weit von mir und erwartete mich jeden Morgen vor meiner Wohnung. W i r gingen dann zusammen zum Bahnhof Berlin-Steglitz. Unterwegs erfuhr ich vieles über Geschehenes und Geplantes und konnte meinerseits Winke für Veröffentlichungen und Informationen des Preßverbandes geben. Das Verhängnis ließ denn auch nicht lange auf sich warten. Am 24. 6. 1933 erging ein Ukas, gezeichnet „Jäger, als Kommissar für sämtliche ev. Landeskirchen Preußens", und weiter „Ludwig Müller, der Beauftragte des Reichskanzlers für die Angelegenheiten der ev. Kirche". Das mit dem Kopfstempel „Preuß. Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung" (!) versehene Schreiben dekretierte klar und lapidar: „Die Herren Privatdozent Dr. Hans Michael Müller-Jena und Stadtverordneter Max Grevemeyer, Berlin, sind kommissarisch mit der Übernahme der Geschäftsführung des Evang. Preßverbandes für Deutschland e. V . beauftragt. Zunächst werden die Herren Dir. Prof. D . Hinderer und Dr. Liepmann mit sofortiger Wirkung beurlaubt." Selbstverständlich war dies ein glatter Gewaltakt; nicht einmal der entfernte Schein einer Rechtsgrundlage war vorhanden. Um nun an einem typischen Beispiel zu veranschaulichen, wie derartige Dinge in Szene gesetzt wurden, möchte ich wenigstens auszugsweise die Schilderung veröffentlichen, die von dem 2. Vorsitzenden des Preß Verbandes, Oberverwaltungsgerichtsrat Dr. 3

Conrad, Der Kampf um die

Kanzeln

17

Weymann, in seiner vom 25. Juni datierten Eingabe an den Reichsminister des Innern gegeben wurde: „Gestern nachmittag . . . erschienen auf der Geschäftsstelle des Evangelischen Preß Verbandes . . . die Herren Privatdozent Dr. Müller-Jena und Stadtverordneter Grevemeyer . . . und erklärten dem Professor Pfarrer D. Hinderer, daß sie beauftragt seien, die Leitung des Evangelischen Preßverbandes für Deutschland zu übernehmen. Die von Professor D. Hinderer und seinen anwesenden Mitarbeitern . . . demgegenüber gemachten Einwände, daß der Evangelische Preßverband . . . ein eingetragener Verein mit eigener Rechtspersönlichkeit sei, daß es sich bei ihm nicht um eine preußische, sondern um eine Reichsorganisation handle, . . . wurden mit der Erklärung beseitigt, daß ein revolutionärer Akt vorläge. Auf Grund dieser Feststellung begab sich Professor D. Hinderer an den Telephonapparat in seiner Dienstwohnung, um noch fernmündliche Erkundigungen über die amtliche Zulassung dieses revolutionären Aktes einzuziehen. Stadtverordneter Grevemeyer hatte inzwischen die Polizei und SA herbeigerufen und erschien, begleitet von einem Schutzpolizeibeamten, der zu seinem persönlichen Schutz dienen sollte, in der Wohnung von . . . D. Hinderer, und unterbrach ein im obigen Sinne eingeleitetes Ferngespräch, veranlaßte bei der entsprechenden postalischen Stelle die S t i l legung des Fernsprechanschlusses und verlangte die ehrenwörtliche Zusicherung, daß Professor D. Hinderer vorläufig bis Montag früh seine Wohnung nicht verlassen und kein Telefongespräch führen würde. Späterhin erschienen Mannschaften der SA und besetzten die verschiedenen Dienstgebäude sowie den Eingang der Dienstwohnung von Professor D. Hinderer." Bezeichnend an diesem Vorgehen war die Beteiligung des „Beauftragten des Reichskanzlers" Ludwig Müller, der damit zum ersten Male seine Visitenkarte in der Kirchenpolitik abgab. Zur Abrundung des Bildes soll erwähnt werden, daß der genannte Grevemeyer kurze Zeit zuvor ein Hetztelegramm gegen D. Hinderer an das Reichsministerium des Innern gerichtet hatte; ich hatte das Pamphlet kurzerhand an das Kirchenbundesamt „zuständigkeitshalber" weitergegeben, ohne im Geringsten auf den Schwindel einzugehen. Grevemeyer war übrigens Inhaber eines publizistischen Konkurrenzunternehmens des Preßverbandes, das nicht reüssieren wollte. Ich informierte Frick über den Skandal und erreichte sehr bald, daß der Minister sich ans Telefon hängte und von Rust die Zusage erhielt, den wilden Jäger zurückzupfeifen; der Hinweis auf die angesehene Stellung Hinderers in den internationalen Organisationen des Protestantismus tat hierbei gute Dienste. 18

Reichskirche Inzwischen waren die Kirchenführer zusammengetreten, um die Verfassung der künftigen „Deutschen Evangelischen Kirche" zu beraten. Wie nicht anders zu erwarten, war von vornherein eine Zweiteilung in grundsätzlichen Auffassungen erkennbar. Die eine Gruppe wollte in Anerkennung der natürlichen Schwerpunktlage das Übergewicht in die Landeskirchen mit ihrer festen, gewachsenen Organisation und Tradition verlagert sehen, also — mit staatlichem Vergleich gesprochen — einen kirchlichen Bundesorganismus errichten. Demgegenüber bestanden die Vertreter der „Deutschen Christen" darauf, die Reichskirche in eine unitarische, straffe Organisation hineinzuzwängen, mit einem in seiner Stellung maßlos überhöhten Reichsbischof an der Spitze, der eigentlich nadi der Konzeption der Partei und den persönlichen Garantien des dafür in Aussicht genommenen Kandidaten Müller nichts weiter zu sein hatte als der Treuhänder der NSDAP innerhalb der Kirche. Es war nun ein merkwürdiges Schauspiel, zu erleben, daß die „deutschchristlich" beherrschten oder infizierten Landesregierungen ihren Einfluß in extrem unitarischem Sinne geltend machten, während das zuständige Reichsministerium des Innern keinerlei Ansprüche in dieser Richtung anmeldete, im Gegenteil sogar die kirchlichen „Föderalisten" unter der Hand bei jeder sich bietenden Gelegenheit in ihrer Haltung zu bestärken suchte. Wenn ich meinen Minister auch nicht dahin zu bringen vermochte, von den wilden Männern des kirchlichen Unitarismus offiziell abzurücken, so erreichte ich doch von ihm wenigstens die Ermächtigung, unseren Interessenmangel auf diesem Gebiete betont zum Ausdruck zu bringen. Angesichts der Druckmethoden, die von „deutschchristlicher" Seite zur Anwendung gebracht wurden, war es nicht zu verwundern, daß diese Richtung mit ihren sämtlichen wesentlichen Forderungen durchdrang. Die Tatsache, daß der „Beauftragte des Reichskanzlers", Wehrkreispfarrer Ludwig Müller, an den Beratungen teilnahm und mit fröhlicher Unbekümmertheit und völliger Unkontrollierbarkeit bei jeder Gelegenheit den „Willen des Führers" in die Waagschale warf, hat natürlich sehr stark auf den Lauf der Beschlußfassung eingewirkt — nicht zum wenigsten im Tempo: binnen weniger Wochen wurde erledigt, was bei der Bedeutung der Sache wenigstens eine Reihe von Monaten hätte in Anspruch nehmen müssen. Die Verfassungsurkunde der Deutschen Evangelischen Kirche wurde am 11. Juli 1933 unterzeichnet. An der Spitze der Unterschriften prangten die Namen Jäger („zugleich für sämtliche preußischen Landeskirchen") und Ludwig Müller — ohne jeden Zusatz, in dieser schlichten Beziehungslosigkeit zusammen mit der Tatsache, daß Jäger nichts weiter als ein Usurpator war, ein gewisser Beweis dafür, daß jenes Dokument im Grunde genommen kaum rechtsgültig unterzeichnet worden ist. 3*

19

Es läge nahe, diese „Verfassung" einer eingehenden Kritik zu unterziehen. Aber man sollte bedenken, daß dieser Schematismus im Grunde genommen überhaupt nicht zu echtem Leben erweckt worden ist. Zunächst gab es Machtkämpfe und -krämpfe, bei denen das nachgeholt wurde, was in der Torschlußpanik der Verfassungsberatung versäumt worden war. Und schließlich, im September 1935, wurde die ganze Angelegenheit dadurch erledigt, daß der „Reichskirchenminister" Kerrl, also ein Mitglied des Reichskabinetts, sich zum alleinigen Herrn der gesamten Kirche machte. Gleichwohl möge an einigen Beispielen demonstriert werden, was damals an „Verfassungs"-Konstruktion möglich war. An der Spitze steht der Reichsbischof. Ihm tritt ein „Geistliches Ministerium" zur Seite. Schon Hitler hatte darüber gespöttelt, daß man auf evangelisch-kirchlicher Seite offenbar nicht einmal imstande war, eigene Namen für kirchliche Organe zu finden. Dann wird, um alte Erinnerungen des deutschen Protestantismus zu wecken, eine „Deutsche Evangelische Nationalsynode" vorgestellt, die bei der Einsetzung der Kirchenleitung und bei der Gesetzgebung mitwirken soll. Die Funktionen des Reichsbischofs werden mit schönen Worten umschrieben; aber dann kommt der Pferdefuß: „Er trifft die zur Sicherung der Verfassung erforderlichen Maßnahmen", also ein Seitenstück zu dem Diktaturartikel 48 der Weimarer Verfassung. Das „Geistliche Ministerium" soll „unter Führung des Reichsbischofs" die Kirche leiten und Gesetze erlassen. Seine Mitglieder (3 Theologen, 1 Rechtskundiger — „im Bedarfsfall" erhöhte Zahl!) werden vom Reichsbischof ernannt. Wird also wider Erwarten ein Mitglied unbotmäßig — nun, so ist der „Bedarfsfall" gegeben, und der Reichsbischof ergänzt nach Gutdünken; zwar sollen hierbei „die im leitenden Amt stehenden Führer der Landeskirchen" mitwirken — aber: „das Nähere bestimmt ein Gesetz", und solange dieses Gesetz nicht erlassen ist, hat man eben freie Hand; denn Art und Umfang der „Mitwirkung" sind nicht festgelegt. Ich hielt es f ü r richtig, die neugeschaffene Deutsche Evangelische Kirche ungeachtet der handgreiflichen Mängel ihrer Verfassung und der Zwielichtigkeit ihres Werdegangs wenigstens in würdiger Form in die Obhut des Reichs zu bringen. Zugleich wollte ich bei dieser Gelegenheit durch den Mund des Reichsinnenministers einige grundsätzliche Gedanken zum Ausdruck bringen lassen, die Müller und seine Clique, die Sieger des Verfassungswerks, in ihrem Übermut dämpfen und die Position der MüllerGegner stärken sollten. Die Unterschriften unter dem kirchlichen Verfassungswerk waren kaum trocken, als im Reichsministerium des Innern ein kurzer, aber gehaltvoller feierlicher Akt über die Bühne ging, der, glaube ich, allen Beteiligten in lebendiger Erinnerung geblieben ist. Frick sprach für die Reichsregierung in dem von mir vorgeschlagenen Sinne, der Landesbischof von Hannover, D. Marahrens, war der Sprecher der Kirche (also 20

nicht Müller!). D i e Handlung f a n d statt im Gebäude des Ministeriums am Königsplatz. Bekanntlich war dort früher der preußische Generalstab untergebracht. Der Versammlungsraum, in dem die neue Reichskirche das Plazet des Reiches erhielt, hatte einst zur Dienstwohnung des Generalfeldmarschalls Graf Moltke gehört und als Festsaal manche klangvolle Stunde in karg bemessenen Entspannungszeiten des großen Schlachtendenkers erlebt. Moltke war ein begeisterter Verehrer klassischer Musik, besonders der Kammermusik. Es war vielleicht nicht vielen unter den Teilnehmern jener Abschlußfeier gegenwärtig, daß der Mann, der einstmals diesem R a u m die Weihe gegeben hatte, als letzte Niederschrift von Bedeutung, wenige Monate vor seinem T o d e verfaßt, Betrachtungen über das Jenseits hinterlassen hat, die mit den Worten schließen: „Wenn, wie der Apostel Paulus schreibt, einst der Glaube in die Erkenntnis, die Hoffnung in die Erfüllung aufgeht und nur die Liebe besteht, so dürfen wir hoffen, auch der Liebe eines milden Richters zu begegnen." N u n mußte nach altem guten Brauch und rechtlicher Notwendigkeit noch ein Reichsgesetz erlassen werden, das die Deutsche Evangelische Kirche von Reichswegen anerkannte und zugleich die Rechte im einzelnen festzulegen hatte, die sich die Reichsgewalt diesem neuen Gebilde gegenüber vorbehielt. Unter den damaligen Verhältnissen hätte man in dieses Gesetz ungefähr alles hineinschreiben können, was an goldenen oder eisernen Ketten denkbar war, um eine Fesselung sinnfällig werden zu lassen. Mehr als eine Bestimmung der neuen Kirchen Verfassung bot einen schwer zu bekämpfenden Anreiz, das Erfordernis einer Zustimmung des Reiches gesetzlich zu verankern. Als ich den T e x t dieser Vorlage ausarbeitete, der dann auch wörtlich Gesetzesinhalt wurde, war mir indessen klar, daß die Bremse vom zuständigen Reichsministerium her dort, w o sie am nötigsten anzulegen gewesen wäre, überhaupt nicht anzusetzen war. Wir waren auf Hitlers Unterschrift für das Gesetz angewiesen. Kardinalpunkt einer etwa nötigen staatlichen Zügelung wäre die übermächtige Stellung des Reichsbischofs als des Inhabers der kirchlichen Regierungsgewalt sowohl wie auch der kirchlichen Gesetzgebung gewesen. Es war aber absolut sicher, daß Hitler damals jedenfalls — wir schrieben Juli 1933 — seinem Günstling Müller die Treue gehalten und keinerlei Beschränkung der reichsbischöflichen Machtfülle zugelassen hätte. So blieb denn nichts anderes übrig, als eine Reduzierung des Gesetzesinhalts auf das Allernotwendigste. Für jeden, der Gesetze lesen konnte, war mit dieser Minimalstruktur der Reichsaufsicht allerdings eine deutliche Sprache gesprochen; es war nämlich damit unverhüllt zum Ausdruck gebracht, daß die Reichsgewalt es ablehnte, irgend ein Einmischungsrecht in kirchliche Angelegenheiten, das über ein sehr bescheidenes Mindestmaß hinausging, gesetzlich zu statuieren. D a s war eine wohlberechnete Selbstbeschränkung, zugleich ein deutlicher Wink für diejenigen, die sich mit anderen Absichten trugen. Ich habe die Kritik, die von den Herren 21

der nationalsozialistischen Jurisprudenz — wenn dieser Ausdruck für das rechtstüftelnde Lakaientum des DrittenReidis überhaupt gebraucht werden darf — an der lapidaren Kürze jenes Gesetzes geübt wurde, stets mit Heiterkeit aufgenommen und gern darauf verzichtet, als Reditsschöpfer in nationalsozialistischem Geiste in die Geschichte einzugehen. Das Reichsgesetz zur Reichskirchenverfassung wurde am 14. Juli 1933 verkündet. In seinem Artikel 5 wurden kirchliche Neuwahlen für diejenigen Organe der Landeskirchen vorgeschrieben, die nach geltenden Landeskirchenrecht durch unmittelbare Wahl der kirchlichen Gemeindemitglieder gebildet werden. Diese Wahlen waren die Voraussetzung, die seinerzeit aufgestellt worden war, um die Beseitigung der preußischen Staatskommissare Jäger und Genossen durchzusetzen. Hitler verlangte für die Kirchenwahlen einen unglaublich nahen Termin: den 23. Juli, also den neunten T a g nach der Unterzeichnung des Reichsgesetzes. Er wußte wohl, daß man im „deutschchristlichen" Lager gerüstet war, die anderen aber bei der Kürze der Zeit kaum nennenswerte Vorbereitungen würden treffen können. Ich höre noch das „Unmöglich!" der maßgebenden Herren des Evangelischen Oberkirchenrates in Berlin, als ich ihnen gleich nach der Unterzeichnung des Gesetzes durch Hitler diesen allerdings tollen Termin mitteilte. Aber es gab kein Ausweichen. Ich traf midi mit dem Herrn Vizepräsident D. Hundt und Geheimrat D. Karnatz noch in später Nachtstunde in einem Steglitzer Café, wo wir bis lange nach Mitternacht zusammen saßen und den Wahlmodus wenigstens für den Zuständigkeitsbereich des Oberkirchenrats, also für den weitaus größten Teil Preußens, festlegten. Die Kirchenwahlen am 23. Juli ergaben, wie jede Volksbefragung im Dritten Reich, kein auch nur annähernd richtiges Bild echter Meinung. Es war nicht nur die N S D A P bis herunter zur letzten Zelle des Parteiapparates, die rücksichtslos für die Liste der „Deutschen Christen" agitierte — auch Hitler selbst, obwohl (pro forma) Katholik, hielt es für richtig, in der Nacht vor der Wahl von Bayreuth her, wo er sich der Festspiele wegen aufhielt, in einer Rundfunkansprache öffentlich für seine fünfte Kolonne innerhalb der evangelischen Kirche zu werben. Er erreichte mit diesem Überrumpelungsschlage, der nur wenige Stunden vor Beginn der Wahl durchgeführt worden war, jedenfalls den Erfolg, daß die bekenntnistreue Gruppe keinen Gegenzug mehr ausführen konnte. So hatte denn die Partei die Möglichkeit, am Wahltage ausgiebig mit der Parole zu arbeiten, daß jeder, der nicht nach den Wünschen des „Führers" zu stimmen wagte, als Staatsfeind entlarvt sei. Ohne diesen politischen Druck hätte der bekenntnistreue Anhang im Lande vielleicht sogar eine Stimmenmehrheit erlangt. Ich habe bei den Kirchenwahlen am 23. Juli Gelegenheit gehabt, wieder einmal die politische Instinktlosigkeit des deutschen Volkes zu beobachten. 22

Wer die Liste der „Deutschen Christen" wählte, stimmte politisch; das kann für die erdrückende Mehrheit dieser Wählergruppe ohne weiteres gesagt werden. Wer aber der Liste „Evangelium und Kirche" seine Stimme gab, bekundete — auch hier wieder für die erdrückende Mehrheit gesprochen — eine echte, politisch nicht infizierte Überzeugung. Das Volumen der an sich Wahlberechtigten wurde durch die Zahl der Wahlbeteiligten bei weitem nicht erschöpft. Der verbliebene Rest der Nichtwähler waren jene Leute, die seit langem dem kirchlichen Leben überhaupt gleichgültig gegenüberstanden. Sie waren bestimmt keine Anhänger Hitlers, aber sie waren instinktlos genug, die Chance nicht zu sehen, die sich hier für Hitlergegner ergab, um dem Siegerübermut des Nationalsozialismus einen zum mindesten psychologisch wirksamen Schlag zu versetzen, der bei dem für jede Art von Rückschlägen hellhörigen Hitler sicher nicht ohne Eindruck geblieben wäre. W i r haben später vom Reichsinnenministerium her durch drastische Verächtlichmachung des Wahlergebnisses vom 23. Juli mancherlei erreicht — besser wäre es gewesen, wenn auch im Volke mehr Mut aufgebracht worden wäre, um den Kampf dort aufzunehmen, wo er unter verhältnismäßig günstigen Bedingungen hätte ausgefochten werden können. Wenn die andere Seite die Kirchenwahl politisierte, war für die Gegner des Nationalsozialismus aller Anlaß gegeben, dem Politikum einer Kirchenwahl j e d e n f a l l s n i c h t auszuweichen. Die Kirchenwahlen am 23. Juli 1933 waren die letzten dieser Art während der Hitlerzeit. Nach dem Zerfall der „deutschchristlichen Glaubensbewegung", der noch im gleichen Jahre sichtbar werden sollte, wäre ein erneuter Appell an das Kirchenvolk gleichbedeutend mit einem Harakiri für Müller und Genossen gewesen. Im übrigen hatte man inzwischen andere Methoden entdeckt, um sich an der Macht zu halten. Reicbsbisdiof Es fällt nicht ganz leicht, über den seither zu trauriger Berühmtheit gelangten „Reichsbischof" Ludwig Müller ein menschlich vernichtendes Urteil nicht zu sprechen. E r war wohl innerlich zu weich und unentschieden, um das bei führenden Nazis im allgemeinen übliche Format brutaler Niedertracht zu erreichen. Als er zuerst in der Arena der Kirchenpolitik auftauchte, war er Wehrkreispfarrer in Ostpreußen und brachte offenbar von dieser Tätigkeit her eine gewisse Begeisterung für das militärische Ideal bedingungsloser Unterordnung mit. Die Startbasis für sein Eingreifen in das kirchliche Ringen bildete seine Ernennung zum „Beauftragten des Reichskanzlers für die Angelegenheiten der evangelischen Kirche". So jedenfalls unterzeichnete er, offenbar um sich ein staatlich-offizielles Aussehen zu verschaffen. In Wirklichkeit war er der 23

Beauftragte des „Führers", der j a mit derartigen Verleihungen, die oft aus einer Augenblickslaune heraus geboren wurden, nicht gerade sparsam umging. Bald nach Verleihung seiner neuen Würde sagte er sich telefonisch bei, mir an. Wir hatten eine eingehende Aussprache über die Lage, bei der ich frisch vom Leder zog und die Dinge ohne Scheu beim rechten Namen nannte. Zu meinem Erstaunen fand ich bei Müller weitgehende Zustimmung. Als er sich verabschiedete, gab er der festen Zuversicht Ausdruck, daß wir ausgezeichnet zusammenarbeiten würden. Ich glaube nicht, daß er mich damals angelogen hat. Er war eben ohne feste innere Haltung und darum leicht der Beeindruckung durdi jeden zugänglich, der seine Gedanken in bestimmter Form zum Ausdruck zu bringen wußte — oder mit der Parteiknute winkte. Ich habe, was die persönliche Seite betrifft, mit Müller in leidlichen Formen verkehren können, mußte allerdings erleben, daß er sich je länger umso entschiedener meinem Umgang und Einfluß entzog. Das fing bereits an, als wir noch sozusagen T ü r an Tür nebeneinander arbeiteten. Er rief nämlich bald nach seinem Besuch bei mir an und bat, ihm ein Zimmer im Reichsministerium des Innern zur Verfügung zu stellen. Ich antwortete ausweichend und hielt es doch für richtig, das merkwürdige Ansinnen zunächst meinem Minister vorzutragen. Frick zögerte zunächst; dann aber erklärte er: „Lassen Sie ihn ruhig kommen, dann haben wir ihn umso besser unter Beobachtung." Ich ging gern darauf ein und sorgte dafür, daß das Zimmer neben mir für Müller freigemacht wurde. Meiner Amtsgehilfen, die auch für Müller zu sorgen hatten, war ich absolut sicher. So war ich denn stets auf dem laufenden über die Besucher, die mein Zimmernachbar empfing. Die Kandidatur Müllers für den Posten des Reichsbischofs stand für Hitler und seine Partei von Anfang an fest. Sie hatten in ihm den Mann gefunden, von dem sie erwarten durften, daß er die in der Stellung des Reichsbischofs angehäufte Machtfülle so energisch wie möglich für den Umbau der Kirche zu einer nationalsozialistischen Propagandaeinrichtung ausnutzen würde. Eine gewisse, trotz allem immer wieder erkennbare Weichheit seines Wesens ließ andererseits erhoffen, daß ein offenes Aufbäumen der Mißhandelten — mit dem Ausbrechen zur Freikirche als Folge — vermieden werden würde. Mit einem skrupellosen Helfer zur Seite war Müller jedenfalls der geeignetste Mann. Es war nicht schwer, den für ihn passenden Manager zu finden; er hieß August Jäger. Schon mit der Gründung der Gruppe „Deutsche Christen" hatte eine bis dahin nicht erlebte Neuerscheinung Einzug in die Kirchengeschichte gehalten. Die ebenfalls ohne Vorgang in der Vergangenheit bewerkstelligte Verfassungkonstruktion vom 11. 7. 33 ließ das Bild dessen, was beabsichtigt war, schon deutlicher hervortreten. Die Herausstellung eines „Reichsbischofs" Ludwig Müller vollends schuf absolute Klarheit über den 24

Sinn des Geschehens: es ging nicht mehr — um eine später viel gebrauchte Terminologie aufzugreifen — um „Richtungen" innerhalb der Kirche, sondern um den Besitz der Kirche mit vollkommener Totalität, es ging um die Kanzeln. Daß dieser Kampf sich, zunächst auf evangelischen Boden abspielen mußte, war nach Lage der Verhältnisse klar. Aber schon nach Jahresfrist waren Müller und sein „Rechtswalter" Jäger naiv genug, das Fernziel zu enthüllen, wie es aus der Parole erkennbar war: „Ein Reich, ein Volk, ein Führer, eine Kirche!" Damit war die Kampfansage der Totalität auf sämtliche christliche Bekenntnisse ausgedehnt; der Kriegszustand sollte zu einem Kampf um die Kanzeln auf der der ganzen Linie werden. Doch zurück zur Wahl des Reichsbischofs. Von der geistlichen und menschlichen Seite her hatte der Konkurrent Müllers, Pastor D. von Bodelschwingh aus Bethel bei Bielefeld, ungleich größere Anrechte. Die Schlichtheit und Lauterkeit seines Wesens eroberten ihm schnell die Herzen aller, die noch Sinn für Menschenwert, kirchliche Treue und religiöse Charakterfestigkeit hatten. Die Verflechtung seines Namens mit der karitativen Großleistung von Bethel war die denkbar beste Empfehlung für einen Mann, der alle Eigenschaften mitbrachte, um ein wahrer Volksbischof zu werden. Der Sinn, den er dem ihm zugedachten Amte geben wollte, konnte nicht besser zum Ausdruck kommen als in der Bezeichnung, die er selbst für diese Funktion in Vorschlag brachte: Reichsdiakon. Sich ersten Diener am Ganzen zu nennen, schien ihm richtiger als ein prunkvoller Titel, der seinen Träger nur allzu leicht in Versuchung bringen konnte, die christliche Demut zu vergessen. Der „Bevollmächtigte des Reichskanzlers" spielte sich mittlerweile stärker in den Vordergrund. Die hinter ihm stehenden Gruppen — die N S D A P und die „Deutschen Christen" — übten ganz zu Anfang noch eine gewisse Zurückhaltung in der Herausstellung seines Namens und seiner Person. Als aber — und zwar noch vor Fertigstellung und Unterzeichnung der Reichskirchenverfassung — immer betonter vom „Reichsbischof" die Rede war, prellten die „Deutschen Christen" vor, forderten die schleunige Wahl eines Reichsbischofs, schlugen ein improvisiertes Wahlkollegium mit Präsident D. Dr. Kapler (Oberkirchenrat) an der Spitze vor und stellten die kategorische Bedingung, daß der Vorschlag des zu Wählenden von den „Deutschen Christen" kommen müßte. Jedermann wußte, daß der N a m e dieses Kandidaten nur Ludwig Müller sein konnte. Aus dem Gefühl heraus, daß es endlich an der Zeit wäre, einen gewissen Gegendruck anzusetzen, griffen die bekenntnistreuen Kreise zu einer Art Selbsthilfe: sie stellten Bodelschwingh als Reichsbischof heraus und einigten sich darauf, ihm schon jetzt maßgebenden Einfluß bei der Gestaltung der Dinge einzuräumen, also ihm eine Stellung zu geben, die der eines Reichsbischofs nicht unähnlich war. So standen denn zwei Gegenspieler auf der 25

Bühne — der eine ohne Parteimacht, der andere im Vollbesitz des Parteieinflusses. Das war die Lage in der ersten Juni-Hälfte. Müller und seine Leute -witterten, daß eine doch immerhin ernst zu nehmende Gefahr heraufzog. Andererseits war es nicht schwer, den infolge der noch fehlenden Reichskirchenverfassung schwankenden Reditsboden zu erkennen, auf dem die Gegenseite operierte; über die Fragwürdigkeit der eigenen konnte man großzügig hinweggehen, da niemand wagen durfte, daran zu rühren. Müller hatte Dank der Regie von Goebbels die Presse zu seiner Verfügung. Er griff also nach dem einfachen Mittel, ein Interview zu geben, und zwar dem Vertreter des großen Nachrichtenbüros „TelegraphenUnion", dem er sich im Kreise seiner „engsten Mitarbeiter", Prof. Hirsch, Pfarrer Schirmacher und Admrial a. D. Meusel präsentierte. Ich möchte die am 10. 6. 33 veröffentlichte Unterredung im Wortlaut wiedergeben, da sie ein plastisches Bild der damaligen Verhältnisse und Auffassungen gibt. Es war Prof. Hirsch, der hierbei hauptsächlich „im Auftrage des Wehrkreispfarrers Müller" das Wort führte. 1. Frage: Wie beurteilen Sie, nach der Bestellung Dr. von Bodelschwinghs, die rechtliche Lage in Anbetracht der Tatsadie, daß das Amt eines Reichsbischofs weder in der bisherigen Kirchenverfassung noch in den bisherigen Staatsverträgen mit der Kirche vorgesehen war? Antwort: Die Ernennung eines Reichsbischofs bedeutet eine Änderung der Kirdienbundesverfassung; diese ist nur möglich durch ein Kirchengesetz. Die Bedingungen für den Erlaß eines Kirchengesetzes sind aber nicht erfüllt. Es kann nach geltendem Recht nicht durch einfachen Beschluß der Kirchen erlassen werden. Dagegen bleibt in dem Augenblick, in dem die Kirche ihren eigenen legalen Boden verläßt, der Staatsaufsicht das Recht der Nachprüfung, ob alles ordentlich und ehrlich im Sinne des Kirchenvolkes geschehen ist. Hinzu kommt, daß der Reichsbischof innerhalb der preußischen Kirchen nicht handeln darf, weil diese durch den Kirchenvertrag verpflichtet sind, bei der Wahl ihrer Führer an den Staat die Frage zu richten, ob politische Bedenken vorliegen". (N.B.: Der Reichsbischof sollte nicht Führer einer preußischen Kirche, sondern einer Organisation auf Reichsebene sein!) „Es ist vielleicht ohne einen revolutionären Akt eine Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse nicht möglich. Dann aber setzt er die Gewißheit der Zustimmung des gesamten Kirchenvolkes sowie die Zustimmung des Staates voraus. 2. Frage: Richtet sich der Einspruch der Glaubensbewegung „Deutsche Christen" nur gegen die Verfahrensart der Bestellung Pfarrer von Bodelschwinghs zum Reichsbischof oder auch gegen seine Person bzw. die Richtung, die er vertritt? 26

Antwort: Die Person D. von Bodelschwinghs ist uns ehrwürdig, wie jedem evangelischen Christen. Was uns an seiner Person mangelt, ist dies, daß er der Repräsentant nicht der in der gegenwärtigen Stunde wagenden Kirche ist, sondern der wahrenden Kirche. Der besonderen Bedeutung in dieser Stunde wird dagegen nach unserer Überzeugung Wehrkreispfarrer Müller gerecht. Er ist ein Mitkämpfer der neuen Volksbewegung und genießt das hohe persönliche Vertrauen des Führers. Er kommt aus der härteren Atmosphäre der für die deutsche Zukunft kämpfenden Männer und Jungen. Alle Fürsorge (Caritas) ist Hilfe, die notwendig ist. Grundlegend aber ist die Durchglühung der gegebenen deutschen Wirklichkeit und der Männer, die sie tragen, mit der Kraft des Evangeliums. 3. Frage: Halten Sie nicht andere Richtungen als die der „Deutschen Christen" für das kirchliche Leben für ebenso notwendig und berechtigt? Antwort: Die „Deutschen Christen" sind keine „Richtung", sondern sie fühlen sich für diesen Augenblick gerufen, um dem Volk eine Kirche und der Kirche ein Volk zu geben. 4. Frage: Welche religiösen Ziele haben Sie im Gedanken an die Reichskirche im Auge? Wie denken Sie sich vor allem im Ziele das Verhältnis der deutschen Katholiken zu dieser Reichskirche? Antwort: Die Deutsche Evangelische Kirche — der Ausdruck „Reichskirche" ist bekanntlich fallen gelassen worden (aber der Ausdrude „Reichsbischof" ist geblieben!!) — soll alle evangelischen Deutschen sammeln, und wir wollen natürlich, daß die innere Verbindung zwischen der Volksbewegung und dem Geist des Evangeliums lebendig ist. Das bedeutet in keiner Weise die Forderung an Katholiken, evangelisch zu werden. Wir ringen auf unserem Boden um die Durchdringung des Volkes mit dem Geist des Evangeliums. Die Verantwortung für Menschen, die auf das Wort einer anderen Kirche hören, wollen und können wir nicht übernehmen." Ich hatte die Kandidatur Bodelschwinghs gefördert, soweit ich dazu nur irgend in der Lage war. Immerhin war ich durch die etwas überstürzte Art, wie man ihn als „Reichsbischof" herausstellte, einigermaßen überrascht. Es wäre richtiger gewesen, ihn als „Beauftragten der evangelischen Landeskirchen" zu bezeichnen und damit ein gewisses Gegengewicht auch in formeller Hinsicht gegen den „Beauftragten des Reichskanzlers" Müller herzustellen. Noch mehr Sorge machte es mir, daß Herr von Bodelschwingh sidi dazu entschloß, sehr bald schon Personalpolitik zu treiben und Stellenumbesetzungen vor allem innerhalb der altpreußischen Landeskirche vorzunehmen. Der Gegenschlag, der dann von Preußen her in Gestalt des „Staatskommissars" Jäger und seiner Komplizen geführt wurde und über den an anderer Stelle bereits gesprochen worden ist, war zwar durch und 27

durch ungesetzlich; aber er beraubte die altpreußische Landeskirche mit ihrem starken Stimmengewicht der legalen Führung, die bei der offiziellen Reichsbischofswahl so dringend nötig gewesen wäre. Nachdem die Stellung der Usurpatoren Jäger und Genossen durch die bereits geschilderte Konferenz bei Hitler praktisch bereits torpediert worden war, setzte sich bei Müller und den hinten ihm stehenden Drahtziehern die Erkenntnis durch, daß es nun wohl an der Zeit wäre, auch auf Reichsebene mit vollendeten Tatsachen zu operieren. Noch schien es, als ob man den Anschein der Defensivrolle halten wollte, obwohl sie j a längst in Wirklichkeit zur Offensive geworden war. Unter dem 19. Juni 1933, also zehn Tage nach dem bereits zitierten Interview Müllers mit dem Vertreter der Telegraphen-Union, brachte die Presse folgende Mitteilung, die in Fettdruck erschien: „Der Bevollmächtigte des Reichskanzlers, Wehrkreispfarrer Müller, hat an die Bevollmächtigten der Kirchen ein Schreiben gerichtet, in dem es heißt: Der Reichskanzler hat mir sein außerordentliches Bedauern darüber ausgedrückt, daß die Arbeiten für den Neubau der deutschen evangelischen Kirche eine schwierige und durchaus unliebsame Entwicklung genommen haben. E r hat meine Bitte, die Bevollmächtigten zu empfangen, abgelehnt." (Heuchler!) „Er lehnt auch den Empfang des Pastors von Bodelschwingh ab. Ein Empfang beim Herrn Reichspräsidenten ist zur Zeit ebenfalls nicht möglich" (eine dreiste Unterstellung, Hindenburg war gar nicht gefragt worden). „Meines Erachtens ist die Rechtslage zur Zeit die, daß Pastor von Bodelschwingh als Reichsbischof zwar in Aussicht genommen ist, daß aber ein anerkanntes Reichsbischofsamt noch nicht besteht, solange nicht die Verfassung der deutschen evangelischen Kirche in K r a f t ist. Diese Verfassung bedarf der Zustimmung des Kirchenvolkes wie der Zustimmung des Reiches. Es wird dankbar begrüßt, wenn die neuen Verhandlungen zwischen dem Dreierausschuß und dem Bevollmächtigten des Kanzlers das Ziel verfolgen, in allen Landeskirchen neue Wahlen vorzubereiten oder einen anderen Ausweg aus den bestehenden Schwierigkeiten zu finden." Und dieser „andere Ausweg" wurde gefunden. Eines Nachts ließ Müller durch die für jeden Gewaltakt einsatzbereite SA das Deutsche Evangelische Kirchenbundesamt besetzen und übernahm kurzerhand die provisorische Leitung der Kirche. Ein Nimbus, wie er von seiner Eigenschaft als Beauftragter Hitlers ausging, ermöglichte eben in der Angstpsychose dieser Ära jede Art von Terror, jede beliebige Anwendung der Politik der vollendeten Tatsachen. Die rechtmäßige Leitung des Kirchenbundes mit Präsident Kapler an der Spitze zog sich darauf in ein nahegelegenes Hotel am „Knie" in Berlin-Charlottenburg zurück. Ich zögerte nicht, durch persön28

liehe Besuche in diesem Hotel nach außen hin zu bekunden, daß ich den amtlichen Verkehr ausschließlich mit der rechtmäßigen kirchlichen Führung fortzusetzen gedachte. Eile war geboten; denn eine offiziell frisierte Wahl des Reichsbischofs stand unmittelbar bevor. Nach der Kirchenverfassung sollte der Reichsbischof der „Nationalsynode" von den im leitenden Amt stehenden Führern der Landeskirchen in Gemeinschaft mit dem „Geistlichen Ministerium" vorgeschlagen und von der Nationalsynode in das Bischofsamt berufen werden. Alle Organe der Reichskirche, die hier genannt sind, waren aber noch nicht vorhanden. Andererseits drängte der Müller'sche Gewaltstreich gegen das Kirchenbundesamt zu schnellem Handeln, das sozusagen im luftleeren Raum einer noch nicht vorhandenen Kirchenverfassung vorgenommen werden mußte. Man veranstaltete also, rechtlich gesehen, eine Art von Stimmungs-Test. Hierbei ergab sich schließlich eine Mehrheit für Müller. Es war ein tolles Durcheinander. Die „Deutschen Christen" hatten, als Bodelschwingh herausgestellt wurde, versucht, die Abstimmung dadurch anzugreifen, daß sie nach Landeskirchen rechnen wollten, während nach der Verfassung des Kirchenbundes die Landeskirchen eine verschiedene Stimmenzahl hatten; man konnte schließlich die Stimme der altpreußischen Union unmöglich mit der kleinen Kirche von Schaumburg-Lippe oder von Eutin gleichsetzen. Die süddeutschen Kirchen hatten leider zunächst für Ludwig Müller gestimmt. Später aber erklärten sie sich ebenfalls für Bodelschwingh. Man hatte ihnen nämlich anfänglich die Meinung suggeriert, daß die norddeutschen Kirchen einen Kampf gegen Müller doch nicht durchstehen würden; aus diesem Grunde hatten sie zunächst für Müller gestimmt. Ihr späterer Stimmungswechsel wurde nicht mehr beachtet. Man sprach nun nicht mehr vom vorläufigen, sondern vom Reichsbischof schlechthin. Das erste pomphafte Auftreten des auf so seltsame Weise gekürten Oberhauptes der Reichskirche sollte an der Weihestätte des Protestantismus in Wittenberg erfolgen; es war mit der Eröffnung der Ersten Deutschen Nationalsynode am 27. 9. 33 verbunden und beendete den ersten Abschnitt des evangelischen Kirchenkampfes. Als Vertreter der Reichsregierung nahmen — auf Wunsch von Frick — Gottheiner, Buttmann und ich daran teil. Wir waren mit einem Frühzuge von Berlin hinübergefahren und fanden noch genügend Zeit zu kurzer Rast in einem Hotel der Stadt, in dem sich das Hauptquartier der Festleitung und zugleich der Sammelplatz der zahlreich erschienenen Gäste befanden. Der Anblick der dicht gefüllten Räume bot insofern etwas Ungewöhnliches, als die priesterliche Gewandung und die braune SA-Kleidung auf etwa paritätischer Basis miteinander wetteiferten. Auf meine Frage, ob etwa die SA einen Ehrensturm gestellt hätte, wurde ich dahin belehrt, daß es sich bei den braunberockten Männern ebenfalls um Pfarrer handelte, die aber durch diese Art der Kostümierung ihrem 29

Bekenntnis zu Adolf Hitler sinnfälligen Ausdruck zu geben wünschten. Die feierliche Vorstimmung, in die ich durch das bereits Erlebte versetzt worden war, wurde noch gesteigert, als plötzlich ein wohlbeleibter SA-Priester — es war, wie ich später erfuhr, der Pfarrer Karl Eckert aus Schwachenwalde — die Räume durchschritt und mit dem im Kasernenhofton herausgebrüllten Befehl „Antreten zum Kirchgang!" den allgemeinen Aufbruch in Gang brachte. Während wir drei Regierungsvertreter — übrigens absichtlich am Schluß des schwarzbraunen Aufzuges — uns zur Stadtkirche begaben, gestand mir Buttmann, er habe sich selten so geschämt wie in dieser Umrahmung. Meine eigenen Empfindungen während des denkwürdigen Marsches zur einstigen Predigtstätte Martin Luthers standen im Zeichen eines gewissen Durcheinander. Teilnahmslosigkeit und ein dem Buttmannschen ähnliches Gefühl der Depression gerieten wiederholt ins Wanken, wenn ein Blick auf die mehr ulkige als festliche Kolonne vor uns meinem angeborenen Hang zum fröhlichen Studium des homo sapiens Nahrung zuführte und einen Reiz auf meine Lachmuskeln ausübte, den ich nur mühsam unterdrücken konnte. Dazwischen wieder befielen mich leise Zweifel, ob ich mich nun als Vertreter einer übergeordneten Regierungsgewalt oder als Gefangenen im Triumphzuge eines Cäsaren zu betrachten hätte (Müller marschierte an der Spitze des Zuges). Plötzlich wurde ich aus meinen tiefsinnigen Betrachtungen herausgerissen. Aus der spalierbildenden Menge kam jemand — es war der Pfarrer Niemöller aus Berlin-Dahlem — auf uns zu und drückte uns Flugblätter in die Hand, in denen scharf gegen den neuen „Reichsbischof" Stellung genommen wurde. Als wir uns nach dem Kirchenakte in einem Café zu erholen suchten, trat ein Vertreter der Geheimen Staatspolizei mit der Mitteilung an uns heran, jene müllerfeindliche Zettelverteilung hätte einen so großen Umfang angenommen, daß man sich bei uns als den zuständigen Hütern der Reichsautorität glaubte Rat holen zu sollen, ob etwas gegen die Täter geschehen müßte. Wir waren von dem bereits Erlebten so mitgenommen, daß wir nur noch das Bedürfnis fühlten, Wittenberg so schnell und so spurlos wie möglich zu verlassen. Wir verneinten daher mit Entschiedenheit ein öffentliches Interesse am Einschreiten und zogen unseres Weges. Wir hatten unseren Aufenthalt in Wittenberg ganz bewußt auf die Teilnahme am Gottesdienst in der Predigtkirche Martin Luthers beschränkt. Dem unwürdigen Treiben der „Nationalsynode" beizuwohnen, lehnten wir ab — aus der Erwägung heraus, daß wir keinesfalls durch unsere Gegenwart den Anschein erregen wollten, als ob das, was in Wittenberg beabsichtigt war, den Segen der Reichspolitik erhielte. Die Wahl Müllers zum „Reichsbischof", die dann prompt erfolgte, hatte für uns nur den Wert einer Zeitungsnachricht. Wir waren uns darüber klar, daß nun ein Kräftespiel beginnen würde, in dem der Sieger von Wittenberg — aufs Ganze 30

gesehen — nur eine Nebenfigur sein würde. Unsere eigentlichen Gegenspieler sahen wir schon damals in anderen Leuten, von denen wir überzeugt waren, daß sie das Ringen um die Kirche zu einem politischen Großkampf machen würden.

Drittes

Kapitel

Katholische Kirche Von katholischer Seite wurden die Vorgänge in der evangelischen Kirche mit größter Aufmerksamkeit und zunehmender Sorge verfolgt. Gewiß: man war an sich in einer wesentlich besseren Lage als der Protestantismus. Die äußere Geschlossenheit der katholischen Kirche trat noch immer imponierend in Erscheinung. Die Festigkeit des Dogmas ließ keinerlei Umwertung der religiösen BegrifFswelt befürchten. Es fehlte eine Fünfte Kolonne der Partei innerhalb der Kirche, überhaupt war das System der Zellenbildung, im Wachstum der Hitlerbewegung während der „Kampfzeit" glänzend bewährt, auf diesem Boden völlig undenkbar. Und schließlich lebte die Kirche im Schutze des weitgestaffelten Regierungsapparats des Vatikans und der gewaltigen Machtstellung des Papstes, im Blickfelde der gesamten Kulturwelt und in dem oft bewährten Solidaritätsbewußtsein des Weltkatholizismus. Auf der anderen Seite fehlte es nicht an Gründen, die geeignet waren, das Sicherheitsgefühl der deutschen Katholiken zu dämpfen. Die katholische Kirche stand zu Beginn des Dritten Reiches stark im Schatten der ehemaligen Zentrumspolitik. Es war allerdings schwer zu sagen, wer nun eigentlich in Mißkredit geraten war. Die einen machten der Kirche den Vorwurf, daß sie mit Hilfe der Zentrumspartei politisch operierte, um ihre „Machtansprüche" durchzusetzen. Andere wieder behaupteten, diese Partei mache politische Geschäfte unter Mißbrauch der Kirche als einer geistlichen Instanz. Gemeinsamer Nenner aller Anschuldigungen war jedenfalls die Auffassung, daß hier Kirche und Politik miteinander vermengt würden. Ihren Höhepunkt erreichte die Schmähflut während der Kanzlerschaft des gerade in dieser Hinsicht völlig intakten Dr. Brüning, als das Trommelfeuer um die Schlußlösung des nationalsozialistischen Machthungers, die skrupellose Hetze der Endspurtpsychose letzte Hemmungen politischer Anständigkeit niederlegte und ein Hagel von Verleumdungen und Verdrehungen auf den Katholizismus niederprasselte, wie er wohl selten erlebt worden ist. Nicht ohne Interesse ist ein Blick auf die Zusammensetzung des Reichstags, wie er aus den Wahlen am 14. 9. 1930 hervorgegangen war. Danach waren vier katholische Geistliche Mitglieder des Zentrums, nämlich die Prälaten Domkapitular Dr. Kaas aus Trier, Dr. Schreiber aus Münster, Ulitzka 31

aus Oberschlesien und Pfarrer Dr. Offenstein aus Hannover. Dazu kam dann noch der Domkapitular Leicht aus Bamberg, der in der Bayerischen Volkspartei führend tätig war. Man muß allerdings, um gerecht zu sein, in diesem Zusammenhang erwähnen, daß auch vier evangelische Geistliche dem Reichstag von 1930 angehörten, nämlich der Hof- und Domprediger D. Doehring aus Berlin, Präses D. Koch aus Westfalen, Pastor D. Mumm aus Dortmund und Pfarrer Lic. Schmidt aus Bochum. Von ihnen gehörten die beiden Erstgenannten zur Deutschnationalen Volkspartei, die beiden Letzteren zum Christlich-Sozialen Volksdienst, der sich einige Zeit vorher von den durch Hugenberg beherrschten Deutschnationalen getrennt hatte. Es war also zahlenmäßig kein großer Unterschied zwischen dem klerikalen Parteianteil beider Konfessionen. Immerhin war etwas anderes von Bedeutung. Wer um das Milieu großer Parlamente Bescheid weiß und in ihnen oder mit ihnen zu tun gehabt hat, kennt die überragende Stellung, die die sogenannten Berichterstatter in Etatsangelegenheiten einnehmen. Sie wurden zwar nach der Geschäftsordnung des Reichstags von Jahr zu Jahr neu bestellt; aber übungsgemäß bleibt diese Funktion doch meist bei derselben Persönlichkeit hängen, deren sorgfältige Einarbeitung in die vielen Etatspositionen dann nicht nur die Arbeit im Ausschuß und im Plenum erleichterte, sondern selbstverständlich auch demjenigen, der diese Funktion ausübte, einen nicht zu unterschätzenden Einfluß verlieh. Wenn nun Prälat Kaas für das Auswärtige Amt und Prälat Schreiber für das Reidisministerium des Innern fast Jahr für Jahr in dieser Tätigkeit in Erscheinung traten, so konnte zwar der Fleiß, den die Herren dabei aufbrachten, von niemandem in Zweifel gezogen werden; aber das Unbehagen, das manche empfanden, wurde deshalb nicht geringer. Übrigens wäre es falsch, den deutschen Episkopat mit diesen Dingen in Verbindung zu bringen. Ich habe in vertrauten Gesprächen mit dem Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz, dem hochbedeutenden Erzbischof von Breslau, Kardinal Bertram, mehr als einmal feststellen können, daß ihm diese Herausstellung katholischer Geistlicher im politischen Kampf äußerst unsympathisch war. Für die Meinungsbildung im Volke war indessen wichtiger, was sozusagen in der unteren Ebene geschah. Als nach dem verblüffenden Ergebnis der Reichstagswahl von 1930 der Endkampf der NSDAP um die Macht begonnen hatte, ging die katholische Kirche aus ihrer anfänglichen Reserve heraus. In verschiedenen Diözesen wurde die Zugehörigkeit zur Partei kirchlicherseits verboten. Die Haltung der Bischöfe war nicht einheitlich; manche von ihnen begnügten sich mit einer Stellungnahme zum Parteiprogramm und stellten die Unvereinbarkeit einiger Punkte mit dem Dogma fest. Immerhin reichte diese Feststellung aus, um führenden Nationalsozialisten die Spendung der Sakramente zu verweigern. Es soll übrigens festgehalten werden, daß die bischöflichen Erlasse gegen die NSDAP vom Papst selbst niemals ausdrücklich anerkannt worden waren. 32

TAFEL

Kardinal Bertram Fürst-Erzbischof von Breslau

5

TAFEL

6

Bischof D r . Bares (Berlin)

Reichskonkordat Unter diesen Umständen bedeutete es für jeden Kenner der Kurialpolitik keine Überraschung, daß der Vatikan nach jenem Mittel Ausschau hielt, das unter etwa vergleichbaren Umständen seit langem mit Erfolg erprobt worden war. Seit Menschenaltern hatten innere und äußere Unruhen und die damit verbundene Unsicherheit in einem Lande den Papst veranlaßt, durch vertragliche Regelungen den kirchlichen Bestand zu sichern, womöglich noch zu verbessern und jedenfalls Bollwerke gegen etwa zu befürchtende weitere Störungen zu errichten. Ein typisches Beispiel ist die Kette von Vertragsabschlüssen in den häufig von Unruhen betroffenen mittel- und südamerikanischen Staaten (Costarica 1853, Haiti 1860, Honduras 1861, Ecuador 1862, Venezuela 1862, Nicaragua 1862, San Salvador 1862). Ähnliches begegnet nach den staatlichen Umwälzungen im Gefolge des ersten Weltkrieges (Lettland 1922, Polen 1925, Litauen 1927, das faschistische Italien 1929). Die Konkordatsgeschichte in Deutschland war nicht frei von peinlichen Rückschlägen. In Bayern war im Jahre 1817 ein Konkordat zwar abgesdilossen, aber erst im folgenden Jahre publiziert worden, und zwar durch das sogen. Religionsedikt in der Weise beschränkt, daß primär stets das Religionsedikt mit seiner stärkeren Wahrung der Staatshoheit zu gelten hatten, das Konkordat aber nur insoweit, als es mit dem Religionsedikt nicht in Widerspruch stand. Was um die Jahrhundertmitte in Württemberg und Baden geschah, war noch bemerkenswerter. Dort wurden 1857 bzw. 1859 Konkordate abgeschlossen, aber sie wurden von den Volksvertretungen mit Entschiedenheit zurückgewiesen, woraufhin in beiden Ländern die Verhältnisse der katholischen Kirche durch Staatsgesetz geregelt wurden. Die starke Stützung, die die Kurie in Deutschland nach dem ersten Weltkriege durch die Zentrumspartei mit ihrer glänzenden Manövrierfähigkeit auf dem Gebiete der Koalitionspolitik fand, führte zu drei wesentlichen Vertragsabschlüssen, nämlich mit Bayern (1924), mit Preußen (1929) und mit Baden (1932). Das Bayernkonkordat sprach in seiner Präambel von dem „gleichen Verlangen" beider Vertragsteile, die Lage der katholischen Kirche „auf eine den veränderten Verhältnissen entsprechende Weise" neu zu ordnen. Man konnte diese Wendung zunächst auf die Tatsache beziehen, daß das alte Konkordat von 1817 in manchen Teilen nicht mehr durchführbar war, z. B. hinsichtlich des Nominationsrechtes der Könige von Bayern für die Bischofsstühle (Art. IV). Der Hinweis auf die „veränderten Verhältnisse" hatte aber doch wohl die weitergehende Bedeutung, daß der durch die Umwälzung von 1918 und die Weimarer Verfassung von 1919 veränderte Rechtsstatus irgendwie aufgefangen werden sollte. 4

Conrad,

Der Kampf um die

Kanzeln

33

Es lag für die Kurie nahe, den Hebel in dieser Richtung auch bei der Reichsregierung anzusetzen. Das ist auch tatsächlich geschehen, und zwar im November 1921 bei dem damaligen Reichskanzler Wirth und im Jahre 1924 bei dem damaligen Reichskanzler Marx, beidemal ohne Ergebnis. Im Jahre 1926 wurde wieder ein Versuch unternommen, wiederum unter Reichskanzler Marx. Reichsminister des Innern war damals Dr. Külz. Ich erinnere midi noch gut einer Besprechung, die in der Reichskanzlei stattfand und an der von der zuständigen Ressortseite Külz und ich teilnahmen. Zur Debatte stand der Entwurf eines Reichskonkordats, den ich in den Akten des Reichsministeriums des Innern vorgefunden hatte und von dem ich niemals habe in Erfahrung bringen können, wie er eigentlich dort hineingekommen war. Jedenfalls war er nicht in den Räumen des Ministeriums entstanden. Eine Fama wollte wissen, daß er von der Hand des päpstlichen Hausprälaten Dr. Kaas stammte. Er hätte keinesfalls besser verfaßt werden können, wenn man in erster Linie die Interessen der Kirche im Auge hatte. Külz veranlaßte midi, dem Reichskanzler gegenüber diesen Entwurf zu besprechen. Meine Stellungnahme, die von Külz ausdrücklich gebilligt wurde, fiel so kritisch aus, daß Marx auf eine Fortsetzung der Debatte verzichtete. Damit war der Fall erledigt. Es war nach der „Machtergreifung" Hitlers kaum zweifelhaft, daß die Bemühungen des Vatikans um ein Reichskonkordat neuen Auftrieb gewinnen würden. Man muß sich vergegenwärtigen, welchen Zustand fundamentaler Rechtsunsicherheit wir damals in Deutschland zu verzeichnen hatten. Nachdem bereits am 28. Februar 1933 durch Präsidialdekret die Verfassungsartikel über die Freiheit der Person, die Unverletzlichkeit der Wohnung, das Postgeheimnis, das Recht der Meinungsäußerung, das Versammlungsrecht, das Vereinsrecht und den Eigentumsschutz „bis auf weiteres" außer K r a f t gesetzt worden waren, kam am 24. März 1933 der große Donnerschlag, der auch den Gleichgültigsten aufrütteln mußte: die Reichsregierung wird zugleich Gesetzgeber und kann bei der Ausübung dieses Rechts sogar von der Reidisverfassung abweichen. Damit hing der gesamte Verfassungsschutz für die Kirchen, der in den Artikeln 135 ff. der Weimarer Verfassung noch mit besonderer Sorgfalt festgelegt worden war, praktisch in der Luft. Das einzige Mittel, das in dieser Zwitterlage noch einen gewissen praktischen Erfolg versprach, war die Bindung durch einen völkerrechtlichen Vertrag, die bekanntlich auch bei Diktatoren noch leidlich im Kurse steht. Aber die Kurie stand nicht allein mit ihren Sorgen. Hatten diese die innere Lage in Deutschland zum Gegenstand, so waren andrerseits die Herzen der von Hitler geführten Reichsregierung bei dem Blick auf den außenpolitischen Horizont nicht frei von Beklemmungen. Die Stellung Deutschlands in der Welt hatte sich diametral entgegengesetzt zu dem Elan der inneren Umwälzung entwickelt. N o d i waren wir weit entfernt von dem 34

furchtgeladenen Respekt, den man einige Jahre später dem Hitlerregime von außen entgegenbrachte. Noch verhielt die Welt den Atem über der Skrupellosikeit und über dem Tempo, mit denen man in Deutschland über Fundamentalsätze des neuzeitlichen Verfassungswesens hinwegschritt. Noch raunten ausländische Beobachter und Diplomaten von der „absoluten Gewißheit", daß das Hitlerregime nicht lange am Ruder bleiben werde; ihre Regierungen, von der „öffentlichen Meinung" bestärkt, zogen daraus den Schluß, daß man gut daran tun werde, über Deutschland in dieser Zeit des voraussichtlich kurzen Zuwartens eine heilsame Quarantäne, eine nur mühsam verkleidete Ächtung zu verhängen. Daß Hitler, sein Außenminister Frhr. von Neurath, aber auch weite Teile des nicht gerade hitlertreuen Deutschland, die hinsichtlich der Dauer des Regimes keineswegs mit der reichlich oberflächlichen Beurteilung ausländischer Wunschträumer übereinstimmten, das lebhafte Verlangen hatten, aus dieser außenpolitischen, auf die Dauer doch nicht aufrecht zu haltenden Isolierung herauszukommen, ist wohl verständlich. So übersichtlich die Zusammenhänge waren, die zum Reichskonkordat hinführten, so seltsam waren die Umstände, unter denen dieser Vertrag abgeschlossen wurde. Buttmann überraschte mich an einem Sommertage des Jahres 1933 mit der Mitteilung, Herr von Papen hätte in Rom über ein Reichskonkordat verhandelt und sei mit dem Vatikan einig geworden. Hitler habe den Entwurf soeben dem Innenministerium mit der Weisung zugestellt, ihm etwaige Wünsche dazu bis zum nächsten Vormittag mitzuteilen. Ich habe mir keine Mühe gegeben, mein äußerstes Erstaunen über diese offensichtlich überstürzte Art in der Behandlung einer schwierigen Materie zu verbergen. Nicht zum wenigsten überraschte mich die Persönlichkeit des deutschen Unterhändlers. Mir war bis dahin nicht bekannt geworden, daß von Papen sich auf dem schwierigen Parkett der Konkordatspolitik versucht hätte. Auf jeden Fall war die Ausschaltung des zuständigen Reichsressorts bei dem ganzen bisherigen Verfahren etwas völlig Ungewöhnliches. Ich erinnerte mich der langen und eingehenden, von beiden Seiten mit äußerster Zähigkeit geführten Verhandlungen zwischen dem damaligen Nuntius in Berlin, Pacelli, und den preußischen Vertretern, aus denen dann das Preußenkonkordat von 1929 hervorging. Auf meine Frage an Buttmann, ob er denn von den Konkordatsberatungen in Rom gewußt habe, erhielt ich die Antwort, daß er wohl über den Aufenthalt Papens in Rom orientiert gewesen sei, aber erst jetzt erfahren habe, daß Papen seit Ostern 1933 nicht nur sondiert, sondern bereits offizielle Verhandlungen geführt und nunmehr auch zum Abschluß gebracht habe. Ich stellte nun eine ziemlich lange Liste von Änderungswünschen auf, fügte eine ausführliche Begründung hinzu und sprach dann darüber mit 4'

35

Buttmann in der Frühe des nächsten Tages. Wir wurden schnell einig. Buttmann ging zu Hitler in die Reichskanzlei, erhielt dessen Zustimmung zu unseren Änderungsvorschlägen und flog noch am Nachmittag desselben Tages mit einem Sonderflugzeug nach Rom. Hier verhandelte er am 6., 7. und 8. Juli mit dem Kardinal-Staatssekretär Pacelli. Von deutscher Seite nahm außer Buttmann Vizekanzler von Papen teil, von katholischer Seite außer Pacelli Prälat Dr. Kaas, den Pacelli in späteren Verhandlungen des Jahres 1933 gelegentlich als seinen „Aktuarius" bezeichnete, und der Erzbischof von Freiburg Conrad Gröber, der übrigens auf beiden Seiten großes Ansehen und Vertrauen genoß. Ich will über den Gang und das Ergebnis dieser Verhandlungen auf Grund der Aufzeichnungen Dr. Buttmanns berichten, mich allerdings dabei auf die wichtigen Punkte, die Allgemeininteresse beanspruchen, beschränken. Der Versuch, die Länderkonkordate überhaupt auszuschalten, mißlang. Die Kurie hatte hier eine starke Waffe in der H a n d : in seiner Reichstagsrede vom 23. 3. 1933 hatte nämlich Hitler ausdrücklich versprochen, daß seine Regierung die zwischen den beiden christlichen Konfessionen und den Ländern abgeschlossenen Verträge „respektieren" werde; ihre Rechte sollen nicht angetastet werden. In Artikel 1 Absatz 2 ging es letzten Endes um die sogenannte Kompetenz-Kompetenz, d. h. um die Frage, wer entscheidet darüber, was staatliche oder kirchliche Angelegenheiten sind. Der Streit ist in seinem Kern so alt wie der Kampf um die vielgenannte Zwei-Schwerter-Theorie, die lange Jahrhunderte hindurch die Gemüter bewegt hat. Bei den Abschlußverhandlungen über das Reichskonkordat bestand von vornherein Klarheit darüber, daß die Ordnung und Verwaltung der eigentlich kirchlichen Angelegenheiten der selbständigen Befugnis der Kirche überlassen bleiben sollte, wie es im Artikel 137 Abs. 3 Satz 1 der Weimarer Verfassung festgelegt war, aber natürlich mit dem Vorbehalt: „innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes." Das heiße Eisen einer Definition dessen, was denn eigentlich ein „für alle geltendes Gesetz" im allgemeinen und besonders in diesem Zusammenhange wäre, wurde von beiden Teilen nicht angefaßt. Aber es gelang Buttmann, eine kleine Umstellung im Aufmarsch der Worte und Begriffe zu erreichen. Die Reichsverfassung statuiert das selbständige Ordnungs- und Verwaltungsrecht der Kirchen für ihre Angelegenheiten und kommt dann erst mit der Klausel „innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes." In dieser Reihenfolge stand es auch im Entwurf des Konkordats. Buttmann erreichte, daß zuerst von den allgemeinen, durch das Staatsgesetz gesetzte Grenzen gesprochen wurde und dann erst der Begriff der „kirchlichen Angelegenheiten" Erwähnung fand. Damit war, wenn man zu strenger Auslegung neigte, ein gewisser Hinweis in der heiklen Frage der Kompetenz-Kompetenz gegeben, und zwar in dem Sinn, daß die 36

Geltung des Staatsgesetzes auch die Abgrenzung der kirchlichen Angelegenheiten gewissermaßen überschattete. Artikel 4 handelt von dem Recht der kirchlichen Behörden, Hirtenbriefe usw. ungehindert zu veröffentlichen „und in den bisher üblichen Formen zur Kenntnis der Gläubigen" zu bringen. Audi hier gelang es Buttmann, die Bremse des Staatsgesetzes zur Anwendung zu bringen, indem hinter der Erwähnung der kirchlichen Zuständigkeit der Hinweis auf Art. 1 Abs. 2 eingefügt und damit auch hier die Umklammerung durch das staatliche Recht zum Ausdruck gebracht wurde. Welche Bedeutung diese Beschränkung hatte, sollte sich bald zeigen. Goebbels übernahm die Diktatur über die Presse und bestimmte darüber, was publiziert werden durfte und was nicht. Ein Beispiel: Als die Frage der Sterilisation reichsgesetzlich geordnet und von kirchlicher Seite dagegen scharf Stellung genommen wurde, hat die Bezugnahme auf die von Buttmann durchgesetzte Gestalt des Art. 4 jedenfalls in formeller Hinsicht ein Plaidoyer im Sinne des Nationalsozialismus ermöglicht. Ein interessantes Hin und Her entspann sich, um Artikel 14, insbes. Abs. 2 Ziffer 2. Im Entwurf hieß es: „Vor der Ausstellung der Bulle für die Ernennung von Erzbisdiöfen usw. wird der Name des dazu Ausersehenen dem Statthalter der zuständigen Landesregierung mitgeteilt, ob gegen denselben Bedenken allgemein politischer Natur bestehen." Dem etwas merkwürdigen Deutsch war jedenfalls zu entnehmen, daß es sich hier nur um eine Fragepflicht des Heiligen Stuhls handeln sollte. Buttmann setzte die Fassung durch: „Die Bulle . . . wird erst ausgestellt, nachdem der Name des dazu Ausersehenen . . . mitgeteilt und festgestellt ist, daß gegen ihn Bedenken allgemein politischer Natur nicht bestehen." Dafür aber mußte er hinnehmen, daß in das Schlußprotokoll hineingeschrieben wurde: „Ein staatliches Vetorecht soll nicht begründet werden." Da nicht gesagt ist, wer die „Feststellung" politischer Bedenklichkeit zu treffen hat, das Schlußprotokoll aber eine deutliche Sprache spricht, wird man kaum eine rechtliche Bindung des Papstes annehmen können, einen Kandidaten, gegen den einseitig, d. h. vom Staate her Erinnerungen erhoben sind, ohne weiteres fallen zu lassen. Vielmehr dürfte die Verpflichtung des Hl. Stuhles lediglich dahin zu verstehen sein, daß etwa erhobene Erinnerungen sorgfältig nachzuprüfen sind und jedenfalls versucht werden muß, ein Einvernehmen herzustellen. Aus Buttmanns Aufzeichnungen geht hervor, daß über diesen Punkt lange gerungen worden ist. Artikel 16 handelt von dem Treueid der Bischöfe, den sie der Staatsbehörde gegenüber zu leisten haben, bevor sie von ihrer Diözese Besitz ergreifen. Satz 2 des Eides sollte nach dem Entwurf lauten: „Ich schwöre und verspreche, die verfassungsmäßig gebildete Regierung zu achten und von meinem Klerus und den mir anvertrauten Gläubigen achten zu lassen." Die Worte „und den mir 37

anvertrauten Gläubigen" wurden auf Verlangen Buttmanns gestrichen, obwohl damit im Grunde genommen die Verpflichtung der Bischöfe dem Staate gegenüber eine Minderung erfuhr. Wichtiger war offenbar die Prestigefrage: der Bischof sollte nicht das Recht haben, „die Treuepflicht des katholischen Volksgenossen gegenüber der Reichsregierung zu überprüfen", wie es in Buttmanns Aufzeichnungen heißt. Übrigens war für diesen, die Trennung zwischen Staat und Kirche an sich abschwächenden Artikel ein Vorbild in Art. 20 des mit Mussolini abgeschlossenen italienischen Konkordats vorhanden. Gleiche Systeme — gleiche Sorgen. In Artikel 18 wurde einiges immerhin nicht Unwichtiges zu dem schwierigen Kapitel der Ablösung der Staatsleistungen an die Kirche gesagt. Art. 138 der Reichs Verfassung enthält die Richtlinie, daß abgelöst werden soll, und zwar nach Grundsätzen, die das Reich aufzustellen hätte. In Art. 18 des Konkordats wird dem Heiligen Stuhl zugesichert, daß er bei der Aufstellung der „Grundsätze" beteiligt werden soll, um ein „freundschaftliches Einvernehmen" herbeizuführen. „Die Ablösung muß den Ablösungsberechtigten einen angemessenen Ausgleich für den Wegfall der bisherigen staatlichen Leistungen gewähren." Das war ein Zurückschrauben gegenüber dem Bayernkonkordat, wo von einem „vollen" Ausgleich die Rede war. D a aber Buttmann in den Verhandlungen keinen Zweifel darüber ließ, daß die finanzielle Lage des Reichs eine Ablösung von Staatsleistungen in absehbarer Zeit überhaupt nicht zulassen werde, ging der Kardinal-Staatssekretär auf einen Vorschlag des Prälaten Kaas ein, den Kardinälen zu erklären, daß dieser Absatz überhaupt nur theoretischen Charakter besitze. Artikel 21 behandelt Fragen des Schulunterrichts. Satz 2 lautete im Entwurf: „Im Religionsunterricht sowie im gesamten übrigen Unterricht wird die Erziehung zu vaterländischem, staatsbürgerlichem und sozialem Pflichtbewußtsein aus dem Geiste des christlichen Glaubens- und Sittengesetzes mit besonderem Nachdruck gepflegt werden." Dieser Satz wurde auf Buttmanns Antrag dahin geändert, daß zwar die Verpflichtung der Kirche festgelegt wird, im Religionsunterricht das vaterländische, staatsbürgerliche und soziale Pflichtbewußtsein zu pflegen, aber dann lediglich als Feststellung der Halbsatz angehängt wird: „ebenso wie es im gesamten übrigen Unterricht geschieht." Danach sollte die Kirche lediglich für den Religionsunterricht das Recht haben, diesen Geist zu überwachen, nicht aber für andere Fächer. Der Schlußsatz lautete im Entwurf: „Den kirchlichen Oberbehörden wird Gelegenheit gegeben werden, sich davon zu überzeugen, daß die Schüler Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Lehren und Anforderungen der Kirche erhalten." Hier setzte Buttmann die Änderung durch: „ . . . im Einvernehmen mit der Schulbehörde zu prüfen, ob die Schüler . . . " Die kirchlichen Organe müssen also ihre Besuche bei der Schulbehörde anmelden. Buttmann nimmt in seinen Aufzeichnungen an, 38

daß die Schulbehörde sich bei der Feststellung des Prüfungsergebnisses einschalten könne. Jedenfalls wird das kirchliche Recht, unter Umständen einseitig die missio canonica zu entziehen (s. Art. 22), nicht angetastet. In Artikel 23 (katholische Bekenntnisschulen) wurde auf Buttmanns Verlangen hinzugefügt, daß die Norm dafür, was unter „Durchführung eines geordneten Schulbetriebs" zu verstehen ist, von den staatlichen Vorschriften her gewonnen werden muß. Bei Artikel 26 (kirchliche Nottrauung vor der Ziviltrauung) platzten die unterschiedlichen Auffassungen in Grundfragen des Eherechts aufeinander. Buttmann wollte die beiden Ausnahmefälle für eine solche Nottrauung (schwere Erkrankung eines Verlobten, schwerer sittlicher Notstand) zwar anerkennen, aber zugleich den Grundsatz niedergelegt sehen, daß, von diesen Ausnahmen abgesehen, die kirchliche Einsegnung der Ehe vor der Ziviltrauung nicht vorgenommen werden dürfe. Hier widersprach der Kardinal-Staatssekretär mit Entschiedenheit, weil „die Kirche grundsätzlich an ihrem Rechtsstandpunkt festhalten müßte, daß die kirchliche Einsegnung an sich die Ehe begründe. Die verneinende Fassung dieses Satzes sei daher für die Kirche unannehmbar." Buttmann erreichte dann wenigstens, daß in das Schlußprotokoll eine Erklärung darüber aufgenommen wurde, wann ein schwerer sittlicher Notstand vorliegt. Mit Artikel 31 (Schutz der katholischen Verbände) zog die dunkelste Wolke am Konkordatshimmel herauf. Der Kardinal-Staatssekretär hatte zu Beginn der Verhandlungen wiederholt auf Art. 31 hingewiesen und erklärt, alle Verhandlungen über die vorausgehenden Artikel seien vielleicht ganz zwecklos, weil eine Einigung über die Fassung des Art. 31 doch nicht Zustandekommen werde. Man kam nur schrittweise weiter. Zunächst wurde der Kreis der „in ihren Einrichtungen und in ihrer Tätigkeit geschützten" Organisationen und Verbände gegenüber dem Entwurf dahin eingeschränkt, daß nur die „der kirchlichen Behörde unterstellten", nicht aber die „mit ihr in besonderen Beziehungen stehenden" als privilegiert zu gelten haben. Schwierig war es mit den in Absatz 2 behandelten Organisationen, „die außer religiösen, kulturellen oder karikativen Zwecken auch anderen . . . Aufgaben dienen." Hier wurde nicht nur eine „etwaige Einordnung in staatliche Verbände" offengelassen, sondern auch der Schutz des vorangehenden Absatzes nur insoweit zugesagt, als diese Organisationen „Gewähr dafür bieten, ihre Tätigkeit außerhalb jeder politischen Partei zu entfalten." Der Kardinal-Staatssekretär wurde für diese, den kirchlichen Vereinsbestand stark gefährdende Regelung nur dadurch gewonnen, daß ein Absatz 3 eingefügt wurde, wonach „die Feststellung der Organisationen und Verbände, die unter die Bestimmungen dieses Artikels fallen, . . . vereinbarlicher Abmachung zwischen der Reichsregierung und dem deutschen Episkopat" vorbehalten bleibt. So glaubte man einen Weg zu einer Verständigung ge39

funden zu haben. Es sollte sich später erweisen, daß man keine Brücke geschlagen, sondern sich dem täuschenden Anblick eines Regenbogens hingegeben hatte. Mit Artikel 32 war ein Schlag gegen den politischen Katholizismus beabsichtigt: „Auf Grund der in Deutschland bestehenden besonderen Verhältnisse wie im Hinblick auf die durch die Bestimmungen des vorstehenden Konkordats geschaffenen Sicherungen einer die Rechte und Freiheiten der katholischen Kirche im Reich und seinen Ländern wahrenden Gesetzgebung erläßt der Heilige Stuhl Bestimmungen, die für die Geistlichen und Ordensleute die Mitgliedschaft in politischen Parteien und die Tätigkeit für solche Parteien ausschließen." Die Einfügung der Worte „und die Tätigkeit für solche Parteien" setzte Buttmann durch, mußte aber dafür im Schlußprotokoll außer dem „Einverständnis darüber, daß vom Reich bezüglich der nichtkatholischen Konfessionen gleiche Regelungen betreffend parteipolitische Betätigung veranlaßt werden", auch das Zugeständnis machen: „Das den Geistlichen und Ordensleuten Deutschlands in Ausführung des Artikels 32 zur Pflicht gemachte Verhalten bedeutet keinerlei Einengung der pflichtmäßigen Verkündung und Erläuterung der dogmatischen und sittlichen Lehren und Grundsätze der Kirche." Abschließend wäre noch zu bemerken, daß die NSDAP das Verbot parteipolitischer Betätigung selbstverständlich nicht auf sich bezog. Der Vatikan hat übrigens die in Art. 32 in Aussicht genommenen Bestimmungen über Parteiverbot für Geistliche und Ordensleute niemals erlassen; es war wohl die Antwort auf die turmhohen Schwierigkeiten, die später im Zusammenhang mit Art. 31 entstanden. Außerdem trat erst später zutage, daß die Präambel zur Statuierung des Parteiverbots für Kleriker von jedem der beiden Vertragspartner völlig anders interpretiert wurde. Die Kurie betrachtete den Hinweis auf die staatliche Sicherung der kirchlichen Rechte und Freiheiten als Bedingung für die Untersagung parteipolitischer Betätigung und argumentierte so: da der nationalsozialistische Staat diese Bedingung nicht erfüllt habe, sei auch kein Anlaß für ein Parteiverbot gegeben. Über die praktische Auswirkung dieser Diskrepanz wird später noch zu sprechen sein. Als Buttmann aus Rom zurückkehrte, war er trotz des Erreichten und im Gegensatz zu der sichtlichen Zufriedenheit des Herrn von Papen doch keineswegs in glücklicher Stimmung; er brachte das mir gegenüber auch unverhohlen zum Ausdruck. Die Reise nach Rom hatte er schon schweren Herzens angetreten. Sein Wunsch, etwas Brauchbares zustande zu bringen, wurde von trüben Erfahrungen überschattet, die wir bis dahin bereits von Parteiseite her hatten machen müssen. Ein Brief, von Pater Dr. Damasus Winzen aus Maria-Laach am 22. 6. 33 an Buttmann geschrieben, gibt die in jeder Beziehung zutreffende Schilderung eines an sich wohlwollenden Beobachters: 40

„ . . . Nun aber wird natürlich die Frage der kathol. Jugendverbände akuter denn je. Der diesbezügliche Beschluß der Fuldaer Bischofskonferenz kommt aus folgenden Überlegungen: 1. Die Furcht vor einem neuen „Sakristeikatholizismus", d.h. jenem schwindsüchtigen Gewächs, das nur auf Kirche und Sakristei beschränkt ist und keine eigentliche katholische Lebensatmosphäre zu schaffen vermag, vor dem sich dann auch grade die Jugend voll Verachtung zurückzieht. 2. Die Furcht vor falscher Beeinflussung in interkonfessionellen Bünden. Das ist ja der große Unterschied zwischen Deutschland und Italien. Die italienische Balilla ist eben offiziell „katholisch" im Sinne der „Staatsreligion." 3. Das Verlangen der kathol. Jugendbünde selbst, die zweifellos einen guten Geist besitzen und sich nicht ohne weiteres aufgeben wollen. 4. Die Furdit, daß der ersten Welle der nationalen Revolution sehr bald die zweite folgen werde, die dann, wie das ja in der Art jeder Revolution liegt, radikaler ist als die erste und die gemäßigten Führer von heute hinwegfegen wird. Es liegen eben einmal in der nationalsozialistischen Doktrin gewisse Unsicherheitsmomente wie z. B. die Frage des „Sozialismus", des ¿totalen Staates", des „Biologismus" (Rassenfrage, Zucht etc.), von denen man nicht weiß, ob sie nicht eine extreme Form annehmen werden, die mit dem christlichen Glauben nicht mehr vereinbar ist. Diese Unsicherheit wird umso größer angesichts der personellen Entwicklung, die schon so weit gediehen ist, daß viele vernünftige Nationalsozialisten eben wegen dieser Eigenschaft sich auf ihren Posten nicht mehr sicher fühlen. Man fragt sich eben bei uns überall, ob innerhalb der Bewegung „Berlin" oder „München" siegen wird. Und die Tatsache, daß „München" Dinge tun kann, und zwar ungestraft, die „Berlin" nicht billigt, scheint darauf hinzudeuten, daß das Gesetz des Handelns schon auf München übergegangen ist . . . Deshalb möchte man die kathol. Organisationen erhalten — als Ordnungsfaktor gegen ein drohendes Chaos. Sie sehen die ungeheuere Verantwortung, die auf uns lastet . . . Diese Verantwortung wird umso schwerer, je lauter von nationalsozialistischer Seite über die „Märzveilchen" — „Maikäfer" und „Johanniswürmchen" gelacht wird, die als „Hyänen des Schlachtfeldes" und „Leichenfledderer" die alten Kämpfer um ihre Beute betrügen wollen. Solche Äußerungen treiben unsere Jugend zur Verzweiflung . . . Auf diesem Hintergrunde sind die Forderungen der Bischöfe zu verstehen . . . " Von der Richtigkeit dieser Schilderung war niemand überzeugter als Buttmann und ich. Was hier gesagt war, stellte nur einen Extrakt dessen dar, 41

was in vielen Einzelmeldungen an uns gelangt war. Während der römischen Verhandlungen wurde das Tempo des totalitären Vormarsdies nicht nur nicht verlangsamt, sondern eher noch verschärft. Welche Erwägungen waren an zentraler Stelle im Spiele? War es nur die Kapitulation vor dem revolutionären Elan, dessen man damals noch so dringend bedurfte (wir hatten noch nicht den 30. Juni 1934 erlebt)? Oder war es kühle Berechnung, die sich einbildete, durch brutale Begleitmusik, durch drastischen Anschauungsunterricht den Vatikan gefügiger bei den Konkordatsverhandlungen machen zu können? Vielleicht audi beides? Der Kirchenkampf auf evangelischer Seite war in vollem Gange. Nach der katholischen Seite hin wurde kräftig nachgeholt. Die feinen Fäden, die Buttmann in Rom gezogen hatte, fanden keinerlei Interesse bei den Fanatikern. Man war nun einmal im Schwung und kümmerte sich wenig darum, ob Porzellan zerschlagen wurde. Aus Rom kamen beängstigende Nadirichten. Papen sah das ganze Konkordat gefährdet und verlangte dringend eine Verlautbarung von oberster Stelle. Buttmann setzte seinen ganzen Einfluß als uralter Pg. ein. Beide Herren waren in schwerer Verlegenheit. Zu der mannigfachen Mystik, mit der der Konkordatsabsdiluß umgeben ist, gehört u. a. die Tatsache, daß die beiden deutschen Unterhändler mit dem Kardinalstaatssekretär über eine öffentliche Verlautbarung einig geworden waren, die den Wünschen und Sorgen der Kurie einigermaßen gerecht geworden wäre. Sie sollte folgenden Wonlaut haben: „Bei der heute stattgefundenen Paraphierung des Konkordates zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich hat Seine Eminenz Kardinalstaatssekretär Pacelli nach vorausgegangenen Erklärungen des Vertreters des Deutschen Reiches, Vizekanzler von Papen, folgende Feststellungen gemacht: 1. Der Heilige Stuhl nimmt davon Kenntnis, daß die in letzter Zeit gegen die katholischen Organisationen erfolgten, dem Konkordat zuwiderlaufenden Maßnahmen zum Teil bereits zurückgezogen worden sind, und geht bei der Paraphierung seinerseits von der bestimmten Voraussetzung und Erwartung aus, daß Maßnahmen, die mit Art. 31 nicht vereinbar sind, unverzüglich rückgängig gemacht werden und sich nicht wiederholen. 2. Der Heilige Stuhl geht des weiteren von der Voraussetzung aus, daß die Grenzziehung zwischen dem Tätigkeitsgebiet der katholischen Organisationen und den staatlichen oder staatlich betreuten Organisationen nach den Grundsätzen des Konkordats zwischen dem Episkopat und den zuständigen staatlichen Stellen innerhalb Monatsfrist vereinbarlich festgesetzt wird. 42

3. Der Heilige Stuhl hält sich versichert, daß mit dem Abschluß des Konkordats die Freiheit in der öffentlichen Verkündigung und Verteidigung der katholischen Lehre und der katholischen Grundsätze in den üblichen Formen gewährleistet wird." Es war nicht möglich, Hitler für diese Form der Veröffentlichung zu gewinnen. Der für ihn bedenklichste Punkt war die Wendung, daß die Grenze zwischen den Tätigkeitsgebieten kirchlicher und staatlicher Organisationen einer „Vereinbarung" zwischen Kirche und Staat vorbehalten bleiben sollte, hinter der noch dazu der Zeitdruck einer Einmonatsfrist stehen sollte. Ebensowenig war der Gedanke, nicht nur die Verkündigung, sondern auch die „Verteidigung" der katholischen Grundsätze zu gewährleisten, mit seinen Zukunftsplänen vereinbar. Endlich aber gelang es den dringenden Telefonaten der beiden deutsdien Unterhändler aus Rom, Hitler zu folgender „Verfügung" zu bewegen, die bereits unter dem 9. 7. 33 an die Öffentlichkeit gegeben wurde: „Durch den Abschluß des Konkordates zwischen dem Hl. Stuhl und der Deutschen Reichsregierung erscheint mir genügende Gewähr dafür gegeben, daß sich die Reichsangehörigen des römisch-katholischen Bekenntnisses von jetzt ab rückhaltlos in den Dienst des neuen nationalsozialistischen Staates stellen werden. Ich ordne daher an: 1. Die Auflösungen solcher katholischen Organisationen, die durch den vorliegenden Vertrag anerkannt sind und deren Auflösung ohne Anweisung der Reichsregierung erfolgte, sind sofort rückgängig zu machen." (NB.: Auf Anweisung der Reichsregierung war überhaupt keine Auflösung erfolgt!) 2. „Alle Zwangsmaßnahmen gegen Geistliche und andere Führer dieser katholischen Organisationen sind aufzuheben. Eine Wiederholung solcher Maßnahmen ist für die Zukunft unzulässig und wird nach Maßgabe der bestehenden Gesetze bestraft. Ich bin glücklich in der Überzeugung, daß nunmehr eine Epoche ihren Abschluß gefunden hat, in der leider nur zu oft religiöse und politische Interessen in eine scheinbar unlösliche Gegensätzlichkeit geraten waren. Der zwischen dem Reich und der katholischen Kirche abgeschlossene Vertrag wird auch auf diesem Gebiet der Herstellung des Friedens dienen, dessen alle bedürfen. Ich habe die starke Hoffnung, daß die Regelung der das evangelische Glaubensbekenntnis bewegenden Fragen in kurzer Zeit diesen Akt der Befriedung glücklich vollenden wird." Das Ganze war ein Beruhigungsmittel, an die römische Adresse gerichtet. Man wollte einerseits den Verhandlungspartner in Rom zufriedenstellen 43

und zu schnellstmöglicher Unterzeichnung des Konkordats geneigt machen, andererseits aber sollte das katholische Volk in Deutschland, das bereits über die K ä m p f e im evangelischen Lager stark beunruhigt war, in die Täuschung hineinmanövriert werden, als ob der Kirchenkampf auf die evangelische Seite beschränkt bleiben würde. Der Partner sollte in Sicherheit gewiegt werden, indem ihm Hoffnung gemacht wurde, der bereits lodernde Brand werde erlöschen, bevor die Flammen auf sein eigenes Haus hinübergreifen würden — die ureigenste Taktik Hitlers, später in großpolitischen Zusammenhängen häufig wiederholt. Aber der Vatikan ließ sich nicht so leicht beirren, wie Hitler auf Grund seiner Kundgebung vom 9. 7. gehofft hatte. Buttmann hatte seinen Berliner Zwischenaufenthalt benutzt, um den Ernst der Lage zu schildern, die um den Art. 31 (Schutz der kathol. Verbände) entstanden war. Etwas Greifbares, Handfestes mußte geschehen, um den Vatikan davon abzuhalten, etwa die Unterzeichnung des am 8. Juli paraphierten Konkordats hinauszuzögern. Es war vielleicht der schwerste taktische Fehler der Kurie, die Unterzeichnung überhaupt nur in Erwägung zu ziehen, ohne die in Art. 31 Abs. 3 vorgesehene Schutzliste der Verbände fest in der Hand zu haben. Man schob deutscherseits technische Schwierigkeiten vor, diese Liste sofort aufzustellen; das war natürlich nur ein taktisches Manöver, denn eine Meinungsbildung über die Verbände, die nach Abs. 1 oder Abs. 2 des Schutzartikels gehören würden, war jederzeit möglich, im übrigen auch gedanklich weitgehend vorbereitet. Das Reichsministerium des Innern nutzte den Zeitdruck, in den der Diktator geraten war, in dem Sinne aus, daß es folgende „Auslegungsgrundsätze zu Art. 31 des Reichskonkordats" aufstellte, darüber am 18. 7. 33 mit den Vertretern der deutschen Bischöfe einig wurde und dann sofort mit Hitlers Zustimmung veröffentlichte: „Die Reichsregierung geht bei der Anwendung des Art. 31 von folgenden Gesichtspunkten aus: Die katholischen Organisationen und Verbände, die in Abs. 1 aufgeführt sind, sollen ihr Eigenleben völlig in sich führen können. Der Staat hat ihnen gegenüber keine weitergehenden Einmischungsbefugnisse, als sie sich aus der allgemeinen Treuepflicht der Staatsbürger gegenüber dem Staat an sich ergeben. Die katholischen Organisationen, die in Abs. 2 aufgeführt sind, können, müssen aber nicht in staatliche Verbände (Dachorganisationen) eingeordnet werden. Die Einordnung darf nicht ihr Vereins- und verbandsmäßiges Eigentum und Eigenleben, d. h. den katholischen Charakter und die Selbständigkeit in der Erfüllung ihrer satzungsmäßigen Aufgaben einschließlich der Führung der bisherigen Vereinstracht, der Abzeichen und Banner bei öffentlichem Auftreten ausschließen. Sie sollen also ihre 44

bisherigen Satzungen beibehalten, es sei denn, daß in diesen Satzungen Zwecke vorgesehen wären, die dem neuen Staat an sich zuwiderlaufen. Ihr Vorstand soll nach den bisherigen Vereinssatzungen bestellt werden. Soweit nicht die etwaige Eingliederung in staatliche Verbände die Befolgung von Vorschriften notwendig macht, die sich aus der Einordnung an sich ergeben, soll von Eingriffen in das Vereinsleben abgesehen werden. Die Mitglieder der katholischen Organisationen dürfen irgendeinen rechtlichen Nachteil in Schule und Staat aus ihrer Zugehörigkeit nicht erfahren. Die Reichsregierung setzt voraus, daß die katholischen Organisationen bei einer Eingliederung sich mit ihren kirchlichen Behörden ins Einvernehmen setzen." Das war ungefähr das, was bei Abschluß der römischen Verhandlungen am 8. Juli gemeint war. Es war ehrlich gedacht und — wirkte. Am 20. Juli 1933 fand die feierliche Unterzeichnung des Reichskonkordats im Vatikan statt. Der denkwürdige Akt ist in einem schöngelungenen Photo festgehalten: in der Mitte Kardinal-Staatssekretär Pacelli, zu seiner Rechten Herr von Papen, links Dr. Buttmann, neben Papen Prälat Dr. Kaas, neben Buttmann Botschaftsrat Klee von der deutschen Botschaft beim Vatikan. Es sollte nicht der letzte Besuch sein, den Buttmann der Vatikanstadt unter dem Druck der Verhältnisse abstatten mußte. Die Überzeugung allerdings, daß all' sein guter Wille durch ein raffiniertes Spiel von höchster Stelle zunichte gemacht wurde, hat dieser treffliche Mann erst um reichlich Jahresfrist später gewonnen.

Viertes

Kapitel

Atempause Evangelische Kirche Die Deutsche Evangelische Kirche hatte nun ihre „Verfassung", und sie hatte auch ihren Reichsbischof. Seine persönlichen und geistlichen Unzulänglichkeiten waren den Eingeweiten längst bekannt. Aber in den Wirbeln und Wirren des Drängens zur Macht waren diese Minusqualitäten in dem allgemeinen Angriffselan der „deutschen Christen" etwas in Deckung getreten. Nun, wo das sinnfälligste Hauptziel der „Glaubensbewegung" als erreicht zu gelten hatte, stand plötzlich auf einer von leicht ermüdeten Kämpfern gefüllten Bühne ein Mann, von dem die Zuschauer ein Handeln erwarteten, das der geräuschvollen Begleitmusik seines Auf45

tritts etwa entsprochen hätte. Aber es wurde bald offenbar, daß Müller nicht das Zeug hatte, um die Solorolle zu spielen, die ihm die kirchliche Verfassung zugedacht hatte. Er mußte sich also nach Mitspielern umsehen. Dabei versuchte er, um seinen Gegnern Wind aus den Segeln zu nehmen, auch solche Persönlichkeiten heranzuziehen, die nicht im Lager der „deutschen Christen" standen. Aber es war ein untauglicher Versuch; denn das Mißtrauen gegen Müller war zu allgemein und zu tief verwurzelt, als daß ein paar Personalkonzessionen eine wirkliche Bresche in die Front der kirchlichen Opposition hätten schlagen können. Die Verhältnisse in der evangelischen Kirche hatten eine gewisse Ähnlichkeit mit den Zuständen auf politisch-staatlicher Ebene. Audi Hitler hatte zunächst seine Regierung mit Einschluß deutschnationaler Minister gebildet. Müller ging zunächst ähnliche Wege. Aber schon am 14. Juli 1933 kamen auf der politischen Ebene die Krallen zum Vorschein. Ein Reichsgesetz dekretierte: „In Deutschland besteht als einzige politische Partei die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei". „Wer es unternimmt, den organisatorischen Zusammenhang einer anderen politischen Partei aufrechtzuerhalten oder eine neue Partei zu bilden, wird . . . mit Zuchthaus . . . oder mit Gefängnis . . . bestraft." Das war eine deutliche Sprache, die denn auch von den noch im Kabinett befindlichen — nunmehr ehemals — deutschnationalen Ministern verstanden und mit ihrem Rücktritt beantwortet wurde. Die Mohren hatten ihre Schuldigkeit getan. Es konnte nicht ausbleiben, daß dieses Beispiel nicht gerade ermutigend auf Menschen wirkte, die auf kirchlichem Gebiete mit einem Manne zusammenarbeiten sollten, dessen Sucht, das Politische zu kopieren, zur Genüge bekannt war. Von den evangelischen Landeskirchen eine Begeisterung für die Reichskirche zu erwarten, wäre eine Überforderung gewesen. Den historischen Gebilden des deutschen Protestantismus war in dem organischen Aufbau der Reichskirche doch nur ein recht bescheidener Platz zugewiesen worden, und ganz im Gegensatz zu der übermächtigen Stellung des Reichsbischofs waren die Träger echter Autorität in den Landeskirchen, die Landesbischöfe, in keinerlei organische Beziehung zum Reichsbischof gebracht worden. Lehren aus tausendjähriger Erfahrung im Katholizismus zu ziehen, war hier sorgfältig vermieden worden. Man kennt die ungeheuere, allein schon psychologische Bedeutung des Kardinalskollegiums, das die Autorität des in Glaubensfragen allmächtigen Papstes nicht nur nicht schmälert, sondern eher noch erhöht, und man weiß, wie gerade durch die Verleihung der Kardinalswürde die Verbindung zwischen dem Papst und den geistlichen Oberhirten eines Landes gestärkt wird, wenn auch diese Auszeichnung immer nur einzelnen der obersten geistlichen Würdenträger eines Landes zuteil werden kann. Ähnliche Gedanken hätten sich im Aufbau der Reichskirche in der einen oder anderen Form leicht verwirklichen lassen — wenn man ge46

wollt hätte. Aber hier ging die Tendenz auf Abstoßen, nicht auf Anziehen. So konnte es nicht wundernehmen, daß die Mentalität in allen von Müller unabhängigen Kreisen unverkennbar auf Stärkung des Eigenlebens der Landeskirche gerichtet war. Ein besonderer, von Müller und Genossen keineswegs beabsichtigter Gewinn war die Intensivierung des Gemeindelebens mit dem Ortspfarrer als Mittelpunkt. Hier war man vom Reichsbischof — oder, wie der Volksausdruck sehr schnell lautete: vom „Reibi" — weltenweit entfernt. Man nahm eigentlich kaum Notiz von seiner Existenz und lauschte dafür umso aufmerksamer dem, was der Pastor von seiner Kanzel abzukündigen hatte. Das Selbstbewußtsein im Pfarrerstande war gewaltig im Steigen, und es war ein in jeder Beziehung glücklicher Gedanke, aber ebensosehr auch eine Erfüllung zeitlicher Notwendigkeit, daß die bekenntnistreuen Pastoren sich schnell zum sogenannten „Pfarrernotbunde" zusammenschlössen, dessen treibender Kopf hauptsächlich Pfarrer Niemöller in Berlin-Dahlem wurde. Der Bund erreichte in kurzer Zeit eine Mitgliederzahl von mehreren Tausend. Seine stärkste Waffe wurden die „Kanzelabkündigungen", d. h. die Verlesung eines von der Bundesleitung verfaßten Textes, in dem scharf gegen die Mißstände im „deutschchristlichen" Kirchenwesen und nicht zum wenigsten gegen das Regime Müllers und seiner Genossen Stellung genommen wurde. Es erging dem ehemaligen „Beauftragten des Reichskanzlers" nun ähnlich wie seinem Auftraggeber. Vierzehn Jahre lang hatte Hitler gegen den Staat gehetzt, in dem er lebte und dessen Toleranz er über alle Maßen mißbrauchte. Zur Macht gelangt, hatte er gar nidit die Kraft, wahrscheinlich auch überhaupt nicht den Willen, seine Getreuen zu wirklicher Staatsgesinnung zu erziehen. Die Tendenz der Fußtritte gegenüber allem, was Staat bedeutete, war in der „Kampfzeit der Bewegung" vom Gauleiter bis hinunter zum kleinen Zellenwart in die Hirne hineingehämmert worden. Davon kam man nicht mehr los, selbst dann nicht, als man das, was sich Staat nannte, restlos beherrschte. Auch Müller und seine Leute hatten nach Kräften gegen die Kirche gehetzt, die kein willfähriges Werkzeug der deutschen Christen" sein wollte. Und als nun dem Herrschaftsanspruch dieser Leute gegenüber der Kirche Genüge geschehen war, da zeigte sich, daß man sich weder zu Bibel noch Gesangbuch, weder zu Katechismus noch Abendmahlskelch bekannte, sondern nur rohe Fäuste vorzuweisen hatte — und die Kunst, Kirchentüren zu erbrechen, aber nicht das Innere mit Leben zu erfüllen. So wurde denn — trotz der Schlagworte wie „wagende gegen wahrende Kirche" oder „dem Volk eine Kirche und der Kirche ein Volk geben" — der Gedanke der Kirchenstürmerei wachgehalten, in der Hoffnung, die kirchliche Opposition schließlich, doch noch zum Erliegen zu bringen. 47

Die katholische Lage Die katholische Kirche war in der verhältnismäßig glücklicheren Lage, nicht nur einen nach wie vor völlig intakten Kirchenbau zu besitzen, sondern auch in Gestalt des eben abgeschlossenen Reichskonkordats sowie der Verfügung Hitlers vom 9. 7. und der „Auslegungsgrundsätze" vom 18. 7. Instrumente der Abwehr in Händen zu haben, mit denen sich schon — wenigstens eine Zeitlang — etwas anfangen ließ. Aber das Bild der W i r k lichkeit entsprach doch nur wenig den Erwartungen, die von Vielen an die verheißungsvollen Verlautbarungen des Juli geknüpft worden waren. Unter der Fülle der kirchlichen Rechte, die im Konkordat gesichert waren, schien mir im Hinblick auf die Zukunft vor allem die Bestimmung in Artikel 1 Absatz 1 von höchstem Wert. Sie lautet: „Das Deutsche Reich gewährleistet die Freiheit des Bekenntnisses und der öffentlichen Ausübung der katholischen Religion." Der hier verankerte Grundsatz der Bekenntnisfreiheit und der ungehinderten Bekenntnisausübung umschließt vor allem das Recht zu sagen, was man glaubt. Das Recht steht der Kirche ebenso wie ihren Gliedern zu. Man kann es nicht auf die Hersage der kirchlich festgelegten Glaubensformeln beschränken. Es gehört dazu, wesenhaft umschlossen, auch das Recht der Kirche, in Predigten und sonstigen Kundgebungen, der kirchlichen Übung gemäß, die Grundsätze der Glaubenslehre in das praktische Leben, dem sie ja wesentlich dienen sollen, hineinzustellen. Daraus ergibt sich das Recht der Kirche, zu den Fragen des öffentlichen Lebens Stellung zu nehmen, soweit die Grundsätze, die sie vertritt, davon berührt werden. Dies gilt selbst dann — vielleicht gerade dann — , wenn der Gehorsam, den die kirchliche Lehre fordert, mit dem Gehorsam in Konflikt gerät, der von anderer Seite verlangt wird. Der Kirche muß dann auf jeden Fall das Recht gewahrt bleiben, öffentlich ihre Auffassung zu bekunden. Das ist das Wesen dessen, was man als Recht zur öffentlichen Religionsübung betrachten muß, noch dazu in einem Zeitalter, wo die öffentliche Meinung als ein wichtiges und schutzbedürftiges Element des staatlichen und volklichen Lebens betrachtet wird. Audi die Reichsverfassung von 1919 gewährleistet in Artikel 135 die ungestörte Religionsausübung, aber mit dem ausdrücklichen Vorbehalt, daß „die allgemeinen Staatsgesetze . . . hiervon unberührt" bleiben. Mit diesen Vorbehalten, die in unseren so modern anmutenden Verfassungswerken häufig zu finden sind, wird letzten Endes jeder heilige Verfassungssatz in seinem Werte geschwächt, weil eben doch schließlich dem Polizeibüttel Tür und T o r geöffnet bleibt. Ich habe, als ich Anfang Juli 1933 den in Rom zwischen Pacelli und Papen vereinbarten T e x t eines Reichskonkordats auftragsgemäß unter die Lupe nahm, in anderen Fällen darauf gesehen, ihn dem Geist und Wortlaut der Reichs Verfassung anzupassen. In diesem Falle aber habe ich die Abweichung bewußt passieren, lassen. Hier 48

Ministerialdirektor D r . B u t t m a n n (Reichsministerium des I n n e r n )

Ministerialrat D r . C o n r a d (Reichsministerium des I n n e r n )

stand mehr auf dem Spiele als Kirchenpolitik — es war das Ringen um den geistig-politischen Lebensraum, das in diesem Zusammenhang als künftiges Kampfproblem vor Augen stand. Im übrigen war ich damals und bin auch heute noch der Auffassung, daß eine Staatsverfassung, die mit Halbheiten beladen ist und auf Schritt und Tritt den Geist des Mißtrauens verrät, auf schwachen Füßen steht. Ein Staat, der nicht einmal imstande ist, den Grundsatz echter religiöser Freiheit bedingungslos anzuerkennen, hat wenig Lebenskraft. Man konnte gerade auch beim Heißlaufen der Reibungsflächen auf katholischer Seite aufschlußreiche Studien machen. J e mehr man sich von dem Hochschwang der Juli-Ereignisse entfernte, umso offenkundiger wurde die Nichtachtung hoher und höchster Parteistellen gegenüber dem, was damals festgemacht worden war. Der frivole Übermut des Parteiwesens wurde sichtbar. Das Reich hatte den Vertrag mit dem Papst geschlossen — was kümmerte die Partei eine Bindung, die nicht sie, sondern den ihr wesensfremden Staat betraf? „Die Partei befiehlt dem Staat" rief Hitler später in die faszinierten Massen seiner Anhänger hinein; der Keim für diese Auffassung war längst gelegt. Und im übrigen: jeder Inhaber irgendwelcher Schlüsselstellungen in der Partei war — und zwar mit Recht — davon überzeugt, daß man ihn gar nicht entbehren konnte. Einen einzelnen Stein aus dem Gefüge der „verschworenen Gemeinschaft" (Hitler) der Parteityrannei herauszubrechen, hätte bedeutet, das Ganze ins Wanken zu bringen. Das aber durfte keinesfalls geschehen, und das wußten alle, die in diesem Räderwerk an irgendeiner Stelle tätig waren. Man konnte sich daher getrost erlauben, auch über Führerworte zur Tagesordnung überzugehen, wenn das nur in die allgemeine Linie paßte, die in der „Kampfzeit der Bewegung" so einprägsam vorgezeichnet worden war — und wenn nur die Person Hitlers nicht betroffen war. Der 30. Juni 1934 bedeutet keine Widerlegung, sondern eine Bestätigung des Gesagten. Wer nidit zügeln kann, muß zerstören. Meint Hitler es überhaupt ernst mit dem, was er sagt? H a t er nicht unzählige Male bewiesen, daß er „taktisch" zu handeln versteht? Ich habe selbst einmal im Jahre 1933 einer Sitzung des Reichskabinetts unter Hitlers Vorsitz beigewohnt. Frick nahm midi damals noch gelegentlich mit, bis ihm Hitler erklärte, daß er midi nicht mehr zu sehen wünsche. Ein Reichsminister hielt ein Plädoyer für seine Vorlage und streifte die Frage, wie man etwas Bestimmtes möglichst unbemerkt von der Öffentlichkeit unter Dach und Fach bringen könnte. Hitler folgte den Ausführungen mit wachsender Ungeduld. Er rieb sich in nervöser Selbstvergessenheit die Oberschenkel und — ich traute meinen Augen kaum — kaute immer nervöser an den Fingernägeln beider Hände. Endlich kam er zu Worte und schilderte mit saftigem Behagen, wie er in der „Kampfzeit" immer wieder die Behörden hinter das Licht geführt hätte.

5

Conrad,

Der Kampf

um die

Kanzeln

49

Sehr interessant jedenfalls — aber allein schon menschlich in hohem Grade abstoßend! Eine verhängnisvolle Rolle im Kirchenkampf spielte die Geheime Staatspolizei. Ich meine jetzt nicht sowohl die Gewaltakte einzelner Polizeistellen im Lande; über deren unheilvolle Tätigkeit ist nicht zu diskutieren, sie standen völlig im Dienste der Parteiräson und haben mehr als irgendetwas anderes dazu beitragen, die Bevölkerung einzuschüchtern. Aber die Akte der örtlichen Stellen ließen sich zur N o t von oben her korrigieren. Das ist auch — besonders in dem Zeitabschnitt, den wir z. Zt. betrachten — wiederholt geschehen. Schlimmer waren die Sammelmeldungen des Geheimen Staatspolizeiamts in Berlin, Prinz-Albrecht-Straße 8. Sie erschienen täglich und wurden im dickverklebten Umschlag an eine größere Zahl von Empfängern versandt, darunter an sämtliche Spitzenfunktionäre in Staat und Partei. Noch heute erinnere ich mich des Ekels, mit dem ich dieses ominöse Kuvert jeden Morgen geöffnet habe. Diese „Meldungen" waren ein Sammelsurium von tatsächlichen Angaben, Vermutungen und dunklen Andeutungen. Die Echtheit der Angaben war nur insoweit verbürgt, als es sich um Beschlagnahmen und Verhaftungen, nicht aber um die Begründungen handelte, die für diese Maßnahmen gegeben wurden. "Was aber das weite Gebiet jener Hintergründigkeiten betraf, so entzog es sich natürlich jeder Kontrolle. Sie blieben in einem mystischen Dunkel hängen, das auch durch telefonische Rückfragen bei dem Chef des Amtes oder bei dem zuständigen Sachbearbeiter nicht geklärt werden konnte. Das Gefährliche dieser Sammelmeldungen des Geheimen Staatspolizeiamtes lag darin, daß sie von fast allen hohen Spitzenfunktionären nicht nur gelesen, sondern auch "Wort für Wort geglaubt wurden. Dem Kirchenkampf war ein besonderer Abschnitt in diesen Berichten gewidmet, getrennt nach evangelischer und katholischer Kirche. Dieser Teil war zunächst sehr spärlich gefüllt; das änderte sich mit der zunehmenden Hitze des Gefechts. Es muß zur Ehre von Frick gesagt werden, daß er diesen Informationen — jedenfalls solange Buttmann und ich Einfluß auf ihn hatten — wenig Beachtung schenkte; er war zu sehr alter Verwaltungsbeamter, um nicht das Windige dieses ganzen Nachrichtenwesens zu erkennen. Hitler hat ihm einmal vorgeworfen, über diese Meldungen nicht genügend orientiert zu sein. Und noch ein anderer gefährlicher Feind war im Anzüge: die Gleichschaltung der Presse, die Vollendung des Knebelungssystems in Gestalt der sog. „Sprachregelung". In dem Zeitabschnitt, von dem hier die Rede ist, d. h. um die Wende zwischen Sommer und Herbst 1933, war zwar von einer völligen Uniformität der Presse in Deutschland noch nicht die Rede. Noch erschien der größte Teil der alten Blätter, auch der konfessionellen Presse, mit ihren alten Namen. Aber der Druck des Goebbels'schen Pro50

pagandaministeriums war auf Schritt und Tritt spürbar. Man mußte schon einige Übung im Lesen zwischen den Zeilen haben, um noch hier und da schwache Stimmen einer eigenen Meinung oder wenigstens Meinungsandeutung zu erkennen. Darüber hinauszugehen, wäre für die Blätter tödlich gewesen. Vor mir liegt ein Flugblatt mit der Uberschrift „Schreiben des Erzbisdiofs von Bamberg". Es ist zwar schon vom 29. Juni 1933 datiert, läßt aber erkennen, um was es ging und daß der deutsche Episkopat gewillt war, in der so heiklen Pressefrage den Kampf aufzunehmen. Es lautet: „Ernste Erwägungen bestimmen midi, im Bewußtsein oberhirtlicher Verantwortlichkeit an die katholischen Verlage der Erzdiözese den dringenden Wunsch zu richten, sie möchten den von ihnen verlegten Zeitungen ausschließlich katholischen Charakter geben und grundsätzlich sich jeder parteipolitischen Betätigung enthalten. Die katholischen Zeitungen haben zweifellos die Pflicht, die nationale Regierung in ihrem Streben nach dem so notwendigen Wiederaufbau Deutschlands und seiner geistigen und wirtschaftlichen Erneuerung aufrichtig und nachdrücklich zu unterstützen; es bleibt ihnen aber auch die große Aufgabe, ,mit den Tagesbotschaften den katholischen Geist in die Seelen ihrer Leser zu leiten und die Ereignisse des Menschenlebens und Weltgeschehens am Maßstabe des Christentums zu messen und im Spiegel der Ewigkeit zu schauen* (Hirtenbrief des deutschen Gesamtepiskopates von 1933). Die katholische Tagespresse ist daher ein unentbehrliches und unersetzliches Mittel zeitgemäßer Seelsorge, auf das die Kirche unter keinen Umständen verzichten kann. Alle Katholiken, vor allem Bischof und Priester, müssen es als heilige Pflicht erkennen, den Fortbestand der katholischen Tagesblätter und ihre gedeihliche Weiterentwicklung sicherzustellen. Dieser Pflicht kann und darf sich kein Katholik entschlagen, der sich mit dem großen Leben der Kirche verbunden fühlt. Ich vertraue fest darauf, daß nunmehr nach Wegfall parteipolitischer Hemmungen alle Kreise unseres katholischen Volkes einig und geschlossen für die katholischen Zeitungen unserer Erzdiözese eintreten und als Künderinnen der katholischen Weltanschauung und wirksame Mitarbeiterinnen in der Pflege katholischen Geisteslebens anerkennen und nach Kräften fördern." Der Kampf um die katholische Presse hat einen der Hauptstreitpunkte gebildet, über den eine Einigung in den späteren, äußerst schwierigen Verhandlungen über die Auslegung und Durchführung des Reichskonkordats nicht zu erzielen war. 5'

51

Morgendämmerung Die Sommerpause des Jahres 1933 war eben zu Ende, als nach harten Wochen und Monaten eines nervenzermürbenden Kampfes einige, wenn auch kleine Lichtblicke im evangelischen Kirchenleben den verängstigten Gemütern neue Hoffnung gaben. Der wilde Jäger war als Staatskommissar verschwunden, aber als Abteilungsleiter im preußischen Kultusministerium geblieben, konnte also von hier aus weiterhin seinen unheilvollen Einfluß ausüben. Geblieben waren auch die zweifelhaften Figuren, die den schmutzigen Fäusten dieses Mannes ihr Dasein in der kirchlichen Hierarchie verdankten. Aber etwas anderes war zwar nicht gerade schön, aber immerhin in taktischer Hinsicht ermutigend. Es hatte sich, wenn man so sagen darf, eine dritte Konfession gebildet, die hauptsächlich aus dem Lager der „Deutschen Christen" Zuzug erhielt. Die etwas wirren Köpfe der „völkischen", „arischen" oder „germanischen" Religion schlössen sich zur „Arbeitsgemeinschaft Deutscher Glaubensbewegung" (ADG) zusammen. Sie konnten mit Stolz darauf hinweisen, daß auch eine Anzahl angesehener Nationalsozialisten sich entweder offen zu ihnen bekannten oder sich doch wenigstens im Sinne dieser Arbeitsgemeinschaft aussprachen, die nun noch dazu die Kühnheit besaß, den „Deutschen Christen" auch das Stichwort „Glaubensbewegung" streitig zu machen. Namen wie Graf Reventlow, Baidur von Schirach, Rosenberg müssen in diesem Zusammenhang genannt werden. Mochte auch der wirkliche Anhang dieser Schwarmgeister nicht allzu groß sein: die bloße Tatsache ihrer Existenz genügte, um die bis dahin ungebrochene Selbstsicherheit der „Deutschen Christen" zu erschüttern. Es sollte nicht der einzige Schmerz sein, den der Spaltpilz noch im Laufe des Jahres 1933 in das Lager der im Angriff so siegesgewissen „Deutschen Christen" hineintrug. Nach der denkwürdigen Sportpalast-Versammlung im November, über die noch zu sprechen sein wird, mußte der Hauptredner dieser Veranstaltung, Dr. Krause, das Feld räumen. Er gründete nun in Leipzig die „Glaubensbewegung Deutsche Volkskirche", die eine „Volkskirche auf der Grundlage eines wirklich artgemäßen deutschen Christentums nach dem Grundsatz: Ein Volk, Ein Reich, Ein Glaube erstrebt, sich zu der Gottesoffenbarung der in Blut und Boden wurzelnden Volksgemeinschaft bekennt, unter Ablehnung alles Fremden in Glaube und Sitte auf dem Boden der Frohbotschaft des heldischen Heilandes und deutscher Frömmigkeit steht, wie sie durch unsere großen deutschen Geistesführer in Wort und T a t verkündigt ist und wie sie in unserem Ahnenerbe von Urzeiten an fort lebt." Was ist Gottesdienst? Dienst an unserem Volke! Welche Lebensgesetze gelten für die Kirche? Die gleichen wie f ü r den Staat! Man kann kaum bestreiten, daß hier von einem Ausgestoßenen der deutschchristliche Grundgedanke restlos zu Ende gedacht worden war. 52

„Glaubensbewegung" hin, „Glaubensbewegung" her: in Thüringen gärte es auch gegen diesen einst so zugkräftigen Begriff. Die dortigen Getreuen warfen diesen Namen verächtlich über Bord und nannten sich „Kirchenbewegung Deutsche Christen", — was aber nicht etwa eine bestimmte Richtung innerhalb der evangelischen Kirche sein wollte, sondern die Keimzelle einer deutschen Nationalkirche evangelischen Glaubens. Damit war die Katze aus dem Sack gelassen; man wolle also nicht nur den bisherigen Protestantismus, sondern das gesamte deutsche Kirchenwesen mit Monopolcharakter „reformieren"! Diesen offenkundigen Zersetzungserscheinungen stand auf der anderen Seite eine Wiedergewinnung kirchlicher Standfestigkeit und eine Wiederbelebung religiöser Verinnerlichung gegenüber, wie es seit Menschenaltern nicht mehr Ereignis geworden war. Die strenge Theologie des Bonner Professors Karl Barth lieferte wesentliche Bausteine dogmatischer Festigung. Der Pfarrernotbund überschritt die Mitgliederzahl von dreitausend und wurde so zu einem Faktor, der aus dem Sdiachbrett der Kirchenpolitik überhaupt nicht mehr wegzudenken war. Als besonderer Gewinn durfte dabei gebucht werden, daß sich durch und um die Vertreter dieser Kampfgruppe eine meist beiderseits gesuchte Annäherung zwisdien den beiden großen christlichen Bekenntnissen vollzog, die dem Gedanken christlicher Solidarität endlich wieder greifbare Gestalt gegeben hat. Die Lage hatte sich doch gegenüber dem Frühjahr erheblich gewandelt. Gleichwohl zog zunächst unmerklich, dann aber immer deutlicher eine Gefahrenwolke herauf, die vielleicht ernster zu nehmen war als das Risiko offener Auseinandersetzungen: die innere Zermürbung durch langsame, aber stetige Verengung des kirchlichen Lebensraumes, die allmähliche Abdrosselung der Initiative, die durch Drangsalierungen aller Art systematisch vorgetriebene Lähmung der Zukunftshoffnung. Man darf nicht vergessen, daß die evangelische Kirche in Deutschland seit ihrem Bestehen noch niemals einen ernsten Konflikt mit dem Staate gehabt hatte. Gelegentliche Verstimmungen spielen keine Rolle. Die katholische Kirche hatte mehr als einmal ihre Stellung behaupten müssen. In den Jahren 1837/8 hatten die Erzbischöfe von Köln und von PosenGnesen der staatlichen Macht weichen müssen, weil sie in der Frage der gemischten Ehen den kirchlichen Standpunkt völlig unnachgiebig hatten in die Praxis umsetzen wollen. Dann kam in den siebziger Jahren — ebenfalls wieder nicht zum wenigsten wegen Ehefragen — der sog. Kulturkampf, der so weit getrieben wurde, daß im Jahre 1877 die preußischen Bischofssitze teils durch Absetzung, teils durch Tod bis auf vier verwaist waren. Ähnliche Erfahrungen fehlten auf evangelischer Seite völlig. Hier hatte die Personalunion zwischen Monarch und Inhaber der obersten Kirchen53

gewalt zwar dazu verholfen, Konflikte zwischen Staat und Kirche zu vermeiden, andererseits aber natürlich verhindert, daß innerhalb der Kirche Abwehrenergien gegenüber dem Staat mit der Tendenz, notfalls bis zum äußersten zu gehen, angesammelt wurden. Die Bekämpfung jedes irgendwie gearteten Defaitismus innerhalb der evangelischen Opposition gegen Müller und Genossen schien mir das dringendste Gebot der Stunde. In der ständig wachsenden Zahl derer, die gegen Müller standen, zeichneten sich sehr bald schon drei Persönlichkeiten durch scharfe Profilierung ihres kämpferischen Willens ab, nämlich die Landesbischöfe von Bayern und Württemberg, D. Meiser und D. Wurm, und der Führer des Pfarrernotbundes, Pastor Martin Niemöller aus BerlinDahlem. Die Erstgenannten waren in der glücklichen Lage, völlig intakte Landeskirchen hinter sich haben, die unerschütterlich zu ihren geistlichen Führern standen. Niemöller zeichnete sich durch einen persönlichen Schneid aus, der bald schon die kleine Dahlemer Dorfkirche, in der er predigte, zu einem Brennpunkt des evangelischen Lebens in Berlin machte. E r war im ersten Weltkriege U-Bootkommandant gewesen und hatte ein Buch mit dem Titel „Vom U-Boot zur Kanzel" geschrieben, in dem er seinen Werdegang schilderte. Es ist bezeichnend für die Treffsicherheit des Berliner Humors, daß der Volksmund diesem Buchtitel bald die Fassung gab: „Mit dem U-Boot auf die Kanzel." Die Führer der kirchlichen Opposition wurden nun immer häufigere Besucher in Buttmanns und meinem Amtszimmer. Sie fanden hier Stätten, wo sie sich ungehindert aussprechen konnten, ja wo selbst gefühlsmäßige Explosionen nicht nur kein Stirnrunzeln hervorriefen, sondern im Gegenteil eher noch durch parallel gestimmte Derbheiten der beiden Vertreter des Ministeriums beantwortet wurden. Eines Tages im November begab ich mich, nachdem ich mit Frick gesprochen hatte, zu Meiser und Wurm in das Hotel „Stuttgarter H o f " am Anhalter Bahnhof, wo die Herren in Berlin abzusteigen pflegten, und eröffnete ihnen im Namen des Ministers, daß sie sich bei ihrem Kampf gegen den unfähigen, den Staat blamierenden „Reibi" auf die Unterstützung des Ministers verlassen dürften. Vorausgegangen war eine peinliche Szene in Fricks Amtszimmer. Müller referierte dem Minister über die Verhältnisse in der evangelischen Kirche und brachte dabei faustdicke Lügen vor. Ich stellte sofort richtig und schloß meine Ausführungen mit den Worten: „Ich möchte doch bitten, daß der Herr Reichsbischof sich etwas mehr an die Wahrheit hält." Müller bekam einen hochroten Kopf und appellierte an Frick; der aber verzog keine Miene und beendete kurzerhand die Unterredung. Es erschien mir notwendig, das Verhalten der kirchlichen Streiter soweit wie irgend möglich derart abzustimmen, daß es vom Reichsinnenministerium her gedeckt werden konnte. Allerdings war es zeitlich unmöglich, die Be54

sprechungen im Ministerium allzusehr auszudehnen. Eine stärkere Häufung der Besuche hätte überdies unnötig Verdacht erregt. So gingen wir schließlich dazu über, die Beratungen über das taktische Vorgehen im innerkirchlichen Bereich Zusammenkünften vorzubehalten, die in der Wohnung meiner Eltern stattfanden. Meine starke Inanspruchnahme im Ministerium — ich hatte außer der Kirchenpolitik für sämtliche Konfessionen auch noch andere große Gebiete zu betreuen — machte es meist unmöglich, daß ich vor sinkender Nacht die Wohnung betrat. Um Mitternacht kamen dann die kirchlichen Herren zu mir. Die Beratungen dauerten manchmal bis gegen Morgen. Für die nötigen Erfrischungen aller Art sorgte meine gute Mutter, der es ein unbeschreibliches Vergnügen bereitete, wenigstens auf diese Weise einen bescheidenen Beitrag zur Stärkung der Widerstandskraft leisten zu können. Audi die ebenso tiefe wie schlichte Religiosität meines Vaters wird mir stets unvergeßlich sein. Er benutzte bis in sein hohes Alter hinein eine alte Hausbibel seiner Vorfahren, die im Gebrauch von Generationen allmählich so zerlesen war, daß man stellenweise nur noch mit Mühe den Text erkennen konnte. Die zahlreichen Unterstreichungen, die sich durch den ganzen Text hinzogen, haben mir immer ein tiefes, im höchsten Grade eindrucksvolles Bild von der inneren Anteilnahme vermittelt, mit der einstmals die Bibel in deutschen Familien gelesen wurde. Die starke religiöse Gewissenhaftigkeit, die der dominierende Faktor in meinem Elternhause war, zählt zu den stärksten Erinnerungen meines Lebens. Müller hatte inzwischen sein „Geistliches Ministerium" zusammengesetzt. Es bestand aus Hossenfelder (später „Bischof" von Brandenburg), Landesbischof Schöffel aus Hamburg, der nur widerstrebend dieser Berufung gefolgt war, ferner Dr. Weber aus Elberfeld und Dr. Werner, einem Juristen, der dann zum Präsidenten des Evangelischen Oberkirchenrates in Berlin avancierte. Das Gremium war fast zu unbedeutend, um ernstgenommen zu werden; gleichwohl fehlte es nicht an formellen Protesten. So gingen wir in den November hinein: eine formell fertiggestellte Reichskirche, ohne Wärme im Innenraum, ohne Kraft der Theologie, ohne Ansehen der tragenden Persönlichkeiten. Die Opposition gut in Deckung, zum Angriff gegen den Volksbetrug der Sommerwahlen entschlossen; aber noch keine offenkundige Blöße in der Front des Gegners, in die man hätte hineinstoßen können. Da lieferte ein gütiges Geschick das, was man brauchte: einen offenen Skandal, der nicht mehr zu vertuschen war. Geschwollen von bisherigen Erfolgen beschloß der Gauverband Berlin-Brandenburg der „Deutschen Christen", der stoßwütigste in dieser erlauchten Gesellschaft, eine Monstreschau im Berliner Sportpalast zu veranstalten. Diese Versammlungshalle, von den berühmten Sechstage-Rennen her bestens bei den Berlinern ein55

geführt, von Goebbels'schen Triumphen im „Kampf um die Macht" auch zu einer politischen Weihehalle gestempelt, sollte ihre Tradition und ihre zahlreichen Plätze zu einer Heerschau der deutschchristlichen Streiter, zu einem Massenappell der Müllergarde zur Verfügung stellen. Und „jedermann erwartete sich ein Fest", eine gründliche Abrechnung mit den Gegnern, die man endlich einmal „fertigmachen" wollte. Aber es kam anders. Der Gauobmann Dr. Krause leitete die Versammlung, ein intimer Freund und Favorit des brandenburgischen Gauleiters Kube, der schon im Reichstag der zwanziger Jahre durch perverse Übertreibungen eine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hatte, die außer Verhältnis zum Inhalt seiner Reden stand. Das Niveau der Kundgebung unterbot alles, was bis dahin erlebt worden war. Der „Rabbiner Paulus" mit seinem Ballast der „Sündenbock- und Minderwertigkeitskomplexe" wurde öffentlich verhöhnt, das Alte Testament als ein Buch von „Viehjuden und Zuhältern" abgetan und im übrigen der „heldische" Jesus als die Zentralfigur eines echten Bekenntnisses herausgestellt. Was man überhaupt auf dem Herzen hatte, das mußte nun endlich einmal heraus. „Bischof" Hossenfelder forderte die Einführung des Arierparagraphen in der Kirche — wozu reichsrechtlich keinerlei Zwang vorlag —, und zum Schluß gab es eine „Abstimmung" über alle die Herrlichkeiten, die man zu Gehör gebracht hatte. Alles ging nach Wunsch. Als nadi Gegenstimmen gefragt wurde — damals geschah so etwas noch, aber natürlich mit dem nötigen scharfen Akzent —, erhob keiner der anwesenden hödisten kirchlichen Führer die Hand. Über Einzelheiten des begeisterten, aber offenbar recht turbulenten Abgesangs dieser denkwürdigen Veranstaltung schwankt die Chronik. Der plötzlich zu einer Berühmtheit gewordene Studienassessor Krause behauptete in einem Brief an den Reichsbischof, Präsident Dr. Werner habe ihm im Anschluß an seine Rede die Hand gedrückt und dafür gedankt, daß er ihm „den Rücken gestärkt habe gegen die Geistlichkeit in den obersten Kirchenbehörden", und der Oberkonsistorialrat D. Freitag habe dem ehrenwerten Herrn Arendsee, der nach Krause die „Fahnenweihrede" hielt, mit Händedruck „seine Anerkennung zu unseren Ausführungen" ausgesprochen. Werner und Freitag bestritten natürlich; wer wollte überhaupt hinterher nodi Klarheit in das viele Händeschütteln bringen, mit dem dieser Gala-Abend des Deutschchristentums endete? Die unvergleichliche Bedeutung dieser öffentlichen Blamage wurde selbstverständlich sofort erkannt. Der Dekan der theologischen Fakultät der Universität Berlin, Erich Seeberg, forderte den Reichsbischof auf, zu den Vorgängen im Sportpalast durch ein theologisches Wort Stellung zu nehmen und Klärung zu bringen. Viele von den Notbund-Pfarrern donnerten bereits am 19. November von den Kanzeln herunter mit einer Erklärung nicht nur gegen das im Sportpalast Gesagte, sondern auch gegen die in 56

dieser Versammlung anwesenden Inhaber hoher Kirchenämter, die keinen Einspruch erhoben hatten, was auf Grund des christlichen Glaubens unerläßliche Pflicht gewesen wäre. Und so ging es weiter. Die SportpalastKundgebung wurde zum Fanal, an dem sich viele neue Hoffnungen entzündeten. Sie wurde zu einer der schwersten Sprengbomben, die den ganzen deutsch christlichen Lügenkomplex zum Platzen brachten, indem sie die wahren Hintergründe dieser „Glaubensbewegung" aufdeckte.

Fünftes

Kapitel

Dramatische Zuspitzung Uber den Entwicklungsabschnitt im evangelischen Kirdienkampf, der jetzt begann und bis Ende Januar 1934 dauerte, werde ich mit vielen Einzelheiten beriditen, die ich meinem Tagebuch entnehme und die recht eigentlich erst erkennen lassen, durch welches Gestrüpp von Dornen und Ränken man sich damals hindurchzuwinden hatte. Nach dem Sportpalast-Fiasko war ich mir mit den Kirchenführern der Bekenntnisfront darüber einig geworden, daß es nunmehr an der Zeit wäre, an eine Offensive zu denken und dadurch die Depression, die mit jeder länger anhaltenden Defensive verbunden ist, zu überwinden. Der Rücktritt des „Geistlichen Ministeriums", durch das Trommelfeuer nach der Sportpalastveranstaltung veranlaßt, war eine verheißungsvolle Mahnung zu eigenem Handeln. Ich fand schnell Gelegenheit, den ersten Schuß zu tun. Unter dem 23. 11. vermerke ich den Besuch des Vizepräsidenten Hundt vom Oberkirchenrat, der gekommen war, um die schriftlich vorgetragenen Wünsche der Reichskirche wegen Gewährung finanzieller Reichshilfen mündlich zu erläutern. „Bewegliches Klagelied" habe ich mir notiert. So sympathisch mir auch die Persönlichkeit von H . aus langer dienstlicher Zusammenarbeit war — ich blieb fest und erklärte ihm, wir könnten den vorgelegten Entwurf des Reichskirchenetats überhaupt nidit als Diskussionsgrundlage betrachten. Im übrigen hätten wir von der Gründung der Reichskirche und der dadurch ermöglichten Konzentration Ersparnisse erwartet; statt dessen leiste man sich in der Reichskirche den Luxus einer Uberorganisation. Am 3. 12. wiederholte H . seinen Besuch. Diesmal wurde ich deutlicher: es sei ganz gut, wenn die Reichskirche zunächst einmal auf die Umlagen der Landeskirchen angewiesen sei; dann würde der „Cäsarenfimmel" etwas verrauchen und der Einfluß verständiger Landeskirchenführer auf die natürlichste Weise 57

gesteigert; das sei z. Z. sehr heilsam. Ich hatte mir inzwischen Deckung für meine ablehnende Haltung bei Frick geholt, der — zu meinem Erstaunen — sogar die ausdrückliche Billigung durch Hitler erreicht hatte. Am 24. 11. kommt der „Kirchenminister" Weber zu mir, um zu sondieren, wie wir über ein Verbot sämtlicher Gruppen und Sonderbünde in der Kirche dächten. Er sprach von der Gefahr eines völligen Zerfalls, wenn die Gegensätze andauern. Ich erwiderte ihm, mit einem solchen Verbot wäre gar nichts erreicht. Die Gruppierungen gingen auf die Ungeheuerlichkeiten der Kirchenwahlen im Juli zurück. Die Gruppe „Evangelium und Kirche" erkenne diese Wahl überhaupt nicht an und befände sich dabei in Übereinstimmung mit dem Reichsministerium des Innern. Ich warnte auch vor jedweder Maßregelung der 3000 Notbundpfarrer und sprach von der Gefahr eines evangelischen Schismas. Unter Umständen käme als letztes Ventil gegen Kirchenwirren eine erneute Kirchenwahl in Frage, die wir durch Reichsgesetz erzwingen könnten. Auch im Reiche hätten am 12. 11. wiederum politische Wahlen stattgefunden trotz der monatelang betonten Parole, die Reichstagswahl am 5. 3. sei die letzte gewesen. Der 25. 11. liefert mir wiederum einige kräftige Proben deutschchristlicher Denkungsart. Müller will Hossenfelder fallen lassen, sofern der Anstoß von Frick käme. Letzterer denkt nicht daran, ihm diesen Gefallen zu tun, überläßt vielmehr die ganze Angelegenheit ausschließlich der Kirche. Schon am Nachmittage ist ein neues Gerücht fabriziert, von dem mir Niemöller Mitteilung macht: das Reichsministerium des Innern wolle Hossenfelder halten! Derselbe Hossenfelder, der von allen Seiten angeschossen wird, erzwingt den Rücktritt des angesehenen Hamburger Landesbischofs Schöffel. Begründung: Hitler habe die Einladung zur feierlichen Amtseinführung des Reichsbischofs im Berliner Dom am 3. 12. mit der Begründung abgelehnt, die evangelische Kirche sei ihm noch „zu reaktionär". Und eine weitere Kostprobe vom gleichen Tage: der „Adjutant (!) des Landesbischofs von Sachsen" Coch, ein Oberkirchenrat Klotzsch aus Dresden, sucht unser Einverständnis nach, die Domstifter von Meißen usw. „gleichzuschalten". Rechtsgrundlage? Das Reichsgesetz über die Gleichschaltung von Aufsichtsräten öffentlichrechtlicher Körperschaften vom 15. 6. 33! Ich verweise auf die Bestimmung dieses Gesetzes, daß der 30. 9. letzter Termin für Maßnahmen dieser Art gewesen sei — ganz abgesehen davon, daß schließlich ein Domstift kein „Aufsichtsrat" ist. Darauf er: Dann werden Schwierigkeiten entstehen, da der Landesbischof Coch es vermutlich ablehnen wird, sich von Persönlichkeiten des alten Regimes (u. a. Graf Vitzthum von Eckstädt) etwa im Dom von Meißen begrüßen zu lassen — woraufhin ich sehr deutlich wurde in der Kennzeichnung eines derart „christlichen" Verhaltens eines Bischofs. 58

27. 11.: Eine neue Gefahr zieht herauf — Goebbels! Dieser gerissenste aller Großwürdenträger hatte zwar damals noch nicht die Bedeutung, die er sich später, besonders im Kriege verschaffte, als er schlechterdings alles mit der Begründung an sich ziehen konnte, die Sache habe eine eminent propagandistische Bedeutung. Aber auf zwei Künste verstand er sich schon damals, nämlich erstens die „Technik der Türklinke", wie ich es schon in jenen Zeiten nannte, d. h. die Fertigkeit, immer der letzte in Hitlers Zimmer zu sein und dadurch die Entscheidungen seines Herrn und Meisters in letzter Fassung zu beeinflussen. Und die andere Fähigkeit: die Kunst des „Ofenheizens", d. h. ein psychologisches Trickspiel, mit dem es ihm gelang, Hitler durch geschickt hingeworfene Pülverchen und Glühkörper allmählich so in hysterische Reizzustände zu bringen, daß es ihm nicht schwerfiel, ungefähr alles an Entscheidungen herauszuholen, was ihm in den K r a m paßte. Also am 27. 11. Anruf vom Propagandaministerium, das Ausland verwerte bereits die Auflösung der „Deutschen Christen" als Symptom für inneren Zerfall der N S D A P . Das war ein zündkräftiges Stichwort, dessen Wirkung an höchster Stelle kaum zu unterschätzen war. Ich ging deshalb sofort zu Frick und gewann ihn für die einzig mögliche Lösung: einen drastischen Trennungsstrich zwischen Partei und „Deutschen Christen" zu ziehen. Auch Müller findet sich am späten Abend bei Frick ein, nachdem er vorher mit Rust und dem „Stellvertreter des Führers", Heß, konferiert hatte (Hitler war nicht in Berlin). Er entwickelte seinen neuesten Plan: er will die „Deutschen Christen" und den Pfarrernotbund auflösen; dann werde Ruhe sein. Ich hinterher zum Minister, der nun wieder Müller zustimmte. Es gelingt mir endlich, ihm den ganzen Unsinn auszureden: D a Hitler doch nicht dazu zu bewegen sein werde, die „Deutschen Christen" aufzulösen, werde die ganze Maßnahme ein einseitiger Schlag gegen den Notbund werden und daher bestimmt wirkungslos bleiben (eine kurz darauf gefällte Entscheidung Hitlers bestätigt meine Voraussage, daß an eine Auflösung der „Deutschen Christen" nicht zu denken sei). Frick geht nun wieder auf meine Seite und beauftragt mich, Müller in diesem Sinne zu verständigen. War die Mitteilung des Propagandaministeriums über die Auslandspresse echt? Oder war sie nur von Goebbels lanciert, um Hitler an der empfindlichsten Stelle seiner Mentalität zu treffen? Jedenfalls war es ein Kuriosum, daß ich diesem Zusammenhang aus taktischen Gründen zum Fürsprecher für den Fortbestand der „Deutschen Christen" werden mußte. 29. 11.: Frick vormittags bei Hitler und setzt Auffassung durch, daß „strikte Neutralität" gegenüber den Streitern im Kirchenkampf beobachtet werden soll. Ein beachtlicher Erfolg, mit dem man auch etwas anfangen kann! Aber schon kommt Müller: noch am selben T a g e spätnachmittags ist er — zum Glück in Anwesenheit Fricks — bei Hitler. Es scheint anders 59

gegangen zu sein, als er gedacht hatte; denn Meiser und Wurm, die den „Reibi" noch abends spät aufsuchten, fanden ihn „ziemlich zusammengebrochen". Es hat sich gelohnt, daß ich tags zuvor bei dem Staatssekretär und Chef der Reichskanzlei Dr. Lammers, meinem alten, mir seit zehn Jahren befreundeten ehemaligen Kollegen im Reichsinnenministerium, vorgesprochen und von ihm die Zusage erhalten hatte, er werde dafür sorgen, daß Müller künftig nicht mehr allein, sondern nur noch unter Zuziehung Fricks von Hitler empfangen werden würde. Bei dieser Gelegenheit hatte übrigens Lammers durchblicken lassen, Hitler interessiere sich kaum noch für Müller. 30. 11.: Wir kommen langsam weiter. Zunächst sage ich in Fricks Namen für die feierliche Amtseinführung Müllers im Berliner Dom am kommenden Sonntag ab und rufe dann Staatssekretär Meißner an, den ich bitte, Hindenburg, der bereits zugesagt hatte, davon zu unterrichten, daß sämtliche Reichsminister, lutherischen Bischöfe und theologischen Fakultäten der Feier im Dom fernbleiben würden. Daraufhin Rückzieher Hindenburgs, der übrigens nachmittags Hitler und Frick wegen Erörterung der kirchlichen Lage bei sich hatte. Es scheint, daß auch wir die Nerven der anderen erschüttern können: nachmittags haben die „Deutschen Christen" über die Selbstauflösung beraten! Wir haben eine unerwartete Bundiesgenossin gewonnen: Frau Winifred Wagner in Bayreuth hat Hitler über die „D. C . " aufgeklärt; das hat anscheinend gewirkt. Heute geht ein scharfes Rundschreiben Fricks hinaus, das an Deutlichkeit eigentlich nichts zu wünschen übrigläßt: „Innerhalb der Deutschen Evangelischen Kirche sind zur Zeit Auseinandersetzungen im Gange, die auf eine Klärung der kirchlichen Gesamtlage hinzielen. Der Herr Reichskanzler hat die ausdrückliche Entscheidung getroffen, daß, da es sich um eine rein kirchliche Angelegenheit handelt, von außen her in diesen Meinungsstreit nicht eingegriffen werden soll. Insbesondere soll jedes polizeiliche Eingrifen wie Schutzhaft, Postbeschlagnahme u. ä. unterbleiben. Ich bitte daher ergebenst, die nachgeordneten Dienststellen unverzüglich mit entsprechender Weisung zu versehen. Es ist selbstverständlich, daß die zur Wahrung der äußeren Ordnung etwa notwendigen Maßnahmen insoweit zulässig sind, als sie nicht den Charakter eines Eingriffs in den innerkirchlichen Meinungskampf haben. Aus gegebenem Anlaß weise ich darauf hin, daß auch kirchliche Stellen nicht befugt sind, ein Einschreiten staatlicher Organe im kirchlichen Meinungskampf herbeizuführen." Das Schreiben war an die Landesregierungen und an die Reichsstatthalter gerichtet. 60

1. 12.: Ein Wechsel voller und in jeder Beziehung lehrreicher Tagesablauf! Am frühen Nachmittag erfahre ich, Jägers Kandidatur für einen Posten im „Geistlichen Ministerium" ziehe herauf. Buttmann und ich einig darüber, daß wir auf jeden Fall torpedieren werden. Frick macht mit, will aber noch vorher Hitler fragen. Wir zu dreien in die Reischkanzlei. Hitler kommt mit Frick aus seinem Arbeitszimmer, um sich in die Kabinettssitzung zu begeben. Auf dem Flur stehen Buttmann und ich. Hitler zu Buttmann: er verachte das „Theologengezänk"; wenn die evangelische Kirche auseinanderplatze, werde das eine Blamage für das Christentum werden. Buttmann schweigt. Hitler geht weiter, kehrt plötzlich um und erklärt coram publico: „Sagen Sie dem Reichsbischof, wir werden uns das nur noch kurze Zeit mit ansehen; dann werden wir handeln, und dann soll er sehen!" Wir nun sofort zu Müller in den Oberkirchenrat, um ihn über das neueste Führerwort zu unterrichten (im Affekt gesprochen, daher wie immer unklar wie ein delphisches Orakel). Wir finden Müller heiter wie immer, die Brust mit Orden behängt (einschließlich türkischem Halbmond). Buttmann orientiert ihn: Bedenken gegen Jäger. Nach kurzer Zeit Anruf von Meiser: Müller hat unseren Besuch bei ihm völlig entstellt wiedergegeben: wenn die Bischöfe der Opposition, die damals vollzählig in Berlin versammelt waren, nicht sofort nachgäben, würde das Reich eingreifen! Ein Musterstückchen dreister Verdrehungskunst — nicht das einzige, das wir bei diesem „Reichsbischof" erlebt haben. 4. 12.: Müller wird unsicher in seiner Haltung, soll auf den Rat gemäßigter Persönlichkeiten hören. Will Hossenfelder, den rabiaten „Bischof von Brennabor" (altes heidnisches Brandenburg) endgültig fallen lassen, nachdem die brandenburgischen Pfarrer erklärt haben, daß sie diesen Herrn nicht mehr als Bischof anerkennen. Schade um den verdienten Mann! Seine größte, wenn auch nicht einzige T a t als „Kirchenminister" war die Anordnung, jeden Monat solle ein einheitlicher Gottesdienst stattfinden (gleicher Predigttext, gleiche Lieder usw.). Volksmund: „Eintopfgericht der Seele"! 5. 12.: Anruf des Chefs der preußischen Geheimen Staatspolizei, Diels, um unsere Auffassung über die Haltung der Polizeistellen zu erfahren. Er erklärt, die Lage nicht mehr überblicken zu können. Ich packe gründlich aus, finde vielfach Anerkennung des von mir Gesagten. Er habe „den Druck im Sommer nur widerwillig und nur auf Anweisung ausgeübt" und verspricht, unverzüglich entsprechende Anweisung an Polizei hinausgehen zu lassen. Vorher hatte ich von seinem Sachbearbeiter Wittich erfahren: Jäger ist der ständige Hetzer, der z. B. die Erklärung in einem Flugblatt 61

des Pfarrernotbundes, in die Kirche sei modernes Heidentum eingedrungen, als Beweis der „Staatsfeindlichkeit" bezeichnet habe. Müller hat wirklich Pech: nun haben auch seine Getreuen in Sachsen, die deutschchristliche Clique um den Landesbischof Codi, ihm offiziell „das Vertrauen entzogen." Armer Kerl! Er verscherzt sich alte Freundschaften, ohne neue zu gewinnen. 9.—12. 12.: Das Propaganda-Ministerium hat ein merkwürdiges Notventil gezogen: völlige Pressesperre über Kirchenstreit. Sofortige Deutung im Ausland: Knebelung der Kirche. In Wahrheit war es ein Abstoppen der ständigen, deutschchristlich gefärbten Berichterstattung. Ich erreiche schnell beim Auswärtigen Amt, daß mir Auslandsreporter (z. B. Dr. Megerle, Lemmer) zugeschickt werden, damit vernünftige Artikel für die Auslandspresse geschrieben werden, die die Lage richtig darstellen. Presseartikel im Ausland richten leichter Unheil an als man jenseits der Grenzen ahnt! 13.—16. 12.: Die Müller-Clique versucht, sich mit immer neuen Lügen zu halten. Der „Reibi" sucht um Audienz bei Frick nach; „er hat eine Stinkwut auf Sie" sagte mir ein Alter Kämpfer. Frick lehnt ab. 19.—20. 12.: Wir werden von den Müller-Leuten berannt, bei der Eingliederung der evangelischen Jugend in die Hitlerjugend Pate zu stehen. Müller scheint Angst zu haben, dieses Abkommen auf eigene Verantwortung zu schließen. Wir lehnen ab; ich verstehe nicht, wie evangelische Jugendführer überhaupt auf den Gedanken kommen konnten, Müller Vollmacht zu Verhandlungen mit Schirach zu geben. Ein schönes Wort von Rust (preuß. Kultusminister) gegenüber Landesbischof Wurm: „Nie wieder stecke ich meine Finger in die Kirche!" 22. 12.: Meiser, Wurm und Bodelschwingh bei Müller; erklären ihm, daß er nicht bleiben könne. Antwort: er wisse, daß niemand mehr hinter ihm stünde; aber solange er Vertrauen Hitlers besäße, bliebe er. Vom 31. 12. 33 bis 8. 1. 34 war ich zur Erholung im Harz, kehrte aber auf Grund alarmierender Telefonanrufe Niemüllers vorzeitig zurück. Die Situation hatte sich bedrohlich verschlechtert. Der „Reibi" hatte am 4. 1. 34 eine Verordnung zur „Wiederherstellung geordneter Zustände in der Deutschen Evangelischen Kirche" erlassen, die nach dem üblichen Phrasenschwall der Präambel folgendes dekretierte: „§ 1: Der Gottesdienst dient ausschließlich der Verkündigung des lauteren Evangeliums. Der Mißbrauch des Gottesdienstes zum Zwecke kirchenpolitischer Auseinandersetzungen, gleichviel in welcher Form, hat zu unterbleiben. Freigabe sowie Benutzung der Gotteshäuser und sonstigen kirchlichen Räume zu kirchenpolitischen Kundgebungen jeder Art wird untersagt. 62

§ 2: Kirchliche Amtsträger, die das Kirdienregiment oder dessen Maßnahmen öffentlich oder durch Verbreitung von Schriften, insbesondere durch Flugblätter oder Rundschreiben, angreifen, machen sich der Verletzung der ihnen obliegenden Amtspflicht schuldig. Die Eingabe von Vorstellungen auf dem hierzu vorgeschriebenen Wege bleibt unberührt. § 3: Gegen kirchliche Amtsträger, die den Vorschriften der §§ 1 und 2 zuwiderhandeln, ist unter sofortiger vorläufiger Enthebung vom Amte unverzüglich das förmliche Disziplinarverfahren mit dem Ziele der Entfernung aus dem Amte einzuleiten. Für die Dauer der vorläufigen Amtsenthebung ist . . . das Einkommen um mindestens ein Drittel zu kürzen. § 4: Das Gesetz betreffend die Rechtsverhältnisse der Geistlichen . . . und das Kirchengesetz betr. Beilegung kirchenpolitischer Streitfälle . . . werden außer K r a f t gesetzt." Also ein Maulkorb- und Brotkorb-Erlaß schlimmster Art! Doch zurück zu meinen Aufzeichnungen. 9. 1. 34: Die Lage verschärft sich von T a g zu T a g . Während meines Urlaubs war „Bischof" Oberheid, Adjutant des Reichsbischofs, täglich bei Buttmann, um ihn umzustimmen. Umsonst. Telefongespräch mit Diels (Chef der Geheimen Staatspolizei in Preußen): Müller und Jäger waren am Abend vorher bei ihm, um Eingreifen der Polizei zu erreichen. Er, Diels, habe ihnen lediglich versprochen, Versammlungen überwachen zu lassen. Überwachung am Abend vorher in Berlin habe nichts ergeben. Ich erkläre ihm, daß die politische Linie der Reichsregierung (völlige Neutralität) unverändert festliegt. Wieder einmal ein toller Müller-Schwindel! Er war zwei T a g e vorher mit Meiser und Bodelschwingh in Hannover zusammen, wurde währenddessen mit gespielter Auffälligkeit ans Telefon gerufen: „sofort zur Audienz beim Führer nach Berlin kommen!" Alles Flunkerei; in Wirklichkeit war er mit Jäger ergebnislos bei Diels (Geh. Staatspolizei), um zu hetzen. Nachmittags eine dankenswerte Aufklärung. Pfarrer Röttgen (BergischGladbach), mir seit vielen Jahren dienstlich bekannt, berichtet mir von einer Tagung der „Deutschen Christen" am 6. 1. in Koblenz, und zwar im kleinsten Kreise der Führungsschicht. Jäger und Oberheid dabei. Als wichtiger Programmpunkt die Forderung, daß „endlich ein Keil zwischen Frick und midi getrieben werden müsse". 11. 1. 34: Jäger verlangt, daß für Gesetze der Reichskirche das Placet der Landesregierungen eingeholt wird. Totaler Unsinn! Sucht offenbar neuen Konfliktstoff, um wieder „Staatskommissar" zu werden. Nachts große Aufregung im Kreise der Bekenntnistreuen. Das Ausbleiben durchschlagender Erfolge macht sie nervös. Ich hatte die Herren nachts 63

bei mir und konnte sie glücklicherweise von übereilten Schritten zurückhalten. Sie hatten bereits vorgehabt, nachts die Freikirchen auszurufen. 12. 1. 34: Die alarmierenden Nachrichten werden immer dringender. Ein Gewaltregiment Jäger-Oberheid zieht herauf. „Deutsche Nationalkirche", Protestantismus und Katholizismus vereinigt unter einem Summus Episcopus als Ausdrude der Einheit von Staat und Kirche; Kandidat: Göring! Frick zeigt mir lächelnd ein Schreiben des Oberpräsidenten und Gauleiters der Kurmark, Kube, das ich im Wortlaut mitteilen möchte: „Die beiliegende Meldung des kommissarischen Landrats . . . übersende ich Ihnen persönlich, um Ihnen ein Bild über den Kampf der Kirchenreaktion gegen den nationalsozialistischen Staat in einem Einzelfalle zu geben. Ähnliche Meldungen laufen fast täglich bei mir und bei mir unterstellten Parteistellen und Staatsbehörden ein. Ehemals deutschnationale und christlichsoziale Kreise haben in der Evangelischen Kirche jetzt die Organisationsform für ihren Widerstand gegen den nationalsozialistischen Staatsgedanken gefunden. Bei unserem pflichtgemäßen Bemühen, diesen Widerstand rücksichtslos zu brechen, stoßen wir immer wieder auf Schwierigkeiten, die in der Handlungsweise des Herrn Ministerialrats Konrad vom Reichsinnenministerium liegen. Die kirchlichreaktionären Kreise, die gleichzeitig politisch-reaktionäre Kreise sind, behaupten jetzt schon ganz offen, daß ihnen Herr Konrad doch recht geben werde. Ich habe Ihnen dienstlich in meiner Eigenschaft als Oberpräsident das gleiche in der Angelegenheit des Superintendenten Bronisch und des Pastors Dühring bereits gemeldet. Ich bitte hier um Ihr persönliches Eingreifen." Im Falle des Pastors Dühring aus Leuthen bei Cottbus hatte ich bei der Gestapo durchgesetzt, daß ein gegen ihn verhängtes Redeverbot aufgehoben wurde, und dabei allerdings mit etwas deutlicher Betonung bemerkt, daß die Weisung der Reichsregierung, im Kirchenkonflikt neutral zu bleiben, auch für einen preußischen Oberpräsidenten verbindlich sei. 13. 1. 34 (Sonnabend): Delirium der Müller-Leute und Nervosität der anderen — beide im Steigen. Landesbischöfe bei Müller, der sich unglaublich benimmt. Bischöfe anscheinend etwas weich in ihrer Haltung. Niemöller tobte nachts am Telefon; wollte zu Meiser, um Bündnis zu kündigen; ich widerriet dringend: dann hätte der „Reibi" erreicht, was er wollte: Sprengung der starken Gegenfront. Tagsüber dauernde Anrufe von Diels (Geh. Staatspolizei), was am Sonntag geschehen solle. Er werde mit Anrufen aus dem Lande überrannt (am Sonntag standen scharfe Kanzelverlesungen der Notbundpfarrer gegen Müller bevor). Ich verwies ihn einfach auf die Anordnung der Reichsregierung vom 30. 11. 33 wegen Neutralität im Kirchenstreit. Er ging zu Göring, der einsichtig genug war, meinem Hinweis an Diels zu folgen, 64

TAFEL

Landesbischof D. Marahrens (Hannover)

9

T A F E L 10

und anordnete, man solle sich auf Wahrung der äußeren Ordnung beschränken. 16. 1. 34: Dr. Werner, Präsident des Oberkirchenrats, s. Zt. von Müller eingesetzt, überbringt mir umfangreiches Material über den „Reibi", das er nach Rücksprache mit mir am Montag zusammengestellt hatte. Ich schickte sofort 1 Stück an Staatssrekretär Meißner, damit Hindenburg informiert würde. Beginn des Frontalangriffs gegen Müller. Nachmittags diktiere ich umfangreiches Memorandum für Minister zwecks Verwendung bei Hitler. Scharfe Tonart, rücksichtslose Offenheit. 18. 1. 34: Frick und Buttmann bei Hitler, fast 2 Stunden. Müller sollte (oder wollte?) dabei sein, wartete 2 Stunden und wurde dann nach Hause geschickt. Seine Umgebung beeilte sich, das Gerücht zu verbreiten, er wäre schließlich doch noch bei Hitler gewesen und hätte von ihm neue Chancen erhalten. Frick soll sehr deutlich bei Hitler geworden sein und kategorisch Müllers Entfernung verlangt haben. Hitler hat die Gelegenheit benutzt, einen langen Monolog über seine religiöse Einstellung zu halten (typisch!). Immerhin folgendes erreicht: 1. Neutrale Linie wird streng eingehalten. 2. Nächste Woche sollen etwa 12 kirchliche Prominente von Hitler empfangen werden. Auswahl liegt bei uns. 19. 1. 34: Ein scharfes Rundschreiben an die Länder fordert strikte Einhaltung des neutralen Kurses. Dies ist im Augenblick das einzige Mittel, um den erschütternden Nachrichten aus dem Lande wegen Terrormaßnahmen der „Deutschen Christen" sowie der Partei- und Staatsstellen zu begegnen. 22. 1. 34: Werner wiederum bei mir wegen Verschärfung der Aktion gegen Müller. Herr von Steinrück-Steinau, alte kollegiale Beziehungen, verwandtschaftlich mit Hindenburg verbunden, wird wichtiger Mittler. Berichtet mir, Staatssektretär Meißner habe kürzlich an Hitler geschrieben: Hindenburg sei der Meinung, Müller sei wohl aus Gesundheitsgründen seiner Aufgabe nicht gewachsen. 23. 1. 34: Weiter verdichtete Besprechungen mit Werner wegen Empfang bei Hitler. 24. 1. 34: Ununterbrochen tolle Nachrichten aus dem Reich. Turbulente Szenen zwischen Meiser und Universitätsprofessoren, die schärferen Kurs fordern. Pfarrer Jacobi (Kaiser-Wilhelm-Gedäditniskirche) von fünf jungen Burschen in seiner Wohnung überfallen und mit Schlagringen blutig geschlagen. Steinwürfe gegen Notbund-Pfarrer im Reiche. Ein toller Ausfall von Diels (Geh. Staatspolizei) gegen mich in einem Bericht an Reichsminister des Innern. Thema: Pfarrer-Notbund. Diels: er 6

Conrad,

Der Kampf um die

Kanzeln

65

ist reaktionär; ich hatte Beweise verlangt und diese Behauptung als bisher völlig unbewiesen bezeichnet. Abends Steinrück wiederum bei mir; verständigt mich nachts, daß Hitler morgen auf 12 Uhr zu Hindenburg bestellt sei. Donnerstag, 25. 1. 34: Unglückstag! Es sollte der Gerichtstag über Müller werden. Alles war glänzend für einen entscheidenden Schlag vorbereitet. Aber es kam anders. Der Jubel im Lager der „Deutschen Christen" war unbeschreiblich. Ich zitiere aus einer Rede, die der sächsische Landesbischof Coch am 1. Februar 1934 in der Nicolaikirche in Leipzig hielt; seine Darstellung ist leider richtig. „ . . . Wir sind den Kampf gewöhnt und sind so still und mit gutem Gewissen (?) unseren "Weg gegangen, haben Ruhe bewahrt (?) und als kampferprobte Nationalsozialisten auch Nerven behalten, und wir haben auch den Sieg errungen. Das hat sich in der entscheidenden Stunde der vorigen Woche beim Führer gezeigt. Dort waren einige deutsche Kirchenführer und führende Persönlichkeiten aus dem kirchlichen Leben am Donnerstag voriger Woche mittags versammelt. Zunächst gab es eine große Überraschung, die uns sofort ein Zeichen dafür war, wie und mit welchen Mitteln der Kampf gegen uns geführt wurde. Ehe die Besprechung begann, bat der Ministerpräsident Göring um das Wort und sagte: „Mein Führer, als preußischer Ministerpräsident des größten deutschen Staates bin ich in erster Linie verantwortlich für Ruhe und Ordnung, und darum bitte ich, ein Telefongespräch vorlesen zu dürfen, das vor IV2 Stunden der Führer oder Vorsitzende des Pfarrernotbundes in Deutschland, der bei der Besprechung mitanwesende Pfarrer Niemöller, geführt hat. Es hat folgenden Wortlaut: „Wir haben unsere Minen gelegt, wir haben die Denkschrift (das ist die Denkschrift, die den Zweck haben sollte, den Reichsbischof zu stürzen) zum Reichspräsidenten geschickt, wir haben die Sache gut gedreht, vor der kirchenpolitischen Besprechung heute wird der Kanzler zum Vortrag beim Reichspräsidenten sein und vom Reichspräsidenten die letzte Ölung empfangen." Die Verlesung des Telefongespräches wirkte erschütternd. Der Führer wandte sich in heiligem Zorn zu dem Manne, der das Telefongespräch geführt hatte, und rief ihm zu: „Glauben Sie, daß Sie mit so unerhörter Hintertreppenpolitik einen Keil zwischen den Herrn Reichspräsidenten und mich treiben und damit die Grundlage des Reiches gefährden können?" Es lief uns in dem Augenblick eiskalt den Rücken hinunter, und wir glaubten, daß der Mann, der so viele Pfarrer aufgerufen hatte im deutschen Reiche, um das Bekenntnis zu schützen, nun augenblicklich in Schutzhaft abgeführt würde. Aber Hitler sagte: „Ich tue nichts, midi können Sie nicht beleidigen . . . " Niemöller . . . mußte zugeben, daß er das Gespräch in dem Wortlaute geführt hatte, aber war bemüht, nun 66

zu gestehen, daß nichts anderes als die heilige Sorge um die Kirche und um Jesus Christus ihn immer bei seinem Tun getrieben habe, auch, die Sorge um das Dritte Reich, um Ihr deutsches Volk, sagte er zum Kanzler, der ihn unterbrach: „Die Sorge um das Dritte Reidi lassen Sie meine Sorge sein!" Damit hat der Pfarrernotbund die entscheidende Niederlage erlitten, und damit haben wir Deutschen Christen einen entscheidenden Sieg gewonnen. . . . Und schließlich faßte der Führer die Aussprache zusammen in die Worte: „Ich sehe, daß hier verschiedene Richtungen vorhanden sind, und die eine mehr konservativ. Und diese Richtung mag sogar die Mehrheit der Pfarrerschaft und der Priester auf ihrer Seite haben, aber auf der anderen Seite (und damit meinte er uns) steht das Volk. Um das Volk ringen wir." Das war ungefähr das Schlimmste, was uns passieren konnte. Eine hysterische Szene mit allen Folgen psychologischer Schockwirkung. Außer Meiser und "Wurm überboten sich alle Anwesenden in Loyalitätserklärungen für Hitler. Müller nutzte sofort seinen Sieg. Am 27. 1. versammelte er die Kirchenführer um sich. In meinem Tagebuch ist darüber vermerkt: „Es muß toll zugegangen sein. Die Ärmsten sind so unter Druck gesetzt worden, daß ExKirchenminister Beyer hinausgegangen ist und draußen erklärte, er könne das da drinnen nicht mehr mit ansehen. Man hat auf die Leutchen losgeschlagen mit düsteren Mahnungen wegen außenpolitischer Lage, größte Einigkeit sei nötig; dazwischen fingierte Telefonate mit Gestapo (als ob eine wüste Verschwörung nach der anderen aufgedeckt würde), schließlich kurze Verlesung der Ergebenheitskundgebung durch Oberheid, und raus war er mit der Bemerkung: das müßte sofort in die Presse, um unübersehbaren Schaden zu verhüten!" Frick war zunächst wütend auf midi, fing sich aber schnell. Er hatte am T a g e nach dem Unglück Buttmann und mich bei sich und ermahnte uns — übrigens in durchaus freundlichem Tone — zu größter Zurückhaltung. Aber Müller ruhte nicht. Er war am 1. 2. 34 ohne unser Wissen bei Hitler, der daraufhin mit Frick telefonierte. Das Ergebnis fand ich am darauffolgenden Tage auf meinem Schreibtisch: die Entziehung des Referates für die evangelische Kirche! Sechstes

Kapitel

Konkordatsnöte Während im evangelischen Kirchenkampf die Flammen aus allen Fenstern des Kirchenbaus herausschlugen, kam es auf katholischer Seite zu Auseinandersetzungen, die zwar mit dem evangelischen Teil schwere Zusammenstöße mit den Landesregierungen, insbesondere der Geheimen Staatspolizei, 6*

67

und sämtlichen Gliederungen der N S D A P gemein hatten, im übrigen aber durch die Versuche gekennzeichnet waren, die Gegensätze auf höchster Ebene, nämlich zwischen dem Vatikan und dem Reichsministerium des Innern, zu beseitigen, mindestens aber zu mildern. Das Reichskonkordat war kaum unterzeichnet (20. 3. 33), als auch schon mehr oder weniger offiziöse Auslassungen Zweifel darüber aufkommen ließen, ob man sich denn wirklich bei den etwas längeren Besprechungen Pacelli— Papen und den dreitägigen Schlußverhandlungen Pacelli—Buttmann bis zum Durchdenken aller Konsequenzen verständigt hätte. Der „Osservatore Romano", das amtliche Blatt des Vatikans, beschäftigte sich bereits am 26. und 27. Juli mit Zeitungsstimmen zum Konkordat. Wenn auch der amtliche oder auch nur halbamtliche Charakter dieser Artikel in Abrede gestellt wurde, so verdienten sie doch wegen der vatikanischen Beziehungen des Blattes besondere Beachtung. Sie lösten denn auch sofoit in Berlin eine offiziöse Gegenäußerung aus, die von Buttmann verfaßt war. Es war vielleicht nicht sehr geschickt, wenn der Artikelschreiber des päpstlichen Blattes hervorhob, daß der Codex juris canonici die Grundlage und die wesentliche juristische Voraussetzung des Konkordats bilde und dessen einzelne Bestimmungen ergänze. Die Berliner Entgegnung mit dem Hinweis auf die dreimalige Hervorhebung in Artikel 33, daß es sich um kirchliche Personen, um kirchliche Dinge und um den kirchlichen Bereich handeln müsse, wenn kanonisches Recht für die im Konkordat nicht behandelten Materien zum Zuge kommen soll, traf schon das Richtige. Der römische Artikel ging dann auf die im Konkordat behandelte E r ziehung zur Vaterlandsliebe ein und meinte, daß sie nach den Vorschriften des Glaubens und den Geboten Jesu Christi geregelt sei, also nach den Lehren des Evangeliums, das Gerechtigkeit und Liebe gebietet. Es war immerhin nicht ohne Vorgeschmack für die Zukunft, wenn die Berliner Entgegnung, um „Mißverständnissen" vorzubeugen, die juristisch schwer angreifbare Feststellung herausstellte, daß die Kirche in dieser Angelegenheit das Recht der Nachprüfung nach konfessionellen Gesichspunkten lediglich für den Religionsunterricht, nicht aber für die übrigen Gebiete des Schulwesens besitze (s. oben S. 38). Ein weiterer Punkt der Berliner Entgegnung ließ erkennen, daß man ein recht heißes Eisen im Feuer hatte, das zu schmieden wegen völlig gegensätzlicher Auffassungen wohl kaum möglich sein würde. Artikel 32 stellt päpstliche Bestimmungen in Aussicht, „die für die Geistlichen und Ordensleute die Mitgliedschaft in politischen Parteien und die Tätigkeit für solche Parteien ausschließen." Dieser Zusage gehen die Worte voraus: „auf Grund der in Deutschland bestehenden besonderen Verhältnisse" sowie „im Hinblick auf die durch die Bestimmungen des vorstehenden Konkordats geschaffenen Sicherungen einer die Rechte und Freiheiten der katholischen 68

Kirche im Reich und seinen Ländern wahrende Gesetzgebung . . . " Man kann nun die Worte, die der päpstlichen Zusage des Parteiverbots vorangestellt sind, als Begründung oder als Bedingung, vielleicht auch als beides mit innerer Untrennbarkeit auffassen. Der Artikel im Osservatore sprach naturgemäß von Bedingung, der Berliner officiosus selbstverständlich von Begründung. Immerhin war von römischer Seite warnend der Finger erhoben hinsichtlich dessen, was im Reiche und seinen Ländern an Sicherung der kirchlichen Rechte und Freiheiten geschehen (oder n i c h t geschehen) würde. Der für das Hitler-Regime heikelste Punkt war zweifellos die Verwahrung des Artikelschreibers dagegen, daß der Abschluß des Konkordats eine Anerkennung der nationalsozialistischen „Richtung" bedeute. Damit war eine für beide Vertragsteile kitzlige Frage angeschnitten. Dem Vatikan war in ausländischen Pressestimmen der Vorwurf gemacht worden, daß er mit dem Konkordat die gegen Hitlerdeutsdiland stillschweigend verhängte internationale Vertragssperre durchbreche, und der Nationalsozialismus fühlte sich in seinen mit dem Vertragsabschluß verbundenen geheimen Nebenabsiditen getroffen. Berlin versuchte den Ausweg aus der Verlegenheit mit dem Hinweis, das Konkordat sei mit dem Präsidenten des Deutschen Reichs abgeschlossen, dieses Deutsche Reich aber sei von der nationalsozialistischen „Richtung" „völlig beherrscht"; der Vertragsabschluß bedeute also die „tatsächliche und rechtliche Anerkennung der nationalsozialistischen Regierung." Hier lag ein Gedankensprung vor. Internationale Verträge werden mit denen abgeschlossen, die die Macht im Staate in Händen haben. Ob der Vertragspartner im biederen Bürgerrock oder aber mit dem „Dolch im Gewände" unterzeichnet, ist für Sinn und Bedeutung des Vertrages völkerrechtlich ohne Bedeutung. Die Verwahrung des römischen Artikelschreibers war daher doch nicht ohne Berechtigung. Noch schwebte eine düstere Wolke am Himmel, von der man nicht wußte, ob und wie sie sich entladen würde, nämlich die Frage: wird das Konkordat ratifiziert werden? Erst dann tritt es ja in Kraft. Zwar war im Artikel 34 vereinbart worden, daß die Ratifikationsurkunden „baldigst" ausgetauscht werden sollten; aber . . . „zwischen Lipp und Kelchesrand . . . " Man hatte an die ersten Septembertage als Ratifikationstermin gedadit. Inzwischen gingen die Gewaltakte weiter, die die ermutigenden Erklärungen Hitlers zwischen Paraphierung und Unterzeichnung des Konkordats in schamloser Weise Lügen straften. Um das Maß vollzumachen, erschien in der „Nationalzeitung", dem Organ Görings, am 31. 8. ein Artikel, der unter der lockenden Überschrift „Streng vertrauliche Informationen" auf den mehr als Monatsfrist zurückliegenden Osservatore-Artikel zu sprechen kam, die römischen „Auslegungskünste" verächtlich zu machen suchte und der Erwartung Ausdruck gab, die deutschen Geistlichen würden sich nunmehr 69

aus dem politischen Leben zurückziehen. Der „Temps" griff diesen Artikel gierig auf; so kam er zur Kenntnis des Papstes, und das Ende vom Liede war, daß der Kardinalstaatssekretär der deutschen Botschaft beim Vatikan eröffnete, unter diesen Umständen sei es wohl besser, vorläufig nicht zu ratifizieren. Noch am 6. September übergab Pacelli dem deutschen Botschaftsrat Klee eine Aufzeichnung über Schwierigkeiten und Meinungsverschiedenheiten, die der Papst noch vor der Ratifikation geklärt zu sehen wünschte. Deutscherseits wurde geltend gemacht, daß die Klärung längere Zeit beanspruchen werde, und im übrigen auf Artikel 33 Absatz 2 verwiesen, der ja gerade für solche Fälle eine „freundschaftliche Lösung" im „gemeinsamen Einvernehmen" vorsah. Man kann das Dilemma ahnen, in dem sich der Kardinalstaatssekretär befand: auf der einen Seite das Nein des Papstes, auf der anderen die Überlegung, daß man ja auf Grund des Konkordats nur dann weiter prozedieren konnte, wenn es ratifiziert, d. h. in Kraft gesetzt war. Er suchte einen Mittelweg, indem er das Einverständnis des Papstes zu sofortiger Ratifizierung für den Fall in Aussicht stellte, daß die Reichsregierung sich bereit erkläre, über die Konkordatsmaterien, die nach Auffassung des Heiligen Stuhles einer umgehenden Klarstellung und Sicherung bedürfen, baldigst in Beratungen einzutreten, um ein dem Wortlaut und Geist des Konkordats wirklich entsprechendes, ein nutzbringendes Zusammenarbeiten von Kirche und Staat sicherndes Einvernehmen herbeizuführen. Als die deutsche Zusage zu einer solchen Erklärung nicht zu erreichen war, ging der Kardinalstaatssekretär, der natürlidi über die alarmierenden Meldungen in der Weltpresse ebenso beunruhigt war wie der Papst, einen kleinen Schritt zurück, indem er ein gemeinschaftliches Communiqué des Inhalts vorschlug, der Heilige Stuhl habe vor Ratifizierung der Reichsregierung eine Reihe von Punkten wegen Auslegung und vorläufiger Handhabung des Konkordats überreicht, die vor allem den Bestand, die Betätigung und den Schutz katholischer Verbände sowie das Redit deutscher Katholiken betreffen, auch in der katholischen Presse frei ihre Glaubensgrundsätze zu verteidigen. Es sollte dann noch die Angabe hinzugefügt werden, die Reichsregierung habe sich bereit erklärt, über die angeführten Materien baldigst zu verhandeln, um zu einem dem Wortlaut und Sinn des Konkordats entsprechenden gegenseitigen Einvernehmen zu gelangen. Deutscherseits wurde ein „derart ins Einzelne gehendes Communiqué" als ungeeignet für eine gemeinsame Verlautbarung bezeichnet, woraufhin der Kardinalstaatssekretär nochmals etwas nachgab, indem er unter Verzicht auf das Communiqué sich vorbehielt, einen Artikel im Osservatore Romano in dem angegebenen Sinne erscheinen zu lassen. Dem wurde von deutscher Seite nicht widersprochen. Am 10. September 1933 erfolgte dann die Ratifizierung im Vatikan. Pacelli ging unmittelbar danach in Urlaub, den er in Rohrschach am Bodensee verbrachte. Buttmann, hier wie immer bemüht, loyal zu handeln, er70

kundigte sich in Rom, ob er den Kardinalstaatssekretär an seinem Urlaubsort aufsuchen dürfe zwecks weiterer Verhandlungen, erhielt aber die Antwort, der Papst wünsche, daß der Kardinal sich zunächst einmal von der anstrengenden Tätigkeit der letzten Zeit erholen solle. Es ist später von deutscher Seite versucht worden, die Dinge so darzustellen, als ob man in den deutsch-römischen Besprechungen wegen Durchführung des Konkordats weitergekommen wäre, wenn die Besprechungen in Rohrschach stattgefunden hätten. Ich glaube das nicht. Die Atmosphäre in der schönen Stadt am Bodensee hätte nicht freundlicher sein können, als sie — jedenfalls während des Jahres 1933 — in Rom war. Die Perfidie und die immer wieder geschickt verschleierten Ziele des Leiters der deutschen Politik waren im September genau so reale Tatsachen wie sie es später waren. Die innere Anständigkeit des deutschen Unterhändlers spielte demgegenüber keine entscheidende Rolle. Schon am 12. September 1933, also zwei Tage nach der Ratifizierung des Vertrages mit dem Vatikan, wurde ein Reichsgesetz „zur Durchführung des Reichskonkordats" erlassen, dessen einziger Paragraph lautet: „Der Reichsminister des Innern wird ermächtigt, die zur Durchführung der Bestimmungen des Reichskonkordats erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen." Nach Artikel 45 Absatz 3 der Weimarer Verfassung hätte ein Vertrag wie das Reichskonkordat, da er sich auf „Gegenstände der Reichsgesetzgebung" bezieht, der Zustimmung des Reichstages bedurft und wäre dann in der damals üblichen Form (ebenfalls in Teil II des Reichsgesetzblattes) verkündet worden: „Der Reichstag hat das folgende Gesetz beschlossen, das mit Zustimmung des Reichsrats hiermit verkündet wird: Dem am . . . unterzeichneten Vertrag . . . wird hiermit zugestimmt. Der Vertrag wird nachstehend veröffentlicht." Das Ermächtigungsgesetz vom 24. 3. 33 bestimmte aber in seinem Art. 4: „Verträge des Reichs mit fremden Staaten, die sich auf Gegenstände der Reichsgesetzgebung beziehen, bedürfen nicht der Zustimmung der an der Gesetzgebung beteiligten Körperschaften. Die Reichsregierung erläßt die zur Durchführung dieser Verträge erforderlichen Vorschriften." Das Reichsgesetz vom 12. September trägt die Unterschriften von Hitler, v. Neurath und Frick. Es enthält die reichsgesetzliche Anerkennung des Konkordats und delegiert die oben zitierten Befugnisse der Reichsregierung aus dem Ermächtigungsgesetz auf den Reichsminister des Innern. Die Sache war also formell in Ordnung; umso mehr Kopfschmerzen verursachte die Sache selbst. 71

Ich hatte die Delegierung der Durchführung auf den Reichsinnenminister vorgeschlagen und durchgesetzt, um uns in dieser Hinsicht freie Hand zu sichern und die Autorität unseres Ministeriums bei den voraussehbaren Reibungen mit den Landesregierungen und Parteistellen zu stärken. Den Erlaß des Gesetzes hatte ich um deswillen so außerordentlich beschleunigt, weil ich — in Übereinstimmung mit Buttmann — gehofft hatte, wenigstens den Inhalt jener „Auslegungsgrundsätze zu Art. 31 des Reichskonkordats", die wir am 18. 7. mit den Vertretern der deutschen Bischöfe vereinbart hatten (s. oben S. 44), in einer ersten Durchführungsverordnung mit Gesetzeskraft umkleiden zu können. Aber leider wurde nur zu bald offenbar, daß Hitler jetzt aus zwei bedeutsamen Drucklagen, die seinerzeit dem Regime schwer zu sdiaffen gemacht hatten, heraus war, nämlich aus der Sorge um schnelle Unterzeichnung im Juli und aus den Beklemmungen wegen eines immerhin möglichen Aufschubs der Ratifizierung in den ersten Septembertagen. Das Hauptinteresse konzentrierte sich sehr schnell auf den Artikel 31 des Konkordats, das heißt: die ganze Frage Staat-katholische Kirche spitzte sich auf die von kirchlicher Seite befürchtete, von staatlich-parteilicher Seite mit allen Mitteln betriebene Ungewißheit darüber zu, was aus den katholischen Organisationen werden sollte. Man begnügte sich nun im Parteilager nidit mehr damit, gegen unsere „Auslegungsgrundsätze" vom 18. 7. scharf zu schießen, sondern es wurde mit jedem Tage mehr erkennbar, daß man eigentlich den ganzen Artikel 31 als viel zu weitgehend und mit den nationalsozialistischen Einschmelzungstendenzen hinsichtlich des gesamten Vereinswesens überhaupt nicht vereinbar betrachtete. Daß das katholische Vereinswesen sehr stark ausgewuchert und selbst den kirchlichen Oberen kaum noch ein zuverlässiger Überblick möglich war, wurde von offizieller kirchlicher Seite in vertraulichen Gesprächen offen zugegeben. Ebenso wurde aus Kreisen des Episkopats — mit Recht — beklagt, daß jedenfalls auf einem Teile dieses Vereinswesens von der Vergangenheit her insofern ein Schatten lastete, als der Einsatz dieser Gruppen als Wahlhelfer der Zentrumspartei allzu offenkundig und eifrig betrieben worden war. Es war vorauszusehen, daß nach Inkrafttreten des Konkordats ein lebhafter Kampf der Organisationen einsetzen würde, der als Optimallösung die Einreihung in die gut geschützte Gruppe des Art. 31 Abs. 1 (rein religiöse Zwecke), als Eventuallösung wenigstens die Aufnahme in den wesentlich schwächeren, aber doch immerhin noch konkordatsmäßig gesicherten Schutzbereich des Art. 31 Abs. 2 (gemischt religiöse Zwecke) zum Ziele haben würde. Die gefährliche Klippe für die Einbeziehung in den Schutzbereich des Abs. 2 war die Konkordatsbestimmung, daß Gewähr dafür geboten sein 72

müsse, daß die Organisation usw. „ihre Tätigkeit außerhalb jeder politischen Partei" entfalten werde. Leichtgläubige Gemüter glaubten nun, mit dieser Bestimmung insofern leicht fertig werden zu können, als ja die NSDAP überhaupt nicht als Partei in diesem Sinne anzusehen wäre, andere Parteien aber bereits der Auflösung verfallen waren. Wer also, so argumentierte man, kann uns den Einmarsch in die Schutzzone des Abs. 2 verwehren? Man hatte nun aber nicht damit gerechnet, daß es der Geheimen Staatspolizei gelungen war, Schriftstücke aufzufinden, die eine zum mindesten zweideutige Sprache redeten. Besonders die bayerische Geheime Staatspolizei unter ihrem damaligen Chef Heinrich Himmler und dessen Stellvertreter Heydrich war in dieser Hinsicht äußerst rührig und erfolgreich. Der „Politische Polizeikommandeur Bayerns" (Himmler) schoß bereits durch einen Bericht vom 18. 9. 33 in die Erwägungen des Reichsinnenministeriums hinein, wenigstens eine erste Schutzverordnung auf Grund der Ermächtigung vom 12. 9. herauszubringen. Es verlohnt, auf diesen Bericht einzugehen, da er damals außerordentliche Wirkung auslöste. Himmler verlangte, die katholischen Organisationen Neudeutschland, Deutsche Jugendkraft, Kreuzschar und Sturmschar überhaupt vom Konkordatsschutz auszuschließen. Zur Begründung führte er aus, die Bayernund Pfalzwacht, die bereits der Auflösung verfallen war, habe s. Z. ihren Zustrom gerade aus diesen Organisationen erhalten. Er konnte sich auf einen Gaubefehl des Bayernwacht-Gaues Passau vom 11. 4. 33 berufen, in dem es hieß: „Es wird gebeten, unsere Kameraden in die kath. Verbände und Vereine wieder zurückzuführen . . Noch, verfänglicher war eine Äußerung der kath. Zeitschrift „Junge Front" vom 8. 6. 33: „Ich glaube, Sie verstehen die Tendenz der ,Jungen Front' nicht ganz richtig, wenn Sie meinen, daß wir unseren Freunden den Willen zur Mitarbeit zu predigen und einzuhämmern versuchen. Gerade das Gegenteil ist richtig: Selbstverständlich stehen wir absolut loyal zur augenblicklichen Staatsautorität. Darüber hinaus aber predigen wir weder noch hämmern wir unseren Freunden den Gedanken der Mitarbeit ein. Vielmehr ermahnen wir sie, wachsam zu sein . . . " Den stärksten Trumpf aber konnte Himmler ausspielen, indem er den Brief eines prominenten Mitgliedes von Neudeutschland an den Abgeordneten der Bayerischen Volkspartei Karl Fürst von Wrede vom 21. 6. 33 zitierte, in dem die Hoffnung zum Ausdruck kam, die Machtstellung des politischen Katholizismus in einer schwachen Stunde des Nationalsozialismus zurückzuerobern. Diese Eroberung halte man dann für möglich, wenn in der erwarteten 2. Welle der nationalen Revolution die inzwischen 73

neu formierten konservativen Kräfte in entscheidender Stunde gegen meuternde Soldateska zum Kampfe eingesetzt werden. „Zur Politik und zum neuen Staat gehört wesensnotwendig die physische Macht, und wenn in revolutionären Zeiten die ordentliche Staatsgewalt versagt, müssen eben die Volksgruppen, hier der politische Katholizismus, selbst zu den Waffen greifen. Politik ist nicht eine Spielerei. Es geht letzten Endes um Leben und Tod." Angesichts dieser drängenden Anklagen schien es uns notwendig, so schnell wie möglich die Schutzliste für die katholischen Organisationen herauszubringen, damit für das umwölkte Kapitel des Art. 31 Klarheit geschaffen würde. Am 2. Oktober 1933 ging ein Vorschlag an die Landesregierungen hinaus, in dem eine klar gegliederte Zusammenstellung versucht und die Stellungnahme der Länder erbeten wurde. In dieser gespannten Atmosphäre fuhr Buttmann nach Rom, um die Besprechungen mit dem Kardinalstaatssekretär aufzunehmen, der im September während seines Ferienaufenthalts — sehr verständlicher Weise — nicht erreichbar gewesen war. Sogleich nach seiner Ankunft am 22. Oktober suchte er den deutschen Botschafter Herrn von Bergen auf, der ihm ein Memorandum des Kardinalstaatssekretärs in die Hand drückte, das am gleichen Tage von Pacelli geschickt worden war. Es enthielt zunächst die Reminiszenz, daß der Hl. Stuhl „den Wunsch der Reichsregierung, durch eine baldige Ratifikation die Zwischenpause der Unsicherheit und des Zweifels zu beenden", s. Z. „trotz schwerer Bedenken und ungeachtet seines begreiflichen Strebens" erfüllt habe, „vorerst die Anwendungsgrundsätze für Art. 31 und den Katalog der unter seinen Schutz fallenden katholischen Organisationen endgültig vereinbart zu sehen". Der Hl. Stuhl habe dies nicht zuletzt deshalb getan, „weil von Seiten der Regierungsvertreter erklärt worden war, mit geschehener Ratifikation erlange die Reichsregierung erst die gesetzliche Handhabe, um die kraftvolle und sinngetreue Durchführung der Konkordatsbestimmungen gegen die sich in gewissen Ländern und Gebieten geltendmachenden Strömungen zu sichern." Die „gewissen Länder" waren Bayern und — mit einigem Abstand — Württemberg. Denkwürdig sind die zusammenfassenden Worte der Anklage, mit denen das Memorandum dann fortfährt: „Die unterdessen zur Kenntnis des Hl. Stuhles gelangten Vorkommnisse machen es Ihm jedoch zur unabweisbaren Pflicht, nicht zu schweigen gegenüber den offenbaren Eigenmächtigkeiten und Gewalttätigkeiten, durch die in Deutschland und besonders in gewissen Gebieten konkordatlich geschützte und unveräußerliche Freiheitsrechte des katholischen Bekenntnisses unterdrückt werden und ein Zustand geschaffen wird, der 74

von den Erfahrungen des beklagenswerten Kulturkampfes früherer Zeiten sich nur durch seine größere Härte und Willkür unterscheidet. Mit immer stärkerer Ungeduld schaut das in seinen Gefühlen verletzte, in seinen Überzeugungen enttäuschte, in seinen Freiheitsrechten und seinen Interessen, seiner wirtschaftlichen und bürgerlichen Existenz geschädigte katholische Volk nach seinen geistlichen Oberhirten aus und erwartet und verlangt von ihnen das Wort des Freimuts und der Verwahrung . . . In dem Bestreben, der deutschen Reichsregierung die Peinlichkeit einer öffentlichen Auseinandersetzung über die vielfach bestehenden Zustände zu ersparen, und von dem Willen geleitet, in gegenseitiger Eintracht die Mißstände behoben zu sehen, hat der H l . Stuhl bisher den Weg vertraulicher Verhandlungen der Flucht in die Öffentlichkeit vorgezogen. Er kann jedoch nicht zulassen, daß die durch diese seine versöhnliche und abwartende Haltung bedingte Frist von Vertretern einer anderen und vertragswidrigen Richtung ausgenutzt werde zu einer immer weiter fortschreitenden, vielfach offenbar planmäßigen Minderung des bei der Vertragsunterzeichnung vorliegenden und vertraglich geschützten Besitzstandes des katholischen Volksteils in Deutschland auf den verschiedensten Gebieten seiner berechtigten und selbstverständlichen Betätigungsformen kirchlichen und religiösen Lebens. Der Hl. Stuhl darf annehmen, daß die fortgesetzten Beeinträchtigungen des katholischen Volksteils der Reichsregierung nur zu sehr bekannt sind . . . " Ach ja, wir trugen schwer an dem Wissen um diese Dinge, und der arme Buttmann wird sich bei der Lektüre dieses Memorandums, das sozusagen zu seiner Begrüßung verfaßt worden war, vieler Einzelheiten erinnert haben, obwohl die Denkschrift des Vatikans darauf verzichtet hatte, „an dieser Stelle in Einzelheiten einzutreten". Die meisten Kopfschmerzen dürfte ihm die Erwähnung des „bei der Vertragsunterzeichnung vorliegenden und vertraglich geschützten Besitzstandes des katholischen Volksteils in Deutschland" gemacht haben. Diese von kirchlicher Seite her durchaus verständliche Begriffsprägung barg vom Standpunkt der damaligen Reichspolitik Gefahrenwolken in sich, die sich sehr leicht zu einem Ungewitter zusammenballen konnten. Die Erinnerung an Schwierigkeiten wurde lebendig, die bei Durchführung des Konkordats mit dem faschistischen Italien entstanden waren. Etwa zwei Jahre nach Unterzeichnung, d. h. etwa Mitte 1931, waren Gegensätzlichkeiten akut geworden, wie wir sie zwei Jahre später in Deutschland erlebt haben. Auch damals fortgesetzte Erklärungen von italienischer Regierungsseite, man sei zu „freundschaftlicher Beilegung" bereit. Im Widerspruch dazu Passivität der Regierungsorgane gegenüber den Ausschreitungen der Parteistellen. Der Papst antwortete mit einer Enzyklika über die „katholische Aktion", die an Schroffheit alle Befürchtungen übertraf 75

und Regierungserklärungen mit scharfer Polemik abfertigte. Gewisse Lehren und Grundsätze des Faschismus wurden als „heidnisch" bezeichnet. Energische Wendungen gegen faschistische Ansprüche auf totalitäre Beherrschung der Jugenderziehung hatten heftigste Spannungen zwischen Papst und Duce im Gefolge. Wir besitzen über alle Verhandlungen Buttmanns in Rom genaue Aufzeichnungen des deutschen Unterhändlers. So aufschlußreich diese auch im einzelnen sind — sie lassen eines nicht erkennen, was wohl nur wenigen Vertrauten bekannt war: die persönliche Tragik dieses trefflichen Mannes. Er war Bayer, hatte in seiner Heimat politische Erfahrungen jeder Art gesammelt, bevor er 1933 nach Berlin übersiedelte. Den ihm von Hitler angebotenen Posten des bayerischen Kultusministers hatte er ausgeschlagen — aber nicht, um sich von seinem alten politischen Kampffelde innerlich zu lösen; denn seine Eindrücke von einst blieben sein Leben lang stark und von hoher Wirksamkeit für sein Urteil. Ein Kernstück dieser Erinnerungen war das Erlebnis der „schrankenlosen" — wie er sich auszudrücken pflegte — Herrschaft der Bayerischen Volkspartei in allen Zweigen der Innenpolitik. Der sonst so gemäßigte, durch und durch religiös eingestellte Mann ließ sich fast zu leidenschaftlicher Schärfe hinreißen, wenn diese Dinge zur Sprache kamen. Er war damals jedenfalls noch ein Bewunderer der Leistung Adolf Hitlers, konnte aber Äußerungen der gegenteiligen Auffassung sehr wohl vertragen. Das große Vertrauen, das er bei den maßgebendsten Vertretern der beiden großen christlichen Kirchen genoß, war in jeder Beziehung gerechtfertigt. Daß er häufig infolge der Auffassungen und Forderungen der N S D A P in schwerste Gewissensnot geriet, war unter diesen Umständen nicht verwunderlich. Es bedurfte immer wieder des ganzen Einsatzes seines persönlichen Geschicks und seiner diplomatischen Fähigkeiten, um das Schifflein der Anständigkeit und Vernunft durch die Stromschnellen verdeckter und offener Gegensätzlichkeiten hindurchzusteuern. Der Kardinalstaatssekretär begann seine Unterredung mit Buttmann mit der Bemerkung, er habe zwar bei der Unterzeichnung des Konkordats Schwierigkeiten bei der Durchführung vorausgesehen, sei aber doch — ebenso wie der Papst — über das Ausmaß der bisher schon entstandenen Komplikationen beunruhigt. Buttmann erwiderte mit dem Hinweis, die Reichsregierung habe getan, was ihr möglich war. Über den natürlich auch von ihm erkannten wunden Punkt, der im Verhalten der Landesregierungen lag, versuchte er mit der Bemerkung hinwegzukommen, der Kardinal müsse sich „vor allem eines stets vergegenwärtigen: alle einzelnen Vorteile, die der katholischen Kirche im Konkordat zugestanden seien, wären doch nur Kleinigkeiten" im Vergleich zu der einen großen geschichtlichen Tatsache, daß „ohne unseres Führers Machtergreifung" Mitteleuropa und 76

damit ganz Europa „dem Bolschewismus zur sicheren Beute geworden wäre". Der Reichskanzler sei eine „tief religiöse Persönlichkeit", der dem materialistischen Marxismus, dem Nihilismus, dem Liberalismus todfeind sei. Er fühle sich für jede einzelne Handlung vor Gott und der Geschichte verantwortlich. „Ein solcher Führer des deutschen Volkes müsse auch dem Katholizismus zum Segen gereichen, der dieselben Feinde habe." Wie zu erwarten, stellte der Kardinalstaatssekretär die Frage: warum setzt Hitler, der doch Diktator ist, seinen Willen nicht gegenüber seinen Unterführern durch? Antwort: „Der Führer einer noch so mächtigen politischen Bewegung muß, gerade weil er nicht durch einen obrigkeitlichen Akt eingesetzt, sondern durch die geschichtliche Entwicklung seines Volkes an die Spitze der Macht gekommen ist, mit dem Volk in innerster Fühlung bleiben. Nun liegen aber bei uns in Deutschland die Dinge so: zwei Drittel des deutschen Volkes sind evangelisch. Diese wollen weder von diesem, noch überhaupt von einem Konkordat im Grunde ihres Herzens etwas wissen. Von den Katholiken aber hat nachweislich in den besten Zeiten des alten Zentrums nur die H ä l f t e Zentrum und Bayerische Volkspartei gewählt. Die übrige Hälfte gehörte uns oder dem Liberalismus und Marxismus. Aber gerade diese katholischen Deutschen sind noch viel schärfere Gegner der Konkordatsbestimmungen als der ruhiger denkende evangelische Volksteil. Wenn also der Reichskanzler, entgegen dem Gefühl von fünf Sechsteln seines Volkes, das Konkordat loyal durchführen will, so muß er doch stets mit den ungeheueren Widerständen rechnen, die gerade auf dem Gebiete des Religiösen von Menschen ausgehen, die in rein politisch-weltlichen Angelegenheiten blind seinen Willen erfüllen. In religiösen Fragen läßt sich der Mensch nicht so unbedingt lenken." Die Argumentation Buttmanns war psychologisch nicht ungeschickt gewählt, ging aber doch eigentlich an dem Kernpunkt vorbei, daß nämlich in Deutschland allerhand Leute glaubten, Politik machen zu können oder zu müssen, die — nach Buttmanns eigenen Worten — in politischen Dingen zu blindem Gehorsam gegenüber ihrem Führer bereit waren und daher von diesem umso leichter hätten zurückgepfiffen werden können, als ja bei der erdrückenden Mehrheit dieser Menschen von echtem religiösen Empfinden überhaupt keine Rede war. Der inzwischen von Pacelli hinzugezogene Prälat Kaas verwies nun auf die Notwendigkeit, gerade im Hinblick auf die für den 12. 11. angesetzte politische Befragung des deutschen Volkes eine gemäßigte Haltung gegenüber dem katholischen Volksteil durchzusetzen. Buttmann konnte auch hier mit einem gewissen psychologischen Geschick erwidern, „gerade eine Wahlzeit bringe die Leidenschaften der Menschen zur höchsten Steigerung und wecke die Erinnerung an Kämpfe, die noch nicht lange hinter uns lägen". 77

Pacelli und Kaas versuchten immer wieder, Buttmann zu verbindlichen Erklärungen wegen Auslegung bestimmter Konkordatsartikel zu bewegen. Aber es gelang ihrem Partner stets von neuem, das Gespräch in allgemeinen Wendungen zu halten. Den Befürchtungen wegen Tendenzen auf Gründung einer beide Bekenntnisse umfassenden „Nationalkirche" trat er entgegen. Sein Hinweis auf das bevorstehende Verschwinden der Länder und Landesregierungen weckte Besorgnisse wegen des Bestandes des Konkordats überhaupt, dessen Artikel 2 ja die Weitergeltung der drei Länderkonkordate vorsehe. Klagen wegen der Besuche deutscher Bischöfe beim Papst, nicht aber bei Hitler konnten leicht mit dem Hinweis abgetan werden, gerade in diesem Jahr hätte der alle fünf Jahre fällige Besuch der Bischöfe beim Papst stattzufinden. So verlief denn diese erste Besprechung ohne greifbares Ergebnis. Aber sie hatte eine wohl von Buttmann kaum vorausgeahnte Folge: Prälat Kaas stellte sich ihm für die Ausarbeitung seiner Stellungnahme zur Verfügung. Buttmann bemerkt dazu, er denke nicht daran, von diesem Angebot auch nur den bescheidensten Gebrauch zu machen. „Die Doppelrolle, die Kaas bei den Konkordatsverhandlungen geführt hatte, bei denen er teils als Berater des Reiches, teils als intimer Freund Pacellis auftrat, muß m. E. beendet sein." Die wirklichen Beweggründe, die die Ablehnung des deutschen Unterhändlers bestimmten, dürften indessen in der Überlegung zu suchen sein, daß die äußerst delikate Lage, in der sich Buttmann nach innen und außen befand, niemals zum Gegenstand einer Unterhaltung mit Kaas hätte gemacht werden können. Die zweite Unterredung am 25. 10. 33 brachte den deutschen Verhandlungsführer in schwere Verlegenheit. Es muß zeitweise recht lebhaft zugegangen sein. Gegensätze in grundlegenden Auffassungen prallten, wie zu erwarten, aufeinander. Buttmann wurde von der Gegenseite, auf der diesmal der Kardinalstaatssekretär, Prälat Kaas und Erzbischof Groeber (Freiburg) standen, wiederholt arg in die Enge getrieben, und es kam zur Offenlegung von Hintergründigkeiten, die zwar den Leser nach dem bisher geschilderten Gang der Dinge kaum sonderlich überraschen werden, aber doch schließlich für die Reichsseite einen peinlichen Beigeschmack hatten. Buttmann weicht zunächst der Aufforderung, über die Interpretation einzelner Konkordatsartikel zu verhandeln, mit dem Hinweis aus, die Einladung zu den jetzigen Verhandlungen habe sich lediglich auf die Erörterung behaupteter Mißstände bei Durchführung des Konkordats, nicht aber auf Auslegungsgrundsätze bezogen, wegen deren überdies der Reichskanzler und das Kabinett befragt werden müßten. Der Kardinal kommt 78

dann auf die Auslegungsgrundsätze zu Art. 31 (s. oben S. 44) zu sprechen und fragt, ob diese Grundsätze absolut bindend wären. Buttmann: „Ich habe bei den Berliner Verhandlungen mit Herrn Erzbischof Groeber aus dem Stegreif die Gesichtspunkte schriftlich niedergelegt, von denen ich midi bei der Durchführung des Art. 31 im allgemeinen leiten lassen wollte, und habe, als Erzbischof Groeber diese Grundsätze hier in Rom am 20. Juli vorlegte, dasselbe erklärt. Gesetzeskraft haben sie selbstverständlich nicht, und ich kann midi heute nicht dafür verbürgen, daß sie im Wortlaut in das Ausführungsgesetz übernommen werden." Pacelli entgegnete (mit Recht): „Das war aber Voraussetzung für die Unterzeichnung des Konkordats." Buttmann weicht wiederum aus: „Davon ist nie die Rede gewesen. Diese Grundsätze sind weder im Sdilußprotokoll noch in der Note des Herrn Vizekanzlers von Papen niedergelegt worden." Worauf der Kardinal sehr verständlicher Weise erwiderte: „Diese Erklärung ist sehr beunruhigend." Es war dann von einem „kleinen Zettel" die Rede, der Buttmann von Kaas unmittelbar v o r Unterzeichnung des Konkordats am 20. 7. überreicht worden war. (Auf dem Original dieses Zettels ist allerdings von Buttmanns Hand vermerkt, der Zettel sei ihm unmittelbar n a c h der Unterzeichnung vom Kardinal mit der Bitte überreicht worden, das zuzugestehen, was hier verlangt war.) Der deutsche Unterhändler erklärte, sich des Inhalts nicht mehr zu erinnern. Der Kardinal half nach, indem er den Wortlaut mitteilte: „Diejenigen in Absatz 1 oder Absatz 2 genannten Organisationen und Verbände, die nach den Weisungen der obersten kirchlichen Behörde zur katholischen Aktion gehören, genießen im Rahmen der dieserhalb erlassenen kirchlichen Anweisungen volle Betätigungsfreiheit. Welche Organisationen oder Verbände als Mitglieder der katholischen Aktion zu betrachten sind und welches nach den einschlägigen Weisungen ihr der katholischen Aktion entsprechendes Betätigungsgebiet ist, entscheidet in letzter kirchlicher Instanz der Hl. Stuhl." Buttmann war offensichtlich in Verlegenheit. Er sprach von „tiefem Mißtrauen" im evangelischen Deutschland gegenüber der „katholischen Aktion" und zog sich auf den formellen Standpunkt zurück, daß diese weder im Konkordat noch im Schlußprotokoll Erwähnung gefunden habe. Es gelang ihm, die Gegenseite von dem Thema „katholische Aktion" abzu79

bringen, und er ging nunmehr zu einer Art Gegenoffensive über, indem er ausgiebig von Meldungen der bayerischen politischen Polizei (Himmler) Gebrauch machte, die ihm am 21. Oktober bei seiner Durchreise durch München übergeben worden waren. Als dabei die Äußerung eines bayerischen Landgeistlichen zur Verlesung kam: „Wenn ich bei Unterzeichnung des Konkordats Pacelli gewesen wäre, so hätte ich dem Papen ein paar runtergehauen", lachte der Kardinal aus vollem Halse und versicherte, daß der Heilige Stuhl derartige Äußerungen natürlich nicht billige. Die Ablenkung von dem heikelsten Thema des Tages, nämlich dem Fortbestande der katholischen Verbände, gelang nur für kurze Zeit. Buttmann mußte schließlich Farbe bekennen und präzisierte den Standpunkt des Reiches dahin, daß die in Absatz 2 des Artikels 31 genannten Vereinigungen (gemischt-religiöse) „bei dem Fortschreiten der korporativen Gestaltung der Stände in Deutschland gewärtigen müßten, daß sie in die betreffende Säule des Berufsstandes eingeordnet . . . würden". Schon diese Erklärung wirkte wie eine Bombe. Erzbischof Groeber erklärte, er habe die Auslegungsgrundsätze so verstanden, daß es in das Belieben der katholischen Vereine und Verbände selbst gestellt sei, ob sie die Einordnung verlangen wollten oder nicht. Man kann die besseren Argumente der kirchlichen Seite kaum in Zweifel ziehen; denn die Eingliederungsformel „können, müssen aber nicht . . . " hat überhaupt nur Sinn, wenn sie von der kirchlichen Seite her verstanden wird. Als nun aber Buttmann seinen Gedankenfaden dahin weiterspann, „daß selbstverständlich das Reich entsprechend der jeweiligen Entwicklungsstufe darüber zu befinden habe, ob es beispielsweise die Jugendverbände, die Sportverbände oder die kaufmännischen Verbände in eine staatlich geführte Dachorganisation eingliedern wolle", da brach der Sturm los. und erklärte:

Der Kardinalstaatssekretär sprang erregt auf

„Ein staatliches Monopol, das die Jugendverbände oder die Sportverbände oder sonstige Gruppen der katholischen Verbände aufheben würde, wäre ein Bruch des Konkordats." Buttmanns Hinweis auf die „Grenzen des für alle geltenden Gesetzes", die der kirchlichen Zuständigkeit nach Art. 1 des Konkordats gezogen seien, wurde vom Kardinal überhaupt nicht angenommen. Er erklärte in höchstem Zorn: „Das wäre ein Bruch des Völkerrechts. Völkerrecht bricht Reichsrecht." 80

TAFEL

Kardinal von Faulhaber Erzbischof von München-Freising

11

TAFEL

12

Bischof Dr. Berning (Osnabrück)

Es entspann sich nun. eine Auslegungsdebatte zwischen Erzbischof Groeber und dem deutschen Unterhändler. Groeber verwies darauf, daß Art. 31 Abs. 2 ausdrücklich Verbände und Vereine anerkenne, die auch soziale und berufsständische Zwecke verfolgen dürfen; das Reich könne daher diese Bestimmung nicht dadurch außer K r a f t setzen, daß es solche Vereine und Verbände für den Staat monopolisiert. Antwort: nur die Aufhebung aller gemischt-religiösen Verbände würde gegen das Konkordat verstoßen, nicht aber die staatliche Abgrenzung des Bereiches, innerhalb dessen die Verbände soziale usw. Zwecke verfolgen dürfen. Der Kardinal hatte diesem Interpretationsduell kaum zugehört. Er sprach immer wieder von einem „offenen Bruch des Konkordats durch die Reichsregierung, der für die Kurie unerträglich sei". Wenn er dem Groeber'schen Argument, daß doch schließlich in Absatz 3 des heiß umkämpften Artikels „ausdrücklich von einer vereinbarlichen Abmachung zwischen der Reichsregierung und dem deutschen Episkopat gesprochen" werde, eine leichte Chance gab, so mag er wohl doch eine gewisse Schwäche dieser Beweisführung gefühlt haben, da ja in jenem Absatz nur von der Aufstellung des Verzeichnisses der Verbände usw. die Rede ist. Die Debatte dieses Tages hatte jedenfalls starke Zweifel hinterlassen, ob man sich über fundamentale Konsequenzen eines der wichtigsten Konkordatsartikel in Wirklichkeit geeinigt hatte. Der Kardinal hatte schon recht, wenn er bei späterer Gelegenheit bemerkte, man wäre wohl im Sommer 1933 „etwas zu eilig" vorgegangen. Eine gewisse Unruhe auf beiden Seiten war die Folge. Der Kardinalstaatssekretär bat am 26. 10. Herrn von Bergen, den deutschen Botschafter beim Hl. Stuhl, zu sich und gab seiner Befürchtung Ausdruck, daß das vom Vatikan gewünschte Ziel auf die bisherige Art nicht erreicht werden könne. Auch Buttmann hatte das Bedürfnis, sich mit Herrn von Bergen auszusprechen und von ihm Anregungen zu empfangen. So kam man am 27. 10. zur dritten und letzten Verhandlung zusammen. Der deutsche Regierungsvertreter eröffnete mit der Erklärung, er wäre zu der Unterredung mit dem Kardinalstaatssekretär, die er im September während des Erholungsaufenthaltes Pacellis in Rohrschach erbeten hatte, über Obersalzberg gereist, wo er dem Führer Vortrag über die Auslegungsgrundsätze zwecks Herbeiführung einer Stellungnahme gehalten hätte. Nun sei ein solcher Vortrag bisher nicht zustandegekommen und sei auch bei der kurzfristigen Anberaumung der jetzigen römischen Besprechungen nicht mehr möglich gewesen. Damit wurde der Komplex der entstandenen Schwierigkeiten ins Hypothetische, man möchte fast sagen: ins Mystische abgedrängt. Daß Buttmann ehrlich ausgesagt hat, ist bei der Grundanständigkeit seines Charakters nicht zu bezweifeln; er hatte auch s. Zt. mir gegenüber entsprechende An7

Conrad, Der Kampf um die Kanzeln

81

deutungen gemacht. Die entscheidende Frage aber war, ob Hitler mitgemacht hätte. Der Kardinal fuhr in Urlaub, nachdem ratifiziert worden war. Die Gespräche in Rohrschach hätten also auf jeden Fall in einer Zeit stattgefunden, als die Drucklagen für Hitler (Unterzeichnung? Ratifizierung?) vorüber waren. Ich habe aber bereits den Bericht Himmlers an das Reichsinnenministerium vom 18. 9. erwähnt. München lag dem Obersalzberg näher als Berlin. Daß der Kardinal hier nicht durchblicken konnte, war klar. Was hätte er gegenüber einer mystischen Andeutung tun sollen? Nun, man verhandelte am 27. 10. in einer leicht entschärften Atmosphäre, aber im ganzen doch ergebnislos. Buttmann erklärte die „Auslegungsgrundsätze" zu Art. 31 nochmals als für ihn bindend, ging aber in der realen Bewertung einen weiteren Schritt zurück. Bisher hatte er als ungewiß bezeichnet, ob man diese Thesen mit Gesetzeskraft werde ausstatten können. Jetzt bezeichnete er es zwar als wünschenswert, aber doch ungewiß, ob Berlin den Botschafter beim Hl. Stuhl anweisen würde, wenigstens ein entsprechendes Protokoll in Rom zu unterzeichnen. So trennte man sich am 28. 10. — beiderseits mit der Erkenntnis, daß keins der Probleme gelöst oder der Lösung überhaupt nur um einen aussichtsvollen Schritt nähergebracht worden wäre. Buttmann kehrte ziemlich deprimiert nach Berlin zurück. Es war nicht nur die Erfolglosigkeit seiner Reise und das Aufplatzen der Gegensätze in wichtigsten Fragen der Auslegung, was ihn niederdrückte; alles das war schließlich zu erwarten gewesen. Aber ein Anderes mußte ihm Sorgen machen, nämlich die Gefahr, seinen persönlichn Kredit beim Vatikan zu verlieren, also etwas, was uns bis dahin manchen Nutzen gebracht hatte. Die Situation, die unser trefflicher Regierungsvertreter in Berlin vorfand, war alles andere als ermutigend. Inzwischen waren nämlich die Äußerungen der Landesregierungen zu unserer Vorschlagsliste vom 2. Oktober wegen der Schutzliste der Verbände nach Art. 31 des Konkordats eingegangen, die an Deutlichkeit einer konkordatsfeindlichen Tendenz nichts zu wünschen übrig ließen. Den Vogel schössen natürlich — wie immer — die Berichte aus Bayern und Württemberg ab. Man hätte an sich aus Bayern etwas besseres erwarten dürfen. Der dortige Reichsstatthalter, Ritter von Epp, ein früherer General, war bestimmt allem Extremismus abhold, und der bayerische Ministerpräsident Siebert war ein relativ gemäßigter Mann. Aber drei Faktoren gaben dem Münchener Milieu seine besondere Prägung, nämlich die dort stationierte Oberleitung der Partei, das „Braune Haus", das umso mehr Bedeutung im allgemeinen wie gerade auch in Einzelheiten gewann, je stärker Hitler durch die Regierungsgeschäfte in Berlin in Anspruch genommen wurde. Ferner die Tatsache, daß Himmler mit seinem Stellvertreter Heydrich „Politischer Polizeikommandeur Bayerns" war und 82

tatsächlich das Feld beherrschte. Und schließlich die in München besonders lebendige Erinnerung an die Machtperiode der Bayerischen Volkspartei, die viele Jahre hindurch ihre starke Stellung im bayerischen Landtag ohne allzu große Rücksichtnahme auf die Anderen auszunutzen verstanden hatte. Diese Partei hatte sich noch im Wahlaufruf für die Reichstagswahlen am 14. 9. 1930 — übrigens zutreffender Weise — gerühmt: „Bekämpft und verhöhnt von ungezählten Gegnern, in der Regel im Stich gelassen sogar von den in Bayern gewählten anderen Abgeordneten, haben allein die „Bayern", wie die Bayerische Volkspartei von den anderen genannt wird, im deutschen Reichstag die weiß-blaue Fahne in Stürmen und Nöten hochgehalten." Auch hierin lag ein Ansatz für die erbitterte Feindschaft, die der Nationalsozialismus in Bayern allem entgegenbrachte, was nur irgendwie verdächtig war, mit der einstmals herrschenden Partei geistig oder sonstwie in Beziehung gestanden zu haben. Himmler und Genossen hatten sich ihre Arbeit bei Prüfung unserer Vorschläge für das Schutzverzeichnis der katholischen Vereine sehr leicht gemacht. Ihre Prädikate für die einzelnen Nummern des Verzeichnisses kehrten mit stereotyper Regelmäßigkeit wieder: „ohne jeglichen Nutzen für das deutsche Volk"; „lediglich dazu geeignet den Kulturkampf zwischen Protestantismus und Katholizismus (!) hochzuhalten"; „ . . . bedeuten nur eine unnötige Zersplitterung deutscher Menschen, die in soz. Vereinigungen gleicher Art ebensogut Aufnahme finden können"; „mit Rücksicht auf das Bestehen der „Deutschen Arbeitsfront" keine Daseinsberechtigung mehr"; „hat durch die nat.-soz. Weltanschauung seine Bedeutung und damit auch seine Daseinsberechtigung verloren" und so ging es fort, unbekümmert um Wortlaut und Sinn des Konkordats. Die Württemberger ergänzten diese Terminologie noch durch einige Kraftworte wie „Wölfe im Schafspelz" usw. Ich war mit Buttmann darüber einig, daß eine irgendwie ernsthafte Behandlung dieser wütigen Expektorationen überhaupt nicht in Frage kommen konnte. Das Beste war, über derartigen Entladungen erst einmal eine gewisse Zeit verstreichen zu lassen und dann den Versuch zu machen, die Frage in einem größeren Kreise in mündlicher Diskussion neu aufzurollen. Inzwischen trat ein anderes Anliegen in den Vordergrund: die Vorbereitungen für die „Volksabstimmung" am 12. November. Zwei Dinge waren gekoppelt: die Frage, ob der Austritt aus dem Genfer Völkerbund, von Hitler am 14. Oktober mit dem üblichen Lärm verkündet, vom deutschen Volk gutgeheißen würde, und zweitens die Einheitsliste für die Neuwahl des Reichstags, die nach Auflösung aller übrigen Parteien mit der NSDAP als einziger Figurantin eine Neuerscheinung war. Schon viele Wochen vorher begannen die Vorbereitungen für diesen Abstimmungsfeldzug, der immerhin — zum ersten Mal in Deutschland — das Kuriosum an sich hatte, v

83

daß weder Gegenstimmen noch Gegenfiguren sichtbar waren, das Ganze also mehr auf eine politische Solo-Akrobatik hinauslief. Immerhin: man wollte eine möglichst vollständige Einigkeit der Abstimmenden präsentieren können, und überdies war es der erste Versuch mit dem Wahl-Uniformismus. Man hatte zwar genau angegeben, wo derjenige, der mit „ J a " stimmen wollte, sein Kreuz hinzusetzen hätte; aber in der amtlichen Ankündigung war vorsichtshalber gleich hinzugefügt: „Stimmzettel, die nicht mit einem Kreuz versehen sind, k ö n n e n für ungültig erklärt werden." Das Bemerkenswerte hierbei war das Wort „können". Nach allen bis dahin gültigen Regeln hätte es „müssen" heißen sollen; aber — man konnte j a nicht wissen, und die durchweg nationalsozialitsischen Wahlvorsteher würden sicher die in dem Wort „können" liegende Andeutung richtig verstehen. Schon bei den römischen Verhandlungen Buttmanns im Oktober hatte das für den 12. November bevorstehende Ereignis eine Rolle gespielt. Es war ein Aufruf des deutschen Episkopats gewünscht worden, und kirchlicherseits hatte man ein eventuelles Eingehen auf ein derartiges Ansinnen mit einem Entgegenkommen deutscherseits in anderen Fragen verkoppelt. Einigkeit war nicht zu erzielen, und so wuchs die Spannung über das, was nun geschehen würde. Die Bischöfe waren in noch schwierigerer Lage als die Mehrheit des Volkes. Völliges Schweigen wäre angesichts des Drängens von Regierungsseite als Affront gedeutet worden. Fanfarenklänge bejahenden Inhalts waren nach allem, was geschehen war, unmöglich zu erwarten. So fand man eine Mittellinie, die aber doch im ganzen gesehen keineswegs als regierungsfeindlich zu betrachten war. „Soweit es sich um die rein politische Seite dieser Abstimmung und insbesondere um die Reichstagswahl handelt, bleibt die Beurteilung dem gewissenhaften freien Ermessen der Wahlberechtigten überlassen. Soweit die sittliche Pflicht der treuen Sorge um die Zukunft von Volk und Vaterland . . . in Betracht kommt, . . . wolle dabei" (nämlich bei gewissenhafter Übung der Abstimmungsfreiheit) „jeder sich der Verpflichtung bewußt sein, die Autorität der Regierung nach bestem Wissen und Gewissen zu stützen und die zu allen Zeiten auch vom Episkopat geförderten Bestrebungen zu unterstützen, die auf Deutschlands Gleichberechtigung in der Völkerfamilie . . . gerichtet sind. Das möge Leitstern der Entschließungen sein." Es kam dann zum Schluß noch ein Hinweis auf die in Vergangenheit und Zukunft gleicherweise vom Episkopat gestellten Forderungen nach „gleich wohlwollender Behandlung aller treu vaterländisch gesinnten Untertanen." So sprach Kardinal Bertram, der Breslauer Fürsterzbischof, bei den rabiaten Nationalsozialisten als schärfster Gegner des neuen Regimes verschrien. Der Berliner Kapitularvikar Steinmann betonte in seinem Zusatz 84

zu diesem Aufruf noch die Pflicht, am 12. November „die Einmütigkeit mit den übrigen Volksgenossen" zur Erreichung der vaterländischen Ziele zu erreichen. In ganz ähnlichem Sinne äußerte sich der süddeutsche Episkopat. Wie vorauszusehen, genügte diese Kundgebung den nationalsozialistischen Heißspornen keineswegs. Der „glänzende Abstimmungserfolg" des 12. November ließ sie nicht etwa über Vergangenes hinwegsehen, sondern machte sie nur noch herausfordernder in ihrer Angriffslust. Haupthetzer war wiederum die Geheime Staatspolizei: „Indifferente Haltung zur Abstimmungsfrage", „positive Stellungnahme nur in äußerst zögernder Form" — so hieß es in den Anklageberichten an das Ministerium. Eine Sondertour zu dem Thema „Bischofsworte zur Abstimmung" war wiederum in Bayern geritten worden. Es war eigentlich ein Spitzbubenstück erster Ordnung. Mehrere Mitglieder der Regierung hatten den bayerischen Episkopat gedrängt, mit einem Wahlruf hervorzutreten. Der Aufruf wurde verfaßt; in ihm wurden die Kathholiken aufgefordert, „aus vaterländischem und kirchlichem Geist ihre Stimme für den Völkerfrieden, für die Ehre und Gleichberechtigung des deutschen Volkes zu erheben." Dann kam in schonendster Form der Vorbehalt der Bischöfe wegen mancher, die Rechte und Freiheit der katholischen Kirche verletzender Vorkommnisse, verbunden mit einem vertrauensvollen Ausblick in die Zukunft, und schließlich ein Appell an die Gewissen der Wahlberechtigten hinsichtlich der Kandidatenlisten für den Reichstag, der — zum mindesten sinngemäß durchaus zu Recht — auf Art. 32 des Konkordats gestützt wurde, wonach den Klerikern aller Grade irgendwelche Tätigkeit f ü r Parteien verwehrt ist. Was tat nun die bayerische Regierung? Sie verbot die Veröffentlichung dieser Kundgebung in Diözesanblättern und in der sonstigen Presse und veranlaßte ein Verbot der Polizei, die bischöfliche Kundgebung in den Kirchen bekanntzugeben. Und nicht genug damit: die bayerische Regierung fertigte von sich aus ohne das Einverständnis des Episkopats einen verstümmelten Text des bischöflichen Erlasses, jagte ihn durch den bayerischen Rundfunk und erweckte so den Eindruck, als ob die Bischöfe diese Fassung gebilligt hätten. In der Tat ein tolles Stück, das selbstverständlich einen diplomatischen Schritt des Hl. Stuhles zur Folge hatte. In der Nacht vor dem Abstimmungstage erlebten wir noch einen Schock durch den preußischen Ministerpräsidenten Göring, der ja als Redner eine wunderbare Fähigkeit besaß, Porzellan zu zerschlagen. In einer SportpalastKundgebung hatte er mit Bezug auf Rückkehr-Hoffnungen von „Kommunisten" und „katholischen Klerikern" in Machtpositionen erklärt: „Ich werde weder den roten Ratten noch den schwarzen Maulwürfen eine Rückkehr gestatten." 85

Und als nun am darauffolgenden Tage der Papst gelegentlich einiger Heiligsprechungen eine Ansprache hielt, in der von der „menschlichen Roheit" die Rede war, da beeilte sich das Ausland, diese Klage in Verbindung zu bringen mit der Göring-Rede vom Abend zuvor. Dabei konnte über das wirkliche Ziel der päpstlichen Anspielung überhaupt kein Zweifel bestehen. Gerade in jenen Tagen hatten nämlich die Boxer-Schauspiele wieder einmal Triumphe in Rom gefeiert, und hiergegen hatte sich der Papst mit scharfer Verurteilung gewandt. Natürlich wurde dieser Zusammenhang verschwiegen und aus dem ganzen Vorkommnis wiederum Brennstoff für die kochende Volksseele gemacht. Eingeweihte wollten übrigens wissen, daß die Ausfälle Görings gegen die katholische Kirche vielleicht durch ein peinliches Erlebnis des Redners verursacht wären, das kurz vorhergegangen sei. Danach hätte Göring, beunruhigt über die Ergebnislosigkeit der Buttmannschen Verhandlungen in Rom, der heiligen Stadt einen Blitzbesuch abgestattet, hätte — sogar mit Mussolinis Intervention — einen Empfang beim Papst nachgesucht, wäre aber nicht angenommen worden. Also schwer verletzte Eitelkeit! Inzwischen ging, durch Görings Beispiel ermuntert, die allgemeine Verdächtigungskampagne gegenüber allem, was katholisch hieß, mit verstärktem Nachdruck weiter. Die Zentralen der Geheimen Staatspolizei, an sich ländermäßig geschieden, reichten einander die Hand, belieferten sich gegenseitig mit Material und feuerten uni sono auf das Reichsinnenministerium los. Es war ihnen allerdings gelegentlich möglich, mit Zitaten aufzuwarten, die natürlich ihren Eindruck nicht verfehlten. So wurde in einem Bericht der Prinz-Albrecht-Straße vom 4. 11. 33 eine Broschüre „Weltfriede und Weltkatholizismus" angeprangert, aus der man Zitate wie „heidnischer sogenannter Vaterlandsdienst" und die Bezeichnung des kommunistischen Internationalismus als des „kleineren Übels gegenüber einem übertriebenen Nationalismus" wirkungsvoll in das Rampenlicht zu rücken verstand. Schlußfolgerung: „Der Zeitpunkt wird für gekommen erachtet, um die machtpolitischen Ansprüche des Katholizismus wieder anzumelden und durch eine systematische Propaganda sowohl bei innerkirchlichen Vorgängen als auch insbesondere in der Öffentlichkeit in geradezu kulturkämpferischer Art durchzusetzen." Auch der Staatssekretär im Reichsinnenministerium Pfundtner hatte den Eindruck, daß ein „Generalangriff" der Kirche im Gange sei. Frick ordnete Vortrag an — aber erst „nach dem 12. 11." Buttmann und ich nutzten dann die Hochstimmung nach dem Abstimmungssiege aus, um zu dämpfen, aufzuklären und vor unbesonnenen Schritten zu warnen. Während so innerhalb der NSDAP und der von ihr völlig beherrschten Landesregierungen die Schärfen gegenüber der katholischen Kirche von 86

Woche zu Woche zunahmen, wuchs auch im Vatikan die Unruhe gegenüber dem, was in Deutschland vor sich ging. Man vermißte eine öffentliche Desavouierung des Rosenberg'schen Buches „Der Mythos des 20. Jahrhunderts", das von Ausfällen gegen den Katholizismus strotzte, man vermißte ein Abrücken der obersten Spitze von provozierenden Reden führender Persönlichkeiten, in denen besonders die übertriebene Betonung des Rassentums, des Arier-Paragraphen zum Ausdruck kam und der zwangsweisen Sterilisierung das Wort geredet wurde. Mit Unruhe verfolgte man auch die Vorgänge innerhalb der evangelischen Kirche, das hierbei offenkundige Diktat der Gewalt, und man verhehlte nicht die Sorge, daß hierin das Vorspiel zur Gründung einer neuen Reichskirche zu erblicken wäre, die Katholiken und Protestanten gleichermaßen umfassen sollte. Die Empfindung für die Schwüle der Situation, die aus Verstimmung, Gereiztheit und Empörung erwachsen war, verdichtete sich in Berlin zu immer größerer Besorgnis, daß der Papst die bevorstehende Weihnachtsansprache, die zugleich seine erste öffentliche Rede seit Unterzeichnung des Konkordats sein würde, zu scharfen Pointen gegen das nationalsozialistische Regime in Deutschland benutzen könnte. Es war immerhin bemerkenswert und entbehrte für die wenigen eingeweihten Beobachter nicht des besonderen Interesses, daß doch bei der nach dem Triumph vom 12. November so siegesstolzen Führung noch immer eine starke Beklemmung im Hinblick auf die internationale Lage vorhanden war. Eine scharfe Ansprache des Papstes vor der Weltöffentlichkeit hätte den mit dem Abschluß des Konkordats erzielten Prestigegewinn des Regimes zunichte machen können. So entschloß man sich, den um seine Mission wahrhaft nicht zu beneidenden Buttmann schleunigst nach Rom zu schicken, damit der Albdruck wegen der Weihnachtsansprache behoben würde. Vorher hatte ein Empfang bei Hitler stattgefunden, dessen taktisches Trickspiel in Rom sehr bald sichtbar werden sollte. Der Vatikan hatte ausdrücklich gebeten, daß der deutsche Unterhändler diesmal Vollmachten mitbringen möchte, die es ermöglichen würden, abschließende Vereinbarungen zu unterzeichnen. Als Buttmann am 18. Dezember 1933 mit dem Kardinalstaatssekretär konferierte, begann er die Unterhaltung mit einem kühnen Seitensprung, auf den die Gegenseite wohl kaum gefaßt war. Er wollte nämlich den heutigen Besuch nicht als Fortsetzung der Oktober-Debatten aufgefaßt wissen, sondern als eine Gelegenheit, eine grundsätzliche Neuorientierung mündlich in die Wege zu leiten. Und dieser neue Kurs lautete: hinweg mit den alten Streitobjekten! Wir wollen demnächst, nachdem das Schicksal der Länder und damit der Länderkonkordate besiegelt ist, über ein neues Reichskonkordat verhandeln und dabei dann auch den gesamten Komplex der Auslegung und des Vollzugs des alten Reichskonkordats erledigen! 87

Ich möchte hier ein paar grundsätzliche "Worte zu dieser überraschenden Wendung einflechten. Erlösdien völkerrechtliche Verträge, wenn ein Staat aufhört zu bestehen? In dieser krassen Form gestellt, wird die Frage vom Völkerrecht bejaht. Papst Benedikt X V . kann hier als Kronzeuge angeführt werden; er hatte im Geheimen Konsistorium vom 21. 11. 1921 erklärt, daß die mit einem Staate abgeschlossenen Konkordate auf die Gebietsnachfolger n i c h t übergehen. Wie steht es aber nun, wenn ein Bundesstaat infolge Wechsels seiner Verfassung zum Einheitsstaat wird und nun die früheren völkerrechtlichen Verträge eines Gliedes des früheren Bundesstaats in der Luft zu hängen scheinen? Hier gibt es keine unbestrittenen Sätze des Völkerrechts. Der Kardinalstaatssekretär konnte angesichts dieser zweifelhaften Rechtslage nur darauf hinweisen, daß man im Reich bei Abschluß des Konkordats im Juli doch wohl schon gewußt habe, was man mit den Ländern machen wolle, und daß daher die ausdrückliche Erwähnung der Länderkonkordate in Art. 2 des Reichskonkordats nicht ohne Einfluß auf die Rechtsbeziehungen Vatikan-Reich bleiben könne. Der Hinweis hatte eine gewisse Wirkung. Nach einem Telefonat mit Berlin gab Buttmann am 19. Dezember die offizielle Erklärung ab: „Die Reichsregierung erklärt sich bereit, bei der im Zuge der bevorstehenden Reichsreform erfolgenden Auflösung der Länder in der Zwischenzeit für die Dauer der Verhandlungen über ein neues Reichskonkordat nach Möglichkeit die aus den von der Kurie mit einzelnen Ländern abgeschlossenen Konkordaten sich, ergebenden Verpflichtungen, vorab auf finanziellem Gebiete, weiter zu erfüllen, ohne damit bereits jetzt eine Verpflichtung zur endgültigen unveränderten Übernahme dieser Leistungen eingehen zu wollen." Das war immerhin etwas, um einen gewissen „guten Willen" erkennen zu lassen; jedenfalls lag darin dem Sinne nach eine Aufgabe des bisherigen, überhaupt nicht haltbaren Standpunktes, daß mit dem Wegfall von Ländern und Länderkonkordaten das ganze Reichskonkordat aus den Angeln gehoben würde. Der deutsche Gesprächspartner suchte von dem im ganzen doch redit Peinlichen der gesamten Situation durch weitere psychologische Hilfsmittel abzulenken, indem er wiederum auf Bayern zu sprechen kam: „Wäre der unglückselige Wahlaufruf der bayerischen Bischöfe anders ausgefallen oder überhaupt unterblieben, so wären wir heute zweifellos weiter. Die Stimmung des Herrn Reichskanzlers hat durch diese Verlautbarungen eine starke Trübung erfahren . . . " Das war also wiederum ein Spiel mit der Hypothese, das natürlich für die Gegenseite völlig undurchsichtig und unkontrollierbar war. Der Hinweis des Kardinalstaatssekretärs auf die endlose Kette von Konkordatsverletzun88

gen, denen gegenüber die Bischöfe keinesfalls gleichgültig hätten bleiben können, war die unter diesen Umständen wohl einzig mögliche Erwiderung. Es kam dann ein echt nationalsozialistisches Kuriosum zur Sprache. Die bayerische Regierung hatte auf die Note des Hl. Stuhles mit dem Protest gegen das bayerische Verbot, die "Wahlkundgebung der Bischöfe zu publizieren, in dem Sinne geantwortet: ein solches Verbot sei nie ergangen. Pacelli war in der Lage, Durchschlag der Verbotsverfügung vorzulegen. Eine solche dokumentarische Widerlegung am Verhandlungstisch ist an sich schon peinlich. Sie wird für den deutschen Verhandlungsführer umso peinlicher gewesen sein, als er höchstwahrscheinlich ein Schreiben des „Chefs der Staatskanzlei des Freistaates Bayern" (Esser) vom 10. 11. 33 im Gedächtnis hatte, in dem u. a. gesagt war: „Im Hinblick auf die allgemeine Fassung des Aufrufs und insbesondere die darin enthaltene ungehörige Kritik habe ich nach Berichterstattung beim Herrn Reichskanzler und im Einvernehmen mit dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda die Verbreitung des Aufrufs durch die Presse in Bayern verboten . . . " Dann kam natürlich wieder das heikle Thema des Atr. 31 (Schutz der Verbände) zur Sprache. Buttmann brachte einen Hinweis, der nicht ungeschickt gewählt war: „An der Spitze der Vereine stehen vielfach noch heute die gleichen Männer, die jahrzehntelang Präsides waren und die unsere Bewegung 13 Jahre lang stark bekämpft haben . . . Ich halte es im Interesse der katholischen Kirche selbst für besser, wenn Sie hier eine Erneuerung der Führung veranlassen wollten und die . . . Vereinheitlichung des katholischen Vereinslebens nach vier bis fünf großen Gruppen durchführen würden." Auf Drängen des Kardinals gab dann Buttmann am 19. 12. noch die offizielle, mit Berlin telefonisch vereinbarte Erklärung ab: „Die Reichsregierung erklärt sich bereit, hinsichtlich der katholischen Theologiestudierenden von einer Verpflichtung zur Beteiligung am SAund Arbeitsdienst abzusehen. Die Reichsregierung nimmt gerne davon Kenntnis, daß die Theologiestudierenden im Samariterdienst ausgebildet werden sollen." Am 19. Dezember war der deutsche Unterhändler erneut im Vatikan, um die von ihm teilweise bereits zitierte Antwortnote zu überreichen. Selbstverständlich kam der Kardinalstaatssekretär sofort auf das Phantom des „neuen Reichskonkordats" zu sprechen, mit dem Buttmann am Tage vorher operiert hatte. Pacelli: „Ich nehme doch an, daß das Reich das alte Konkordat vom vom 20. Juli, das wir erst abgeschlossen haben, auch nach der Durch89

führung der Reichsreform anerkennen wird. Die Wendung von einem neuen Reichskonkordat beunruhigt mich." Buttmann: „Die Bestimmungen der Länderkonkordate werden in das Reichskonkordat einzuarbeiten sein, und damit werden die meisten Artikel eine neue Textfassung erfahren müssen. So wird ein neues Reichskonkordat Zustandekommen."

Pacelli: „Das bezieht sich aber doch nur auf die Bestimmungen, die in den Länderkonkordaten enthalten sind." Buttmann: „Der Sinn der Reichsreform ist die Vereinheitlichung des Rechtes in ganz Deutschland. Es wird dann keine überwiegend katholischen und keine überwiegend protestantischen Länder mehr geben. Infolgedessen entsteht für das Reich eine neue Auffassung." Die Ausführungen von deutscher Seite waren zwar etwas mystisch gehalten, ließen aber doch wiederum ein Abrücken von der These erkennen, daß die Reichsreform das Reichskonkordat ohne weiteres zu Fall bringen würde. Es wurden dann noch weitere Fragen von verhältnismäßig zweitrangiger Bedeutung besprochen. Immer wieder kam der wunde Punkt des Art. 31 zur Sprache. Buttmann warnte vor der Gefahr, daß die katholischen Jugendorganisationen, wenn sie sich der Eingliederung entzögen, leicht zu einem „katholischen Ghetto" werden würden. Dann trennte man sich in offenkundiger Weihnachtsstimmung, nachdem der Kardinal „mit großer Wärme" dem religiösen Empfinden des Reichspräsidenten v. Hindenburg hohe Anerkennung gezollt hatte. Die Gefahr einer aggressiven Papstansprache zu Weihnachten war jedenfalls gebannt. Immerhin etwas für den Blick, der nach außen gerichtet war. Nicht gebannt aber waren die Sorgen der wenigen Eingeweihten, die sich mit wachsender Unruhe fragten, wie lange das von nationalsozialistischer Seite betriebene Trugspiel wohl noch fortgesetzt werden könnte.

Siebentes

Kapitel

Zwei Kirchen? Die führenden Persönlichkeiten der evangelischen Kirche standen zunächst völlig unter dem psychologischen Schock der katastrophalen Hitler-Audienz am 25. 1. 34. Die rücksichtslose taktische Ausnützung jeder nur irgendwie erkennbaren Baisse-Stimmung war von jeher eine Stärke des Nationalsozialismus. Was war denn eigentlich geschehen an jenem Unglückstage? Hatte etwa der Reichsbischof seine Gegner niedergeschlagen? War etwa ein Vertrauensbeweis Hitlers für Müller erbracht worden? Waren die Anklagen 90

gegen den „Reibi" als nicht stichhaltig erwiesen worden? Nichts von alledem. Müller war, obwohl anwesend, gar nicht in Erscheinung getreten. Hitler hatte kein Wort eines Vertrauens für Müller gesprochen. Und die Denkschrift mit den genau substantiierten Beschwerden gegen Müller war von Hitler nur mit einer kurzen verächtlichen Bemerkung abgetan worden — ein bei ihm beliebtes Mittel, wenn er gegen den Inhalt eines Schreibens nichts sagen konnte. Aber das hysterische Hinaufziehen der ganzen Situation in die höchste Sphäre (Verhältnis Reichspräsident-Reichskanzler, Sorge für das Dritte Reich) und die durch Göring geschickt suggerierte Meinung, daß man einem Komplott auf die Spur gekommen sei, erzeugten jene explosiven Entladungen, mit denen Hitler jeden umzulegen gewohnt war, der für so etwas empfänglich war. Wie groß die Schreckwirkung im Lande war, zeigt ein Protokoll über eine Besprechung in Württemberg am 31. Januar 1934, also in einem Lande, das vor allem in der Persönlichkeit seines Landesbischofs D. Wurm und der ihm fast vollzählig treu ergebenen Pfarrerschaft und Gemeindeglieder ein bis dahin festes Bollwerk im Kampf gegen deutschchristliche Zersetzung gebildet hatte. Die gesamte kirchliche und politische Prominenz Württembergs war vertreten. Typisch ist schon die irreführende Einleitung der Niederschrift: „Durchdrungen von dem Entschluß, in Ausführung der am 25. Januar 1934 erfolgten Entscheidung des Führers in der Frage des Reichsbischofs den Kirchenfrieden in der evangelischen Kirche in Württemberg wieder herzustellen, haben sich auf Anregung der Württ. Politischen Polizei . . . " Und dann kommen die katastrophalen Kapitulationserklärungen, von denen ich nebst der höchst bedenklichen Einleitung nur die drei ersten zitieren möchte: „Nach eingehender Erörterung aller Punkte . . . haben die Beteiligten einstimmig folgenden Beschluß gefaßt: 1. Der Württ. Pfarrernotbund wird seine Auflösung beschließen. 2. Im Evang. Gemeindedienst wird die Glaubensbewegung „Deutsche Christen" in Württemberg mitarbeiten. 3. Jede kirchliche oder religiöse Gruppe enthält sich der öffentlichen Kritik an der Neugestaltung der deutschen evangelischen Kirche. (Als bedeutungslose Konzession heißt es dann weiter:) „Als öffentliche Kritik gelten jedoch nicht sachliche Ausführungen in der Fachpresse von berufener Seite." Verhängnisvoll waren die Auswirkungen meiner Absetzung im Reichsministerium des Innern. Man übergab das Referat für die evangelische Kirche dem Ministerialrat Scholz, der weder von Kirchenpolitik noch von Kirchenrecht eine auch nur bescheidene Ahnung hatte. Er war 1932 aus der 91

Deutschnationalen Volkspartei ausgetreten und hatte sich der Hitlerpartei angeschlossen. Seine wahrscheinlich damit verbundenen Hoffnungen auf Avancement waren bisher nicht in Erfüllung gegangen. Am 8. und 15. Februar war er bei mir — nicht etwa, um entsprechend sonstigen Geflogenheiten ein schwieriges und umfangreiches Referat von seinem Vorgänger zu übernehmen, sondern um mir seine grundsätzliche Linie zu entwickeln. Er brachte dabei dankenswerterweise seine Auffassungen auf kurze Formeln: „Wer gegen Müller ist, ist gegen Hitler und damit gegen den heutigen Staat, muß also als Staatsfeind behandelt werden." „Gegen Pfarrer, die sich gegen Müller erklären, muß zugeschlagen werden, und wenn sie zu Tausenden ins Konzentrationslager wandern!" Am 17. 3. 34 legt Scholz einen Vermerk folgenden Inhalts in den Akten nieder: „Eine Selbstauflösung des Pfarrernotbundes ist augenblicklich weniger denn je zu erwarten. Meine Versuche, in dieser Hinsicht einzuwirken, waren erfolglos." Wenn es uns auch nicht gelungen war, den Reischbischof Müller zu stürzen, so war doch jedenfalls durch die konsequente Politik vom Reiche her eins erreicht worden: die Standfestigkeit der kirchlichen Opposition. Schon am Tage nach der Ergebenheitserklärung für Müller (27. 1. 34) schrieb der bayerische Landesbischof Meiser an den Reichsbischof, er könne sich für dessen Autorität nur einsetzen im Rahmen der bayerischen Disziplinargesetze, aber nicht mit H i l f e der Maulkorbverordnung des Reichsbischofs vom 4. 1. 34 (s. oben S. 62). Er fuhr dann fort: „Auch die gestrigen Verhandlungen konnten midi nicht davon überzeugen, daß die Verordnung rechtskräftig und mit dem Bekenntnis unserer Kirche vereinbar ist. Ich bekenne mich mit dieser Erklärung erneut zu der Beurteilung, die ich der Verordnung in der Sitzung vom 20. Januar habe angedeihen lassen, und stelle mich an die Seite der Pfarrer des Pfarrernotbundes." Und der hannoversche Landesbischof Marahrens schrieb bald darauf: „Wie schwer ist ein klares Eintreten für die Wahrheit, wenn Amt und Stellung bedroht sind oder man mit einem Zugeständnis billigen Frieden erkaufen kann. Viel Elend unserer kirchlichen Lage mag daher kommen, daß wir in den vergangenen Monaten zurückgewichen sind und J a gesagt haben, wo man Nein sprechen und leiden sollte." Derartige Worte waren .notwendig; denn der Pfarrernotbund war durch die Ergebenheitserklärung der Bischöfe vom 27. Januar in eine recht schwierige Lage geraten. Inzwischen ging das Herumtüfteln um das weiter, was denn nun eigentlich am 25. Januar geschehen war. Der Berliner Gauobman der „Deutschen Christen", Pfarrer Tausch, erklärte: 92

„Die Tatsache, daß sich der Reichskanzler am 25. Januar erneut vor den Reichsbischof gestellt und die Arbeit der Deutschen Christen restlos anerkannt hat, ist für die Zukunft des kirchlichen Lebens entscheidend gewesen." Im Gegensatz dazu konnte das Elberfelder Gemeindeblatt „Licht und Leben" folgende Version verbreiten: „Reichskanzler Adolf Hitler hat Wert darauf gelegt, festzustellen, daß er keine Zumutung an die Landeskirchenführer gestellt hat, Ludwig Müller als Reichsbischof zu wählen, keine Zumutung auch, an ihm festzuhalten. Warum haben die lutherischen Bischöfe diesen Mann nun nicht fallen lassen? Das zu wissen, hat jedes Glied unserer Kirche, das letzte so gut wie das erste, ein Anrecht." Es waren insbesondere die Männer des Pfarrernotbundes im Westen, die mit erfreulicher Schnelligkeit den Mut zu einer scharfen Sprache wiederfanden. Auf einer Tagung in Barmen, die etwa einen Monat nach der Katastrophe in der Reichskanzlei stattfand, erklärten sie: „Vor allem hat sich das in die Kirche übertragene weltliche Führerprinzip als kirchenzerstörend ausgewirkt. Vollends die Verordnungen vom 4. und 6. Januar und 3. Februar bringen mit ihrem Verfassungsbruch unsere evangelischen Gemeinden unter eine papistische Herrschaft. Wir ermahnen unsere Brüder im Amt, Prediger und Älteste, schriftwidrigen Verordnungen und Maßnahmen des schriftwidrigen jetzigen Kirchenregiments nicht zu gehorchen . . . Solcher Ungehorsam gegen ein Kirchenregiment, das wider Gottes Wort regiert, ist Gehorsam gegen Gott . . . " Es scheint, daß der „Reibi" nach dem 25. 1. sein Schifflein offenbar in Sicherheit glaubte. In einer Sportpalastversammlung erklärte er Anfang März: es werde die Zeit kommen, wo nur noch nationalsozialistische Pfarrer auf den Kanzeln stehen und wo die Gemeinden die oppositionellen Pfarrer wegfegen und ihnen und ihrem Anhang eine Antwort erteilen würden, daß diesen Leuten Hören und Sehen vergeht. War es neurotische Faselei — oder Autosuggestion eines Schwächlings, der die Wirkung der an den 25. 1. angehängten Lügenkampagne im Schwinden sah und nun mit gespielter Kraftmeierei die Lage für sich zu retten suchte? Es kann unter diesen Umständen nicht wundernehmen, daß man im Ausland überhaupt nicht mehr wußte, was von den Verhältnissen im evangelischen Deutschland zu halten war. Bezeichnend ist die Überschrift, die der in seiner deutschfreundlichen Gesinnung vielfach bewährte Pfarrer Benz in Basel einem Artikel in seinem Sonntagsblatt gab: „Am Sterbelager der evangelischen Kirche." 93

Unter diesen Umständen suchten die streitbaren Landesbischöfe von Bayern und Württemberg erneut den "Weg zu Hitler. Zunächst berichteten sie in einem Schreiben vom 8. 3., daß Müller wiederum alle seine Zusagen ihnen gegenüber gebrochen habe. Sie lenkten dann sehr geschickt die Aufmerksamkeit auf den „eigentlichen Regenten der Deutschen Evangelischen Kirche", den „zur Zeit maßgebenden Ratgeber des Herrn Reichsbischofs, Bischof Dr. Oberheid, . . . der erst im Frühjahr 1933 die kirchliche Anstellungsprüfung bestanden hat". „Er ist auch die Seele einer Gewalt- und Unterdrückungspolitik, wie sie in der evangelischen Kirche bisher unerhört war: Die Rache an kirchenpolitischen Gegnern des Herrn Reichsbischofs und einzelner Landesbischöfe ist in mehr als hundert Amtsenthebungen, Suspendierungen und Beurlaubungen gründlich genommen worden . . . Es ist . . . eine Bewegung entstanden, die zwangsläufig zu einem Schisma innerhalb der evangelischen Kirche führen muß, wenn nicht sofort aller Gewaltpolitik in der evangelischen Kirche abgesagt und ein neuer Kurs gesteuert wird." Der am Schluß dieses Briefes ausgesprochenen Bitte an Hitler, den Landesbischöfen Meiser und Wurm Gelegenheit zu einer persönlichen vertraulichen Aussprache zu geben, wurde schnell stattgegeben. Es waren von kirchlicher Seite nur die beiden Genannten zugegen; Hitler hatte nicht etwa Buttmann oder Frick, sondern den früheren Freikorpsführer Pfeffer von Salomon zugezogen. Vorher war Besprechung bei Buttmann, der den kirchlichen Herren den Rat mitgab: „Wenn er sdireit, dann schreien Sie auch!" So brüllte man sich zwei Stunden lang an. Zuletzt gab Hitler nach und erklärte: „Ich will midi als ehrlichen Makler einschalten. Ich bestimme Herrn von Pfeffer zum Verhandlungsführer." Buttmann, am nächsten Tage orientiert, war wütend: e r sei für kirchliche Angelegenheiten zuständig; „was soll dieser Pfeffer, Katholik und früherer Freikorpsführer?" Wieder einmal eine typisch Hitler'sche Entschließung; sie erinnerte an den ehemaligen „Beauftragten des Reichskanzlers für die evangelische Kirche" Müller — nur mit dem Unterschied, daß dieser die „Beauftragung" geschickt extrahiert hatte, um seinen brennenden Ehrgeiz zu befriedigen, Reichsbischof zu werden. Wahrscheinlich hat die in dem Briefe von Meiser und Wurm aufgezeigte Gefahr des evangelischen Schismas am meisten dazu beigetragen, Hitler zu dem Empfang der beiden Herren zu bewegen. Hier fühlte er mit instinktiver Sicherheit die Gefahr einer Blamage. Er hätte die Kirchenspaltung nicht hindern können. Andererseits war natürlich völlig ungewiß, wieviele dem Rufe der Absplitterung folgen würden; Goebbels hätte mit 94

seiner Presse bestimmt für eine Diffamierung aller Abwandernden gesorgt. Auch die Frage der Finanzierung war schwierig. Unter diesen Umständen war es schon richtig, daß die „Freie evangelische Synode im Rheinland", die am 18. und 19. 2. in Barmen-Gemarke tagte, ausdrücklich die Losung ausgab, man habe sich „nicht als kirchliche Gruppe, sondern bewußt als Kirche" versammelt, d. h. als die eigentliche Kirche, die der MüllerClique das Recht bestritt, von Kirche zu sprechen. Damit war der richtige Grundton angeschlagen; die Defensive war mit einem Schlage in eine Offensive verwandelt worden. Aus dem Kampf gegen Müller war der mit einer Frontverlängerung verbundene Kampf um die rechtmäßige Führung des Namens „Evangelische Kirche" geworden. Rückkehr zur Brutalität Unter diesen Umständen reifte bei Müller und seiner Clique die Erkenntnis, daß wieder einmal „etwas geschehen" müsse. Dieser Gedanke lag um so näher, als das „Geistliche Ministerium" des „Reibi" kürzlich durch einen Mann bereichert worden war, über dessen Neigung zu Räubermethoden nicht der geringste Zweifel möglich war: Jäger. Der preußische Kultusminister Rust hatte sich von diesem „Ministerialdirektor" getrennt; der Kerl war zu anrüchig und unfähig. Müller nahm ihn mit offenen Armen auf; so konnte der Mann im geistlichen Gewände, wenn es ihm psychologisch in den Kram paßte, den Unschuldsengel spielen und dem anderen die grobe Arbeit am Hackeklotz überlassen. Die Berufung Jägers zum „Kirchenminister" steht in einem interessanten Zusammenhang. Nach der Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche ist das Amt des rechtskundigen Mitgliedes des „Geistlichen Ministeriums" mit der Stelle des „leitenden rechtskundigen Mitgliedes in der Verwaltung der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union" verbunden. Also Personalunion. Schon im Spätherbst 1933 hatte Müller mehrfach bei mir anfragen lassen, ob er Jäger als juristischen „Kirchenminister" berufen könnte, obwohl die mit diesem Amt gekoppelte Stelle des Präsidenten des Oberkirchenrats mit Dr. Werner besetzt war. Ich winkte mit Entschiedenheit ab. Aber wann wären Leute vom Schlage Müllers und Jägers jemals um eine Aushilfe verlegen gewesen? Man nahm einfach der großen Kirche der altpreußischen Union ihre Selbständigkeit, „gliederte" sie in die Reichskirche ein, enthob Dr. Werner seines nunmehr überflüssig gewordenen Postens — und die Bahn war für Jäger frei. Daß Werner vor Gericht ging und selbstverständlich seinen Prozeß gewann (d. h. sein volles Gehalt nunmehr weiterbezog), störte nicht im geringsten. Was war nun zu tun, um die trotz des Triumphes vom 25. 1. doch wieder recht brüchig gewordene Stellung des „Reibi" neu zu stützen? Gegen die 95

Opposition im Westen vorzugehen, erschien hoffnungslos. Das dort mit scharfer Betonung geltende Synodalprinzip bedeutete die Einheit von Pfarrer und Gemeinde; das Schwergewicht lag unten und war letzten Endes für Gewaltakte von oben kaum erreichbar. Es mußte also ein Exempel in der Form statuiert werden, daß man einen weithin sichtbaren Mann zu Fall brachte, und damit einen ganzen, auf eine Spitzenstellung zugeschnittenen Organismus zum Einsturz zu bringen hoffte. Bei der Ausschau nach einem geeigneten Objekt fiel der Blick auf Württemberg. Der Landesbischof D, Wurm gehörte an sich, schon zu den Unbeliebtesten im Müller-Lager; außerdem glaubte man insofern im taktischen Vorteil zu sein, als ja der württembergische Pfarrernotbund sich, wie bereits berichtet, wenige Tage nach dem Schock vom 25. 1. aufgelöst hatte. Hier also, so glaubte man, war weiches Holz, das man leicht spalten könnte. Was nun in Württemberg geschah, war so ungeheuerlich und so typisch, daß es sich verlohnt, dabei mit einiger Ausführlichkeit zu verweilen. Die Beratung des kirchlichen Haushalts für das neue Rechnungsjahr gab den „deutschen Christen" Gelegenheit, den Streit vom Zaun zu brechen. Man konnte sich in dem sogenannten Ständigen Ausschuß, wo die „deutschen Christen" — ohne den entsprechenden Rückhalt im Lande — die Mehrheit hatten, nicht einigen. Der Landesbischof lehnte es ab, sich unter Druck setzen zu lassen, und berief den Landeskirchentag ein, dem schließlich das letzte Wort in diesen Dingen zustand. Natürlich wurde die Öffentlichkeit durch die gefesselte Presse über die Lage belogen. So wurde für den 8. 4. eine Großkundgebung der bekennenden Gemeinde in der Stuttgarter Stadthalle angesetzt. Am 31. 3. wurde diese Versammlung von der Politischen Polizei verboten; Grund u. a.: Gefahr, „daß die Redner ins Politische abgleiten." Nun beruft der Landesbischof, dem die Presse ihre Spalten für eine Richtigstellung verschließt, Bekenntnisgottesdienste für den 8. 4. ein, die in den Stuttgarter Kirchen stattfinden sollten. Die Politische Polizei verbietet auch diese Gottesdienste. Am 11. 4. gehen kirchliche Vertreter, die nicht den „deutschen Christen" angehören, zum „Reichsstatthalter" Murr, um das Unmögliche der Lage darzulegen. Murr erklärt, daß er einen Kampf gegen das „kirchliche System" (?) nicht unterbinden wolle, vorausgesetzt, daß dieser Kampf „nicht auf das politische Gebiet übergreife und die Person des Reichsbischofs sowie die Sache der Reichskirche nicht antaste". Am 16. 4. sollte der Landeskirchentag zusammentreten. In ihm waren die „Deutschen Christen" infolge von Abspaltungsvorgängen in die Minderheit geraten. Das Ergebnis der Beratungen konnte also nicht zweifelhaft sein. Nun aber betritt der eigentliche Drahtzieher die Bühne. Am 13. 4. erhält der Landesbischof ein Telegramm von Müller: „Auf Grund eines an mich gerichteten Telegramms des Reichsstatthalters Murr (!) habe ich midi veranlaßt gesehen, Herrn Präsident Steger zu 96

T A F E L 13

T A F E L 14

ersuchen, den Ständigen Ausschuß . . . auf . . . den 15. April . . . einzuberufen." In diesem „Ständigen Ausschuß" hatten die „deutschen Christen" eine Stimme Mehrheit. Schon die Einberufung durch Müller war kirchenrechtlich ein Verfassungsbruch. Aber es kam noch toller. Am 14. und 15. 4. verbreitete der Rundfunk eine Nachricht etwa folgenden Inhalts: Der Landessynodalausschuß (?) hat dem Landesbischof Wurm das Vertrauen versagt. Dem Landesbischof wird von seinen Gemeinden vorgeworfen, daß er durch seine Haltung Beunruhigung ins Volk gebracht habe. Insbesondere würden seine Beziehungen zu dem sattsam bekannten Pfarrernotbund nicht verstanden werden. Dadurch sei ein Kirchennotstand hervorgerufen worden. Landesbischof Wurm sei als öffentliche Persönlichkeit im neuen Reich nicht mehr tragbar. Der Herr Reichsstatthalter habe sich genötigt gesehen, den Herrn Reichsbischof zur Beilegung des Notstandes herbeizurufen. Bereits morgen sei der Herr Reichsbischof hier in Stuttgart." Diese Meldung war von Anfang bis Ende erlogen. Am 15. 4. nachmittags tritt tatsächlich der „Ständige Ausschuß" zusammen. Müller und — natürlich! — Jäger nehmen an der Sitzung teil. Der Ausschuß hat sieben Mitglieder, ist also beschlußfähig mit fünf. Der Zufall will es, daß zwei, die zu Wurm stehen, zugleich Staatsbeamte sind. Der „Reichsstatthalter" läßt diesen beiden, die nicht hatten teilnehmen wollen, die Mitteilung zugehen, daß ihre Teilnahme „erwartet" wird. Müller spricht in der Sitzung, wie üblich, vom Evangelium, Jäger erklärt, daß nunmehr von Berlin her ein „klarer Kurs" gesteuert werden würde. Die Wortmeldungen der Opponenten werden einfach nicht beachtet. Gleichwohl geben die drei Opponenten Sauter, Seiz und Volz eine scharfe Gegenerklärung ab. Müller wird sentimental: er würde am liebsten wieder bei seinen Soldaten sein; aber er „müsse den ihm vom Führer gestellten Auftrag ausführen". Verläßt dann die Sitzung, um „zum Reichsstatthalter und württ. Ministerpräsidenten zu gehen" (bekannte Taktik!). Jäger leitet die Sitzung weiter, bis 11 Uhr nachts. Zieht dann eine bereits gedruckte, von Müller und Jäger unterzeichnete Verordnung aus der Tasche (mit dem Datum 15. 4., also dem Tage, an dem man zwecks Beratung der Lage zusammen saß!) „Schwerer kirchenpolitischer Zwist innerhalb der Evangelischen Landeskirche in Württemberg macht im Interesse von Kirche und Staat mein sofortiges ordnendes Eingreifen notwendig . . . § 1 Die Einberufung des Landeskirchentages der Evangelischen Landeskirche in Würtemberg und seines ständigen Auschusses bedarf bis auf weiteres der Zustimmung des Reichsbischofs . . . 8

Conrad,

Der

Kampf

um

die

Kanzeln

97

§ 2 Die für den 16. April 1934 angesetzte Tagung des Landeskirchentags wird auf den 11. Juni 1934 verschoben." Dieses Ränkespiel, das schon stark an Jägers Meisterleistung im Juli 1933 (Staatskommissare) erinnerte, war denn doch so toll, daß die führenden Köpfe der Opposition am 22. 4. im Ulmer Münster zusammentraten. Wurm predigte, Meiser verlas eine geharnischte Erklärung, in der u. a. gesagt war: „Die Deutsche Evangelische Kirche muß den Segen Gottes verlieren, wenn sie so der Unwahrheit Raum gibt. Sie muß in Unordnung versinken, wenn in dieser Weise die oberste Kirchenleitung selbst die Würde und Autorität des Leiters einer Landeskirche untergräbt und die Gemeinden geistlich und rechtlich entmündigt." Das war der erste Teil des württembergischen Gewaltstreichs. Er sollte im Herbst eine noch dramatischere Zuspitzung finden. Im Reichsministerium des Innern in Berlin hatte sich unterdessen ein neuer Personenwechsel vollzogen. Buttmann hatte es schließlich abgelehnt, mit dem gänzlich anders eingestellten, noch dazu fachlich unfähigen Scholz weiterhin zusammenzuarbeiten. So wurde der Staatsanwalt Dr. Schucht zum Referenten für die evangelische Kirche bestellt. Er war zwar noch sehr jung, aber — bis dahin als mein Hilfsarbeiter tätig — doch wenigstens etwas in die Zusammenhänge eingeweiht, wie Buttmann und ich sie sahen. Da er sich häufig bei mir Rat holte, konnte ich wenigstens indirekt wieder einen gewisen Einfluß ausüben. Schon ein Rundschreiben des Reichsinnenministeriums vom 16. 4. 34, in dem alle staatlichen Stellen erneut zu strikter Neutralität in den kirchlichen Auseinandersetzungen aufgefordert wurden, ließ erkennen, daß man vom Reiche her sich wieder stärker in die Dinge einschalten wollte. Auch die NSDAP machte eine schwungvolle Geste: sie etablierte in Berlin eine „Abteilung für den kulturellen Frieden", mit einem Major a. D. an der Spitze und einem Hauptmann a. D. als dessen Stellvertreter. Zu sagen hatte dieses Gremium überhaupt nichts; die großen Parteibonzen hätten es sich energisch verbeten, von dort her Anweisungen entgegenzunehmen. Aber man hatte nun wenigstens einen Abladeplatz für Beschwerden aller Art eingerichtet und konnte mit Stolz darauf hinweisen, etwas Sichtbares für den „kulturellen» Frieden getan zu haben. Während so das Friedensgeschwätz munter weiter blühte, rüstete das Parteipiratentum zu neuen Taten. Der Evangelische Preßverband, gegen den schon vor fast Jahresfrist ein Anschlag mißlungen war, hatte wiederum Mißfallen erregt, weil er nicht entschieden genug für Müller und Genossen Stimmung machte. Jäger, keineswegs kleinlich in der Selbstbewilligung von Titeln und Funktionen, eröffnete dem Vorstand „in seiner Eigenschaft als 98

Vertreter des Staates, der Partei und der Reichskirchenregierung", daß Professor D. Hinderer als Direktor, „untragbar" sei; er solle zurücktreten, und wenn er das nicht täte, „sei bereits mit dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda darüber verhandelt worden, daß dann jegliche Verbindung der öffentlichen Stellen mit dem Evangelischen Preßverband . . . zu lösen, . . . die Führung der Bezeichnung „evangelisch" zu untersagen und seine publizistischen Betätigungen in jeder Weise einzuschränken seien." Was sagt und was tut denn nun eigentlich das Ausland angesichts der katastrophalen Entwicklung im deutschen Protestantismus? Diese Frage ist damals schon oft gestellt worden. Aus der deutschen Presse konnte sie nicht beantwortet werden, dafür sorgte Goebbels. Aufschluß gibt uns ein persönliches Schreiben, das der Reichsaußenminister von Neurath unter dem 18. 6. 34 an seinen Kollegen Dr. Frick richtete und das ich im Auszug zitieren möchte: „Die Verhältnisse in der evangelischen Kirche im Reich haben sich im Laufe der letzten Monate in einer Weise entwickelt, daß die Gefahr einer ernstlichen Beeinträchtigung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen des Reichs zum Ausland heraufbeschworen wird . . . Die Ablehnung ist eine so allgemeine, daß man heute von einer geschlossenen geistigen Front des Weltprotestantismus gegen die Reichskirchenregierung sprechen kann . . . Diese für unsere außenpolitischen Beziehungen nachteilige Tatsache tritt außer in Skandinavien vor allem in den stark in der Kirche wurzelnden angelsächsischen Ländern in Erscheinung, insbesondere in den Vereinigten Staaten von Amerika, wo durch die Einstellung des Protestantismus in der letzten Zeit eine bisher bestehende große Lücke in der antideutschen Front nunmehr geschlossen worden ist . . . In einem von ihm selbst nachgesuchten längeren Gespräch hat der Vorsitzende des ökumenischen Rats für praktisches Christentum, der Bischof von Chichester, den Botschafter von Hoesch am 30. April darauf hingewiesen, daß das autokratische Regime des deutschen Kirchenhauptes eine ernste Belastung des Verhältnisses der evangelischen Kirche des Auslandes zur Reichskirche bilde . . . Der deutsche Gesandte in Stockholm, Prinz zu Wied, berichtete unter dem 23. April, daß sich in schwedischen kirchlichen Kreisen eine immer stärker werdende Ablehnung dem Herrn Reichsbischof gegenüber . . . bemerkbar mache. . . . Der Bischof von Chichester teilte Herrn von Hoesch in der oben erwähnten Aussprache mit, daß der Erzbischof von Canterbury den vor einiger Zeit gehegten Plan der Einberufung einer kleinen Konferenz von Kirchenführern deshalb habe fallen gelassen, weil der Erzbischof von Upsala und der Führer der evangelischen Kirche in Frankreich sich gegen eine Hinzuziehung des Reichsbischofs ausgesprochen hätten. 8'

99

Dem gegenüber haben die ausländischen evangelischen Kirchen der Entwicklung und der Festigung der sogenannten Bekenntnissynode ihre besondere Aufmerksamkeit und ihre mehr oder weniger ausgesprochene Sympathie zuteil werden lassen . . . Nach einer der Reichskirchenregierung kürzlich vertraulich zugegangenen Mitteilung soll der Bundesrat der Kirchen Christi in den Vereinigten Staaten von Amerika beabsichtigen, die Bekenntnissynode als einzige rechtmäßige evangelische Kirche im Reich anzuerkennen . . . Die drohenden Gefahren können nicht durch weitere Gespräche deutscher und ausländischer Kirchenführer, sondern nur durch ein entschlossenes Handeln im Reich selbst gebannt werden. Aus außenpolitischen Gründen ist es dringend geboten, daß die Reichsregierung der Entwicklung der Dinge in der evangelischen Kirche in erhöhtem Maße ihre Aufmerksamkeit schenkt . . . " Dieser Brief des Herrn von Neurath war natürlich nur pro forma an den Reichsinnenminister gerichtet. Frick war über die hoffnungslose Isolierung, in die der deutsche Protestantismus hineinsteuerte, seit langem durch Buttmann und midi unterrichtet. Der eigentliche Adressat war Hitler, dem gegenüber der Reichsaußenminister wiederholt seine Besorgnis wegen der Kirchenlage — der evangelischen wie der katholischen — zur Sprache gebracht hatte, ohne Gehör zu finden. Nun suchte er in Frick einen Bundesgenossen. Es war überhaupt äußerst schwer, mit dem Ausland zu operieren, weil die Goebbels'sche Presseregie imstande und willens war, aus jeder ausländischen Presseäußerung eine Fanfare für die nationalsozialistische Propaganda zu machen. Wenn nun eine Auslandsstimme über das Maß der Berichterstattung hinausging und eine hitlerfeindliche Tendenz erkennen ließ, so war die Freude bei Goebbels und Genossen grenzenlos. So berichtete die „Berliner Nachtausgabe" am 5. 5. 34 unter der Überschrift „Der Dritte feixt", ein „jüdisches Emigrantenblatt" habe mit folgenden Wendungen „die Katze aus den Sack" gelassen: „Wir haben recht, über den neuen Religionskrieg glücklich zu sein . . . Die Antifaschisten haben die Aufgabe, am Religionskrieg teilzunehmen, ihn zu vertiefen, indifferente Volksschichten hineinzuziehen und das Ausland dafür zu interessieren. So erhöhen sie die Schwierigkeiten des Nationalsozialismus." Wo diese Äußerungen gestanden haben sollen, war nicht angegeben. War vielleicht das Ganze überhaupt nur eine Täuschung, eine journalistische Hilfe für Müller und Genossen? Oder fürchtete man bei Angabe der Quelle eine Massenbestellung auf die betreffende Nummer der ausländischen Zeitung? In beiden Lagern des evangelischen Kirchenstreits wurde indessen, ohne daß der „ehrliche Makler" Hitler irgendwie in Erscheinung trat, weiter ge100

rüstet. Für die Müller-Kirche lautete die Parole: „Eingliedern!", d. h. den Landeskirchen die Selbständigkeit nehmen, sie bedingungslos dem „Reibi" und seiner Clique unterstellen. So geschah es im Freistaat Sachsen, Schleswig-Holstein, Nassau-Hessen, Thüringen, Hamburg und Hannover. An der Bevölkerung gingen diese Manipulationen genau so spurlos vorüber, wie sie von oben als Triumphe ausgeklingelt wurden. Die andere Seite aber handelte folgerichtig und im echten Sinn aufbauend. Wiederum in Barmen trat Ende Mai 1934 die erste „Reichs-Bekenntnissynode" zusammen, die aufs neue den Gedanken des Separatismus verwarf und den Kampf innerhalb der Reidiskirdie um die Reinhaltung des Glaubens als Grundsatz proklamierte. Die „Barmer Theologische Erklärung" vom 31. 5. 34 stellte sechs Bibelzitate, in denen die Beziehung zur Situation deutlich wurde, mit einer kurzen Erläuterung heraus, um dann mit den einleitenden Worten „Wir verwerfen" die Zuspitzung der gegensätzlichen Auffassung zu vollenden: „Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Wort Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen." „Wir verwerfen die falsche Lehre, als gebe es Bereiche unseres Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären . . . " „Wir verwerfen die falsche Lehre, als dürfe die Kirche die Gestalt ihrer Botschaft und ihrer Ordnung ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugungen überlassen." „Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und dürfe sich die Kirche abseits von diesem Dienst besondere, mit Herrschaftsbefugnissen ausgestattete Führer geben oder geben lassen." „Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne der Staat über seinen besonderen Auftrag hinaus die einzige und totale Ordnung menschlichen Lebens werden und also auch die Bestimmung der Kirche erfüllen." „Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne sich die Kirche über ihren besonderen Auftrag hinaus staatliche Art, staatliche Aufgaben und staatliche Würde aneignen und damit selbst zu einem Organ des Staates werden." „Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne die Kirche in menschlicher Selbstherrlichkeit das Wort und Werk des Herrn in den Dienst irgendwelcher eigenmächtig gewählter Wünsche, Zwecke und Pläne stellen." 101

Das waren, deutliche Thesen, deren Spitzen allenthalben richtig verstanden wurden. Müller versuchte einen Einbruch in die immer fester werdende Gegenfront; er lud die Prominenz des evangelischens Lebens zu einer „Aussprache über Verfassungsfragen" nach Erfurt ein und erhielt von allen nicht zu den „deutschen Christen" gehörenden Persönlichkeiten scharfe Absagen, in denen die Überzeugung zum Ausdruck kam, daß die Vertrauensbasis zum Reichsbischof restlos zerstört sei. Wie berechtigt das Mißtrauen gegen Müller war, bewiesen wiederum die Taten. In fast allen Teilen des Reiches wurden die Erklärungen der Bekenntnissynode von der Geheimen Staatspolizei beschlagnahmt, während Flugblätter der Gegenseite mit hemmungslosen Angriffen gegen die bekenntnistreuen Kreise in keinem Falle beanstandet wurden. Man veranstaltete Haussuchungen nach der Barmer Erklärung und stellte den Besitzern dieses Dokumentes das Konzentrationslager in Aussicht. Das Treiben der deutschchristlichen Hetzer wird immer schlimmer: auf ihr Betreiben werden bekenntnistreue Besprechungen und Andachten in Privatwohnungen verboten; Pfarrer, die wider Recht und Gesetz „strafversetzt" sind, werden in Schutzhaft genommen, weil sie dem Versetzungsbefehl nicht nachkommen. Ein Pfarrer muß sieben T a g e in Schutzhaft verbringen, weil er — in. maßvoller und würdiger Form — bei einer Beerdigung dem Vorredner der Partei widersprach, der behauptet hatte, der Verstorbene sei nunmehr in „den himmlischen Sturm Horst Wessel" versetzt worden. Hitlerjungen dürfen in ihren Versammlungen die Pastoren ungestraft als „Aasgeier der deutschen Nation" bezeichnen. Und was tun die Behörden der zu elender Knechtsrolle degradierten deutschen Länder gegen diesen und ähnlichen Unfug? Nichts! Was tut die „Abteilung für den kulturellen Frieden"? Vielleicht hält sie Ausschau nach dem „ehrlichen Makler" an der Spitze dieses ganzen Systems? Nicht nur die Bekenntnisfront sorgte für Klärung der Lage — auch Herr Ludwig Müller warf endlich die schlecht sitzende Maske ab. In einer Rede in Stettin am 6. 6. 34 gab er sich mit aller nur wünschenswerten Deutlichkeit zu erkennen: „Wir bauen die deutsche evangelische Kirche mit den Deutschen Christen. Und wir werden sie nur mit den Deutschen Christen bauen. Ich benutze die Gelegenheit, mich hier öffentlich als Deutscher Christ zu bekennen. Ich bin immer Deutscher Christ gewesen und werde es auch immer bleiben." Dieser wackere Bekenner schwieg, als ihm schwarz auf weiß das „Tischgebet" der Hitlerjugend zur Kenntnis gebracht wurde — jenes Zwangsverbandes, in den er Ende 1933 die evangelische Jugend mit Lüge und Gewalt hineingezerrt hatte: 102

„Unsere Seele dem Teufel, unsere Herzen den Mädeln, unser Leben Adolf Hitler! Alle Mann — ran!" Er schwieg, als ihm gedruckt eine Rede des brandenburgischen Oberpräsidenten und Gauleiters Kube bekannt wurde, in der sich dieser Bursche rühmte: „Ich habe erst neulich einen Pastor nach Sonnenburg schicken müssen, weil er beanstandete, daß Glauben aus Blut geboren ist . . . Hier sind wir gewillt, ohne uns in konfessionelle Streitigkeiten einzumischen, die letzten Konsequenzen . . . zu ziehen." U n d er schwieg, als die Mordserie vom 30. Juni 1934 mit der Fortsetzung in den ersten Julitagen über die Bühne eines durch und durdi verrotteten Systems ging und die Menschen sich fragten, zu welchen Gewaltausbrüchen der Mann an der Spitze denn nun noch fähig sein würde. Um der Mordaktion des politischen Vorbildes noch eine aus Kirchenheuchelei gestartete Schamlosigkeit hinzuzufügen, erklärt der sattsam bekannte „Rechtswalter" der Kirche, August Jäger, den um den Reichsbischof in Erfurt Anfang Juli Versammelten: „Die nach Erfurt eingeladenen Herren" (es handelte sich da um Bischöfe und Professoren der Theologie), „die der Einladung nidit Folge geleistet haben, sollten sich fragen, ob sie nicht mitschuldig sind an den Ereignissen, die in der jüngsten Zeit unser Volk erschütterten." Wie der Herre, so's Gesdierre. Zwar stehen dem „Reibi" keine Mordpistolen zur Verfügung, aber er erreicht seine Zwecke auch mit anderen Mitteln. Unter dem 7. Juli 1934 erläßt er ein Kirchengesetz „über die Bestellung der Mitglieder der Nationalsynode." Schon die Überschrift war eine Lüge. Die Mitglieder der Synode hatten noch eine fünfjährige Amtsdauer vor sich; aber sie sahen sich nunmehr durch folgendes Damoklesschwert bedroht (§ 3 des „Gesetzes"): „Die Mitgliedschaft in der Nationalsynode erlischt, a) wenn das Geistliche Ministerium dem Mitglied das Anerkenntnis unverletzter Ehrenhaftigkeit oder eines kirchlicher Gesinnung oder der Würde eines Mitgliedes der Nationalsynode entsprechenden Verhaltens versagt." Absatz 2: „Ist ein Mitglied mit Rücksicht auf die Ausübung einer hervorragenden kirchlichen Tätigkeit in die Nationalsynode entsandt oder berufen worden und endet diese Tätigkeit während der Dauer der Mitgliedschaft, so kann das Geistliche Ministerium das Mitglied aus der Nationalsynode verabschieden." Der erste Absatz galt denen, die sich irgendwie mißliebgi gemacht hatten oder noch machen würden; der zweite Absatz erledigte alle, die infolge der fortgesetzten „Eingliederungs"-Aktionen in die Reichskirche in ihren bis103

herigen landeskirchlichen Stellungen überfällig wurden. Reichsgerichtsrat Flor, ein unerschrockener Streiter im Kirchenkampf, bemerkte in einem Rechtsgutachten sehr richtig, die Überschrift sollte eigentlich lauten: „Gesetz betr. die Entfernung unbequemer Abgeordneter aus der Nationalsynode." Die allgemeine Empörung über diese fortlaufende Folge von Rechtsbrüchen, Herausforderungen und Schamlosigkeiten war so groß, daß Müller zu der Erkenntnis kam, es müsse doch wohl etwas geschehen. Da die Brutalität seiner selbst und seiner Clique nicht mehr zu übersteigern war, blieb nur der andere Weg übrig: eine erneute Anstrahlung seines kümmerlichen Planeten durch die große Sonne. Es wurde daher ein ostentativer Empfang bei Hitler arrangiert, der am 18. Juli stattfinden sollte. Bereits fünf Tage vorher berichtete der „Völkische Beobachter": „Anläßlich der Eingliederung der ersten süddeutschen Landeskirche in die evangelische Reichskirche wird der Reichskanzler Adolf Hitler den Reichsbischof Ludwig Müller und den Rechtswalter der evangelischen Kirche, August Jäger, empfangen. Der Reichskanzler verfolgt mit Interesse das stetige Vorwärtsschreiten des großen evangelischen Einigungswerkes und der damit verbundenen Befriedung des kirchlichen Lebens . . . " Anlaß zu diesem Empfang war Baden. Auch hier war die „Eingliederung" ein reiner Gewaltakt: man hatte einfach die Synode widerrechtlich aufgelöst, nachdem man erkannt hatte, daß in ihr eine verfassungsmäßige Mehrheit für die Eingliederung nicht zu erreichen wäre. Auf Unkenntnis dieser Zusammenhänge konnte sich Hitler nicht berufen; denn Niemöller hatte ihn auf Grund der Meldung über den bevorstehenden Empfang noch durch Schreiben vom 15. 7. genau aufgeklärt, ebenso Meiser am 14. 7., der dabei noch darauf hinwies, daß ein Gerichtsurteil nach dem anderen ergeht, das die Reichskirchenregierung ins Unrecht setzt, und mitteilte, daß bisher zehn solcher Urteile erster Instanz vorliegen. In diese mit Sprengstoff aller Art geladene Atmosphäre platzte ein Erlaß des Reichsministers des Innern vom 9. Juli, durch den bis auf weiteres „alle den evangelischen Kirchenstreit betreffenden Auseinandersetzungen in öffentlichen Versammlungen, in der Presse, in Flugblättern und Flugschriften" verboten wurden. In der Begründung wurde gesagt, daß „der von der Reichsregierung und dem deutschen Volk im evangelischen Kirchenstreit herbeigewünschte Friede noch immer in der Ferne liege." Ich erfuhr von dieser Ungeheuerlichkeit erst durch die Presse. Obwohl ich aus der Bearbeitung der evangelischen Angelegenheiten vollkommen herausgedrängt worden war, ging ich doch zu Buttmann, um ihm das Unmögliche dieses Verfahrens vorzustellen. Er war sehr deprimiert und klagte, daß sein Einfluß bei Frick im Schwinden sei und er daher diesen Maulkorberlaß nicht habe verhindern können. 104

Die Auswirkung des Erlasses war katastrophal. Er wurde dazu benutzt, um bei führenden Persönlichkeiten der Bekenntnisfront nicht nur Kampfschriften, sondern das gesamte Aktenmaterial zu beschlagnahmen — offenbar zu dem Zwecke, um auf diese Weise das Adressenmaterial in die Hand zu bekommen, aus dem der Kreis der an dem gesamten oppositionellen Zusammenhang Beteiligten erkennbar wurde. Das Tollste bei dieser Aktion war, daß man auch Druckschriften und Bücher — selbst theologischen Inhalts — beschlagnahmte, die bereits seit Monaten vor dem Erlaß im Buchhandel vertrieben wurden. Schon in wenigen Tagen wurde klar, daß die Exponenten des Nationalsozialismus endlich die Handhabe erhalten zu haben glaubten, um die gesamte Opposition mundtot zu machen. Im Gegensatz zu der rigorosen Abschnürung aller oppositionellen Äußerungen konnten Müller und seine Leute völlig ungehindert weiter hetzen. Jene Rede Jägers in Erfurt, in der er die von Erfurt Ferngebliebenen der Mitschuld an den Mordorgien des 30. Juni verdächtigte, konnte bereits am 15. Juli in dem deutschchristlichen Organ „Evangelium im Dritten Reich" veröffentlicht werden — noch dazu mit dem Vermerk, daß dieser Bericht „amtlich genehmigt" sei. So sank denn Schweigen über das bekenntnistreue evangelische Deutschland. Aber mit der Stille wuchs die Erkenntnis, daß nunmehr zu schärferen Waffen gegriffen werden müsse, als sie bisher im Kampfe gegen ein verbrecherisches, in jeder Beziehung unfähiges Kirchenregime zur Anwendung gebracht worden waren.

Achtes

Kapitel

Letzte Versuche (Katholische Kirche) Römische Verhandlungen im Februar 1934 Die Weihnachtsfreuden und Weihnachtssorgen (Papstansprache) des bedeutungsschweren Jahres 1933 waren kaum abgeklungen, als bereits sichtbar wurde, daß in all' den Schwierigkeiten, um deren Beseitigung die wohlmeinenden Kräfte auf beiden Seiten so ehrlich und so ritterlich gerungen hatten, man sich jedenfalls vom Ablauf der Zeit keine heilende Wirkung würde versprechen können. In Bayern wurde die Veröffentlichung der Adventspredigten des Kardinals von Faulhaber, des Münchener Erzbischofs, von Regierungsseite unterbunden. Zu den Sorgengebieten in Süddeutschland (Bayern, Württemberg) traten neue hinzu: Rheinland und Westfalen, wo die Oberpräsidenten in Geheimerlassen, die selbst vor dem Reichsinnenministerium verborgen gehalten wurden, alle katholischen Verbände, die 105

sich in der Vergangenheit irgendwie politisch betätigt hatten, grundsätzlich der Schutzlosigkeit preisgaben. Der Totalitätsanspruch der Hitlerjugend wurde von Woche zu Woche sinnfälliger. Der bayerische Kultusminister Schemm sekundierte in der Art, daß er in öffentlicher Rede erklärte, „es widerspreche dem Totalitätsgedanken des Nationalsozialismus, Jugend nach konfessionellen oder sonstigen kleinlichen Gesichtspunkten zusammenzufassen. Der Führer selbst habe ihm wenige Stunden vorher gesagt, es dürfe in Deutschland nur e i n e Jugendorganisation, die Hitlerjugend, geben. Die Auflösung sämtlicher anderer Jugendorganisationen, auch der konfessionellen, erfolge sowohl in Preußen als auch in Bayern in kürzester Zeit." In keinem der zahllosen Fälle, die natürlich dem Vatikan schnellstens berichtet wurden, erfolgte eine Rüge oder auch nur Richtigstellung von oben, und diese oberste Stelle konnte allein Hitler selbst sein. Man war sich bereits im Dezember darüber einig geworden, daß weitere Verhandlungen zwischen dem Kardinalstaatssekretär und Buttmann in Bälde stattfinden müßten. Nun wurde der Februar dafür in Aussicht genommen. Die beiderseitigen Vorbereitungen durch Notenwechsel waren zum mindesten in der Form auf hohem Niveau gehalten. Deutscherseits wurde ein Memorandum vom 15. 1. 34 überreicht; der Hl. Stuhl erwiderte sehr ausführlich (45 Seiten) mit einem Promemoria vom 31. 1., worauf nun wiederum von Berlin mit einer Aufzeichnung geantwortet wurde. Sie ergänzte das Plaidoyer des Memorandums vom 15. 1., wies allerdings unschwer erkennbare Lücken auf. Das verfügbare Pulver war ja längst verschossen. Am 6., 8., 11. und 13. Februar 1934 fanden die neuen Verhandlungen im Vatikan statt. Sie waren gekennzeichnet durch das Vorbringen des gegenseitigen Klagematerials und durch die Tatsache, daß man sich über die im Grunde genommen völlige Ergebnislosigkeit durch vollendete Höflichkeit hinweghalf, die wohl in der wechelseitigen Hochschätzung der beiden Verhandlungsführer ihren Grund hatte. Wesentlich Neues trat nicht zutage. Der Kardinalstaatssekretär sprach von der Möglichkeit, daß der Papst ein Weißbuch herausgeben müßte, um der Weltöffentlichkeit ein Bild von der kirchlichen Lage in Deutschland zu geben. Buttmann warnte mit dem Hinweis, daß dann eine dokumentarische Beweisführung für die Sünden des alten Zentrums von deutscher Seite folgen werde. Das Gespräch kam dann auf die erst kurze Zeit zurückliegenden Kanzelabkündigungen gegen das Sterilisationsgesetz. Pacelli betonte den kirchlichen Standpunkt, bei dem kein Nachgeben möglich sei; der deutsche Unterhändler erhob keine Einwendungen gegen den Gebrauch der Kanzel, es dürfe aber kein mehr oder weniger offener Angriff gegen den Staat dabei erkennbar werden. Die alten Themen kamen zum großen 106

Teil wiederum zur Sprache. Buttmann betonte von neuem, eine „große Flurbereinigung" auf dem Gebiete des katholischen Vereinswesens sei nötig, damit man zu einem wirksamen Schutze des eigentlich kirchlich wertvollen Bestandes gelangen könnte. Er fragte, warum eigentlich an den katholischen Jugendverbänden ein besonders starkes Interesse bekundet werde. Die nicht in diesen Vereinen korporierte Jugend würde doch den Hl. Stuhl bestimmt ebenso stark interessieren. So tastete man den beiderseitigen Klagenbestand teils bedauernd, teils berichtigend ab. Interessant war immerhin die von beiden Seiten getroffene Feststellung, man sei bei Abschluß des Konkordats zu schnell vorgegangen. Von deutscher Seite sei sehr stark gedrängt worden. Der Papst habe sich wiederholt gegen jede Hetze ausgesprochen. Andererseits hätten auch deutsche kirchliche Kreise zur Beschleunigung geraten — in der Annahme, durch den Vertragsabschluß würde die kirchliche Lage in Deutschland besser werden. Man sprach von Rosenberg, von seinem „Mythos des 20. Jahrhunderts", von der Tatsache, daß das Buch soeben auf den „Index" gesetzt worden war (Buttmann: warum eigentlich nicht schon vor 4 Jahren, als das Buch erschienen war?), von der Gefahr einer neuen Staatsreligion in Deutschland, die der deutsche Gesprächspartner entschieden in Abrede stellte. Schließlich stellte sich der Kardinalstaatssekretär nochmals mit aller Entschiedenheit vor die katholischen Jugendorganisationen, die man — und das sei auch die bestimmte Meinung des Papstes — keinesfalls einer von Rosenberg beeinflußten Hitlerjugend ausliefern könne. Dann wurden die Besprechungen vertagt und dabei der Wunsch nach baldiger Fortsetzung ausgesprochen. Über den Februar-Verhandlungen lag ein gewisser lähmender Druck, der offenbar von Hemmungen ausging, die niemand aussprechen wollte. Buttmann hatte nunmehr die Gewißheit, daß seine Position bei Hitler stark geschwächt war. Er hatte aus taktischen Gründen manches verteidigen müssen, was er innerlich keinesfalls billigte. Sein Autoritätsglaube gegenüber Hitler war ins Wanken geraten — angesichts der Tatsache, daß die Zügellosigkeit der Parteigrößen aller Grade allmählich solche Formen angenommen hatte, daß ein anständiger Mensch das Wort „Führerprinzip" eigentlich kaum noch in den Mund nehmen konnte. Der Kardinalstaatssekretär andererseits war durch mancherlei offenkundige Entgleisungen katholischer Geistlicher, die ihm von deutscher Seite unterbreitet wurden, peinlich berührt. In der Frage einer gewissen Vereinheitlichung und organisatorischen Vereinfachung des katholischen Vereinswesens in Deutschland war er wohl nicht grundsätzlich ablehnend; das bewies eine Aussprache, die der päpstliche Nuntius in Berlin, Msgr. Orsenigo, mit Buttmann gehabt hatte. Aber er wird, ohne es auszusprechen, das Empfinden gehabt haben, daß der Hl. Stuhl so etwas unmöglich unter Druck tun könne, daß dazu Zeit nötig wäre, daß aber schließlich das unablässige Drauflosschlagen, das von nationalsozialisti107

scher Seite mit einer Steigerung bis zu offener Gewalttätigkeit gegenüber dem gesamten katholischen Vereinswesen praktiziert wurde, einer natürlichen, von oben mit vorsichtiger Hand gesteuerten Entwicklung alles andere als förderlich war. Buttmann war am 15. 2. wieder in Berlin. Er suchte sofort eine Aussprache mit Herrn von Papen und teilte ihm seinen Eindruck mit, daß der heikelste Punkt in dem ganzen Vereinskomplex die Frage der Jugendverbände sei, weil hier das persönliche Interesse des Papstes am deutlichsten engagiert war. Papen hatte daraufhin eine persönliche Aussprache mit Baidur v. Schirach, dem Führer der Hitlerjugend, deren Ergebnis Schirach in einem Briefe vom 20. 2. seinem Gesprächspartner folgendermaßen bestätigte: „1. Die Hitler-Jugend als solche (!) steht wie die gesamte NSDAP auf dem Boden des positiven Christentums (!). Die religiöse Erziehung durch die beiden Konfessionen wird von der Hitler-Jugend ausdrücklich anerkannt. 2. Die Führung der Hitler-Jugend ist bereit, der katholischen Jugend alle Möglichkeiten einer seelsorgerischen Betreuung durch die Kirche zu gewährleisten. Gleichzeitig wird sie verhindern, daß religiöse Lehren im Rahmen politischer Auseinandersetzungen behandelt werden. Sie wird es daher auch nicht dulden, daß aus der Hitler-Jugend heraus Angriffe auf den katholischen Glauben sowie die Kirche erfolgen. Auch wird sie alle Angriffe gegen die Träger der Kirche unterlassen, sofern diese Träger nicht ihrerseits die Hitler-Jugend direkt herausgefordert haben. 3. . . . 4. . . . 5. Bei einer Eingliederung der Mitglieder der katholischen Jugendorganisationen in die Hitler-Jugend und der dadurch bedingten Beschränkung der konfessionellen Organisation auf das rein religiöse Gebiet ist die Führung der Hitlerjugend bereit, ihre Mitglieder zur Förderung einer solchen rein religiösen Vereinstätigkeit anzuhalten." Das klang fast verheißungsvoll, war übrigens im vollen Umfang und im Wortlaut von Hitler persönlich „gebilligt" worden. N u r leider findet sich am Schluß des Briefes eine bedenkliche Wendung: „Ich darf Sie bitten, von einer Veröffentlichung dieser „grundsätzlichen Voraussetzungen" vorläufig abzusehen. Der Zeitpunkt wäre nach einer neuerlichen Rücksprache zu bestimmen . . . " Das bedeutete für jeden Kenner: was hier geschrieben steht, ist für den taktischen Gebrauch bestimmt — für die Praxis bleiben alle Hände frei. 108

Schon nach wenigen Wochen kam die Klärung durch eine Rede, die derselbe Schirach in Essen hielt: „. . . Die Revolution ist auf politischem Gebiet zu einem gewissen Abschluß gelangt, aber auf geistig-seelischem Gebiet wird sie fortgesetzt . . . Unser Anspruch auf die Führung der Jugend ist ein Anspruch, den wir uns selbst erkämpft haben, und wir sind unerbittlich bereit, . . . die gesamte junge Generation Deutschlands nach dem Bild der HitlerJugend zu formen und zu gestalten . . . Wir machen nicht halt vor der Gruppe der katholischen Jugendorganisationen. Wir erklären feierlichst, daß konfessionelle Gruppen kein Sonderrecht besitzen . . . " Es bleibt noch zu erwähnen, daß die gesamte Jugend, insbesondere die Schuljugend, einschließlich der nicht nationalsozialistisch organisierten katholischen Jugend zur Anhörung dieser Rede, außerhalb Essens durch Zusammentreffen am Rundfunk der Schulen befohlen worden war. Weit aufschlußreicher war, was sich im Januar und Februar 1934 auf der Freusburg im Siegerland im Rahmen eines dort abgehaltenen Schulungskursus für zukünftige Erzieher zugetragen hatte. Unter strengster, durch Unterschrift anzuerkennender Schweigepflicht für die Teilnehmer wurde ganz offen der Kampf gegen die Kirche und der Abfall vom Christentum als Grundrichtung der neuen Erziehung des Staates proklamiert. Letzte Somreise Nun wurde ein letzter Versuch gemacht, den von Hitler gewünschten Schein zu wahren. Am 9., 12. und 19. April 1934 wurde erneut zwischen den beiden bisherigen Gesprächspartnern verhandelt. Die darüber von Buttmann gemachten, natürlich auch zur Vorlage bei Hitler bestimmten Aufzeichnungen lassen — trotz gelegentlicher forscher Wendungen — erkennen, daß es sich bei diesen Besprechungen, die die letzten dieser Art sein sollten, um eine Art „Abgesang" handelte. Der deutsche Vertreter war hier wie stets in einer peinlichen Lage. Er hatte eine Staatsgewalt zu vertreten, die seine Gutgläubigkeit und seinen persönlichen Kredit skrupellos mißbrauchte. Er mußte sich an ein paar Äußerlichkeiten klammern, um seine Position wenigstens stimmungsmäßig und verhandlungstechnisch zu halten. So mußte eine kurz vorher an eine katholische Jungmannenschar gerichtete Papstrede, in der der längst bekannte katholische Standpunkt der Identität von christlich und katholisch mit besonderer Spitze gegen das Neuheidentum der „letzten Zeit" zum Ausdruck gebracht worden war, zu einer Klage über „Vergiftung der Verhandlungsatmosphäre von vornherein" herhalten. Dem Hinweis auf die erzwungene Einförmigkeit der deutschen Presse wurde von Buttmann entgegengehalten, Hitler habe erst in der vorigen Woche einem amerikani109

sehen Schriftleiter gegenüber geäußert, er wünsche, daß eine sachliche und förderliche Kritik in den deutschen Zeitungen geübt werden. Goebbels habe erst vor einigen Wochen sein Bedauern darüber ausgesprochen, „daß die deutsche Presse von einem Extrem ins andere gefallen sei: erst sei sie ganz destruktiv gewesen, und nun sei sie übermäßig servil." Der deutsche Vermerk über die Unterredung verzeichnet nichts über irgendwelches Eingehen des Kardinalstaatssekretärs auf diese als ermutigend gedachten Anzeichen. Er dürfte sich sein Teil über diese bereits hinreichend bekannte Verlogenheit gedacht haben; vielleicht auch Buttmann. Man versuchte dann, über einen von der Kurie vorgelegten Plan zur Ausführung des heiß umstrittenen Artikels 31 (Vereinsschutz) des Konkordats einig zu werden. Obwohl der Kardinalstaatssekretär das Entgegenkommen des Vatikans betonte und hinzufügte, auch die jetzt vorgeschlagenen Fassungen seien ja noch nicht endgültig, kam es zu keiner Einigung, da Buttmann — zweifellos auf Grund genereller, auch in Einzelheiten zur Unnachgiebigkeit zwingender Instruktionen — in keinem nur irgendwie wesentlichen Punkte Entgegenkommen zeigte. Pacelli lehnte es ab, insbesondere die Jungendbünde zu „reinen Gebetsvereinen" werden zu lassen, ohne auf jugendliche Mentalitäten wie eine gewisse Gleichtracht u. ä. die geringste Rücksicht zu nehmen. So trennte man sich am 19. 4. ohne jede auch nur leidlich klare Perspektive für die Zukunft. Abschließende Bemühungen des Reichsinnenministeriums Buttmann kam noch niedergeschlagener als früher zurück. Ich versuchte, ihm klarzumachen, daß meines Erachtens der Faden nach Rom zerrissen sei, und legte unter dem 19. 5. 34 einen Vermerk für Buttmann und Frick nieder, in dem ich meine Beurteilung der Lage mit schonungsloser Deutlichkeit zum Ausdruck brachte. Diese Aufzeichnung ist mir jetzt aus den Buttmann'schen Handakten wieder zu Gesicht gekommen. Sie gibt m. E. ein so scharf umrissenes Bild der damaligen Lage, daß ich sie im Wortlaut mitteilen möchte. „Zur gegenwärtigen kirchenpolitischen Lage auf katholischem Gebiet habe ich pflichtgemäß folgendes zu sagen: I. Ich betrachte die bisherige amtliche und vor allem die parteiliche Politik gegenüber der katholischen Kirche schon jetzt als g e scheitert. 1. Nach dem 30. Januar 1933 und vor allem nach dem Abschluß des Reichskonkordats war eine weitgehende innere Loslösung des deutschen 110

Katholizismus von der daran, daß gerade die domänen den Clou der am 12. November 1933

Zentrumsmentalität festzustellen. Ich erinnere Wahlergebnisse in den eigentlichen Zentrums"Wahlen am 5. März 1933 bildeten, ja selbst alle Erwartungen übertrafen.

2. Seit dem Jahreswechsel schlägt die Entwicklung genau in ihr Gegenteil um. An die Stelle der Zentrumsmachthaber parteimäßiger Prägung ist die katholische Geistlichkeit aller Grade getreten — völlig in sich geschlossen, mit souveräner Beherrschung des psychologischen Apparates ausgerüstet, durch den besten Organismus aller Zeiten international eingegliedert, durch Vertrag und Tradition weit über durchschnittliches Menschenansehen hinausgehoben. Diese gewaltige Macht hat — dies ist meine innerste Überzeugung — den Kampf gegen den Nationalsozialismus auf der ganzen Linie aufgenommen. a) Dieser Kampf m u ß t e entbrennen angesichts der Überspannung des nationalsozialistischen Totalitätsanspruchs, der auf der ganzen Welt keinen natürlicheren (und mächtigeren) Gegner finden konnte als den Katholizismus. b) Er wurde verschärft durch eine schier unübersehbare Kette von taktischen und sachlichen Ungeschicklichkeiten von staatlicher und parteilicher Seite (Invektiven persönlich-gehässiger Art gegen kirchliche Amtsträger, gegen katholische Ideologie, gegen kirchliche Einrichtungen und das kirchliche Vereinswesen). c) Ein ganz besonders bedenkliches Kapitel in diesem Zusammenhang bildet das Verhältnis der katholischen Jugendorganisationen zur H.-J. Die Tonart, die von reichlich jugendlichen Persönlichkeiten der H.-J. gegenüber katholischen Würdenträgern mit Weltgeltung beliebt wird, verschärft die Situation ganz außerordentlich, ohne die Chancen der H.-J. im geringsten zu erhöhen. Zeitschriften wie „Fanfare" und ähnliches atmen den Geist der Kirchenfeindschaft und einer jugendlichen Überheblichkeit, wie sie nicht nur mit katholisch-kirchlichem Autoritätsgefühl, sondern, wie man hinzusetzen darf, auch mit jener Erziehungsstrenge unvereinbar sind, in der die Helden der fridericianischen, der Freiheitskriege, der Schlachten von 1864, 66, 70/71 und des Weltkrieges aufgewachsen sind. II. Die Katholische Kirche hat nach meinem Gefühl — und ich glaube nicht, daß ich mich hier täusche — das Vertrauen zum Staat als Mitkämpfer gegen die Gottlosigkeit verloren und verläßt sich nunmehr einzig auf ihre eigene Kraft, die sie in zahlreichen Positionen auszubauen sucht, dafür natürlich auch auf wesentlich vermehrte Reibungsflächen stößt. 111

1. Sie wertet die Betrauung des Herrn Rosenberg mit der „weltanschaulichen Schulung" der Partei — damit also auch des Volkes — als S y m p t o m . Für sie ist R. nicht ein Herr X., sondern der Verfasser des „Mythos", von dem niemand erwartet, daß er aus seiner Haut herauskönne. 2. Die Katholische Kirche beobachtet scharf das Emporkommen der „Deutschen Glaubensbewegung" unter Hauer, die in ältesten Pg.'s wie Rosenberg, Graf Reventlow u. a. mächtige Förderer hat. Tatsache ist, daß in dieser „Glaubensbewegung" das alte marxistische Freidenkertum ziemlich vollzählig Unterschlupf gefunden hat, das in seinen zahllosen Exponenten im Lande n o c h n i e m a l s so scharfe Sprecher gegen das Kirchenchristentum gefunden hat wie jetzt. 3. Die Kirche sieht einen natürlichen Schutzwall gegen dies sog. „Neuheidentum" in den katholischen Vereinen a l l e r Art, die sie um deswillen mit unerhörter Zähigkeit verteidigen wird, weil sie in der Beherrschung dieses Vereinsapparates einen überaus wertvollen Ersatz für den Wegfall ihrer einstigen Machtstellung durch die katholische Presse erblickt. Was die katholischen Jugendverbände betrifft, so zweifle ich, ob die Kirche sich jetzt noch mit den „Balilla-Kaplänen" begnügen würde. Der Vergleich mit Italien hinkt. Dort herrscht e i n Glaube, und der Staat t r e i b t das Volk in die Kirche, deren gesamten Bereich er unangetastet läßt, h i n e i n . Daß der Papst selbst hierbei die ganze Autorität seiner Person zu engagieren gewillt ist, zeigen seine vielfachen Äußerungen. Der Erfolg dieser Bemühungen im Lande ist offenbar. Wir haben aus dem Südwesten Meldungen von staatlicher Seite, wonach die katholischen Jugendverbände schon jetzt das 6fache der H . - J . umfassen. Wir hören aus dem preußischen Westen, daß es nur einiger Ermahnungen von der Kanzel bedarf, um 30—60 Übertritte von der H . - J . zur K. J . mit einem Schlage zu bewirken. Das überaus scharfe Auftreten der H . - J . der K . J . gegenüber erreicht gar nichts, ganz im Gegenteil: Die jedem westl. Katholiken eingeimpfte Erinnerung an die Kulturkampfzeit lebt in der praktischen Erfahrung der Jugend wieder auf. Die Berichte der preuß. Oberpräsidenten in der von Herrn Reichsminister Dr. Frick geleiteten Sitzung im Preuß. Min. d. Innern am 14. Mai 1934, wo von einem unaufhaltsamen Vormarsch des „Katholizismus" seit dem Jahreswechsel gesprochen wurde, lassen darauf schließen, daß dies Vorrücken aufs Ganze gerichtet ist und aus einer gemeinsamen Mentalität stärkste Impulse erhält. 4. Zu den Anzeichen dieses Vormarsches gehört auch die Auflagenziffer der katholischen Provinzpresse im Westen. Vor ca. 5 Wochen bekam ich einen preuß. Polizeibericht zu Gesicht, in dem das Anwachsen 112

TAFEL

Kardinal Schulte Erzbischof von Köln

15

TAFEL

16

Ministerialdirektor Dr. Klausener Leiter der Katholischen Aktion

dieser katholischen Provinzpresse auf Kosten der nationalsozialistischen Parteipresse eindeutig belegt war. Übrigens hat sich die Auflage z. B. des Kirchenblatts des Bistums Berlin in den letzten Wochen von 52 000 auf 60 000 erhöht. III. Das Prinzip der A l t e r n a t i v e , das vielfach von Parteiseite her in die Auseinandersetzungen mit dem Katholizismus hineingedrückt worden ist, hat in jüngster Zeit ein m. E. besonders bedenkliches Beispiel in der Anordnung des Führers der Deutschen Arbeitsfront erlebt, wonach niemand gleichzeitig Mitglied einer katholischen Arbeitervereinigung und der D. A. F. sein darf. Ein solcher Schachzug hätte im vorigen Sommer und Herbst noch Zugkraft besessen; bei dem täglich wachsenden Einfluß der Kirchen auf die Massen halte ich seine Wirkung in der Gegenwart nicht mehr für gesichert. IV. Auf die Entwicklung im katholischen Bereich hat zweifellos die Entwicklung im evangelischen Lager Einfluß geübt. Das Sündenregister der „Deutschen Christen" hat die katholische Widerstandskraft innerlich enorm gestärkt. Die sog. „Notbund"-Pfarrer, die nach ihrer ganzen inneren Einstellung die schärfsten Gegner des Katholizismus sein müßten, haben eine so wesentliche Annäherung an die Katholische Kirche auf strategischem Gebiete vollzogen, daß die Gefahr einer ebenso weitreichenden Entfremdung gegenüber dem heutigen Staate heraufbeschworen wird. Übrigens möchte ich ein in der Präsidentenbesprechung vom 14. Mai vorgetragenes Beispiel festhalten: in einer Stadt im Westen findet eine Mitgliederversammlung der N S D A P statt; es erscheinen 42 Teilnehmer, eine gleichzeitig abgehaltene Versammlung eines Notbundpfarrers war überfüllt. V. Die Politik des R . M . d. I. war von Anfang an — genau so wie es gegenüber der Ev. Kirche geschah — auf peinliche Beachtung der natürlichen Grenzen zwischen Staat und Kirche eingestellt. Nur dort, wo es notwendig war, wie in der Sterilisationsfrage, wurde der kirchl.-dogmatische Standpunkt nachdrücklichst bekämpft. W i r haben uns bemüht, durch eine möglichst loyale Handhabung des Reichskonkordats Boden im katholischen Volksteil zu gewinnen und das Gewonnene zu befestigen. Die Außenstellen der Länder, z. T . auch Landesregierungen, und Exponenten der Partei haben diese Politik durchkreuzt. Die Entwicklung, die sich jetzt in festen Bahnen vorwärts zu bewegen scheint, hat jenen Stellen nicht recht gegeben." 9

Conrad,

Der

Kampf

um

die

Kanzeln

113

Wenige Tage nach Überreichung dieser Kennzeichnung der Lage kam ein Bericht des deutschen Botschafters beim Vatikan mit einem Promemoria des Kardinalstaatssekretärs nach Berlin, in dem eine gegenüber früher gänzlich veränderte Sprache geführt wurde. Während in den bisherigen Noten des päpstlichen Staatssekretariats die Reichsregierung noch immer Schonung fand, wurde nunmehr das bis dahin bekundete Vertrauen aufgekündigt und diese neue H a l t u n g des Vatikans mit massivem Material begründet. Ich hatte diesen Vorstoß gegen den ganzen bisherigen Schwindel längst erwartet u n d w a r keineswegs bereit, die kaum noch verhüllte Erschrockenheit der maßgebenden Leute in Berlin zu teilen. Zunächst wurde römischerseits festgestellt, daß „die mehrmals erfolgten Unterbrechungen der Verhandlungen und die Einschiebung unverhältnismäßig langer Zwischenpausen" den Friedensversicherungen der Reichsregierung „einen wesentlichen Teil ihres praktischen Wertes nehmen . . . Auch gelegentlich der letzten römischen April-Verhandlungen ist mangels ausreichender Vollmachten . . . eine fruchtbare Ausnutzung der Aufenthaltszeit des H e r r n Reichsbevollmächtigten verhindert worden". Es wird dann an den Reichsaußenminister appelliert. Das läßt erkennen, daß die Autorität Buttmanns als Gesprächspartner erschüttert war. „Ein autoritäres Regime, das sich mit Bewußtsein von den behaupteten Mängeln und Unzuglänglichkeiten eines von Massenstimmungen abhängigeren Regimes abwendet und im Führergedanken die Grundvoraussetzung staatlicher Aufbauarbeit sieht, kann weniger als andere H e r r schaftsformen seine Aufgabe darin erblicken, vor solchen Stimmungen zu kapitulieren oder durch Toleranz sie indirekt zu begünstigen." Das war eine deutliche Abfuhr für die immer wieder angewandte Heuchelei „man möchte schon, aber man könnte nicht wegen der Volksstimmung". „Der katholische Volksteil . . . hat den Anspruch, nicht unter . . . Ausnahmemißtrauen gestellt zu bleiben. Er hat dieses Recht mindestens in demselben Maße wie die ungezählten früheren Anhänger marxistischer Richtungen, die heute in den Reihen der herrschenden politischen Partei und damit des Staates nicht nur normale Zulassung, sondern an vielen Stellen sogar Funktionen gefunden haben, die Katholiken anderer Richtungen verweigert werden." W a r u m bezweifelt, ja verneint man den Gesinnungswechsel früherer Zentrumsanhänger, während man bei den in die N S D A P eingeströmten früheren Marxisten und Kommunisten diesen Gesinnungswechsel ohne weiteres als gegeben ansieht? — so fragt das Promemoria weiter. „Mehr als einmal sind die heute zwischen ihnen und dem Klerus entstehenden Reibungen nichts anderes als die Austragung von Gegensätz114

lidikeiten, die sich in und während ihrer früheren Tätigkeit als kommunistische Funktionäre entwickelt hatten." Es folgt dann eine ausführliche Besprechung der bereits erwähnten skandalösen Vorgänge in dem Schulungslager Freusburg, eine Mitteilung erschreckend vieler Äußerungen dort maßgebender Menschen, in denen letzte Spuren der Verstellung ausgelöscht waren. Man muß heutzutage derart Authentisches zu Gesicht bekommen, um sich zu überzeugen, daß ein solches Ausmaß von Blödsinn tatsächlich möglich war u n d — wie das bei Erzeugnissen geistiger Beschränktheit häufig der Fall ist — fanatisierend auf Menschen wirkte, deren geistiger Horizont dem Aktionsradius von Knallfröschen gleicht. „Die Deutsche Reichsregierung wird Verständnis d a f ü r haben, daß der H l . Stuhl aus solchen Vorfällen unerhörter Gewissensknechtung durch staatlich Beauftragte seine eigenen Folgerungen zieht." Damit war deutlich ausgesprochen, daß man nunmehr entschlossen war, mit unerbittlicher Logik Schlüsse von unten nach oben zu ziehen. Fast auf jeder Seite begegnen mehr oder weniger deutliche Anspielungen dieses Inhalts. „Die Reizbarkeit der sich der Deckung von oben bewußten Staatsjugend ist augenscheinlich ins Anormale gewachsen, wenn die bloße Tatsache des Nichtsterbenwollens der katholischen Verbände und ein gelegentliches lokales Wachstum ihr als Provokation genügt." So geht es auf 71 Seiten dieses Promemoria mit schlagender Logik u n d unerbittlichen Hieben gegen eine verlogene Regierungspolitik weiter — das Ganze eine Kanonade erschöpfter Geduld, die kein Zurück mehr zuließ. Die Wirkung dieser eindeutigen Sprache in Berlin blieb nicht aus. Man verzichtete auf eine Beantwortung des vatikanischen Promemoria, die ja niemals eine Widerlegung hätte werden können, und beschloß, den Versuch eines Arrangements mit den deutschen Bischöfen zu machen, das vielleicht die Zustimmung des H l . Stuhles finden könnte. Zwischen Buttmann und mir bestand Einigkeit darüber, daß wir unser Äußerstes tun würden, um die lähmenden Widerstände auf staatlicher und parteilicher Seite zu überwinden. Wir luden daher — im Ganzen und Einzelnen mit Frick einig — die Herren Erzbischof D r . Groeber (Freiburg), Bischof Dr. Berning (Osnabrück) und Bischof Dr. Bares (Berlin) auf den 25. Juni 1934 in das Reichsministerium des Innern ein. U m die Hauptsündenböcke der Parteiseite dabei zu haben, wurden auch die Oberste SA-Führung in München, der Führer der Deutschen Arbeitsfront, Dr. Ley, der Jugendführer des Deutschen Reichs, v. Schirach, die NSDAP-Abteilung für den kulturellen Frieden — und der aus dem Dunkel aufgetauchte „Beauftragte des 9"

115

Führers f ü r Kirchenangelegenheiten", Hauptmann dazu gebeten.

a. D. von Pfeffer,

Die Repräsentanten der Parteiorganisationen versuchten zunächst, mit der in diesen Kreisen üblichen Taktik großspuriger Anmaßung Eindruck zu machen. Der Sprecher des Episkopats schaltete sich aber mit der Bemerkung ein, die Bischöfe seien hierhergekommen, um über das Reichskonkordat zu verhandeln. Dieser Vertrag sei mit dem Deutschen Reiche abgeschlossen worden, nicht mit der Partei. Wenn die Verhandlungsleitung es für wünschenswert halte, Vertreter der Partei zwecks Information und Klärung hinzuzuziehen, so sei das ihre Sache. Die Bischöfe jedenfalls gedächten, sich nur mit den Repräsentanten der Reichsregierung auseinanderzusetzen. Dieser Dämpfer hatte eine wohltuend ernüchternde Wirkung. Schon am Nachmittage und Abend des ersten Verhandlungstages setzten wir uns mit den Parteigewaltigen zusammen und schössen, da wir ja sozusagen „unter uns" waren, mit schwerem Kaliber. Das vatikanische Promemoria vom 14. 5. 34 wurde seitenweise verlesen, und es gelang schließlich, gewisse Grenzen festzulegen, bis zu denen wir unsere Gesprächspartner dieser internen Sitzung noch würden mitschleppen können. Am 26. und 27. 6. wurde weiter verhandelt — bei schier unerträglicher Hitze, die die allerseits vorhandene Explosionsneigung noch zu verstärken schien. Am 28. 6. war nochmals eine interne Besprechung, bei der es wiederum heiß zuging, und am 29. 6. konnte ein Ubereinkommen erzielt werden, das wegen seiner historischen Bedeutung im Anhang (Anlage 1) wörtlich abgedruckt ist. Es kam den kirchlichen Wünschen — jedenfalls unter den damaligen Verhältnissen — ziemlich weit entgegen. Im engen Zusammenhang mit der Einigung auf dem heftig umkämpften Gebiet des Art. 31 (Vereinsschutz) standen Vereinbarungsentwürfe zwischen Parteistellen und Episkopat, die ebenfalls das damals äußerst Erreichbare darstellten und deren Wortlaut ebenfalls im Anhang (Anlage 2) wiedergegeben ist. Unmittelbar nach Inkraftsetzung des gesamten vereinbarten Entwurfsmaterials sollte von Hitler als Reichskanzler und Oberstem Parteiführer eine öffentliche Erklärung folgenden Inhalts abgegeben werden: „Nachdem durch eingehende Verhandlungen die mehrfach zutage getretenen Unstimmigkeiten zwischen Staat und Katholischer Kirche beseitigt sind, mache ich es sämtlichen Staats- und Parteistellen zur Pflicht, sich jeglicher herabsetzenden Äußerungen über kirchliche Glaubens- und Sittengesetze sowie über kirchliche Einrichtungen und Personen zu enthalten. Wo ein Eingreifen veranlaßt erscheint, ist dies ausschließlich Sache der zuständigen staatlichen Stellen. Jegliche Art der Selbsthilfe ist unzulässig und wird hiermit strengstens untersagt. Der nationalsozialistische Staat und die NSDAP lehnen jede Einmischung in Glaubensstreitigkeiten ab. Im besonderen haben sich sämt116

liehe Staats- und Parteistellen der Werbung für irgend eine Glaubensbewegung durchaus zu enthalten." Der Bischof von Osnabrück, Dr. Berning, fuhr am T a g e nach der Einigung nach Breslau, um über Kardinal Dr. Bertram die Zustimmung des Gesamtepiskopats herbeizuführen. Aber der Erzbischof schickte das Ganze nach Rom, damit der Papst darüber befände. Der Vatikan lehnte ab. Inzwischen war nämlich etwas geschehen, was damals im In- und Auslande das Blut in den Adern erstarren machte: die Mordaktion des 30. Juni und der ersten Julitage, der nicht nur oberste Parteigrößen, nicht nur ehemalige Generäle, sondern auch prominente Katholiken, unter ihnen der Vorsitzende der „Katholischen Aktion", Ministerialdirektor Dr. Klausener, zum Opfer fielen. Es war wohl hauptsächlich unter dem Eindruck dieser grauenhaften Demaskierung, daß der Papst und sein Staatssekretär, Kardinal Pacelli, es ablehnten, dem mühsam Erreichten ihre Zustimmung zu geben.

Neuntes

Kapitel

Immer toller! Evangelische Kirdie Die Sommerpause 1934 brachte eine bedauerliche Wendung im Reidisministerium des Innern. Buttmann war in Urlaub. Mein Kollege Schucht, nunmehr für die evangelische Kirche zuständig, setzte durch, daß die Veröffentlichung einer Ansprache von D. Engelke unter Bezugnahme auf den Maulkorb-Erlaß des Innenministeriums vom 9. 7. 34 beanstandet wurde. Die Kirchenleitung des Herrn Müller rief daraufhin die Partei zu Hilfe. Staatssekretär Pfundtner, der die Beanstandung unterzeichnet hatte, bekam nun kalte Füße und gab die verhängnisvolle Anweisung, „daß sich das Reichsministerium des Innern von jetzt ab aus dem Kirchenstreit noch mehr als bisher heraushält, daß vor allem Einzeleingaben, betreffend z. B. Strafversetzungen von Pfarrern, Vorgehen staatlicher Behörden gegen Geistliche, Einmischung von Angehörigen der N S D A P in den Kirchenstreit, von hier aus nicht mehr nachgegangen werden soll. Derartige Eingaben sind vielmehr an die jeweils zuständige Stelle (Reichsbischof, Gestapo, Abteilung für kulturellen Frieden) zur weiteren Veranlassung abzugeben." Müller hatte große Eile, seine "Nationalsynode" mit Hilfe seiner selbstgefertigten Reinigungsmittel zu „säubern" und dann auf den 9. August 1934 einzuberufen. Daß der T a g in die Trauerwoche des deutschen Volkes zum Gedenken an den kürzlich verstorbenen Reichspräsidenten von Hin117

denburg fiel, störte nicht im mindesten; er hatte in dem alten Herrn niemals einen Freund, geschweige denn Förderer gehabt. Erst am Tage vor dem Zusammentritt der „Synode" wurden die Vorlagen verteilt, die beraten und beschlossen werden sollten. Es waren völlig getreue Nachahmungen des staatlich-parteilichen Vorbildes, bei denen die Spekulation auf die immer noch nachwirkende Schreckpsychose nach der Mordaktion des 30. Juni und die Sucht, der Monopolstellung Hitlers nach Hindenburgs Tode möglichst nahezukommen, Pate gestanden hatten. Selbstverständlich wurde beschlossen, wie Müller und Genossen es wünschten. Ein „Gesetz über die Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche und der Landeskirchen" übertrug dem „Geistlichen Ministerium" die ausschließliche Gesetzgebungsbefugnis. Ein „Kirchengesetz über den Diensteid der Geistlichen und Beamten" kopierte das politische Modell: nach Hindenburgs Tode war im staatlichen Bereich mit nervöser Hast für alle im öffentlichen Dienst Tätigen die eidliche Verpflichtung, die bisher auf Verfassungstreue lautete, auf den „Führer" umgestellt worden. Nunmehr sollten auch alle Geistlichen und kirchlichen Beamten auf diesen Personenkult vereidigt werden. Und genau wie ein „Reichsgesetz", erlassen von den Schuldigen des 30. Juni, die damals begangenen Untaten als rechtmäßige Ausübung der Staatsgewalt deklarierte, so sollte nun auch ein „Kirchengesetz über die Rechtmäßigkeit von gesetzlichen und Verwaltungsmaßnahmen" die bisherigen Rechtsbrüche der Müller, Jäger und Genossen nachträglich legalisieren. Bei dem „Gesetz" über die Vereidigung der Geistlichen auf Hitler liegt es nahe, an Art. 16 des Reichskonkordats zu denken. Danach hat ein katholischer Bischof, bevor er von seiner Diözese Besitz ergreift, einen Treueid zu leisten. Allerdings wird die bischöfliche Treue „dem Deutschen Reich und dem Lande . . . " versprochen, im übrigen aber ist nur von der „Achtung" gegenüber der verfassungsmäßigen Regierung die Rede. Die Einschränkung der Schwurformel im Konkordat „so wie es einem Bischof geziemt" fand auch in der evangelischen Kopie eine Nachahmung: „so wie es einem Diener des Evangelismus in der Deutschen Evangelischen Kirche geziemt". Wer aber etwa geglaubt hatte, hier durch einen inneren Vorbehalt oder durch eine besondere Auslegung die Leistung des Eides vor seinem Gewissen rechtfertigen zu können, wurde durch den „Rechtswalter" Jäger eines Besseren belehrt, der sogleich in der „Synode" die authentische Interpretation gab, daß jener Zwischensatz „nicht eine Einschränkung, sondern vielmehr eine Bekräftigung darstelle". Der Gegenschlag gegen die Ungeheuerlichkeit dieser Eidesforderung folgte auf dem Fuße. Der Reichsbruderrat der bekennenden Kirche trat bereits 118

am 15. August in Berlin zusammen „Weisung" an alle Mitglieder:

und beschloß eine

kategorische

„Der im Kirchengesetz vom 9. August 1934 geforderte Diensteid der Geistlichen und Beamten ist nicht zu leisten." An der Spitze der Unterzeichner steht der Name des Präses D. KochOeynhausen. In rascher Folge sekundierten die bekenntnisfesten Landeskirchen, an der Spitze Bayern (21. 8. 34). Aber es kam noch besser. In den Tagen vom 24. bis 30. August tagte auf der dänischen Insel Fanö der ökumenische Rat der Organisation „Life and Work", der Weltkonferenz für praktisches Christentum. Er befaßte sich eingehend mit den kirchlichen Verhältnissen im evangelischen Deutschland, sprach davon, daß „entscheidende Grundsätze der christlichen Freiheit zur Zeit im Leben der deutschen evangelischen Kirche bedroht oder in Gefahr sind", betonte das „herzliche Wohlwollen gegenüber dem deutschen Volk" und gab der Überzeugung Ausdrude, „daß eine kirchliche Alleinherrschaft, besonders wenn sie den Gewissen in Form eines feierlichen Eides auferlegt wird, sowie die Anwendung von Gewaltmethoden und Unterdrückung der Äußerungsfreiheit mit dem wahren Wesen der christlichen Kirche unvereinbar sind". Die deutsche Abordnung bei der Konferenz, die unter Führung des „Bischofs" Heckel stand, stimmte nicht nur gegen die Entschließung, sondern besaß auch noch die Unverfrorenheit, das bei der Tagung vorgelegte Tatsachenmaterial in Abrede zu stellen und folgende „Verwahrung" einzulegen: „1. Sie weist die Auffassung zurück, als ob es in der Deutschen Evangelischen Kirche eine „kirchliche Alleinherrschaft" gebe. Es handelt sich hier eher um eine Zusammenfassung der kirchlichen Führung und um Maßnahmen bezüglich der Kirchenordnung. 2. Sie bestreitet die Ansicht, daß eine reine Verkündung des Evangeliums in Wort und Schrift gefährdet sei und die Jugend keine christliche Erziehung erhalte. Sie bekennt vielmehr, daß die allgemeinen Verhältnisse im Deutschland der Gegenwart der Verkündung des Evangeliums weit mehr Möglichkeiten bieten als früher. 3. Die deutsche Abordnung weist die einseitige Hervorhebung einer bestimmten deutschen kirchlichen Gruppe zurück, ferner, daß der Rat sich dieser theologischen Sondermeinung anschließt. Sie sieht darin eine Stellungnahme zu innerdeutschen kirchlichen Verhältnissen, die bedenklich die Grenzen der Aufgaben des ökumenischen Rats überschreitet." 119

Also die deutschen Männer und Frauen, die sidi an Art. 1 der Kirchenverfassung von 1933 hielten „Die unantastbare Grundlage der Deutschen Evangelischen Kirche ist das Evangelium von Jesus Christus, wie es uns in der Heiligen Schrift bezeugt und in den Bekenntnissen der Reformation neu ans Licht geterten ist", sie waren lediglich Anhänger einer „theologischen Sondermeinung"! Wahrlich: deutlicher konnte die Abkehr vom Evangelium vor aller Welt nicht zum Ausdruck gebracht werden. Der Reichsbischof Ludwig Müller braucht wieder einmal ein äußerliches Gepränge, um seine stark beschädigte Fassade neu aufzuputzen. Am 23. 9. 34 soll er im Berliner Dom feierlich in sein Amt eingeführt werden. Man fragte sich: zum wievielten Male ist dieser Herr schon „feierlich in sein Amt eingeführt" worden bzw. sollte er eingeführt werden? Diesmal aber glückte das Theater — wenigstens innerhalb der Kirchenwände. Aber schon am Ausgang wartete das Verhängnis: dort wurde den Besuchern des Doms ein Flugblatt in die H a n d gedrückt, das im Namen des Bruderrats der Bekenntnissynode von Präses D. Koch unterzeichnet war und u. a. folgendes zum Ausdruck brachte: „ . . . Gerade in diesen Tagen erfährt die kirchliche Lage eine wesentliche Klärung . . . Jäger hat am 8. Sept. 1934 in Stuttgart vor vielen Zeugen die wahren Ziele offenbart, welche die Reichsregierung mit ihren Maßnahmen erreichen will. Er hat dort ausgeführt: , . . . Als Fernziel steht vor uns die Uberwindung der Konfessionen, die Beseitigung der religiösen Spaltung im deutschen Volk. Am Ende der Entwicklung sehen wir eine Nationalkirche . . . ' " Es wird dann dem soeben gefeierten „Reibi" und seinem „Rechtswalter" Jäger bescheinigt, daß sie „den Boden der christlichen Kirche verlassen und sich aller Rechte an ihr begeben" haben. Noch ein letzter Ausritt war dem Mephisto der evangelischen Kirche, Jäger, vergönnt. Im September und Oktober 1934 wütete er in Süddeutschland, setzte die Landesbischöfe Wurm und Meiser ab. Wurm wurde mehr als zwei Monate der Freiheit beraubt. Dann aber bricht der Sturm auf der ganzen Linie los. Müller muß sehen, daß er selbst nicht hinweggefegt wird. Er opfert also — schweren Herzens — seinen „Rechtswalter" Jäger, der am 26. 10. 34 abtreten muß. Der Kumpan Jägers, der „Vikar der Reichskirche" und „Chef des Stabes des Reichsbischofs", Oberheid, war bereits im Juli des gleichen Jahres auf Grund totaler theologischer Unfähigkeit in die Wüste geschickt worden. Zur historischen Fixierung der Trümmermasse, die Jäger zurückließ, wird im Anhang als Anlage 3 eine Ubersicht veröffentlicht, die wenige Monate später im Reichsministerium des Innern (nicht von mir) angefertigt wurde, zwar sehr vorsichtig ge120

halten ist, aber doch den vollständigen W i r r w a r r erkennen läßt, der in der evangelischen Kirche angerichtet worden war. Meiser und Wurm wurden kurz danach wieder in ihre Ämter eingesetzt. Damit war die Stoßkraft des deutschen Südens wieder sichergestellt. Noch wenige Tage vor Jägers Sturz hatte der Reichsbruderrat auf einer Tagung der Bekenntnissynode in Berlin-Dahlem am 20. Oktober 1934 die Stellungnahme gegenüber Gegenwart und Zukunft in 6 lapidaren Sätzen festgelegt: „Der Artikel 1 der Verfassung der DEK, daß das Evangelium von Jesus Christus die unantastbare Grundlage der DEK sei, ist tatsächlich beseitigt. Die nationalkirchliche Parole hat das Evangelium außer Kraft gesetzt. Es herrscht das weltliche Führerprinzip anstatt des Gehorsams gegen den Herrn der Kirche, Jesus Christus. Durch die Ausschaltung der Gemeinden sind diese im Widerspruch zur biblischen reformatorischen Lehre mundtot gemacht. Da die Proteste, Warnungen und Mahnungen umsonst geblieben sind, w i r d das kirchliche Notrecht verkündigt. Auf Grund dieses Notrechtes schafft die Bekenntnissynode neue Organe der Kirchenleitung und nimmt der Reichsregierung gegenüber das Recht in Anspruch, in Sachen der Kirche, ihrer Lehre und Ordnung allein zu urteilen und zu entscheiden." In einem von namhaften Experten, u. a. Rechtsanwalt Dr. Fiedler und Reichsgerichtsrat Flor, verfaßten Gutachten heißt es zutreffend zur Begründung des „Notrechts": „Das kirchliche Notrecht darf nicht mit ähnlichen Vorgängen im Bereich der staatlichen Ordnung in Vergleich gesetzt werden. Dem kirchlichen ,Notrecht' ist wesentlich, daß es keinen Verstoß gegen die förmliche Rechtsordnung bedeutet. Innerhalb der Evangelischen Kirche ist alles förmliche Recht an die Übereinstimmung mit Schrift und Bekenntnis gebunden. Wo diese Übereinstimmung zerstört ist, verliert selbst das förmliche Recht seine Gültigkeit. Es ist Recht und Pflicht der Gemeinde, diesem Grundsatz in der Kirche wieder Geltung zu verschaffen . . . " In einer Erklärung vom 30. 10. 34 fordern die lutherischen Landesbischöfe D. Meiser, D. Wurm und D. Marahrens in aller Form den Rücktritt Müllers; selbstverständlich erfolglos. Darauf entschließt man sich endlich zu einem entscheidenden Schritt: man bildet eine „Vorläufige Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche" mit Landesbischof Marahrens (Hannover) als Wortführer, teilt dies offiziell der Reichsregierung mit 121

und fordert die evangelischen Landeskirchen und Gemeinden auf, mit allen ihren Organen und Verbänden das vorläufige Kirchenregiment anzuerkennen und die Beziehungen zu ihm aufzunehmen. Damit war eine entscheidende Wendung vollzogen, von der es kein Zurück mehr gab. Die Schattenfigur an der evangelischen Spitze versuchte natürlich, mit Hilfe von „Verboten" sich zu behaupten; umsonst. Die Vorläufige Leitung gewinnt täglich an Boden. So vergehen Wochen. Dann (Anfang März 1935) zieht Müller wiederum die übliche Notleine: er geht zu Hitler, das Gespräch dauert eine Stunde, beide Teile schweigen sich über das Ergebnis aus. Aber die Müller-Clique verbreitet, es sei als sicher anzunehmen, „daß der Führer ihn bei dieser Gelegenheit seines Vertrauens erneut versichert hat, so daß den Gerüchten über einen Rücktritt des Reichsbischofs, die j a seit langem in Umlauf waren, damit endgültig der Boden entzogen ist . . . " Schlimmer war ein anderes Ergebnis dieses Besuches, nämlich ein energisches Telefonat zwischen Reichskanzlei und Reichsinnenministerium, dessen Früchte bald sichtbar werden sollten. Zunächst wurde vom Reichsinnenministerium, einstmals der starken Stütze der Anti-Müller-Bewegung, die Verlesung einer Kanzelabkündigung verboten, die für Sonntag, 10. 3. 35, und die folgenden Sonntage angesetzt war und u. a. folgende, überhaupt nicht abzuleugnende Feststellungen enthielt: „Wir sehen unser Volk von einer tödlichen Gefahr bedroht. Die Gefahr besteht in einer neuen Religion . . . Die neue Religion ist Auflehnung gegen das 1. Gebot. 1. In ihr wird die rassisch-völkische Weltanschauung zum Mythus. In ihr werden Blut und Rasse, Volkstum, Ehre und Freiheit zum Abgott. 2. Der in dieser neuen Religion geforderte Glaube an das ,ewige Deutschland' setzt sich an die Stelle des Glaubens an das ewige Reich unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus. 3. Dieser Wahnglaube macht sich seinen Gott nach des Menschen Bild und Wesen. In ihm ehrt, rechtfertigt und erlöst der Mensch sich selbst . . . Wer Blut, Rasse und Volkstum an Stelle Gottes zum Schöpfer und Herrn der staatlichen Autorität macht, untergräbt den Staat . . . Trotz des Verbotes erfolgten zahlreiche Verlesungen. Und das zweite Ergebnis der Müller-Audienz bei Hitler: Frick wurde zum „Führer" zitiert und erhielt eine derbe Rüge wegen einer Denkschrift, die wir einige Wochen zuvor an Hitler (auf dessen Wunsch) gesandt hatten und in der die Frage einer radikalen Trennung von Staat und 122

Kirche behandelt war. Die Gründe für die Entstehung dieser Denkschrift waren bekannt: Hitler wollte die Kirchen aus ihrer Vorzugsstellung als Körperschaften des öffentlichen Rechts herauswerfen und ihnen die Staatszuschüsse nehmen. Der erste, allgemeine Teil unserer Ausarbeitung stammte von meinem Kollegen Reg.-Rat Schucht, den zweiten, die finanziellen Folgen einer Trennung behandelnden hatte ich gefertigt. Der ganze Komplex war mir seit langem vertraut. Schon im Winter 1922/23 hatte ich diese Materie genau unter die Lupe nehmen müssen, als die roten Machthaber in Mitteldeutsdiland den Versuch gemacht hatten, die Kirchen von der finanziellen Basis her in die Knie zu zwingen. Ich empfahl damals den Kirchen, den Staatsgerichtshof in Leipzig anzurufen, und sekundierte ihnen publizistisch (s. Deutsche Juristenzeitung 1923 Sp. 217, dazu Geh.-R. Kahl, Sp. 340). Die Klage der Kirchen hatte Erfolg. Diese Vorgänge kamen mir in Erinnerung, als ich von der genialen Eingebung des „Führers" hörte, das Kirchenproblem von der finanziellen Seite her aufzurollen. Mein Beitrag zu der Denkschrift des R.M. d. I. war entsprechend gehalten. Hitler schleuderte, als Frick bei ihm war, unser Opus auf den Tisch und sdirie: „Der Mann, der das geschrieben hat, hat keinen Funken nationalsozialistischen Geistes im Leibe!" Ich habe ergebungsvoll geschwiegen, als ich über Buttmann von diesem Vorfall erfuhr. Hitlers Verlangen, mich nun endlich gänzlich zu entfernen, scheiterte daran, daß sich Buttmann — hochanständig wie immer — mit mir solidarisch erklärte. So konnte der T a n z noch eine Weile weitergehen. Es mußte allerdings nunmehr auch eine immer stärker werdende Entfremdung zwischen Buttmann und Frick in Rechnung gestellt werden. Die Folgen Schlagzeile

dieser

Entfremdung

wurden

bald

sichtbar. Unter

der

„Der Grundsatz der Neutralität wird nicht aufrechterhalten werden können" berichtete die Presse am 30. 3. 35 über eine Rede des Reichsinnenministers Dr. Frick, die er zwei Tage zuvor in Nürnberg gehalten hatte. Er hatte von dem „leidigen Streit in der evangelischen Kirche" gesprochen, „der an dem rein äußerlichen organisatorischen Aufbau der Deutschen Evangelischen Kirche entbrannt ist". Er machte dann finstere Andeutungen: „Viele Elemente, die glauben, unter der kirchlichen Flagge ihre dunklen politischen Geschäfte ruhig betreiben zu können . . . " Für uns im Reichsinnenministerium kamen diese Entgleisungen nicht überraschend. Die Loslösung des Ministers von den Grundsätzen, über 123

die er früher mit seinen einstigen Beratern einig war, kam bereits in einem Grünstiftvermerk zum Ausdruck, den er unter ein Druckstück der Dahlemer Erklärung der Bekenntnissynode vom 5. 3. 35, die sich gegen die „neue Religion" wandte, gesetzt hatte: „Es handelt sich m. E. hier um einen h e i m t ü c k i s c h e n A n g r i f f auf Staat und Volk, der s t r a f r e c h t l i c h e Sühne fordert. In Wahrheit will er die Priesterherrschaft etablieren, die sich allein für kompetent hält, festzustellen, was Gott gebietet." Selbstverständlich wurde die Nürnberger Rede Fricks allenthalben lebhaft kommentiert. Sie bekam eine besondere Note durch die Tatsache, daß ausgeredinet am gleichen Tage der „Reibi" einem Vertreter der ausländischen Presse ein Interview gab, in dem er zuversichtlich und sehr vergnügt ankündigte, der „Führer" werde demnächst Summus Episcopus der Evangelischen Kirche werden, das heißt eine Stellung übernehmen, in die einstmals die Landesherren nach Wegfall der bischöflichen Würde in den ersten Zeiten des Protestantismus eingerückt waren. War nun die Frick-Rede eine Anspielung auf etwas, was in dieser Richtung etwa bevorstand? — so wurde allenthalben gefragt. Man hätte, wenn man dem Propheten Müller glauben wollte, weiter fragen können: wollte nun Hitler eine Konkursmasse oder eine Kirche übernehmen? Die Bayern, in mancher Hinsidit impulsiver als die Preußen, hatten vor, dem „Reibi" auf einer für Ende März angesagten großen Vortragsreise durch Bayern einen „warmen" Empfang zu bereiten; die Reise mußte in letzter Minute abgesagt werden. Andererseits drängte sich die „Deutsche Glaubensbewegung" der Hauer, Reventlow und Genossen mit einer wüsten Propaganda nach vorn, die auf das Thema abgestellt war: „Kann ein Deutscher Christ sein?" Ohne jede Behinderung konnten Reden gehalten werden, in denen z. B. folgende Wendungen vorkamen: „Das Christenkreuz hat den Brudermord nicht beseitigen können, aber das heidnische Hakenkreuz hat es vollbracht. . . . Die ,Heilige Schrift' ist für uns keine heilige Schrift, sondern eine faule Sache, eine Seuche. . . . Ich als deutsch-gläubiger Heide möchte lieber eine Ewigkeit lang in der Hölle mit deutsch-gläubigen Brüdern zusammen schmoren, als nur ein Jahr mit Abraham . . . in Zion koschere Beefsteaks von goldenen Tellern fressen." Der das sprach, war ein Lehrer aus Dortmund im aktiven Dienst! Die preußische Kultusverwaltung mußte wieder einmal zeigen, daß sie auch noch da war. Anstatt den „Reibi" an seiner totalen Unfähigkeit zugrunde gehen zu lassen, wurde ein preußisches Gesetz gemacht, das 124

den Zustand der Agonie sinnlos verlängerte. Es nannte sich „Gesetz über die Vermögensverwaltung in den evangelischen Landeskirchen", kam am 11. 3. 1935 heraus und war darauf beredinet, den Bekenntnisleuten vom Finanziellen her die Daumenschrauben anzusetzen — also eine Teillösung dessen herbeizuführen, was Hitler mit seinem radikalen Plan einer vollständigen Trennung von Staat und Kirche erstrebt hatte und was wir ihm mit dem Hinweis auf die enormen Lasten, die mit der dann fälligen, verfassungsrechtlich notwendigen Ablösung der Staatsleistungen verbunden wären, verleidet hatten. Das preußische Gesetz dekretierte: „Der für kirchliche Angelegenheiten zuständige Minister" (also Rust) „bildet bei dem Evangelischen Oberkirchenrat, den Landeskirchenämtern bzw. -räten und bei den Evangelischen Konsistorien je eine Finanzabteilung, die aus Beamten der allgemeinen kirchlichen Verwaltung besteht." Die Finanzabteilung sollte tatsächlich der einzige dominierende Faktor im Kirchenwesen werden: Festsetzung des Haushaltsplans usw., Aufsicht über die Vermögensverwaltung der Gemeinden, Regelung der Dienst- und Versorgungsbezüge der Geistlichen usw. — also eine Blütenlese staatshoheitlicher Eingriffe, für die samt und sonders jede Rechtsgrundlage fehlte. Was Preußen mit seinen zu zweifelhaftem Ruhm aufgerückten „Finanzabteilungen" erstrebte, nämlich die berüchtigte „Herbeiführung geordneter Zustände", versuchte man im Reiche durch das Reichsgesetz „über das Beschlußverfahren in Rechtsangelegenheiten der Evangelischen Kirche" vom 26. 6. 35. Es bestimmte: „Hängt die Entscheidung eines bürgerlichen Rechtsstreites davon ab, ob seit dem 1. Mai 1933 in den Evangelischen Landeskirchen oder in der Deutschen Evangelischen Kirche getroffene Maßnahmen gültig sind oder nicht, und wird die Gültigkeit von einem am Verfahren Beteiligten oder von dem entscheidenden Gericht bezweifelt, so hat dieses das Verfahren bis zur Entschließung der ,Beschlußstelle in Rechtsangelegenheiten der Evangelischen Kirche . . . auszusetzen. Diese wird beim Reichsministerium des Innern gebildet'." „Der Beschluß der Beschlußstelle ist endgültig und allgemein verbindlich." Das war ein schwerer Schlag gegen die ordentliche Gerichtsbarkeit, die bisher in fast lückenloser Einmütigkeit den deutschchristlichen Machthabern aller Grade Unrecht gegeben hatte. Es war ein wenig rühmlicher Abgang für das Reichsministerium des Innern aus der Arena des Kirchenkampfes, in der es einstmals mit Bravour und Erfolg gefochten hatte. 125

Zehntes

Kapitel

Versteifung Katholische Kirdie Die Mordaktion des 30. Juni 1934 wäre zeitlich etwa zusammengefallen mit der ständigen Jahrestagung der deutschen Bischöfe in Fulda, am Grabe des hl. Bonifatius. Man hatte aber die Konferenz etwas vorverlegt, einerseits um Delegierte des Episkopats für die Verhandlungen zu bestimmen, die am 25. 6. in Berlin beginnen sollten; auch wollte man bestimmte Richtlinien für die bischöfliche Marschroute festlegen. Der unabhängig von den Berliner Besprechungen und ihren möglichen Resultaten bereits angehäufte Zündstoff hatte ausgereicht, um einen gemeinsamen Hirtenbrief zu beschließen, der allerdings erst etwas später — in Berlin unter dem Datum des 7. 7. — veröffentlicht wurde. Der Grundton dieser Kundgebung war eine scharfe Kampfansage gegen die „Deutsche Glaubensbewegung" (Hauer u. Gen.), war die Sorge darüber, „daß gerade im letzten Jahre Strömungen und Bewegungen in unserem Vaterlande aufgetreten und erstarkt sind, welche sich direkt gegen die . . . Großtaten Jesu Christi . . . wenden — und damit nicht zufrieden, auf Gründung einer neuen Religion und einer Deutschen Nationalkirche hinzielen, die sie begründen wollen mit einem ,neuen Glauben', wie sie sagen, mit dem ,Mythos des Blutes'." Seitenlang wird dann mit schlagenden, scharf formulierten Argumenten gegen das „Neuheidentum" und seine Selbstüberhebung gewettert. „Wenn in der menschlichen Gesellschaft Gottesglaube und Gottesfurcht schwinden, die Autorität Gottes, welche die Gewissen bindet, mißachtet wird, wird die obrigkeitliche Gewalt zu widerwillig ertragener menschlicher Willkür, und wird der Gehorsam zu einem aus knechtischer Furcht geleisteten Augendienst . . . " In Verbindung mit den Angriffen auf Rosenbergs „Mythos" erscheint dann die völlig zutreffende Feststellung: „Während das Neuheidentum vordringlich für sich wirbt, hat unsere katholische Presse nicht mehr die Freiheit, die großen Fragen der Zeit im Lichte der katholischen Glaubens- und Sittenlehre freimütig zu behandeln und die Angriffe auf Christentum und Kirche abzuwehren." Dann aber kommt eine Reihe von Thesen und Antithesen von geradezu klassischer Prägung: „Ihr habt gehört und gelesen: Dogmen seien Menschenwerk. Wir, eure Bischöfe, sagen euch: Dogmen, Glaubenssätze sind Gottesgedanken, Gottesgesetze . . . 126

Ihr habt gehört und gelesen: Wenn man eine Uniform anzieht, höre man auf, Katholik oder Protestant zu sein. Dazu sagen wir Bischöfe: so treu man im Dienst die Kameradschaft und gegenseitige Achtung pflegen muß, so ist doch die religiöse Überzeugung nicht etwas, was man mit dem Rock anzieht und ablegt und für die Dienststunden an den Nagel hängt . . . Ihr habt gehört und gelesen: Man könne auch ohne den Glauben an Christus, den Sohn des lebendigen Gottes, und ohne Glauben an Christi Evangelium ein positives Christentum bekennen. Wir, eure Bischöfe, sagen euch: Positives Christentum ist nur dort, wo man Christus, den Sohn Gottes, den menschgewordenen Erlöser der Welt, bekennt und sein ganzes Evangelium glaubt und alle seine Gebote gelten läßt. Ein anderes Christentum ist kein positives Christentum . . . Ihr habt gehört und gelesen: Sittlich sei, was dem Volke nützt. Sittlich sei, was den Forderungen, den Zwecken und dem Wohle der Rasse entspricht. Wir, eure Bischöfe, sagen euch: Sittlich ist das, was dem Willen und den Geboten Gottes entspricht . . . Ihr habt gehört und gelesen: Man könnte einen Eid auf vorbehaltlose Gefolgschaft leisten. Wir, eure Bischöfe, bemerken vorsichtshalber dazu: Der Eid ist eine feierliche Anrufung Gottes, kann also niemals zu einer Leistung verpflichten, die einem Gebot Gottes widersprechen würde. Man kann durch einen Eid, etwa durch den Beamten- oder Soldateneid, sich zu treuer Berufsarbeit, zum Gehorsam gegen die rechtmäßige Obrigkeit verpflichten. Wenn aber ein Befehl etwas fordern sollte, was den Geboten Gottes und dem Gewissen widerspricht, würde das gelten, was die Bischofskonferenz von Fulda im November 1919 in einer feierlichen Rechtsverwahrung zur Weimarer Verfassung ausgesprochen hat: ,Was den auf die Verfassung zu leistenden Eid angeht, so werden Katholiken durch ihn selbstverständlich zu nichts verpflichtet, was einem göttlichen oder kirchlichen Gesetz und damit ihrem Gewissen widerstreitet.' Ihr habt gehört und gelesen: Das Christentum sei ein Unglück und eine Rassenverderbnis für unsere germanischen Altväter gewesen. Wir aber, eure Bischöfe, sagen euch: Die Einführung des Christentums bei den Germanen war kostbarste Himmelsgabe . . ." Gegen die Tendenz des Nationalsozialismus, alles ihm Widrige unter den Begriff „Einmischung in die Politik" zu bringen, wird in lapidaren Sätzen Stellung genommen: „Es ist nicht Politik, den Glauben an Gott als das Fundament aller Ordnung auf Erden zu verkünden und zu verteidigen. Es ist nicht Politik, Zeugnis abzulegen für Christus, den Erlöser der Welt. Es ist nicht Politik, die ewigen Sittengesetze der Menschheit, die heiligen zehn Gebote Gottes und die von Gott gewollte Rechtsordnung zu verteidigen. 127

Es ist nicht Politik, die Verirrungen eines heidnischen Ehrbegriffes zurückzuweisen . . . Es ist nicht Politik, sich in christlicher Nächstenliebe jener anzunehmen, welche ohne eigene persönliche Schuld durch den Umschwung der Zeitverhältnisse in Not und Bedrängnis gekommen . . . sind. Es ist nicht Politik, den Raum und die Möglichkeit zu einer wahrhaft christlichen Bildung und Erziehung für die einzelnen Lebensstände und besonders für die Jugend zu verlangen . . Das war eine klare und deutliche Sprache, die sich erfreulich abhob von der anderwärts leider immer wieder festzustellenden Verkoppelung christlicher Grundsätzlichkeit mit der Versicherung unbedingter Treue zu Adolf Hitler. Doch zurück zu den Grundsätzen, über die man am 29. Juni 1934 zwischen den Delegierten des Episkopats sowie den Vertretern von Reichsregierung und Partei eine gewisse Einigkeit erzielt zu haben glaubte. Buttmann war recht optimistisch. Er glaubte, aus den Worten von Bischof Berning, der ihn am 30. 6. nochmals aufsuchte, herausgehört zu haben, daß Hoffnung auf Zustimmung des Episkopats und des Vatikans bestehe. Aus einer Äußerung von Erzbischof Groeber, der am gleichen Tage bei ihm war, wollte er sogar die Aussicht herausgehört haben, daß der Hirtenbrief der Fuldaer Bischofskonferenz „nunmehr nicht verkündigt zu werden brauche, da die Wünsche des Episkopats in den wesentlichsten Punkten erfüllt seien". Aus dieser optimistischen Grundauffassung heraus ergab sich wohl auch die zunächst sehr versteifte Meinung, die drei Vertreter des Episkopats seien zu bindenden Vereinbarungen ermächtigt gewesen. Erst als der Vatikan sehr viel später (Juni 1935) den authentischen Wortlaut der Delegierungs-Beschlüsse der Fuldaer Bischofskonferenz mitteilte, wurde deutscherseits der Charakter der Juni-„Vereinbarungen" als eines Besprechungsergebnisses mit Aussicht auf bindende Abmachung anerkannt. Das Charakteristikum der Wendung, die sich nach der Mordaktion des 30. Juni vollzog, war die Tatsache, daß der Vatikan, der vorher den Versuch eines Arrangements zwischen Reichsregierung und Episkopat begünstigt hatte, nunmehr die Regie wieder straff an sich zog. In einer Note des Kardinalstaatssekretärs vom 2. 9. 34 kam die scharfe Kritik des Hl. Stuhls unmißverständlich zum Ausdruck. „Das bisher von den Vertretern der Deutschen Reichsregierung Zugestandene liegt in verschiedenen wesentlichen Sachfragen unterhalb der durch den Konkordatstext gewährleisteten Linie kirchlicher Freiheit und vermag daher weder nach dem Urteil des Heiligen Stuhles noch nach den Auffassungen des Episkopats als sinngemäße Ausführung des Konkordats betrachtet zu werden, geschweige denn der Zusicherungen, die bei den Konkordatsverhandlungen und dem Konkordatsabschluß dem Hl. Stuhl gemacht wurden . . . " 128

TAFEL

Präses D. Koch (Westfalen)

17

TAFEL

18

Ministerialdirektor Gottheiner (Reichsministerium des Innern)

Also immer wieder der Rückgriff auf jenes etwas dunkle Kapitel der Zusicherungen, die s. Zt. von deutscher Seite gemacht worden waren, um einen schnellen Konkordatiabschluß zu ermöglichen. Im übrigen entwickelt die Note mit Bezug auf das Berliner Verhandlungsergebnis vom 29. 6. 34 acht klare Forderungen: 1. „Der durch das Reichskonkordat Art. 31 Abs. 2 ausgesprochene Ausschluß jeder parteipolitischen Betätigung beinhaltet für die katholischen Organisationen keine Behinderung ihrer Mitarbeit an der öffentlichen Wohlfahrt im Sinne der klassischen Enzykliken der letzten Päpste." 2. „Bei den auf die Jugendorganisationen bezüglichen Abmachungen ist die nochmalige Vertagung einzelner Fragen auf einen späteren Termin untunlich . . . " 3. „Der Auflösung der früher berufsständischen katholischen Organisationen binnen Jahresfrist vermag der H l . Stuhl sowohl mit Rücksicht auf die Konkordatsabmachungen wie auch deshalb nicht zuzustimmen, weil sie für die wirksame Pflege des religiös-sittlichen Lebens ihrer Mitglieder von größter Bedeutung sind . . . " 4. „Die Entscheidung über die Notwendigkeit der Beibehaltung oder Schaffung überdiözesaner Einrichtungen . . . ist kirchlicher Zuständigkeit; sie obliegt nicht den Verbänden, sondern . . . dem Episkopat, unter dessen verantwortliche Oberleitung auch diese Einrichtungen zu stellen sind." 5. „Der Entwurf bedarf einer abschließenden Bestimmung über die Außerkraftsetzung aller entgegenstehenden bisherigen Maßnahmen." 6. „Im Verlauf der Berliner Besprechungen sind von Vertretern der N S D A P Äußerungen über die Unverbindlichkeit von Konkordats- und sonstigen Abmachungen der Reichsregierung für die Partei bzw. die ihr angeschlossenen Organisationen erfolgt, die, falls sie ernst zu nehmen sind, die unabhängige Verhandlungs- und Vertragsfähigkeit der Deutschen Reichsregierung in Frage stellen. Die Ungewöhnlichkeit solcher Erklärungen zwingt den H l . Stuhl, dieserhalb auf Klarstellung zu dringen . . . " 7. „Die seit dem Amtsantritt der gegenwärtigen Regierung immer stärker angewachsene Propaganda eines christentumsfeinlichen Neuheidentums (Rosenberg u. a.) bemächtigt sich in steigendem Maße staatlicher, parteiamtlicher und organisationsamtlicher Einflußmittel . . . " Gefordert werden: eindeutige Gegenerklärungen und Anweisungen „von höchster Stelle"! 8. „Gegenüber gewissen bei den Berliner Besprechungen erfolgten Äußerungen von Regierungsvertretern legt der Hl. Stuhl Wert auf die Feststellung, daß Art. 1 Abs. 1 des Reichskonkordats für die Freiheit des religiösen Bekenntnisses und der Ausübung der katholischen Religion 10

Conrad, Der Kampf um die Kanzeln

129

keine Einschränkung kennt." (s. dazu oben Seite 48). „Ebenso schließt das Zusatzprotokoll zu Art. 32 Abs. 2 jederlei Einengung der pflichtmäßigen Verkündung und Erläuterung der dogmatischen lind sittlichen Lehren und Grundsätze der Kirche aus . . . " Roma locuta — Rom hatte gesprochen; gleichwohl sollten Versuche gemacht werden, weiterzukommen, und zwar in Berlin. Am 11. 9. 34 liefen im Reidisinnenministerium Gegenvorslchäge des Vatikans ein — mit starken Abweidlungen gegenüber dem Juni-Ergebnis. Der Episkopat drängte auf beschleunigte Fortsetzung der Verhandlungen. Hitler, dem die Sache vorgetragen wurde, entschied: er wolle zunächst selbst prüfen, lasse sich im übrigen nicht drängen. Am 7. 11. 34 fanden neue Verhandlungen mit den Bischöfen im Ministerium statt, die jedoch ergebnislos verliefen. Daraufhin Anfrage beim Vatikan, ob ein erneuter Besuch Buttmanns dort genehm. Antwort aus Rom: zunächst noch weitere vorbereitende Aussprache mit dem Berliner Nuntius Orsenigo notwendig; wesentliche Punkte der Juni-Ergebnisse nach wie vor unannehmbar! Verhandlungen mit dem Nuntius im Dezember 1934 und Januar 1935 blieben in allem Wesentlichen ohne Ergebnis; der kirchlidie Standpunkt war eher noch versteift. Am 28./29. Januar 1935 wurde der letzte Versuch unternommen, zu einer Einigung zu gelangen. Von kirchlicher Seite erschienen der Nuntius und Bischof Berning. Es wurde nun ausdrücklich klargestellt, daß die Kirche in ihren Verbänden die letzten Bollwerke gegen das Vordringen des Neuheidentums zu verteidigen gedenke. Eine Bitte des Nuntius, die Dinge nochmals dem „Führer" vorzutragen, wurde rundweg abgelehnt, da der „Standpunkt des Führers als endgültig bekannt sei". Die Verhandlungen über wichtigste Punkte des Reichskonkordats waren nunmehr in eine Sackgasse geraten, aus der sie nicht mehr herauskommen sollten. Buttmann ließ zwar äußerlich wenig merken, gab aber in vertraulichen Gesprächen mit mir zu erkennen, daß er das Spiel aufgebe. Das, woran dieser grundanständige Mann am meisten zu tragen hatte, war die Entdeckung, daß der von ihm früher einmal aus Überzeugung verehrte „Führer" seit langem eine lügenhafte Doppelrolle spielte. Wenn ich früher ihm gegenüber mich in diesem Sinne geäußert hatte, pflegte er sich auf seine bessere Kenntnis der Person Hitlers zu berufen. Jetzt — widersprach er nicht mehr, bat midi nur, um Himmels willen mit meinen Äußerungen vorsichtig zu sein. So mußten wir denn ohnmächtig zusehen, wie die Parteimeute mit immer größerer Schamlosigkeit die Konkordatsbestimmungen „aushöhlte" — um einen Ausdruck des Vatikans zu gebrauchen. Zu retten war von uns aus nichts mehr, und seinen Namen dem Vatikan gegenüber völlig zu verspielen, lehnte nunmehr auch Buttmann mit Entschiedenheit ab. 130

Unter dem 6. Juni 1935 gingen zwei Noten des Kardinalstaatssekretärs an den deutschen Botschafter beim Vatikan, Herrn von Bergen. Die erste setzte mit der erneuten Erklärung, daß der Hl. Stuhl die Verhandlungsergebnisse vom Juni 1934 nicht anerkennen könne, einen Schlußstrich unter dieses Kapitel. Die zweite Note wandte sich mit scharfen Worten gegen eine Anordnung des Präsidenten der Reichspressekammer vom 24. April 1935, die bereits in einem Protestsdireiben des Erzbischofs von Breslau, Kardinal Bertram, vom 5. 5. 35 energisch angegriffen worden war, weil sie „durch ihre Auswirkung lebenswichtige Belange des ganzen christlichen und insbesondere des katholischen deutschen Volkes auf das empfindlichste bedrohe". Wiederum erwähnt der Kardinalstaatssekretär: „Die Frage der katholischen Presse ist sowohl vor Ratifizierung des Konkordats wie auch später mehrfach Gegenstand des Meinungsaustausches zwischen dem Hl. Stuhl und der Deutschen Regierung gewesen. Zu ihrer befriedigenden Regelung sind am 11. Februar 1934 der Reichsregierung genau formulierte Vorschläge überreicht worden, denen leider bis zum gegenwärtigen Augenblick keine Folge gegeben wurde." Dann aber kommt ein Angriff auf die Goebbels'sche Pressepolitik, der an Schärfe kaum zu überbieten ist: „Was dem Heiligen Stuhl über den Wortlaut der genannten Presseverordnung sowie über ergänzende Anweisungen und Erläuterungen interner und vor der Öffentlichkeit sorgfältig geheimgehaltener Natur bekanntgeworden ist, bedeutet einen beispiellosen Akt planmäßiger, auf lange Sicht abgestellter, durch ein wohlüberlegtes System amtlicher, halbamtlicher und wirtschaftlicher Pression angestrebter Vernichtung derjenigen Tagespresse, die, unbeschadet ihrer Staatstreue und der positiven Mitarbeit an den staatlichen Aufgaben, bestrebt ist, die ideellen Kräfte wahrhaft gläubigen Christentums und der Kirche für die Gestaltung des individuellen und kollektiven Lebens fruchtbar zu machen. Diese Verordnung stellt alles in Schatten, was auf deutschem Boden an kulturkämpferischen Maßnahmen gegen die katholische Presse jemals Wirklichkeit geworden ist, und verpflichtet jeden gläubigen Christen und Katholiken, diesen Anschlag auf die elementarste Bekenntnisfreiheit zu verurteilen und abzuwehren." Wiederum greift der Vatikan auf „Feststellungen" zurück, „die unmittelbar vor der Konkordatsratifizierung am 5. September 1933 (Kurze Notiz über eine Besprechung des Kardinalstaatssekretärs mit dem Deutschen Geschäftsträger, Herrn Dr. Klee) und am 9. September 1933 (Promemoria des Kardinalstaatssekretärs . . . ) erfolgt sind." Die Note erwähnt dann eine „amtliche Veröffentlichung", die zwischen Kardinal Pacelli und dem Deutschen Geschäftsträger Dr. Klee am 9. 9. 33 10*

131

vereinbart wurde und in der ausdrücklich von der Freiheit der deutschen Katholiken die Rede war, „auch in der katholischen Presse die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre zu verkünden und zu erläutern". Die Vatikan-Note sagt dazu mit Recht: „In dieser gemeinsamen Erklärung ist der Bestand einer katholischen Presse und ihre Freiheit in der Verkündung und Erläuterung der Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre einwandfrei anerkannt." Und sie erinnert an eine amtliche Erklärung der Reichsregierung in einem Promemoria vom 14. 3. 34: „Betrachtungen unter dem Gesichtspunkt der hohen religiösen Werte begegnen ebenso wenig dem Widerstand seitens der Reichsregierung, wie die Veröffentlichung kirchlich-religiöser Erlasse entsprechend den Bestimmungen des Konkordats." Endlich aber riß der letzte Geduldsfaden, und in einem Artikel des Osservatore Romano vom 15. 7. 35 wurde das Kind beim rechten Namen genannt: „Seit einiger Zeit machen die Katholiken Deutschlands schwere Stunden durch wegen der Verteidigung des Dogmas und der katholischen Sittenlehre . . . Manche meinten, die Regierung wisse von nichts oder sei viel zu duldsam, glaubten aber nicht, daß sie ein Auge zudrückte, und noch weniger, daß s i e e s i n s p i r i e r e . So peinlich war die Annahme, daß man nach Verlauf von zwei Jahren freiwillig und feierlich eingangene konkordatische Verpflichtungen verletzen könne . . Es wurde dann Bezug genommen auf eine Rede, die Dr. Frick am 7. 7. 35 in Münster i. W. gehalten hatte, und daraus gefolgert, daß „die religiösen Angriffe, die bisher in mehr oder minder versteckter Form erfolgt sind, in Zukunft den Charakter einer offiziellen Feindseligkeit annehmen werden". So endete die Behandlung der Kirchenfragen im Reichsministerium des Innern. Auf eine Periode verheißungsvoller Anfänge folgte ein Stadium, wo versucht wurde, zu retten, was zu retten war, bis schließlich zu allerletzt der Widerstand gegen das Lügen- und Ränkespiel Adolf Hitlers auf der ganzen Linie zusammenbrach.

132

Elftes

Kapitel

Staatsdilettantismus Evangelische Kirche Am 16. Juli 1935 hob sidi der Vorhang zum letzten Male über der Tragödie des Kirchenkampfes im Dritten Reich. An diesem Tage trat der „Reichs- und Preußische Minister für die kirchlichen Angelegenheiten" in Funktion. Diese Neuschöpfung war zunächst einmal eine Mißbilligung gegenüber Rust, dem preußischen Kultusminister, der schon vor Jahr und T a g gegenüber dem württembergischen Landesbischof D. Wurm geäußert hatte: „Nie wieder stecke ich meine Hände in kirchliche Angelegenheiten." Nachdem er sich von Jäger und Studiart getrennt hatte, war der Stand seines Vertrauenskontos bei der Partei nicht unerheblich abgesunken. Die eigentliche Spitze der Neuerung aber richtete sich gegen Frick, den Reichsinnenminister. Frick hatte überhaupt in mehrfacher Hinsicht das Mißfallen der Partei erregt. Er hatte seit seinem Amtsantritt am 30. 1. 33 niemals irgendwelchen Druck auf seine Beamten ausgeübt, in die N S D A P einzutreten; nur bei Beförderungen mußte er sich seit 1934 — widerwillig — dem Diktat des Braunen Hauses fügen, daß der Besitz des Parteibuchs unerläßliche Voraussetzung für ein Aufrücken in eine höhere Stellung sei. Ich habe von Frick, so oft ich. bei ihm war, niemals den „deutschen Gruß: Heil Hitler!" gehört. Wir brachten es in den ersten Jahren des nationalsozialistischen Regimes noch häufig fertig, ihn zu bewegen, mit dicken Akten unter dem Arm zu Hitler zu gehen, um die Entfernung preußischer Regierungpräsidenten und anderer hoher Würdenträger aus ihren Ämtern zu fordern, die sich unglaublich in der Öffentlichkeit benommen hatten. Es handelte sich stets um Leute, die zugleich herausragende Posten in der SA usw. bekleideten. Er hatte fast immer Mißerfolg, ja es kam vor, daß er selbst noch wegen seiner Anträge von seinem obersten Herrn Vorwürfe einstecken mußte. Natürlich wußten die Betroffenen von allem. So kam es, daß sich in den Köpfen dieser Leute eine Psychose festsetzte, die auf die Überzeugung ihrer absoluten Unentbehrlichkeit hinauslief. Daher erklärt sich vieles, was anderwärts als schwerer Verstoß gegen die Gesetze der Unterordnung geahndet worden wäre. Was den Kirchenkampf betrifft, so hatte Frick in den Anfangsjahren sehr ordentlich in dem von Gottheimer, Buttmann und mir orientierten Sinne mitgezogen. Dann aber trat auch hier jene Ermüdungserscheinung ein, die wohl in starkem Maße ein psychologischer Rückschlag infolge seiner so häufigen Erfolglosigkeit bei Hitler war. Daß die zunehmende Entfremdung zwischen Buttmann und Hitler ein wesentlicher Grund für Hitler 133

war, dem Reichsinnenministerium die kirchliche Zuständigkeit zu entziehen, darf als sicher gelten. Der neue Reichskirchenminister Hanns Kerrl trat ohne jede auch nur bescheidene Fachkenntnis und Erfahrung in sein neues Amt. Er war früher Justizkassenrendant in Celle gewesen, wurde nadi dem 30. Januar 1933 preußischer Justizminister, mußte dann aber weichen, als der Reichsjustizminister Dr. Gürtner im Zuge der Reichsreform auch Chef des Hauses in der Wilhelmstraße wurde. Endlich fand man eine neue Beschäftigung für Kerrl: er wurde Reichsminister für „Raumordnung", von der er natürlidi ebenso wenig verstand wie von allem anderen. Als er sein neues Amt als Reichskirchenminister übernommen hatte, war der Berliner Witz schnell mit einem Bonmot zur Stelle: Reichsminister für die himmlische und irdische Raumordnung. Wir waren im Reichsministerium des Innern wenigstens etwas beruhigt, als wir hörten, daß der bisherige Leiter der Parteiabteilung „für den kulturellen Frieden", Major a. D. Hermann von Detten, der maßgebende Mann unter Kerrl werden sollte. Er hatte am 30. Juni 1934 einen Bruder verloren. Was aber in besonderem Maße geeignet war, ihm ein gewisses Vertrauen zu verschaffen, war die Tatsache, daß er am 3. 4. 35 Buttmann und mir in einem vertraulichen Memorandum „Politik und Religion" sein Herz ausgeschüttet hatte. In dieser Aufzeichnung rückte er sehr deutlich von Müller und den „Deutschen Christen" ab, sprach von dem „Terror" der letzteren, von den „Terror-Wahlen" von 1933 und von „Reformatoren nicht einmal von Westentaschenformat wie Reichsbischof Müller". Der neue Reichskirchenminister fand leider eine Kabinettsvorlage vor, die aus den letzten Tagen der Zuständigkeit des Reichsinnenministers für Kirdiensachen stammte (17. 6. 35). Es sollte ein „Gesetz zur Entwirrung der Rechtslage in der Deutschen Evangelischen Kirche" werden. Aufschlußreich war die Begründung. Dort wurde u. a. festgestellt: 1. Zur Zeit gibt es kein allgemein anerkanntes ordnungsmäßiges „Geistliches" Ministerium. 2. Auch die „Nationalsynode" ist in ihrer gegenwärtigen Zusammensetzung rechtlich umstritten und daher nidit handlungsfähig. 3. Durch die Maßnahmen der Geistlichen Ministerien, deren Verfassungsmäßigkeit bestritten ist, sind seit Anfang des Jahres 1934 die rechtlichen Verhältnisse der Deutschen Evangelischen Kirche und fast aller Landeskirchen in einen Zustand kaum zu überbietender Verwirrung geraten. So sollte denn der Reichsinnenminister gesetzlich ermächtigt werden, „die zur Wiederherstellung verfassungsmäßiger Zustände in der Deutschen Evangelischen Kirche und in den Landeskirchen erforderlichen Maßnahmen . . . zu treffen. 134

Er kann hierzu innerhalb dieser Kirchen andere Personen ermächtigen." In der Begründung war nochmals betont, daß sich die notwendig werdenden Maßnahmen „auf das geringstmögliche Maß beschränken" und sich ausschließlich auf die „Wiederherstellung verfassungsmäßiger Zustände" erstrecken sollten. Solange Buttmann im Ministerium war und die alten Beziehungen Fricks zu Meiser, Wurm und Marahrens zum Tragen gebracht hätte, wären wohl auch die Versprechen der Begründung eingelöst worden. Inzwischen kam der Übergang der Zuständigkeit von Frick auf Kerrl. So wurde denn unter dem 24. 9. 35 ein Reichsgesetz erlassen, das durch die Änderung der Überschrift und durch die Auswechselung eines einzigen Wortes im Text der Sache eine gänzlich andere Bedeutung verlieh. Der Entwurf des Reichsinnenministeriums sprach von der „Wiederherstellung v e r f a s s u n g s m ä ß i g e r Zustände und ließ damit erkennen, daß an der Struktur der Reichskirchenverfassung von 1933 nicht gerüttelt werden sollte. Das Reichsgesetz mit der Ermächtigung für Kerrl betonte die „Wiederherstellung g e o r d n e t e r Zustände" und gab damit dem Reichskirchenminister die Befugnis, zu schalten und zu walten, wie er wollte. Erstaunlich war bereits, was in der Präambel des Kerrl'schen Gesetzes gesagt war (der Frick'sche Entwurf hatte überhaupt keine Präambel). Es war da von dem „Kampf der kirchlichen Gruppen untereinander und gegeneinander" die Rede, der „die Glaubens- und Gewissensfreiheit einzelner beeinträchtigt", ferner von der Pflidit der Reichsregierung als „Treuhänder" — eine verhängnisvolle Begriffsprägung, die man gegenüber der katholischen Kirche nicht einmal zu denken, geschweige denn auszusprechen gewagt hätte! „Keiner der kämpfenden Parteien" könne nach der Präambel die Aufgabe überlassen werden, die Angelegenheiten der Kirche zu ordnen — und das angesichts der Tatsache, daß die „Deutschen Christen" inzwischen zu einem Nichts zusammengeschrumpft, die Bekenntnistreuen aber längst zum dominierenden Faktor geworden waren! Wenn dann noch von der „Herbeiführung einer Ordnung" die Rede war, „die der Kirche ermöglicht, in voller Freiheit und Ruhe ihre Glaubensund Bekenntnisfragen zu regeln", so war das nach allem, was man bisher von parteimäßig Gebundenen erlebt hatte, der Gipfel der Verlogenheit. Der Pferdefuß kam denn bereits am 3. 10. 35 zum Vorschein. Kerrl bildete „aus Männern der Kirche" einen „Reidiskirchenausschuß", also ein Organ, das eine klare Lossage von der Kirchenverfassung von 1933 bedeutete. Diesem Ausschuß war die Aufgabe zugewiesen, die Deutsche Evangelische Kirche zu leiten und zu vertreten. Das bedeutete zwar eine 135

gewisse Kaltstellung des „Reibi", aber der Makel absoluter kirchlicher Verfassungswidrigkeit war doch von dem Reichskirchenausschuß nicht hinwegzunehmen. Schon in der Verordnung vom 3. 10. 35 war für die Altpreußische Union ein „Landeskirchenausschuß" vorgesehen. Dann erschienen die 2. bis 9. Durchführungsverordnung, in denen mit dem Rezept der „Landeskirchenausschüsse" munter weiter kuriert wurde: Hessen, Sadisen, Kurhessen-Waldeck, Braunschweig, Schleswig-Holstein und schließlich (28. 2. 36) auch Hannover kamen an die Reihe. Bedenken mußte der Aufruf erregen, den der „Reidiskirdienausschuß" unmittelbar nach seiner Einsetzung erließ. Selbstverständlich war von der „unantastbaren Grundlage des Evangeliums" die Rede — wie oft hatte man schon diese Beteuerung gehört! Dann kam ein kühner Gedankensprung: „Aus dieser Glaubensgebundenheit ermahnen und bitten wir die Evangelischen Gemeinden, in Fürbitte, Treue und Gehorsam zu Volk, Reidi und Führer zu stehen. Wir bejahen die nationalsozialistische Volkwerdung auf der Grundlage von Rasse, Blut und Boden . . . Vor allem liegt uns in der gegenwärtigen Stunde daran, die im Kampf der letzten Jahre deutlich gewordenen unaufgebbaren Anliegen zu verstehen und die aufgebrochenen Kräfte zu positivem Einsatz zu führen . . . " „Herr, dunkel war der Rede Sinn" — aber doch nicht ganz unklar für Kenner der Verhältnisse, die auf Grund bitterer Erfahrungen die „unaufgebbaren Anliegen" auf ihre Art zu interpretieren geneigt waren. Nach etwa 16 Monaten umstrittener Tätigkeit sah der „Reichskirchenausschuß" seine Aufgabe als gescheitert an und gab seinen Auftrag an Kerrl zurück. Das Spiel des staatskirchlichen Dilettantismus ging weiter. Bereits am 2.12.35 hatte man versucht, die Bruderräte reichsgesetzlich mattzusetzen. Am 25. 6. 37 kam dann die Ausdehnung des preußischen Systems der „Finanzabteilungen" auf das ganze Reich. Inzwischen (15. 2. 37) hatte Hitler mit dem Phantom „freier" Kirchenwahlen gegaukelt, um die Dinge zu ordnen — ein Eingeständnis des staatskirchlichen Bankrotts! Die Bekenntnisfront dachte nicht daran, sich aufzulösen, aber ihre alte innere Festigkeit und Schlagkraft war nicht mehr vorhanden. Immerhin faßte eine Bekenntnissynode in Oeynhausen im Februar 1936 den Beschluß: „Die Ausübung der Kirchenleitung durch den Staat oder auf Grund staatlicher Berufung widerspricht der Lehre der Reformation und den reformatorischen Bekenntnisschriften. Weltliche Obrigkeit greift in ein fremdes Amt ein, wenn sie aus eigener Macht der Kirche eine Leitung setzt." Ein neuer Gegner rückt „im Einvernehmen mit dem Reichserziehungsminister (Rust) und dem Reichskirchenminister (Kerrl)" in den Vorder136

grund: Himmler. Am 29. 8. 37 schießt er gegen die „sogenannte Bekennende Kirche" los und verbietet „die von den Organen der sogenannten Bekennenden Kirche errichteten Ersatzhochschulen, Arbeitsgemeinschaften und die Lehr-, Studenten- und Prüfungsämter". Der Reichsbruderrat hatte sich bereits im März 1937 mit klaren Worten gegen gemeinsame Kirchenwahlen mit denen gewandt, die sich im Grunde genommen längst von der Kirche gelöst haben. So fällt das Projekt der Neuwahlen, die vielleicht nur eine — wahrscheinlich sogar verschärfte — Neuauflage der Terror-Wahlen von 1933 gebracht hätten. So geht der Kampf weiter und weiter. Die Verbitterung wächst in dem Maße, wie die dilettantische Kirchenspielerei des Staates an Brutalität zunimmt. Niemöller wird im März 1938 wegen Vergehens gegen das „Heimtückegesetz" zwar verurteilt, aber wegen Anrechnung der Untersuchungshaft auf die Freiheitsstrafe gerichtlich freigelassen. Die Geheime Staatspolizei — hier wie immer völlig hemmungs- und skrupellos — griff sofort zu und brachte ihn in ein Konzentrationslager. Aber der Reichskirchenminister Kerrl träumt unentwegt weiter, zum Beispiel von einer „Volkskirchlichen Arbeitsgemeinschaft", die — unter Ausschluß der Bruderräte! — die evangelische Kirche retten soll. Im Januar 1939 raffen sich die bekenntnistreuen Kirchenführer nodimals zu einer großen Denkschrift auf mit der Tendenz: Rückkehr zur Kirchenverfassung von 1933! Aber diese alte kirchliche Ordnung, so mangelhaft sie an sich war und so sehr sie kirchenfremde nationalsozialistische Einflüsse erkennen ließ, war doch für die politischen Machthaber nur noch eine verblaßte Erinnerung. So wirkte denn der staatskirchliche Dilettantismus weiter, bis er im zweiten Weltkrieg die eigene Spur verlor.

Katholische Kirche Was die katholische Seite betrifft, so ist auch hier festzustellen, daß seit Errichtung des Ministeriums Kerrl von eigentlicher Kirchenpolitik überhaupt nicht mehr die Rede sein konnte. Am 16. 7. 35 trat Kerrl sein Amt als Kirchenminister an. Schon am 23. 7. 35 wurde die neue Lage drastisch demonstriert: der „Preußische Ministerpräsident — Chef der Geheimen Staatspolizei — gez. Heydrich" erließ eine „Polizeiverordnung g e g e n die konfessionellen Jugendverbände", die, gestützt auf die Verordnung des Reichspräsidenten „zum Schutze von Volk und Staat" (!) vom 28. 2. 33, kategorisch bestimmte: „§ 1. Allen konfessionellen Jugendverbänden . . . ist jede Betätigung, die nicht rein kirchlich-religiöser Art ist, insbesondere eine solche politi137

scher", (nicht: p a r t e i p o l i t i s c h e r ! ) Art untersagt."

„sportlicher und

volkssportlicher

§ 2. . . . Es ist verboten: 1. Das Tragen von Uniformen . . . , uniformähnlicher Kleidung . . . sowie jede sonstige einheitliche Kleidung . . . 2. Das Tragen von Abzeichen . . . 3. Das geschlossene Aufmarschieren 4. Das öffentliche Mitführen oder Zeigen von Bannern, Fahnen und Wimpeln . . . 5. Jegliche Ausübung und Anleitung zu Sport . . . Fürwahr, die Partei konnte mit diesem Helfer zufrieden sein. Auch der „Reichsjugendführer" Baidur von Sdiirach sorgte nunmehr für lückenlose Klarheit. In zwei Verfügungen vom 18. Juni 1937 ordnete er zunächst die „Urlaubsgewährung für kirchliche Veranstaltungen", wobei es nicht schwer war, hinter dem Phrasenschwall die Klauen zu entdecken: „ . . . Eine Vernachlässigung des Pflichtdienstes der Hitler-Jugend zugunsten einer konfessionellen Betätigung muß . . . als disziplinarisches Vergehen gegenüber der Autorität der Hitler-Jugend aufgefaßt werden . . . " „Angehörige der Hitler-Jugend . . . , die an . . . kirchlichen Veranstaltungen teilnehmen, ohne Urlaub nachgesucht zu haben, werden . . . nach strengen Maßstäben bestraft . . . " In der zweiten Verfügung vom 18. 6. 37 war klipp und klar gesagt, daß eine Doppelmitgliedschaft in der Hitler-Jugend und Organisationen der katholischen Jugendverbände „grundsätzlich verboten" ist. Es ist kaum möglich, die Unsumme des Wahnsinns im einzelnen aufzuzählen, der nach der katholischen ebenso wie nach der evangelischen Seite hin in Szene gesetzt wurde. Endlich riß dem Hl. Stuhl der Geduldsfaden, und der Papst wandte sich mit der Enzyklika „Mit brennender Sorge" vom 4. 3. 37 an die Weltöffentlichkeit. In die Beantwortung dieser scharfen, in jeder Beziehung berechtigten Anklagen teilten sich Goebbels und Kerrl. Es wurden die berüchtigten Klerikerprozesse inszeniert. Der Propagandachef des Systems tönte großsprecherisch: „Keine andere Gesellschaftsschicht hat je solche Verderbtheit zu verbergen gehabt . . . " 138

Und der „zuständige" Minister, Kerrl, sekundierte mit berückenden Zahlen: 7 000 Fälle! Der Episkopat berichtigte, daß es sich bei mehr als 25 000 Priestern um 58 Fälle handle. So sank die Kirchenpolitik im Dritten Reich von Stufe zu Stufe, bis sie schließlich im Schlamm kaum zu überbietender Selbstbesudelung endete. Sie wird mit ihren schroffen Gegensätzen zwischen Religion und Politik, zwischen Anständigkeit und Brutalität, zwischen Klugheit und Terror für alle Zeit eine Lehre sein, deren grundsätzliche Elemente aus der geschichtlichen Anschauung nicht mehr wegzudenken sind. Mögen alle, die es angeht, aus dem Erlebten lernen — und danach handeln!

139

Anhang

1

Entwurf einer Vereinbarung betr. Ausführung von A r t 31 I. Liste der konkordatsgeschützten Organisationsarten A. Katholische Organisationen und Verbände, die ausschließlich religiösen* rein kulturellen oder karitativen Zwecken dienen (Reidiskonkordat Art. 31 Abs. 1). 1. a) Vereinigungen zur Pflege des religiösen Lebens im allgemeinen (z. B. Bruderschaften, Dritter Orden, Marianische Kongregationen). 1. b) Vereinigungen von kirchlichen Beamten und Angestellten. 2. Organisationen mit Missionszweck (z. B. das Päpstliche Missionswerk, der Bonifatiusverein, der St. Josef-Missionsverein zur Unterhaltung der Seelsorge für die Deutschen im Ausland, Reichsverband katholischer Auslandsdeutscher). 3. Organisationen, die einer besonderen religiösen bzw. kulturellen Aufgabe dienen (z. B. Akademikerverband, Görres-Gesellschaft, Schulorganisation, Borromäusverein, Caecilienverein, kirchliche Kunstvereine). 4. Organisationen, die ihrem Wesen nach karitativen Zwecken dienen (z. B. Deutscher Caritasverband und die ihm angeschlossenen oder eingegliederten Fach- oder Personalverbände wie Vinzenzvereine, Elisabethenvereine). 5. Eine Zusammenfassung der katholischen Angehörigen bestimmter Lebenskreise zur Erfüllung religiös-kultureller bzw. seelsorgerischer Aufgaben (z. B. „Jugendwerk der katholischen Kirche in Deutschland" mit seinen den verschiedenen Lebensaltern und Lebenskreisen entsprechenden Gliederungen, Jungfrauenverband, Katholische Männervereine, Müttervereine und Frauenbund): Diese Organisationen bieten die Voraussetzungen, nach den Anweisungen des Hl. Stuhles Glieder oder Hilfsorganisationen des Katholischen Laienapostolats (Katholische Aktion) zu sein. Sie werden in Unterordnung unter die kirchliche Hierarchie in der Regel nach Pfarreien und Diözesen aufgebaut. Inwieweit eine überdiözesane Leitung der einzelnen Verbände erhalten oder umgebaut wird, unterliegt der Vereinbarung zwischen Reichsregierung und Episkopat. Die Angehörigen der natürlichen Lebensstände dürfen organisatorisch vereinigt werden. Soweit die Mitglieder einer solchen Vereinigung dem 140

gleichen beruflichen Lebensstande angehören, dürfen sie zum Zweck der Erfüllung religiös-kultureller bzw. seelsorgerischer Aufgaben gemeinsam betreut werden. Der Deutsche Episkopat wird dafür sorgen, daß das katholische Laienapostolat in jeder Beziehung völlig unpolitisch lediglich den genannten Zwecken dienen wird. Die vorläufig körperschaftlich in das Laienapostolat aufzunehmenden Verbände mit früher berufsständisdier Prägung werden mit dem Zeitpunkt der Aufnahme sachlich und personell, soweit dies noch erforderlich ist, entpolitisiert. Der Deutsche Episkopat wird den bisherigen, durch die Zusammenfassung gleicher Berufe bestimmten Charakter dieser Organisationen durch die Eingliederung ihrer Mitglieder in das Laienapostolat möglichst bald (innerhalb eines Jahres) beseitigen. Eine entsprechende Vereinbarung ist zwischen dem Deutschen Episkopat und der N.S.D.A.P. hinsichtlich der Doppelmitgliedschaft in den nationalsozialistischen Organisationen getroffen worden. B. Katholische Organisationen und Verbände, die neben religiösen, kulturellen und karitativen Zwecken anderen, darunter auch sozialen und berufsständischen Aufgaben dienen (Reichskonkordat Art. 31 Abs. 2). Organisationen mit sozialen und berufsständischen Aufgaben: Kolpingwerk. II. Ausführungsgrundsätze Entsprechend Reichskonkordat Art. 31 anerkennt und schützt der Staat (das Deutsche Reich) die in den vorliegenden Abmachungen berücksichtigten katholischen Organisationen und Verbände. Ihre Rechte und Pflichten regeln sich nach den Bestimmungen des Reichskonkordats in folgender Weise: 1.Die katholischen Organisationen und Verbände nach Art. 31 Abs. 1 genießen innerhalb der Volks- und Staatsordnung die zur Erfüllung ihrer konkordatsmäßigen Aufgaben erforderliche Freiheit. Der Staat hat ihnen gegenüber die sich aus dem Vereinsrecht ergebenden Befugnisse sowie das Recht der Prüfung, ob sich die Vereine im Rahmen des Art. 31 Abs. 1 in ihren Einrichtungen und in ihrer Betätigung halten. 2. Die katholischen Organisationen nach Abs. 2 können, müssen aber nicht in „staatliche Verbände" (Dachorganisationen) eingeordnet werden. Die Einordnung darf nicht Vereins- und verbandsmäßiges Eigentum beeinträchtigen. Im übrigen regeln sich ihre Rechte und Pflichten nach den Abmachungen unter Ziffer 1. 141

3. Im Einvernehmen zwischen dem Deutschen Episkopat und den mit dem Vollzug betrauten Regierungsstellen werden Vorkehrungen getroffen, durch die sowohl sachlich (Statuten) wie auch personell (Auswahl der Organisationsleiter) eine von politischen Zwecksetzungen freie Tätigkeit dieser Vereinigungen gewährleistet und Ubergriffe über den ihnen zugewiesenen Aufgabenbereich verhindert werden. Fälle tatsächlicher oder vermeintlicher Verstöße dieser Art sind nicht durch die örtlichen Instanzen, sondern durch die zuständige staatliche Behörde im Benehmen mit dem Ortsordinarius zu regeln unter Vorbehalt der Berufung an die Ministerialbehörde. 4. Die Mitglieder der katholischen Organisationen und ihre Angehörigen sollen denen der staatlichen Organisationen in ihren Ansprüchen innerhalb des staatlichen Einflußbereichs nicht nachgestellt werden. Ihr Eigentum und das freie Verfügungsrecht darüber bleibt ihnen gewährleistet und unterliegt nur den für alle geltenden gesetzlichen Beschränkungen. Das gilt im besonderen für den Besitz und die Benutzung von Heimen. Die Freiheit, für die katholischen Organisationen im Rahmen ihrer Zweckbestimmung zu werben, unterliegt keinen besonderen Einschränkungen. Die katholischen Organisationen haben das Recht, Vereinszeichen (Nadeln) zu tragen und bei Kirchgängen, Prozessionen, Wallfahrten, Patronatsfesten, Beerdigungen, Bischofsempfängen und religiösen Tagungen Banner zu führen. Die körperliche Ertüchtigung ist Angelegenheit des Staates. Es wird dafür ein Wochentag festgesetzt. Die Sonn- und Feiertage bleiben davon regelmäßig frei. 5. Das Schrifttum der katholischen Organisationen und Verbände (Verbandsblätter, Zeitschriften usw.) genießt in dem der Oberaufsicht der Diözesanbischöfe unterstehenden religiös-kirchlichen Teil in Übereinstimmung mit Art. 1 des Reichskonkordats und in sinngemäßer Anwendung des zu Art. 32 Abs. 2 im Schlußprotokoll ausgesprochenen Grundsatzes volle Freiheit in der Veröffentlichung der von den kirchlichen Behörden erlassenen Verlautbarungen sowie in der von diesen Behörden bekanntgegebenen Verkündigung, Erläuterung und Vertretung der dogmatischen und sittlichen Lehren und Grundsätze der Kirche. Den Herausgebern oder Schriftleitern steht es frei, die Herkunft sogenannter Auflagenachrichten, die sich auf das religiös-kirchliche Gebiet beziehen, anzugeben, ohne jedoch eine weitere Stellungnahme zum Ausdruck zu bringen. Art. 4 Abs. 2 des Reichskonkordats wird hiervon nicht berührt. 142

6. Den katholischen Mitgliedern der in Art. 31 Abs. 4 genannten Organisationen wird Gelegenheit geboten, ihre kirchlichen Pflichten regelmäßig und ungehindert zu erfüllen. Sie werden zu nichts veranlaßt, was mit ihren religiösen und sittlichen Uberzeugungen und Pflichten unvereinbar ist. In Veranstaltungen, im staatspolitischen Unterricht sowie in dem organisationsamtlichen Schrifttum sind die religiösen Empfindungen gläubiger Katholiken nicht herabzusetzen. 7. Die Reichsregierung wird dafür sorgen, daß der Jugendführer des Deutschen Reichs einen Verbindungsmann zur Katholischen Kirche ernennt, nachdem er das Einverständnis des Deutschen Episkopats zu dessen Person eingeholt hat.

Anhang

2

Entwurf einer Vereinbarung zwisdien Parteistellen und Episkopat, über die am 29. 6. 1934 ebenfalls grundsätzliches Einverständnis erzielt wurde 1. Die Herren Bischöfe sichern zu, den katholischen Jugendorganisationen für ganz Deutschland für den laufenden Sommer zur Sicherung von Ruhe und Ordnung das Tragen von Gleichtracht sowie das „Zelten" zu verbieten. 2. Reichsjugendführer von Schirach erklärt: „Unbeschadet des Rechtes der Hitlerjugend auf alleinige Erfüllung ihres Aufgabenbereichs wird die Hitlerjugend Veranstaltungen, Wanderungen und Lagern der katholischen Jugendorganisationen als solcher, die, von Geistlichen geleitet, religiös-sittlichen Zwecken dienen, freundlich gegenüberstehen." 3. Der Vertreter der Deutschen Arbeitsfront, Reichsinspekteur Schmeer, erklärt: „Wir erklären uns bereit, die Doppelmitgliedschaft zu gestatten, wenn die Bedingungen zu Ziff. 5 der Vereinbarungen zwischen Reichsregierung und Kirche zu Art. 31 erfüllt sind und der Schirach'sche Vorschlag befolgt ist. Dies gilt auch für das Kolpingwerk." 4. Die Vertreter der Partei erklären, daß, wenn der Entwurf der Vereinbarungen zwischen Reichsregierung und Kirche zu Art. 31 endgültig angenommen und ebenso die Entwürfe zu 1 bis 3 gleichzeitig als ein untrennbares Ganzes in K r a f t gesetzt werden, das Verbot der Doppelmitgliedschaft in Hitlerjugend und katholischen ugendverbänden aufgehoben wird. 143

Anhang

3

Uebersicht über die Rechtsverhältnisse in den einzelnen Landeskirchen der Deutschen Evangelischen Kirdie, soweit sie sich auf Grund der hier vorliegenden Unterlagen beurteilen lassen Vorweg wird bemerkt, daß bei fast allen Landeskirchen, soweit sie in die Reichskirche eingegliedert worden sind, die ursprünglich 1933 gebildeten Synoden in ihrem Bestände Veränderungen erfahren haben (vergl. das abschließende Gesetz vom 9. 8. 1934, GS. S. 121). Es ist streitig, ob die Synoden und sonstigen Organe, soweit sie sich selbst aufgelöst haben, aber wieder ihre Tätigkeit ausüben, als rechtmäßig angesehen werden können. Abgesehen davon, wird es auch dadurch sehr erschwert, Vorhandenes zu legalisieren, daß die 1933 gewählten Vertretungen ganz abgesehen von der Umbildung durch die Reichskirchenregierung fast überall stark zerbröckelt und in vielen Fällen dadurch verändert worden sind, daß ein Teil ihrer Mitglieder Kirchenämter übernommen hat, also synodale Befugnisse nicht mehr oder nur noch beschränkt ausüben kann. Daß die innere Autorität außerdem weithin verloren gegangen ist, sei nur nebenbei erwähnt. Im einzelnen wird zu den Rechtsverhältnissen in den Landeskirchen folgendes bemerkt: 1. Evangelisch-lutherische Landeskirche in Bayern rechts des Rheins: geordnet, eingegliedert durch Gesetz der D.E.K, vom 25. 10. 34 (Ges.Bl. S. 205). 2. Evangelische Landeskirche in "Württemberg: fraglich, ob die Synode in Ordnung ist, starke kirchenpolitische Gegensätze zwischen Landesbischof und Organen der Landeskirchenregierung, eingegliedert durch. Gesetz der D.E.K, vom 28. 9. 1934 (Gesbl. S. 193). 3. Vereinigte protestantisch-christliche Kirche der Pfalz (Pfälzische Landeskirche): geordnet, alte Landessynode hat sich bei Eingliederung selbst aufgelöst. Eingliederungsgesetze vom 28. 6. und 3. 7. 1934 (Gesbl. S. 83/84). 4. Thüringer Evangelische Kirche, in die die Evangelisch-lutherische Kirche in Reuß älterer Linie rechtmäßig eingegliedert ist: Eingliederungsgesetze vom 14. Mai 1934 (Ges.Bl. S. 47/48). 5. Evangelisch-lutherische Landeskirche von Schaumburg-Lippe: geordnet. 6. Evangelisch-lutherische Landeskirche des Freistaates Sachsen: Hier wird die Rechtmäßigkeit einer Reihe ergangener landeskirchlicher Gesetze 144

bestritten. Der Landesbischof und die landeskirchlichen Organe werden wohl als legal angesehen werden können, Eingliederungsgesetze vom 4. und 7. Mai 1934 (Ges.Bl. S. 43/44). 7. Evangelisch-lutherische Landeskirche des Landesteils Lübeck im Freistaat Oldenburg: geordnet, Eingliederungsgesetze vom 17. und 18. Juli 1934 (Ges.Bl. S. 97/98). 9. Lippische Landeskirche: geordnet, Organe nicht verändert, Eingliederungsvereinbarung vom 23.127. Juni 1934 (Ges.Bl. S. 71/73), Anschlußgesetz vom 27. Juni 1934 (Ges.Bl. S. 71). 10. Evangelische Kirche des Landesteils Birkenfeld: Landessynode bestehen geblieben, Konsistorium von der D.E.K, aufgehoben, Eingliederungsvereinbarung vom 25. 6./2. 7. 34, Eingliederungsgesetz vom 3. 7. 1934 (Ges.Bl. S. 80/81). 11. Evangelische Landeskirche Anhalts: Landeskirchentag und Landeskirchenrat sollten preußische Provinzialsynode bzw. Provinzialsynodalvorstand werden, Eingliederungsvereinbarung vom 4. 7. 34, Eingliederungsgesetz vom gleichen Tage (Ges.Bl. S. 77/78). Bei den Landeskirchen zu 9, 10 und 11 ist deren Anschluß an die Evangelische Kirche der altpreußischen Union noch nicht rechtswirksam geworden. 12. Vereinigte evangelisch-protestantische Landeskirche Badens: Hier ist der Landesbischof gesetzmäßig, während hinsichtlich der landeskirchlichen Organe Zweifel bestehen, Eingliederungsgesetze vom 13./14. Juli 1934 (Ges.Bl. S. 93/94). 13. Evangelisch-lutherische Landeskirche Schleswig-Holsteins: hier regiert der Landesbischof mit dem Landeskirchenamt und einem Landeskirchenausschuß. Die Regierung ist einigermaßen arbeitsfähig. Eine rechtliche Untersuchung würde aber wohl kaum zu deren völlig sicherer Rechtmäßigkeit führen. Eingliederungsgesetze vom 8./9. Mai 1934, (Ges.Bl. 45/46). 14. Braunschweigische evangelisch-lutherische Landeskirche: bei dieser hatte der Reichsbischof seinerzeit einen Kommissar eingesetzt (Verordnung vom 21. 2. 1934, S. 9), auf dessen Wirken die derzeitige Landeskirchenregierung aufgebaut ist. Da der Kommissar durchweg im Einvernehmen mit den Landeskirchenorganen gearbeitet hat und geordnete Verhältnisse in dieser Landeskirche herrschen, werden Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Landeskirchenregierung unschwer zu erheben sein, Eingliederungsgesetze vom 1., 2. Juni 1934, (Ges.Bl. S. 53/54). 15. Evangelisch-lutherische Kirche im Hamburgischen Staate: hier ist die Rechtslage als zweifelhaft geschildert worden. Mangels Unterlagen kann aber nicht angegeben werden, ob und inwieweit dies zutrifft, Eingliederungsgesetze vom 24./25. Mai 1934 (Ges.Bl. S. 51/52). 11

Conrad,

Der Kampf

um die

Kanzeln

145

16. Evangelisch-lutherische Kirche im Liibeck'schen Staate: hier gilt das Gleiche wie bei 15. Eingliederungsgesetze vom 13./14. Juli 1934 (Ges.Bl. S. 91/92). 17. Evangelisch-lutherische Landeskirche in Hannover. Hier bestehen zwei Kirchenregierungen: die Regierung Rahn, Hahn, Richter mit einem eigenen Kirchensenat und einem eigenen Landeskirchentag sowie die Regierung Marahrens, der im Besitz des Landeskirchenamts ist und eine vorläufige Kirchenregierung gebildet hat. In dem bekannten Prozeß der beiden Regierungen vor dem Oberlandesgericht in Celle hat Marahrens gesiegt. Eingliederungsgesetze vom 15./16. Mai 1934 (Ges.Bl. S. 49/50). Die Rechtmäßigkeit des Anschlusses von Pyrmont ist wegen der Beteiligung eines Bevollmächtigten der Deutschen Evangelischen Kirche zweifelhaft. 18. Evangelisch-lutherische Landeskirche Nassau-Hessen, die sich zusammensetzt aus der Evangelischen Landeskirche in Nassau, der Evangelischen Landeskirche in Hessen und der Evangelischen Landeskirche in Frankfurt a. M. Bei dieser Landeskirche ist die Rechtmäßigkeit des Zusammenschlusses der drei Landeskirchen, des Landesbischofs und seiner Organe bestritten. Zwei Gutachten sprechen sich für, zwei gegen die Rechtmäßigkeit aus. Eine einwandfreie Feststellung der Rechtslage von hier aus ist mangels Vorhandenseins von Unterlagen über die Vorgänge bei dem Zusammenschluß und der Bestellung der Organe zur Zeit unmöglich. Eingliederungsgesetze vom 27. April/7. Mai 1934 (Ges.Bl. S. 41/42). 19. Evangelische Landeskirche von Kurhessen-Waldeck, die aus dem Zusammenschluß der Evangelischen Landeskirche Hessen-Kassel mit der Evangelischen Landeskirche von Waldeck und Pyrmont ohne Pyrmont entstanden ist (Zustimmungserklärung der D.E.K., Ges.Bl. S. 144). Hier bestehen zwei Kirchenregierungen, die sogenannte Kommissarische Kirchenregierung, die durch Verordnung des Reichsbischofs vom 3. Juli 1934 (Ges.Bl. S. 75) ins Amt gesetzt worden ist, sich heute noch darin befindet, aber einige Mitglieder, so den Landesbischof, inzwischen verloren hat, und die sogenannte Einstweilige Kirchenregierung, die von dem Landeskirchentage im Jahre 1934 nach den Wahlen gebildet worden war. In einem Räumungsprozeß, den die Einstweilige gegen die Kommissarische angestrengt hatte, hat im ersten Rechtszuge die Einstweilige obgesiegt. Vor Erlaß des Urteils im zweiten Rechtszuge, das aller Voraussicht nach wieder zu Gunsten der Einstweiligen ausgefallen wäre, hat der preußische Staat den Kompetenzkonflikt erhoben. Die Kommissarische Regierung dürfte rechtmäßig sein. Aber auch die Legalität der Einstweiligen Kirchenregierung ist zweifelhaft. Das Gleiche gilt für die Gültigkeit des Zusammenschlusses von Hessen-Kassel mit Waldeck wegen der Beteiligung von Bevollmächtigten der D.E.K. (Notverordnung des Reichsbischofs betr. die Evang. Kirche von Waldeck und Pyrmont vom 18. 1. 1934 (Ges.Bl. S. 3) und Verordnung 146

des Reichsbischofs betr. die Evangel. Landeskirche in Hessen-Kassel vom 3. 7. 1934 (Ges.BI. S. 75). In Waldeck ist überhaupt kein Organ mehr vorhanden, das die Geschäfte der Landeskirche von Waldeck und Pyrmont wahrnehmen könnte. 20. Evangelisch-lutherische Landeskirche in Mecklenburg, die sich zusammensetzt aus der Evangelisch-lutherischen Kirche von MecklenburgSchwerin und der Evangelisch-lutherischen Landeskirche von MecklenburgStrelitz: die Rechtmäßigkeit des mecklenburgischen Landesbischofs, seines Oberkirchenrats, der Vereinigung der beiden Landeskirchen und der von der Meckl.-Schwerinschen wie auch von der Mecklenburgischen Landeskirche erlassenen Gesetze und Anordnungen ist bestritten. Für MecklenburgSchwerin hatte der Reichsbischof durch Verordnung vom 21. 12. 1933 einen Bevollmächtigten bestellt (Ges.BI. S. 44). Diese Verordnung hat er durch Verordnung vom 30. 1. 34 aufgehoben Ges.BI. S. 7). Die Zustimmungserklärung der D.E.K, befindet sich im Gesetzblatt vom 23. 2. 1934 (S. 10). 21. Evangelisch-lutherische Kirche des Landesteils Oldenburg: die Rechtmäßigkeit des Landesbischofs wird nicht bestritten, wohl aber die der sonstigen Verwaltungsorgane, — des Landeskirchenausschusses und des Oberkirchenrats —. Ob eine rechtmäßige Landessynode noch besteht, ist zweifelhaft. Eingliederungsgesetze vom 15. Juni 1934 (Ges.BI. S. 59/60). 22. Bremisch-Evangelische Kirche: der Präsident der Landeskirche wird als rechtmäßig angesehen werden können. Bestritten wird, daß er die Bezeichnung „Landesbischof" führen darf und daß die seit dem 24. Januar 1934 getroffenen Maßnahmen, zu denen die Auflösung des Kirchentages und die Umbildung des Kirchenausschusses von einer beschließenden in eine beratende Körperschaft gehören, rechtsgültig seien. In Bremen hatte der Reichsbischof durch Verordnung vom 8. 2. 1934 (Ges.BI. S. 7) einen Bevollmächtigten bestellt, Eingliederungsgesetze vom 13./15. Juni 1934 (Ges.BI. S. 61/62). 23. Evangelische Kirche der Altpreußischen Union: I. Führung: Landesbischof ist der Reichsbischof. Die Verwaltungsorgane der altpreußischen Landeskirche waren ursprünglich die Generalsynode, der Kirchensenat und der Oberkirchenrat. Die Generalsynode übertrug durch Kirchengesetz vom 6. September 1933 (KGVB1. S. 145) ihre Befugnisse auf den Kirchensenat. Durch eine Verordnung vom 26. 1. 1934 (KGVB1. S. 1), die der Reichsbischof zugleich in seiner Eigenschaft als altpreußischer Landesbischof erließ, wurden die Befugnisse des Kirchensenats (einschl. derjenigen der Generalsynode) auf den Landesbischof übertragen. Dieser wiederum übertrug, nachdem er im Februar 1934 verschiedene gesetzgeberische Akte vorgenommen und dabei u. a. durch eine Verordnung vom 5. Februar 1934 ir

147

(KGVB1. S. 5) das Präsidium des Evangelischen Oberkirchenrats beseitigt hatte, durch Verordnung vom 1. März 1934 (KGVB1. S. 7) seine sämtlichen Befugnisse auf die Deutsche Evangelische Kirche, die sie durch Kirchengesetz vom 2. März 1934 (Ges.Bl. d. D.E.K. S. 12) auf ihre Organe übernahm; in § 1 Abs. 2 und § 2 dieses Gesetzes wurden auch die Einrichtungen des Kirchensenats und der Generalsynode ausdrücklich aufgehoben. Endlich beschloß die Nationalsynode in der veränderten Zusammensetzung, die sich durch Anwendung des KGes. vom 7. Juli 1934 (GBl. d. D.E.K. S. 85) ergeben hatte, am 9. August 1934 (Ges.Bl. d. D.E.K. S. 121) ein Gesetz, in dem allgemein das Gesetzgebungsrecht auch f ü r die Landeskirchen auf die Deutsche Evangelische Kirche übertragen und die leitenden Organe der Landeskirchen den Weisungen des Reichsbischofs unterworfen wurden (beides unbeschadet der Selbständigkeit der Landeskirchen in Bekenntnis und Kultus). Durch Verordnung vom 24. November 1934 (Ges.Bl. d. D.E.K. S. 219) wurde diese Entwicklung in folgender Weise rückgängig gemacht: a) der Reichsbischof hob auf: die Verordnung vom 26. Januar 1934, soweit sie von ihm erlassen war, das Gesetz vom 9. August 1934 für den altpreußischen Bereich. b) der Landesbischof hob auf: seine Verordnungen vom 26. Januar, 5. Februar und 1. März 1934. In beiden Verordnungen vom 20. November 1934 wurde die Aufhebung „mit der Wirkung" ausgesprochen, „daß das ältere Recht wieder in K r a f t tritt". Für die altpreußische Landeskirche ist danach festzustellen: Die Generalsynode gibt es nicht mehr, der Oberkirchenrat ist so verstümmelt, daß seine Arbeitsfähigkeit in Frage steht. Sein Präsident wird in seiner Rechtmäßigkeit bestritten. Das Gleiche gilt von der Legalität des Kirchensenats. II. Die Provinzen: a) von der Provinz O s t p r e u ß e n ist bekannt, daß zwischen Bekenntnisfront und Konsistorium ein Abkommen getroffen ist, auf Grund dessen regiert wird. Ob der Provinzialkirchenrat und die Provinzialsynode zusammenberufen werden, steht nicht fest, vielleicht hält man sie beiderseits f ü r rechtlich unsicher. b) In der Provinz P o m m e r n ist den Beteiligten nicht klar, wer zu regieren hat. Praktisch regiert zur Zeit die Finanzabteilung des Konsistoriums (Finanzgesetz vom 11. 3. 1935). Ein Bischof ist nicht da, im Konsistorium gibt es nur einen, vielleicht sogar keinen Theologen, dessen rechtsgültige Ernennung feststeht. Der Provinzialkirchenrat ist zur Zeit wohl beschlußunfähig und in seiner Rechtmäßigkeit zweifelhaft. 148

c) In der Provinz B r a n d e n b u r g regiert der Probst Eckert mit dem Konsistorium, auch der Provinzialkirchenrat hat letztens eine Sitzung abgehalten. Hier herrschen noch einigermaßen geordnete Verhältnisse. Aber auch hier ist die Rechtmäßigkeit des Provinzialkirchenrats und der Ernennung einzelner Mitglieder des Konsistoriums zweifelhaft. d) In der Provinz S c h l e s i e n sind die Verhältnisse sehr schwierig. Der zweifellos rechtsgültig ernannte Bischof Zaenker arbeitet mit der Bekenntnisfront, das Konsistorium mehr mit den „Deutschen Christen". Die synodalen Organe (Provinzialsynode und Provinzialkirchenrat) werden, soweit bekannt, für nicht einwandfrei gesetzmäßig, zum mindesten aber nicht für arbeitsfähig gehalten. Zur Zeit regiert die Finanzabteilung. e) In der Provinz S a c h s e n regiert Bischof Peter mit dem Konsistorium. Hier herrschen einigermaßen geordnete Verhältnisse. Ob die Provinzialsynode und der Provinzialkirchenrat zusammentreten, ist nicht bekannt. f) In der Provinz W e s t f a l e n herrscht völlige Verwirrung. Dort läßt sich nicht zweifelsfrei feststellen, ob überhaupt noch eine Körperschaft, sei es in der Gemeinde, dem Kirchenkreis oder der Kirchenprovinz gesetzmäßig ist. Auch die Besetzung des Konsistoriums ist zweifelhaft. Einwandsfrei gültig ist dort nur die Finanzabteilung. g) In der Rheinprovinz bestehen drei Provinzialkirchenräte, die sich alle drei für gültig halten. Am 3. Mai 1935 hat die Provinzialsynode getagt. Uber das Ergebnis ist noch nichts bekannt. Es steht auch nicht fest, ob sie selbst gültig ist und ob und bejahendenfalls welchen Provinzialkirchenrat sie für gültig erklärt hat. Für alle Provinzen wird noch bemerkt, daß auch alle Provinzialsynoden und Provinzialkirchenräte seinerzeit durch die Jäger'sche Gesetzgebung einmal beseitigt bzw. umgebildet worden sind. (§ 3, 4 des Gesetzes vom 2. März 1934 GesBl. S. 12).

149

Namenve rzeichnis Althaus, Paul, Professor, Erlangen, 2 Arendsee, Parteifunktionär, 56 Asmussen, Hans, Pfarrer, Altona, 11 Bares, Nicolaus, Bischof, Berlin, 115 Barth, Karl, Professor, Bonn, 53 Benz, Pfarrer, Basel, 93 Bergen, Diego v., Deutscher Botschafter beim Vatikan, 74, 81, 131 Berning, Wilhelm, Bischof, Osnabrück, 115 ff., 130 Bertram, Kardinal, Fürst-Erzbischof von Breslau, 84, 117, 131 Beyer, Mitglied d. Geistl. Min., 67 Bodelschwingh, Friedrich v., Pastor in Bethel, 25, 27, 62, 63 Brüning, Heinrich, Reichskanzler, 31 Buttmann, Rudolf, Ministerialdirektor, 13, 29, 35, 36 ff. (Abschluß des Reichskonkordats), 61, 65, 67, 68, 74 ff. (Romreise im Okt. 33), 76 (Charakteristik), 86, 87 ff. (Dezember-Reise), 94, 106 ff. (FebruarVerh. 1934), 109 f. (April-Verh.), 114, 130, 133, 135 Goch, Landesbischof, Sachsen, 58 ) 62, 66 Detten, Hermann v., Major a . D . , 134 Diels, Chef d. preuß. Geh. Staatspol., 61, 63 ff. Doehring, Bruno, Hof- u. Domprediger, M. d. R., 32 Dumas, Alexandre, franz. Schriftsteller, 13 Eckert, Karl, Pfarrer, 30 Eckstädt, Graf Vitzthum v., 58 Engelke, evang. Theologe, 117 Epp, Ritter von, Reichsstatthalter, 82 Esser, Chef d. bayer. Staatskanzlei, 89

150

Fezer, Karl, Prof., Tübingen, 11 Fiedler, Rechtsanwalt, 121 Fleischer, Ministerialdirektor, 13 Flor, Reichsgerichtsrat, 104, 121 Freitag, Oberkonsistorialrat, 56 Frick, Wilhelm, Reichmin. d. Inn., 13 (allg. Einstellung), 15, 16, 20, 54, 58 ff., 62, 65, 67, 71, 86, 99, 112, 122, 123, 132, 133, 135 Friedr. d. Gr., König v. Preußen, VII Goebbels, Joseph, Propagandaminister, 37 (Presseknebelung), 59 (Auslandspresse), 94, 100, 110, 131, 138 Göring, Hermann, preuß. Min.Präs., 64, 66, 69, 85, 86, 91 Gogarten, Friedr., Prof., Breslau, 11 Gottheiner, Georg, Ministerialdirektor, 13, 16, 29, 133 Grevemeyer, Max, 17 Gröber, Conrad, Erzbischof v. Freiburg, 36, 79ff. (Oktober-Verh.), 115 ff. (Juni-Verh.) Gürtner, Reichsjustizminister, 134 Hauer, „Deutsche Glaubensbewegung", 124, 126 Heckel, Theodor, Bischof, 119 Heim, K., evang. Dogmatiker, 2 Hess, Rudolf, Stellvertreter Hitlers, 59 Heydrich, Reinhard, Stellvertr. Himmlers, 73, 82, 137 Himmler, Heinrich, 73, 82, 83, 136 Hindenburg, Paul v., Reichspräsident, 60, 65, 90, 117 Hinderer, August, Prof., Dir. d. Evang. Preßverbandes, 17, 99 Hirsch, Emanuel, Prof., Göttingen, 26 Hitler, Adolf, V („Ich kann nicht dulden . . . " ) , 1 (Angriffsplan gegen die Kirchen?), 6 (Wahlziffern), 9 (Ver-

gottung), 22 (ev. Kirchenwahlen), 35, 36 (Reichstagsrede v. 23. 3. 33), 43 („Verfügung" anläßlich des Konkordatsabschlusses), 49 (Kabinettssitzung), 59 (keine Auflösung der „Deutschen Christen"), 61, 65, 71, 72, 83 (Austritt a. d. Völkerbund), 90, 93 (keine Stützung Müllers?), 104, 108, 109, 116, 122, 123 (Ablösung der Staatsleistungen), 128, 133 Hoesch, v., Botschafter, London, 99 Hosemann, Johannes, Direktor des Kirchenbundesamts, 10 Hossenfelder, „Bischof" von Brandenburg, 55, 56, 58, 61 Hundt, Ernst, Vizepräs., 22, 57 Jacobi, Gerhard, Pfarrer (Kais.-Wilh.Ged.-Kirche), 65 Jäger, August, Ministerialdirektor, 14, 15 (Staatskommissar), 17, 22, 27, 63, 95 (Mitgl. d. Geistl. Min.), 97 (Württemberg) 98 (Preßverb.), 103 (Erfurt), 118 (Diensteid), 120 (Süddeutschland) Kaas, Ludwig, Prälat, M.d.R., 31, 32, 36 („Aktuarius"), 38, 45, 78 (Mitwirkung b. d. Oktober-Verh.), 79 Kahl, Wilhelm, Prof., Berlin, 123 Kapler, Hermann, Präs. d. Ev. Oberkirchenrats, 15, 25, 28 Karnatz, Bernhard, Geh. Kons.-Rat, 22 Kerrl, Hanns, Reichskirchenminister, 20, 134, 136, 137, 138 Klausener, Erich, Ministerialdirektor, 117 Klee, Botschaftsrat, 45, 70, 131 Klotzsch, Oberkirchenrat, Dresden, 58 Koch, Karl, Präses, M. d. R., 42, 119, 120 Krause, Studienassessor, 52, 56 Kube, Wilhelm, Gauleiter, 56, 103 Külz, Wilhelm, Reichsmin. d. Inn., 34 Lammers, Hans-Heinrich, Reichskanzlei, 60

Staatssekretär,

Leicht, Johann, Domkapitular, M. d. R., 32 Lemmer, Ernst, Auslandskorrespondent, 62 Ley, Robert, Führer der D.A.F., 115 Macaulay, Thomas Babington, engl. Schriftsteller u. Politiker, VI Macchiavelli, Niccolö, ital. Staatsmann u. Geschichtschreiber, VII Marahrens, August, Landesbischof, H a n nover, 20, 92, 121, 135 Marx, Wilhelm, Reichskanzler, 34 Megerle, Auslandskorrespondent, 62 Meiser, Hans, Landesbischof, Bayern, 54, 61, 62, 63, 67, 92, 94, 98 (Ulm), 104, 120, 121, 135 Meißner, Otto, Staatssekretär, Präsidialkanzlei, 60, 65 Metzner, Ministerialrat, 14 Meusel, Admiral a. D., 26 Moltke, Helmut v., Gen.-Feldmarschall, 21 Müller-Jena, Hans-Michael, Priv.-Dozent, 17 Müller, Ludwig, B e a u f t r a g t e r H i t l e r s , 17, 19 (Verfassungsberatung), 23 (Parteikandidat), 26 (Interview), 28 (Gegner Bodelschwinghs), R e i c h s b i s c h o f , 29, 30, 47, 54 (Wahrheitliebe?), 61, 62, 67, 91, 93, 102 (Erfurt, Stettiner Rede), 118 (Diensteid), 120 (Dom), 122, 124 Mumm, Reinhard, Pastor, M. d. R., 32 Murr, Wilhelm, Reichsstatthalter, 96 f. Neurath, Konstantin v., Reichsaußenminister, 35, 71, 99 Niemöller, Martin, Pfarrer, BerlinDahlem, 30, 47, 54, 62, 66 (Telefongespräch), 104 Oberheid, „Bischof", 63, 67, 94, 120 Offenstem, Wilhelm, Pfarrer, M. d. R., 32 Orsenigo, päpstl. Nuntius, Berlin 130

151

Pacelli, Eugenio, Nuntius, 35, KardinalSeeberg, Erich, Dekan der theol. Fakultät, staatssekretär, 36 ff. (Abschluß d. Berlin, 56 Reichskonkordats), 68, 70, 76 ff. Siebert, Ludwig, bayer. Ministerpräs., 82 (Oktober-Verh.), 87 ff. (DezemberSteinmann, Kapitularvikar, Berlin, 84 Verh.), 106 ff. (Februar-Verh.), 109 f. Steinrück-Steinau, v., Rittm. a. D . , 65, (April-Verh.), 128 (Note v. 2. 9. 34) , 66 Papen, Franz v., Vizekanzler, 35, 36, 42 Steger, Präsident, 96 (Abschluß d. Reichskonkordats), 45, Stuckardt, Wilhelm, Staatssekretär, 14 68, 79, 108 Pfeffer, Salomon v., Hauptmann a. D., Tausch, Pfarrer, Berlin, 92 94, 116 Thukydides, griech. Geschichtsschreiber, Pfundtner, Hans, Staatssekretär i. R . M . VII d. I., 86, 117 I Trendelenburg, Friedrich, Ministerialdirektor, 13 Plutarch, griech. Schriftsteller, V Reventlow, G r a f v., 52, 124 Ulitzka, K a r l , Prälat, M.d.R., 31 Rosenberg, Alfred, Reichsleiter, 52, 87 („Mythos"), 112 („Weltanschaul. j Wagner, Winifred, Bayreuth, 60 Schulung"), 129 j Weber, Elberfeld, Mitglied d. „Geistl. Röttgen, Pfarrer, Bergisch-Gladbach, 63 Ministeriums", 55, 58 Rust, Bernhard, preuß. Kultusminister, j Werner, Friedrich, Präs. d. Ev. Ob. 14, 16, 62, 95, 125, 133, 136 j Kirch.-Rts., 55, 56, 65, 95 Weymann, K o n r a t , 18 Schemm, Hans, bayer. Kultusminister, j Wied, Prinz zu, Gesandter, Stockholm, 99 106 Winzen, Damasus, Pater, Maria Laach, Schirach, Baidur v., Reichsjugendführer, 40 52, 62, 108, 109, 115, 143 Wirth, Joseph, Reichskanzler, 34 Schirmacher, Pfarrer, 26 Schmidt, Albert, Pastor, M. d. R . , 32 | Wittich, Sachbearbeiter, Geh. Staatspol., 61 Schöffel, Landesbischof, Hamburg, 55, 58 ; Scholz, Erich, Min.Rt., 91, 98 Wrede, K a r l Fürst v., bayer. AbgeordSchreiber, Georg, Prälat, M.d.R., 31, 32 neter, 73 Schucht, Friedr.-Wilh., R e g . R a t , 98, 117, Wurm, Theophil, Landesbischof, Würt123 temberg, 54, 62, 67, 91, 92, 94, Schweitzer, Carl, Direktor des E v . 96 ff. (Absetzung), 120, 121, 133, Johannesstifts, Berlin-Spandau, 2 135

AGNES V O N

ZAHN-HARNACK

Adolf von H a r n a c k 2. Auflage.

Oktav.

X I I I , 453 Seiten.

1951.

Ganzleinen D M

16,80

„Das Buch gehört zu den großen Menschendarstellungen, wie uns in unserer Zeit mehrere auch übergroße Gelehrte geschenkt worden sind . . . Hier ist es die Tochter, die mit aller Kindesliebe und Ehrfurcht, aber auch mit der Ehrfurcht und Sachlichkeit des guten Bibliographen diese Lebensgeschichte schreibt." Der Evangelische Erzieher ADOLF VON HARNACK

Ausgewählte Reden und Aufsätze Anläßlich des 100. Geburtstages des Verfassers neu herausgegeben von A g n e s v o n Z a h n - H a r n a c k und A x e l v o n Harnack Oktav. V I I I , 216 Seiten. 1951. Ganzleinen D M 12,80 Anteil an der geistes„Jeder, der lebendigen geschichtlichen Lage in der ersten Hälfte unseres seinen Dank für diese Auswahl den Herausgebern hier zuzugreifen lohnt allein schon wegen des Stils der Harnackschen Sprache. Da ist nichts geprägt von der Tiefenschau und Klarheit des

In 2., unveränderter

Auflage

und sonderlich theologieJahrhunderts nimmt, wird wissen.- Und nicht zuletzt: ausgewogenen, sachlichen Phrase, da ist jeder Satz Gesetzes." Der Säemann

liegt

vor:

W o r t e für j e d e n Tag Zusammengestellt aus den Schriften N A T H A N S Ö D E R B L O M S von A n n a S ö d e r b i o m. Ins Deutsche übertragen von T o n a B a u r Oktav. V I I , 370 Seiten. 1956. Kunststoff D M 14,80 „Die hier in bunter logischen Schriften rische Erfahrung schaftlichkeit nicht von den praktischen heit der Musik, die kennt und sprechen öffnen sich für die nicht darin, sondern aller dieser Dinge." V E R L A G

Ordnung gesammelten Gedanken, die auch den theoSöderbloms entnommen sind, enthalten die seelsorgeeines eindringlichen Denkers, der bei aller Wissenin lebensferner Grübelei verharrt, sondern immer auch Forderungen des Tages zu reden weiß, der auch SchönWunder der Natur und die Geheimnisse der Geschichte läßt. Das ist das Besondere an diesen Gedanken: Sie Weite und Fülle der Welt und sie verlieren sich doch bleiben gebunden durch das Wissen um den Schöpfer Deutsch-Evangelische in Finnland

A L F R E D

T Ö P E L M A N N

• B E R L I N

¥ 3 5

HERMANN

SCHUSTER

Das W e r d e n d e r K i r c h e

Eine Geschichte der Kirche auf* deutschem Boden Mit Beiträgen von H a n s F r h r . v o n C a m p e n h a u s e n und H e r m a n n D ö r r i e s 2., verbesserte Auflage. Oktav. X I X , 569 Seiten. 1950. Ganzleinen D M 18,— „Dieses Buch führt den Leser durch die gesamte Kirchengeschichte bis zum heutigen Tage und behandelt die einzelnen Epochen und in diesen die entscheidenden Persönlichkeiten ausführlich. Es leitet zu einer ernsthaften Deutung des Sinnes der Kirchengeschichte an und zeigt die Probleme und Aufgaben der Gegenwart im Spiegel der Geschichte." Sonntagsbote, Köln ERICH KLAMROTH

Lutherischer Glaube im Denken d e r G e g e n w a r t

Groß-Oktav. 162 Seiten. 1953. Ganzleinen D M 14,50 „Das Buch von Klamroth ist eine kurzgefaßte Dogmatik, wie man sich eine solche schon lange gewünscht hat ... Es läßt in reichem Maße andere Kenner der Probleme sprechen und ist in seinen eigenen Ausführungen kurz, aber eindeutig und klar." Messiasbote „Es ist erstaunlich, wie es Erich Klamroth gelingt, die theologischen, philosophischen und psychologischen Äußerungen moderner Denker nach dem Maßstab der lutherischen Zentralgedanken zu sichern. In seinem mit hochkonzentrierter, spannender Darstellung verbindenden Werk finden die besonders anspruchsvollen Freunde aus unseren Arbeitskreisen hervorragenden Stoff zu Studium und Diskussion." Evangelische Akademie, Loccum VERLAG

A L F R E D

T Ö P E L M A N N

• B E R L I N

W3 5

M A R T I N DIBELIUS

Jesus

2. Auflage. Neudruck. Klein-Oktav. 141 Seiten. 1949. D M 2,40 (Sammlung

Göschen Band

1130)

„ ... So will das Bändchen durch die Klärung der Grundlagen zur Ermöglichung eines Glaubensurteils beitragen. Die Grundhaltung ist, sowohl kritisch, im Grunde doch konservativ und regt zu neuer Durchdenkung der ganzen Fragen an." Die Gemeinde, Mannheim M A R T I N DIBELIUS — W E R N E R G. K Ü M M E L

Paulus

2., durchgesehene Auflage. Klein-Oktav. (Sammlung

155 Seiten. 1956.

Göschen Band

D M 2,40

1160)

„Wir empfehlen unseren Lesern dringend, dieses kleine, zuverlässige und leicht verständliche Bändchen zu studieren und die aktuellen geistigen Auseinandersetzungen der Gegenwart in der Perspektive dieser letzten Fragestellungen tiefer zu verstehen." Arbeitshilfe für den Evang. Religionsunterricht, Ffm. WALTER

DE

G R U Y T E R

& CO.

/ B E R L I N

W35

v o r m a l s G. J . Göschen'sehe V e r l a g s h a n d l u n g - J . G u t t e n t a g , V e r l a g s b u c h h a n d l u n g Georg Reimer - Karl J . T r ü b n e r - V e i t & Comp.